DER BUDDHIST
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Der Buddhist.
Unabhängige deutsche Monatsschrift
für das Gesamtgebiet des Buddhismus.
I. Jahrgang. 2449 nach Buddha.
April 1905 — März 1906.
Herausgegeben von
Karl B. Seidenstücker.
Dhammo kappa/w ti//Aeyya.
Verlag und Expedition:
Buddhistischer Verlag, Leipzig.
Aussprache der Päli- und Sanskrit- Wörter.
&, t, fi sind stets lang zu sprechen.
e, o sind im Päii vor Doppeliconsonanz kurz, sonst lang; im
Sanskrit stets lang.
n vor k und g sprich wie deutsches n in Engel.
c sprich wie deutsches tsch. ß^
j sprich wie deutsches dsch. IL 00
n sprich wie deutsches nj. ^
y sprich wie deutsches j.
V sprich wie deutsches w. ''9-. i
s sprich wie deutsches ss.
5 (nur sanskr.) sprich wie deutsches ssj.
sh (nur sanskr.) sprich wie deutsches seh.
s sprich wie deutsches ss.
h klingt tönender als im Deutschen.
kh, gh, ch, jh, th, dh, ph, bh gelten als einfache Konso-
nanten und sind wie k, g, c, j, t, d, p, b mit deutlich
nachstürzendem Hauch zu sprechen. Z.B. Buddha
sprich Budd-ha. Siddhattha sprich Sidd-hatt-ha. Dham-
ma sprich D-hamma. Bojjhanga sprich Bodsch-dsch-
hanga.
Alle übrigen Laute sind wie im Deutschen zu sprechen.
Betonung: Der Accent geht selten über die drittletzte Silbe
zurück. Auf der viertletzten kann er nur stehen, wenn
die drittletzte und vorletzte Silbe kurz ist; sonst steht
er auf der drittletzten, wenn die vorletzte kurz ist; auf
der vorletzten, wenn diese natura oder positione lang ist.
Inhaltsverzeichnis des ersten Jahrganges.
(Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)
Abhandlungen, Aufsätze und Artikel.
Amitäbha 289
Berührungspunkte der Philosophie Schopenhauers und des Buddhis-
mus, Die 260, 304, 336
Buddhistische Grundidee des »Meisters von Palmyra«, Die .... 197
Buddhistische Ideen bei Richard Wagner 129, 167
Buddhistische Züge im modernen Vollcsdenlcen 353
Erhabene achtfache Pfad, Der 97
Gedanicen über dies und das 317, 349
Gemüts-Läuterung 225
Goethe ein Buddhist 201, 230, 270
Gott und Götter 117
Grundideen des Buddhismus, Die 80, 111, 142, 186, 209, 251
Heidentum 254
Ist der Buddhismus atheistisch? 117
Macht der Meditation, Die 274
Macht des Karma, Die 380
Mahäbodhi 87
Mahäyäna 135
Messias, Der 234
Mission und „Mission" 173
Missions-Problem, Das 321, 371
Moralität in orientalischer Beleuchtung 68
Nibbäna 74, 106, 138, 177
Soziale Kräfte im Buddhismus und Christentum 149
Transmigration oder Wiedergeburt, Die . . 204, 241, 280, 309, 345, 375
Vergänglichkeit 45
Vier erhabenen Wahrheiten, Die 23
Warum ich Buddhist wurde 214, 244, 285, 314
Wert des Buddhismus, Der 8
Wesen des Buddhismus im Lichte der (japanischen) Tendai-Schule, Das 341
Wiedergeburt, Die, s. u. Transmigration.
Übersetzungen kanonischer Texte.
Aller Seelen, s. u. Zwei Lieder aus den Therigäthä.
Dhammacakkappavattana-sutta, Aus dem 65
Lehre des Buddha, Die 164, 194, 228, 265, 295, 326, 362
Mahämangala-sutta, Das 193
Metta-sutta, Das 6
- IV -
Udftna, Aus dem 293
Utth4na-sutta, Das 94
Vier heiligen Wahrheiten, Die, s. u. Lehre des Buddha, Die.
Zwei Lieder aus den TherJgäthä 220
Buddhistische Sprüche.
Sprache aus dem sOdlichen Kanon
22, 67, 73, 86, 172, 294, 320, 335, 352, 370, 384
Sprache und Predigt-Texte des nördlichen Buddhismus 191, 257, 326, 344
Freie Wiedergabe alter Texte.
Tröstungen der Religion, Die 221
Doxologieen.
Freuet euch 1
Samsära und Nirväna 2
Wahrheit der Heiland 4
Maximen.
Buddhistische Sittenlehren 94
Gedichte.
Abendstimmung 224
Buddha 64
Buddha 64
Buddhas Preis 192
Das Metta-sutta (metrische Übersetzung) 6
Der grosse Arzt 159
Ende einer Leidenschaft 63
Freier Wille 96
Kamma 95
Lied von der Erlösung - 96
Mahinda 161
Saat und Ernte 234
Volkslied 256
Wirket eure Erlösung 160
Illustrationen.
Der Mahäbodhi-Tempel zu Buddha-Qayä.
Japanische Buddha-Statuette.
Henry S. Oleott.
Sir Edwin Arnold.
Der Thäthanäbaing.
Kwan-Yin-Statue.
Der Buddha vor einem deutschen Fürstenschloss.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
t)ie Mahäbodhi- Stätte zu Buddha -6ayä.
(An diesem Orte erlangte Gotama die Buddhaschaft.)
Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhammapada, V. 183.
Ein Weckruf
aus dem Evangelium Buddhas.
Von Dr. Paul Carus.
— "SS —
I. Freuet Euch.
1. Freuet euch der frohen Botschaft! Buddha, unser Herr,
hat die Wurzel alles Übels gefunden. Er hat uns den Weg
des Heils gewiesen.
2. Buddha vertreibt die Wahngebilde unseres Gemütes
und erlöst uns von den Schrecken des Todes.
3. Buddha, unser Herr, bringt Trost den Müden und Sorgen-
beladenen. Er verleiht Frieden denen, die unter der Bürde des
Lebens niedergebeugt sind. Er gibt Mut den Schwachen, die
Selbstvertrauen und Hoffnung verlieren.
4. Ihr, die ihr leidet unter der Mühsal des Lebens; ihr,
die ihr kämpfen und ertragen müsst; die ihr Verlangen habt
nach Leben und Wahrheit: freuet euch der frohen Botschaft!
5. Hier ist Balsam für die Verwundeten und Brot für die
Hungrigen. Hier ist Wasser für die Durstigen und Hoffnung
für die Verzweifelnden. Hier ist Licht für die, so in Finsternis
wohnen und unerschöpflicher Segen für die Aufrichtigen.
6. Heilet eure Wunden, ihr Verwundeten, und esset euch
satt, ihr Hungrigen! Ruhet, ihr Müden, und ihr, die ihr dürstet,
löschet euren Durst! Blicket auf zum Licht, ihr, die ihr in
Finsternis wohnet! Seid fröhlich, ihr Niedergeschlagenen!
2 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
7. Vertrauet der Wahrheit, ihr, die ihr die Wahrheit liebt, denn
das Reich der Gerechtigkeit ist begründet auf Erden. Die
Finsternis des Irrtums ist vertrieben durch das Licht der Wahr-
heit. Wir icönnen unseren Weg sehen und feste und gewisse
Schritte tun.
8. Buddha, unser Herr, hat die Wahrheit offenbart.
9. Die Wahrheit heilet unsere Gebrechen und erlöst uns
vom Verderben; die Wahrheit stärkt uns im Leben und im
Tode; die Wahrheit allein kann das Übel des Irrtums über-
winden.
10. Freuet euch der frohen Botschaft!
2. Samsära und Nirväna.
1. Schauet um euch und betrachtet das Leben!
2. Alles ist vergänglich, nichts beharrt. Überall ist
Geburt und Tod, Wachstum und Verfall, Verbindung und
Trennung.
3. Die Herrlichkeit der Welt ist wie eine Blume: am Morgen
stehet sie in voller Blüte, und sie welket dahin in der Hitze
des Tages.
4. Wohin ihr auch schaut, da ist ein Drängen und Treiben,
eine wilde Jagd nach Vergnügen, eine hastige Flucht vor Schmerz
und Tod; da ist Eitelkeit und die Glut verzehrender Begierden.
Die Welt ist voll von Wechsel und Veränderung. Alles ist Samsära.
5. Gibt es nichts Beständiges in der Welt? Gibt es in
dem allgemeinen Getriebe keinen Ruheplatz, wo unser geäng-
stigtes Herz Frieden finden kann? ist nichts von ewiger Dauer?
6. Giebt es kein Ende der Qual? Können die brennenden
Begierden nicht gestillt werden? Wann soll das Gemüt ruhig
und zufrieden werden?
7. Buddha, unser Herr, war bekümmert über das Elend des
Lebens. Er sah die Eitelkeit weltlichen Glückes und suchte
Heil in dem Einen, das nicht verwelkt oder verdirbt, sondern
bleibet immer und ewiglich.
8. Ihr, die ihr euch sehnt nach Leben, wisset, dass Un-
sterblichkeit verborgen liegt in der Vergänglichkeit. Ihr, die
ihr ein Glück begehret, welches nicht die Keime der Enttäu-
No. lu. 2. DER BUDDHIST. 3
schung und der Reue enthält, folget dem Rate des Meisters
und lebet ein Leben der Rechtschaffenheit. Ihr, die ihr Ver-
langen traget nach echten Reichtümern, kommt und empfanget
Schätze, die ewig sind.
9. Die Wahrheit ist ewig. Die Wahrheit kennt weder
Geburt noch Tod und hat weder Anfang noch Ende. Jauchzet
der Wahrheit entgegen, ihr Sterblichen, und lasset die Wahr-
heit einziehen in eure Seelen.
10. Die Wahrheit ist der unsterbliche Teil eurer Seele. Der
Besitz der Wahrheit ist Reichtum, und ein Leben in der Wahr-
heit ist Glückseligkeit.
11. Begründet die Wahrheit in euren Gemütern, denn die
Wahrheit ist das Abbild dessen, das ewig ist; sie ist eine
Darlegung des Unveränderlichen, sie offenbart das Dauernde.
Die Wahrheit gewährt Sterblichen die Gabe der Unsterblichkeit.
12. Buddha ist die Wahrheit. Lasset Buddha in euren
Herzen wohnen. Vernichtet in eurer Seele jede Begierde, die
mit Buddha unverträglich ist, und ihr werdet endlich im Geiste
Buddha gleich werden.
13. Alles, was in eurer Seele sich nicht zu Buddha entfaltet,
muss vergehen, denn es ist eitel Wahn und nicht wirklich; es ist
die Quelle eures Irrtums und der Grund eures Elendes.
14. Ihr könnt eure Seele unsterblich machen dadurch, dass
ihr sie erfüllet mit Wahrheit. Werdet dadurch Gefässe, geeignet,
die Ambrosia der Worte des Meisters aufzunehmen. Reiniget
euch von Sünden und heiliget euer Leben. Es gibt keinen
anderen Weg, die Wahrheit zu erreichen.
15. Lernet den Unterschied zwischen »Selbst« und
»Wahrheit«. Selbst ist der Grund aller Selbstsucht und die
Quelle der Sünde. Die Wahrheit bleibt nicht am Selbst haften;
sie ist allgemein und führt zu Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit.
16. Denen, die ihr Selbst lieben, erscheint das Selbst als
ihr eigenstes und wahres Wesen; doch das Selbst ist nicht
ewig; es ist nicht dauernd, nicht unvergänglich. Suchet nicht
euer Selbst, suchet vielmehr die Wahrheit.
17. Wenn wir unsere Seelen von unserem kleinlichen Selbst
befreien, niemandem übelwollen und rein werden wie ein
Diamant-Kristall, der das Licht der Wahrheit klar zurückwirft,
1»
4 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
wie leuchtend wird das Bild in uns sein, das die Dinge spiegelt,
wie sie sind, ohne Beimischung brennender Begierden, ohne
Verzerrung irrigen Wahnes, ohne die Erregung sündiger Ruhe-
losigkeit,
18. Wer sein Selbst sucht, sollte unterscheiden zwischen dem
falschen und dem wahren Selbst. Das Ich und alle Ichsucht
sind das falsche Selbst; sie sind unwahre Wahngebilde und
Verbindungen vergänglicher Art. Wer sein Selbst in der Wahr-
heit sucht, wird Nirväna erreichen, und wer in Nirväna einge-
gangen ist, hat das Buddhatum erreicht. Er hat den höchsten
Segen erworben und ist zu dem geworden, was ewig und
unsterblich ist.
19. Alle zusammengesetzten Dinge müssen sich wieder
auflösen, Welten werden zerbrechen, und unsere Persönlich-
keiten werden verstreut werden, die Worte Buddhas aber blei-
ben ewiglich.
20. Die Tilgung des Selbst ist Erlösung; die Vernichtung
des Selbst ist Bedingung aller Erleuchtung; das Auslöschen
des Selbst ist Nirväna. Glücklich der, welcher aufgehört hat,
dem Vergnügen zu leben und der in der Wahrheit ruhet.
Wahrlich, seine Ergebung und die Stille seines Gemütes sind
höchste Seligkeit.
21. Lasset uns Zuflucht nehmen zu Buddha, denn er hat
das Dauernde im Vergänglichen gefunden. Lasset uns Zuflucht
nehmen in der Wahrheit, die durch Buddhas Erleuchtung ge-
wonnen ist.
3. Wahrheit, der Heiland.
1. Die Dinge der Welt und ihre Bewohner sind dem Wechsel
unterworfen; sie sind das Erzeugnis der Dinge, die vorher da
waren, und alle lebenden Wesen sind das, wozu ihre früheren
Taten sie gemacht haben; denn das Gesetz von Ursache und
Wirkung herrscht allüberall und ist ohne Ausnahme.
2. Aber in dem Wechsel der Dinge liegt die Wahrheit
verborgen. Wahrheit macht die Dinge wirklich. Wahrheit ist
die Dauer im Wechsel.
3. Und die Wahrheit verlangt darnach, zu erscheinen; die
Wahrheit sehnet sich darnach, sich selbst zu erkennen.
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 5
4. Wahrheit wohnt im Stein; denn der Stein ist hier. Keine
Macht in der Welt, l<ein Gott, kein Mensch, kein Dämon kann
sein Dasein zerstören; aber der Stein hat kein Bewusstsein.
5. Wahrheit wohnt in der Pflanze, und ihr Leben kann
sich entfalten. Die Pflanze wächst und blüht und bringt Frucht.
Ihre Schönheit ist wunderbar, aber sie hat kein Bev/usstsein,
6. Wahrheit wohnt im Tier; es bewegt sich und nimmt
seine Umgebung wahr; es unterscheidet und lernt wählen.
Bewusstsein entsteht, aber es ist noch nicht das Bewusstsein
der Wahrheit. Es ist nur ein Bewusstsein des Selbst.
7. Das Bewusstsein des Selbst verdunkelt die Augen des
Geistes und verbirgt die Wahrheit. Es ist der Ursprung des
Irrtums, die Quelle des Wahnes und das Saatkorn der Sünde.
8. Selbst gebiert Selbstsucht. Es gibt kein Übel, das
nicht dem Selbst entfliesst, und es gibt kein Unrecht, das
nicht durch Übergriffe des Selbst geschieht.
9. Selbst ist der Anfang von allem Hass, von Übeltat und
Verleumdung, von Schamlosigkeit und Unzucht, von Diebstahl
und Raub, von Unterdrückung und Blutvergiessen. Selbst ist
Mära, der Versucher, der Übeltäter, der Urheber des Ärgernisses.
10. Das Selbst verführt durch Vergnügungen; es verspricht
ein Feen-Paradies. Selbst ist der Schleier der Mäyä, der
Zauberin. Aber die Vergnügungen des Selbst sind unwahr,
sein paradiesisches Labyrinth ist der Weg zur Hölle, und seine
welkende Schönheit entfacht der Begierde Flammen, die nie
befriedigt werden können.
11. Wer soll uns erlösen von der Macht des Selbst? Wer
soll uns erretten aus dem Elend? Wer soll uns ein Leben
voller Segen gewähren?
12. Voll von Elend ist die Welt des Samsära, voll von
mancherlei Elend und voll Schmerz. Aber grösser als alles
Elend ist der Segen der Wahrheit. Die Wahrheit gibt dem
sehnenden Gemüte Frieden; die Wahrheit überwindet den Irr-
tum; sie löscht der Begierde Flammen und führt zum Nirväna.
13. Selig, wer den Frieden des Nirväna gefunden hat Er
hat Ruhe gefunden in den Widerwärtigkeiten des Lebens. Er
steht über allem Wechsel; er steht über Geburt und Tod; er
bleibt unberührt von den Übeln des Lebens.
6 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
14. Selig ist, wer zu einer Verkörperung der Wahrheit ge-
worden; er hat seinen Zweck erreicht und ist eins mit sich
selbst und der Wahrheit. Er überwindet, auch wenn er unter-
liegt; er ist ruhmreich und glücklich, auch wenn er leidet; er
ist stark, auch wenn er unter der Bürde seiner Arbeit zusam-
menbricht; er ist unsterblich, ob er gleich stürbe. Unsterblich-
keit ist das Wesen seiner Seele.
15. Selig ist, wer das heilige Ziel des Buddhatums erreicht
hat; denn er ist tüchtig, für die Erlösung seiner Genossen zu
wirken. Die Wahrheit hat Wohnung in ihm genommen. Voll-
kommene Weisheit erleuchtet seinen Verstand, und Recht-
schaffenheit beseelt den Zweck aller seiner Handlungen.
16. Die Wahrheit ist eine lebendige Macht zum Guten,
unzerstörbar und unbesieglich. Arbeitet die Wahrheit In eurem
Gemüte aus und verbreitet sie unter den Menschen; denn die
Wahrheit allein ist der Erlöser von Sünde und Elend. Die
Wahrheit ist Buddha, und Buddha ist die Wahrheit. Gesegnet
sei Buddha!
Das Mettasutta des Sutta Nipäta.
Deutsche Übersetzung
von
Dr. Arthur Pfungst.
(Vom Autor genehmigter Nachdruck.)
1. Fürwahr, was auch ein Mann zu tun mag haben,
Der wohlgeschickt dem Guten nachzugehen.
Nachdem er des Nibbäna^) Ruh' erreicht.
Das tu' er tüchtig, auch gewissenhaft.
Und redlich, sanften Wortes, mild, nicht stolz.
2. Dass er zufrieden ist, leicht unterstützt.
Um wenig sorgt, von keiner Last gedrückt,
Dass er als Meister ruhig hält die Sinne,
Dass er nicht übermütig und nicht gierig.
Wenn er den Rundgang zu den Häusern macht.
') Nirväna.
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST.
3. Er tue nichts Gemeines, was ihm and're,
Die weise sind, zum Vorwurf machen könnten.
Mög' Sicherheit und Glück den Wesen allen
Beschieden sein und Freudigkeit des Herzens.
4. Was es auch gibt an lebenden Geschöpfen,
Ob schwach sie oder stark, ob lang, ob gross,
Ob mittlerer Gestalt, ob kurz, klein, breit,
5. Ob sichtbar oder unsichtbar sie sind.
Ob weit sie leben oder nah', ob sie
Geboren sind, ob der Geburt sie harren,
— Glückselig mögen alle Wesen sein !
6. Es täusche keiner einen andern, keiner
Verachte einen andern je, auch wünsche
Aus Zorn und Rachsucht keiner andern Böses.
7. Gleich einer Mutter, die ihr eig'nes Kind,
Ihr einz'ges Kind bewacht, indem ihr Leben
Sie wagt, so hege jeder ohne Schranken
Wohlwollen im Gemüt für alle Wesen.
8. In Euren Herzen pfleget freundliche
Gesinnung masslos für die ganze Welt,
Nach oben, unten, und nach den vier Winden,
Ohn' Hindernis, Feindseligkeit und Hass.
9. Und stehend oder gehend, sitzend, liegend,
So lang man wacht, sei diesem Sinne man'
Ergeben ganz; sie sagen, dass die Weise
Des Lebens sei die beste dieser Welt.
10. Wer, ohne dass er philosophische
Betrachtungen erfasst, voll Tugend ist,
Mit Einsicht ausgestattet ganz, nachdem
Die Gier nach sinnlichen Vergnügungen
Er unterdrückt — dem wird Geburt nie wieder.
8 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Der Wert des Buddhismus.
Von Bhlkkhu Ananda Maitriya.')
Jegliche Art der Sünde zu meiden,
Gutes zu tun, wo immer du Icannst,
Nach des Gemütes Läuterung streben:
Aller Erleuchteten Lehre ist dies.
Dhammapada, V. 183.
Wenn es sich darum handelt, die Bedeutung einer Religion
für die Menschheit genau zu bestimmen, muss man zunächst
den kritischen Standpunl<t einnehmen; man muss die Religion
beurteilen nicht etwa nach dem Anspruch, den sie darauf er-
hebt, für die einzige Wahrheit gehalten zu werden; auch nicht
nach den Versprechungen oder Drohungen, mit denen sie im
Hinblick auf das Jenseits operiert; ja, nicht einmal nach einer
Auswahl von Stellen aus ihren heiligen Schriften — denn bei
der Text-Erklärung hängt sehr viel von der subjektiven Ansicht
des Einzelnen ab — ; eine Religion ist vielmehr zu beurteilen
nach der Wirkung, die sie im Laufe der Vergangenheit auf das
Leben ihrer Bekenner ausgeübt hat, sowie nach dem Grade
ihrer Fähigkeit, die Bedürfnisse des heutigen Fortschrittes und
des modernen Denkens zu befriedigen. Die Fragen, welche
nach dieser Richtung hin erwogen werden müssen, sind folgende:
Inwieweit hat die betreffende Religion dazu beigetragen, während
der Vergangenheit das menschliche Solidaritäts-Gefühl zu för-
dern; in welchem Masse ist sie darauf bedacht gewesen, die
bösen Leidenschaften, die blinden Vorurteile und die angeborene
Wildheit der Menschen zu überwinden; in welchem Grade
hat sie der Erde Frieden und Glück gebracht, — und endlich,
in wieweit ist sie fähig, eine praktische Antwort auf die grossen
Probleme unserer jüngsten Zeit zu geben?
') Der Autor ist ein geborener Schotte und hiess, solange er im
Weltleben verblieb, Allan Mac Gregor. Er trat dann zum Buddhismus
über und wurde in einem burmesischen Kloster als Bhikkhu ordiniert.
Gegenwärtig ist er General - Sekretär der >International Buddist
Society« und Herausgeber der bedeutenden Zeitschrift »Buddhism«
(Rangün, Burma).
No. lu. 2. DER BUDDHIST. d
Wenn in dieser Weise die Probe auf die buddhistische
Religion gemacht wird, so werden wir, wie ich glaube, finden,
dass der Buddhismus sowohl in seinem hohen Werte als
Kulturfaktor, von dem die Geschichte der verflossenen vierund-
zwanzig Jahrhunderte Zeugnis ablegt, als auch in seiner Fähig-
keit, für die Zukunft den Frieden, Fortschritt und die allgemeine
Wohlfahrt der modernen Welt zu fördern, — dass der Buddhis-
mus, sage ich, heute in der Reihe der grossen Religionen
einzig-artig und unerreicht dasteht. Aber bevor wir der Er-
örterung dieser Fragen näher treten, wird es nötig sein, einige
weitverbreitete Missverständnissc zu besprechen, welche das
Wesen des Buddhismus betreffen; denn nur nach Beseitigung
dieser Missverständnisse kann ein klares Urteil über die so
vielfach falsch verstandene Religion gewonnen werden. Diese
Missverständnisse können kurz folgendermassen zusammenge-
fasst werden: Erstens, der Buddhismus sei eine heidnische
Lehre, deren Anhänger Götzen Verehrern und Stein und Holz
anbeten; zweitens, er sei ein geheimnisvolles, mysteriöses
Etwas, zusammengesetzt aus einer Vermengung von krassem
Wunderglauben und Esoterismus; drittens, der Buddhismus
sei eine saft- und kraftlose Philosophie, ohne Rückgrat, pessi-
mistisch und apathisch, deren Ziel und Zweck in absoluter Ver-
nichtung liege, und welche den Umsturz aller nützlichen
Aktivität anstrebe; eine Religion, wohl gut genug für „die
träumenden Völker des Orients", — wie die Nichtunterrichteten
sich auszudrücken belieben, — aber gänzlich ungeeignet für
die mehr aktiven und energischen Nationen des Westens.
Der Grund des ersten dieser Missverständnisse ist sehr ein-
fach. Reisende kommen aus dem Abendlande in östliche Länder
und erbHcken bei ihrem Besuche buddhistischer Tempel dort
Bilder des Buddha; sie sehen, dass der Altar vor dem Buddha-
Bilde zeitweise von knieenden andächtigen Menschen umlagert
ist, welche Sprüche in einer unbekannten Sprache murmeln und
Blumen oder Lichter vor des Meisters Altar opfern. Und sofort
machen diese Fremden aus dem Gesehenen ihre Schlussfolge-
rungen. Diese Leute, so denken sie, sind Götzendiener; das
Buddha-Bild ist ihr Idol; die gemurmelten Worte sind die
Gebete, die sie zu ihrem „Götzen" richten; die Blumen, Wohl-
,10 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
gerüche und Lichter sind die Opfer, von denen diese „Heiden"
wähnen, dass sie von dem Ding aus Stein oder Holz, vor dem
sie knieen, angenommen werden. — Die Tatsachen selbst sind
richtig; aber die daraus gezogenen Schlüsse sind der Wahrheit
durchaus entgegengesetzt. Erstens glauben Buddhisten über-
haupt nicht an einen Gott, wie er in der Vorstellung der
Abendländer lebt als ein höchstes Wesen, welches Gebete
hören und beantworten kann. Die Bilder, vor denen Buddhisten
knieen, sind nur Darstellungen des einen grossen Meisters; sie
ehren sein Andenken, weil er die ganze Menschheit liebte und
für sie den Weg zum Frieden fand, und dieser Meister ist vor
langer, langer Zeit eingegangen „in jene höchste Ruhe, in der
von weltlichen Vorstellungen nichts mehr vorhanden ist".
Buddhisten beten nicht, da nach ihrem Glauben niemand da
ist, zu dem sie beten sollten, — Buddhisten beten überhaupt
nie, ^- und die Gaben, die sie darbringen, sind nur ein Sym-
bol ihrer Ehrfurcht für den grossen Lehrer und ein Mittel zur
Konzentration des Geistes entsprechend den Worten, die sie
leise hersagen. Wie wir gerne das Bild eines uns teuren
Menschen ansehen, wenn Tod oder Abwesenheit uns seiner
Gegenwart beraubt hat, gerade so wünschen die Buddhisten die
Sinnbilder ihres Meisters vor sich zu haben; denn durch diese
Symbole werden sie mehr als durch sonst etwas in der Welt
angeleitet, nachzudenken über das unvergleichliche Leben, das
Er gelebt, über die Liebe, die Ihn beseelt, über das Gesetz,
welches Er gelehrt hat — und das ist alles. Die Buddhisten
sind der Ansicht, dass, je mehr sie das Leben ihres Meisters,
seine die Wahrheit enthüllende Lehre und die Gemeinschaft
seiner wahren Jünger betrachten, — ihr Gemüt um so besser,
edler und reiner werden wird, — und das ist ihr grosses
Lebens-Ideal. Und so vergegenwärtigen sie sich die lichten
Tugenden ihres Meisters, die Vorzüge seiner Lehre und seines
Bruder-Bundes; sie tun das in der Erkenntnis, dass das Denken
an heilige Dinge das Gemüt immer erhebt und läutert; sie tun
es in der Hoffnung, diese Vorzüge, und sei es nur teilweise,
in ihrem Leben zu verwirklichen. Die Dinge, welche sie knie-
end opfern, sind gleichsam Unterrichts-Gegenstände, mit denen
sie der Wahrheit, die sie zu realisieren trachten, näher zu
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. ■'ll
kommen hoffen, und die Sprüche, welche sie murmeln, sind
keine Gebete, sondern Meditations-Übungen über den Gegen-
stand, welchen diese Darbringungen versinnbildlichen sollen.
Eine dieser Meditationen, welche beim Opfern von Blumen
geübt wird, wollen wir wiedergeben, damit der Leser einen
Begriff von der Gedankenrichtung jener knieenden „Heiden"
bekommt:
„Diese Blumen bringe ich dar zur Erinnerung all Ihn, den
Meister, den Heiligen, den vollkommen erleuchteten Buddha,
wie auch die Erleuchteten in vergangenen Tagen, wie die
Heiligen und Arahäs aller Zeiten geopfert haben. Jetzt ist die
Gestalt dieser Blumen prächtig, ihre Farben sind lieblich, am-
brosisch ihr Duft. Aber gar bald wird das alles vergangen
sein — verdorrt diese schöne Form, verblichen diese schillern-
den Farben, unrein dieser jetzt so liebliche Duft. Genau so
verhält es sich mit allen zusammengesestzten Dingen:— Ver-
gänglich, leidvoll, nicht-wirklich! Mögen wir diese Wahrheit
verwirklichen und in jenen Frieden eingehen, der jensdits
alles Lebens liegt!"
Da der Buddhist an die universale Herrschaft des gefech-
ten Gesetzes glaubt, so würde es ihm allerdings nicht nur
närrisch, sondern sogar schlecht erscheinen, vvoflte er für" dies
oder jenes beten; er betrachtet es als eine Tatsache, dass sfeihe
Lebenslage die Wirkung bestimmter Gesetze ist, und er würde
ebensowenig daran denken, zu diesen Gesetzen zu beten, wie
es dem Physiker einfallen würde, die Schwerkraft zu bitten,
sie möge auf diesen oder jenen Stein nicht einwirken. — '
Die zweite irrige Ansicht, — der Buddismus sei eine my-
steriöse, occultistische Religion, hat ihren Grund in dem Um-
stand, dass die westliche Welt mit dieser Religion zuerst in
Berührung gekommen ist durch die Übersetzungen umfangreicher
Sanskrit- Werke, welche ihr Dasein einer Zeit verdanken, da der
Buddhismus in Indien im Verfall begriffen war, einer Zeit,
welche durch das üppige Empörwuchern animistischen Aber-
glaubens charakterisiert ist: das war die Zeit zwischen den Jahren
800 und 1000 nach dem Abscheiden des grossen Meisters.
Die genannten Werke bestehen zum Teil aus- Übersetzung;en
ursprünglicher -Päli-Texte; in der Hauptsache aber handelt es
vi DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sich um Original-Erzeugnisse, welche dem Buddiia oder seinen
grossen Schülern untergeschoben wurden; indessen zeigen sie
sowohl durch ihre Schreibweise, als auch durch den Stoff, den
sie behandeln, dass sie unmöglich aus derselben Quelle, wie
die Päli-Schriften, geflossen sein können. Diese letzteren nun
wurden dann später von Europäern in Burma, Ceylon und Siam
entdeckt, und da die Päli- und Sanskrit-Werke sogar in manchen
wesentlichen Punkten differieren, so entstand das Problem
über die Frage, welches die reinen, ursprünglichen und authen-
tischen Lehren des Buddha seien. Die historische Kritik, wie
sie von Dr. Rhys Davids und anderen tüchtigen Gelehrten ge-
übt worden ist, hat dieses Problem für immer gelöst: Die
Päli-Schriften sind die älteren ; sie sind die Repräsentanten der
ursprünglichen, Lehren, und die späteren Sanskrit-Werke stehen
zu ihnen in etwa demselben Verhältnis, wie die lateinische
Mönchs-Literatur des Mittelalters zu dem Christentum Christi.*)
Wir kommen nun zu dem letzten der oben angeführten
Missverständnisse. Der Buddhismus, so wird oft behauptet,
hat als letztes Ziel absolute Vernichtung; er ist gänzlich pessi-
mistisch und kennt keine andere Hoffnung, als den Tod; seine
Lehre untergräbt die Tatkraft seiner Anhänger und macht dieselben
schlaff und gleichgültig. Wir können solche Behauptungen nur
als völlig unwahr und verkehrt bezeichnen. Freilich gibt der
Buddhismus zu, dass in dem Leben, welches wir leben, Leid
und Übel vorhanden, ja sogar in bedeutendem Übermass
vorhanden sind; aber es ist gerade die Hauptaufgabe dieser
Religion, zu zeigen, wie das Leid und Übel beseitigt, wie eine
Glückseligkeit erreicht werden kann, die jenseits unseres Träumens
liegt, und die von unserer Religion nachdrücklich geforderte Pflege
der Tugend und der Meditation in ihrem gesamten Umfange
ist nur ein Mittel zu diesem Zweck. Zugeben, dass Leid und
Übel vorhanden sind, heisst doch nichts anderes, als eine un-
zweifelhaft feststehende Tatsache zugeben, während wir unter
Pessimismus nicht nur dieses Zugeständnis verstehn, sondern
vielmehr den Glauben, dass dem Übel nicht abgeholfen werden
') Vergl. Dr. Rhys Davids' »Notes on the History of Buddhism« und
die Einleitung zu den Übersetzungen in den »Sacred Bool<s of the East«
und die »Dialogues of Buddha«.
No. I u. 2. DER BUDDHIST. 13
könne, und gerade diesen unerträglichen Gedanken weist der
Buddhismus auf das entschiedenste zurück. Gerade weil der
Buddhismus behauptet, dass die Selbstzucht stärker ist als das
Böse, und die Erziehung mächtiger als der Naturtrieb, so ist
er sicher nicht Pessimismus, sondern vielmehr der stolzeste
Optimismus, der jemals den Menschen unter dem Banner von
Religion und Philosophie verkündet wurde.
Wenn ferner behauptet wird, der Endzweck des Buddhismus
sei absolute Vernichtung, so ist das durchaus verkehrt; — das
Ziel des Buddhismus liegt nicht in einem Jenseits, sondern hier
in unserem Leben; sein Ziel ist ein Leben, das durch Selbst-
überwindung glorreich geworden und durch eine alles umfassende
Liebe und Weisheit geläutert ist. Die Lehre betont, dass innere
Zweifel — von denen wir sagten, sie seien eine von jenen drei
geistigen Fesseln, welche gebrochen werden müssen, bevor das
ideale Leben erreicht werden kann, — dass innere Zweifel alle
solche Spekulationen erzeugen, wie: „Werde ich nach dem Tode
fortleben oder nicht?" Da diese Frage nach dem Wesen des
Endzieles, welches der Buddhismus sich steckt, in einem be-
sonderen Aufsatze behandelt wird,*) so ist es unnötig, hier
näher darauf einzugehen.
Endlich der Vorwurf der Apathie. Derselbe wird von
Leuten erhoben, die den Inhalt und Endzweck des Buddhismus
nicht begriffen haben, und der Nachweis, dass die Ansicht irrig
ist, der Buddhismus zerstöre den Willen und lähme die Tatkraft
des Menschen, ist von C. A. F. Rhys Davids in einem Essay*)
glänzend geliefert worden. Die Praxis des Buddhismus ist eine
langdauernde, auf tatkräftiger Anstrengung beruhende Selbstzucht,
die unter dem Namen »der vierfache grosse Kampf« bekannt
ist; ihre Teile sind: Die Anstrengung, vorhandene schlechte
Zustände des Gemütes zu beseitigen, neue schlechte Zustände
nicht aufkommen zulassen, vorhandene gute Zustände zu stärken
und neue gute Zustände hervorzubringen, und dieser Kampf
erfordert eine nie wankende Willens-Energie, eine dauernde
Konzentration und Wachsamkeit der Geistes. „Anstrengung",
so werden wir gelehrt, „ist der unsterbliche Pfad, Trägheit ist
') Unter dem Titel »Nibbäna« in einem der nächsten Hefte.
") »Buddhism and Will«.
14 DER BUDDHJST. I. Jahrg.
der Weg des Todes. Die, Tatkräftigen leben immer; aber die
Trägen gleichen bereits den Toten", ^) und diese Lehre klingt
wider in allen Teilen der buddhistischen Schriften. „Vergäng-
lich sind alle Dinge, deshalb arbeitet rnit Tatkraft an eurer
Erlösung" -) ;—.4ies war der letzte Auftrag des Buddha an
seine Jünger, ein Auftrag, der von dem buddhistischen Mönch
stets aufs neue wiederholt wird, so oft er dem Volke die Ge-
bote erklärt. Eine Religion, welche die Notwendigkeit energi-
scher Aufraffung und des »Nicht-Aufschiebens« (Appamäda)
so sehr in den Vordergrund stellt und als das Haupterfordernis
für. jeden wahren Fortschritt betont, kann schwerlich mit Recht
beschuldigt werden, zur Verkümmerung des Geistes und Willens
zu führen. —
Nach Beseitigung dieser Missverständnisse können wir nun
zur Besprechung jener wesentlichen Fragen schreiten, die wir
am Anfange der Ausführungen aufwarfen: Was hat der Bud-
dhismus während der Vergangenheit für die Menschheit und
Gesittung geleistet, und in welchem Masse ist er fähig, heute
die Probleme zu lösen, welche die moderne Welt beschäftigen?
Wenn wir der ersten dieser Fragen näher treten, so hat
nach unserer Meinung der Buddhismus durch Förderung der
Gesittung und Kultur für die Welt mehr getan, als irgend eine
andere der grossen Religionen, die wir kennen. Der wahre
Wert einer Religion ist sicherlich abzuwägen nach ihrer Befähi-
gung, die Leidenschaften, die Unwissenheit und namentlich die
Vorurteile der Menschheit zu beseitigen, nach ihrer Kraft, die
sie in der Förderung des allgemeinen Wohles und in der
Mission des Friedens offenbart. ' Wir können, denke ich, ruhig
zugeben, dass alle grossen Religionen bis zu einem bestimmten
Grade dahin gestrebt haben, ihre Anhänger zu besseren Men-
schen zu machen; leider aber wird — mit alleiniger Ausnahme
des Buddhismus — das Gute, das sie ihren Bekennern durch
die Einschärfung der Moral-Lehren erwiesen, bei weitem über-
troffen von den furchtbaren Verbrechen, welche eben diese
Anhänger gegen unschuldige Andersgläubige verübt haben, —
von den Früchten einer wilden Grausamkeit und eines blinden
') Dhammapada, V. 21.
') Sacred Books of the Eeast, Vol. XI, S. 114.
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 15
Fanatismus, für welche religiöse Dogmen sich nur zu leicht
als ein bequemer Vorwand darbieten. Mögen wir nun die;
unter Qankaräcärya im Namen der drei Millionen Götter des
hinduistischen Pantheons inscenierten grausamen Buddhisten-
Verfolgungen betrachten, oder die Ströme von Blut, welche die
Anhänger Mohammeds vergossen haben, oder die langen und
zahlreichen Verfolgungen, mit welchen man im Namen Jesu
Christi gegen jegliche Art des geistigen Fortschrittes gewütet
hat, — so werden wir immer finden, dass die Annalen aller
Religionen unauslöschlich mit dem Blute der Unschuld besudelt
sind, und in demselben Masse, wie diese den Fanatismlis und
alle nur denkbare Grausamkeit begünstigt haben, sind sie für
die Welt eher eine Geissei, als ein Segen gewesen. Diesen
unwiderleglichen Tatsachen gegenüber müssen wir sagen, dass
der Buddhismus unter den grossen Weltreligionen einzig in
seiner Art dasteht, obwohl er heute über fünfhundert Millionen
Anhänger zählt, obwohl seine Herrschaft sich über Rassen er-
streckt, die so grundverschieden sind, wie die nomadisierenden
Stämme der tartarischcn Steppen und die Bewohner des tropischen
Ceylon; der Buddhismus kann allein den stolzen Ruhm für sich
in Anspruch nehmen, dass seine Altäre von Anfang an nie mit
Menschenblut befleckt worden sind, und dass niemals im Namen
dessen, der Mitleid und Liebe als das wichtigste Lebensgesetz
gepredigt hat, ein Leben geopfert wurde. Was der Buddhismus
auf Erden Gutes geleistet hat — und ist er nicht eine Befreiung
für die einst so wilden Horden der Tibeter und Mongolen
gewesen, hat er nicht die uralte Kultur Chinas mächtig gefördert,
hat er nicht das nationale Leben und den Charakter des grosseh
japanischen Volkes in hohem Masse veredelt?! — was er, sage
ich, Gutes getan hat, ist ungetrübt gut geblieben. Die Herr-
schaft, die er über seine Bekenner ausgeübt hat, ist so gross
und gut gewesen, dass dieselben niemals auf den finsteren Ab-
weg der Unduldsamkeit geraten sind, dass sie niemals gewagt
haben, des Meisters Namen als Deckmantel der Grausamkeit
zu missbrauchen, und diese Tatsache, denke ich, ist von allen
Beweisen wohl der beste für die Vollkommenheit der bud-
dhistischen Sittenlehren, für den hohen humanitären Wert, der
dem Buddhismus als Kulturfaktor zukommt.
16 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Wir gelangen endlich zur Erörterung der Frage: Welche
Bedeutung hat der Buddhismus für die heutige Welt, und in-
wieweit ist er fähig, den Fortschritt der modernen Civilisation
zu fördern? Wir behaupten, dass in dieser Beziehung die An-
nahme des Buddhismus einen Fortschritt der Humanität bedeuten
wlirde, der in seiner ganzen Grösse nur mit dem Fortschritte
verglichen werden könnte, den der Westen seit den letzten
hundert Jahren auf dem Gebiete der Wissenschaft aufzuweisen
hat, — und dies aus dem einfachen Grunde, weil unsere Reli-
gion alle die edlen Bestrebungen, die der Unterdrückung alter
Barbarei, der Erhaltung des Friedens und der Verbreitung der
allgemeinen Wohlfahrt gewidmet sind, in sich schliesst, begründet
und mit neuem Leben erfüllt, — und das sind gerade diejenigen
Bestrebungen, die heute im Abendlande eifrig diskutiert werden.
Das erste der für jeden Buddhisten giltigen fünf Gebote
erhebt die Forderung, sich von der Zerstörung von Leben fern-
zuhalten. Die allgemeine Annahme dieser Vorschrift als eines
Führers im Leben muss einen unermesslichen Fortschritt für
die Humanität und Gesittung bedeuten. Dadurch würde die
Grundlage für eine vernünftige Beurteilung der Schrecken und
Greuel, die der Krieg mit sich bringt, geschaffen, und die Folge
würde eine bedeutende Reduzierung der Armee-Rüstungen sein,
die für die Einnahmen der modernen Staaten einen so beklagens-
werten]! Abzug darstellen; die Todesstrafe würde aufgehoben,
jenes Überbleibsel barbarischer Zeiten, das sich mit dem mo-
dernen Fortschritt nicht mehr verträgt; die Grundsätze der
Menschlichkeit würden auch auf die Tierwelt ausgedehnt werden,
(und sicheriich sollte man eine menschhche Behandlung nicht
nur den Geschöpfen zugestehen, die, wie der Mensch sich
selbst verteidigen können); es würden nicht allein die Brutali-
täten des Schlachthauses abgeschafft werden, sondern es fiele
auch zugleich die Notwendigkeit fort, eine Klasse von Menschen
in einem menschenunwürdigen Handwerke zu erhalten, das darauf
ausgeht, für die Esslust der feineren Klassen Kuppler-Dienste
zu leisten, und gerade diese feineren Kreise sind es, die vor
dem Abstechen wehrioser fühlender Tiere mit Entsetzen zurück-
beben würden und sorglos genug dahin leben, um diese blutige
Aufgabe weniger glücklichen Menschen zu übedassen.
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 17
Die Annahme des fünften Gebotes — die Enthaltsamkeit
von berauschenden Getränken — würde mit einem Schlage einen
bedeutenden Rückgang von Verbrechen und Irrsinn bedeuten und
zugleich einen Fluch beseitigen, der wie ein Alp auf unserer
Zeit lastet, einen Fluch, der nicht nur das Mark derer unterwühlt,
die ihm verfallen sind, sondern der auch die Saat eines unver-
meidlichen Verfalles für künftige Zeiten streut und in kommenden
Geschlechtern jenes geistige Kontroll-Zentrum zu zerstören droht,
von dessen Beschaffenheit allein der Unterschied zwischen
geistiger Klarheit und Wahnsinn abhängt.
Ferner ist der Buddhismus die einzige grosse Religion, in
der die ungerechten Schranken zwischen beiden Geschlechtern
gänzlich fehlen, und wo er, wie in Burma, praktisch betätigt
und gelebt wird, — da geniessen die Frauen in jeder Hinsicht
dieselbe Freiheit, wie die Männer; sie sind frei in der Verfügung
über ihr Eigentum, frei in dem Rechte, aus denselben Gründen
Ehescheidung zu fordern, v/ie das andere Geschlecht, frei in
ihrem Rechte auf ihre Kinder — überhaupt in allen wesentlichen
Punkten viel freier, als ihre Schwestern in den westlichen
Ländern es sind.
Auch in der Richtung des Erziehungswesens würde die
Annahme des Buddhismus einen grossen, bemerkenswerten
Fortschritt bedeuten, insofern derselbe die Behauptung aufstellt,
dass alle Verbrechen und Sünden in der Unwissenheit wur-
zeln. ' Denn in den buddhistischen Schriften wird nicht nur die
Unterweisung in den Künsten und Wissenschaften als ein
wesentlicher Teil der Pflicht der Eitern ihren Kindern gegen-
über gefordert^), sondern auch die Tatsache, dass die Trainie- ,
rung des Geistes ein sehr wichtiger Faktor in dem praktischen
Buddhismus ist, würde einem dergrössten Bedürfnisse unserer Zeit
voll Rechnung tragen. Es ist mir immer befremdlich erschienen,
dass das moderne Denken, welches so viel Wert auf die Pflege
des menschlichen Körpers legt, welches so vollkommene An-
weisungen zur Pflege eines jeden Muskels im Körper gibt,
nicht auch eine entsprechende Methode zur Übung und Entfal-
tung der höheren geistigen Fähigkeiten aufgefunden hat —
Fähigkeiten, deren Ausbildung nicht weniger unsere Pflicht ist,
') S. Singalasuttanta.
18 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
als die Trainierung der Musi<eln und Sehnen im Körper. In
einem gewissen Sinne bedeutet natürlicli alle moderne Erziehung
eine Pfleg gewisser geistiger Fähigl<eiten ; aber es werden in
der jetzt gebräuchlichen Methode eben nur einige von ihnen
berücksichtigt, während andere, die für die Wohlfahrt der
Menschheit bei weitem wichtiger sind, gänzlich vernachlässigt
werden. Der Buddhismus behauptet, dass genau ebenso, wie
ein Muskel durch Nicht-Gebrauch atrophisch wird, und durch
sorgfältigen systematischen Gebrauch zu seiner vollen Entfaltung
gelangt, auf Grund deren er seine Funktionen in jeder Bezie-
hung verrichten kann, auch die geistigen Kräfte verkümmern
oder wachsen können. Und wie er die Prinzipien der Soli-
darität als den Grundkern aller wahren Gesittung betrachtet,
so betont er, dass dieselben durch eine bestimmte Methode geisti-
ger Operationen ausgebildet werden müssen. So ist z. B. eine
der Hauptursachen des Leidens in dieser Welt Zorn und Hass,
— Eigenschaften, die nicht nur demjenigen Kummer bringen,
welcher hasst oder reizbar ist, sondern auch der Menschheit
selbst, von der er einen integrierenden Bestandteil bildet. Und
wie ist diese Ursache des Leidens zu überwinden? Dadurch,
sagt der Buddhismus, dass die entgegengesetzte Kraft, die
Liebe, entfaltet wird, und der Weg, der zu diesem Ziele führt,
ist sehr einfach: Wir üben uns darin, Gedanken der Liebe
gegen alle Wesen in uns wachzurufen, wir üben uns darin an
jedem Tage eine bestimmte Zeit, bis die auf diese Weise er-
worbene Kraft der Liebe jede Möglichkeit des Hassens aus
unserem Leben verbannt hat. Und ebenso verhält es sich mit
Sympathie, Barmherzigkeit, Mitleid und all den höheren Geistes-
kräften: — Der Buddhismus kennt ein bestimmtes System, um
dieselben zu entwickeln, und dieses System besteht eben darin,
dass man sich regelmässig darin übt, Gedanken zu erwecken,
die zur Entfaltung jener Kräfte führen müssen. Ist es etwa
im Interesse der Menschheit weniger wichtig, dass wir fähig
werden, Wohlwollen zu hegen, an der Freude anderer teilzunehmen
und mit ihren Leiden mitzufühlen, als dass wir imstande sind,
eine algebraische Gleichung zu lösen? Sicherlich nicht, wenn
anders uns daran gelegen ist, das grösste und erhabenste Ziel
unseres menschlichen Wesens zu erreichen, wenn anders wir
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 19
danach" streben, der Verwirklichung wahrer Menschlichkeit näher
zu kommen und den Zweck unserer Rasse zu erfüllen.
Und so würde die Einführung des Buddhismus die Er-
ziehungsmethode in neue Bahnen lenken; sie würde der Be-
deutung und dem Zwecke der Erziehung selbst einen neuen
Gehalt verleihen: — Die letztere würde dann nicht nur ein
Mittel werden, um den Menschen mit jener für den Fortschritt
im Leben wesentlichen Einsicht auszustatten, sondern auch ein
Werkzeug, um die gesamte Menschheit zu heben und die Prin-
zipien der Solidarität in dem Grade zu verwirklichen, dass dieselben
die Grundlage eines wirklichen, dauernden Fortschrittes bilden
müssten. Dies nun müsste unseres Erachtens auch die Idee
sein, die der Behandlung der Verbrecher zu Grunde zu legen
ist. Dem Verbrecher fehlt nach unserem Dafürhalten nur jene
moralische Kontrolle, welche bei dem Durchschnittsmenschen die
Ausübung verbrecherischer Triebe verhindert, und eine solche
Person zu „bestrafen" dadurch, dass man sie „isoliert", dass
man sie Steine klopfen oder Werg zupfen lässt, ist nach
unserem Standpunkte absurd, ja, noch mehr: diese Methode
selbst ist in ihrem Wesen verbrecherisch. Denn nachdem der
Mann durch die ihm zuteil gewordene rauhe Behandlung und
durch die zwangsweise Ausführung nutzloser Handarbeit in
seiner eigenen Achtung und der seiner Mitmenschen äusserst
gesunken ist, nachdem er den Funken von Intelligenz und
höheren Regungen, die er ursprünglich besass, gänzlich verloren
hat, kehrt er haltlos wieder in die Welt zurück, um neue Nach-
kommen ins Dasein zu rufen, — und hierzu treibt ihn nicht
nur seine angeerbte, sondern auch die in jenen Jahren erworbene
Schwachheit, da man ihn in einem modernen Gefängnis wie
ein Tier behandelt hat. Es ist selbstverständlich notwendig,
die Gesellschaft vor den Verwüstungen solcher Menschen zu
schützen; aber es ist töricht, das, was in Wahrheit eine Geistes-
krankheit ist, so zu behandeln, dass diese Krankheit doppelt
so bösartig wird, und dann dem zugerichteten Verbrecher zu
gestatten, in die Welt zurückzukehren und seine geistige Ver-
kümmerung auf die Geschlechter neuer Nachkommen zu über-
tragen, welche durch die Kraft der Vererbung gewöhnlich den
Weg gehen müssen, den er betreten hat. Die Beseitigung der
2*
20 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Vergehen liegt — wenigstens bei dem gewoiiniieitsmässigen
Verbrectier — sicheriicii in der Bemühung, die fehlenden Fähig-
keiten und die höhere geistige Kontrolle zu erwecken (was durch
Steine-Klopfen und Werg-Zupfen schwerlich erreicht wird), und,
falls dies misslingen sollte, die Person von der Gesellschaft
abzusondern und an der Fortpflanzung ihrer Spezies zu hindern
— ohne ihr dabei das ganze Leben zur Hölle zu machen. Der
Zweck des gesitteten Strafrechtes sollte gewiss nicht darin
bestehn, den Menschen, der Unrecht getan hat, zu peinigen;
nicht darin, ihm Nase und Ohren abzuschneiden, wie es die
Gepflogenheit früherer Zeiten war, noch auch, wie man es jetzt
tut, seine zurückgebliebenen geistigen Anlagen ganz zu vernich-
ten; am allerwenigsten aber darin, ihn anderen als abschreckendes
Beispiel hinzustellen, damit sie nicht auch dasselbe Verbrechen
begehen sollen, (denn abgesehen von der dem Abschreckungs-
System eigenen Ungerechtigkeit hat die Erfahrung längst die
Torheit dieser Methode nachgewiesen), — der Zweck des Straf-
rechtes muss vielmehr der sein, die Gesellschaft vor dem
Verbrecher zu schützen, aus seiner notwendigen Bestrafung ein
Mittel zur Reform zu machen und ihn anstatt in eine soziale
Geissei in einen nützlichen Diener des Staates umzu-
wandeln. Eine solche Art, Verbrecher zu behandeln, sollte nicht,
wie das so vielfach geschieht, als „krankhafte Sentimentalität"
verspottet werden; denn die genannte Methode geht bis an
die eigentliche Urquelle des gewohnheitsmässigen Verbrechertums
zurück — die letztere ist nur eine Form geistiger Krankheit; —
in wenigen Generationen würde die Zahl der Verbrecher in der
Welt ganz erheblich abnehmen, und eine solche Abnahme her-
beizuführen, ist zweifellos Zweck und Ziel aller Strafgesetze.
Dieses Ziel aber — das wissen wir sehr wohl — kann durch
das jetzt gebräuchliche System nicht erreicht werden: — soll
da die Annahme einer mehr sicheren, mehr wissenschaftlichen,
mehr humanitären Methode nur deshalb verschrieen werden,
weil sie menschlicher ist?! —
Die Verbreitung solcher Ideen, wie die hier angeführten,
als eines integrierenden Bestandteiles der buddhistischen Religion,
und die Darlegung der Religionslehre selbst, bilden den Grund-
riss unserer Arbeiten; wir laden zur Mitarbeit herzlich alle
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 21
diejenigen ein, die an der Propagandierung dieser Anschauungen
irgend welclien Anteil nehmen — mögen sie sich nun Bud-
dhisten nennen oder nicht. Ein besseres Verständnis für die
Lebensgesetze zu verbreiten, in welchem das Geheimnis wahrer
Glücl<seligkeit verborgen liegt; mitzuhelfen an der Mission, deren
Aufgabe darin besteht, Liebe im Menschenherzen an Stelle der
Selbstsucht zu erwecken und Mitleid zu säen, wo Grausamkeit
wucherte; mitzuwirken in der Verbreitung dieser Ideen, um den
Gefallenen und Zurückgebliebenen unseres Geschlechtes aufzu-
helfen und ihnen durch die Sympathie der Starken zu ihrem
angeborenen Menschenrecht zu verhelfen; zu lehren, dass wahre
Menschlichkeit nicht allein in der Liebe zu den Menschen,
sondern in dem Wohlwollen auch gegenüber dem schwächsten
und geringsten Geschöpfe auf Erden besteht; und schliesslich
das wichtigste: vor aller Welt jenen Schatz der Wahrheit auf-
zudecken, den unser Meister einst schaute, und von dem die
genannten Punkte nur ein paar vereinzelte Juwelen sind: —
Das ist der Zweck unseres neuen Vorhabens, das Programm
unseres geringen Anteiles an der Symphonie des universalen
Lebens. Wir würden uns in der Tat freuen, wenn dieses
unser Werk dazu beiträgt, einem kleinen Teil des Übels auf
der Erde abzuhelfen, einen Lichtsciiimmer in die geistige Finster-
nis zu senden und in der Wüste der Begierde eine reine Blume
der Liebe zur Blüte zu bringen: — dieses Zieles wegen wirken
wir ja in diesem Leben; um seinetwillen sind wir dem von
unserem Meister gepredigten Glauben ergeben und senden nun
einen Strahl seines Evangeliums in alle Welt hinaus.
„Die V/ahrheit" — so steht in unseren heiligen Schriften
geschrieben — „ist der Ausdruck der Unsterblichkeit". In
dieser Erkenntnis senden wir aus dem Osten diesen Weckruf
eines alten Glaubens: — eines Glaubens, so alt, dass die
grossen Berge wüste geworden sind, dass die Konstellationen
am Himmel sich verändert haben seit der Zeit, da der Meister
des Erbarmens diesen Glauben zuerst verkündete am Fusse
der Himälaya-Gletscher, unter den funkelnden Sternen der stillen
Nacht des tropischen Indiens. Haben etwa die Zeiten vermocht,
die Liebe, die er predigte, zu vermindern, die Weisheit seiner
Worte zu verhüllen oder den Eingang zu dem Friedenspfade,
22 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
den er gewiesen, zu versiegeln? Siciieriich nicht, — und was
immer von der alten Wahrheit in unseren Ausführungen
schlummern mag, was immer von seiner Lehre in diesem ihrem
fernen Echo wiederklingt: — das wird Eingang finden in die
Herzen derer, die darauf warten; das wird weiterdauern, auch
nachdem der Tod unsere Lippen einst geschlossen hat. Das
Übrige ist nicht von Belang, alle anderen Worte sind eitel: —
Die Wahrheit, die unsterbliche allein, wird weiterleben; wird
weiterleben den Lauf der Zeiten hindurch als Heiligstes im
Tempel reiner Menschlichkeit; bis das Feuer von Begierde,
Hass und Wahn für immer erloschen und der Schleier der
Unwissenheit zurückgezogen ist; bis das ganze Menschengeschlecht
endlich als Friedensbruderbund vereint ein Gesetz, eine Hoff-
nung, einen Glauben haben wird: das ist der Glaube des
Mitleids, der Weisheit und der Liebe, der alle anderen Lichter
überleben wird, — die zarte Blüte am Baume rein menschlicher
Gesinnung; der Glaube der gesamten Menschheit, die Religion
der Zukunft! (Aus: Buddhism, Vol. 1 No. 1.)
Wie an der Lotusblume Wasser nicht haftet, so
bleibt Nirväna von jeder bösen Neigung unberührt.
Milindapaiiha.
* *
Befleissigt euch der Wachsamkeit über eure Herzen.
Mahäparinibbäna-Sutta.
Tue niemandem Unrecht, lebe in der Welt, erfüllt von
Liebe und Güte.
Milindapanha.
Wie ich bin, so sind diese (Geschöpfe), wie diese sind,
so bin ich; sich selbst mit anderen identifizierend,
möge der Weise nicht töten, noch Tötung veranlassen.
Sutta-Nlpäta.
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 23
Die vier erhabenen Wahrheiten.
Ein Vortrag
gehalten i. J. 1901 in Colombo (Ceylon)
von
Allan Mac Gregor.
Meine Brüder!
Nur mit dem grössteii Zögern wage ich es, Euch am heutigen
Abend eine kurze Darstellung der buddhistischen Religion zu
geben. Dieses Zögern hat seinen Grund nicht nur in der
ausserordentlichen Schwierigkeit, die darin liegt, in dem Rahmen
eines einstiindigen Vortrages auch nur die notwendigsten Um-
risse eines so hehren, heiligen Gegenstandes zu zeichnen, —
sondern auch in der Tatsache, dass viele von Euch dazu bei
weitem befähigter sind, als ich, klar darzulegen, was Buddhis-
mus ist, befähigter auf Grund eines lebenslänglichen Studiums
und einer langen Wirksamkeit.
Es ist auch nichts Neues, was ich Euch sagen kann, nichts,
was Ihr nicht schon vorher gehört hättet, — und wenn ich, als
ein Fremder, der von diesem grossen Gesetz der Liebe und
Gerechtigkeit nur geringe Kenntnisse besitzt, es wage, zu Euch
zu sprechen, die Ihr zum grossen Teil von Jugend auf Bekenner
der buddhistischen Religion seid, so geschieht das nur aus
folgendem Grunde: Es dünkt mich, das Licht aus dem »Kleinod
des Guten Gesetzes« strahlt auch heute noch wie vor vierund-
zwanzig Jahrhunderten so klar, so glänzend, so rein, dass selbst
meine Unkenntnis nicht imstande ist, es völlig zu verdunkeln,
und ich halte dafür, dass dieses Gesetz, wann und von wem
es auch immer in liebevoller Gesinnung erklärt oder gehört
werden mag, niemals verfehlen wird, Hilfe zu bringen, und
wenn es auch nur in geringem Masse wäre; dass es niemals
ermangeln kann, einen lichten Schimmer in die dunklen Stellen
unseres Geistes und unseres Lebens auszugiessen.
So dürft Ihr von meinen folgenden Ausführungen nichts
Neues, nichts Aussergewöhnliches erwarten. Es ist das alles
24 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
schon früher so viele, viele Male erklärt worden, dieses erhabene
Gesetz der Liebe und Weisheit, welches uns unser Lehrer
hinterlassen hat, — und ich, der ich der niedrigste Schüler dieses
unvergleichlichen Meisters bin, kann nur in neuen Worten das
wiederholen, was er einst in längst entschwundenen Tagen ge-
predigt hat.
Vieles weniger Wichtige muss ich notwendigerweise über-
gehen, und sollte ich in meiner Ansicht über echten und wahren
Buddhismus hie und da irren, so muss ich Euch um Nachsicht
bitten. Von hohem Alter sind die heiligen Schriften, in welchen
unseres Meisters Lehre niedergelegt ist, und selbst die grossen
Gelehrten, deren liebevoller Sorgfalt und Arbeit die Wiederbe-
lebung der echten buddhistischen Lehre für die Welt des Westens
zu verdanken ist, geben die Schwierigkeit zu, die darin
liegt, durch die Sprache des Abendlandes Ausdrücke wiederzu-
geben, welche mit den Begriffen der westlichen Philosophie-
Systeme so wenig gemein haben.
Als ich zuerst überlegte, wie ich die grundlegenden Lehren
unseres Herrn wohl am besten in einem einstündigen Vortrage
zusammenfassen könnte, betrachtete ich mit Schrecken jene
imgeheure Literatur, die den Tipitaka, den buddhistischen Kanon,
ausmacht, gar nicht zu reden von der grossen Menge der als
vollgültig anerkannten Kommentare — und die Aufgabe erschien
mir hoffnungslos. Ich dachte an die leicht irreführenden und
leicht misszuverstehenden metaphysischen Feinheiten des Abhi-
dhamma, an die zahllosen Regeln und Beispiele des Vinaya, an
die vielen, vielen schönen Geschichten, Reden und Lieder des
Sutta-Pitaka, — und ich wusste nicht, wo ich da beginnen
sollte. Dann erinnerte ich mich aber daran, wie der Meister
einmal gesagt hat, das Gesetz sei so einfach, dass ein kleines
Kind seinen wesentlichen Inhalt verstehen könne, und wie er
am Ende seiner langen, glorreichen . Laufbahn seine gesamte
Lehre in dem Rahmen eines einzigen Satzes zusammengefasst hat.
Erlaubt, dass ich Euch die Szene ins Gedächtnis zurück-
rufe. In einem grossen Waldpark nahe bei der Stadt Kusinära
haben sie für den sterbenden Meister zwischen zwei Sala-Bäumen
ein Lager bereitet. Er hat verkündet, dass er in der kommenden
letzten Nachtwache den Körper ablegen wird — den Körper,
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 25
der so lange Zeit hindurch nur deshalb zusammengehalten hat,
damit Er der Welt den Pfad zum grossen Frieden weisen könnte.
Sein Werk — das mächtigste Werk, das einer in sterblicher Ge-
stalt jemals auf Erden getan hat — ist nun vollbracht, und für alle
die hundert Jünger, die bis zuletzt bei ihm sind, gibt es jetzt
keine ungelöste Schwierigkeit, keinen Zweifel mehr. Änanda,
der Lieblingsjünger, v/ill in liebevoller Fürsorge den Meister
vor den Zudringlichkeiten Subhaddas, eines wandernden Asketen,
schützen. Der Buddha hört ihre im Flüsterton geführte Unter-
haltung und bittet Subhadda näherzutreten. Er lehrt ihn die
Wahrheit, und Subhadda wird sein letzter, von ihm persönlich
gewonnener Jünger. Und nun legt sich ein grosses Schweigen
auf die gewaltige Menge der Bhikkhus und Arahäs, als sie
dastehn und warten, um die letzten Worte aufzufangen, die
von den Lippen des weisesten und mitleidvollsten der Menschen
kommen werden, — und die Worte werden endlich gesprochen.
Er beginnt: „Meine Brüder! Weil wir vier grosse Wahrheiten
nicht verstehn und begreifen, mussten wir, ihr und ich, so
lange durch Tod und Leben wandern. Und welches sind diese
vier Wahrheiten? Das Leiden, die Ursache des Leidens,
die Aufhebung des Leidens und der erhabene achtfache
Pfad, der zur Aufhebung des Leidens führt. Aber wenn
diese grossen Wahrheiten begriffen und anerkannt sind, wird
der Drang nach Dasein ausgerottet, das, was zu erneuter Exi-
stenz führt, ist zerstört, und es gibt keine neue Geburt mehr."
So ist in diesen vier Wahrheiten der gesamte Buddhis-
mus enthalten und zusammengefasst. Vier Wahrheiten solcher-
art, dass ein Kind ihre Richtigkeit einsehen, dass ein kleines
Kind sie verstehn und begreifen kann. Wenn ich Euch also
den Sinn jener vier grossen Wahrheiten so klar zu erklären
vermag, wie die heiligen Schriften sie erklären, dann habe ich
Euch alles das gezeigt, was das Wesen unserer Religion aus-
macht. Die Feinheiten der praktischen Anwendungen im Abhi-
dhamma, die Regeln des Vinaya, die Poesie und die tiefen
Moral-Lehren der Suttas, — sie alle sind nur praktische Er-
läuterungen und Illustrationen, ein grosser Kommentar zu den
vier erhabenen Wahrheiten. Und weil sie so leicht und uns in
unserem Leben so nahe sind — zwei von diesen Wahrheiten
26 - DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sind stets mit uns, und die zwei anderen suchen wir beständig,
— deshalb sagen wir, ein kleines Kind kann unsere Religion
begreifen.
Nurmüsstihr recht verstehn: Obgleich der ganze Buddhis-
mus auf der Wahrheit und richtigen Würdigung dieser vier Sätze
gegründet und aufgebaut ist, so liegt es uns doch sehr fern,
an die letzteren im gewöhnlichen Sinne des Wortes zu „glauben".
Das würde durchaus gegen den Geist unserer Lehre sein. Wir
werden ermahnt, nichts, selbst wenn es das ausdrückliche Wort
des Buddha wäre, anzunehmen, wenn wir uns in unserem Geiste
nach sorgfältiger Prüfung nicht von seiner Wahrheit überzeugt
haben. Und so sind diese vier grossen Wahrheiten für uns
keineswegs blosse Glaubensartikel, an welche wir auf Grund
der Autorität unseres Meisters „glauben", sondern Behauptungen,
Leitsätze, die wir alle genau erwogen, durchdacht und mit un-
serer Erfahrung verglichen haben, und zwar werden die ersten
beiden durch unsere Erfahrung bestätigt, und die beiden anderen
werden dann durch Schlussfolgerungen als richtig erkannt.
Wenn diese vier Wahrheiten bestätigt und angenommen sind,
so ergeben sich dann die übrigen Lehren des Buddhismus als
etwas Selbstverständliches, und zwar geht der grösste Teil der-
selben von der Bestätigung des ersten Satzes, der Wahrheit
vom Leiden, aus.
Hier kommt nun der grosse Stein des Anstosses, besonders
für die Völker des Westens. Wir fühlen uns in unserer neu
gefundenen Freiheit und Macht so lebensvoll, so tatenfroh, so
stark, dass wir einem eben, erst der Schule entwachsenen,
trotzig-kühnen Knaben gleich, nur zu leicht geneigt sind, eine
Philosophie als den krassesten Pessimismus, um niclit zu sagen
reinsten Unsinn zu verschreien, welciie damit anhebt den Satz
aufzustellen, dass alles nur denkbare Leben Leiden ist. Wir
haben ein so starkes Selbstvertrauen, wir halten die Kenntnis
der Naturkräfte, die uns stark gemacht hat, für so wichtig,
wir haben so schöne Pläne für die Gegenwart, — dass wir
die Vergangenheit ebenso wie die Zukunft vergessen, dass wir
nicht an die zahllosen Civilisationen denken, die auftauchten,
blühten und dahinschwanden und nichts als Trümmer zurück-
liessen; und wir sollten uns daran erinnern, dass auch unsere
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. - 27
Zivilisation ebenso vergehen muss, und dass Europa in fernen
Tagen wiederum von Barbaren bewohnt sein wird.
So sind wir nun zu leicht geneigt, von vornherein die
Einflüsterung abzuweisen, dass alles Leben seiner innersten
Natur nach ein Übel ist, dass das Beste, was wir tun können,
darin besteht, so zu leben, dass wir dem ewig wechselnden
Kreislaufe seiner Leiden zu entfliehen vermögen. Und doch,
betrachtet die grossen VVeltreligionen, und Ihr werdet mit
alleiniger Ausnahme des Islam finden, dass dieselbe Lehre von
dem grossen Leiden und von der Hinfälligkeit alles irdischen
Daseins der Grund ist, auf dem sie alle aufgebaut sind. „Die
Welt ist eine Stätte des Übels; lasst uns ihre Verführungen ver-
achten und so leben, dass wir, mag es sein, wo es wolle, ein
besseres Leben haben mögen", — ist dies nicht das Fundament
aller Religionen, ja, noch mehr, ist dies nicht überhaupt die
Grundlage, der sie ihr Dasein verdanken?!
Ist denn diese Wahrheit, diese erste Wahrheit unserer
buddhistischen Religion so schwer zu lernen, so schwierig zu
begreifen, dass wir genötigt wären, an sie als ein unbewiesenes
und unbeweisbares Dogma zu „glauben"? Sicherlich nein;
denn wer von Euch ist jetzt, in diesem Augenblick der Macht
des Leidens nicht unterworfen? Hast du nach grosser Trübsal
einen geliebten Gegenstand für dich gewonnen und empfängst
ihn mit deiner ganzen Liebe — bist du selig in seinem Besitze,
bist du nun auf einmal glücklich in deinem Leben? Sage mir,
Freund, hat denn das Gesetz aufgehört, dich zu leiten, also
dass du sprechen könntest: „Das, was ich liebe, wird auch
morgen noch mein sein ?!" Hat der grösste aller Erdenschmerzen,
das jähe Abscheiden derer, die wir hier so zärtlich liebten, ihr
plötzliches Abtreten von der Lebensbühne und Eingehen zur
unzugänglichen Stätte des Todes — hat dieser grösste aller
Erdenschmerzen noch nie seinen düstern Schatten auf dein
Leben geworfen, und wenn nicht, erkühnst du dich etwa zu
sagen, dass es nicht schon morgen der Fall sein kann?! Wenn
du liebst — und ist nicht die Liebe die höchste aller irdischen
Freuden? — wenn du liebst, musst du Furcht haben, ja, Furcht,
wenn du den Sinn unseres Lebens geschaut und- verstanden
hast, und Furcht ist — Leiden. Hast du ein grosses Ideal,
28 DER BUDDHIST. F. Jahrg.
nach welchem du strebst, und glaubst du, das Ziel, für welches
du so lange deine Kraft einsetztest, nahezu erreicht zu haben?
Beeile dich, mein Bruder, beeile dich, das beinahe Erlangte zu
ergreifen; die Zeit ist so kurz, beeile dich, damit der Gegenstand
deiner höchsten Anstrengungen nicht auch in Staub zerfällt!
Wenn jemand einem Ideale nachgejagt ist — hat er das noch
nicht gelernt: Solange das Ideal noch nicht erreicht ist, scheuen
wir kein Opfer, um es zu erreichen, und wenn unser Abgott
nun endlich gefunden ist — steht er dann nicht immer auf
tönernen Füssen?! Und das ist — Leiden.
Ist einer unter Euch, der imstande ist, sich eine weltliche
Hoffnung zu zimmern, sich ein sei es noch so erhabenes Ideal zu
konstruieren, welches, lange bevor es erreicht ist, sich nicht von
selbst in ein Nichts auflöst? Du sagst, du liebst den Armen, den
Leidenden, du liebst deine menschlichen Brüder, welche schwächer
und weniger glücklich sind, als du; du liebst sie und möchtest
ihnen in der Misere ihres Lebens eine kleine Hilfe sein. Weisst
du nicht, dass bevor das stolze Ideal der Verbrüderung erreicht
sein kann, bevor sich alle Menschen wirklich lieben und ein-
ander helfen können, dass lange, lange vorher derselbe Gegen-
stand deines Mitleids und deiner Sympathie für immer dahin
sein wird? Ja ich will sogar noch weiter gehen. Du hegst
vielleicht eine grosse Liebe zu deiner Religion, mag es nun
diese oder jene sein, es scheint dir, dass die Menschen in
diesem oder in einem anderen Leben besser und liebevoller
werden würden, wenn sie alle ebenso glaubten, wie du. Du
siehst deine Lebensaufgabe darin, die grosse Religion, welche
dich das Dasein leichter tragen lässt, denen zu bringen, die
im Schatten der Finsternis sitzen. Freund, wisse, dass auch
hier immer das unabänderliche Gesetz der Vergänglichkeit
regiert! In der kleinen Spanne Zeit, welche wir kennen, in
den wenigen tausend Jahren menschlichen Lebens, von denen
die Annalen der Geschichte zu berichten wissen — wie viele
Religionen sind da nicht entstanden, lebten ihre Zeit und starben
ab, indem sie nur die Erinnerung an verwelkte Hoffnungen
zurückliessen?! O, ich weiss, dass ein jeder von Euch jetzt
sagen wird: „Ach, das ist so bei allen anderen Religionen ge-
wesen, weil sie von dem wahren Licht nur wenig oder nichts
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 29
enthielten; aber diese meine grosse Religion, das ist etwas
anderes, o, sie wird sicher ewig leben, sicher werden alle
Völker unter ihre heilige Herrschaft kommen, weil sie in sich
die Erkenntnis besitzt, welche selbst ewig ist, jenes Licht, das
nie verdunkelt oder erlischt". So träumten die zahllosen Ver-
ehrer der Isis, der heiligen Mutter, auch, vor vielen, vielen
Jahrhunderten dort an den Ufern des Nils — und heute, wie-
viel Blumen opfert man noch zu ihren Füssen? So dachten
auch die ungezählten Anhänger der grossen, alten parsischen
Religion, als sie die Quelle alles Guten anbeteten, als sie ihr
Antlitz dem Lichte, als dem geeignetsten Symbole, zuwandten
— und heute, wie viele sind von jenen Millionen noch übrig
geblieben? So denkt der vernarrte Verehrer immer, gleichviel,
ob es sich um menschliche oder göttliche Angelegenheiten
handeln mag: „Dies von mir Geliebte ist besser als alles andere;
wie sollte es möglich sein, dass es jemals vergehen oder sterben
könnte?" Vielmehr: Wie sollte es nicht möglich sein? Wie
ist es möglich, dass die zusammengesetzten Bestandteile unseres
Denkens, Fühlens und Sprechens nicht vergehen sollten —
auch das Hehrste und Heiligste?! Und das ist — Leiden.
Wenn du nun sagen willst: „Sehr wahr, alle Dinge müssen
vergehen, alle irdischen Hoffnungen müssen verbleichen, wenn
auch heute nicht, so vielleicht schon morgen; doch - lasst
mich heute glücklich sein, weil ich es so gerne möclite, diesen
Tag nur; denn heute ist für mich alles wohlbestellt, und die
ich liebe, sind mir nahe;" — wenn du mir sagen willst: „Es
gibt wohl viel Leiden, doch es gibt auch Glück, heute lasst
mich glücklich sein, und wenn morgen schon Leid über mich
kommen sollte, dann kann ich es nicht ändern, lasst mich nur
jetzt glücklich sein, lasst mich nur das Licht dieses Tages ge-
niessen" — — dann antworte ich dir, dass du nicht nachge-
dacht, dass du nicht begriffen hast. Hast du noch nicht die
erste grosse Lektion, des Daseins gelernt, dass du nicht ein
getrenntes Wesen bist, sondern ein wesentlicher Bestandteil des
Lebens, jenes Lebensodems, der in allem pulsiert und atmet?
Und wenn du nun die grosse Wahrheit von der Einheit aller
— nicht nur der Menschen, sondern aucii der höchsten und der
niedrigsten Wesen — wenn du diese Wahrheit begriffen hast,
30 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
kannst du da noch sagen: heute habe ich kein Leid?! Kein
Leid, wenn die Augen deiner Brüder mit Tränen gefüllt sind?
Wenn das ganze Antlitz der lachenden, heiter scheinenden Natur
nur die Maske einer unerträglichen, ununterbrochenen Grausam-
keit ist, wenn die Luft widergellt von dem Schrei hilfloser, in
ihrer Qual sich windender Lebewesen?! Und du hast an
diesem Tage kein Leid?! Dann, mein Bruder, hast du diesen
Tag nicht verstanden, hast nicht begriffen, dass das Leben
ausserhalb, welches leidet, eins ist, eins ist auch mit dem Leben,
welches in dir pulsiert. Du errichtest zwischen dir und dem
andern Leben eine Trennungsmauer — und gerade wegen dieser
Täuschung des Sonderseins existiert ja das Leiden überhaupt!
Wir müssen heute leiden, weil wir unwissend sind; wir haben
so viele leidvolle Leben durcheilen müssen, weil die Verblen-
dung uns in der Unwissenheit hielt. Und ist nicht diese Un-
wissenheit, die fruchtbare Ursache unseres Leidens, selbst Leid?!
Welches grössere Weh kann es geben, als sich getrennt von
anderen Leben zu fühlen, zu fühlen, dass jemand abgesondert
von dem übrigen Leben ist, dass er für sich allein steht, ohne
Mitleid, für den Schwachen, ohne Kummer für den Leidenden?
Dies ist ebenfalls — Leiden, und vielleicht das grösste Leiden
überhaupt. Denn morgen wird die Frucht reifen, und wer kann
den Lauf der Zeit aufhalten, wer vermag der eisernen Hand des
Schicksals ein Halt zu gebieten?
Und wenn wir dieses alles eingesehen und verstanden
haben, dann begreifen wir die erste erhabene Wahrheit
und nehmen ihren Inhalt an, welcher sagt, dass alles Leben, alles
Dasein ohne irgend eine Ausnahme Leiden ist, Leiden ohne
Aufhören, und dass es keinen Wald, keinen Berg, keine Höhle,
ja noch mehr, dass es aucli keine Stelle in dem höchsten,
heiligsten Himmel gibt, wo ein Lebewesen ruhig werden und
sprechen könnte: „Hier wird mir das Leid nicht nahe kommen!"
Und nachdem wir das grosse Siechtum und Leiden des Lebens
erkannt und verstanden haben, gehen wir wiederum zu unserem
Meister, um das Heilmittel kennen zu lernen. Er hat uns gelehrt,
unser Auge und unseren Geist so zu gebrauchen, dass wir zu
der Einsicht gelangen: Dieses glückliche Leben, nach dem wir
streben, kann eben niemals erreicht werden; er hat unseren
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 31
Blick geschärft, dass wir das universale Leid und Weil aller
empfindenden Wesen erkennen können. Wo ist nun der Weg,
der liinausführt aus dem Meere des Samsara, was ist zunäcfist
zu tun? Wie sollen wir aus diesem verfiängnisvollen Rade des
Daseins entkommen, wohin sollen wir uns wenden, um Frieden
zu erlangen? Der nächste Schritt, so sagt unser Meister, ist
das Verstehen und Ergreifen der zweiten erhabenen Wahr-
heit, genannt die Ursache des Leidens.
„Nicht aus sich selbst kommt Leiden, — Leid kommt aus
böser Lust" singt der Dichter der »Leuchte Asiens«. In dem
Rahmen dieser wenigen Worte liegt die Wahrheit, die da heisst
des Leidens Ursache. Wir sehnen uns nach Reichtum, und
wenn wir ihn nicht erlangen, empfinden wir Leid, oder wenn
wir ihn besitzen, fürchten wir ihn zu verlieren, und dieses
Sehnen, diese Furcht ist Ursache des Leidens. Wir sehnen uns
nach Liebe, nach Glück, nach dem Leben selbst, nach allen
Dingen, die uns erfreuen, die uns glücklich machen und das
Leben verschönen, und dieses Sehnen ist Ursache des Leidens;
denn entweder können wir nicht erlangen, was wir begehren,
oder wenn wir es haben, cntreisst uns die unerbittliche Hand
des Schicksais den Gegenstand unserer Liebe, und es entsteht
— Leiden. Wir gleichen schiffbrüchigen Seefahrern, die auf
dem unermesslichen Ozean des Samsara hin und her geworfen
werden, und wir lechzen mit Sehnsucht nur nach einem Trünke
von dem Wasser rings um uns her, das uns so klar, so rein,
so reichlich erscheint. Lange vielleicht mögen wir widerstehn,
denn alle Religions- Lehrer Iiabeii uns von dem Trug jener
glitzernden Wellen erzählt; -- aber schliesslich in einem Augen-
blick unerträglichen Durstes werden wir schwach und trinken,
— und dann — ja welche Hoffnung bleibt uns dann für dieses
Leben? Mit einem Durst, der durch das Geniessen des salzigen
Wassers stetig wächst, müssen wir immer mehr und mehr
trinken, bis zuletzt unsere ganze Zeit damit verbracht wird, dass
wir von dem Durst erzeugenden Wasser der Leidenschaft und
Begierde fortwährend trinken, bis wir keine Zeit mehr für die
Fahrtjunseres Schiffieins nach der jenseitigen Küste mehr übrig
haben. Dies letztere ist ja unsere Aufgabe, aber schwierig ist
ihre Durchführung! Nicht zu begehren! Aufzuhören von jenem
32 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
salzigen Lebenswasser zu trinken, wenn dies letztere uns zur
dauernden Gewohnheit, zum Inhalte unseres Lebens geworden
ist! Aber was sagt das »Gute Gesetz«? Es sagt: Die Leiden-
schaft ist weniger stark, als die Liebe zum Guten; derjenige,
der, wenn auch nur Schritt für Scliritt, jenen verhängnisvollen
Durst zu überwinden trachtet, wird immer fester in seinem
Streben; „niemand sollte leichthin vom Guten denken: ,es wird
mir nicht nahe kommen'; denn auch durch das allmähliche
Fallen der Wassertropfen wird ein Krug gefüllt;" wer Tag für
Tag darnach strebt, stark genug zu werden, um seine Wünsche
zu beherrschen, wird sie alsbald bemeistern und überwinden;
und dieser Sieg wird errungen durch unermüdliche, energisciie
Anstrengung, durch ein Leben der Reclitschaffenheit. Das ist
die dritte erhabene Wahrheit, genannt die Aufhebung
des Leidens. Und die vierte Wahrheit ist der Weg, der
erhabene achtfache Pfad, der zum ewigen Frieden führt,
der uns herausleitet aus diesem grossen Begierden- und Leidens-
Meere; es ist der Pfad, den unser Meister uns gewieserr hat,
um uns zum grossen Frieden zu führen, der Zweck und das
Endziel unseres buddiiistischen Glaubens; der Pfad, welcher
das Auge öffnet und Einsicht verleiht, welcher hinführt zur Ruhe
des Gemütes, zur iiöchsten Erleuchtung, zum Nirväna.
Sehr schwierig ist es, diesen Weg zu wandeln; ja, es ist
schon mühsam genug, diesen heiligen Pfad zu betreten, über
dessen Tor und Schwelle das Wort »Entsagung« geschrieben
steht. Und es ist die furchtbarste aller Entsagungen, die hier
gefordert wird. Reichtum, Weib, Kind, selbst das Leben auf-
zugeben ist nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu jener ersten
Stufe auf dem Pfade der Buddhas. Es haben Menschen schon
oftmals die genannten Punkte aus tausend Ursaciien geopfert,
— aus rein hysterischer Eitelkeit sowohl, als aus der Liebe zu
den höchsten religiösen Idealen, wie dem Glauben an ein zu-
künftiges Leben, der Sehnsucht nach himmlischer Seligkeit, dem
Glauben an ei ■■ liebende Hilfe jenseits des Todes, dem Glau-
ben an eine jsen Gott, welcher Gebete versteht, hört und
beantwortet. A.>-er hier, ehe du den Pfad betreten kannst, handelt
es sich gerade um diese gross und hehr erscheinenden Ideale
selbst, die du aufgeben, auf die du verzichten musst; — denn
No. t u. 2. DER BUDDHIST. 33
wer diesen göttlichen Weg wandein will, darf keine Hoffnungs-
Bande, keine Vertrauens-Ketten, keine Giaubens-Fesseln fiaben,
die ilin am Fortsciireiten iiindern. So sieli docii: Welclies sind
unsere höcfisten Hoffnungen, weiciies ist unsere grösste und
stärkste Sehnsuclit? Wir lieben das Glück, wir fiassen das
Leid und möchten schon in diesem Leben ganz glücklich sein.
Gib jene Sehnsucht auf, sagt das Gesetz; denn all Leben ist
Leiden, und durch die Hoffnung auf etwas Unerreichbares
kommst du nimmer zum Frieden. Wir lieben das Leben, wir
hassen den Tod, und so bilden wir uns in uns selbst ein Ideal,
ein Phantom, ein Wesen, oder einen „ Geist", ein eingebildetes „Ich",
das in uns leben, ja, das für immer in uns leben soll, auch wenn
unser Körper nicht mehr da sein wird. Dieser „Glaube" an ein
unauflösbares Seelenwesen ist die Frucht, welche der Lebenswille
in eurem Leben gezeitigt hat; also spricht das Gesetz. Ihr seid
nicht glücklich hier, und alles, was ihr kennt und liebt, ist der
höchsten Macht der Vergänglichkeit und der Auflösung unter-
worfen, — und so baut ihr euch aus jenem wilden Lebensdrange
das Bild von einem Leben, das nicht vergänglich ist, und die
Vorstellung, dass euer eingebildetes „Ich" ewig dauern wird. Gib
auf, sagt das »Gute Gesetz«, gib auf diese so närrische Torheit
und Illusion der Menschen, diesen „Glauben" an ein unauflös-
bares Seeienwesen; denn es gibt nichts Stoffliches, das sich im
Kreislauf der Zeiten nicht auflösen sollte oder wert wäre, ewig zu
dauern! Gib auf diesen „Glauben"; denn er ist aus der Be-
gierde entsprossen; wer nicht begehrt, hat keinen „Glauben"^),
sondern nur Wissen. Gib auf den „Glauben" ans „Ich"; denn so-
lange jener Lebenswille, die Ursache dieses Irrwahnes, in dir fort-
lebt, hast du noch nicht den ersten Schritt auf deiner Pilgerreise
getan. Gerade dieser Irrglaube ist die Ursache, dass du so lange
die zahlreichen Wiedergeburten erleiden musstest; und nach-
dem du nunmehr zu der Einsicht gekommen, dass alles, wo-
nach du gestrebt hast, leidvoll ist, musst du nun auch dem entsagen,
das als die Hauptursache des Leides bezeichnet werden muss.
Und da wir oft sehr schwach und hoffnungslos sind, wenn
') Unter „Glauben" ist hier nicht der wahre (geistige) Glaube, der durcli
die aufleuchtende Erkenntnis im Menschen erlangt wird, gemeint, sondern
der blinde „Glaube" (Fürwahrhalten) eines Dogmas.
3 .
34 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
der iinverineidliclie Schatten des Leidens auf unseren Lebens-
weg fällt, sehnen wir uns darnach, ein Leben kennen zu lernen,
welches dem Wechsel nicht unterworfen ist, und wünschen uns
ein Dasein, das von dem Wechsel unberührt bleibt. Wahrlich,
wir verlangen wie kleine Kinder in den Stunden der Angst
nach einem geistigen Vater, nach einer Mutter, sehnen uns nach
einem Etwas, das unsere Sünden auf sich nehmen, das für uns
leiden und in unseren kleinen Sorgen mit uns fühlen könnte,
und suchen jemand, der unsere Gebete hört und uns hilft. Weil
wir den Sinn dieses ganzen gewaltigen Lebensrätsels nicht ohne
weiteres erfassen und begreifen, deshalb haben wir Menschen
die höchsten, heiligsten Ideale aufgestellt; das Ideal eines grossen
Gottes in irgend einem Himmel, der uns alle geschaffen hat,
der uns hilft, wenn wir zu ihm beten, der uns in unserem
Leben führen und dem (eingebildeten) „Ich" in uns für ewig eine
Wohnung in seiner heiligen Stätte gewähren wird. Verbanne
jenen „Glauben", sagt das »Gute Gesetz«; denn auch dieser ent-
springt einem wenn auch hohen, erhabenen Begehren, dem
Wunsche nach unsterblichem Leben, dem Sehnen, sich zu der
seligen Gegenwart des Geliebten zu erheben; er ist aus der
Schwachheit unserer Natur entsprungen und aus dem Wahne
geboren, dass irgend ein anderes Wesen ausserhalb unserer
selbst uns retten und erlösen kann. Gib jenen „Glauben" auf;
denn so lange du am Wege sitzen bleibst und einen anderen
um Hilfe bittest, kannst du nicht fortschreiten. Nehmt eure
Zuflucht in der Wahrheit, geht zu der Wahrheit und zu euch
selbst als einer Leuchte und einem Führer, suchet keine andere
Zuflucht als die Wahrheit, als euch selbst. Nicht durch Gebet
oder blinden Glauben kannst du zum Frieden gelangen, son-
dern nur dadurch, dass du begreifen lernst, was du bist und
was du nicht bist, und dass dein Handeln mit dem Gesetz der
Liebe und mit der Wahrheit in Einklang steht, durch Erkennt-
nis, nicht durch „Glauben", durch rechtes, liebevolles Tun, und
nicht durch Beten.
Aber hier wird eine Frage aufgeworfen werden: Wenn
wir an keine Macht dort droben glauben, an keinen Gott, der
unsere Gebete beantworten kann, — wenn wir uns an keinen
Heiligen im Himmel um Hilfe wenden, was bedeuten dann
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 35
diese vielen knieenden Menschen in unseren Tempeln, was
die wallenden Weihrauchwolken und die ungezählten Blumen,
die wir vor dem Bilde unseres Meisters niederlegen? Soll
das etwa kein Gebet sein? Wäre es möglich, dass fünfhundert
Millionen Menschen ohne jeden Grund ihre Verehrung be-
zeugen, ohne jeden Grund Räucherwerk und Blumen dar-
bringen? Nein, meine Brüder; dies geschieht allerdings nicht
ohne Grund, und es handelt sich hier sogar um den höchsten
Beweggrund, den wir überhaupt kennen. Nicht etwa deshalb
geschieht es, weil wir den Mitleidvollsten um irgend eine Wohl-
tat zu bitten hätten; nicht deshalb, weil wir uns der Hoffnung
hingeben, unsere Bitten möchten zu seinem lauschenden Ohre
gelangen und er wäre über die erwiesenen Ehren glücklich.
Nein; er, der grosse, liebevolle Lehrer ist eingegangen zum
Frieden und zu jener Stille, wo kein Laut aus dem Getriebe
des Weltrades ihn erreicht, — und wir haben nichts von ihm
zu erbitten, wie auch er uns nichts zu geben hat. Nun, was
soll also diese scheinbare Anbetung, diese Verehrung, was
sollen diese Blumenopfer? Ich will es euch mit einem Worte
sagen: Die Liebe ist der Beweggrund gewesen, dass jener
Mensch — denn er war einst Mensch und strebte wie wir —
allein entsagte, um für uns das Licht, um für die Welt den
Weg zum Frieden zu finden. Für uns, nicht nur für sich selbst,
— und nach vielen bitteren Kämpfen hat er das Ziel erreicht.
Weil er seinen Palast und alle Herrlichkeiten seines
Lebens verliess, weil er in die Einsamkeit ging, um die Wahr-
heit zu suchen, damit wir den Weg zum Frieden finden
möchten, — weil er nach Erreichung dieses Zieles fünfund-
vierzig Jahre lang jene Wahrheit unermüdlich predigte, damit
andere den heiligen Pfad finden könnten, — weil er sterbend
die Versicherung abgab, dass er nicht wie andere Lehrer
seiner Zeit und seines Volkes etwas zurückgehalten, sondern
der Menschheit die ganze Wahrheit enthüllt habe, — weil
er niemals ein gehässiges oder unwirsches Wort sprach, —
weil er für uns die unvergleichliche Personifikation unseres
höchsten Ideales war, die Realisierung von Mitleid, Liebe,
Erbarmen, — deshalb beugen wir uns in Ehrfurcht vor ihm
und opfern ihm Blumen, Lichter und Weihrauch; deshalb
3*
36 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
scliliessen wir ihn vor allem anderen als höchstes Ideal in
unsere Herzen ein. Und es ist unsere Verehrung ein Opfer
der Liebe, und nicht eine Markthalle, in welcher Gebete und
Anrufungen für irgend welche Wohltaten aus der Höhe um-
getauscht werden.
Wenn wir das Meer betrachten, wie sein nimmermüder
Wellenschlag sich im Sonnenlichte hin und her bewegt, —
wenn wir auf eine herrliche Landschaft blicken oder die Palmen
beobachten, die sich duftend in der frischen Abendluft regen;
— wenn wir emporblicken zum nächtlich-dunklen Himmel,
der mit unzähligen funkelnden Sternen geschmückt ist —
fühlen wir da nicht auch von diesen rein irdischen Dingen,
diesen Bildern unserer Sinne, jenes namenlose Sich-regen in
unserer Seele, wodurch die Felsen, Bäume und Sterne uns
ein wenig von jener Erhabenheit enthüllen, welche jenseits
unseres Lebens liegt? Warum lieben wir die grünenden Hügel
und jene schweigenden, geheimnisvollen Sterne? Weil sie
schön sind, und weil es in unserer Natur liegt, das Schöne,
das Hohe, das Erhabene zu lieben, und wie alle Menschen
sich gerne in diesen herzbewegenden Anblick versenken aus
Liebe zu der rein äusserlichen Schönheit, die uns darin ent-
gegentritt, so fühlen wir Nachfolger des »Guten Gesetzes«
uns dazu getrieben, über das unvergleichliche Leben, Erbar-
men und Wohlwollen unseres grossen Lehrers nachzudenken;
diese Dinge können uns mehr sagen und in weit höherem
Masse unser Gemüt zu einem edlen Wirken und reinen Leben
antreiben, als die höchste Schönheit der Sinneswelt. Aus
Liebe und Dankbarkeit geschieht es, dass wir am Altare un-
seres Herrn niederknieen, dass wir jenen Baum heilig halten,
unter welchem er zur Weisheit gelangte; aus Liebe zu ihm,
weil die Erinnerung an sein Leben und seine Lehre, weil das
Denken an seine Weisheit und Barmherzigkeit unser Gemüt
mit unaussprechlichem Frieden erfüllt und für uns der stärkste
Impuls ist, um jenem unvergleichlichen Leben, jenem Mitleid
und jener Liebe demütig nachzueifern. Er ist das allerhöchste
Ideal, das unser Begriff von Menschlichkeit überhaupt auf-
stellen kann, und wir halten es für gut, oft an dasselbe zu
denken und über jenes von uns so hochverehrte Leben zu
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. ä?
meditieren. Wir sind der Ansicht, dass, wenn ein Mensch
sich den Meister selbst als sein höchstes Ideal aufstellt, wenn
er ihn verehrt mit den Worten: „Preis sei Dir, Du Allbarm-
herzigster" — dass dieser Mensch selbst mitleidsvoller wer-
den muss durch diese Verehrung; nicht etwa deshalb, weil
der Buddha etwas gewähren könnte, sondern weil die Gesinnung
des Verehrenden, das Ideal, welchem er huldigt in seinem
Geiste, von selbst diese Wirkung hervorbringt. Und
könnt Ihr etwa mehr und Besseres verlangen, als dass die
religiöse Verehrung, welche ein Mensch pflegt, diesen liebe-
voller und barmherziger macht und ihn seinem Ideale näher
bringt?! Das ist sicherlich besser und würdiger, als um
Geschenke zu bitten.
Wer durch die Kraft der reinen Erkenntnis zur Verwirk-
lichung der vier erhabenen Wahrheiten gelangt ist, wer die
von dieser Erkenntnis abhängige Tatsache realisiert hat, dass
nämlich alle Bestandteile der Wesen mit den drei Eigenschaf-
ten: Leiden (Dukkha), Vergänglichkeit (Anicca) und
Nicht-Selbst (Wesenlosigkeit, Anatta), behaftet sind, — der
wird Sammäditthi genannt; darunter verstehen wir einen
Bekenner des buddhistischen Glaubens, der richtige An-
sichten oder rechte Einsicht besitzt. Wir brauchen noch
nicht die anderen höheren Stufen des erhabenen achtfachen
Pfades genommen, sondern nur die vier erhabenen Wahr-
heiten und die aus ihnen sich ergebenden drei Eigen-
schaften (Anicca, Dukkha, Anatta) realisiert zu haben. Wer
Sammäditthi erreicht, hat wenigstens den heiligen Weg be-
treten, und wenn er nur ernstlich sich anstrengt, so wird er
die Kraft gewinnen, auch die anderen Fesseln zu überwinden,
welche seinen Fortschritt hemmen. Aber zu allererst muss
er alle jene falschen Hoffnungen und illusorischen Glaubens-
formen abstreifen. Wer dies getan hat, der wird ein Buddhist
genannt, und dieses Erlangen der rechten Einsicht
(Sammäditthi) ist der erste Schritt auf dem erhabenen
achtfachen Pfade.
Die zweite Stufe ist das rechte Streben, Sammäsan-
kappa. Wenn wir die Erkenntnis vom Leiden (Dukkha),
von der Vergänglichkeit (Anicca) und Wesenlosigkeit
^ DER BUDDHIST. I. Jahrg.
(Anattä) alles empfindenden Daseins verwirklicht haben, dann
entsteht das »rechte Streben«. Da alle Geschöpfe leiden,
wollen wir ihnen ihre Bürde wenigstens nicht noch erschweren;
wir streben darnach, mitleidsvoll und barmherzig zu werden,
gegen kein Wesen eine übelwollende Gesinnung zu hegen
und uns von jenen sinnlichen Vergnügungen fernzuhalten,
welche die fruchtbare Ursache des Leidens sind. Der Wille
— das wissen wir alle — ist stets schneller bereit, als der
Geist, und so werden wir vielleicht noch oft in der Durch-
führung unseres Strebens straucheln, obwohl wir uns be-
mühen, den Sinnesfreuden zu entsagen und allen Wesen mit
Güte und Mitleid zu begegnen. Wenn aber der Wille, barmher-
zig und rein zu werden, in uns feste Wurzel geschlagen hat,
dann haben wir die zweite Stufe des Pfades erreicht: Sammä-
sankappa, rechtes Streben.
Wer sein Handeln auf reine Motive gründet, hat nicht
nötig, die Wahrheit zu verbergen; wer seine Mitmenschen
wahrhaft liebt und keine gehässige Gesinnung gegen irgend
jemanden aufkommen lässt, der wird nur anständige und
sanfte Worte sprechen. Von eines Menschen Redeweise können
wir auf seinen Charakter schliessen, und wenn das »rechte
Streben« bei einem Manne gute Früchte zeitigt, dann betritt
er die dritte Stufe, rechte Rede, Sammavaca. Wer in
jeder Beziehung nur die Wahrheit spricht, wer nie barsche
oder unfreundliche Worte redet, wer in seiner Sprache die in
seinem Herzen wohnende Liebe und Barmherzigkeit zum
Ausdruck bringt, der hat die dritte Stufe des Pfades erreicht.
Und da die Gedanken und Worte eines Menschen dessen
Inneres gar mächtig umzugestalten vermögen; da eine barm-
herzige Gesinnung auch barmherzige Taten hervorbringen
muss, — deshalb wird die vierte Stufe rechtes Betragen
oder rechtes Hände In genannt. Für denjenigen, der diese Staffel
erklommen hat, werden endlich seine angestrengten Bemühun-
gen, seine richtige Einsicht, seine sorgsam gewählten Worte
— vielleicht erst nach einer jahrelangen Selbstbeobachtung
reiche Früchte zeitigen, bis schliesslich alle seine Handlungen
liebevoll, rein und ohne irgend welche Hoffnung auf Gewinn
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 39
vollbracht werden. Dann ist die vierte Stufe betreten,
genannt Sammäkammanta.
Und wenn diese heilige Gewohnheit des rechten Handelns
stark und zielbewusst stetig wächst; wenn unser ganzes Leben
nur für diesen Glauben, der in uns ist, gelebt wird; wenn
jeder einzelne Akt unseres täglichen Lebens, ja sogar jede
Regung in unserem Schlafe auf das geweihte Ziel gerichtet
ist; wenn kein Gedanke, keine Handlung, die grausam oder
unbarmherzig wäre, unser Wesen mehr beflecken kann, —
dann haben wir die fünfte Stufe erreicht: Sammäjiva,
das rechte Leben. Wer sich von allem zurückhält, was
anderen Schmerz verursachen könnte, der wird untadelhaft
und kann nur solchen Beschäftigungen nachgehen, die kein
Leid in ihrem Gefolge haben.
Über denjenigen, der so lebt, sagen die heiligen Schriften,
kommt eine Kraft, die dem gewöhnlichen Menschen unbekannt
ist. Lange Zucht und Selbstbeherrschung haben ihn befähigt,
sein Gemüt zu bemeistern; er kann jetzt alle seine Kräfte
mit mächtiger Gewalt auf irgend einen Gegenstand beliebig
übertragen, und die Fähigkeit, die Kräfte seines Wesens zu
benutzen und seine gewaltige Willensanstrengung dauernd
fortzusetzen, bringen ihn auf die sechste Stufe, Samma-
vayäma. Dies wird gewöhnlich übersetzt durch »rechte
Anstrengung«; jedoch würde »rechte Willenskraft« oder
»rechte Energie« der Bedeutung wohl näher kommen; denn
durch Anstrengung wird auch schon die erste Stufe be-
schritten. Und wenn der Mensch diese Kraft erlangt hat,
durch die er fähig ist, alle seine Gedanken jederzeit auf einen
Gegenstand zu richten und festzuhalten, erinnert er sich,
wachend und schlafend, was er und was das Ziel seines
Lebens ist, und dieses dauernde »Gedenken«, diese beständige
Konzentrierung des Geistes auf das Endziel unseres Ringens,
ist die siebente Stufe, Sammäsati, rechtes Gedenken.
Durch die Kraft dieser transcendentalen Fähigkeit erhebt sich
der Mensch durch die acht Glieder transcendentaler Schauung
hindurch bis zu der Schwelle Nirvänas; bis er endlich noch in
diesem Leben in der »Nirodha Samapatti« genannten Schau-
ung zum »todlosen Ufer Nirvänas« gelangt; dieses geschieht
40 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
durch die Kraft von Sammäsamädhi, durch »rechte
Versenkung«, die achte Stufe des heiligen Pfades. Ein
solcher Mensch hat den Pfad vollendet, hat die Ursache aller
seiner Lebensketten zerstört und ist ein Arahä, ein Heiliger,
ein Buddha geworden.
„Mächtiger noch als die Fürsten der Erde,
Heiterer selbst als die Götter des Lichts,
Ist jener Glückselige,
Der dieses leidvollen Kerkers
Schmerzliche Fesseln zerbricht.
Lautlos gleitet das Leben
Zur tiefen Ruh',
Zum ewigen Frieden.
Süsses Nirväna!
Meerstilles Schweigen !
Sündlose Rast!
Du bist das andere
Niemals sich ändernde
Ufer der Welt." —
Dies, meine Brüder, ist ein kurzer Überblick über die
Religion der Nachfolger des Buddha, eine kurze Beschreibung
des geistigen Pfades, der ihnen alle Zeit vor Augen schwebt.
Aber, wieihrwisst, können solche summarischen Darstellungen
das grosse Ganze nur in Umrissen zeichnen und sind höch-
stens als ein Auszug aus dem Gesamtgebiet zu betrachten.
Und nachdem ich Euch diesen Vortrag über den Pfad
und die vier erhabenen Wahrheiten gehalten habe, der sich
auf die heiligen Schriften stützt und den Stoff nur in neue
Worte kleidet, — gestattet mir nunmehr. Euch zu sagen, wie
ich über den wahren Buddhismus denke, sowie einige
Einwände zu besprechen. Bekanntlich haben die verschiedensten
Menschen, unter ihnen grosse Gelehrte, den Buddhismus sehr
verschieden beurteilt: Einige nennen ihn Materialismus,
einige Pessimismus, andere das bewundernswürdigste
System einer begründeten Ethik; wieder anderen
scheint er nur eine altertümliche Form der modernen
agnostischen Philosophie zu sein. Dass der Buddhis-
mus von allen diesen Dingen Elemente enthält, ist zweifellos
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 41
richtig; aber ich glaube nimmer, dass rein logische Seelen-
und Lebenstheorien vierundzwanzig Jahrhunderte überdauern
und noch heute die grösste Weltreligion sein könnten. Und
so bin ich durchaus nicht der Ansicht, dass jene rein philo-
sophischen Fragen, wie: Gibt es eine Seele oder nicht?
Was wird wiedergeboren? usw. überhaupt nicht das Wesen
des Buddhismus ausmachen. Wenn ich aufgefordert würde,
den Buddhismus in ein einziges Wort zusammenzufassen, so
würde ich sagen: Mitleid! Mitleid; denn dieses begreift in
sich sowohl Liebe, als Leid, welche die Grundlage unseres
Glaubens bilden. Wenn ich einen Menschen sehe, der von
tiefem Mitleid durchdrungen ist, welcher, wenn auch vergeb-
lich, sich bemüht, den grossen Wechsel von Leben und
Sterben in seiner ganzen Tragweite zu begreifen, einen Men-
schen, der zu allen lebenden Wesen eine innige Sympathie
fühlt und bereit ist zu helfen, wo immer er kann, so ist dieser
nach meinen Begriffen Sammäditthi, er hat die erste Stufe des
Pfades betreten, und mag er im übrigen an sieben Arten von
Seelen glauben. Liebe und liebevolles Handeln, — das sind die
Wahrzeichen des Buddhisten, und alle jene schwierigen Be-
trachtungen über die Wirkung von Karman, über die Bestand-
teile eines lebenden Wesens usw. sind zwar sehr gut und
nützlich für diejenigen, die danach verlangen, aber sie sind
nicht wesentlich. Wer das Gesetz betätigt, der ist Sammä-
ditthi,^ und der Mann betätigt das Gesetz, der gütig und
mitleidsvoll ist, und der sein höchstes Ideal in unserem
Meister, unserem Buddha, erblickt. Die Priesterkaste seiner
Zeit, jene abgeschlossenen Brahmanen, welche die Verbreitung
geistiger Erkenntnis jeder Art zu unterdrücken suchten, um
sich ihren Broterwerb und ihr Ansehen beim Volke zu erhal-
ten, — diese eitlen, törichten Männer nannten den Meister
einen Materialisten und Atheisten, weil er sich weigerte, das
Unendliche in begrenzte Formen zu bannen und in leere Worte
zu kleiden, und weil er das Ansinnen zurückwies, ihren Speku-
lationen über die Entstehung der Welt beizupflichten. Eins
wissen wir von ihm, nämlich, dass er der mitleidvollste der
Menschen gewesen ist, und, meine Brüder, wenn man uns
heutigen Tages Atheisten und Materialisten schilt und uns
42 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
damit zu verachten glaubt: Wohlan, lasst diese Benennung für
uns einen Ehrentitel sein, denn als solchen hat auch unser Herr
sie bezeichnet. Dass wir, soweit es in unserer schwachen
Kraft liegt, bemüht sein sollten, seiner Weisheit, seiner Ent-
sagung und vor allen Dingen seinem unbegrenzten Erbarmen
nachzueifern: das ist, denke ich, der Zweck unserer ganzen
Lebensarbeit, und ich glaube, dass ich damit auch die Ansicht
aller unserer Religionsgenossen zum Ausdruck bringe.
Dass unser Meister der Begründer eines metaphysischen
Systems war, das an Feinheiten auch den kühnsten Flug
westlicher Philosophie hinter sich lasst, ist gewiss etwas
Grosses, und es ist bewunderungswürdig, wie er im Abhi-
dhamma die zarten Regungen des Geistes klar legt, um zu
erklären, wie ein Gedanke in seinem Entstehen verhindert
werden könne; — aber nicht diese Dinge sind es, welche
den Ruhm seines Dhamma begründet und ihm die Herrschaft
über ein Drittel der gesamten Menschheit verliehen haben;
nicht diesem transcendentalen Wissen verdankt der Buddhismus
heute seinen Einfluss auf fünfhundert Millionen Menschen-
herzen. Denkt Ihr etwa, blosse philosphische Betrachtungen
und rein logische Systeme könnten auf das menschliche Gemüt
eine derartige Zugkraft ausüben? Gewiss nicht; der Grund
liegt vielmehr in der Tatsache, dass des Buddhas Leben die
getreue Verkörperung 'seiner Lehre gewesen ist — unendliche
Liebe, Reinheit, Weisheit und ein unbegrenztes Erbarmen.
Diese Kräfte haben unsern Glauben auf Erden mächtig gemacht,
und solange auf unserem Planeten menschliche Wesen wohnen
werden, deren Herzen in Liebe und Mitleid für alle Geschöpfe
schlagen, und solange ihnen dieses Evangelium gepredigt
wird, solange wird auch sein Reich bestehn. Und welch eine
Herrschaft! Bedenkt, welche wunderbare Kraft dieses Reich
zusammengehalten hat! Glaubt Ihr, dass, wenn der Buddha
ein weltlicher Herrscher gewesen wäre, dieser Name mehr
als zehn Studenten der alten Geschichte bekannt sein würde?
Und doch ist sein Reich heute noch viel grösser, als das-
jenige Alexanders einst war, obwohl es solange her ist, dass
er kam, uns zu lehren. Vierundzwanzig Jalirhunderte sind
dahingeflossen im Strom der Zeit, und docli ist der Name
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 43
»Buddha« heute auf fünfhundert Millionen Lippen, sein Reich
in fünfhundert Millionen Herzen und seine Lehre das Ideal
von fünfhundert Millionen Leben. Und wodurch wird dieses
weite Reich zusammengehalten? Welcher mächtige Beweg-
grund treibt ein Drittel des Menschengeschlechtes an, dieses
eine Gesetz zu verehren? Haben uns etwa grosse Heere zu
Gebote gestanden, um den dritten Teil der Menschheit zu
erobern? Es ist unser Stolz, dass niemals in unseres
Meisters Namen ein Leben geopfert worden ist. Haben wir
einen grossen, einflussreichen Priesterstand? Seht, unsere
heiligen Männer, welche bemüht sind, das von unserem
Meister empfohlene Leben wirklich zu leben, — sie sind es,
welche vor Euren Türen ihre Nahrung erbitten. Durch welche
wunderbare, übermenschliche Kraft wird denn diese Gott-freie
Religion zusammengehalten mit ihrer gebetiosen Verehrung,
mit ihrer nicht-organisierten Priesterschaft, — diese Religion,
deren Herrschaft über ein Drittel unserer Rasse sich ausdehnt?
Die Liebe, unseres Meisters Liebe und Erbarmen, — sein
Mitleid und die Wahrheit, die er enthüllt hat: diese Kräfte
haben unsere Religion zusammengehalten; denn wir lieben
unseren Meister wegen der Liebe, die ihn beseelte, wegen
des Lebens, das er uns als Vorbild wies, wegen der Wahrheit,
die er verkündete, und an jedem Tage unseres Lebens erhal-
ten wir aus dem Geheimnis unseres eigenen Wesens immer
wieder von neuem die Bestätigung für die Wahrheit seines
Gesetzes, für die Genauigkeit seiner Analyse, für die Voll-
kommenheit seiner Einsicht. —
Folgender Punkt ist uns, wie ich gehört habe, wiederholt
zum Vorwurf gemacht worden: Wir, die wir dafür halten, dass
unser Meister eingegangen ist „in jenes letzte Dahinschwinden,
wo von irgendwelchen weltlichen Begriffen nichts mehr vor-
handen ist", nehmen dennoch bei unseren täglichen Andachts-
übungen unsere Zuflucht zu dem Buddha. „Wie könnt ihr",
so hat man uns vorgehalten, „eure Zuflucht zu dem Buddha
nehmen, von dem ihr doch selbst sagt, dass er nicht mehr
»da sei«; wie zu dem Dhamma, welcher in Büchern sich
autgezeichnet findet, deren Blätter vor den Verwüstungen der
Motten und Insekten geschützt werden müssen; — wie zu dem
44 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Sangha, dessen Mitglieder zum grossen Teil einfache, un-
gelehrte Männer sind?" Ich erwidere, dass der Buddha,
Dhamma, Sangha, welchen jene Leute im Auge haben, nicht
derselbe ist, welchen wir verehren. Wir nehmen unsere Zu-
flucht zum Sangha, weil die Männer, die ihn bilden, mögen
sie nun gelehrt oder ungclehrt sein, wenigstens den Versuch
machen, dem idealen Leben zu folgen; weil ein jeder von
uns in der Hoffnung lebt, dass wir eines Tages frei genug
sein werden, um dieses Leben der Entsagung, der Unterwei-
sung und der Liebe, welches als Ideal in unser aller Herzen
strahlt, selbst in die Tat umsetzen zu können, und endlich,
weil der Sangha als solcher das Symbol des idealen Wandels
ist, den wir zu führen bestrebt sind. Wir nehmen unsere
Zuflucht zu dem Dhamma; derselbe steht nicht nur in Büchern
geschrieben, sondern vielmehr in unseren Herzen und, wie ich
hoffe, in unserem Leben. Dieser Dhamma ist in seinem
Wesen kein rein irdischer, nur auf diese Welt beschränkter
„Glaube", sondern ein mächtiges Gesetz, welches durch Raum
und Zeit hindurch wirken wird, bis alle Geschöpfe der Er-
leuchtung teilhaftig geworden sind; er ist das Gesetz des
Mitleids und der Liebe, welches alle Wesen bemeistert auf
dem entferntesten Stern sowohl als hier auf der Erde, und
welches alle Wesen zum grossen Frieden Nirvänas führen
wird. — Und endlich: wir nehmen unsere Zuflucht in
Buddha; ach, habe ich wirklich noch nötig. Euch zu sagen,
warum wir das tun? Welches andere Leben hinieden hat je
einen so gewaltigen Eindruck, auf das Menschenherz gemacht?
Er war kein Gott, sondern ein Mensch gleich uns, und er
strebte vorwärts, wie wir zu streben bemüht sind, aber für
ihn gab es nie ein Zurückweichen. Er hat gelitten, wie wir
es gar nicht ertragen könnten, weil er glaubte, auf diese Weise
für uns den Weg zum Frieden zu finden; kein Fehlschlag hat
ihn je entmutigt, und schliesslich ist ihm der Sieg geblieben.
Als dann für ihn die Stunde des Scheidens kam, tröstete er
seinen weinenden Jünger mit den Worten: „Ananda, ihr dürft
nicht denken, dass nach meinem Heimgange der Lehrer nicht
mehr bei euch ist. In dem Gesetze, welches ich euch ver-
kündet habe, werde ich weiterleben, so wähnt also nicht
»wir haben keinen Lehrer mehr!«"
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 45
Und so glauben wir in der Tat niciit, dass wir ohne Lehrer
sind. Der »Lotus des guten Gesetzes« ist allerdings einge-
gangen zur Ruhe, zum grossen Frieden, und seine Asche wurde in
alle Windrichtungen zerstreut, aber der Wohlgeruch seiner Liebe
und seines unvergleichlichen iMitleids durchdringt noch die
Welt, und ich denke, ja wir alle denken es, dass die Welt
besser, reiner und liebevoller geworden ist, weil er einst
unter uns gelebt hat. Wenn wir seine Worte in den heiligen
Schriften lesen, wenn wir uns bemühen, täglich dem Leben,
das er uns als Ideal aufgestellt hat, einen Schritt näher zu
kommen, ja, dann fühlen wir, dass wir von unserem Meister
nicht allein gelassen worden sind. Es ist seine Stimme, die
aus seinem Gesetz und aus dem tiefen, dunklen Geheimnis
unseres Lebens zu uns spricht; es ist seine Stimme, die uns
tröstet und aufrichtet, wenn wir gestrauchelt sind, indem sie
uns zuruft, dass dieses grosse Gesetz ewig und unabänderlich
dauern wird, und dass jede rechte Anstrengung ihre künftigen
Früchte zeitigen muss; — es ist seine Stimme und seine
unvergleichliche Lehre, die uns Liebe für alle Lebewesen und
Erbarmen mit allen Leidenden eingeilösst hat; ja dieses Ge-
setz wird uns, wenn wir unermüdlich bestrebt sind es zu befol-
gen, endlich zu dem Ziele unseres heissen Ringens leiten, zu
dem Verlöschen des dreifachen Feuers der Begierde, des
Hasses und der Verblendung, — zu dem anderen Ufer des
ewig rinnenden Weltstroms, — zum unbegrenzten Lichte
Nirvänas, zur tiefen Ruhe, zum ewigen, seligen Frieden!
^ Verg-äng-lichkeit. f^
Von Karl B. Seidenstücker.
Zwei kleine, unscheinbare Sätze sind es, die der Meister
als letztes Vermächtnis kurz vor seinem Heimgange hinter-
lassen hat: „Alle Dinge sind dem Wechsel unterworfen;
arbeitet an Eurer Erlösung ohne Unterlass!" An die Ver-
gänglichkeit verweist der scheidende Buddha seine Jünger;
Vergänglichkeit ist der Ausgangspunkt seiner Lehre. Alltags-
46 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
menschen nennen das spöttisch einen „schönen" Trost, voll-
endete Passivität, krassen Nihilismus; sie werden nicht müde
zu versichern, dass der stille Mönch im gelben Gewände
sein Haus auf Sand gebaut hat. Es gibt freilich auch Leute,
die wesentlich anders urteilen; nach ihrer Ansicht ist das
völlige Ergreifen des V'ergänglichkeits-Gedankens aller Weis-
heit Anfang, und sie halten dafür, dass erst von diesem Stand-
punkte aus dem geistigen Auge der ungetrübte, klare, azur-
blaue Himmel reinster Erkenntnis und höchsten Friedens sich
erschliesst. Von der Vergänglichkeit will auch ich ausgehen,
um dem Leser den Kern des Buddhismus vorzuführen. —
Zur Zeit, da diese Blätter als der Weckruf eines alten Glaubens
hinausgehen in die Gaue des deutschen Landes, rüstet sich
die Christenheit, ihr Osterfest zu feiern. Ein uraltes Früh-
lingsfest in einem kirchlich-historischen Gewände. Ostern
feierten schon vor Jahrtausenden die arischen Völker; sie be-
grüssten den Sieg des Lichtes über die Finsternis, sie jubel-
ten dem jungen Leben entgegen, welches blütenbekränzt,
kraftvoll, sonnig, sich alljährlich dem Schosse der Natur aufs
neue entringt. Die Zeiten haben sich geändert: Wo in ent-
schwundenen Tagen der urwüchsige Germane im schweigenden
Haine unter der knorrigen Eiche oder in weltferner Höhe
auf einsamem Felsengrat der Frühlingsgöttin huldigte, da
ladet heute Glockenklang und Orgelspiel die Menge zur
Andacht. Und doch, wer tiefer blickt, erkennt, dass auch
heute noch Ostern dieselbe Bedeutung hat, wie vor Jahrtau-
senden; „neues Leben", raunte ehedem der greise Heiden-
priester; „neues Leben", predigt jetzt der christliche Geistliche;
„neues Leben", jubelt heute das feiernde Volk, das aus der
dumpfen Behausung hinauszieht in die grünende Flur.
Neues Leben! Gleich einem Zauber lässt dieses Wort
das Blut schneller kreisen, das Herz freudiger schlagen, den
Busen höher schwellen. Ja, gleich einem Zauber; aber Zauber
— blendet.
Wie leicht doch wird der betörte Mensch durch dieses
neue Leben berauscht; wie sehr ist er geneigt, unter der
schier betäubenden Wirkung dieses Wonnetrankes den klaren,
nüchternen Blick zu verlieren; wie schnell verliebt er sich in
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 47
diese reizende, fröhliche Maske der Natur! Er vergisst darüber,
dass die Welt ein doppelt-blickendes Janus-Haiipt darstellt:
Hie lachendes Leben, hie düsteres Sterben! Wo Wachstum,
da Verfall; wo Erblühen, da Verwelken; wo Geburt, da Tod;
wo Entstehen, da Vergehen — das ist ein ewiges Gesetz, und
wo zu Ostern der frohe Lenz seine Blumen streut, da wird
gar bald, wenn der Mond sechsmal seinen Kreislauf vollendet
hat, am Allerseelentage das letzte welke Blatt herniederfallen.
Vergänglichkeit, du König der Könige, du Herr der Welt,
vor dessen Szepter sich Götter und Menschen neigen! Deinem
Machtspruche entrinnt nichts, kein Weltsystem, kein Eintags-
leben! Seit Anbeginn aller Zeiten drehst du das wirbelnde
Welt-Rad von Geburt und Tod, heissest Formen erscheinen
und wieder verschwinden, rufst Wesen zum Bewusstsein und
lösest sie wieder auf.
„Alle Dinge sind vergänglich"; — wendet euren Blick
der Entwickelungsgeschichte unseres Planeten zu, wie sie dem
forschenden Menschengeiste sich enthüllt, oder seht auf die
Dinge um euch, betrachtet euch selbst; allüberall herrscht
Entstehen und Vergehen, das ist: Vergänglichkeit. Sonnen
flammen auf im Räume, Sonnen werden verlöschen; Welt-
systeme verdichten sich aus kreisenden Urnebein, Sonnen-
systeme zerstieben wieder unter der Wucht elementarer
kosmischer Katastrophen; Kontinente erheben sich aus den
Fluten des Ozeans und werden über kurz oder lang die Beute
der nagenden Woge; glänzende Zivilisationen, blühende Kul-
turen erstanden, lebten ihre Zeit und starben ab; mächtige
Fürstenthrone Hessen den Erdkreis vor ihrer Macht erzittern,
— aber auch sie sanken in Trümmer. „Alles ist dem Wechsel
unterworfen", hat der Buddha gesagt, und sein Wort ist wahr
befunden worden.
Erinnere dich doch, mein Freund, der Menschen, die du
vor zehn Jahren so gut gekannt hast; mustere einmal die
Schar derer, die dir früher mehr oder weniger nahe standen;
siehe, hier eine Lücke, hier wieder, dort abermals. Wie haben
sich die Reihen gelichtet! Der Tod hat an manche Pforte
geklopft, der Zahn der Zeit hat seine Beute erbarmungslos
zermalmt. Vergänglichkeit!
48 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Betritt dein Fiiss nach langer Abwesenheit wieder die
Fluren des heimatlichen Bodens: andere Gestalten, andere
Menschen, andere Anschauungen. Die du in der Fülle der
Manneskraft gesehen, sind vom Alter gebeugt; du vermisst
viele und fragst nach ihnen; stumm weist man dort nach
jenem stillen Hügel, wo weisse Kreuze schimmern — —
Ja, was ist der Mensch, „der flüchtige Sohn der Stunde"?!
Durch die Geburt ist sein Leben dem Tode verfallen; während
des Lebensprozesses sterben beständig Teile seines Körpers
und neue entstehen, und einmal, sei es heute, sei es morgen,
sei es in einigen Jahren, schlägt die Stunde, da der Leib in
Staub zerfällt. Was bist du, o Erdensohn, in der eisernen
Hand der Vergänglichkeit? Ein fallender Stein, eine winzige
Kugel, eine geringe Menge giftiger Substanz genügt, um
deine Lippen für immer zu schliessen. Und wenn der Kör-
per nach dem Tode sich in seine Bestandteile zersetzt, er-
blüht aus den berstenden Trümmern der Ruine neues Leben,
und in dem Grabes-Moder der Verwesung feiern Myriaden
winziger Geschöpfe ihr Auferstehungs-Fest.
Das Innen-Leben des Menschen gleicht einem rinnenden
Strom; da ist nichts Beständiges; auch hier waltet der
Wechsel. Wie rasch folgen sich da Vorstellungen, Gedanken,
Wünsche der verschiedensten Art, und sogar das scheinbar
verharrende „Ich" ist nicht-dauernd; krankhafte Zustände des
Gehirns können es trüben oder spalten, und das „Ich" des
jauchzenden, in Illusionen schwelgenden Kindes ist ein an-
deres, als das des ernsten, erfahrenen Greises, der am Ziele
seiner irdischen Laufbahn angelangt ist. Auch diese Formen
deines Innen-Lebens werden wie Blätter im Herbstwinde vom
Tode verweht werden, aber die Wirkungen ihres Schaffens
werden der fruchtbare Boden für neue Erscheinungen sein.
„Alle Dinge sind dem Wechsel unterworfen." — Ver-
gänglichkeit ist die Natur der Welt; Geburt und Tod sind die
beiden Genien, welche seit ewigen Zeiten die Fackel des
Lebens entzünden und wieder löschen. Die Welt ist ein ewig
wogendes Meer ohne Ruhe; ein Kreislauf ohne Anfang, ohne
Ende; ein nie aufhörendes Werden; ein endloses Entstehen
und Vergehen; ein bunt-schillerndes Kaleidoskop, welches be-
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 49
ständig wechselnde Gestalten dir zeigt; ein unergründlich-
dunkler Schoss, der seit Ewigkeiten gebiert und das Geborene
wiederum in sich zurückzieht. Gar kurz ist das Dasein einer
einzelnen Lebensform, aber Leben reiht sich an Leben, wie die
Glieder einer Kette — ohne Beginn, ohne Aufhören, ein ewiger
Strom:
„Ein kleiner Ring
Begrenzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd
An ihres Daseins
Unendliche Kette." —
Freund, was suchst du das ewige Leben jenseits des
Grabes? Hier, diese Welt, diese Welt ist das ewige Leben,
nur wisse, dass da, wo ewiges Leben ist, auch ewiges Sterben
herrscht. Ohne Tod kein Leben, ohne Leben kein Tod; auf
Ostern folgt ein Allerseelen, auf Allerseelen der Ostermorgen.
Und so erkenne die Wahrheit des Wortes: „Alles Ent-
standene eilt dem Verfall zu," lerne begreifen, dass in diesem
Satze der erste grosse Trost verborgen liegt, den dir der Bud-
dhismus in schweren 'Stunden beut. Wenn die Vergänglich-
keits-Idee in ihrer ganzen gewaltigen Wucht von dir ergriffen
und dauernd der Inhalt deines Gemütes geworden ist, dann
kommt der grosse Friede der Ergebung in dein sieches Herz.
Dann zitterst du nicht mehr unter den Schlägen des Schick-
sals; dann jammerst du nicht über verlorene Güter; dann fürch-
test du den Tod nicht länger; dann wirst du nicht mehr in
dunkler Verzweiflung händeringend dem Schicksal fluchen, wenn
die schwarzen Erdschollen dumpf niederfallen auf die Bretter,
die dir dein Liebstes auf Erden für immer entreissen. Dann
wirst du sagen: „Alles Entstandene eilt dem Verfall zu, alle
Menschen müssen diesen Weg gehen, auch ich, auch du; ich
stehe nicht allein im Leiden, alle Wesen sind dem Wechsel
unterworfen; Myriaden sind vorangegangen, Myriaden werden
folgen; wie wäre es da möglich, dass dieser von mir geliebte
Gegenstand der Vergänglichkeit nicht unterworfen sein sollte?!"
Du verstehst nun, dass die letztere die Natur der Welt ist, dass
ihre Herrschaft sich über alle Gebiete des Universums erstreckt,
4
50 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
in der Pflanzenwelt, im Tierreich, in der Menschen-Rasse, im
Reiche der nicht-organisierten Materie. Mögiicii, dass es irgend-
wo noch ganz anders geartete Wesen gibt: Selige Geister,
Götter, Dämonen; mag sein, aber auch sie sind dem ewigen
Weltgesetz unterworfen, und auch ein Götter-Dasein schwindet
dahin, selbst wenn es dem Ansturm von Billionen Jahren Trotz
bieten sollte; auch ein himmlisches Leben eilt seinem Verfall
entgegen. „Alle Dinge sind dem Wechsel unterworfen." —
So hat der Buddha, indem er von dem Vergänglichkeits-
Gedanken ausgeht, mit nichten auf Sand gebaut; vielmehr er-
hebt sich sein stolzes Gebäude auf dem denkbar festesten
Felsengrunde. Warum? Nun eben, weil die Vergänglichkeit
eine unbestreitbare, evidente Tatsache darstellt, und weil —
ein scheinbarer Widerspruch — in der gesamten Welt über-
haupt nichts dauernd ist ausser dem Wechsel. Der Wechsel
bestand, ehe unser Sonnensystem Lebewesen gebar; der Wechsel
wird ebenso herrschen, wenn das organische Leben auf un-
serem Planeten einst erloschen sein wird. Der Buddhismus
knüpft also an kein historisches Ereignis an, an keine ge-
schichtliche Begebenheit, an keinen Mythus, an keinen Köhler-
glauben, an keine vage Voraussetzung; sondern er ist gegründet
auf die ewige Wahrheit selbst, und die Wahrheit über diese
Welt ist: Vergänglichkeit. Denn mögen die Dinge wirklich so
sein, wie wir sie wahrnehmen, oder mögen sie anders sein,
oder mögen sie ein leeres Phantom vorstellen: Gleichviel — wo
immer Dinge, Wesen, Formen von uns wahrgenommen werden,
da befinden sie sich stets im Zustande der Veränderung, sind
stets dem Wechsel, der Vergänglichkeit unterworfen. Dieses
erste grundlegende Prinzip der Vergänglichkeit wird in der Lehre
des Buddha Anicca genannt.
Aus der Vergänglichkeits-Idee ergeben sich eine Reihe
wichtiger Folgerungen. Wenn die Welt in allen ihren Erschei-
nungen einen ewig rinnenden Strom, ein anfangloses, endloses
Werden darstellt, wenn kein Ding, kein Körper, kein Etwas
innerhalb ihrer vorhanden ist, von dem man sagen könnte, dass
es dauernd, wechsellos, unveränderlich wäre, — so folgt daraus,
dass auch der Mensch als Erscheinungsform im Universum
kein verharrendes Prinzip besitzt. Der Mensch gleicht dem
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 51
Schaume auf der Wasserfläche, der, kaum entstanden, wieder
zerfliesst, oder der leichten Federwolke am Firmament, welche
sich bildet und gar bald in ein luftiges Nichts zerrinnt.
Der Körper ist in beständigem Wechsel begriffen, die seelischen
Eigenschaften befinden sich in einem fortwährenden Fliessen;
da ist nichts Verharrendes; aber aus dem Zusammenwirken
dieser wechselnden Qualitäten entsteht die Illusion eines dau-
ernden »Ich«, welches sich eine buntschillernde, tausendgestal-
tige Welt konstruiert und sich in der Täuschung wiegt, als ein
dauerndes, bleibendes »Selbst« der übrigen Welt gegenüber zu
stehen. Weder der Körper ist das Selbst, noch können Vor-
stellen, Gefühl, Begehren das Selbst genannt werden.
Das Abendland hat seit Jahrtausenden diesen trügerischen
Selbst-Gedanken kultiviert und durch die Lehre von der Un-
sterblichkeit des »Ich« eine Apotheose der illusorischen Ego-Idee
geschaffen. Wo ist das Ich, das Ego, das Selbst? Der Körper
ist es nicht; Vorstellen ist es nicht; Gefühl ist es nicht; Be-
gehren ist es nicht; dieses sind die konstituierenden Bestandteile
des Menschen. Der letztere, ein Komplex verschiedener Qualitäten,
besitzt nichts, was man ein dem Wechsel nicht unterworfenes
Selbst nennen könnte. So stellt sich der Mensch im Lichte
der Vergänglichkeits-Lehre dar als Anattä, d. h. als Nicht-
Selbst, Nicht-Ich, Nicht-Individualität. Die Vorstellung
eines unsterblichen, wechsellosen Ich im Menschen ist eine
Täuschung; ausser der vorstellenden, fühlenden, strebenden, aber
dem Wechsel unterworfenen Seele ist innerhalb des in die Er-
scheinung tretenden Menschen kein getrenntes, mit dauerndem
Selbst-Bewusstsein begabtes Seelenwesen vorhanden. In der
Welt gibt es keine Ausnahme-Gesetze.
Hier zeigt sich uns der Buddhismus abermals als Vernich-
ter — nicht der Wahrheit, sondern eines alt-angeerbten Wahnes,
ja, des grössten, verhängnisvollsten Irrwahnes überhaupt, der
das menschliche Gemüt gleich einem Alp drückt. Aus dieser
verhängnisvollen Ich^Illusion und Selbst-Täuschung entspriesst
ja alle Begierde, aller Mass, aller Irrtum, alles Leiden, und noch
in der Todesstunde quält sich der arme gehetzte Erdensohn
ab in den bangen Gedanken: „Wird dieses mein teures Ich
weiterleben? Wenn ja, wird es dann die ewigen Qualen hölli-
4*
52 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
scher Verdammnis erdulden müssen? Wenn nein, acli, dann
ist ja für immer dahin, was mir auf dieser Erde das Liebste
war, — mein Ich!" Aber der Buddha spricht: „Mein Freund,
wenn du die Ruhe und den Frieden wahrer Weisheit erringen
willst, dann gib bei Zeiten diese grösste aller Täuschungen
auf, diesen Selbst-Gedanken, diese schwerste der Fesseln; das
von dir Aufgegebene wird dir zum Wohle, zum Heile, zur
Glückseligkeit gereichen."
Anicca! Anattä! Nicht-dauernd, Nicht-Selbst! Das sind
die beiden ersten grundlegenden Eigenschaften des Menschen,
der Welt und aller Dinge. —
Wir gehen weiter, indem wir die Frage stellen: „Welche
Folgerung ergibt sich aus derVergänglichkeits- und Nicht-Selbst-
Idee für mich als empfindendes, fühlendes, denkendes Wesen?"
Die Anwort liegt auf der Hand. Wo nichts von Dauer, nichts
von Bestand ist, wo Vergänglichkeit, Wesenlosigkeit und Wechsel
herrschen, da gibt es keine wahre Ruhe, keinen wahren Frieden,
keine wahre Glückseligkeit. Mit anderen Worten: Alles Dasein,
alles Leben ist seiner wahren Natur nach keineswegs Glück,
Wonne, sondern ein Leiden (Dukkha). Jedes Ding ist schon
durch sein Entstehen dem Verfall preisgegeben, und ein jedes
Geschöpf schon durch die Geburt mit dem Mal des Todes
gezeichnet: „Alles, was entsteht, ist wert, dass es zu Grunde
geht." Das ist die wohlbekannte, oft so verschrieene und ver-
ketzerte buddhistische Lehre vom Leiden, genannt die erste er-
habene Wahrheit (Dukkha); dieselbe ergibt sich folgerichtig aus
Anicca und Anattä.
Mit aller Schärfe muss hier folgendes betont werden :
Dieser vom Buddha aufgestellte Satz »alles Dasein ist Leiden«
ist keineswegs das Erzeugnis einer weltschmerzlichen, sentimen-
talen Gemütsstimmung oder der Ausdruck eines verzweifelnden,
verbitterten Pessimismus, sondern vielmehr eine durch nüch-
terne Schlussfolgerung und objektiv-kühle Beobach-
tung erkannte und durch die Erfahrung bestätigte
Tatsache und Wahrheit. Das vom Buddhismus gepredigte
Daseins-Leiden ist also in erster Linie Sache der Erkenntnis, und
dass die letztere sich wirklich als eine Folgerung aus dem Vergäng-
r
No. I 11. 2. DER BUDDHIST. SS
lichkeits-Gedanken ableitet, erhellt zur Genüge aus jenem be-
rühmten alten Wort im Majjhima Nikäya:
„Sieh' hin, o Weiser, auf dieses Sein:
Entstehn-Vergehen ist seine Pein."
Das Weh der Geburt und das Röcheln des Sterbens sind
die beiden das Leben begrenzenden Repräsentanten des grossen
Leidens, und die dazwischen liegenden Stationen sind Krank-
heit, Verfall, Kummer, unerfüllte Wünsche, verwelkte Hoffnungen,
Verein mit Widerwärtigem, Trennung von Angenehmem.
„Das ist ja der krasseste Pessimismus!" wird hier mancher
Leser entsetzt ausrufen. Gemach, mein Freund, wir sind noch
nicht am Ende unserer Betrachtungen angelangt. Das scheinbar
unheilvolle Dreigestirn Anicca-Anattä-Dukkha wird bei näherer
Betrachtung eine glückverheissende Konstellation. Die Vergäng-
lichkeits-Idee mit ihren beiden Folgerungen ist nur das Funda-
ment, auf dem die Religion des Buddha sich erhebt; sie bildet
nur den Untergrund für die Ethik einerseits und den Erlö-
sungs-Gedanken andererseits.
Wer den Satz »alles Dasein ist Leiden« in sein Inneres
aufgenommen und die Wahrheit vom Nicht-Selbst fest ergriffen
hat, indem entsteht Sympathie und Mitleid mit allen Wesen.
Die Schranke des »Ich«, welche sich bis dahin trennend
zwischen dem Menschen und der übrigen Welt erhob, ist ge-
fallen; der Mensch erkennt jetzt das »Ego«, das ihn als ein
gesondertes Wesen gleichsam aus dem Universum heraushob,
als illusorisch; im Spiegel der Anattä-Lehre schaut er nunmehr
nichts anderes, als ein universelles Weben und Wogen, in wel-
chem unzählige Gestalten auftauchen und verschwinden, ein un-
ermessliches Meer, in dem Woge sich an Woge reiht. Er
selbst ist eine dieser Wellen; wo fing sie an, wo hört sie auf?
Diese kleine Welle ist nicht abgesondert von der übrigen Flut,
von den anderen Wogen; sie waHt dahin mit ihren Schwestern
im Weltentanz. Und in demselben Masse, wie die Erkenntnis
von Anicca-Anattä-Dukkha zunimmt, wächst die Einsicht, dass
alle Wesen Gefährten, Leidensgenossen, dasselbe Geschick
tragende Formen sind, in denen das eine ewige Leben pulsiert.
Alle die lieben Wesen, gute und böse, sie kommen und gehen
54 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
in diesem Weltstrome, wie ich; sie sind dem Wechsel unter-
worfen, wie ich; sie leiden, wie ich. Auf Grund dieser Er-
kenntnis kann ich keinem Hass, keinem Groll, keiner Missgunst
gegen irgend eine Kreatur Raum geben. Hier gibt es kein
innerliches Getrenntsein mehr, sondern nur ein Solidaritäts-
Bewusstsein; kein Hassen, sondern nur tiefe Sympathie; kein
Übelwollen, sondern nur herzliches Erbarmen und reines, selbst-
loses Mitleid. Aus dieser Einsicht in die gleiche Natur aller
Geschöpfe heraus konnte das alte Wort im Sutta Nipäta ge-
sprochen werden:
„Wie ich bin, so sind diese Wesen,
Wie diese, so bin ich.
Sich selbst in anderen erkennend
Töte man nicht noch veranlasse Qual."
Die buddhistische Ethik gründet sich also auf Sympathie
und Mitleid, und diese wiederum ergeben sich mit Notwendig-
keit aus dem Ergreifen der Vergänglichkeits-Idee und ihren
beiden Folgerungen Nicht-Selbst und Leiden; diese Ethik ist
in ihrem Wesen autonom, nicht heteronom; sie ist selbstlos,
universell, nicht egoistisch und individuell. Sie gliedert sich
dreifach und achtfach. Das erste Erfordernis ist Weisheit;
dieselbe resultiert 1. aus der rechten Einsicht in die wahre
Natur des Menschen, der Welt und aller Dinge, 2. aus der
durch diese Einsicht erzeugten rechten Gesinnung der Sym-
pathie und des Mitleids. Als zweites Glied reiht sich daran
die Tugendpflege; dieselbe zielt darauf ab, alles das zu
unterlassen, was für irgend ein Geschöpf Leid bedeutet und
alles das zu tun, was lebenden Wesen zum Wohle und Heile
gereicht. Aus der rechten Gesinnung wächst 3. rechte Rede-
weise, 4. rechtes Handeln, 5. rechte Lebensführung.
Endlich drittens wird die Gemütsvertiefung auf dem Wege
der Meditation nicht zu vernachlässigen sein; dadurch wird
das Innere Schritt für Schritt von den Schlacken der Unrein-
heit geläutert, Vorurteile fallen und die Einsicht wächst. Zur
Meditation gehört 6. rechte Anstrengung, 7. rechte Be-
trachtung, 8. rechte Vertiefung. —
Auf der andern Seite wird aus der Erkenntnis von Anicca-
No. 1 U.2. DER BUDDHiSt. 55
Anattä-Dukkha der Erlösungs-Gedanke geboren. Der Bud-
dha hat den letzteren einmal als den Kardinalpunkt seiner
Religion bezeichnet: „Gleichwie, ihr Jinger, das weite Welt-
meer überall nur von einem Geschmacko durchdrungen ist,
dem Geschmacke des Salzes, so ist auch diese meine Lehre
an jeder Stelle nur von einem Geschmacke durchsetzt, dem
Geschmacke der Erlösung." Der Meister betrachtet die
Anicca-Anattä-Dukkha-Idee nur als ein Mittel, um die Erlösungs-
sehnsucht zu wecken; deshalb kann, ja muss er fortfahren,
nachdem er auf die Vergänglichkeit verwiesen: „Arbeitet an
eurer Erlösung ohne Unterlass!" Und in der Tat: Wer den
Satz »alles Dasein ist Leiden« in seinem Innern erfasst
hat, in dem regt sich der eine heisse Wunsch, die eine grosse
Sehnsucht: Erlösung vom Leiden!
Erlösung vom Leiden! Hier erweist sich der Buddhismus
als eminent praktisch. Sein nächstes Ziel ist darauf gerichtet,
schon in diesem Leben die Möglichkeit der Erlösung zu
schaffen; die Frage: quidnam post mortem? ist von unterge-
ordneter Bedeutung. Es handelt sich also in erster Linie da-
rum, in diesem Leben hier Ruhe zu finden im Getriebe der
Welt, schon in diesem Leben unterzutauchen in die stille,
kühlende Flut des inneren Friedens, schon in diesem Leben
einen Gemütszustand zu erreichen, an dem Leiden und Leiden-
schaften, Unruhe und Hader, Hast und Ungewissheit zerschellen
wie die Brandung am wetterfesten Felsgestein. Der Buddha gibt
uns die Versicherung, dass ein solcher Zustand restloser Er-
lösung schon in diesem Leben erreichbar sei; sein Name ist
allbekannt: Nibbäna (Nirväna).
Man hat dieses Erlösungsbedürfnis im Sinne des Buddhis-
mus oft inferior genannt im Vergleich zu der christlichen Er-
lösungs-Idee, man hat pathetisch gesagt: „Ein kummerbeladenes
Herz, das darnach ringt, von der Sünde loszukommen, ist un-
endlich viel mehr wert, als ein Gemüt, das dem Leiden zu
entgehen sucht." Das stimmt nicht; insofern nämlich, als der
ideale leidfreie Zustand des Buddhismus, das Nibbäna, zugleich
Leidenschaftslosigkeit, Sündlosigkeit in sich schliesst, woraus
hervorgeht, dass der buddhistische Erlösungsgedanke tatsächlich
viel umfassender ist, als der christliche. Er ist aber nicht nur
56 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
viel umfassender, sondern viel natürliclier, viel ursprünglicher,
viel universeller, viel primärer. Die Erlösungs-Sehnsucht im
Sinne des Buddhismus geht wie ein universeller Wehruf durch
die gesamte empfindende Welt; bewusst tritt sie auf und
nimmt feste Form an im Menschen; instinktiv aber durchbebt
sie auch die stumme, traumbewusste Kreatur, „die sich sehnet
mit uns, und ängstet noch immerdar" (Römer VllI, 22). Die
allgemeine, universelle, nicht niederzukämpfende Erlösungssehn-
sucht richtet sich in erster Linie zweifellos auf das: Los von
der Vergänglichkeit, los vom Leiden! und nicht auf das: Los
von der Stinde! Warum sträubt sich dem Tiere vor Grauen
und Entsetzen das Haar, wenn es einen toten oder kranken
Leidensgefährten erblickt? Warum erstirbt selbst in dem aus-
gelassensten Taumel der Freude auch das leiseste Lächeln, so-
bald des Todes Majestät an die Pforte klopft? Warum das
plötzliche ängstliche Betretensein und der ernste Blick, wenn
mitten im bunten Getriebe der Grossstadt die Klänge eines
Trauermarsches hörbar werden oder der Krankenwagen ge-
räuschlos die Strassen durcheilt? — Weil die Wesen den Ver-
gänglichkeits- und Leidens-Gedanken nicht klar ins Auge zu
fassen wagen, weil sie dieser Tatsache auszuweichen suchen
und sich in dem momentanen trügerischen Glücke sonnen,
gleich als müsste es ewig währen, — gerade deshalb das Ent-
setzen, wenn ihnen ganz plötzlich und unerwartet die Vergäng-
lichkeits- und Leidens-Wahrheit sichtbar wird, wie der zuckende,
grelle Wetterstrahl in dunkler Nacht.
Der Buddha kennt ein Heilmittel gegen das grosse Siech-
tum der seufzenden Kreatur, und die Genesung ist Nibbäna,
der in diesem Leben erreichbare leidfreie, leidenschaftslose,
sündenbefreite, friedvolle Zustand des Heiligen. Wie wird
Nibbäna erreicht?
Mit der heiteren, abgeklärten Ruhe des Weisen blickt der
Leidüberwinder in diese Leidenswelt. Alles im Universum hat
seinen zureichenden Grund, also auch das Leiden des Lebens.
Wie, wenn ich die Ursache des Leidens fände? Wie, wenn
ich diese Ursache aufhöbe, vernichtete, ausrodete? Dann wäre
auch dem Leiden ein Ende bereitet.
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 57
Als die nächste Ursache des Leidens nennt der Buddhis-
mus die Tanhä, ein Begriff, der in seinem ganzen Umfange
im Deutschen kaum durch ein Wort widergegeben werden
i<ann. Tanhä ist der Durst nach Dasein, das Verlangen nach
individueller Glückseligkeit, das Begehren nach Lust; da sein
wollen, gieren, für sich haben wollen. Genüge haben wollen, die
Leidenschaften des Selbst befriedigen wollen. Diese Gier entfacht
die wilde Jagd nach Glück, das ruhelose Hasten und Treiben, um
Reichtum, Ansehen, Macht zu erlangen; sie bewirkt das Nieder-
treten und Schädigen anderer, das Verlangen nach mehr, Hab-
sucht, Geiz, Missgunst, Schamlosigkeit, Eifersucht, Streit, Zorn,
Rachsucht, Unzufriedenheit, Wut: Siehe da, die Fülle des Leidens!
Mit unermüdlichem Eifer schärft der Buddha seinen Jüngern
als Quintessenz aller Lebensweisheit ein, von dieser verhäng-
nisvollen Tanhä, der leiderzeugenden Gier, abzulassen. Wer
nicht begehrt, wer bedürfnislos, wunschfrei ist, dem drohen
keine Enttäuschungen, der lebt glücklich in dieser Welt, unbe-
rührt von dem wilden Getriebe des Daseins, ohne Missgunst,
ohne Zorn, ohne Sorge, ohne Gram, ohne Schädigung anderer.
Nibbäna bedeutet wörtlich Verlöschen; das bezieht sich auf
das Verlöschen der Tanhä, jener Gier, welche heiss lodernd
die Menschheit nimmer zur Ruhe kommen lässt, bei dem
Weisen dagegen wie die Flamme auf einer öllosen Lampe er-
lischt. Das ist der gesegnete Zustand, Nibbäna genannt: ein
ruhiges, leidfreies, gicrloses, hassentwundenes, reines, untadel-
haftes, heiteres Gemüt voller Frieden:
„0 wie so glücklich leben wir
Hasslos unter Gehässigen!
In dieser hasserfüllten Welt
Verweilen hasserlöset wir.
„O wie so glücklich leben wir
Heil unter den Unheilbaren!
In dieser heilverlornen Welt
Verweilen heilgesundet wir.
„O wie so glücklich leben wir
Gierlos unter den Gierigen !
In dieser gierverzehrten Welt
Verweilen giergesundet wir.
58 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
„Wutlos in dieser Wütensweit —
Wehrlos in dieser Waffenwelt —
Wunschlos in dieser Wunscheswelt:
Den heiss' ich einen Heiligen". ^)
Es erhebt sich nunmehr die Frage: Weiches ist die Ursache
der Tanhä? Wodurch kann ich diese Gier überwinden? Der
Buddha weist wiederum auf den Vergänglichkeits-Gedanken
hin und spricht: „Das Nicht-Wissen (Avijjä) von jenen drei
Eigenschaften der Welt ist die letzte Ursache der Tanhä.'' In
der Laiita Vistarä heisst es:
, Betrachtung über .Anicca — ein lichtes Tor der
Wahrheit — führt zum Überwinden der Gier nach Lust, Gestalte-
tem oder Nicht-Gestaltctem. Betrachtung über Dukkha —
ein lichtes Tor der Wahrheit — führt zu gänzlicher Aufhebung
des Verlangens. Betrachtung über Anattä — ein lichtes
Tor der Wahrheit — führt zur Nichthingabe an das eigene
Selbst." Mit anderen Worten: Durch die Erkenntnis der Ver-
gänglichkeits-Wahrheit erlischt das Gieren nach Dingen, deren
kurze Dauer man sich vor Augen stellt. Durch die Einsicht
in den Nicht-Selbst-Gedanken schwindet das Verlangen, das
Selbst, welches man als Illusion erkennt, durch Lust sättigen
zu wollen und an dieser Täuschung zu haften. Endlich das
Ergreifen des Satzes vom Leiden tilgt das Verlangen nach
dauernder individueller Glückseligkeit mit ihren Folgeer-
scheinungen, da man zu der Einsicht gekommen ist, dass eine
solche schlechterdings niemals erlangt werden kann. So erkennt
der Weise wohl die Vergänglichkeit; aber dieselbe berührt ihn
nicht, da er weiss, dass das Selbst, vor dessen Vernichtung
im Tode der Tor zittert, eine Illusion ist; er erkennt wohl das
Leiden, aber es ist nicht mehr sein Leiden; er erkennt die
Wahrheit vom Nicht-Selbst, und sein scheinbares Ich analy-
sierend kommt er zu der seligen Gewissheit, dass in demselben
Masse, wie das Haften am Selbst schwindet, das Leiden, unter
dem dieses vorgetäuschte Ich solange seufzte, mehr und mehr
abgleitet.
') Dhammapada, K. E. Nciimanns Übersetzung.
i
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 59
Wie wunderbar doch ist diese Religion des Wissens! Das
scheinbar unheilvolle Anicca-Dukkha-Anattä wird dem Betrach-
tenden der grössle Segen, und aus der Vergänglichkeit erblüht
die Blume des seligen Friedens. Aus der Auflösung dieser
dreifachen Idee entspringt hier der Zweiklang Sympathie —
Mitleid als Basis für die Ethik; dort das Erlösungs-Bedürfnis
mit der Überwindung der Gier und Unwissenheit. Beide Fak-
toren nun: Ethik und Erlösung stehen in steter Wechselbeziehung;
beide sind aufeinander angewiesen, und aus ihrer innigen Um-
armung wird Nibbäna geboren, das Ziel des Buddhismus, der
Zustand des Erlösten noch in diesem Leben. —
Wir wären eigentlich am Ende unserer Betrachtungen
angelangt. Aber der eine oder der andere Leser wird zaghaft
fragen: Ja, der Buddhismus führt wohl zu einem Zustande des
Friedens hier auf Erden; aber was wird nun aus dem Erlösten
nach seinem Ableben? Existiert er weiter? Wird er vernichtet?
Der Buddha ist der Beantwortung dieser Frage absichtlich aus-
gewichen. Und das mit Recht. Seine Religion ist in erster
Linie praktisch; was nützt es dir, du Tor, das grössere von
zwei Rätseln lösen zu wollen, wenn du das kleinere noch nicht
einmal lösen kannst? Siehe zu, dass du bald in diesem Leben
an das ersehnte Ziel gelangst; was dann wird, lass jetzt deine
Sorge nicht sein.
Es wird uns indessen gestattet sein, diese dunkle Frage
hier wenigstens zu streifen. Wenn der Buddhismus, soweit
er die praktischen Fragen dieses Lebens behandelt, einem
kunstvollen Gemälde gleicht, auf dem die Gestalten sich lebens-
wahr, plastisch abheben und harmonisch zu einem Ganzen
zusammenschliessen, so ist der jenseits des Todes liegende
Zustand des Erlösten wie der dunkle, neblige Hintergrund
dieses Gemäldes. Bei scharfem Hinblicken scheint es mit-
unter, als tauchten aus diesem Nebel die Umrisse von einem
Etwas auf — nur für einen Augenblick — undeutlich, viel-
leicht Täuschung, vielleicht nicht, dann wieder das alte, dunkle
Ungewisse. Der Buddha hat diesen Schleier niemals klar
gelüftet; er hat wohl daran getan; denn wie könnte das Un-
endliche von der beschränkten Form begriffen werden?! Nur
60 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
eins hat uns der Meister mit Bestimmtheit versichert, dass
dieses jenseitige Nibbäna nicht absolute Vernichtung ist.
Um mich verständlich zu machen, möge mir der Leser
gestatten, dieses grosse Problem von einer anderen Seite zu
beleuchten. Der buddhistische Künstler schaut die Welt als
ewiges Werden; dieses ewige Werden steht im Zeichen der
Kausalität, ist selbst Kausalität; die letztere ist der Ausdruck
des immanenten Weltgesetzes. So sind alle Formen, die im
universalen Lebensstrome auftauchen, kausal bedingt; sie
gehen auf früheres zurück und sind wiederum die Ursache
für spätere Erscheinungen. Im Lichte der Anattä-Lehre zer-
fliesst die Illusion des Ich und mit ihr der Gedanke eines
getrennten Seelenwesens, welches von Geburt zu Tod und
von Sterben zum Wiedergeboren-werden „wandert". Lebens-
form reiht sich an Lebensform wie ein Kettenglied an das
andere; sie sind mit einander kausal verknüpft, ohne dass
ein bleibendes Ego die verbindende Brücke schlüge. Als die
Ursache dieser zahllosen Lebensprozesse ist wiederum Tanhü
zu betrachten, der universelle Lebenswille. „Es besteht die
Möglichkeit, ja man darf wohl sagen Wahrscheinlichkeit, dass
jeder individuelle Lebensprozess in dem universalen Lebens-
willen einen gewissen Totaleindruck zurücklasse, der auf die
Richtung oder den Charakter eines neuen Aktes der Indivi-
duation bestimmend einwirke".*) Diese Vorstellung gibt den
Buddhisten das Recht von einer Wiedergeburt, von einer
Neu-Individuation zu sprechen, während sie den Glauben
an eine Wiederverkörperung — welche doch ein konstan-
tes Etwas, das sich wiederverkörpert, voraussetzt, — ablehnen
müssen. Tanhä also erzeugt Individuen, Dasein, Täuschung,
Leiden; durch die Vernichtung der Tanhä wird folglich eine
neue Individuation, neues Dasein, neue Täuschung, neues
Leiden beseitigt; eine neue Geburt und neues Sterben tritt
nicht wieder ein. Was nun? Was wird nun aus dem Erlösten,
wenn er ausschaltet aus dem ewigen Strom, wenn er versinkt in
die Flut tiefer Ruhe? Nibbäna! Verlöschen! Verlöschen des indi-
viduellen Daseins? Wie furchtbar! Warum denn? Doch nur des-
') Th. Schultze: Die Religion der Zukunft. 3. Aufl., II. Teil S. 161.
No. 1 u. 2. DER BUDDHIST. 61
halb furchtbar, weil du an jeden Begriff des Seins notwendig den
Begriff des individuellen Daseins als Massstab anlegst. Törichtes
Menschenherz! Willst du dich wirklich zu der kühnen Be-
hauptung versteigen, dass es nicht jenseits alles Daseins,
himmlischen sowohl wie irdischen, noch ein etwas anderes,
für dich ganz unbegreifbares, mit Worten nicht zu beschrei-
bendes grosses Unbekanntes geben könnte?!
Still lächelnd blickt der Buddha in diese Leidenswelt und
spricht: „Es gibt, ihr Brüder, eine Stätte, wo weder Erde noch
Wasser, weder Feuer noch Luft vorhanden ist; es ist dort
weder der unermessliche Äther, noch die Unbegrenztheit der
Gedanken, weder der weite Raum, noch das gleichzeitige
Vorhandensein von Erkenntnis und Nicht-Erkenntnis; weder
diese Welt noch eine andere Welt, weder Sonne noch Mond.
Dieses, ihr Brüder, erkläre ich euch als weder ein Werden,
noch ein Vergehen, weder Leben noch Sterben, noch Wieder-
geboren-werden, unräumlich, unveränderlich, ursachlos. Das
ist das Ende des Leidens. Es gibt, ihr Brüder, ein Unge-
borenes, Unentstandenes, nicht Gewordenes, nicht Gestaltetes.
Gäbe es dies nicht, so würde auch kein Entrinnen möglich
sein aus der Welt des Gewordenen, Entstandenen, Gestalteten". ')
Freund, beginnt es dir nun allmählich aufzuleuchten?
Diese Welt des Werdens ist Anicca-Dukkha-Anattä, d. h. Ver-
gänglichkeit, Leiden, Nicht-Selbst. So ist also jene Stätte,
von welcher der Meister hier spricht, von dieser Welt grund-
verschieden, von ihr durch eine unendliche Kluft getrennt,
ihr gerades Gegenteil, nämlich: Nicca-Adukkha-Attä, d. h.
Dauer, Nicht-Leid, Selbst. In dieser Welt der Vergänglichkeit
ist nirgends ein bleibendes »Selbst« zu finden; daher ruft
der Meister seinen Jüngern zu: Der Körper, die Empfindung,
das Gefühl, das Begehren ist nicht euer Selbst, gehört euch
nicht an. Was euch nicht angehört, das gebt auf; das von
euch Aufgegebene wird euch zum Heile, zur Glückseligkeit
gereichen !
Buddha bedeutet der Erwachte. Das Leben ist ein Traum;
die Wesen träumen von einem Selbst; sie klammern sich
■) Udäna. '
I
62 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
an dieses Selbs, sie zittern vor seiner Vernichtung. Erwachet!
Erwachet! ruft der Meister; versucht vom Traume loszukoinnien,
diesen schweren Alp des Leidens abzuwälzen! Das Selbst in
eurem Traum ist eine Täuschung; in der Welt des Wechsels
gibt es keine bleibende Stätte.
Vor dem Auge des Buddha versinkt diese Leidens-Welt
der Vergänglichkeit als ein Schein; er schaut das Unsag-
bare, Unbegreifliche, und aus diesem Schauen heraus strahlt
„jene tiefe Ruhe, unerschütterliche Zuversicht und Heiterkeit,
deren blosser Abglanz im Antlitz ein ganzes und sicheres
Evangelium ist."
Das ist die letzte Perspektive, die uns der Buddhismus
eröffnet; das ist der ewige Friede, der jenseits alles Lebens
liegt. Jenseits alles Lebens? Ja, jenseits alles dessen, was du
Leben nennst, aber auch jenseits alles Sterbens. Jetzt verstehen
wir, was der Buddha meint, wenn er triumphierend verkündet:
„Tuet auf euer Ohr, die Unsterblichkeit ist gefunden!" Un-
sterblichkeit freilich in einem ganz anderen, weiteren Sinne
als ein ewiges Leben in einer Himmelswelt.
Es ist Vermessenheit, ergründen zu wollen, was dieses
letzte Ziel, dieses Un,;^-eborene, Nicht-Entstandene, Nicht-Ge-
staltete ist. Unser Verstand begreift nur die Welt der Form.
Für den „Entschwundenen" aber gibt es keine Form mehr,
und wo alle Formen abgeschnitten sind, da sind auch alle
Fragen und Antworten abgeschnitten. Einst wird auch für
uns der schwere, letzte Traum ausgeträumt sein, und dann
kommt das grosse Erwachen. — —
Mag das letzte Unnennbare sein, was es will; eins können
wir sagen: es ist nicht Unruhe, sondern Friede. Friede im
Gegensatz zu dem Wirbel der Welt, dem Leiden des Daseins,
der Unruhe der Seele. Ruhe und Friede aber ist die einzige
Sehnsucht für den, der den Wechsel der Welt erkannt hat.
So wird die Vergänglichkeits-Lehre zu einem Evangelium der
Freiheit, ja der stolzesten, höchsten Freiheit, die jemals auf
unserem Planeten verkündet wurde, zu einer frohen Botschaft
des Friedens. Sie öffnet unser Auge, sie vertreibt die be-
ängstigenden Schatten der Irrtums-Nacht, sie führt in unserem
Gemüt das Frührot des geistigen Erwachens herauf und lässt
No. lu. 2, DER BUDDHIST. 63
in uns eine leise, immer lichter werdende Ahnung aufdämmern
von jener stillen, tiefen Ruhe, von jenem grossen, seligen
Frieden, der jenseits des schweren Weltentraumes liegt.
„Wie kurz ist aller Erdendinge Sein!
Sie müssen wachsen und darauf vergehen,
Sie kommen und sie schwinden wieder hin,
Im Frieden nur winkt wahre Seligkeit." —
^ Lieder des Lebens.'^ ^
Von Wolfgang Bohn.
Ende einer Leidenschaft.
Es wallte, als wir auf erhitzten Sotilcn
In lieisser Sommernacht empor geklettert,
Im Krater rote Gischt, nun ausgewettert
Die Flamme in dem tiefen Schacht der Kohlen ;
Die Stickluft drückt, kaum dass wir Atem holen.
Die dürren Sträucher hat der Wind zcrschicttcrl,
In Lüften krächzt ein Schwärm heimloser Dohlen.
Am Horizonte steigt die frühe Sonne
Ein Qlutball, drohend, dunkclviolett
Empor aus düstrer Wolken nächtigem Bett,
Nicht Morgenkühlung grüssct uns mit Wonne.
Bald aber reckt sich aus ein lichter Arm,
Aus Finsternis wird heller Glanz geboren.
Es stiebt der schwarze, violette Schwärm.
Ein weiches Wehen raunt in unsre Ohren,
Das Flüstern schwillt zum brausenden Alarm. —
Dein Bild, Siddhattha-), hab' ich oft betrachtet.
Das über sturmgepeitschter Lebensflut
Im heiligen Lotuskelche leuchtend ruht.
Dich fand ich, wenn das Leid mich ganz umnaclitet,
Im Wirbel heisser Lust, im Herzenskratcr
Tobt' gestern noch das letzte IJngewittcr,
Verbrennt der Eitelkeit Theaterflitter —
Du aber sänftigst, gütig v/ie ein Vater,
Und mächtig, wie ein stolzer Sonnenrittcr,
Die Flut, Herr über Meer und Ungewilter.
') Aus: Samsar.i, eines deutschen Buddhisten Lieder des Lebens. (Er-
scheint im Herbst 1905.) ,
-) Siddhartha Gautama Sakyamuni, der Buddha.
64 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Buddha.
O sehnsuchtsvoll schau ich zu Dir, mein Meister, Du,
In blühender Lotus ruhend, Leidesüberwinder,
Komm, König Du in mitleidstiefer, sel'ger Ruh,
Ein Lehrer in das Land der hassgehetzten Kinder.
Nie gabst zum Streite Du ein einziges Gebot,
Du lehrtest Liebe, die das wirre All versöhnte,
Nie zogest Du ein Schwert, und keine Flamme loht',
Wo Deiner reichen Liebe Lehre hell ertönte.
Du wiesest nie uns bangende an einen Rächer,
Der über Wolken thront, der eines Wesens Feind;
Dem Schuldigen selbst reichtest Du des Wissens Becher,
In welchen Du des Mitleids Tränen einst geweint.
Du lehrtest, dass aus uns'res Lebens eignen Taten,
Wie aus dem Korn der Halm — Belohnung einst ersteht
Und dass, nur jedem Hasse liebend zu entratcn
Der Himmel sei, das reinste Lobgebet.
Buddha.
Es ist Winter, und der Schnee fällt,
Und meine Locken erbleichen.
Doch kann mein Blick von Dir, Du Welt,
Du Heiland der Welt, nicht weichen.
Es ist Abend, und das Dunkel legt
Seine Hand auf die Augen, die hellen --
Doch, der die Leuchte im Herzen hegt.
An dem muss die Nacht zerschellen.
Ruhig sitzt Deine stille Gestalt
Im Lotuskelche, dem reinen.
Des besten Auges Liebesgewalt
Will alle Welt überscheinen.
Du öffnest die Hand, zum Segen erhoben.
Du säest Frieden über die Welt;
Mit Harfenrauschen möcht' ich Dich loben,
O Du, mein Held!
Es ist Winter, und der Schnee fällt.
Und meine Locken erbleichen —
Bald, ich fühl es, Du Welt, Du Heiland der Welt,
Wird meine Seele Dich erreichen.
Verantwortlicher Redakteur: Karl B. Seidenstocker, Leipzig. Verlag: Buddhistischer Verlag
in Leipzig. — Druck von Arno Bachmann in Baalsdorf-Leipzig.
Japanische Buddha-Statue.
(Beilage zu S. 23 der »Buddhistischen "V/elt«.)
Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhammapada, V. 183.
Die Gründung
des Reiches der Gerechtigkeit.
SS" —
Verehrung dem Erhabenen, Heiligen, vollkommen Erwachten!
So habe ich gehört: Der Erhabene verweilte zu Benares,
in der Einsiedelei mit Namen Migadäya. Da nun redete der
Erhabene die Gesellschaft der fünf Bhikkhus*) an und sprach:
„Zwei Extreme gibt e.s, ihr Bhikkhus, denen der Mensch,
welcher die Welt aufgegeben hat, nicht folgen sollte, einerseits
die Beschäftigung mit Dingen, deren Anziehungskraft auf den
Leidenschaften und besonders auf der Sinnlichkeit beruht, —
eine niedrige, heidnische Art, Befriedigung zu suchen, unwürdig,
nutzlos und nur für weltlich Gesinnte passend; — andererseits
die Ausübung einer selbstquälerischen Askese, welche peinvoll,
unwürdig und nutzlos ist.
„Es gibt, ihr Bhikkhus, einen mittleren Pfad, der jene
beiden Extreme vermeidet, der von dem Vollendeten ") entdeckt
ist, — ein Pfad, welcher die Augen öffnet und Einsicht verleiht,
welcher zum Frieden des Gemütes führt, zur höheren Weisheit,
zur vollen Erleuchtung, zum Nibbäna.
') Bhikkhu, Mönch. Die hier angeredeten Mönche sind jene fünf
Mcndikanten, welche Gotama begleitet hatten, als er sich vor seiner Er-
leuchtung den strengsten Bussübungen unterzog.
') Tathägata, ein häufig gebrauchtes Epitheton des Buddha. Die
eigentliche Bedeutung ist noch nicht ganz klar; ganz allgemein verbreitet
ist die Übersetzung »Der Vollendete«.
66 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
„Welches ist, ihr Bhikkhus, dieser mittlere Pfad, der jene
beiden Extreme vermeidet, der von dem Vollendeten entdeckt
ist, — dieser Pfad, weicher die Augen öffnet und Einsicht ver-
leiht, welcher zum Frieden des Gemütes führt, zur höheren
Weisheit, zur vollen Erleuchtung, zum Nibbäna?
„Wahrlich, es ist dies der hohe achtfache Pfad; das will
sagen: Rechte Ansichten, rechtes Streben, rechte Rede, rechtes
Handeln, rechte Lebensführung, rechtes Kämpfen, rechtes Ge-
denken, rechte Kontemplation.
„Das also, ihr Bhikkhus, ist dieser mittlere Pfad, der jene
beiden Extreme vermeidet, der von dem Vollendeten entdeckt
ist, — dieser Pfad, welcher die Augen öffnet und Einsicht
verleiht, welcher zum Frieden des Gemütes führt, zur höheren
Weisheit, zur vollen Erleuchtung, zum Nibbäna.
„Dies nun, ihr Bhikkhus, ist die hohe, das Leiden betref-
fende Wahrheit:
„Geburt ist mit Leid behaftet, Verfall ist leidvoll, Siechtum
ist leidvoll, Tod ist leidvoll. Vereinigung mit Unerfreulichem
ist leidvoll, die Trennung von Angenehmem ist leidvoll, jedes un-
befriedigte Verlangen ist leidvoll. Kurz, die fünf Aggregate'),
welche aus dem Haften") entspringen, sind leidvoll.
„Das also, ihr Bhikkhus, ist die hohe, das Leiden betref-
fende Wahrheit.
„Dies nun, ihr Bhikkhus, ist die hohe, den Ursprung des
Leidens betreffende Wahrheit:
„Wahrlich, es ist jene Begierde''), welche die Erneuerung
des Daseins wirkt, begleitet von sinnlichem Genuss, bald hier,
bald dort Befriedigung suchend, — das will sagen die Begierde
nach Befriedigung der Leidenschaften, oder die Begierde nach
Leben'), oder die Begierde nach Macht'').
„Das also, ihr Bhikkhus, ist die hohe, den Ursprung des
Leidens betreffende Wahrheit.
') Die fünf Khandhas, aus denen der Mensch gebildet ist: Lciblich-
keit, Gefühl, Vorstellen, Strebungen, Bewusstscins-Aspekte.
-) Upädäna, das Haften an der Ausscnwelt, erzeugt die fünf Khandhas.
') Tanhä, Durst nach Dasein, Daseins-Drang, der universelle
Lebenswille.
*) Gier nach individuellem Dasein in einem anderen Leben.
^) Gier nach individuellem Dasein in diesem Leben.
No. 3. DER BUDDHIST. &7
„Dies null, ihr Bliikl<iius, ist die hohe, die Vemiciilutig des
Leidens betreffende Wahriieit:
„Wahrlich, es ist die restlose Vernichtung jener Begierde,
ihre Beseitigung, die Befreiung von ihr, ihre nicht länger
währende Duldung.
„Das also, ihr Bhikkhus, ist die hohe, die Vernichtung des
Leidens betreffende Wahrheit.
„Dies nun, ihr Bhikkhus, ist die hohe, den zur Vernichtung
des Leidens führenden Weg betreffende Wahrheit:
„Wahrlich, es ist dies der hohe, achtfache Pfad, das will
sagen: Rechte Ansichten, rechtes Streben, rechte Rede, rechtes
Handeln, rechte Lebensführung, rechtes Kämpfen, rechtes Ge-
denken, rechte Kontemplation.
„Das also, ihr Bhikkhus, ist die hohe, den zur Vernichtung
des Leidens führenden Weg betreffende Wahrheit." —
* *
Dies ist das Wesen der Lehre des Buddha, dies ist der
Dhamma, zu welchem Buddhisten ihre Zuflucht nehmen.
Diese Lehre von den vier hohen Wahrheiten und vom
hohen achtfachen Pfade wurde von dem Buddha mit der
mächtigen Grösse seiner eindrucksvollen Persönlichkeit gepredigt.
Er verwirklichte die Lehre durch seinen Wandel und erläuterte
sie durch zahlreiche Gleichnisse. Das Senfkorn seiner erha-
benen Religion ist ein starker Baum geworden, unter dessen
Zweigen ungezählte Menschenherzen den Frieden gefunden ha-
ben. —
Der Anhänger töte nicht, noch veranlasse er, dass irgend
ein lebendes Wesen getötet werde, noch billige er die Tötung
durch andere. Er versage sich das Verletzen aller Geschöpfe,
sowohl derjenigen, welche stark sind, als auch jener, welche
sich in der Welt ängstigen. Dhammika-Sutta.
Wer den Zorn, wenn er in ihm aufsteigt, wie einen schnell
dahinrollenden Wagen hemmt, den nenne ich einen Wagen-
lenker; die anderen halten nur die Zügel in der Hand.
Dhammapada.
68 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Moralität
in orientalischer Beleuchtung.
Von Rev. Dr. K. Hori.
In den Worten »Liebe Brüder« kommt die edle Lelirc des
abendländisciien Weisen zum Ausdruck; die preiswürdige An-
weisung des orientaiisclien Lehrers wird zusammengefasst in
den Satz: Sei wohlwollend und mitleidsvoll gegenüber allen
Menschen ohne Unterschied des Standes, der Nationalität und
Rasse. Die Weisen des Morgen- und Abendlandes stimmen
überein in ihren Angaben über die Quellen, aus denen die
sozialen Tugenden fliessen. Natürlich läuft soziale Tugend
mit persönlicher Tugend parallel; aber die erstere wird heute
mehr beachtet, als die letztere. Wir sehen, dass in den ver-
schiedenen Verwaltungen öffentlicher Organisationen (Dörfer,
Städte, Staaten) jeder wirklich gute und tüchtige Bürger seinen
eigenen Nutzen und Vorteil mehr oder weniger der Wohlfahrt
der Gesellschaft opfert, in welcher er lebt. Alle guten Männer
und Frauen sind für die Verbesserung sozialer Zustände ein-
getreten und haben durch ihre Bemühungen für dieselben eine
bessere Lage geschaffen, und ich bin sicher, dass man die
letztere immer günstiger gestalten und dem Ideal tatsächlich
immer näher bringen kann.
Es gibt viele Menschen, die in der Gesellschaft wegen
ihrer Opferfreudigkeit geachtet werden insofern, als sie sich
stark an sozialen Bestrebungen beteiligen; und doch haben
dieselben Menschen im Geheimen furchtbare Sünden begangen.
Andererseits werden viele Individuen, welche hinsichtlich ihrer
persönlichen Tugenden untadelhaft dastehen, von der Ge-
sellschaft unbeachtet gelassen, ja off geradezu verachtet, weil
sie unfähig sind, soziale Bestrebungen zu leiten. Diese selt-
same Erscheinung kann man gleicherweise in Asien, Europa
und Amerika beobachten. Wenn diese Ungerechtigkeiten, an-
statt abgeschafft, geduldet werden, dann werden jene geschickt
maskierten, innerlich verdorbenen Menschen fortfahren, ange-
sehene Stellungen in der betreffenden Gesellschaft zu bekleiden
No. 3. DER BUDDHIST. 69
welche sie dementsprechend schädigen müssen. Sie gleichen
geprägten Münzen. Ihr Aussehen mag uns für eine Zeit blen-
den, aber die Stunde wird früher oder später kommen, da ihre
Niedrigkeit offenbar wird. Wenn dann die Öffentlichkeit dem
Ruchlosen die Maske herunterreisst, wird er bereits Niedergang,
Verwüstung und Schande in geweihte Kreise gebracht haben.
Um dieser Art gesellschaftlicher Korruption durch ruchlose,
falsche Führer vorzubeugen, müssen wir die leitenden Männer
nicht nur nach ihrer äusseren Befähigung, sondern in erster
Linie nach ihren persönlichen Tugenden auserwählen.
Die Gesellschaft ist ein Aggregat, das sich aus Tausenden
von Individuen zusammensetzt, und der Wille der Gesellschaft
muss sich auf den Willen eines jeden Individuums gründen.
Wenn wir wünschen, dass die Gesellschaft moralisch voll-
kommen sei, muss zunächst das moralische Wollen eines jeden
Individuums gestärkt und geläutert werden.
Ein klassischer orientalischer Text sagt: „Ein reines Herz
schafft einen untadelhaften Geist. Ein untadelhafter Geist schafft
eine gute Persönlichkeit. Eine gute Persönlichkeit wirkt ein
glückliches Haus. Das glückliche Haus ist der Grundstein
einer angenehmen Stadt. Eine angenehme Stadt lässt einen
friedlichen Distrikt oder Staat erstehen."
Es kann ein Mensch Liebe mit den Lippen sprechen und
Mitleid mit der Feder schreiben, aber wir sollten niemals einen
Menschen nur nach dem auswählen, was von seinen Lippen
fliesst. Die glänzende Diktion eines Redners kann seine Fehler
verdecken, und die schönen Aufsätze eines Schreibers können
die Verderbtheit seines Herzens verhüllen. Eine ergreifende
Rede ist nur dann etwas wert, wenn sie aus einem aufrichtigen
Herzen kommt. Tausend brillante Aufsätze taugen nichts, wenn
die Beweggründe des Schreibers nicht rein sind. Zu öffent-
lichen Beamten und Gesetzgebern sollten Männer von aufrich-
tigem Wollen und gutem Charakter ausersehen werden —
Männer, welche die geistige Wohlfahrt der Gesellschaft und
der Menschheit fördern werden.
Der menschliche Geist gleicht — im Bilde gesprochen —
dem hellen Lichtschein eines Leuchtturmes an der Küste. Der
Schein mag manchen Schiffen in weiter Ferne auf hoher See
% DER BUDDHIST. I. Jahrg.
ein guter Führer sein, aber am Fusse des Leuchtturmes herrscht
absolute Finsternis. Nach dieser Analogie ist es leicht, andere
zu kritisieren, während Dunkelheit die eigene Seele umgibt.
Wenn wir in unser inneres Heim den lichten Schimmer giessen
wollen, solhen wir nach den Lehren der grössten Weisen mit
uns selbst zu Rate gehen, streng gegen uns sein, uns selbst
veredeln und läutern.
Verschiedene Weise des Westens haben als Massstab für
die Tugend die goldene Mittelstrasse empfohlen. Der grösste
orientalische Meister lehrte seine Jünger ebenfalls den »mitt-
leren Pfad« oder die in der Mitte liegende Art, ein tugend-
haftes LebL-n zu führen. Derselbe zerfällt in acht Prinzipien
oder Teiie und wird deshalb der »erhabene achtfache Pfad«
genaimt.
Die erste Stufe des erhabenen achtfachen Pfades ist
rechte Einsicht.
Wir müssen zunächst den wahren Charakter alles Lebens
in der Welt begreifen lernen. Drei Arten des Leidens — Altern,
Verfall, Sterben — sind allen Kreaturen beschieden. Was in
der Welt geboren wird, kann nicht über die Grenze hinaus,
welche diese drei Leiden ziehen.
Es kann sich ein Mensch eine Weile damit begnügen, dass
er nicht auf das Leid seiner Mitmenschen achtet, und dass er
sich hinsichtlich seiner eigenen Zukunft in lieblichen Träumen
wiegt. Aber diese Selbst-Beruhigung entsteht aus der Unwissen-
heit. Aber ist Unwissenheit nicht an und für sich ein Leiden?!
Fast alle Religionen, alte wie neue, östliche und westliche, sind
auf die Idee des Leidens oder Übels in der Welt gegründet.
Ohne diese Leid-Idee würden alle Weltreligionen ihre Existenz
eingebüsst haben. — Sodann müssen wir die Vergänglichkeit
alles Lebens verstehen. Jedes Ding in der Welt ist mit dem
Vergänglichkeitsprinzip behaftet. Menschen, Tiere, Pflanzen und
Mineralien müssen, nachdem sie einmal ins Dasein eingetreten
sind, früher oder später verfallen und sich auflösen; diese Tat-
sache begreifen, heisst das Vergänglichkeits-Prinzip verstehen.
— Ferner müssen wir Einsicht gewinnen in das Nicht-Selbst-
Prinzip, d. h. in das Nicht-Vorhandensein eines unsterblichen
getrennten Selbstes. Dies ist für westliche Geister sehr schwer zu
No. 3. DER BUDDHIST. 71
begreifen, denn ihre Art zu denken ist verschieden von der des
Orients. Wir pflegen zu sagen „ich bin", „mein Eigentum" usw.
Diese Ich-heit, dieses Selbst ist nicht unsterblich, sondern wird nur
irrtümlicherweise als unsterblich vorgestellt. Alle Leidenschaften,
aller Hader, alle Unruhe entspringen aus dieser Selbst-heit. In
Wahrheit gibt es kein egoistisches Ich-Selbst. Wenn wir so
ein richtiges Verständnis für die Prinzipien des Leidens, der
Vergänglichkeit und des Nicht-Selbst gewonnen haben,
dann erreichen wir die rechte Einsicht, die erste Stufe des
Pfades.
Die zweite Stufe des erhabenen Pfades heisst rechte End-
zwecke. Wenn wir ein Wesen leiden sehen, fühlen wir mit-
leidsvoll Erbarmen und entschliessen uns, unser Übelwollen
aufzugeben und dem Leidenden Hilfe zu bringen. Wenn das
Motiv unserer Betätigung rein und aufrichtig ist, dann haben
wir rechte Endzwecke, die zweite Stufe des Pfades.
Die dritte Stufe des achtfachen Pfades ist rechte Rede.
Wenn die Motive, die einen Menschen bestimmen, gut und rein
sind, dann wird er die Wahrheit nicht verbergen, wird keine
Geheimtuerei lieben, noch unfreundlich und barsch zu den
Menschen sprechen, sondern seine Worte werden stets wahr,
mild, fein und anständig sein. Wer Liebe und Mitleid in seinem
Sprechen zum Ausdruck bringt, von dem sagt man, er habe die
dritte Stufe des Pfades beschritten, rechte Rede.
Die vierte Stufe des achtfachen Pfades bilden rechte
Handlungen. Durch die Einsicht in das Leiden des Lebens
und durch die Entfaltung von Liebe und Mitleid wird jeder
Akt unseres Betragens sicher von Sympathie erfüllt und von
Erbarmen durchweht sein. Dieser erhabene Zustand im Men-
schen bedeutet rechte Handlungen, die vierte Stufe des
Pfades.
Die fünfte Stufe des achtfachen Pfades ist rechte Art der
Lebensführung. Gewöhnt an rechtes Handeln wird natürlich
das Leben immer reiner und lichter, und dann werden alle ein-
zelnen Phasen des täglichen Lebens beim Essen, Gehen oder
Schlafen selbstverständlich mit den höchsten Naturgesetzen harmo-
nieren. Wir erheben uns über alle Bedingungen, welche Leid
oder Kummer nach sich ziehen und führen ein solches Leben, wel-
72 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
ches geistigen Frieden und Heiterlceit des Gemütes schafft.
Dieser Zustand ist die rechte Art der Lebensführung, die
fünfte Stufe des Pfades.
Die sechste Stufe des achtfachen Pfades ist rechte Energie.
Wenn der Mensch auf diese Weise lebt und an sich arbeitet,
wird er sein Gemüt bemeistern und die Fähigi<eit erlangen,
seine Energie in einer ausserordentlich starlcen Willenskraft zu
offenbaren. Das heisst rechte Energie, die sechste Stufe
des Pfades.
Die siebente Stufe des achtfachen Pfades ist rechte Geistes-
fülle (Gemütstiefe, Geisteskraft). Der Mensch, der auf der
sechsten Stufe rechte Energie erworben hat, wird nun lernen,
alle seine Gedanken zu sammeln und nach Belieben auf einen
bestimmten Gegenstand zu richten, wobei er sich in seinem
Geiste nur heilige Dinge vergegenwärtigt. Das bedeutet rechte
Geistesfülle, die siebente Stufe des Pfades.
Die achte Stufe des achtfachen Pfades ist der rechte Zu-
stand eines reinen Gemütes. Durch diese heilige trans-
zendentale Fälligkeit können wir dauernd heilige Dinge in uns
gegenwärtig erhalten, und das Gemüt ist ganz erfüllt von seli-
gem Frieden; dies ist der rechte Zustand eines reinen Gemütes,
die letzte Stufe des Pfades. Dieser Zustand im Menschen ist
ein Zustand vollkommener Moralität; er verwirklicht in der
betreffenden Person das höchste moralische Ideal. Ein solcher
Mensch ist natürlich untadelhaft in seiner persönlichen Tugend
und erfüllt genau seine heilige Pflicht der Gesellschaft gegen-
über; sein moralischer Einfluss wird heilsam auf seine Familie
und seine Mitmenschen einwirken, so dass er und viele andere
auf Grund seines guten Wirkens den Segen des Friedens ge-
niessen können.
Ich schliesse diese Zeilen mit den schönen Worten des
Dichters der »Leuchte Asiens«:
Gebunden hält
Des Menschen Herz, der Völker Denken das
Gesetz, der Herr der Welt.
Unsichtbar hilft es euch mit treuer Hand,
Hört ihr's gleich nicht, doch spricht's im Sturm euch an;
Der Mensch hat Lieb' und Mitleid, weil im Kampf
Das Chaos Form gewann.
No. 3. DER BUDDHIST. 73
Verachtet ist's von keinem; denn wer es
Bekämpft, verliert; und wer ihm dient, gewinnt;
Verborgne Guttat lohnt's mit Ruh' und Glück,
Mit Qual verborgne Sund'.
Es sieht allüberall und merket wohl.
Tu' recht, und es belohnt; tu' Unrecht, dann
Musst du die Schuld bezahlen, ob auch lang'
Der Dharma zögern kann.
Nicht Zorn, noch Gnade kennt's; es misst sein Mass
Untrüglich, fehlerlos ist seine Wag';
Zeit gilt ihm nichts: es richtet morgen wohl.
Vielleicht nach manchem Tag.
Des Mörders Dolch kehrt's gegen ihn allein.
Wer richtet falsch, verliert das Heil im Leben,
Den Lügner straft die Lüge selbst, der Dieb
Raubt nur, zurückzugeben.
Dies das Gesetz; es wirkt Gerechtigkeit,
Niemand entgeht ihm, keiner hemmt's zuletzt;
Sein Urgrund ist die Liebe, und sein Ziel
Fried' und Vollendung. Ihm gehorchet jetzt!
Habe Erbarmen und Mitleid mit allen Wesen, welche leben.
Brahmajäla-Sutta.
Wohlwollen gegen alle Wesen ist die wahre Religion.
Buddhacarita.
Ernste Gesinnung führt zur Todlosigkeit, Leichtsinn zum
Pfad des Sterbens. Die im Ernste verharren, sterben nicht,
aber die Leichtfertigen sind bereits [hier] den Toten gleich.
Dhammapada.
Pflege das Mitleid!
Visuddhi-Magga.
Die Akte religiöser Betätigung bestehen in Wohlwollen^
Liebe, Wahrhaftigkeit, Reinheit, Edelmut und Güte.
Asoka-kischrift.
74 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
^^ Nibbäna. U^f^
Von Bhikkhu Änanda Maitriya.
Es gibt, ihr Jünger, ein Reich, wo weder
Erde noch Wasser, weder Feuer noch Luft vor-
handen ist; es ist dort weder der unermessliche
Äther noch die gleichzeitige Existenz von Be-
wusstsein und Nicht-Bewusstsein, weder diese
Welt noch eine andere Welt, weder Sonne,
noch Mond. Dies, ihr Jünger, erkläre ich euch
als weder ein Werden, noch ein Vergehen, we-
der Leben, noch Sterben, noch Geboren-wcrden,
unräumlich, unveränderlich, ursachlos: Das ist
das Ende des Leidens. Udäna.
Vielleicht kein einziges Kapitel in unserer buddhistischen
Religion ist so viel umstritten und so häufig missverstanden
worden, als der Gegenstand, den die eben citierte Stelle aus
dem Udäna behandelt. Ganze Bände gelehrter Abhandlungen
sind über dieses Gebiet geschrieben worden, und die gezogenen
Schlussfolgerungen sind natürlich so verschiedenartig, wie die
Qlaubensrichtung und der geistige Standpunkt des jeweiligen
Verfassers. Die Frage selbst ist so alt wie unsere heiligen
Lehren: „Nibbäna, Nibbäna, so sagt man, Freund Säriputta,
was aber, Freund, ist denn dieses Nibbäna?"^) So fragte vor
fünfundzwanzig Jahrhunderten an den Ufern des Ganges ein
brahmanischer Asket; dieselbe Frage wurde im zweiten Jahr-
hundert V. Chr. von Milinda wiederholt, und sie findet seit
jener Zeit ihr Echo im Geiste eines jeden Denkers und bud-
dhistischen Schriftstellers. Von Tokyo bis zum modernen
Babel, von der kalten Hochebene des geheimnisvollen Tibet
bis zu den Duft-durchwürzten Palmen-Hainen Ceylons ist die
Antwort auf diese Frage von jedem ernsten Forscher und An-
hänger des Buddhismus gesucht worden; ihre Aufhellung ist
das Lebenswerk grosser Gelehrter gewesen, deren selbstlose
Arbeiten der westlichen Welt den Schatz des hochvortrefflichen
Gesetzes enthüllt haben, und die Verwirklichung der Antwort
') Samyutta-Nikäya.
No. 3. DER BUDDHIST. 75
auf diese Frage ist lieute die Hoffnung und das Ziel von fünf-
hundert Millionen unserer Religionsgenossen.
Der Grund liierfür ist nicfit fern zu suciien; denn dieses
Nibbäna ist das Ziel unserer Religion, es ist der Schlussstein
dieses ganzen, grossen, wunderbaren, aus Philosophie und
Ethik bestehenden Tempels, den wir mit dem Namen Buddhis-
mus bezeichnen; das Gedenken an Nibbänas todlose Ruhe ist
der Trost unseres Lebens, und seine Erreichung die Hoffnung
aller unserer Herzen. In der Tat: Der Buddhismus beruht auf
der Gewissheit dieses Nibbäna, und der Grad der Genauig-
keit, mit der wir die grösste Weltreligion würdigen, muss ent-
schieden taxiert werden nach dem klaren, geistigen Verständ-
nis, das wir dem Nibbäna-Begriff entgegenbringen. Denn wenn
wir selbst nicht eine wenigstens annähernd klare Idee in un-
serem Geiste über das Endziel unserer Religion gewonnen
haben, verdienen wir den Tadel, welcher im Tevijja-Sutta *)
dem unpraktischen jungen Mann erteilt wird: „Aber dann,
bester Freund, baust du ja eine Treppe, die zu irgend einem
Etwas führen soll, das du für ein Wohnhaus hältst, das du
aber gegenwärtig weder kennst, noch jemals gesehen hast."
Andererseits ist natürlich die erste Frage, die sich im Geiste
eines Aussenstehenden regt, folgende: Welches ist der Zweck
und das Ziel dieser Religions-Philosophie, welches ist das
Endziel, zu dem alle jene in den buddhistischen Werken be-
schriebenen praktischen Übungen führen? Ich habe gerade
dieses schwierigste aller Probleme im Buddhismus zum Gegen-
stande dieses Essays gemacht; wenn einmal Zweck und Ziel
unserer Religion begriffen ist, dann treten die übrigen Teile
des Buddhismus, Praxis und Philosophie in gleicher Weise, an
ihre natürliche Stelle als die Mittel, die der Erreichung des
Nibbäna als dem Endzweck dienen. Ich bin mir dabei der
mannigfachen Schwierigkeiten dieses Gegenstandes sehr wohl
bewusst, und ich muss den Leser um Nachsicht bitten wegen
der unzureichenden Darlegung eines Ideales, welches das Leben
von ungezählten Millionen durchgeistigt hat, und ich hoffe,
dieser Versuch wird wohlwollend aufgenommen werden, und
') Siehe Dr. Rhys Davids' Übersetzung in den »Sacred Books of
the Easts Vol. XI, S. 177.
76 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
man wird mich entschuldigen, wenn ich „dorthin enteile, wo
einzutreten selbst Götter sich scheuen." —
Bevor wir weitergehen, scheint mir noch ein Punkt eine
besondere Betrachtung zu erheischen, nämlich das Wort
»Nibbäna« selbst. Es ist bei der Behandlung dieses Begriffes
die Gewohnheit geworden, die sanskritisierte Form »Nirväna«
zu gebrauchen, eine Gewohnheit, gegen welche die Buddhisten
eigentlich protestieren sollten; einmal deshalb, weil der Buddha
eben den Nibbäna-Begriff erklärt und es untersagt hat, die
Ausdrücke in seiner Lehre in das Sanskrit zu übersetzen,^) und
sodann, weil wir, wenn wir Nirväna sagen, in manchen Geis-
tern die Vorstellung vom Nirväna der Hindu-Philosophie er-
wecken, d.h. vom Aufgehen in Brahman, welches erst unser
vierter Arüpa-Vimokkha und vom Nibbäna sehr verschieden
ist. Da wir nun in unserer Sprache kein Wort haben, welches
die hier in Rede stehende Idee vollständig ausdrückt, und wir
deshalb notgedrungen ein Fremdwort gebrauchen müssen, so
erscheint e^ mir besser, unser eigenes Äquivalent im Päli zu
verwenden, jener Sprache, der unser Meister sich bediente, als
Zuflucht zu einem leicht misszuverstehenden Worte aus einer
Sprache zu nehmen, welche der Buddha absichtlich vermie-
den hat.
Abgesehen von dieser nur das Wort betreffenden Unge-
nauigkeit findet man sehr häufig in den früheren Schriften über
Buddhismus einen Irrtum, der auch heute noch angetroffen
wird, und gegen den nicht eindringlich genug protestiert wer-
den kann. Es ist dies jene irrige Ansicht, — die meines Wissens
zuerst von Burnouf aufgestellt wurde, und die in den ersten
Tagen der buddhologischen Forschung ganz natürlich war, —
dass es drei Arten Nibbäna gebe: das eigentliche Nibbäna,
Parinibbäna und Mahäparinibbäna. Das ist von Childers und
Rhys Davids ') als ein gänzliches Missverständnis nachgewiesen
worden. In den Texten wird teils das Wort »nibbuto« und
') Cullavagga, V, 33, 1 ; übersetzt in »Sacred Books of the East«,
Vol. XX, S. 150, 151 und Dr. Rhys Davids' Anmerkung dazu.
-) Vergl. Childers' Dictionary of the Päli Language s. v. Nibbäna
S. 268, und Dr. Rhys Davids' Einleitung zum Mahäparinibbäna-Sutta, Sac-
red Books of the East, Vol. XI, S. XXXII.
No. 3. DER BUDDHIST. 77
teils »parinibbuto« gebraucht für die Erreichung des Anupä-
disesa Nibbäna seitens eines Arahä'), das will sagen, für
das Abieben des letzteren, und diese beiden Ausdrücke wech-
seln mit einander ab; während in d,em Worte »Mahäpari-
nibbäna« — das bedeutet die Erreichung von Anupädiscsa
Nibbäna seitens des Buddha, also das Ableben des Buddha —
das Präfix »Mahä« (gross) nur ein ehrfurchtsvoller Ausdruck
ist und keineswegs eine höhere Art oder einen höheren Zustand
von Nibbäna in sich schliesst, ebenso wie etwa der Ausdruck
»das grosse Abscheiden« nur die Person betrifft, von der
dieses Wort gebraucht wird. Nun werden im Kanon allerdings
zwei verschiedene Adjektive verwandt, um Nibbäna zu
charakterisieren: 1. Sa-upädisesa, d.h. mit einem Überbleibsel,
mit einer Basis, mit einem Substrat versehen; dies wird ge-
braucht, wenn ein Arahä oder Buddha in diesem Leben
Nibbäna erlangt resp. erlangt hat; obwohl in diesem Falle
Nibbäna erreicht ist, bleibt doch der Körper nebst anderen
Khandhas'-) als ein Verbindungsglied mit dieser Welt zurück.
2. An-upädisesa, d. h. ohne eine Basis. Dies letztere wird
gebraucht für Nibbäna selbst, d. h. für den Zustand eines
Arahä oder Buddha nach dem Sterben seines Körpers. Diese
beiden Worte wollen also nicht etwa sagen, dass es zwei Arten
Nibbäna gebe, sondern sie beziehen sich nur auf den Zustand
des Arahä oder Buddha vor bez. nach seinem Ableben. Das
Nibbäna-Prinzip ist nur eins — unendlich, unveränderlich, real:
Es ist das Ende aller Dinge; wie könnte da noch etwas
jenseits seiner vorhanden sein? Der einzige Unterschied ist
der: Für den noch in seinem Körper Befindlichen, wenn er
Nibbäna erlangt hat, wird das Wort Sa-upädisesa (eine Basis
habend) gebraucht; dagegen sagen wir von dem Erlösten, wenn
sein Körper tot ist, Anupädisesa Nibbäna, d. h. Nibbäna
ohne eine Basis.
Childers vermutete allerdings'), dass durch diese Worte
zwei verschiedene Dinge ausgedrückt, und dass zwei Arten
') Arahä wird der Jünger genannt, der die vierte Etappe des Pfades
erreicht hat; derselbe geht seiner endgültigen Erlösung entgegen.
') Siehe weiter unten.
') Päli-Dictionary s. v. Nibbäna.
78 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Nibbäna unterschieden würden: einmal der Zustand der Arahä-
schaft und sodann absolute Verniclitung; er versuclite zu zeigen,
dass einige mit Nibbäna synonyme Ausdrücke für das eine
Nibbäna gebraucht würden, und einige für das andere Nibbäna.
Diese Vermutung ist indessen als irrig nachgewiesen worden,
und die Untersuchungen späterer Gelehrter haben deutlich ge-
zeigt, dass alle mit Nibbäna synonymen Ausdrücke gleicher-
weise für beide Aspekte gebraucht werden können, während
andere Texte — die Childers nicht herangezogen hat oder
übersehen haben muss, ausdrücklich leugnen, dass Anu-
pädisesa Nibbäna (das post mortem-Nibbäna) Vernichtung sei.')
Hier ist nun eins klar: Wenn wir eine einigermassen
richtige Auffassung des Nibbäna-Begriffes bekommen wollen,
so müssen wir uns auf den geistigen Standpunkt des Bud-
dhisten stellen; denn solange wir den Versuch machen, die
Idee von einem anderen Standpunkte aus zu analysieren, wer-
den wir in immer grössere Konfusion geraten, und alle unsere
Bemühungen müssen notwendigerweise fehlschlagen. Solche
Versuche können verglichen werden mit der Bemühung, die
moderne Kopernikanische Astronomie mit Hilfe des Ptolemäi-
schen Systems zu begreifen, nach dessen Lehren die Erde der
Mittelpunkt des Universums ist, während Sonne, Mond, Planeten
und Fixsterne in mannigfachen Bahnen um die Erde kreisen
und dazu bestimmt sein sollen, der letzteren zu „dienen" und
den Menschen zum Wohle und zur Freude zu gereichen.
Zwischen den in der neueren Zeit aufgekommenen metaphysi-
schen und ontologischen Theorieen des Westens und der
ptolemäischen Hypothese von der geozentrischen Welt besteht
tatsächlich eine höchst beachtenswerte Analogie; denn wie
die Ptolomäisten den Erdmittelpunkt für den Zentralpunkt des
gesamten Universums hielten, und wie alle ihre Schlussfolge-
rungen über die Bewegung der Himmelskörper auf Grund dieser
irrigen Ansicht falsch waren, so gelangten die früheren ontolo-
gischen Systeme des Occidents von Cartesius an aufwärts zu
einer unrichtigen Schlussfolgerung über die Natur des Seins,
') Vergl. Brahniajäla-Sutta, Sacred Books of the Buddhists, Vol. II,
Dialoguc I, S. 46 ff.
No. 3. DER BUDDHIST. 79
weil sie irrtümlicherweise das geistige Universum um ein
imaginäres Wesen gruppierten, das sie als ein im Menschen
wohnendes abgesondertes Etwas sich vorstellten, und das sie als
das Ego oder die unsterbliche Seele des Menschen bezeichneten.
Die Analogie kann aber noch weiter durchgeführt werden; denn
gerade so wie die Anhänger des alten geozentrischen Systems
die Lehren des Kopernikus für offenbar absurd hielten, indem
sie sich darauf beriefen, dass man die Bewegung der Sonne
um die Erde doch wahrnehme, so gründen die modernen
Verteidiger der Ego-zentrischen Systeme ihre Abweisung des
non-ego-zentrischen Buddhismus und der späteren occidentalen
Ontologieen auf die Wahrnehmung, dass alle geistigen Phä-
nomene sich drehen und zentralisiert sind um ein statisches, un-
veränderliches Selbst oder Ego in uns, einen Wahrnehmer aller
Empfindungen, einen Gestalter aller Willensregungen, einen
Wisser aller Gedanken und Handlungen, eine getrennte, geistige
oder seelische Wesenheit, die sie sich als verschieden und unab-
hängig von den Sinnesorganen und Seelenvermögen vorstellen.
Und weiter: Die Ptolemäisten wähnten damals, als das Kopcrni-
kanische System zuerst aufkam, dasselbe müsste alle wahre
Religion und Moralität vernichten, weil es das Weltzentrum
nicht in die von ihnen so hochgeschätzte Erde verlegt, weil es
leugnet, dass die Welt zum Dienste der Menschen geschaffen
sei. Genau ebenso nun meinen auch heute diejenigen, die an
ein unsterbliches, getrenntes Seelenwesen im Menschen glauben,
die buddhistische Theorie sei verderblich und unsittlich, weil
dieselbe diesen von ihnen so sorgsam gehegten Wahn eines
wechsellosen, abgesonderten, unsterblichen Egos im Menschen
verneint; diese Leute ziehen den Schluss, dass, wenn kein un-
wandelbares, für sich allein bestehendes Seelen -Substratum
existiere, dann auch keine Hoffnung mehr für uns vorhanden
sei, dass vielmehr das Ende aller Religion und alles Lebens
vor der Tür stehe.
Aber die Erkenntnis wächst. Heute will der abendländi-
sche Geist nicht länger mehr daran glauben, dass es für die
Religion — in einem mehr tiefen, wahren Sinne — verhängnisvoll
sei, wenn wir lernen, dass diese Erde, auf welcher wir leben,
nur ein Tropfen im Ozean der Unendlichkeit ist; kein vernünf-
80 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
tiger Mensch hält heute diese Lehre für so verderblicli, dass
nur der Galgen und die Folter als Hilfsmittel gegen dieselbe
angerufen werden müssten. Vielmehr hat diese Idee so sehr
dazu beigetragen, die kleinliche Eitelkeit des Menschen zu
dämpfen, dass in unserer Zeit die Anwendung von Rad und
Folter unmöglich geworden ist: Der Mensch ist in geistiger
Hinsicht unendlich gewachsen entsprechend seiner zunehmenden
Erkenntnis des Weltprozesses. (Fortsetzung folgt.)
Die Grundideen des Buddhismus.
Von Dr. Paul Carus.
Einleitung.
Der Buddhismus wird sehr häufig charakterisiert als eine
Religion ohne den Glauben an Gott und an die menschliche
Seele, ohne die Hoffnung auf eine zukünftige Existenz, als eine
pessimistische, trostlose Religion, die auf das Leben nur als
auf ein Leidensmeer blickt, die in ihren etliischen Forderungen
quietistisch ist und als einzigen Trost den Ausblick gewährt,
endlich einmal im absoluten Nichts zu verlöschen. Nun ist es
richtig, dass die Buddhisten mit Ausnahme einiger häretischer
Schulen nicht an einen persönlichen Gott glauben ; indessen
gibt es viele gläubige Christen, welche in dem theistischen
Dogma nur den symbolischen Ausdruck einer tieferen Wahrheit
erblicken, und andererseits glauben die Buddhisten^) nicht nur
an den Sambhoga-Käya, welcher als ein Äquivalent der christ-
lichen Gottesidee bezeichnet werden muss, sondern auch an die
Trinität Sambhoga-Kaya, Nirmäna-Käya und Dharma-
Käya-), welche eine ausserordentliche Ähnlichkeit mit der christ-
lichen Idee vom Vater, Sohn und Heiligen Geist hat. Ferner
ist es eine unleugbare Tatsache, dass die Buddhisten nicht an
ein getrenntes Seelenwesen (Atman) glauben, wie es die brah-
') Allerdings nur die Anhänger des (nördlichen) Mahäyäna-Buddhismus.
■) Näheres hierüber in einem späteren Aufsätze von Dr. Paul Carus
über »Buddhismus und Christentum«,
No. 3. DER BUDDHIST. 81
manischen Piiilosophen lehren, aber sie leugnen durchaus nicht
die Existenz des Geistes und die Fortsetzung des geistigen
Daseins des Menschen nach dem Tode. Aber die in der
abendländischen Denkweise geschulten Menschen sind so sehr
in ihrer eigenen Ausdrucksweise befangen, dass orientalische
Denker, wenn sie Ausdrücke gebrauchen, welche die allegorische
Bezeichnung der christlichen Denkweise verneint, für Negativisten
angesehen werden. Ja, sogar solche Abendländer, welche auf-
gehört haben, Anhänger des Christentums zu sein, sehen häufig
den positiven Aspekt der buddhistischen Weltanschauung
nicht, und wir müssen immer und immer wieder den alten
Refrain hören: Wenn die Lehre des Buddha nicht Nihilismus
ist, so läuft sie dennoch in praxi auf Nihilismus hinaus.
Benfey sagt in der Vorrede zu seiner Übersetzung des
Panca-Tantra :
„Die hohe Blüte des indischen Geisteslebens (gleichviel ob sie in
brahmanischen oder buddhistischen Werken zum Ausdruck gelangte) ging
im wesentlichen aus dem Buddhismus hervor und ist gleichzeitig mit
der Epoche, in welcher der Buddhismus florierte ; das will sagen, vom 3.
Jahrhundert v. Chr. bis zum 6. Jahrhundert n. Chr. Wenn wir das von
dem Buddhismus in seinen frühesten Tagen an vertretene Prinzip betrach-
ten, „dass nur die Lehre wahr ist, welche der gesunden Ver-
nunft nicht zuwiderläuft", so müssen wir ganz gewiss zugeben, dass damit
die Selbständigkeit der menschlichen Vernunft tatsächlich anerkannt
war; die Gesamtheit der Beziehungen zwischen dem Reich des Erkenn-
baren und Nicht-Erkennbaren war ihrer Kontrolle unterworfen, und unge-
achtet der Tatsache, dass die tätigen Kräfte der Vernunft, an welche so
in letzter Linie appelliert wurde, in der Tat noch nicht gesundet waren,
so war dennoch der Ausweg gewiesen, auf welchem die Vernunft unter
günstigeren Umständen damit beginnen konnte, sich von den ihr anhaf-
tenden Schlacken zu läutern. Wir lernen bereits in den philosophischen
Untersuchungen des Buddhismus die Arbeiten schätzen, die, obgleich zum
Teil spitzfindig, dennoch nach Vollkommenheit streben und wegen ihres
Porschungs-Ernstes die höchste Beachtung verdienen. Aus dem Tone,
der in unserem Werke vorherrscht, und mehr noch aus dem wahrschein-
lichen buddhistischen Ursprünge jener anderen indischen Geschichtsbücher,
die uns bis jetzt bekannt geworden sind, ist Hand in Hand mit dem bud-
dhistischen Ernst der heitere Scherz klar ersichtlich, und sogar frivole
Dichtung und Unterhaltung hat den Frohsinn des Lebens bewahrt."
Diese Schilderung zeichnet den Buddhismus keineswegs
in einem düsteren Kolorit; sie ist sehr verschieden von den
6
82 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Vorstellungen, welche sich gewöhnlich die Leute von demselben
machen.
Trotz mancher Überschwänglichkeiten innerhalb des mo-
dernen Buddhismus sind seine Kräfte und Fähigkeiten noch
gross genug, hauptsächlich deshalb, weil er seinen Anhängern
einschärft, die Kraft ihrer Vernunft frei zu gebrauchen. Unter
allen religiösen Menschen sind die Buddhisten mehr als andere
zu gleicher Zeit voll religiösen Eifers und auch gegen ein
Überzeugt-werden nicht verschlossen.
Wir lesen in M. Hucs »Travels in Tartary, Thibet and
China« (Reisen in der Tartarei, Tibet und China, II, S. 189),
dass der Herrscher von Lhassa den französischen Missionaren
gegenüber unaufhörlich wiederholte:
„Ihre Religion ist der unsrigen gleich, die Wahrheiten sind dieselben,
wir unterscheiden uns nur in der Erklärung. Inmitten alles dessen, was
Sie in der Tartarei und in Tibet gesehen und gehört haben, müssen Sie
manches gefunden haben, das nicht gebilligt werden kann ; indessen dürfen
Sie nicht vergessen, dass manche der von Ihnen beobachteten Irrtümer
und Formen des Aberglaubens von unwissenden Lamas eingeführt sind,
dagegen von gebildeten und einsichtigen Buddhisten verworfen werden".
Er gab zwischen ihm und uns nur zwei Verschiedenheiten (im Glauben)
zu: den Ursprung der Welt und die Wiedergeburt betreffend.
„Lassen Sie uns zusammen beide Punkte prüfen", fuhr er fort, „mit Auf-
richtigkeit und Sorgfalt; wenn Ihre Ansicht die bessere ist, wollen wir sie
annehmen; wie könnten wir Ihnen dies abschlagen? Wenn aber anderen-
falls unsere Ansicht die bessere ist, so zweifle ich nicht, dass Sic ebenso
vernünftig sein und dieselbe annehmen werden".
Nun ist es merkwürdig, dass in jenen zwei Punkten,
welche (nach der Ansicht des Gross-Lamas) die hauptsäch-
lichsten Unterscheidungen zwischen Buddhismus und Christen-
tum ausmachen, nämlich Schöpfung einerseits und Natur
der Seele andererseits, die moderne Wissenschaft, wie sie
vorwiegend von Gelehrten repräsentiert wird, die eine christ-
liche Erziehung genossen haben und innerhalb einer zwei-
tausendjährigen christlichen Überlieferung leben, zweifellos auf
Seiten des Buddhismus steht. Unter unseren Gelehrten wird
schwer einer zu finden sein, welcher gewillt wäre, eine Schöp-
fung aus Nichts anzunehmen, und in den Reihen unserer her-
vorragenden Psychologen werden nur wenige der dualistischen
Anschauung über die Seele zustimmen, welche die Existenz
No. 3. DER BUDDHIST. 83
eines psychischen Agens hinter den Tatsachen des Seelen-
lebens behauptet. Nichtsdestoweniger wurzelt unsere populäre
Vorstellung von einem Gott-Schöpfer und von einer für sich
bestehenden, getrennten Ich-Seele so tief in dem Gemüt un-
serer Volksgenossen, dass sie von den letzteren als die unbe-
dingte Grundlage aller Religion betrachtet wird.
Wir beabsichtigen, hier in kurzem die fundamentalen Ideen
des Buddhismus zu untersuchen, und hoffen den Nachweis zu
liefern, dass, obwohl seine Lehren von der Seele und von Nir-
vAna dem abendländischen Geiste als gleichbedeutend mit
Nihilismus erscheinen mögen, dieselben sicher nicht Nihilismus
sind, wenn wir uns die Mühe nehmen, sie vom buddhistischen
Standpunkte aus zu betrachten. Und weit entfernt davon
pessimistisch im Sinne des Abendlandes zu sein, besitzt der
Buddhist eine heitere Gemütsverfassung, welche ihn in dieser
Welt der Trübsal über Schmerz und Leiden emporhebt.
Karman.
Die Seele wurde von den brah manischen Philosophen
identifiziert mit dem »Ätman«, dem »Selbst«, dem »Ego« oder
Ego-Bewusstsein, d. h. sie hielten dafür, dass im Menschen ein
Etwas vorhanden sei, welches sagt: »Ich«. Dieser Ätman
wurde gedacht als eine metaphysische Wesenheit hinter den
Empfindungen, Gedanken und anderen Tätigkeitsformen des
Menschen. Nicht das Auge sieht, — sagten sie, — sondern
der Seher im Auge; nicht das Ohr hört, sondern der Hörer
im Ohr; nicht die Zunge schmeckt, sondern der Schmecker in
der Zunge; nicht die Nase riecht, sondern der Riecher in der
Nase; nicht der Geist denkt, sondern der Denker im Geiste;
nicht die Füsse gehen, noch sind die Hände tätig, sondern der
Täter in den Füssen und Händen. Dieses mysteriöse Wesen
im Menschen, welches da sagt: „Ich bin diese Person, ich
besitze Augen, Ohren, Nase, Zunge, Hände und Füsse, ich
sehe, höre, rieche, schmecke, fühle die Berührung von Körpern,
gehe und handle," soll das Agens der Tätigkeit des Menschen
sein. Dieses »Ich« oder »Ego« der Seele, dieser Agens mensch-
licher Tätigkeit ist der »Ätman« oder das »Selbst« (in der
84 DER BUDDHIST. I, Jahrg.
brahmanisclicn Philosophie), und insofern das Dasein dieses
Alman von Buddha geleugnet wird, lehrt der Buddhismus, dass
keine Seele (d. h. kein getrenntes, mit dem Ich-Bcwusstsein be-
gabtes Seelen-Substrat) existiert.
Wenn die Buddhisten von der Seele sprechen, meinen sie
den (eben charakterisierten) brahmanischen Ätman. Wenn sie
dagegen das bezeichnen wollen, was wir Seele nennen, so
sprechen sie vom Geist, und weit entfernt davon, das Vor-
handensein des Geistes zu leugnen, ersetzt der Buddhismus
nur die dualistische Auffassung der brahmanischen Philo-
sophie durch eine monistische Seelen-Theorie, welche im
Laufe der Zeit natürlich jene Lehre entwickelt hat, welche be-
sagt: „Es existiert nichts ausser dem Geist."
Die These: „Es existiert nichts ausser dem Geist" erinnert
uns an Cliffords Ausspruch: „Alles, was existiert, ist Geist-
Stoff;" das mag folgendermassen erläutert werden: Alle Dinge
ausserhalb erscheinen uns als Materie, die sich im Räume be-
wegt; so erscheinen wir anderen Wesen als im Raum sich be-
wegende Materie; wir erscheinen unseren eigenen und anderer
Menschen Sinnen als Körper; aber in uns selbst fühlen wir
unsere Existenz als das, was wir Geist oder Seele nennen.
Körper ist dasjenige, als was Geist oder Seele in die Erschei-
nung tritt. Da unser Körper aus demselben Material besteht,
wie die Körper der umgebenden Welt, und aus demselben
seinen Ursprung nahm, so schliessen wir, dass die gesamte
Welt aus demselben Stoff besteht. Alles, was als Materie er-
scheint, kann, wenn es nur die spezifische Form annimmt, zu
solchen Arten Geist oder Seele werden, wie wir selbst sind;
mit einem Worte: Alles Dasein ist geistig, oder genauer ge-
sprochen: psychisch."*)
') In teilweiser Anpassung an die Terminologie der Übersetzer, welche
in der Regel Ätman durch »Seele« und das, was wir »Seele« nennen, d. h.
die Gesamtheit unserer Gedanken, Empfindungen und Strebungen, durch
»Geist« wiedergeben, sprechen wir hier von »Seele oder Geist«. Anderer-
seits machen wir, um uns einer genaueren Terminologie zu bedienen, den
Vorschlag, eine Unterscheidung eintreten zu tassen. Wenn wir »Seele«
sagen, so meinen wir hauptsächlich das fühlende oder empfindende
Element im Dasein des Menschen ; wenn wir von »Geist« sprechen, so
sind damit die intcllectucll-geistigen und vernünftigen Züge, mit
No. 3. DER BUDDHIST. 85
Die Psychologie des Buddhismus ist kurz niedergelegt in
dem ersten Verse des Dhammapada:
„Alles, was wir sind, ist die Frucht von dem, was wir ge-
dacht haben; es gründet sich auf unsere Gedanken, es ist aus
unseren Gedanken entsprungen."
Dieses Wort beweist, dass der Buddhismus keineswegs
die Existenz der Seele leugnet, wenn unter Seele die Ideen,
Strebungen und geistigen Tätigkeiten des Menschen verstanden
werden. Die Buddhisten erklären, dass die Seele nicht eine
unauflösliche Einheit, nicht ein metaphysisches Selbst ist, son-
dern ein Zusammengesetztes. Des Menschen psychisches und
geistiges Wesen besteht aus »Samskäras« '), d. i. aus gewissen
Formen und formativen Fähigkeiten, welche dem Karman-Ge-
setz zufolge erhalten bleiben und so eine Fortdauer der mensch-
lichen Existenz in dem Wirbel beständiger Veränderungen ver-
ursachen. Oldenberg übersetzt das Wort Samskära durch »Ge-
staltung« und sagt bei der Erläuterung dieses Begriffes:
„Wir könnten Samkhära direkt mit »Handlungen« übersetzen, wenn
wir dieses Wort in dem weiten Sinne verstehen, in welciiem es zu gleicher
Zeit auch die inneren Handlungen, den Willen und den Wunsch in sich
schliesst."
Samskära bedeutet Seelen-Struktur; dieselbe offenbart sich
in Verrichtungen als das formative (bildende) Element, welches
unser Dasein und unser Schicksal schafft. Oldenburg fährt fort:
„Der Buddhismus lehrt: Meine Tat ist mein Besitz, meine Tat ist
mein Erbteil, meine Tat ist der Mutterschoss, der mich gebiert, meine Tat
ist das Geschlecht, dem ich verwandt bin, meine Tat ist meine Zuflucht!
(Anguttara Nikäya, Pancaka Nipäta.) Was dem Menschen als sein Kßper
erscheint, ist in Wahrheit die Tat seines vergangenen Zustandes, welche
dann eine durch sein Streben realisierte Form annehmend, mit einer fühl-
baren Existenz begabt worden ist.
welchen die manigfaltigen Gefühle begabt sind, gemeint. So wäre es ge-
nauer, wenn Clifford anstatt »Geist-Stoff« »Seelen-Stoff« gesagt hätte,
und die buddhistische Lehre: »Alles ist Geist« könnte folgendermassen
definiert werden: Jede Realität, welche empfindenden Wesen als objektiv
erscheint, ist in sich selbst subjektiv; wir nennen sie Materie, aber sie
ist in sich selbst wirkendes Fühlen ; sie kann empfindend werden, sie ist
Seele oder besser: Seelen-Stoff. Über die Definitionen von »Seele« und
»Geist« im einzelnen siehe »Primer of Philosophy« S. 193.
') »Samskära« ist Sanskrit, »Samkhära« oder »Sankhära« ist Päli.
/
/
kS DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Die jüdisch-christliche Weltanschauung schildert uns als
die Geschöpfe Gottes. Wir sind wie Gefässe in des Töpfers
Hand; einige von uns sind für einen hohen Zweck bestimmt,
andere sind als unreine Gefässe geschaffen. Die Buddhisten
betrachten unsern Charakter und unser Schicksal als das Er-
gebnis unserer eigenen Taten in unserem gegenwärtigen Dasein
und in zahllosen vergangenen Existenzen. In diesem Sinne
/ sagt das Dhammapada:
„Durch das eigene Selbst wird das Böse getan, durch das
eigene Selbst leidet man. Durch das eigene Selbst bleibt das
Böse ungetan, durch das eigene Selbst wird man rein. Reinheit
und Unreinheit schafft man sich selbst, niemand kann einen
anderen reinigen. Ihr selbst müsst euch anstrengen, die Buddhas
sind nur Prediger. Der Pfad wurde von mir gepredigt, als
ich die Beseitigung des Stachels im Fleisch verstand".
Nach den buddhistischen Lehren dauert die Existenz der
menschlichen Seelen fort, insofern als die letzteren anderen Gene-
rationen durch Vererbung und Erziehung aufgeprägt werden.
Ein Mensch bleibt derselbe von gestern auf heute und von
heute auf morgen, in dem Sinne, als er aus denselben Sams-
käras besteht; sein Charakter bleibt derselbe, genau so wie
ein Licht, welches einige Stunden brennt, dasselbe Licht bleibt,
obgleich die Flamme fortwährend von anderen Teilchen des
Öles gespeist wird.') Der Mensch desselben Charakters wie
du ist derselbe Mensch, wie du, geradeso wie zwei Dreiecke
von gleichen Winkeln und Seiten kongruent sind. Dies findet
seinen schönen Ausdruck in dem Worte »Tat tvam asi« (das
bist du), welches Schopenhauer zum Grundstein der Ethik
macht; denn diese Anschauung von der Seele, nach welcher
man sich selbst in anderen wiederkennt, beseitigt alle selbst-
süchtigen Motive. (Fortsetzung folgt.)
Roh und barsch sein, verläumderisch, treulos, hochmütig,
voller Habsucht, niemandem etwas zuwenden -— dies und nicht
das Essen von Fleisch ist unrein. Amagandha-Sutta.
:|j
') Ein ähnliches Bild wird im Milindapanha gebraucht.
No. 3. DER BUDDHIST. 87
^^ Mahäbodhi. ^^
Von Karl B. Seidenstücker.
In derselben Zeit des Jahres, da die Pfingstglocken das
deutsclie Land durchiciingen, begeht die buddhistische Welt die
Feier ihres Mahäbodhi-Festes. Das Wort »Bodhi« (Sani-
bodhi, Mahäbodhi) ist stammverwandt mit Buddha und ab-
geleitet von der Sanskrit-Päji-Wurzel »budh«, erwachen,
erleuchtet sein, weise sein. Bodhi heisst also Erwachen,
Erleuchtung, Weisheit. Der Begriff spielt, wie auf den ersten
Blick erhellt, im Buddhismus eine ausserordentlich wichtige
Rolle, ja, er kann als der Kardinalpunkt dieser Religion betrachtet
werden, wie denn der Buddhismus häufig als die Religion der
Erleuchtung, Religion des Erwachens*) definiert worden ist.
Bodhi hat eine doppelte Bedeutung, je nachdem sie vom
religions-gesch ich fliehen oder vom religions-philosop bi-
schen Standpunkte aus betrachtet wird. Im ersteren Sinne
bedeutet Mahäbodhi jenen markanten Wendepunkt in dem
Leben Qäkyamunis, welcher dem letzteren den Ehrentitel der
Buddha verlieh, und welchem die Welt die Segnungen dieser
wunderbaren Religion verdankt. Hochheilig ist den Buddhisten
die Erinnerung an diese Weihe-Nacht, in welcher der Meister
zur klaren Erkenntnis, zur hohen Weisheit gelangte; das Gedenken
an des Meisters geistiges Erwachen ist für sie eine Quelle, aus
der sie neuen Mut, neue Freudigkeit, neuen Trost im Dunkel
des Lebens schöpfen. Mahäbodhi ist für die Buddhisten eben
mehr, als ein religions-geschichtlicher Begriff, welcher für sie
von keiner besonderen Bedeutung sein könnte, wenn sie nicht
wüssten, dass der Meister für sie das höchste Ideal, das er-
habenste Vorbild ist, und dass jene Erleuchtung des Buddha
eine geistige Tatsache darstellt, deren Verwirklichung das Ziel
eines jeden wahren Buddhisten sein sollte. Wenn wir sagen,
Mahäbodhi sei eine geistige Tatsache, so wollen wir damit
unserer Ansicht Ausdruck geben, dass dieses geistige Erwachen
') Es bedarf wohl kaum eini-s besonderen Hinweises darauf, dass
unter Erwachen hier etwas rein Geistiires zu verstehen ist.
te DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
als ein inneres Erlebnis für den Menschen zur Qewissheit wer-
den kann. In diesem Sinne ist Mahäbodhi ein religions-
philosophischer Begriff.
Es soll nun im folgenden der Versuch gemacht werden,
das Wesen der Mahäbodhi kurz zu charakterisieren und auf
die Mittel hinzuweisen, durch welche nach den Lehren des
Buddhismus der Mensch zur Erreichung dieses Zustandes ge-
langen kann. Eins muss von vornherein bemerkt werden: Der
Leser mache den Versuch, möglichst vorurteilsfrei an die Prü-
fung dieser Frage heranzutreten, d. h. nicht von dem Stand-
punkte aus das Mahäbodhi-Problem zu betrachten, auf den ihn
der landläufige abendländische Religions-Unterricht geführt hat;
denn dieser Standpunkt muss im Sinne des Buddhismus als
ein Vorurteil bezeichnet werden, und mit Vorurteilen eine Frage
entscheiden zu wollen, ist von vornherein eine vergebliche
Liebesmühe. Der Buddhismus ist eine durchaus undogmatische
Religions-Philosophie, und wer ihn vom Standpunkte irgend
eines Dogmatismus aus beurteilen will, gleicht einem Menschen,
der die Welt durch eine blaue Brille betrachtet und sich auf
die Behauptung versteift, dass blau das Wesen aller Dinge sei.
Vor allen Dingen hüte man sich von vornherein, aus der
scheinbaren Identität des christlichen Pfingst-Gedankens und
der Mahäbodhi-ldee — im Mittelpunkt beider steht der Begriff
der Erleuchtung — den falschen Schluss zu ziehen, dass beide
in Wahrheit identisch seien. Es ist möglich, dass der christ-
lichen Erleuchtungs-ldee eine tiefere Wahrheit zu Grunde liegt,
jedenfalls ist aber der Vorgang der Erleuchtung, wie er in
weiten Kreisen der Christenheit vorgestellt wird, grundver-
.schieden von der Mahäbodhi der Buddhisten. Der Haupt-
unterschied ist dieser: Während die Erleuchtung im christlichen
Sinne als ein Vorgang angesehen wird, der auf mystische
Weise zwischen einem persönlich-gedachten Gott einerseits und
dem Menschen andererseits sich abspielt, reift die buddhistische
Erleuchtung durchaus nur im Innern des menschlichen Geistes,
ohne jedwede Einwirkung von ausserhalb. Die Vorstellung,
welche das Gemüt des betenden Monotheisten, gleichviel ob
Jude, Christ oder Islämit, erfüllt: „Hier stehe ich als Bittender,
dort bist du, Gott, an den ich mein Gebet richte, der meine
No. 3. DER BUDDHIST. 89
Bitten erhört", diese Vorstellung ist auf dem Boden des Bud-
dhismus durchaus undenkbar, und wer den letzteren mitsamt
der Mahäbodhi-Idee von diesem Standpunkte aus beurteilt, muss
notwendigerweise zu ganz falschen Ansichten kommen. Man
vergesse nie, dass die Vorstellung eines persönlichen Gottes,
der ausserhalb des Menschen ist und Gebete erhört, in der
buddhistischen Lehre als eins der grössten Vorurteile bezeich-
net wird.
Der Buddhismus ist eine durchaus nüchterne Philosophie,
welche weder, wie der Brahmanismus, an irgend welche meta-
physischen Spekulationen anknüpft, noch auch, wie die mono-
theistische Religionen des Westens, auf irgend welchen Ereig-
nissen in der Religionsgeschichte fusst. Der Buddha-Dharma
geht nicht etwa von Erwägungen aus, wie sie die Hindu-Philo-
sophie liebt, ob die Dinge, die wir wahrnehmen, sind oder
nicht sind, ob die Welt real ist oder nicht, — sondern er sagt
schlicht und einfach zu seinen Anhängern: „Schauet um euch
und betrachtet das Leben!" Da ergibt sich als erstes Resultat
einer solchen Betrachtung, dass alle Dinge vergänglich sind.
Diese Vergänglichkeit, dieser Wechsel, herrscht uneingeschränkt
und überall im gesamten Universum: was entsteht, muss ver-
gehen, was erblüht, muss verwelken, was als Form in die Er-
scheinung tritt, muss sich auflösen, was geboren wird, muss j
sterben. Was aber vergänglich ist, birgt Leid in sich; da nun |
das Leben mitsamt seinem Inhalt der Vergänglichkeit unterwor- \
fen ist, so ist das Leben leid voll.
Die eben genannten beiden Tatsachen der Vergänglich-
keit und des Leidens waren einst dem Gemüt des jungen
indischen Prinzen mit furchtbarer Wucht offenbar geworden,
und es handelte sich für ihn nur noch um eine Frage: Wie
kann der Mensch von dem Leiden und von der Ver-
gänglichkeit erlöst werden? In der Erleuchtung hat
Gotama-Siddhattha die Antwort auf diese Frage gefunden.
Der Mensch sieht sich von einer Welt mannigfacher, tausend-
gestaltiger Formen umgeben. Fortwährend empfangen seine
Sinnesorgane Eindrücke, die, zum Hirn geleitet, bestimmte
Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen hervorrufen;
diese Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen ver-
90 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
knüpfen sich im menschlichen Gehirn zur Einheit, und es ent-
steht die Vorstellung: „Ich bin". Das »Ich« wird als ein
selbständiges, getrenntes Wesen empfunden ; es tritt in Gegen-
satz zur Welt und den Dingen, es wird das Zentrum, um
welches sich alle Gedanken und Handlungen des Menschen
gruppieren. Ja, dieses abgesonderte »Ich«, dieses getrennte
»Selbst« in der menschlichen Vorstellung wird schliesslich das
einzige Willensmotiv, und der Ego-Gedanke leitet und lenkt
den Menschen in allem seinem Wirken; er ist das, was wir
Individualität nennen, jene Selbst-heit, deren Frucht die
Selbstsucht ist. Der Mensch klammert sich mit allen Fasern
seines Seins an diesen Selbst-Gedanken; er strebt danach,
dieses »Selbst« um jeden Preis zu erhalten; er wiegt sich in
dem ach so wonnigen Traum, dass sein »Ich« ewig sein werde.
Alles was der Mensch denkt, redet, tut, dreht sich in letzter
Linie darum, sein Selbst zu befriedigen, seinem Ich zu dienen,
seine Individualität noch mehr aus der Welt hervortreten zu
lassen; mit anderen Worten: alles Streben des Menschen ist
im letzten Grunde aus der Selbstsucht geboren.
Bei der Pflanze offenbart sich die Selbstsucht als dumpfer
Lebensdrang, das vegetative Dasein auf Kosten ihrer Umgebung
zu fristen; beim Tiere tritt sie hervor als wilde Grausamkeit,
als roher Begattungstrieb, als ein Vollgeniessen des Augen-
blickes. Beim Menschen sind die Formen der Selbstsucht sehr
verschiedenartig: bald materieller als Geschlechtstrieb, Eigen-
dünkel, Daseins-Kampf, Mammon-Kultus, Streben nach Macht,
Ansehn, Ruhm. Aber es gibt auch feinere Formen der Selbst-
sucht: Behagliches Dahinleben in der Sonne eines momentanen
Glückes, das Verhätscheln gewisser selbstgefälliger Gedanken,
Schwärmerei, der Glaube an die Ewigkeit dieses vielgeliebten Ich.
Nun ist eins klar: Solange der Mensch seiner Selbstheit
frönt, wird er stets aufs neue von Enttäuschungen heimgesucht
werden; denn die Ordnung der Welt sorgt dafür, dass die
Vergänglichkeit aller Dinge offenbar wird, auch der Dinge,
an welche der Mensch sein Selbst hängt; dann tritt die Fülle
des Leidens vor Augen, und der Mensch wird das Leiden um so
stärker fühlen, je mehr der Selbst-Gedanke in ihm Wurzel
geschlagen hat. Ja, der letztere mitsamt der aus ihm erzeugten
No. 3. DER BUDDHIST. 91
Selbstsucht ist ja die Quelle des Leidens. Fühlst du dich als
ein »Ich«, sagst du: „dies ist mein, jenes gehört mir," so musst
du eben Leiden ernten, sobald dir das Sciiicksal das, was du
als dein Eigentum liebst, unerbittlich entreisst. Der Ausweg
aus dem Leiden ist also die Erkenntnis, dass die Individualität,
die sich als ein Ich, ein Selbst fühlt und Dinge in der Welt
als ihr eigen betrachtet, — dass diese Individualität mit aller
ihrer schillernden, trügerischen Herrlichkeit eine Illusion ist.
Diese Erkenntnis und die aus ihr entspringende selbst-
lose Gesinnung des Gemütes ist Erleuchtung im bud-
dhistischen Sinne.
Der Mensch erscheint nach aussen hin objektiv als Form
(Rüpa); sich selbst betrachtend ist er Subjekt mit Empfin-
dungen, Gefühlen, Strebungen und Gedanken-Aspekten. Die
letzteren vier Qualitäten nun sind nicht etwa Verrichtungen
oder Funktionen eines getrennten Ich-Wesens, sondern sie selbst
sind das »Ego«, aus ihrem Zusammenwirken entsteht der Ich-
Gedanke; hierin stimmt der Buddhismus durchaus mit der
modernen Wissenschaft überein. Wie der Körper sich uns als
ein Werden und Vergehen im Reich des Materiellen darstellt,
wie er dem Wechsel unterworfen ist, wie er schwindet und
stetig sich erneuert, so ist auch in dem Innenleben des Men-
.schen kein bleibendes, unveränderliches, getrenntes Etwas vor-
handen, sondern es gilt auch hier uneingeschränkt der Satz
Heraklits: „Alles fliesst."
Wenn ein Mensch den Selbst-Gedanken aufgegeben hat,
wenn er zu der Einsicht gelangt ist, dass kein bleibendes, ge-
trenntes Ego existiert, sondern dass die Vorstellung »Ich« nur
aus dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren resultiert,
dann schwindet in gleichem Masse die Selbstsucht und die
individuelle Lust, welche bis dahin die einzigen Willensmotive
waren. Der Egoismus wird abgestreift, und das Gemüt wird
geläutert. Jetzt wird der Mensch nicht länger die Befriedigung
seines individuellen »Ich« suchen, wird nicht länger an den
vergänglichen Dingen haften, wird fürder keine Enttäuschung,
kein Leid mehr ernten, wenn das Schicksal ihm dieses oder
jenes versagt oder entreisst. Das heisse Ringen nach materiellen
Gütern kommt zur Ruhe; die wilden Wogen des irdischen
92 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Hastens, Jagens und Treibens glätten sich, und in dem Gemüte
herrscht jene Stille, dem Wasser vergleichbar, das nach dem
Toben wilder Stürme sich allmählich glättet, bis endlich der
lautlose, klare Wasserspiegel in majestätischer Ruhe vor uns
liegt. Das ist der Erleuchtung erster Aspekt.
Die Erleuchtung hat die Wolken der Ich-Illusion verscheucht.
Der Mensch fühlt sich nicht mehr im Gegensatz zu den Dingen
stehend, er gruppiert die Welt der Vorstellung nicht weiter um
sein Ego, sondern er ist nunmehr zu der Einsicht gelangt, dass er
nur ein kleiner Teil des Universums, ein geringer Bruchteil des
universellen Lebens ist. Die Aggregate, die in ihm die Vor-
stellung eines wechsellosen, getrennten »Ich« hervorriefen, sie
kommen und gehen, sie sind dem Wechsel unterworfen, und
diese Tatsache erstreckt sich auf alle Lebewesen. So bewirkt
die Erleuchtung, dass sich der Mensch in anderen Geschöpfen
wiedererkennt; er ist, wie sie sind, sie sind wie er. Diese Ein-
sicht läutert die Gesinnung des Menschen; es schwindet Hass,
Zorn, Übelwollen, Neid und Groll. Mitleid, Sympathie, Wohl-
wollen, Erbarmen treten an ihre Stelle, und wo früher Egoismus,
Selbstsucht wucherte, da erblüht jetzt die Blüte reiner Selbst-
losigkeit. Diese Gesinnungs-Läuterung führt zur Tat-Läuterung;
der Mensch handelt nicht mehr egoistisch, sondern sein Wirken
wird selbstlos und ist solcherart, dass keinem lebenden Wesen
daraus Leid erwachsen kann. Das ist der Erleuchtung zweiter
Aspekt.
Wenn im Augenblick des geistigen Erwachens der Egois-
mus als Triebfeder der Handlungen dahinschwindet, wenn das
Wirken selbstlos wird, so glaube niemand, dass der Mensch
dadurch erschlafft oder verweichlicht. Im Gegenteil! Eine Ge-
sinnung, welche derartig geläutert ist, dass sie für ihre Taten
keinen Lohn beansprucht, entwickelt erst die wahre Energie,
weil sie durch keinen Fehlschlag, durch keine Anfeindung, durch
keinen Misserfolg irgendwie erschüttert oder enttäuscht wer-
den kann. —
Es handelt sich nunmehr nur noch, um die Beantwortung
der Frage: Welches sind die Mittel, durch deren Anwendung
der Mensch zur Erleuchtung gelangen kann? Der Buddha hat
vor zwei extremen Irrwegen gewarnt: vor Sinnen lust einer-
No. 3. DER BUDDHIST. 93
seits und vor Abtötung andererseits. Beide entspringen dem
Selbst-Gedanlten und der Selbstsuciit: Die Sinnenlust sucht das
Icii durcii irdische Freude zu sättigen. Die Abtötung sucht durch
peinvolle Verzichtleistung auf irdische Lust dem Ich ein jensei-
tiges Paradies zu erobern; beides schafft Enttäuschung und
Leiden, beides ist nutzlos. Der Mittelweg allein führt zum Ziele.
Strebe nach rechter Einsicht in die Natur der Welt; aus dieser
Einsicht heraus keimt eine reine selbstlose Gesinnnung. Hand
in Hand damit geht die Tat-Läuterung durch Tugendpflege und
Gemütsläuterug durch Meditation. Verbanne den Selbst-Ge-
danken, überwinde Selbstsucht und Gier, indem du dich von
der Illusion der Individualität frei machst; das ist der Weg, auf
dem du zur Vernichtung des Leidens, zur Aufhebung von
Kummer, Sorge, Enttäuschung, zur Beseitigung von Begierde,
Hass und Wahn gelangen wirst.
Wenn der Mensch die Erleuchtung vollständig realisiert
hat, dann ist jener glückselige Zustand erreicht, dessen Name
Nibbäna ist: das ist die tiefe Meeresstille des Gemütes, der
von Leidenschaften und Leid befreite Geist, jener Zustand, den
ein deutscher Buddhist so treffend bezeichnet hat als »den
festen Ruhestand im rollenden Rade des Lebens«. —
Das Jahr eilt mit Riesenschritten seinem Höhepunkt entge-
gen. Die Natur prangt im vollsten Blütenschmuck; helles Sonnen-
licht durchflutet Luft und Erde; bald ist St. Johannistag —
Sommersonnenwende. Dann hat die Sonne ihren höchsten
Stand erreicht, und auf den Höhen deutscher Berge lohen die
Johannisfqier. Menschenherz, lass dich nicht betören durch diese
Pracht, durch dieses irdische Licht. Vergiss nicht, dass an
dem lichtesten Tage im Jahre die Gräber der Dahingeschiedenen
geschmückt werden, denke daran, dass gerade zu St. Johanni, da das
Leben in der Natur in vollster Blüte steht, vom Friedhof her ernst
die Weise erklingt: „Wer weiss wie nahe mir mein Ende!"
Tod und Leben, - Vergänglichkeit! Hänge dein Herz nicht
an die vergänglichen Güter dieser Welt, sondern wachse in der
Erkenntnis, dass das Verstehen der Vergänglichkeits-Wahrheit
aller Weisheit Anfang ist:
„Auf und wappne dich mit Weisheit,
Denn, Jüngling, die Blume verblüht."
94 DER BUDDHIST. I, Jahrg.
Wie echt buddhistisch hat hier der christliche Dichter gesprochen!
Wie wahr ist dieses Wort! Hast du, o Menscli, die Weisheit
vollständig realisiert, von welcher Klopstock singt, dann weisst
du, was Mahabodhi ist. Glückselig der Mensch, in dessen
Gemüt die geistige Sonne aufgeht, glückselig das Wesen, wel-
ches aus dem Wahne des Sonderseins zur geistigen Freiheit
erwacht ist!
Das Utthäna-Sutta.
Erhebe dich! Raffe dich auf! Was nützt dir dein Schlafen?
Gibt es auch Schlaf für die Siechen, die getroffen sind vom
Pfeile (der Trübsal) und vom Leide?
Erhebe dich! Raffe dich auf! Strebe ohne Unterlass nach
Einsicht, damit du zum Frieden gelangst. Lasse dich nicht
von dem Fürsten des Todes umgarnen und überwältigen, nach-
dem er dich als lässig erkannt hat.
Überwinde jene Gier, von der Götter und Menschen erfüllt
und beherrscht sind; lass dir den rechten Augenblick nicht
enteilen; denn diejenigen, welche die zugemessene Zeit unbe-
nutzt haben vorübergehen lassen, werden klagen, wenn sie auf
dem abwärts führenden Pfade angelangt sind.
Trägheit ist Befleckung; dauernde Schlaffheit ist Besudelung.
Voll Energie und Einsicht möge man seinen Pfeil herausziehen.
Buddhistische Sittenlehren.
Fünf Lebensregeln: Kein Leben zerstören, — nichts nehmen,
was nicht freiwillig gegeben wird, — sich von Unkeusch-
hcit fernhalten, — keine Unwahrheit sprechen, — keine
berauschenden Getränke geniessen.
Zehn Gebote: Nicht töten, nicht stehlen, — nicht unkeusch
sein, - nicht lügen, - - nicht verleumden, — nicht gemein
reden, — nicht unnütz reden, — nicht begehren, — nicht
gehässig sein, — nicht vorsätzlich skeptisch sein, — (in
einzelnen Schulen: nicht falsch oder hinterlistig sein).
No. 3. DER BUDDHIST. ,95
Zehn zu vermeidende Irrungen: Bcgicrdt-, Hass, Wahn, Stolz,
Aberglauben, vorsätzliche Skepsis, Trägheit, Sclbstgerech-
tigiceit, Schamlosigkeit, Nachlässigkeit.
Zehn Tugenden: Mildtätigkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit, Weis-
heit, Tatkraft, Langmut, Wahrhaftigkeit, Entschlossenheit,
Lindigkeit, Gleichmut.
Vier grosse Anstrengungen: Keine schlechten Zustände des
Gemütes aufkommen lassen, — vorhandene schlechte Zu-
stände beseitigen, — gute Zustände hervorbringen, — vor-
handene gute Zustände vermehren.
Das vierfache Gedenken: An die Hinfälligkeit des Körpers,
— an die Gefahren, die aus den Sinnesempfindungen ent-
springen, — an die Unbeständigkeit der Gedanken, — an
die Vergänglichkeit aller zusammengesetzten Dinge.
Die vierfache Gemüts Vertiefung, die darin besteht, allen Wesen
aufrichtigen Herzens Gutes zu wünschen, — mit dem Leiden
anderer mitzufühlen, — sich über das Wohlergehen anderer zu
freuen, — Wohlwollen gegen alle Wesen in sich wachzurufen.
^ Lieder des Lebens. P
Von Wolfgang Bohn.
Kapima (Karman).
Die Dämm'rung schmeicliclte mit weichen Schwingen
Um Deine silbcrwcissen Haare, Bruder,
Müd' senktest Du Dein Haupt — da lag das Ruder,
Der Hand entglitten und den Eisenringen.
Vor einem Leben sank der Vorhang nieder.
Ein Becher Wein verblieb vom Korb voll Trauben,
Und unter immergrünen Cypruslauben
Verweht' ein Hauch die letzten, reifsten Lieder.
So sah ich Dich! Und blitzhell durch Äonen
Erkannt ich mich in Deinem stillen Frieden
Und fand den Kelch, — von dem Du einst geschieden
Aus seiner Süsse Deine Tat zu lohnen.
Und Bitterkeit, die noch im Trank geblieben.
In meinem Leben findet letzte Gährung;
Was Du nicht gabst, hier biet' ich die Gewährung,
Ins Weltall schütt' ich aus mein ganzes Lieben.
96 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Lied von der Erlösung.
Unerlöst in Lust und Leid,
Sclnnuck in Mäyäs Goldgcschmeid,
Holil im Herzen, lag das Land, t
Schrie nach Lösung unverwandt.
Da fandest Du
Nirvänas Ruh!
Märas Schar
Zerschlagen war. —
Selbstsucht, die im Sein erhält,
Überwunden schweigt und fällt.
Still stand das Rad,
Es sank die Saat,
Der Tropfen glitt
In Meeres Mitt'.
Sinnend unterm Blütenbaum
Löstest Du aus Trug und Traum
Die gefesselte Natur,
Brahmas müde Crcatur.
Der Briiderscliar
Vertrauet war
Licht und Lehr',
Der Sprüche Meer.
Brausend tönt Dein Liebeswort
Herzenzwingend fort und fort.
Mit Blumen gekränzt,
Der Tempel glänzt.
Dein Friedensfest
Eint Ost und West.
Freier Wille.
Zum Flusse war ich, müd' und matt vom Staub'
Der Strassen abends einst hinabgestiegen,
Und sah das Blatt im Strom vorüberfliegen —
Der Woge Spiel, der Welle sich'ren Raub.
Wenn — dachte ich — die Seel' im Blatt erwacht,
Was würde sie zu solchem Tanze sagen? —
„Mein Wille hat mich in die Flut getragen,
„Und eifrig streb' ich dem Entschlüsse nach."
Und Buddha sprach: Bist selbst ein Blatt im Bach,
Und glaubst nach eig'nem Wunsche frei zu handeln
Und zwischen grünen Ufern hinzuwandeln.
Doch läufst auch Du dem Schicksalsziele nach.
Kannst nicht den Strom, in dem Du treibst, verlassen;
Und mit ihm zieht Dein Leben, Lieben, Hassen.
Vertntwortlichrr Kedakteur: Karl H. ScidenstOckcr, Leipzig. Verlag: Buddhistischrr Verlag
in Leipzig. — Druck von Arno Bachmann in Baalsdorl-Leipxig.
J^enry S. Oleott.
(Verfasser des ältesten buddhistischen Kafechismus und der
vierzehn buddhistischen Leitsätze.)
Alle Suaden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhamraapada, V. 183.
Der erhabene achtfache Pfad.
Von James Allen.
Es gibt, ihr Bliilikiius, einen mittleren
Pfad, der die beiden Extreme") vermeidet,
der von dem Tathägata-) entdeckt ist, —
einen Pfad, welciier Einsicht verleiht und
Verständnis schafft, welcher zum Frieden
des Gemütes führt, zur höheren Weisheit,
zum grossen Erwachen, zum Nibbäna!
Dhammacakkappavattana-Sutla.
Erhaben fürwahr ist der achtfache Friedenspfad, welchen
der »Nachfolger der Erleuchteten« entdeckt und erklärt hat;
erhaben allerdings nicht sowohl deshalb, weil er, dessen Leben
gross und erhaben war, ihn enthüllt hat, sondern erhaben
ist dieser Pfad wegen der Wahrheit, welche er enthält und
wegen des Friedens, zu dem er führt; erhaben, weil er
eine Zusammenfassung des Weges ist, den der hohe Meister
selbst wandelte, und auf dem er der vollkommenen Erleuchtung
teilhaftig geworden ist.
Es bedarf nun freilich keines hohen Grades von Weisheit,
um eine Reihe von Gesetzen aufzustellen, oder ein Dogma zu
proklamieren. Das kann auch ein Tor tun. Der humanitäre
Wert der Lehre vom mittleren Pfade liegt nicht in der Tatsache,
') Die beiden Extreme sind das weltliche Leben, das auf der Befrie-
digung der Sinneslust beruht, und die Praxis selbstquälerischer Abtötung.
-) Tathägata ist ein Epitheton des Buddha und bedeutet: »Einer, der
in den Fusstapfen seiner erleuchteten Vorgänger wandelt.
7
98 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
dass der letzere von dem Buddha entworfen oder erläutert
worden ist, sondern vielmehr darin, dass der Buddha ihn
wandelte und dadurch entdeckte, ja, dass er ihn bis zum Ziele
verfolgte, bis zu Nibbänas gesegnetem Frieden. So sind in
diesem Pfade das edle Streben und die heiligen Anstrengungen
des Meisters selbst zusanimengefasst und erklärt, und wer ihn
beschreitet, geht den Weg, den der Buddha einst ging, er
kämpft, wie er einst kämpfte, ja, er tritt in die Fusstapfen dessen,
der so mächtig überwunden hat.
Es ist der Weg der Gerechtigkeit, der heilige Friedenspfad,
die Enthüllung des Lebensgesetzes. Ausserhalb dieses Pfades
ist alles Irrtum, Leidenschaft und Täuschung; er umfasst, ja er
übersteigt zuletzt noch die Höhen moralischer Vollkommenheit,
und sein Gipfel ist bestrahlt vom Lichte eines unaussprechlichen
Friedens.
Und so ist dieser Pfad, den Sakyamuni fand, nicht der
Pfad Sakyamunis allein. Wenn irgendwo ein Heiliger vorhanden
ist, welcher nichts weiss von dem Buddha und seiner Lehre,
ein Heiliger, der dennoch durch energische Selbstbezähmung
zur höchsten Erleuchtung gelangt ist, — so hat dieser Weise
damit den erhabenen achtfachen Pfad betreten und nach und
nach die verschiedenen Stufen desselben erklommen ; und wenn
dieser Mensch den Weg beschreiben würde, den er mit Fleiss
und Eifer zurückgelegt hat, so würde er denselben achtfachen
Pfad enthüllen und lehren, obwohl er sich immerhin einer ver-
schiedenartigen Ausdrucksweise bedienen könnte. Denn es
gibt nur einen Weg zum Lichte, nur den einen wahren Pfad
der Gerechtigkeit und Liebe. Die Worte, in welche die Lehre
vom Pfad gekleidet ist, können verschieden sein, aber der Pfad
ist ein und derselbe, und niemand kann zur Erleuchtung und
zum Frieden gelangen, es sei denn, dass er diesen Weg ge-
wandert ist.
Acht aufeinander folgende Stufen sind die Teile des Pfades;
sie bilden einen wunderbaren Stufengang, der in seiner Grund-
lage von dem Morast der Erde seinen Anfang nimmt, während
sein Gipfel sich in dem unbegrenzten Lichte Nibbänas verliert.
Und diese acht Stufen sind mit einander verbunden; sie sind
der Ausdruck eines vollkommenen Lebensgesetzes und die kurze
No. 4. DER BUDDHIST. 99
Zusammenfassung des Weges, den der des Leidens-Lebens
müde Pilger gehien muss. Es handelt sich hier um die Glieder
eines praktischen Vorwärtsschreitens, nicht um Theorieen
oder Glaubenssätze; es ist der Fortschritt im rechten Handeln,
rechten Reden, rechten Denken und in der Überwindung von
Leidenschaft und Irrwahn, und eine jede Stufe, die zuversicht-
lich erklommen wird, bringt den Jünger näher dem höchsten
Erwachen, näher der Befreiung, näher dem grossen Frieden.
Welches sind nun die acht Stufen, und wie kann sie ein
Mensch begreifen und verwirklichen? Lassen Sie uns ihren
Sinn sorgfältig betrachten! Die erste Stufe heisst rechte An-
sichten, oder, wie Dr. Paul Carus übersetzt, rechtes Ver-
ständnis. Bevor ein Mensch die erste Stufe des Pfades be-
treten kann, muss sein Verständnis geklärt sein. Beachten Sie,
was darin liegt! Alle verkehrten Ansichten müssen aufgegeben,
alle eitlen Vorstellungen von den Dingen müssen abgelegt und
alle Vorurteile müssen verlassen werden; denn wessen Geist
durch diese Dinge noch verdunkelt ist, der kann kein rechtes
Verständnis haben. Bevor die Wahrheit ergriffen werden kann,
muss der für die Erkenntnis der Wahrheit richtige Standpunkt
des Geistes gewonnen sein, und dieser Standpunkt fordert vor allen
Dingen jene Demut des Herzens, welche alle vorgefassten,
selbstischen Vorstellungen, alle angenehmen Annahmen und
geliebten Meinungen ohne Vorbehalt auf dem Altar als Opfer
darbringt.
Niemand kann den Pfad betreten, der nicht bereit ist, ja,
der nicht danach brennt, äusserst zu entsagen. Wer in irgend
ein selbstisches Element verliebt ist, wer begierig an irgend-
welchen geliebten Gegenständen hängt, oder wer ängstlich um
die Aufrechterhaltung und Fortsetzung seiner Meinungen sorgt
und eine gehässige, aburteilende Gesinnung gegen die Ansichten
anderer in sich hegt, kann noch nicht die erste Stufe des Pfades
beschreiten. Ein solcher Mensch hat noch nicht die drei er-
habenen Wahrheiten verwirklicht, welche der vierten — der
Wahrheit vom Erlösungs-Pfade — vorausgehen. Es wird sich
so zeigen, dass, bevor die erste Stufe des Pfades genommen
werden kann, eine durchgreifende strenge Vorbereitung des
Gemütes sich notwendig macht. Die erste Wahrheit vom
7»
100 DER BUDDHIST. I. Jalirg.
Leiden, das aus der Vergänglichkeit entsteht, muss in ihrem
vollen Umfange erfasst sein; die zweite Wahrheit von der
Ursache des Leidens, welche in dem Haften an den ver-
gänglichen Dingen liegt, muss klar erkannt, und die dritte
Wahrheit von der Aufhebung des Leidens durch
das Aufgeben des Haftens an den vergänglichen Din-
gen muss ganz verstanden sein. Die meisten Menschen blei-
ben ausserhalb des Weges stehen, weil sie nicht die Opfer
bringen wollen, welche für sie notwendig sind, damit sie fähig
werden, die erste Stufe zu betreten. Verloren in Egoismus,
Selbstgefälligkeit und in dem Hang nach Lust, nach vergäng-
lichen Dingen und Vorstellungen, sehen sie nicht die Notwen-
digkeit dieses Selbstopfers, ohne welches der Pfad nicht ver-
standen, geschweige denn seine erste Stufe betreten werden
kann. Verloren in der Lust der Vergnügungen des Selbst
und in der Betrachtung der Täuschungen des Selbst, welche
als Realitäten vorgestellt werden, bemerken die Menschen
nicht das Leid, welches unaufhörlich an dem Herzen des selbst-
ischen Lebens nagt, und sie nehmen .sich infolgedessen nicht
die Mühe, die Ursache des Leidens und das Heilmittel gegen
dasselbe aufzufinden.
Wer tief über die Übel des Daseins nachsinnt, kommt
schliesslich dahin, dass er das schmerzende Leid wahrnimmt,
welches den Veränderungen im Leben folgt; wer ernstlich über
den Sinn dieses Leidens meditiert, muss schliesslich dessen
Ursache erkennen, und wer in tatkräftiger Anstrengung aus
seinem Geiste diese Ursache entfernt, wird tüchtig, den er-
habenen achtfachen Pfad zu wandeln. Er ist bereit, seinen
selbstischen Vergnügungen und eigenen Ansichten zu entsagen,
— jenen Dingen, welche die Menschen so werthalten, — und
ein Leben der Heiligkeit zu leben.
Wenn der Mensch auf diese Weise fortgeschritten ist, hat
er sich rechtes Verständnis erworben; er sieht die Dinge,
wie sie sind. Von Leidenschaften und Vorurteilen nicht mehr
verwirrt und nicht mehr erpicht darauf, die Begierde befriedigen
zu wollen oder irgend eine Partei zu verteidigen, ist er fähig
geworden, jene Gemütsruhe zu pflegen, kraft deren er die Dinge
in ihrer wahren Natur zu schauen vermag. Er sieht nackte
No. 4. DER BUDDHIST. löl
Tatsachen hinter den Schleiern von Hypothesen, in welche die
Menschen die Dinge gehüllt haben, und durch welche die
letzteren verschleiert worden sind ; er erkennt, dass hinter den
veränderlichen und widerstreitenden Ansichten der Menschen
beständige Prinzipien vorhanden sind, welche die ewige Wirk-
lichkeit in der kosmischen Ordnung ausmachen.
Dieser Stand des Gemütes führt den Menschen zur
zweiten Stufe, zum rechten Streben, oder, wie auch über-
setzt wird, zum rechten Entschluss. Nachdem nämlich der
Mensch die vergängliche Natur aller Dinge, auch der seelischen
Funktionen, erkannt, und jene herrliche Intuition erlangt hat,
welche ihn befähigt, das Dauernde vom Vergänglichen zu
unterscheiden, strebt er nach der Erlangung einer vollkommenen
Erkenntnis dessen, das jenseits von Wechsel und Leid liegt,
und fasst den starken Willensentschluss, zu diesem wechsellosen
Frieden zu gelangen, — dorthin, wo sein Herz Ruhe finden,
wo sein Gemüt standhaft, klar und heiter werden kann.
Ein derartiges Streben und Sich-entschliessen führt zu
einer Entfaltung der Selbstzucht, welche die veränderlichen,
schwankenden Elemente aus dem Betragen ausschaltet. Wer
eifrig der Verwirklichung eines heiligen Lebens zustrebt, wer
diese Anstrengungen gegen alle seine Sünden und Fehler mit
glühendem Eifer beständig erneuert und durch Gedanken der
Demut nährt, gelangt schliesslich zu der Station seiner Pil-
grimschaft, wo er die Kraft, sich selbst zu bemeistern, voll-
ständig in seine Hand nimmt. Das Streben führt zur Praxis
oder Tat, und die dritte Stufe des Pfades, — rechte Rede
— ist in Wahrheit die erste Stufe einer reinen, lauteren Praxis.
Dies ist der Anfang jener strengen Selbst-Disziplin, welche die
Grundlage eines standhaften Lebens bildet, und ohne welche
die Wahrheit nicht verstanden werden kann. Wenn diese Stufe
erreicht ist, dann hat der Mensch das ewige Gesetz der
Gerechtigkeit erkannt und weiss, dass er seinen Lebens-
wandel nach diesem Gesetz einrichten, dass er ihm in allen
Einzelheiten seiner Lebensführung gehorsam sein muss. Un-
bescheidenheit, Unbedachtsamkeit, Verleumdung, Schmähung,
unnütze, harte und bittere Worte, sind der Ausdruck des Un-
gehorsams gegen dieses grosse Gesetz und müssen bedingungs-
108 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
los aufgegeben werden. Anstatt deren halte man seine Zunge
wohl im Zaum und mache ernstlich den Anfang damit, nur
solche Worte zu sprechen, welche edel, rein und wahr sind;
man wähle seine Rede so, dass Leidlosigkeit und Friede daraus
entstehen.
Die Vollkommenheit in reiner, freundlicher Rede führt leicht
und sicher zu der vierten Stufe, genannt rechtes Betragen.
Wenn ein Mensch die selbstischen Elemente aus seinen Worten
entfernt hat, so wird er weiter dazu schreiten, alle seine Hand-
lungen von jedem selbstischen Makel zu reinigen; er wird
daran gehen, nur das zu tun, was wahr, schön und untadelhaft
ist. Er wird nun aus sich alle Gedanken ausmerzen, die auf
einen Gewinn, auf eine Vergeltung hier oder im Jenseits reflek-
tieren, und sein Handeln gänzlich vom egoistischen Interesse
ablösen. Hinfort wird er nimmer Liebe und Mitleid ausser
Acht lassen, sondern ein Heiligtum reiner fleckenloser Taten
werden. Äusserer Antrieb und der Gedanke an eine Wieder-
vergeltung sind für ihn nicht mehr vorhanden; Neigung und
Abneigung gibt es für ihn nicht mehr, und sein Handeln wird
frei von Leidenschaft, frei von Hang, frei von Streit sein.
Wenn der Mensch so jegliches Verlangen nach einer Belohnung
für gute Taten beseitigt hat und sich in seinem Tun nur noch
von Liebe und Mitleid leiten lässt, erwirbt er jene untrügliche
Einsicht und jene feine Unterscheidungskraft, welche ihn in-
standsetzen, zwischen denjenigenHandlungen zu unterscheiden,
welche recht sind, (d. i. welche in vollkommenem Einklang
mit dem grossen Gesetz stehen), und denjenigen, welche un-
recht, (d. h. der Gerechtigkeit entgegengesetzt) sind, und er
erntet die Glückseligkeit, welche er um sich verbreitet, ohne
dass er irgend ein Verlangen nach Belohnung oder Ge-
winn hegt.
Schwer zu erklimmen sind die beiden Stufen der rechten
Rede und des rechten Handelns, und auf dem Wege zu ihnen
trifft und überwindet der Wanderer manches Leid, und viele
innere Feinde werden zu Boden gestreckt. Das Entfernen der
selbstischen Elemente aus Wort und Tat erfordert Anstrengung,
Mut, Geduld, Kraft und Ausdauer, — Kräfte, die durch eine
andauernde Praxis in demselben Masse entwickelt werden
No. 4. DER BUDDHIST. 1Ö3
als der Strebende vorwärts schreitet; und wenn der Forschende
Schritt für Schritt das Ende der vierten Stufe, des rechten
Handelns, erklommen hat, gewinnt er eine erhabene Reinheit
und schafft in Geist und Herz eine unwandelbare Milde, Barm-
herzigkeit und liebevolle Güte. Er versenkt sich in die ihn
umgebenden Dinge, welche sich in Harmonie mit seiner inneren
Reinheit und Güte befinden; er kann sich nicht in solche Be-
schäftigungen verwickeln, welche mit Grausamkeit, Betrug,
Hinterlist oder Bestialität verquickt sind. So betritt er die
fünfte Stufe, nämlich die rechte Art, den Lebensunter-
halt zu erwerben, und auf diese Weise wird sein ganzes
Leben — innerlich wie äusserlich — untadelhaft, rein, un-
befleckt von Sünde und Leid.
Bevor der Mensch die fünfte Stufe erreicht hat, ist er vor-
wiegend ein Lernender. Wie der Athlet seine physische Gestah
ausbildet und durch eine unermüdliche Trainierung Herrschaft
über seine Muskeln gewinnt, so ist der Wahrheits-Jünger auf
den ersten fünf Stufen damit beschäftigt, seine höheren geistigen
Kräfte und spirituellen Fähigkeiten zu entwickeln und die Kontrolle
über sein Gemüt zu erringen, und wenn er dies erreicht hat, ist er ein
Überwinder geworden, und gross und ruhmreich sind die Siege
dessen, der das Selbst überwunden hat. Nun ist der Mensch
nicht mehr länger nur ein Lernender, sondern vielmehr ein
Meister; denn er hat vollkommene Herrschaft über sich selbst
erreicht, und durch die Macht einer solchen Selbst-Bemeiste-
rung stehen ihm stets die Kräfte und Energieen des Geistes
zur Verfügung, welche er unter seine Herrschaft gebracht hat.
Alle die Kräfte, welche weltliche Menschen zwecklos und leiden-
schaftlich vergeuden, erhält er und lenkt dieselben nach einem
bestimmten Ziel in ruhiger Meisterschaft. Bis zu diesem
Punkte hat es noch hin und wieder ein Schwanken hinsichtlich
seines Zieles gegeben, wenn gelegentlich die Neigung sich ein-
schlich, verlangend zurückzublicken nach irgendwelchen irdi-
schen Dingen, die aufgegeben worden sind; sobald aber die
fünfte Stufe erreicht ist, schwindet auch das; das Gemüt wird
lauter und weise geleitet; alle Formen des Zweifels und
der Furcht sind für immer zerstört, und der Jünger ist voll
erwacht und erleuchtet. Er erkennt die ungetrübte Wahrheit.
104 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
So wird die siebente Stufe betreten, die Stufe der
rechten Anstrengung. Der Jünger ist nun ein Lehrer ge-
worden. Nachdem er sich voiiicomnien bemeistert und sein
Leben weise geregelt hat, wird er fähig, andere zu lehren und
zu führen. Da er sich selbst überwunden, ist er ein Meister
der Tugend; da er sich selbst geläutert, kennt er das vollkom-
mene Leben; da er heilig handelt, kennt er die Heiligkeit; da
er die Wahrheit betätigt hat, ist er in der Erkenntnis der
Wahrheit vollkommen geworden. Er erkennt das Wirken des
immanenten Weltgesetzes und ist liebevoll, weise, erleuchtet.
Und weil er liebevoll, weise, erleuchtet ist, tut er alles zu einem
weisen Endzweck, in der vollen Erkenntnis dessen, was er tut
und was er erreichen will. Er vergeudet kein Atom Energie,
sondern tut alles mit ruhiger Sicherheit im Hinblick auf das
Ziel und mit durchdringender Einsicht. Dies ist der Zustand
der Meister-Kraft, in welchem das Streben frei ist von Wider-
streit und Irrtum, und es wird eine vollkommene Gemütsruhe
unter allen Umständen behauptet. Wer diesen Zustand erreicht
hat, bringt alles das zur Ausführung, was er sich in seinem
Geiste vorgenommen hat; er führt es aus, befreit von Zweifel,
Furcht, Ungewissheit, Angst und lästiger Mühe. Schlafend oder
wachend, arbeitend oder ruhend, tut er alles in Übereinstim-
mung mit dem grossen Gesetz, und durch seinen vollkommenen
Gehorsam diesem Gesetz gegenüber hat er die moralische Kraft
und die vollendete Einsicht eines Buddha erlangt. Dann be-
tritt er ohne Hindernis die siebente Stufe, d. i. die Stufe
der rechten Gedankenkonzentration; denn nachdem er die
Kraft einer vollkommenen Selbst-Führung erworben hat, sind
alle seine Gedanken nach weisen, einsichtigen Zwecken geord-
net. Er hat alle selbstischen Gedanken aufgegeben, und sein
Denken ist nunmehr das Gedenken an die Wahrheit. Wie der
Zimmermann das Holz einer nützlichen Bestimmung gemäss
ordnet, so wendet er die Wesenheit des Denkens den höchsten,
heiligsten Zielen zu. In einem Augenblick kann er alle seine
Geisteskräfte auf einen beliebigen Gegenstand konzentrieren
und denselben ohne Anstrengung erfassen in seinem ganzen
Umfange und mit den Schwierigkeiten und Feinheiten, die mit
ihm verbunden sind. So gibt es für denjenigen, welcher die
No. 4. DER BUDDHIST. 105
siebente Stufe erklommen hat, keine Schwierigkeiten mehr;
denn nachdem er die Erkenntnis der grundlegenden Prinzipien
seines Wesens, und somit der Welt, erlangt hat, versteht er
die Prinzipien aller Dinge, und indem er in den innersten
Kern und Grund seines Wesens eindringt, steht er Auge in
Auge mit der Ursaciie alles Seins und vermag in untrüglichem
Schauen den Verzweigungen aller universalen Wirkungen zu folgen,
welche aus dieser Ursache entspringen. Er hat die Illusion
überwunden; er ist der Kenner der Wirklichkeit; er ist die
Wirklichkeit. Allen Irrtum hat er besiegt; er ist der Kenner
der Wahrheit; er ist die Wahrheit.
Und so ist die achte und letzte Stufe erreicht, der rechte
Zustand eines friedvollen Gemütes; denn was bleibt,nach-
dem sich die Wahrheit in ihrer ganzen Erhabenheit und Glorie
enthüllt hat, noch übrig, was den Menschen bekümmern könnte?
Worüber sollte in diesem Zustande noch Unruhe, Verwirrung
oder Angst empfunden werden? Was gibt es da noch zu
zweifeln oder zu fürchten? Wer den quälenden Durst nach
»Da-sein« gelöscht, wer alle Leiden überwunden und alle die
Täuschungen zerstreut hat, die aus diesem »Durst« entspringen,
steht Auge in Auge mit der ewigen Wirklichkeit; er ist eins
geworden mit der Wahrheit. Die Welt des Geboren-werdens
und Sterbens, des Leidens und der Vergänglichkeit kann ihn
nicht mehr berühren; er wird nicht länger getäuscht, verwirrt
und erschüttert durch den unaufhörlichen Wechsel; er kommt
zur Ruhe dort, wo keine Veränderung mehr vorhanden ist. —
Der erhabene achtfache Pfad ist ein Pfad der Selbst-Über-
windung und Selbst-Erleuchtung. Die ersten beiden Stufen
sind Stufen der Vorbereitung. Das Gemüt wird geläutert von
falschen Hoffnungen und Befürchtungen, von egoistischen Mei-
nungen und unbegründeten Ansichten; dafür wird das Streben
nach dem Guten, Wahren und Ewigen erzeugt und gepflegt
Die dritte und vierte Stufe sind Stufen der Praxis im rechten
Handeln. Die intensive Richtung des Geistes nach aufwärts
zu dem Reinen, Mitleidsvollen, Milden und Wahren führt
schliesslich zu dem Punkte, wo Reinheit, Mitleid, Milde und
Wahrhaftigkeit praktisch ausgeübt werden, und alles, was sich
nicht in Harmonie mit diesen erhabenen Bedingungen befindet,
106 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
wird Schritt für Schritt aus dem Charai<ter entfernt; reine Ge-
dani<en und heilige Handlungen werden zur Gewohnheit. Die
fünfte Stufe ist eine Stufe des Gleichgewichtes, des (inneren)
Glückes, welche als das Ergebnis einer langen Selbstzucht und
der Ausdauer in der Ausübung der Tugend entsteht. Es ist
das die Zeit, da die heilige Kraft gesammelt und aufgespei-
chert wird. Auf der sechsten und siebenten Stufe wird die
Kraft bestimmt geleitet, und die Einsicht weise geordnet. Die
achte Stufe ist vollkommener Friede, die Frucht eines gänzlich
geläuterten Lebens.
In den acht Stufen gibt es fünf verschiedene Perioden
oder bestimmt begrenzte Abteilungen, nämlich: — eine Periode
der Vorbereitung (erste und zweite Stufe); zwei Perioden des
Handelns (dritte und vierte, sechste und siebente Stufe); zwei
Perioden des Segens (fünfte und achte Stufe).
Dies ist der erhabene achtfache Pfad, dessen Ende die
höchste Erleuchtung ist; sein Ergebnis ist die Befreiung von
der Knechtschaft des Selbst. Der Pfad ist in uns. Wer ihn
mit ernstem, wahrheitliebendem Gemüte sucht, wird ihn finden;
wer ihn findet, wird ihn wandeln; und wer ihn demütigen
Fusses und freudigen Herzens betritt, wird zuletzt sicher das
goldene Ufer der grossen Befreiung erreichen, wird seinen
müden, wunden Fuss kühlen im Meer der Seligkeit.
(Buddhism.)
f^m Nibbäna. U^fJ^
Von Bhlkkhu Ananda Maitriya.
(1. Fortsetzung.)
Es scheint mir nun, dass in analoger Weise das Aufgeben
der alten ego-zentrischen Irrtümer nicht nur unsere Auffassung
von der Natur der geistigen Welt erheblich erweitern, sondern
auch die Sittlichkeit, Humanität und vor allen Dingen die
Toleranz fördern wird. Mag das sein, wie es will, — genug,
die Notwendigkeit ist evident, dass wir, wenn wir die Nibbäna-
Idee richtig erfassen wollen, der buddhistischen Weltanschauung
gemäss folgendes begreifen müssen: Wie die Erde nicht das
No. 4. DER BUDDHIST. 107
Zentrum des Universums ist, wie es überhaupt keinen fest-
stellenden Mittelpunkt des Universums gibt, — ebensowenig
existiert im Menschen ein selbständiges Ego oder Seeienwesen,
d. h. eine ewig-währende getrennte Seelen-Persönlichkeit; denn
ohne ein klares Verständnis dieses Punktes kann von vornherein
eine richtige Idee von dem Endziel des Buddhismus schlechter-
dings nicht gewonnen werden. In diesem Zusammenhange muss
darauf hingewiesen werden, dass zugleich mit dem Aufgeben des
Ich-Selbst-Gedankens alle solche Fragen, wie: „Wer erreicht
Nibbäna?" notwendig beiseite zu setzen sind. Dieses Leugnen
eines Seelen-Substratums, d. h. einer unsterblichen getrennten
Wesenheit im Menschen, ist einer der wichtigsten Grundsätze
im Buddhismus; gerade diese Lehre ist dem Buddhismus allein
und ausschliesslich eigentümlich und kennzeichnet ihn als eine
Religion, die abseits von allen anderen Formen des religiösen
Denkens steht. Das Wesen des Menschen im Lichte der bud-
dhistischen Psychologie betrachtet besteht aus fünf grossen
zusammengesetzten Gruppen, von denen eine jede für
sich eine Welt im Kleinen darstellt; wir können sie passend
klassifizieren als Körper, Empfindungen, Vorstellungen,
Strebungen, Gedanken oder Bewusstseins-Aspekte*).
Von diesen fünf Kategorieen ist es allein die geistige Gruppe,
die auf die niederen Gruppen einwirkt und so dasjenige erzeugt,
was wir Kamma (Karman) oder Handlung nennen; nach der
modernen Ausdrucksweise würde ich sagen: sie leistet Arbeit.
Wenn nun gewisse Formen dieser geist-geborenen Arbeit ge-
leistet werden, wird die verbrauchte Energie latent, sie wird
unoffenbar und bleibt so lange latent, bis Bedingungen vorhanden
sind, unter denen sie sich wieder als aus dem Geist entstan-
dene Arbeit manifestieren kann. Anders ausgedrückt: Diese
Energie erzeugt jene Gruppe, welche ich » Streb ungen«
(Samkhärä) genannt habe, in genau derselben Weise, wie wenn
nach dem Aufziehen einer Uhr die geleistete Arbeit auf das
Material der Springfeder einwirkt und später als Arbeitsleistung
wieder offenbar wird, wenn nämlich die Hemmung gestattet,
dass die Uhr abläuft. Wenn ein Lebewesen stirbt, so hinter-
') Im Päli: RQpa, Vedanä, Saiinä, Samkhärä, Viiinäna.
108 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
lässt es sehr viele von diesen »Strebungen«, und diese laufen
nun, wenn ich so sagen darf, ab, d. h. sie manifestieren sich
als ein Wesen; dieses Lebewesen nun ist ein neues Wesen
nach dem Standpunkte des westlichen individualistischen Glau-
bens, aber dasselbe Wesen vom buddhistischen Standpunkte
aus betrachtet, da es von demselben Kamma oder von der
Folge der Ursache und Wirkung abhängig ist. Wenn nun ein
Wesen aus seinem Geist heraus Böses tut, so erzeugt es damit
Kräfte, welche die Ursachen zur Entstehung späterer schlechter
geistiger Zusände, zur Entstehung von Leiden, sind. Umgekehrt,
wenn das Wesen Gutes wirkt, so entwickelt es Kräfte, welche
später gute geistige Zustände, d. i. Freude, entstehen lassen.
Dies ist die sogenannte »Remkarnation«, ein Begriff, von dem
teilweise recht verworrene Ansichten sich im Abendlande ver-
breitet haben. Transmigration wäre ein besserer Ausdruck;
denn es ist ein Etwas vorhanden, das transmigriert, d. h. über-
geht, übertragen wird, nämlich die »Strebungen« (Sam-
khärä), zusammengefasst das »Kamma«; dagegen ist der bud-
dhistischen Idee zufolge durchaus nichts vorhanden, was sich
reVnkarniert, — ein Ausdruck, welcher die Existenz eines „Geistes"
oder Seelensubstratums voraussetzt, das — wie die Hindus
glauben — aus einem Körper in den andern geht, ähnlich
wie ein Mensch bald dieses Gewand anlegt, bald jenes *). Der
Buddhismus leugnet das Vorhandensein eines wechsellosen,
statischen Etwas, das sich reinkarniert; alles, was von Leben
auf Leben übergeht (transmigriert), ist unserer Anschauung zu-
folge jene vorhandene Energie der »Strebungen« (Samkhärä) -).
•) A. d. Her. Wir werden in unserer Zeitschrift uns folgender Aus-
drücke für die in Rede stehende Idee bedienen: Wiedergeburt, Palin-
genesie, Transmigration, Neü-Indi viduation, Neu-Objelctiva-
tion, Neu-Manifestation.
-) Sir Edwin Arnold bringt diese buddhistische Leugnung der Rei'n-
karnation sehr gut im 8. Buch seiner »Leuchte Asiens« zum Ausdrucic
„Sprecht nicht ,ich bin', ,ich war', ,ich werde sein',
Denkt nicht, ihr wechselt des Leibes Haus,
Wie Wandrer, wohl beherbergt oder schlimm,
Vergessend zieh'n hinaus.
Zu neuem Kreislauf geht in's All der Rest
Des letzten Lebens,"
No. 4. DER BUDDHIST. 109
Ein gutes Gleichnis für die Idee, weiche hier dem Verständnis
des Lesers näher gebracht werden soll, ist die Übertragung
der Energie, wie sie allgemein in den Lehrbüchern der
Physik veranschaulicht wird. Stellen Sic eine Anzahl von
Billard-Kugeln in eine Reihe, und zwar so, dass jede Kugel
mit der nächsten in Berührung ist, und stossen Sie auf die
an dem einen Ende befindliche, so werden Sie an den Kugeln
in der Reihe keine wahrnehmbare Bewegung konstatieren kön-
nen, weil jede Kugel vor sich eine andere hat, vielmehr über-
tragen sie die Energie, und die Kugel am anderen Ende fliegt
nach einem kurzen Zeiträume ab.
Nun können wir eine klare Idee gewinnen über den Sinn
der buddhistischen These: „Geistige Aktion und Reaktion
entsprechen einander." Wenn du gute Samkhäras erzeugst,
wirst du dich später guter geistiger Zustände erfreuen, und
umgekehrt, wenn du schlechte »Strebungen« ins Dasein treten
lässt, werden leidvolle Zustände entstehen. Da aber die Kammas
eines jeden Wesens nach ihrer Zahl tatsächlich unbegrenzt sind
wegen der Zeiträume, innerhalb deren sie erzeugt wurden, so
sehen wir, dass wir selbst uns in einem beständigen, nie en-
denden Übergang befinden, bald in Zuständen des Glückes
und der Freude, bald in Zuständen des Leidens. Es enthüllt
sich hier unseren Blicken ein endloser Kreislauf des Werdens,
bald entsteht ein glückliches Wesen, bald ein unglückliches,
und so geht es fort, solange wir überhaupt fortfahren, diese
»Strebungen« zu erzeugen. Und weiter: Da nun der grössere
Teil der von den Wesen erzeugten Samkhäras zum Bösen hin-
neigt, so wird eben viel mehr Leid geschaffen, als Glück.
Ferner ist das Kamma selbst nur eine von acht Ursachen des
Leidens — Naturkräfte, Zeit-Umstände und einige andere Ur-
sachen können ebenfalls leidvollc Zustände schaffen '). So z. B.
wenn ein Stein auf meinen Fuss fällt und denselben verletzt, so
wird Leid hervorgerufen; aber dieses Leid ist nicht durch
Kamma erzeugt, sondern durch die Naturgesetze, nach denen
der Stein fällt, sowie durch die Natur meines Fusses und der
') Über die Darlegung dieser acht Ursachen des Leidens vergleiche
Sacred Books of the East, Vol. XXXV, S. 191.
HO DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sensorischen Nerven. So ist in diesem fortgesetzten Kreislauf
der Geburt und Wiedergeburt das Übergewictit ieidvolier Zu-
stände über gltickliche und angenelime ganz enorm, und wenn
wir das Leid gegenüber dem Glück abwägen, so zeigt sicli, dass
Leid in allem empfindenden Dasein ganz bedeutend überwiegt,
und dies ist die erste erhabene Wahrheit unserer buddhi-
stischen Religion, weiche besagt, dass alles Dasein zum Leid
hinneigt, dass Leiden allen nur möglichen Lebensformen inhä-
riert. Wir menschliche Wesen nun sind sehr stark und ge-
schickt und können vielen Leiden entgehen, welche aus
natürlichen und ähnlichen Ursachen entspringen. Wir stehen
auf dem Gipfel irdischer Entwicklung als die Könige und
Herren der Erde; und gerade so, wie Könige geneigt sind,
die Leiden ihrer ärmsten Untertanen unbeachtet zu lassen —
natürlich aus reiner Unkenntnis und aus Mangel an Verständ-
nis, auf Grund deren jene französische Prinzessin die naive
Frage aufwerfen konnte: „Wenn das Volk kein Brot hat, warum
isst es dann keinen Kuchen?" — gerade ebenso, fürchte ich,
sind viele von uns nicht aus Hartherzigkeit, sondern infolge
von Unwissenheit und Mangel an Beobachtung, nur zu sehr
geneigt, die kummervollen Leiden unserer Mitgeschöpfe, der Tiere,
gering zu achten und zu übersehen. Aber dieses Leiden ist
nur zu real, und ich fürchte, die Menschheit vermehrt es eher,
als dass sie es lindert. Und wie namentlich in unseren moder-
nen demokratischen Tagen ein König niemals ganz sicher ist,
dass er auch morgen noch König sein wird, so ist niemand
von uns infolge der Hervorbringung solcher tierischer »Stre-
bungen« sicher, dass wir selbst, — d. h. das auf Grund unseres
Kammas erzeugte Wesen oder das Dasein auf Grund unseres
Kammas, — nicht unter den niederen Lebensformen wieder in
die Erscheinung treten werden. Sicherlich können wir bei un-
serem Tode auch solche edlen »Samkhäras« zurücklassen, welche
die Geburt eines viel höheren, als eines menschlichen Wesens,
verursachen mögen; aber auch dann ist der Kreislauf noch
nichtbeendet, und gerade der unbeendcte Kreislauf dieses
beständigen Wechsels und Überganges ist es ja, aus
dem zu entrinnen wir Verlangen tragen.
Ich muss den Leser um Entschuldigung bitten, dass ich
No. 4. DER BUDDHIST. 111
mir eine so lange Abscliweifung auf das Gebiet der Wieder-
geburt (Transmigration) gestattet habe; aber ohne eine derartige
Klarstellung ist es unmöglich, die Natur des Nibbäna und die
Methode, nach der die Buddhisten das letztere zu erreichen
streben, darzulegen. Denn es gibt nur einen Weg, um diesem
leidigen Cyklus der Existenzen mit seinen acht Leidens-Ursachen,
mit seiner Endlosigkeit, mit seinen leidvollen Lebensläufen zu
entrinnen. Der Weg ist der Weg zum Nibbäna, der Pfad
zu jener Erlösung von Geburt und Tod, welchen unser
Meister uns verkündet hat. Dies also ist die Natur des
Nibbäna: Befreiung von diesem leidvollen Kreislauf,
die Überwindung jenes Nicht-Wissens, welches nach
unserer Erkenntnis die letzte Daseins-Ursache ist, und
damit zugleich die Überwindung von Begierde, Hass
und Wahn, ein schon in dieser Welt erreichbares
Leben der Weisheit und Liebe. Diese Erreichung
Nibbänas in diesem Leben, — das Sa-upädisesa Nibbäna,
von dem ich oben gesprochen habe, — ist der Zustand
des Arahä, der Zustand der Heiligkeit, welcher das
Ziel des Buddhismus ist. Denn es wird gesagt: Der-
jenige Mensch, welcher zu diesem Nibbäna gelangt ist, bewirkt
durch diese Erlangung die Aufhebung der Begierden, Leiden-
schaften und Täuschungen, d. h. aller jener Ursachen, welche
uns an das Rad des Daseins heften. Unberührt von Furcht,
Zweifel und geist-geborenen Leiden lebt der Arahä ruhig und
sicher, bis sein Körper stirbt, um dann aus der Welt des Da-
seins zu verlöschen, wie die Flamme einer Lampe verlischt,
wenn Öl und Docht verbraucht sind. (Fortsetzung folgt.)
Die Grundideen des Buddhismus.
Von Dr. Paul Carus.
(I. Fortsetzung)
Nun linden sich im Dhammapada zwei vereinzelte Stellen,
welche scheinbar im Widerspruch mit des Buddha Lehre
von der Illusion des Selbst stehen. Wir lesen im 160. Verse:
„Selbst ist der Herr des Selbst; wer könnte sonst Herr sein?",
112 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
und im 323. Verse: „Ein Mensch, der sich selbst bezähmt, ge-
langt in das unbetretene Land durch sein eigenes selbst-be-
zähmtes Selbst." Professor Max Müller, welcher ein eifriger
Verteidiger der Atman-Lehre war, hat sich besonders auf diese
beiden Verse berufen, um darzutun, dass der Buddha die Exi-
stenz eines Ich-Selbst gelehrt habe. Aber diese Annahme ist
durchaus unwahrscheinlich angesichts so vieler anderer unzwei-
deutiger Stellen. Vielmehr ist der aligemeine Sinn der beiden
zitierten Passus gar nicht misszuverstehn. Hier wird natürlich
überhaupt nicht auf das Vorhandensein eines Selbst im Sinne
des brahmanischen Atman angespielt. Der Verfasser dieser
Verse — entweder der Buddha selbst, oder ein Buddhist, oder
aber, was nicht unwahrscheinlich ist, ein vorbuddhistischer
Denker — will einfach ausdrücken, dass „nur durch Selbstbe-
zähmung die Erlösung erlangt werden kann", und wir haben
beileibe kein Recht, diese Stellen in einer Weise zu interpretieren,
welche gegen eine Kardinal-Lehre des Buddhismus Verstössen
würde. Wir müssen immer festhalten, dass der Buddha durchaus
nicht das Vorhandensein der Selbst-Idee im Menschen leugnet; er
leugnet nur die Existenz eines Seelen-Substratums, wie es von
den hervorragendsten Philosophen seiner Zeit unter dem Namen
»Selbst« (Atman) gelehrt wurde. Der Buddha leugnet nicht,
dass es ein Ich-Bewusstsein in der Seele gibt; er verwirft nur
die Ansicht, dass unser Ich-Bewusstsein der Tuer unserer
Handlungen und der Denker unserer Gedanken oder eine Art
Von „Ding an sich" hinter unserer Existenz sei.
Es gibt viele Worte, welche verschieden angewandt werden
können und dementsprechend einen verschiedenen, ja oft gerade-
zu contradictorischen Sinn haben, und das Wort »Selbst« macht
in dieser Beziehung keine Ausnahme. Im allgemeinen bedeutet
»Selbst« jene Idee im Geiste des Menschen, welche die Ge-
samtheit seiner Existenz zum Ausdruck bringt, nämlich seine
körperliche Form, seine Sinne und deren Tätigkeiten, seine
Gedanken, seine Gefühlsregungen, seine Neigungen und Ab-
neigungen, sein Streben und sein Hoffen. Weit entfernt nun
davon, die Ausrottung der Selbst-Idee in diesem Sinne zu
fordern, predigt vielmehr die Religion des Buddha die Verede-
lung und Heiligung des Selbst; ja, 'sie predigt dies so nach-
No. 4. DER BUDDHIST. 113
drücklich, dass Oldenburg die Ethik des Buddhismus als „sitt-
liche Arbeit an sich selbst" charakterisiert, wie der 239.
Vers des Dhammapada sagt: „Der Weise soll aus seinem Selbst
alle Unreinheit entfernen, wie der Schmied das Silber von den
Schlacken läutert, allmählich, Stück für Stück und zur rechten
Zeit."
Wenn die Buddhisten von der Illusion des Selbst sprechen
und dieselbe als die mittelbare Ursache alles Übels anklagen,
so meinen sie jene irrige Anschauung, welche nicht nur
das Selbst als ein unabhängiges Wesen annimmt, son-
dern dasselbe sogar zu einem metaphysischen Agens aller
unserer Tätigkeiten stempelt. Die Annahme dieser metaphysi-
schen Ansicht über das Selbst gibt — so behaupten wir —
allen unseren Gedanken eine falsche Richtung und trübt unsere
geistige Erkenntnis; sie veranlasst uns, das wahre Wesen unserer
Seele als einen blossen Schatten zu vernachlässigen.
Indem der Buddha die brahmanische Atman-Theorie leug-
nete, gab er eine neue Lösung des Seelen-Problems. Rhys
Davids sagt in seinen »Hibbert Lectures« (S. 29):
„Das unterscheidende charakteristische Merkmal des Buddhismus
bestand darin, dass er einen neuen Gesichtspunkt aufstellte, dass er die
tiefsten Fragen, deren Löstuig die Menschen beschäftigt, von einem gänz-
lich verschiedenen Standpunkte aus betrachtete. Er verbannte aus seinem
Gesichtskreise das Ganze jener grossen Seelen-Theorie, welche bis dahin
die Geister der Abergläubischen und Einsichtigen in gleicherweise erfüllt
und beherrscht hatte. Denn zum ersten Male in der Weltgeschichte pro-
klamierte er eine Erlösung, welche jeder Mensch für sich selbst und durch
sich selbst erlangen konnte, in dieser Welt, schon in diesem Leben,
ohne auch die geringste Beziehung zu einem Gott oder zu Göttern, eine
Erlösung, die jedem offenstand: dem Hohen wie dem Niedrigen. Gleich
den Upanishaden legte der Buddhismus den Hauptnachdruck auf die Ein-
sicht oder Erkenntnis; aber es war jetzt nicht mehr eine Erkenntnis
Gottes, sondern eine klare Einsicht in die wirkliche Natur des Menschen
und der Dinge. Und er forderte ausser der Notwendigkeit der Einsicht
auch die Notwendigkeit, rein, höflich, aufrichtig, friedvoll, in weitestem
Masse gütig zu sein und diese Tugenden so sehr als möglich wachsen zu
lassen."
Während so das Selbst, d. h. jenes hypothetische Agens
hinter der Seele, in den Lehren des Buddhismus verschwindet,
wird trotzdem die Seelen- oder Geist-Idee keineswegs verworfen,
und der Begriff der Seelentransmigration bekommt einen neuen
8
114 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Sinn, eine neue Bedeutung. Die vorbuddliistisclie Auffassung,
dass die Seele umherirrt und sich eine neue Wohnung in einem
andern Körper sucht, wurde von Qäkyamuni aufgegeben, und
an ihre Steile trat die richtige Idee von einer Übertragung der
Samskäras entsprechend dem Karmau-Gesetz. Der Buddhismus
erkennt das Karman-Gesetz als unumstösslich an und fundiert
darauf die untrügliche Gerechtigkeit des moralischen Gesetzes.
Bei der Betrachtung der Moral, welche der Seelen-Trans-
migration in den Jätakas') zu Grunde liegt, sagt Professor
Rhys Davids in der Vorrede zu seiner Übersetzung (S. LXXV)
folgendes:
„Der Leser muss vermeiden, dadurch die Sache misszuverstchcn,
das er christliche Ideen auf diesen Punkt überträgt, indem er annimmt,
die Identität der Personen in den beiden Erzählungen hege in der Wan-
derung einer Seele aus einer Person in die andere. Der Buddhismus
lehrt nicht die Wanderung von Seelenwesen (d. i. von Ätmans). Seine
Lehre würde besser zu bezeichnen sein als die Transmigrntion (Über-
tragung) des Charakters; denn diese Doktrin ist ganz unabhängig von
der veralteten, weitverbreiteten Anschauung von der Existenz eines be-
stimmten getrennten Geistes, Seclenwesens oder Spirits in jedem mensch-
lichen Körper."
Derselbe Autor spricht sich in seinem Handbuch »Bud-
dhismus« -) folgendermassen aus:
„Gleichwie eine Generation abstirbt und einer neuen Platz macht,
der Erbin der Folgen aller ihrer Tugenden und aller ihrer Laster, dem genauen
Ergebnis der vorausgegangenen Ursachen, — so erbt ein jedes Individuum
in der langen Kette des Seins alles Gute oder alles Böse, was alle seine
Vorgänger gewesen sind, oder getan haben, und nimmt das Ringen nach
Erleuchtung gerade an der Stelle wieder auf, wo jene es abgebrochen
haben."
Und hinsichtlich des Karman erläutert Professor Davids
a. a. 0. das Wesen des Buddhismus wie folgt:
„Die meisten heidnischen Systeme, sowohl die, welche der Vergangen-
heit, als die, welche der Gegenwart angehören, lehren, dass die Menschen
hier nach irgend einer Art Glückseligkeit suchen müssen. Die meisten
anderen Glaubenssysteme sagen hingegen, dass dies eine Torheit sei,
dass vielmehr die Treuen und Heiligen ein zukünftiges Glück in einer
besseren jenseitigen Welt finden werden. Der Buddhismus sagt aber,
dass die eine Hoffnung ebenso eitel wie die andere, dass das Selbst-
') Die Legenden von den verschiedenen Daseins-Perioden des Buddha.
^) Deutsche Übersetzung von Dr. Arthur Pfungst S. 111.
No. 4. DER BUDDHIST. 115
bewusstsein eine Täuschung sei, dass das organisierte, das empfindende
Sein, solange es der Endlichl<eit angehört, unaufhörlich mit der Unwissen-
heit und daher mit der Sünde und also auch mit dem Leide verknüpft
sei. „Lasst daher diese kleinliche, törichte Sehnsucht nach persönlichem
Glück fahren" würde der Buddhismus sagen. „Hier (auf Erden) stammt
sie von der Unwissenheit und führt zur Sünde, und dort sind die gleichen
Existenzbedingungen vorhanden, und jede neue Geburt wird euch noch
immer in der Unwissenheit und in der Endlichkeit lassen. Nichts ist
ewig; der ganze Kosmos scliwindet dahin; nichts ist, alles ist im
Werden begriffen, und alles, was ihr körperlich oder geistig von eurem
Selbst seht oder fühlt — es wird vergehen wie alles andere. Nichts
wird übrig bleiben, als nur das aufgespeicherte Ergebnis aller
eurer Handlungen, Worte und Gedanken. Darum seid rein und
gütig und nicht träge im Denken. Seid wach, schüttelt eure Täuschungen
ab und betretet entschlossen den »Pfad«, der euch hinwegführen wird
von den hin- und hergeschleuderten Wogen des Lebensmeeres; den Pfad,
der zur Freude und Ruhe des Nirväna leitet, den Pfad der Weisheit, der
Herzensgüte und des Friedens."
Rhys Davids sagt: „Nichts wird übrig bleiben als nur
das aufgespeiciierte Ergebnis aller eurer Handlungen, Worte
und Gedanken." Ganz richtig; aber warum sagt er »nur«?
Das aufgespeicherte Ergebnis eurer Handlungen, d. h. eure
Samskäras sind ja euer eigenes Wesen. Dieselben bilden
euren Geist, solange ihr lebt, und es existiert kein Selbst
hinter ihnen, kein Ego, kein Atman, keine metaphysische Seelen-
monade. So ist es klar, dass wir nach den buddhistischen
Anschauungen selbst fortbestehen in den angehäuften Ergeb-
nissen unserer Handlungen. Da Professor Rhys Davids sich
nicht vergegenwärtigt, dass unsere Samskäras wir selbst sind,
so ist es vielleicht natürlich, dass er, obwohl einer der gründ-
lichsten Buddhologen, und trotz seiner vollkommenen Sach-
kenntnis, die Wichtigkeit der buddhistischen Anschauung vom
Karman und von der Seelentransmigration nicht genug beachtet.
Ich sage nicht, dass er diesen Teil der buddhistischen Lehre
falsch versteht; aber ich behaupte, dass er ihm nicht genügend
Beachtung schenkt. Er setzt seine hier angezogenen Betrach-
tungen folgendermassen fort:
„Es ist eine seltsame und lehreiche Erscheinung, dass alles dieses
die 2300 und mehr Jahre lang auf so viele verzweifelnde und ernst gestimmte
Herzen seinen Zauber auszuüben vermocht hat, dass sich so viele der
anscheinend stattlichen Brücke anzuvertrauen vermochten, welche der
8*
116 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Buddhismus zu schlagen versucht liat über den Strom der Rätsel und der
Leiden des Daseins. Sie sind von der auserlesenen oder edlen Schönheit
mancher Bausteine von denen, welche den Bogen bilden, entzückt oder
gar in Ehrfurcht versetzt worden ; sie haben gesehen, dass das Ganze auf
einer mehr oder weniger zuverlässigen Grundlage von Tatsachen ruht,
dass auf der einen Seite des Schlusssteins die Notwendigkeit der Gerech-
tigkeit, und auf der andern das Kausalgesetz liegt. Das, was sie aber
nicht gesehen haben, das ist die Tatsache, dass der Schlussstein selbst,
das Bindeglied zwischen dem einen Leben und dem anderen nichts weiter,
als ein Wort ist, — jene wunderbare Hypothese, jenes luftige Nichts, jene
imaginäre Ursache, welche ausserhalb des Bereiches der Vernunft liegt, —
die individualisierte und individualisierende Kraft des Karnia."
In einer Fussnote fügt Professor Rhys Davids hinzu:
„Individualisiert insofern, als das Resultat aus den Handlungen eines
Menschen mittelst der Bildung eines zweiten empfindenden Wesens kon-
zentriert wird; individualisierend insofern, als es die Kraft ist, durch welche
verschiedene Wesen zu einem Individuum werden. In anderer Hinsicht
ist die JVIacht des Karma real genug."
Die moderne Wissenschaft lehrt, dass es die Funktion
ist, welche das Organ erzeugt, und dass umgel<chrt, das Organ
nur das sichtbare Ergebnis unzähliger früherer Verrichtungen ist.
Dies kann man als eine moderne Bestätigung der buddhisti-
schen Samskära-Lehre betrachten. Das gesamte Sehen der
Augen der Vorfahren lebt in unseren Augen weiter fort.
Unsere Vorfahren sind nicht tot; sie sind noch hier in ims,
und unter Vorfahren versteht der Buddhist nicht nur die natür-
lichen Ahnen, sondern auch jene, welche unsere Seele gebildet
haben. So spricht Qäkyamuni zu seinem Vater, dass nicht er
und seine Väter, die Fürsten des Qäkyas, sondern die Buddhas
früherer Zeiten seine Vorfahren seien.
Ich muss hier im Namen des Buddhismus Professor Rliys
Davids mit einer Erwiderung entgegentreten: Der Buddhismus liat
die imaginäre Mauer niedergerissen, welche das Selbst des Men-
schen von dem Selbst anderer trennt. Wer nicht das Glied
zwischen dem einen Leben und dem anderen sieht, oder wer von
diesem Gliede als einem „luftigen Nichts" spricht, ist noch in
der Selbst-Täuschung befangen. Wer den Selbst-Gedanken
aufgibt, muss erkennen, dass die Identität zweier Seelen in
denselben Samskäras liegt. Sonst müssten wir auch die Iden-
tität des »Ich« von heute und des »Ich« von gestern leugnen.
No. 4. DER BUDDHIST. 117
Was die Identität der Person in einem und demselben Indivi-
duum ausmacht, ist nur die Fortführung und Gleichheit ihres
Charakters. Das »Ich« von heute hat alle Folgen und Hand-
lungen auf sich zu nehmen, welche das »Ich« von gestern aus-
geführt hat. So wird das individualisierte Karman zukünftiger
Zeiten alles das ernten, was das individualisierende Karman der
Gegenwart sät.
Und, seltsam genug, diese buddhistische Auffassung von
der Seele steht in vollkommenem Einklang mit den Anschau-
ungen der hervorragendsten Psychologen Europas.
(Fortsetzung folgt.)
Gott und Götter
oder
Ist der Buddhismus atheistisch ?
Von Karl B. Seidenstücker.
Die Qeschiclite der Religion ist die
Geschichte der Entmenschlichung Gottes.
Spencer.
Der hauptsächlichste Einwand, den Christen gegen den Bud-
dhismus zu machen pflegen, ist der, dass der letztere atheistisch
sei, dass er den Gottesbegriff nicht kenne. Die meisten der
uns bekannten Rcligionssysteme sind theistisch, d. h. sie
lehren das Dasein eines persönlichen Gottes (Mono-
theismus) oder die Existenz mehrerer ebenfalls persön-
lich gedachter Götter (Polytheismus); sie betonen ferner,
dass der Mensch in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältnis
zu dem persönlichen Gott (resp. zu den persönlichen Göttern)
stehe, und dass er durch bestimmte Verrichtungen (Gebet,
Opfer, Ceremonien) auf Gott (resp. auf die Götter) einwirken
und ihn (resp. sie) durch diese Verrichtungen in ganz bestimm-
ter Weise beeinflussen könne. Von diesem Standpunkte geht
man christlicherseits aus und definiert im Hinblick auf die meisten
religiösen Systeme Religion als das Abhängigkeitsgefühl
des Menschen von dem persönlichen Gott oder von
118 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
persönlich vorgestellten göttlichen Wesen. Abgesehen
von dem indischen Yoga'imus gibt es drei monotheistische
Religionsformen: Das Judentum, Christentum und den Islam;
die polytheistischen Religionen werden von den Monotheisten
als heidnisch bezeichnet. Dem Buddhismus gegenüber be-
finden sich nun die Christen in einer grossen Verlegenheit; sie
können ihn nach der landläufigen Klassifizierung nirgends ein-
registrieren. Denn auf der einen Seite leugnet der Buddhismus
auf das entschiedenste den persönlichen Gottesbegriff im Sinne
der monotheistischen Systeme, ist also in dieser Hinsicht
atheistisch, auf der anderen Seite gibt er die Existenz von
Devas, Göttern, göttlichen Wesen, zu, betont dabei aber nach-
drücklich, dass der Mensch in keinerlei abhängigem Verhältnis
zu diesen Wesen stehe. Man beliilft sich daher kurzer Hand
und behauptet schlankweg, der Buddhismus sei überhaupt keine
Religion. So einfach ist die Sache aber doch nicht; denn ein-
mal liefert die Tatsache, dass der Buddhismus seit langer Zeit
auf einen grossen Teil der Menschheit geistig erhebend und
sittlich veredlend, also wahrhaft religiös, einwirkt, den Beweis,
dass die Gleichsetzung von Religion und persönlichem Gottes-
glauben unzulänglich ist, und sodann ist noch längst nicht ge-
sagt, dass der Buddhismus, wenn er auch den monotheistischen
Gottesbegriff ablehnt, auch im absoluten Sinne atheistisch
sei, d. h. dass sich in ihm vom Gottesbegriff überhaupt nichts
vorfinde.
Zunächst eine Bemerkung, bevor ich weitergehe. Man
nennt christlicherseits den Buddhismus atheistisch, weil er
leugnet, dass ein persönlicher Gott existiere, geschweige denn,
dass der Mensch von demselben abhängig sei; man maclit dem
Buddhismus diesen Atheismus zu einem schweren Vorwurf,
man sucht den Atheismus überhaupt als etwas Niedriges,
Schimpfliches hinzustellen und preist dagegen den Glauben an
den persönlichen Gott als das Höchste, Erhabenste, als den
grössten Segen für die Menschheit. Man wird gut tun, diesen
monotheistischen Dithyramben gegenüber einfach die Religionsge-
schichte zu befragen und dabei seine gesunde Vernunft zu ge-
brauchen. Ich kann mich in keiner Weise davon überzeugen,
dass der Monotheismus, wie er innerhalb des Judentums und
No. 4. DER BUDDHIST. 119
des von diesem genetisch abhängigen Christianismus und Islams
in die Erscheinung getreten ist, ein besonderer Segen für die
ihm ergebenen Völi<er gewesen wäre; der Weg, den diese drei
Religionen gegangen sind, ist genug mit Blut gesprengt. Jehovah
befiehlt seinem auserlesenen Volke, die Ureinwohner Kanaans
bis auf das Kind im Mutterleibe niederzumachen; er straft und
peinigt die Gegner seines Volkes; ihm wurden bis zum Jahre
70 nach Chr. blutige Tieropfer in Hülle und Fülle dargebracht.
Die Juden selbst, dieses so zäh monotheistische Volk, waren
im höchsten Grade intolerant und grausam. Die Geschichte
der christlichen Kirche ist ebenfalls sehr reich an Gewalttaten,
Mord, Blutvergiessen und Unduldsamkeit, und auch die Kirchen-
neuerung des 16. Jahrhunderts zeichnete sich in dieser Richtung
keineswegs vorteilhaft aus. Im Islam liegen die Verhältnisse
ebenfalls nicht günstiger. Ohne den monotheistischen Religionen
irgendwie zu nahe treten zu wollen, kann ich doch nur zu dem
Resultat kommen: Es ist ein grosser Vorzug des Buddhismus,
dass er mit diesem immerhin blutrünstigen Monotheismus nichts
gemein hat, und wenn man ihn atheistisch im Sinne von »nicht
monotheistisch« nennen will, so kann das für ihn nur eine
Ehrung sein. —
Das Wort Spencers, das ich diesen Ausführungen als
Motto vorausgeschickt habe, erkennt an, dass der Gottesbegriff
in der Religionsgeschichte eine sehr wichtige Rolle spielt und
behauptet, dass der Entwicklung des religiösen Denkens analog
auch der Gottesbegriff mancherlei Wandlungen unterliegt; Gott
wird mehr oder weniger »vermenschlicht«, d. h. als mit
menschlichen Eigenschaften behaftet vorgestellt; diejenige
Religion ist als die höchste zu betrachten, die Gott am meisten
»entmenschlicht«, d. h. die in der Läuterung des Gottes-
begriffes von menschlichen Vorstellungen am weitesten geht.
Wenn wir den Spencerschen Satz als Massstab für die
Würdigung der religiösen Systeme der westlichen Welt anlegen,
so ergibt sich, dass alle Religionen Gott (resp. Götter) insofern
vermenschlicht haben, als sie einen persönlichen Gott
(resp. persönliche Götter) predigen. Die Götter der Griechen
waren durchweg anthropomorph; sie zeigten sich in mensch-
licher Gestalt; sie stritten, schlemmten, hurten und ergötzten
120 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sich nach Menschenart. In der Vorstellung der Juden war der
Gottesbegriff ebenfalls durchaus vermenschlicht, jehovah ist
ein persönlicher Gott; er spricht bei der Weltschöpfung; er geht
im Garten Eden spazieren; er „riecht den lieblichen Geruch"
geopferter Tiere; er sucht Abraham auf, nimmt bei ihm ein
Mahl ein, geht eine Strecke Weges mit ihm und hat mit ihm
eine längere Unterredung. Er erscheint dem Moses in einem
brennenden Busch, er zeigt sich den Israeliten als Feuersäule.
Er spricht zu Menschen und erscheint ihnen im Traume; er
liebt und zürnt, er belohnt und züchtigt. Derselbe per-
sönliche Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs war auch der
Gott, den Jesus predigte, den Paulus den Athenern verkündete.
Auch im Neuen Testament offenbart sich Jehovah verschiedent-
lich in sichtbarer oder hörbarer Form; er spricht vom Himmel;
Johannes sieht den Geist Gottes herabkommen „wie eine Taube",
und am Pfingsttage zeigt sich der letztere in der Gestalt von
„feurigen Zungen"; Stephanus „sieht den Himmel offen und
den Herrn Jesus sitzen zur rechten Hand Gottes". Die
christlichen Kirchen lehren bis auf den heutigen Tag einen
persönlichen Gott, der Gebete hört und erhört, der liebt und
straft. Es soll nicht geleugnet werden, dass in einzelnen Par-
tieen des Neuen Testaments die Gottesidee weniger anthropo-
morph, mehr vergeistigt, zu Tage tritt; aber vergessen wir nicht,
dass diese Stellen wahrscheinlich auf gnostische Einflüsse
zurückzuführen sind. —
In den ältesten Schriften des vorbuddhistischen Indiens
finden wir einen immerhin geläuterten Polytheismus, der sich
namentlich durch das Zurücktreten des sinnlich-erotischen Ele-
mentes vorteilhaft vor dem griechisch-römischen Götterglauben
auszeichnet. Diese altvedischeii Götter, wahrscheinlich personi-
fizierte Naturkräfte, wurden von dem indischen Volke durch
Gebete, Hymnen und Opfer verehrt. Über dem Ganzen lag
ursprünglich ein Hauch geistiger Freiheit und Selbständigkeit,
das Volk war durch seinen Götterglauben nicht geknechtet.
Bald wurde der letztere aber durch das allmähliche Empor-
kommen einer besonderen Priesterkaste und durch die Aus-
bildung eines komplizierten Zeremonialkultcs für die grosse
Masse der Inder ein drückender Alp, eine schwere Last; der
No. 4. DER BUDDHIST. 121
Hauch der geistigen Freiheit war verweht. Auf der andern
Seite bemächtigte sich die philosophische Speitulation des vedi-
schen Polytheismus. Es bricht sich zunächst die Anschauung
Bahn, dass die verschiedenen Götter nur verschiedene Aspekte,
Manifestationen eines Gottes sind; es tritt allmählich eine
Göttergestalt in den Vordergrund; sie repräsentiert gleichsam
die Gütterwelt: Brahma, der oberste der Götter. So wird der
Polytheismus zum HenotheTsmus; aber nicht genug damit:
Die Philosophie ging noch weiter zum PanhenotheTsmus.
Der maskuline persönliche Brahma bleibt bestehen; daneben
oder dahinter tritt dann allmählich das neutrale, unpersönliche
Brahm, das Ein und All, die einzige Realität, die Grundlage
des menschlichen Bewusstseins mit seinen Inhalten, die trans-
zendentale Wirklichkeit im Gegensatz zu der Welt des Scheins.
Wir sehen also, dass sich die indische Religion vor Buddha
in zwiefacher Richtung entwickelt: einmal als Polytheismus der
grossen Massen, und sodann als Philosophie der hervorragende-
ren Geister.
Für die Beurteilung der Frage nach der Rolle, welche die
Gottes-Idee im Buddhismus spielt, kommt in erster Linie die
Stellung in Betracht, die der Buddha dem Gottes- resp. Götter-
glauben seiner Zeit und seines Volkes gegenüber einnahm.
Glaubte er an das Dasein der hinduistischen Götter oder
glaubte er nicht daran ? Wie stellte sich der Meister zu Brahma,
dem höchsten persönlichen Gott des indischen Pantheons?
Und endlich, was ist Brahm, d. h. die transzendentale Realität,
im Buddhismus?
Wenn ich hier meiner persönlichen Meinung Ausdruck
geben darf, so glaubte der Buddha selbst nicht an die hin-
duistischen Götter; aber Gotama war kein Revolutionär, sondern
ein Reformator. Er war weise genug, den Bestand der
Götterwelt unangetastet zu lassen; aber seine grosse Tat, viel-
leicht seine grösste Tat, war die, dass er dieser Götterwelt
gänzlich ihren bisherigen mächtigen Einfluss nahm. Der Buddha
betonte die Nichtigkeit der rein formalen Seite des Ritualismus;
er vertiefte den letzteren, indem er die tote Form mit neuem
geistigen Gehalt füllte. Er lehrte, dass der Mensch nicht ab-
hängig sei von Davas, Asuras, Petas, Yakkhas, BhQtas und
//
122 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Gandhabbas; er predigte, dass der Erlöste höher stehe, als
alle Götter, und dass nicht Gebet und Opfergaben, sondern
Tugendpflege und die Läuterung des Gemütes von Begierde,
Sünde und Wahn zur Erlösung führen. So werden im Buddhis-
mus die Göttergestalten, vor denen das Volk bisher in Furcht
und banger Scheu zitterte, zu ganz harmlosen, untergeordneten
Wesen, zu Statisten, deren Aufgabe darin besteht, die Grösse
des buddhistischen Erlösungsgedankcns erst recht hervortreten
zu lassen. Der Buddha bedient sich der himmlischen Wesen
zur Ausschmückung seiner Erzählungen; Brahma, „der grosse
Brahma", wird redend eingeführt; er erscheint in sichtbarer
Gestalt und macht dem Meister seine Reverenz, ja, Gotama
persifliert diesen Brahma mit feiner Ironie und mit einem köst-
lichen Humor, indem er ihn auf die Fragen, die ihm ein bud-
dhistischer Mönch vorlegt, in tötliche Verlegenheit geraten lässt.
Auch Brahma nebst Sakka, „dem Götterkönig", sind wie jede
andere Kreatur dem Gesetz der Vergänglichkeit unterworfen und
werden weit überragt von dem Heiligen, welcher der restlosen
Erlösung teilhaftig geworden ist und aus dem ewigen Strom
des Werdens ausschaltet.
So ist das hinduistische Pantheon als ungetilgter Rest
einer früheren Weltanschauung vom Buddhismus mit über-
nommen worden; aber es hat in demselben gänzlich seine
ursprüngliche Bedeutung verloren und hat mit dem eigentlichen
Wesen der Buddha-Lehre gar nichts zu tun. Daher hat Th.
Schultze durchaus recht, wenn er sagt: Der Buddhismus ist
zwar keine gottlose Religion; denn er hat mehr Götter, als
andere Religionen; wohl aber ist er gottfrei, weil keiner
seiner Anhänger sich von diesen Göttern irgendwie abhängig
fühlt. —
Wir in Europa verzichten selbstverständlich und gern auf
diese guten, alten Götter. Sic haben nunmehr dreitausend Jahre
und länger den Himmel menschlicher Vorstellung geziert; sie
sehnen sich nach Ruhe, wollen auch einmal ihre Ruhe haben,
gebt ihnen ihre Ruhe, die wohlverdiente! Mögen sie in Frieden
ruhen! Wenn man uns aber deshalb in der deutschen Presse,
wie das jüngst hie und da geschehen ist, beschuldigt, dass
wier einen „modern aufgeputzten" Buddhismus importieren, so
No. 4. DER BUDDHIST. 123
ewidern wir darauf: 1. Die Devaiogie spielt im Buddhismus
eine mindestens ebenso untergeordnete Rolle, wie die Lehre
von den Engeln im Christentum und tangiert den wesent-
lichen Bestand des Buddhismus nicht im geringsten; 2. man
möge doch gefälligst so ehrlich, gerecht und wahrheitsliebend
sein, auch dort von einem „modern auffrisierten" Christentum
zu sprechen, wo man die Gottessohnschaft und leibliche Auf-
erstehung Jesu, die Auferstehung des Fleisches, die Wiederkunft
Christi im Weltgericht, die Dämonologie, die Mythen des alten
Testaments und das Dasein eines persönlichen Teufels leugnet.
Man könnte dies Christentum mit weit mehr Recht „modern
zugestutzt", ja sogar dezimiert und dekapitiert nennen, als den
adevaistischen Buddhismus, u. z. deshalb mit weit grösserem
Rechte, weil einige der genannten Punkte achtzehn Jahrhunderte
lang zu den wesentlichen Grundlagen und dem wesent-
lichen Bestände des Christentums gehört haben, während die
Devaiogie im Buddhismus durchaus unwesentlich ist und
ohne jeden Schaden für den Kern getrost und mit gutem Recht
beiseite gesetzt werden kann. —
Eine ganz andere Frage ist natürlich die, ob — abgesehen
von dem Glauben an das hinduistische Pantheon — innerhalb
des Buddhismus der Glaube an eine übersinnliche Welt, an
transzendente Wesen, an Geister und dergleichen möglich ist
oder nicht. Möglich ist ein solcher Glaube allerdings. Für
die Beantwortung dieser Frage ist mit die Erwägung massge-
bend, dass der Buddhismus in erster Linie den Erlösungs-
Gedanken betont, dass er dagegen allen metaphysischen
Spekulationen, Erörterungen und Mutmassungen indifferent, eher
noch ablehnend, gegenübersteht. Es bleibt jedem Buddhisten
überlassen, an geistige Wesen zu glauben oder nicht; der in-
dische Buddhist glaubt an die Devas, der buddhistische Burmane
an die Nats, und ich wäre der letzte, der das Vorhandensein
einer übersinnlichen, d. h. unseren Sinnesorganen unzugäng-
lichen Welt, von vornherein leugnen möchte. Nur muss betont
werden, dass alle derartige Fragen mit dem Wesen des Bud-
dhismus gar nichts zu tun haben oder dass sie, wo immer sie
aufgeworfen werden, in den grossen Rahmen der buddhistischen
Weltanschauung hineinfallen. Mit anderen Worten: Gesetzt den
/
»24 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Fall, es gäbe Devas, Götter, Geister usw., so müsste auch für
jede nur denkbare Götter- oder Geisterwelt die buddhistische
Wahrheit von der Vergänglichkeit, vom Leiden, vom Nicht-Selbst,
vom Lebenswillen, zutreffen, und unser Weltbild wäre dann in
seiner Perspektive wohl um einen Schritt erweitert woidcn,
aber es bliebe trotzdem seinem Grundcharaktcr nach dasselbe
Weltbild. Und was das Wichtigste ist: Der Buddhismus
stellt seinen Bekennern wohl den Glauben an tjbersinnliche
Wesen frei, aber er nimmt den ersteren jedes Abliängigkeits-
gefühl, jede Furcht, jedes Grauen, jedes Entsetzen vor trans-
zendenten Welten und deren Bewohnern; er betont die wahre
Würde des Menschen, die Überlegenheit des letzteren über
Götter und Teufel — mögen diese sein wo sie wollen, wie
sie wollen und wann sie wollen. Daher hat der Buddhismus
niemals, in welches Land er immer gekommen ist, gegen den
bestehenden Gottes- und Götterglauben geeifert, sondern seine
Aufgabe darin erblickt, die untergeordnete Bedeutung eines
solchen Glaubens darzutun und dem Menschen zu bedeuten,
dass er unabhängig von Göttern und Geistern ist. „Nicht
Opfergaben für einen Gott können einen Menschen reinigen,
der noch von der Täuschung umfangen ist." Das ist der
Grund, weshalb in vielen Ländern neben dem, ja innerhalb
des Buddhismus verschiedene Formen des Gottesglaubens sich
erhalten haben bis auf den heutigen Tag. Möglich, dass man
einst auch in Europa von einem buddhaisierten Christentum
wird sprechen können, dass neben einem geläuterten Gottes-
glauben die Erlösungs-Idee des Buddhismus die Gemüter des
Westens erfüllen wird.
Damit wäre auch zugleich die Frage nach dem gegensei-
tigen Verhältnis von Buddhismus und Occultisnius ent-
schieden. Der letztere ist ebenso wie der Materialismus
international und interkonfessionell, und occultistische Strömun-
gen gibt es im Buddhismus ebensogut wie im Christentum.
Aber alle diese Strömungen im Buddhismus sind sekundäre
Schalen, Anhängsel, Übertünchungen. Stets wird der Occultis-
mus, wo und wann immer er innerhalb des Buddhismus auf-
tritt, buddhaisiert erscheinen, d. h. er wird nichts anderes
vorstellen können, als einen Teil des ganzen, grossen bud-
No. 4. DER BUDDHIST. 125
dhistischen Weltbildes. Wo hingegen der Occultismus beginnt,
für das Gemüt die einzige oder doch die hauptsächlichste
Richtschnur zu werden, — da scheiden sich die Geister, da
ist kein Boden und kein Verständnis mehr für die reine, hohe
Lehre der Weisen aus dem Qäkya-Stamm. —
Eine Richtung innerhalb des Buddhismus hat allerdings,
wie es scheint, dem Monotheismus Konzessionen eingeräumt;
es sind dies die in voriger Nummer erwähnten Schulen des
japanischen Jodoismus, welche nach ihrer populären Auffassung
zu urteilen, im Gegensatz zu allen anderen Schulen als hete-
ronom bezeichnet werden müssen. Die Anhänger dieses
Zweiges richten an den persönlich vorgestellten Buddha-Ami-
täbha Gebete und glauben durch das unbegrenzte Erbarmen
dieses Buddha der Erlösung teilhaftig zu werden. Aber auch
hier hat sich, soweit ich diq Verhältnisse übersehen kann, die
Amitäbha-Idee dem buddhistischen Grundgedanken durchaus
untergeordnet. Amitäbha ist nicht der Herr der Welt, der seit
Ewigkeit regiert und seine Geschöpfe belohnt oder züchtigt,
sondern ein Wesen, dass während langer Zeiträume den Weg
zur Buddhaschaft gewandert ist und nun, am Ziele angelangt,
dem Bittenden in seinem Streben nach Erlösung hilfreich Bei-
stand leistet. Dass aber diesem Amitäbha-Buddhismus wahr-
sclieinlich eine ganz andere, als eine heteronom-monotheistische
Idee, zu Grunde liegt, wurde bereits in der vorigen Nummer
erwähnt.
Soviel über das Verhältnis des Buddhismus zum persön-
lichen Gottesbegriff; es zeigt sich also, dass der erstere wohl
persönliche Götter kennt, und dass innerhalb seiner der per-
sönliche Gottesglaubc wohl möglich ist, dass ihm dagegen
das spezifische Charakteristikum des Theismus völlig fehlt:
Das Abhängigkeits-Gefühl des Menschen von irgend einem
persönlichen Gottc; in dieser Beziehung ist der Buddhismus
atheistisch, d.h. nicht theistisch. Es bleibt nunmehr noch
die Frage offen, ob der Buddha-Dharma abgesehen von dem
persönlichen »vermenschlichten« Gottesbegriff nicht noch ein
Etwas kennt, das Spencer als den völlig »entmenschlichten«
Gott bezeichnen würde. Der philosophische Brahmanismus
hatte durch seine Postulierung des unpersönlichen, neutralen
126 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Brahm als der transzendentalen Realität in der »Entmensch-
lichung Gottes« einen grossen Schritt vorwärts getan. Aber dieser
Brahmanismus war in seinem Wesen rein spekulativ: „Wer
Brahm erkennt, ist Brahm". Der Buddha ging von ganz anderen
Gesichtspunkten aus. Für ihn handelte es sich in erster Linie
darum, den Blick seiner Zeitgenossen von der unfruchtbaren,
rein theoretischen Spekulation einerseits, und von dem starren,
geisttötenden Rituaiismus anderweit abzulenken und ihm ein*
andere Richtung zu geben. Von der Vergänglichkeit ausgehend,
stellte der Buddha den Satz auf: „Alles Dasein ist Leiden"
und suchte nun den Menschen den Weg zu zeigen, auf dem
ein Entrinnen aus dem Leiden möglich sei; dieser Weg aber
war Selbstläuterung, ernste Arbeit des Menschen an sich
selbst, und die Pflege wohlwollender Gesinnung den Mitge-
schöpfen gegenüber.
Der Meister zeichnet ein sehr einfaches und dabei doch
durchaus vollkommenes Weltbild; seine gesamte Lehre durch-
tönt der kosmische Dreiklang Anicca-Anattä-Dukkha (Ver-
gänglichkeit, Nicht-Selbst, Leid). Alle Dinge sind beständig
im Wechsel begriffen, unterliegen fortwährend Veränderungen;
sie entstehen und müssen vergehen. Der Mensch macht hier-
von keine Ausnahme; sowohl seine objektive Erscheinungsform
(ROpa), als seine subjektiven Aspekte (Näma Vedanä-fSanfiä
+ Samkhärä-| Vifinäna) fliessen, wechseln, verändern sich. Es
existiert im Menschen nichts Unveränderliches, Wcchselloses,
kein Selbst im Sinne einer für sich bestehenden dauernden
Ego-Wesenheit. So ist der Mensch im Sinne des Buddhismus
Anattä (Sanskr. Anätman), d. h. Nicht-Selbst, Nicht-Ego. Wohl
existiert das Selbst, aber das Selbst ist nur die Summe der
Empfindungen, Vorstellungen, • Strebungen und Bewusstscins-
Aspekte; das Selbst steht nicht ausserhalb oder hinter diesen
Gruppen als ein metaphysisches Ich -Wesen, sondern die
wechselnden Gruppen in ihrer Gesamtheit sind das Selbst.
Vergänglichkeit und Nicht-Selbst sind das allem Dasein
inhärierende Leiden. Die Ursache des Leidens ist der Drang
nach Individualität, nach Dasein, die Begierde, dieses fälschlich
als etwas Wechselloses vorgestellte Ich in jeder Weise zu be-
friedigen. Die Aufhebung des Leidens wird bewirkt durch die
No. 4. DER BUDDHIST. 127
Beseitigung dieses Lebensdranges, und die Mittel, welche die-
sem Zwecke dienen, sind die acht Richtwege des Pfades.
Die Welt ist ein ewiges Werden; jeder einzelne Werde-
prozess innerhalb ihrer ist ein Ausdruck der Kausalität; die
Welt ist Kausalität. Die letztere herrscht nicht nur im
Physio-psychischen (Nidänc), sondern auch im Moralischen
(Kamnia). So ist ein jedes Phänomen Ursache und Wirkung
zugleich, ein Glied in der unendlichen Kette kausaler Ver-
knüpfung. Der Leser wolle diese kurze Charakterisierung scharf
im Auge behalten.
Das Endziel des Buddhismus ist Nibbana. WasistNibbäna
per se? Der Meister nennt einmal im Udäna das Nibbäna
ursachlos, d. h. Nichtkausalität. Wir erhalten also die
Gleichung:
Nibbäna^ Nichtkausalität
und deren Umkehrung
Nichtnibbäna =^ Kausalität.
Nun haben wir aber auf Grund unserer obigen Betrachtung
der Welt folgende zwei Gleichungen gewonnen:
1 ) Anicca + Anattä -|- Dukkha = Welt
2) Kausalität -- Welt.
Folglich: Anicca -f Anattä -j Dukkha = Kausalität
Folglich: Anicca + Anattä -| Dukkha Nichtnibbäna
Folglich umgekehrt: Nicca -j Atta -|- Adukkha ') =^ Nibbäna.
Mit anderen Worten: Die Welt in ihrer Gesamtheit ist
Kausalität, ist Vergänglichkeit, ist Nicht-Selbst, ist
Leiden. Dieser Welt gegenüber steht Nibbäna, die Nicht-
Kausalität, das Wechsellose, das Selbst, das Leidlose,
— die Substanz.
Dieses Nibbäna ist der »entmenschlichte« Gott
des Buddhismus. Hier hört jede menschliche Vorstellung
auf. Was wir hier durch logisch-mathematische Schlussfolgc-
rungen gewonnen haben, hat der Buddha selbst niemals aus-
gesprochen; er hat niemals das Nibbäna als das »Selbst« be-
zeichnet. Warum nicht? Erstens deshalb nicht, weil seine
') Nicca — Wechsellos; Atta- Selbst; Adukkha — Leidlosigkeit.
128 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Zeitgenossen unter dem »Selbst« ein getrenntes Seeienwesen
innerhalb der phänomenalen Welt verstanden, und zweitens
deshalb nicht, weil, wenn der Nibbäna-Begriff positiv ausge-
drückt wird, sehr leicht der Masstab irgendwelcher mensch-
licher Vorstellung an denselben angelegt und Gott »vermensch-
licht« werden kann. Dieser letzteren Gefahr hat der Meister in
seiner Weisheit vorbeugen wollen, und wir können deshalb
nur mit um so grösserer Bewunderung und Ehrfurcht zu ihm
emporblicken. —
„Die Geschichte der Religion ist die Geschichte der Ent-
menschlichung Gottes". Wenn wir uns auf diesen Standpunkt
stellen, so bedeutet der Buddhismus des Buddha tatsächlich
das Ende aller Religionsgeschichte. Mehr als er kann keine
Religion Gott »entmenschlichen«, kann keine Philosophie den
Gottesbegriff von menschlichen Vorstellungen läutern. Der
Buddhismus nennt Gott nicht, sondern stellt den Menschen auf
sich selbst; aber er führt denselben, ohne ihm irgend eine Vor-
stellung von Gott zu machen, zielbewusst zum Friedensthron
der höchsten Gottheit. ^-v«».^
Langmut und freundliche Rede, der Verkehr mit geistig
Strebenden, Unterredung über die Lehre zur rechten Zeit —
das ist ein sehr grosser Segen. Maliämangala-Sutta.
• *
*
,Da Begierde und Mismut, böse und schlechte Gelüste gar
bald den überwältigen, dessen Gesicht und Gedanken unbewacht
sind, so wollen wir uns dieser Bewachung bcfleissigen, wollen
das Gesicht und die Gedanken hüten und eifrig bewachen:'
also habt ihr euch, meine Jünger, wohl zu üben.
Majjhima-Nikäya.
*
„Kämpfer, Kämpfer, o Herr, so nennen wir uns; inwiefern
denn sind wir Kämpfer?"
,Wir kämpfen, o Jünger, deshalb heissen wir Kämpfer.'
„Um was kämpfen wir, Herr?"
,Um hohe Tugend, um hohes Streben, um hohe Weisheit.
Deshalb, o Jünger, heissen wir Kämpfer. Anguttara-Nikäya.
Vermtwortlicher Red«kteur: Karl B. StidenstOrkir, Lcipzip. Verlajj: Biiddhistischrr Verlag
in Leipzig. — Druck von Arno Bacbmann in Baalsdorf-Leipzig.
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Sir Edwin Arnold.
(Der Dichter der »Leuchte Asiens«.)
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Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhammapada, V. 183.
Buddhistische Ideen €€€$
$:^:$^ bei Richard Wagner.
Von Georg Jahn,
Richard Wagner, der grosse Dichter-Komponist, wird gern
als echtdeutscher und spezifisch christlich empfindender Künstler
angesehen, obwohl das für einen Teil seiner Werke durchaus
nicht zutrifft. Es gilt dies hauptsächlich von seinen letzten grossen
Tondichtungen, die ihrem Gedankengehalt nach wohl das Beste
und Reifste sind, was er geschaffen, die er selbst als Ergebnis
und Bekenntnis seines Lebens und Wirkens hinstellt. Freilich
ist Richard Wagner seiner ästhetischen Anschauung, seiner
ganzen Kunst nach ein deutscher Dichter, bildet er doch das
Schlussglied in der Entwickelungsreihe derjenigen deutschen
Ästhetiker, die mit Leibniz beginnt und ihren Weg über Wolff,
Baumgarten, Lessing, Suizer, Schiller und Hegel zu ihm nimmt.
Diese Angehörigkeit zur spezifisch deutschen Ästhetik hindert
aber nicht, dass er gerade in seinen bedeutendsten Werken nicht
vornehmlich christliche Ideen, von denen die deutsche Kultur
ja beherrscht ist, sondern vielfach buddhistische Tendenzen
verfolgt. Das ist wohl begründet im ganzen Verlauf seiner
geistigen Entwickelung. Wagner ist in seinem Denken und
Dichten hauptsächlich von zwei ganz verschiedenen Philosophien
beeinflusst worden, voti der der Junghegelianer und der Arthur
Schopenhauers. Während die erstere ausgesprochen optimi-
stische Anschauungen vertritt, und einer Philosophie der Freude
9
130 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
das Wort redet, betrachtet die letztere die Welt im Spiegel des
Pessimismus und hält ihr hohnlachend das Bild des Leidens
vor, das sich darin zeigt. Es ist bekannt, dass die Philosophie
Schopenhauers zahlreiche Berührungspunkte mit dem Buddhis-
mus hat, und daher leicht erklärlich, dass wir in einzelnen
Werken Wagners eine Fülle buddhistischer Ideen, wenn auch
nicht in voller Reinheit, entwickelt finden. Der Zeit der Be-
einflussung Wagners durch die Philosophie Schopenhauers ge-
hören die letzten dreissig Jahre seines Lebens und Schaffens
an, also die Periode seiner vollen künstlerischen Selbständigkeit
mit denjenigen Werken, die auf die Weltanschauung der
heute sehr zahlreichen Wagnerianer bestimmenden Einfluss
haben. Während nun in die Zeit vor der Bekanntschaft mit
Schopenhauer, die Periode der blossen Nachahmung und der
Junghegelei, die sogenannten romantischen Opern Wagners
gehören, kommen für unsern Zweck nur der „Ring des Nibe-
lungen", „Tristan und Isolde" und „Parsifal" in Betracht.
Auch in Wagners ganzer Persönlichkeit zeigt sich der
Einfluss, den die Lehren des Buddhismus auf ihn gemacht
haben. Ein Dichter und Denker, der anfangs durch eine
grosse allgemeine Sozialrevolution eine Wendung zum Besseren
erhofft hatte, der fortgesetzt bestrebt war, die Welt nach seinen
Theorieen umzugestalten, konnte nicht bei dem absoluten Pessi-
mismus Schopenhauers stehen bleiben und sich einsam in sein
Denken einspinnen. Er vermochte seiner ganzen Natur nach
nichts anderes zu tun, als nach Besserung zu streben, und so
setzte er denn an Stelle jenes finsteren, weitabgewandten Pessi-
mismus die Erlösung der Welt durch Resignation und Mitleiden
angesichts der Erkenntnis der leidensvollen Lebensrätsel. Das
Wesen der Welt ist nichts als Täuschung, Trug und Leiden,
das erkennt er klar und fordert darum Entsagung und Askese.
Mitleid mit allem, was da lebt in seiner Qual, wird ihm zur
einzigwahren Grundlage aller Sittlichkeit, und das höchste ethi-
sche Prinzip ist Verneinung des Willens zum Leben. Jene frei-
willige Askese, jene Umkehr des Lebenswillens, welche die Weisen,
die Heiligen üben, die das Wesen der Welt erkannt und in der
Vernichtung des Individualwillens sich zur heiteren Ruhe dieses
Quietivs emporgeschwungen haben, ist die höchste persönliche
No. 5. DER BUDDHIST. 131
Tat, deren der Mensch fähig ist. Doch nicht nur der einzelne,
der stari< genug ist, der Weit zu entsagen, soll der Erlösung
teilhaftig werden, die ganze leidende Menschseit soll erlöst
werden. Dazu bedarf es jedoch einer Regeneration des
Lebens, einer neuen geistigen und sittlichen Kultur, die er-
zielt werden soll durch Selbsterkenntnis und sittliche Selbst-
verneinung der Welt. In einzelnen Bestrebungen der neuesten
Zeit sieht Wagner die Anfänge zu einer solchen umwälzenden
Bewegung und begriisst sie infolgedessen freudig. So bricht
er manche Lanze für den Vegetarismus, fordert gleich den
Buddhisten Liebe und Zärtlichkeit für die Tiere, bekämpft die
Vivisektion, fördert mit Wort und Schrift alle Friedensbestre-
bungen und preist den Altruismus, wie er namentlich im
Sozialismus der Gegenwart gepredigt wird. Wagner, ein Pessi-
mist der Gegenwart, hält also für die Zukunft an einem gemäs-
sigten und veredelten Optimismus fest und glaubt gegenüber
Schopenhauer und anderen Philosophen an die Möglichkeit
einer Erlösung vom Leiden und an eine Besserung der gegen-
wärtigen Zustände.
Was Wagner in der Theorie in sich aufgenommen hat
und praktisch betätigt, das legt er auch in seinen Werken
nieder. Schon im „Ring des Nibelungen", der als Dichtung
noch vor der Bekanntschaft mit der Philosophie Schopenhauers
entstanden ist, herrscht entschieden eine Tendenz, die an bud-
dhistische Ideen erinnert. Erlösung der Welt zu einem besseren
Leben, Auflösung des Bestehenden in ein neues Weltalter ist
der Kernpunkt, das Problem dieser seiner grössten Dichtung.
Eingehüllt in das Gewand urgermanischer Sage und Mythologie,
predigt uns hier der Dichter von der Macht des Goldes, des
Unschuld würgenden Dämons der Menschheit. Auf des Rheines
Grund ruht das glitzernde Rheingold, nach dessen Besitz schon 2
lange All)erich, der Nibelung, trachtet. Dem schlauen Zwerge
gelingt es auch, den Rheintöchtern das Gold zu entwinden
und einen Ring daraus zu schmieden, der Macht ohne Massen
und Herrschaft über die Welt verleiht. Alberich freut sich je-
doch nicht lange des Besitzes, denn schon strebt Wotan, der
Oberste der Götter, nach dem köstlichen Kleinod und entreisst
es ihm bald. Doch des Zwerges Fluch hängt an dem Ringe.
9»
132 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Gab sein Gold bisher massiose Macht, so soll es jetzt dem
Besitzer Tod und Verderben bringen. Kein Froher, kein Glück-
licher soll sich des Ringes freuen; wer ihn besitzt, den quält
nun die Sorge, und wer ihn nicht hat, den nagt der Neid.
Jeder aber ringt nach Gold und Macht, und so bringt es jedem
nicht Nutzen, sondern Furcht und Leiden, Verderben und Tod.
Ring und Hort wird Wotan wieder vom rohen Geschlechte der
Riesen entrissen. An ihnen bewahrheitet sich der Fluch, der.
am Golde haftet: Sie gehen, wie auch die lustheischenden,
machtgierigen Götter, schnell ihrem Untergange entgegen. Aus
des Riesen Fafner Hand, der in Wurmesgestalt den Nibelungen-
Hort mitsamt dem Macht verleihenden Ringe hütet, gewinnt
Siegfried sich das Kleinod und mit ihm zugleich Verderben
und Untergang. Neidisch ist Mime, neidisch ist Alberich auf
ihn um des Besitzes willen; sie sinnen beide dem Recken
den Tod. Mime fällt jedoch von Siegfrieds Hand, ein weiteres
Opfer der Macht und Goldgier. Doch Alberich lebt und sucht
ihn zu verderben. Mit Hagens Hilfe gelingt es ihm, Siegfried aus
dem Wege zu räumen, kommt jedoch auch dadurch nicht in
den Besitz des Ringes. Brünnhilde, die menschgewordene
Walküre, Siegfrieds Weib, die dem toten Helden den Ring
vom Finger gezogen, besteigt mit der Leiche des Gatten, der
sie unwissend betrog, zum selbstgewählt^n Flammentode den
Scheiterhaufen. Aus seiner Asche holen die Rheintöchter den
Ring zurück, den ihnen Alberich einst geraubt. Nicht frommt
es nun Hagen, dass er sich zu seinem Verderben in die Flut
stürzt, ihnen das Kleinod zu entreissen. So ist das Macht
verleihende, Verderben bringende Gold wieder in der Tiefe des
Rheines, wo es „traulich und treu" nur ist, nachdem sein Be-
sitz den Riesen, den Göttern, den Zwergen und Menschen,
Siegfried, Günther, Hagen und Brünnhilde den Untergang ge-
bracht hat.
Das ist die grosse Wahrheit, die in der Wagnerschen Te-
tralogie steckt: Am Golde hängt die Macht! Nur der vermag
etwas auf der Welt, wer reiche Schätze besitzt. Darum strebt
und ringt alles nach Gold und wirkt sich so selbst sein Leiden;
denn der Besitz bringt mit der Macht zugleich Verderben, das
Gold Leid, Not und Tod in die Welt. Der Fluch, der auf dem
No. 5. DER BUDDHIST. 133
Begehren nach Schätzen lastet, ist Wagner hier identisch mit
der Betätigung des Willens zum Leben, zur Macht. Von diesem
Fluche aber vermag nur die reine, allumfassende, nicht Lust
heischende, verzichtende Liebe, die des Goldes und der Herr-
schaft nicht begehrt, zu erlösen, sie nur vermag Seligkeit,
Ruhe und Frieden in die Welt zu bringen. Eine solche Liebe
aber wird von Brünnhilde am Schlüsse der Dichtung proklamiert,
wenn sie singt:
Nicht Gut, nicht Gold,
noch göttliche Pracht;
nicht Haus, nicht Hof,
noch herrischer Prunk ;
nicht trüber Verträge
trügender Bund,
nicht heuchelnder Sitte
hartes Gesetz:
selig in Lust und Leid
lässt — die Liebe nur sein.
Trägt so die ganze Grundidee des „Ringes" einen unbe-
streitbar buddhistischen Charakter, so zeigen sich auch noch
andere Züge, die an die Weltanschauung des Buddhismus
stark erinnern. Da ist zunächst die deterministische Gebunden-
heit der Götter, die ihrem Ende entgegeneilen, obgleich sie so
stark im Bestehen sich wähnen. Wotan, der Götter Oberster,
ist der Unfreiste aller. Was er ist, ist er nur durch Verträge, die
aus Schuld hervorgegangen sind. So gebunden, vermag er
nicht die erlösende Tat zu vollbringen und den Ring wieder
zu gewinnen, ihn also unschädlich zu machen und die Welt-
herrscheft aufs neue an sich zu reissen. Das dürfte nur:
ein Held, dem helfend
nie Wotan sich neigte;
der fremd dem Gott,
frei seiner Gunst,
unbewusst,
ohne Oeheiss,
aus eigener Not
. mit der eigenen Wehr
schüfe die Tat,
ein Held, der, ledig göttlichen Schutzes, sich vom Göttergesetz
loszulösen vermöchte.
134
DER BUDDHIST.
I. Jahrg.
Ober seine Unfreiheit aber klagt Wotan:
was ich gebaut I
Auf geh' ich mein Werk;
Eines nur will ich noch:
O heilige Schmach!
O schmählicher Harm!
Götternot !
Götternot !
Endloser Grimm! Ewiger Gram!
Der Traurigste bin ich von allen
das Ende!
das Ende!
So nimm meinen Segen
Niblungen-Sohn!
Was tief mich ekelt,
dir geb' ich's zum Erbe,
der Gottheit nichtigen Glanz:
Zernage sie gierig dein Neid!
Fahre denn hin,
herrische Pracht,
göttlichen Prunkes
prahlende Schmach!
Zusammenbreche,
Auch das Versinken in Liebesgenuss, der Quell so zahl-
reicher Menschenleiden, das Wagner gern zur gegensätzlichen
Darstellung braucht und das in der Vernichtung des individu-
ellen Seins einen Vorgeschmack des Erloschenseins gewährt,
treffen wir schon im „Ring des Nibelungen". In der herrlichen
Erweckungsszene des zweiten Tagewerkes, in der Siegfried
Brünnhilde, die zum Weibe gewordene Walküre, welche um
irdischer Liebeslust willen auf himmlisches Wissen verzichtet,
gewinnt, hören wir Worte, die im Liebesrausch die vorahnende
Vernichtungsseligkeit erkennen lassen:
O kindischer Held!
O herrlicher Knabe!
Du hehrster Taten
töriger Hort!
Lachend muss ich dicli lieben;
lachend will ich erblinden;
lachend lass uns verderben —
lachend zu Grunde geh'n!
Fahr' hin, Wallhall's
leuchtende Welt!
Zerfall in Staub
deine stolze Burg!
Leb' wohl, prangende
Götterpracht !
Du ewig Geschlecht!
Zerreisst, ihr Nornen,
das Runenseil!
Götterdämm'rung
dunkle herauf!
Nacht der Vernichtung
neble herein! —
Mir strahlt zur Stunde
Siegfrieds Stern;
er ist mir ewig,
er ist mir immer
Erb' und Eigen,
ein und all':
leuchtende Liebe,
lachender Tod!
Ende in Wonne,
Einen ganz ausgeprägt buddhistischen Charakter schliess-
lich tragen die Worte, welche die endende Brünnhilde am
Schlüsse der grossen Dichtung angesichts der Leiche Siegfrieds,
mit dem ihr Liebes- und Lebensglück zu Grunde gegangen, sagt.
No. 5. DER BUDDHIST. 135
Jene Verse, die nicht mit in Musik gesetzt sind und deshalb
in den Textbüchern fehlen, bilden mit ihrer charakteristischen
Terminologie einen Beweis dafür, dass wir mit unserer Deutung
nicht fehlgegangen sind: Brünnhilde hat das Wissen vom
Nirväna gewonnen, wenn sie auf die Frage: Wisst ihr, wohin
ich fahre? antwortet:
Aus Wunschheim zieh' ich fort,
Wahnheim flieh' ich auf immer;
des ew'gen Werdens
offne Tore
schliess' ich hinter mir zu:
nach dem wünsch- und wahnlos
heiligsten Wahlland,
der Welt-Wanderung Ziel,
von Wiedergeburt erlöst,
zieht nun die Wissende hin.
Alles Ewigen
sel'ges Ende
wisst ihr, wie ich's gewann?
Trauernder Liebe
tiefstes Leiden
schloss die Augen mir auf:
enden sah ich die Welt.
(Schluss folgt).
Mahäyäna.
Von Karl B. Seidenstücker.
Die folgenden Ausführungen sind ein Nachtrag zu dem in voriger
Nummer gebrachten Artikel »Gott und Götter« und sollen einen ganz
kurzen Überblick über die Entwickelung geben, welche der Nirväna-Be-
griff) in dem Mahäyäna, d. h. in der nördlichen Richtung des Bud-
hismus, genommen hat. Der Hauptunterschied zwischen den beiden
grossen Schulen »Hlnayäna« und »Mahäyäna« besteht in der ver-
schiedenen Betrachtung Nibbänas (Nirvänas). Dieser Unterschied ist aber,
wie wir sehen werden rein philosophisch-theoretischer Natur und berechtigt
keineswegs die Anschauung, dass das Mahäyäna ausserhalb des
Buddhismus stehe; es handelt sich um nichts weiter, als um eine in brah-
•) Das Mahäyäna bedient sich im Gegensatz zu der südlichen Schule
in seiner Terminologie der Sanskrit-Sprache; aus diesem Grunde sage
ich hier Nirväna statt Nibbäna usw.
136 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
manische Bahnen einlenkende spei<ulative Fortbildung (oder Rückbildung?)
der Lehre des Buddha.
Die Entwicklung des Nirväna-Begriffes im Mahäyäna lässt sich an
der Hand folgender Hauptgesichtspunkte verständlich machen:
I. Buddha und Nirväna werden identifiziert.
a) Als der Körper des Buddha im Tode sich in seine Bestandteile
auflöste, entschwand der Buddha aus der Welt der Erscheinungen ; nichts
war vorhanden, was eine neue Objektivation hätte veranlassen können;
der Buddha hat die restlose Erlösung erreicht; er ist ins Nirväna einge-
gangen, ist eins mit Nirväna; Buddha ist Nirväna, und Nirväna ist
Buddha.
b) Buddha Qäkyamuni ist nur einer von vielen Erleuchteten, die im
Laufe der Zeiten in der Welt als Lehrer auftreten. Sie alle sind die
sichtbare Verkörperung Nirvänas und gehen bei ihrem Abscheiden aus
der Erscheinungswelt in den unsichtbaren Nirväna-Zustand zurück; alle
Buddhas sind eins mit Nirväna.
c) Buddha im Sinne von Nirväna wird im Mahäyäna als »Adi-Buddha«
(ursprünglicher Buddha) bezeichnet; die auf Erden erscheinenden Erleuch-
teten sind gleichsam nur sichtbare Erscheinungsformen von Adi-Buddha
(vergl. weiter unten Trikäya).
n. Tathätä.
a) Adi-Buddha, resp. Nirväna wird als Tathätä bezeichnet, d. h.
als Wirklichkeit, Realität. Adi-Buddha (Nirväna) ist.
b) Die Welt der Vielheit in ihrem Verhältnis zu Buddha kann be-
trachtet werden :
1. als eine illusorische subjektive Spaltung Adi-Buddhas;
2. als ein blosses subjektiv-illusorisches Träumen im Gegensatze zu
Buddha (dem Zustande des Erwacht-seins) ;
3. als (um in einem vielfach gebrauchten Bilde zu sprechen) die
Wellen im Verhältnis zum Wasser. Die Wellen existieren wohl ; aber sie
könnten nicht sein ohne das Wasser. Analog existiert wohl die Welt
der Vielheit, aber sie wäre nicht, wenn Buddha nicht wäre; Buddha
ist das Wesen aller Dinge, wie das Wasser das Wesen der Wellen ist.
4. Buddha ist Geist; alle Dinge sind nur Erscheinungen innerhalb
des Geistes; die infolge der »grossen Täuschung« als real vorgestellt
werden.
5. Wo immer durch den Drang nach individuellem Dasein der Geist
(Buddha) getrübt wird, da entsteht Täuschung, Sondersein, Vielheit. So
spielt sich der Samsära (der Kreislauf des Daseins) innerhalb Buddhas
ab; wie das Spiel der Wellen im Wasser beginnt, eine Zeit dauert und
schliesslich wieder im Wasser verschwindet, bis der Spiegel klar, lauter, un-
bewegt in tiefer Ruhe liegt, so sind alle Dinge ihrem Wesen nach Buddha,
existieren in Buddha und kehren, wenn die Erleuchtung erreicht ist, zu
Buddha, zur Ruhe, zum Frieden zurück.
No. 5. DER BUDDHIST. 137
6. Das Ziel der Menschen wie alles Daseins überhaupt, ist, Buddha
zu werden. Dieses Ziel wird erreicht durch die Mittel : Tugendpflege
(^ila), Meditation (Dhyäna) und Weisheit (Prajriä). Durch dieses
»dreifache Fahrzeug« kreuzt der Mensch den Strom des Daseins, zerstört
die Illusion und kommt zu der Erkenntnis, dass Buddha nicht ausserhalb
der Dinge ist und die Dinge nicht ausserhalb Buddhas sind. Das Wesen
Buddhas in all seiner Erhabenheit und Glorie liegt in allen Wesen ver-
borgen ; nur die Täuschung verhindert, dass dies erkannt wird ; wird die
Täuschung in der Erleuchtung beseitigt, dann wird der Mensch »Buddha«,
eine Verkörperung der Wahrheit, Weisheit, Tugend und des Friedens;
nach dem Ableben .seines Körpers ruht er in Nirväna und ist dort ange-
langt, wo Sünde, Täuschung und Leid nicht mehr sind, wo nur Buddha
ist, höchste Seligkeit und tiefster Friede. —
III. Trikäya.
Adi-Buddha zeigt sich als Trikäya, d. h. in dreifachem Aspekt,
als Sambhoga-Käya, Dharma-Käya und Nirmäna-Käya.
a) Buddha als Nirväna, als Zustand ewigen Friedens und tiefster
Ruhe ist der als Sambhoga-Käya bezeichnete Aspekt Adi-Buddhas.
Sambhoga-Käya bedeutet Aspekt der Seligkeit und bezeichnet Nirväna
im Gegensatz zu dem leidvollen Kreislauf des Daseins.
b) Dharma-Käya ist die Welt als Entwicklungs-Prozess innerhalb
Buddhas. Diese Entwicklung vollzieht sich nach ewigen Gesetzen ; diese
ewige Weltordnung (Dharma) führt schliesslich alles wieder zu Buddha,
zur ewigen Wahrheit, zurück.
c) Nirmäna-Käya ist Buddha in sichtbarer Gestalt, d. h. ein Wesen,
das durch Überwindung aller Täuschung, Sünde und Begierde der Er-
leuchtung teilhaftig geworden ist und bei seinem Ableben aus dem Kreis-
lauf des Daseins ausschaltet. So ist nach mahäyänistischer Auffassung
Gautama Qäkyamuni als historische Persönlichkeit ein Nirmäna-
Käya, d. h. eine sichtbare Verkörperung der Wahrheit. —
Mag man nun von diesen Lehren des mahäyänistischen Buddhismus
halten, was man will, so ist meines Erachtens doch eins klar: diese
Lehren stehen nicht im Widerspruch mit der Doktrin des Buddha.
Es bleibt im Mahäyäna das Wesentliche dieser Lehren bestehen: Der
vierfache Satz vom Leiden, das Prinzip der Kausalität, ferner die Idee vom
Nicht-Selbst und von der Vergänglichkeit. Deshalb ist es ein Irrtum,
wenn gesagt wird, im Mahäyäna existiere der wesentliche Bestand des
Buddhismus nicht mehr. Diese Sache liegt vielmehr so : Der wesentliche
Bestand ist in beiden grossen Schulen des Buddhismus durchaus vorhanden ;^
während nun der Buddha die Frage nach dem Verhältnis Nibbänas zur
Welt unerörtert lässt, ebenso wie die Frage nach der Realität der Dinge,
tritt das Mahäyäna an die Aufgabe heran, diese Frage zu beantworten,
und diese Antwort geht über die Lehre des Meisters hinaus, ohne aber
mit dieser direkt in Widerspruch zu stehen, noch auch irgendwie den
138 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Kern des ursprünglichen Buddhismus anzutasten. Eins scheint mir aber
sicher zu sein: Vielen Gemütern wird gerade diese der menschlichen Nei-
gung zum Spekulieren entgegenkommende Mah.lyäna-Lehre einen un-
aussprechlichen Frieden bringen und jene iimig-begeislcrfe Hingabe an
den Buddhismus, welche heute die Buddhisten in Japan dazu bewegt, die
Sendboten dieses Evangeliums in alle Teile der Erde zu senden.
^^ Nibbäna. U^m
Von Bhlkkhu Änanda Maitriya.
(2. Fortsetzung.)
Um dem Leser einen Begriff von dem Wesen dieses
Arahatta-Zustandes zu geben, kann ich meines Erachtens nichts
Besseres tim, als einige Stellen aus unseren heiligen Schriften
hier wiederzugeben, in denen jener Zustand beschrieben ist;
denn in diesen Partieen haben wir die Äusserungen der grossen
Arahäs alter Zeiten vor uns, welche selbst in jenem glorreichen
Leben standen, nach dessen Erreichung wir streben. Hier zum
Beispiel eine der vielen Beschreibungen aus dem Munde un-
seres Herrn selbst: — „Der Jünger, welcher Lust und Gier
aus sich entfernt hat, der gross ist in Weisheit : — er hat hier
auf Erden die Befreiung vom Tode erreicht, den Frieden, das
Nihbäna, den ewigen Zustand." ')
Da ist weiter eine wundervolle Beschreibung, die einst
Mahä-Kassapa gleich nach der Erlangung der Arahäschaft
gegeben hat. Dieser Mahä-Kassapa war ein Brahmane, gefeiert
wegen seiner grossen Einsicht in die Mysterien des Feueropfers
und weit und breit wegen seiner harten Bussiibungen berühmt.
Er hatte viele Anhänger, und der genaue Bericht seiner Be-
kehrung zum Buddhismus findet sich im Mahävagga. ') Nach-
dem er ein Jünger des Meisters geworden war und die Ara-
häschaft erlangt hatte, konnten die Leute, als sie ihn und seine
grosse Gefolgschaft im jüngerkreise des Buddha gewahrten,
kaum glauben, dass ein so grosser, berühmter Büsser und
Priester ein Bekenner der Lehren unseres Meisters geworden sei;
') Suttasangahä ; vgl. Dr. Hoey's Übersetzung in Oldenbergs »Buddha»
-■) Vergl. »Sacred Bocks of the East«, Vol. XIII, S. 118 ff.
No- 5. DER BUDDHIST. I3&
einige sagten, der Buddha sei ein Schüler Mahä-Kassapas ge-
worden; andere begnügten sich damit, den Sachverhalt fest-
zustellen. . Und so wendet sich nun der Buddha an Mahä-
Kassapa und fragt ihn, aus welchen Gründen er sein Jünger
geworden sei :
„Was sähest du, mein Freund von Uruvelä,
Dass du, so hochberühmt durch büssende Abtötung,
Dein lodernd Opferfeuer nunmehr aufgabst?
Ich frage dich, o Kassapa, warum du's tatest.
Wie kommt es, dass dein Altar liegt verödet?
Was ist es, in der Menschen- oder Götterwelt,
Wonach dein Herz sich sehnet? Sprich, o Kassapa!"
Und der neugewonnene Jünger erwidert:
„Ich schaute jenen Friedeszustand, wo die Wurzeln
Der Neugeburten sind beseitigt, wo Begierde
Und Hass und Wahn besiegt daniederliegen, ^
Den Zustand, der von Lust nach künft'gem Leben frei,
In wechselloser Ruhe nie sich ändert.
Den sah mein Geist, — was kümmern mich noch Riten?"
Aber vielleicht die beste und am meisten vollständige von
jenen Wortzeichnungen Nibbänas ist die, welche sich im Mi-
lindapaüha findet, wo Milinda, der graeco-indische König
von Sägala, den Arahä Nägasena um eine genaue Beschrei-
bung des Nibbäna bittet. „Mache nicht den Versuch, ehr-
würdiger Nägasena", sagt der König, „diese Schwierigkeit auf-
zuklären dadurch, dass du sie verdunkelst. Es handelt sich
da um einen Punkt, dem diese Leute hier, in Bestürzung
geraten und von Zweifeln umfangen, verwirrt gegenüberstehen.
Zerstreue diese leidige Ungewissheit; sie schmerzt wie ein Pfeil,"
Und Nägasena antwortet:
„Dieses Nibbäna-Prinzip, o König, mit seiner Fülle von Frieden,
von Seligkeit und Glück — ist. Wer sein Leben recht richtet
und die Dinge erfasst, der realisiert dieses Prinzip durch seine
Weisheit und macht sich kraft seiner Einsicht, den Unterwei-
sungen seines Lehrers gemäss, zum Meister. Und wenn du
fragst, ,welches ist das Merkmal Nibbänas'?, — so sage ich:
Freisein von Elend und Unsicherheit, Vertrauen^ Friede, Ruhe,
Seligkeit, Glück, Zartheit, Reinheit, geistige Frische. ......
140 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
„Und wenn du weiter fragst: ,Wie verwirklicht ein Mensch,
der sein Leben recht richtet, dieses Nibbäna?' — so möchte
ich erwidern: Wer, o König, sein Leben recht richtet, erfasst
die Wahrheit soweit, dass sich die iNatur aller Dinge enthüllt,
und wenn er dies tut, so bemerkt er in ihnen Geboren-werden,
er bemerkt Altern, er bemerkt Verfall, er bemerkt Siechtum,
er bemerkt Sterben. Aber er bemerkt in ihnen, sowohl am
Anfang, als in der Mitte, als am Ende, nichts, was wert wäre,
dass man sich darauf verliesse, als könnte es dauernd Befrie-
digung gewähren. Und es entsteht Unzufriedenheit in seinem
Gemüte, wenn er so findet, dass nichts passend wäre, dass
man darauf bauen könnte, oder was dauernd Befriedigung
zu gewähren imstande wäre, und ein Fieber ergreift von seinem
Körper Besitz, und ohne eine Zuflucht, ohne einen Schutz, ohne
Hoffnung wird er der sich wiederholenden Lebensläufe über-
drüssig. Und in dem Gemüte dessen, der so die Ungewiss-
heit des vergänglichen Lebens erkennt, das sich in ungezählten
Wiedergeburten fortsetzt, erhebt sich der Gedanke: ,Ein ewiges
Feuer ist dieses unendliche Werden, flammend und brennend!
Voll von Leiden ist es, voll von Verzweiflung! Wenn man
nur einen Zustand erreichen könnte, in welchem es kein Wer-
den gäbe, — dort würde Ruhe sein, das wäre süss, — das
Aufhören aller dieser Bedingungen, das Sich-Iosmachen von
allen diesen Gebrechen, von den Begierden, vom Übel, vom
Kamma, das Ende des Begehrens, die Abwesenheit der Leiden-
schaften, der Friede, das Nibbäna'.
„Und damit dringt sein Gemüt vorwärts in jenen Zustand,
wo es kein Werden gibt, und dann hat er Frieden gefunden,
dann jauchzt er und triumphiert bei dem' Gedanken: .Endlich
habe ich eine Zuflucht gefunden!' Und er strebt mit Macht
und Kraft jenen Pfad vorwärts, forscht ihn aus, gewöhnt
sich völlig an ihn zu dem Zwecke, seine Selbstzucht fest zu
halten, um standhaft zu bleiben in der Liebe zu allen Wesen
in allen Welten; —hierauf richtet er seinen Geist wieder und
wieder, bis er über die Vergänglichkeit hinausgekommen ist und
das Wirkliche erlangt, die Frucht der Arahäschaft. Und wenn,
0 König, ein Mensch, der sein Leben recht richtet, dies erreicht
No. 5. DER BUDDHIST. 141
hat, dann hat er Nibbäna realisiert, hat Nibbäna von Angesicht
zu Angesicht geschaut !" *) —
Das sind einige wenige von den Steilen, welche das Ideal
des Buddhismus beschreiben, den Zustand des Arahä, der
schon in diesem Leben Nibbäna erlangt hat. Unsere Bücher
sind angefüllt mit derartigen Beschreibungen, angefüllt mit
Worten und mit Ehrfurcht gebietenden, Bewunderung erregen-
den Äusserungen jener, welche schon in diesem Leben
zu dem Ziele unserer Religion gelangt sind, zu dem glor-
reichen Zustande höchsten Friedens, zu der unvergleichlichen
Sicherheit Nibbänas; welche Hass, Begierde und Wahn ausge-
rottet und alles eitle Verlangen nach einem zukünftigen Dasein
aufgegeben haben, jene eitle Hoffnung auf individuelle Unsterblich-
keit, welche für jede wahre Grösse in unserem Leben Gift ist. „Ich
verlange nicht nach Sterben, ich verlange nicht nach Leben, ich
warte, bis die Stunde kommt, bewusst und wachen Geistes." -)
Welch ein höheres Ideal könnte aufgestellt werden als dieses, wie
es in den Worten des grössten Jüngers unseres Meisters seinen
Ausdruck findet?! Es ist die Apotheose der reinen Vernunft:
— kein vergebliches Verlangen nach glückseligen Zuständen
jenseits des Grabes, sondern die schon in diesem Leben
zu vollendende Erreichung jenes Zieles der Glückseligkeit, nach
welchem die Menscheit sich gesehnt hat, seitdem der erste
artikulierte Laut über menschliche Lippen gekommen ist; die
Glückseligkeit, die den erfüllt, der die Ursachen des Leides
vernichtet hat, der frei von der fesselnden Leidenschaft, Ge-
hässigkeit und Verblendung lebt, — dessen Leben von unaus-
sprechlichem Frieden durchdrungen, dessen Herz von Liebe und
Erbarmen mit allen lebenden Wesen durchweht ist.
Und doch wird der Buddhismus mit seiner Hoffnung, die
er in diesem seinem Endziel zum Ausdruck bringt, als Pessi-
mismus verschrieen, als ein trauriger, hoffnungsloser Glaube,
dessen Anhängern keine bessere Hoffnung übrig bleibt, als in
das ewige Vergessen einer absoluten Vernichtung zu versinken.
Wenn das so wäre, dann würde der Selbstmord die Erlösung
') Vergl. Sacred Books of tlie Hast, Vol. XXXVI, S. 196 ff.
•) Sacred Books of the East, Vol, XXXV, S. 70.
U2 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
des Buddhisten sein! Aber nein! Un.scr Endziel ist Glücl<sclig-
keit, mit der l<cin irdisclies Giücit vergiiciien werden i<ann, —
die Befreiung von diesen niclitigen Schatten, von diesen wilden
Begierden, welche das menschliche Leid schaffen. „Glück-
lich wahrlich leben wir, unter Gehässigen frei von Mass; in
dieser Hass-erfUllten Welt leben wir Hass-bcfreit! Glücklich
wahrlich leben wir, die wir nichts unser eigen nennen; den
strahlenden Göttern gleichen wir, und unsere Speise ist Glück-
seligkeit!" Das ist der Zweck und das Ziel des Buddhismus,
das ist die Krone dessen, der den erhabenen Pfad beschreitet:
Die Arahäschaft, die Erlangung Nibbänas, die Errei-
chung einer endgültigen, unbegrenzten Glückseligkeit
schon hinieden und jetzt, hier in diesem Leben. —
(Fortsetzung folgt).
Die Grundideen des Buddhismus.
' Von Dr. Paul Carus.
(2. Fortsetzung.)
Seit der Veröffentlichung dieser Bemerkung in der April-Num-
mer des »Monist« i. J. 1894 hat Profes-sor Rhys Davids seine An-
sicht über den Gegenstand offenbar geändert, und ich würde
den ganzen Passus, in dem ich mich gegen Rhys Davids' Auf-
fassung gewandt habe, streichen, wenn nicht sein früher ge-
schriebenes populäres Buch (»Der Buddhismus«) im Publikum
bliebe und fortgesetzt einen grossen Einfluss ausübte; denn
dieser Forscher gilt mit Recht als eine grosse Kapazität auf
dem Gebiete huddhologischer Forschungen. In seiner letzten
Publikation berührt Professor Rhys Davids dasselbe Problem
und kleidet seine jetzige Ansicht in folgende Worte:
„Ein Mcnscli denkt, seine Existenz habe vor wenltjeii Jahren be-
gonnen, — etwa vor zwanzig, vierzig oder sechzig Jahren. Darin liegt
wohl etwas Wahres; aber in einem viel tieferen, umfassenderen, richtigeren
Sinne hat er während ungczähKcr Zeitläufe der Vergangenheit in den Ur-
sachen existiert, deren Resultat er ist, und jene selben Ursachen, deren
zeitweilige Wirkung er darstellt, werden in anderen ebenfalls zeitweiligen
Formen für ungezählte Perioden bestehen, die noch kommen werden.
„Es gibt kein Ding, wie eine Individualität, welche permanent,
dauernd, beständig wäre; ja, selbst wenn eine permanente Individualität
No. 5. DER BUDDHIST. 143
möglich wäre, so würde sie durcliaus nicht wünschenswert erscheinen;
denn es ist nicht wünschenswert, getrennt zu sein. Der Versuch, sich
selbst getrennt zu halten, mag für eine gewisse Zeit woiii glücken ; aber
solange dieser Versuch glückt, schliesst er Begrenzung in sich, mithin
Unwissenheit, mithin Leid. ,Nein, du darfst kein Getrenntsein erhoffen
oder begehren', sagt der Buddhist, ,£ondern Einheit, die Gesinnung der
Solidarität mit allem, was jetzt ist, was einst war, und was je sein wird,
— jene Gesinnung, welche den Horizont deines Wesens bis an die Gren-
zen des Universums, bis an die Schranken von Zeit und Raum erweitern
und dich erheben wird auf einen neuen Standpunkt, der weit, weit jen-
seits von der niedrigen, armseligen Sorge um das Selbst liegt. Warum
weichst du zurück? Gib auf das Narren-I'aradies von »Dies bin ich«
und »Dies ist mein«. Es ist eine reale Tatsache, ja die grösste aller
Realitäten, um deren Erlangung du bekümmert bist. Strebe vorwärts ohne
Furcht! Du wirst dich selbst in den ambrosischen Wassern Nirvänas
finden, wirst wetteifern mit den Arahäs, welche Geburt und Tod über-
wunden haben I'
„Diese Karma-Theorie nimmt in der buddhistischen Lehre die Stelle
jener sehr alten Theorie von „Seelenwesen" ein, welche die Christen von
den rohen Glaubensformen der frühesten historischen Zeiten als Erbe
überkommen haben.
„Die Geschichte eines Individuums beginnt nicht mit dessen Geburt,
sondern sie hat sich seit endlosen Zeiträumen entwickelt, und das Indi-
viduum kann sich nicht, ja nicht einmal für eine Stunde, von den umge-
benden Dingen absondern. Das winzigste Schneeglöckchen senkt seine
zarte Blüte gerade so viel und nicht mehr, weil es das Gleichgewicht des
Universums so erheischt. Es ist ein Schneeglöckchen und keine Eiche, und
zwar gerade die betreffende Art Schneeglöckchen, weil es das Ergebnis aus
dem Karma endloser Reihen vergangener Existenzen ist. Sein Dasein beginnt
weder mit dem Augenblick, da die Blüte sich öffnet, oder als die Mutter-
pflanze zum ersten Male über das Erdreich cmporlugte, oder als sie die
erste Umarmung der Sonnenstrahlen genoss, auch nicht damals, als die
Wurzel ihre Schösslinge über den Boden emporsprossen liess, oder zu
irgend einem Zeitpunkt, den du oder ich bestimmen könnte .... Wir
können einen neuen, tieferen Sinn in das Wort des Dichters legen, der
da singt:
Von ferne folgen uns're Taten uns.
Und was wir einst gewirkt, das sind wir jetzt."
Man mag gegenüber dieser buddhistischen Anschauung den
Einwand geltend machen, dass wir l<cine Neigung haben, die
Menschen, weiche in i<ünftigen Zeiten die Veri<örpenmg unseres
Karmans darsteilen werden, für identisch mit uns selbst zu
halten, dass wir es vielmehr vorziehen, sie als gänzlich ver-
schiedene Wesen zu betrachten. Aber hier wird der Buddhist
144 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sofort seine Entgegnung bereit halten. Die IdentitSt behauptet
sich, mögen wir sie nun anerkennen oder nicht. Sie ist real;
denn die Naturgesetze bestätigen sie; sie ist eine feststehende
Tatsache. Diesen zukünftigen Verkörperungen unseres Karmans
inhäriert unser Charakter mit seinem ganzen Segen und seinem
ganzen Fluch, genau ebenso, wie das Ich von heute gesegnet
oder verdammt ist von den Handlungen aus meiner Jugendzeit,
ganz gleichgültig, ob es mir beliebt, die Identität meiner selbst
anzuerkennen oder nicht.
Wir können keine richtige Auffassung von dem Wirken
des moralischen Gesetzes haben, wenn wir den Zusammenhang
des Seelenlebens nicht verstehen. Solange wir in dem letzteren
einzelne »Selbste« abgrenzen, werden wir nie aufhören, mit
psychologischen, philosophischen und ethischen Problemen zu
ringen, die uns unlöslich und unbegreiflich zu sein scheinen.
Die grössere Mehrzahl derjenigen Menschen, welche sich als
orthodoxe Christen bekennen, sind in ihrer Anschauung über die
Seele zweifellos Anhänger der Ätman-Theorie; sie postulieren ein
Selbst als das Asiens hinter dem Seelenleben und betrachten
jenes als die eigentliche Seele; und doch zeigen die grossen
autoritativen Repräsentanten des orthodoxen Christentums,
Männer wie der Apostel Paulus, Thomas von Aquin, Eckhart,
Tauler, Ignatius von Loyola, Tholuck und viele andere, eine
starke Tendenz nach der Anätman-Lehre, d. h. nach dem Auf-
geben des Selbstes als der eigentlichen Seele. Die Christen
entsetzen sich über den „Nihilismus" des Buddhisten, dessen
höchstes Streben darin besteht, seine Seele, d. h. seinen Ätman,
den Selbst-Gedanken, auszurotten zu dem Zwecke, Nirväna
zu erreichen und ein Buddha zu werden, aber sie nehmen
keinen Anstoss daran, wenn Paulus sagt: „Ich bin mit Christus
gekreuzigt, doch nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir."
Nirväna.
Wir haben gelernt, dass es ebenso natürlich wie irrtümlich
ist, wenn Menschen, die ausschliesslich in der Denkweise des
Westens geschult sind, die wichtigste Lehre der buddhistischen
Psychologie*) für eine glatte, ungeschminkte Leugnung der
>) Anätman (Sanskr.), Anattä (Päli).
No. 5. DER BUDDHIST. 145
Seele erklären. Auf dieselbe Weise und aus denselben Grün-
den ist es ebenso natürlich wie irrig, wenn westliche Geister,
die in Christen-Schulen erzogen sind, das Nirväna des Bud-
dhismus für Vernichtung halten und die buddhistische Ethik
als Quietismus charakterisieren.
Nirväna, das ideale Ziel des vollkommenen, erleuchteten
Jüngers Buddhas, ist der wichtigste Begriff in der buddhis-
tischen Religionsphilosophie; es ist der Schlussstein des ge-
samten Aufbaues, und doch, wenn man nach den mannigfachen
Deutungen dieses Begriffes und nach den Fehden urteilen
wollte, die sich um seine Bedeutung entsponnen haben, so
müsste man schliessen, dass der Sinn dieses Begriffes ein sehr
zweifelhafter, oder aber, dass er dem Verständnis des abend-
ländischen Denkens sehr schwer zugänglich sei.
Die unter allen Buddhisten ganz allgemeine Definition von
Nirväna ist Befreiung vom Übel, d.h. Erlösung. Die Frage
ist nun die, von welcher Art diese Befreiung ist.
Die Etymologie des Wortes ist einfach genug; Nirväna be-
deutet »Verlöschen«, das will sagen »Verlöschen des
Selbstes«, eine Deutung des Begriffes, welche in der HTna-
yäna-Schule des alten südlichen Buddhismus*) die gebräuch-
lichste ist. Jene Repräsentanten der japanischen Mahäyäna-
Schule indessen, welche den Religions-Kongress in Chicago
') Die nördlichen Buddhisten machen einen Unterschied zwischen
Hinayäna oder dem »kleinen Fahrzeug (der Erlösung)« und dem
Mahäyäna oder dem »grossen Fahrzeug«; das erstere ist die siid-
ichc, das letztere die nördliche Schule des buddhistischen Denkens.
Das erstere zieht es bis zu einem gewissen Grade vor, seine Definitionen
negativ und philosophisch zum Ausdruck zu bringen, während das
letztere sich einer positiven und religiösen Ausdrucksweise bedient.
Das Hinayäna repräsentiert im ganzen gläubig die historischen Über-
lieferungen des Buddha; das Mahäyäna dagegen hat in seinem Streben,
den grossen Massen der Menschheit die Erlösung zu bringen, manche
mystische Elemente zugelassen. Wir müssen aber hinzufügen, dass diese
Gegensätze in Wirklichkeit nicht so gross sind, als es bei einer allge-
meinen Charakterisierung den Anschein haben könnte, und die Unter-
scheidung zwischen Hinayäna und Mahäyäna, welche für gewisse Zwecke
ganz passend ist, hat doch nur innerhalb ganz bestimmter Grenzen
Gültigkeit. •
10
»46 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
besuchten, pflegten Nirväna zu definieren als »die vollkom-
mene Erlangung der Wahrheit«. Nach ihrer Anschauung
wird Nirväna erreicht durch das Verlöschen der Selbst-Illusion
mit allem, was diese in sich schliesst: Begierde, Lust und jedes
sündige Verlangen.
Bei den Erörterungen, die über den Nirväna-Begriff an-
gestellt werden, dreht sich im Grunde alles um das Problem,
ob Nirväna als ein positiver oder ein negativer Zustand be-
trachtet werden muss, als ewige Ruhe oder als paradiesisches
Leben, als vollkommene Vernichtung oder als die Glückselig-
keit höchster Vollendung. Um diese viel umstrittene Frage zu
lösen, haben die Professoren Max Müller und Childers unter
Vermeidung jeder voreiligen und voreingenommenen Forschungs-
methode systematisch die alten buddhistischen Autoritäten heran-
gezogen und eine grosse Anzahl gesammelter Stellen verglichen,
in denen das Wort Nirväna vorkommt. Als Resultat ergab
sich, „dass sich keine Stelle vorfindet, welcher notwendiger-
weise die Bedeutung von Vernichtung beigelegt werden müsste,
während die meisten Stellen, wenn nicht alle, vollkommen un-
verständlich sein würden, wenn wir den Begriff »Vernichtung«
auf das Wort Nirväna übertrügen".
Es wurde von manchen Seiten behauptet, dass es verschie-
dene Arten von Nirväna gebe; aber Professor Childers erklärt
diese Annahme für gänzlich irrig. Er sagt:
„Ein grosser Irrtum, der meines Wissens von Burnouf ausging und
von einigen bedeutenden europäischen Gelehrten ohne Bedenken über-
nommen wurde, hat viel dazu beigetragen, das Nirväna-Probiem unnötiger-
weise mit Zweifel und Unklarheit zu umhüllen. Es ist das jene Ansicht,
nach welcher drei Arten von Nirväna vorhanden sein sollen, nämlich
Nibbäna, Parinibbäna und Mahäparinibbäna (eigentliches Nirväna, voll-
kommenes Nirväna und grosses vollkommenes Nirväna). Diese Annahme
ist weit von der Wahrheit entfernt; denn Parinibbäna bedeutet nur Nir-
väna oder die Erlangung Nirvänas, und Mahäparinibbäna bedeutet nichts
anderes, als das Ableben des Buddha."
Professor Rhys Davids fasst seine Ansicht über die Be-
deutung von Nirväna in folgende Worte zusammen:
„Es ist das Auslöschen jener sündigen, greifenden Be-
schaffenheit des Geistes und des Herzens, welche sonst nach
dem grossen Mysterium des Karma die Ursache zu erneutem,
individuellem Dasein werden würde. Jenes Auslöschen wird zu
No. 5. DER BUDDHIST. 147
Stande gebracht durch ein Zunehmen des Geistes an der dieser sündigen,
greifenden entgegengesetzten Beschaffenheit des Geistes und des Herzens
und läuft mit dieser Zunahme parallel; jenes Auslöschen ist ein vollstän-
diges, wenn diese entgegengesetzte Beschaffenheit erreicht ist. Daher ist
Nirväna das nämliche, wie ein sündenloser ruhiger Gemütszustand;
und wenn das Wort überhaupt übersetzt werden soll, wird es vielleicht
am besten mit »Heiligkeit« wiederzugeben sein; — denn Heiligkeit be-
deutet im buddhistischen Sinne: Vollkommenheit in Frieden, Güte
und Weisheit."
Professor Childers bietet uns in seinem »Päli-Dictonary«
eine sorgfältige Erörterung über das Problem. Er sagt unter
dem Worte Nibbäna (dem Päli-Ausdrucic für Nirväna):
„Die Schwierigkeit ist folgende: Es ist wahr, dass manche Ausdrücke
für Nirväna gebraucht werden, welche Vernichtung zu bedeuten scheinen;
aber auf der andern Seite werden andere ebenso zahlreiche und nicht
minder bedeutsame Bezeichnungen gebraucht, welche ganz deutlich als
ein glückseliger Zustand zu verstehen sind. So wird Nirväna Freiheit
von menschlicher Leidenschaft genannt, Reinheit, Heiligkeit, Seligkeit,
Glück, das Ende des Leidens, das Auflösen des Verlangens, Friede, Ruhe,
Stille und so fort. Wie ist dieser Widerspruch zu begreifen? Ich glaube,
dass das Wort Nibbäna für zwei verschiedene Begriffe gebraucht wird:
einmal für jenes Verlöschen des individuellen Wesens, welches das Ziel
des Buddhismus ist, und sodann für den Zustand glückseliger Heiligkeit,
Arahatta oder Arahäschaft genannt, dessen Ende im Verlöschen liegt.
Die Erklärung löst den scheinbaren Widerspruch.
„Beim ersten Blick mag es unverständlich erscheinen, dass ein und
derselbe Ausdruck auf zwei Begriffe angewandt wird, die so verschieden-
artig sind, wie Verlöschen und glückseliges Dasein ; aber ich glaube zeigen
zu können, wie dieselben zu vereinbaren sind. So kann, wenn wir sagen,
»Nirväna ist die Vergeltung eines tugendhaften Lebens«, dies im eigent-
lichen Sinne bedeuten, das Verlöschen sei die Vergeltung eines tugend-
haften Lebens; da nun aber Verlöschen ohne die Arahäschaft nicht er-
langt werden kann, so drängt sich dem Geist gleichzeitig und unabweisbar
die Idee auf, dass die Arahäschaft die Vergeltung für ein tugendhaftes
Leben ist.
„Obwohl Sätze wie: „Verlöschen ist Glückseligkeit" — uns be-
fremdlich oder sogar lächerlich erscheinen mögen, die wir von unserer
frühesten Kindheit an belehrt worden sind, dass Seligkeit in ewigem Leben
bestehe, so wird ein solcher Satz einem Buddhisten, nach dessen Ansicht
Dasein Leiden ist, ganz natürlich und vertraut erscheinen; das ist im
Grunde nur eine Frage der Erziehung und Gewohnheit; die
Worte: „Verlöschen ist Seligkeit" rufen im Gemüte eines Buddhisten das-
selbe Gefühl begeisterter Sehnsucht, dasselbe Bewusstsein höchster Wahr-
heit wach, wie die Worte : „Ewiges Leben ist Seligkeit" im Geiste eines
Christen."
10*
148 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
So hätten wir nach Professor Childers die Seiigiteit der
Arahäschaft und das vollständige Verlöschen des individuellen
Wesens, das erstere die Ursache des letzteren. Wenn der
Arahä das Ziel, Nirvana, erreicht, hört er auf, als eine indivi-
duelle Persönlichkeit zu existieren. Childers sagt:
„Die Lehre des Buddha über diesen Gegenstand ist ganz klar; er
sagte sogar seinen eigenen Tod voraus. Wenn min die Arahäschaft das
letzte Ziel des Buddhismus wäre, müsste sie ein ewiger Zustand sein;
denn wäre sie nicht ewig, so müsste sie früher oder später aufhören, u.
z. müsste sie dann entweder auslaufen in das Verlöschen, oder in einen
nicht glückseligen Zustand, der in jedem Falle nicht das Endziel des
Buddhismus ist. Da aber Arahäs sterben, so ist die Arahäschaft kein
ewiger Zustand und mithin nicht das Endziel des Buddhismus. Es ist
beinahe überflüssig, hinzuzufügen, dass sich in den buddhistischen Schriften
keine Spur von einem weiteren Da-sein der Arahäs nach ihrem Ableben
vorfindet; es ist vielmehr bedachtsam in unzähligen Stellen mit aller
Klarheit und dem ganzen Nachdruck, deren die Sprache fähig ist, konsta-
tiert, dass der Arahä nach seinem Ableben nicht weiter existiert, sondern
aufhört da zu sein. Es gibt wahrscheinlich keine Doktrin, welche für
Qäkyamunis ursprüngliche Lehre so charakteristisch ist, wie das Ver-
löschen des individuellen Wesens".
Diese Lösung scheint nihilistisch zu sein; aber meines Er-
achtens bedeutet das vollständige Verlöschen Gautama Siddhär-
thas keineswegs das vollständige Verlöschen des Buddha. Es
heisst, der Buddha sei bei seinem Ableben in Nirvana einge-
gangen; aber gleichzeitig wird gesagt, dass der Buddha schon
während seines Lebens Nirvana erreicht habe. In der Tat sind
nach der Ansicht aller Buddhisten sowohl des Hinayäna als
des Mahäyäna Erleuchtung und Nirvana vollkommen
synonyme Begriffe. Nirvana, das Verlöschen der
Selbst-Illusion, ist der Zustand der Erleuchtung oder
vollendetes Erkennen der Wahrheit. Ein Buddha ist das
ideale Bild eines Menschen, in dem aller Irrtum und die Folgen
von Wahn, Begierde und Sünde aufgehoben sind; sein Wille
ist geläutert, seine Gedanken sind nicht mehr durch Täuschun-
gen verdunkelt, und in seinem Geiste herrscht vollkommene
Wahrheits-Erkenntnis. (Fortsetzung folgt.)
No. 5. DER BUDDHIST. 149
Soziale Kräfte
im Buddhismus und Christentum.
Kritische Betrachtungen
über die Ausführungen der Herren Pfarrer Lic. Hacic-
mann und Professor D. Harnack auf dem diesjährigen
»Evangelisch-sozialen Kongress«.
Von Karl B. Seidenstücker.
Wohl selten hat man sich bei einem Vergleich zwischen
Buddhismus und Christentum mehr den Anschein wissenschaft-
licher Objektivität gegeben und ist dabei voreingenommener
und einseitiger verfahren, als dies auf dem Evangelisch-sozialen
Kongress in Hannover am 8. Juni 1905 geschehen ist, als
Pfarrer Lic. Hackmann sein Referat über „die sozialen Kräfte
im Christentum und Buddhismus" hielt und Professor D. Har-
nack ihm dabei als Sekundant assistierte. Mir liegen die Be-
richte von etwa zwanzig Tageszeitungen vor, die ein hinreichend
klares Urteil über die Ausführungen der beiden Redner ge-
statten.
Die Aufgabe, über soziale Kräfte im Buddhismus und
Christentum zu sprechen, ist nicht leicht und dazu ausser-
ordentlich verantwortungsvoll; doppelt verantwortungsvoll dann,
wenn es sich nicht um einen rein wissenschaftlichen Essay,
sondern um eine Darstellung handelt, die dazu bestimmt ist,
weiten Kreisen als Richtschnur und Massstab bei der Abwägung
der beiden grössten Weltreligionen zu dienen. Solange das
Wort Apostelgeschichte IV, 12 für christliche Theologen zu-
recht besteht — und das ist heute wohl noch ausnahmslos der
Fall — muss man von vornherein jeder theologischen Äusse-
rung über Buddhismus und Christentum durchaus skeptisch
gegenübertreten und kann mit tötlicher Sicherheit die Prognose
stellen, dass in den betreffenden Ausführungen dem Christen-
tum auf alle Fälle der Siegespreis zuerkannt wird. Daran
ist die Welt bereits so gewöhnt, dass kein vernünftiger Mensch
mehr darüber in Verwunderung oder Aufregung gerät, wenn
er die alte Melodei bald in Dur, bald in Moll singen hört.
Pfarrer Lic. Hackmann hat diesmal die Dur-Tonart verschmäht
150 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
und ist nicht in den robusten, polternden Kampfton verfallen,
den ein Militär-Oberpfarrer Falke liebt, dessen Ausführungen zu
wenig vernünftig sind, um ernst genommen zu werden; Pfarrer
Hackmann sang vielmehr in Moll und verfuhr scheinbar
„fein säuberlich" mit dem Buddhismus, um ihn dann desto
besser degradieren zu können.
Herr Hackmann misst gleich von vornherein beide Religi-
onen mit ungleichem Mass, wenn er einerseits ganz richtig
behauptet, der Buddhismus unterscheide zwischen der engeren
Jüngergemeinde (dem Bhikkhutum) und der Laien-Anhänger-
schaft, wenn er dagegen andererseits eine analoge Zweiteilung
im Christentum in Abrede stellt. „Die soziale Arbeit des
Christentums erkennt — nach Lic. Hackmann — keinerlei
Scheidung in vollkommneres und unvollkommneres Christentum
an; was in dieser Hinsicht auf christlichem Boden sich geltend
gemacht hat, kann vom Standpunkte Jesu Christi aus nicht
gerechtfertigt werden." Daraus folgert dann Herr Hackmann
weiter, dass der Buddhismus nur zum Teil, nämlich in seinem
Laien-Anhängertum soziale Kräfte enthalte, während „die soziale
Arbeit des Christentums alle natürlich notwendigen mensch-
lichen Gesellschaftsgruppen gleichmässig mit einer höheren, sie
zusammenfassenden Kraft durchdringe." — Mit Verlaub, Herr
Pfarrer, dem kann ich nicht beipflichten. Wenn Sie nur für
den Buddhismus und nicht auch für das Christentum jene
Zweiteilung gelten lassen wollen, kommen Sie sehr bald in die
Brüche. Genau so, wie der Buddha im Kreise seiner engeren
Jüngergemeinde vor der Ehe und vor weltlichen Geschäften
warnt, seinen Laien-Anhängern gegenüber dagegen die Er-
füllung der ehelichen Pflichten und die Ausübung eines »fried-
lichen Berufes« als den höchsten Segen preist, genau ebenso
fordert Christus von seinen wahren Jüngern das Sich-Ioslösen
von verwandtschaftlichen Banden und weltlichen Angelegenheiten,
während er vor weiteren Kreisen von diesen Dingen als etwas
ganz Natürlichem spricht. Die Jüngerschaft Christi ist ebenso-
wenigsozial in unserem Sinne, wie das buddhistische Bhikkhu-
tum. Dazu kommt für das Christentum der ältesten Zeit noch
die Schwierigkeit, dass die Anhänger Christi die Wiederkunft
des letzteren zum Weltgericht als unmittelbar bevorstehend er-
No. 5. DER BUDDHIST. 151
warteten, und in dieser Erwartung werden sie sich dem Gedanken
an eine soziale Betätigung iierzlich wenig iiingegeben haben.
Philipper IV, 5: „Eure Lindigkeit iasst kund werden allen
Menschen; der Herr ist nahe, deshalb bekümmert euch um
nichts." Die Verhähnisse in den urchristlichen Gemeinden
mögen nicht unähnlich den Zuständen in der Gemeinde der
Adventisten gewesen sein, welche die Wiederkunft Christi
für den 22. Oktober 1844 berechnet hatte. Die Mitglieder
warfen in dem festen Glauben an dieses Ereignis ihr Hab und
Gut von sich und standen dann, als Christus zu dem ange-
setzten Termin wieder nicht eintraf, vis-ä-vis de rien.^) —
Sieht man über die Tatsache hinweg, dass der Glaube der
Urchristen an die nahe Wiederkunft Jesu, der jede soziale
Betätigung notwendigerweise lahm legen musste, sich als eine
bare Illusion erwiesen hat, und betrachtet man die Schriften
des Neuen Testaments nach ihrem ethischen Gehalt, so lässt
sich nicht leugnen, dass dieselben allerdings die Keime zur
Entfaltung sozialer Kräfte enthalten, die indessen keineswegs
bedeutender sind als die im Buddhismus. Immerhin bestand im
Christentum von jeher eine weltfremde Richtung der eigent-
lichen Jünger, also ein Christentum strengster Observanz, und
ein laxeres Laienchristentum. Dass das eigentliche Christentum
durchaus weltflüchtig war, erhellt zur Genüge aus folgenden
Belegen:
Christus selbst führte mit seinen Jüngern ein Bhikkhu-
Leben der Entsagung, und ich meine, es ist höchst gleichgültig,
ob ein Asket wie der Buddha seine Nahrung von der Hand
wohltätiger Menschen entgegennimmt, oder aber, wie Christus,
die Nahrung für das Geld kauft, das fremde Menschen ihm
darreichen. Christus war von Familienbanden frei; vergleiche
die Erzählung von der Hochzeit zu Cana, wo Jesus seiner
Mutter in einer Weise begegnet, deren Schroffheit jedem Un-
befangenen auffallen niuss. Als ihm gesagt wird, dass seine
Angehörigen in der Nähe sind, und ihn zu sprechen
wünschen, weist er kurz und bündig darauf hin, dass seine
Anhänger seine Mutter und seine Brüder seien; es kann da
') Vergleiche Eberhard Buchner: Sekten und Seklierer in Berlin,
2. Auflage S. 15 f.
152 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
nicht Wunder nehmen, wenn seine Angehörigen, die für seine
weltflüchtige Neigung offenbar wenig Verständnis hatten, sagten,
„dass er von Sinnen sei." Jesus veranlasst ferner verschiedene
seiner Jünger, ihren weltlichen Beruf ohne weiteres aufzugeben
und ihm nachzufolgen. Ja, einem seiner Jünger, der ihn um
Urlaub bittet, um seinen Kindespflichten nachzukommen und
seinen Vater zu begraben, untersagt er dies mit den Worten:
„Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begraben."
(Matth. VIII, 21, 22). Der Leser mag ferner noch folgende
Stellen beachten: „Ich bin gekommen, den Menschen zu er-
regen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter,
und die Schnur wider ihre Schwieger. Wer Vater oder Mutter
mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert und wer Sohn oder
Tochter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert" (Matth. X,
35, 37). „Von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein,
drei wider zwei, und zwei wider drei. Es wird sein der Vater
wider den Sohn, und der Sohn wider den Vater; die Mutter
wider die Tochter und die Tochter wider die Mutter; die
Schwieger wider die Schnur und die Schnur wider die Schwie-
ger" (Luc. XII, 52, 53). „So jemand zu mir kommt, und ver-
abscheut (!) nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder,
Schwestern, dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger
sein" (Luc. XIV, 26). „Es ist niemand, der ein Haus verlasset,
oder Eltern, oder Brüder, oder Weib, oder Kinder um des
Reichs Gottes willen, der es nicht vielfältig wieder empfange
in dieser Zeit, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben"
(Luc. XVIII, 29, 30).
Wie Pfarrer Hackmann angesichts dieser Stellen den Mut
haben kann, in die Welt hineinzurufen, „eine Scheidung in
vollkommneres und unvollkommneres Christentum könne vom
Standpunkte Jesu Christi aus nicht gerechtfertigt werden," ist
mir einfach unverständlich. Diese Ansicht Hackmanns mag
wohl den Intentionen eines modern zurechtgestutzten protestan-
tischen Christentums entsprechen, nicht aber dem Evangelium,
auf das. gerade diese Herren sich mit Vorliebe berufen. Man
hat christlicherseits nicht das mindeste Recht, dem Buddha und
seiner Religion einen Vorwurf daraus zu machen, dass sie durch
die Unterscheidung einer geistlichen und einer weltlichen
No. 5. DER BUDDHIST. 153
Richtung dem individuellen Bedürfnis des menschlichen Gemütes
entgegenkommen.
Die sozialen Kräfte in diesem weitabgewandten Christen-
tum sind positiv gleich Null. Einem Christen, der um Christi
und des Himmelreichs willen seinen Beruf aufgibt und seine
Angehörigen verabscheut, kann es nicht im entferntesten ein- .
fallen, sich sozial betätigen zu wollen. In sozialer Hinsicht
steht das buddhistische Bhikkhutum keineswegs tiefer,
als das asketische Christentum; im Gegenteil, jedem Bhikkhu
steht es ohne weiteres jeden Augenblick frei, in das Welt-
leben zurückzukehren; überdies hat der Bhikkhu den Laien
gegenüber die Pflicht der Unterweisung in der Lehre*), muss
sich also immerhin dadurch sozial betätigen, dass er zur Ver-
breitung der humanitären buddhistischen Sittenlehre beiträgt.
Wenn also Pfarrer Hackmann sagt, ,die engere Jüngergemeinde
des Buddha wende sich so entschieden vom Leben ab, dass
in diesem Mönchtum von sozialen Kräften nicht die Rede sein
könne," so hätte er gerechter- und billigerweise hinzufügen
müssen, dass in der engeren Jüngergemeinde Christi die Ver-
hältnisse eher schlechter, als besser liegen. Da Pfarrer Hack-
mann der Welt dies verschweigt, behaupte ich, dass er von
vornherein mit ungleichem Mass gemessen hat.
Abgesehen von dem Bhikkhutum gibt Hackmann zu, „dass
die buddhistische Laiensittlichkeit eine Fülle sozialer Beziehun-
gen und sozialer Antriebe umfasst." Trotzdem meint er, „die
buddhistische Laiensittlichkeit sei dennoch durch drei Hinder-
nisse stark beschränkt."
1. „Die sozialen Pflichten beruhen nicht auf einem grund-
legenden Prinzip, sondern sind zufällig formuliert." — Das
stimmt nicht, verehrter Herr; das grundlegende Prinzip, auf
dem die sozialen Pflichten beruhen, ist Metta und Karuna,
d. h. jenes Wohlwollen und Mitleid, das aus der Erkenntnis
der Einheit alles empfindenden Seins entspringt und nagh
Möglichkeit bestrebt ist, alles das zu meiden, was Leid in
irgend einer Form nach sich zieht.
2. „Es werden fünf unbedingte Einzelgebote besonders
') Vergl. Sigäloväda-Sutta.
154 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
betont, welche für soziale Entwickelung hemmend oder schäd-
lich wirken." Diese Behauptung Hackmanns ist so ungeheuer-
lich, dass ich eher an einen Irrtum der Berichterstatter glauben,
als einem gebildeten Manne eine derartige Absurdität zutrauen
möchte. Die fünf Gebote lauten: Nicht töten, nicht stehlen,
nicht ehebrechen, nicht lügen, keine berauschenden Getränke
gemessen. Und die Betonung dieser fünf Einzelgebote soll für
soziale Entwickelung hemmend oder schädlich wirken! Man
muss sich doch wirklich an die Stirn greifen und fragen, wie
ein Mann, der einer „sozialen" Partei angehört, vor der Welt
eine derartige, — ich kann mir nicht helfen — unsinnige Be-
hauptung aufstellen kann. Man vergleiche dagegen, was
Oleott in seinem Katechismus (S. 41 f.) über diese fünf Ge-
bote sagt: „Was fällt dem einsichtigen Leser dieser Gebote
sofort in die Augen? Dass einer, der sie beobachtet, von
jeder wirkenden Ursache menschlichen Elends verschont bleiben
muss. Dieses hat, wie die Geschichte lehrt, stets seinen Ur-
sprung in einer oder der anderen dieser Ursachen gehabt. In
welchen Geboten zeigt sich die weitblickende Weisheit des
Buddha am deutlichsten? Im ersten, dritten und fünften Gebot;
denn die Gefährdung des Lebens, die Sinnlichkeit und der
Genuss berauschender Getränke verursachen mindestens 95
Prozent aller Leiden unter den Menschen." Ich glaube, dieses
Urteil Oleotts ist richtiger und vernünftiger als die Ansicht des
Herrn Hackmann. Übrigens scheint der letztere seinen Hörern
verschwiegen zu haben, dass in den gesamten Schriften des
Sutta-Pitaka sich zahlreiche Lehren, Ratschläge und Anweisun-
gen allgemeiner Natur für die Laien-Anhänger finden. Aber alle
diese buddhistischen »Gebote« haben einen ganz anderen Cha-
rakter als der jüdisch-christliche Dekalog; sie sind freundliche
Ermahnungen und gütige Aufmunterungen, und nicht der herrische
Befehl eines Gottes, auf dessen Befolgung oder Nichtbefolgung
eine göttliche Belohnung resp. Bestrafung folgt.
3. „Indem den Laien als höhere Schicht die Mönchsge-
meinde übergeordnet und hingebende Förderung derselben
unter die wesentlichsten Pflichten gezählt wird, bekommt die
Sittlichkeit eine antisoziale Richtung; Pflege des Mönchtums
wird der Schwerpunkt." Freilich liegt den Laien die Unter-
No. 5. DER BUDDHIST. 155
Haltung der Bhikkhus ob, d. h. sie versorgen die letzteren mit
Kleidung und Nahrung. Dass diese Unterhaltung aber als
eine Last des Volkes empfunden wird, kann angesichts der
Gehälter, welche die christliche Geistlichkeit jährlich verschlingt,
schwerlich behauptet werden. Das gilt selbstverständlich nur
von den Ländern, wo die Bhikkhus tatsächlich dem Gelübde
der freiwilligen Armut treu geblieben sind (Ceylon, Burma,
Siam). Wo aber, wie vielfach in China und Tibet, in den
. Klöstern Reichtümer angehäuft und die Mönche der Trägheit
ergeben sind, da wird jeder Einsichtige dies als unbuddhi-
stisch bezeichnen und das Seine dazu tun, dass hier Abhilfe
geschaffen wird, wie dies z. B. in China zum Teil bereits ge-
schehen ist. Den Schwerpunkt der buddhistischen Laien-
sittlichkeit bildet jedenfalls die Pflege des Mönchtums nicht;
das weiss jeder, der die buddhistischen Schriften kennt.
Indem sich Pfarrer Hackmann dem Christentum zuwendet,
führt er etwa folgende Gedanken aus: „Im engsten organischen
Zusammenhange mit dem religiösen höchsten Gute des Christen-
tums, dem Glauben an den himmlischen Vater, steht als Prinzip
der christlichen Sittlichkeit die Liebe da. Sie gestaltet die
Einzelgebote aus sich heraus. Mit dem Prinzip der Liebe ist
das Christentum grundsätzlich an soziale Arbeit gewiesen; sie
ist das natürliche Feld seiner Tätigkeit." Und Professor Har-
nack bemerkt in seinem Schlussworte: „Weil unsere evangelische
Religion ') auf dem klaren Gedanken beruht, den jedes Herz
und jedes Kind versteht, dem Gedanken der Liebe, darum wird
sie bleiben und leben und dem Buddhismus nicht nur ge-
wachsen sein, sondern wie ein Magnet auf ihn einwirken."
Bekanntlich nimmt das Christentum die Bezeichnung
»Religion der Liebe« als Ehrentitel für sich allein in Anspruch;
Liebe ist der Refrain aller Lobpreisungen dieser Religion; der
Begriff Liebe war auch diesmal in Hannover der Haupttrumpf,
den die Herren vom evangelisch-sozialen Kongress ausgespielt
haben. Nun kann sich aber jeder davon überzeugen, dass im
Neuen Testament der Lohngedanke eine grosse Rolle spielt;
„freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist gross im
Himmel" (Matth. V, 12). Diese christliche Liebe ist in ihrem
') Die katholische Religion also nicht?
156 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Motiv also etwas durchaus egoistisches; denn der von dieser
Liebe Erfüllte spekuliert auf alle Fälle auf die individuell ge-
dachte himmlische Seligkeit. Sieht man nun von diesem durch-
aus selbstischen Motiv der christlichen Liebe ab, so lässt
sich nicht leugnen, dass dieselbe in ihren Äusserungen
nach den Lehren Jesu einen sehr hohen Grad sittlicher Voll-
kommenheit darstellt. Ja, die Christen gehen so weit, ihre
Religion wegen der von Jesus geforderten Feindesliebe als das
höchste, unerreichte Ideal religiösen Strebens hinzustellen.
„Liebet eure Feinde, segnet die euch fluchen" usw. Alles gut
und schön; nur behaupte ich, dass der Buddhismus in
dieser Hinsicht dem Christentum nicht nur gleich-
kommt, sondern dasselbe sogar übertrifft. Die gesamte
buddhistische Literatur hallt wieder von dem Metta, der Güte,
dem Wohlwollen, dem Erbarmen, welches der Jünger des
Buddha den lebenden Wesen entgegenbringt. Zunächst ein
paar Belege für das buddhistische Metta dem Feinde gegen-
über: „Wenn auch, ihr Jünger, Räuber und Mörder mit einer
Säge euch Gelenke und Glieder abtrennten, so würde, wer da
in Wut geriete, nicht meiner Lehre folgen. Da habt ihr euch
nun, meine Jünger, wohl zu üben: ,Nicht soll unser Gemüt
verstört werden, kein böser Laut unserem Munde entfahren,
freundlich und mitleidig wollen wir bleiben, liebevollen Gemütes,
ohne heimliche Tücke; und jene Person werden wir mit liebe-
vollem Gemüte durchstrahlen; von ihr ausgehend werden wir
die ganze Welt mit liebevollem Gemüte, mit weitem, tiefem,
unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem, durchstrahlen.'
Also habt ihr euch, meine Jünger, wohl zu. üben" (Majjhima-
Nikäya, 21. Sutta). „Selbst wenn ein Mann mit scharfem
Schwerte euch stückweise die Glieder vom Leibe trennt, so
geratet nicht in Zorn, fasst keine rachsüchtigen Gedanken, kein
böses Wort entfahre euren Lippen" (Fo-sho-hing-tsan-king V.
2046). „Wenn die Tugendhaften geschmäht werden, so be-
kümmern sie sich nicht um ihr eigenes Leiden, sondern viel-
mehr um den Verlust an Glück, den die Beleidiger sich zu-
ziehen" (Jätakamälä, 24. Erzählung). „Wer von der Welt
verdammt wird, hege dennoch keine feindselige Gesinnung
gegen dieselbe" (Sammäparibbäjaniya-Sutta, V. 8) u. s. w.
No. 5. DER BUDDHIST. 157
Aber der Buddhismus geht in seinem Metta weiter als
das Christentum in seiner Liebe, weil er das Metta 1. in Olau-
benssachen als Toleranz nachdrücklichst proklamiert, und 2.
dasselbe auf die gesamte empfindende Welt, auf Mensch und
Tier, ausgedehnt wissen will.
In puncto Toleranz wollen wir am Christentum lieber
nicht rühren; jeder weiss, dass Duldsamkeit niemals die starke
Seite dieser Religion gewesen ist, und wollte man die Geschichte
des Christentums durch ein passendes Motto illustrieren, so
würdeich die drei Worte vorschlagen : Blut, Folter, Scheiter-
haufen. Im Buddhismus findet sich von alledem keine Spur.
Man vergleiche historische Gestalten wie Konstantin, Karl den
Grossen auf der einen Seite mit Asoka andererseits; welch
ein Kontrast! Ich könnte hier noch einige Streiflichter auf die
„christliche Mission" werfen und zeigen, dass auch heutigen
Tages noch der Geist der Unduldsamkeit dieselbe durchweht,
doch will ich mir das für eine der nächsten Nummern vorbe-
halten. Alles in allem: Was Toleranz anbetrifft, kann das
Christentum von dem Buddha noch viel, viel lernen.
Ferner ist das buddhistische Metta universell, erstreckt
sich auf Mensch und Tier. Das Christentum hat für die Ein-
heit alles empfindenden Seins niemals auch nur das geringste
Verständnis gehabt und konnte es nicht haben, da es in diesem
Punkte über den Mosaismus nicht hinausgeht. Man beachte
z. B. folgende Stellen: „Herrschet über die Fische im Meer
und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Tier,
das auf Erden kriechet" (1. Mos. I, 28). „Eure Furcht und
Schrecken sei über alle Tiere auf Erden, über alle Vögel unter
dem Himmel, und über alles, was auf dem Erdboden kriechet,
und alle Fische im Meer seien in eure Hände gegeben. Alles,
was sich lebet und reget, das sei eure Speise" (I. Mos. IX, 2, 3).
Im Neuen Testament findet sich von humanitären Lehren der
leidenden Kreatur gegenüber keine Spur. Zur Feier von Festen
wird jedesmal ein „gemästet Kalb" geschlachtet, und der Stifter
des Christentums selbst nimmt keinen Anstoss daran. Jünger
auszusenden, um das Passah -Lamm zu bereiten. Da will
mir der Standpunkt des Buddhismus denn doch ungleich höher
und reiner erscheinen, wenn es heisst: „Wie ich bin, so sind
158 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
diese [Kreaturen]; wie diese sind, so bin icli; sich selbst mit
anderen identifizierend, möge man niclit töten nocli Tötung
veranlassen" (Sutta-Nipäta) ; oder: „Nicht jedes Opfer billige
ich, aber auch nicht jedes Opfer missbillige ich. Ein Opfer,
bei welchem Rinder, Schafe und Ziegen und andere Tiere
geschlachtet werden, bei welchem mancherlei lebende Wesen
zugrunde gehen, ein solches schädliches Opfer, wahrlich, billige
ich nicht. Aus welchem Grunde? Ein solches schädliches
Opfer begehen nicht die Heiligen oder die den Weg der Hei-
ligen Wandelnden" (Anguttara-Nikäya, II. Bd., IV. Teil, 39.Sutta);
oder: „Wie eine Mutter mit Hintansetzung ihres Lebens über
ihrem einzigen Kinde wacht, so hege jeder eine schrankenlos-
gütige Gesinnung gegen alle Wesen." — Also mit der Über-
legenheit der christlichen Liebe über das buddhistische Metta
ist es nichts, und damit bleibt der von Pfarrer Hackmann aus-
gespielte Haupttrumpf durchaus wirkungslos. Möchte mich
aber Pfarrer Hackmann auf die „christlichen Liebeswerke" un-
serer Tage verweisen, so sei ihm folgende Antwort gegeben:
Dieselben sind ein Produkt unserer vorgeschrittenen Zeit, der
sich das Christentum notgedrungen anpassen muss; sind nicht
auch die freireligiösen Maurer-Logen humanitär? Verdanken
wir nicht der Christus-feindlichen Sozialdemokratie eine ganze
Reihe sozialer, humanitärer Verordnungen? Sind es nicht gerade
freidenkende Gelehrte, die sich an humanitären Bestrebungen
rege beteiligen? Im buddhistischen Asien gibt es weniger
humanitäre Einrichtungen, als bei uns; aber wie mir überein-
stimmend aus Ceylon, Burma, Slam und Japan berichtet wird,
ist dort die Gesinnung der Bevölkerung bei weitem milder,
wohlwollender und hilfsbereiter, als im Abendlande. „Dort,
wo der Buddhismus herrscht, braucht niemand zu fürchten,
dass er, in Not geraten, verhungern muss." Aber im christlichen
Abendlande begehen täglich so und so viel Hunderte Selbst-
fnord, weil ihnen das Nötigste fehlt, und weil trotz der christ-
lichen Liebe niemand da ist, der sich ihrer erbarmt.
Pfarrer Hackmann, der im Gegensatz zu vielen seiner
Amtsbrüder das wertvolle Zugeständnis macht, dass der Bud-
dhismus der Frau ihre gebührende Stellung in der Gesellschaft
No. 5. DER BUDDHIST. 159
verschafft habe*), geht auf eins der wichtigsten Momente gar
nicht ein, das bei der Besprechung der sozialen Kräfte im
Buddhismus durchaus mit berücksichtigt werden muss: die
Kamma-Lehre, nach welcher das geerntet wird, was gesäet
wurde. Diese Ernte wird aber nicht im Himmel eingeheimst,
sondern sie vollzieht sich hier auf Erden, und Wohlergehen
oder Verfall der Generationen sind das Ergebnis von dem
Wirken ihrer Vorgänger. Die Menschheit hat also ihr eigenes
Geschick in ihrer Hand, und diese vom Buddhismus gepredigte
Lehre birgt in sich die Keime zur Entfaltung höchster sozialer Kraft.
Meine Ausführungen, die nichts weiter sein wollen und
sein sollen als eine kritische Beleuchtung der auf dem evan-
gelisch-sozialen Kongress vertretenen Ansichten, können hier-
mit geschlossen werden. Es bleibt mir nunmehr noch die
Aufgabe vorbehalten, das Thema: »Soziale Kräfte im Bud-
dhismus« systematisch und eingehend zu behandeln, und diese
Aufgabe wird in einem der späteren Hefte zu absolvieren sein.
„Alles Böse meiden, die Tugend ausüben, das eigene Ge-
müt läutern, — das ist die Religion der Buddhas" — heisst
es im Dhammapada. Eine höhere, grössere, edlere Religion
ist undenkbar, und weder ein Pfarrer Lic. Hackmann, noch ein
evangelisch-soziales Christentum können uns etwas bieten, was
höher stünde als die Lehre jenes grossen Meisters, der einst
gesagt hat: „Alle Wesen sehnen sich nach Glückseligkeit; des-
halb umpfange mit deiner Güte alle Wesen." —
Zwei buddhistische Hymnen.
Von Dr. Wolfgang Bohn.
1. Der grosse Arzt. ')
1. Du suchst den Arzt, mein krank Gemüt,
Der dich in Schlummer singet,
Den Garten, wo die Blume blüht,
Die süssen Schlaf dir bringet,
Der dir zeigt der Schmerzen Quell,
Reicht den Trank dir rein und hell, —
Herz, dich willig ihm gesell',
Dass dein Werk gelinget.
') Was ich vom Christentum nicht zugeben kann, worüber später mehr. K.S.
-) Nach der Melodie eines englischen geistlichen Liedeg zu singen.
leo DER BUDDHIST. I. Jahrg.
2 Voll hoher Lust ein Lebenstraum
War immer dein Begehren,
Auf Früchte hofftest du vom Baum,
Gar lieblich zu verzehren.
Lass den Wunschi Es rollt das Rad
Durch des Todes Tor, die Tat
Muss dich, fern dem Ruhgestad',
Leidend stets gebären.
3. Zerschlag' die Glocken jeder Lust,
Ihr Klang hält dich hinieden;
Das sind die Sieger, die vom Dust
Friedloser Glut sich schieden.
Wirf »on dir das Weltgewand,
Steure hin zum lichten Strand,
Den uns weist des Heilands Hand, —
Leidlos ist sein Frieden.
2. Wirket eure Erlösung ohne Unterlass!')
1. Willst du vom Pfad der Schmerzen
Fliehend, den Frieden seh'n,
Musst du mit starkem Herzen
Treu den Heilsweg geh'n, —
Darfst nicht mit flücht'gem Lieben
Spielen am Maientag,
Sehnsucht darf nicht mehr trüben
Deines Herzens Schlag.
2. Grfisst dich die Morgensonne,
Denk', das sie untergeht;
Lockt dich des Sommers Wonne, —
Bald ist sie verweht.
Leuchtender Blüten Farben
Welken wohl über Nacht,
Schon decken Alters-Narben
Weicher Jugend Pracht.
3. Mahnend im Glase rinnet
Abwärts der schnelle Sand;
Wieder das Spiel beginnet,
Dreht am Glas die Hand.
Sicher erfasst das Ruder,
Wieder, der Qual und Zeit
Kamma, der treue Bruder
Der Vergänglichkeit.
4. Willst du nicht endlich fliehen,
Seele, aus Sturm und Strom?
Willst du nicht schweigend liehen
In des Friedens Dom?
Wirke im Still-versenken
Schauung ohn' Unterlass, —
Lass deine Schritte lenken
Hin, wo Ruh' und Pass.
') Nach der Melodie eines englischen geistlichen Liedes zu singen.
Verantwortlicher Redakteur: Karl B. -SeidenstOcker, Leipzif^ Verlag: Buddhistischer Verlag
ia Leipzig. — Druck von Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
Der »Thäthanäbaing« Taunggwin Sayadaw.
(Vergl. S. 48 der »Buddhistischen Weit».)
Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhamraapada, V. 183.
^^ Mahinda. ^^
Von Karl Fr. Töllner.
(Mahinda, der Sohn Asokas, des Königs von Magadha, verbreitete die
buddhistische Lehre auf Ceylon. Die späteren Jahre seines Lebens ver-
brachte der berühmte Missionar auf dem Hügel von Mihintale, einem
von der Welt abgeschlossenen Orte, wo seine steinerne, aus dem Felsen
herausgemeisselte Lagerstätte noch heute sich befindet.)
Erhabner Buddha! Du hast mir erschlossen
Den Pfad vom Erdenleid zum höchsten Glück;
Ich sucht' ihn sechzig Jahre unverdrossen
Und blick' voll Frieden jetzt den Weg zurück.
Als Jüngling halt' Asoka mich erkoren,
Dass ich die reine Lehre hier verkünde,
Und freudig zog ich aus Magadhas Toren
Zu streiten gegen Leid und Wahn und Sünde.
Des Fürstenmantels eitle Pracht vertauschte
Ich mit des Bettelmönches gelbem Kleid,
Bei frommen Brüdern in den Hainen lauschte
Ich Buddhas Lehre der Gerechtigkeit.
Gleichwie ein Priester um das Opferfeuer
Sich sorgsam müht, so hielt ich den Gewinn,
Die edle Weisheit des Erwachten, teuer.
Und gab mich ihr mit ganzer Seele hin.
11
162 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Durch Güte könnt' als Arahä ich schaffen,
Was nimmer Schwert und roher Zwang vollbracht,
Geduld und Wahrheit waren meine Waffen,
Vor ihrem Leuchten schwand des Irrwahns Nacht.
Die Pflanze Vassika wirft welke Blüten
In ew'ger Jugendfülle von sich fort,
So wird auch Ceylons Volk die Lehre hüten,
Ein rein Gefäss für Buddhas reines Wort.
O Mendikanten, meines Alters Tage
Beschliess' ich freudig in der Einsamkeit
Von Mihintales Hügeln und entsage
Der Welt, dem Schmerz und allem Erdenleid.
Zum letzten Mal soll Euch mein Mund verkünden
Der Lehre Kern, der tiefsten Weisheit Schatz;
Lasst dauernd Eure Herzen tauglich finden,
Der wahren Einsicht ein geweihter Platz.
Die höchste Freude sei Euch ernstes Denken,
Ausdauernd, wachsam, stets voll mächt'ger Kraft,
Nur rechtes Glauben, rechtes Sichversenken
Vernichtet Zweifelsucht und Leidenschaft.
Und wie im Herbste ihr den Lotus schneidet.
So fällt den Wald der Lust auf einen Strich,
Nur der ist frei, der selbst Verlangen meidet
Und schneidet aus der Brust den Hang zum „ich".
Gleich einer Mutter, die ihr Kindlein pfleget,
Sorgsam bewacht, dafür ihr Leben wagt.
So ohne Schranken Nächstenliebe heget
Für jedes Wesen, das ein Leiden plagt.
Wer glaubt, dass Hass dem Hasse weiche,
Der irrt, nur Güte setzt dem Hass ein Ziel;
Vergelte mit dem Gleichen nie das Gleiche,
Gehorch' dem Mitleid und dem Hass befiehl.
Na 6. DER BUDDHIST. 163
Der Torheit diene nicht, jedoch dem Weisen,
Gib willig Ehre dem, dem sie gebührt;
Nicht für Gebet und Opfer lass dich preisen,
Heil dem, der eine gute Tat vollführt!
Mit ernstem und erkenntnisreichem Geist entsage
Der Eitelkeit und irdischem Genuss,
Auch das versäumte Gute führet Klage
Und zwinget dich zu bitterm »Muss«.
Auch nenne nichts dein Eigen, sondern stelle
In Armut über Unglück dich und Glück;
Besitzen schafft Begehren, von der Quelle
Der Tugend dränget dich die Gier zurück.
Ein Mann, der tausend Männer überwunden.
Hat Unglück nur und Hass und Schmerz erweckt,
Weit grösser wird als Sieger der befunden,
Der eigne Lust und Sünde niederstreckt.
Nur guten Taten folget höchster Segen,
Sie lösen deine Fesseln und das Leid,
Sie führen dich dem vierten Pfad entgegen,
Der von Begierde dich und Wahn befreit.
Des früher'n Irrens Frucht, dein Karma, zwinget
Zu neuem leidensvollem Dasein dich,
Nur wer dem Hang zur Sünde sich entringet,
Entledigt auch des Leidens Fesseln sich.
Es kreist in ew'gem Werden und Vergehen
Die Erde, Himmel, Hölle, Welt;
Was heute stirbt, muss morgen neu erstehen
Bis auch der Khandä letzter einst zerfällt.
Aus einem Reich von Weisheit, Frieden, Güte
Kehrt der Befreite niemals mehr zurück.
Er ist gleich einer Flamme, die verglühte, —
Erloschen in Nibbänas reinem Glück.
11»
164 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Die Lehre des Buddha
oder: Die vier heiligen Wahrheiten.
Nach Aussprüchen des Päli-Kanons zusammengestellt.
Von Bhlkkhu Nyänatiloka (Ceylon)»).
Die Tore der Unsterblichkeit sind offen:
Wer Ohren hat zu hören komm' und höre.
Majjhima-Nikäya 26.
Der Vollendete, ihr Brüder, der Heilige, der vollkommen
Erwachte (buddha) hat zu Benares, am Sehersteine, im Wild-
park das höchste Reich der Wahrheit aufgerichtet: und dar-
widerstellen kann sich kein Asket und kein Priester, kein Gott,
kein böser und kein heiliger Geist, noch irgend wer in der
Welt; es ist das Verkünden, Aufweisen, Darlegen, Darstellen,
Enthüllen, Entwickeln, Offenbar-machen der vier heiligen Wahr-
heiten. Welcher vier? Der heiligen Wahrheit vom Leiden, der
heiligen Wahrheit von der Leidensentstehung, der heiligen
Wahrheit von der Leidensvernichtung, der heiligen Wahrheit
von dem zur Leidensvernichtung führenden Pfade. (Majjhima-
Nikäya 141).
Und der Erhabene sprach: So lange, ihr Brüder, als meine
Erkenntnis und Einsicht in jede einzelne dieser vier heiligen
Wahrheiten nicht ganz klar war, so lange war ich ungewiss,
ob ich den vollen Einblick in dasjenige Wissen gewonnen hatte,
das unübertroffen ist in den Himmeln und auf der Erde, un-
übertroffen unter der gesamten Schar der Asketen und Priester,
der Götter und Menschen. Aber sobald, ihr. Brüder, meine Er-
kenntnis und Einsicht in jede einzelne der vier heiligen Wahr-
heiten vollkommen klar geworden war, da ging mir die Ge-
wissheit auf, dass ich vollen Einblick in jenes Wissen gewonnen
hatte, das unübertroffen ist in den Himmeln und auf der Erde,
unübertroffen in der gesamten Schar der Asketen und Priester,
der Götter und Menschen.
Und jenes tiefe Wissen habe ich mir zu eigen gemacht,
das schwer zu erfassende, schwer zu verstehende, dem Gemüt
0 Original-Beitrag für den »Buddhist«.
No. 6. DER BUDDHIST. 165
Frieden bringende, jenes Wissen, das nicht durch blosse Ver-
nunftschiüsse gewonnen werden i<ann, das tiefsinnig und nur
dem weisen Jünger zugänglich ist. — Die Welt jedoch ist dem
Begehren hingegeben, in Begehren verstrickt, in Begehren ver-
zückt. Diejenigen freilich, die dem Begehren hingegeben, in
Begehren verstrickt, in Begehren verzückt sind, werden schwer-
lich das Gesetz der Verursachung, das Bedingtsein des Ent-
stehens, erfassen können; unbegreiflich auch wird ihnen das
Vernichten der »Strebungen« (Sankhärä) sein, das Sichloslösen
von allen Bestandteilen des Daseins, die Vernichtung des Be-
gehrens, die Abwesenheit der Leidenschaft, der Gemütsfriede,
— das Nibbäna.
Dennoch gibt es einige unter den Wesen, deren Augen
kaum mit Staub bedeckt sind : sie werden die Lehre verstehen.
(Mahävagga).
Erstes Kapitel.
Die heilige Wahrheit vom Leiden.
Was ist nun, ihr Brüder, die heilige Wahrheit vom Leiden?
Geburt ist Leiden, Altern ist Leiden, Sterben ist Leiden, Kummer,
Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung sind Leiden, das
Nicht-erlangen dessen, was man begehrt, ist Leiden; kurz ge-
sagt, die fünf Aspekte des Haftens am Dasein^) sind Leiden. —
Was ist nun, ihr Brüder, die Geburt? Der jeweiligen
Wesen in jeweilig existierender Gattung Geburt, Gebärung,
Bildung, Keimung, Empfängnis, das Erscheinen der Teile, das
Ergreifen der Gebiete: Das nennt man, ihr Brüder, Geburt. —
Was ist nun, ihr Brüder, Altern? Der jeweiligen Wesen in
jeweilig existierender Gattung altern und abnutzen, gebrechlich,
grau und runzelig werden, der Kräfteverfall, das Abreifen der
Sinne: Das nennt man, ihr Brüder, altern. — Was ist nun, ihr
Brüder, sterben? Der jeweiligen Wesen in jeweilig existierender
Gattung Hinschwinden, Auflösung, Zersetzung, Untergang, Ab-
scheiden, Zeiterfüllung, das Zerfallen der Teile, die Verwesung
') Die fünf Khandas: Form (rüpa); Gefühl (vedanä); Vorstellen
(saünä); Strebungen (sankhärä); Gedanken-Aspekte (vinnäna, Bewusst-
sein).
166 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
der Leiche: Das nennt man, ihr Brüder, sterben. — Was ist
nun, ihr Brüder, Kummer? Was da, ihr Brüder, bei diesem
und jenem Verluste, den man erfährt, bei diesem und jenem
Unglück, das einen betrifft, Kummer, Kümmernis, Bekümmerung,
innerer Kummer ist: Das nennt man, ihr Brüder, Kummer. —
Was ist nun, ihr Brüder, Jammer? Was da, ihr Brüder, bei
diesem und jenem Verluste, den man erfährt, bei diesem und
jenem Unglück, das einen betrifft, Klage und Jammer, Beklagen
und Bejammern, laute Klage und lauter Jammer ist: Das nennt
man, ihr Brüder, Jammer. — Was ist nun, ihr Brüder, Schmerz?
Was da, ihr Brüder, körperlich schmerzhaft, unangenehm ist,
durch körperliche Berührung als schmerzhaft, unangenehm em-
pfunden wird: Das nennt man, ihr Brüder, Schmerz. — Was
ist nun, ihr Brüder, Gram? Was da, ihr Brüder, geistig schmerz-
haft, geistig unangenehm ist, durch Gedanken-Kontakt als
schmerzhaft, unangenehm empfunden wird: Das nennt man,
ihr Brüder, Gram. — Was ist nun, ihr Brüder, Verzweiflung?
Was da, ihr Brüder, bei diesem und jenem Verluste, den man
erfährt, bei diesem und jenem Unglück, das einen betrifft,
Verzagen und Verzweifeln, Verzagtsein und Verzweifeltsein ist:
Das nennt man, ihr Brüder, Verzweiflung. — Was ist nun, ihr
Brüder, das Nicht-erlangen dessen, was man begehrt, für
Leiden? Die Wesen, ihr Brüder, der Geburt unterworfen,
kommt das Begehren an: „0 dass wir doch nicht der Ge-
burt unterworfen wären, dass uns doch keine Geburt
(wieder) bevorstünde!" Aber das kann man durch Begehren
nicht erreichen: Gerade nun das Nicht-erlangen dessen, was
man begehrt, ist Leiden. Die Wesen, ihr Brüder, dem Altern,
dem Sterben, dem Kummer, dem Jammer, dem Schmerz, dem
Gram, der Verzweiflung unterworfen, kommt das Begehren
an: „0 dass wir doch nicht dem Altern, dem Sterben, dem
Kummer, dem Jammer, dem Schmerz, dem Gram, der Ver-
zweiflung unterworfen wären, dass uns doch kein Altern und
Sterben, kein Kummer und Jammer und Schmerz, kein Gram
und keine Verzweiflung bevorstünde!" Aber das kann man
durch Begehren nicht erreichen: Gerade nun das Nicht-erlangen
dessen, was man begehrt, ist Leiden. — Was sind nun, ihr
Brüder, kurz gesagt, die fünf Aspekte des Haftens am Dasein
No. 6. DER BUDDHIST. 167
für Leiden? Es ist da ein Aspekt des Haftens an der Form,
ein Aspekt des Haftens am Gefühl, ein Aspekt des Haftens an
der Vorstellung, ein Aspekt des Haftens an den »Strebungen«,
ein Aspekt des Haftens an den verschiedenen Teilen des Be-
wusstseins: Das nennt man, ihr Brüder, kurz gesagt, die fünf
leidvollen Aspekte des Haftens am Dasein. —
Das nennt man, ihr Brüder, die heilige Wahrheit vom
Leiden. (Majjhima-Nikäya 141). —
Was denkt ihr, Brüder: was ist wohl mehr, die Tränen-
flut, die ihr auf diesem langen Wege, immer wieder zu neuer
Geburt und zu neuem Tode eilend, mit Unerwünschtem vereint,
von Erwünschtem getrennt, klagend und weinend vergossen
habt, — oder das Wasser der vier grossen Meere?
Ohne Anfang und ohne Ende, ihr Brüder, ist dieser Sam-
sära, unerkennbar ist der Beginn der vom Nichtwissen um-
hüllten Wesen, die durch den Durst nach Dasein immer und
immer wieder zu erneuter Geburt geführt werden und den
endlosen Kreislauf der Wiedergeburten durcheilen.
Und so habt ihr, Brüder, durch lange Zeit Leid erfahren,
Qual erfahren, Unglück erfahren und das Leichenfeld vergrössert
— lange genug, wahrlich, ihr Brüder, um von jeder Existenz
unbefriedigt zu sein, lange genug, um sich von allem Dasein
abzuwenden, lange genug, um sich von ihm zu erlösen.
(Samyutta-Nikäya II, XV, 3).— (Fortsetzung folgt).
Buddhistische Ideen $€€$
$$:$$ bei Richard Wagner.
Von Georg Jahn.
(Scliluss).
War der „Ring des Nibelungen" diejenige Dichtung, welche
die Verderben und Leiden bringende Macht des Goldes zeigte,
so kann man „Tristan und Isolde" ein Weltgedicht der sinn-
lichen Liebe, jener unerschöpflichen Leidquelle des Menschen,
nennen. Der Buddhismus lehrt Abwendung von der Welt und
ihren Leidenschaften, Überwindung dieses Lebens des Leidens,
das der Täuschungen, des Truges und des Scheines voll ist.
168 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Die Zustimmung zu dieser Lehre treibt Wagner an, in „Tristan
und Isolde", seinem dichterisch wertvollsten und kraftvollsten
Werke, den Sinnentaumel als Vernichtungsseligkeit und die
Liebe als zum Nirväna führende Macht darzustellen.
Tristan hat Isolde für Marke, seinen König, zur Braut ge-
worben. Diese aber, die jenen einst in schwerer Krankheit
pflegte, ist zu ihm in heisser Liebe entbrannt, sodass sie sich
jetat von Tristan, den des Tages Schein mit Glanz und Ehre,
Ruhm und Macht an sich gefesselt und betört hat, verraten
wähnt. Isolde will deshalb sich und den Geliebten dem Tode
weih'n, was sie Tristan später in den Worten anspricht:
Dem Licht des Tages
wollt ich entflieh'n
dorthin in die Nacht
dich mit mir zieh'n,
wo der Täuschung Ende
mein Herz mir verhicss,
wo des Trugs geahnter
Wahn zerrinne:
Dort dir zu trinken
ewige Minne,
mit mir — dich im Verein
wollt' ich dem Tode weih'n.
Der statt des Gifts gewählte Zaubertrank der Minne aber
lässt Tristan in brünstiger Liebe entbrennen und eint das Paar
zu ehebrecherischer Lust. Wunderbar schön ist die nächtliche
Liebesszene zwischen Tristan und Isolde. Dort klagen sie sich
die unendlichen Leiden und Qualen, welche die Liebessehnsucht
ihnen bereitet. Da findet man es wieder, was der Buddhismus
mit Recht behauptet: Von Liebem getrennt sein ist Leiden! Da
hören wir die Liebenden klagen über die böse Ferne, über der
trägen Zeiten zögernde Länge, über die öde Weite und den
tückischen Tag, den härtesten Feind sinnlicher Liebeslust. Ihr
ganzes Sehnen gilt der Nacht, wo beide liebend in einander
aufgehen und in die Seligkeit der Erlösung vom Wahn des
Daseins versinken:
In des Tages eitlem Wähnen
bleibt ihm einzig Sehnen,
das Sehnen hin
zur heil'gen Nacht,
wo ur-ewig,
einzig wahr
Liebeswonne ihm lacht.
In der Liebe hört das Individuum auf, für sich zu existieren,
da stirbt das Ich, der dunkle Despot, da gibt es keinen Tristan,
No. 6.
DER BUDDHIST.
169
keine Isolde mehr, ohne Nennen und ohne Trennen ist es ein
neues Ericennen und Entbrennen, ein endloses und ewiges
Einbewusst-Sein:
So starben wir,
um ungetrennt,
ewig einig,
ohne End',
ohn' Erwachen,
ohne Bangen,
namenlos ^
in Lieb' umfangen,
ganz uns selbst gegeben
der Liebe nur zu leben.
Von höchstem Schwung und
die Darstellung der Seligkeit des
folgendem Gesänge:
0 sink' hernieder,
Nacht der Liebe,
gib Vergessen,
dass ich lebe.
Nimm mich auf
in deinen Schoss,
löse von
der Weit mich los!
Verloschen nun
die letzte Leuchte;
was wir dachten,
was uns deuchte,
all' Gedenken,
all' Gemahnen,
heil'ger Dämm'rung
hohes Ahnen
löscht des Wähnens Graus
welterlösend aus.
Barg im Busen
uns sich Sonne,
leuchten lachend
Sterne der Wonne.
Von deinem Zauber
grösster Schönheit aber ist
Versinkens ins Nirväna in
sanft umsponnen,
vor deinen Augen
süss zerronnen,
Herz an Herz dir,
Mund an Mund,
Eines Atems
einiger Bund; —
bricht mein Blick sich
wonn-erblindet,
erbleicht die Welt
mit ihrem Blenden:
die mir den Tag
trügend erhellt,
zu täuschendem Wahn
entgegengestellt;
selbst — dann
bin ich die Welt,
Liebe-heiligstes Leben,
Wonne-hehrstes Weben,
Nie-Wieder-Erwachens
wahnlos
holdbewusster Wunschi
Es sei uns gestattet, noch den Schluss der herrlichen
Dichtung wiederzugeben. Tristan ist verschieden, zurückgekehrt
in jene überirdische Welt, die unserer Vorstellung gänzlich
170
DER BUDDHIST.
I. Jahrg.
fremd und unbekannt ist, in das überirdische Sein des Nirväna.
An einer andern Stelle sagt er zur Isolde:
Es ist das dunkel
nächt'ge Land,
daraus die Mutter
einst mich sandt',
als, den im Tode
sie empfangen,
im Tod' sie liess
zum Licht gelangen.
Was, da sie mich gebar,
ihr Liebesberge war,
das Wunderrcich der Nacht,
aus der ich einst erwacht, —
das bietet dir Tristan,
dahin geht er voran.
Isolde aber sinkt entseelt auf Tristans Leiche nieder, nach-
dem sie folgende Worte in höchster Verzückung und Verklärung
gesungen:
Höre ich nur
diese Weise,
die so wunder-
voll und leise
Wonne klagend,
alles sagend,
mild versöhnend
aus ihm tönend
auf sich schwingt,
in mich dringt,
hold erhallend
um mich klingt?
Heller schallend
mich umwallend,
sind es Wellen
sanfter Lüfte?
Sind es Walken
Wie sie schwellen,
mich umrauschen,
soll ich atmen,
soll ich lauschen?
Soll ich schlürfen,
untertauchen,
süss in Düften
mich verhauchen?
In des Wonnenmeeres
wogendem Schwall,
in der Duft-Wellen
tönendem Schall,
in des Weltatems
wehendem All —
ertrinken —
versinken —
unbewusst —
höchste Lust!
wonniger Düfte?
Die dritte der für unsere Betrachtungen in Frage kommen-
den Operndichtungen Wagners ist der „Parsifal", ein buddhi-
stisches Erlösungsdrama im Gewände christlicher Symbolik.
Amfortas, der heilige Hüter des Gral, ist der sinnlichen Lust,
den Verführungskünsten der Zauberin Kundry zum Opfer ge-
fallen und siecht nun an der Wunde, die die Sünde ihm ge-
schlagen, in qualvollen Leiden dahin. Kein Heilmittel der Welt
kann ihm die Wunde schliessen, nichts, auch nicht der Anblick
des Wunder verrichtenden heiligen Gral vermag ihm zu helfen.
Rettung kann ihm nur bringen ein reiner Tor, der durch des
Mitleids Kraft wissend ward. Das aber ist Parsifal, der ähnlich
No. 6. DER BUDDHIST. 171
wie der Prinz Siddhattha Gotama in der Einsamkeit aufwächst
und durch Mitleid Wissen erlangt. Dieser widersteht der
Versucherin Kundry, die ihrem bösen Geschicke gemäss auch
ihn zu sinnlichem Liebesgenuss verlocken will, um so auch
ihn der Qualen teilhaftig zu machen, an denen sie unnennbar
zu leiden hat. Kundry ist die personifizierte Sinnlichkeit, die
Verkörperung verführerischer Weibesmacht. Sie ist eine Ver-
wünschte, die heute erneut, in wiedergeborener Gestalt lebt:
zu büssen Schuld aus früheren Leben,
, die dorten üir noch nicht vergeben.
Ur-Teufelin! Höllen-Rose!
Herodias warst du und was nochl
Ihr böses Karma zwingt sie, Amfortas durch sinnlichen
Liebesgenuss die Wunde zu schlagen; dieses Karma treibt sie
dazu, auch an Parsifal zur Versucherin zu werden. Furcht-
bares Liebes-Sehnen erfasst dann alle ihre Sinne und alles
schnürt, bebt und zuckt an ihr in sündigem Verlangen. Unter
ihres Daseins Qual aber schreit sie nach Erlösung:
0, kenntest du den Fluch,
der mich durch Schlaf und Wachen,
durch Tod und Leben,
Pein und Lachen
zu neuem Leben neu gestählt
endlos durch das Dasein quält !
Parsifal widersteht ihrer Verführungskunst mit folgenden
Worten, in denen sich hauptsächlich der rein buddhistische
Grundgedanke des Stückes ausspricht:
In Ewigkeit
wärst du verdammt mit mir
für eine Stunde
Vergessens meiner Sendung
in deines Arms Umfangen ! —
Auch dir bin ich zum Heil gesandt,
bleibst du dem Sehnen abgewandt.
Die Labung, die dein Leiden endet,
beut nicht der Quell, aus dem es fliesst:
Das Heil wird nimmer dir gespendet,
wenn jener Quell sich dir nicht schliesst.
Ein andrer ist's — ein andrer achl
172 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
nach dem ich jammernd schmachten sah
die Brüder dort in grausen Nöten,
den Leib sich quälen und ertöten.
Doch wer erkennt ihn klar und hell,
Des einz'gen Heiles wahren Quell?
O Elend, aller Rettung Flucht!
O Weltenwahns Umnachten:
in höchsten Heiles heisser Sucht
nach der Verdammnis Quell zu schmachten!
Eine andere Liebe als die sinnliclie erwaciit in Parsifal,
die Liebe des Mitleids. Zum inneren, mitfühlenden Dulder ge-
worden, kommt er, »der Irrnis- und der Leiden-Pfade" müde,
zu Amfortas, bringt ihm den heiligen Speer, das Sinnbild der
Erlösung, und befreit ihn von seinen Qualen:
Gesegnet sei dein Leiden,
das Mitleids höchste Kraft
und reinsten Wissens Macht
dem zagen Toren gab.
Auch Kundry bringt er Daseins-Erlösung. Sie sinkt ent-
seelt vor ihm zu Boden, und die Dichtung schliesst mit den
Worten :
Höchsten Heiles Wunder:
Erlösung dem Erlöser.
Wagner hat uns in seinen drei grössten Schöpfungen er-
greifende Bilder von der Verderben bringenden Macht des
Goldes, der Leid schaffenden Sinnenlust und der Kraft des
Mitleids gemalt. Wir glaubten mit unserer Deutung der Grund-
gedanken jener Dichtungen nicht fehlgegangen zu sein und
erkennen in Wagner geradezu den Propheten des Buddhismus
auf künstlerisch-ästhetischem Gebiete im Abendland. Gerade
die hier besprochenen Tondichtungen sind es, die, dank ihrem
tiefen Gehalte, einen grossen Einfluss auf die moderne Welt
gewonnen und dazu beigetragen haben, dem Buddhismus auch
bei uns eine Stätte zu bereiten.
Wertvoller als irdische Macht, wertvoller als eine Wieder-
geburt im Himmel, wertvoller selbst als Weltherrschaft ist für
den Jünger das Betreten des Pfades. Dhammapada.
No. 6. DER BUDDHIST. 173
Mission und „Mission".
Von Karl B. Seidenstücker.
Ein Brief, den kürzlich ein Freund der buddhistischen
Bewegung an mich gerichtet hat, enthält folgenden Passus:
„Der Name »Missions-Verein« stösst mich ab. Das
Wort »Mission« ist für immer befleckt durch das Treiben
christlicher Missionare gegenüber den „Heiden". Unsere
Aktion hat mit der jener nichts gemein, warum dann den
irreführenden Namen? Uns treibt kein Europäerdünkel,
Völkern gleichviel welcher Kulturstufe und welcher An-
schauungen ein festgefügtes System als patentiert bestes
über den Kopf zu stülpen. Bescheiden treten wir vor
unsere deutschen Landsleute, breiten vor ihnen die schim-
mernden Kleinodien des Buddhismus aus und überlassen
ihnen ohne aufdringliches Geschwätz, was sie davon zu
glücklichem Leben und Sterben brauchen können. Nur
bekannt machen soll der Verein die Lehren des Bud-
dha in Deutschland, keine „Mission" mit ihnen treiben!
Brächte das auch der Name des Vereins hinlänglich zum
Ausdruck, -- ich wäre sofort der Ihre." —
Diese Notitz bietet mir einen willkommenen Anlass, den
Begriff »Mission« in den Kreis unserer Betrachtungen zu
ziehen und dabei die Frage zu beantworten, warum bei der
Gründung der buddhistischen Gesellschaft in Deutschland i. J.
1903 der Name »Missions-Verein« gewählt wurde.
Der Buddhismus ist die älteste Weltreligion, welche seit
ihren frühesten Zeiten den Zweck der Missionierung verfolgt.
Das buddhistische Missions-Evangelium findet sich im I. Teile
des Mahävagga, wo der Meister seine Jünger aussendet mit
den Worten:
„So gehet hin, ihr Brüder, und wandert zum Heile der
Vielen, zum Segen der Vielen, aus Mitleid für die Welt,
für Götter und Menschen. Verkündet, Brüder, die glor-
reiche Lehre, predigt ein Leben der Heiligkeit, Vollkommen-
heit und Reinheit."
174 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Wenn wir diesen Text für die Eri<lärung des Begriffes
»Mission« im buddiiistisclien Sinne zu Grunde legen, so
erl<ennen wir ohne weiteres, was die buddhistisciie Mission
in ihrer Grundlage, ihren Prinzipien und ihrer Methode ist,
und was sie nicht ist.
Ihre treibende Kraft ist nicht jene zclotische Bekehrungs-
wut, welche die Jünger Mahommeds antrieb, ihr Schwert bis
ans Heft im Blute zu röten, nicht jener blinde Fanatismus, der
einen Bonifatius, einen Karl den Grossen und viele moderne
christliche Missionäre angestachelt hat, in „heiliger Rück-
sichtslosigkeit" die Rechte, den Glauben und die heiligen Stätten
der Nicht-Christen zu verachten, zu zerstören und mit Ge-
walt, List, Kinderdrill oder Geldspenden Proselyten der neuen
Religion zu machen. Nein! Die treibende Macht der Buddha-
Mission ist das innig-empfundene Solidaritäts-Bcwusstsein, die
tiefe Sympathie und das warme Mitgefühl mit allen Menschen,
gleichviel welcher Rasse, Nationalität oder Konfession sie an-
gehören mögen. Jener herrliche Schatz, der mir Frieden und
Trost gespendet hat, er soll nicht mir allein gehören, ich
will ihn denen darreichen, die ihn noch nicht kennen. Dar-
reichen, nicht aufzwingen. Die Aufgabe buddhistischer
Missionare kann und soll nur darin bestehen, die Lehre
zu predigen und durch das persönliche Beispiel die Heils-
lehre des Buddha nach Möglichkeit zu realisieren. Niemals
aber sollte der Gedanke an „Bekehrungen", seelische Beein-
flussungen durch Schaugepränge oder Suggestion, an Proselyten-
macherei usw. in der buddhistischen Mission Wurzel fassen;
noch weniger aber etwa die Absicht, alle Völker auf jeden
Fall und mit allen Mitteln buddhistisch zu machen und andere
Religionen auszurotten. Der buddhistischeKönig Asoka schrieb
im 3. Jahrhundert v. Chr. in einem seiner Edikte: „Piyadasi'),
der von allen Göttern geliebte König, wünscht, dass die An-
hänger aller Bekenntnisse an allen Orten wohnen sollen.
Alle diese Asketen bekenen sich, der eine wie der andere, zu
der Herrschaft, die man über sich haben soll utid zur Rein-
heit der Seele. Freilich haben die Menschen verschiedene
') Beiname Asokas.
No. 6. DER BUDDHIST. 175
Meinungen und verschiedene Wege." — Das iieisst buddhistisch
gesprochen ; das ist der Geist, von dem die buddhistische
Mission erfüllt sein soll! Wohlwollen, Menschlich-
keit, Toleranz! —
Und nun vergleiche man hiergegen die christliche
Mission! Wir brauchen nicht bis auf Karl den Grossen
zurückzugehen, um zu zeigen, was diese Mission an Grausam-
keit und Fanatismus zu leisten vermag. Nein, die allerneueste
Zeit bietet die Belege dafür, dass auch heute noch vieles in
der christlichen Mission geschieht, was nicht anders bezeichnet
werden kann als ungebildet, roh, fanatisch, brutal. Was
sich Sendboten Christi in den buddhistischen Ländern heraus-
nehmen dürfen, ist kaum glaublich; und wollte man diese
Mission so zeichnen, wie sie faktisch ist, und nicht, wie sie
in frommen Traktätlein und Bilderbüchern für artige Kinder und
blindgläubige Weiber gezeichnet wird, — wahrlich, man könnte
eine eigene Monatsschrift zu diesem Zwecke herausgeben, und
Europa würde staunen über diese seltsamen „christlichen Lie-
beswerke"!
Der in Leipzig erscheinende »Theosophische Wegweiser«
brachte in seinem 3. Jahrgange (S. 28) folgende Notiz: „Wer
jemals unter den sogenannten Heiden gelebt hat und unpar-
teiisch urteilen kann, der muss zugestehen, dass die „christ-
lichen" Missionare, selbst wenn sie bei ihrer Proselytenmacherei
die besten Absichten haben, für alle nichtchristiichen Völker
eine Pestbeule sind. Kein vernünftiger Buddhist, Brahmine
oder Anhänger irgend eines orientalischen Kultus hat etwas
dagegen einzuwenden, über religiöse Dinge mit christlichen
Missionaren zu sprechen und sich von ihnen überzeugen zu
lassen, wenn sie etwas Vernünftiges vorbringen können.
Als z. B. Missionare nach Ceylon kamen, stellten die
Buddhisten denselben ihre Tempel zum Predigen zur
Verfügung, worauf dann die Missionare ihre Dank-
barkeit dadurch zeigten, dass sie die Religion der
Buddhisten beschimpften und die Tempel mit Unrat
beschmutzten."
Vor vier Jahren hielt hier in Leipzig Herr Dr. Jeremias,
Prediger an der hiesigen Lutherkirche, einen Vortrag über Bud-
176 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
dhismus, bei dem ich persönlicli anwesend war. Dieser Herr
gab folgendes Missionars-Stüci<iein zum besten: „Ein ilim be-
freundeter, auf Ceylon wirkender protestantischer Missionar
habe ihm aus seinen Erlebnissen folgendes erzählt: Er (der
Missionar) sei eines Tages, als in einem Buddhisten-Tempel
eine grosse Menge anwesend war, eingetreten und habe schel-
tend (!) den dort amtierenden Bhikklui darauf hingewiesen,
dass das, was die Leute hier trieben, ja der reinste Götzen-
dienst sei^). Der Bhikkhu habe den Missionar ruhig ausreden
lassen und ihm dann lächelnd die Hand mit den Worten ge-
boten: ,Schon gut, Bruder; wir wollen es aber so lassen'." — Ich
habe damals den Eindruck gehabt, dass bei einem grossen Teil
unserer christlichen Bevölkerung das Gefühl für Menschlichkeit,
Gerechtigkeit, Duldung gänzlich abgestumpft sein muss, wenn
ein christlicher Geistlicher sans gene dieses zelotische, gemeine,
taktlose Benehmen jenes Missionars zum Amüsement seiner Zu-
hörer zum besten gibt und diese dann am Schluss durch lebhaftes
Beifallklatschen dankend quittieren. — Was würde geschehen,
wenn ein buddhistischer Missionar, der Lehre seines Meisters un-
eingedenk, so anmassend wäre, in eine christliche Kirche einzu-
dringen und den Geistlichen unter Scheltworten darauf hinzu-
weisen, dass die Anbetung des historischen Jesus nach seiner
Ansicht Götzendienst sei?! — Ja Bauer, das ist ganz etwas
anderes! — Später fielen mir Jahrgänge des ceylonesischen
»The Buddhist« in die Hände. Da habe ich gestaunt einerseits
über das seltsame Treiben christlicher Missionare, andererseits '
über die ungeheure Lammsgeduld der dortigen Buddhisten
diesem Treiben gegenüber. Die Kinder werden gelehrt, ihre
Eltern als „arme Heiden" zu verachten und den letzteren auf
diese Weise entfremdet; die Lehre des Buddha wird in Wort
und Schrift beschimpft und verhöhnt; Schlachthäuser werden
direkt neben buddhistischen Heiligtümern gebaut, und alte
Rechte der buddhistischen Einwohner mit Füssen getreten. Man
lese die betreffende Skizze in Dr. Paul Dahlkes »Buddhis-
') Der gute Missionar hat offenbar hier das BUimenopfer und die
Medifationsübung für eine Anbetung der Buddha-Statue gehalten; vergl.
das erste Heft dieser Zeitschrift S. 9 ff.. K. S.
No. 6. DER BUDDHIST. 177
tischen Erzählungen«, in welcher der Autor diese christ-
liche „Mission" in ihrer ganzen geistigen Armut und Roheit
nach dem Leben zeichnet.
Angesichts dieser bedauerlichen Zustände muss ich dem
Schreiber des am Anfange dieser Ausführungen zitierten
Schreibens allerdings recht geben, wenn er sagt: „Das Wort
»Mission« ist für immer befleckt." Diese Tatsache wird ja
auch von den besonnenen Elementen der protestantischen Geist-
lichkeit im stillen zugegeben; man denke an das wertvolle
Eingeständnis des Pfarrers Lic. Hackmann: „Die christliche
Mission bedürfe noch ganz wesentlicher Vervollkommnung".
Nun fragt es sich nur: Sollen die Buddhisten deshalb, weil
Christen die Mission herabgezogen haben, von dem Worte
»Mission« überhaupt absehen? Ich meine nein; denn einer-
seits ist der Buddhismus von seinen frühesten Anfängen an eine
Religion mit dem Prinzip der Missionierung gewesen, anderer-
seits wollen wir uns bemühen, den Missions-Begriff wieder zu
Ehren zu bringen, und diesmal mögen die Buddhisten den
Christen zeigen, wie Mission sein soll. Wir sind in dieser Be-
ziehung Optimisten und glauben immer noch, dass auch die
schwärzeste christliche „Heidenmission" allmählich von den Strah-
len der aufgehenden Sonne der Humanität und Duldsamkeit erhellt
und erleuchtet werden wird, — wenn's auch schwer fällt und etwas
lange dauern mag. Darum: Nil desperari, — auch hier wird
es tagen! Und der buddhistische Missions- Verein soll sich
seines Namens nicht schämen!
mm Nibbäna. U^U^
Von Bhikkhu Änanda Maitrlya.
(3. Fortsetzung und Schluss.)
Wir kommen nunmehr zu der bei weitem schwierigeren
Betrachtung von Anupädisesa-Nibbäna, d.h. von Nibbäna
an sich. Wir haben gesehen, worin die in diesem Leben zu
realisierende Erlangung Nibbänas besteht; wir haben aus den
heiligen Schriften und aus dem Munde derer, die in diesem
12
178 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Zustande lebten, das erhabene Bild der Arahäschaft kennen
gelernt und einen Einblick in das Leben eines Menschen ge-
wonnen, für den alle Unwissenheit, alles Übel, alles Leiden zur
Ruhe gebracht ist. Wir haben vernommen, wie die Erreichung
Nibbänas, — diese auf der Erlösung von allen Leiden beruhende
Seligkeit, — in dem Gemüte dessen, der am Ziele angelangt
ist, jene Zustände geistigen Entzückens erstehen lässt, die selbst
in den heiligen Büchern mit nur unzureichenden Worten ge-
schildert sind; denn welche irdische Sprache reichte wohl aus,
um dieses höchste, leidlose Glück zu schildern?! Aber wie
sollen wir nun das Nibbäna an sich beschreiben? Wie
sollen wir, die wir leben, denken und vorstellen, wir mit un-
serem stets wechselnden Gemüte, — wie sollen wir nachsinnen
über Das, was jenseits von Leben, Denken und Vorstellen,
jenseits von Tod und Vergänglichkeit liegt, — über das Wechsel-
lose, Unbedingte, Höchste, das kein Denken realisieren, kein
Wort ausdrücken kann?! Es liegt jenseits von uns, ausge-
nommen, wenn wir es erreichen, ebenso wie der Glanz des
Tageslichtes dem Blindgeborenen unbekannt und unerkennbar
ist; und das Beste, was wir tun können, besteht darin, durch
Anwendung von Gleichnissen und Bildern einen, wenn auch
getrübten Begriff von diesem jenseitigen Lichte zu erhalten,
ähnlich, wie etwa ein Mensch durch Anwendung endlicher
mathematischer Grössen eine schwache, dämmernde Ahnung
von der Unendlichkeit zu erlangen vermag. Und doch, —
wie hoffnungslos ist der Versuch! Wir müssen Nibbäna als
Existenz auffassen; — denn die Schatten unserer höchsten
Vorstellungen verschwinden vor dem Licht Seiner unaussprech-
lichen Wirklichkeit: — und doch, Existenz bedeutet für
uns Wechsel, während Nibbäna über allen Wechsel und über
alle Veränderung erhaben ist. Wir müssen Nibbäna als das
Unbedingte bezeichnen, wir, für die jeder einzelne Denk-
Prozess etwas Bedingtes ist; wir müssen Es unendlich,
ewig nennen, wir, deren Natur endlich ist, wir, die wir selbst
nur die Kinder flüchtiger Stunden sind. Wir, deren Leben
ein Werden ist, müssen Nibbäna als das Absolute, Unver-
änderliche begreifen, als ein Etwas, das weder jemals ins
Dasein eintritt, noch jemals dahinschwindet. Und dennoch:
No. 6. DER BUDDHIST. 179
Nibbäna ist; unsere eigene Vernunft muss uns dies sagen;
denn wir wissen, dass wir ein Ding nur durch eine Ver-
gleiciiung mit dem begreifen i<önnen, was es nictit ist. So
z. B. wenn icti sage; ,Ein Ding ist weiss', so spreciie icti mit
Beziehung auf und im Vergleich mit etwas, was nicht weiss
ist, und so verhält es sich mit allen unseren inneren Vorstel-
lungen. Wenn wir so analog das gesamte bekannte Univer-
sum, in dem wir leben, als etwas Bedingtes, als ein Werden
begreifen, dann können wir, vielmehr dann müssen wir auf
ein Etwas schliessen, das unbedingt, wechsellos, unbe-
kannt ist. So heisst es im »Udäna«: „Es gibt, ihr Brüder, ein
Ungeborenes, Unentstandenes, nicht Gewordenes, nicht Gestal-
tetes. Gäbe es dies nicht, so würde auch kein Entrinnen
möglich sein aus dieser Welt des Geborenen, Entstandenen,
Gewordenen, Gestalteten." —
Da finde ich ein Gleichnis, welches, wie ich denke, uns
in den Stand setzen kann, dass wir nicht nur eine Vorstellung
von Nibbäna-dhätu ') an sich zu gewinnen vermögen, son-
dern auch von dem Verhältnis, in welchem unser Bewusstsein
zu dem steht, was ich in Ermangelung eines besseren Aus-
druckes als das absolute Bewusstsein bezeichnen möchte.
Dieses Bild wird uns auch illustrieren können, inwiefern der
Ausdruck »existierend«, welchen wir notgedrungen dem Be-
griff »Nibbäna« beilegen müssen, in Wirklichkeit eine gänzlich
andere Bedeutung für denjenigen hat, welcher diesen Zustand
begreifen und verwirklichen kann. — Wir wollen uns einmal
den Raum vorsteilen. Wir verstehen unter diesem Worte
»Raum« zwei sehr verschiedene Dinge, welche doch in ge-
wisser Weise zu einander in Beziehung stehen: — Wir meinen
einerseits Unendlichkeit oder Unbegrenztheit, andererseits
endliche (begrenzte) Ausdehnung. Wenn wir sagen, ein
Kubus (Würfel) nimmt einen bestimmten Raum ein, so meinen
wir »Raum« in dem letzteren Sinne; aber wir sind uns dabei
wohl bewusst, dass dieser Kubus-Raum in keiner Weise den
unendlichen Raum beeinträchtigt; denn ein Kubus, mag dieser
so gross sein, wie er will, kann selbstverständlich keinen
') Dhätu bedeutet Element, Begriff.
Wß DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Raum-Teil von dem unendlichen Raum ausmachen. Dasselbe
gilt für jedes gestaltete Ding; denn alles, was eine Form hat,
ist notwendigerweise begrenzt oder endlich. Wass wir die
Form eines Dinges nennen, ist eben die Gesamterscheinung
seiner Grenzen; und da der Raum in dem unbegrenzten
(unendlichen) Sinne keine Grenzen hat, so kann man natür-
lich niemals von einem unbegrenzten oder unendlichen
Kubus sprechen. Solch ein Kubus, wie gross er auch sein
mag, ist immer begrenzt, und als begrenzter Körper nimmt
er einen begrenzten Raum ein; aber er nimmt im unend-
lichen Raum überhaupt keinen Raum ein; denn der unend-
liche Raum bleibt derselbe, ganz gleichgültig, ob ein Kubus
vorhanden ist oder nicht.
Wir wollen uns nun den unendlichen, unbegrenzten
Raum denken und wollen annehmen, dass derselbe mit einem
gleichartigen Medium angefüllt sei, mit einer Art sehr feiner
Gallerte oder Äther, wie es die moderne Wissenschaft nennt;
wir wollen weiter annehmen, dass dieser Raum-Äther eine ein-
zige Eigenschaft habe, die Eigenschaft des Bewusstseins an
sich. Dieser Bewusstseins-Raum (oder dieses Raum-Bewusst-
sein) versinnbildlicht unser Nibbäna-dhätu (Nibbäna an sich);
aber insofern das, was wir Bewusstsein nennen, das Verhältnis
zweier Dinge in sich schliesst, und insofern in dem unbe-
grenzten Bewusstseins-Raum nichts sonst ist, als der Bewusst-
seins-Äther, so ist es ganz einleuchtend, dass das Bewusstsein,
welches er hat, gänzlich verschieden von dem ist, was wir
Bewusstsein nennen.
Nun wollen wir annehmen, dass in dem unbegrenzten
Bewusstseins-Raum ein Kubus — ein fester Würfel — ins
Dasein tritt. Dieser Kubus muss vorgestellt werden als aus
einem anderen Stoffe bestehend, als der Bewusstseins-Äther.
Wir können nun, wenn ich mich einer etwas laxen Ausdrucks-
weise bedienen darf, die Sache so betrachten, dass der Be-
wusstseins-Raum an einer bestimmten Stelle, die wir im Auge
haben, von den Flächen des Würfels begrenzt ist. Jetzt ent-
steht innerhalb dieser Flächen in dem Bewusstseins-Äther ein
Bewusstsein der Art, wie wir es kennen, d. h. ein differen-
ziertes Bewusstsein; der Bewusstseins-Äther nämlich an der
No. 6. DER BUDDHIST. 181
einen Fläche des Kubus empfindet sicli als ein individuelles,
getrenntes Ding. Erdenkt: „Hier bin ich; an meiner rechten
Seite ist jene Fläche, dort ist eine Ecke, hier ist eine Linie"
usw. Nun mag der Kubus von Zeit zu Zeit seine Form ändern,
— bald wird er ein Rhomboid, bald schwinden seine Ecken,
und er wird eine Kugel und so fort: er besteht aus einer Un-
menge kleiner Teilchen, welche keinen Augenblick sich in Ruhe
befinden. Mit jeder Bewegung in dem Kubus wird eine neue
Art von Bewusstsein — oder besser: Serien von Bewusstsein —
in dem anliegenden Bewusstseins-Äther entstehen: Jetzt ein
Kubus-Bewusstsein, jetzt ein Kugel-Bewusstsein, dann wieder
das Bewusstsein eines Rhomboids oder eines Tetraheders. Wie
nun jener Kubus in der räumlichen Unendlichkeit überhaupt
keinen Teil-Raum einnimmt, gerade so wenig verändern oder
beeinflussen alle diese kleinen Arten von differenziertem
Bewusstsein auch nur im geringsten das allgemeine noetische
Bewusstsein des unendlichen Raumes. Und wenn jener Kubus
plötzlich vernichtet würde, dann würde das an seinen Flächen
entstandene differenzierte Bewusstsein ebenfalls verlöschen;
das will sagen, an seiner Stelle würde das unendliche, unbe-
grenzte Raum-Bewusstsein, das nicht-differenzierte abso-
lute Bewusstsein, allein übrig bleiben.
In diesem Gleichnis nun ist das Nibbäna durch den un-
endlichen Bewusstseins-Äther versinnbildlicht und das
menschliche Dasein durch den Kubus. Die Form jenes
Würfels ist das Symbol für die körperliche Form (rüpa) des Men-
schen; die Fähigkeit, auf äussere Schwingungen zu reagieren, ist
seine Empfindung (vedanä); die Fähigkeit der unterscheidenden
Wahrnehmung ist sein Wahrnehmen und Vorstellen (sannä); und das
inhärierende » Würfel-sein«, wenn ich so sagen darf, veranschaulicht
seine Strebungen (samkhärä). — Wenn der Arahä abschei-
det, dann zerfallen diese vier Khandas oder Gruppen
sämtlich; es bleiben keine »Strebungen« zurück, um
ein neues Wesen zu bilden; und so flackert das diffe-
renzierte Bewusstsein (vifiiiäna) in Abhängigkeit von
diesen vier Gruppen nicht länger mehr, und jenes
Wesen hört, soweit unsere Begriffe auf dasselbe An-
wendung finden, auf, als eine getrennte Wesenheit zu
182 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
existieren. Nibbäna-dhätu ist, — das ist alles, was
wir uns sagen können, wenn wir von dem Arahä nach
seinem Ableben sprechen. —
Noch ein weiteres Gleichnis mag hier ausgeführt werden,
welches den Nibbäna-Begriff in seinen zwei Aspekten veran-
schaulichen kann. Wenn wir schlafen, treten wir gleichsam
in eine neue Welt ein, in die Welt der Schatten der Nacht.
Dann irren wir in unklaren, flüchtigen Vorstellungen von Traum
zu Traum, ähnlich wie sich hier in dem solideren Dasein der
allerdings langsamere Übergang von Existenz zu Existenz voll-
zieht. Hier schauen wir durch die »Tore von Hörn« auf die
Mysterien der Welt um uns; dort erheben sich hinter den
»Toren von Elfenbein« eitle, flüchtige Visionen, bald lieblich,
bald furchtbar; aber alles wogt und wechselt wie der Schaum
auf dem Kamm der Wellen. Oft erleben wir direkt nachein-
ander Träume, ohne im geringsten daran zu zweifeln, dass
diese Traum-Erlebnisse real seien; wir ergötzen uns an ihrer
Lieblichkeit, wir fürchten uns und erschrecken vor ihrem Weh
und Grauen; wir sind von der Wirklichkeit dieser Träume
gerade so überzeugt, wie von der Realität unseres irdischen
Lebens. So mögen wir vielleicht eine geraume Zeit fortträu-
men, bis sich plötzlich ein Traum voller Leid und Entzetzen
einstellt; wir martern uns infolgedessen ab, wie wir das Furcht-
bare ertragen sollen und quälen uns mit dem Gedanken, ob
wir das Entsetzliche überhaupt aushalten können. Vielleicht
stirbt in unserem Traum jemand, den wir innig lieben, und
wir sind nicht in der Lage, ihn zu retten; oder wir selbst be-
finden uns, von Furcht durchlebt, in einem finstern Kerker
eingeschlossen und wissen nicht, wie wir dem Verhängnis
entrinnen sollen. Und in demselben Masse, wie unser Leiden
und Entsetzen unser Inneres immer mehr erfüllt, wird es uns
plötzlich klar, dass das ganze Traum-Leben vom Übel, dass
es in seinem ganzen Umfange unbeständig, leidvoll, nicht-wirk-
lich ist. Und wenn uns dieser Gedanke aufsteigt, leuchtet es
uns plötzlich ein, dass diese Traum-Nichtwirkliciikeit in irgend
einer nicht bekannten, schwer zu begreifenden Weise von uns
selbst abhängt, dass es jenseits von diesen schrecklichen Phan-
tasieen ein reales Leben gibt, und dass diese Leiden und
No. 6. DER BUDDHIST. 183
Schrecken der Nacht nur unsere eigenen Schöpfungen sind.
Und nun machen wir eine gewaltige Willensanstrengung, um
zu erwachen, und lachen dann nach ein paar Augenblicken
darüber, dass wir so töricht gewesen sind, uns von jenen
Leiden und Beschwerden quälen und niederdrücken zu lassen;
wir erkennen dann, dass dies alles aus unserem eigenen Qemüte,
oder vielmehr aus unserer im Schlafe herrschenden Unwissen-
heit, unserem träumenden Zustande, geboren wurde.
So liegen auch hier die Verhältnisse im Meere des Daseins.
Wir irren von Leben zu Leben, bald glücklich, bald unglücklich;
und für lange Zeit führen wir so das Dasein fort und eilen
von der Geburt zum Tode, ohne jemals ernstlich darüber nach-
zusinnen, wer wir sind und warum wir leben. Aber zu irgend
einer Zeit bricht ein schweres Leid über uns herein, und dann
halten wir für einen Moment inne, dann fragen wir verwundert,
was wohl hinter allen diesen dunklen Geheimnissen des Lebens
sein mag? Und sogleich werden wir im Hinblick auf den
rastlosen Lauf des Daseins das grosse Leiden gewahr, welches
in diesem nie aufhörenden Wechsel liegt, und zugleich mit
dieser Verwirklichung der Wahrheit vom Leiden leuchtet
die tiefe innere Erkenntnis auf, dass alle die mannigfaltigen
Formen und Lagen des Lebens vergänglich, leidvoll, nicht
wirklich sind.
So erkennen und verwirklichen wir wie jener Mann in
Nägasenas Rede die Wahrheit vom Leiden: „Ein ewiges
Feuer ist dieses undenliche Werden, flammend und brennend!
Voll von Leiden ist es, voll von Verzweiflung!" Und wir streben
wie er nach einem Zustand, in welchem es kein Werden gibt, in
weichem Hass durch Güte ersetzt wird, Begierde durch Liebe,
Verblendung durch Einsicht und alle Unruhe des Lebens durch
Nibbänas Frieden.
Infolge dieser Erkenntnis und Sehnsucht machen wir dann
eine gewaltige Willens-Anstrengung, um aus dem Traum des
Lebens zu erwachen und suchen nach einem Weg, der uns
aus dem endlosen Leid des Daseins hinausführen soll. Wir
gewöhnen uns daran, die Moral-Satzungen (Stla) zu be-
folgen, indem wir das Gebot: »Alle Sünden meiden« beob-
. . n. Wir üben uns in der Betätigung der Nächstenliebe
184 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
(Dana), indem wir danach streben, anderen Gutes zu erweisen,
den Armen zu speisen, dem Bedürftigen zu lielfen und mit
allen Menschen in Frieden und Harmonie zu leben, wie ge-
schrieben steht: »Die Tugend üben«. Und endlich, wir
gehen daran, die Meditation (Bhävana) zu pflegen, um jene
Konzentration und Kraft des Geistes zu erlangen, welche allein
die Fesseln der Illusion zerbrechen kann, welche allein uns
den Pfad zum Nibbäna, den Weg zum grossen Frieden zu
öffnen vermag; dies geschieht durch >die Läuterung des
eigenen Herzens«. Und diese drei Richtwege: Sila, Dana,
Bhävana bilden zusammen die gesamte Praxis unserer bud-
dhistischen Religion ').
Wer so in dem Gesetz lebt, wer so in Frieden und Wohl-
wollen mit allen Wesen verharrt, wer so über die Natur dieses
Daseins meditiert, für den schlägt einst die Stunde des »grossen
Erwachens« "). Und wer dieses Erwachen erlebt, auch wenn
er den Glanz Nibbänas nur von fern geschaut hat, gelangt zum
Frieden, und die irdischen Trugbilder können ihn nicht mehr
blenden. Wie der aus dem Schlaf Erwachte seinen Tranm als
die Schöpfung seines Geistes erkennt, so geht es auch dem-
jenigen, der aus dem Traum des Lebens erwacht ist: Er sieht,
dass diese Welten nur in Vorstellungen und Gedanken bestehen
und dass diese Pilgerreise durch die ungezählten Lebensläufe
nichts ist, als Schaum und Traum. Für den »Erwachten«
ist dieses unser Leben in Wahrheit eine Traum-Welt; seine
Meditation und sein Erwachen enthüllen ihm sein wahres
Leben, welches jenseits von Zeit, Raum und Vorstellung liegt.
Und so komme ich zum Schluss. Wenn ich gefragt werde:
„Ist Nibbäna Vernichtung? Ist es Aufhören? Ist es das Ende
von allem?" — so erwidere ich: Gerade das haben wir ja ge-
lernt; Nibbäna ist Vernichtung, — nämlich Vernichtung des
verhängnisvollen dreifachen Feuers der Begierde, des Hasses
') Vergl. Dhamraapada, V. 183: Alle Sünden meiden, die Tugend üben,
das eigene Herz läutern: das ist die Religion der Buddhas.
-) In diesem Zusammenhange sei darauf hingewiesen, dass das Wort
»Buddha« von der Päli-Wurzel »budh« abgeleitet ist und »der Erwachte«
bedeutet Das bekannte Wort »Mahäbodhi« bedeutet wörtlich »das
grosse Erwachen«. Eine andere aber gleichbedeutende Übersetzung
beider Worte ist *der Erleuchtete« und »die grosse Erleuchtung«.
No. 6. DER BUDDHIST. 185
und Irrwahns. Nibbäna ist Vernichtung, — nämlich die Vernich^
tung des bedingten Daseins und aller Fesseln, die uns gebun-
den hielten. Nibbäna ist das Aufhören jener gleissnerischen
Irrlichter des Lebens, welche uns den Glanz des jenseitigen
Lichtes nicht erkennen Hessen. Nibbäna ist das Ende aller
Dinge, — das Ende der langen, peinvollen Pilgerschaft durch
die Welten unsagbarer Täuschungen; das Ende des Leidens,
der Vergänglichkeit und des Selbst-Wahnes. Aus der Qual
des schweren Lebens-Traumes ein nie aufhörendes Erwachen,
— aus der Pein der Selbstheit eine ewige Erlösung; — ein
Sein, ein Etwas, für das die Bezeichnung Leben ein Frevel und
der Ausdruck Tod eine Lüge wäre: — unnennbar, unvorstellbar,
und doch in diesem Leben erreichbar und der Verwirklichung
zugänglich: So wurde der schimmernde Glanz Nibbänas von
unserem Herrn erklärt, und dies ist das Endziel unserer bud-
dhistischen Religion.
Jenseits des Scheines von Sonne, Mond und Sternen, entfern-
ter als die dunkle Leere im Raum, abseits von den Toren des
ewigen Werdens ist Nibbäna, wechsellos, in unaussprechlicher
Ruhe. Jenseits von dem inneren Bewusstsein des Menschen, in
welchem diese Welten und Systeme und der sie einhüllende,
weit reichende Äther fliessend schweben wie ein Staubkorn
im Abgrunde des Raumes; — jenseits von dem tief-inneren
Zustande, wo Denken und Nicht-Denken gemeinsam gleichzeitig
weilen, wo das letzte, schwachverhallende Echo der Taten,
Worte und Gedanken sich mit der Stille mischt und nicht
mehr vernommen wird: — jenseits von allen diesen Sphären
ist Nibbäna, und dennoch ist es jetzt hier, hier in unseren
Herzen, obwohl unbegriffen und unerkannt; es kann nur in
diesem menschlichen Dasein erlangt werden hier auf Erden
von demjenigen, der den von unserem Meister verkündeten
achtfachen Pfad verfolgt.
Jede gute Tat, die wir vollbringen, jedes gütige Wort, das
wir sprechen, jede mächtige Anstrengung unseres Geistes
bringt uns dieser höchsten Seligkeit einen Schritt näher. Nicht
in den tiefer stehenden Lebensformen, nicht in dem Leben von
Göttern kann man dahin gelangen, sondern hier und jetzt,
hier in diesem Leben, das uns so kleinlich, so dunkel, so all-
186 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
täglich, SO sorgenvoll zu sein sciieint. Dieses menschliche
Leben ist fürwahr grösser als ein Leben in himmlischen Welten,
da wir in ihm durch Selbstzucht und höchste Anstrengung,
durch Entsagung, Güte, Weisheit und Mitleid diesen hohen
Wahrheitspfad beschreiten können, den Weg, welcher zur Er-
lösung und zum totlosen Ufer leitet, den Weg, der aus den
traumhaften Schatten des Lebens hinführt zur Wirklichkeit, zum
unvergänglichen Lichte Nibbänas; — aus des Lebens Leid zur
unaussprechlichen Freude, aus des Lebens Kampf zum ewigen
Frieden. —
Die Grundideen des Buddhismus.
Von Dr. Paul Carus.
(3. Fortsetzung.)
Für die strenggläubigen Buddhisten unterliegt es überhaupt
keinem Zweifel, dass, wenn ein Buddha abscheidet, seine phy-
sische Existenz sich in ihre Elemente auflöst; und diese Auf-
lösung wird betrachtet als die endgüUige Befreiung von jenem
Teile der menschlichen Natur, welcher die Ursache von Schmerz
und Leid ist; aber die Wahrheit, d. h. jenes Element, welches
das Buddhatum des betreffenden Menschen ausmacht, bleibt.
Das Leben im Fleisch ist beendet, aber das Leben in Nirväna
besteht fort. Da nun die Buddhaschaft als das Ziel aller
Lebensentwicklung betrachtet wird, während der Abweg der
Sünde und des Irrtums, welcher die Kreisläufe nutzloser Wieder-
geburten ausmacht, uns von unserem Ziele ablenkt, so wird
der Buddha glückselig gepriesen, weil er der Wiederholung
des leidigen Kreislaufes entronnen ist. Ein Buddha hat das
Ziel erreicht und Unvergänglichkeit erlangt. Er ist in der Welt
des Irrtums geboren, um als Lehrer zu erscheinen und seinen
Mitgeschöpfen den Weg zu zeigen, auf dem sie von der Täu-
schung, von der Sünde und vom Tode loskommen können.
Nach der Ansicht der strenggläubigen Buddhisten ist es
zweifellos, dass die Erscheinung Buddhas in der Person Gau-
tama Siddhärthas für immer dahin ist. Gautama ist gestorben,
und sein Körper wird niciit wieder auferstehen. Aber Buddha
No. 6. DER BUDDHIST. 187
lebt fort in dem »Körper« seines Dtiarma (Dharma-Käya) d. i.
in dem Gesetz und in der Weltordnung, die der Buddha verkündet
hat, und insofern dieser Dharma die Wahrheit ist, ist Buddha
unsterblich und ewig. Die ganze Welt mag in Trümmer gehen,
aber Buddha stirbt nicht. Die Worte Buddhas sind unvergäng-
lich. Wir lesen in der »Jätakamälä« folgende bemerkens-
werte Stelle, welche uns stark an Matth. XXIV, 35^) erinnert.
Einer der Bodhisattvas -') nimmt den Entschluss auf sich, ein
Buddha zu werden, indem er sagt:
„Die Buddhas sprechen nicht zweifelhafte Worte, die Sieger sprechen
nicht eitle Worte,
Es ist kein Falsch in den Buddhas, — wahrlich, ich will ein Buddha
werden.
Wie ein Stein, der in die Luft geworfen wird, gewiss wieder zur Erde fällt.
So ist das Wort der erhabenen Buddhas gewiss und von ewiger Dauer.
Wie der Tod aller Geschöpfe gewiss ist und nie ausbleibt.
So ist das Wort der erhabenen Buddhas gewiss und von ewiger Dauer.
Wie der Aufgang der Sonne gewiss ist, wenn die Nacht verschwindet.
So ist das Wort der erhabenen Buddhas gewiss und von ewiger Dauer.
Wie das Brüllen des Löwen gewiss ist, wenn er seine Höhle verlassen hat.
So ist das Wort der erhabenen Buddhas gewiss und von ewiger Dauer.
Wie die Niederkunft von Frauen mit Kindern gewiss ist.
So ist das Wort der erhabenen Buddhas gewiss und von ewiger Dauer."
Als Christus von seinen Jüngern Abschied nimmt, wird
ihm das Wort in den Mund gelegt: „Siehe, ich bin bei euch
alle Tage bis an das Ende der Welt", und der Buddha drückt
dieselbe Idee aus, als in der Stunde seines Abscheidens die
Mallas ängstlich auf ihn blicken. Der Buddha spricht:
„Wenn ihr den Pfad sucht, müsst ihr euch selbst anstrengen und mit
Eifer vorwärts streben ; — es ist nicht damit getan, dass ihr mich gesehen
habt. Wandelt so, wie ich euch angewiesen habe; wohlan, macht euch
los von dem verwickelten Netz des Leidens. Wandelt den Pfad mit
sicheren Endzielen. Ein Kranker, der die heilkräftige Medizin anwendet,
wird bald Herr über seine Unpässlichkeiten, auch wenn er den Arzt nicht
sieht. Wer meine Anweisungen nicht ausführt, sieht mich vergeblich;
es gereicht ihm nicht zum Segen. Wer aber auf dem rechten Wege
wandelt, ist mir immer nahe, auch wenn er weit von mir entfernt wäre.
Ein Mensch kann nahe bei mir verweilen und ist doch fern von mir,
wenn er meine Lehren nicht befolgt" (Fo-sho-hing-tsan-king).
>) Vergl. auch Marc. XIII, 31 ; Luc. XVI, 17; Luc. XXI, 33.
-) Bodhisattva ist die Bezeichnung eines zukünftigen Buddha.
188 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Wer die Wahrheit erkennt und ein Leben der Wahrheit
führt, indem er den achtfäitigen Pfad der Gerechtigkeit wandelt,
hat Nirväna erreicht und ist mit Buddha. Und dieser Glaube
kann nur dann Nihilismus genannt werden, wenn
Wahrheit ein albernes Wort ist, und wenn moralische
Anstrengungen Dasein-vernichtend sind.
Es gibt verschiedene synonyme und erklärende Bezeich-
nungen für Nirvana. Über eine Aufzählung der Päli-Synonyma
für Nirväna ist Childers Päli-Dictionary S. 272, 274 zu ver-
gleichen, wo sich Ausdrücke finden, wie: Das Unvergäng-
liche, das Unbegrenzte, das Ewige, das Immerwährende,
das Höchste, das Transzendentale, das Ruhige, das
Nichtgestaltete, die Leere, der Stillstand, das Nichtbe-
dingte, das Ziel, das andere Ufer, die Ruhe, das Wahre
oder die Wahrheit. Nirväna ist gleich „einem Eiland, das
durch keine Flut überwältigt werden kann", es wird
bezeichnet als »Friedensstadt«, als »das juwelengezierte
Reich der Glückseligkeit«, als »eine Rettung aus
der Knechtschaft Märas«, des Bösen, des Versuchers,
und es wird gesagt, „dass der Jünger des Buddha »die Welt
der Menschen, die Welt Yamas^) und die Welt der Götter«
überwinden wird." Die Siamesen lieben es, zusagen: „Nirväna
ist eine Stätte der Erquickung, wo es keine Sorge gibt; lieb-
lich ist das Reich Nirvänas." Wir lesen im 26. Kapitel des
Dhammapada: „Wenn du das Ende alles Entstandenen begrif-
fen hast, dann wirst du verstehen, was nicht entstanden ist".
Die am meisten negative Bezeichnung für Nirväna ist der
Ausdruck »Leere«, und sein blosses Vorhandensein in den
buddhistischen Schriften scheint die nihilistische Auffassung
vom Buddhismus zu begünstigen. Aber was sollen wir dann
mit Ausdrücken beginnen wie der folgende: „Die Leere allein
ist selbst-existierend und vollkommen?" »Das Abstrakte«
wäre wohl eine bessere Übersetzung, als das Wort »Leere«;
wenigstens würde sie denjenigen weniger anstössig erscheinen,
die sich dem Studium der Philosophie des abstrakten Denkens
gewidmet haben.
') Der Todes-Oolt im hinduislisclien Pantheon.
No. 6. DER BUDDHIST. 1«9
Es ist manchmal schwierig, den Grund einzusehen, wes-
halb ein Begriff wie Leere, Hohlheit, Nichtigkeit, welcher
uns die Abwesenheit von Existenz anzudeuten scheint, in an-
deren Sprachen einen positiven Sinn hat, und wir müssen
vorsichtig vermeiden, den Negativismus unserer Sprache
auf die Rechnung anderer zu setzen. So finden wir in einem
alten, in Sanskrit geschriebenen Palm-Blätter-Manuskript, wel-
ches seit dem Jahre 609 n. Chr. im Kloster Horiuzi (Japan)
aufbewahrt liegt, den Begriff »Nichtigkeit« identifiziert mit
dem Begriff »Form«^), und der bedeutendste chinesische
Philosoph Laotse gibt uns den Schlüssel zur wahrscheinlichen
Lösung dieses Problems, wenn er im »Tau-Teh-King«,Xi, sagt:
„Die drci.ssig Radspeichen vereinigen sich in der Nabe, aber es ist
der leere Raum, von dem der Gebrauch des Rades abhängt. Der Ton
wird zu Gefassen geformt, aber es ist ihre hohle Leerheit, von der ihr
Gebrauch abhängt. Türen und Fenster werden in die Mauern gebrochen,
die dazu dienen, ein Zimmer zu bilden, aber es ist der leere Raum
innen, von dem der Gebrauch abhängt. Darum : Was ein positives Dasein
hat, dient zu einer nützlichen Anwendung, und was keine positive Existenz
hat, dient zu nutzvollem Gebrauch."
Der Buddha selbst lehnte es ab, irgendwelche positive
Angaben über das Wesen Nirvänas zu machen. Ob wir Nir-
väna durch positive oder negative Bezeichnungen wiedergeben,
ist völlig gleichgültig und für die Heiligung ohne jeden Belang.
In diesem Sinne antwortet der Buddha auf die Frage Mäluk-
yas: „Lebt der Erhabene nach seinem Abscheiden weiter oder
lebt er nach seinem Abscheiden nicht weiter?" folgendes:
„Wenn ein Mann von einem vergifteten Pfeile getroffen wäre
und seine Freunde und Verwandten riefen einen geschickten
Arzt, — wie, wenn der verwundete Mann spräche: ,Ich werde
nicht erlauben, dass meine Wunde behandelt wird, bevor ich
nicht weiss, wer der Mann ist, der mich verwundet hat, ob er
ein Kshatriya, ein Brähmana, ein Vai^ya oder ein Qudra') ist?'
— oder wenn er spräche: ,Ich werde nicht erlauben, dass meine
') Vergl. S. 48. in »The ancicnt Palmleaves«, edited by F. Max Müller
and Bunyin Nanjio (Oxford 1884).
-) Dies sind die Bezeichnungen der vier indischen Hauptkasten : die
Namen sind hier in der Sanskrit-Form angeführt.
190 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Wunde behandelt wird, bevor ich nicht weiss, wie der Mann
heisst, der mich verwundet hat, und aus welcher Familie er
stammt, ob er gross ist oder klein oder von mittlerer Statur
und wie die Waffe aussieht, mit der er mich verletzte'."
Soviel ist sicher: Wenn der Buddha von der Seligkeit
Nirvänas spricht, so leugnet er das Fortbestehen der mensch-
lichen individualisierten Form. Die Arahaschaft ist ihm ewig,
aber die körperliche Form des Araha löst sich auf.
(Fortsetzung folgt).
Eine alte Buddha-Biographie.
Verhältnismässig wenig bekannt im deutschen Publikum
ist die im Verlag von Philipp Reclam erschienene metrische
Übersetzung einer alten chinesischen Buddha-Biographie,
welche 1894 von dem verstorbenen Oberpräsidialrat Theo-
dor Schnitze unter dem Titel »Buddhas Leben und Wirken«
publiziert wurde. Das chinesische Werk »Fo-Sho-Hing-
Tsan-King« stammt aus der ersten Hälfte des 5. nachchrist-
lichen Jahrhunderts; sein Verfasser ist Dhamaraksha, der, in
Vorderindien geboren, später nach China kam, wo er sich mit
der Übersetzung buddhistischer Texte ins Chinesische beschäf-
tigte. Das genannte chinesische Werk ist kein Original, sondern
eine freie Bearbeitung des aus dem 1. nachchristlichen Jahr-
hundert stammenden sanskritischen »Buddha-carita« des
A9vagosha. Professor Samuel Beal fertigte eine englische
Übersetzung des »Fo-Sho-Hing-Tsan-King« an, und das
Schultzesche Werk ist die deutsche Übertragung dieser engli-
schen Version.
Die genannte Buddha-Biographic verdient grössere Beach-
tung, als ihr bisher zuteil wurde. Die Buddha-Legende, die
in manchen anderen Lebensbeschreibungen des Meisters in
grotesker Form emporwuchert, hält sich hier in verhältnismässig
bescheidenen Grenzen. Von hoher Bedeutung aber sind die
philosophisch-religiösen Betrachtungen, die dem Buddha und
anderen Personen bei geeigneten Gelegenheiten in dem Mund
gelegt werden. Wir geben im folgenden ein paar Proben aus
No. 6. DER BUDDHIST. 191
dieser alten Dichtung wieder; vielleicht schöpft der eine oder der
andere Leser daraus die Anregung, sich eingehender mit der
Lektüre von »Buddhas Leben und Wirken« zu befassen.
V. 440: So möget ihr bedenken, dass das Trachten
Nach wahrer Religion stets an der Zeit ist.
Die Unbeständigkeit, der ew'ge Wechsel,
Die Todesfurcht verfolgen uns beständig;
Darum ergreife ich den gegenwärt'gen
Tag, überzeugt, dass jetzt die rechte Zeit ist,
Nach Religion zu suchen.
V. 2076: Das Weltmeer von Geburt und Tod zu kreuzen,
Dafür baut Weisheit uns ein lenksam Fahrzeug;
Die trübe Finsternis auf ihm erhellt uns
Mit seinem Strahlenschein der Weisheit Leuchtturm.
V. 1629: Gut oder böse, folgen uns die Taten,
Die jemals wir vollbracht, wie unser Schatten.
V. 2242: Wollt ihr dem hingeschied'nen Buddha Ehre
Erweisen, nun wohlan! so folgt dem Beispiel,
Das er gegeben in Geduld und Langmut!
V. 2046 : Selbst wenn mit scharfem Schwert ein Mann vom Leibe
Euch stückweis' haut die Glieder, so geratet
Doch nicht in Zorn und fasst nicht Rachgedanken,
Kein böses Wort geh' über eure Lippen.
V. 2047 : Mag auch der Leib, verstümmelt, Schmerzen leiden.
Hilft nichts doch als Geduld zum vollen Siege.
V. 1827: Schwer lasten auf der Welt die Leiden, die uns
Geburt und Alter, Tod und Krankheit bringen.
Wer deren Zahl die Leidenschaft hinzufügt.
Verstärkt die Schar der Feinde, die ihn drängen.
Vielmehr, da wir die Welt bedrückt von Plagen
In Menge sehen, sollte in uns wachsen
Das Mitleid und wir unermüdlich Hilfe
Dem stets erneuten Schmerz entgegenstellen.
V. 2098 : Benutzt mit Fleiss die angezeigten Mittel,
Strebt nach dem Heim, das keine Trennung zulässt.
Das Licht der Weisheit nur, von mir entzündet.
Verscheucht das Dunkel, das die Welt bedecket.
26. Kap.: Wer auf dem rechten Wege wandelt, war' er
Auch weit von mir entfernt, ist stets mir nahe.
Denn wenn das Handeln folgt der Reinheit Richtschnur,
Dann ist die wahre Religion gefunden.
Befolgt die wahre Lehre und begegnet
Mit Güte allen Wesen, die da leben.
V. 1289: Wenn auch den Leib Juwelen schmücken.
Kann doch das Herz den Sinn bezwungen haben.
Wer Lebenslust und Leid mit Gleichmut aufnimmt,
Hat Religioij, sei auch sein Äuss'res weltlich.
Und wer in des Asketen Kleid den Leib hüllt.
Kann dennoch hegen weltliche Gesinnung.
Wer in Waldeinsamkeit noch nach dem Glänze
Der Welt verlangt, bleibt nach wie vor ein Weltkind.
Zu höchsten Dingen mag der Geist sich heben,
Steckt auch der Leib in weltlicher Verkleidung.
»92 DER BUDDHIST. I. Jahrg"
Weltmann und Eremit sind nicht verschieden,
Wenn beide sie vert)annt den Selbstgedanl<cn ;
Doch, wenn das Herz umschlingen Fleischesbanden,
Sind köperlichcr Zucht Anzeichen nutzlos.
V. 1663 : Wie einer Lampe Licht in finsterii Räumen
Gleich sehr die Farben aller Dinj;e aufhellt.
So leuchtet allen, die zu ihr sich wenden,
Die Religion, wes Standes sie auch seien.
Ein Waldeinsiedler kann das Zi';l verfehlen.
Zum Rishi ein llaushalter sich erheben.
V. 1777: Vertrau'n auf äuss're Hilfe bringet Kummer,
Nur auf sich selbst vertrauen, Kraft und Freude.
Buddhas Preis.
Von Dr. Wolfgang Bohn.
1. Wo Menschenherzen beben
Gequält vom Erdcnleid,
Wo Jugendlust und Leben
Dem harten Tod geweiht.
Der Geist in heissem Ringen
Pflückt der Erkenntnis Reis,
Das Dunkel zu durchdringen —
Da, Buddha, klingt Dein Preis.
2. Wo Blätter niederfallen
Vom Sturm-gepeitschlen Baum,
Wo sanfte Lieder hallen
Hinsterbend durch den Raum,
Treu nach Erlösung streben
Der Jüngling und der Greis,
Zu flieh'n den Lauf der Leben —
Da, Buddha, klingt Dein Preis.
3. Und rollt auch graue Wogen
Ums Lebensschiff der Sturm, —
Die suchend ausgezogen, —
Uns, — hellt die Bahn ein Turm, —
Die Täuschung überwunden, —
Bringt nichts aus dem Geleis;
Im Port, in Friedensstunden,
Da, Buddha, klingt Dein Preis.
4. Der Abendsonne Glühen
Durch bunte Scheiben fällt.
Vor Deinem Bilde blühen
Viel Blumen, Herr der Welt!
Und wenn die Blüten sinken,
Die Nacht schon dämmert leis', —
Seh' ich Dein Bild noch blinken, —
Da, Buddha, klingt Dein Preis.
Verantwortlicher R«l»kteur: Karl B. Seidenstocker, Lripzig. Verlag: Buddhistischer Verlag
in Leipzig. — Druck von Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
Ein Denkmal chinesisch-buddhistischer Kunst:
Kwan -Yin - Statue.
(Siehe »Buddhistische Welt« Seite 52.)
Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddbas. Dhammapada, V. 183.
Das Mahämangala-Sutta.
Der Meister spricht:
Die Gesellschaft von Toren meiden, aber den Verkehr mit
Einsichtigen pflegen, Hochachtung denen gegenüber, die ver-
ehrungswürdig sind: das ist ein sehr grosser Segen.
In einem gesegneten Lande wohnen, ein gutes Karma aus
früheren Existenzen, die Läuterung des eigenen Gemütes: das
ist ein sehr grosser Segen.
Rechte Einsicht und Zucht, Selbstüberwindung und gütige
Rede: das ist ein sehr grosser Segen.
Vater und Mutter unterstützen, Weib und Kind pflegen,
die Betätigung in einem friedfertigen Beruf: das ist ein sehr
grosser Segen.
Almosen spenden, ein religiöses Leben führen, für die
Angehörigen sorgen, das ist ein sehr grosser Segen.
Vom Bösen sich abkehren und sich seiner enthalten, be-
rauschende Getränke meiden, die Anweisungen der Lehre be-
folgen: das ist ein sehr grosser Segen.
Ehrfurcht und Demut, Zufriedenheit und Dankbarkeit, das
Hören der Lehre zur richtigen Zeit: das ist ein sehr grosser
Segen.
Geduld und Freundlichkeit, der Verkehr mit geistig Stre-
benden, religiöse Unterredung zur richtigen Zeit: das ist ein
sehr grosser Segen.
Selbstzucht und Reinheit, das Verstehen der erhabenen Wahr-
heiten, die Verwirklichung Nibbänas, das ist ein sehr grosser Segen.
13
194 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Ein Gemüt, das nicht zittert bei der Berüiirung mit ver-
gänglichen Dingen, das frei von Kummer, frei von Leidenschaft,
iji Ruhe verharrt: das ist ein sehr grosser Segen.
Wer durch die Vollbringung dieser Anweisungen durchaus
unüberwindlich ist und aller Orten sicher wandelt: der ist des
grössten Segens gewiss.
Die Lehre des Buddha
oder: Die vier heiligen Wahrheiten.
Nach Aussprüchen des Päli-Kanons zusammengestellt.
Von Bhikkhu Nyänatiloka (Ceylon).
(1. Fortsetzung.)
Zweites Kapitel.
Die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung.
Was ist nun, ihr Brüder, die heilige Wahrheit von der
Leidensentstehung? Es ist jener Dasein-erzeugende Trieb,
jenes bald hier, bald dort nach Befriedigung dürstende Be-
gehren ^), das sinnliche Begehren (kämatanhä), das Begehren
nach individuellem (zukünftigen) Dasein (bhavatanhä), das Be-
gehren gegenwärtigen Wohlseins (vibhavatanhä).
Wo aber, ihr Brüder, nimmt dieses Begehren^) seinen
Ursprung und wo wächst es? Wo setzt es sich fest und wo
fasst es Wurzel?
[Die sechs Sinne:] Das Auge ist entzückend, ist an-
genehm den Menschen: dort nimmt das Begehren seinen Ur-
sprung, dort wächst es, dort setzt es sich fest, und dort fasst
es Wurzel. Ohr, Nase, Zunge und Verstand (mano) sind ent-
zückend, sind angenehm den Menschen: dort nimmt das Be-
gehren seinen Ursprung, dort wächst es, dort setzt es sich
fest, und dort fasst es Wurzel.
[Die sechs Sinnesobjekte:] Die Formen, Töne, Düfte,
Säfte, Tastungen und Verstandes-Objekte (Gedanken u. s. w.)
') Tanhä, wörtlich Durst.
No. 7. DER BUDDHIST. 195
sind entzückend, sind angenehm den Menschen: dort nimmt
das Begehren seinen Ursprung, dort wächst es, dort setzt es
sich fest, und dort fasst es Wurzel.
[Das sechsfache Bewusstsein:] Das dem Sehen,
Hören, Riechen, Schmeci<en, Tasten und Denken entsprungene
Bewusstsein ist entzückend, ist angenehm den Menschen: dort
nimmt das Begehren seinen Ursprung, dort wächst es, dort
setzt es sich fest, und dort fasst es Wurzel.
[Der sechsfache Kontakt:] Der durch Sehen, Hören,
Riechen, Schmecken, Tasten und Denken entstandene Kontakt
[der Sinnesorgane mit den ihnen entsprechenden Objekten]
ist entzückend, ist angenehm den Menschen: dort nimmt das
Begehren seinen Ursprung, dort wächst es, dort setzt es sich
fest, und dort fasst es Wurzel.
[Das sechsfache Gefühl:] Die durch Sehen, Hören,
Riechen, Schmecken, Tasten und Denken hervorgerufenen Ge-
fühle sind entzückend, sind angenehm den Menschen: dort
nimmt das Begehren seinen Ursprung, dort wächst es, dort
setzt es sich fest, und dort fasst es Wurzel.
[Die sechsfache Wahrnehmung und Vorstellung:]
Die Wahrnehmung und die Vorstellung der Formen, der Töne,
der Düfte, der Säfte, der Tastungen und der Gedanken ist
entzückend, ist angenehm den Menschen: dort nimmt das Be-
gehren seinen Ursprung, dort wächst es, dort setzt es sich fest,
und dort fasst es Wurzel.
[Das sechsfache Verlangen:] Das Verlangen nach
den Formen, nach den Tönen, nach den Düften, nach den
Säften, nach den Tastungen und nach den Gedanken ist ent-
zückend, ist angenehm den Menschen: dort nimmt das Be-
gehren seinen Ursprung, dort wächst es, dort setzt es sich fest,
und dort fasst es Wurzel.
[Das sechsfache Urteilen und Nachdenken:] Das
Urteilen und Nachdenken über Formen, über Töne, über Düfte,
über Säfte, über Tastungen und über Gedanken ist entzückend,
ist angenehm den Menschen: dort nimmt das Begehren seinen
Ursprung, dort wächst es, dort setzt es sich fest, und dort fasst
es Wurzel.
13»
196 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Das nennt man, ihr Brüder, die heilige Wahrheit von der
Leidensentstehung. (Digha-Niicäya) —
[Offenbare Leidensverkettung:] Und von Begehren
getrieben, von Begehren gereizt, von Begehren bewogen, eben
nur aus eitel Begehren streiten Könige mit Königen, Fürsten
mit Fürsten, Priester mit Priestern, Bürger mit Bürgern, streitet
die Mutter mit dem Sohne, der Sohn mit der Mutter, der Vater
mit dem Sohne, der Sohn mit dem Vater, streitet Bruder mit
Bruder, Bruder mit Schwester, Schwester mit Bruder, Freund
mit Freund. Also in Zwist, Zank und Streit geraten gehen sie
mit Fäusten auf einander los, mit Steinen, Stöcken und Schwer-
tern. Und so eilen sie dem Tode entgegen oder tötlichem
Schmerze. Das aber, ihr Brüder, ist Elend des Begehrens, ist
die offenbare Leidensverkettung, durch Begehren gefügt, durch
Begehren erhalten, durch Begehren schlechthin bedingt.
Und ferner noch, ihr Brüder: Von Begehren getrieben,
von Begehren gereizt, von Begehren bewogen, eben nur aus
eitel Begehren brechen sie Verträge, rauben fremdes Gut,
stehlen, betrügen, verführen Ehefrauen. Da lassen die Könige
einen solchen ergreifen und verhängen mancherlei Strafen, als
wie Peitschen-, Stock- oder Rutenhiebe; Handverstümmelung,
Fussverstümmelung oder Verstümmelung der Hände und Füsse;
das Zerreissen durch Hunde, die lebendige Pfählung, die Ent-
hauptung. Und so eilen sie dem Tode entgegen oder töthchem
Schmerze. Das aber, ihr Brüder, ist Elend des Begehrens, ist
die offenbare Leidensverkettung, durch Begehren entstanden,
durch Begehren gefügt, durch Begehren erhalten, durch Be-
gehren schlechthin bedingt.
[Verborgene Leidensverkettung:] Und ferner noch,
ihr Brüder: Von Begehren getrieben, von Begehren gereizt,
von Begehren bewogen, eben nur aus eitel Begehren wandeln
sie in Taten den Weg des Unrechts, wandeln sie in Worten
den Weg des Unrechts, wandeln sie in Gedanken den Weg
des Unrechts. Und in Taten auf dem Wege des Unrechts, in
Worten auf dem Wege des Unrechts, in Gedanken auf dem
Wege des Unrechts gelangen sie bei der Auflösung des Kör-
pers, nach dem Tode, abwärts, auf schlechte Fährte, in Ver-
derben und Unheil. (Denn es heisst: Nicht in dem Reich der
No. 7. DER BUDDHIST. iM
Lüfte, nicht in der Tiefe des Meeres, nicht in den Höhlen der
Berge, überhaupt nirgends in der Welt findet sich eine Stätte,
wo du ledig würdest deiner bösen Tat. — Dhammapada. — )
Das aber, ihr Brüder, ist Elend des Begehrens, ist die verbor-
gene Leidensverkettung, durch Begehren gefügt, durch Begehren
erhalten, durch Begehren schlechthin bedingt. (Majjhima-
Nikäya 13). — '
Es gibt eine Zeit, ihr Brüder, wo das grosse Weltmeer
versiegt, austrocknet, nicht mehr ist. Nicht aber, wahrlich, das
sage ich, ihr Brüder, gibt es ein Ende des Leidens für die
vom Nichtwissen umhüllten Wesen, die durch den Durst nach
Dasein immer und immer wieder zu erneuter Geburt geführt
werden und den endlosen Kreislauf der Wiedergeburten durch-
eilen.
Es gibt eine Zeit, ihr Brüder, wo die gewaltige Erde vom
Feuer verzehrt wird, zugrunde geht, nicht mehr ist. Nicht aber,
wahrlich, das sage ich, ihr Brüder, gibt es ein Ende des Lei-
dens für die vom Nichtwissen umhüllten Wesen, die durch
den Durst nach Dasein immer und immer wieder zu erneuter
Geburt geführt werden und den endlosen Kreislauf der Wieder-
geburten durcheilen. (Samyutta-Nikäya 111, XXII, 99). —
(Fortsetzung folgt).
Die buddhistische Grundidee des
»Meisters von Palmyra«.
Von Georg Jahn.
Adolf Wilbrandt hat manches schöne und gute Buch
geschrieben und mit seiner Kunst schon vieler Herzen erfreut,
das Schönste und Tiefste aber, was er gedichtet und geschaffen,
ist unstreitig sein »Meister von Palmyra«, der eine Perle
unter den Schöpfungen der neuesten Dichtkunst genannt zu
werden verdient. In milder Weise und schöner, vollendeter
Form werden darin vielfach buddhistische Gedanken zum Aus-
druck gebracht, unter denen wir die Grundidee der ganzen
dramatischen Dichtung zu unserer skizzenhaften Darstellung aus-
198 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
wählen wollen. Apelles, der Meister von Palmyra, der seine
Vaterstadt mit den herrlichsten Werken seiner Kunst geschmückt,
der in edler Begeisterung die alte aristokratische Herrschaft
gestürzt und seinen Mitbürgern die Freiheit geschenkt, hat sich
nach siegreicher Schlacht gegen die Perser in überschwellender
Lebenskraft und Lebensfreude, auf der Höhe seines Glückes
stehend, vom Herrn des Lebens, der Personifikation der freu-
digen Daseinsbejahung, ewiges Leben erbeten, das ihm mit
den Worten gewährt wird:
Dich erhört der Herr des Lebens,
Hält dich fest auf dieser Erde —
An der Stirn gezeichnet wirst du
Wachen ohne Schlaf des Todes.
Er hat sich dieses ewige Leben erbeten, ohne zu bedenken,
dass Leben ohne Ende auch Reue ohne Ende sein kann, dass
dieser Segen leicht zu einem Fluche zu werden vermag, von
dem die Seele erlöst zu werden wünscht. In den fünf Aufzügen
der Dichtung ziehen nun an Apelles fünf „Abbilder des ewig
neu geformten Lebens" vorüber, um den zu führen und zu
belehren, der in sich selbst verharren will, fünf Verkörperungen
ein und derselben Wesenheit, die seinen Lebenspfad kreuzt:
Irre wandelnd, vorwärts schreitend,
Und in jeder ihrer Formen
Ihm begegnend, neu und fremd,
Unbewusst dem Unbewussten —
Bis sich Gottes Werk vollendet.
Die erste dieser Gestalten ist eine christliche Märtyrerin
mit Namen Zoe, die durch des heiligen Geistes Stimme ange-
trieben, von Damaskus ausgezogen ist,' um den Armen und
Unweisen, den von Angst und Trübsal Geplagten Palmyras
Heil und Seligkeit zu bringen. Sie hängt nicht am Leben, sie
vermag in schwärmerischer Begeisterung ihre blühende Jugend,
der Glieder Kraft und Schönheit, Fühlen, Denken und Wollen
für ein dunkel geträumtes „Vielleicht" dahinzugehen. Der Wut
der noch an die lebensfreudige Götterwelt der Griechen glau-
benden Palmyrener preisgegeben, verhaucht sie zu des Meisters
Füssen im Märtyrertod ihr junges Leben. Apelles aber sinkt
tief ergriffen an ihrer Leiche nieder und erkennt den Todbrin-
ger Pausanias, den Sorgenloser, der ihr zu Häupten steht.
No. 7. DER BUDDHIST. 199
Im zweiten Aufzuge ist Phöbe, die römische Geliebte des
Meisters, eines der Abbilder des vielgestaltigen Lebens. Die Ver-
körperung der Weltlust, des Leichtsinns, des Tages, ist sie eine
jener „Luftgestalten aus Dunst und Schaum und Flattergeistern",
die wohl lieben können und deren Herz für jede Güte ge-
schaffen ist, nur nicht für Mut und Treue. An den Gütern der
Welt, am Golde hängend, verlässt sie, des Apelles Licht- und
Musenkind, sein Glück, sein Leben, den Geliebten, weil er in
edlem Stolze sein Vermögen dahingegeben und nun, ein armer
Mann, ihr nichts zu geben hat als seine Liebe. So erduldet
der Meister einen zweiten grossen Schmerz, erleidet er einen
zweiten Verlust in der Geliebten, die trotz aller offenbaren
Verschiedenheit doch der Christin, die einst zu seinen Füssen
verschied, glich, „als wär's derselbe Geist in beiden Formen".
Doch bleibt ihm noch die geliebte Mutter, die ihm Pausanias
um den Preis der Geliebten lässt.
Die dritte Verkörperung jener Wesenheit ist des Apelles
christliches Weib Persida. Im Fanatismus der Entsagung trennt
sie sich von ihm im Kampf zwischen dem überall siegenden
Christentum und der mehr und mehr sinkenden heidnischen
Philosophie, zu der mit wenigen Freunden Apelles noch hält,
weil er ein freier Mann, kein „Knecht des Herrn" sein mag
und nicht beten will, wo er lügen müsste. Im nächsten Auf-
zuge ist es der eigne Enkel, der letzte übrig gebliebene Spross
des Apelles, Nymphas, der als Verkörperung jenes Lebensgei-
stes in erneuter Form auftritt. Als des Meisters philosophischer
Schüler, als Anhänger der alten Griechengötter, begeistert er
sich für den Kaiser Julianus Apostata, jenen edlen Feind des
Christentums, der die alte hellenische Weltanschauung aufs neue
zu beleben, das Rad der Zeit zurückzudrehen versuchte, und
fällt im Kampf für ihn. Nun steht Apelles ganz allein, nicht
Freunde, nicht Kinder, nicht Enkel leben ihm zur Seite und
erfreuen sein Alter. Phöbe nahm fliehend den Frühling mit
von dannen, Persida, sein stolzer Sommer, wandte sich ab von
ihm dem Himmel zu, Nymphas, der Enkel, der sonnige Herbst,
verhauchte seine edle Seele für die alten Götter. Nur er kann
nicht Sterben, er, der zu ewigem Leben verurteilt ist, sehnt
sich nun nach Vergessenheit, sehnt sich nach des Todes
200 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
erlösendem Frieden. Da erscheint ihm endlich eine letzte
Frauengestalt, Zenobia, die Verkörperung jenes Seelenfriedens,
den der Mensch nur durch Entsagung nach der Art buddhisti-
scher Heiligkeit erlangen kann. Ihr Geist ist es, der in der
Gestalt der Zoe und der Phöbe, der Persida und des Nymphas
das Leben des Apelles geleitet hat. Sie bringt ihm die ersehnte
Vergessenheit und mit ihr den Tod selbst, den er bis dahin
als Unhold und Höllengeist, als bittersten Feind gehasst, doch
nicht gefürchtet hatte, und der als Pausanias, der Sorgenloser,
ihm so oft im Leben erschienen war. Da bekennt denn Apelles:
Ja, nun erkenn' ich's.
O Wunderrätsel du, das meinen Weg
So oft verwandelt kreuzte; holde Flamme
Des vielgestaltigen Lebens! Nun erfass' ich
Des hohen Meisters Meinung, — ach, zu spät.
Es springt des Lebens Geist von Form zu Form;
Eng ist des Menschen Ich, nur Eine kann es
Von tausend Formen fassen und entfalten,
Nur eine Strasse gehn; drum tracht' es nicht
Ins lebenwimmelnde Meer der Ewigkeit,
Das Gott nur ausfüllt! — Sollt' es dauern, müsst' es
Im Wechsel blüh'n wie du! von Form zu Form
Das enge Ich erweiternd, füllend läuternd.
Bis sich's in einem Licht verklärt. So könnten wir
Vielleicht, allmählich Gott entgegenreifen.
Zenobia aber, das letzte Abbild des ewig neu geformten Lebens
^ ' Erlösung dem,
der lang geprüft des Lebens Rätsel und
des Todes Lehre fasste! —
So dämmert der Meister von Palmyra hinüber in die Nacht
des Friedens, um nie wieder zu erwachen, vielleicht auch ins
Freie, ins Andere, ins — — wer weiss es? Pausanias aber
geleitet ihn mit erlösender, kalter Hand.
Wir haben versucht, die Grundideen der schönen, an bud-
dhistischen Gedanken auch sonst reichen Dichtung in kurzer
Skizze herauszuarbeiten. Sie soll freilich keinen Ersatz für das
Lesen des Werkes bilden, sondern vielmehr dazu anregen.
Jeder, der dem Buddhismus Sympathie und Verständnis ent-
gegenbringt, möge den „Meister von Palmyra" lesen, er wird
sicherlich tief davon ergriffen werden.
No. 7. DER BUDDHIST. 201
Goethe ein Buddhist.
Von Dr. Paul Carus.
Der Buddhismus wird ganz allgemein als eine Religion
betrachtet, die zwar den „passiven Völkern" des Ostens angepasst
sei, die dagegen niemals auch nur den geringsten Einfluss auf
die „energischen Nationen" des Westens ausüben könne. Aber
diese Ansicht ist nur dann richtig, wenn Buddhismus mit jenem
Quietismus identifiziert wird, welcher die Trägheit zur höchsten
Tugend des Lebens erhebt. Aber nichts ist von den Lehren
des Tathägata mehr entfernt, als passive Gleichgültigkeit, und
es ist und bleibt eine Tatsache, dass einige der genialsten Gei-
ster Europas spontan die wesentlichen Lehren jenes ehrwürdigen
Weisen aus dem Qäkya-Volk entwickelt haben, welcher der
Leitstern der Buddhisten ist.
Eins der schlagendsten Beispiele für die Art, wie ein west-
licher Geist buddhistisch denkt, so unglaublich dies auch
jenen erscheinen mag, welche den wahren Geist des Buddhis-
mus fortwährend missverstehen, ist der grosse Dichter Wolf gang
Goethe, der Darwinist vor Darwin, der Prophet des Monis-
mus und Positivismus, der Naturalist unter den Dichtern, und
der Barde unter den Naturalisten. Goethe glaubte ungleich
August Gomte, dem Begründer des französischen Positivis-
mus, nicht an unerkennbare Ursachen hinter den Phäno-
menen. Er proklamierte das Prinzip eines echten Positivismus
mit den Worten : ^)
„Das Höchste wäre: zu begreifen, dass alles Faktische schon
Theorie ist. Die Bläue des Himmels offenbart uns das Grund-
gesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den Phä-
nomenen: sie selbst sind die Lehre."
Dieses Prinzip schliesst die Leugnung der Annahme in
sich, dass es Dinge an sich, sei es in der menschlichen
Seele, sei es in der Welt als Ganzem, gebe; und diese Wahr-
heit wird von dem Buddha durch die These ausgedrückt:
„Es existiert kein Ätman." Wir werden unsere Behauptung,
') Sprüche in Prosa.
202 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
dass Goethe in diesem Sinne ein Buddliist war, beweisen, indem
wir einzelne seiner Gedichte zitieren, welche deutlich zeigen,
dass er sowohl die Karma-Lehre, als die buddhistische Psycho-
logie verteidigt hat, welche nichts von einem Ätman oder ge-
trennten Ich-Selbst weiss, sondern dafür hält, dass die mensch-
liche Seele ein zusammengesetztes Produkt aus verschiedenen
Bestandteilen darstellt, welche unser aus früheren Existenzen
ererbtes Karma ausmachen und dazu bestimmt sind, nach dem
Tode entsprechend unseren während des Lebens vollbrachten
Taten weiterzuleben.
Goethe analysiert sich selbst in folgendem Gedicht:
„Vom Vater hab' ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren.
Urahnherr war der Schönsten hold,
Das spukt so hin und wieder;
Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,
Das zuckt wohl durch die Glieder.
Sind nun die Elemente nicht
Aus dem Komplex zu trennen,
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Original zu nennen?"
Die Frage: „Was bin ich?" wird von Goethe dahin be-
antwortet: Ich bin ein Gemeinplatz von ererbten Strebungen
und Ideen.
Der Mensch ist geneigt, sein eigenes süsses Selbst als ein
gesondertes und getrenntes Wesen zu betrachten, als etwas
ganz Originales und als ein Ding an sich, analog den meta-
physischen „Dingen an sich" der Kantschen Philosophie. Aber
diese Meinung über sich selbst ist ein Irrtum; sie ist das, was
die Buddhisten als die »Illusion des Selbst-Gedankens« bezeich-
nen. Die Grundidee des Buddhismus ist die Lehre, dass die
Erleuchtung die Ego-Illusion zerstreut, und Goethe sagt ganz
ungeschminkt:
„Erkenne dich! — Was hab' ich da für Lohn?
Erkenn' ich mich, so muss ich gleich davon."
No. 7. DER BUDDHIST. 203
Goethe war ein Mann von grossem Selbstbewusstsein,
und es ist i<iar, dass er liier nicht von Seibstvernichtung oder
Resignation spricht. Goethe will nicht sagen, dass er selbst
(Goethe oder Goethes Seele) nicht existiere; vielmehr meint
er, dass jene Selbst-Eitelkeit, welche die Einbildung schafft,
des Menschen Selbst bestehe in einem getrennten, unabhängi-
gen und ganz originalen Wesen, weiches ein ausschliesslich
für sich existierendes, eigentümliches Ding wäre, — dass diese
Selbst-Eitelkeit eine Illusion ist, welche durch Selbst-Erkenntnis
zerstreut wird.
»Ich« bin nicht ein getrenntes Ego-Bewusstsein, welches
sich im Besitze einer Seele mit allen ihren Impulsen, Gedanken
und Neigungen befindet. Vielmehr ist das Gegenteil wahr.
Meine Seele, welche aus ganz bestimmten Seelen-Strukturen
besteht, ist im Besitze eines Ego-Bewusstseins; und meine
ganze Seele ist gemeint, wenn ich sage: »Ich«. In diesem
Sinne kann jeder von sich selbst sprechen: „Ich existierte lange
bevor ich geboren war." Sicherlich existierte ich nicht in
genau dieser Zusammensetzung von Seelen-Elementen; aber
die Seelen-Elemente meines Karmas existierten.
Dies ist die buddhistische Lehre, und das ist auch Goethes
Ansicht über die Seele. Die Worte, welche unsere Gedanken,
den wesentlichen Teil unserer selbst, zum Ausdruck bringen,
wurden schon vor Millionen von Jahren ausgesprochen und
sind seitdem angewandt worden unter nicht wahrnehmbaren
Veränderungen in Aussprache, Grammatik und Konstruktion,
bis sie sich wieder in dem System unseres Geistes inkarniert
haben. Aber nicht nur unsere Sprache existierte vor uns, son-
dern auch unsere Gwohnheiten im täglichen Leben, unsere
Lebensweise, unser Lieben und Hassen, unsere Sitten, unsere
Hoffnungen und unsere Anstrengungen. Goethe sagt:
„Wenn Kindesblick begierig schaut.
Er findet des Vaters Haus gebaut;
Und wenn das Ohr sich erst vertraut,
Ihm tönt der Muttersprache Laut;
Gewahrt er dies und jenes nah,
Man fabelt ihm, was fern geschah,
204 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Umsittigt ihn, wächst er heran:
Er findet eben alles getan;
Man rühmt ihm dies, man preist ihm das:
Er wäre gar gern auch etwas.
Wie er soll wirken, schaffen, lieben,
Das steht ja alles schon geschrieben
Und, was noch schlimmer ist, gedruckt.
Da steht der junge Mensch verdiickt,
Und endlich wird ihm offenbar:
Er sei nur, was ein and'rer war." —
(Fortsetzung folgt.)
Die
Transmigration oder Wiedergeburt.
Von Bhikkhu Änanda Maitriya.
Sprecht nicht, ,ich bin', ,ich war', ,ich werde sein',
Denkt nicht, ihr wechseltet des Leibes Haus,
Wie Wandrer, wohl beherbergt oder schlimm,
Vergessend zieh'n hinaus.
Zu neuem Kreislauf geht ins All der Rest
Des letzen Lebens.
Die Leuchte Asiens, 8. Buch.
Abgesehen von der sehr schwierigen Frage nach der wahren
Bedeutung des Wortes »Nibbäna«, welche ich im vorigen Auf-
satze ein wenig aufzuhellen versucht habe, ist zweifellos für
abendländische Schüler unserer buddhistischen Religion am
schwersten begreiflich und am leichtesten misszuverstehen jene
Lehre, für die wir gezwungen sind, einen besseren Ausdruck
zu wünschen, als das allgemein gebräuchliche, aber sehr unzu-
längliche Wort »Transmigration« oder »Wiedergeburt«,
— die Übertragung des Kamma oder Handelns, das Über-
gehen der Sankhäras oder Strebungen, der Übergang des
Charakters oder Schicksals von einem Wesen auf das
andere im Augenblick des Todes resp. der Geburt. Diese
Lehre ist ein solcher Stein des Anstosses für westliche Geister
gewesen, dass diejenigen, welche sie überhaupt nicht verstehen,
in ihr einen Beweis dafür erblickt haben, dass der Buddha
No. 7. DER BUDDHIST. 205
eine Lehre verkündet haben soll, welche er von allen Lehren
am entschiedensten verneinte: nämlich die Existenz eines ge-
trennten unsterblichen Seelcnwescns im Menschen, welches
gleich dem »Jivätmä« der Vedänta-Philosophie, beim Tode aus
einer körperlichen Form in eine andere wandert, während es
selbst unverändert und ewig bleibt, just so, wie ein Mensch
eines Tages seine alten Kleider ablegt und sich in ein neues
Gewand hüllt, dabei sich selbst aber in keiner Weise ändert.
— Andere Schüler wieder, die zwar die buddhistische Lehre
besser verstanden haben, dabei aber in das entgegengesetzte
Extrem verfallen sind, haben gemeint, die wahre Ansicht des
Meisters über diesen Punkt sei folgende gewesen: Beim Tode
eines Menschen vergehe der betreffende Mensch als Individuum,
als getrennte Wesenheit im Ozean des Daseins, für immer,
während von seinem Wirken nichts übrig bleibe, als die
Wirkung, welche sein Leben, Reden und Denken auf alle
seine Mitmenschen ausgeübt habe, in der Weise etwa, wie wir
dem allgemeinen Sprachgebrauch gemäss sagen: Shakespeare
ist unsterblich und lebt noch unter uns insofern, als seine
wunderbaren Schöpfungen noch in unseren Herzen weilen, un-
ser Gemüt begeistern und unsere Handlungen beeinflussen,
obwohl von der menschlichen Persönlichkeit »Shakespeare« selbst
absolut nichts mehr vorhanden ist.
In der Tat: den meisten westlichen Geistern scheint diese
buddhistische Lehre von der Wiedergeburt entweder eine Mysti-
fikation oder ein Paradoxon zu sein; und es ist auch keines-
wegs befremdlich, wenn die Leute zu dieser Ansicht kommen.
Wir sind so sehr von der individualistischen Seelen-Theorie
durchdrungen, und diese nimmt eine so gewichtige Stellung
in unserer Erziehung und in unseren vererbten Anschauungen, ein,
dass es uns, wenigstens bei der ersten Betrachtung, — schwer
fällt, einer das zukünftige Dasein betreffenden Lehre beizu-
pflichten, in welcher von" vornherein das Vorhandensein einer
für sich bestehenden getrennten Ego-Seele geleugnet wird.
„Wie", fragt der westliche Schüler der Buddhismus, „wie,
wenn es keine veränderliche Ich-Seele gibt, keine dauernde
Wesenheit, welche von Leben zu Leben wandert, kein sich
rei'nkarnierendes Ego oder Selbst im Menschen, — wie können
206 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
wir dann den Sinn einer Lelire verstehen, welche sagt, dass
eines Menschen Charakter und Schici<sal nur die Früchte seiner
Gedanlcen, Worte und Handlungen aus ungezählten früheren
Existenzen sind?! Wie können wir mit einer solchen Lehre
die Angabe in Einklang bringen, welche in den heiligen Schriften
so oft von unserem Lehrer am Schluss irgend einer Erzählung
aus der Vergangenheit gemacht wird, dass er selbst eine Per-
son in der betreffenden Geschichte war, und Änanda oder ein
anderer Jünger ebenfalls eine Person gewesen sei?! Wie
können wir diese Doktrin mit den Erzählungen vereinbaren,
die noch jetzt in buddhistischen Ländern so allgemein ver-
breitet sind, Erzählungen von Rückerinnerung an vergangene
Lebensläufe und deren bestätigten Einzelheiten, oder mit der
Tatsache, dass eine der buddhistischen Meditations-Übungen
den Zweck verfolgt, eben diese Fähigkeit der Rückerinnerung
zu gewinnen, damit wir daraus die Lektion lernen, dass diese
Leben durch den Schleier der Geburt und des Todes vor uns
verborgen sind?! Wie kann dies alles sein, wenn tatsächhch
kein für sich bestehendes Seelenwesen, kein separates Selbst
vorhanden ist, welches in ein anderes Leben übergeht, kein
Ego, welches sich an vergangene Erfahrungen und frühere
Leben erinnern kann, so wie wir auf die Szenen und Hand-
lungen aus den Tagen unserer Kindheit zurückblicken?!"
Der Umstand, dass solche Fragen überhaupt aufgeworfen
werden, ist, wie wir bereits sagten, ein Beweis für die Macht,
welche die individualistische Seelen-Theorie auf das mensch-
liche Gemüt ausübt. Wir sind nur zu gern geneigt, alle un-
sere Gedanken und Handlungen auf ein imaginäres Selbst
in uns zu konzentrieren, so dass uns die grosse Lehre der bud-
dhistischen Psychologie „Dies ist nicht mein, dies ist nicht
mein Ich, dies bin ich nicht, da ist kein Selbst darin," — nur
ein Paradoxon zu sein scheint, bis wir den eigentlichen Sinn
dieser Doktrin begriffen haben; und alle unsere hoffnungsfreu-
digen Vorstellungen von dem zukünftigen Leben sind auf dies
Selbst gegründet als auf ein Etwas, das fortbestehen wird,
nachdem das Leben, welches wir kennen, verweht ist. So
stark ist tatsächlich dieser unser menschlicher Durst nach Leben,
dass die Idee eines unsterblichen Ich-Prinzipes in uns viel-
No. 7. DER BUDDHIST. 207
leicht das am weitesten verbreitete Prinzip religiösen Glau-
bens ist, und gerade diese individualistische Theorie von
einer Ego-Seele ist die Ursache des Kampfes, welcher zwischen
den geoffenbarten Religionen und der Wissenschaft sich er-
hoben hat und noch ausgefochten werden muss; denn die
Anhänger der verschiedenen Religionen ausser dem Bud-
dhismus kämpfen im Grunde nur für die Hoffnung auf ein
dem Menschen ach so teures, persönliches Fortleben nach dem
Tode, während die Wissenschaft Schritt für Schritt durch klare,
unumstösslichc Beweise eben diese „Seele" in ihre verschiedenen
psychischen Elemente zerlegt und zu beweisen versucht, dass
alles, was wir vom Menschen kennen, — Charakter und Gemüt
sowohl als auch diese körperliche Form, — zugleich mit dem
Tode des Körpers untergehe und beim Ableben nichts zurück-
lasse, als nur eine wenige Unzen vermodernden Hirn-Stoffes,
— von diesem ganzen Menschenleben, dem Erben einer alters-
grauen Entwickelung nur diesen armseligen Staub, eine Nahrung
für das Feuer und die Würmer.
Getreu seiner Lehre vom Pfade der Mitte, steuert der
Buddhismus seinen klaren Weg zwischen diesen beiden Extre-
men, indem er einerseits mit den heutigen Psychologen be-
hauptet, dass das, was wir »Seele« nennen, nur eine Ansamm-
lung von innerliclien Erscheinungen und Fähigkeiten, und als
solche flüchtig und vergänglich wie alle phänomenalen Dinge
ist; während er andererseits lehrt, dass das Kamma, (das
Wirken) eines jeden individualisierten Lebens den Zerfall des
Gemütes, welches es hervorbrachte, überdauert und sich in
zahllosen Leben weiter manifestiert, bis Nibbänas Friede erreicht
ist; denn der Tod ist nur das Tor zu einer neuen Geburt, und
die Geburt das Vorspiel eines neuen Sterbens. Und es ist
gerade diese »mittlere Lehre«, welche für das in einer ande-
ren Schule des Denkens erzogene westliche Gemüt so schwer
zu begreifen ist und von ihm als wahr anerkannt werden kann.
Wenn du an eine getrennte, lebende Ego-Seele glaubst, an einen
„Geist" oder Spirit, welcher innerhalb dieser Wände von Fleisch
verborgen wohnt, welcher beim Akte des Sehens durch unsere
Augen blickt und sich des Hirns bedient, — etwa wie ein
Künstler sich eines Klaviers bedient oder wie ein Mensch
208 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
irgend einen feinen Mechanismus gebraucht, — dann scheint
es für uns Abendländer iciar und selbstverständlich zu sein,
wenn wir von einem individuellen, postmortalen Weiterleben
sprechen, — denn es ist nach dieser Auffassung gerade jener
hypothetische „Geist", welcher den Körper beim Tode verlässt,
und wenn der Seher und der Täter gegangen ist, wie könnte
da noch etwas Sehendes oder Handelndes im Körper vor-
handen sein? Und wenn wir andererseits mit klarerer Einsicht
und richtigerem Verständnis die Tatsache begreifen, dass, wenn
wir von Vitalität oder Leben sprechen, welches getrennt von
diesem ganzen organisierten körperlichen Mechanismus wäre,
dies dasselbe sein würde, als wenn wir — nach dem Ausspruch
eines grossen Gelehrten — einen besonderen Uhr-Geist oder eine
für sich bestehende Uhr-Seele annähmen, um uns das Gehen
einer Uhr verständlich zu machen % dann will es uns scheinen,
als ob es eitel sei, von einem Weiterleben in irgend einer Form
zu sprechen, wenn der körperliche Mechanismus abgelaufen ist
und alle seine Funktionen beim Eintritt des Todes zum Still-
stand gekommen sind; denn welche Kraft soll die Atome eines
Tautropfens wieder zusammenfügen, wenn die Strahlen der
aufgehenden Sonne diese Teile des Tropfens aufgesaugt und
mit der Morgenluft vermischt haben?
So scheint die buddhistische Theorie den Animisten
und den Gelehrten in gleicher Weise befremdlich zu sein; den
einen, weil sie die Existenz eines j^etrennten unsterblichen
Seelenwesens leugnet, den anderen, weil sie behauptet, dass
die Kräfte eines Lebens noch, zusammenhalten und fortbestehen,
nachdem der Tod den Mechanismus zerbrochen hat, in dem
sie sich manifestierten, und nachdem die Winde alle Teilchen,
die einst den lebenden Organismus bildeten, weit über Land
und Meer verweht haben.
„Na ca so, na ca aüno", — „es ist nicht derselbe
und ist nicht ein anderer", -- dies ist die buddhistische
Anschauung von der Art der fortdauernden Identität zwischen
dem Menschen, der jetzt eben starb, und dem U'esen, welches
') So haben häufig Neger, denen man zum ersten Male eine Uhr
zeigte, tatsächlich geglaubt, das in der Uhr ein Fetisch oder Geist hause.
No. 7. DER BUDDHIST. 209
in. dem Augenblick, da jener starb, in dieser oder einer anderen
Welt*) in die Ersciieinung tritt. Der erste Teil dieser bud-
dhistischen Erklärung mit seiner Leugnung einer persönlichen
Identität der beiden Wesen scheint dem Animisten unmöglich
zu sein ; und der zweite Teil mit seiner Behauptung einer fort-
laufenden Individualität (oder besser: individuellen Daseins-Ten-
denz) wird wiederum von den Psychologen schwerlich akzeptiert
werden können. Wir wollen nun diese beiden Positionen vom
buddhistischen Standpunkte aus mit einander vergleichen und
untersuchen, ob zwischen ihnen irgend eine Vermittlung
möglich ist. (Fortsetzung folgt).
Die Grundideen des Buddhismus.
Von Dr. Paul Carus.
(4. Fortsetzung.)
Umgeben von diesen Schwierigkeiten und entgegengesetzten
Ansichten wollen wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten,
wie gross die Ähnlichkeit ist zwischen der buddhistischen
Nirväna-Idee und der christlichen Hoffnung auf den Himmel.
Es ist oft darauf hingewiesen worden, dass viele Stellen in
den heiligen Büchern der Buddhisten durchaus verständlich
sein würden, wenn wir das Wort »Nirväna« durch »Himmel«
ersetzten. Das würde in einer Hinsicht freilich ausserordentlich
irreführend sein ; denn die Christen neigen der Vorstellung zu,
dass im Himmel die Persönlichkeit der Seele als eine getrennte,
geheimnisvolle Wesenheit aufbewahrt wird. Die christliche
Auferstehungs-Hoffnung verlangt nach einer Erhaltung des Ego,
nicht des Geistes. Und in diesem Punkte ist der Buddhis-
mus gänzlich verschieden vom Christentum. Der Buddha
leugnet das Vorhandensein irgend eines Seelen-Substratums
oder Ego-Wesens; er verwirft die alte brahmanische Lehre
vom »Ätman« oder »Selbst«, welches als die metaphysische
') Für »Welt« könnte man auch »Zustand« sagen. Jedem subjek-
tiven Zustand des Gemütes entspricht eine bestimmte objektive Er-
scheinungswelt.
14
210 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Grundlage der menschlichen Empfindungen, Gedanken und
Willensregungen vorgestellt wird. Während nun auf der einen
Seite ein grosser Unterschied ist zwischen den Begriffen »Nir-
väna« und »Himmel«, besteht andererseits eine grosse Ähn-
lichkeit zwischen ihnen, und zwar nicht nur hinsichtlich alle-
gorischer Ausdrücke und Beschreibungen seitens der Mystiker,
sondern auch hinsichtlich des Versuches, das Wesen der beiden
Begriffe durch genaue Ausdrücke wiederzugeben. Es sind im
Neuen Testament verschiedene Stellen vorhanden, deren jede
einzelne sehr deutlich zeigt, dass das letzte Ziel der Mission
Christi die Auslöschung der Persönlichkeit war; denn es
heisst, „dass Gott wird sein alles in allem" (1. Kor. XV, 28),
und dieses letzte Ziel wird charakterisiert in den Worten: „Es
bleibet also eine Ruhe für das Volk Gottes übrig" (Hebr. IV, 9).
Indem der Apostel diese Ruhe mit einem grossen Sabbath
vergleicht, sagt er: „Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist,
der ist auch zur Ruhe gelangt von seinen Werken, gleichwie
Gott von seinen eigenen; lasst uns nun danach trachten, in
jene Ruhe einzugehen." Und Jesus spricht selbst: „Nehmet
auf euch mein Joch so werdet ihr Ruhe finden für eure
Seelen." Angesichts dieser Stellen können wir kaum behaupten,
dass der Christianismus den Himmel als eine Örtlichkeit
auffasst, und wenn wir versuchen, positiv auszudrücken, was
die christlich-orthodoxe Auffassung in Wirklichkeit ist, so wer-
den wir uns bald in ebenso verwickelten historisch-philologi-
schen Problemen befinden, wie unsere Päli-Gelehrten in ihrer
Definition von Nirväna. Als christliche Missionare in Tibet
einige christlichen Bilder von Jesus und biblische Geschichten
entdeckten, da entwickelte der Lama ihnen seine Ansicht über
das Christentum folgendermassen:*)
„Das Christentum liefert keine endgültige Erlösung. Nach den
Prinzipien Ihrer Religion werden die Frommen mit einer Wiedergeburt
unter den Dienern des höchsten Gottes belohnt, wo sie verpflichtet sind,
eine Ewigkeit damit zu verbringen, Hymnen, Psalmen zu singen und Ge-
bete zu seiner Verherrlichung zu verrichten. Solche Wesen sind natürlich
noch nicht von der Wiedergeburt befreit; denn wer garantiert dafür, dass
sie infolge Nachlassens in der ihnen übertragenen Pflicht aus der Welt, in
') Vergl. Schlagintweit's »Buddhism in Tibet« S. 99,
No. 7, DER BUDDHIST. 2il
der Gott residiert, nicht ausgetrieben und zur Strafe in den Welten der
Nichtswürdigen wiedergeboren werden?!"
Schlagintweit fügt hinzu: „Der Lama muss von der Aus-
treibung der bösen Engel aus dem Himmel gehört haben."
Diese lamaistische falsche Vorstellung vom christlichen
Himmel scheint dem christlichen Missverständnis über Nirväna
analog zu sein; beide Missverständnisse sind in gleicher Weise
entschuldbar.
Schlagintweit sagt, „der genuine Buddhismus lehne die
Idee ab, dass dem Nirväna eine besondere Örtlichkeit zukomme",
und Nägasena spricht zum König Milinda: „Nirväna ist
dort, wo immer die Gebote gehalten werden, ganz
einerlei, an welchem Orte." Wenn man diese Stellen mit
der Lehre Jesu vergleicht, welcher sagt: „Das Reich Gottes
ist in euch", so brauchen wir uns nicht zu verwundern, wenn
einige mystische Lamas in Tibet erklären, dass, wenn die
christliche Lehre vom Himmel nach Jesu eigenen Worten rein
innerlich sei und nicht auch die positive Existenz irgendwo im
Räume einschliesse, die christliche Lehre ein äusserst trostloser
Nihilismus genannt werden müsse.
Schlagintweit meint: „Die heiligen buddhistischen Schriften
erklären bei jeder Gelegenheit, es sei unmöglich, positiv die
Eigenschaften und Eigentümlichkeiten Nirvänas zu definieren."
Ein tibetanischer buddhistischer Gelehrter könnte seinen Lands-
leuten genau dasselbe sagen, wenn er den christlichen Begriff
»Himmel« erläutert.
Wenn wir nach christlichen Ausdrücken für »Himmel«
suchen, welche den buddhistischen Prädikaten von Nirväna
ähnlich sind, so finden wir eine reiche Fülle solcher Bezeich-
nungen, namentlich in den Schriften der Mystiker. Wer der
philosophischen Spekulation zuneigt, wird die grosse Ähnlich-
keit in der sogenannten negativen Formulierung zugeben
müssen: Der Himmel wird ebenso wie Nirväna als die
gänzliche Veriöschung des Selbstes gepriesen; das Selbst
vergeht in der Allgegenwart Gottes und erscheint höchstens
wieder als der verklärte Banner-Träger des Gesetzes der Ge-
rechtigkeit.
212 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Ob nun diese Anschauung als Nihilismus zu betrachten
ist oder nicht, das sollte nach der Natur der Sittenlehren
beurteilt werden, die aus derselben entspringen. Wenn man
die buddhistische Sittenlehre als Quietismus charakterisiert,
dann kann man die Doktrin des Buddhismus natürlich auch
nihilistisch nennen. Wir finden nun, dass dieselben Ein-
wände, welche heute von westlichen Geistern gegen den Bud-
dhismus erhoben werden, auch in alter Zeit von jenen erhoben
wurden, welche in der Schule des Brahmanismus erzogen
waren. Da ist eine Stelle im Mahävagga, in weicher der
Buddha sehr ausführlich seine Ansicht über Handeln und
Nicht-handeln auseinandersetzt. Er gibt zu, dass er eine
gewisse Art des Quietismus lehre, aber er leugnet
ganz entschieden, dass dies ein Quietismus der Träg-
heit und Untätigkeit sei. Wir lesen in Mahävagga VI, 31, 4:
„Siha, der Feldherr sprach zu dem Erhabenen: ,Ich habe
gehört, o Herr, dass der Asket Gotama die Folgen des Handelns
leugnet, dass er Nichthandcln lehrt und in dieser Lehre seine
Jünger erzieht. Ich bitte dich, Herr, sage mir, sprechen die,
welche so reden, die Wahrheit, oder legen sie falsches Zeug-
nis ab wider den Erhabenen und geben einen unechten
Dhamma für seine Religion aus?'"
Der Buddha gibt folgendes zur Antwort:
„Einerseits, Siha, ist es richtig, wenn man von mir be-
hauptet: ,Der Asket Gotama verleugnet das Handeln, er lehrt
das Nichthandeln und erzieht seine Jünger in dieser Lehre.'
Und andererseits, Siha, ist es richtig, wenn man von mir be-
hauptet: ,Der Asket Gotama betont das Handeln, er lehrt das
Handeln und erzieht seine Jünger in dieser Lehre.'
„Und in welcher Weise, Siha, ist es richtig, wenn man
von mir behauptet: ,Der Asket Gotama verleugnet das Handeln,
er lehrt das Nichthandeln und erzieht seine Jünger in dieser
Lehre?' Ich lehre, Siha, das Nichttun solcher Handlungen, die
ungerecht sind in Taten, Worten und Gedanken; ich lehre das
Nichthervorbringen der mannigfaltigen Zustände des Gemütes,
welche schlecht sind und nicht gut. In dieser Weise, Stha,
ist es richtig, wenn man von mir behauptet: ,Der Asket Go-
No. 7. DER BUDDHIST. ^\3
tama verleugnet das Handeln, er lehrt das Nichthandeln und
erzieht seine Jünger in dieser Lehre.'"
„Und in welcher Weise, Siha, ist es richtig, wenn man
von mir behauptet: ,Der Asket Gotama betont das Handeln,
er lehrt das Handeln und erzieht seine Jünger in dieser Lehre?'
Ich lehre, Stha, das Tun solcher Handlungen, welche gerecht
sind in Taten, Worten und Gedanken; ich lehre das Hervor-
bringen der mannigfaltigen Zustände des Gemütes, welche gut
sind und nicht schlecht. In dieser Weise, Siha, ist es richtig,
wenn man von mir behauptet: ,Der Asket Gotama betont das
Handeln, er lehrt das Handeln und erzieht seine Jünger in
dieser Lehre.'"
In demselben Buche erklärt der Buddha seine Lehre von
der Vernichtung und Nichtigkeit nicht als eine absolute Ver-
nichtung, sondern als eine Ausrottung der Sünde und des
menschlichen Veriangens nach der Sünde. Der Meister spricht:
„Ich verkünde, Siha, die Vernichtung von Begierde, Hass
und Wahn; ich halte dafür, Siha, dass unrechte Handlungen
verächtlich seien. Wer sich, Siha, befreit hat von allen Zu-
ständen des Gemütes, welche schlecht sind und nicht gut,
welche vertilgt werden müssen; wer sie ausgerottet und be-
seitigt hat, gleichwie man einen Palmstumpf ausrodet, so dass
sie vernichtet sind und nicht wieder emporwuchern können, —
den nenne ich einen im Tapas^) vollkommenen Menschen."
Weit entfernt davon, einen Quietismus zu proklamieren,
tragen die Reden, Gleichnisse und Sentenzen des Buddha viel-
mehr im Überfluss die Ermahnungen zu unermüdlichem, ener-
gischem Handeln. Wir lesen im Dhammapada: „Wer sich
nicht aufrafft, wenn es Zeit ist zum Aufraffen, wer, obwohl
jung und kräftig, voll Trägheit ist, wessen Wille und Gedanken
schwach sind, ein solcher träger und fauler Mensch wird
nimmer den Pfad zur Weisheit finden. Wenn etwas zu tun
ist, so soll der Mensch es tun; kräftig soll er es anfassen."')
*»99«66» (Schluss folgt.)
') Die wörtliche Bedeutung ist »Brennen«; es bedeutet Selbstpeini-
gung. Der Buddha verwirft Selbsiabtötung und setzt an dessen Stelle
die Ausrottung alles sündigen Begehrens.
■') Vergl. auch das Utthäna-Sutta im diesjährigen Juni -Heft des
»Buddhist« (S. 94).
214 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Warum ich Buddhist wurde/)
Von A. E. Buultjens.
Mit Ihrer Erlaubnis, meine Freunde, will ich den Gegen-
stand meiner heutigen Ausführungen unter zwei Hauptgesichts-
punkten betrachten, indem ich folgende zwei Fragen beantworte:
Erstens, warum ich, obwohl von christlichen Eltern stammend
und christlich erzogen, dennoch meinen christlichen Glauben
aufgab; zweitens, warum ich gerade ein Buddhist wurde,
und nicht etwa ein Mohammedaner oder ein Hindu.
Der erste Teil meiner Vorlesung könnte beinahe meine
Biographie oder besser meine Autobiographie von meiner
frühesten Kindheit bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr sein.
Ich wurde bei christlichen Eltern geboren inmitten einer christ-
lichen Umgebung, inmitten christlicher Einflüsse und Gesell-
schaften. Zu jener Zeit gliederten sich die Christen von
Matara, etwa 400 an der Zahl, in vier Zweige: in römische
Katholiken, in Presbyterianer oder Anhänger der Holländischen
reformierten Kirche, in Wesleyaner und in Anhänger der Kirche
von England. Meine Mutter war Presbyterianerin und mein
Vater eine Stütze der dortigen englischen Kirche. Als ich un-
gefähr ein Jahr alt war, wurde ich, wie mir berichtet wird, von
einem eifrig darauf ausgehenden Kreise von Verwandten und
Freunden regelrecht in die englische Kirche aufgenommen und
der liebevollen Gnade Seiner Hochwürden, des Herrn Abraham
Dias übergeben, eines Herrn, welcher nach seiner Nationalität
zwar Singhalese ist, sich aber trotzdem eines hebräischen und
portugiesischen Namens erfreut. Es ist mir erzählt worden,
dass ich aus seiner Hand rite die Tauf-Ceremonie erhalten
habe, — ein Kreuzzeichen mit Wasser auf meine kindliche
Stirn, und so war ich mit dem Amtssiegel oder vielmehr mit
dem heiligen Zeichen eines Christen versehen. Die Überlieferung
sagt nichts davon, ob ich mich gegen diese Behandlung durch
kindliches Sträuben und Schlagen wehrte, aber ich neige der
') Eine Vorlesung, gehalten am 25. März 1899 zu Colombo im Haupt-
quartier der Young Men's Buddhist Association.
No. 7. DER BUDDHISt. ^iS
Ansicht zu, dass ich durch fortgesetztes Schreien und Heulen
dagegen protestiert habe.
Bis zu meinem vierzehnten Jahre befand ich mich haupt-
sächlich unter der Aufsicht des ersten Schui-Inspei<tors, Herrn
R. H. Leembruggen und des Rev. J. Stevenson Lyle. Ich er-
wähne diesen Einfiuss auf mein jugendliches Leben, weil die
Eindrüci<e, weiche wir in jenem zarten Alter empfangen, uns
oft durch unser ganzes Leben folgen; das Kind ist nicht selten
der Vater des Mannes. Herr Leembruggen nun war kein
Kirchengänger, und er wurde in den damaligen familiären
Äusserungen häufig als erklärter Freidenker und Agnostiker
bezeichnet. Ich muss aber sagen, dass er Kindern gegenüber
niemals abfällig über die Kirche gesprochen hat, vielmehr hat
sein persönliches Beispiel einen grossen Einfiuss auf mich aus-
geübt; — denn alle Schulkinder blickten zu ihm in grösster
Ehrerbietung und Hochachtung empor und hielten ihn für einen
Mann, der genau auf Zucht und Ordnung hält. Von meinem
anderen Gönner, „Vater Lyle", wie er allgemein genannt wurde,
kann ich berichten, dass er ein strenger Hochkirchler oder
Ritualist war, und während der sechs Monate, während derer
ich in seinem Hause weilte, prägte er meinem Geiste ein, wie
ausserordentlich wichtig es sei, pünktlich der Ordnung in den
allgemeinen Gebetbüchern zu folgen, an Feiertagen zu fasten
und in seiner privaten Kapelle pflichtschuldigst und aufmerk-
sam den Frühmessen und Abendandachten beizuwohnen. Er
war mit meinen Fortschritten so zufrieden, dass er mich am
Prüfungstage mit einem »allgemeinen Gebetbuche« und einer
»Nachfolge Christi« beschenkte. „Vater Lyle" war ein Mann
von strengen Grundsätzen, dabei aber etwas heftig. Er liebte
ein Leben der Selbstverleugnung und Selbstaufopferung. Man
argwöhnte damals, dass er ein jesuitischer Agent des römischen
Papstes sei. Es erhob sich ein grosser Streit in der Diöcesan-
Zeitung zwischen der Hochkirche und den nicht-hochkirchlichen
Parteien. Mein Väter war ein entschiedener Gegner von den
brennenden Kerzen, den Hostien und anderen Neuerungen des
„Vater Lyle" und der hochkirchlichen Gruppe. Die Gegen-
partei pflegte in der Dienstwohnung meines Vaters zusammen-
zukommen, um zu diskutieren und für die Diöcesan-Zeitung
216 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Angriffe gegen die Ritualisten zu verfassen. Ich hörte als
Knabe in einer Ecke des Zimmer schweigend diesen Streite-
reien zu, und der Lärm einer Kirche, die mit sich selbst uneins
wird, muss einen ausserordentlich „aufbauenden" Einfluss
auf mein Gemüt ausgeübt haben! Kurze Zeit darauf schied
Vater Lyle aus seiner Dienstpflicht gegenüber dem Bischof
von Colombo und der englischen Kirche und trat zur römisch-
katholischen Kirche über. Mit Vater Lyle vollzogen noch Vater
Ogilvie und Vater Duthy ihren Übertritt zur Kirche von Rom.
Wenn ich mir heute die Zahl der Geistlichen vergegenwärtige,
welche mit halfen, meinen Geist zu bilden, so bin ich ver-
wundert darüber, dass ich jetzt nicht auf einer Kirchen-Kanzel
stehe, um den Glauben der Kirche zu verteidigen.
Zusammen mit Vater Lyle hatte mich Rev. William Henley
in seine Obhut genommen. Religion lehrte er mich wenig;
aber ich bin ihm dankbar für die Fortschritte, die ich unter
seiner Leitung in lateinischer Grammatik und im Schachspiel
machte.
Von meinem vierzehnten bis neunzehnten Jahre verweilte
ich im Schatten und unter dem Einfluss der St. Thomas-College-
Kirche unter der Aufsicht des Vorstehers Rev. E. F. Miller und
der Hilfsvorsteher Rev. T. F. Faulkner und Rev. H. Meyrick.
Abgesehen von dem Unterricht in den Gegenständen, die für
die Callcutta- Cambridge -Local- Prüfungen erforderlich sind,
wurden wir während dieser sechs Jahre sorfältig in der intel-
lektuellen Kenntnis des allgemeinen Gebetbuches und verschie-
dener biblischer Bücher des alten und neuen Testamentes
gedrillt, sowie in der Bekanntschaft mit den Kommentaren und
dem griechischen Urtext des Evangeliums. Ich widmete mich
mit Fleiss diesen Studien und machte so grose Fortschritte,
dass ich im ersten Jahre alle Anforderungen in der Prüfung für
die gesamte höhere Schule übertraf und den vielbegehrten
„Bischofs -Preis für Gottesgelehrtheit" erhielt. Im folgenden
Jahre erhielt ich trotz der Mitbewerbung der höchsten oder
College-Klasse abermals den Bischofs-Preis. Während dieser
ganzen sechs Jahre war jeder Zögling nach den für die Zög-
linge des Colleges gültigen Satzungen verpflichtet, die Anstalts-
Kirche jeden Tag am Morgen und am Abend zu besuchen.
No. 7. DER BUDDHIST. 217
Ich hatte bereits drei Jahre vorher, 1884 — ein wichtiges Jahr
in meinem Leben — die Konfirmations- Zeremonie empfangen
oder das Auflegen der Hände des Bischofs von Colombo auf
mein Haupt, und damit war meine Aufnahme als Glied der
englischen Kirche bestätigt. Und an dieser Stelle will ich be- ]
tonen, dass ich die in meinem Kindesalter von meinen „Hirten '
und Lehrern" an mir gewaltsam vollzogene Taufe u. z. voll-
zogen zu einer Zeit, da ich vor dem Gesetz noch unmündig, {
also ein Kind war, in keiner Weise billige. Ich erhebe Anklage !
gegen eine solche Praxis und protestiere dagegen, weil sie !
eine Verletzung des Kindcs-Rechts ist. —
Ich habe bei dem Vorstehenden etwas länger verweilt, um
als Einleitung die zurückliegenden Bedingungen und Umstände
zu schildern, welche mich schliesslich zu dem Standpunkt ge-
führt haben, den ich einnahm, als ich meinen christlichen
Glauben aufgab. Im St. Thomas-College selbst war es, wo
ich den ersten Wink erhielt, wo der erste Zweifel an der
Wahrheit des Christentums — wenn auch nur vorübergehend
— an mich herantrat. Einem Buche, welches ich in der
Bücherei des St. Thomas-Colleges vorfand, habe ich den ersten
Leisen Argwohn zu verdanken, dass das, was die Geistlichen
sagen, und was die Kirche lehrt, denn doch recht fragwürdig
_SeL_ Durch die Lektüre dieses Buches erhielt mein Glaube
an die Schöpfung und an den Schöpfer den ersten Stoss.
Die eigentliche Grundlage der auf den „Glauben" fundierten
Religion wurde äusserst erschüttert durch die wuchtigen Argu-
mente, welche in dem materialistischen Werke, von dem ich
spreche, enthalten waren; gemeint ist Dr. Ludwig Büchners
»Kraft und Stoff«. Das Buch befand sich auf den moderigen,
staubigen Brettern der College-Bücherei und wurde mir von
einem älteren Kommilitonen, Herrn J. R. Molligodda, gegeben,
welcher später als ein angesehener, mild-denkender Rechtsge-
lehrter sich in Kegalle niedergelassen hat. Wir disputierten
lange über die atheistische und deistische Weltan-
schauung. Ich war ein Verfechter des Deismus, aber mein
Gegner war immer mit ruhigen, sachlichen Widerlegungen
und Argumenten bei der Hand. Damals war ich neunzehn
Jahre alt und dem Autoritäten -Zwang abhold, sowie geneigt.
218 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
gegen das zu opponieren, was die Menschen allgemein auf
Treu und Glauben blindlings als Evangelium annehmen. Wenn
ich heute meinen geistigen Standpunkt, den ich zwischen
meinem 19. und 21. Lebensjahre einnahm, analysieren soll, so
muss ich behaupten, dass ich damals noch ein Christ war;
aber ich entfernte mich allmählich, oder soll ich sagen, ich
schritt allmählich vorwärts vom Christentum dem Materialis-
mus zu.
Im Jahre 1884 ging ich nach England und bezog das
St. John's College der Universität Cambridge für vier Jahre.
Während dieser ganzen Zeit nun kam ich hier mit Vertretern
der verschiedensten Schattierungen und Richtungen zusammen:
mit ergebenen, strengen Kirchengläubigen, mit unreifen Theo-
logen, die ihren wilden Hafer aussäten, während sie sich für
den theologischen Dreifuss vorbereiteten, um einst flügge Diener
des Wortes Gottes zu werden; dann begegnete ich auch
Studenten der Theologie, welche gelehrt worden waren, dass
die Bibel nicht ein wörtlich inspiriertes Buch, sondern ein ge-
schichtliches Werk der Israeliten sei: Dies letztere war die
fortschrittliche Richtung der Kirche, welche ihre Front gewech-
selt hatte, um den Angriffen der Agnostiker und Freidenker
begegnen zu können. Ich verkehrte auch mit einer ausgewähl-
ten Schar von Engländern, die überzeugte Agnostiker und
Bewunderer von Huxley und Bradlaugh waren. Der Streit
des ersteren mit Gladstone wogte damals hin und her, und
die Menschen beschäftigten sich im Geiste viel mit dem bibli-
schen Schöpfungsberichte.
Ich hatte vorzugsweise physikalische Geographie und
Geologie gehört; mein Geist war infolgedessen geneigt, die
Nebular-Theorie der Weltbildung anzunehmen und die christ-
liche Theorie der sechstägigen Schöpfung für immer aufzugeben.
Natürlich erklärten die christlichen Kommentatoren und Vertei-
diger der biblischen Erzählung das Wort »Tag« als Zeitperiode;
aber dies haben sie nur notgedrungen und erst in neuerer
Zeit tun müssen, nachdem geologische Gelehrte den unan-
fechtbaren Nachweis geliefert hatten, dass die Welt ihre heutige
Gestalt einer vorhergegangenen natürlichen Entwickelung von
No. 7. DER BUDDHIST. .219
Millionen von Jahren zu verdanken hat. Das Studium der
Erdschichten, der fossilen Überreste, der Meeres-, Vulkan-
und Stromtätigkeit, durch welche die Erde allmählich umgebildet
wurde, bis sie ihre heutige Gestalt erhielt, — dieses Studium,
sage ich, trägt viel dazu bei, den Glauben an die biblische
Genesis zu modifizieren, wenn nicht gänzlich zu beseitigen.
Zugleich mit der Überzeugung, dass nicht, wie die Bibel be-
richtet, ein Gott die Welt erschaffen habe, gab ich allmählich
die liebsten und am meisten gehegten Ansichten meiner Kind-
heit auf. Das bedeutete für mich eine sehr ernste Sache. Nur
wer in seinem Gemüte die Qualen des Kampfes erfahren hat,
welche der Mensch allein in der Stille ertragen muss, wenn er
gezwungen ist, die teuersten, während vieler Jahre im Busen
gehegten Anschauungen einer ernsten Überzeugung zu opfern,
— nur der kennt die Pein, wenn die Notwendigkeit eintritt,
diese Anschauungen aus Herz und Geist herauszureissen.
Schritt für Schritt wurde mein mir einst so teurer Glaube er-
schüttert. Ich begann in mir selbst folgendermassen zu argu-
mentieren: Wenn die Welt von einem gnädigen, unendlichen,
mit zartem Erbarmen begabten Wesen geschaffen wurde, —
warum schuf dann dieses Wesen die Hölle und den Teufel?
Gott schafft alle Dinge. Warum schuf ein guter Gott Böses?
Warum schuf er Leid und Unglück? In allen fünf Erdteilen
sind die Hospitäler angefüllt mit Krankheiten und ansteckenden
Seuchen. Die Christen sagen, dies sei eine Strafe für sie.
Nonsens! Warum müssen blinde, taube und irrsinnige Kinder
geboren werden, warum müssen Missgeburten mit fehlenden
Gliedmassen das Leben erblicken? Warum werden Tausende
durch Erdbeben, Pest und Hungersnot von einem gerechten
Gott gestraft? Wenn Gott alimächtig und allbarmherzig wäre,
dann hätte er leicht eine Welt ohne Teufel, ohne Hölle, ohne
Leid schaffen können. Aber ich vermute, einige unwissende
Menschen werden sagen, dass der Teufel zu dem speziellen
Zweck gemacht wurde, um die Mohammedaner, Hindus,
Agnostiker und Buddhisten zu verführen, und dass die HöUe
dazu vorhanden sei, damit jene hineingeworfen werden. Zu
meinem Bedauern muss ich konstatieren, dass manche Christen
bigott genug sind, ein solches Urteil zu fällen. Sie stützen
220 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sich auf die Stelle im neuen Testament, welctie alle Ungläubigen
und Häretiker zu ewiger Verdammnis in der Hölle verurteilt.
(Fortsetzung folgt).
Aller Seelen.
Zwei Lieder aus den Therigäthä.')
I.
Eine Nonne:
, Meine Jtvä!' also jammerst du im Walde —
Kehre in dich selbst zurück, o Ubbiri I
Vierundachtzigtausend, welche alle Jivä hiessen,
Hat man auf dem Friedhofe verbrannt;
Welche ist's, die du beweinst?
Ubbiri:
Herausgezogen, wahrlich, hast du mir den Pfeil,
.- Den unsichtbaren, der mein Herz durchbohrte.
Da du mir, der von wildem Gram Verzehrten,
Den Schmerz um meine Tochter mild entferntest.
Entrissen ist auf immer mir der Pfeil,
Frei bin ich nun von Fürchten und von Hoffen.
Buddha und seine Lehre und Gemeinde
Sind meine Zuflucht fernerhin.
II.
Patacärä:
Kennst du den Weg des Kommenden,
kennst du den Weg des Gehenden?
Der Sohn, der aus der Nacht dir kam,
was klagst um ihn du: ,Ach mein Sohn!?'
Du kennest ja den steten Weg
des Kommenden, des Gehenden,
Klag' nicht und weine nicht um ihn,
denn sieh': dies ist des Lebens Los.
Er kam — nidht weil dein Wunsch es war,
er ging — nicht fragte er um dich.
Wohin enteilte er wohl jetzt
nach seinem flücht'gen Aufenthalt?
Von hier in eine andre Welt,
von dort wieder zu dieser Welt
Eilt, Menschenformen wechselnd, der
Verstorbene von Sein zu Sein;
Woher er kam kehrt er zurück:
was ist da zum Bejammern Grund? —
Die Trauernde:
Den Pfeil hast du entrissen mir,
der ach! mein krankes Herz durchstach.
') Aus Dr. Neumanns »Buddhistische Anthologie« S. 217 f.
No. 7. DER BUDDHIST. 221
Mir, die in heisseni Weh verging,
nahmst du den Schmerz um meinen Sohn.
Für immer ist entrissen mir '■
der Pfeil, ich bin vollendet nun. . .. , , ■■
Buddha und seine Lehre und Gemeinde
Sind meine Zuflucht fernerhin.
Die Tröstungen der Religion.
Eine buddhistische Erzählung.
Ein junges Weib, Kisägotami mit Namen, gebar einen
Sohn; aber der schöne Knabe starb im zarten Alter. Die ver-
zweifelte Mutter trug das tote Kind an ihren Busen gedrückt
zu ihren mitleidigen Freunden von Haus zu Haus und bat sie
um eine Arzenei. Die Leute aber sprachen: „Sie hat den Ver-
stand verloren; das Kind ist tot."
Ein Bhikkhu, dem Kisägotami ihre Bitte vortrug, dachte
bei sich: „Sie hat keine Einsicht", und sprach zu ihr: „Meine
Tochter, ein Heilmittel, wie du es wünschest, habe ich zwar
nicht, aber ich kenne einen Arzt, der dir helfen kann."
Die junge Frau sprach: „Bitte, Ehrwürdiger, sage mir,
wer es ist."
„Der Buddha kann dir das Heilmittel geben, gehe hin zu
ihm," lautete die Antwort.
Kisägotami begab sich zu dem Fiuddha, verneigte sich
vor ihm und sprach zu ihm: „Herr und Meister, kennst Du
ein Heilmittel, das für mein Kind gut sein würde?" „Ja, ich
kenne eins", sprach der Meister.
Nun war es Sitte, dass die Kranken oder deren Freunde
die Kräuter herbeischafften, deren die Ärzte bedurften, und so
fragte die Frau, weiche Kräuter er brauche.
Der Buddha sprach: „Ich brauche ein paar Senfkörner,"
und als sie in ihrer Freude versprach, etwas von diesem ganz
gewöhnlichen Heilmittel zu bringen, fügte der Meister hinzu:
„Du musst sie dir in einem Hause geben lassen, in welchem
weder Sohn, noch Tochter, noch Gatte, noch Vater, noch Mutter,
noch Diener gestorben ist." — „Sehr wohl", antwortete sie
und ging fort, um die Senfkörner zu erbitten, während sie ihr
222 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
totes Kind bei sich trug. Sie ging nun von Haus zu Haus,
und die Leute hatten Mitleid mit ihr und sagten: „Hier sind
Senfkörner, nimm sie;" aber wenn sie fragte: „Ist in eurem
Hause vielleicht ein Sohn oder eine Tochter, oder Gatte, Vater,
Mutter, Diener gestorben?", dann antwortete man ihr: „Frau,
was redest du da? Siehe, der Lebenden sind so wenige und
der Toten so viele." Sie begab sich alsdann in andere Häuser,
aber hier hiess es: „Ich habe einen Sohn verloren", dort: „Wir
haben unsere Eltern verloren", an einer anderen Stelle: „Ich
habe meinen Diener verloren".
Zuletzt, als es ihr nicht möglich war, auch nur ein ein-
ziges Haus zu finden, wo niemand gestorben war, wurde sie
matt und hoffnungslos; sie setzte sich nieder an der Seite des
Weges und beobachtete die Lichter der Stadt, wie sie auf-
flackerten und wieder erloschen; zuletzt herrschte Dunkelheit
liberall. Da lernte Kisägotami das Schicksal der Menschen
verstehen und dachte: „Wie selbstsüchtig bin ich in meinem
Schmerz! Der Tod ist allen gemein. In diesem Tal des Elends
gibt es einen Pfad, auf dem der wandelt, welcher um der
Todlosigkeit willen alle Selbstsucht aufgegeben hat."
Es begann in ihrem Geiste hell zu werden, und
indem sie sich zur Entschlossenheit aufraffte und die
selbstsüchtige Liebe zu ihrem Kinde überwand, Hess
sie den toten Körper in einem Walde beerdigen, kehrte wieder
zu dem Buddha zurück und beugte sich vor ihm nieder.
Er sprach zu ihr: „Hast du die Senfkörner?" „Herr", er-
widerte sie, „ich habe sie nicht; die Leute sagen mir, dass der
Lebenden so wenige und der Toten so viele sind."
Darauf redete der Meister zu ihr über jenen wesentlichen
Teil seiner Lehre, über die Vergänglichkeit, und sprach:
„Das Leben der Sterblichen in dieser Welt ist voll Küm-
mernis, flüchtig und leidvoll. Was geboren ist, muss sterben,
und es gibt kein Mittel, dem Schicksal zu entrinnen. Das Alter
naht und dann der Tod. Das ist das Los der lebenden. Wesen.
„Wie die reifen Früchte leicht abfallen, so sind dieSterblichen,
sobald sie geboren werden, der Gefahr ausgesetzt, zu sterben.
„Das Leben der Sterblichen gleicht den irdenen Gefässen,
die der Töpfer macht. Ihr Ende ist, dass sie zerbrechen.
No. 7. DER BUDDHIST. 223
„Jung und Alt, Toren und Weise fallen dem Grabe anheim;
sie alle sind dem Tode unterworfen.
„Der Vater kann den Sohn nicht retten, und der Freund
nicht seinen Gefährten, noch die Familienglieder ihre Ange-
hörigen.
„Während die Verwandten das Sterbelager umstehen und
wehklagen, wird einer nach dem andern dahingerafft, wie
Rinder, die zur Schlachtbank geführt werden.
„So ist die Welt mit Tod und Auflösung behaftet; aber
die Weisen, welche die Bedingungen des Daseins kennen,
grämen sich nicht.
„Ganz anders, als man es sich vorgestellt hat, sind oft
die Ereignisse des Lebens, wenn sie wirklich eintreten. Aber
das ist der Lauf der Welt.
„Weder durch Weinen, noch durch Grämen wird jemand
den Frieden des Gemütes erlangen; im Gegenteil, sein Leid *•
wird dadurch noch vermehrt. Er wird sich krank und bleich i
machen, aber die Toten werden durch seine Klagen nicht gerettet. ^
„Die Menschen gehen dahin, und ihr Schicksal nach dem
Tode ist ihrem Wirken gemäss.
„Ja, wenn ein Mensch auch hundert Jahre alt wird oder
älter noch, so wird er doch endlich von den Seinigen getrennt
werden und aus dieser Welt abscheiden.
„Wer Frieden sucht, sollte den Pfeil des Jammers, der
Klage und des Grams herausziehen.
„Wer den Pfeil herausgezogen hat und still geworden ist,
wird Seelenfrieden erlangen; wer allen Gram überwunden hat,
wird frei werden vom Leiden und glückselig sein.
„Wie ein grosse-r mächtiger Wind, der dahinfährt über
die Erde in der Hitze des Tages, so kommt der Vollendete
und weht durch die Gemüter der Menschen mit dem Hauch des
Erbarmens so kühl, so süss, so sanft, so milde; und die Fieber-
kranken erholen sich von ihren Qualen und erquicken sich an
dem erfrischenden Hauch.
„Wahrlich ich sage dir: Der Vollendete ist nicht ge-
kommen, den Tod zu lehren, sondern Todlosigkeit; lerne den
Unterschied zwischen Tod und wahrem Leben. Dieser Körper
wird sich in seine Bestandteile auflösen; deshalb trachte nach
E4 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
jenem Leben, welches vom Geiste ist. Wo das Selbst ist,
kann die Wahriieit niciit sein, aber wenn die Wahrheit sich
enthüllt, verschwindet der Selbst-Wahn.
„Darum lass' dein Gemüt in der Wahrheit ruhen; suche
die Wahrheit zu erreichen, versenke deine ganze Seele in die
Wahrheit und wachse in ihr. In der Wahrheit wirst du ewig
sein; Selbst ist der Tod, Wahrheit ist Leben> Das Haften am
Selbst ist ein beständiges Sterben, während das Ergreifen der
Wahrheit die Erreichung Nibbänas bedeutet. Nibbäna aber ist
die unvergleichliche Sicherheit, die Todlosigkeit, das ewige
Leben." —
Da wurden Kisägotamis Zweifel zerstreut, und indem
sie ihr Los auf sich nahm, ward sie eine Schülerin des Er-
habenen und betrat die erste Stufe des Pfades.
^^ Abendstimmung. !^!^
Von Dr. Wolfgang Bohn.
Wenn sich am Himmel dunkle Farben regen,
Die Abendsonne sinkt in mildem Glühen,
Die Blumenkronen an den Wicscnwegen
Vergessen schlummernd all' ihr duftig Blühen,
Ihr Auge einzig öffnen Nachtviolen,
Die letzten Schwalben um den Kirchturm schwirren,
Vergess' ich, träumend, Lampenlicht zu holen
Und lass' die seufzenden Gedanken irren.
Da sich die Schatten um das Herz mir legen,
Der erste Schnee um meine Locken flimmert —
Da fühl' ich Buddha, Deiner Lehre Segen,
Die alles löset, was mich sorgt und kümmert.
An Deiner Hand schau' ich in jene Tiefen,
Aus denen mahnen Schuld und Schmerz und Siiline,
Ich seh' die tausend Machte, die mich riefen
Auf dieses Lebens bunte Trauerbühne, —
Und immer wieder werden sie mich rufen,
Und immer wieder muss das Herz verbluten.
Bis ich an Deines reinen Altars Stufen
Ganz ausgelöscht der Sehnsucht letzte Gluten.
Verantwortlicher Redakteur: Karl K. Seidenstocker, Leipzigr. Verlag: Buddhistischer Verlag
iU Leipzig. — Druck von Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Heri läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhammapada, V. 183.
^^ Gemüts-Läuterung. 1^!^
Von Karl B. Seidenstücker.
Das Wirken des Menschen äussert sich in dreifacher Weise:
in Handlungen, in Worten und in Gedanken (im weitesten
Umfange). Tun und reden ist äusseres Wirken, denken ist
inneres Wirken. Unter Moralität versteht man rechtes
äusseres Wirken in der Weise, dass durch die Worte und
Handlungen keinem Wesen Leid zugefügt wird. Der Buddhis-
mus begnügt sich nicht mit einfacher Moralität, d. h. mit der
Forderung, die äusseren Handlungen und Worte zu glätten.
Der Buddhismus geht in die Tiefe. Es nützt dir nichts, nur
in deinem äusseren Benehmen Rechtschaffenheit zur Schau zu
tragen, während dein Inneres voll Unrat ist. Aus der Gesin-
nung, aus dem Herzen, aus dem Denken entspringen deine
Worte und Taten, — das ist die eigentliche Lösung des ethi-
schen Problems; bring' dein Inneres in Ordnung, dann werden
deine Tat- und Wort-Äusserungen von selbst die richtigen sein.
Wir lesen im Dhammapada:^)
Vom Herzen gehn die Dinge aus,
Sind herzgeboren, herzgefügt:
Wer bösgewillten Herzens spricht.
Wer bösgewillten Herzens wirkt,
Dem folgt notwendig Leiden nach,
Gleichwie das Rad dem Hufe folgt.
•) Nach Dr. Neumanns Übersetzung.
15
226 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Vom Herzen gehn die Dinge aus,
Sind herzgeboren, herzgefügt:
Wer wohlgewillten Herzens spricht,
Wer wohlgewillten Herzens wirkt.
Dem folgt notwendig Freude nach,
Dem untrennbaren Schatten gleich.
Allen Taten und Worten geht irgend eine innere Regung
voran, sei es eine Vorstellung, ein Gedanke, ein Wunsch. Ein
Mord, ein Diebstahl, eine Lüge, die Verführung einer Frau ist
nur die Folge eines seelischen Vorganges (oder mehrerer Vor-
gänge), die sich im Gemüt des Menschen abspielen. Das
Herz behüte, es wirkt dein Geschick!
Erst die neuere Zeit hat wieder mit Nachdruck auf die
Bedeutung hingewiesen, welche die Zustände der Psyche für das
äussere Gebahren des Menschen haben. Wer sein Inneres
beständig mit grausamen, gierigen, lüsternen Gedanken, Vor-
stellungen und Wünschen anfüllt, muss schliesslich auch äusser-
lich notwendig dem Zustande seines Innern entsprechend reden
und handeln. Ebenso umgekehrt. Qäkyamuni war erst dann
ein Buddha, als er „der Dornen Ausrottungsweise" vollständig
erkannt und durchgeführt hatte. Es kommt also darauf an,
das Gemüt von allen Schlacken „rein zu glühen". Diese Ge-
mütsläuterung hat vier Aspekte: 1. Vorhandene schlechte Zu-
stände des Gemütes beseitigen, 2. keine schlechten Zustände
aufkommen lassen, 3. vorhandene gute Zustände vermehren,
4. noch nicht vorhandene gute Zustände hervorbringen.
Was aber sind üble Zustände des Herzens? Alle jene
seelischen Regungen in Gedanken, Vorstellungen und Wünschen,
welche in letzter Linie die Befriedigung des eigenen Selbstes
auf Kosten anderer Wesen bezwecken; die Wurzel aller dieser
schlechten inneren Zustände ist also der Selbst-Gedanke
nebst der aus demselben entspringenden Selbstsucht.
Dementsprechend ist die Gemütsläuterung eine doppelte,
indem sie 1. die schlechten Gemütszustände einzeln bekämpft,
und indem sie 2. deren Ursache: Selbstwahn und Selbstsucht
auszurotten sucht, und das Mittel zu diesem Zweck ist die
Meditation. Achte sorgfältig darauf, welche schlechten Zu-
stände noch dein Inneres beflecken; bist du zum Zorn geneigt,
No. 8. DER BUDDHIST. 227
SO fülle dein Inneres immer und immer wieder, täglich, stünd-
lich mit dem Gedanken: „Ich will nicht zornig sein; liebevoll
will ich sein in allen Lagen des Lebens." Analog ist das
Verfahren gegenüber allen anderen Schwächen und Fehlern.
Nur so wirst du Schritt für Schritt dem Ziele näher kommen;
mache den Versuch, und du wirst den Segen deiner ernsten
Anstrengung bald erfahren. Gehe daran, den Selbst-Wahn zu
vernichten; vergegenwärtige dir ununterbrochen, dass alle
Wesen genau so wie du das Leid und den Schmerz fliehen
und sich nach Glück sehnen; dass alle Geschöpfe genau so
wie du ein unveräusserliches Recht auf ihr Leben haben; denke
daran, dass dieses Leben leidvoll, und dass es ein Verbre-
chen ist, absichtlich irgend einem Wesen Qual, Schmerz oder
Kummer zu bereiten, vielmehr —
„Da wir die Welt bedrückt von Plagen
In Menge sehen, sollte in uns wachsen
Das Mitleid und wir unermüdlich Hilfe
Dem stets erneuten Schmerz entgegenstellen."
Nimm zu und wachse an Güte, Erbarmen und Wohlwollen
gegenüber allen Wesen in gleicher Weise. Nur durch sorg-
fältige, stete, peinliche Beobachtung deiner inneren Vorgänge,
durch Abweisung schlechter, selbstsüchtiger Regungen, durch
Hervorbringung selbstloser, gütiger Gesinnung kann das erreicht
werden. Kontrolliere dein Inneres!
Dazu ist es aber notwendig, dass du lernst, bewusst
innerlich zu wirken. Kannst du dir Rechenschaft geben über
alle seelischen Vorgänge, die sich gestern, die sich erst vor
einer Stunde, ja, die sich eben noch in deinem Gemüt abspiel-
ten?! Versuch' es, in jedem Augenblick vollbewusst zu
werden und sofort jede böse Regung abzuweisen. Dass der
Mensch noch nicht bewusst denkt, kann er am besten aus
folgendem Versuch ersehen. Man versuche es einmal, für fünf
Minuten nur an einen Gegenstand zu denken; bald wird man
merken, dass andere, nicht gewollte Gedanken sich einschlei-
chen. Der Mensch muss danach trachten, seine Gedanken
konzentrieren zu können; erst dann wird er Herr seines Ge-
mütes, voll bewusst, und kann mit Erfolg alle üblen Zustände
seines Herzens beseitigen.
15»
228 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Dieses innere stetige »Gedenken« ist das »Erwachen« oder
die »Erleuchtung« im Sinne des Buddhismus. Schritt für
Schritt vorwärts schreitend, möge der Jünger erwachen zu dem
Morgenglanz des inneren Friedens, da die Wolken der Begierde,
des Hasses und Selbstwahnes zerstreut sind. Wer dieses Er-
wachen verwirklicht, der realisiert damit zugleich die Religion
der Buddhas, deren Wesen darin besteht, alle Sünden zu
meiden, die Tugend zu üben, das eigene Gemüt zu läutern.
Durch Kampf zum Sieg!
Die Lehre des Buddha
oder: Die vier heiligen Wahrheiten.
Nach Aussprüchen des Päli-Kanons zusammengestellt.
Von Bhikkhu Nyänatiloka (Ceylon).
(2. Fortsetzung.)
Drittes Kapitel.
Die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung.
Was ist nun, ihr Brüder, die heilige Wahrheit von der
Leidensvernichtung? Es ist eben dieses Begehrens (tanhä)
vollkommen restlose Vernichtung, Abstossung, Austreibung,
Verneinung. Das nennt man, ihr Brüder, die heilige Wahrheit
von der Leidensvernichtung. (Majjhima-Nikäya 141).
Und wenn, ihr Brüder, der Sonderheit Wahrnehmungen,
wodurch auch immer bedingt, an den Menschen der Reihe
nach herantreten und da kein Entzücken, kein Entsprechen,
keinen Halt finden, so ist das eben das Ende der Lustanhaf-
tungen, so ist das eben das Ende der Ekelanhaftungen, so ist
das eben das Ende der Glaubensanhaftungen, so ist das eben
das Ende der Zweifelanhaftungen, so ist das eben das Ende
der Dünkelanhaftungen, so ist das eben das Ende der Anhaf-
tungen der Daseinslust, so ist das eben das Ende der Anhaf-
tungen des Nichtwissens, so ist das eben das Ende von Wüten
und Blutvergiessen, von Krieg und Zwietracht, Zank und Streit,
Lug und Trug: da werden diese bösen, schlechten Dinge rest-
los aufgelöst. (Majjhima-Nikäya 18).
No. 8. DER BUDDHIST. 229
Denn, ihr Brüder, entflammt von Begierde (lobha), erbost
durch Hass (dosa), betört durch Wahn (moha), überwältigt,
besessenen Gemütes, sinnt man auf eigenen Schaden, sinnt
man auf fremden Schaden, sinnt man auf beiderseitigen Schaden,
empfindet man geistige Leiden und Qualen. Ist aber die Be-
gierde, ist aber der Hass, ist aber der Wahn aufgehoben, so
sinnt man weder auf eigenen Schaden, noch auf fremden
Schaden, noch auf beiderseitigen Schaden, empfindet man keine
geistigen Leiden und Qualen: also, ihr Brüder, ist das Nibbäna
sichtbar, nicht erst zukünftig, einladend, anziehend, für j^den
verständlich, erkennbar. (Anguttara-Nikäya).
Und wer die Vernichtung des Begehrens (tanhä), das
Ende der Verblendungen erreicht hat, der fürwahr durchschaut
der Gefühle Ursache; geklärt ist sein Geist. Und für einen
Jünger, der solcherart erlöst ist, und in dessen Herz der Friede
wohnt, gibt es kein Grübeln mehr über das, was abgetan ist,
und zu erfüllen bleibt ihm nichts mehr übrig. Gerade wie ein
Felsen ganz aus einer Masse nicht durch den Wind erschüttert
wird, ebenso können weder Formen, können weder Töne,
weder Düfte, Säfte noch Tastungen in ihrer ganzen Gesamt-
heit, können weder Erwünschtes noch Unerwünschtes einen
solchen zum Wanken bringen. Standhaft ist sein Gemüt,
verwirklicht ist die Erlösung. —
Viertes Kapitel.
Die heilige Wahrheit von dem zur Leidens-
vernichtung führenden Pfade.
[Die beiden Extreme und der Mittelweg:] Keinem
Begierdenwohle sich hingeben, dem gewöhnlichen, gemeinen,
alltäglichen, unheiligen, unheilsamen, und auch keiner Selbst-
kasteiung sich hingeben, der leidigen, unheiligen, unheil-
samen: eben diese beiden Extreme hat der Vollendete bei-
seite gelassen und den mittleren Pfad aufgefunden, auf dessen
Fährte man sehend und wissend wird, der zur Ebbung, Durch-
schauung, Erwachung, Erlöschung (nibbäna) führt. Es ist dies
der heilige achtfache Pfad, der zur Leidensvernichtung
führende Weg, nämlich:
2ao DER BUDDHIST. I. Jahrg.
|1. Sammäditthi, rechte Erkenntnis.
I. Panfiä, Erkennen . |2. Sammäsankappa, rechter Vorsatz.
13. Sammävaca, rechtes Wort.
4. Sammäkammanta, rechte Tat.
5. SammäjTva, rechter Beruf.
(6. Sammävayäma, rechter Kampf.
III. Samädhi, Vertiefung] 7. Sammäsati, rechte Einsicht.
(8. Sammäsamädhi, rechte Vertiefung.
Das ist also, ihr Brüder, der mittlere Pfad, den der Voll-
endete aufgefunden hat, auf dessen Fährte man sehend und
wissend wird, der zur Ebbung, Durchschauung, Erwachung,
Erlöschung (nibbäna) führt, ein Ding ohne Leid, ohne Qual,
ohne Jammer, ohne Schmerz, ein rechtes Vorwärtsschreiten.
(Majjhima-Nikäya 139).
Wenn diesem Wege ihr folget, ein Ende des Leidens
werdet ihr finden. Von mir ward er gewiesen, als ich der
Dornen Ausrottungsweise erkannt hatte. Selbst müsst ihr
euch anstrengen; die Tathägatas haben nur den Beruf zu
predigen. (Dhammapada, 275, 276).
Leihet Gehör, ihr Brüder, die Unsterblichkeit ist gefunden.
Ich führe ein, ich lege die Lehre dar. Der Führung folgend
werdet ihr in gar kurzer Zeit jenes Ziel, um dessen willen edle
Söhne gänzlich vom Hause fort in die Heimatlosigkeit ziehen,
die höchste Vollendung der Heiligkeit noch in dieser Erschei-
nung euch offenbar machen, verwirklichen und erringen.
(Majjhima-Nikäya 26). —
(Fortsetzung folgt.)
Goethe ein Buddhist.
Von Dr. Paul Carus.
(1. Fortsetzung).
Die Idee, dass ich ein Individuum im eigentlichen Sinne
des Wortes sei, d. h. ein unteilbares Seelenwesen, eine
echte Einheit, (und nicht eine Vereinigung), eine Art spiritueller
Monade, — diese Idee scheint auf den ersten Blick der Eitel-
keit des Menschen zu schmeicheln; denn sie macht den letzteren
No. 8. DER BUDDHIST. 23l
unabhängig von seiner Vergangenheit, die ihn schuf, und igno-
riert die Schulden, die er seinen geistigen und leiblichen Vor-
fahren schuldig ist, indem sie dem Menschen den Anschein
von Originalität gibt. Mit gutem Humor charakterisiert Goethe
dieses Verlangen unserer natürlichen Eitelkeit in folgenden
Versen :
„Gern war" ich Überlief'rung los
Und ganz original;
Doch ist das Unternehmen gross
Und führt in manche Qual.
Als Autochthone rechnet' ich
Es mir zur höchsten Ehre,
Wenn ich nicht gar zu w^underlich
Selbst Überlief'rung wäre."
Die beiden letzten Zeilen drücken in einfacher Sprache
sowohl die alte buddhistische Karman- Lehre, als auch das
Wesen der modernen Psychologie aus. Wir haben nicht
unsere Gedanken, Gewohnheiten und Strebungen, sondern wir
sind sie. Das, was vor uns existierte, und von Generation
auf Generation sich vererbte oder überging, ist unsere eigene
Präexistenz. Wir empfangen nicht die Überlieferung der
Vergangenheit, sondern wir selbst sind diese Überlieferung,
wie sie von dem Karman der Vergangenheit geschaffen wurde.
Diese Anschauung über die Seele scheint zu einer Zer-
Spaltung unserer Existenz in verschiedene Persönlichkeiten zu
führen, welche die psychischen Saaten unseres Karmans ein-
ernten. Aber diese Spaltung ist nicht ein Aufgehen in ein
verschwommenes, unbestimmtes Halb-Dasein, sondern vielmehr
eine Vervielfältigung und Verdoppelung unserer Seele in der
Weise etwa, wie eine Platte reproduziert wird, oder wie ein
in vielen Exemplaren gedrucktes Buch die Saatkörner der Ge-
danken des Verfassers in ihrer Gesamtheit ausstreut in die
Herzen ungezählter Leser. Da ist wohl eine Spaltung oder
Vervielfältigung, aber keine Zerteilung; da ist wohl ein
Ausstreuen unserer geistigen Schätze, aber dennoch bleibt die
Seele überall ganz und unzerteilt sowohl hinsichtlich ihrer
i
/
232 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
inneren Empfindungen, als aucli iiirer äusseren Formen. Goetlie
singt:
„Teilen kann ich nicht das Leben,
Nicht das Innen noch das Aussen,
Allen muss das Ganze geben.
Um mit euch und mir zu hausen.
Immer hab' ich nur geschrieben
Wie ich flHile, wie ich's meine,
Und so spalt' ich mich, ihr Lieben,
Und bin immerfort der Eine."
Diese Auffassung von unserem eigenen Wesen ist prak-
tisch von Bedeutung insofern, als sie uns lehrt, mit Ehrfurcht
der Vergangenheit zu gedenken und mit Ernst die Zukunft
ins Auge zu fassen. Unser Dasein ist nicht eingeschlossen
in der kurzen Spanne unserer gegenwärtigen Lebenszeit; es ist
nicht begrenzt durch Geburt und Tod; es begann mit dem
Auftreten von organisiertem Leben auf unserem Planeten, —
nein, es ist vielmehr älter als diese Anfänge des Lebens; denn
es lag verborgen in den Bedingungen des organisierten Lebens,
ganz gleichgültig, welcher Art dieselben gewesen sind; und
wir werden weiter leben, solange das Menschengeschlecht auf
Erden blühen wird, — nein, länger noch werden wir leben;
denn wo immer dieselben Seelen-Strukturen in die Erscheinung
treten, da wird unsere Seele sich wieder gestalten und von
/ neuem zum Leben erwachen. Mit einem Worte: Unsere Seele
ist unbegrenzt sowohl in der Vergangenheit, als in der Zukunft.
Goethe glaubt an die Unsterblichkeit; er sagt:
„,Du hast Unsterblichkeit im Sinn;
Kannst du uns deine Gründe nennen?'
Gar wohll Der Hauptgrund liegt darin,
Dass wir sie nicht entbehren können."
Goethe meint aber nicht, dass Unsterblichkeit den Glauben
an einen utopistischen Himmel bedeute; vielmehr weist er wie
der Buddha mit Nachdruck darauf hin, dass, wenn ein solcher
Himmel wirklich existierte, wie ihn viele Christen sich vor-
stellen, dies keine Stätte der Befreiung, sondern nur eine
Umgestaltung oder Verklärung dieser irdischen Trivialitäten
sein könne. So zieht es Goethe vor, unter die Sadduzäer
No. 8. DER BUDDHIST. 253
gerechnet zu werden, welche nach dem Zeugnis der Bibel
dafür hielten, dass es keine Auferstehung von den Toten gebe.
So sagt unser Dichter:
„Ein Sadduzäer will ich bleiljen! —
Das könnte mich zur Verzweiflung treiben,
Dass von dem Volk, das hier mich bedrängt,
Auch würde die Ewigkeit eingeengt:
Das war' doch nur der alte Patsch,
Droben gäb's nur verklärten Klatsch."
Unsterblichkeit ist nicht eine innere Beschaffenheit unserer
Seele, sondern sie kann nur das Ergebnis unserer Anstren-
gungen sein. Wir besitzen nicht Unsterblichkeit, sondern
wir müssen sie erst gewinnen. Wie Christus sagt, „wir sollen
uns Schätze sammeln, die weder Motten, noch der Rost fressen,
und wo die Diebe nicht nachgraben noch stehlen." Wir sind
Überlieferung und leben als Überlieferung fort. Unsere
eigene Verewigung ist der Zweck unseres Lebens; Goethe singt:
„Nichts vom Vergänglichen,
Wie's auch geschah!
Uns zu verewigen
Sind wir ja da."
Die Methode der alten Ägypter, die Körper der Verstor-
benen durch Einbalsamierung und Mumifizierung zu verewigen
und Pyramiden darüber zu errichten, ist töricht; lasst lieber
die Traditionen, aus denen wir bestehen und die wir anderen
mitteilen, von der rechten Art sein! Die grössten Schätze, die
wir anderen geben können, sind wir selbst, unsere Seelen, die
Wahrheiten, die wir entdeckt haben, unsere Hoffnungen, unser
Lieben, unsere Ideale. So sagt der grosse Dichter:
„Und wo die Freunde faulen.
Das ist ganz einerlei, ,
Ob unter Marmor-Saulen, \
Oder im Rasen frei.
Der Lebende bedenke.
Wenn auch der Tag ihm mault,
Dass er den Freunden schenke,
Was nie und nimmer fault."
234 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Die Goethesche Erlösungs-Idee, wie sie im »Faust« zum
Ausdruck gelangt, bedeutet Selbst-Erlösung durch unsere
eigenen Taten. Es heisst:
„Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluss:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muss.
Zum Augenblicke dürft' ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdentagen
Nicht in Äonen untergehn. — "
Das Leben besitzt keinen inneren Wert: der Wert eines
Menschen hängt gänzlich von ihm selbst ab. Goethe spricht:
„Willst du dich deines Wertes freuen.
So musst der Welt du Wert verleihen."
(Schluss folgt.)
^^ Saat und Ernte. U^tJ^
Von Elsbeth Ebertin.
Nur das, was ihr im Geist gesät,
Wird gute Früchte tragen,
Wenn eure Asche längst verweht,
Noch tiefe Wurzeln schlagen.;
Und könnt ihr selbst auch nimmermehr
Die Lotusblüten pflücken,
Wird sich in ew'ger Wiederkehr
Die Nachwelt danach bücken. —
^^ Der Messias. !^!^
Von A. Malvert.*)
Der vedische Mythos, der sich wie ein roter Faden durch die Reli-
gionen der arischen Welt zieht, beseelt fast alle Symbole, Riten und
Formeln, die das sinnlich-wahrnehmbare Element dieser Religionen bilden.
•) Aus: »Wissenschaft und Religion«, von A. Malvert. Neuer Frank-
furter Verlag. S. 46 ff.
No. 8. DER BUDDHIST. 235
Die Lehre von dem Messias, dem Sohn Gottes, der da kommt die
Welt zu erretten, hat ihren Ursprung in den vedischen Hymnen, von wo
aus sie in die alexandrinischen und palästinesischen Apokryphen und zu
den jüdischen Sekten eindringt, die sich seit der babylonischen Gefangen-
schaft unter arischem Einfluss gebildet hatten. Der Buddhismus, der
bereits durch seine Missionäre in die griechisch-römische Welt') einge-
drungen war, trug viel dazu bei, den Stiftern des Christentums die Ele-
mente zu ihrer Lehre zu liefern.
Die Existenz einer Persönlichkeit, der man den Namen Jesus Christus
gegeben, ist zweifelhaft geblieben.-) Kein zeitgenössisches Dokument
erwähnt ihn. ') Der Geschichtsschreiber Josephus erwähnt ihn zum ersten
Mal ganz beiläufig an einer Stelle, die man alle Ursache hat als eine der
•) Zwischen Indien und dem Abendlande fand ein grosser Gedanken-
austausch über Alexandrien statt und vielleicht auch über den persischen
Meerbusen und durch die zentralasiatischen Karawanen. Buddha hinter-
Hess bei seinem Tode seinen Jüngern den Auftrag, seine Lehre in den
„zehn Weltteilen" zu verkünden. Fast fünf Jahrhunderte vor unserer Zeit-
rechnung hatten buddhistische Missionare in Persien und Baktrien Klöster
gegründet, von denen sich der Buddhismus nach Westen ausbreitete.
Zwei Jahrhunderte später erwähnte der grosse buddhistische König Asoka
die griechischen Könige Antiochus, Ptolemäus und Antigones als solche,
in deren Ländern sich Anhänger Buddhas befanden. Zu derselben Zeit
waren buddhistische Missionäre auf den Karawanenstrassen nach Syrien,
Macedonien, Ägypten, ja selbst nach Cyrenaica gekommen. Unter dem
Kaiser Augustus sah man einen dieser Missionäre, Zarmano Chegas, der
später in Athen ein trauriges Ende nahm.
Nach der Entdeckung des Südwestmonsums, zu Anfang unserer
Zeitrechnung, wurde der Seeweg vorgezogen, wodurch der Verkehr mit
Indien zunahm. Es war jedoch zu spät, da die Plagiatoren des Buddhis-
mus sich bereits eingenistet hatten. Der Buddhismus hätte die Welt er-
obert, wären nicht die den Indern feindseligen Parther ein Hemmnis
gewesen.
Die orientalische Theologie war den Kirchenvätern bekannt. Gegen
Ende des zweiten Jahrhunderts erwähnt Theophilus Häresien, die von
gewissen brahmanischen Lehrern ausgingen. Im dritten Jahrhundert
spricht Tertullian von Buddhisten und indischen Asketen. Clemens von
Alexandrien erwähnt, dass die buddhistischen Nonnen und Mönche die
Reliquien ihres Herrn verehrten.
") Es scheint, dass Christus in den verschiedenen Abschnitten seines
Lebens keine Handlung vollführt hätte, die nicht schon früher die Mytho-
logie irgend einem ihrer Götter zugesprochen hätte. Wie Adonis und
Mithra wird er in einer Höhle geboren. Seine Mutter ist eine vom Geist
(Hauch) befruchtete Jungfrau, wie auch der Apis-Stier von einer durch
den Hauch befruchteten Ferse geboren wurde; wie ferner Mithra und
Bacchus, der Sohn der Semele, geboren wurden. Seine Mutter heisst
Maria, Mä bei den Ägyptern, Mäyä bei den Indern. Er ist blond wie
Apollo und tut Wunder wie dieser, den die Griechen »S6ter«-Heiland
nennen. Wie Prometheus liebt er die Menschen und stirbt wie Prome-
theus und Adonis für dieselben.
') Im zweiten Jahrhundert berichtet der Geschichtsschreiber Tacitus,
dass ein gewisser Christus vom Landpfleger Pontius Pilatus verurteilt
236 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
vielen frommen Fälschungen, welche die Geschichte kennt, anzusehen.
Selbst die Evangelien stimmen weder im Datum seiner Geburt, noch in
seiner Lebensdauer überein.')
Vielleicht hatte einer der zahlreichen Propheten, die der Reihe nach
seit mehreren Jahrhunderten auftraten und sich für den von jüdischen
Schriften verheissenen Messias ausgaben, in irgend einem buddhistischen
Kloster die vedischen Lehren kennen gelernt und sie verkündet. Später
verkündeten die Apostel dieselben Lehren, die sie wahrscheinlich aus den
Heiligtümern Indiens geschöpft oder von den Missionären erhalten, und
legten sie in den Mund dieses jüdischen Propheten Jesus. Sie erdichte-
ten eine Legende von ihm, stellten ihn dar als eine neue Verkörperung
Agnis und entwarfen von ihm eine Lebensbeschreibung nach dem Vor-
bilde derjenigen Buddhas-), der sie gewisse aus verschiedenen Quellen
wurde und seine Anhänger den Namen Christen annahmen. Ernsthafte
Kritiker sehen diese Stelle jedoch als gefälscht an.
Philo von Alexandrien, der um 40 n. Chr. schrieb, war einer der
Schöpfer der christlichen Metaphysik. Keine einzige seiner Schriften be-
rührt jedoch die vorgebliche Mission Christi. Ein Brief des Plinius an
Trajan kommt auf diese zu sprechen, der Brief ist jedoch gefälscht und
datiert wahrscheinlich erst aus der Renaissance-Zeit.
Unter 54 apokryphischen Evangelien hat die Kirche die Evangelien
des Matthäus, Markus und Lukas ausgewählt. Das Johannesevangelium
ist gnostischen Ursprungs aus späterer Zeit. Das älteste vorhandene
Evangeliummanuskript datiert aus dem 4. Jahrhundert, ist also mindestens
300 Jahre nach Christi Tod niedergeschrieben, ein Zeitraum gross genug,
um Sagen zu erfinden und aufzuzeichnen.
') Nach der Legende wäre Christus im Alter von 30 Jahren gestorben.
Nach Irenäus wäre er jedoeh wenigstens 50 Jahre alt geworden, womit
die Stelle im Johannesevangelium übereinstimmt: „Du zählst noch nicht
50 Jahre und willst Abraham gekannt haben ?" Diese Worte wären un-
begreiflich, wenn der Verfasser des Evangeliums Jesus nicht als annähernd
50 Jahre alt angenommen hätte.
') Die buddhistische Legende, die fünfhundert Jahre älter als das
Christentum ist, wurde selbst wieder dem vedischen Mythos entlehnt. Im
Buddhismus empfängt die jungfräuliche Mutter Mäyä im Buddha den
Heiland der Welt. Bei Buddhas Geburt erscheint ein Stern am Himmel.
Könige kommen ihn anzubeten. Als Kind wird er in den Tempel gebracht,
Propheten verkünden wunderbare Dinge von ihm. Er setzt durch seine
Weisheit die Gelehrten in Staunen.
Vor seiner Predigt zieht Buddha sich zurück, fastet dort vier Wochen
lang und weist den Versucher Mära ab, der ihm das Reich der Welt
anbietet. Hernach heilt er Kranke, macht Blinde sehend, geht trockenen
Fusses über das Wasser, verschafft seinen Jüngern eine wunderbare
Speise und erscheint seinen Jüngern nach seinem Tode in einer Licht-
gestalt, das Haupt von Glorienschein umgeben.
Buddha hatte wie Jesus seinen bösen Jünger, den Verräter, nur dass
er Devadatta anstatt Judas Ischarioth hiess.
Diese Legende wurde von den drei ersten Evangelisten, speziell
von Lukas in der Weise nachgebildet, dass fast nur die Namen geändert
wurden. (Anm. des Her.: Die Ähnlichkeit könnte noch durch weitere
Züge nachgewiesen werden.)
No. 8. DER BUDDHIST. 237
entlehnte Züge hinzufügten, wie den bethlehemitischen Kindermord, eine
in ein historisches Ereignis umgebildete Sonnensage, und die Flucht nach
Ägypten, die an die Flucht der jungfräulichen Göttin Isis erinnert, welche
den jungen Gott Horus') auf einem Esel aus Ägpyten flüchtet
Eins steht jedenfalls fest, dass das Leben Christi, wie es uns in den
Evangelien erzählt wird, durchweg legendär ist. Fast alle Bestandteile
desselben sind dem vedischen Mythos entlehnt: Die doppelte Sohnschaft
Jesu, die jungfräuliche Mutter Maria, der Zimmermann Joseph, der heilige
Geist, seine wunderbare Empfängnis, die durch einen Stern angekündigte
Geburt, seine geistige Frühreife, seine Verklärung, seine Wunder, seine
Fahrt gen Himmel zur Wiedervereinigung mit dem Vater, der ihn erzeugt
hatte zum Heile der Menschen, kurz die ganze christliche Legende
Ohne die verschiedenen Vorgänge im Leben Christi zu prüfen,
wollen wir uns hier nur mit seiner Empfängnis und Geburt befassen.
Da alle Religionen ihre Legenden über dasselbe Thema ausgespon-
nen haben, muss eine jede, wenn auch unter verschiedenen Namen und
anderer Betrachtungsweise die Urlegende, die sich auf die Sonne und
das Feuer bezieht,*) wiederholen. Wir haben bereits gesehen, wie die
Höhlung im Svastika, **) Mäyä genannt, vom Windhauch befruchtet, das
Feuer entstehen Hess. Nun werden in den verschiedensten Religionen
Gottheiten von einer Jungfrau geboren, die durch den Hauch oder den
Geist befruchtet wurde. *) Allein die Namen der Gottheiten unterscheiden
sich. Die wunderbare Empfängnis der Jungfrau Maria ist die genaue
Wiederholung des buddhistischen Mythos, der wiederum auf eine ältere
Form zurückgeht. Jupiter nahm die Form einer Taube an und machte
die jungfräuliche Phthia zur Mutter, ebenso Leda, Antiope, Europa und
Alkmene. Bacchus und Mithra wurden auf gleiche Weise erzeugt. In
China soll Fo-hi auf wunderbare Weise von einer Jungfrau empfangen
') Diese Legende existiert auch im alten Indien. Im Museum Guimet
kann man den Gott Krishna sehen, wie er als Kind in einem Korb auf
das jenseitige Ufer der Yamunä «gebracht wird, um dem von König Kamga
anbefohlenen Knabenmord zu entgehen.
*) Anm. d. Her. Der Verfasser berichtet hierüber (S. 4.): „Die Veden,
die ältesten indo-arischen Religionsurkunden, führen uns dieses Mysterium
[der heiligen Dreieinigkeit] in Form eines Mythos vor. Agni (das Feuer),
der fleischgewordene Sohn des Savitri (des himmlischen Vaters), [der
Sonne], wurde empfangen und geboren von der Jungfrau Mäyä und
hatte den Zimmermann Tvashtri (den Verfertiger des Svastika) zum
irdischen Vater. In der Höhlung desjenigen der beiden Stäbchen [des
Svastika], das den Namen »die Mutter« führt, wohnt die Göttin Mäyä,
die Personifikation der schöpferischen Kraft, und zeugt den Sohn durch
Einwirkung Väyus (des Geistes, des Windhauches, ohne den das Feuer
nicht angefacht werden kann)."
••) Anm. d. Her. Der Svastika oder das Hakenkreuz, wie der
Leser es auf der ersten Umschlagseite unserer Zeitschrift in dem »Welt-
rade« erblickt, ist das Wahrzeichen des Buddhismus. Indessen ist der
Svastika älter als die buddhistische Religion. Man hat ihn in Kleinasien
und Amerika auf alten Funden entdeckt. Nach Malvert wäre die
238 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sein. Codom wurde von einer von den Sonnenstrahlen befruchteten
Jungfrau geboren. In Korea war Archer, in Mexilco Huitzilipotzli auf die
gleiche Weise erzeugt. Die Babyloner verehrten eine jungfräuliche Göttin,
die gleichfalls Mutter war. In Ägypten geht die legendäre Geburt des
Königs Amenophis III. auf denselben Mythos zurück. Sie ist auf einer
Wandfläche des Tempels von Luxor dargestellt, wo man die Verkündigung,
die Empfängnis, die Geburt und Anbetung sieht, d. h. Punkt für Punkt
achtzehn Jahrhunderte vor Christus alle Vorgänge in der von Lukas
erzählten evangelischen Legende. Auf dem ersten Bilde zur Linken be-
grüsst der Gott Toth die Jungfrau und verkündet ihr einen Sohn. Auf
dem folgenden führt der Gott Kneph die Empfängnis herbei; das dritte
stellt die Geburt dar. Die jungfräuliche Mutter sitzt auf dem Gebärstuhl,
während der Knabe von einer seiner Ammen hochgehoben wird. Auf
dem vierten Bild nimmt das Kind auf einem Throne die Huldigung der
Götter entgegen nebst Geschenken, die ihm von drei Personen (den
Magiern aus dem Morgenlande bei Lukas) zur Rechten dargebracht werden.
Die Evangelisten nehmen also nur eine uralte Legende auf, die in
letzter Instanz auf den vedischen Feuermythos zurückgeht. Allerdings
mussten die Evangelisten diese Legende den Ideen und Taditionen ihrer
Umgebung anpassen, und in dem zu diesem Zwecke von ihnen Hinzuge-
fügten nimmt man leicht die Widersprüche wahr.
Um die Legende den jüdischen Traditionen und der Prophetie
anzupassen, nach welcher der Messias aus dem Hause Davids stammen
sollte, erfand man eine Genealogie. Um den Messias in Bethlehem, dem
Geburtsort Davids, geboren sein zu lassen, nahm man einen Census an,
der seine Mutter dorthin brachte, wo sie dann niederkam. Aber die Ge-
schichte weiss nichts von einem solchen Census (Volkszählung), während
ursprüngliche Bedeutung des Svastika folgende: Der primitive Mensch
verdankt die Entdeckung des Feuers dem Aneinanderreihen zweier Holz-
stäbchen. „Seit Jahrhunderten verehrt der Mensch das Bild des Werk-
zeuges t, mit dessen Hilfe er zum ersten Male das Feuer hervorbrachte,
wie ein geheimnisvolles, göttliches Zeichen. Man findet es bereits in der
dem Zeitalter des Eisens vorangehenden Periode, in der Steinzeit, auf
megelathischen Denkmälern und Grabdenkmälern eingraviert. Später fin-
det man dasselbe heilige Zeichen in der Form zweier sich kreuzender
Stäbchen, die an den Enden hakenförmig umgebogen sind. Dies ist
der Svastika oder das Hakenkreuz, eine Vervollkommnung des primitiven
Werkzeugs. Das Kreuz ist an den Enden gekrümmt, um mit vier Nägeln
festgehalten werden zu können. In der Öffnung am Kreuzpunkt der
beiden Stäbchen setzte man einen konisch zugespitzen Pflock, der ver-
mittelst einer ledernen Strippe so lange hin und her gewirbelt wurde,
bis Funken sprühten." — ^ ,,,... o *■,
Im Buddhismus symbolisiert nach meinem Dafürhalten der Svastika
den Samsära, den ewigen Kreislauf der Geburt und des Todes. Der
Übergang der ursprünglichen Bedeutung zu dieser späteren vergei-
stigten ist nicht so rätselhaft, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte.
Man denke daran, dass im Buddhismus der Samsära sehr häufig mit
einem grossen Feuer, mit einem unendlichen Brennen verglichen
wird. Dasselbe Gleichnis findet sich bei Heraklit. —
No. 8. DER BUDDHIST. 239
die indische Legende Krishna unter gleichen Umständen geboren sein
lässt. In dem Stammbaum weichen aber Matthäus und Lukas beträcht-
lich ab, während er bei Marlons und Johannes klüglicherweise gänzlich
fehlt. Nach Matthäus stammte Jesus von David durch Salomo und die
jüdischen Könige. Josephs Vater hiess Jakob. Nach Lukas führte er über
Nathan, einen anderen Sohn Davids, seinen Stammbaum auf diesen, und
Josephs Vater hiess Eli. Matthäus wollte Joseph, Jesu Vater, an die
grosse königliche Linie anschliesen, übersah jedoch, dass diese auch
solche Könige enthielt, die üble Vorbilder abgegeben hatten. Die ehe-
brecherische Verbindung Davids mit der Bathseba, dem Urias-Weib, der
Mutter Salomos, war« nach ihm eine das Heil der Welt vorbereitende
Handlung gewesen 1 Aus diesem Grunde erfand Lukas eine andere
Genealogie, die weder Skandale aufwies, noch überhaupt vom Licht der
Geschichte bestrahlt wurde.
Bei ihren Anstrengungen, ihre Legende mit der hebräischen Tradition
in Einklang zu bringen, gerieten die Evangelisten in einen anderen
Widerspruch. Jesus Christus kann „nach dem Fleisch" nicht von David
abstammen, da dies mit der unbefleckten Empfängnis durch den heiligen
Geist kollidiert. Infolgedessen hätte Maria „nach dem Fleisch" mit
David genealogisch verknüpft werden müssen. Trotzdem schweigen alle
Evangelisten über die Vorfahren Marias. Sie konnten auch nicht
anders; ihre Familie war ohne Interesse; denn das männliche Geschlecht
allein war massgebend. Nach der Anschauung seiner Zeit war Jesus der
Sohn seines Vaters und nicht seiner Mutter. „Weib, was habe ich mit
dir zu schaffen?" sagte er zu ihr. Als Sohn des Vaters und nicht der
Mutter erbte man in Israel. Auch das Levirat beruhte auf diesem Grund-
satz.')
Ein ähnliches Bedenken, das den Stammbaum Jesu eingegeben hatte,
veranlasste die Evangelisten, ihm einen doppelten Namen zu geben. In-
dem man ihn Jesus (Heiland) nannte, ein Name, der bis dahin allen
jüdischen als Messiasse auftretenden Propheten gegeben war, knüpfte
man die Legende an die alten hebräischen Traditionen. Durch die Hin-
zuziehung des Namens Christus (der Gesalbte) bewahrte man den
wahren Charakter des vedischen Mythos, da Christus (der Gesalbte) die
alte Bezeichnung Agnis war, des Heilands der Welt, dessen neue Ver-
körperung Jesus war. Indem man endlich die wichtigsten Abschnitte des
Lebens Jesu mit dem Lauf der Sonne und des Mondes in Übereinstimmung
brachte, erkannte man an, dass sie einer astronomischen Auslegung zu-
gänglich waren.-)
>) Um diese Unterlassung betreffs der Eltern der Maria wieder gut
zu machen, entschied man um das 6. Jahrhundert nach Angaben der apo-
kryphen Evangelien, dass ihre Mutter Anna, ihr Vater Joachim hiess.
*) Alle Feste des Altertums, an deren Stelle die christlichen getreten
sind, waren durch die wichtigsten Etappen des Sonnenkreislaufs, die
beiden Solstitien und die Tag- und Nachtgleichen geregelt.
240 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Die Lehre vom Christ sowie sein Leben sind gänzlich den Veden
entlehnt. Gott (die Sonne) ist es, der seinen einzigen Sohn (das Feuer)
zum Heil der Menschen darbringt.')
JVlan sah im Altertum das Opfer des eigenen Lebens für weniger
verdienstlich an, als das eines geliebten Gegenstandes, wie eines teuren
Kindes, eines einzigen Sohnes. Iphigeniens Tod ist ein Beispiel hierfür.
Bei den Phöniziern opferten zur Zeit eines grossen Unglücks die Staats-
häupter für das allgemeine Wohl den Göttern ihre teuersten Kinder. In
Karthago Hess der Anstifter einer Empörung seinen Sohn kreuzigen, um
sich der Gottheit geneigt zu machen (Justin 18, 7). Die Genesis erzählt,
dass Gott Abraham befahl seinen Sohn Isaak zu opfern.
Der Gedanke, dass ein Mittler durch Selbstverstümmelung oder den
Tod die Gottheit gewinnen und das Heil der anderen bewerkstelligen
könne, war im Heidentum ganz allgemein. Prometheus hatte sein Leben
für das Heil der Menschheit geopfert. „Wer weiss es nicht", sagt Lucian,
„dass Prometheus dafür, dass er die Menschen zu sehr liebte, am Kaukasus
gekreuzigt wurde." Auch Bacchus war der Erlöser-Gott gewesen. Orpheus
sprach zu ihm: „Du wirst die Menschen von ihrer harten Arbeit und
ihrem Elend befreien." Hamilkar stürzte sich während der Schlacht in die
Flammen eines Holzstosses, um den Sieg zu erlangen. Das Brüderpaar
der Philänen Hess sich für das Heil des Vaterlandes lebendig begraben. '')
In einer Elegie des Tibull hackt sich die Priesterin der asiatischen
Bellona den Arm ab, um die Bildsäule der Göttin mit ihrem eigenen Blut
zu bespritzen. Apulejus erzählt, dass die Priester der Göttermutter ihr
Blut auf die um sie versammelten Gläubigen gössen. Juvenal zeigt uns
eine Matrone, die sich auf den Befehl einer Priesterin auf einem langen
Sühnegang die Kniee blutig schlägt. Das ganze Altertum zeigt uns
Fromme, die sich verstümmeln, um die Götter für sich günstig zu stim-
men. Die Verehrer der Cybele schlugen sich wund, um den Himmel
zu erlangen. Die Baalspriester brachten sich mit Messern vor den Altären
ihres Gottes Schnitte bei, bis das Blut in Strömen floss.
Diese blutigen Büssungen, denen sich die interessierte Person selber
oder ein Priester als Stellvertreter unterzog, waren in der römischen Gesell-
schaft gang und gebe. Niemand zweifelte daran, dass die Gunst der
Gottheit zu gewinnen war, wenn ein heroischer Mensch sein Leben zur
Sühne für die Sünden seiner Nächsten hingab. Indem die Evangelisten
nach dem Vorbild der Prometheus-Legende den Tod Christi durch die
») Im dritten sibyllinischen Buch der alexandrinischen Juden wird
auf einen „von der Sonne kommenden König" angespielt. Das Evan-
gelium des Lukas zeigt uns Jesus Christus aus der Sonne auf einer Wolke
kommen: „Es wird Zeichen in der Sonne geben . . . Man wird alsdann
des Menschen Sohn auf einer Wolke sehen, mit grosser Macht und
grossem Glanz." (XXI, 25.)
*) Valerius Maximus V, 6.
No. 8. DER BUDDHIST. 241
ergreifende Darstellung seiner Passion so dramatisch gestalteten, er-
schütterten sie die Herzen und kamen den Anschauungen ihrer Zeit ent-
gegen')- —
Die
Transmigration oder Wiedergeburt.
Von Bhikkhu Änanda Maitriya.
(1. Fortsetzung.)
Zwei Menschen stehen am Ufer eines grossen Sees und
betrachten die Wellen auf seiner Oberfläche, welche fern am
Horizonte ihren Ursprung zu nehmen und immer näher zu
kommen scheinen, bis sie sich schliesslich als Schaum zu ihren
Füssen brechen. Jeder der beiden Menschen beobachtet diese
Erscheinung, und trotzdem hat jeder für dieses Phänomen eine
andere Erklärung. Der eine hat zwar keine Kenntnis von den
Naturgesetzen, aber er besitzt das, was man gesunden
Menschenverstand nennt; für ihn ist es — denn der Augen-
schein lehrt es ihn — eine entfernte Wassermasse, welche,
durch den Luftstrom, der auch sein Haupt umweht, angetrieben,
vom Horizonte aus auf ihn zu kommt, wobei sie aber sich
selbst in Wesen und Form stets gleich bleibt; und wenn du
ihn fragst, was eine Welle sei, so wird er dir sagen: „Eine
Welle ist eine Wassermasse, welche, von der Kraft des Windes
getrieben, sich über den Wasserspiegel hin fortbewegt." Der
andere nun besitzt den geschulten Geist eines wissenschaftlichen
Beobachters und ist mit jenen Naturgesetzen vertraut, welche
im Laufe der letzten Jahrhunderte den Menschen bekannt ge-
worden sind. Er hat über die Bewegung der Welle eine ganz
andere Ansicht; denn er weiss genau, dass von der Bewegung
irgend einer Wassermasse auf ihn zu überhaupt nicht die
') Der Glaube, dass das menschliche Blut die Kraft besitze, die
Sünden zu sühnen, scheint die ersten Christen in einen reinen Opfer-
wahnsinn getrieben zu haben. Nach Origenes ist der Tod eines Märty-
rers ebenso wie Christi Tod imstande, das Heil der Menschheit zu ver-
gewissern. Viele Christen suchten in den ersten Jahrhunderten nach
einer Gelegenheit zu sterben, um ihr eigenes Opfer mit dem des Sohnes
Gottes zu vereinigen,
16
242 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Rede sein kann, sondern dass vielmehr an jedem Punkte des
Wasserspiegels die Wasserteilchen sich nur heben und dann
wieder in ihre ursprüngliche Lage zurücksinken, und dass jedes
einzelne Teilchen nach seiner Schwingung die Bewegung auf
das benachbarte Teilchen überträgt. Kurz, für den wissen-
schaftlich Denkenden gibt es in diesem Falle nicht, wie für
den anderen Beobachter, eine Übertragung von Materie, son-
dern nur eine Übertragung von Kraft. Mit anderen Worten:
der erste Beobachter sieht die Bewegung von etwas Materi-
ellem und gemäss seiner Unkenntnis der Naturgesetze hält er
diese Täuschung seiner Sinne für eine reale Tatsache; der
andere Mann dagegen, dessen Erklärung dieses Phänomens
eine dynamische, und keine materielle ist, sieht nur die
Übertragung eines Teiles der universellen Energie, wie sie
augenblicklich in einer Welle individualisiert war.
Wir wissen natürlich, dass der letztere Beobachter, der
Mann mit der dynamischen Weltanschauung, recht hat, und
dass keine Übertragung einer Wassermasse von einer Stelle zur
anderen stattfindet, sondern nur eine Übermittelung schwingen-
der Kraft. Wir wollen nun dieses Beispiel auf das Dasein
anwenden. Wir wollen jetzt annehmen, die beiden Männer,
von denen wir eben sprachen, seien mit der Gabe des Schauens
ausgestattet, — ich meine hier nicht das Betrachten der Wellen
auf einem irdischen See, sondern das Schauen auf das wo-
gende Meer des bewussten Lebens, — die Kraft zurück-
zublicken auf frühere Existenzen, bis das geistige Schauen mit
dem fernen Horizonte einer vergangenen Ewigkeit verschmilzt.
Der Mann mit dem gesunden Menschenverstand wird dann
von einer bestimmten Welle sprechen, welche selbst ein
dauerndes, sich nicht veränderndes Ding ist, ein gesonderter
Teil der Wogen des Daseins, welcher seine Identität beibehält,
während seine Lage und Umgebung mit jedem Augenblick der
dahineilenden Stunden wechselt; er wird den Standpunkt des
Vitalisten oder des Vedäntisten einnehmen und wird an
die Existenz eines Seelenwesens glauben, welches selbst un-
veränderlich und unverändert im Lauf der Zeiten von Ort zu
Ort durch das Universum wandert und in seiner wechsellosen
Individualität immer dasselbe bleibt. Aber der wohlunterrichtete
No. 8. DER BUDDHIST. 248
Mann wird nur die Übertragung einer individualisierten Kraft
sehen; er wird wissen, dass von dem Leben, welches in ferner
Vergangenheit ins Dasein eintrat, kein Element selbst für zwei
aufeinander folgende Augenblicke dasselbe bleibt; er erkennt,
dass die Welle im Ozean des Lebens, welche sich jetzt an
einer Stelle zum Dasein emporhob, durchaus nicht dieselbe
Welle ist, welche eine kurze Zeit vorher zu scheinbarer Ruhe
sich senkte, insofern nämlich, als sie kein Teilchen mit der
Woge des vorhergehenden Lebens gemeinsam hat; und dennoch
ist es dieselbe Welle, weil sie das Ergebnis aus der Über-
tragung des Charakters, der geistigen Kräfte, des Handelns
oder der Energie aus jenem vergangenen Leben darstellt. „Es
ist nicht derselbe und ist nicht ein anderer," — und wir haben
nun genau denselben Unterschied zwischen den Grün-
dern des Vedänta einerseits und dem Buddha anderer-
seits, wie zwischen den beiden Männern in unserem
Gleichnis: beide haben mit höherer Einsicht dasselbe
Phänomen ins Auge gefasst, — der eine hat diese Erscheinung
für einen vollständig genügenden Beweis für das Dasein und
die Unsterblichkeit eines unveränderlichen Egos gehalten,
während der andere mit tieferer Einsicht und klarerem
Verständnis die tatsächliche Wahrheit gesehen hat,
dass es nämlich nirgends ein dauerndes, getrenntes
Seelen-Wesen gibt, sondern nur eine Übertragung des
Charakters, der Frucht des geistigen Wirkens in der
Vergangenheit. Der Vedäntist hat Substanz gesehen,
ein dauerndesPrinzip, ein Ens (Seiendes); der Buddhist
dagegen nur Eigenschaften, welche selbst in allen
ihren Elementen fortwährend wechseln, deren Total-
Summe aber beständig fortschreitet, bis die Welle an
Nibbänas Ufer sich bricht und für immer verschwindet.
Dies ist die Antwort des Buddhisten an den Animisten,
welcher sich im Hohen oder Niedrigen, im Groben oder Feinen
das Dasein eines dauernden Prinzipes im Menschen, eines
Ich-Wesens einbildet, welches von Leben zu Leben weiter-
schreitet, gerade so, wie die Welle des Sees von Ort zu Ort
vorzurücken scheint.
Es gibt nun viele Menschen, denen es schwer wird, zu
16*
244 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
verstehen, wie der Charakter eines Menschen an sich im Augen-
blici< des Todes irgendwie fortdauern, oder das Dasein eines
ähnlichen Individuums verursachen könne, — kurz mit einem
Worte, wie die Individualität der Kräfte nach dem Tode fort-
zubestehen vermöge, anstatt sich im Universum zu verteilen.
Ein anderes Gleichnis mag dazu dienen, denjenigen Lesern,
welchen das eben genannte Bedenken aufsteigt, das Verständ-
nis dieser buddhistischen Idee zu erleichtern.
(Fortsetzung folgt.)
Warum ich Buddhist wurde.
Von A. E. Buultjens.
(1. Fortsetzung.)
Hinsichtlich dieses den Schöpfer betreffenden Punktes muss
ich mir hier eine kleine Abschweifung gestatten. Gestern er-
hielt ich einen offenbar von einem Christen geschriebenen Brief,
in welchem ich augefordert werde, einige Argumente gegen den
Buddhismus zu widerlegen welche in acht beiliegenden Flug-
schriften enthalten waren. Ich antwortete dem Schreiber, dass
es mir augenblicklich an Zeit mangelt, auf antibuddhistische
Traktate einzugehen, die ich noch nicht gelesen habe, dass ich
aber hoffte, bei passender Gelegenheit einen Vortrag über das
Thema: „Eine Erwiderung auf die von christlichen Traktat-
Schreibern gegen den Buddhismus unternommenen Angriffe" zu
halten. Heute will ich nur einen Punkt berühren, welcher sich in
einer von der »Christlichen Literatur-Gesellschaft« veröffentlichten
Schrift findet. Der anonyme Verfasser dieser den Titel
»Buddha und seine Religion« tragenden Schrift sagt:
„Das Dasein eines Schöpfers kann auf folgende Weise
bewiesen werden: Wo immer wir Ordnungen und Einrichtungen
wahrnehmen, welche dazu bestimmt sind, einen bestimmten
Zweck zu erfüllen, so sind wir dessen sicher, dass diese Dinge
ihren Ursprung der Tätigkeit eines intelligenten Wesens ver-
danken müssen. Angenommen, wir sehen eine Uhr, so schlies-
sen wir aus ihrer wunderbaren Einrichtung, dass ein Verfer-
tiger sie gemacht haben rnuss, welcher wusste, wofür sie
No. 8. DER BUDDHIST. 245
bestimmt war, und der dementsprechend ihr die bestimmte
Konstruktion gab. Die verschiedenen Teile der Uhr l<onnten
sich nicht selbst bilden noch sich zusammenfinden. Wenn die
Uhr so wunderbar konstruiert wäre, dass sie andere Uhren
erzeugen würde, so würde das sicherlich unsere Auffassung
von der Weisheit ihres Verfertigers erheblich steigern. Nun ist
die Welt, in welcher wir leben, weit wundervoller gebaut, als
irgend eine Uhr," — folglich — muss sie einen Schöpfer haben.
Ich bin mit diesem „Beweise" wohl vertraut. Er ist den
Freidenkern bekannt als „Paley's Uhr-Beweis für den Plan in
der Natur." Wenn ein Uhrmacher schlechte Uhren verfertigt,
so nennen wir ihn einen ungeschickten Uhrmacher. Nun ge-
wahrt man in dieser Welt auf Schritt und Tritt eine offenbare
Fülle von Monstrositäten, schlechten Dingen, wilden Tieren in der
Tierwelt, Dornen, Stacheln und Unkraut in der Pflanzen-Welt,
ferner Gift, Siechtum, Wahnsinn, Unglück, Schmerzen und
Leiden. Eine schlechte Uhr hat einen ungeschickten Uhrmacher;
ergo: das Übel in der Welt ist von einem schlechten Welt-
Verfertiger gemacht, denn eine gute Person will keine schlechten
Dinge schaffen.
Ferner: Der Uhrmacher verfertigt seine Uhr aus Rädern,
Spiralen, Zifferblatt, Zeigern und Gehäuse; er setzt einige schon
vorher vorhandene Materialien zusammen. Er verfährt nicht
in der Weise eines Gauklers, der ein Etwas aus Nichts hervor-
zaubert. Folglich kann ein Schöpfer nicht die Welt aus Nichts
gemacht haben nach dem Satze: „Ex nihilo nihil fit", „aus
Nichts wird Nichts." Aber selbst die Möglichkeit der Welt-
schöpfung aus Nichts zugegeben, hervorgerufen durch einen
einfachen Willensakt des allmächtigen Wesens, so ist es billig,
folgende Frage aufzuwerfen: „Was tat denn der Schöpfer, be-
vor er die Sonne, den Mond, die Vögel in der Luft und die
Fische im Meere schuf?" Er muss im Chaos oder in der
Leere existiert haben, ohne etwas zu tun.
Doch kehren wir wieder von dieser Abschweifung zurück.
Nachdem ich meinen Glauben an einen persönlichen Schöpfer,
einen anthropomorphen, vermenschlichten Gott verlassen hatte,
gab ich die Gebete auf und den Glauben an die unbefleckte
Empfängnis Christi, den ich als einen edlen, heiligen Menschen
246 DER BUDDHIST. I. Jalirg.
betrachtete, — ich verwarf den Glauben an das stellvertretende
Sühnopfer, welches, wie die Christen gelehrt werden, durch
Christi Tod uns die Möglichkeit der StJndenvergebung gewährt.
Ich gab den Glauben an die letztere überhaupt auf; denn wenn
es keinen persönlichen Gott gibt, wer soll da Sünden vergeben ?
Ich konnte nicht länger an die empörende Lehre von der
ewigen Verdammnis in der Hölle glauben, wo Heulen und
Zähneklappen sein soll. Dadurch nun, dass ich meine inner-
liche Zustimmung den Lehren des Christentums auf diese Weise
versagte, war ich nunmehr vor die Entscheidung gestellt, ob
ich, wie so viele, ein äusserlicher oder Namens-Christ bleiben,
oder ob ich den ehrlicheren Weg, der Wahrheit die Ehre zu
geben, gehen sollte. Sollte ich mich noch weiter als Christen
bekennen, oder sollte ich schweigen? Ich zog es vor, mich
auszusprechen. Mit meinen agnostischen Anschauungen stand
ich nicht allein; einige englische Studenten, besonders solche,
welche Vorlesungen über Ethik und Naturwissenschaften hörten,
und einige Juristen dachten wie ich. So entschloss ich mich,
die Sache zur Entscheidung zu bringen. Es war in Cambridge
Vorschrift, dass jeder Hörer den College-Gottesdienst minde-
stens fünfmal in der Woche besuchen musste. Ich blieb nun
den Gottesdiensten fern und wurde infolgedessen vor den Dechan-
ten des Colleges geladen; ich glaube, sein Name war Dechant
Maitland; er war ein liberaler, toleranter, sympatischer Mann.
Der Inhalt unserer einstündigen Unterredung war kurz folgender:
„Guten Morgen!"
.Guten Morgen, Hochwürden!'
„Ich hoffe, Sie werden in Zukunft den Gottesdiensten
regelmässiger beiwohnen. Guten Morgen!"
Er wollte mich damit entlassen, weil noch andere Herren,
die den Gottesdienst geschwänzt hatten, darauf warteten, vom
Dechanten ermahnt zu werden. Aber ich war entschlossen,
unsere Unterredung fortzusetzen.
,Wenn Ew. Hochwürden gestatten, so möchte ich mit
Ihnen über den Gottesdienst sprechen.'
„Gewiss! Um was handelt es sich? Bitte nehmen Sie
Platz."
Ich setzte mich.
No. 8. DER BUDDHIST. 2*7
,Ich kann es nicht billigen, dem Gottesdienste zwangs-
weise beizuwohnen; der Zwang tut mir nicht gut.'
„Schön! Ich dispensiere Sie für die Zukunft davon."
Nachdem ich so die Erlaubnis bekommen hatte, dem
Gottesdienste fern bleiben zu dürfen, weil eine gezwungene
Aufmerksamkeit beim christlichen Kultus mir nicht gut bekam,
wollte ich die Unterredung abbrechen. Nicht so der gute Dechant,
welcher nun eine Ansprache an mich richtete, nicht als ein
Dechant, der seine gesetzliche Autorität einem College-Studenten
gegenüber geltend macht, sondern als ein Diener der Kirche
Christi, welcher mit sanften Worten versucht, ein Schäflein zur
Hürde zurückzuführen, welches sich in Glaubenssachen auf Ab-
wegen befindet.
„Nun erzählen Sie mir mal, welche Gründe Sie eigentlich
bestimmen, vom Gottesdienst fernzubleiben."
,lch würde meine Ansicht frei heraussagen, wenn ich nicht
fürchten müsste, dass meine Stellung im College dadurch er-
schüttert würde.'
„Keineswegs; ich versichere Sie, dass alles, was Sie mir
sagen, bei mir bleiben soll."
,Hochwürden, ich möchte Ihr Gemüt durch meine ungläu-
bigen, agnostischen Ansichten nicht gerne erschrecken.'
„Wie sehr auch dieselben mich bekümmern mögen, es ist
meine Pflicht, Ihre Zweifel anzuhören und den Versuch zu
machen, sie zu beseitigen. Ein Geistlicher kommt im Laufe
seines Lebens mit Menschen der verschiedensten Ansichten zu-
sammen, und es ist seine Pflicht, dieselben zu Gott zurück-
zuführen."
,Nun gut. Hochwürden, ich glaube nicht mehr an das, was
in der Bibel geschrieben steht; ich glaube nicht an die ewige
Verdammnis in der Hölle, und vor allen Dingen, ich kann
nicht an einen Schöpfer glauben.'
„Sie haben Huxley und Bradlaugh gelesen?"
,Ja, Hochwürden, und ich glaube auch nicht mehr an die
Inspiration der Bibel, noch an die unbefleckte Empfängnis
Christi, noch an die stellvertretende Versöhnung, noch auch an
Christi Gottessohnschaft.'
540 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
„Ich bin bekümmert, dies hören zu müssen. Haben Sie
versucht zu beten? Gott hilft denen, die gläubig und aufrich-
tig zu ihm beten."
,Gewiss, ich habe sehr ernstlich gebetet; seitdem aber
mein Gottesglaube verloren ging, sagt mir meine Vernunft, dass
Gebete zu einem nicht existierenden Gott sinn- und zwecklos
sind.'
„Dann möchte ich Sie bitten, die christliche Familie zu
betrachten. Welch' eine Fülle von Frieden und Glück ruht
doch im christlichen Heim! Haben Sie hieran noch nicht ge-
dacht?"
,Ja, Hochwürden, ich habe oft daran gedacht und gebe
gerne zu, dass in dem Hause, wo die Sittenlehren Christi befolgt
werden. Glück vorhanden ist. Aber ich komme aus einem
buddhistischen Lande, wo eine buddhistische Familie genau
ebenso glücklich ist, wenn sie die Morallehren des Buddha
beobachtet. Dasselbe wird von einem hinduistischen oder
mohammedanischen Hause gelten, in denen die Anweisungen
der betreffenden Religion befolgt werden.' —
Dies war in kurzen Zügen der Inhalt unserer Unterredung.
Der freundliche Dechant sprach mit mir nahezu eine Stunde
lang und zum Schluss gab er mir ein Buch von Dr. Wace zum
Lesen mit und bat mich, ihn dann wieder aufzusuchen. Ich
las das Buch, aber es Hess mich gänzlich unbefriedigt; denn
es begann mit der Voraussetzung eines allwissenden Gott-
Schöpfers, setzte also gerade mit dem Dogma ein, welches ich
zu allererst aufgegeben hatte. Als ich dem Dechanten das
Buch zurückerstattete, konstatierte ich, dass es für meinen Fall
ohne jede Bedeutung sei, und so fiel meine Angelegenheit unter
den Tisch.
In der Folgezeit war ich nun ein überzeugter Agnostiker.
Dies tat aber meinen gesellschaftlichen Beziehungen keinerlei
Abbruch, und während ich speziell unter den Ethikern und
Naturwissenschaftlern manche Freunde hatte, so mieden mich
auch die Theologen, welchen mein Unglaube bekannt war,
keineswegs, und einige gute Freunde von mir sind noch heute
Geistliche der anglikanischen Kirche.
No. 8. DER BUDDHIST. 249
Als es bekannt geworden war, dass der Dechant mich
von dem Besuche des Gottesdienstes dispensiert hatte, ereig-
nete sich ein amüsanter Zwischenfall. Ein Zögling eines anderen
Colleges ging zu seinem Dechanten und bat ihn um die Er-
laubnis, dem Gottesdienst fernbleiben zu dürfen, weil er nicht
an Gott glaube. Darauf erwiderte ihm der Dechant: „Ich will
Ihnen vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit geben; entweder,
Sie finden Ihren Gott, oder Sie finden ein anderes College." —
Zugleich mit einer grossen Zahl von Christen auf Ceylon
war ich geflissentlich in dem Glauben bestärkt worden, dass
Bosheit und Verbrechen nur, oder doch wenigstens zum
weitaus grössten Teil unter den Buddhisten und anderen
„Heiden" ihr Unwesen trieben, dass die Verbrechen dagegen im
christlichen England verhältnismässig zu den Seltenheiten ge-
hörten. Dies war ein Argument aus dem praktischen Aspekt des
Christentums. Ich weiss nicht, ob diese in Ceylon herrschende An-
sicht von den Missionaren importiert war und weiter kolportiert
wurde, — genug, sie bestand. Und nun sah ich gerade genug
von den praktischen Wirkungen des Christentums
unter Christen in christlichen Ländern. Ich brauche
nicht den äussersten Reichtum zu schildern gegenüber der
kriechenden Niedrigkeit, Armut und dem namenlosen Elende
im Ost-Ende von London. Nächtliche Ausschweifungen, hoff-
nungslose Trunksucht in den Alkohol-Palästen, Tausende von
hungernden, obdachlosen Menschen, Notschreie an die Regie-
rung, die Demonstrationen unbefriedigter Sozialisten, — das
waren die Gegenstände auf dem Gemälde, welches mein Geist
nie vergessen wird. Tausende von Männern, Frauen und
Kindern mussten zusammengepfergt, ohne Heim, ohne Dach,
ihr Lager auf der blossen, grasfreien schneebedeckten Erde
aufschlagen, und niemand half ihnen. Wie kommt es, dass
solche Dinge im christlichen England vor sich gehen?! Die
Bibel sagt: „Verkaufe was du hast, und gib es den Armen;"
— aber inmitten dieser Unreinheit, Armut und Not gewahrte
ich die wohlgenährten Körper der christlichen Bischöfe und
Geistlichen, die sich behaglich ihres luxuriösen Lebens freuten.
Ungeheure Summen wurden auch für grosse Kirchen verwandt,
so für die St. Pauls-Kathedrale und die Westminster-Abtei,
250 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
während kein Geld vorhanden war, um die hungernden Armen
zu speisen. Ich war Augenzuge, wie junge, zelotische, begeis-
terte Prediger des Evangeliums unter dem Gebet und Applaus
rechtgläubiger Christen in Versammlungen, die von grossen
Missions-Gesellschaften einberufen waren, nach China, Afrika
und Indien gesandt wurden. Diese Art praktischen Christen-
tums erschien mir als der reinste Hohn; denn zugleich mit dem
Export christlicher Missionare und Bibeln ging ein weit
grösserer Export von Flaschen und Kugeln Hand in Hand, —
die ersteren, um den Geist, die letzteren, um den Körper zu
ruinieren. Und alles das kommt aus einer Stadt, wo mehr als
in anderen Orten allnächtlich tausende christlicher Frauen und
Mädchen ihren Körper gegen klingende Münze öffentlich feil-
bieten. Ich entsinne mich, dass einer unserer ersten Gesetzgeber
Ceylons, der eine Reise nach dem modernen Babylon machte, seinen
Augen nicht traute, als er dort einmal um Mitternacht am
Theater den ungeheuren Schwärm von hochelegant gekleideten
öffentlichen Dirnen sah, die ihrem traurigen Berufe nachgingen.
Er war tieftraurig, solche Dinge im christlichen England
sehen zu müssen. Das soziale Elend ist aber durchaus nicht
auf London allein beschränkt, sondern es wuchert und nimmt
stetig zu in allen grösseren christlichen Städten, so in Liverpool,
Paris, Berlin, Wien und New- York.
Gerade so wie bei Christen, die im Orient geboren sind,
die falsche Ansicht herrscht, dass allein in den „heidnischen"
Ländern die Nichtswürdigkeit des Menschen triumphiere,
während die wahre menschliche Tugend nur in den Christen-
ländern des Westens blühe, grassiert auch im Abendlande ein
starkes Missverständnis hinsichtlich der Prüfungen und Ge-
fährnisse, welchen die zu den „Heiden" entsandten Missionare
ausgesetzt seien. Ich musste wiederholt gebildeten und intelli-
genten Leuten in England allen Ernstes versichern, dass man
es auf Ceylon keineswegs als eine Delikatesse betrachte, wenn
ein Missionär gebraten und beim Diner serviert würde! Es
gab Leute, welche tatsächlich noch glaubten, dass Ceylon eine
von Menschenfressern bewohnte Insel sei, und dass die armen
Missionare dort bei ihrer schweren Arbeit fortwährend die
Attacken von Tigern, Elefanten, Krokodilen und Schlangen aus-
No. 8. DER BUDDHIST. 25»
halten müssten. Offenbar wurden solche Histörchen geflissent-
lich in Umlauf gesetzt, um die Aufopferung der Missionare in
hellem Lichte erstrahlen zu lassen und dazu beizutragen, die
Gotteskästen der Missions-Gesellschaften in der nötigen Weise
zu füllen. — (Schluss folgt.)
Die Grundideen des Buddhismus.
Von Dr. Paul Carus.
(Schluss.)
Die Schwierigkeit, welche das richtige Verständnis des
Nirväna-Begriffes für westliche Geister mit sich bringt, liegt
hauptsächlich in unserer Gewohnheit, die Natur der Seele in
dem alten brahmanischen Sinne aufzufassen, indem wir uns
die letztere als ein Ego-Wesen vorstellen, als den Täter unserer
Empfindungen, den Denker unserer Gedanken. In neunund-
neunzig Fällen von hundert wird derjenige, welcher die Exi-
stenz dieses hypothetischen Wesens leugnet, von den in der
abendländischen Denkweise erzogenen Menschen als ein Leugner
der Seele überhaupt angesehen.
Der Buddha lehrte die Nicht-Existenz des Selbstes,
und er verstand unter dem Selbst den »Ätman« seiner
zeitgenössischen Philosophie. Immer und immer wieder
stellte er nachdrücklichst die Forderung auf, dass die Illusion
des Selbstes überwunden werden müsse. Diese Illusion des
Selbstes oder Selbsttäuschung ist die geheime Ursache aller
Selbstsucht; sie erzeugt alle jene schlechten Arten des Be-
gehrens (Begierde, Verlangen nach Macht, Lust), von denen
der Mensch sich befreien muss. Sobald die Selbst-Illusion
überwunden ist, hören wir auf, andere Wesen zu schädigen
um eigenen, selbstischen Vorteiles willen.
Die buddhistische Nirväna-Idee bedeutet sicherlich nicht
die Vernichtung der Gedanken, sondern deren Vervollkomm-
nung und Vollendung. Wir lesen im 21. Verse des Dhamma-
pada: „Ernst ist der Pfad der Unsterblichkeit (d. i. des Nirväna),
Gedankenlosigkeit der Weg des Sterbens. Die im Ernste ver-
harren, sterben nicht; aber die Gedankenlosen sind bereits den
Toten gleich." — Das riecht gewiss nicht nach Nihilismus.
252 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Dass Nirväna das Gebiet des Idealen ist, das Reicii der
reinen Formen, erhellt deutlich aus dem Nirmäna-Sütra und
anderen chinesischen Quellen, in denen Nirväna definiert wird
als »der dauernde Zustand des Seins«, welcher durch das
Aufgeben jener Bedingungen erreicht wird, die der Vergäng-
lichkeit angehören, nämlich Köperlichkeit (rupa) und Ich-
heit (ätman). Nirväna bedeutet die Erlangung desjenigen
Zustandes, in dem es weder Geburt noch Tod gibt; Nirväna
wird erläutert durch das Gleichnis vom Dunst und Staub
im Gegensatze zu der Ruhe des reinen Raumes. Der Mensch
gleicht dem Dunst am Firmament; er befindet sich in einem
Zustande fortwährender Bewegung wie die Staubteilchen, die
im Sonnenstrahle schweben; Nirväna aber ist der Unveränder-
lichkeit des reinen Raumes zu vergleichen, der in wechselloser
Ruhe verharrt, während alle Dinge sich verändern. ^)
Meist wird Nirväna durch negative Ausdrücke erläutert;
aber es ist positiv, wie in einer Unterredung ausgeführt wird,
die der Buddha mit einem Andersgläubigen führt. Die Stelle
findet sich im Parinirväna-Sütra (39. Kap., 1) und lautet in
der Übersetzung folgendermassen :
„Es war ein Brahmacäri namens Basita, welcher die
Unterredung so einleitete: ,Gotama, ist das, was du Nirväna
nennst, ein dauernder Zustand des Seins oder nicht?' ,Nirväna
besteht in der Abwesenheit (Nicht-Existenz) des Leidens. Ge-
wiss, Brahmacäri, es kann so definiert werden.' Basita sprach:
,Es gibt, Gotama, vier Arten von Zuständen in der Welt, welche
als nicht-existierend betrachtet werden: zum ersten das, was
noch nicht im Dasein ist, z. B. der Krug, welcher aus Ton
gemacht werden soll; zweitens dasjenige, was da war, aber
zerstört wurde, z. B. ein zerbrochener Krug; drittens das-
jenige, was in der Abwesenheit von etwas besteht, das von
ihm verschieden ist, wie wir z. B. sagen, ein Stier sei nicht
ein Pferd, und endlich viertens, das, was rein imaginär ist,
wie z. B. das Haar der Schildkröte oder das Hörn des Hasen.
Wenn wir nun durch das Freiwerden vom Leiden . Nirväna
') Siehe Samuel Beal: A. Catena of Buddhist Scriptures from the
Chinese, S. 99 und 157.
No. 8. DER BUDDHIST. 253
erlangt haben, so ist doch Nirväna dasselbe wie »Nichts« und
kann als Nicht-Sein definiert werden; wenn dem aber so ist,
wie kannst du Nirväna dann definieren als Dauer, Freude,
Kraft und Reinheit?' — Der Buddha erwidert: ,Erlauchter
Schüler, Nirväna ist eine von den vier Arten; es ist nicht gleich
dem Kruge, der noch nicht aus dem Ton verfertigt ist, noch auch
gleicht es der Nichtigkeit des Kruges, der zerstört wurde, auch
gleicht es nicht dem Haar der Schildkröte oder dem Hörn des
Hasen, also etwas rein Imaginärem. Aber Nirväna kann ver-
glichen werden mit dem Nicht-Sein, wie es definiert wird als
„Abwesenheit von etwas, das von ihm selbst verschieden ist".
Obwohl, erlauchter Schüler, wie du sagst, das Pferd keine
Eigenschaften des Stiers an sich hat, noch der Stier Eigen-
schaften vom Pferd, so kannst du doch nicht behaupten, dass
das Pferd und der Stier nicht existiert. Gerade so verhält es
sich mit Nirväna. Inmitten des Leides gibt es kein Nirväna,
und im Nirväna gibt es kein Leiden. So können wir Nirväna
ganz richtig definieren als eine Art von Nicht-Existenz, welche
in der Abwesenheit von etwas wesentlich Verschiedenem
besteht.'" —
Der Buddhismus wird ganz allgemein als Pessimismus '
bezeichnet. Das ist insofern richtig, als der Buddhist das |
Vorhandensein des Leidens anerkennt; aber es ist durchaus |
verkehrt, den Buddhismus Pessimimus zu nennen, wenn man j
unter Pessimismus jenen Weltschmerz versteht, welcher das |
Leben und die Pflichten des Lebens verzweifelnd aufgibt. '
Oldenberg sagt bei der Besprechung des buddhistischen Kanons: ".
„Einige Schriftsteller haben häufig den Ton, der im Kanon 1
vorherrscht, so beschrieben, als wenn derselbe besonders durch f
ein Gefühl der Schwermut charakterisiert wäre, welches in
endlosem Kummer die Unrealilät des Seins betrauert. In die-
sem Punkte haben sie alle zusammen den Buddhismus miss-
verstanden. Gewiss, der echte Buddhist erblickt in dieser Welt
einen Zustand fortgesetzten Leidens; aber dieses Leiden er-
weckt in ihm nur ein Gefühl des Mitleids für jene, welche
noch in der Welt sind; für sich selbst fühlt er weder Leiden
noch Mitleid, denn er weiss, dass er einem Ziele nahe ist,
welches, erhabener als alles andere, seiner wartet.
254 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Die frohe Botschaft der Religion des Buddha ist nicht
sowohl die Erkenntnis, dass das Dasein voll Leid und Mühsal
ist, sondern sie liegt in der Überwindung des Übels und in
der Befreiung vom Leiden. Folgende Verse des Dhammapada
haben keinerlei pessirnistische Tendenz:
„Glücklich wahrlich leben wir hassfrei unter Gehässigen;
in dieser hasserfüllten Welt verweilen hass-erlöset wir.
„Glücklich wahrlich leben wir heil unter den Unheilbaren;
in dieser heilverlorenen Welt verweilen heilgesundet wir.
„Glücklich wahrlich leben wir gierlos unter den Gierigen;
in dieser gierverzehrten Welt verweilen giergesundet wir."
Das buddhistische Nirväna kann somit nur von denen
als ein negativer Zustand bezeichnet werden, welche noch in
der Illusion des Selbstes verstrickt sind. Nirväna ist nicht Tod,
sondern ewiges Leben, nicht Vernichtung, sondern Unsterblich-
keit, nicht Zerstörung, sondern Unzerstörbarkeit. Wäre Wahr-
heit und Moralität negativ, so würde Nirväna ebenfalls negativ
sein; da sie aber positiv sind, so ist auch Nirväna positiv.
Die Seele eines jeden Menschen besteht in dem fort, was
die Buddhisten das Karman des Betreffenden nennen; und wer
die Buddhaschaft erreicht, wird dadurch identisch mit der
Wahrheit selbst, welche ewigdauernd und allgegenwärtig ist,
welche nicht nur dieses Weltsystem durchdringt, sondern auch
alle anderen Welten, die in Zukunft auftauchen werden. Denn
die Wahrheit ist heute dieselbe wie morgen. Wahrheit ist
das Wasser des Lebens; sie ist die Ambrosia der Seele. Je
mehr unser Geist sich von der Selbstsucht befreit und Teil
hat an der Wahrheit, um so höher werden wir uns • in jenes
Gebiet erheben, wo alle Mühen und Ängste verschwunden sind;
denn dort ist die Sünde vernichtet und der Tod überwunden.
^ F^ Heidentum. AR U^
Von Karl B. Seldenstücker.
Ob ein Mensch ein Heide ist oder nicht, hängt nicht da-
von ab, ob er die Beschneidung empfangen hat, ob er in den
Listen eines Kirchenbuches aufgezeichnet ist, ob er irgend eine
No. 8. DER BUDDHIST. 255
kirchliche Zeremonie mitgemacht hat. Das Heidentum ist inter-
national; es gibt viele Christen, die jeden Sonn- und Feiertag
die Kirche besuchen und trotzdem im Herzen echte Heiden
sind; es gibt viele Anhänger des Buddhismus, die am Altare
ihres Meisters Blumen opfern und mit ihren Lippen die Gebote
aussprechen, und dennoch sind sie Heiden. Auch die Gebets-
mühlen ^) sind heidnisch, auch sie sind international: In Asien
klappern sie, in Europa plappern sie, — der Effekt ist in bei-
den Fällen derselbe.
Was aber ist Heidentum? Christus hat einmal gesagt, dass
die gierige Sorge um Nahrung und Kleidung und das Gebets-
plappern für die Heiden charakteristisch sei. Wenn man dies
als Massstab für die Beurteilung des heutigen Christentums an- t
legt, so kann man ohne Übertreibung getrost behaupten, dass
95 Prozent der Christen in Wahrheit Heiden sind.
Die Gier zur Befriedigung des eigenen Selbstes ohne
Rücksicht auf andere ist heidnisch. Diese Begierde kann sehr
verschiedene Form annehmen: Geiz, Wollust, Zorn, Hass, Bruta-
lität, das Verachten Andersgläubiger, die wonnige selbstische
Hoffnung auf eine individuelle Seligkeit ungeachtet der vie-
len MilHonen, die nach dem Glauben des Betreffenden in der
Hölle gequält werden, das Anbetteln der Götter zu dem Zwecke,
damit diese die privaten Angelegenheiten der Bittenden regu-
lieren sollen, das Beten zu Göttern um Vernichtung der Feinde,
die fleischliche Abtötung, durch welche man das Selbst der
himmlischen Seligkeit teilhaftig machen möchte, Unmässigkeit,
Luxus, Pracht ungeachtet der grossen Not von Millionen leiden-
der Mitmenschen, — das alles ist heidnisch.
Millionen werden aufgebracht, um Priester und Prälaten
zu mästen, um Kirchen zu errichten, die von Gold und Kost-
barkeiten strotzen, um dem tausendköpfigen Götzen des eigenen
Selbstes Tempel zu bauen. Und dabei leiden Ungezählte die
bitterste Not und verhallen tausend gellende Notschreie unge-
hört Heidentum!
') Die im tibetischen Buddhismus gebräuchlichen sogenannten Gebets-
mühlen haben eigentlich eine ganz andere Bedeutung, worüber später
einmal mehr. Das oben Gesagte gilt nur für die Fälle, wo Gebrauch und
Name dieses Gegenstandes sich decken.
256 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Die Selbstsucht und den Selbstwahn überwinden, heisst
vom Heidentum sich frei machen. Es gibt einen Pfad, der
zur Vernichtung der Selbstsucht und damit zur Aufhebung des
Leidens führt: Es ist dies der erhabene achtfache Pfad, den
der Vollendete gewiesen hat. Der Pfad ist in dir; ob du ihn
beschreiten willst, ist deine Sache. Tue, was du als das Rechte
erkennst.
Volkslied/)
Von Dr. Wolfgang Bohn.
1. Als unser Herr erkannte
Des Leidens Quell und tiefsten Grund,
Ein Sehnen heiss entbrannte
Im weiten Weltenrund.
„Gib uns das Licht" das Beten hallt
Und braust mit zwingender Gewalt;
Natur, die nachtgebannte
Fühlt nah die Morgenstund'.
2. Der Selbstsucht eitle Pfade
Geht mancher noch in Trug und Traum,
Sieht nicht den Stern der Gnade,
Ahnt die Erlösung kaum.
Und ohne Rast bei Lust und Tand
Knüpft fester er des Leidens Band,
Vergisst das Ruhgestade,
Das fern von Zeit und Raum.
3. Doch manches Aug' verhüllet
Nur noch ein letzter dünner Flor,
Manch Flehn blieb unerfüllet,
Sucht schon der Blick das Tor,
Manch starkes Herze schritt vorbei
An ird'scher Wollust Jubelschrei.
Ein Rufen ungestillet
Tönt an des Herren Ohr.
4. Da wandte Tat und Denken
Der Herr den Welten wieder zu,
Uns Trost ins Herz zu senken
Verliess er seine Ruh', —
Trug einmal noch des Wanderns Leid
Und eines Lebens lange Zeit,
Der Jünger Schritt zu lenken
Der Friedenspfortc zu. —
>) Melodie aus Beethoven op. 20.
Ver»ntwortlicher Red.kteur: Karl B. SeidenslOckcr, Leipzig. Verlag: Buddhistischer VerUg
in Leipzig. — Druck von Arno Bachmann, Baalsdorl-Leipiig.
Alle Sünden meiden, die Tagend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhammapada, V. 183.
Einige Parallelen zwischen der
buddhistischen und christlichen Geburtslegende.
Fo-sho-hing-tsan-king.
I, 3—4. Im Wollen fest und
ruhig wie die Erde, rein wie
■ die Wasserlilie von Gesin-
nung, hiess sie mit bild-
licher Bedeutung Mäya, er-
haben über alle irdischen
Frauen.
Auf sie, das Ebenbild der
Himmelsfürstin, Hess sich
der Geist herab, den Ein-
gang wählend in ihren Mut-
terleib. Zwar Mutter, war
sie doch frei von Schmerz
und truglos im Gemüte.
I, 18. Jetzt bin ich als ein
Buddha neu geboren, her-
nach folgt keine weitere Ge-
burt mehr. Dies eine Mal
nur tret' ich noch ins Da-
sein, damit der ganzen
Welt ich Rettung bringe.
Evangelium des Lukas
und Matthäus.
Lukas I. Gegrüsset seist du
Holdselige! Der Herr ist
mit dir, du Gebenedeite un-
ter den Weibern . . .
Der heilige Geist wird
über dich kommen, und die
Kraft des Höchsten wird
dich überschatten; darum
auch das Heilige, das von
dir geboren wird, wird Got-
tes Sohn genannt werden.
Matth. I. Sie wird einen Sohn
gebären, des Namen sollst
du Jesus heissen; denn er
wird sein Volk erretten
von seinen Sünden.
Lukas IL Siehe, ich verkün-
dige euch grosse Freude,
die allem Volke widerfah-
ren wird; denn euch ist
heute der Retter geboren.
17
258
DER BUDDHIST.
I. Jahrg.
I, 22. Die Näga-Könige,
erfüllt von Freude und eifrig,
iiire Ehrfurcht zu bezeigen
dem höchst vortrefflichen
Gesetz, erschienen vor Bo-
dhisattva, Mandara- Blumen
streuend, innig erfreut ob
solcher frommen Huldigung.
I, 23, 30, 34, 35. Dass in
der Welt Tathägata erschie-
nen, erfreute auch die selig-
reinen Devas, nicht um des
eignen Bestens willen, son-
dern aus religiösem Sinn,
weil allem Leben, dem in
das Meer des Leidens tief
versenkten, jetzt zur Erlösung
war der Weg geöffnet.
Dicht wie Wolken kamen
in Scharen, zahllos, fromm
gesinnte Geister.
Unsichtbar Hess ringsum
Musik sich hören, des Frie-
dens und der allgemeinen
Ruhe erfreute sich, was nur
Empfindung hatte.
So wurden bei Bodhisatt-
vas Geburt alle Lebewesen
ihres Leides entledigt.
I, 38. Der königlichen Mutter
weiblich furchtsam Herz
ward erfüllt von Zweifeln,
als sie wahrnahm, wie dem
Gesetze der Natur zuwider
ihr Kind geboren ward.
Matth. II. Es kamen Weise
vom Morgenlande und sie
gingen in das Haus und
fanden das Kindlein mit
Maria, seiner Mutter, und
fielen nieder, beteten es an
und schenkten ihm Gold,
Weihrauch und Myrrhe.
Lukas II. Der Engel sprach:
„Siehe, ich verkündige euch
grosse Freude, die allem
Volke widerfahren soll; denn
euch ist heute der Retter ge-
boren "
Und plötzlich war da bei
dem Engel die Menge der
himmlischen Heerscharen,
welche Gott lobten uncl
sprachen: „Herrlichkeit [sei]
Gott in den höchsten [Sphä-
ren] und Friede auf Erden,
an den Menschen ein Wohl-
gefallen."
Lukas I. Da sie aber ihn
[den Engel] sah, erschrak sie
über seine Rede und ge-
dachte: Welch ein Gruss ist
das?
Maria sprach: Wie soll
das zugehen, sintemal ich
von keinem Manne weiss?
Lukas II. Maria aber behielt
alle diese Worte und beweg-
te sie in ihrem Herzen.
No. 9.
DER BUDDHIST.
259
I, 43, 45. Möge deshalb Freu-
de der König fühlen von
des Vollmonds Fülle, da ihm
ein Sohn geboren ohneglei-
chen, der seinem Stamme
hohen Ruhm wird bringen.
Dies neugeborene Kind
von überreicher Begabung
wird der ganzen Welt Be-
freiung verschaffen.
So kommt auch dem Ta-
thägata von allen Menschen,
die zur Welt geboren wer-
den, an Hoheit keiner gleich.
Der greise Seher Asiia
spricht von dem Bodhisatt-
va-Kindlein:
I, 94, 95, 98, 99, 101, 102,
103, 104, 107. Weil mir in
den Sinn kam mein Alter,
deshalb flössen meine Trä-
nen. Denn mir ist schon
das Ende nahe, aber euer
Sohn wird zum Heile alles
dessen, was lebt, geboren,
ein Weltlenker werden.
Da alles Fleisch ist in dem
Meer des Leidens versun-
ken, wird er, behende in der
Weisheit Fahrzeug steigend,
aus aller dieser Not die
Welt erretten, mit kluger
Kunst der Flut entgegen-
steuernd.
Die in dem Reich der
fünf Begierden gefesselt, oder
von zahlreichen Leiden ver-
folgt sind, oder irre gehen,
Matth. I. Joseph, du Sohn
Davids, fürchte dich nicht,
deine Gemahlin Maria zu
dir zu nehmen; denn was
von ihr geboren ist, das ist
von dem heiligen Geist.
Und sie wird einen Sohn
gebären, des Namen sollst
du Jesus [Retter] heissen;
denn er wird sein Volk
erretten von seinen Sünden.
Lukas I und II.
Und ihm war eine Antwort
geworden von dem heiligen
Geist, er sollte den Tod
nicht sehen, er hätte denn
zuvor den Christus des
Herrn gesehen.
Auf dass er erscheine
denen, die da sitzen in Fin-
sternis und Schatten des
Todes und richte unsere
Füsse auf den Weg des
Friedens.
Meine Augen haben dei-
nen Heiland gesehen, wel-
chen du bereitet hast, ein
Licht zu erleuchten die
260
DER BUDDHIST.
I. Jahrg.
Nationen und zur Herr-
lichkeit deines Volkes Is-
rael.
Lukas II. Aber das Kind
wuchs und ward stark im
Geist, voller Weisheit, und
Gottes Gnade war bei ihm.
unkundig des Weges in der
Wildnis der Geburt und des
Todes: Bodhisattva ist
geboren, der Rettung
Pfad für alle zu eröffnen.
II, 147. Wie nach und nach
das Licht der Sonne oder
des Mondes zunimmt, eben-
so wuchs täglich der könig-
liche Prinz an Schönheit
seiner Person und geistigen
Vortrefflichkeiten.
Die Berührungspunkte der
Philosophie Schopenhauers
und des Buddhismus.
Von Georg Jahn.
Der Buddhismus, der in neuester Zeit versucht, festen Fuss
auch im Abendlande zu fassen und mit der uralten Weisheit
der indischen Priester und Heiligen die Kultur des Westens zu
befruchten, wirkt seinem Ideengehalte nach schon seit Jahr-
zehnten auf Leben und Denken unserer Zeit ein. Es sind
nicht nur einzelne Berührungspunkte, die moderne Kultur und
Buddhismus gemeinsam haben, es handelt sich vielmehr um
eine tatsächliche Durchdringung derselben mit den ungleich
sozialeren Anschauungen der »Religion des Mitleids«. Eine
pessimistische Grundstimmung beherrscht mit Recht einen Teil
des westlichen Lebens der Gegenwart, ein Zug des Mitleids
geht durch unsere Zeit, der, entsprungen aus dem Anblick der
Leiden und Qualen dieses für so viele Menschen geradezu
jammervollen Daseins, überall lindernd, bessernd und helfend
eingreifen möchte. Gegenüber einem seichten und oft geradezu
nichtswürdigen Optimismus sind Künstler, Dichter und Philo-
sophen gleichzeitig bemüht, die Menge der Geist- und Gedanken-
losen, vom Strome der Zeit und des Geschehens mit fortgerissenen
No. 9. DER BUDDHIST. 261
Menschen auf die Nichtigkeit des Hastens und Jagens der
Welt hinzuweisen, ihr über Leid und Vergänglichlceit die Augen
zu offen und den Weg zu einer innerlich-geistigen Kultur zu
bereiten, die bei der herrschenden Äusserlichkeit und Ober-
flächlichkeit bitter not tut. Deshalb erfreut sich die Kunst
Richard Wagners und die seiner Anhänger und Schüler bei
den Gebildeten der grössten Beliebtheit, deshalb auch ist in
den letzten Jahrzehnten der einst so wenig gekannte und zu
seinen Lebzeiten in seiner Bedeutung niemals erkannte Schopen-
hauer sehr stark in Aufnahme gekommen und seine Gemeinde
rasch gewachsen. Er ist es, der zum ersten Male voUbewusst
eine pessimistische Philosophie aufbaute, die in allen Haupt-
punkten mit der Lehre des Buddhismus sich eng berührt, er ist
es, der damit zum Hauptpropheten des so nahe liegenden und
so sehr berechtigten Pessimismus auf modernem, abendländi-
schem Boden wird. Philosophie und Religion haben immer
mehr oder weniger Berührungspunkte, hauptsächlich in den
Fragen über die letzten Dinge des Seins, in den Fragen der
Metaphysik. Keine Philosophie kann die Metaphysik ganz ent-
behren, wenn anders sie eine in sich geschlossene Erklärung
des Welt- und Lebensproblems geben will; jede (?) Religion aber
baut sich notwendig auf metaphysischen Grundlagen auf. So
ist es kein Wunder, dass Schopenhauer und der Buddhismus
sich vielfach und stark berühren, zumal da des ersteren Philo-
sophie einen tiefen Glauben, eine grosse persönliche Überzeu-
gung in sich trägt und somit der Religion näher steht, als die
anderer Denker, der letztere aber, trotzdem er wie alle Reli-
gionen für das Volk berechnet und bestimmt ist, von einer
Tiefe des Denkens und des Urteils seiner Urheber zeugt, die
mancher sogenannten Philosophie Ehre machen würde. Scho-
penhauer hat seine Philosophie bereits zu einer Zeit durchge-
dacht und niedergeschrieben, in der man in Deutschland noch
herzlich wenig von indischer Philosophie und buddhistischer
Religion wusste. Als aber die Forschung auch in die Weisheit
des Orients einzudringen begann, da erkannte der Philosoph
bald die Übereinstimmung seiner Lehre mit der des Buddha
und betonte dieselbe freudig und oft. Wenn wir nunmehr
darangehen, eben diese Berührung und Übereinstimmung bei-
262 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
der Welt- und Lebensanschauungen darzustellen, so möchten
wir gleich bemerken, dass es sich nicht vermeiden lassen wird,
die ganze Philosophie Schopenhauers im Umriss wiederzugeben,
während wir uns in unseren Ausführungen über den Buddhis-
mus als etwas dem Leser mehr Bekanntes ja viel kürzer fassen
können.
Schopenhauers Weltanschauung ist eine idealistische. Auf
Kant fussend, unterscheidet er die Welt als Erscheinung vom
eigentlichen Wesen derselben, ihrem Kern, dem Ding an sich.
Als Erscheinung ist die Welt lediglich Vorstellung; alles, was uns
umgibt, alles, was in Raum und Zeit ausgebreitet ist, ist nur
da in Beziehung auf ein Anderes, auf ein Vorstellendes, kein Objekt
ohne ein Subjekt. Das Subjekt, das alles erkennt und doch von
Keinem erkannt wird, ist also der Träger der Welt, die Bedingung
alles Erscheinenden. Raum und Zeit, sowie das Gesetz der
Kausalität, dem Schopenhauer eine vierfache Gestaltung gibt,
sind die subjektiven Formen, welche die Welt nur als Vor-
stellung uns zum Bewusstsein kommen lassen, und die wir
als angeboren in uns tragen. Das Wesen der Zeit ist die
Succession, die Aufeinanderfolge, das Wesen des Raumes die
Möglichkeit der wechselseitigen Bestimmungen seiner Teile
durcheinander, welche Lage heisst. Die Materie aber, die man
vielfach als das Wesen der Dinge anzusehen sich gewöhnt hat,
ist nichts als Kausalität, sie ist nur, sofern sie wirkt. Durch
das Gesetz der Kausalität, welches besagt, dass alles, was ge-
schieht, einen zureichenden Grund haben muss, wird die Auf-
einanderfolge der Zustände in Hinsicht auf einen bestimmten
Raum, und das Dasein derselben an einem gewissen Ort zu
einer gewissen Zeit bestimmt. Die Kausalität vereinigt also
den Raum erst mit der Zeit. Das Zugleichsein der Dinge
macht Wirklichkeit und Dauer möglich, von denen die letztere
wieder die Bedingung für die Veränderung, den Wandel der
Beschaffenheit und Form bei Beharren der Substanz ist. Es
ist nun die Funktion des Verstandes, das Kausalitätsverhältnis
der Dinge zu erkennen, eine Tätigkeit, die sich in der An-
schauung der wirklichen Welt äussert. Alle Anschauung aber
ist nicht nur sinnlich, sondern intellektuell, ist eine Verstandes-
erkenntnis der Ursache aus der Wirkung. Sofern wir die
No. 9. DER BUDDHIST. 263
Welt mit unserm Verstand anschauend erkennen, hat sie
empirische Realität; andererseits aber besitzt sie, da sie sich
eben nur als Vorstellung gibt, transzendentale Idealität. Die
Tätigkeit der Vernunft besteht im Bilden von Begriffen und
Urteilen aus dem anschaulich Erkannten. Während nun das
durch den Verstand richtig Erkannte Realität, Übergang der
Wirkung im unmittelbaren Objekt auf deren Ursache ist, heisst
das von der Vernunft richtig Erkannte Wahrheit und besteht
in einem abstrakten Urteil mit zureichendem Grunde.
Die objektive Welt, die Welt der Vorstellungen, ist nicht
die einzige, sondern nur eine gleichsam äussere Seite der Welt,
welche noch eine ganz und gar andere Seite hat, die ihr
innerstes Wesen, ihren Kern, das Ding an sich, ausmacht.
Diese Wirklichkeit nun, die der Totalität der Welt zu Grunde
liegt, ist der Wille. Alle Vorstellung, alles Objekt ist Er-
scheinung, Ding an sich ist allein der Wille. Er ist es, wovon
alles Vorgestellte, alles Objekt erst wieder Erscheinung, Sicht-
barkeit, Objektität ist. Er ist das Innerste, der Kern jedes
Einzelnen und ebenso des Ganzen, er erscheint in jeder blind-
wirkenden Naturkraft, er erscheint auch im überlegten Handeln
des Menschen. Dieser Wille als Ding an sich nun liegt
ausserhalb des Gebietes des Satzes vom Grunde, er allein ist
völlig frei und schlechthin grundlos, obwohl jede seiner Er-
scheinung durchaus dem Satze vom Grunde unterworfen ist.
Die Welt des blossen Seins, des Dinges an sich, ist also das
Reich der Freiheit; die Welt des Geschehens, der Erscheinung,
des Handelns dagegen macht das Gebiet der Notwendigkeit
aus, und es ist nicht umgekehrt, wie oberflächliche Geister
leicht anzunehmen geneigt sind. Die Objektivation des Willens
nun tritt uns in der Natur in verschiedenen Stufen entgegen.
Am rohesten und niedrigsten zeigt er sich in dem blinden und
dumpfen Walten der Kräfte in der unorganischen Natur. Auf
einer höheren Stufe stehend, offenbart er sich in der Reaktion
der Pflanzen auf die Reize der Aussenwelt, vollkommener
wieder in dem unbewussten Triebleben der Tiere und Menschen,
in seiner vollendetsten Gestalt aber im bewussten Tun des
Menschen. Die Welt ist lediglich Wille, solange noch ein Gehirn
fehlt wie in der unorganischen Natur und der Pflanzenwelt.
264 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Entsteht dieses aber, wie bei den Tieren und Mensciien, so
ist sofort auch die Vorstellung mit allen ihren Formen, Objekt
und Subjekt, Zeit und Raum, Vielheit und Kausalität da. Der
überall in der Natur wirkende Wille, dessen Erscheinung die
ganze sichtbare Welt ist, besitzt vollkommene Einheit, aus der
sich sowohl die innere als auch die äussere Zweckmässigkeit
der Welt erklärt. Die beste Erläuterung zu der letzteren gibt
uns das unbewusste Triebleben der Tiere. In der äusseren
wie auch in der inneren Zweckmässigkeit ist das, was wir als
Mittel und Zweck denken müssen, überall nur die für unsere
Erkenntnisweise in Raum und Zeit auseinander getretene Er-
scheinung der Einheit des mit sich selbst übereinstimmenden
einheitlichen Willens.
Während diese idealistische Weltansicht vom gewöhnlichen
Verstände im Abendlande zumeist nicht geteilt wird, sondern
als ein kaum ernstlich zu nehmendes Paradoxon gewisser
Philosophen gilt, ist sie im Brahmanismus und Buddhismus
bereits seit Jahrtausenden Lehre der Volksreligion. Es liegt
nun dem Buddhismus als Religion durchaus fern, eine be-
stimmte philosophische Lösung des „Welträtsels" seinen An-
hängern aufzwingen zu wollen, wie etwa der Katholizismus
mit seinen Dogmen gegenüber seinen Bekennern verfährt; er
tritt vielmehr nur in die Fusstapfen der ihm von der alten in-
dischen Philosophie überkommenen Welterklärung, ohne ihr je-
doch eine unbedingte Gültigkeit zuzuschreiben. Nach dieser Lehre
nun unterliegt es keinem Zweifel, dass die körperliche Welt und
bewusste in ihr lebende Wesen wirklich existieren, es ist eine
Tatsache, dass die sichtbare Welt empirische Realität besitzt.
In dieser Welt des ewigen Geschehens aber ist alles dem
Gesetze von Ursache und Wirkung, dem Gesetze der Kausalität
naturnotwendig unterworfen. Es gibt keine Ausnahme hiervon,
es gibt im Geschehen, im Handeln und Tun keine Freiheit, es
herrscht hier vielmehr, ganz wie bei Schopenhauer, ein strenger
Determinismus. Auf Ursachen müssen notwendig irgendwelche
Wirkungen folgen, ein Stillstand im Fortlauf des Geschehens
ist ausgeschlossen. Die Welt ist in ewigem Flusse, alles än-
dert sich beständig, wenn auch unmerklich, überall herrscht
der Wechsel, nirgends ist ein ruhiger Punkt, ein rettendes Ei-
No. 9. DER BUDDHIST. 265
land, auf das man sich flüchten könnte. So kommt es, dass
die Welt, in der wir leben, der Samsära, die Welt des ewigen
Entstehens und Vergehens, der Geburt und des Todes, eine
Welt des Irrtums und der Täuschung, des Scheins und des
Trugs ist. Das Dasein der dem Gesetz der Kausalität unter-
worfenen sichtbaren Welt, der Welt als Vorstellung, ist ganz
und gar veraltet. Das spricht schon die uralte Weisheit der
Inder aus, wenn sie sagt: Es ist dieMäyä, der Schleier des Truges,
welcher die Augen der Sterblichen umhüllt und sie in eine
Welt sehen lässt, von der man weder sagen kann, dass sie
sei, noch auch, dass sie nicht sei; denn sie gleicht dem Traum,
der uns im Schlaf umhüllt, gleicht dem Sonnenglanz auf dem
Sande, welchen der Wanderer von fern für ein Wasser hält,
gleicht dem hingeworfenen Strick, den er für eine Schlange
ansieht. (Fortsetzung folgt.)
Die Lehre des Buddha
oder: Die vier heiligen Wahrheiten.
Nach Aussprüchen des Päli-Kanons zusammengestellt.
Von Bhikkhu Nyänatiloka (Ceylon).
(3. Fortsetzung.)
Erste Stufe: Sammäditthi, rechte Erkenntnis/)
Inwiefern nun, ihr Brüder, hat ein heiliger Jünger die
rechte Erkenntnis?
[Erkenntnis des Guten und Bösen:] Wenn, ihr Brü-
der, der heilige Jünger das Böse erkennt und die Wurzel des
Bösen erkennt, wenn er das Gute erkennt und die Wurzel des
Guten erkennt, dann hat er, ihr Brüder, die rechte Erkenntnis,
ist seine Erkenntnis eine ehrliche, seine Liebe zum Dhamma
erprobt, gehört er dieser edlen Lehre an. Was ist nun, ihr
Brüder, das Böse?
*) Andere Übersetzungen sind: Rechter Glaube, rechte Ansichten
rechtes Verständnis, rechte Einsicht.
266
DER BUDDHIST.
1. Jahrg.
[Das zehnfache schleciite Wirken:]
I. Körperliches Wirken
(Käya-kamma).
II. Sprachliches Wirken
(Väci-kamma).
III. Inneres Wirken
(Mano-kamma).
1. Töten, ihr Brüder, ist das Böse.
2. Stehlen ist das Böse.
3. Unzucht treiben ist das Böse.
4. Lügen ist das Böse.
5. Verleumden ist das Böse.
6. Roh reden ist das Böse.
7. Unnütz reden ist das Böse.
8. Begierde ist das Böse.
9. Hass ist das Böse.
10. Irrwahn ist das Böse.
[Die dreifache Wurzel des Bösen:] Und was, ihr
Brüder, ist die Wurzel des Bösen? Begierde (lobha) ist die
Wurzel des Bösen, Hass (dosa) ist die Wurzel des Bösen,
Wahn (moha) ist die Wurzel des Bösen.
[Das zehnfache gute Wirken:] Und was, ihr Brüder,
ist das Gute?
1. Überwindung des Tötens ist das Gute.
2. Überwindung des Stehlens ist das Gute.
3. Überwindung der Unzucht ist das Gute.
4. Überwindung der Lüge ist das Gute.
5. Überwindung d.Verleumdung ist dasGute.
6. Überwindung der rohen Rede ist das Gute.
7. Überwindung d. unnützen Rede ist d. Gute.
8. Überwindung der Begierde ist das Gute.
9. Überwindung des Hasses ist das Gute.
10. Überwindung des Irrwahns ist das Gute.
[Die dreifache Wurzel des Guten:] Und was, ihr Brü-
der, ist die Wurzel des Guten? Freisein von Begierde ist
die Wurzel des Guten, Freisein von Hass ist die Wurzel
des Guten, Freisein von Wahn ist die Wurzel des Guten.
[Erkenntnis des Leidens:] Und ferner noch, ihr Brüder,
wenn der heilige Jünger das Leiden erkennt, und die Leidens-
entstehung, die Leidensvernichtung erkennt und den
zur Leidensvernichtung führenden Pfad, dann hat er,
ihr Brüder, die rechte Erkenntnis, ist seine Erkenntnis eine
I. Körperliches
Wirken
(Käya-kamma).
II. Sprachliches
Wirken
(Väci-kamma).
in. Inneres
Wirken
(Mano-kamma).
No. 9. DER BUDDHIST. 267
ehrliche, seine Liebe zum Dhamma erprobt, gehört er dieser
edlen Lehre an. (Majjhima-Nikäya 9.) —
[Unnütze Fragen:] Wer da, ihr Brüder, also spräche:
„Nicht eher will ich bei dem Erhabenen das Jünger-Leben
führen, bis mir der Erhabene mitgeteit haben wird, ob die
Welt ewig oder zeitlich ist, ob die Welt endlich oder
unendlich, ob Leben und Leib ein und dasselbe, oder
anders das Leben und anders der Leib ist, ob der
Vollendete nach dem Tode fortbesteht oder nicht fort-
besteht", — dem könnte, ihr Brüder, der Tathägata nicht
genug mitteilen: denn jener stürbe zuvor hinweg.
Gleichwie etwa, ihr Brüder, wenn ein Mann von einem
Pfeile getroffen wäre, dessen Spitze mit Gift bestrichen wurde,
und seine Freunde und Genossen, Verwandte und Vettern be-
stellten ihm einen heilkundigen Arzt; er aber spräche: „Nicht
eher will ich diesen Pfeil herausziehen lassen, bevor ich nicht
weiss, wer jener Mann ist, der mich getroffen hat, ob er ein
Fürst oder ein Priester, ein Bürger oder ein Diener ist", —
wenn er spräche: „Nicht eher will ich diesen Pfeil heraus-
ziehen lassen, bevor ich nicht weiss, wer jener Mann ist, der
mich getroffen hat, wie er heisst, woher er stammt, wohin er
gehört", — wenn er spräche: „Nicht eher will ich diesen Pfeil
herausziehen lassen, bevor ich nicht weiss, wer jener Mann
ist, der mich getroffen hat, ob er gross oder klein oder von
mittlerer Gestalt ist", — nicht genug, wahrlich, ihr Brüder,
könnte dieser Mann erfahren: denn er stürbe zuvor hinweg.
(Majjhima-Nikäya 63.)
0 möchte deshalb der Mensch, der doch sein eigenes
Wohl sucht, diesen Pfeil herausreissen, diesen Pfeil des Jam-
mers, der Klagen und der Sorgen; denn ob nun diese These:
„Die Welt ist ewig" zurecht besteht, oder die These: „Die
Welt ist zeitlich": sicher besteht Geburt, besteht Altern, besteht
Sterben, besteht Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Verzweif-
lung, deren schon bei Lebzeiten zu erreichende Vernichtung
ich kennen lehre. (Majjhima-Nikäya 63.)
Da hat einer, ihr Brüder, nichts erfahren, ist ein gewöhn-
licher Mensch, ohne Sinn für das Heilige, der heiligen Lehre
unkundig, der heiligen Lehre unzugänglich, ohne Sinn für das
268 DtR BUDDHIST. 1. Jahrg.
Edle, der Lehre der Edlen unkundig, der Lehre der Edlen un-
zugänglich.
[Die fünf grossen Fesseln:] Der Glaube an Per-
sönlichkeit hat sein Herz umsponnen, hat sein Herz um-
zogen, und wie man dem sehrenden Glauben an Persönlich-
keit entgehen könne, daran denkt er nicht der Wahrheit gemäss;
dem ist dieser Glaube an Persönlichkeit, weil er ihn hat er-
starken lassen, weil er ihn nicht aufgelöst hat, zu einer nieder-
zerrenden Fessel geworden.
Der Zweifel hat sein Herz umsponnen, — die Askese
als Selbstzweck*) hat sein Herz umsponnen, — die
Sucht des Begehrens hat sein Herz umsponnen, die Ge-
hässigkeit hat sein Herz umsponnen, hat sein Herz umzogen,
und wie man diesen sehrenden Fesseln entgehen könne, daran
denkt er nicht der Wahrheit gemäss; dem sind diese Übel,
weil er sie hat erstarken lassen, weil er sie nicht aufgelöst hat,
zu niederzerrenden Fesseln geworden.
Ohne Kenntnis der würdigen Dinge, ohne Kenntnis der
unwürdigen Dinge achtet er auf das Unwürdige und nicht auf
das Würdige.
[Seichte Erwägungen:] Und seicht erwägt er also:
„Bin ich wohl in den vergangenen Zeiten gewesen? Oder bin
ich nicht gewesen? Was bin ich wohl in den vergangenen
Zeiten gewesen? Wie bin ich wohl in den vergangenen Zeiten
gewesen? Was geworden bin ich dann was gewesen?
Werde ich wohl in den zukünftigen Zeiten sein? Oder werde
ich nicht sein? Was werde ich wohl in den zukünftigen Zeiten
sein? Wie werde ich wohl in den zukünftigen Zeiten sein?
Was geworden werde ich dann was sein?"
Und auch die Gegenwart erfüllt ihn mit Zweifeln: „Bin
ich denn? Oder bin ich nicht? Was bin ich? Und wie bin
') Im Päli: Sllabbata paramasa. Dies ist die Einbildung, dass man
Tugend durch Sittiichiceitsregeln oder durch blosse Zeremonien oder auch
durch beide erlangen könne. Im Fa-Kheu-King-Tsu, dem Dliamma-
pada der Chinesen, heisst es: „Opferverrichtungen und dergleichen Dienste
sind Quellen der Sorge, Tag und Nacht eine beständige Bürde und Last;
um dem Leiden zu entgehen, sollte man sich an die Lehre des Buddha
halten und sich von den Banden aller Religionsformen frei machen."
No. 9. DER BUDDHIST. 200
ich? Dieses Wesen da, woher ist es wohl gekommen? Und
wohin wird es gehen?"
[Die sechs Spei<ulationen über die Seele:] Und bei
solchen Erwägungen kommt er zu dieser oder zu jener der
sechs Ansichten. Die Ansicht: „Ich habe eine Seele" wird
ihm zur festen Überzeugung, oder die Ansicht: „Ich habe keine
Seele" wird ihm zur festen Überzeugung, oder die Ansicht:
„Beseelt ahn' ich Beseelung" wird ihm zur festen Überzeugung,
oder die Ansicht: „Beseelt ahn' ich Entseelung" wird ihm zur
festen Überzeugung, oder die Ansicht: „Entseelt ahn' ich Be-
seelung" wird ihm zur festen Überzeugung, oder er kommt zu
folgender Ansicht: „Mein selbiges Selbst, sage ich, findet sich
wieder, wenn es da und dort den Lohn guter und böser Werke
geniesst, und dieses mein Selbst ist dauernd, beharrend, ewig,
unwandelbar, wird sich ewiglich also gleich bleiben." — Ist
das nicht, ihr Brüder, eine völlig ausgereifte Narrenlehre? Das
nennt man, ihr Brüder, Gasse der Ansichten, Höhle der An-
sichten, Schlucht der Ansichten, Dorn der Ansichten, Hag der
Ansichten, Garn der Ansichten. Ins Garn der Ansichten ge-
raten, ihr Brüder, wird der unerfahrene Erdensohn nicht frei
vom Geboren-werden, Altern und Sterben, von Not, Jammer
und Schmerz, von Gram und Verzweiflung; er wird nicht
frei, sage ich, vom Leiden.
Doch der erfahrene, heilige Jünger, ihr Brüder, merkt das
Heilige, ist der heiligen Lehre gewärtig, ist der heiligen Lehre
wohl zugänglich, merkt das Edle, ist der Lehre der Edlen ge-
wärtig, ist der Lehre der Edlen wohl zugänglich; er erkennt,
was der Achtsamkeit wert ist und erkennt, was der Achtsam-
keit unwert ist. Bekannt mit den würdigen Dingen, bekannt
mit den unwürdigen Dingen achtet er nicht des Unwürdigen,
sondern des Würdigen. „Dies ist das Leiden" — erwägt er
gründlich. „Dies ist die Leidensentstehung" — erwägt er
gründlich. „Dies ist die Leidensvernichtung" — erwägt er
gründlich. „Dies ist der zur Leidensvernichtung führende Pfad"
— erwägt er gründlich.
[Der erste Pfad der Heiligung und die Befreiung
von den drei Fesseln:] Und bei solcher gründlicher Erwä-
gung lösen sich ihm die drei Umgarnungen auf: die egoisti-
270 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sehen Ansichten, die Zweifelsucht und der Glaube an
die Wirksamkeit äusserer Handlungen. Und mehr als
die höchste Würde der Erde, als der Genuss himmlischer
Freuden und der Besitz des ganzen Weltalls ist schon dieser
erste Schritt auf dem Pfade der Heiligung wert; denn jene
Jünger, welche die drei Fesseln irdischen Wahnes abgestreift
haben, alle diese sind »Hörer der Botschaft« (Sotäpannä*)
geworden, dem Verderben entronnen, eilen zielbewusst dem
vollen Erwachen entgegen. (Majjhima-Nikäya 22.)
(Fortsetzung folgt.)
Goethe ein Buddhist.
Von Dr. Paul Carus.
(Schluss.)
Das buddhistische Nirväna ist die Auslöschung der Ego-
Illusion; es ist die Vernichtung des Irrtums der Selbstheit,
aber nicht die Vernichtung der menschlichen Seele oder der
Welt. Nirväna ist nicht Tod, sondern Leben; es ist der rechte
Lebensweg, welcher durch die Überwindung aller Leiden-
schaften, die das Gemüt umwölken, erreicht werden kann.
Nirväna ist die Ruhe in der Tätigkeit, die Stille eines Menschen,
welcher sich selbst aufgerichtet und gelernt hat, das Leben in
seinen ewigen Aspekten zu betrachten. Wahre Ruhe ist nicht
Quietismus, sondern wohl abgewogene Tätigkeit. Es ist die
Hingabe des Selbstes als Umtausch für das unbegrenzbare
Leben der Wahrheits-Evolution. Es ist in unserem Leben und
Streben die Überwindung des Selbst-Gedankens und der Vor-
stellung: „Merkt auf: Ich bin es, der dies tut." Und die Auf-
lösung alles Eigendünkels ist nicht, wie der Egoist sich ein-
bildet, ein Verzicht, eine Entbehrung, sondern höchste Seligkeit.
Goethe sagt in seinem Gedicht »Ein und Alles«:
') Die vier Pfade der Heiligkeit sind der Pfad des Sotäpanna,
des Sakadägämt, des Anägämt und des Arahä. Diese vier Klassen
von heiligen Jüngern besitzen die vollkommene rechte Erkenntnis
(lokuttara sammäditthi) im Gegensatz zur unvollkommenen rechten
Erkenntnis (lokiya sammäditthi) der weltlichen Anhänger.
No. 9. DER BUDDHIST. 271
„Im Grenzenlosen sich zu finden,
Wird gern der Einzelne verschwinden,
Da löst sich aller Überdruss:
Statt heissem Wünschen, wildem Wollen,
Statt läst'gem Fordern, strengem Sollen,
Sich aufzugeben ist Genuss."
Betrachtung und Abgeschiedenheit haben ihren Reiz und
sind dem Trubel des weltlichen Lebens bei weitem vorzuziehen.
Goethe liebte die Wonne der Abgeschlossenheit, und in seinem
»Lied an den Mond« heisst es:
„Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Hass verschliesst,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem geniesst,
„Was, von Menschen nicht gewusst,
Oder nicht gedacht.
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht." —
Nach der Goetheschen Anschauung über die Seele und über
das Streben des Menschen, wie sie in seinen eigenen Gedich-
ten zum Ausdruck gelangt, kann es uns nicht Wunder nehmen,
sondern muss uns ganz natürlich erscheinen, dass seine
Gottes-Idee mehr dem Amitäbha, als dem Zeus oder Jahwe
gleicht. Er sagt:
„Was soll mir euer Hohn
Über das AU und Eine?
Der Professor ist eine Person,
Gott ist keine."
Ebensowenig erwartet Goethe Hilfe vom Himmel; er hat
gelernt auf sich selbst zu stehen. Der Dichter lässt Prome-
theus sprechen:
„Da ich ein Kind war.
Nicht wusste, wo aus noch ein,
Kehrt' ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber war'
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
712 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Ein Herz, wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
„Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet
Heilig glühend' Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben!"
Goethes Gott ist das Ewige im Vergänglichen, das Unver-
änderliche im Wechsel und die Ruhe, welche der Vertiefte in
dem immer rollenden Lauf der kreisenden Welten entdecken
wird: Gott ist mit einem Wort das kosmische Nirväna,
die Ruhe in der Unruhe, der Friede im Kampf und die
Seligkeit, welche in den Mühen hehren Strebens er-
erreicht wird. Goethe sagt:
„Wenn im Unendlichen dasselbe
Sich wiederholend ewig fHesst,
Das tausendfältige Gewölbe
Sich kräftig in einander schliesst.
Strömt Lebenslust aus allen Dingen,
Dem kleinsten wie dem grössten Stern,
Und alles Drängen, alles Ringen,
Ist ewige Ruh' in Gott dem Herrn."
Welches auch immer die Lehren des Buddha gewesen
sein mögen: soviel ist gewiss, dass das Prinzip des Buddhis-
mus dasselbe ist wie das Prinzip der »Wissenschafts-Reli-
gion«; denn der Buddhismus ist die Religion der
Erleuchtung, und Erleuchtung bedeutet eine vollkommene
Einsicht in den Sinn des Lebens als Grundlage der Religion.
Goethes diesbezügliche Worte sind sehr klar. Er kommt dem
Buddhismus ausserordentlich nahe; daher verwirft er nicht das
Christentum, aber er lehnt es entschieden ab, sich durch die
dogmatische Beschränktheit des letzteren irgendwie einengen
zu lassen. Goethe nimmt die Wahrheiten an, welche das
No. 9. DER BUDDHIST. 273
Christentum der Welt gegeben hat, und merke dir wohl, warum
er sie annimmt: Weil sie nicht als das ausschliessliche Erbe
einer Kirche oder Sekte gelten dürfen, sondern als das Gut
der gesamten Menschheit; deshalb hat der Forscher ein Recht
auf diese Wahrheiten, und indem Goethe sein Recht mit dem
des Forschers identifiziert, nimmt er es auch für sich selbst
in Anspruch.
Der Dichter richtet an die Christ-Gläubigen folgende Worte:
„Ihr Gläubigen! rühmt nur nicht euren Glauben
Als einzigen: wir glauben auch wie ihr;
Der Forscher lässt sich keineswegs berauben
Des Erbteils, aller Welt gegönnt — und mir."
Wie nahe ist Goethe, der Forscher, daran, in diesen Zeilen
seinen Glauben direkt als »Wissenschafts-Religion« zu
bezeichnen.
Die Tatsache, dass Goethes Anschauung über die Seele
sich in vollkommenem Einklang mit den Lehren des Buddha
befindet, ist um so bemerkenswerter, als Goethe selbst mit
den Grundzügen des buddhistischen »Abhidharma« nicht
vertraut war.
Ich könnte hier auf viele Übereinstimmungen zwischen
dem Buddhismus und den Resultaten der modernen Wissen-
schafft speziell auf dem Gebiete der Psychologie hinweisen.
Diese Übereinstimmung kann uns keineswegs überraschen;
denn der Buddhismus ist eine Religion, welche keine andere
Offenbarung anerkennt, als die Wahrheit, welche durch die
Wissenschaft bewiesen werden kann. Der Buddha lehrt seine
Jünger die Tatsachen des Lebens betrachten, ohne die letz-
teren durch Voraussetzungen oder metaphysische Annahmen
zu verdrehen. Seine Religion ist das radikalste Freidenkertum,
welches vor keinen Konsequenzen zurückschreckt noch irgend
jemanden durch Gefühlsphantastereien irreleitet. Und doch ist
der Buddhismus gleichzeitig die ausserordentlich ernste Hin-
gebung an die Wahrheit; denn ein hervorstechender Zug der
Buddha-Religion ist immer folgender gewesen: Die Über-
windung der Ego-Illusion bleibt keine blosse Theorie,
sondern sie wird ein Prinzip der Lebensführung,
welches die Nachfolger der Tathägata antreibt, allen Egois-
18
274 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
mus aufzugeben, in brüderlicher Liebe und Herzensreinheit
zu wachsen und sich dem Wohle ihrer Mitgeschöpfe zu wid-
men und vor allen Dingen denen beizustehen, welche mühselig
und beladen sind.
Christus lehrte durch sein Beispiel, durch markige Worte
und Gleichnisse eine Ethik, welche sich mit den Sittenlehren
des Buddhismus nahe berührt; aber Christus lehrte keine
Philosophie und kein religiöses System. Christi Sittenlehren
stellen einen breiten Humanitarismus dar, und die Gestalt
Christi steht vor uns als das ecce homo, — als des Men-
schen Sohn, als der Repräsentant des Menschengeschlechtes.
Die Kirche, welche sich aus der ethischen Bewegung, die
von Christus ausging, entwickelt hat, hat die von Christus
vernachlässigten theoretischen Lehren ergänzt; aber un-
glücklicherweise ersetzten die kirchlichen Dogmatiker das breite
»ecce homo« durch ein enges »ecce ego«, und so sind die
Annahmen der Ego-Psychologie offiziell als christliche
Dogmen anerkannt worden. Und doch wage ich zu behaupten,
dass jene beiden Meister in der Welt des Denkens, Buddha
und Goethe, dem Geiste Christi näher stehen als die, welche
seinen Namen tragen und sich seine Jünger nennen. Wenn
die Anhänger des dogmatischen Christentums endlich einmal
den Lehren der forschenden Wissenschaft Gehör schenken
wollten, dann würden sie wenigstens zu einem inneren Ver-
ständnis der Sittenlehren ihres Meisters bekehrt werden. —
Die Macht der Meditation.
Von James Allen.
t?] ' Die geistige Meditation ist die geheimnisvolle Leiter, welche
Erde und Himmel verbindet, welche vom Irrtum zur Wahrheit,
vom Leiden zum Frieden führt. Jeder heilige Mensch hat diese
Leiter bestiegen; ein jeder Sünder muss früher oder später
ihr sich nahen, und jeder müde Pilger, welcher von der Lust
der Welt und der Selbstsucht sich abwendet, muss mit seinem
Fuss die goldenen Sprossen betreten.
No. 9. DER BUDDHIST. 275
Die Meditation ist das intensive Richten der Gedanken
auf eine Idee oder einen Gegenstand zu dem Zwecke, dieselben
gänzlich zu ergreifen, und dasjenige, worüber du beständig
meditierst, wird allmählich nicht nur deinem Verständnis sich
erschliessen, sondern du wirst demselben mehr und mehr
ähnlich oder gleich werden; denn es wird sich in deinem
eigenen Wesen verkörpern, ja es wird tatsächlich dein eigenes
Selbst werden. Wenn du daher mit deinen Gedanken fort-
während bei Dingen weilst, die der Selbstsucht frönen und
niedrig sind, so wirst du schliesslich selbstsüchtig und niedrig;
pflegst du dagegen beständig reine, nicht-selbstische Gedanken,
so wirst du am Ende sicherlich lauter und selbstlos werden.
Sage mir, woran du am häufigsten und intensivsten denkst,
sage, wohin sich in stillen Stunden deine Seele von selbst
kehrt, — und du gibst dir damit zugleich die Antwort, zu
welcher Stätte des Leidens oder Friedens du unterwegs bist,
und ob du zu dem Ebenbild des Göttlichen oder des Tierischen
heranreifst.
Nach einem nicht zu umgehenden Gesetz wird der Mensch
buchstäblich die Verkörperung der Eigenschaften, an die er
am beharrlichsten denkt. Zufolge dessen sei der Gegenstand,
den du zu deiner Meditation erwählst, nicht niedrig, sondern
erhaben, so dass du zu jeder Zeit, wann du in Gedanken zu
ihm zurückkehrst, innerlich erhoben wirst; der Gegenstand
deiner Meditation sei rein und von keinem selbstischen Element
durchgesetzt; dann wird dein Gemüt geläutert und wird der
Wahrheit immer näher kommen, anstatt befleckt und hoffnungs-
los in Irrwahn verstrickt zu werden.
Die Meditation im geistigen Sinne, — in welchem ich hier
dieses Wort gebrauche, — ist das Geheimnis jeglichen Wachs-
tums im inneren Leben und in der geistigen Erkenntnis. Jeder
Prophet, Weise und Heiland wurde, was er war, durch die
Kraft der Meditation.
Wenn du befreit werden willst von Sünde und Leid, —
wenn du von jener fleckenlosen Reinheit kosten willst, nach
der du dich sehnst und schmachtest, — wenn du Willens bist,
Weisheit und Einsicht zu verwirklichen und den Besitz eines
tiefen, dauernden Friedens anzutreten, — dann komm' jetzt und
18*
7t6 DER BUDbHISt. I. jahfg.
beschreite den Pfad der Meditation, und der höchste Gegen-
stand deiner Vertiefung sei die Wahrheit.
Gleich von vornherein muss man die Meditation von eitler
Schwärmerei unterscheiden. Da gibt es keine Träumereien
und unnütze Hirngespinste. Es handelt sich hier vielmehr um
den Prozess ernsten und unbestechlichen Denkens, welches
nichts anderes zurückbleiben lässt, als die einfache, nackte
Wahrheit. Und so wirst du nach und nach alle Irrtümer be-
seitigen, weiche du während vergangener Zeiten um dich er-
richtet hast, wirst geduldig der Enthüllung der Wahrheit ent-
gegenharren, die sich einstellen wird, nachdem die Formen
deines Irrtums hinlänglich zerstreut sind.
Wähle dir einen bestimmten Teil des Tages aus, während
dessen du meditieren willst und weihe diesen Zeitpunkt ganz
deinem Unternehmen. Die beste Zeit ist die der frühesten
Morgenstunden, wenn der Geist der Ruhe über alle Dinge
ausgebreitet ist. Alle natürlichen Bedingungen sind dann
deinem Beginnen günstig. Die Leidenschaften sind nach der
längeren körperlichen Nachtruhe zum Schweigen gebracht;
die Aufregungen und Wirren des letzten Tages sind verblasst,
und das neugestärkte, beruhigte Gemüt ist befähigt, geistige
Anweisungen entgegen zu nehmen. Freilich, — eine der ersten
Anstrengungen, zu der du dich aufraffen musst, besteht darin,
alle Schlaffheit und Selbstnachsicht abzuschütteln, und solange
du dich dessen weigerst, wirst du unfähig bleiben, irgendwelche
Fortschritte zu machen; denn die Forderungen des Geistes sind
gebieterisch.
Geistig erwacht sein bedeutet also inneres und äusseres
Wach-sein. Der Träge und Bequeme kann keine Wahrheits-
Erkenntnis haben. Wer, obwohl gesund und kräftig, die stillen,
köstlichen Stunden des schweigenden Morgens in schläfriger
Trägheit vergeudet, ist gänzlich unfähig, die geistigen Höhen
zu erklimmen.
Wessen erwachendes Bewusstsein frei geworden ist zur Ent-
faltung seiner erhabenen Möglichkeiten, wer damit begonnen
hat, die Finsternis des Nichtwissens, in welches die Welt ein-
gehüllt ist, zu durchbrechen, der erhebt sich von seinem Lager,
bevor die Sterne ihre Nachtwache vollendet haben, — der
No. 9. DER BUDDHIST. .;^7
ringt mit dem Dunkel in seiner Seele und strebt in heiliger
Anstrengung danach, das Licht der Wahrheit zu empfinden
— während die unerwachte Welt noch fortträumt.
Die Höhen, welche Weise einst erklommen,
Sie wurden nicht in einem Flug erreicht;
Wenn alle Welt in Schlummers Armen ruhte,
Des Nachts, dann rangen sie im inneren Kampf.
Kein Weiser, kein Heiliger, kein Wahrheitskünder hat je
gelebt, der sich nicht in aller Morgen-Frühe erhoben hätte.
Der Buddha erhob sich immer eine Stunde vor Sonnenaufgang
und verbrachte diese Zeit in Meditation, und alle seine Jünger
waren ebenfalls dazu angewiesen.
Wenn du dein Tagewerk beim ersten Morgengrauen
beginnen musst und daher verhindert bist, den frühen Morgen
einer stystematischen Meditation zu widmen, so versuche es,
eine Stunde der Nacht zu opfern, und sollte dir auch dies
wegen der Länge und Schwere deiner Arbeiten versagt sein, so
brauchst du deshalb nicht zu verzweifeln; denn du kannst
dann in den Pausen deiner Arbeit oder in den freien Minuten,
die du jetzt zwecklos vergeudest, deine Gedanken in heiliger
Meditation sammeln; und sollte deine tägliche Beschäftigung
mehr automatisch-mechanischer Art sein, so kannst du während
deiner Arbeit der Meditation obliegen. In jedem Leben, in
jedem Beruf ist Zeit zum Nachdenken vorhanden, und auch der
am meisten Beschäftigte, auch der hart Arbeitende ist durchaus
nicht von innerer Anstrengung und Meditation ausgeschlossen.
Geistige Meditation und Selbstzucht sind eng mit einander
verbunden; du wirst demgemäss damit beginnen müssen, über
dich selbst zu meditieren; denn denke daran: der grosse
Gegenstand, den du im Auge hast, bedeutet die vollständige
Entfernung aller deiner Irrtümer zu dem Zwecke, damit du die
Wahrheit verwirklichen kannst. Du musst dazu schreiten, deine
Motive, Gedanken und Handlungen zu prüfen und dieselben
mit deinem Ideal zu vergleichen; du musst dich bemühen, auf
sie mit einem ruhigen, von Vorurteilen nicht getrübten Auge
zu sehen. Auf diese Weise wirst du beständig mehr und mehr
jenes innere Gleichgewicht erhalten, ohne welches der Mensch
ein hilfloses Wrack im wogenden Meere des Lebens ist. Bist
278 DER BUDDHIST. . I. Jahrg.
du z. B. zu Hass und Zorn geneigt, so meditiere über Sanft-
mut und Verträglichkeit, damit in dir die Empfängiichi<eit für
das Gefühl deines barschen, törichten Betragens geweckt wird.
Du wirst dann deine Gedanken auf Güte, Freundlichkeit und
Verzeihung richten, und wie du nun Schritt für Schritt das
Niedere durch das Höhere überwindest, dringt still in dein
Herz eine stetig wachsende Einsicht in das erhabene gute Ge-
setz, sowie ein Verständnis für die Bedeutung, die dieses
Gesetz für alle die Wirrsale im Leben und Wandel hat. Und
indem du diese Erkenntnis auf deine eigenen Gedanken, Worte
und Taten anwendest, wirst du immer freundlicher, immer
liebevoller, immer vollkommener werden. Genau so nun hast du
dich gegenüber dem Irrtum, jedem selbstsüchtigen Begehren,
jeder menschlichen Schwäche zu verhalten. Durch die Kraft der
Meditation wird dieses alles überwunden, und in dem Grade,
wie jeder Irrtum und jede Sünde ausgerodet wird, scheint auch
der Lichtstrahl der Wahrheit, der des Pilgers Seele erleuchtet,
in immer hellerem, schönerem Glänze.
Wenn du in dieser Weise meditierst, verteidigst du dich
gegen deinen einzigen wirklichen Feind, d. h. gegen dein
eigennütziges, vergängliches Selbst und wirst stetig fester in
der ewigen, unvergänglichen Wahrheit, welche mit Nirväna
identisch ist. Die direkte Frucht deiner Meditation wird dann
eine ruhige geistige Kraft sein, dein Ruhepunkt und Halt im
Kampfe des Lebens. Gross ist die Macht des heiligen Denkens,
und die Kraft und Einsicht, welche du in den Stunden stiller
Meditation erwirbst, wird deine Seele in Zeiten des Kampfes,
des Leidens und der Versuchung mit der heilsamen Fähigkeit
des rechten »Gedenkens« bereichern.
Indem du durch die Kraft der Meditation in der Weisheit
stark wirst, wirst du allmählich von deinen selbstsüchtigen
Neigungen frei werden, den wankelmütigen, unbeständigen
Erzeugern von Leid und Schmerz; du wirst mit zunehmender
Festigkeit und wachsendem Vertrauen deinen Standpunkt auf
unvergängliche Prinzipien gründen und wirst eine wahrhaft
himmlische Ruhe realisieren.
Die Pflege der Meditation bedeutet die Erlangung einer Er-
kenntnis ewiger Prinzipien, und die Kraft, welche aus der Meditation
No. 9. DER BUDDHIST. 279
entspringt, ist die Fähigkeit, diesen Prinzipien zu vertrauen und
sich fest auf sie zu stützen. Lass deine Meditationen in der
ethischen Grundlage wurzeln, zu der du nunmehr gelangt bist.
Denke daran, dass du durch ernstes Ausharren in der
Wahrheit wachsen sollst.
Der Buddha spricht: „Wer sich selbst der Eitelkeit hingibt
und sich nicht der Meditation weiht, indem er das wirkliche
Ziel des Lebens vergisst und an der Lust haftet, der wird
einst den beneiden, welcher sich in der Meditation geübt hat."
In den folgenden fünf grossen Meditationen hat der Mei-
ster seine Jünger unterwiesen:
Die erste Meditation ist die Meditation der Men-
schenliebe, in welcher du dein Gemüt so stimmen musst,
dass du für alle Wesen Wohlfahrt und Heil, und für die dir
feindlich-gesinnten Menschen Glück ersehnst.
Die zweite Meditation ist die des Mitleids, in wel-
cher du dir in deiner Seele lebhaft ihre Schmerzen und Ängste
vorführst, bis in deinem Gemüte ein tiefes Erbarmen mit jenen
entsteht.
Die dritte Meditation ist die Meditation der Freude,
in welcher du an das Glück der anderen Wesen denkst und
an ihrer Freude teilnimmst.
Die vierte Meditation ist die Meditation über die
Unreinheit. Hier betrachtest du die üblen Folgen der Ver-
derbnis, die Wirkungen der Sünde und die Gebrechen, denen
die Wesen unterworfen sind. Wie unbedeutend, wie
niedrig ist oft die Lust eines Augenblickes, und wie verhäng-
nisvoll seine Folgen!
Die fünfte Meditation ist die Meditation über den
Seelenfrieden. In derselben erhebst du dich über Liebe
und Hass, über Tyrannei und Bedrückung, über Reichtum und
Mangel, über Glück und Unglück, und betrachtest dein eigenes
Geschick ganz objektiv mit unparteiischem Gleichmut und
vollkommener Gemütsruhe, bis tiefster Friede dein Inneres
erfüllt.
Durch die Ausübung dieser Meditationen gelangten die
Jünger des Buddha zu der Erkenntnis der Wahrheit. Wer
immer diese grossartigen Meditationen pflegt, dessen Gemüt
MÖ DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
wird wachsen und zunehmen an tiefer Güte und lauterem
Wohlwollen, bis das Herz von aller Gehässigkeit, Leidenschaft
und Aburteilung befreit ist und die ganze Welt mit liebevoller
Gesinnung durchstrahlt. Wie die Blüte ihren Kelch öffnet, um
das Morgenlicht zu empfangen, so öffne deine Seele mehr und
mehr dem Lichte der Wahrheit. Schwinge dich empor auf
den Fittichen ernster Anstrengung, sei furchtlos und glaube
an die erhabensten Möglichkeiten. Glaube, dass ein Leben
vollkommener Milde möglich ist; glaube, dass ein Leben voll-
endeter Heiligkeit möglich ist; glaube, dass die Verwirklichung
der höchsten Wahrheit möglich ist. Wer so glaubt, klimmt
schnell empor zu den himmlischen Höhen, während die Ver-
blendeten fortfahren, unsicher und schmerzlich in dem nebel-
bedeckten Abgrunde herumzutappen.
Wenn du so glaubst, so kämpfst, so meditierst, werden
deine geistigen Erfahrungen wunderbar und erhaben sein,
und glorreich die Enthüllungen, welche deinem geistigen Auge
sich erschliessen werden. In dem Mafse, wie du die göttliche
Liebe, die göttliche Gerechtigkeit, die göttliche Reinheit, das
vollkommene gute Gesetz verwirklichst, wird deine Selig-
keit gross, und tief dein Friede sein. Das Alte ist vergangen,
alle Dinge werden neu: der Schleier der materiellen Welt,
so dicht und undurchdringlich für das Auge des Irrtums,
so dünn und durchscheinend dem Wahrheits-Auge, — dieser
Schleier wird sich lüften und die geistige Welt sich enthüllen;
das Zeitliche wird versinken, und du wirst nur im Ewigen
leben; Vergänglichkeit und Tod werden dir keine Angst und
Qual mehr verursachen; denn festgegründet wirst du im Un-
vergänglichen stehen und wirst ruhen am grossen Herzen der
Unsterblichkeit. —
Die
Transmigration oder Wiederg-eburt.
Von Bhikkhu Ananda Maitriya.
(2. Fortsetzung.)
In den lebhaften Strahlen eines entfernten Gestirnes flammt
eine Anzahl von verschiedenen Stoffen auf; ein jedes winzige
No. 9. DER BUDDHIST. 281
Molekül derselben zittert und schwingt auf seine ihm eigen-
tümliche Weise; ein jedes setzt durch seine Vibrationen den
es umgebenden Äther in Bewegung und sendet eine Reihe von
Schwingungen aus, — die Totalsumme seines Tuns, die Wir-
kung seiner Arbeit auf das Weltall. Kann Zeit oder Raum
die Individualität einer solchen Welle auslöschen oder eine
flammende Linie aus dem Spektrum eines Elementes nehmen?
Nein, nicht einmal dann, wenn der Stern bereits er-
loschen ist! Kaum gestern erst erblickten wir das Licht der
Nova Persei in einem neuen, strahlenden Glanz am Himmel,
wie eine gewaltige Feuersbrunst von neuem auflodernd; wir
lesen ihre Botschaft aus den Abgründen des Raumes und
sind in der Lage, die verschiedenen Elemente ihres Spektrums
identifizieren zu können; und doch fand dieser gewaltige
Ausbruch vor etwa dreihundert Jahren statt, und
wahrscheinlich ist Nova Persei heute erloschen und
kalt. Und wenn wir imstande wären, mit einer noch grösseren
Geschwindigkeit als der des Lichtes von jenem erkalteten Ge-
stirn uns zu entfernen, so würden wir jene seltsame Eruption
immer wieder beobachten können, und immer wieder, — dann
würden wir wohl das Geheimnis dieses Aufleuchtens verstehen
lernen, würden die durch Raum und Zeit nicht zerstörbare
Identität eines jeden einzelnen Elementes begreifen, welches
an dieser kosmsichen Katastrophe Teil nahm. Selbst wenn der
Mechanismus, welcher alle diese komplizierten Schwingungen
des Äthers veranlasste, schon vor zehn Millionen Jahren auf-
gehört hätte zu wirken, so würden wir, falls unsere Schnellig-
keit gross genug, unsere Instrumente fein genug, unsere Beob-
achtung scharf genug wäre, immer und immer wieder jene
Botschaft lesen, die tief in die Abgründe des Raumes fliegt,
und würden erkennen, dass Wasserstoff auf jenem Stern auf-
loderte, obwohl derselbe jetzt — im Augenblicke unserer
Beobachtung, seit ungezählten Jahrhunderten tot ist. Und
wenn so die Geschichte der »Nova Persei« zu uns sprach
und noch immer irgendwo im Räume zu uns spricht und
immer noch zu uns sprechen wird, solange die Zeit andauert
und der Ozean des Äthers sich ausdehnt; — wenn so Jahr-
hunderte, Jahrmillionen nach dem Aufhören jenes Aufleuchtens
282 DER BUDDHIST. i. jahrg.
das Wirken eines jeden daran beteiligten Elementes noch fort-
dauert und seine individuelle Eigentümlichkeit noch behauptet,
— wie kann es uns dann seltsam oder befremdlich erscheinen,
dass das bei weitem verwickeitere Wirken des menschlichen
Lebens in analoger Weise fortbesteht und noch fähig ist, wenn
der notwendige Mechanismus gegeben ist, auf der Erde oder
anderswo den Charakter und die Natur dessen, was einst ein
Mensch war, wiederhervorzubringen?!
Was meinen wir denn eigentlich, wenn wir von einem
einzelnen Menschen sprechen? Sicherlich nicht nur die Ma-
terialien seines Körpers, welcher sich in jeder Minute des
Lebens verändert; ebensowenig — nach buddhistischer Ansicht
— ein getrenntes Ego-Seelen-Wesen im Menschen. Es ist
vielmehr die Gesamtsumme seiner Vorstellungen, seine geistigen
und anderen Fähigkeiten, — kurz, es ist der Charakter, den
wir meinen, wenn wir von Johannes Schmidt sprechen. Und
für uns bewusste und reflektierende Wesen besteht dieser
Charakter zum weitaus grössten Teile aus gewissen Energieen,
und wenn wir diese Energieen weiter analysieren, kommen wir
zu dem Schluss, dass dieselben auf das sie umgebende Uni-
versum auf eine ihnen ganz eigentümliche Weise einwirken,
gerade so, wie auch ein Wasserstoff-Molekül das umgebende
Universum affiziert, — d. h. wir gelangen nach scharfem
Durchdenken zu der Anschauung, dass das, was wir Johannes
Schmidt nennen, im letzten Grunde eine eigentümliche, ausser-
ordentlich komplizierte Vibration des Äthers ist. Ich will noch
ungeschminkter sprechen: Der menschliche Körper ist eine
Maschine, und die Gesamtsumme seiner Energieen kann wie
die irgend einer anderen Maschine abgeschätzt werden nach
der Feuerung (in Form von Nahrung), welche nötig ist, um
den Menschen in gesundem Zustande zu erhalten. Wenn wir dies
nach Wärme-Einheiten berechnen, so finden wir, dass die Gesamt-
summe der Energie des menschlichen Körpers ungefähr eine halbe
Pferdekraft beträgt. Wie wird diese Energie im Körper ver-
wendet? Zumeist für die Verrichtung der vitalen Funktionen
sowie der Arbeiten, die der betreffende Mensch ausübt. Aber
es gibt noch ein Organ, das wichtigste von allen, nämlich
das Gehirn, dessen Arbeitsleistung wir nicht direkt ab-
No.9. DER BUDDHIST. 283
schätzen können, und dennoch verbraucht gerade dieses Organ
einen erheblichen Teil der gesamten menschlichen Energie.
Wir können den Gehalt an deoxydiertem Blut, welches von
irgend einem Organe kommt, als ungefähres Mats für die
Arbeit annehmen, welche dieses Organ leistet. Von dem ge-
samten Blut-Vorrat des Körpers wird ein ganzes Fünftel in
dem Hirn verbraucht, und da das zurückströmende Blut etwas
mehr deoxydiert ist, als gewöhnlich, so kann als sicher gelten,
dass das Gehirn für seine Arbeitsleistung ungefähr den zehnten
Teil einer Pferdekraft verbraucht hat. Wenn wir die Hälfte
davon für die Kontroll-Zentra der niederen Funktionen ab-
rechnen (was sehr hoch gerechnet ist), so bleibt immer noch
der zwanzigste Teil einer Pferdekraft übrig, welche verbraucht
wird für das, was wir als Gedanken, Wahrnehmungen und
Bewusstseins-Inhalte, kurz als den Charakter eines Menschen
bezeichnen.
Nun ist der zwanzigste Teil einer Pferdekraft immer noch
ein grosser Gehalt von Energie. Unter Zugrundelegung physi-
kalischer Gesetze müssen wir erkennen, dass ein Teil, ja der
grösste Teil dieser ganzen verbrauchten Energie seinen Aus-
druck in den Wahrnehmungen und Vorstellungen des Menschen
findet, in dem, was wir ganz allgemein »Denken« nennen,
von dem Bewusstwerden einer einfachen Sinnesempfindung an
bis zu dem verwickeltsten Akte eines Vernunft-Schlusses. Was
auch immer der Gedanke sein mag, eins ist sicher, dass er
nämlich entweder das Resultat, oder aber die Begleit-
erscheinung von molekularen Veränderungen ist,
welche sich in der Struktur des Gehirns abspielen.
Das würde aus der Deoxydation des Blutes folgen, welches
von diesem Organe kommt, sowie von der Tatsache, dass,
wenn ein Mensch intensiv geistig tätig ist, seine Blutzufuhr im
Hirn sich erheblich steigert. Aber alle molekularen Verände-
rungen, welche uns bis heute bekannt geworden sind, verur-
sachen im Äther ganz bestimmte Eigentümlichkeiten, welche
sich darin äussern, dass sie in diesem Medium gewisse Arten
von Schwingungen hervorrufen. So können wir sagen, dass
das Denken in bestimmten charakteristischen Schwingungen
des Äthers besteht, oder von denselben begleitet ist; diese
184 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Schwingungen aber sind bei weitem komplizierter, als beispiels-
weise jene Vibrationen, welche stark erhitztes Eisen um sich
verbreitet. Von diesem Standpunkte aus kann behauptet
werden, dass ein Mensch während seines Lebens, solange er
denkt und wahrnimmt, beständig eine Reihe von ihm spezifisch
eigentümlichen Vibrationen aussendet; in ihrer Gesamtheit
charakterisieren diese den Menschen, wie etwa das Spektrum
des Eisens gerade für dieses Metall charakteristisch ist. Und
gesetzt den Fall, wir hätten ein alles durchdringendes Auge
sowie ein Spektroskop, welches imstande wäre, jene mensch-
lichen Schwingungen wahrzunehmen und zu analysieren, —
dann würden wir auch imstande sein, unsern Freund Johannes
Schmidt zu identifizieren, solange dieser lebt und auf den
Äther in seiner spezifischen Art einwirkt. Es können noch
manche Jahre vergehen, bis die Substanz entdeckt wird, welche
auf diese Gedanken- Ausstrahlungen reagiert, wie z. B. das
Selen auf bestimmte Wellen des gewöhnlichen Lichtes; dann
wird gleich vielen anderen scheinbar weithergeholten Theorien
der Traum der Gedanken-Übertragung als eine wirkliche Tat-
sache vor uns stehen.
So ist also Johannes Schmidt in einem Sinne unsterblich,
ja, ein jeder der von ihm gedachten Gedanken ist unsterblich
und wird noch irgendwo in den Tiefen der Unendlichkeit
verharren, selbst wenn die körperliche Form schon längst in Staub
zerfallen ist. Aber dieser Teil seiner Energie ist es
nicht, welcher im Augenblick seines Ablebens die
Bildung eines neuen Wesens hervorruft, — das ist
eine andere Sache, und indem ich das begonnene Gleich-
nis noch weiter fortführe, will ich zu zeigen versuchen, wie
diese Neuformation zustande kommt. Dabei darf man na-
türlich nicht vergessen, dass es sich hier nur um ein
Gleichnis handelt, oder besser um einen Weg, durch
den ich diese Dinge erläutere; denn ich spreche hier
vom Universum, als einem Konglomerat von Substanz,
mögen wir die letztere nun Substanz oder Äther
nennen, — während nach der wirklichen Ansicht des
Buddhisten dasjenige, was wir als Materie bezeichnen,
nur ein geistiger Zustand innerer Vorstellung ist, und
No. 9. DER BUDDHIST. 285
dass es ausser demselben überhaupt keine Form,
Materie oder Substanz gibt. (Fortsetzung folgt.)
Warum ich Buddhist wurde.
Von A. E. Buultjens.
(2. Fortsetzung.)
Ich komme nun zu jenem Zeitpunkt, da ich nach Ceylon
zurückkehrte. Seit zwei Jahren hatte ich keinen Gottesdienst
besucht. Den Universitäts-Predigten wohnte ich ab und zu bei,
wenn Prediger von Ruf nach Cambridge kamen, deren Vor-
tragsweise glänzend und fesselnd war, und deren durch keine
rituellen Zeremonien unterbrochene Aufführungen von Leuten
aller Schattierungen gehört wurden. Ausserdem hatte ich mir
noch die Notre-Dame-Kathedrale und einige durch ihre archi-
tektonische Schönheit ausgezeichnete Kirchen in Holland ange-
sehen; sonst war ich, wie gesagt, volle zwei Jahre lang in
keine Kirche gekommen. Als daher nach meiner Rückkehr in
meine Heimat Matara auf Ceylon die ersten Sonntage vorüber-
gingen, ohne dass ich meine Geschwister bei ihrem Kirch-
gange begleitete, fragte mich meine Mutter nach dem Grunde
meines gottlosen Benehmens und wie es käme, dass ich dem
Gotteshause fern bliebe. Ich erwiderte ihr, dass die ganze
Welt Gottes Haus sei und nicht ein einzelnes Gebäude mit vier
Wänden und einem Dach. Meine Mutter meinte, ich sei ein
seltsamer Sonderling und hielt es unter der Annahme, dass in
meinem Oberstübchen etwas nicht in Ordnung sei, für das
Beste, einen heilkundigen Arzt zu konsuhieren, — natürlich
keinen Doktor der Medizin, sondern der Gottesgelahrtheit. So
kam denn eines Morgens Rev. F. D. Edirisinhe und wünschte
mich zu sprechen. Nach der einleitenden Begrüssung entspann
sich folgendes Zwiegespräch:
„Wie kommt es, dass ich Sie seit Ihrer Rückkehr noch
nicht in der Kirche gesehen habe?"
,Darf ich mir eine Gegenfrage erlauben: Ist das Kirchen-
gehen wesentlich notwendig zur Erlösung?'
286 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
„Freilich! Sie nehmen dadurch Teil an den Gottesdiensten,
an den Gebeten und hören die Predigt."
,Ich ziehe es vor, in Steinen, überhaupt in allen Dingen
Predigten zu lesen.'
„Aber Ihr Vater und alle Ihre Verwandten haben bisher
die Kirche besucht."
,Allerdings; so habe auch ich zweimal täglich sechs
Jahre lang die Thomas-College-Kirche besucht. Das ergibt, die
Sonn- und Feiertage abgerechnet, eine Gesamtsumme von
3600 Kirchgängen. Ausserdem bin ich zweimal wöchentlich
während eines Jahres in Cambridge in der Kirche gewesen,
also ca. 200 mal. Gesamtsumme: 3800 Gottesdienst-Besuche.
Wenn also das Kirchengehen zum Heil wirklich notwendig ist,
so glaube ich meinen Teil getan zu haben, um mich für den
Himmel zu qualifizieren und bitte mich für den Rest meines
Lebens entschuldigen zu wollen.'
„Aber Sie sind ganz sicherlich kein Christ mehr?!"
,Nun denn, — wenn Sie direkt meine Ansicht hören wollen,
— ich bin kein Christ. Muten Sie mir vielleicht zu, dass ich
an die Arche Noah, an Jonas in dem Bauch des Walfisches
und an andere derartige Fabeln glauben soll?'
In diesem Augenblick entfernte sich meine Mutter, welche
anwesend war, voller Unwillen, und Hess Se. Hochwürden
und mich bei unserer netten Unterredung allein. Leider war
Rev. Edirisinhe nicht dazu zu bewegen, unsere Disputation
öffentlich zu führen, und so hatte unser Zwiegespräch bald
sein Ende erreicht.
Bald darauf verbreitete sich das Gerücht, dass . ein Un-
gläubiger in der Gesellschaft von Matara sein Unwesen treibe,
und ich wurde von Verschiedenen ein Wahnsinniger genannt.
Dann kamen eines Tags einige meiner buddhistischen Freunde
zu mir und fragten mich, ob ich einmal mich mit einem bud-
dhistischen Bhikkhu über Buddhismus zu unterreden geneigt sei.
Ich willigte ein, und die Folge war, dass ich in Gegenwart
des Herren Mohandiram De Saram Siriwardene und anderer
ein langes Gespräch mit dem Bhikkhu Bedigama Unnanse in
Hittetiya Pansala führte. Ich lernte von dem letzteren, dass der
Buddhismus in den Punkten »Schöpfer« und »Schöpfung«
No. 9. DER BUDDHIST. 287
mit den agnostischen Anschauungen, die ich bisher vertrat,
übereinstimmt, und dass er von seinen Anhängern nicht
den Glauben an einen persönlichen Gott verlangt. Ich
erfuhr ferner, dass in der Religion des Buddha die christliche
Lehre von der Seele ersetzt sei durch die Theorie der fünf
Khandas, und dass ich im Buddhismus nicht länger an die
durch einen allmächtigen Gott vollzogene Schöpfung neuge-
borener Kinder glauben müsse, von denen viele die ewige Ver-
dammnis in der von demselben Gott geschaffenen Hölle zu
leiden gezwungen sind. Der Bhikkhu erklärte mir die Lehre
vom Karman, welche im Gegensatz zu dem christlichen Glau-
ben an die Vergebung der Sünden die Ungleichheiten im Leben
befriedigend erklärt. Die Karman-Doktrin weist den Glauben
an die Wirksamkeit der Gebete ab, sie lehrt, dass der Mensch
die Folgen seiner eigenen Handlungen erntet und seine Erlö-
sung selbst wirken muss. Diese Lehre sagt mir — was das Chris-
tentum mir nicht genügend zu erklären vermag, warum die Irren-
häuser mit geistig Umnachteten, warum die Siechenhäuser und
Hospitäler mit Kranken angefüllt sind. Karman erläutert mir
in vernünftiger Weise, dass jede Ursache ihre Wirkung zeitigen
muss, und dass dieses grosse Gesetz auch in der moralischen
Welt waltet.
Ich hatte in der Folgezeit mit dem genannten Mönch ver-
schiedene Unterredungen, und je mehr ich den Buddhismus
kennen lernte, um so mehr wurde ich von seiner Wahrheit
überzeugt. Warum sollen wir für Adams Sünde büssen?
Karman lehrt, dass wir für unsere eigenen Vergehen leiden.
Warum sollen wir auch durch Christi Genugtuung Vergebung
erlangen? Wir selbst müssen Schritt für Schritt und Leben
für Leben uns bemühen, das Ziel zu erreichen. Warum sollen
wir an einen Seelen-Verfertiger da droben glauben? Wir sind
das, wozu wir uns selbst gemacht haben. Wie kann ein er-
barmungsvoller und gerechter Gott, welcher lehrte: „Liebet
eure Feinde" — eine Hölle und einen Teufel geschaffen haben?
Wir machen uns selbst zu Göttern oder zu Teufeln und
schaffen uns selbst eine Hölle auf Erden. Der Buddhismus
stimmt auch darin mit der Wissenschaft überein, dass er Kraft
und Materie für ewig erklärt, dass er Gesetz und Ordnung
288 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
ohne einen Gott erklärt und Umgestaltungen ohne eine Schöp-
fung. Insbesondere wurde ich stark angezogen von den ein-
fachen, dabei aber so tiefen Wahrheiten des Anicca, Dukkha,
Anattä — d. h. der Vergänglichkeit, des Leidens und Nicht-
Selbstes.
Das Christentum ist eine Glaubensreligion; Agnostizismus
ist nur eine Negation. Der Buddhismus geht infolge seiner
Bejahung der Karman-, Wiedergeburts- und Nirväna-Idee fiber
den Agnostizismus hinaus. Das Christentum hat in der Zeit
seines Bestehens die Lehren Christi durch Kriege und Kreuz-
züge, durch Folter und Inquisition, durch Verfolgungen, Scheiter-
haufen und Grausamkeiten der verschiedensten Art geschändet.
Der Agnostizismus war noch nicht organisiert und tat nichts,
um sein philanthropisches Programm bekannt zu machen.
Erst ganz vor kurzem haben seine Anhänger sich propagan-
distisch betätigt im Dienste der Humanität. Wenn man den
Buddhismus in seiner ganzen Erscheinung betrachtet, muss
man sagen, dass er nie zu Verfolgungen angeleitet oder auf-
gereizt hat, und wenn wir ihn im Lichte der vergangenen
Jahrhunderte bis zur Jetztzeit verfolgen, so müssen wir zugeben,
dass Beweisgrund und Apell an die Vernlinft seine einzigen
Waffen gewesen sind. Überdies ist das Christentum Fetischis-
mus und unphilosophisch, und der Agnostizismus ist wohl
negativ tätig, das Christentum zu beseitigen, allein er ist nicht
wesentlich positiv aufbauend. Der Buddhismus dagegen ist
analytisch und philosophisch, — dabei humanitär und praktisch.
Das Christentum lehrt nur eine Form von Sittlichkeit, ohne
das Reich innerer Erkenntnis zu berühren, während der Bud-
dhismus einerseits Ethik, andererseits namentlich in seinen
höheren Aspekten eine dem ringenden Gemüte sich erschlies-
sende tief geistige Philosophie darstellt. Ich begann zu fühlen,
dass der Agnostizismus — als eine blosse Negation — nicht
nur auf dem Gebiete der Moral als Lebensführer versagt,
sondern auch auf dem Gebiete der Weltanschauung, da er das
Problem des »woher?« und »wohin?« unseres Kommens und
Gehens unbeantwortet lässt. (Schluss folgt.)
Verantwortlicher Redakteur: Karl B. SeidenstOcker, Leipzig. Verlag: Buddhistischer Verlag
in Leipzig. — Druck von Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutein:
das ist die Religion der Buddhas. Dharamapada, V. 183.
Amitäbha.
E
Wir lesen im »Evangelium Buddhas«:
»Ein Jünger kam zu dem Erhabenen mit bebendem Her-
zen, und sein Gemüt war voller Zweifel. Er fragte den Er-
habenen: „Herr und Meister, warum geben wir die Freuden
der V/elt auf, wenn Du uns verbietest, Wunder zu tun und
übernatürliche Kräfte zu erlangen? Ist nicht Amitäbha das
unendliche Licht der Offenbarung und der Quell unzähliger
Wunder?"
Und der Erhabene erkannte die bange Sehnsucht eines
wahrheitsuchenden Gemütes und sprach: „Du bist, Schüler,
ein Neuling unter den Neulingen, und du schwimmst noch
auf der Oberfläche des Samsära. Wie lange brauchst du, um
die Wahrheit zu erfassen? Du hast die Worte des Tathägata
nicht verstanden. Das Gesetz des Karman ist unverbrüchlich,
und Beschwörungen sind nutzlos; denn es sind leere Worte."
Der Jünger sprach: „Du sagst also, dass es keine Wun-
der gibt?"
Der Erhabene antwortete: „Ist es nicht ein Wunder, ge-
heimnisvoll und unbegreiflich dem Weltmenschen, dass ein
Sünder ein Heiliger werden kann, dass derjenige, welcher
wahre Erleuchtung erlangt, den Pfad der Wahrheit findet und
die bösen Pfade der Selbstsucht verlässt? Der Bhikkhu, wel-
cher den vergänglichen Freuden der Welt entsagt für den
ewigen Segen der Heiligkeit, vollbringt das einzige Wunder,
welches wirklich ein Wunder genannt werden kann. Ein hei-
liger Mensch verwandelt den Fluch des Karman in Segen.
Das Verlangen, Wunder zu tun, entspringt entweder der Hab-
sucht oder der Eitelkeit. Ein Bhikkhu, der da denkt: ,Die
Leute sollen mich grüssen', ist nicht frei; wenn er aber, ob-
wohl von der Welt verachtet, doch kein Übelwollen gegen die
10
290 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Welt hegt, so ist sein Gemüt in der rechten Verfassung. Der
Bhii<khu, welchem Ahnungen, Sterndeuterei, Träume und Vor-
zeichen bedeutungslos sind, wandelt auf dem rechten Wege;
er ist frei von ihren Übeln. Amitäbha, das unermess-
liche Licht, ist die Quelle der Buddhaschaft. Das
Unterfangen von Beschwörern und Wundertätern ist Betrug;
was aber ist erstaunlicher, geheimnisvoller und wunderbarer
als Amitäbha?"
„Aber, Meister," unterbrach der Sävaka den Erhabenen,
„ist die Verheissung des Landes der Glückseligkeit eitles
Geschwätz und Fabel?"
„Was ist diese Verheissung?" fragte der Buddha, und
der Jünger antwortete:
„Im Westen liegt ein paradiesisches Gefilde, genannt »das
reine Land«, prächtig geschmückt mit Gold und Silber und
Edelgestein. Dort rinnen reine Gewässer über goldenen Sand,
bedeckt von Lotusblumen und schattigen Wegen. Anmutige
Musik ertönt da, und dreimal des Tages regnen Blumen her-
nieder. Singvögel verkünden in harmonischen Weisen die Herr-
lichkeit der Religion und erwecken in den Gemütern derer,
welche den süssen Gesängen lauschen, Erinnerungen an den
Buddha, den Dhamma und die Bruderschaft. Keine böse Ge-
burt ist dort möglich, und die Hölle ist selbst dem Namen
nach unbekannt. Wer inbrünstig und mit frommem Sinn den
Buddha Amitäbha anruft imd immer wieder seinen Namen
nennt, wird nach diesem Leben in das glückselige, reine Land
versetzt, und wenn der Tod ihm naht, steht Buddha mit einer
Schar von Heiligen vor ihm, und vollkommene Ruhe wird über
ihn kommen."
Der Buddha sprach: „Wahrlich, Schüler, es gibt ein sol-
ches glückseliges Paradies. Aber das Land ist ein geistiges
Land und ist nur für die geistig Gesinnten erreichbar. Du
sagst, es liegt im Westen. Das heisst, du musst es da suchen,
wo der wohnt, welcher die Welt erleuchtet. Die Sonne ver-
sinkt und lässt uns in tiefer Dunkelheit zurück; die Schatten
der Nacht überfallen uns, und Mära, der Böse, legt unsern
Leib in das Grab. Nichtsdestoweniger aber ist der Sonnen-
untergang kein Verlöschen der Sonne, und dort, wo wir
das Verlöschen wahrzunehmen glauben, ist unbegrenztes Licht
und unerschöpfliches Leben.
„Deine Beschreibung ist schön; sie ist jedoch unzuläng-
lich und lässt der Herrlichkeit des reinen Landes wenig Ge-
rechtigkeit widerfahren. Die Weltlichen vermögen von ihm nur
in weltlicher Weise zu reden, sie gebrauchen weltliche Bilder und
wählen weltliche Worte. Aber das reine Land, in dem die Rei-
nen wohnen, igt schöner, als du zu sagen oder zu denken vermagst.
No. 10. DER BUDDHIST. 291
„Die Anrufung des Namens Amitäbha Buddha ist nur
dann verdienstlich, wenn du denselben mit so andächtiger
Gesinnung aussprichst, dass dein Herz dadurch gereinigt und
dein Wille zu Werken der Rechtschaffenheit bestimmt wird.
Nur der kann das reine Land erreichen, dessen Seele erftillt
ist von dem unermesslichen Lichte der Wahrheit. Nur
der vermag in der geistigen Atmospiiäre des westlichen Para-
dieses zu atmen, der die Erleuchtung erlangt hat.
„Wahrlich, ich sage dir: Der Tathägata lebt schon jetzt
in diesem reinen Lande ewiger Glückseligkeit, während er
noch im Körper weilt; und der Tathägata verkündet dir und
der ganzen Welt das Gesetz der Religion, so dass alle den-
selben Frieden und dieselbe Glückseligkeit erlangen mögen."« —
in dieser anmutigen kleinen Erzählung wird ein Glaube
berührt, der, obwohl dem genuinen Buddhismus und der süd-
lichen Hinayäna-Schule fremd, im Mahäyäna oder nördHchen
Buddhismus eine grosse Rolle spielt. Amitäbha Buddha
wird zum ersten Male erwähnt im »Amitäyurdhyäna-Sötra«
etwa um das Jahr 150 n. Chr. Namentlich für einen grossen
Zweig des japanischen Buddhismus, den »Jödö-mon«, hat der
Amitäbha-Begriff eine hohe Bedeutung. Dieser Zweig gliedert
sich wieder in vier »Schulen«, von denen die »J6d6-shu«
und die »Shin-shu« (auch »Jödo-shin-shu« genannt) die
weitaus wichtigsten und verbreitetsten sind.
Beiden Schulen gemeinsam ist die Idee, dass durch Ami-
täbhas unbegrenztes Erbarmen die Erlösung des Menschen
erwirkt wird. Vorbedingung für die Erlösung ist aber die
strikte Beobachtung und Erfüllung aller sozialen
Pflichten und Tugenden, sowie das unbedingte Ver-
trauen auf Amitäbha. Die Jodo-shu lehrt nun, dass das in-
brünstige und andächtige Anrufen des heiligen Namens Ami-
täbha besonders verdienstvoll sei, ja, hie und da begegnen wir
sogar der katholisch-sinnlichen Vorstellung, dass das Aus-
sprechen der Formel »Namu Amida Butsu« (Verehrung dem
unermesslichen Lichte, dem Buddha), selbst wenn es nicht
in andächtiger Gesinnung geschieht, magisch „ex opere ope-
rato" heilsam wirke. Die Shin-shu hat eine ungleich ver-
geistigtere Auffassung. Hier ist es der hingebende, ver-
trauende Glaube an die Barmherzigkeit Amitäbhas, der zur
Erlösun-g führt. Gute Werke sind unerlässlich, aber sie sind
an sich nicht verdienstvoll, sondern nur die praktischen Früchte
dieses Glaubens; das andächtige Aussprechen der oben ge-
nannten Formel wird nicht verworfen, aber auch sie ist an
sich nicht verdienstvoll, sondern nur die Äusserung der glau-
bensvollen Gesinnung.
19»
292 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Die Auffassung vom »reinen Lande«, wo Amitäbha
wohnt, ist bei der »Shin-shu« ebenfalls geistiger als bei der
»Jödö-shu«. Nach der Auffassung der letzteren ist das »reine
Land« nicht Nirväna, sondern eine Art Himmel, ein glücklicher
Zustand, die Vorstufe von Nirväna. Dagegen ist in der »Shin-
shu« das reine Land Nirväna.
Auf den ersten Blick gewinnt es den Anschein, als ob die
Jödö- und Shin-shu sich mit der Lehre des Buddha im
Widerspruch befinden: Hier Erlösung durch Selbst-Arbeit und
strenge Selbstanstrengung, — dort Erlösung durch den Glau-
ben an ein anderes Wesen. Aber dieser Glaube ist ja nur
dann der rechte, wenn er von der unentwägten Ausübung der
Tugend (also von ernster Selbstanstrengung) als der notwen-
digen Frucht, begleitet ist. Ist denn aber Amitäbha wirklich
ein fremdes Wesen, eine Persönlichkeit, ein rettender Heiland,
der, in einem Himmel thronend, dem um Erlösung Bittenden
hilfreich seine Hand bietet?! Lässt sich dieser Amitäbhaglaube
wirklich nicht mit der Lehre des Buddha in Einklang bringen, wie
es auf den ersten Blick den Anschein hat? Fragen wir also:
Was ist Amitäbha? Nach der Ansicht einiger Forscher
eine rein fiktive Gestalt, das leere Gebilde einer hohlen Scho-
lastik; andere wiederum vermuten (wie mir aber scheint, sehr
mit Unrecht) christlichen Einfluss. Jedenfalls ist soviel klar,
dass Amitäbha, obwohl in der populären Anschauung per-
sönlich vorgestellt, keineswegs mit dem Buddha Gotama
identisch ist; letzterer ist nur eine zeitlich-sichtbare Manifesta-
tion Amitäbhas. Buddha Amitäbha ist nach dieser populären
Auffassung allerdings ein Wesen, welches nach einer Reihe
heiliger Existenzen Nirväna erreichte und das Gelübde ablegte:
„Nicht würde ich die volle Einsicht erlangt haben, wenn eins
der lebenden Wesen, das mit ganzem Gemüte an mich glaubt
und dankbar meinen Namen wiederholt, nicht ins reine Land
eingehen würde."
In Wirklichkeit wird Amitäbha nichts anderes sein, als
die Personifikation von Sambodhi (Erleuchtung). Das Rich-
tige trifft wohl hier Dr. Carus, dem wir jetzt das Wort er-
teilen wollen. Er sagt (Buddhism, Vol. I, No. 4):
„Die Gesamtheit der Bedingungen, welche Nibbäna mög-
lich machen, die Quelle der Erleuchtung, und die Ordnung
des ewigen Gesetzes, ist in der Mahäyäna-Schule des Buddhis-
mus unter dem Namen Amitäbha personifiziert worden. Ami-
täbha, die Quelle alles Lichtes, ist Buddha vom ewigen
Aspekt aus betrachtet, oder umgekehrt: Ein Mensch, welcher
der Bodhi (Erleuchtung) zustrebt, wird ein Buddha, wenn
No. 10. DER BUDDHIST. 293
Amitäbha ihn erleuchtet. Ein Buddha enthüllt das Licht, dessen
ewige Quelle Amitäbha genannt wird. Amitäbha ist die be-
stimmte Norm der Weisheit und Sittlichkeit, die Standarte der
Wahrheit und Gerechtigkeit, die letzte raison d'etre der kos-
mischen Ordnung.
Ist dieser Amitäbha eine Realität? Allerdings ist Ami-
täbha eine Realität! Freilich nicht in dem Sinne körperlicher
Existenzen, welche vergänglich und wandelbar sind, sondern
in einem höheren Sinne; denn Amitäbha ist eine ewige und
allgegenwärtige Wirklichkeit; und wenn wir das Wort »real« in
seinem etymologischen Sinn nehmen als „einem Dinge eigen-
tümlich", und wenn gestaltete Dinge allein den Namen
»real« führten, so müssten wir Amitäbha als super-real be-
zeichnen.
Was ist Amitäbha? Jeder Forscher erkennt das Vor-
handensein einer kosmischen Ordnung an, welche die Gesamt-
heit aller Naturgesetze ist einschliesslich der höheren Gesetze,
welche die menschliche Gesellschaft bilden, und welche Fichte
die moralische Welt-Ordnung nennt. Die kosmische Ord-
nung ist die Kraft, welche das Universum gestaltet und die
Verteilung der Welt bewirkt. Sie macht die Wissenschaft mög-
lich, denn sie gewährt die Prinzipien des Erkennens. Sie er-
möglicht Vernunft und beabsichtigtes, zweckmässiges Handeln;
denn sie lehrt uns, die Resultate im Voraus zu erkennen und
uns selbst somit den Umständen anzupassen. Sie ermöglicht
endlich die Sittlichkeit; denn sie zeigt uns die Ideale, welche
wert sind, dass man für dieselben lebt.
Diese Welt-Ordnung, die letzte Norm der Wahrheit und
des Rechtes, d. h. Amitäbha, die unerschöpfliche Quelle jeder
Erleuchtung, bestimmt das Gesetz der Evolution, indem sie die
Möglichkeit schafft, dass im Laufe des kosmischen Prozesses
Leben entsteht, dass empfindende Wesen mit Vernunft begabt
werden, und dass vernünftige Wesen durch die Erfahrung die
Torheit des Egoismus kennen lernen und so den universalen
guten Willen entwickeln. Auf diese Weise gelangt Empfindung
zur Vernunft, und Vernunft führt zu sittlicher Anstrengung und
zur Anerkennung liebevoller Güte als Ideal. Erleuchtung ist
eben möglich, weil Amitäbha ist, die ewige Norm aller Ord-
nung. Wir lesen im »Udäna«:
»So habe ich gehört: Zu einer Zeit weilte der Erhabene
zu Sävatthi, im Siegerhaine, im Parke des Anäthapindika. Nun
war der Erhabene damals damit beschäftigt, die Bhikkhus über
das Nibbäna zu belehren, zu erwecken, zu beleben und zu er-
freuen. Und jene Bhikkhus erfassten den Sinn, durchdachten
ihn gründlich und nahmen in ihrem Herzen die ganze Lehre
!^ DER BUDDHIST. I. Jahrg.
auf, aufmerksam zuhörend. Und in diesem Zusammenhang,
bei dieser Gelegenheit sprach der Erhabene folgende feierliche
Worte:
,Es gibt, ihr Jünger, einen Zustand, wo weder Erde noch
Wasser ist, weder Feuer noch Luft, weder Raum-Unendlichkeit,
noch Unendlichkeit des Bewusstseins, noch Vernichtung; weder
Empfindung noch Nicht-Empfindung; weder diese Welt noch
jene Welt; weder Sonne noch Mond.
. ,Dies, ihr Jünger, nenne ich weder Entstehen noch Ver-
gehen, noch Stillstand, weder Geburt noch Tod. Da ist weder
Festes, noch eine Entwicklung, noch irgend eine Basis: Das
ist das Ende des Leidens.
.Schwer ist's, das Wesentliche zu verwirklichen,
Die Wahrheit wird nicht leicht erkannt.
Wer rechte Erkenntnis hat, wird Herr des Begehrens,
Für den, der rechte Einsicht besitzt, sind alle Dinge ein Nichts.
,Es gibt, ihr Jünger, ein Ungeborenes, Nicht-Entstandenes,
Nicht-Gewordenes, Nicht-Gestaltctes. Gäbe es, iiir Jünger,
nicht dieses Ungeborene, Nicht-Entstandene, Nicht-Gewordene,
Nicht-Gestaltete, so würde auch kein Entrinnen möglich sein
aus der Welt des Geborenen, Entstandenen, Gewordenen, Ge-
stalteten.
,Da es nun aber, ihr Jünger, ein Ungeborenes, Nicht-Ent-
standenes, Nicht-Gewordenes, Nicht- Gestaltetes gibt, so ist
auch ein Entrinnen möglich aus der Welt des Geborenen, Ent-
standenen, Gewordenen, Gestalteten.'« —
Eine wahre Einsicht in die Natur des Ewigen, Uner-
schaffenen, Unentstandenen ist nur möglich durch die Über-
windung des Selbst-Gedankens; und diese kann nur erreicht
werden durch Ausrodung aller egoistischen Leidenschaften,
wie es im 383. Verse des Dhammapada heisst, wo ein Mann
angeredet wird, der sich durch die Tat, und nicht durch Beob-
achtung äusserer Kasten -Satzungen bemüht, ein Brahmane
(Priester) zu werden:
,Durchkreuze kräftig diesen Strom der Lust, Brahmane,
Treib' aus Begierde, Trägheit, Übelwollen,
Hast du gelernt, dass alle Formen wechseln, fliessen,
Dann kennst du das, was unvergänglich ist.'"
Wertvoller als irdische Macht, wertvoller als eine Wieder-
geburt in lichten Welten, wertvoller selbst als Weltherrschaft
ist für den Jünger das Betreten des Pfades. Dhammapada.
No. 10. DER BUDDHIST. 295
Die Lehre des Buddha
oder: Die vier heiligen Wahrheiten.
Nach Aussprüchen des Päli-Kanons zusammengestellt.
Von Bhikkhu Nyänatiloka (Ceylon).
(4. Fortsetzung.)
Wenn nun jemand, ihr Brüder, die Frage aufwerfen wollte:
„Bekennt denn der Herr Gotama irgend eine Ansicht?"
— dem wäre, ihr Brüder, also zu erwidern: „Eine Ansicht,
Bruder, kommt dem Vollendeten nicht zu. Denn der Tathägata,
Bruder, hat es gesehen: ,So ist die Form, so entsteht sie, so
löst sie sich auf; so ist das Gefühl, so entsteht es, so löst
es sich auf; so ist die Wahrnehmung, so entsteht sie, so
löst sie sich auf; so sind die Unterscheidungen (san-
khärä, Vorstellungen, Ein-Bildungen), so entstehen sie, so lösen
sie sich auf; so ist das Bewusstsein, so entsteht es, so löst
es sich auf.' Darum, sage ich, ist der Vollendete durch aller
Meinungen und aller Vermutungen, durch aller Ichheit, Eigen-
heit und Dünkelsucht Versiegung, Abweisung, Aufhebung,
Ausrodung, Entäusserung restlos erlöst. (Majjhima Nikäya 72).
Wahrlich, ihr Brüder, wovon die Weisen erklären: ,Es ist
nicht in der Welt,' davon sage auch ich: ,Es ist nicht'; wovon
die Weisen erklären: ,Es ist in der Welt', davon sage auch ich:
,Es ist.' (Samyuttaka Nikäya III.)
[Anicca, Vergänglichkeit:] Und ob auch, ihr Brüder,
Weise (buddhä) in der Welt auftreten oder nicht, — so bleibt
es dennoch eine Tatsache und die feste, notwendige Bedingung,
dass alle Daseinsformen (dhammä) vergänglich (anicca)
sind. (Anguttara Nikäya). Denn der Körper, ihr Brüder,
ist vergänglich, das Gefühl ist vergänglich, die Wahrneh-
mung ist vergänglich, die Unterscheidungen (sankhärä)
sind vergänglich, das Bewusstsein ist vergänglich.
(Majjhima Nikäya.)
[Dukkha, Leiden:] Ob auch, ihr Brüder, Weise in der
Welt auftreten oder nicht, — so bleibt es dennoch eine Tat-
sache und die feste, notwendige Bedingung, dass allen Da-
seinsformen Leiden innewohnt. (Anguttara Nikäya). Denn
296 DER BUDDHIST. I. }ahrg.
der Körper ist leidvoll, das Gefühl ist leidvoll, die Wahr-
nehmung ist leidvoll, die Unterscheidungen sind leidvoll,
das Bewusstsein ist leidvoll.
[Anatta, Wesenlosigkeit:] Ob auch, ihr Brüder, Weise
in der Welt auftreten oder nicht, — so bleibt es dennoch eine
Tatsache und die feste, notwendige Bedingung, dass alle
Daseinsformen keine dauernde Ichheit bilden. (Angut-
tara Nikäya). Denn der Körper ist ohne Wesenskern, das
Gefühl ist ohne Wesenskern, die Wahrnehmung ist ohne
Wesenskern, die Unterscheidungen sind ohne Wesenskern,
das Bewusstsein ist ohne Wesenskern. (Anguttara Nikäya.)
[Das Gefühl und das Selbst:] Wenn da, ihr Brüder,
jemand sagen sollte: ,Das Gefühl ist mein »Ich« (Atta, Selbst),'
— dem wäre also zu erwidern: „Es gibt, Bruder, drei Arten
der Gefühle: Das freudvolle Gefühl, das leidvolle Gefühl und
das weder freudvolle noch leidvolle Gefühl (Gefühle der Lust, der
Unlust und indifferente Gefühle). Welches dieser drei Gefühle
betrachtest du nun als dein »Ich«? Zu der Zeit, da man eins
dieser Gefühle empfindet, empfindet man die beiden anderen
nicht. Diese drei Arten von Gefühlen heisst man vergänglich,
durch Ursachen bedingt; sie sind dem Vergehen, der Auflö-
sung unterworfen; denn ihr Wesen besteht in der Lostrennung,
im Hinschwinden. Wer nun beim Empfinden eines dieser drei
Gefühle also sagen sollte: ,Dies ist mein Ich', — der sollte
dann auch sagen: ,Mein Ich erlischt durch das Verschwinden
dieses Gefühles', und damit erkennt er dann auch sein »Ich«
selbst in diesem Leben als vergänglich an."
Wenn da, ihr Brüder, jemand sagen sollte: ,Das Gefühl
ist nicht mein Ich, mein Ich ist dem Gefühle unzugänglich,'
— dem wäre also zu erwidern: „Würdest du denn, Bruder
wenn kein Gefühlseindruck in dir stattfände, sagen: ,Ich bin?'
Wahrlich nicht, Bruder." — Demnach würde es in aller Welt
verkehrt sein, eine solche Meinung mit ihm zu teilen.
Wenn da, ihr Brüder, jemand sagen sollte: ,Das Gefühl
ist nicht mein Ich, aber es ist falsch, zu behaupten, dass mein
Ich dem Gefühle unzugänglich sei; es ist mein Ich, welches
das Gefühl empfindet, denn Fühlen ist die Eigenschaft (Fähig-
keit) meines Ichs', — dem wäre also zu erwidern: „Wenn die
Üo. lö. DER BUDDHIST. 25^7
Gefühle, Bruder, zur gänzlichen Vernichtung gelangen sollten,
ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen, wenn also durchaus
kein Gefühl stattfände, könntest du dann infolge des Nicht-seins
der Gefühle sagen: ,Ich bin?' Wahrlich nicht, Bruder." —
Demnach würde es in aller Welt verkehrt sein, eine solche
Meinung mit ihm zu teilen. (Dtgha Nikäya).
[Die Gedanken sind Nicht-Ich (anattä):] ,Die Ge-
danken sind das Ich', — eine solche Behauptung ist nicht
angängig; bei den Gedanken wird ein Entstehen und Vergehen
wahrgenommen; wenn nun aber dabei ein Entstehen und Ver-
gehen wahrgenommen wird, da muss man die These: .Mein
Ich entsteht und vergeht' als Ergebnis gelten lassen; darum
geht es nicht an zu behaupten: ,Die Gedanken sind mein Ich';
somit sind die Gedanken Nicht-Ich (anattä).
[Das Denkbewusstsein ist Nicht-Ich (anattä):] ,Das
Denkbewusstsein ist das Selbst', — eine solche Behauptung
ist nicht angängig; beim Denkbewusstsein wird ein Entstehen
und Vergehen wahrgenommen; wenn nun aber dabei ein Ent-
stehen und Vergehen wahrgenommen wird, da muss man die
These: ,Mein Selbst entsteht und vergeht' als Ergebnis gelten
lassen; darum geht es nicht an zu behaupten: ,Das Denkbe-
wusstsein ist mein Selbst'; somit ist das Denkbewusstsein
Nicht-Selbst (anattä).
[Der Verstand ist Nicht-Ich (anattä):] ,Der Verstand
ist das Ich (Selbst);' — eine solche Behauptung ist nicht an-
gängig; beim Verstand wird ein Entstehen und Vergehen
wahrgenommen; wenn nun aber dabei ein Entstehen und Ver-
gehen wahrgenommen wird, da muss man die These: ,Mein
Selbst entsteht und vergeht' gelten lassen; darum geht es nicht
an zu behaupten: ,Der Verstand ist mein Selbst;' somit ist der
Verstand Nicht-Selbst (anattä). (Majjhima Nikäya 148).
Wahrlich, ihr Brüder, es würde mehr der Wahrheit ent-
sprechen, wollte man anstatt der Seelen-Aspekte ^) den aus den
*) A. d. H. Seelen-Aspekte, Seele, d. h. die subjektive Seite des
Menschen (näma) setzt sich zusammen aus 1. vedanä, Gefühl, 2. safifia,
Wahrnehmung, 3. sankhärä, Vorstellungen (Unterscheidungen, Ein-Bildun-
gen, Strebungen, Fähigkeiten des Geistes), 4. viünäna, Bewusstsein.
2» DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
vier Elementarkräften *) aufgebauten Körper als ein (dauerndes)
Selbst (attä) betrachten; denn es ist offenbar, dass dieser aus
den vier Elementarkräften^) aufgebaute Körper ein Jahr währt,
zwei Jahre währt, drei, vier, fünf, sechs, ja sieben Jahre währt;
das dagegen, ihr Brüder, was man Seele, Subjekt oder Be-
wusstsein*) nennt, befindet sich bei Tag und Nacht in einem
unaufhörlichen Wechsel, vergeht als dieses und tritt als ein
anderes wieder in die Erscheinung. (Samyutta Nikäya).
Darum also, ihr Brüder: Was es auch für eine Form sei,
vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde,
grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe: alle
Form ist, der Wahrheit gemäss, mit vollkommener Weisheit
also zu betrachten: ,Das gehört mir nicht an, das bin ich
nicht, das ist nicht mein Selbst.' — Was es auch für ein Ge-
fühl, was es auch für eine Vorstellung (Unterscheidung), was
es auch für ein Bewusstsein sei, vergangenes, zukünftiges,
gegenwärtiges, eigenes oder fremdes, grobes oder feines, ge-
meines oder edles, fernes oder nahes: jedes Gefühl, jede
Wahrnehmung, jede Vorstellung (Unterscheidung), jedes Be-
wusstsein ist, der Wahrheit gemäss, mit vollkommener Weis-
heit also anzusehen: ,Das gehört mir nicht an, das bin ich
nicht, das ist nicht mein Selbst.' (Majjhima Nikäya 1Ü9).
[Vergangenes, gegenwärtiges, zukünftiges Dasein:]
Wenn nun, ihr Brüder, jemand euch fragen sollte: ,Seid ihr
wohl in den vergangenen Zeiten gewesen, oder aber seid ihr
in den vergangenen Zeiten nicht gewesen? Werdet ihr wohl
in den zukünftigen Zeiten sein, oder aber werdet ihr in den
zukünftigen Zeiten nicht sein? Seid ihr jetzt, oder aber seid ihr
jetzt nicht?' ■ — so hättet ihr zu sagen, dass ihr in einer Hin-
sicht wohl in den vergangenen Zeiten gewesen seid, dass ihr
in anderer Hinsicht jedoch in den vergangenen Zeiten nicht
gewesen seid; dass ihr in einer Hinsicht wohl in den zukünf-
') A. d. Her. Die den Körper (rüpa) aufbauenden »vier Elementar-
kräfte« (dhätu) sind: 1. väyu, Beweglichl<eit (wörtlich: Wind), 2. tejo,
Strahlung (wörtlich: Feuer), 3. apo, Kohäsion (wörtlich: Wasser), 4.
pathavl, Trägheit (wörtlich: Erde). Vergl. Dr. Ernest: »Buddhism and
Science« S. 6. f.
*) Vergl. Anmerk. auf vorhergehender Seite.
No. 10. DER BUDDHIST. 299
tigen Zeiten sein werdet, dass ihr in anderer Hinsicht jedoch
in den zul<ünftigen Zeiten nicht sein werdet; dass ihr in einer
Hinsicht jetzt seid, dass ihr in anderer Hinsicht jedoch jetzt
nicht seid. (Digha Nikäya).
Wahrlich, nur derjenige, welcher die Entstehung aus Ur-
sachen merkt, der merkt die Wahrheit, und wer die Wahrheit
merkt, der merkt die Entstehung aus Ursachen. (Majjhima
Nikäya).
Denn gerade so, ihr Brüder, wie von der Kuh die Milch
kommt, aus der Milch der Rahm entsteht, aus dem Rahme
die Butter, aus der Butter der Käse, — und wenn es Milch
ist, dieselbe nicht Rahm, oder Butter, oder Käse genannt wird,
und wenn es Käse ist, derselbe durch keinen anderen Namen
bezeichnet wird: genau ebenso, ihr Brüder, wird, wenn eine
der drei Daseinsarten (vergangenes, gegenwärtiges oder zu-
künftiges Dasein) vorgestellt wird, diese nicht mit dem Namen
der beiden anderen bezeichnet; denn diese, ihr Brüder, sind
blosse Namen, blosse Redewendungen, Bezeichnungen im ge-
wöhnlichen Verkehrsgebrauche. Von diesen macht allerdings
der Erhabene Gebrauch, ohne aber durch sie irregeleitet zu
werden. (Digha Nikäya 9.)
[Die beiden Extreme: Der Materialismus und der
Glaube an eine persönliche Unsterblichkeit:] Wenn, ihr
Brüder, die Ansicht besteht, dass das Ich mit unserem körper-
lichen Dasein identisch ist, so ist in diesem Falle ein heiliges
Leben nicht recht möglich; oder wenn, ihr Brüder, die Ansicht
besteht, dass das Ich (d. h. die persönlich gedachte Ich-Seele)
eins ist, aber ein anderes der Körper, auch in diesem Falle
ist ein heiliges Leben nicht recht möglich. Diese beiden
Extreme jedoch wurden von dem Erhabenen gemieden, und
es gibt eine mittlere Lehre, welche sagt:
[Paticcasamuppäda, die Kausal-Kette:] Infolge der
Verblendung (avijjä) bilden sich die »Strebungen« (sankhärä),
[die in gutem oder üblem körperlichen, sprachlichen oder gei-
stigen Wirken (kamma) sich äussern]. Dadurch ist das Er-
wachen des Bewusstseins (vififiäna) bedingt; von dem Dasein
des Bewusstseins hängt die Unterscheidung in das anschau-
ende Subjekt einerseits (näma) und die angeschaute Welt
300 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
als Objekt andererseits (röpa) ab; aus der Existenz der sub-
jei<tiv-objei<tiven Welt entspringt die sechsfache Sinnestätigkeit
(saläyatana); durch diese entsteht phassa, d. h. der Kontakt
der sechs Sinnesorgane mit den objektiv angeschauten Sinnes-
gegenständen (d. i. den Formen, Tönen, Düften, Säften, Tastun-
gen und Gedanken); der Kontakt bedingt das (Lust-, Unlust-
oder indifferente) Gefühl (vedanä); aus dem Gefühl entspringt
das Begehren (tanhä); dieses erzeugt das Haften am Dasein
(upädäna); das Haften am Dasein wirkt den Daseinsprozess
(bhava); dieser erzeugt die Geburt (jäti); die Geburt bedingt
Altern und Sterben, Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Ver-
zweiflung. Also kommt es zur Entfaltung dieser ganzen Lei-
densfülle.
Aber mit der vollständigen Auflösung und Aufhebung der
Verblendung sind die »Strebungen« aufgehoben; mit der Auf-
hebung der »Strebungen« ist das Erwachen des Bewusstseins
aufgehoben; mit der Aufhebung des Bewusstseins ist die sub-
jektiv-objektive Anschauung aufgehoben; mit der Aufhebung
der subjektiv-objektiven Anschauung ist die sechsfache Sinnes-
tätigkeit aufgehoben; mit der Aufhebung der sechsfachen
Sinnestätigkeit ist der Kontakt (der Sinnesorgane mit der ob-
jektiv angeschauten Welt) aufgehoben; mit der Aufhebung des
Kontaktes ist das Gefühl aufgehoben; mit der Aufhebung des
Gefühls ist das Begehren aufgehoben; mit der Aufhebung des
Begehrens ist das Haften am Dasein aufgehoben; mit der
Aufhebung des Haftens am Dasein ist der Daseinsprozess auf-
gehoben; mit der Aufhebung des Daseinsprozesses ist die
Geburt aufgehoben; durch das Nicht-geboren-werden ist Altern
und Sterben, Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung
aufgehoben. Also kommt es zur Aufhebung dieser ganzen
Leidensfülle. (Samyuttaka Nikäya).
Wahrlich, ihr Brüder, weil die Wesen, versunken in Nicht-
wissen (avijjä), von dem Lebensdrang (tanhä) geködert, bald
hier und bald da sich ergötzen, deshalb kommt immer wieder
ein neuer Keim zustande (Majjhima Nikäya 43), und des
Menschen Werke, ihr Brüder, die aus Begehren getan sind,
die dem Begehren entspringen, durch Begehren veranlasst
sind, in Begehren ihren Ursprung haben, werden dort zur Reife
No. 10. DER BUDDHIST. 301
gelangen, wo auch immer der Mensch sein mag; und wo auch
immer jene Werke zur Reife gelangen, eben dort erntet der
Mensch die Früchte jener Werke, sei es in diesem, sei es in
einem zukünftigen Leben. Des Menschen Werke, ihr Brüder,
die aus Begierde, Hass und Wahn getan, durch Begierde,
Hass und Wahn veranlasst sind, in ihnen ihren Ursprung
haben, werden dort zur Reife gelangen, wo auch immer der
Mensch sein mag; und wo auch immer jene Werke zur Reife
gelangen, eben dort erntet der Mensch die Früchte jener Werke,
sei es in diesem, sei es in einem zukünftigen Leben. (Angut-
tara Nikäya).
[Aufgehobenes Kamma:] Durch den Nichtwissens-
Überdruss jedoch, ihr Brüder, durch die Wissensgewinnung,
durch die Zerstörung des Lebensdranges (tanhä) wird jede
weitere Keimbildung aufgehoben, und des Menschen Werke,
ihr Brüder, die nicht durch Begierde, Hass oder Wahn ver-
ursacht sind, nicht aus Begierde, Hass oder Wahn entspringen,
nicht durch sie veranlasst sind, nicht in ihnen ihren Ursprung
haben, sind, insofern Begierde, Hass und Wahn verschwunden
sind, verlassen, ausgerodet, gleich einer Fächerpalme dem
Boden entrissen, sind erloschen und keinem ferneren Treten
ins Dasein ausgesetzt. (Majjhima Nikäya.)
Wahrlich, ihr Brüder, in dieser Hinsicht könnte jeder von
mir mit Recht behaupten: ,Ein Verneiner ist der Asket Gotama,
die Vernichtung lehrt der Asket Gotama;' denn wahrlich, ihr
Brüder, ich verkünde die Vernichtung; die Vernichtung näm-
lich der Begierde, die Vernichtung des Hasses, die Ver-
nichtung des Irrwahns, sowie die Vernichtung der man-
nigfachen üblen, unheilsamen Gemütszustände. (Mahä-
vagga VI, 31).
Zweite Stufe: Sammäsankappa, rechter Vorsatz.*)
Was ist nun, ihr Brüder, rechter Vorsatz? Der Vorsatz,
sinnliche Vergnügungen aufzugeben, der Vorsatz, gegen
niemanden Bosheit zu hegen, derVorsatz, keinemWesen
Harm zu bereiten.
Das, ihr Brüder, ist rechter Voratz. (Digha Nikäya 22).
') Andere Übersetzungen sind: Rechte Gesinnung, rechtes Denken,
rechte Endzwecke, rechtes Ziel.
302 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Dritte Stufe: Sammävaca, rechte Rede.
Was ist nun, ihr Brüder, rechte Rede?
[Überwindung der Lüge:] Da hat jemand, ihr Brüder,
das Lügen verworfen, vom Lügen hält er sich fern. Die Wahr-
heit spricht er, der Wahrheit ist er ergeben, standhaft, des
Vertrauens würdig, kein Heuchler und Schmeichler der Welt.
[Überwindung der Verleumdung:] Das Verleumden
hat er verworfen, vom Verleumden hält er sich fern. Was er
hier gehört hat, erzählt er dort nicht wieder, um jene zu ent-
zweien, und was er dort gehört hat, erzählt er hier nicht wieder,
um diese zu entzweien. So einigt er Entzweite, festigt Ver-
bundene, Eintracht macht ihn froh, Eintracht erfreut ihn, Ein-
tracht fördernde Worte redet er.
[Überwindung der rohen Rede:] Rohe Worte hat er
verworfen, von rohen Worten hält er sich fern. Worte, die
frei von Schimpfen sind, dem Ohre wohltuend, liebreich, zum
Herzen dringend, höflich, viele erfreuend, viele erhebend, solche
Worte spricht er. (Majjhima Nikäya). Denn er weiss: In
wem der Gedanke lebt: .Verleumdet hat er mich, geschlagen,
vergewaltigt hat er mich und beraubt,' — der wird nimmer
frei von Hass; denn nie wird Hass durch Hass gestillt; durch
Güte wird Hass überwunden, das ist ein ewiges Gesetz.
(Dhammapada, 4 — 5).
Und er erinnert sich der Worte des Erhabenen: „Wenn
auch, ihr Brüder, Räuber und Mörder mit einer Säge Gelenke
und Glieder abtrennten, so würde, wer da in Wut geriete, nicht
meine Weisung erfüllen. Da habt ihr euch nun, meine Brüder,
wohl zu üben: ,Nicht soll unser Gemüt verstört werden, kein
böser Laut unseren Lippen entfahren, freundlich und mitleidig
wollen wir bleiben, liebevollen Gemütes, ohne heimliche Tücke;
und jene Person werden wir mit liebevollem Gemüte durch-
strahlen: von ihr ausgehend werden wir dann die ganze Welt
mit liebevollem Gemüte durchstrahlen, mit weitem, tiefem, un-
beschränktem, von Grimm und Groll geklärtem,' — also habt
ihr euch, meine Brüder, wohl zu üben." (Majjhima Nikäya 21.)
[Überwindung unnützer Rede:] Da hat ferner, ihr
Brüder, jemand das Schwätzen verworfen, vom unnützen Reden
No. 10. DER BUDDHIST. 303
hält er sich fern. Zur rechten Zeit spricht er, den Tatsachen
gemäss, auf den Sinn bedacht, der Lehre und Ordnung getreu;
seine Rede ist inhaitreich, gelegentlich mit Gleichnissen ge-
schmückt, klar und bestimmt, ihrem Gegenstande angemessen;
denn er ist eingedenk der Weisung, die da lautet: „Trefft ihr
euch, meine Brüder, so geziemt euch zweierlei: Lehrreiches
Gespräch oder heiliges Schweigen." (Majjhima Nikäya.)
Dies, ihr Brüder, ist rechte Rede.
Vierte Stufe: Sammäkammanta, rechte Tat.
Was ist nun, ihr Brüder, rechte Tat?
[Überwindung des Tötens:] Da hat jemand, ihr Brüder,
das Morden verworfen, vom Töten hält er sich fern. Ohne
Stock, ohne Schwert, fühlsam, voll Teilnahme hegt er zu allen
lebenden Wesen Güte und Mitleid.
[Überwindung des unrechtmässigen Nehmens:]
Nichtgegebenes zu nehmen hat er verworfen, vom Nehmen
des Nichtgegebenen hält er sich fern. Gegebenes nimmt er, Ge-
gebenes wartet er ab, nicht diebisch gesinnt, geläuterten Herzens.
[Überwindung der Unkeuschheit:] Die Unkeuschheit
hat er verworfen, keusch lebt er, der niedrigen Fleischeslust
erstorben. (Majjhima Nikäya.)
Dies, ihr Brüder, ist rechte Tat.
Fünfte Stufe: Sammäjiva, rechter Beruf/)
Was ist nun, ihr Brüder, rechter Beruf?
Wenn, ihr Brüder, ein heiliger Jünger einem Leiden-erzeu-
genden Berufe") entsagend sich seinen Lebensunterhalt auf
eine gerechte Weise erwirbt, so ist dies, ihr Brüder, rechter
Beruf. (Digha Nikäya 22).
(Fortsetzung folgt.)
') Andere Übersetzungen sind : Rechtes Leben, rechte Lebensführung,
rechte Lebensweise.
-) Fünf solcher Leiden-erzeugenden Berufe werden in den Schriften
angeführt: 1. Schlächterei und Handel mit Schlachttieren; 2. Handel mit
alkoholischen Getränken; 3. Handel mit Gift; 4. Handel mit Waffen und
Mordwerkzeugen; 5. Handel mit Menschen (Sklavenhandel, Mädchen-
handel, Kuppelei).
SM DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Die Berührungspunkte der
Philosophie Schopenhauers
und des Buddhismus.
Von Georg Jahn.
(1. Fortsetzung.)
Erkennt so der Buddhismus, dass die sichtbare Welt der
Vorstellung angehört und durchaus nichts Beständiges hat, so
bleibt er dabei jedoch nicht stehen, sondern geht tiefer, sucht
nach dem, was hinter den Dingen steckt, nach dem Urgrund
der Welt. Das aber ist der „Wille zum Leben", der wie der
Wille Schopenhauers keineswegs dem gleichzusetzen ist, was
man gewöhnlich unter bewusstem Willen versteht. Es ist der
in allem Geschehen wirkende Lebenstrieb, die eigentlich welt-
schöpferische Kraft, es ist die Ursache unseres Daseins und
unserer Wiedergeburt und in Wahrheit der Schöpfer, Erhalter
und zugleich Zerstörer aller Dinge, es ist das Urprinzip des
Seienden, das andere Religionen sich als Gott personifiziert
denken. In den buddhistischen Schriften aber fehlt jede An-
schauung eines höchsten Wesens als Grund der Schöpfung.
Der Buddhismus kennt durchaus kein unerschaffenes, ewiges
einiges göttliches Wesen, das vor allen Zeiten war und alles
Sichtbare und unsichtbare aus nichts erschaffen hat, er kennt
keinen persönlichen Gott, von dessen Gnade oder dessen
Willen der Bestand der Welt abhinge. Alles entwickelt sich
durch und aus sich selbst, kraft seines eigenen Willens
und gemäss seiner inneren Natur und Beschaffenheit. Einen
persönlichen Gottschöpfer hat nur die Unwissenheit der Mensch-
heit erfunden, die mit der Erklärung der Welt aus sich selbst
nicht fertig wurde. Es gibt eben keine Schöpfung, der Aus-
druck selbst ist sogar dem Buddhismus fremd, es gibt nur
Weltentstehungen nach unabänderlichen, ewigen Gesetzen, die
Lehre einer Schöpfung aus nichts ist ein Irrwahn. Genau
alles dasselbe aber lehrt auch Schopenhauer. Nach ihm ist
die Annahme eines selbständigen Urgrundes, eines intelligenten
Schöpfergottes ein Verstoss gegen das Gesetz der Kausalität,
das unbedingt Giltigkeit hat- Alles Bestehende, alles Ge-
No. 10. DER BUDDHIST. 305
schehende hat einen Grund, hat eine Ursache; soweit wir auch
zurückgehen mögen, niemals stossen wir auf etwas Grundloses,
Absolutes, etwas, das die Ursache seiner selbst wäre. Die
Vorstellung eines intelligenten Schöpfergottes ist aus dem Be-
streben hervorgegangen, die durchgehende Zweckmässigkeit der
Welt zu erklären. Um das zu können, braucht man aber
durchaus keine schöpferische Intelligenz anzunehmen, man
kommt da mit dem innerweltlichen Grunde des Willens, dem
Lebenstrieb sehr gut aus.
So stimmt also Schopenhauers Philosophie mit dem Bud-
dhismus in allen Hauptpunkten der Welterklärung überein:
beide sind voll und ganz atheistisch, beide erklären die sicht-
bare Welt für Vorstellung, die ewig wechselt, beide treffen
sich schliesslich in der metaphysischen Begründung der Welt,
indem sie den Willen als überall wirkenden und gestaltenden
Lebenstrieb auffassen und in ihm das Urprinzip der Welt er-
blicken.
Auf einem anderen und für uns hier viel bedeutsameren
Gebiete als dem der Natur- und Welterklärung finden wir
Schopenhauer ebenfalls mit dem Buddhismus in vollem Ein-
klang, auf dem Gebiete der praktischen Lebensanschauung,
der Erklärung des grossen Mysteriums unseres Daseins.
Schopenhauer hält, wie oben schon gesagt, den Willen für
das Ding an sich, den inneren Gehalt, das Wesen der Welt.
Das Leben hingegen, die sichtbare Erscheinung ist nur der
Spiegel des Willens. Wenn Wille da ist, so ist auch notwen-
dig Leben, Welt da. Die Objektivationen des Willens sind
in ewigem Fluss begriffen, sie entstehen und vergehen; das
Ewige, im Wechsel Beharrende ist allein der Wille. Auch im
Individuum ist der Wille zum Leben in die Erscheinung getre-
ten; deshalb ist es vergänglich, deshalb muss es sterben und
vergehen, während nur die Gattung sich erhält. Der Tod ist
nur ein Schlaf, in dem die Individualität vergessen wird. Das
andere, hinter der individuellen Erscheinung Stehende, der Wille,
bleibt wach, ihm ist das Leben gewiss, und seine Lebensform
ist Gegenwart ohne Ende.
Der Wille ist sich in Welt und Leben, seinen Erscheinun-
gen als Vorstellung vollständig gegeben, er erkennt sich darin,
20
a06 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
ohne jedoch dadurch in seinem Wollen irgendwie gehemmt zu
werden. Es wird vielmehr eben dieses erkannte Leben als
solches von ihm nun auch mit Erkenntnis, bewusst und
besonnen, gewollt, er bejaht sich mithin selbst. Das Gegen-
teil hiervon, die Verneinung des Willens zum Leben, zeigt sich,
wenn auf jene Erkenntnis hin das Wollen endet, dann wirken
nicht mehr die erkannten Einzelerscheinungen als Motive des
Wollens, sondern es wird die ganze Erkenntnis des Wesens
der Welt, dieses Spiegels des Willens, zum Quietiv desselben,
der Wille hebt sich selbst auf. Eine solche vom Wollen unab-
hängige Betrachtungsart ist die der Kunst. Bei ihr verschwin-
det die Welt als Wille und bleibt nur noch als Vorstellung
übrig. Das eben ist die Bedingung des ästhetischen Wohlge-
fallens: Befreiung des Erkennens vom Dienste des Willens,
Selbstvergessen und Erhöhung des Bewusstseins zu einem
willenlosen, zeitlosen, von allen Relationen unabhängigen Sub-
jekt des Erkennens. So bietet das reine, uninteressierte künst-
lerische Geniessen und Schauen einen Vorgeschmack der Selig-
keit des Nirväna, des Befreitseins vom Leiden, von der Begierde,
vom Lebensdurst, eine Seligkeit, die wir etwa empfinden, wenn
wir in klarer Nacht den sternbesäebten Himmel betrachten:
„Die Sterne, die begehrt man nicht,
Man freut sich ihrer Pracht,
Und mit Entzücken blickt man auf
In jeder klaren Nacht."
Kehren wir zurück zur Lebensauffassung Schopenhauers.
Nach seiner Ansicht ist jedes Menschen Charakter vorherbe-
stimmt, er ist sein eigenes Werk vor aller Erkenntnis, der
Mensch erkennt sich selbst im Leben, erkennt, was er ist. Man
kann sagen, dass alles vom Schicksal vorher bestimmt ist,
wenn man damit meint, dass alles nur mittelst der Kette von
Ursachen geschieht, denn keine Wirkung kann ohne Ursache
eintreten. Nicht die Begebenheit schlechthin ist also vorher-
bestimmt, sondern dieselbe als Schlussglied einer langen Reihe
vorhergängiger Ursachen. Nicht der Erfolg allein, sondern
auch die Mittel sind also vom Schicksal beschlossen. Treten
demnach die Mittel nicht ein, dann bleibt auch sicherlich der
Erfolg aus: beides immer nach der Bestimmung des Schicksals,
No. 10. DER BUDDHIST. 307
die wir aber stets erst hinterher erfahren. Da nun das Wesen
des Willens fortwährendes Streben ist, das überall gehemmt
wird, so muss dasselbe immer kämpfen, und das heisst leiden.
Das Streben ist endlos, es hat kein letztes Ziel, mithin gibt
es auch kein Mass, kein Ende des Leidens. Die Grösse des
Leidens hängt von der Höhe der Erkenntnis des einzelnen In-
dividuums ab: Je mehr Erkenntnis, desto mehr Leiden! Ober-
haupt kann man sagen, dass das Leben im Wesentlichen
Leiden ist. Zunächst wird das Dasein bei den allermeisten
Menschen ausgefüllt durch einen steten Kampf um die Existenz,
einen Kampf mit der Gewissheit, zuletzt doch zu verlieren.
Dann ist es die fortgesetzte Furcht vor dem Tode, dem endlichen
Ziel der mühseligen Fahrt durch des Lebens Wellentrug und
Wüstensand, die uns Qual bereitet. Wo nicht eigentliche
Leiden und Qualen sind, stellt sich die Langeweile ein, die
man durch Geselligkeit zu überwinden sucht. Wie nahe aber
die Langeweile dem Leiden steht, das mag jeder selbst beur-
teilen. Zwischen Wollen und Erreichen wogt das Leben hin
und her, jedes Wollen zeitigt den Schmerz des Nichthabens,
jedes Erreichte ein neues Wollen, einen neuen Wunsch und
damit erneute Schmerzen. Leidenschaftliche Liebe und Eifer-
sucht, Neid und Hass, Ehrgeiz und Ruhmsucht, Krankheit und
Lebensüberdruss, Geschlechtstrieb und Egoismus, alles Dinge,
die oft das ganze Leben ausfüllen, sie alle sind Leiden. Die Be-
hauptung erscheint nicht so unrichtig, dass im Leiden das Positive
liege, das Glück, die Befriedigung dagegen immer negativ sei.
Gibt es denn keinen Ausweg aus diesem Jammertale, gibt
es keine Ueberwindung des Leidens , gibt es keine
Mittel, zur Glückseligkeit zu gelangen, gibt es keine
Moral? 0 gewiss, Schopenhauer erkennt eine solche durchaus
an und sieht ihr Urphänomen im Mitleid. Die Haupttriebfeder
im Menschen ist unzweifelhaft der Egoismus, der Drang zn
Leben und Wohlsein. Jeder Handlung nun liegt als letzter
Zweck das Wohl und Wehe des Handelnden selbst oder eines
anderen zum Grunde. Bezieht sich die Handlung auf das
eigene Wohl, dann ist sie egoistisch und ohne moralischen
Wert. Ist dagegen der Zweck einer Handlung das Wohl eines
Mitmenschen, so ist sie ein Ausfluss des Mitleids, des Prinzinps
20*
308 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
der Moralität; ist der Zweck das Wehe desselben, so entspringt
sie der Bosheit des Handelnden, dem Prinzip der Unmoralität.
Aus dem Mitleid, das seinen Grund in dem mehr oder weni-
ger grossen Einheitsbewusstsein der Menschheit, dem Solidari-
tätsgefühl der einzelnen Individuen hat, entspringen die Kar-
dinaltugenden der Gerechtigkeit, die uns gebietet, niemand zu
verletzen, und der Menschenliebe, die uns befiehlt, den Nächsten
nach Kräften zu unterstützen. Die Betätigung einer solchen
moralischen Gesinnung ist nun freilich der Grund zur Glück-
seligkeit, aber Moral lässt sich nicht anerziehen, lässt sich
nicht lernen. Die Motivation des menschlichen Willens richtet
sich nach dem Charakter, und der ist angeboren und unver-
änderlich. Alles, was geschieht, vom Grössten bis zum Klein-
sten, geschieht notwendig, auch das menschliche Handeln.
Wir können nicht aus dieser Notwendigkeit heraus, solange
wir wollen, wir können nichts tun, was unserm Charakter
widerspricht. Durch unser Tun erfahren wir gerade erst, was
wir sind, erkennen uns und unsern Charakter. Eine Glück-
seligkeit auf Grund einer moralischen Gesinnung ist also nur
den wenigsten Menschen möglich. Wir müssen deshalb nach
anderen Mitteln suchen, wenn wir zu Glück und Frieden ge-
langen wollen. Schopenhauer sucht dieses Mittel in der Askese.
Der erste Schritt dazu ist die vollkommene freiwillige Keusch-
heit, die Verneinung des Geschlechtstriebes, des Brennpunktes
des Willens zum Leben. Damit wird der Wille über die eigene
Individualität hinaus verneint. Der zweite Schritt ist die Be-
dürfnislosigkeit und die damit verknüpfte Besiegung der
Willenserscheinungen der Wünsche. Schliesslich wird noch
der Wille mehr und mehr durch Selbstzucht und Selbstüber-
windung, und durch freiwillige, absichtliche Entbehrung
gebrochen. So führt die Askese, die Verneinung des
Willens zum Leben, die Überwindung des Eigenwillens, zur
Selbstverleugnung und Heiligkeit. Die Erkenntnis des eigenen
Wesens wird zum Quietiv alles Wollens. — Man hat nun
eingewandt, dass man das Ziel der Askese, die Ver-
neinung des Wollens, am schnellsten doch durch den Selbst-
mord erreichen könne. Dieser aber ist ein Phänomen
stärkster Bejahung des Lebenswillens, denn die
No. 10. DER BUDDHIST. 309
Verneinung hat ihr Wesen nicht darin, dass man die Leiden,
sondern dass man die Genüsse des Lebens aufgibt. Der
Selbstmörder will das Leben und ist nur mit den Bedingungen,
unter denen es ihm geworden, unzufrieden. Daher gibt er
keineswegs den Willen zum Leben auf, sondern nur die ein-
zelne Erscheinung desselben, indem er seine Form zerstört.
Was nach gänzlicher Verneinung und Aufhebung des
Willens übrig bleibt, ist für alle die, welche noch des Willens
voll sind, allerdings nichts — Nirväna. Aber auch umgekehrt
ist denen, in welchen der Wille sich gewendet und verneint
hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen
und Milchstrassen — Nichts. Es ist das „Jenseits aller Er-
kenntnis" der Buddhisten, der Punkt, wo Subjekt und Objekt
nicht mehr sind. (Schluss folft.)
Die
Transmigration oder Wiedergeburt.
Von Bhikkhu Änanda Maitriya.
(3. Fortsetzung.)
Wir wollen nun den Augenblick betrachten, wenn Johannes
Schmidt stirbt. Der letztere hat während seines Lebens nicht
nur den grossen Ozean des Äthers in Vibration versetzt, son-
dern er hat vor allen Dingen mit jedem wechselnden Gedanken
und Gefühl auf seine eigene psychische Struktur eingewirkt,
wie sie in der komplizierten Werkstatt seines Hirns zusammen-
gefasst ist. So ist in dem Augenblick vor seinem Abscheiden
sein ganzes Leben, ja das Leben aller seiner Ahnen, und so sind
auch, wie wir Buddhisten sagen würden, seine eigenen früheren
Leben gleichsam gezeichnet in einer ganz bestimmten und charak-
teristischen Molekular-Struktur, in einer ausserordentlich ver-
wickelten Darstellung alles dessen, was wir unter dem Ausdruck
»Johannes Schmidt« verstanden; aber diese Darstellung, welche
ihm selbst unbekannt ist und überhaupt nicht bemerkt werden
kann, ist in Wahrheit das Ergebnis aus den Zeitaltern, da
Johannes Schmidt in seinem Charakter die Gedanken und
Handlungen unzähliger Lebensläufe manifestierte. Jede winzige
Zelle von allen den vielen Millionen, welche die graue Masse
älb DER BUDDHIST. I. Jahrg.
seines Gehirns zusammensetzen, kann mit einer geladenen
Leydener Flasclie verglichen werden, welche bei einer jeweiligen
Entladung gewisse Energieen ausstrahlt, deren Bedeutung und
Botschaft sie durch den ganzen menschlichen Körper und
durch den Äther, bis zu den Unendlichkeiten des Raumes
hin befördert. Eine jede dieser Zellen ist versehen mit ihrem
eigenen Laboratorium von Apparaten, — mit ihren Widerständen,
Isolatoren, Schaltern, und durch diese ist, wenn sie normal
funktionieren, der Gesamt-Entladung vorgebeugt; so dass zu
einem bestimmten Zeitpunkt nie mehr als ein Bruchteil der
aufgespeicherten Energie ausgesendet werden kann, — nie auf
einmal mehr, als die geschäftigen Blutkörperchen ersetzen
können. Und jede einzelne Zelle von all den Myriaden hat
in sich eine gewaltige Energie aufgespeichert, einen Teil von
all den Energieen, Leidenschaften, Wünschen, Hoffnungen und
hohen Anstrengungen, welche zusammen jenes wunderbare
Gebilde ausmachen, welches wir »Mensch« nennen.
Und nun kommt der Tod; und in dem Augenblick seines
Eintretens strahlt jene gesamte aufgespeicherte Energie auf das
Universum aus wie ein neu-entstehender Stern; denn in dem
wunderbaren Laboratorium, das wir als Gehirn bezeichnen,
hat jetzt eine plötzliche, entscheidende Katastrophe sich abge-
spielt, welche die gesamten feinen Apparate zerschmettert;
die Schutz- und Hemm-Vorrichtungen sind zertrümmert und
jede kleine Zelle ist völlig entladen. Stellen wir uns nun ein
Wesen vor, dessen Augen sensitiv genug sind, um die Art der
feinen Schwingungen, die wir Gedanken nennen, wahrzu-
nehmen, so würde dieses Wesen den Tod Johannes Schmidts
sehen, wie wir etwa das Aufflammen der Nova PerseT ge-
wahrten, — wie ein plötzliches geistiges Auflodern würde sich
ihm der Vorgang darstellen, und er könnte in einem psychi-
schen Spektroskop das geistige Verzeichnis dessen analysieren,
was einst ein Mensch war; und wie sich die Kunde von einer
Katastrophe auf einem Gestirn durch den ganzen Raum aus-
breitet, so könnte hier ein auf einem fernen Stern befindlicher
sensitiver Beobachter den Tod Newtons oder Ramses des
Grossen überwachen.
Wenn wir nun die Frage ganz auf sich beruhen lassen.
No. 10. DER BUDDHIST. 311
ob die Existenz einer für unsere Qedankenschwingung empfäng-
lichen unbekannten Substanz möglich ist, so kennen wir doch
nur ein Mittel, wodurch die durch den Tod eines Menschen
hervorgerufenen Wellen aufgehalten und ihre Energien absor-
biert werden könnten. Wenn wir uns eine Flamme vorstellen,
— nehmen wir an das gelbe Licht des Natriums, — welches
von einem Gegenstand ausgeht, so werden diese Lichtschwin-
gungen durch den Raum bis in alle Ewigkeit weitereiien, aus-
genommen nur den einen Fall, dass sie irgendwo auf eine
Schicht von Natrium-Dämpfen auftreffen, d. h. auf die einzige
Substanz im Universum, welche in ihrer Struktur dem Molekül
ähnlich ist, von dem das Licht ausgeht. Dann wird sich
nämlich etwas sehr Seltsames ereignen, — etwas so Fremd-
artiges, dass wir keine durchsichtige und einfache Erklärung
dafür haben, obwohl wir wissen, dass es immer eintreffen wird.
Denn der Natrium-Dampf wird das Natrium-Licht ab-
sorbieren, und wahrscheinlich wird jedes Element in einem
entsprechenden Zustande das Licht desselben Elementes ab-
sorbieren, das auf eine höhere Temperatur erhitzt ist, — ein
Phänomen, welches sich bei den Sternen von demselben Typus
wie unsere Sonne klar äussert, wo die Elemente in ihrer gas-
förmigen Umhüllung das Licht derselben Gattung aufnehmen,
wie das, welches sie selbst bei höheren Temperaturen aus-
strahlen, indem sie ein kontinuierliches Spektrum mit dunklen
Absorptions-Streifen geben.
Was aus der Energie geworden ist, die auf diese Weise
absorbiert wurde, wissen wir nicht; nur das ist klar, dass sie,
da Energie unzerstörbar ist, noch irgendwie vorhanden sein
muss, wahrscheinlich in der Substanz, die sie absorbiert hat,
verschlossen und latent; — kann sein; auf jeden Fall muss sie
aber noch existieren. Vielleicht können wir in dieser
Absorption ein typisches Beispiel für das erkennen,
was sich beim Tode eines Menschen abspielt, sowie
das Geheimnis der Entstehung eines neuen Lebewe-
sens, das von dem vorhergehenden abhängig ist.
Denn welche Substanz kann in dem vorliegenden Falle
eine Struktur aufweisen, die dem absterbenden Gehirn so
ähnlich wäre, als einzig und allein das Hirn eines in diesem
älä ÖER BUDDHISt. 1. Jahrg.
Augenblick geborenen Kindes oder Lebewesens, welches auf
Grund seiner Vererbung und Anlage dem Gehirn des sterben-
den Menschen verwandt ist?! Und solche Vorgänge spielen
sich nach der Anschauung der Buddhisten tatsächlich ab.
Unsere Schriften lehren uns die Existenz unzähliger Welten
(resp. Zustände) und sechs Haupt-Arten von Dasein (oder Zu-
ständen) in unserer kleinen Welt. ^) Da aber die Natur jener
Welten von den unsrigen verschieden ist, und da notwendiger-
weise der Mensch dem Menschen mehr gleicht als einem
anderen Wesen, so wollen wir unsere Betrachtung auf die
Menschenwelt alleiu beschränken.
Im Augenblick, da ein Mensch stirbt, wird irgendwo ein
Kind mit einer derartigen körperlichen Konstitution geboren,
dass das kleine Gehirn dem Charakter des abscheidenden
Menschen entspricht und ihn aufnehmen kann; ein Gehirn ohne
diese Art von Beeinflussung wird niemals in ein individuelles
Dasein eintreten. Der Mensch stirbt, und sein Abscheiden
erregt den Äther in der diesem Menschen eigentümlichen, sehr
komplizierten Weise, und fast in demselben Augenblick erhält
ein neugeborenes Kind, das noch sehr nahe an der Schwelle
des Todes steht, den Impuls von jener »Todes-Welle«, und
sein Gehirn erzittert zu einem neuen Leben; das Herz und die
Atmungs-Centra werden plötzlich zur Tätigkeit angeregt, —
das neugeborene Kind atmet und lebt, oder wie die Buddhisten
sagen würden, „die neue Lampe wird an der verlöschen-
den Flamme angezündet."
Dieses Bild mag auch dazu dienen, noch eine andere
Schwierigkeit zu erhellen, welche Rolle nämhch die Ver-
erbung in der Transmigrations-Theorie spielt, ferner welche
Stellung die buddhistische Lehre zu diesem Punkte einnimmt,
dass, wenn ein guter Mensch stirbt, er auf Grund seines Kar-
mans als ein Kind tugendhafter Eltern wiedergeboren wird; wie
es zu verstehen ist, dass eine bestimmte Natur oder Beschaffen-
heit übertragen wird; — kurz, wie das neue Leben eine Gruppe von
geistigen und moralischen Eigenschaften aufweist, die denen des
') Was wir objektiv Welt nennen, ist subjektiv ein innerer Zustand.
Je nach der Verschiedenheit dieser inneren Zustände sind auch die sich
in diesen reflektierenden objektiven Erscheinungs-Welten verschieden.
No. lö. DER BUDDHIST. 3(3
erloschenen Lebens in jeder Weise ähnlich sind. Wir wollen uns
dies durch eine analoge Betrachtung verständlich machen.
Angenommen, in Rangun sei ein Apparat zur Erzeugung von
»Hertz'schen Äther-Wellen« aufgestellt, der so abgestimmt ist,
dass er Wellen von ganz bestimmter Länge aussendet, und
rings im Umkreise seien Empfangs-Apparate postiert, die ein
gegebenes Signal aufnehmen können, die aber nur auf andere
Wellenlängen abgestimmt sind, dann werden alle diese Apparate
auf die ausgesandten Wellen nicht reagieren. Wenn sich
aber in Mandalay oder in Kalkutta ein Empfänger befindet,
der genau auf den ersten Apparat abgestimmt ist, so wird er,
obwohl er viel weiter entfernt ist als die anderen Empfangs-
Apparate, die gegebenen Wellen aufnehmen, — der elektrische
Stromkreis ist geschlossen und die vorhandene Welle mani-
festiert sich. So, können wir sagen, verhält es sich auch mit
der Übertragung der Kräfte eines Menschen beim Tode. Es
mögen da hundert Kinder in demselben Augenblick und in
derselben Stadt geboren werden; aber wenn z. B. der Ver-
storbene ein sehr gelehrter Mann war und alle diese Kinder
werden bei Eltern geboren, bei denen keine ähnliche Erblich-
keit vorhanden ist, dann wird die Todes-Woge jenes Mannes
keins von diesen Kindern beeinflussen, sondern würde unauf-
genommen weitergehen, vielleicht bis zu einem sehr entfernten
Kinde, welches vermöge seiner günstigen Vererbung ein wenn
auch noch nicht ausgereiftes Hirn besitzt, das fähig ist, die
Todes-Woge jenes Gelehrten aufzunehmen. Und auf gleiche
Weise verhält es sich mit allen Arten von Menschen. Einige,
welche mit ihren Begierden und Instinkten nur wenig über dem
Tiere stehen, mögen bei ihrem Sterben solche Wellen hervor-
rufen, die nur ein bestimmtes Tier zum Leben erwecken können;
andere wieder mögen so gelebt haben, dass nur eine höhere
Geburt als im Menschenreich das höhere Leben verwirklichen
kann, welches sie zu führen begonnen haben.
So kann also nach dieser Theorie das Phänomen der
Vererbung so betrachtet werden, dass nur dort, wo eine ähn-
liche Vererbung existiert, die Todes-Woge das neugeborene
Hirn zur Tätigkeit durchdringt, just so, wie ein genau ge-
stimmter Apparat auf die Ätherwelle reagieren kann. Bei Zu-
Sl-4 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
grundelegung dieser Analogie muss natürlich daran erinnert
werden, dass das Leben des Kindes nicht von der Einwirkung
der Todes-Woge auf ein Gehirn kommt; die letztere dient nur
— ähnlich wie die Äther-Welle wirkt — dazu, den Stromkreis
mit dem Kohärer zu schliessen; sie ist der Anstifter des
Lebens, aber nicht dessen Ursache; sie wirkt auf die
Zellen, welche bereit sind auf Lebensimpulse zu reagieren,
wie etwa eine Ätherwelle wirkt, wenn sie einen Bogen oder
Funken bildend von einem Leiter auf den anderen überspringt,
dagegen bei Vorhandensein einer Potential-Differenz unfähig ist,
die zwischen ihnen befindliche Kluft zu überbrücken. Die tat-
sächliche Struktur des Hirns, das Blut, der Körper und die
Latenz des Lebens sind natürlich alle das direkte Erbteil
der Eltern und leiblichen Vorfahren; aber nach unserer
Anschauung ist noch etwas anderes erforderlich, nämlich die
feine Energie, welche notwendig ist, um diesen Mechanismus
wirklich zu einem individuellen Wesen zu machen; und dieser
notwendige andere Faktor kann, wie wir meinen, nur das sein,
was ich in meinem Gleichnis die »Todes-Woge« genannt habe,
— das Kamma eines Wesens, welches in jenem Augenblick
sein Leben ausgehaucht hat. In Fällen, wo dieser notwendige
Impuls mangelhaft ist, kann, obwohl Gehirn, Blut und Körper
vollkommen sind, und obgleich die Latenz des Lebens vorhan-
den ist, dennoch kein Eintritt in das Leben stattfinden, und
das Kind bleibt unbelebt, odier es scheint nur für wenige Se-
kunden gleichsam automatisch Lebenstätigkeit zu äussern, ohne
aber jemals zu einem individuellen Leben zu erwachen.
(Fortsetzung folgt.)
Warum ich Buddhist wurde.
Von A. E. Buultjens.
(Schluss.)
Die hier angeführten Gründe sagen Ihnen, warum ich
Buddhist geworden bin; ich war eben mit vollem Bewusstsein
von seiner Wahrheit überzeugt. Ich fragte mich ernst und
feierlich im stillen, ob ich mich öffentlich zum Buddhismus be-
kennen solle oder nicht. Damals, im Jahre 1888 wurden die
No. 10. DER BUDDHIST. äJ5
Buddhisten mehr als jetzt von der mit der Tünche der Zivili-
sation versehenen christlichen Bevölkerung verachtet; denn die
Anhänger des Buddhismus rekrutierten sich namentlich aus den
Kreisen der „unwissenden, dummen Eingeborenen". Ich wusste,
dass meinem Übertritt zum Buddhismus meine gesellschaftliche
Ächtung folgen würde.
An einem Vollmondtage des Jahres 1888 begab ich mich
mit dem oben genannten buddhistischen Freunde und anderen
zu dem Tempel und erklärte mich durch feierliches Bekennen
des Tisarana') und Paficasila'^) öffentlich als einen An-
hänger des Buddhismus.
Solange ich Freidenker war, hatte mich die christliche Ge-
sellschaft unter der Annahme, ich sei ein exzentrischer Mensch,
noch allenfalls geduldet; als ich mich aber offen zum Bud-
dhismus bekannte, war ich in der Gesellschaft mehr verachtet,
als ein Wahnsinniger. Und dies war keineswegs befremdlich;
denn wie ich bereits sagte, galt damals das Christentum als
Religion der „Ansehnlichen", der Buddhismus dagegen ge-
hörte den „dummen Eingeborenen". Christliche Eltern und
eine christliche Anstalt hatten mich dazu erzogen, die Kirche
Christi zu verteidigen und deren Argumente gegen anders
denkende „Ketzer" und „Schismatiker" mir anzueignen. So
war für diese Leute natürlich mein Übertritt zum Buddhismus
ein „nichtswürdiger Abfall". Es wird gesagt, Gott schuf Men-
schen und gab ihnen Gehirne zum Denken, und wenn nun ein
Mensch denkt, vernünftig nachsinnt und Buddhist wird, dann
verdammt ihn Gott dafür, dass er mit dem Hirn, welches er
ihm gegeben, nachgedacht hat. Als ich nun vollends gegen
Ende des Jahres das mir übertragene erste Inspektions-Amt
der »Colombo-Buddhist-Schule« übernahm, da wurden die
Schalen des Zornes von Christen und besonders von Beamten
der englischen Kirche über mein Haupt ausgegossen. Ich hatte
mich der Kirche gegenüber ablehnend verhalten, und so war
') Tlsarana, die Formel der »dreifachen Zuflucht«: Ich nehme
meine Zuflucht zu dem Buddha, ich nehme meine Zuflucht zu dem
Dhamma, ich nehme meine Zuflucht zu dem Sangha.
') Paficasila, die fünf allgemeinen Lebensregeln der Buddhisten:
nicht töten, nicht stehlen, nicht ehebrechen, nicht lügen, sich von dem
Genuss berauschender Getränke fernhalten.
st« DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
jede christliche Tür für mich verschlossen, und jede Verleum-
dung war gut genug, um mich gesellschaftlich zu brandmarken;
ich war eben in den Augen dieser Menschen ein Skorpion,
eine Schlange.
Den ersten maliziösen giftigen Pfeil schoss auf mich Rev.
E. F. Miller ab, der Vorsteher des St. Thomas-College, mein
alter angesehener Gönner. Die jetzt folgenden beiden Briefe
von ihm zeigen seine Stellung mir gegenüber vor und nach
meinem offiziellen Übertritt zum Buddhismus.
I. Brief.
St. Thomas-College, 6. Februar 1888.
Mein lieber Buultjens! Ich bin in Sorge, weil ich Sie
diesen Morgen vermisst habe. Wir werden uns freuen, Sie
morgen Nachmittag ^/„S Uhr bei uns zu sehen, wenn Sie Lust
haben, an der Versammlung junger Männer Teil zu nehmen.
Ihr ergebener
E. F. Miller.
Der zweite Brief war die Antwort Millers auf meine höf-
liche Anfrage, warum er meinen Namen, der auf den Tafeln
der College-Bücherei als Auszeichnung sich befand, habe ent-
fernen lassen.
II. Brief.
St. Thomas-College, 19. Februar 1890.
Mein lieber Buultjens! Ach, es ist doch garnicht schwer,
Ihre Frage zu beantworten. Ihr Name ist aus der Bücherei
entfernt worden, weil Sie von dem Glauben Christi abtrünnig
geworden sind. Das College ist gegründet worden, um diesen
Glauben aufrecht zu erhalten und zu verbreiten, und Sie, ob-
wohl auf diesen Glauben getauft, sind nun zu seinen Feinden
desertiert. Wollen Sie mir wirklich zutrauen, den Namen
eines Verräters unter jenen Namen zu belassen, die das College
zu ehren wünscht?!
Ihr betrübter
E. F. Miller.
Diese für Missionars-Christen charakteristische Handlungs-
weise, meinen Namen aus der Bücherei zu entfernen, hatte die
Zustimmung des Bischofs von Colombo, an den ich appelliert
No. 10. DER BUDDHIST. 317
hatte, gefunden. Sie beabsichtigten mich zu entehren; aber sie
haben nur erreicht, eine öffentliche Äusserung von christlicher
Gehässigkeit und Intoleranz zu geben, auf welche sie möglicher-
weise noch heute stolz sind.
Zum Schluss will ich noch ein persönliches Erlebnis er-
zählen, um eine Illustration dafür zu liefern, wie manche
Geistliche der christlichen Kirche über die Buddhisten denken.
Ich traf eines Tages in der Pettah-Bibliothek den Rev. Abraham
Dias, welcher mich in meiner Kindheit getauft hatte, und
wünschte ihm einen „guten Tag!". Er erkannte mich wieder,
und nun entspann sich folgendes kurzes Zwiegespräch:
„Wie geht es Ihnen?"
,Danke, mein Herr, sehr gut!'
„Wie ich höre, sind Sie an der Buddhistischen Schule?"
Ja.'
„Sind Sie ein Buddhist?"
,Ja, mein Herr.'
„Dann werden Sie unverzüglich in die Hölle verdammt
werden."
,Mein verehrter Herr, sind Sie denn der himmhschen
Seligkeit so absolut sicher?!'
Und lautlos ging der hochwürdige Herr von dannen.
Gedanken über dies und das.
Von Karl B. Seidenstücker.
Vor einiger Zeit sah ich in Leipzig ein grosses Plakat
einer christlichen Sekte mit der Aufschrift: »Mittwoch
Abend öffentlicher Vortrag über die bevorstehende
Wiederkunft Christi und das Ende der Welt«. Auf
selbigem Plakat waren greuliche Bilder zu sehen: Einstür-
zende Berge, Felsen und Häuser, Schwefelregen, Unwetter
und Menschen, die in wahnsinniger Angst sich die Haare
rauften. „Aha", sagte ich zu meinem Begleiter, „hier ist also
die Furcht das Zugmittel." Und ich dachte an die Lehre des
Erhabenen, in der die Furcht eins der grössten Hemnisse
318 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
für die innere Entwicklung des Menschen genannt wird.
Dann fiel mir ein Wort Schopenhauers ein, der von Kant
sagt: „Kants Lehre gibt die Einsicht, dass der Welt Ende
und Anfang nicht ausser, sondern in uns zu suchen sei."
Und der Buddha spricht: „Wahrlich, ich sage euch, dass in
diesem mit Wahrnehmung und Vorstellung behafteten klafter-
grossen Körper die Welt enthalten ist, die Weltentstehung,
das Ende der Welt und der zum Weltende führende Pfad."
Aber das sind leere Worte für jene, welche die von ihnen
geschaffenen Götter über alles fürchten. —
Hast du, mein Leser, schon einmal über die Rolle nach-
gedacht, welche die Suggestion in der Religion gespielt
hat und noch heute spielt? Nein? Nun, dann mag dir das
Folgende eine Anregung zum Nachdenken sein. Was der
Mensch sich nachdrücklichst einredet, oder was ihm eingeredet
wird, das glaubt er schliesslich, das wird ihm zur Gewiss-
heit. „Zureden hilft", heisst es, und das ist in der Tat so.
Und zwar hilft „zureden" dann am meisten, wenn der In-
tellekt schwach oder noch wenig entwickelt ist, daher sind
Kindlein und Einfältige am leichtesten zu suggerieren.
Die christlichen Priester wissen sehr wohl, warum gerade
Kinder und zwar recht zeitig in den Lehren des dogmati-
schen Christentums zu unterweisen sind; und die christlichen
Missionare streben mit grosser List und Klugheit dahin, ge-
rade die Kinder der Eingeborenen mit den Dogmen ihrer
Religion zu imprägnieren; „denn", sagt Schopenhauer, „das
Gewerbe der Priester musste diesen dadurch gesichert wer-
den, dass sie das Recht erhielten, ihre metaphysischen Dogmen
den Menschen sehr frühe beizubringen, ehe noch die Urteils-
kraft aus ihrem Morgenschlummer erwacht ist, also in der
ersten Kindheit: denn da haftet jedes wohl eingeprägte
Dogma, sei es auch noch so unsinnig, auf immer. Hätten
sie zu warten, bis die Urteilskraft reif ist, so würden ihre
Privilegien nicht bestehen können." Es gibt aber auch viele
Menschen, bei denen selbst nach dem Ausziehen der Kinder-
schuhe die Urteilskraft nimmer erwacht. —
No. 10. DER BUDDHIST. 319
Man hört so viel von den Erfolgen der Heilsarmee.
Suggestion, meine Herren, nichts weiter! Die Versamm-
lungen werden durch ein begeistert gesungenes Lied einge-
leitet; darauf betritt ein „Offizier" das Podium und eindring-
lich versichert er: „Christus ist unter uns, Christus hört uns,
Christus kann dich erretten, er ist hierl" Und vorn auf der
Bank sitzt ein armer Schlucker, moralisch niedergedrückt
von den Excessen der letzten Nacht. „0, lass dich retten"
— tönt es wieder und wieder an sein Ohr — und immer
fester dringt die Vorstellung in ihm ein: Ich will mich retten
lassen. Und diese Suggestion wird so mächtig, dass er dem
Laster entsagt. Wahrlich — dein Glaube hat dir geholfen.
Heilungen im Wallfahrtsort Lourdes werden häufig be-
richtet, und ich glaube nicht, dass hier immer Schwindel
vorliegt. Nur fragt es sich: Wer hat geholfen, die Mutter
Gottes oder der Glaube? —
Da hatte ich einmal mit einer überzeugten und gebilde-
ten Christin ein interessantes Zwiegespräch. Die Dame
meinte es herzlich gut und wollte mir, nachdem alle ihre
Versuche, mir das Dasein Gottes zu beweisen, gescheitert
waren, ihren „inneren Gottesbeweis" auftischen. „0,"
sagte sie, „wer jemals die Kraft des Gebetes gefühlt, wer
jemals die Erhörung des Gebetes gesehen hat, der hat Gott,
den lebendigen Gott erlebt und braucht keinen anderen Be-
weis." Ich machte den Einwand der Autosuggestion. Um-
sonst! Entrüstet beharrte sie auf ihrem Standpunkt. Ich
schlug nun einen anderen Weg ein und sagte: „Sie sind
fromme Protestantin ; glauben Sie an die Existenz der
katholischen Heiligen?"
,Natürlich nein!'
„Nun behaupten aber die Katholiken gerade eben so fest,
wie Sie es von Ihren Gebeten zu Gott und Christus behaup-
ten, dass ihre Gebete zu den Heiligen erhört werden. Das-
selbe behaupten ferner die „Heiden" von den Gebeten zu
ihren Göttern. Was nun? Entweder also existieren und
helfen die Heiligen und Götter wirklich, oder aber, sie exi-
stieren nicht; dann kann also nur der Glaube geholfen
haben und es handelt sich nur um Autosuggestion, also um
320 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
eine selbstbewirkte Beeinflussung des Gemütes (resp. des
Körpers durch die Psyche)."
Glaubst du etwa, lieber Leser, die Dame gab sich be-
siegt?! Weit gefehlt! Pathetisch erwiderte sie: ,Sollte es
dem allmächtigen Gott nicht möglich sein, auch solche Ge-
bete zu erhören, die aus Unwissenheit nicht an ihn gerichtet
werden ? !'
Gesagt habe ich nichts dazu. Aber in meinem Innern
stieg der Gedanke auf: „0 wie glückselig seid ihr doch, ihr
Einfältigen!" —
Der verehrte Leser hat sicher schon vom Gesundbeten
gehört. Schwindel? Oft sicherlich, manchmal aber auch
nicht, und in diesen Fällen ist wiederum die Suggestion die
wirkende Kraft. Und je stärker der Wille des Beeinflussenden
ist, um so grösser der Erfolg, um so grösser auch — wenn
es sich um religiöse Dinge handelt — der Fanatismus. Daher
die schnelle Ausbreitung des Islam, daher die grossen Erfolge
der jesuitischen Missions-Predigten; denn die Jünger Loyolas
sind nicht nur ausgezeichnete Kanzelredner, sondern auch
ausserordentlich starke Willens-Naturen.
Dem Buddhismus ist dieses „Einreden" und Überzeugen-
wollen völlig fremd. Die Lehre wird dargelegt ohne auf-
dringliches Geschwätz; wie der Hörer sich dazu stellt, ist
seine Sache. Daher werden in buddhistischen Ländern die
Kinder nicht in irgendwelchen Dogmen, sondern in der
Sittenlehre unterwiesen. Und in diesen buddhistischen
Sittenlehren zielt gerade alles darauf ab, Vernunft und Ver-
stand nicht in Fesseln zu schlagen, sondern frei zu entfalten.
Wer in den buddhistischen Territorien sich durch das Christen-
tum suggerieren lässt, der tut wohl daran, Christ zu werden;
denn er ist reif dafür. — (Fortsetzung folgt.)
Ein Jünger des Buddha darf nicht erzittern, wenn er
geschmäht wird, noch aufgebläht werden, wenn man ihn preist.
Tuvataka-Sutta.
Verantwortlicher Redakteur: Karl B. Seidenstocker, Leipzig. Verlag: Buddhistischer Verlag
in Leipziig. ~ Druck von Arno Bachmann, Baaladorf-Leipzig.
Der Buddha vor einem deutschen Fürstenschloss.
(Buddha-Sfaluc des Qrosshcrzogs uon Resscn
im lüolfgarfcncr SchlossparU.)
Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhammapada, V. 183.
Das Missions-Problem.
Von Dr. Paul Carus.
Mission ist etwas sehr Empfehlenswertes; sie ist an sich
eine gute Sache und sollte mit Energie und Begeisterung
betrieben werden. Eine Religion, welche nicht missioniert,
ist starr und tot. Kein schlimmerer Vorwurf kann modernen
Freidenkern, welche sich häufig mit ihrer hoch-entwickelten
Weltanschauung brüsten, gemacht werden, als ihr äusserster
Mangel an Missions-Geist. Das Freidenkertum kann nur
dann erwarten, dass man ihm Beachtung schenkt, wenn es
zu missionieren beginnt. Solange Freidenker keine Opfer
für eine weite Verbreitung ihrer Anschauungen bringen, ist
ihre Sache lediglich von negativer Art. Ein positiver Glaube
erzeugt stets den Entschluss, ihn zu verbreiten. Die Mission,
weit entfernt davon unberechtigt und unvernünftig zu sein,
ist ein sicheres Symptom für das Leben, welches in einer
Religion herrscht. Aber während die Mission an sich gut-
zuheissen ist, sollten wir doch nicht verfehlen zu gleicher
Zeit den rechten Geist in der Mission zu fördern.
Ein Missionar, der das Bedürfnis spürt, seinen Glauben
zu propagieren, darf keinesfalls die Menschen beschimpfen,
welche er für seine Religion gewinnen möchte. Er darf ihre
religiösen Anschauungen nicht verdrehen oder falsch dar-
stellen, noch das, was ihnen heilig ist, unnötigerweise ent-
weihen. Es gibt Christen, bei denen die Ansicht gilt, dass
die guten Eigenschaften der „heidnischen" Religionen für
21
322 DER BUDDHIST. I. Jahig
das Christentum ein Hindernis sind. Wann und wo immer
eine solche Ansicht begegnet, itann sie als ein sicheres
Zeichen dafür gelten, dass der rechte Missionsgeist nicht
vorhanden ist. Ein Missionar sollte stets nach den guten
Seiten einer Religion blicken und vor allen Dingen sorgfältig
jeden Berührungspunkt aufsuchen. Das Christentum kann
nur dann hoffen Eroberungen zu machen, wenn es sich das
Gute im „Heidentum" zu Nutze macht und es versteht die
die Sympathie der „Heiden" zu gewinnen.
Als St. Paulus nach Athen kam, fiel es ihm nicht ein,
die griechischen Götter zu schmähen. Im Gegenteil, er sah
sich nach einem Berühnungspunkte um und fand diesen
schliesslich in einer Inschrift an einem Altar, der „einem un-
bekannten Gotte" geweiht war. Indem er die gewissenhafte
und bewusste Religiosität der Athener pries, ging er dazu
über, ihnen den unbekannten Gott zu predigen, „dem sie
unwissend Gottesdienst leisteten."
Es ist noch ein Brief des Papstes Gregors des Grossen
aus dem Jahre 601 vorhanden, welcher an den missionieren-
den Mönch Augustinus gerichtet war, und in dem die Politik
einer geistvollen Methode in Sachen der Mission ihren Aus-
druck fand. Der Papst war offenbar ein praktischer Psycholog,
welcher wusste, wie Menschen zu behandeln und wie Neue-
rungen annehmbar seien. Was immer die Kritik an diesem
Rat des Papstes aussetzen mag, dass er nämlich eine Art
Kompromiss mit dem Heidentum schliesse, — so zeugt er
doch sicherlich von einem grossen Scharfsinn und einem
gesunden Urteil. Der Erfolg seiner Mission in England war
ein guter Beweis für die Gewandtheit seiner Methode.
Kirchen wurden regelrecht über den Altären und Heiligtümern
der alten Götter errichtet, und die heidnischen Feste wurden
unter christlichen Namen weitergefeiert. Papst Gregor schreibt:
„Weil sie (die Angel-Sachsen) gewöhnt sind an den Festen der
Dämonen (d. i. der heidnischen Götter) viele Ochsen und Pferde zu
schlachten, so ist es bestimmt notwendig diese Feste bestehen zu lassen
imd ihnen eine andere raison d'etre zu geben. An den Kirchweih- und
an den Gedächtnis-Tagen der heiligen Märtyrer, deren Reliquien in jenen
an den Stellen heidnischer Tempel erbauten Kirchen aufbewahrt werden,
sollen ähnliche Feste gefeiert werden; der Festplatz soll mit grünen
No. 11. DER BUDDHIST. 323
Zweigen geschmückt und ein Gottesdienst abgehalten werden. Nur das
Schlachten von Tieren soll fürderhin nicht mehr zu Ehren des Satans,
sondern zum Preise Gottes vor sich gehen, und die Tiere sollen ge-
schlachtet werden, damit man sie esse und Dank soll dafür abgestattet
werden dem Geber aller guten Gaben." ')
Gregor gibt hier also die Anweisung, die heidnischen
Heiligtümer nicht zu zerstören, sondern sie in Kirchen um-
zuwandeln. Er besteht darauf, sich den heidnischen Riten
so weit als möglich anzupassen und die Namen der Heiigen
an die Stelle der Namen von Heroen und Göttern zu setzen.
In demselben Geiste schreibt Bischof Daniel an Winfrid
(Bonifatius)-), er solle tolerant und geduldig sein und alles
Schelten vermeiden, damit die Heiden nicht verbittert würden.
„Ein Missionar darf nicht sogleich die Genealogieen der Götter
abweisen,sondern er soll sie vielmehr benutzen,um ihren mensch-
lichen Charakter darzutun. Er sollte Fragen stellen, welche
die Heiden zum Nachdenken anregen über den Ursprung
der Welt und der Götter, woher die Götter kamen und
welches der Ursprung des ersten Gottes war, ob sie fort-
führen neue Götter zu erzeugen; wenn nicht, wann sie mit
der Erzeugung aufgehört hätten; wenn ja, ob dann ihre
Zahl allmählich nicht unendlich werden würde."
Leo der Grosse machte die römisch -heidnische Kunst
christlichen Zwecken dienstbar. Er verwandelte die Statue
Jupiters in die des Petrus, und die Göttin Anna Perenna
wurde die heilige Anna Petronela, welche noch jetzt in der
Campagna verehrt wird. Und die christlichen Missionare
befolgten diese päpstliche Methode weiter. Die teutonische
Muspili-Eschatologie, d. h. die Vorstellung von der Zerstörung
der Welt durch Feuer, wurde von deutschen Konvertiten durch
ein Gedicht christianisiert, in dem Elias nebst anderen Heiligen
und Erzengeln die Stelle der teutonischen Götter einnehmen,
deren ursprüngliche Züge noch unverkennbar hervortreten.
Diese Methode des Missionierens hatte ihre ernsten
Schattenseiten und führte eine Zeit lang zu einer argen Ver-
mischung von christlichen und heidnischen Glaubensformen.
') Vergl. Beda Venerabilis, »Hist. Eccies. Britorum« 1, Kap. 30.
-) Epist. XIV, 99.
21*
324 DliH IJUUDHIST. I. Jahrg.
So legte der Dänen-König Suen Tuesking bei einer Expe-
dition gegen England ein dreifaches Gelübde ab, eins dem
Gotte Bragafull, eins Christo und eins dem heiligen Michael.
Und wir lesen von Ketil, einem irischen Feldherrn, dass der-
selbe bei gewöhnlichen Anlässen Christus anrief, während er
bei dringlichen Fällen sich an den Gott Thorr^) wandte. Es
ist richtig, dass viele heidnische Gebräuche und Einrich-
tungen erhalten sind, aber ihre schlechten Seiten wurden mit
der Zeit überwunden, und das Gute blieb bestehen. Ein
heidnisches Fest, die Yul-Zeit, ist jetzt das beliebteste
christliche Fest; es hat den Namen Weihnachten erhalten,
und das Christentum hat dadurch nichts verloren.
Ich will nicht etwa gesagt haben, dass christliche Missio-
nare sich mit heidnischen Irrtümern einverstanden erklären
oder heidnische Einrichtungen ohne weiteres gut heissen
sollen, — gewiss nicht; ich will nur sagen, die Missionare
mögen sich hüten den Grundsatz des heiligen Augustinus
zu dem ihrigen zu machen, welcher alle Tugenden der
Heiden nur als glänzende Laster betrachtete; sie
mögen vielmehr alles Gute in nicht-christlichen Religionen
freudig anerkennen und begrüssen. Ich plaidiere einfach für
strenge Gerechtigkeit und möchte von jedem Missionar nur
ein sympathisches Verständnis für diejenige Religion fordern,
welcher das Volk, bei dem er wirkt, ergeben ist.
Gibt es nicht viele Einrichtungen, moralische Überzeu-
gungen, Gewohnheiten und Anschauungen in nicht-christlichen
Ländern, welche von unseren Missionaren ganz unnötiger-
weise bekämpft werden? Sollten christliche Missionare, um
erfolgreich zu wirken, in erster Linie nicht ein richtiges Ver-
ständnis für die religiösen Überzeugungen haben, die sie zu
überwinden trachten?! Sollten sie nicht erst lernen das hohe
Streben „heidnischer" Heiliger und Propheten wie Buddha
und Konfuzius zu prüfen und anzuerkennen?! Es würde
für das Christentum selbst besser sein, wenn die „heidni-
schen" Völker daran gingen, ihre Alissionare in christliche
Länder zu senden; denn es gibt nichts, was geistig heilsamer
') Roskoff, »Gedichte des Teufels« Bd. I, S. 10—13.
No. 11. DER BUDDHIST. 325
wäre, als ein ernster Wettbewerb unter denjenigen, weiche
das Vertrauen, die Walnrheit gefunden zu liaben, beanspruchen.
Zu unserem Bedauern müssen wir sagen, dass der Geist,
in welchem sich die christlichen Missionare an die „Ungläu-
bigen" wenden, im allgemeinen ein durchaus beleidigender
ist. Der Missionar kommt zu Nicht-Christen wie ein Feind,
dessen Streben darauf gerichtet ist alles das zu zerstören,
was sie als das Höchste und Beste verehren, und die natür-
liche Folge hiervon ist die, dass die Missionare ihre Konver-
titen nur unter den minderwertigsten Volksschichten und
Lumpen machen, die sich lediglich um materieller Vorteile
willen bekehren lassen und die Religion, der sie nunmehr
zuerteilt sind, nur in Misskredit bringen können. (Die sog.
Reis- und Branntwein-Christen auf Ceylon! A. d. Her.)
Der wahre Geist eines Missionars sollte der sein, dass
der letztere sich zu den Nicht-Christen begibt, unter ihnen
verweilt unter Anpassung an ihre Art zu leben und ihnen
ein praktisches Beispiel für seine Lebensanschauungen bietet.
Er sollte in fremde Länder gehen und sich bemühen den
Sinn der religiösen Vorstellungen des betreffenden Volkes
zu verstehen. Er sollte zu den Eingeborenen sagen: Die
Bewohner unseres Landes haben an eurer Wohlfahrt Interesse
und an eurer Art die Wahrheit zu erforschen. Lasst mich
bitte wissen, was ihr glaubt, und wenn ihr mir euren Glauben
gezeichnet habt, dann will ich, falls ihr Neigung habt mich
anzuhören, euch erzählen, was wir glauben. Wir glauben,
dass wir recht haben, und ihr glaubt dasselbe von euch.
Lasst uns unsere Anschauungen miteinander vergleichen, und
was immer ich von euch lernen kann, wünsche ich zu lernen,
und ich erwarte umgekehrt von euch, dass ihr dasjenige
beachten werdet, was ihr von mir lernen könnt, und was
immer die Wahrheit sein mag, so werden wir uns freuen,
sie annehmen zu dürfen." — Wenn die Missionare in diesem
Geiste nach den „heidnischen" Ländern kämen, würde
das Christentum in China nicht mehr mit Beefsteak-Essen
oder in Indien mit Branntwein-Trinken identifiziert werden.
Dann würde es auch keine „Verfolgungen" mehr geben.
Die Missionare könnten ohne die geringste Gefahr sich in
'32k DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
die entlegensten Teile von China begeben; sie würden dann
nicht mehr gehasst, sondern willkommen geheissen werden,
und wir hoffen, die Zeit wird nicht mehr fern sein, da alle
Religionen ihre Missionare in ähnlicher Weise austauschen
werden, wie die Regierung unseres Landes Gesandte zu
anderen Nationen abordnet und umgekehrt deren Vertreter
empfängt. (Schluss folgt.)
Der Dharma des Tathägata verlangt von einem
Menschen nicht, dass er heimatlos sein oder der Weh
entsagen soll, es sei denn, dass er den Beruf dazu in
sich fühlt; der Dharma des Tathägata verlangt von
jedem Menschen, dass er sich frei mache von der
Täuschung des Selbstes, dass er sein Herz läutere,
dem Verlangen nach Lust entsage, und dass er ein
Leben der Rechtschaffenheit führe.
Evangelium Buddhas, 25. Kapitel.
Die Lehre des Buddha
oder: Die vier heiligen Wahrheiten.
Nach Aussprüchen des Päli-Kanons zusammengestellt.
Von Bhlkkhu Ny&natlloka (Ceylon).
(5. Fortsetzung.)
Sechste Stufe: Sammävayama, rechter Kampf.')
Was ist nun, ihr Brüder, rechter Kampf?
Es gibt, ihr Brüder, vier rechte Kämpfe: Den Kampf
zur Vermeidung, den Kampf zur Vertreibung, den Kampf zur
Erweckung und den Kampf zur Erhaltung.
l. Was ist nun, ihr Brüder, der Kampf zur Vermei-
dung?
') Andere Übersetzungen sind : Rechtes Streben, rechte Anstrengung,
rechte Energie.
No. 11. DER BUDDHIST. 327
Da erzeugt, ihr Brüder, der Jünger in sicli den Vorsatz,
nicht-aufgestiegene böse, unheiisame Dinge nicht aufsteigen
zu lassen, und seine Kraft aufbietend i<ämpft und ringt er,
treibt seinen Geist an.
Wenn nun, ihr Brüder, dieser Jünger mit dem Auge eine
Form erblickt, so ergeht er sich nicht im Anblick derselben,
weder des Ganzen noch seiner Teile, und er erzeugt den Vor-
satz das zu meiden, was, wenn er unbewachten Auges ver-
harrte, Anlass geben möchte zum Aufsteigen von bösen Dingen,
zu Begehren und zu Missmut. Und also über das Auge wachend
gelingt es ihm über dasselbe Meister zu werden.
Fernerhin: Hört er mit dem Ohre einen Ton, riecht er
mit der Nase einen Duft, schmeckt er mit der Zunge einen
Saft, fühlt er mit dem Körper eine Tastung, erkennt er mit
dem Geiste ein Ding (Vorstellung), so ergeht er sich nicht im
Anblick derselben, weder des Ganzen noch seiner Teile, und
er erzeugt den Vorsatz das zu meiden, was, wenn er unbe-
wachten Sinnes verharrte, Anlass geben möchte zum Aufstei-
gen von bösen Dingen, zu Begehren und zu Missmut. Und
also über die Sinne wachend gelingt es ihm über dieselben
Meister zu werden.
Ausgerüstet mit dieser Herrschaft über die Sinne, der so
ruhmvollen, empfindet er in seinem Innern ein Wohlgefühl, in
das kein übles Ding einzudringen vermag.
Das, ihr Brüder, nennt man den Kampf zur Vermeidung.
II. Was ist nun, ihr Brüder, der Kampf zur Vertrei-
bung?
Da erzeugt, ihr Brüder, der Jünger in sich den Vorsatz,
aufgestiegene böse, unheilsame Dinge zu vertreiben, und
seine Kraft aufbietend kämpft und ringt er, treibt seinen
Geist an.
Einen aufgestiegenen begehrlichen Gedanken lässt er nicht
Fuss fassen, übermannt ihn, vertreibt ihn, vernichtet ihn, bringt
ihn zum Verschwinden. Also verfährt er mit einem aufge-
stiegenen Gedanken des Hasses. Und was es auch an üblen
Dingen gibt, nicht lässt er sie Fuss fassen, er übermannt sie,
vertreibt sie, vernichtet sie, bringt sie zum Verschwinden.
Das, ihr Brüder, nennt man den Kampf zur Vertreibung.
^ DER BUDDHlSt. l. Jahrg.
HI. Was ist nun, ihr Brüder, der Kampf zur Erweckung?
Da erzeugt, ilir Brüder, der Jünger in sich den Vorsatz,
nicht-aufgestiegene heilsame Dinge zu erweci<en, und seine
Kraft aufbietend i<ämpft und ringt er, treibt seinen Geist an.
[Die sieben Glieder der Erleuchtung, bojjhangä:]
Und er erweckt das an die Einsamkeit gebundene, auf Gier-
entfremdung gegründete und zum Erlöschen führende Erleuch-
tungsmal (bojjhangä) der Einsicht, jener Einsicht nämlich,
die zur Gewinnung durchdringender Weisheit und zur Be-
tretung des Pfades^) befähigt; erweckt das Erleuchtungsmal
der Kraft, erweckt das Erleuchtungsmai der Wahrheiter-
gründung; erweckt das Erleuchtungsmal der Freude; erweckt
das Erleuchtungsmal der Ruhe; erweckt das Erleuchtungsmal
der Vertiefung (samädhi); erweckt das Erleuchtungsmal des
Gleichmuts, jenes Gleichmutes nämlich, der zur Gewinnung
durchdringender Weisheit und zur Betretung des Pfades ') befähigt.
Das, ihr Brüder, nennt man den Kampf zur Erweckung.
IV. Was ist nun, ihr Brüder, der Kampf zur Erhaltung?
Da erzeugt, ihr Brüder, der Jünger in sich den Vorsatz,
aufgestiegene heilsame Dinge zu erhalten, sie nicht schwinden
zu lassen und sie zur Entfaltung zu bringen; und seine Kraft
aufbietend kämpft und ringt er, treibt seinen Geist an.
Das, ihr Brüder, nennt man den Kampf zur Erhaltung.
(DTgha Nikäya. Vgl. auch Majjhima Nikäya 77.)
[Erfordernisse zum moralischen Kampf. 1. Ver-
trauen, saddhä:] Ein solcher Jünger, wahrlich, iiir Brüder,
hat Zutrauen, er traut der Erleuchtung des Tathägata, so zwar:
,Das ist der Erhabene, der Heilige, vollkommen Erwachte, der
Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt
Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der
Meister der Götter und Menschen, der Erwachte (buddha), der
Erhabene (bhagavat).'
[2. Energie, vtriya:] Rüstig ist er und munter, seine
Kräfte sind gleichmässig gemischt, weder zu kalt, noch zu heiss,
um den mittleren Kampf zu bestehen. (Majjhima Nikäya, 90.)
') Der vierfache Pfad zur Arahäschaft oder zum Nibbäna, nämlich:
sotdpattimagga, sakadägämimagga, anägämimagga, arahattamagga.
No. 11. DER BUDDHIST. 329
Und es erfüllt ihn der Gedanke: .Mögen wahrlich eher
Muskeln, Haut und Sehnen mitsamt den Knochen, dem Fleisch
und dem Blute ausdörren und zusammenschrumpfen, als dass
ich meine Kampfesenergie aufgäbe, solange ich noch nicht das
erreicht habe, was immer mit menschlicher Ausdauer, Energie
und Anstrengung erreichbar ist.' (Majjhima Nikäya.)
Dies, ihr Brüder, ist rechter Kampf.
Siebente Stufe: Sammäsati, rechte Einsicht/)
Was ist nun, ihr Brüder, rechte Einsicht?
[Die vier Pfeiler der Einsicht:] Da wacht, ihr Brüder,
ein Mönch beim Körper über den Körper, wacht bei den Ge-
fühlen über die Gefühle, wacht beim Gemüte (citta) über das
Gemüt, wacht bei den Erscheinungen (dhammä) über die Er-
scheinungen, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Ver-
windung weltlichen Begehrens und Bekümmerns.
Der gerade Weg, ihr Brüder, der zur Läuterung der Wesen,
zur Überwältigung des Schmerzes und Jammers, zur Zerstörung
des Leidens und Kummers, zur Gewinnung des Rechten, zur
Verwirklichung der Wahnerlöschung führt, — das sind die
vier Pfeiler der Einsicht.')
/. Einsicht in den Körper.
Wie aber, ihr Brüder, wacht ein Mönch beim Körper über
den Körper?
Da begibt sich, ihr Brüder, der Mönch ins Innere des
Waldes oder unter einen grossen Baum oder in eine leere
Klause, setzt sich mit gekreuzten Beinen nieder, den Körper
gerade aufgerichtet und pflegt der Einsicht (Betrachtung).
[Ein- und Ausatmen:] Bedächtig atmet er ein, bedäch-
tig atmet er aus. Atmet er tief ein, so weiss er: ,Ich atme tief
ein', atmet er tief aus, so weiss er: ,Ich atme tief aus'; atmet
er kurz ein, so weiss er: ,lch atme kurz ein', atmet er kurz
aus, so weiss er: ,lch atme kurz aus.' ,Den ganzen Körper
') Andere Übersetzungen sind: Rechtes Gedenken, rechte Erinnerung,
rechte Betrachtung, rechte (Gedanken-)Konzentration.
-) Dieselben sind auch bekannt unter dem Namen »Satipatthänä«,
die vier wesentlichen Betrachtungen oder die vier ernsten
Meditationen.
33Ö DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
empfindend will ich einatmen', ,den ganzen Körper empfindend
will ich ausatmen', so übt er sich. ,Diese Körperverbindung
besänftigend will ich einatmen, , diese Körperverbindung be-
sänftigend will ich ausatmen', so übt er sich.
■"^i. • So wacht er beim inneren Körper über den Körper, so
wacht er beim äusseren Körper über den Körper, innen und
aussen wacht er beim Körper über den Körper. Er betrachtet
wie der Körper entsteht, er betrachtet wie der Körper vergeht,
er betrachtet wie der Körper entsteht und vergeht. ,Der Körper
ist da:' diese Einsicht wird nun seine Stütze, eben weil sie
zur Erkenntnis, zur Besinnung dient, — und unabhängig lebt
er und nichts in der Welt begehrt er. Also, ihr Brüder, wacht
ein Mönch beim Körper über den Körper.
[Körperpositionen:] Und ferner noch, ihr Brüder: Der
Mönch weiss wenn er geht ,Ich gehe', weiss wenn er steht
,Ich stehe', weiss wenn er sitzt ,lch sitze', weiss wenn er liegt
,Ich liege', er weiss, wenn er sich in dieser oder jener Stellung
befindet, dass es diese oder jene Stellung ist.
So wacht er beim inneren Körper über den Körper, so
wacht er beim äusseren Körper über den Körper, innen und
aussen wacht er beim Körper über den Körper. Er betrachtet
wie der Körper entsteht, er betrachtet wie der Körper vergeht,
er betrachtet wie der Körper entsteht und vergeht. ,Der Körper
ist da:' diese Einsicht wird nun seine Stütze, eben weil sie
zur Erkenntnis, zur Besinnung dient, — und unabhängig lebt
er und nichts in der Welt begehrt er. Also, ihr Brüder, wacht
ein Mönch beim Körper über den Körper.
[Körperfunktionen:] Und ferner noch, ihr Brüder: Der
Mönch ist klar bewusst beim Kommen und Gehen, klar be-
wusst beim Hinblicken und Wegblicken, klar bewusst beim
Neigen und Erheben, klar bewusst beim Essen und Trinken,
klar bewusst beim Kauen und Schmecken, klar bewusst beim
Verrichten der Notdurft, klar bewusst beim Gehen, Stehen,
Sitzen und Liegen, klar bewusst beim Einschlafen und Er-
wachen, klar bewusst beim Sprechen und Schweigen.
So wacht er beim inneren Körper über den Körper, so
wacht er beim äusseren Körper über den Körper, innen und
aussen wacht er beim Körper über den Körper. Er betrachtet
No. 11. DER BUDDHIST. 331
wie der Körper entsteht, er betrachtet wie der Körper vergeht,
er betrachtet wie der Körper entsteht und vergeht. ,Der Körper
ist da:' diese Einsicht wird nun seine Stütze, eben weil sie
zur Erkenntnis, zur Besinnung dient, — und unabhängig lebt
er, und nichts in der Weh begehrt er. Also, ihr Brüder, wacht
ein Mönch beim Körper über den Körper.
[Die Unreinheit des Körpers:] Und ferner noch, ihr
Brüder: Der Mönch betrachtet sich diesen Körper da von der
Sohle bis zum Scheitel, den hautüberzogenen, welchen ver-
schiedenes Unreine anfüllt: ,Dieser Körper trägt einen Schopf,
ist behaart, hat Nägel und Zähne, Haut und Fleisch, Sehnen,
Knochen und Knochenmark, Nieren, Herz und Leber, Zwerch-
fell, Milz, Lungen, Magen, Eingeweide, Weichteile und Kot,
hat Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiss, Lymphe, Tränen,
Serum, Speichel, Rotz, Gelenköl, Urin.'
Gleichwie etwa, ihr Brüder, wenn da ein Sack läge, an
beiden Enden zugebunden, mit verschiedenem Korne gefüllt,
mit Reis, mit Bohnen, mit Sesam, und ein scharf sehender
Mann bände ihn auf und untersuchte den Inhalt: ,Das ist Reis,
das sind Bohnen, das ist Sesam': — Ebenso nun auch, ihr
Brüder, betrachtet sich ein Mönch diesen Körper da von der
Sohle bis zum Scheitel, den hautüberzogenen, welchen ver-
schiedenes Unreine anfüllt.
So wacht er beim inneren Körper über den Körper, so
wacht er beim äusseren Körper über den Körper, innen und
aussen wacht er beim Körper über den Körper. Er betrachtet
wie der Körper entsteht, er betrachtet wie der Körper vergeht,
er betrachtet wie der Körper entsteht und vergeht. ,Der Körper
ist daV diese Einsicht wird nun seine Stütze, eben weil sie
zur Erkenntnis, zur Besinnung dient, — und unabhängig lebt
er, und nichts in der Welt begehrt er. Also, ihr Brüder, wacht
ein Mönch beim Körper üher den Körper.
[Die vier Elementar-Kräfte des Körpers:] Und ferner
noch, ihr Brüder: Der Mönch betrachtet sich diesen Körper da,
wie er geht und steht, als Artung an: ,Dieser Körper hat die
Erdart, die Wasserart, die Feuerart, die Luftart.' *)
') In den Worten der modernen Wissenschaft: Trägheit, Kohäsioji,
Strahlung, Beweglichkeit.
332 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
Gleichwie etwa, ilir Brüder, ein gescliicicter Metzger oder
Metzgergeselie eine Kuh schlachtet, auf den Markt bringt,
Stück für Stück zerlegt und sich dann hinsetzt: ebenso nun
auch, ihr Brüder, betrachtet sich ein Mönch diesen Körper da,
wie er geht und steht, als Artung an.
So wacht er beim inneren Körper über den Körper, so
wacht er beim äusseren Körper über den Körper, innen und
aussen wacht er beim Körper über den Körper. Er betrachtet
wie der Körper entsteht, er betrachtet wie der Körper vergeht,
er betrachtet wie der Körper entsteht und vergeht. ,Der Körper
ist da:' diese Einsicht wird nun seine Stütze, eben weil sie
zur Erkenntnis, zur Besinnung dient, und unabhängig lebt er
und nichts in der Welt begehrt er. Also, ihr Brüder, wacht
ein Mönch beim Körper über den Körper.
[Erste Leichenbetrachtung:] Und ferner noch, ihr
Brüder: als hätte der Mönch einen Leichnam auf der Leichen-
stätte liegen sehen, einen Tag nach dem Tode, oder zwei
oder drei Tage nach dem Tode, aufgedunsen, blau-schwarz
gefärbt, in Fäulnis übergegangen, — zieht er den Schluss auf
sich selbst: ,Und auch mein Körper ist so beschaffen, wird
das werden, kann dem nicht entgehen.'
[Zweite Leichenbetrachtung:] Und ferner noch, ihr
Brüder: als hätte der Mönch einen Leichnam auf der Leichen-
stätte liegen sehen, von Krähen oder Raben oder Geiern zer-
fressen, von Hunden oder Schackalen zerfleischt, oder von
vielerlei Würmern zernagt, — zieht er den Schluss auf sich
selbst: ,Und auch mein Körper ist so beschaffen, wird das
werden, kann dem nicht entgehen.'
[Dritte Leichenbetrachtung:] Und ferner noch, ihr
Brüder: als hätte der Mönch einen Leichnam auf der Leichen-
stätte liegen sehen, ein Knochengerippe, fleischbehangen, von
Blutjauche besudelt, von den Sehnen zusammengehalten, —
[Vierte Leichenbetrachtung:] ein Knochengerippe,
fleischentblösst, von Biutjauche besudelt, von den Sehnen
zusammengehalten, —
[Fünfte Leichenbetrachtung:] ein Knochengerippe ohne
Fleisch, ohne Blut, von den Sehnen zusammengehalten, —
No. 11. DER BUDDHIST. 333
[Sechste Leiclienbetrachtung:] die Gebeine, ohne die
Sehnen, hierhin und dorthin verstreut, da ein Handknochen,
dort ein Fussl<nochen, da ein Schienbein, dort ein Schenkel,
da das Becken, dort Wirbel, da der Schädel, — als hätte er
dieses gesehen, zieht er den Schluss auf sich selbst: ,Und
auch mein Körper ist so beschaffen, wird das werden, kann
dem nicht entgehen'.
[Siebente Leichenbetrachtung:] Und ferner noch, ihr
Brüder: als hätte der Mönch einen Leichnam auf der Leichen-
stätte liegen sehen, Gebeine, blank, muschelfarbig, —
[Achte Leichenbetrachtung:] Gebeine, zuhauf geschich-
tet, nach Verlauf eines Jahres, —
[Neunte Leichenbetrachtung:] Gebeine, verwest, in
Staub zerfallen, — als hätte er dieses gesehen, zieht er den
Schluss auf sich selbst: ,Und auch mein Körper ist so be-
schaffen, wird das werden, kann dem nicht entgehen'.
So wacht er beim inneren Körper über den Körper, so
wacht er beim äusseren Körper über den Körper, innen und
aussen wacht er beim Körper über den Körper. Er betrachtet
wie der Körper entsteht, er betrachtet wie der Körper vergeht,
er betrachtet wie der Körper entsteht und vergeht. ,Der Körper
ist da:' diese Einsicht wird nun seine Stütze, eben weil sie
zur Erkenntnis, zur Besinnung dient, und unabhängig lebt er
und nichts in der Welt begehrt er. Also, ihr Brüder, wacht
ein Mönch beim Körper über den Körper.
[Die durch die Einsicht in den Körper erlangten
Früchte:] Ist Einsicht, ihr Brüder, in den Körper genommen,
geübt, gepflegt, ausgeführt, ausgebildet, angewendet, durchge-
prüft, durchaus entrichtet worden, mag man da zehn förderliche
Eigenschaften an sich erfahren. Über Unmut hat man Gewalt,
nicht lässt man sich von Unmut bewältigen, aufgestiegenen
Unmut überwindet, übersteht man. Furcht und Angst bewäl-
tigt man, nicht lässt man sich von Furcht und Angst bewälti-
Ir gen, aufgestiegene Furcht und Angst überwindet, übersteht
P man. Man erträgt Kälte und Hitze, Hunger und Durst, Wind
;. und Wetter, Mücken und Wespen und plagende Kriechtiere,
' boshafte und böswillige Redeweise, körperliche Schmerzen,
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334 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
unangenehme, leidige, lebensgefährliche hält man duldend aus.
Die vier Schauungen (paii: jhänä, sanskr.: dhyänäs), die
herzinnigen, köstliche Gegenwart gewährenden, die kann man
nach Wunsch gewinnen, in ihrer Fülle und Weihe. Auf
mancherlei Weise gelingt einem magische Wirkung, bis zu den
Brahma-Welten hat man den Körper in seiner Gewalt. Mit
dem himmlischen Ohre, dem geläuterten, übersinnlichen, hört
man beide Arten der Töne, die himmlischen und die irdischen,
die fernen und die nahen. Der anderen Wesen, der anderen
Personen Gemüt schaut und erkennt man im Gemüte je gemäss.
An manche frühere Daseinsform erinnert man sich, als wie an
ein Leben, dann an zwei Leben, dann an viele Leben, mit je
den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Be-
ziehungen. Mit dem himmlischen Auge, dem geklärten, über-
sinnlichen, sieht man die Wesen dahinschwinden und wieder-
erscheinen, gemeine und edle, schöne und unschöne, glück-
liche und unglückliche, man erkennt, wie die Wesen je nach
den Taten wiederkehren. Den Wahn kann man versiegen und
die wahnlose Gemüterlösung noch bei Lebzeiten sich offenbar
machen, verwirklichen und erringen. (Majjhima Nikäya 119).
//. Einsicht in das Gefühl.
Wie aber, ihr Brüder, wacht ein Mönch beim Gefühl über
das Gefühl?
Da weiss, ihr Brüder, ein Mönch, wenn er ein Wohlgefühl
empfindet, ,Ich empfinde ein Wohlgefühl', weiss wenn er ein
Wehegefühl empfindet, ,lch empfinde ein Wehegefühl', weiss,
wenn er kein Wohl- und kein Wehegefühl empfindet, ,lch
empfinde kein Wohl- und kein Wehegcfühl'. Er weiss, wenn
er ein weltliches Wohlgefühl empfindet, ,lch empfinde ein welt-
liches Wohlgefühl' und weiss, wenn er ein nicht-weltliches
Wohlgefühl empfindet, ,Ich empfinde ein nicht-weltliches Wohl-
gefühl', weiss, wenn er ein weltliches Gefühl ohne Wohl und
Wehe empfindet, ,Ich empfinde ein weltliches Gefühl ohne
Wohl und Wehe', und weiss, wenn er ein nicht-weltliches Ge-
fühl ohne Wohl und Wehe empfindet, ,Ich empfinde ein nicht-
weltliches Gefühl ohne Wohl und Wehe'.
So wacht er beim inneren Gefühl über das Gefühl, so
wacht er beim äusseren Gefühl über das Gefühl, innen und
No. n. DER BUDDHIST. 335
aussen wacht er beim Gefühl über das Gefühl. Er betrachtet
wie das Gefühl entstellt, er betrachtet wie das Gefühl vergeht,
er betrachtet wie das Gefühl entsteht und vergeht. ,Das Gefühl
ist da': diese Einsicht wird nun seine Stütze, eben weil sie
zur Erkenntnis, zur Besinnung dient, und unabhängig lebt er
und nichts in der Welt begehrt er. Also, ihr Brüder, wacht
ein Mönch beim Gefühl über das Gefühl.
///. Einsicht in das Gemüt. ^)
Wie aber, ihr Brüder, wacht ein Mönch beim Gemüt über
das Gemüt?
Da kennt, ihr Brüder, ein Mönch das begehrliche Gemüt
als begehrlich und das gierlose Gemüt als gierlos, das ge;-
hässige Gemüt als gehässig und das hassfreie Gemüt als
hassfrei, das irrende Gemüt als irrend, und das irrlose Gemüt
als irrlos, das gesammelte (besonnene) Gemüt als gesammelt
und das zerstreute Gemüt als zerstreut, das hochstrebende
Gemüt als hochstrebend und das niedrig gesinnte Gemüt als
niedrig gesinnt, das edle Gemüt als edel und das gemeinp
Gemüt als gemein, das beruhigte Gemüt als beruhigt und das
ruhelose Gemüt als ruhelos, das erlöste Gemüt als erlöst und
das gefesselte Gemüt als gefesselt.
So wacht er beim inneren Gemüt über das Gemüt, so
wacht er beim äusseren Gemüt über das Gemüt, innen und
aussen wacht er beim Gemüt über das Gemüt. Er betrachtet
wie das Gemüt entsteht, er betrachtet wie das Gemüt vergeht,
er betrachtet wie das Gemüt entsteht und vergeht. ,Das Gemüt
ist da:' diese Einsicht wird nun seine Stütze, eben weil sie
zur Erkenntnis, zur Besinnung dient, und unabhängig lebt er
und nichts in der Welt begehrt er. Also, ihr Brüder, wacht
ein Mönch beim Gemüt über das Gemüt.
(Schluss folgt.)
Durch das eigene Selbst wird Sünde begangen, durch
das eigene Selbst wird man schlecht; durch das eigene Selbst
wird die Sünde gemieden, durch das eigene Selbst wird man
gut. Ja, Reinheit, Unreinheit schafft man sich selbst, kein
anderer kann Erlöser sein. (Dhammapada.)
') Oder: Gesinnung.
336 DER BUDDHIST. I. Jnlirg.
Die Berührungspunkte der
Philosophie Schopenhauers
und des Buddhismus.
Von Georg Jahn.
(Schluss.)
Vergleichen wir mit den hier vorgetragenen Ansichten
Schopenhauers die buddhistische Lebensanschauung, so finden
wir eine durchgehende Übereinstimmung. Auch nach der Lehre
des Buddhismus ist der Wille zum Leben (tanhä) die wirkende
Ursache unseres Daseins, die Ursache des Kreislaufs der
Wiedergeburten. Das Karma, die Fügung, das Geschick be-
stimmt unsers Lebens Gestaltung, die Art und Beschaffenheit
unseres Daseins, unsern individuellen, unveränderlichen Cha-
rakter. Der Samsära ist die in ewigem Entstehen und Ver-
gehen begriffene Welt, in der wir leben, die Welt des Irrtums
und der Schuld, der Geburt, des Leidens und des Todes, der
Enttäuschungen und der Schmerzen. Seine Ursache ist der
Wille zum Leben mit seinem ewigen Streben und Trachten
nach Dasein. Überall aber sind Hemmnisse, der Wille muss
fortgesetzt kämpfen: kämpfen aber heisst leiden! Wir Menschen
sind vom irdischen Wahn verblendet, trachten nach Dingen,
die nur einen Scheinwert haben, hängen unser Herz an ver-
gängliche Güter, weinen und freuen uns über nichtige Dinge,
können uns nicht aus dem Daseinskampfe loslösen und ver-
nachlässigen unser wahres Heil. Unser Leben ist so eine
Kette von Wünschen und Hoffnungen, Täuschungen und Ent-
täuschungen, ein Hin- und Herschwanken zwischen Begierde
und Befriedigung, Sehnsucht nach Genuss und Übcrdruss am
Genossenen. Geburt und Tod, Verfall und Krankheit, Be-
rührung mit Unangenehmem, Trennung von Angenehmem,
tausend Wünsche und unerfüllte Begierden, alles ist voll von
Leiden, bereitet uns Kummer und Qual. Der Ursprung des
Leidens nun ist in jener sehnenden Erregung zu suchen, welche
der Empfindung folgt und den Wahn vom Ich und die Be-
gierde zum Leben verursacht, — dieser ungeheure nagende Durst
und Drang zur Sinnlichkeit, zur Sehnsucht nach zukünftgem
No. 11. DER BUDDHIST. 337
Leben und zum Hängen an der gegenwärtigen Welt. Kummer
und Leiden i<önnen überwunden und ausgelöscht werden, wenn
dieser Durst gestillt, diese Begierde zum Leben zerstört, der
Wille aufgehoben wird. Dieses Ziel aber lässt sich durch den
einen Weg erreichen, den edlen Pfad eines tugendhaften und
gedankenvollen Lebens, der als Grundbedingungen der Erlö-
sung acht Forderungen aufstellt: Rechtes Glauben, rechtes Ent-
schliessen, rechtes Wort, rechte Tat, rechtes Leben, rechtes
Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken.
Die Grundforderung eines die Heiligkeit erstrebenden
Lebens ist auch beim Buddhismus die Übung des Mitleids,
das sich allen Wesen gegenüber äussern soll und sich in jener
schönen und wohltuenden Liebe zu den Tieren am deutlichsten
dokumentiert. Dann aber soll sich der Mensch freimachen
von Vorurteilen, Aberglauben und Wahn und immerdar den
höchsten und edelsten Zielen zugewendet sein. Güte, Einfach-
heit und Wahrhaftigkeit, Friedfertigkeit, Rechtschaffenheit, stetes
Wohlwollen den Mitmenschen gegenüber und Reinheit der Ge-
sinnung sind Tugenden, deren Ausübung ihn auf seinem Wege
zur Erlösung fördern. Niemals soll er einem lebenden Wesen
Nachteil und Schaden zufügen und stets auf vollkommene
Überwindung der sinnlichen Begierden und des Willens zum
Leben überhaupt bedacht sein. Wenn er so sein ganzes
Denken und Wahrnehmen von den Aussendingen zurückzieht
und auf sein Inneres richtet, dann wird er seinen Willen über-
winden können, dann wird er aufgehen im Nirväna, dem Er-
löschen jener sündigen, nach Genüsse greifenden Beschaffen-
heit des Geistes und des Herzens, welche sonst nach dem
grossen Mysterium des Karma zu erneutem individuellen Dasein
erwachen würde. Er hat damit die Heiligkeit erreicht, jenen
Zustand der Vollkommenheit und des Friedens, in dem es weder
Leidenschaft noch Begierde, weder Furcht noch Hoffnung gibt,
den Zustand des Erloschenseins, der Leidlosigkeit, das Nirväna.
Es bleibt uns nun noch übrig, die Unsterblichkeitslehren
Schopenhauers und des Buddhismus und ihre Übereinstimmung
kurz zu skizzieren. Beide gehen sie aus dem Bestreben her-
vor, eine ewige Gerechtigkeit, die in der Welt herrschen soll,
und damit die Leiden des Daseins als von den Menschen
22
338 DER BUDDHIST. I. Jahrg-
selbst verschuldet zu erweisen. Nach Schopenhauer ist es der
Wille, das unsterbliche, urewige und allein freie Ding an
sich der Welt, der das Existierende schafft. Die ewige Ge-
rechtigkeit muss also darauf beruhen, dass die Erscheinung
der Beschaffenheit des schöpferischen Willens genau entspricht.
Die Welt ist nun deshalb so voller Leiden und Übel, weil der
Wille es so will. Sic ist ja nur der Spiegel, der Ausdruck
des Willens, und alle Vergänglichkeit, alle Qualen und Leiden
in ihr gehören zum Ausdruck dessen, was er will, jedes
Wesen trägt mit vollem R«cht sein Dasein, trägt mit vollem
Recht seine Art, seine Individualität und seinen Charakter, so
wie sie sind, in einer vom Zufall beherrschten, zeitlichen, ver-
gänglichen und stets leidenden Welt, und in allen, was ihm
widerfährt, geschieht ihm stets recht. Denn sein ist der Wille,
und wie der Wille ist, so ist die Welt. Jammer und Schuld
der Welt halten sich die Wage, es herrscht eine ewige Ge-
rechtigkeit in allem, was geschieht. So Schopenhauer; anders
der Buddhismus in seiner grundlegenden Lehre von der Wieder-
geburt, die gewöhnlich mit dem recht unzutreffenden Namen der
Seelenwanderung bezeichnet zu werden pflegt. Wiedergeburt
bedeutet die Wiederverkörperung des Grundcharakters, der
Wesenheit eines Menschen in immer neuen Daseinsformen, die
sich bis zur Erlangung des Nirväna fortsetzt. Sobald ein empfin-
dendes Wesen stirbt, wird ein neues zu einem mehr oder minder
leidvollen Daseinszustande wiederhervorgebracht, je nach dem
Verschulden oder dem Verdienste des Verstorbenen. Diese
Wiedergeburt vollzieht sich nach dem Gesetz des K'arma, dem
Gesetz der unbedingten Kausalität, der Verkettung von Ursache
und Wirkung, gemäss der moralischen Weltordnung, von der
die physische nur ein Abbild ist. Das Karma also, diese
Resultante aus dem Denken und Tun des früheren empfinden-
den Wesens, bestimmt die örtlichkeit, Natur und Zukunft des
neuen. Man braucht sich deshalb nicht zu wundern, dass
Glück und Unglück in diesem Leben mit der grössten Nicht-
achtung der moralischen Eigenschaften den Menschen zuerteilt
werden, die Karmalehre findet die moralischen Ursachen für
Wirkungen, welche uns unerklärlich sind. Jeder ist das Ergeb-
nis seiner verschiedenen Lebensformen und hat seine gegen-
No. 11. DER BUDDHIST. 339
wärtigen Leiden mit seinem Tun in vergangenen Zeiten ver-
schuldet, Leiden, die er also mit vollem Recht trägt. Es gibt eine
ewige Gerechtigkeit, und Schuld und Leiden vy^iegen einander auf!
So haben wir denn zwei grosse Weltanschauungen an
unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen, zwei Weltan-
schauungen, die gänzlich unabhängig von einander entstanden
sind und doch die grösste Übereinstimmung aufzuweisen haben.
Sei es in der Weiterklärung oder sei es im Suchen nach dem
Urprinzip der Dinge, sei es in den Grundprinzipien der Moral
oder sei es in den Wegen, die einzuschlagen sind, um Glück-
seligkeit, Herzensreinheit und Heiligkeit zu erlangen, oder sei
es schliesslich im Bestreben, eine moralische Weltordnung als
bestehend nachzuweisen, niemals ein erheblicher Gegensatz,
niemals ein bedeutender Widerspruch. Schopenhauers Philo-
sophie ist aus dem redlichsten Streben nach der Wahrheit,
aus einem steten Ringen mit ihr hervorgegangen, und auch
die Religion des Buddhismus ist das Resultat scharfen Denkens
und tiefen Eindringens in das Sein und das Wesen der Welt.
Beide, Schopenhauer wie der Buddhismus glauben die Wahrheit
gefunden und den Kern des Geschehens, die moralische Welt-
ordnung erfasst zu haben. Auch wir streben darnach, die
Wahrheit zu erkennen, auch wir Menschen der Gegenwart und
des Abendlandes möchten das Leiden überwinden, möchten uns
und die Mitwelt glücklich, rein, vollendet sehen. Wie stellen wir
uns deshalb zu jenen beiden grossen Systemen? Uns scheint
es nun sehr unphilosophisch zusein, mit aller Energie eine fertige
Erklärung der Welt und des Lebens zu ergreifen und in allen
Einzelheiten voll und ganz anzuerkennen. Treten wir also mit
prüfender Vorsicht an alles, was uns dargeboten wird, heran!
Das Wichtige an Schopenhauer und dem Buddhismus ist
die Lebensauffassung, nicht die Welterklärung. Die letztere wollen
wir der Wissenschaft überlassen, selbst vielleicht ein Steinchen
herbeitragen zum gigantischen Bau des Ganzen und im übrigen
uns mit dem Bilde begnügen, das sie uns in der Gegenwart
zu bieten vermag. Anders steht es mit der Lebensauffassung;
die können wir nicht auf sich beruhen lassen, sondern müssen
eine bestimmte ergreifen oder uns bilden, um mit ihrer Hilfe
unser Leben zu gestalten. Es ist wahr, wir können von
22»
340 DEF^ BUDDHIST. I. Jahtg.
Schopenhauer wie dem Buddhismus in dieser Hinsicht sehr viel
lernen, wir können lernen, das Leben ernster zu betrachten
und uns nicht über das Elend und Leiden des Daseins hinweg-
zutäuschen, wir können von ihnen lernen, dass es vor allem
gilt, die Sinnlichkeit zu überwinden, wenn anders wir unser
Leben glücklicher gestalten wollen, wir können schliesslich
lernen, dass wir den Erlöser in uns selbst tragen und nicht
das Heil von einem unbekannten Gott zu erwarten haben. Das
alles ist sehr tief und schön in jenen Lebensanschauungen
ausgeführt. Aber wenn wir uns die Mittel betrachten, welche
sie uns anempfehlen, um aus der Sündhaftigkeit des Lebens
herauszukommen, so müssen wir doch sagen, dass wir mit ihnen
in unserm gegenwärtigen Leben, wie es sich nun einmal gestaltet
hat, zum Teil nur schwer operieren können. Schopenhauer vor
allem sieht den alleinigen Heilsweg in der Askese und steht
damit in einigem Gegetisatz zum Buddhismus, der diese im Sinne
Schopenhauers ja nicht fordert. Was aber sollen wir mit
der Askese? Wir können uns nicht auf eine glückliche Insel
retten und dort in der Einsamkeit unserm Seelenheil leben, wir
können uns nicht der Tätigkeit in der Gesellschaft entziehen und
uns der Beschaulichkeit hingeben. Bei aller Hochachtung vor der
Schopenhauerschen Philosophie glauben wir doch, dass dieses
Ideal des heiligen, des sittlichen Menschen verzeichnet ist. Wir
brauchen Menschen, welche die Blüte der Sittlichkeit im Auf-
gehen für andere, im Dienst der Gemeinschaft, im Altruismus
sehen. Und gerade da kann und soll uns der Buddhismus
helfen und mit seinem Geiste unsere abendländische Kultur
durchdringen. Die zahlreichen sozialen Kräfte, die in jener
Religion wirksam sind und sicherlich die des Christentums
alier Richtungen übertreffen, sie mögen dazu beitragen, den
Kampf ums Dasein zu lindern, die Leiden unserer Mitmenschen
nach Möglichkeit herabzumindern und die Idee des Wohl-
wollens, der Nächstenliebe, des Mitleids zur herrschenden
werden zu lassen. Nicht der Egoismus, welcher keinem mehr
gönnt, als er selbst hat, sondern der freiwillige Verzicht auf Vor-
teile und Sonderrechte, die liebevolle Hingabe an den Nächsten,
an die Gemeinschaft, das ist das höchste sittliche ideal!
1
No. 11. DER BUDDHIST. iii
Das Wesen des Buddhismus
im Lichte der (japanischen) Tendai-Schule. 0
Don Zitsuzen Ashitsu.
Das Qcscfz des Buddha, unseres ITleisIcrs, is( weder eine Flafur-
Vüisscnschaff, noch eine dogmalischc Religion, sondern eine Lschre, die
zur Ericuchlung führf, und ihr Ziel ist, Frieden zu bringen den Ruhelosen,
und denen, die geisfig blind sind und ihren ursprünglichen Zustand nichf
Kennen, den ITIcisler innen im Ulenschen zu offenbaren.
Ohne liefe ITledilalion und wolle Einsicht in die Lehre üon der Er-
leuchtung Kann niemand die ücreinigung mit dem ITleisfer innerlich er-
langen. IDer den Geist des »Guten Gesetzes« erkannt hat, sollte seine
Zeit nicht damit oertrödeln in Büchern und Schriften zu lesen noch
seinen Geist mit den Gedanken anderer mästen, sondern er sollte über
seinen eigenen Zustand und seine Lebensführung meditieren, sollte Gemüt
und Sinne gar eifrig bewachen und erhennen lernen, wer in ihm selbst
es ist, der denkt und fühlt: dies ist der Schlüssel, welcher jenes Tor
öffnet, das zum Pfade Buddhas führt. Denn wer seinem Gemüt nichf
erlaubt, sich zu zerstreuen, wer üielmehr standhaft und unaufhörlich sich
selbst bewacht, kann zu seinem eigenen Reile den grossen Pfad ent-
decken. Er kann das lüesen wahren Gemüts-Friedens ergründen, sowie
den innersten Geist der Lehre des Buddha.
Für denjenigen, der ein Buddhist werden will, ist es die erste Ruf-
gabe, die IDurzel der täglichen sinnlichen Erscheinungen zu erkennen
und zu begreifen, und dann seine Erkenntnis und Beobachtung mit den
Lehren der heiligen Schriften zu vjergleichcn als dem Spiegel, welcher
seine Gedanken reflektiert, so das er lernen kann, was recht und unrecht
ist. Die Schriften wollen anzeigen, ob die Gedanken und Erscheinungen
recht oder unrecht sind.
IDir sollten nicht sagen, dass die Gegenstände um uns, mögen sie
klein oder gross sein, innerhalb oder ausserhalb unseres Geistes sind.
Alle lebenden IDesen sind gleich oor der Ewigkeit, wenn sie sich nach
Geschlecht, Stand und 3nlcllekl noch so sehr unterscheiden mögen,
niemand sollte mehr geliebt oder gchassl werden als der andere, und
kein Unterschied sollte gemacht werden zwischen sich selbst und dem
nächsten. Die Erkenntnis der Tatsache, dass die »sechs IDurzeln«
(die fünf Sinnesorgane und das Denken) in dem einen Geist (Rdi-
Buddha, Bhüfatafhätä) ihren Ursprung haben und mithin im Grunde
') Getreu unserem Programm und unter ausdrücklichem Hinweis
auf das oon dieser Zeitschrift ocriretenc Prinzip der freien Äusserung
gestatten wir im »Buddhist« nach wie cor den Derlretern aller Richtun-
gen innerhalb des Buddhismus das IDort. Der Ficrausgeber.
ä42 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
nichfs sind, als das IDescn des Qeisics sclbsf, — dies is( der sicherste
lüeg, um den Zustand der BuddhaschafI zu erlangen.')
Die Täligl^cifcn, welche in den »sechs IDurzcln« zur Erscheinung
hommen, sind die bichfsfrahlen des einen Qei.sfcs,'-) und die Objekte,
welche den »sechs lüurzeln« entsprechen, sind seine Bilder (J5dccn). IDer
frei ist üon jeder äusseren Autorität und Fessel, wie Aberglaube, Priester,
Kirche, Reiland und Qötter, und sich infolgedessen einer wirlilichen,
geistigen Freiheit erfreut, der ist ein grosser mann ; denn er hat die
IDeisheif und Erkenntnis der Buddhaschaff erlangt; er hat, um mit dem
mystiker Swedenborg zu sprechen, „innen in sich sein göKlichcs IDescn
geschaut," welches das lücsen Buddhas im ITlenschen ist. Und wer
nach dem Zustande strebt, in welchem er das innerste lücsen des
Qeisics in sich verwirklicht, wird ein Jünger des Buddha genannt, nicht-
wissend aber ist der, dessen Gedanken noch nicht auf dieses Ziel kon-
zentriert sind. Das Endziel der Ijchre des Buddha ist die Zerstreuung
der nichtwissens-Finsternis und das sich Durchringen zum Licht.
Einsehen, was der Geist an sich selbst sei, bedeutet, die Geheim-
nisse der riatur begreifen und cersfehen. Unwissenheit darüber, was
der Geist an sich ist, erzeugt 3rrlum, so dass die Sinncs-Objekle für
sich unabhängig üon dem Geiste zu sein scheinen, und auf diese IDeisc
wird ein Derständnis ihrer wahren tlalur ocreilelt. ■') Und die Erlangung
der Erleuchtung, welche durch Zerstreuen der nichtwissens-Finsternis
zustande kommt, ist zu gleicher Zeil die Erkenntnis und Einsicht, was
der Geist in sich selbst ist, und univjersale IDeisheif.
Unser hoher ITleistcr, der Buddha, welcher in der IDclt als ein ehr-
würdiger IDeiscr erschien, der während eines Ijcbcns oon achlzig Jahren
predigte, den Schlamm des sinnlichen Lscbcns zerstörte und am Ende
seines IDirkens in niroäna einging, — hat in sich keine Flamme der
Leidenschaft. IDer diesen ITleistcr cerehrl, ihm gehorcht und im Geiste
des oon ihm gepredigten »Saddharmapundarika-Süfra« ') lebt, — der ist
der wahre nachfolger der Lehre uon der Erleuchtung.
Die buddhistische Lebensweise achtel beides hoch, tTledifation und
IDissen als mittel zur Zerstreuung der geistigen Derwirrnng und zur
Erlangung der Erleuchlung; aber eins con diesen beiden allein bringt
') Das bedeutet, ähnlich wie Spinoza sagt, dass malerie und
Denken (Stoff und Bewusstsein) nur zwei Aspekte einer gemeinsamen
IDurzel, der Substanz, sind.
'-) i\hnlich nennt Schopenhauer den ;)nlcllekl die Fackel, welche
der IDille zum Leben sich angezündet hat, um sich in der IDelf der
Dorslellung zu orientieren und sich sclbsf zu erkennen.
') D. h. der nichlwissendc hält die Erscheinungswell (also das
Produkt der Sinnesorgane oder sechs lüurzeln) für real; das bedeutet
eine falsche lüertung der üinge, aus welcher das Raffen am Dasein und
mithin Leiden entsteht.
*) Saddharmapundarika bedeutet wörtlich: Der Lotus des guten
Gesetzes. Dieses Sütra steht bei der Tendai-Schule in hohen Ehren.
No. II. DER BUDDHIST. 343
keinen llutzcn; 6emülsfricdc und der Zusfand der Einheil mi( allem
Leben sind dann gewiss, wenn wir unser 3nncres erschliessen, unseren
öcisl vjon aller Derujirrung befreien und uns der Qölllichkci! in uns be-
\Bussl werden.
lüic die SQfras üon dem Buddha im Zustande der Erleuchtung
gcpredigl wurden, so repräsentieren sie oerschiedene Stufen in der EVrf
der Darstellung: hohe und niedrige, tiefe und mehr oberflächliche, dem
Zustande des fiörers, seiner Einsicht sowie dem Grade seiner Dcrficfung
(rtledifation) und Fassungskraft angcpasst. lüenn eines ITlenschcn Geist
den Pfad betreten hat und sich mit Buddhas Geist in Piarmonie befindet,
dann begreift er die Sütras ohne weiteres, und die letzteren scheinen
dann ebenso der ftusfluss der Erkenntnis des eigenen Geistes, wie des-
jenigen Buddhas zu sein. Und obwohl es uielc Sulras und Schriflen
gibt entsprechend den \."icrschiedenen geistigen Standpunkten der ITlcnschen,
so halten wir doch das Saddharmapundarika-Sütra für das wichtigste
und Dollendetste.
Diele Schriften enthalten die geistigen und grundlegenden [»ehren,
wie die Buddhaschaft uon allen Ulenschen erreicht werden kann, indessen
sind sie nicht so klar und vjollkommen wie das Saddharmapundarika-
Sötra; denn dieser zeigt den lüeg in einer äusserst bestimmten, sicheren
IDeise. lüas ist nun dieses Sülra? Enthält es nur Buchstaben, lüorle,
Seiten, Blätter, Bände? JXIIerdings nicht; sein 3nhalt ist unser Geist
selbst. Die sichtbare Form des Sutras in acht Bänden ist üon keinem
IDert, wenn sein 3nhall oon unserem Geiste getrennt wird. Obwohl bei
den Buddhisten hoch angesehen, da es den Siegel oon Buddhas Geist
enthält, ist es dennoch, da es durch Feuer oerzehrt werden kann, in
seiner äusseren Form nicht mehr wert als andere Schriften. Beim Lesen
des wahren Sütra (d. h. des Sütras nach seinem 3nhalt), welches in sich
die rricrkmale des Geistes Buddhas birgt, müssen wir uns in dem Zu-
stande des »Lotus des Guten Gesetzes« (d. i. Buddhas) befinden, d. h.
wir müssen in vollkommener innerer Harmonie sein mit Buddha Qäkya-
muni. lüenn wir uns wirklich innerlich eins fühlen mit diesem Buddha,
dann ist unsere Roffnung erfüllt und oerwirklicht. Dies ist unsere einzige
Roffnung, und wir brauchen keine andere. Rus diesem Grunde ist es
berechtigt, wenn wir sagen, dass, wenn wir unser Snncres öffnen und
entfallen, wenn wir erleuchtet werden und den Zusland des Buddha
Cäkyamuni erreichen, — die heiligen Schriften für uns oon wenig
nutzen sind.
lüenn wir uns an den Buchstaben der Schriften anklammern, be-
finden wir uns augenscheinlich in einem Zustand, wo der wahre Sinn
des Sütras uns fremd ist, wo Derwirrung und Leidenschaft uns gefessell
hallen. Der lüeise betrachtet die heiligen Schriflen als lüegwciser und
Frührer zum geistigen Pfade; wenn er den Pfad gefunden und befreien
hat, bedarf er der Schriflen nicht länger.
Es ist cor Rllers gesagt worden: „Alle Sütras sind nur Finger, die
nach dem strahlenden ITlondc zeigen." lüenn wir den ITlond einmal
344 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
sehen, sind die weisenden Finger für uns nichf mehr nofvocndig. IDenn
voir uns an die wörilichc Bedeulung der Süfras, an ihre Kommenlarc
und Auslegungen anklammern, dann ccrfehlen wir ihren wahren, gcisligcn
Sinn, und wir werden all und sierbcn im Finslern — uncricuchfel. lüir
sind dann nur äusserlichc Buchsiabcn-Schülcr des Buddha, anslati seine
wahren jünger zu sein. Ohne den geisligen Sinn Können wir das »6utc
0eselz« niemals oersfehen.
Es mag ja ganz löblich sein, sich des Rosenkranzes zu bedienen,
das Qclbc öewand zu (ragen und uor dem Bilde des Buddha Sufras zu
lesen; aber das isl rein formal, äusscriich, nicht wcscnllich, es isl dies
Schülerarl. Die wahre ^üngcrschafl erfordert Einsicht in das wahre,
ewige lüesen des Buddha; sie erfordert, dass sich die (äedanhen, lüorlc
und Randlungen mit ihm in uollkommencm Einklang befinden. Der
jünger darf in keiner Situation, mag er gehen, sitzen oder liegen, seinen
Qeisl üon dem ewigen Geist des Buddha trennen. Ein nie wankendes
beben in diesem Geiste macht den ITlcnschcn zu einem üachfolger des
mahäyäna, zu einem wahren Buddhisten.
Das »Gute Gesetz« ist in seinem IDesen allerdings nichf leicht zu
begreifen; aber ernste Rnsfrcngung und tiefe ITleditation führen zur
IDahrhcil.
Japanisch-buddhistische Predigt-Texte.
Siehe, die Weisheit ist wie ein starkes Fahrzeug, auf dem
du das Meer des Lebens und Sterbens sicher kreuzen kannst;
sie ist wie ein Leuchtturm, der sein Licht in die finstere
Nacht ausstrahlt; sie ist wie eine Arznei, die alle Gebrechen
heilt; sie gleicht einer scharfen Axt, welche den Baum der
bösen Lust fällt.
Der rechte Glaube ist der hohe Weg, auf dem ein Mensch
in das Kastell der Weisheit Buddhas eintreten kann.
Der rechte Glaube gleicht einem fruchtbaren Felde, auf
dem der gute Geist der Menschen heranwächst.
Der rechte Glaube gleicht einem klaren Wasser; er
reinigt das Gemüt von Befleckung.
Der rechte Glaube ist ein gutes Auge; er erfüllt alle
Gebote des Gesetzes.
Der rechte Glaube ist ein reines Auge; er unterscheidet
zwischen gut und böse.
Die wahre Natur aller lebenden Wesen ist unendlich; sie
ist die Vollkommenheit selbst.
Es gibt zwei Arten von Wohltätigkeit. Wer andere in
geistlichen Dingen unterweist, gibt das Almosen des Gesetzes;
wer seine Güter den Armen schenkt, übt materielle Wohltätigkeit.
No. U. DER BUDDHIST. 345
Die
Transmigration oder Wiedergeburt.
Von Bhikkhu Änanda Maitriya.
(4. Fortsetzung.)
Bevor wir nun weitergehen, wird es notwendig sein, hier
ein paar Worte zur Vorsicht einzuschalten, damit meine bis-
herigen Ausführungen nicht missverstanden werden. Wie ich
bereits gesagt habe, soll die von mir gegebene Hypothese
nur eine Illustration sein, um den in Rede stehenden Gegen-
stand zu erläutern, welch' letzterer natürlich von einem an-
deren Standpunkt aus betrachtet in einem ganz anderen
Lichte erscheinen mag. Mir persönlich will es scheinen, als
ob ein solcher Mechanismus, wie ich ihn hier zur Hilfe ge-
nommen habe, zeitweilig ganz gut als eine Brücke dienen
kann, welche über den Abgrund unseres Nichtwissens inbezug
auf die Übertragung (Transmigration) des Lebens zu führen
vermag. Eine Sache als eine physikalische Möglichkeit dar-
zustellen ist nach meinem Dafürhalten eine weit befriedigen-
dere Arbeitsmethode, als wenn wir über die physikalischen
Gesetze hinausgehen; denn wenn der letztere Schritt erst
einmal getan ist, dann ist die Theorie nicht mehr eine das
Gebiet der Möglichkeit für sich beanspruchende Hypothese,
sondern sie hat das Reich blosser Spekulationen oder blinden
Glaubens betreten. Wenn wir uns der physikalischen Gesetze
für unsere Hypothesen bedienen, so haben wir den grossen
Vorteil, dass wir bestimmt sagen können: Wenn gewisse
bestimmte Bedingungen gegeben sind, so müssen sich unter
allen Umständen ganz feste Resultate ergeben; wir können
unsere Hypothesen bis zu einer bestimmten Ausdehnung
prüfen und mit einem nicht zu unterschätzenden Grade von
logischer Korrektheit weiterverfolgen. Und der Grund hierfür
liegt in der Tatsache, dass die Naturwissenschaften auf der
mathemathischen Beziehung der Phänomene basieren, und
insofern sie mathematisch sind, sind sie der Ausdruck
relativer Wahrheiten. Indessen — es muss selbstverständlich
stets daran erinnert werden, dass wir mit einem materi-
ellen Universum überhaupt nicht bekannt sind; —
346 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
die Vielheit der Erscheinungen, welcher wir den
Namen »materielle Welt« geben, ist in Wirklichkeit
eine Vielheit j^f«//^«/', nicht aber wa/m^//^/- Phänomene,
und wenn wir beispielsweise sagen, ein Kubikzentimeter
Wasser wiegt ein Gramm, so drücken wir dadurch gewisse
Beziehungen in unserem eigenen Geist aus. Wir haben
keinen Beweis dafür, dass es irgend ein »Ding an sich«
ausserhalb oder jenseits unseres Geistes gebe, oder dass
irgend eine Welt, oder Zeit, oder Raum, oder andere Zu-
stände ausserhalb der Grenzen unseres eigenen Bewusstseins
vorhanden seien. Wenn wir z. B. träumen, ist eine Welt,
nebst Zeit und Raum vorhanden, manchmal eine Art Zeit
und Raum, die sehr verschieden ist von jener, die wir im
wachenden Leben kennen; aber kein Mensch — es sei denn
ein hoffnungsloser Animist — wird sich einbilden, dass er
während des Traumes in eine neue Art Welt gehe, wo die
Grundbedingungen andere wären; — es handelt sich hier
natürlich nur um eine Veränderung — nicht der Welt ausser-
halb unser, sondern der inneren, geistigen Welt, der Bewusst-
seinszustände in uns. Insofern also die Naturwissenschaften
uns mit einem Mittel versehen, durch das wir unsere Ideen
klar machen und illustrieren sowie bestimmte Beziehungen
in der Form relativer Wahrheiten zum Ausdruck bringen,
ist ihre Anwendung legitimiert und notwendig; aber wir
dürfen uns nicht durch die Idee irreleiten lassen, dass das
Universum, welches sie behandeln, ein reales Universum,
ein »Ding an sich« ausserhalb unseres Geistes sei; denn wir
haben im Bereiche der Möglichkeit kein Mittel, durch welches
wir zu einer anderen Überzeugung gelangen könnten. Es
sind die geistigen Phänomene und nur die geistigen Phä-
nomene, welche wir erkennen und deren wechselseitige
Beziehungen wir bestimmen; und all unser Wissen ist nur
der Ausdruck getvisser Gesetze, Beziehungen und Begren-
zungen unseres eigenen Geistes. Gesetzt den Fall, es exi-
stierte eine Art von Wesen, die mit einer der unsrigen ähn-
lichen Intelligenz begabt wären, aber mit einer anderen
Anschauung des Raumes und der Zeit, so würden die Welt-
gesetze, welche diese Wesen ableiteten, gänzlich verschieden
No. 11. DER BUDDHIST. 347
sein von denjenigen, zu denen wir gelangen müssen, noch
mehr verschieden 'aber dann, wenn der Intellekt selbst ganz
anders als der unsere wäre.
Und das ist nun tatsächlich der Standpunkt, welchen die
buddhistischen Schriften in der Frage der Transmigration
einnehmen. Alle Fragen nach der physikalischen Natur des
Vorganges werden ignoriert, und das Einzige, was mitgeteilt
wird, ist das im Augenblicke des Ablebens sich abspielende
Übergehen der Sankhäras oder des Charakters eines Indivi-
duums. Und die eigentliche Art und Weise dieser Trans-
migration ist, wie gesagt wird, unerkennbar; wir können
höchstens eine schwache Vorstellung von dem Vorgange, wie
er sich abspielt, durch die Anwendung von Bildern und
Gleichnissen bekommen, wie z. B. in den buddhistischen
Büchern als Richtschnur das Gleichnis von der neuen Lampe
gegeben wird, die sich an der verlöschenden Flamme ent-
zündet, oder solche mehr ins Einzelne gehenden Gleichnisse,
wie ich sie oben angeführt habe. Kurz gesagt, wir sehen
das Phänomen, und damit ist unsere Kenntnis am Ende.
Wir haben im Vorhergehenden die Art und Weise be-
trachtet, in welcher die Übertragung des Charakters eines
Individuums möglicherweise vor sich gehen kann; wir
müssen nunmehr zu einer Diskussion der Beweise schreiten,
welche darauf hindeuten, dass dieser vom Buddhismus be-
hauptete Vorgang auch tatsächlich stattfindet. Die vom
Buddhismus behauptete Transmigration ist — wenigstens für
die Majorität der Menschen — eine reine Hypothese, ja, weit
mehr eine Hypothese als z. B. die Existenz des von der
Naturwissenschaft angenommenen Äthers. Niemand, der seine
allen Menschen gemeinsamen Sinne und mentalen Fähigkeiten
benutzt, hat jemals auch nur einen direkten Beweis für das
Dasein des Äthers gewonnen; und dennoch nehmen wir den
Äther als eine fruchtbare Hypothese an, weil das, was die
Menschen mit diesem Ausdrucke bezeichnen, eine Erklärung
für gewisse, sonst unerklärbare Phänomene bietet und den
Anforderungen der verschiedenen Wissenschaften entspricht.
— Wir haben nunmehr zu untersuchen, ob die Transmigra-
tions-Theorie nötig ist, um gewisse Phänomene zu erklären,
348 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
und ob diese Theorie mit den belcannten Tatsachen der
Geburt und des Todes in Einiilang steht.
Wir wollen diese Beweise nach ihrer Wichtigkeit in auf-
steigender Linie in folgende vier Klassen einteilen: 1. Der
Beweis aus der Erfahrung, 2. der Beweis aus dem moralischen
Gesetze, 3. der Beweis aus dem Umstände, dass die Ver-
erbung nicht genügt, um die beobachteten Tatsachen zu er-
klären und 4. der Beweis aus den Lebens-Statistiken.
Was den ersten dieser Beweise betrifft, so ist über den-
selben nicht viel zu sagen, und zwar aus dem einfachen
Grunde, weil eine solche Erfahrung in den meisten Fällen
nur für denjenigen überzeugend sein kann, der sie innerlich
erlebt hat. Um es kurz zu sagen: Es handelt sich hier um
die Tatsache, dass gewisse Personen sich die Fähigkeiten zu-
schreiben, sich an Ereignisse ihrer früheren Lebensläufe zu
erinnern, — eine Fähigkeit, die entweder auf natürliche Ver-
anlagung zurückgeht, oder aber durch die Ausübung eines
bestimmten geistigen Trainings erlangt werden kann ent-
sprechend den Anweisungen im Visuddhi Magga und anderen
Werken; ich muss aber gleichzeitig bemerken, dass dies
letztere nichts Mysteriöses oder Magisches bedeutet, — es
handelt sich vielmehr nur um eine Erweiterung der gewöhn-
lichen Gedächtniskräfte, und die Erörterung dieses Gegen-
standes muss ich mir für einen späteren Aufsatz vorbehalten.
Derartige Fälle von Rückerinnerung sind natürlich an sich
ohne jeden Wert, es sei denn, dass der Zurückschauende auf
Grund einwandfreier, vollgültiger Beweise zeigen kann, dass
die von ihm behaupteten Tatsachen ausserhalb seiner nor-
malen Kenntnis liegen und nach dem gewöhnlichen Lauf
der Dinge ihm nicht bekannt werden konnten. In buddhisti-
schen Ländern gehört es nicht zu den grossen Seltenheiten,
daiss man Kinder vorfindet, welche ernst behaupten, in ihren
vergangenen Lebensläufen den und den Namen gehabt und
an dem und dem Orte gewohnt zu haben, und gelegentlich
gelingt es, diese Behauptungen als richtig nachzuweisen.
Solche Kinder werden in Burma »IVlnzas« genannt, und
es ist nicht ungewöhnlich und kann als eine Art Beweis für
die Richtigkeit des Gesagten gelten, dass, wenn ein Winza
No. 11. DER BUDDHIST. 349
ZU dem Schauplatz seines früheren Lebens gebracht wird, er
gewöhnlich seine einstige Wohnung und seine ehemaligen
Freunde zu identifizieren sowie Tatsachen zu konstatieren
vermag, welche nur der verstorbenen Person und einer an-
deren lebenden Person bekannt sein können. Diese Winzas
sind in Burma relativ so häufig, dass ihr Vorhandensein all-
gemein als ausgemacht gilt; man kann konstatieren, dass die
Kraft der Rückerinnerung an ein früheres Leben gewöhnlich
mit dem Heranwachsen des Kindes allmählich verschwindet;
wir haben indessen auch erwachsene Winzas angetroffen,
welche die Kraft der Erinnerung an die vorgeburtliche Ver-
gangenheit von sich behaupten. In einem späteren Aufsatze
werden wir einige von den am besten beglaubigten Fällen
dieser Art anführen, aber für unseren gegenwärtigen Zweck
wird es am besten sein, direkt mit der Aufzählung der Ar-
gumente fortzufahren, welche geeignet sind, die Lehre von
der Transmigration zu stützen. (Schluss folgt.)
Gedanken über dies und das.
Von Karl B. Seidenstücker.
(1. Fortsetzung.) ■
„Diese Arroganz der Buddhisten ist doch unerhört" —
sagte einmal ein cholerischer Herr in der Hitze des Gefechtes,
— „alles Gute nehmen sie unbefugterweise von anderer Seite,
und indem sie so den Buddhismus mit fremden Federn
schmücken, entblöden sie sich nicht, ihn als das Höchste
und Vollkommenste hinzustellen. Sogar den Ausdruck
»Evangelium« (man denke an das »Evangelium Buddhas«)
haben sie vom Christentum gestohlen."
Diesem Manne wurde also erwidert: „Es ist nicht der
Wahrheit entsprechend zu behaupten, die Buddhisten hätten
das Wort »Evangelium« vom Christentum entlehnt. Evan-
gelium bedeutet »gute Kunde« oder »frohe Botschaft«, und
es gibt zwei uralte Bezeichnungen für die buddhistische Lehre,
welche dem Sinne nach dem Worte »Evangelium« durchaus
entsprechen: 1. Kalyäno dhammo; dieses bedeutet wörtlich
350 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
»heilsame oder glückbringende Lehre«, und 2. Siibhä-
shitä, »gute Kunde«. Da nun diese beiden Worte tatsäch-
lich denselben Sinn haben wie das Wort »Evangelium«, und
da der letztere Ausdruck im Abendlande im Gegensatz zu
den beiden indischen Wörtern allgemein bekannt ist, haben
die Buddhisten durchaus ein gutes Recht, den Ausdruck
»Kalyäno dhammo« durch »Evangelium Buddhas« wiederzu-
geben." —
*
Es gehört nicht gerade zu den Seltenheiten, dass christ-
liche Missionare den entarteten populären Buddhismus in
China und Tibet in Wort und Schrift geissein und ihn als
Götzendienst brandmarken. Nun, Kritik ist hier durchaus
berechtigt. Allein diese Missionare vergessen, dass auch das
Christentum seine krassen Entartungen aufweist. Wir brauchen
nicht erst nach Abessynien, Russland oder Griechen-
land zu gehen, um das konstatieren zu können; eine Reise
durch Bayern, Tirol und Österreich genügt vollkommen.
Ja, — das ist der Katholizismus!" — werden hier unsere
Missionare einwerfen. Und wie steht es mit manchen pro-
testantischen Sekten?! Weiss man nicht, dass auch hier
der religiöse Irrwahn die seltsamsten Blüten gezeitigt hat,
von der Vergötterung des seligen „Apostels" Krebs an bis
zu dem mit hysterisch-konvulsivischen Zuckungen widerlich-
ster Art verbundenen „Zungenreden", ganz zu schweigen von
der verhängnisvollen Entgleisung, welcher die Gebetsmanie
hie und da auf das Gebiet erotischer Orgien verfallen ist?!
Man könnte hier auch harmlosere, aber doch bezeichnende
Dinge erwähnen. Vor eingen Jahren benötigte ein christ-
licher Jünglingsverein eines Klavieres, und da kein Geld in
der Kasse war, setzte man Gebetsstunden an, in welchen Gott
gebeten wurde, den Gegenstand zu beschaffen; ob es geholfen
hat, ist mir nicht bekannt geworden.
Es ist die Pflicht eines jeden, der noch Gefühl für Wahr-
heit und Gerechtigkeit besitzt, diesen christlichen Missionaren
bei jeder passenden Gelegenheit offen und ohne Scheu zu
sagen, dass jeder zunächst die Pflicht hat vor seiner eigenen
Tür zu fegen, bevor er den Besen nimmt, um erlaubt (oder
No. 11. DER BUDDHIST. 351
meistens unerlaubt) die Säuberung des „heidnischen"
Nachbarhauses vorzunehmen.
* ♦
Folgender Einwand wurde mir einst gemacht: ,Die bud-
histische Anattä- oder Nicht-Seibst-Idee ist für einen tätigen
Abendländer auf die Dauer unerträglich. Diese Forderung,
das Ich aufzugeben, das Selbst zu verneinen, diese Er-
drosselung der Persönlichkeit bedeutet Vernichtung, bedeutet
geistigen Tod."
Hierauf eine Entgegnung: Die Anattä-Idee bedeutet
keineswegs Vernichtung des Geistes. Wir wollen annehmen,
ein Forscher sei stark in ein wissenschaftliches Problem ver-
tieft, so stark, dass er absolut nicht wahrnimmt, was um ihn
vergeht. Ja, der Mann ist derartig mit dem Problem be-
schäftigt und identifiziert, dass er während dieser Zeit
seiner selbst zweifellos gar nicht bewusst ist; und
doch ist sein Geist rastlos tätig und empfindet hohen, reinen
Genuss. Auch von dem in tiefes Anschauen versunkenen
Künstler gilt das Gleiche: Er hat während der Zeit seines
Anschauens den Selbst-Gedanken tatsächlich aufgegeben und
die Anattä-Idee bis zu einem gewissen Grade realisiert.
Die Mutter, welche ihr kleines Kind auf den Schienen
spielen und den Zug heranbrausen sieht und ohne Bedenken
zu der Stelle eilt um ihr Kind der Todesgefahr zu entreissen,
— sie weiss nichts von ihrem Ich, denkt überhaupt nicht
an ihr Selbst, und während das eiserne Ungetüm ihren
Körper zermalmt, geniesst sie, vom Selbstwahn frei, die
höchste Seligkeit. —
Dies sind ein paar schwache Vergleiche, um das
Wesen der Anattä-Idee verständlich zu machen. Die Be-
deutung der letzteren liegt vornehmlich auf praktischem
Gebiete, theoretische Erörterungen über diesen Gegenstand
kommen erst in zweiter Linie. In jedem Augenblicke sich
dessen bewusst sein, dass ich eins bin mit allen Wesen, dass
alles Leben in Wahrheit eins ist, — dies klar erkennen,
fühlen und demgemäss handeln, das bedeutet die buddhi-
stische Anattä-Lehre verwirklichen. —
352 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Wenn ich Sie fragen würde: „Was halten Sie für das
Einzigartige des Buddhismus?" — was würden sie mir da
antworten? Würden Sie etwa die »Wahrheit vom Leiden«
nennen? Wohl kaum mit Erfolg; denn es kann leicht gezeigt
werden, dass diese grosse Wahrheit überall auf Erden ihren
Widerhall findet, — eben weil sie so sehr evident ist. Oder
etwa den Vergänglichkeitsgedanken? Ebenfalls nicht mit
Recht; denn auch diese Wahrheit ist ausserhalb des Bud-
dhismus oft genug anerkannt worden. Nein, das Einzigartige
des Buddhismus ist die Anattä-ldee; ich sehe in der Tat
keine Religion, welche diesen Gedanken jemals so aus-
schliesslich und fest betont hätte. Der Brahmanismus lehrt:
„alles ist Selbst" (d. h. Brahman-Ätman); die monotheisti-
schen Religionen stellen ausdrücklich die ewige Fortdauer
des »Ich-Selbstes« in Aussicht. Der Buddhismus allein
proklamiert die These: „Die Welt ist Nicht-Selbst". Dieser Satz
ist in seinen Konsequenzen so schwerwiegend, dass er in
seiner ganzen Grösse nicht sogleich erfasst werden kann.
Die Folgerung aus diesem Satze ist, dass derjenige, der ihn
anerkennt, notwendigerweise sich von allen Fesseln, welche
andere Religionen dem Menschen anlegen, um zur Erhaltung
des Egoismus und des Selbstgedankens beizutragen, befreien
muss. Solche Fesseln sind z. B.: Abtötende Askese, Ritua-
lismus, Pflege des die Persönlichkeit betreffenden Unsterb-
lichkeits-Glaubens. Wer diese Fesseln ganz überwunden hat,
der hat den schwersten aber auch grössten Schritt zu
seiner endgültigen Befreiung getan. —
(Schluss folgt.)
Es gibt kein Ende des Leidens für die vom Nichtwissen
bedeckten Wesen. Der edle Jünger aber, der die Wahrheit
erfahren hat, der das Heilige versteht, der die Lehre der
Edlen angehört hat, wird befreit von der Geburt, vom Alter
und Tod, vom Gram und Jammer, von Leiden, Trübsal und
Verzweiflung, er wird befreit, sage ich, vom Leiden.
Samyuftaka-Nikäya.
V«r*iitwertlirh«TRcdakt«ir: K»rl B. Sfidenstürkrr, Lripzig. Vrrlag: Buddhisluwhrr Verlag
in Lcipiif . — Druck von Arno Btchimmn, BkalBdorf-Leipzig.
Alle Sünden meiden, die Tugend üben, das eigene Herz läutern:
das ist die Religion der Buddhas. Dhammapada, V. 183.
k
Buddhistische Züge
im modernen Volksdenken.
Eine Skizze.
Von Dr. phil. F. Hornung.
Dass sich in den Werken hervorragender Dichter und
Denker Europas und besonders auch Deutschlands buddhisti-
sche Gedanken gar nicht so selten antreffen lassen, ist eine
ziemlich bekannte und auch an dieser Stelle mehrfach erörterte
und bewiesene Tatsache. Erwägt man nun aber, dass die
„Grossen" der Kulturgeschichte, mögen sie sich noch so hoch
über das allgemeine Niveau ihres Volkes erheben, geboren und
erzogen unter den historischen und gesellschaftlichen Daseins-
bedingungen ihres Volkes, ständig angeregt und beeinflusst
von allem, was jenes bewegt, nicht wohl etwas anderes zum
Ausdruck bringen können, als was auch in ihrem Volke Wieder-
hall findet, so drängt sich unmittelbar die Frage auf, ob nicht
auch im Denken und Handeln der europäischen Völker der
Buddhismus irgendwie in die Erscheinung tritt.
Die Erörterung dieser Frage gewinnt an Reiz, wenn wir
uns gegenwärtig halten, dass die europäischen Völker zwar
zum grössten Teile indo-arischer*) Abstammung sind, dass
aber ihr Denken und sittliches Empfinden auf eine historisch
überaus interessante, hier allerdings nicht näher zu unter-
suchende Weise seit mehr als anderthalbtausend Jahren unter
den ausschliesslichen Einfluss des so ganz fremd und seltsam
allem Indogermanischen gegenüberstehenden semitischen Ideen-
•) Sie sind Indogermanen und als solche stammverwandt mit den
Ariern im engeren Sinne, den Iraniern und Indern.
23
354 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
kreises geraten ist. Kann man es da ftir möglich halten,
möchte man fragen, dass trotz dieser Sachlage, trotz des bis
auf den heutigen Tag mit allen pädagogischen Künsten und
Gewaltmitteln praktizierten Imprägnierens, der Kinderseelen
schon, ausschliesslich mit semitischen Vorstellungen, der bud-
dhistische, das ist der arische Geist, dennoch zum Durchbruch
kommt?
Zur Beantwortung dieser Frage müssten wir uns vor allem
nach etwas möglichst Bodenständigem umsehen, nach echt origi-
nalem Volksdenken und -empfinden, und dürfen erwarten, um
so Echteres vor uns zu haben, je fremdartiger es selber vor-
läufig gegen die noch allenthalben haftende semitische Decke,
vergleichbar etwa einer alten Wandmalerei der abbröckelnden
Mörtelüberkleidung gegenüber, absticht. Und je mehr es bereits
hervortreten sollte, je ausdauernder und gleichmässiger es sich
ausbreitet allen Hindernissen zum Trotz, um so mehr würden
wir es als den unverfälschten Ausdruck der Volkspsyche an-
sprechen müssen. —
Etwas derartiges zu untersuchen, und zwar aus nächster
Nähe, haben wir jetzt die bequemste Gelegenheit: es ist der
moderne Sozialismus, der uns hier zum geeigneten Objekte
dient. Er erfüllt die obengenannten Bedingungen auf's Beste,
so das uns nichts weiter zu tun bleibt, als zu untersuchen,
ob sein Ideeninhalt mit dem buddhistischen Berührungspunkte
besitzt, oder ob beide wohl gar hie und da identisch sind.
Das eigentliche, das philosophische Fundament des Sozia-
lismus ist die sogenannte materialistische Geschichtsauffassung,
wie sie Karl Marx, Friedrich Engels und Joseph Dietzgen fest-
gestellt und propagiert haben. Die gesamte Gegnerschaft des
Sozialismus steht dagegen auf dem Boden der im Kern
semitisch-theistischen Ideologie. Um uns über den unüber-
brückbaren Gegensatz beider Auffassungen klar zu werden, be-
trachten wir zunächst die letztere, und zwar ihre reinste Form.
Nach ihr hat ein Gott die Welt erschaffen mit allem, was
darinnen ist. Die Welt ist also Gottes Werk; und was in ihr
vorgeht und wie sich das abspielt, geschieht daher gemäss
einer „von Gott gewollten Ordnung," ist Gottes Wille, den er
durchführt teils auf übernatürliche, teils auf natürliche, aber
trotzdem nicht weniger wunderbare Weise, nämlich durch Aus-
erwählte, d. h. von ihm selber eingesetzte, „verordnete" Per-
sonen. — Dass dieses System in sich selber eine arge Lücke
aufweist, insofern es zur Aufrechterhaltung der bestehenden
Gesellschaftsordnung dienen soll, stört seine Verkündiger nicht.
Hat sich Gott z. B. nicht selber und zu verschiedenen Malen
recht missfällig über den Lauf der Dinge in seiner Welt ge-
No. 12. DER BUDDHIST. 355
äussert und hat er nicht wiederholt, und mitunter recht ener-
gisch sogar, dazwischengegriffen — Vertreibung von Adam
und Eva, Sündflut, Sodom und Gomorrha z. B. — um den
Dingen einen anderen Lauf zu geben? Wäre es hiernach
seinen „unerforschlichen Ratschlüssen" nicht ganz gut zuzu-
trauen, auch einmal Sozialisten, Atheisten sogar in Funktion
treten zu lassen, um die Weltordnung nach seinem Willen
wieder in das richtige Gleis zu bringen, falls sich seine bis-
herigen Sachwalter unfähig erwiesen haben sollten?!
So ist die „göttliche Weltordnung" nun freilich nicht ge-
meint. Das System bezweckt vielmehr das Gerechtfertigtsein
jeder Gewalttat, welche auszuführen man die Macht besitzt;
man proklamiert die absolute göttliche Gewalt, eine Despotie,
welche tut und unterlässt, was ihr beliebt, um in deren Auf-
trag und Schutz selber unverantwortlich zu sein und um den
hierbei Geschädigten die Idee einer Appellation hiergegen, oder gar
eines Widerstandes am liebsten schon von vornherein garnicht
in den Sinn kommen zu lassen. So müssen schon die Kinder
die Geschichte von Jakob und Esau lesen und lernen, von dem
Arglistigen, dem seine Anschläge so glänzend gelingen, der
sich sogar den Gottessegen durch List zu sichern weiss,
während sein treuherziger Bruder alles verliert, und auch noch
obenein den Auftrag bekommt, den Raub seines rücksichtslosen
Feindes, seines Bruders, mit den Waffen in der Hand zu be-
schützen! Ein Beispiel dieser „göttlichen Weltordnung", wel-
ches mit erschütternder Deutlichkeit zeigt, um was es sich
handelt; und handeln soll, wenn sonst alles nach Wunsch
ginge, in alle Ewigkeit. Denn als ob es noch nicht genug
wäre an diesem alttestamentlichen Semitismus: man hat auch
noch den neutestamentlichen diesem Systeme dienstbar zu
machen gewusst, gemäss dessen das Elend des Lebens von denen,
die es gepackt hat und zermalmt, nicht nur in widerstandsloser
Sklavendemut ertragen werden soll, nein, es soll sogar noch als
höchstes Glück gepriesen werden, als Läuterungsmittel, durch
welches ein überschwängliches, ewiges Wohlergehen und Ge-
niessen erworben wird. Allerdings mit der kleinen Unbequem-
lichkeit insofern, als man erst gestorben sein muss, wenn man
sich ihrer erfreuen will. „Die Religion des Kreuzes". Kreuz
nicht nur als altrömisches Hinrichtungsinstrument, sondern
auch in der Bedeutung des Lebensjammers und Elends des
modernen Proletariates.
Diesem System stellt nun, wie gesagt, der Sozialismus
seine materialistische Geschichtsauffassung entgegen. Gemäss
dieser sind die berührten Gesellschaftsverhältnisse nichts Ge-
wolltes, sondern etwas Gewordenes; etwas, was aus bestimmten
356 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
anderen, früheren Verhältnissen und Geschehnissen als seinen
Ursachen mit Notwendigiteit hervorgegangen ist. Diese bereits
echt buddhistische Anschauungsweise wird nun konsequent
buddhistisch weitergeführt. Beruht unser modernes Massen-
elend auf Ursachen, so gibt es auch ein Mittel dagegen; ein
einziges zwar nur, aber dafür auch ein unfehlbares, welches
dem menschlichen Willensentschlusse frei zur Verfügung steht.
Geschehene Dinge sind zwar nicht zu ändern; zu ändern ist
aber das fortdauernde Geschehen, welches für die Zukunft
Unheil im Gefolge haben muss. Gelingt es, dessen Wesen
zu durchschauen und selbst stark und mächtig genug zu
werden, um unseren Willen ihm gegenüber zur Geltung zu
bringen, es zu verhindern, so ist auch dieses Elend, seine Folge,
für die Zukunft beseitigt.
Wie nun und als was der Sozialismus das Elend unserer
modernen Gesellschaftsordnung erkannt hat, und welche Gegen-
mittel er zu seiner Abstellung ersonnen hat und anzuwenden
bemüht ist, das gehört nicht hierher, um so weniger, als eine
bereits recht umfangreiche sozialistische Literatur den einge-
hendsten Aufschluss hierüber gibt.
Der Buddhist sieht aber hier — man hat kaum noch einen
Hinweis nötig — die Kamma-Lehre vor sich. In vollster Rein-
heit sieht er hier sein uraltes Kausalitätsgesetz, wie es der
Buddha selber verkündigt hat, wenn auch nur auf einen Teil
der Leiden des Lebens angewendet. Und rein auch in Bezug
auf seine praktische Anwendung, insofern nämlich, als nicht
mit Bösem, nicht in Mass und Rachedurst das Böse beseitigt
werden soll, sondern mit Gutem, d. h. durch Erkennen und
Wissen, durch Aufklärung und Erziehung zur Sittlichkeit, zum
Zusammenwirken und zur gegenseitigen Unterstützung.
Die Gegner des Sozialismus erblicken hierin Atheismus.
Gewiss, sie haben Recht! Denn wo man ein Gesetz entdeckt
hat, braucht man die Willkür nicht mehr. Weder die göttliche,
noch die menschliche. Und auch in letzterer Hinsicht ist ebenfalls
niemand ehrlicher als die Sozialisten selber, wenn sie sich in
verschiedenen Staaten Europas offen als Demokraten bezeichnen.
Und trotzalledem: ist es nicht höchste, wahrste Frömmigkeit,
edelster Theismus; ist es nicht bewundernswerteste Loyalität
zugleich, für all das tausendfältige Elend der Welt, für die
entsetzlichen Blutopfer der Kriege, der Industrien, Bergwerks-
betriebe usw., für das grauenvolle Dahinsiechen der Millionen
in geistiger Nacht und körperlichen Leiden eben keinen „all-
gütigen Vater im Himmel" und keinen Mitmenschen verant-
wortlich zu machen?!
Ein weiterer und wiederum echt buddhistischer Zug im
No. 12. DER BUDDHIST. 357
Sozialismus ist die Idee der Gleichheit aller Menschen, rück-
sichtlich ihres Daseins- und Selbstbestimmungsrechtes, und die
Idee der Brüderlichkeit, der Solidarität oder des Füreinander-
eintretens bei allen Gelegenheiten und auf jede Weise, wo die
einen den anderen nützlich werden können. Der Sozialismus
negiert und bekämpft prinzipiell jede Bevorrechtung respektive
Benachteiligung nicht nur der verschiedenen Individuen und
Gesellschaftsklassen daheim, sondern auch jede Art der Verge-
waltigung fremder Völker und Rassen, und wären es selbst die
unentwickeltsten, rückständigsten. Die Motive sind Humanität
und Nützlichkeit. Das ist nun freilich nicht mehr buddhistisch,
oder vielleicht, besser, noch nicht buddhistisch. Der Buddhis-
mus hat auch hier ein solides philosophisches Fundament, den
All-Einheitsbegriff rücksichtlich aller Bewusstseinsträger, oder
die Einheit alles Bewusstseins auf dem Substrate der Indivi-
dualisationen als seines unentbehrlichen Daseinsmittels; prak-
tisch verwirklicht durch „das Aufgeben des Ich-selbst-Gedan-
kens", wie es die buddhistischen Schriften negativ auszudrücken
pflegen. Mit letzterem verglichen bemerkt man nun allerdings,
dass Humanität und Nützlichkeit kaum etwas anderes sind,
wie Phrasen von äusserst schwankendem Gedankeninhalt und
Umfang,*) und so braucht es denn auch nicht Wunder zu
nehmen, wenn wir infolgedessen auf Disharmonien und direkte
Gegensätze stossen gerade bei dieser Gelegenheit, wie sie sonst
innerhalb des Sozialismus nicht hervortreten. Da gibt es z. B.
Leute, die „nicht jeden Schutzzoll verwerfen," also bereit sind,
ihren Brüdern da draussen den Absatz ihrer Arbeitsprodukte
und ihren Brüdern daheim die Deckung ihrer Bedürfnisse zu
erschweren. Andere „verwerfen nicht jede Kolonialpolitik
schlechthin", sie möchten also gern eine Zivilisation exportieren,
die uns selber noch fehlt, eine Kultur verbreiten, von der sie
selber sagen, dass sie keine ist, oder dass sie in den letzten
Zügen liegt. Manche wollen auch noch die dazugehörigen
Panzerschiffe, wie z. B. ein bekannter christlichsozialer Geist-
licher. Zahllos sind jene, die bald zu diesem, bald zu jenem
vermeintlich guten Zwecke „im Interesse, zum Wohle derGesamt-
heit," wie sie es auszudrücken lieben, bald dem Einzelnen,
*) Schon im alltäglichen Sprachgebrauche findet man das bestätigt.
Man sagt: wahre Humanität, echte H., edelste H., seltene H., wenn es
etwas Besonderes gilt. Folglich gibt es auch falsche, unechte, weniger
edele, alltägliche Humanitäten, von denen man kein Aufhebens macht.
Human nannte man bei seiner Einfuhrung in verschiedenen Staaten
Nordamerikas das entsetzenerregende elektrische Hinrichtungsverfahren.
Human wird jede neue Kriegswaffe, jede auf die Erhöhung ihrer Wirk-
samkeit gerichtete Veränderung einer alten genannt. — Humanität ist
eben, wie gesagt, eine verwaschene Phrase.
S58 t)ER BUDDHIST. I. Jahrg.
bald Minoritäten der verschiedensten Grösse Opfer der aller-
bedenklichsten Art aufzuerlegen bereit sind. Um aus Vielem
nur eins herauszugreifen: wenn es sich z. B. um die soge-
nannte Prophylaxis, um mehr oder weniger imaginäre
hygienische Endzwecke handelt, geht bei nicht Wenigen jede
Rücksicht auf das leibliche und geistige resp. sittliche Wohl-
befinden ihrer Mitmenschen verloren. Die Furcht, die Angst,
die freilich der Buddhist als ihm wohlbekannte Leidenschaften
von sich abzustreifen hat, rauben diesen Menschenfreunden
den Verstand. Sie übersehen daher einmal, dass die Gesamt-
heit minus Minorität nicht mehr die Gesamtheit ist, sodann,
dass das Wohl der Gesamtheit überhaupt niemals in Frage
steht, sondern ebenfalls nur das Wohl einer mehr oder weni-
ger grossen Minorität, in der Regel noch dazu von Individuen,
die teils aus Unverstand und Leichtsinn, teils aus Selbstsucht
für ihre Person keinerlei Vorsicht zu beobachten willens sind.
So sehen wir uns denn allerdings in diesen letzteren Fällen
wieder dem berüchtigten Rechte des Stärkeren oder der nicht
weniger bedenklichen Majoritätswirtschaft auch noch im Sozia-
lismus gegenüber. Das „stellvertretende Leiden" der Christen
in allem Atheismus noch. Die notwendige Folge des Mangels
eines festen, philosophischen Fundamentes! Doch verdient es
Hervorhebung, dass der Sozialist Jos. Dietzgen in konsequen-
ter Entwickelung seiner panhenotistischen Philosophie den hier
in Frage kommenden buddhistischen Vorstellungen schon sehr
nahe steht, und das ist um so bemerkenswerter, wenn man
sich gegenwärtig hält, welche ausserordentlichen Schwierig-
keiten das volle Erfassen gerade der All-Einheitslehre dem
europäisch trainierten Gehirne zu bereiten pflegt. Es ist also
mindestens nicht ausgeschlossen, dass auch hier eines Tages
die buddhistische Philosophie zum Durchbruch kommt, und
die zwar anbefohlene, aber nun schon seit 1900 Jahren tagtäg-
lich auf das brutalste durch Tatsachen ironisierte Liebe der
praktischen Verwirklichung von ein paar ganz anspruchslosen
logischen Postulaten des Buddhismus: Mitleid und Wohl-
wollen heissen sie, Platz machen muss.
Soviel über die Grundlagen des Sozialismus. — Beachtens-
wert in hohem Masse ist es nun, dass wie im Buddhismus,
so auch im Sozialismus die übereinstimmende, beziehungsweise
ähnliche Weltauffassung zu völlig oder nahezu übereinstim-
menden Moralbegriffen geführt hat. Wir wollen das prüfen,
indem wir den greifbarsten Niederschlag der buddhistischen
Ethik, die sogenannten fünf Gebote des Buddha durchsehen,
und dabei vergleichen, wie sich der Sozialismus, aber auch
seine Gegnerschaft zu denselben stellt.
No. 12. DER BUDDHIST. 359
1. Nicht töten. — Im Buddhismus gibt es bei diesem
Gebote überhaupt keine Ausnahme. Der Sozialismus zeigt
sich ihm am nächsten stehend insofern, als derselbe wenig-
stens das Töten von Menschen unter allen Umständen verwirft,
also auch Krieg, Hinrichtung und Duell. — Seine Gegner zei-
gen sich in diesen Punkten uneins. So verwirft der Katholi-
zismus, wie übrigens auch das Gesetz Englands, das Duell. Gegen
Hinrichtung und Krieg haben beide dagegen nichts einzuwenden.
Gegner der Todesstrafe trifft man in allen Bevölkerungsschichten
Europas, doch sind sie, soweit sie eben nicht Sozialisten sind,
recht dünn gesäet. — Der Krieg wird von einer Friedensliga
perhorresziert. Wird er aber drohend, wie beispielsweise im
vorigen Sommer in Deutschland, so hört man von einer
Friedensliga nichts mehr, desto vernehmlicher und einstimmiger
aber aus sämtlichen nichtsoziaiistischen Lagern das Schimpfen
und Schreien über diejenigen, welche ernstliche Massnahmen
zur Erhaltung des Friedens treffen, wie es eben die deutschen
und französischen Sozialisten bei jener Gelegenheit unter-
nommen hatten. —
2. Nicht nehmen, was einem nicht gegeben ist. — Der
Umfang, welcher dieser Vorschrift im Gesellschaftsleben der
Staaten Europas eingeräumt ist, deckt sich vollkommen mit
den bescheidenen Ansprüchen der verschiedenen Strafgesetz-
bücher. Dass es auch Unrecht sein kann, seine Mitmenschen
durch Lohnkürzungen und Knapphalten, durch Börsenmanöver,
durch Trust- und Syndikatswucherei, durch gesetzgeberische
Massnahmen, wie Zölle, Steuern, welche die Armen treffen, u.
dergl. m. zu expropriieren, ist eine Ansicht, welche ausser Bud-
dhisten nur Sozialisten zu ihren Trägern hat.
3. Keiner sexuellen Unsittlichkeit fröhnen. — Auch in
diesem trüben Kapitel erblicken wir einzig den Sozialismus in
prinzipienklarer Stellungnahme, obschon gern anerkannt sein
soll, dass auch von anderer Seite nicht wenig gegen die Un-
sittlichkeit gesprochen und geschrieben wird, bei den soge-
nannten standesgemässen und dergleichen Heiraten angefangen
bis hinunter zum ordinären Menschenhandel der Strasse. Aber
die Ideologen vergessen auch hier, wie immer, dass das ge-
wissermassen Gesellschaftsinstitutionen sind, die ihre Opfer
fordern, und daher mit moralischen wie physischen Zwangs-
und Strafmitteln, die ja nur die Opfer treffen können, nicht zu
bessern, geschweige zu beseitigen sind. — Abschaffung der
Privilegien, der Geburt sowohl, wie der des Besitzes, Hebung
der Bildung, Nichtverhindern der wirtschaftlichen Kämpfe um
eine menschenwürdige Existenz, das sind die Gegenmittel des
Sozialismus gegen jene Übel, sein auf die Beseitigung der
360 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Ursachen gerichtetes und darum wieder echt buddhistisches
Streben. Soweit seine Macht reicht, betätigt er sich schon
jetzt, z. B. dadurch , dass seine Zeitungen im auffallenden
Unterschiede zu den meisten übrigen keine Anzeigen etc. auf-
nehmen, welche der Unsittlichkeit irgendwie Vorschub leisten.
4. Nichts Unwahres sagen. — Die strenge Befolgung
gerade dieses buddhistischen Gebotes mtisste als ein Haupt-
verdienst des Sozialismus gepriesen werden, wenn sie sich
nicht ganz von selbst verstände. Wer die Zukunft zu erobern
gedenkt, kann nicht mit falschen Vorspiegelungen operieren,
denn „Lügen haben kurze Beine." Sein Heil in der Aufrecht-
erhaltung von Vorurteilen, Aberglauben und sonstigen Unwahr-
heiten zu suchen, ist Torheit, denn es ist aussichtslos. Zu
bedauern sind diejenigen, welche das nötig zu haben glauben.
5. Keine berauschenden Getränke geniessen. — Auch die
Erfüllung dieses letzten der buddhistischen Laiengebote lässt
man sich in sozialistischen Kreisen in beständig zunehmendem
Masse angelegen sein; und besonders interessant in seiner
Form sowohl, wie in seinen Motiven ist dieser Vorgang im
heutigen Deutschland, dem klassischen Lande des Durstes,
wenn auch nicht gerade der Betrunkenheit. — Hat er in an-
deren Ländern nicht selten einen eigenartigen frömmelnden,
sektirerischen Anstrich mit den, wie es scheint, unvermeid-
lichen Begleiterscheinungen, wie Selbstüberhebung, öffentliches
Sichbrüsten und Heuchelei, zumal dort, wo man einen Teufel
austreiben zu müssen glaubt, und nebenher die Spenden wohl-
habender Philanthropen winken, so ist das hier anders. Man
macht hier kein Aufhebens mit Abstinenzgelübden, noch weniger
dekoriert man sich, sondern unterlässt die Trinkerei in aller
Formlosigkeit. Das Resultat ist bei oberflächlichem Betrachten
nicht leicht erkennbar, denn in den deutschen Industriestädten,
den Hauptsitzen des Sozialismus, haben die Betrunkenen
eigentlich niemals eine einigermassen auffällige Erscheinung
gebildet. Um so klarer tritt es dagegen hervor in dem ganz
bedeutenden und andauernden Rückgange der Umsätze in
alkoholischen Getränken, in den Fabrikkantinen besonders, und
in dem wachsenden Missvergnügen aller Alkoholinteressenten.
— Und aus welchen Motiven hat sich dieser Umschwung
vollzogen? Unsere aufgeklärte Arbeiterschaft enthält sich der
alkoholischen Getränke, weil sie eingesehen hat, dass sie den
Verstand schwächen, schlaff, gleichgiltig, energielos machen,
im Menschenverkehr zu unüberlegtem Reden und Tun Veran-
lassung geben und bei der Arbeit grosse Gefahr bringen. —
Die Schwächung des Verstandes ist aber genau derselbe Grund,
No. 12. DER BUDDHIST. 36l
aus welchem das Trinken auch in den buddhistischen Texten,
z. B. im Dhammikasutta, verboten wird! —
Es würde keinerlei Schwierigkeiten bieten, noch mehr der-
artige Parallelismen aufzuführen; doch mag es an obigen genug
sein. — Der Grund ihres im Hinblick auf die dazwischen-
liegenden 2500 Jahre gewiss recht seltsam anmutenden Vor-
handenseins ist zwar schon aus dem Dargelegten zu erkennen,
doch werden ihn ein paar Worte noch klarer hervortreten lassen.
Die Pälitexte zeigen uns den Buddha als einen Denker,
der fest und unerschütterlich auf dem Boden der induktiven
Forschungsmethode stand. Beobachtung war die alleinige
Quelle seiner Kenntnisse, und eindringlichst ermahnt er seine
Zuhörer, jeden Autoritätsglauben abzustreifen und nur das allein
als glaubwürdig anzusehen, was sich mit den Tatsachen deckt.
Dem entsprach auch seine Lehrmethode. Mag man auch ge-
neigt sein, in dem unablässigen, in jedem Satze wiederkehren-
den Begründen eines jeden Gedankens auch ein mnemotech-
nisches Hilfsmittel zu erblicken, ähnlich dem Beweisaufbau
in Euklids Elementen, so wird man doch zugeben müssen,
dass für den Buddha und seine Schüler hierfür noch andere
Gründe massgebend sein mussten, sobald man sich erinnert,
mit welchen ganz anderen, und keineswegs weniger zweck-
mässigen Methoden man in Indien seit den ältesten Zeiten
schon seinem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen versteht,
wenn man nur diesen letzteren Zweck im Auge hat. Und
diese Gründe können dann keine anderen gewesen sein, als
das untrennbare Zusammenschweissen von Grund und Folge,
um selbst nicht das kleinste Teilchen des Ganzen aus dem
Gebiete des Realen, Beweisbaren in dasjenige des Übersinn-
lichen, Unbeweisbaren hinüberverdunsten zu lassen. —
So ist die Lehre des Buddha die verkörperte Kausalität
schon in ihrer Form und nichts weiter bringt sie und kann
sie bringen, als das Kausalitätsprinzip. Sehen wir nun, dass
dieses selbe Prinzip, wenn auch nach noch so langer Zeit,
sich auch bei uns endlich zum Durchbruch ringt, so kann es
gar nicht anders sein, als dass sich auch die oben nachge-
wiesenen Übereinstimmungen zeigen.
Dass es gerade der Sozialismus ist, an welchem sie sich
zeigen, und nicht die Naturwissenschaft, obgleich letztere jenes
Prinzip schon weit länger anerkennt, liegt daran, dass sich die
Naturwissenschaftler, die einen als Nichts-als-Materialisten, die
anderen als abhängige Beamte konfessionell regierter Staaten,
auf das Strengste je auf ihre allerengsten Wissensgebiete
zurückgezogen haben, daher mit Philosophie und Ethik, und
362 DER BUDDHIST. 1. Jahrg.
gar mit Politik, Volkswirtsciiaft, Religion und dergleichen als
Forscher längst ausser jedem Kontakt sind.
So waren es eben andere Leute, welche das Kausalitäts-
gesetz für die Wissenschaften des Menschentums nutzbar zu
machen hatten.
Man könnte nun hier wohl einwenden, dass trotz aller
Übereinstimmung im philosophischen Fundamente wie in der
hierauf basierten Ethik doch die Ziele recht verschieden seien.
Im Buddhismus die Erlösung von allen Leiden durch Erlangung
höchster Weisheit; im Sozialismus die Erringung eines
menschenwürdigen Daseins. Das ist richtig. Dafür ist eben
das eine der Buddhismus, das andere der Sozialismus, welche
heute schon identifizieren zu wollen niemandem in den Sinn
kommen wird. — Aber was ist diese Erringung eines menschen-
würdigen Daseins weiter, als die Aufhebung eines Leidens,
eines Massenelendes sogar, durch welches Millionen und
Abermillionen an die Erlangung einer höheren Vollkommenheit
auch nur zu denken schon verhindert sind? Und ein Leiden
in seinen Ursachen erforschen und durch Aufhebung seiner
Ursachen beseitigen, ist eben echt buddhistisches Streben und Tun.
Was weiter wird, nach Erreichung dieses nächsten Zieles,
kann kaum zweifelhaft sein. Man wird sich nach derselben
Methode von weiteren Leiden zu erlösen bestrebt sein, wird
also dem reinen Buddhismus immer näher kommen. Denn
dass man lieber zur Askese zurückkehren wird, — entgegen
den Ausführungen im Dhamma-cakka-ppavattana-sutta, der
allerersten Lehrrede des Buddha, wo aber schon die Askese
ebenso verboten ist, wie Genusssucht und Völlerei — zurück-
kehren wird zur Askese des Proletarierelends, die nicht einmal
Ansehen verschafft, sondern auch noch Spott, Verachtung und
Entrechtung einbringt, das ist nicht besonders wahrscheinlich.
Dazu ist schon heute die Opposition hiergegen zu gross.
Die Lehre des Buddha
oder: Die vier heiligen Wahrheiten.
Nach Aussprüchen des Päli-Kanons zusammengestellt.
Von Bhikkhu Nyänatiloka (Ceylon).
(Schluss.)
IV. Einsicht in die Erscheinungen.
Wie aber, ihr Brüder, wacht ein Mönch bei den Erschei-
nungen über die Erscheinungen?
[Die fünf Hemmungen:] Da wacht, ihr Brüder, ein
Mönch bei den Erscheinungen über das Erscheinen der fünf
No. 12. DER BUDDHIST. 363
Hemmungen. Wie aber, ihr Brüder, wacht ein Mönch bei den
Erscheinungen über das Erscheinen der fünf Hemmungen?
[1. Begierde:] Da merkt, ihr Brüder, ein Mönch, wenn
Wunscheswiile in ihm ist, ,In mir ist Wunscheswilie', merkt,
wenn kein Wunscheswille in ihm ist, ,In mir ist kein Wunsches-
wille'. Er merkt, wenn Wunscheswilie sich eben erst entwickelt,
merkt, wenn der deutlich gewordene Wunscheswille verneint
wird, er merkt, wenn der verneinte Wunscheswille künftig nicht
mehr erscheint.
[2. Hass:] Er merkt, wenn Hass in ihm ist, ,In mir ist
Hass', merkt, wenn kein Hass in ihm ist, ,In mir ist kein Hass'.
Er merkt, wenn Hass sich eben erst entwickelt, merkt, wenn
der deutlich gewordene Hass verneint wird, er merkt, wenn
der verneinte Hass künftig nicht mehr erscheint.
[3. Trägheit:] Er inerkt, wenn Trägheit in ihm ist, ,ln
mir ist Trägheit', merkt, wenn keine Trägheit in ihm ist, ,In
mir ist keine Trägheit'. Er merkt, wenn Trägheit sich eben
erst entwickelt, merkt, wenn die deutlich gewordene Trägheit
verneint wird, er merkt, wenn die verneinte Trägheit künftig
nicht mehr erscheint.
[4. Stolz:] Er merkt, wenn Stolz in ihm ist, ,In mir ist
Stolz', merkt, wenn kein Stolz in ihm ist, ,In mir ist kein Stolz'.
Er merkt, wenn Stolz sich eben erst entwickelt, merkt, wenn
der deutlich gewordene Stolz verneint wird, er merkt, wenn
der verneinte Stolz künftig nicht mehr erscheint.
[5. Zweifel:] Er merkt, wenn Zweifel in ihm ist, ,In mir
ist Zweifel', merkt, wenn kein Zweifel in ihm ist, ,In mir ist
kein Zweifel'. Er merkt, wenn Zweifel sich eben erst entwickelt,
merkt, wenn der deutlich gewordene Zweifel verneint wird,
er merkt, wenn der verneinte Zweifel künftig nicht mehr erscheint.
So wacht er bei den inneren Erscheinungen über die Er-
scheinungen, so wacht er bei den äusseren Erscheinungen über
die Erscheinungen, innen und aussen wacht er bei den Erschei-
nungen über die Erscheinungen. Er betrachtet wie die Er-
scheinungen entstehen, er betrachtet wie die Erscheinungen
vergehen, er betrachtet wie die Erscheinungen entstehen und
vergehen. ,Die Erscheinungen sind da:' diese Einsicht wird
nun seine Stütze, eben weil sie zur Erkenntnis, zur Besinnung
dient, — und unabhängig lebt er und nichts in der Welt be-
gehrt er. Also, ihr Brüder, wacht ein Mönch bei den Erschei-
nungen über die Erscheinungen, über die fünf Hemmungen.
[Die fünf Elemente des Lebenstriebes (upädäna):]
Und ferner noch, ihr Brüder: Der Mönch wacht bei den Er-
scheinungen über das Erscheinen der fünf Elemente des
Lebenstriebes. Wie aber, ihr Brüder, wacht ein Mönch bei
au DER BUDDHIST. I. Jahrg.
den Erscheinungen über das Erscheinen der fünf Elemente des
Lebenstriebes?
Da sagt sich, ihr Brüder, der Mönch: ,So ist die Form,
so entsteht sie, so löst sie sich auf; so ist das Gefühl, so
entsteht es, so löst es sich auf; so ist die Wahrnehmung,
so entsteht sie, so löst sie sich auf; so sind die Unterschei-
dungen (sankhärä), so entstehen sie, so lösen sie sich auf;
so ist das Bewusstsein, so entsteht es, so löst es sich auf.'
So wacht er bei den inneren Erscheinungen über die Er-
scheinungen, so wacht er bei den äusseren Erscheinungen über
die Erscheinungen, innen und aussen wacht er bei den Er-
scheinungen über die Erscheinungen. Er betrachtet wie die
Erscheinungen entstehen, er betrachtet wie die Erscheinungen
vergehen, er betrachtet wie die Erscheinungen entstehen und
vergehen. ,Die Erscheinungen sind da:' diese Einsicht wird
nun seine Stütze, eben weil sie zur Erkenntnis, zur Besinnung
dient, — und unabhängig lebt er und nichts in der Welt be-
gehrt er. Also, ihr Brüder, wacht ein Mönch bei den Erschei-
nungen über die Erscheinungen, über die fünf Elemente
des Lebenstriebes.
[Die sechs subjektiv - objektiven Sinnesorgane:]
Und ferner noch, ihr Brüder: Der Mönch wacht bei den Er-
scheinungen über das Erscheinen der sechs subjektiv-ob-
jektiven Sinnesorgane. Wie aber, ihr Brüder, wacht ein Mönch
bei den Erscheinungen über das Erscheinen der sechs subjek-
tiv-objektiven Sinnesorgane?
Da kennt, ihr Brüder, ein Mönch das Auge und kennt die
Formen und die Verbindung, die sich aus beiden ergibt, auch
diese kennt er. Er erkennt, wenn die Verbindung eben erst
erfolgt, erkennt, wenn die erfolgte Verbindung aufgehoben wird,
und erkennt, wenn die aufgehobene Verbindung künftig nicht
mehr erscheint. — Er kennt das Ohr und kennt die Töne und
die Verbindung, die sich aus beiden ergibt, auch diese kennt
er. Er erkennt, wenn die Verbindung eben erst erfolgt, erkennt,
wenn die erfolgte Verbindung aufgehoben wird, und erkennt,
wenn die aufgehobene Verbindung künftig nicht mehr erscheint.
— Er kennt die Nase und kennt die Düfte und die Verbindung,
die sich aus beiden ergibt, auch diese kennt er. Er erkennt,
wenn die Verbindung eben erst erfolgt, erkennt, wenn die er-
folgte Verbindung aufgehoben wird, und erkennt, wenn die
aufgehobene Verbindung künftig nicht mehr erscheint. — Er
kennt die Zunge und kennt die Säfte und die Verbindung, die
sich aus beiden ergibt, auch diese kennt er. Er erkennt, wenn
die Verbindung eben erst erfolgt, erkennt, wenn die erfolgte
Verbindung aufgehoben wird, und erkennt, wenn die aufge-
No. 12. DER BUDDHIST. 'JOS
hobene Verbindung künftig nicht mehr erscheint. — Er kennt
den Leib und kennt die Tastungen und die Verbindung, die
sich aus beiden ergibt, auch diese kennt er. Er erkennt, wenn
die Verbindung eben erst erfolgt, erkennt, wenn die erfolgte
Verbindung aufgehoben wird, und erkennt, wenn die aufge-
hobene Verbindung künftig nicht mehr erscheint. — Er
kennt das Denken und kennt die Dinge (Vorstellungen) und
die Verbindung, die sich aus beiden ergibt, auch diese kennt
er. Er erkennt, wenn die Verbindung eben erst erfolgt, erkennt,
wenn die erfolgte Verbindung aufgehoben wird, und erkennt,
wenn die aufgehobene Verbindung künftig nicht mehr er-
scheint. —
So wacht er bei den inneren Erscheinungen über die Er-
scheinungen, so wacht er bei den äusseren Erscheinungen
über die Erscheinungen, innen und aussen wacht er bei den
Erscheinungen über die Erscheinungen. Er betrachtet wie die
Erscheinungen entstehen, er betrachtet wie die Erscheinungen
vergehen, er betrachtet wie die Erscheinungen entstehen und
vergehen. ,Die Erscheinungen sind da:' diese Einsicht wird
nun seine Stütze, eben weil sie zur Erkenntnis, zur Besinnung
dient, und unabhängig lebt er und nichts in der Welt begehrt
er. Also, ihr Brüder, wacht ein Mönch bei den Erscheinungen
über die Erscheinungen, über die sechs subjektiv-objek-
tiven Sinnesorgane.
[Die sieben zur Erleuchtung führenden Kräfte,
bojjhangä:] Und ferner noch, ihr Brüder: Der Mönch
wacht bei den Erscheinungen über das Erscheinen der sieben
zur Erleuchtung führenden Kräfte. Wie aber, ihr Brüder,
wacht ein Mönch bei den Erscheinungen über das Erscheinen
der sieben zur Erleuchtung führenden Kräfte?
[1. Einsicht:] Da gewahrt, ihr Brüder, ein Mönch, wenn
Einsicht in ihm wach ist, ,In mir ist Einsicht wach', und ge-
wahrt, wenn Einsicht nicht in ihm wach ist, ,In mir ist Ein-
sicht nicht wach'; er gewahrt, wenn Einsicht eben erst erwacht,
und gewahrt, wenn die erwachte Einsicht völlig aufgeht.
[2. Wahrheitserforschung:] Er gewahrt, wenn Intuition
in ihm wach ist, ,ln mir ist Intuition wach', und gewahrt, wenn
Intuition nicht in ihm wach ist, ,In mir ist Intuition nicht wach';
er gewahrt, wenn Intuition eben erst erwacht, und gewahrt,
wenn die erwachte Intuition völlig aufgeht.
[3. Kraft:] Er gewahrt, wenn Kraft in ihm wach ist, ,In
mir ist Kraft wach' und gewahrt, wenn Kraft nicht in ihm
wach ist, ,In mir ist Kraft nicht wach'; er gewahrt, wenn Kraft
eben erst erwacht, und gewahrt, wenn die erwachte Kraft
völlig aufgeht.
986 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
[4. Freudigkeit:] Er gewahrt, wenn Freudigkeit in ihm
wach ist, ,In mir ist Freudigkeit wach', und gewahrt, wenn
Freudigkeit nicht in ihm wach ist, ,ln mir ist Freudigkeit nicht
wach'; er gewahrt, wenn Freudigkeit eben erst erwacht, und
gewahrt, wenn die erwachte Freudigkeit völHg aufgeht.
[5. Ruhe:] Er gewahrt, wenn Ruhe in ihm wach ist, ,ln
mir ist Ruhe wach', und gewahrt, wenn Ruhe nicht in ihm
wach ist, ,In mir ist Ruhe nicht wach'; er gewahrt, wenn Ruhe
eben erst erwacht, und gewahrt, wenn die erwachte Ruhe
völlig aufgeht.
[6. Konzentration:] Er gewahrt, wenn Sammlung in ihm
wach ist, ,In mir ist Sammlung wach', und gewahrt, wenn
Sammlung nicht in ihm wach ist, ,In mir ist Sammlung nicht
wach'; er gewahrt, wenn Sammlung eben erst erwacht, und
gewahrt, wenn die erwachte Sammlung völlig aufgeht.
[7. Gleichmut:] Er gewahrt, wenn Gleichmut in ihm
wach ist, ,In mir ist Gleichmut wach', und gewahrt, wenn
Gleichmut nicht in ihm wach ist, ,In mir ist Gleichmut nicht
wach'; er gewahrt, wenn Gleichmut eben erst erwacht, und
gewahrt, wenn der erwachte Gleichmut völlig aufgeht.
So wacht er bei den inneren Erscheinungen über die Er-
scheinungen, so wacht er bei den äusseren Erscheinungen über
die Erscheinungen, innen und aussen wacht er bei den Er-
scheinungen über die Erscheinungen. Er betrachtet wie die
Erscheinungen entstehen, er betrachtet wie die Erscheinungen
vergehen, er betrachtet wie die Erscheinungen entstehen und
vergehen. ,Die Erscheinungen sind da:' diese Einsicht wird
nun seine Stütze, eben weil sie zur Erkenntnis, zur Besinnung
dient, und unabhängig lebt er, und nichts in der Welt begehrt
er. Also, ihr Brüder, wacht ein Mönch bei den Erscheinungen
über die Erscheinungen, über die sieben zur Erleuchtung
führenden Kräfte.
[Die vier heiligen Wahrheiten:] Und ferner noch, ihr
Brüder: Der Mönch wacht bei den Erscheinungen über das
Erscheinen der vier heiligen Wahrheiten. Wie aber, ihr
Brüder, wacht ein Mönch bei den Erscheinungen über das Er-
scheinen der vier heiligen Wahrheiten?
Da versteht, ihr Brüder, ein Mönch der Wahrheit gemäss:
.Dies ist das Leiden', versteht der Wahrheit gemäss: ,Dies ist
die Leidensentstehung', versteht der Wahrheit gemäss: ,Dies
ist die Leidensvernichtung', versteht der Wahrheit gemäss:
(Dies ist der zur Leidensvernichtung führende Pfad'.
So wacht er bei den inneren Erscheinungen über die Er-
scheinungen, so wacht er bei den äusseren Erscheinungen
über die Erscheinungen, innen und aussen wacht er bei den
No. 12. DER BUDDHIST. 367
Erscheinungen über die Erscheinungen. Er betrachtet wie die
Erscheinungen entstehen, er betrachtet wie die Erscheinungen
vergehen, er betrachtet wie die Erscheinungen entstehen und
vergehen. ,Die Erscheinungen sind da:' diese Einsicht wird
nun seine Stütze, eben weil sie zur Ericenntnis, zur Besinnung
dient, und unabhängig lebt er, und nichts in der Weit begehrt
er. Also, ihr Brüder, wacht ein Mönch bei den Erscheinungen
über die Erscheinungen, über die vier heiligen Wahr-
heiten.
Der gerade Weg, ihr Brüder, der zur Läuterung der Wesen,
zur Überwältigung des Schmerzes und Jammers, zur Zerstörung
des Leidens und Kummers, zur Gewinnung des Wissens, zur
Verwirklichung des Nibbäna führt, das sind die »vier Pfeiler
der Einsicht«. (Majjhima Nikäya, Satipatthänasutta.)
Gleichwie nun, ihr Brüder, der Elefantenbändiger einen
grossen Pfahl in die Erde eingräbt und den wilden Elefanten
mit dem Halse daran fesselt, um ihm sein waldgewohntes Be-
tragen eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Sehn-
sucht eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Wider-
spenstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben, und
ihn in der Umgebung des Dorfes heimisch werden und Sitten
annehmen lässt, wie sie bei Menschen beliebt sind: — Ebenso
nun auch, ihr Brüder, hat der heilige Jünger sein Gemüt an
diese »vier Pfeiler der Einsicht« gleichsam festgebunden, um
sich das weltgewohnte Betragen eben auszutreiben, um sich
die weltgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um sich die
weltgewohnte Widerspenstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben
auszutreiben, um das Echte zu gewinnen, um das Nibbäna zu
verwirklichen. (Majjhima Nikäya 125.)
Achte Stufe: Sammäsamädhi, rechte Vertiefung/)
Was ist nun, ihr Brüder, rechte Vertiefung?
Da sucht, ihr Brüder, der Mönch einen abgelegenen Ruhe-
platz auf, den Fuss eines Baumes im Walde, eine Felsengrotte,
eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte oder ein
Streulager in der offenen Ebene. Nach dem Male, wenn er
vom Almosengange zurückgekehrt ist, setzt er sich mit ge-
kreuzten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und
pflegt der Einsicht.
(Frei-sein von den fünf Hemmungen:] Er hat Lust-
begierde verworfen und verweilt begierdelosen Gemütes, von
') Andere Übersetzungen sind: Rechte Versenkung, rechtes Sich-
versenken, rechte Meditation, rechter Zustand eines reinen Geistes.
366 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Begierde läutert er sein Herz. — Gellässigkeit hat er verworfen,
hasslosen Gemütes verweilt er, voll Liebe und Mitleid zu allen
lebenden Wesen läutert er sein Herz von Gehässigkeit. —
Matte Schlaffheit hat er verworfen, von matter Schlaffheit ist
er frei; das Licht liebend, einsichtig, klar bewusst, läutert er
sein Herz von matter Schlaffheit. — Stolzes, mürrisches Wesen
hat er verworfen, er ist frei von Stolz; innig beruhigten Gemütes
läutert er sein Herz von stolzem, mürrischem Wesen. — Das
Schwanken hat er verworfen, der Ungewissheit ist er entronnen;
er zweifelt nicht am Guten, vom Schwanken läutert er sein
Herz. —
[Die vier Jhänä (Schauungen, Vertiefungen):] Er
hat nun diese fünf Hemmungen aufgehoben, hat die Schlacken
des Gemütes, die lähmenden kennen gelernt. Den Begierden
erstorben, dem Schlechten entronnen, lebt er in sinnend geden-
kender, ruhegeborener, seliger Heiterkeit in der Weihe der
ersten Schauung.
Und ferner noch, ihr Brüder: Nach Vollendung des Sinnens
und Gedenkens, erwirkt der Mönch die innere Meeresstille, die
Einheit des Gemütes, die von Sinnen und Gedenken los-
gelöste, in der Selbstvertiefung geborene selige Heiterkeit der
zweiten Schauung.
Und ferner noch, ihr Brüder: In heiterer Ruhe verweilt
der Mönch gleichmütig, einsichtig, klar bewusst; jenes Glück
empfindet er in seinem Körper, von dem die Heiligen sagen:
,Der gleichmütig-Einsichtige lebt beglückt'; so erwirkt er die
Weihe der dritten Schauung.
Und ferner noch, ihr Brüder: Nach Verwerfung der Freuden
und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und
Trübsinns bewirkt der Mönch die Weihe der vierten Schau-
ung. (Majjhima Nikäya.)
Solchen Gemütes, innig geläutert, gesäubert, gediegen,
schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar,
richtet er den Geist auf die Erkenntnis der Wahnversiegung.
,Dies ist das Leiden' versteht er der Wahrheit gemäss. ,Dies
ist die Leidensentstehung' versteht er der Wahrheit gemäss.
,Dies ist die Leidensvernichtung' versteht er der Wahrheit ge-
mäss. ,Dies ist der zur Leidensvernichtung führende Pfad'
versteht er der Wahrheit gemäss. (Majjhima Nikäya 39.)
Erblickt er nun mit dem Gesichte eine Form, so verfolgt
er nicht die angenehmen Formen und verabscheut nicht die
unangenehmen, gewärtig des Wesens der Körperlichkeit ver-
weilt er unbeschränkten Gemütes und gedenkt der Wahrheit
gemäss, jener Gemüterlösung, Weisheiterlösung, wo seine
schlechten, bösen Eigenschaften sich restlos auflösen. So hat
No. 12. DER BUDDHIST. 30B
er sich von Befriedigt-sein und Nicht-befriedigt-sein losgelöst,
und was für ein Gefühl er auch fühlt, ein freudiges oder lei-
diges oder weder freudiges noch leidiges, dieses Gefühl hegt
er nicht und pflegt er nicht und klammert sich nicht daran.
Während er das Gefühl nicht hegt und nicht pflegt und sich
nicht daran klammert.Möst jenes Genügehaben bei den Gefühlen
sich auf. Durch die Auflösung jenes Genügens wird das
Haften am Dasein aufgelöst, durch die Auflösung des Haftens
am Dasein der Daseinsprozess, durch die Auflösung des Da-
seinsprozesses die Neu-Individuation, durch die Aufhebung der
Neu-lndividuationi.werden Altern.und Sterben, Wehe, Jammer,
Leiden, Gram und Verzweiflung aufgelöst: also kommt die
Auflösung dieser ganzen Leidensverkettung zustande.
Hört er nun mit dem Gehöre einen Ton, — riecht er nun
mit dem Gerüche einen Duft, — schmeckt er nun mit dem
Geschmacke einen Saft, — tastet er nun mit dem Körper [als
Tastorgan] eine Tastung, — stellt er nun mit den Gedanken
sich ein Ding vor, so verfolgt er nicht die angenehmen Dinge
und verabscheut, nicht die unangenehmen, gewärtig des Wesens
der Körperlichkeit verweilt er unbeschränkten Gemütes und
gedenkt, der Wahrheit gemäss, jener Gemüterlösung, Weisheit-
eriösung, wo seine schlechten, bösen Eigenschaften sich rest-
los auflösen. So hat er sich von Befriedigt-sein und Nicht-
befriedigt-sein losgelöst, und was für ein Gefühl er auch fühlt,
ein freudiges oder leidiges, oder weder freudiges noch leidiges,
dieses Gefühl hegt er nicht und pflegt er nicht und klammert
sich nicht daran. Während er das Gefühl nicht hegt und nicht
pflegt und sich nicht daran klammert, löst jenes Genügehaben
bei den Gefühlen sich auf. Durch die Auflösung jenes Ge-
nügens wird das Haften am Dasein aufgelöst, durch die Auf-
lösung des Haftens am Dasein der Daseinsprozess, durch die
Auflösung des Daseinsprozesses die Neu-Individuation, durch
die Auflösung der Neu-Individuation werden Altern und Ster-
ben, Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung aufgelöst:
also kommt die Auflösung dieser ganzen Leidensverkettung
zustande. (Majjhima Nikäya 38.)
Das ist ja, ihr Brüder, die höchste, heilige Weisheit, näm-
lich alles Leiden versiegt wissen. Der hat eine Freiheit ge-
funden, die wahrhaft besteht, unantastbar.
Das ist ja, ihr Brüder, die höchste, heilige Wahrheit, näm-
lich was echt ist, das Nibbäna.
Das ist ja, ihr Brüder, die höchste, heilige Entsagung,
nämlich aller Anhaftungen sich entäussern.
Das ist ja, ihr Brüder, die höchste, heilige Beruhigung,
nämlich Begierde, Hass und Wahn aufgelöst haben.
24
370 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
,Ich bin', ihr Brüder, ist ein Wälinen; ,ich bin niclit' ist
ein Wähnen; ,ich werde sein' ist ein Wähnen; ,ich werde nicht
sein' ist ein Wähnen; ,gestaltet werde ich sein' ist ein
Wähnen; ,formlos werde ich sein' ist ein Wähnen; ,be-
wusst werde ich sein' ist ein Wähnen; ,unbewiisst werde
ich sein' ist ein Wähnen ; ,weder bewusst noch iinbewusst
werde ich sein' ist ein Wähnen. Wähnen, ihr Brüder, ist icrani<
sein, wähnen ist weh sein: ist aber, ihr Brüder, alles Wähnen
überstanden, so wird man »Stiller Denker« genannt. Und
der Denker nun, ihr Brüder, der stille, entsteht nicht, vergeht
nicht, erstirbt nicht, erbebt nicht, begehrt nicht. Das eben, ihr
Brüder, gibt's nicht bei ihm, dass er entstände; weil er nicht
entsteht, wie sollte er vergehen? Weil er nicht vergeht, wie
sollte er ersterben? Weil er nicht erstirbt, wie sollte er er-
beben? Weil er nicht erbebt, wie sollte er begehren? (Maj-
jhima Nikäya 140.)
So ist, ihr Brüder, der Gewinn des Arahätums nicht
Almosen, nicht Ehre, nicht Ruhm, nicht Ordenstugend, nicht
Glück der Selbstvertiefung, nicht Wissensklarheit. Jene uner-
schütterliche Gemüterlösung aber wahrlich, ihr Brü-
der, das ist der Zweck, das ist das Arahätum, das
ist der Kern, das ist das Ziel. (Majjhima Nikäya 30.)
Und die da früher, ihr Brüder, in vergangenen Zeiten
Heilige, vollkommen Erwachte (sambuddhä) waren, auch diese
haben eben so richtig ein solches Ziel den Jüngern gewiesen,
gleichwie da jetzt von mir die Jünger rjchtig gewiesen sind.
Und die da später, ihr Brüder, in künftigen Zeiten Heilige,
vollkommen Erwachte sein werden, auch diese Erhabenen
werden ebenso richtig ein solches Ziel den Jüngern weisen,
gleichwie da jetzt von mir die Jünger richtig gewiesen sind.
(Majjhima Nikäya 51.)
Wahrlich, ihr Brüder, was ein Meister den Jüngern aus
Liebe und Teilnahme, von Mitleid bewogen, schuldet, das habt
ihr von mir empfangen. Da laden Bäume ein und dort leere
Klausen. Wirket Schauung, ihr Brüder, auf dass ihr nicht lässig
werdet, später nicht Reue empfindet: Das haltet als unser
Gebot! (Majjhima Nikäya 106.)
Alle Dinge sind vergänglich: Wirket eure Erlösung ohn'
Unterlass! (Mahäparinibbänasutta.)
Alle Gaben überwältigt Wahrheitsgabc, alle Würzen über-
wältigt Wahrheitswürze, alle Wonnen überwältigt Wahrheits-
wonne, der Gier Erlöschen überwältigt alle Leiden.
No. 12. DER BUDDHIST. 371
Das Missions-Problem.
Von Dr. Paul Carus.
(Schluss.)
Der Grund, weshalb im allgemeinen die heutigen christ-
lichen Missionen als ein beklagenswerter Missgriff bezeichnet
werden müssen, liegt hauptsächlich in der Überhebung, mit
welcher die Religion Christi den „Heiden" aufgedrungen wird.
Die Christen beschäftigen sich so intensiv mit der Demut
Christi, dass sie des Übermutes nicht gewahr werden, der sie
selbst auszeichnet. Da ist z. B. ein Missions-Hymnus,
dessen melodische Verse häufig in christlichen Kirchen Eng-
lands und Amerikas gesungen werden. Die Verse sind an sich
schön, aber leider sind sie durch den Ausdruck einer unver-
hüllten Verachtung gegen die „Heiden" verdorben worden, und
doch scheint kein einziger Missionar dies zu merken. Die
erste Strophe ist erhaben und voll von Begeisterung; sie lautet
in deutscher Übersetzung:
„Von Grönlands eisigen Höhen,
Von Indiens Korallen-Strand,
Wo Libyens sonnige Quellen
Fortrollen ihren gold'nen Sand;
Von manchem alten Strome,
Von manchem Palmen-Land
Fleht man uns an, zu lösen
Das Volk von Irrtums Band."
Das ist wirkliche Poesie und Begeisterung; aber das Ge-
dicht fährt nun fort:
„Weh'n auch ambrosische Lüfte
Durch Ceylons Palmen-Hain,
In aller Pracht und Schönheit
Ist schlecht der Mensch allein.
Umsonst hat hier die Liebe
Des Herrn die Gaben gesät:
Der Heide in geistiger Blindheit
Zu Holz und Steinen fleht."
Das singhalesische Volk ist weder schlecht noch heid-
nisch; es ist eine der edelsten Rassen, und seine Religion ist
Buddhismus. Die Verehrung der Singhalesen besteht in Blumen-
Opfern auf den Altären des Buddha; aber selbst der un-
wissendste Bewohner Ceylons weiss ganz genau und ist stets
der Tatsache eingedenk, dass eine Buddha-Statue keineswegs
Buddha selbst ist. Protestanten erheben häufig gegen die
Katholiken denselben Vorwurf, indem sie zwischen Gebräuchen,
die scheinbar wie Idolatrie aussehen, und Götzendienst keinen
Unterschied machen.
24*
2(12 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Wie würden es die Christen aufnehmen, wenn die Bud-
dhisten ihre Missionare in unsere Länder schicl<ten und diese
dann Lieder solchen Inhalts hier singen würden?! Es ist
zweifellos, dass Missions-Lipder, welche die Bewohner von
Ceylon als schlecht und verkommen darstellen, nichts dazu
beitragen, die letzteren für das Christentum einzunehmen. Der
oben zitierte Hymnus fährt fort:
„Können wir, deren Seelen durch Weisheit
Aus der Höhe erleuchtet sind, —
Können wir denen, die in Finsternis wohnen.
Das Licht des Lebens verweigern?"
Der Dichter beabsichtigt, das „Licht aus der Höhe" zu
preisen, aber er preist in Wirklichkeit nur sich selbst als einen
von jenen, deren „Seelen durch Weisheit aus der Höhe er-
leuchtet sind", — und das ist sehr zweierlei. Sein edler Eifer
für die Ausbreitung der Wahrheit entpuppt sich als eine phari-
säische Selbstüberhebung und kann bei denen nur Anstoss
erregen, die er zu bekehren wünscht. So ist es ganz natürlich
und leicht begreiflich, dass, wenn christliche Missionare von
Liebe sprechen, Buddhisten sie der Überhebung und Selbst-
gerechtigkeit beschuldigen.
Die Missionare beleidigen nicht nur die „Heiden" un-
nötigerweise dadurch, dass sie eine Verachtung für ihre Per-
son, Religion und Nationalität an den Tag legen, — nein, sie
verlangen von ihren Konvertiten so'gar ein Aufgeben von
Sitten und Gewohnheiten, welche sie unmöglich aufgeben
können, ohne sich selbst dadurch von ihren Traditionen los-
zureissen, und diese letzteren sind ihnen natürlich sehr teuer.
Wenn ein Chinese Christ wird, sollte es für ihn ebensowenig
notwendig sein, dass er sich von den edlen Überlieferungen
seines Volkes losmacht, als es für einen getauften. Juden er-
forderlich ist, seine Volksgenossen als von Gott Ausgestossene
zu betrachten. Mögen doch die Juden-Christen ruhig fortfahren,
den Genuss von Schweinefleisch zu meiden, und indische
Vegetarier, die Christen geworden sind, mögen auch nach
ihrem Übertritt Vegetarier bleiben.
In der russischen Kirche ist es Gebrauch, dass Konvertiten
den Glauben verfluchen müssen, dem sie früher anhingen, und
wir wissen, dass die jetzige Kaiserin diejenige übergetretene
Person gewesen ist, bei welcher von dieser barbarischen Sitte
zum ersten Male Abstand genommen wurde. Es war ihr er-
laubt, griechisch-katholisch zu werden, ohne das lutherische
Bekenntnis, in dem sie erzogen war, verfluchen zu müssen.
Es gibt in China gewisse Gebräuche, welche als der Aus-
druck für die Heiligkeit der Familien-Traditionen betrachtet
No. 12. DER BUDDHIST. ab
werden müssen, und man verlangt von einem Konvertiten,
dass er diese Gebräuche aufgebe. In einem » The Dragon,
Image and Demon« betiteltem Buche über China macht der
Rev. Hampten C. Du Böse manche wertvollen Angaben; leider
ist dieses Buch in einem überaus engherzigen Geist gehalten.
Du Böse mag es ganz ehrlich meinen, aber er ist ein Sek-
tierer, ein christlicher Heide, welcher glaubt, dass nur die
Einrichtungen seiner Sekte, Kirche oder Nation die Erlösung
gewährleisten. Sein Werk ist ein Beispiel für den schlechten
Geist, der in weiten Kreisen der christlichen Mission herrscht.
Es ist nicht frei von Verdrehungen und Entstellungen und
entbehrt jeder Achtung und Anerkennung gegenüber dem
Schaffen grosser Männer, welche einem anderen Glauben
und einer anderen Rasse angehören.
Du Böse nennt Buddha „die Nacht Asiens", gerade als ob
Asien ohne den Buddhismus besser geworden wäre. Für Aus-
wüchse des Aberglaubens innerhalb des Buddhismus bei dem
ungebildeten Volk, deren Vorhandensein jeder Buddhist ohne
weiteres zugeben wird, kann doch der Buddha ebensowenig
verantwortlich gemacht werden, wie Christus für die christlichen
Kreuzzüge, die Verfolgungen und Ketzerhinrichtungen ver-
antwortlich ist, Verirrungen, mit welchen einst das gesamte
Christentum durchtränkt war.
Die christlichen Missionare sollten geneigt sein, alles das,
was an dem chinesischen Volkscharakter gut ist, zu erhalten.
Sie dürfen nicht erbarmungslos jene für die Chinesen charak-
teristischen Züge ausrotten wollen. Wenn die Missionare
keinen modus vivendi für die Konvertiten finden können,
auf Grund dessen dieselben ihre heiligen Familienbeziehungen
aufrecht erhalten, sowie ihre Vorfahren auch weiterhin in
Ehren halten können, — dann müssen wir der chinesischen
Regierung Recht geben, wenn sie die christlichen Missionare
als eine Landplage betrachtet. Wir haben alle Hochachtung
vor jenem Sachsen-Häuptling, welcher, als er vernahm, dass
alle seine Vorfahren in der Hölle seien, vom Taufbecken
davonlief und es vorzog, mit seinen Vätern die ewige Ver-
dammnis zu teilen, anstatt die Seligkeit des Christen-Himmels
in der Gessellschaft christlicher Priester zu geniessen.
Das Missions-Werk ist auf einen höheren Standpunkt
emporzuheben; es sollte in einer Gesinnung brüderlicher
Liebe, und nicht in dem Geiste pharisäischer Selbstüberhe-
bung ausgeführt werden. Die Regeln, welche in dieser Rich-
tung von allen beobachtet werden sollten, hat Rev. George
T. CandUn, ein in Tien-tsin (China) wirkender christlicher
Missionar, welcher auf dem Religions-Parlament persönlich
314 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
und freundschaftlich mit den buddhistischen und itonfuzi-
anischen Delegierten aus Ost-Asien verkehrte, in schöner,
klarer Weise auseinander gesetzt. Er schreibt:
„Wir müssen den Anfang damit machen, dass einer dem
anderen von uns für seine guten Absichten Dank weiss. Ich
sehe nicht ein, aus welchem Grunde wir, die wir hier ver-
sammelt sind, — die vielen hervorragenden Vertreter des
Christentums und die Repräsentanten anderer Religionen, die
jetzt hier in Chicago weilen, wie die Herren Mozoomdar,
Dharmapäla, Vivekänanda, Ghandi, Pimg, ferner die buddhi-
stischen Delegierten aus Japan und die Hohenpriester des
Shintoismus, — ich sehe nicht ein, sage ich, warum wir
alle uns gegenseitig nicht fest auf folgende Punkte verpflich-
ten sollten:
1. Niemals persönlich geringschätzend über die religiöse
Überzeugung emes anderen zu sprechen. Diesen Punkt
möchte ich so verstanden wissen, dass derselbe keineswegs
die freundliche, objektive Diskussion über die vorhandenen
Verschiedenheiten, sowie das freie Bekenntnis der eigenen
Überzeugung ausschliesse.
2. Offiziell unter den eigenen Religionsgenossen mit
allen zu Gebote stehenden Mitteln, durch mündliche Beleh-
rung, durch die Person und durch jede sich bietende gün-
stige Gelegenheit denselben Geist brüderlichen Wohlwollens
und anerkennender Achtung hinsichtlich des religiösen Den-
kens anderer zu verbreiten.
3. Die religiösen Führer mögen ihren ganzen Einfluss
aufbieten, um die Volksmassen von der Ausübung solcher
Praktiken und Zeremonien abzubringen, welche mit dem
Wesen der betreffenden Religion nichts zu tun haben; die-
selben sind der Reinheit der Lehre schädlich und verhindern
ein gemeinsames Wirken.
4. Alle diejenigen Mittel zu begünstigen und anzuwenden,
welche unter den Menschen desselben Bekenntnisses und
derselben Nationalität Reform, Fortschritt, Einsicht, politische
Freiheit und sozialen Aufschwung zu fördern geeignet sind.
5. Es als einen Teil der heiligsten Aufgaben hier auf Erden
zu betrachten, alle Menschen von Fähigkeit und Einfluss, mit
denen man in Berührung kommt, für dieselbe hohe Sache
zu werben.
Alle diese Punkte kann ich von ganzem Herzen unter-
schreiben. Ich sehe nicht ein, warum es andere nicht können
sollten." —
No. 12. DER BUDDHIST. 375
Die
Transmigration oder Wiedergeburt.
Von Bhikkhu Änanda Maitriya.
(Schluss.)
Der Beweis auf Grund des moralischen Gesetzes ist
eine Art argumentum ad hominem und nur für diejenigen
zwingend, weiche an das Vorhandensein einer moralischen
Weltordnung glauben. Dieses Argument kann so formuliert
werden: Allein hier in unserem menschlichen Leben sehen
wir, dass IVIänner und Frauen in allen Arten möglicher Bedin-
gungen, in den verschiedensten Umgebungen, mit den denk-
bar abweichendsten Möglichkeiten nach der guten oder bösen
Seite hin geboren werden, und es erhebt sich natürlich die
Frage, auf welche vorhergehende Ursache kann die Verschie-
denheit dieser Bedingungen zurückgeführt werden? Die
Antwort an der Hand dieses Argumentes ist folgende: Wenn
es ein moralisches Gesetz im Universum gibt, so sind auch,
da wir wissen, dass keine Wirkung ohne eine Ursache erzeugt
wird, jene Unterschiede in den mannigfaltigen, bald mehr,
bald weniger glücklichen Lebenslagen die Frucht einer be-
stimmten mentalen Beschaffenheit in der Vergangenheit, d.i.
in einem vergangenen Dasein; und wenn man diesen Gedanken
in einer mit den menschlichen Ideen von Gerechtigkeit usw.
harmonierenden Weise zum Ausdruck bringen will, so muss man
sagen, dass hier die Transmigrations-Theorie (oder in
gleicher Weise die hinduistische Reinkarnations-Idee) als die
einzige haltbare Hypothese sich bietet. Denn wenn ein
Mensch jetzt leidet, so geschieht dies nach der genannten
Theorie aus dem Grunde, weil er in vergangenen Leben
Böses getan hat, und umgekehrt; auf diese Weise werden die
augenscheinlichen Ungerechtigkeiten im Leben beiseite ge-
schafft. Wir sehen tatsächlich, wie dieses moralische Gesetz
in den menschlichen Leben wirkt; wie gewisse Arten von
schlechten Taten unweigerlich bestimmte Strafen in Form
von Leiden nach sich ziehen, und es ist nicht schwer den
buddhistischen Standpunkt zu verstehen, dass ein Mensch,
welcher augenscheinlich unversehrt durchs Leben geht,
376 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
obwohl er sein eigenes Gemüt durch seine Missetaten be-
schädigt hat, ganz gewiss in späteren Leben für das Böse,
das- er in dieser Erscheinungsform begangen hat, leiden
wird; denn es ist allein sein Geist, welcher die Kräfte in Be-
wegung setzt, die sein zukünftiges Leben aufbauen werden.
Die Schwierigkeit, ein ^moralisches Gesetz<< anzuerkennen,
(welche für viele besteht), — denn alle Gesetze, die wir
kennen, können in ihrer Wirkung ebenso „gut" wie „schlecht"
sein, — diese Schwierigkeit kann am ehesten beseitigt werden,
wenn die Ansicht sich durchringt, dass ein Mensch durch
»schlechtes Handeln« seinen eigenen Geist schädigt; und
Moralität wird dann als eine Art y Wissenschaft der geistigen
Hygiene« eine höhere Stelle einnehmen, als ihr eine blosse
Gefühlsschwärmerei jemals zu geben vermag. —
Was das mit der Vererbung in Zusammenhang
stehende Argument anbetrifft, so wissen wir, dass gewisse
Tatsachen der Lebenserscheinu^gen durch Zuhilfenahme des
blossen Vererbungs-Gedankens nur sehr unvollkommen erklärt
werden können. Wenn die Vererbung ein absolut gültiges Ge-
setz wäre, dann müssten alle Kinder derselben Eltern — zum
mindesten alle Zwillinge — genau dieselben mentalen Fähig-
keiten aufweisen. Wir wissen, dass dies letztere nicht der
Fall ist, dass vielmehr alle Kinder als Individuen verschieden
sind, und der Buddhist erklärt diese Tatsache dadurch, dass
er sagt: Die Vererbung hat nur einen relativ kleinen Anteil,
und jedes Kind hat tatsächlich als Fundament seines Charak-
ters das Kamma seiner eigenen vergangenen Lebensläufe,
und die Vererbung eines Menschen wirkt nur insofern mit, als
sein eigenes Kamma mit derselben übereinstimmt (durch den
Prozess einer bestimmten „Absorption", wie wir oben durch
eine physikalische Analogie erläutert haban). A'\:j3S3hen von
den Fällen einfacher Va'-iationen ist die Vererbungs-Tneorie
gänzlich ungenügend, um die bemirkenswarten Baispiele
des sporadisch erscheinenden Genies zu erklären, welche
gelegentlich ba^egnen; ferner manche von unwissenden Eltern
gezeugte Kinder, welche schon in ihrer frühesten Kindheit
die baachtenswertesten Anlagan zeigen, wie ein ausgezeich-
netes Gedächtnis, hohe Bagabung für Mithemjtik, Misik und
No. 12. DER BUDDHIST. 377
andere Zweige der Kunst und Wissenschaft. Die Trans-
migrations-Theorie, — und diese Theorie allein, — kann alle
diese Phänomene richtig verständlich machen. Es ist keine
genügende Erklärung, wenn man dieselben als zufällige
Variationen betrachten will; denn es kann kein solches Ding
wie Zufall geben, und was wir mit diesem Namen bezeich-
nen, ist nur ein Deckmantel für unsere Unwissenheit hin-
sichtlich irgend eines unbekannten Gesetzes. Das Gesetz,
welches die aus der Vererbung nicht ableitbaren Verschieden-
heiten erklären will, ist das Transmigrations-Gesetz. —
Wir kommen nunmehr zu dem letzten Beweise, dem
Argument aus den Lebensstatistiken ; ich kann indessen hier
nur die allerwichtigsten Umrisse dieses Argumentes zeichnen
und muss die zu behandelnden Tatsachen für eine später
zu erledigende besondere Abhandlung aufsparen; denn der
Gegenstand ist von ganz besonderer Wichtigkeit. Es handelt
sich in kurzen Worten um folgendes: bei zivilisierten Rassen
findet sich weniger die Tendenz zu Individualitäts-Extremen*)
als bei halb-zivilisierten, und wir können es als ausgemacht
nehmen, dass manche charakteristische geistige Eigentümlich-
keiten, z. B. die eines Londoners, den meisten Londonern
gemeinsam sind, dagegen von denjenigen eines — sagen wir
— Parisers abweichen. Unter Hinweis auf solche ausge-
sprochenen Eigentümlichkeiten können wir vom Standpunkt
der Wiedergeburts-Idee natürlich erwarten, dass der sterbende
Londoner die Tendenz haben wird als ein Londoner wieder-
geboren zu werden, und nicht als ein Pariser. Wenn nun aber
die Mehrzahl der sterbenden Londoner eine Wiedergeburt in
London erwirkt, dann werden wir, wenn wir die normale Bewe-
gung der Londoner Bevölkerung abwägen, erwarten dürfen, dass
irgend eine Schwankung in der Zahl der Todesfälle
innerhalb der Einwohner Londons von einer ähn-
lichen Schwankung in der Anzahl der Geburten be-
gleitet sein muss. Und das ist, wie ich in einem späteren
Aufsatze für die verschiedensten Städte und Länder zeigen
werde, eine fast unveränderliche Regel. Die durchschnittlichen
Verschiedenheiten (Fallen und Steigen) in den Londoner Ge-
burts- und Sterbe-Listen sind gleichzeitig, — eine Tatsache,
welche nur durch die Transmigrations-Theorie erklärt werden
kann; denn man kann unmöglich annehmen, dass die Be-
dingungen, welche eine Steigung der Todesziffer verursachen,
auch eine Erhöhung der Geburtszahlen hervorrufen sollten.
') Im Original : „In civilised -aces there is less tendency to extremes
of individuality "
378 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
Dieser gleichmässlge Ausgleich ist besonders auffallend bei
dem Eintreten von Katastrophen, durch welche die Zahl der
Todesfälle ungewöhnlich gesteigert wird. Als der schwarze
Tod die Bewohner Europas dahinraffte, war überall eine ab-
norme Zunahme der Geburten zu konstatieren, und die Ge-
burt von Zwillingen, ja von Drillingen war durchaus nichts
Aussergewöhnliches. Dasselbe ist bei Kriegen zu beobachten.
Bei dem deutsch-französischen Kriege 1870 war die franzö-
sische Sterblichkeits-Ziffer weit über dem normalen Stande,
und es stellte sich sofort ein plötzliches Steigen in der Anzahl
der Geburten ein, und das Merkwürdigste dabei war, dass
die männlichen Geburten die weiblichen numerisch stark
übertrafen, — eine Tatsache, welche die Transmigrations-
Theorie genau bestätigt, und welche eben nur durch diese
Theorie erklärt werden kann. Es sind nur Männer, welche
in einem Kriege der Jetztzeit getötet werden, und nach bud-
dhistischer Anschauung gehören die in einer Schlacht Getö-
teten zu denjenigen Menschen, welche als Männer und nicht
als Frauen wiedergeboren werden. - Viele andere ähnliche
Beispiele muss ich für eine andere Gelegenheit aufheben;
es mag hier genügen, wenn ich sage: Es ist eine allgemeine
Regel, dass zwischen den Sterbe- und Geburtsziffern ein
ganz bestimmtes Verhältnis besteht, und diese merkwürdige
feststehende Beziehung kann nach unserer Ansicht nur durch
die buddhistische Transmigrations-Theorie erklärt werden. —
Wir haben nun einen allgemeinen Überblick über alles
das gegeben, was Buddhisten unter dem Namen » Transml-
grationi- oder ^Wiedergeburt« zu bezeichnen pflegen, und es
bleibt nur noch übrig zu betrachten, worauf diese bud-
dhistische Theorie in Wirklichkeit hinausläuft. Der
erste Stein, an dem sich ein abendländischer Leser wahr-
scheinlich stossen wird, ist der Umstand, dass hier von einer
Rersönlichen Unsterblichkeit überhaupt keine Rede ist.
ach buddhistischer Anschauung sind wir unsterb-
lich nur insofern, als wir ein Teil der Kräfte in dem
unermesslichen Ozean des Daseins sind. Alles Leben
ist in Wahrheit ein einziges, und das, was heute unser
Nichtwissen als das »Ich« bezeichnet, war gestern die Kraft,
welche in einem untergegangenen Gestirn aufflammte, und
wird morgen weitereilen ins Meer der Ewigkeit, — wird hier
in ein neues Leben eintreten und dort in einem entfernten
fremden Geist die Gedanken erwecken, die einst die unseren
waren; und so wird das Leben gleich dem Licht von Stern
zu Stern aufleuchten, indem es bald hier erlischt, bald dort
wieder aufloht, solange als das Denken, — ja das Denken,
No. 12. DER BUDDHIST. 379
welches das Universum über uns in der Vorstellung aufbaute,
andauern wird. So ist in der buddhistischen Lebensanschau-
ung kein Platz für den Glauben an eine persönliche Unsterb-
lichkeit, — ,Abbhantare jivo nattht, — ,es gibt kein {persön-
liches) zukünftiges Weiterleben' ; — denn das, was wir
y>Leben« nennen, ist, wie wir sahen, nur eine leichte Kräuse-
lung auf der Oberfläche fdes Daseins-Meeres, — eine leichte
Kräuselung, welche gestern noch nicht war, und welche
morgen für immer dahin sein wird — — .
Und wenn jenen, die in einer anderen Geistesrichtung
erzogen sind, — wenn ihm, der die selbstsüchtige Chimäre
gehegt hat, dass die gesamte Welt ohne sein persön-
liches fortdauerndes Leben eitel sei, — wenn einem solchen
Menschen, sage ich, die Lehre des Meisters traurig und öde
erscheinen mag, so erscheint sie im Gegenteil dem
wahren Buddhisten als die feierliche Lehre von dem Ge-
heimnis des Lebens. Für ihn ist diese Transmigrations-
Doktrin gross, herzerhebend und die geheime Quelle alles
wahren Glückes. Demjenigen, der sich selbst als den Meister
der Ewigkeit erkennt, als den Bildner und Gestalter eines
neuen, grösseren Lebens in Zukunft, — was liegt ihm daran,
ob ein anderer die Früchte geniesst, solange er selbst das
Vorrecht hat, dieselben auszustreuen?!
So ist sein Hoffen und Streben frei von dem elenden,
selbstischen Traum einer persönlichen Unsterblichkeit, es ist
gerichtet, — nicht auf die Zukunft, sondern auf das Leben,
welches er lebt, auf das einzige Leben, über welches er in
Wahrheit eine Kontrolle besitzt, welches er grösser, reiner
und edler machen kann, als es von uralten, vergangenen
Leben auf ihn gekommen ist. In Liebe zu leben mit allem,
was lebt, ohne Lohn für morgen zu suchen oder zu gewinnen,
— sein Leben in eine Oase inmitten der Wüste selbstischen
Begehrens zu verwandeln, — immer, eben jetzt und hier,
nach wahrer Liebe, Weisheit und vollkommenem Frieden zu
streben, — dies ist für den Buddhisten das höchste Ideal,
der Ruhm seines Dhamma und die Hoffnung auf allen seinen
Wegen. Alles andere, — alles Denken an einen zukünftigen
Lohn für das Selbst ist nur Trug und Blendwerk. „Wie
etwas Reales und Wahres", sagt uns Buddhaghosa, „erhebt
sich in uns der Glaube ,Ich bin', ,ich war', ,ich werde sein'."
Und es ist alles Illusion, dem Tautropfen gleich, der sich
selbst für eine dauernde, getrennte Wesenheit hält, obwohl
die Wasserteilchen, die ihn zusammensetzen, gestern in des
Meeres Tiefen ruhten und mit dem Dämmerlichte sich erheben
und mit den wandernden Lüften verschmelzen werden. Aber
m DER BUDDHIST. I. Jahrg.
wenn auch dieses universale Leben ewig wechselnd, mit
Leid behaftet und ohne individuellen Wesenskern ist,
so gibt es doch, wie unsere Religion lehrt, ein Ende, ein
Aufhören. Das Denken ist der Schöpfer dieser Welten,
der Bildner dieses irdischen Tabernakels, der Erschaffer der
Täuschung. Wer nun den Sieg über die Gedanken gewinnt,
gelangt in diesem Leben zum unaussprechlichen Frieden,
»er ist der Sieger, welcher hier und jetzt über das Nicht-
wissen triumphiert, welcher alle Begierde, allen Mass, allen
Wahn überwunden und den Zustand erreicht hat, wohin das
Weh der Erde nicht mehr dringen kann. Derjenige besitzt
die Freude, welche höher ist als alle uns bekannten Freuden,
die Seligkeit des Erlöst-seins von der Eitelkeit dieses Lebens,
— welcher erkennt, dass die Wiedergeburten für ihn beendigt
und alle seine Mühen zum Abschluss gelangt sind, und dass,
wenn der Tod seinen Körper dahinrafft, keine Veränderung,
kein Leid, keine Täuschung mehr vorhanden sein werden,
wie der Meister einst gesprochen hat:
Verfall muss kommen über alle Dinge,
Vergänglich sind des Lebens Elemente,
Was erst entstand, eilt der Auflösung zu:
Des Wechsels Stillstand ist Glückseligkeit. —
mm
I I Die Macht des Karma. i i
Von Lafcadio Hearn. ')
Dieser Tage starb ein Priester unter sehr seltsamen Um-
ständen.
Er war der Priester eines altbuddhistischen Tempels in
einem Dorfe nahe von Osaka. (Man kann den Tempel von
der Kwan-Setsubahn sehen, wenn man nach Kyoto fährt.)
Er war jung und ausserordentlich schön. Allzuschön
für einen Priester, sagten die Frauen. Er sah wie eine jener
schönen Amida-Statuen aus, welche die grossen buddhistischen
Bildhauer der Vergangenheit geformt haben.
Die Männer seiner Gemeinde hielten ihn für einen reinen
und gelehrten Priester, und darin hatten sie recht. Die Frauen
') Aus der deutschen Ausgabe von Hearns einzigartigem Werke über
iapan »Kokoro« (S. 174 ff.), weiches wir in dieser Nummer besprochen
aben. —
Der Schluss von •Gedanken über dies und dasc muss für
einen längeren Aufsatz in einem späteren Heft aufbewahrt
werden.
No. 12. DER BUDDHIST. 311
dachten nicht bloss an seine Tugend und seine Gelehrsam-
keit; denn er besass die verhängnisvolle Macht, sie wider
seinen Willen anzuziehen, in seiner blossen Eigenschaft als
Mann. Sie, sowie auch Frauen anderer Gemeinden bewun-
derten ihn in keineswegs heiliger Weise, und ihre Huldigungen
störten seine Studien und andächtigen Betrachtungen. Sie
ersannen Vorwände, ihn zu allen Stunden des Tages im
Tempel aufzusuchen, nur um ihn einen Augenblick zu sehen
und zu ihm sprechen zu können. Sie richteten Fragen an
ihn, die zu beantworten seine Pflicht war und brachten
fromme Gaben, die er nicht gut abweisen konnte. Manche
stellten Fragen unkeuscher Art, die ihn erröten machten.
Er war von Natur zu weich, um sich mit harter Abweisung
zu schützen. Die vorlauten Stadtmädchen erlaubten sich
daher, ihm Dinge zu sagen, wie sie ein Landmädchen nie
über die Lippen gebracht hätte: Dinge, die ihn zwangen, sie
aufzufordern, seinen Tempel zu verlassen. Aber je mehr er
vor der Bewunderung der Schüchternen und der Zudringlich-
keit der Kecken zurückscheute, desto mehr nahmen die An-
fechtungen zu, bis sie zur Qual seines Lebens wurden.
Seine Eltern waren schon lange tot; keine irdischen
Bande knüpfen ihn an das Leben; er liebte nur seinen Beruf
und die Studien, die damit zusammenhingen. Er wollte nicht
an eitle und verbotene Dinge denken. Seine ausserordent-
liche Schönheit — die Schönheit eines lebendigen Gottes
— dünkte ihm nur ein Unglück. Reichtum wurde ihm unter
Bedingungen angeboten, deren blosse Andeutung ihn schon
verletzte. Mädchen warfen sich ihm zu Füssen und flehten
vergebens um seine Liebe. Er erhielt fortwährend Liebes-
briefe, die er niemals beantwortete. Einige derselben waren
in jenem alten, bilderreichen Stil abgefasst, der von „dem
felsenfesten Ruhekissen der Liebesbewegung," oder von den
„Wellen, welche die Schatten des Angesichtes beleben," und
von „Strömen, die sich nur trennen, um sich wieder zu ver-
einigen," spricht. Andere wieder waren kunstlos, überströ-
mend zärtlich, voll von dem Pathos des ersten Liefiesgeständ-
nisses eines Mädchenherzens. Lange Zeit Hessen solche
Briefe den jungen Priester so ungerührt wie jene Statue des
Buddha, dessen Abbild er zu sein schien. Aber in Wahrheit
war er kein Buddha, sondern nur ein schwacher Mensch,
und seine Lage wurde immer unerträglicher.
Eines Abends kfim ein kleiner Knabe in den Tempel
und händigte ihm einen Brief ein, flüsterte den Namen der
Absenderin und verschwand in der Dunkelheit. Nach der
späteren Zeugenaussage eines Tempeldieners las der Priester
äfe DER BUDDHIST. I. Jahrg.
den Brief, schob ihn in den Umschlag zurücic und legte ihn
dann auf die Matte neben sein Kniekissen. Nachdem er
lange in Sinnen versunken dagesessen hatte, holte er sein
Schreibzeug, schrieb selbst einen Brief, adressierte ihn an
seinen geistlichen Vorgesetzten und liess das Schreiben auf
seinem Pult liegen. Dann warf er einen Blick auf die Uhr
und zog eine japanische Eisenbahntabelle zu Rate. Es war
sehr spät, die Nacht dunkel und stürmisch. Er warf sich
vor dem Altar zu einer kurzen Andacht auf die Kniee und
eilte dann aus dem Tempel. Er erreichte die Bahnstation
gerade in dem Augenblicke, als der Expresszug aus Kob^
brausend einfuhr. Blitzschnell warf er sich auf das Geleise
vor dem schnaubendem Ungetüm nieder. Und im nächsten
Augenblicke hätten diejenigen, die seine seltsame Schönheit
angebetet hatten, vor Entsetzen aufgeschrieen beim Anblick
dessen, was von seinem armen, vergänglichen Körper auf
den Schienen klebte.
Der Brief, den er an seinen Vorgesetzten geschrieben
hatte, wurde gefunden. Er enthielt die kurze Mitteilung, dass
er in dem Gefühl seiner erschöpften Widerstandskraft be-
schlossen habe, zu sterben, um nicht der Sünde zu erliegen.
Der andere Brief lag noch auf dem Boden, wo er ihn liegen
gelassen hatte, ein Brief in jener Frauensprache geschrieben,
in der jede Silbe eine demütige Liebkosung ist
Ich begab mich zu einem japanischen Freunde, einem
buddhistischen Gelehrten, um ihm einige Fragen über die
religiöse Auffassung dieses Vorfalls zu stellen. Selbst als
Zeichen menschlicher Schwäche angesehen, erschien mir
dieser Selbstmord heroisch.
Nicht so meinem Freunde. Er sprach Worte der Ver-
urteilung, er wies darauf hin, dass der, welcher annahm,
durch den Selbstmord der Sünde entgehen zu können, in
den Augen des Meisters ein im geistigen Sinn Verlorener
sei — unwürdig der Gemeinschaft mit heiligen Männern.
Was nun den Priester betrifft, so hatte er zu jenen gehört,
die der Meister Toren nannte.
Nur ein Tor könne glauben, durch Zerstörung des eigenen
Körpers auch zugleich die Quelle der Sünde in seiner Seele
zu vernichten.
„Aber", wendete ich ein, „das Leben dieses Mannes war
rein. Nehmen Sie an, dass er den Tod bloss suchte, damit
er nicht unwissentlich andere zur Sünde veranlasse?"
Mein Freund lächelte ironisch, dann sagte er: „Es war
einmal eine vornehme japanische Dame von erlesener Schön-
heit, die Nonne werden sollte. Sie begab sich in einen Tempel
No. 12. DER BUDDHIST. 383
und trug ihren Wunsch vor. Aber der Oberpriester sagte:
,Sie sind noch sehr jung, Sie haben das Leben am Hofe
gelebt. In den Augen weltlicher Männer sind sie sehr schön,
und Ihr schönes Antlitz wird eine stete Versuchung für Sie
sein, zu den Freuden der Welt zurückzukehren. Überdies
kann Ihr Wunsch vielleicht nur einem augenblicklichen
Kummer entspringen. Ich kann Sie deshalb jetzt noch nicht
in den Orden aufnehmen.'
„Aber sie fuhr fort so beharrlich in den Priester zu
dringen, dass dieser es für das Beste hielt, sich ihren Bitten
zu entziehen, indem er sich rasch entfernte.
„In dem Räume, wo sie nun allein war, stand ein grosses
»Hibashi« (ein Feuerbecken mit glühenden Kohlen), sie er-
griff die Zange, hielt sie ins Feuer, bis sie glühend rot war,
und damit verwundete und zerriss sie erbarmunglos ihr Ant-
litz und zerstörte so ihre Schönheit auf ewig.
„Der durch den Brandgeruch erschreckte Priester eilte
herbei und sah voll Betrübnis das Geschehene. Aber sie
erneute allsogleich ihre Bitten ohne das geringste Zittern
in ihrer Stimme. ,Meine Schönheit war das Hindernis, für
meinen Eintritt in den Orden', sagte sie, ,wollen Sie mich
nun aufnehmen ?'
„Der Priester willfahrte nun ihrer Bitte. Sie wurde
in den Orden aufgenommen und lebte als heilige Nonne.
Nun, wer war weiser, die Frau oder der Priester, den Sie
preisen wollten?"
„Aber war es denn die Pflicht des Priesters," fragte ich,
„sein Gesicht zu verunstalten?"
„Sicherlich nicht! Selbst die Handlungsweise der Frau
wäre nicht verdienstvoll gewesen, hätte sie sich dadurch nur
gegen die Versuchung schützen wollen. Selbstverstümmelung
irgend welcher Art ist durch das Gesetz Buddhas verboten;
darin hat sie sich einer Übertretung schuldig gemacht. Aber
da sie sich das Gesicht einzig aus dem Grunde verbrannte,
um allsogleich in den heiligen Verband aufgenommen zu
werden, und nicht, weil sie [sich unfähig fühlte, der Sünde
durch eigene Willenskraft zu widerstehen, war ihr Vergehen
verzeihlich, wohingegen der Priester, der sein Leben vernich-
tete, sich einer grossen Sünde schuldig machte. Er hätte
versuchen müssen, alle die, welche ihn verlocken wollten, zur
Umkehr zu bringen. Dazu war er zu schwach. Fühlte er,
dass er keine Kraft habe, der Sünde als Priester zu wider-
stehen, so wäre es weit besser für ihn gewesen, in das welt-
liche Leben zurückzukehren und dort nach dem Gesetz
derjenigen zu leben, die nicht den Geboten der heiligen
Ordensregeln unterworfen sind."
384 DER BUDDHIST. I. Jahrg.
„Der buddhistischen Auffassung nach hat er sich demnach
kein Verdienst erworben?" fragte ich.
„Es ist schwer anzunehmen, dass dies der Fall sein
könnte. Seine Tat kann nur in den Augen derer, die das
Gesetz nicht kennen, verdienstlich erscheinen."
„Und was denken diejenigen, die das Gesetz kennen,
über die Folgen, über das Karma seiner Handlung?"
Nach kurzem Sinnen sagte mein Freund nachdenklich:
„Die ganze Wahrheit dieses Selbstmordes entzieht sich unserem
Wissen — vielleicht war es nicht das erste Mal."
„Meinen Sie damit, er könnte schon in irgend einem
früheren Leben versucht haben, der Sünde durch die Vernich-
tung seines Körpers zu entgehen?"
„Ja, oder in vielen früheren Leben."
„Wie verhält es sich mit seinem zukünftigen Leben?"
„Nur ein Buddha vermöchte über diese Fragen bestimm-
ten Aufschluss zu geben."
„Aber was sagt Ihre Religion darüber?"
„Sie vergessen, dass es für uns nicht möglich ist, zu
wissen, was in der Seele dieses Mannes vorging."
„Nehmen wir an, er suchte den Tod nur um der Sünde
zu entgehen."
„In diesem Falle wird er der Versuchung mit all ihren
Schmerzen und all ihren Qualen tausend und tausende Male
wieder und wieder begegnen müssen, bis er gelernt hat, sich
selbst zu überwinden. Im Tode ist kein Entrinnen vor der
ewigen Notwendigkeit der Selbstüberwindung."
Als ich meinen Freund verliess, verfolgten mich seine
Worte, und sie verfolgen mich noch immer. Meine eigenen
Anschauungen erschienen mir nun in einem anderen Lichte.
Ich war noch nicht fähig, mir darüber klar zu werden, ob
diese geheimnisvolle Interpretation des Liebesmysferiums der
Beachtung weniger würdig sei, als unsere abendländische
Auffassung. Ich habe darüber nachgesonnen, ob die Liebe,
die in den Tod führt, nicht weit mehr bedeuten könnte, als
die Wiedergeburt begrabener Leidenschaften. Könnte sie
nicht auch die unentrinnbare Vergeltung bedeuten für längst
vergessene Sünde? . . .
Wie das Weltmeer, ihr Jünger, überall nur von einem
Geschmacke durchdrungen ist, dem Geschmacke des Salzes,
so ist diese meine Lehre an jeder Stelle durchweht von dem
Geiste der Erlösung.
VwaBtwortlicher Redakteur: Karl B. Seidenstttcker, Leipzig. Verlag: Buddhistischer Verlag
in Leipaig. — Druck von Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Monatsblätter
zur Orientierung über die buddhistische Mission.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions- Vereins in Deutschland.
«
I. Jahrgang. 2449 nach Buddha.
April 1905 — März 1906.
w
Herausgegeben von
Karl B. Seidenstücker.
Verlag und Expedition:
Buddhistischer Verlag, Leipzig.
Dhammo kappa/77 ti/Meyya.
Inhaltsverzeichnis des ersten Jahrganges.
(Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)
Rundschau.
Ausbildung buddhistischer Missionare 34
Buddhismus in Japan 20, 34, 59, 66, 81
Buddhismus und die deutsche Presse 28
Buddhistische Gesellschaften 2
Buddhistische Leitsätze 18
Buddhistische Mission in Amerika 7, 26, 42, 49, 60, 67, 83
Buddhistische Mission in Indien 4, 73
Buddhistische Mission in Korea und China 4, 35, 49, 82
Buddhistische Zeitschriften in englischer Sprache 2
Burma 66
Ceylon 42, 44, 59, 65, 83, 89
Christliche Mission auf Ceylon 42
Einigung der buddhistischen Welt 17
Evangelisch-sozialer Kongress in Hannover 28
Friede 41
Internationaler Bund junger Buddhisten 25
Japan, s. u. Buddhismus in Japan.
Mahäbodhi-Qesellschaft 50, 89
Neue buddhistische Zeitschrift in englischer Sprache 34
Neues Leben 3
Projekt einer buddhistisch-konfuzianischen Universität 49
Religions-Kongress in Japan 7
Russland 53, 74, 84
Sandwich-Inseln 82
Schweiz 74
Soyen Shaku's Reise 89
Tibet 58
Zweierlei Buddhismus? 6
Mitteilungen und Notizen.
An die >Vegetarische Warte« 54
Arthur Schopenhauers Werke 78
Aufgaben des Christentums gegenüber dem Buddhismus 29
Bibliographisches 12
Buddha-Statuetten 48
Buddhas Glocken 52
China und die christliche Mission 84
Das »Evangelium Buddhas« 92
Das Urteil eines nicht-buddhistischen Inders über den Buddha ... 53
— IV —
Der Buddha vor einem deutschen Fürstenschloss 4&
Der Buddhismus und die deutsche Presse 77
Der »Buddhist« als offener Sprechsaal 92
Des Kriegers Zweifel 86, 92
Die christliche Mission in Japan 84
Die Marmor-Bibel der Burmanen 60
Ein Abriss der buddhistischen Terminologie 36
Ein ceylonesischer Bhikkhu als Märtyrer 61
Ein christlicher Missionars-Trick 44
Ein Pastorales Anathema 30
Ein Verslein zum China-Prozess 36
Ein Vorschlag zur Lösung des deutsch-englischen Konfliktes .... 7&
Eine beachtenswerte Probe-Predigt • . . 61
Eine Berichtigung von unbekannter Hand 30
Eine Buddha-Statue in Deutschland 36
Eine christliche Missionars-Stimme 44
Fanatismus christlicher Missionare in China 6&
Gegnerische Stimmen II
Hymnen für buddhistische Gemeinden 25
Kwan-Yin 52
0 diese buddhistischen Barbaren 70
Pastor militaris militans 11
Pseudo-Buddhismus 60
Strassburg 70
Verschiedene Ansichten über buddhistische Kunst 23
Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter 9
Vom christlichen „Liebeswerke" auf Ceylon 51
Zum Bilde des Thäthanäbaing 48
Zur 11. kontinentalen Missions-Konferenz in Bremen 76
Buddhistischer Missions-Verein in Deutschland.
8, 22, 26, 36, 44, 50, 60,- 68, 74, 88, 91
Bfichertisch.
Anzeigen und Besprechungen 12, 24, 31, 37, 48, 55, 62, 70, 78, 88, 93
Sprüche.
16, 24, 32, 40, 48, 56, 80
Verschiedenes.
Aufruf zur Unterstützung hilfsbedürftiger Japaner 57
Die Führer der »Theosophischen Gesellschaft« (Adyar) 90
Eine Erklärung 33
Herzliche Bitte s. u. Aufruf zur Unterstützung.
[^ra
Die
Buddhistische Welt
Deutsche Monatsblätter
zur Orientierung über die buddhistische Mission
im Morgen- und Abendlande.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
!. Jahrgang. LEIPZIG, April-Mai 1905.
No. 1 u. 2.
Dieses Blatt erscheint monatiicii in Verbindung mit der Zeit-
sciirift »Der Buddhist« im Umfange von mindestens vier Seiten.
»Die buddhistische Welt«
kann aucli separat (ohne den »Buddhist«) zum Preise von
1,20 Mk. für 12 Nummern vom Verlage bezogen werden.
Leipzig. — Buddhistischer Verlag.
Die buddhistische Weit. I. Jahrg.
Rundschau.
Buddhistische GeseHschaften.
I. Internationale Gesellscliaften. 1. The Mahäbodhi-Society,
gegründet 1891 von II. Dharmapäla in Colonibo (Ceylon). Hauptquartier:
Calcutta, 2, Creek Rovv. Zweck: Verbreitung der buddhistischen Lehren
in Indien und im Abendlande und Centralisierung der pan-buddhistischen
Bewegung in Buddha-Gayä (Nord-Indien). — 2. The International
Buddliist Society (Buddhasasana Samägäma), gegründet 1903 in Rangün.
Hauptquartier: 1 Paguda Road, Kangün, (Burma). Zweck: Bekanntmachung
der buddhistischen Religion und Förderung des Pali-Studiums zum Ver-
ständnis des buddhistischen Kanons. — 3. The International Buddhist
Young Men's Association, gegründet am 23. September 1903 in Tokyo.
Hauptquartier: Buddhist Ur.iversity, Takanawa, Tokyo, Japan. Zweck:
Die Vereinigung soll ein Verkehrsmittel zwischen den buddhistischen
HochschUlcrn und Anhangern in allen Ländern der Erde werden und die
ver.inte Arbeit derselben unterstützen, um den Geist des wahren Bud-
dhismus zu verbreiten. —
II. Landesgesellschaften. 1. The Young Men's Buddhist Asso-
ciation of Ceylon. Hauptquartier: 61, Maliban Street, Pettah, Colombo.
— 2. The Society for Promoting Buddhism, Mandalay, Ober-
Burma; gegründet am 16. April 1900. — 3. The Sasanadhara Society,
Mulmein, Burma. — 4. Bukkyö Gakkuwai, Tokyo, Japan. — 5. The
Young Men's Buddhist Association in San Francisco, Nord-Amerika.
— 6. Der buddhistische Missions-Verein in Deutschland, Sitz
Leipzig; gegründet am 15. August 1903. — Dazu kommen noch 7. die
verschiedenen Landesgruppen der Mahäbodhi-Society. —
Buddhistische Zeitschriften in englischer Sprache.
Die älteste Zeitschrift für Buddhismus ist der in Colombo (Ceylon)
erscheinende »The Buddhist«, herausgegeben von D. B. Jayatilaka.
Dieses Journal war ursprünglich in den Händen der Theosophischen Ge-
sellschaft in Ceylon und befand sich damals in einem sehr entarteten Zu-
stande. Glücklicherweise übernahm dann die oben erwähnte Young
Men's Buddhist Association die Leitung des Blattes und brachte es
bald auf die Höhe einer im wahren buddhistischen Geiste wirkenden Zeitung.
Das offizielle Organ der Mahäbodhi-Society ist die weitverbreitete
Monatsschrift »The Mahäbodhi and The United Buddhist World«,
begründet 1891. Herausgegeben wird dieses Blatt von dem mit unermüd-
lichem Eifer wirkenden Missionar H. Dharmapäla, Calcutta.
No. 1 u. 2. Die buddhistische Welt. 3
Als ein Journal vornehmsten Stils muss das prächtig ausgestattete,
reich illustrierte Organ der International Buddhist Society, die Vierteljahrs-
schrift »Buddhism«, bezeichnet werden. JVlitarbeiter sind u. a. namhafte
europäische Gelehrte, wie Rhys Davids und K. E. Neumann. »Buddhism«
erscheint vom September 1903 ab und wird herausgegeben von Bhikkhu
Ananda iV^aitriya. Uns liegt bis jetzt der erste Jahrgang vor, und wir
können an dieser Stelle nur unserer lebhaften Freude über dieses schöne,
gross angelegte Werk Ausdruck geben.
Der buddhistisclien Bewegung im Abendlande unschätzbare Dienste
leistet die in San Francisco seit dem Jahre 1900 erscheinende, vortrefflich
redigierte Quartals-Schrift »The Light of Dharma«, herausgegeben von
dem verdienstvollen, mit grossem Eifer wirkenden japanischen Geistlichen
Rev. Dr. K. Hori, Superintendent der buddhistischen iVlission in Amerika.
Über unsere Beziehungen zu dieser IVlission werden wir noch an anderer
Stelle berichten.
Neues Leben.
Noch vor wenigen Jahrzehnten würde das christliche Abendland die
Vorstellung als unsinnig verlacht haben, dass ausser dem wegen seines
Monotheismus noch allenfalls respektierten Isläm eine bis Dato in die
Kategorie „Heidentum" verwiesene Religion, wie der Buddhismus, jemals
mit dem Anspruch, Weltreligion zu sein, auftreten und diesen Anspruch
durch energisches Handeln realisieren könnte. Die Verhältnisse vor fünf-
zig Jahren Hessen allerdings eine derartige Perspektive als eine Unmög-
lichkeit erscheinen: Das innere Leben der buddhistischen Welt schien
erstarrt zu sein, und christlicherseits wurde mit der bekannten Überlegen-
heit konstatiert, dass das „buddhistische Heidentum" seinem unvermeid-
lichen Verfall entgegeneile. Aber man hat zu früh triumphiert. Das
Päli-Studium erschloss den gebildeten Kreisen des Westens die buddhi-
stischen Quellen, und staunend gewahrte das Abendland die Schätze, die
hier verborgen lagen. Der Buddhismus begann auf das occidentale
Denken mehr und mehr seinen Einfluss auszuüben und fand den Boden
durch die Philosophie Schopenhauers vorbereitet. Diese Wiederbelebung
buddhistischer Ideen übte nun naturgemäss einen mächtigen Rückschlag
auf den buddhistischen Orient selbst aus: Es begann in dem scheinbar
verdorrten alten Baume ein neues Leben sich zu regen; zunächst nur hie
und da, leise, kaum bemerkt, bald aber kräftig und in verjüngter Kraft
unaufhaltsam allüberall emporkeimend. Die neugegründeten Gesellschaften,
Schulen und Journale im buddhistischen Asien sagen durch ihre unermüd-
liche Arbeit mehr als alle Worte. Namentlich an zwei Centren ist die
Neubelebung des Buddhismus deutlich zu spüren: einmal in Süd-Asien
(Ceylon, Burma, Indien), und sodann in Japan. China, Korea, Tibet
liegen noch erstarrt, doch wird auch seit kurzem hier von Japan aus mit
Erfolg gewirkt. Heute ist das buddhistische Bewusstsein bereits soweit
4 Die buddhistische Welt. 1. Jahrg.
erstarkt, dass abgesehen von der Arbeit der inneren Mission die Sendboten
des Buddha im brahnianischen Indien wie im ehristlichcn Abcndlande ihre
grosse Weltano/iiauung predigen. Aber wir stehen hier erst am Anfange
einer gewaltig' n religiösen Bewegung, und die nächsten Jahrzehnte werden
dem Abendlande in dieser Richtung ungcalintc Überraschungen bringen.
Jedenfalls wird auch der Ausgang des blutigen Krieges im Osten für die
Zukunft des Buddhismus in beiden Hemisphären von einiger Bedeutung
sein. Wir können schon heute mit Bestimmth it versichern, dass der
Bestand der buddhistischen Mission in Amerika wie in Europa jetzt
gesichert ist.
Buddhistische Mission in Korea und China.
Vor ca. 1350 Jahren wurde der Buddhismus durch koreanische und
chinesische Missionare in Japan eingeführt und damit die Saat zu einer
damals wohl kaum geahnten Ernte gestreut. Es ist nun merkwürdig, wie
sich seit jener Zeit die religiösen Verhältnisse im östlichen Asien gestaltet
haben. Heute sind die Buddhisten in Japan die eifrigsten und tätigsten
Pioniere im Dienste der Mission, während das buddhistische Leben in
Korea und China vollständig erstarrt ist. Nun hat kürzlich Hongwanji,
ein Hauptzentrum des japanischen Buddhismus, im Verein mit mehreren
»Schulen« eine Anzahl Missionare nach Korea und China gesandt, um
dort eine Erweckungsbewegung ins Leben zu rufen. Es steht zu erwarten,
dass die Buddha -Religion in diesen Ländern allmählich ihre frühere
lebensvolle Kraft wiedergewinnen wird.
Buddhistische Mission in Indien.
Die kulturellen, religiösen und sittlichen Verhältnisse des einst so
blühenden Indiens sind heute die denkbar traurigsten. Bekanntlich ist
der Buddhismus aus seinem Geburtslande verdrängt worden, "nicht ohne
aber dauernde Spuren seiner ehemaligen Herrschaft hinterlassen zu haben.
Der Qrund seines Verschwindens lag einerseits in einer durch brahmanischc
Religionsmischerei verursachten Decadence seiner selbst, sodann aber in
blutigen Reaktionen des Brahmanismus unter ^ankaräcärya und verheeren-
den Einfällen der Mohammedaner. Seit jener Zeit liegt der weitaus grösste
Teil des Hindus, etwa 250 Millionen, im Banne des furchtbar entarteten
Brahmanismus. Ein starres Kastenwesen verhindert einen geistigen Auf-
schwung dieses hochbegabten Volkes, und ein unwissender, geldgieriger
Priesterstand hält seine Glaubensgenossen in grösster geistiger Unfreiheit.
Der Brahmanismus selbst stellt sich uns in zwei Hauptformen dar: einmal
als Philosophie der Gebildeten und sodann als Volksreligion der
grossen Massen. Die brahmanische Philosophie umfasst sechs als orthodox
anerkannte Systeme, von denen wiederum drei die bedeutendsten sind,
No. 1 u. 2. Die buddhistische Welt. 5
nämlich der panhenotheistische Vedänta, das atheistische Sämkhya und
der monotheische Yoga. Wenn auch diese Systeme, vor allem der Ve-
dänta, in hohem .Masse unsere Bewunderung erregen, so sind sie doch
völlig ungeeignet — das !iat die Geschiclite gelehrt — als Volksreligion
die Massen zur geistigen Freiheit zu führen. Es ist eben „Kaviar fürs
Volk", eine Philosophie g'ibildeter, geistig hervorragender Menschen, die
aber gänzlich ungeeignet ist, wie z. B. der Buddhismus, auch für die
breiten Schichten des Volkes eine frohe Botschaft zu sein. So zeigt also
der Braiimanismus als Volksreligion ein ganz anderes Antlitz, und dieses
Antlitz ist der grinsende Schädel des geistigen Todes. Götzendienst,
Gespensterfurcht, Zauberformeln, ein bis ins Einzelne gehendes Cere-
monienwesen, religiöse Eestfeiern mit Obscoenitäten, an die nur zu denken
sich unser Geist sträubt — das ist der volkstümliche Aspekt der alten
Weisheitsreligion. Im Norden Indiens herrscht der erotisch-sinnliche
Vislinuismus; im Süden prävaliert der v/ildc (Jivaisraus mit seinem scheuss-
lichen Durgä-Kult und dringt allmählich nordwärts vor. Wie die Verhäll-
nisse heute in Indien liegen, muss man sagen, dass der zuletzt genannte
(^ivaisraus die grüssten Chancen hat, die herrschende Religion des Landes
zu werden und dann — verhülle dein Antlitz, Land der Lotusblume 1
Von anderen Religionen arbeiten in Indien missionierend das Christen-
tum, der Islam und der Buddhismus. Von diesen hat von vornherein das
Christentum die geringste Aussicht, dauernd die Hindus für sich zu
gewinnen. Die gebildeten Hindus lachen über diese „Religion der Kinder"
und bedauern höchstens die schädlichen Einflüsse der westlichen Kultur,
die sich über kurz oder lang als Gefolgschaft der Christenmission ein-
stellen, und die Hefe des Volkes, die zum Christentum übertritt, tut diesen
Schritt wohl in erster Linie aus ganz anderen, als religiösen Gründen;
denn einmal ist die christliche Lehre der DcnkweLse der Inder diametral
entgegengesetzt (man denke nur an die Wiederverkörperungs-Lelire!),und
sodann ist die Vorstellung vom blutigen Sühnopfer Christi dem weichen
Hindu ein Greuel (vergl. Abhedhänanda: Vedänta-Philosophie, Heft I ff.).
Also mit den Aussichten, die sich dem Christianismus in Indien eröffnen,
sieht es windig genug aus. Weit mehr Chancen hat der Islam, dessen
Anhänger in Indien bereits nach vielen Millionen zählen. Vielleicht ist es
die rein abstrakte Gottesidee im Mohammedanismus, die dem Hindu
näher liegt und ihn zweifellos sympathischer berührt, als das christliche
Dreifaltigkeitsdogma; vielleicht dient auch die Rücksichtlosigkeit, mit der
der Islam gegen das Kastenwesen einschreitet, bei vielen „Ausgestossenen"
als Zugmittel; zum guten Teil aber wird die Religion Mohammeds ihre
Erfolge bei den Indern der Konzession zuschreiben können, die sie in
puncto Sinnlichkeit macht; denn der Hindu-Charakter ist namenlos sinn-
lich und wird für derartige Freiheiten nicht unzugänglich sein.
Die günstigsten Aussichten für die Zukunft bieten sich hier dem Bud-
dhismus. DaS wird zunächst durch die Statistik erwiesen. Obwohl die
buddhistische Mission im Hindulandc erst seit relativ kurzer Zeit tätig ist,
6 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
hat sie dennoch geradezu glänzende Erfolge aufzuweisen — in einem
Distrikte Indiens hat sich die Zahl der Buddhisten in zehn Jahren ver-
zehnfacht! Aber abgesehen davon ist es ganz naturgeinäss, dass das
Hindu-Volk ein fruchtbarer Boden für die buddhistische Mission ist.
War nicht der Meister selbst ein Sohn des Landes? Fand er nicht ähn-
liche religiöse Vorstellungen vor, wie heutzutage seine Sendboten? Hat er
es nicht in geradezu grandioser Weise verstanden, an diese Verhältnisse
anzuknüpfen, die vorgefundenen Anschauungen zu vertiefen und zu ver-
geistigen? Eine Fülle von Anknüpfungspunkten bietet sich hier dem
buddhistischen Missionar, und die grösste Reformation der Religionsge-
schichte, die sich vor vierundzwanzig Jahrhunderten im Gangeslande ab-
spielte, sie kann heute in demselben Lande auf Grund eines weisen
Vorgehens ihre glänzende Auferstehung feiern! Das Hauptverdienst bei
der Propagandierung des Buddhismus in Indien gebührt zweifellos der
Mahäbodhi-Society, und wir wünschen der Arbeit dieser Gesellschaft im
Hinblick auf das schwergeprüfte Volk den reichsten Segen : Wie die Saat,
so die Ernte! — Wir werden unsere Leser des öfteren über den Stand
des Buddhismus in Indien orientieren.
Zweierlei Buddhismus?
Es ist eine offen anerkannte Tatsache, dass der Buddhismus in Japan
ein ganz anderes Gepräge nach aussenhin aufweist, als z. B. der Buddha-
Dharma in Ceylon. Wir unterscheiden heute im Buddhismus zwei
grosse Richtungen, die ihrerseits wiederum in verschiedene »Schulen«
zerfallen. Die eine dieser Hauptrichlungen heisst Hinayäna und herrscht
in Ceylon, Burma, Slam, Süd-Indien ; das Hinayäna fusst auf dem ur-
sprünglichen Päli-Kanon. Die andere Richtung — Mahäyäna genannt —
prävaliert in Nepal, Tibet, China, Korea und Japan. Innerhalb der
Mahäyäna-Richtung sind wiederum zwei Aspekte zu unterscheiden ; einmal
das reinere Mahäyäna in Japan mit ca. 12 Schulen, und sodann der sehr
modifizierte und mit brahmanischen Elementen stark durchsetzte Lama-
ismus in Tibet und den von hier aus beeinflussten Ländern. Das Mahä-
yäna basiert auf einen im Sanskrit geschriebenen Kanon, der offenbar
jünger ist, als die Päli-Schriften und ausser direkten Übersetzungen aus
den letzteren zahlreiche neue Traktate enthält.
Aus diesen Tatsachen haben viele den Schluss gezogen, dass der
Begriff eines einheitlichen Buddhismus unhaltbar, und dass das Wort
Buddhismus nur ein Sammelname für ganz verschiedene, mindestens
zwei Systeme sei. Dem gegenüber sei hier folgendes hervorgehoben:
Abgesehen von einer phantastischen Mythologie, die aber das Wesen
und die Lehre des Buddhismus überhaupt nicht berührt, zeigt
das Mahäyäna nur eine Hauptverschiedenheit von dem Hinayäna, u. z.
hinsichtlich der Auffassung des Nirväna-Begriffes. Die Philosophie des
No. 1 u. 2. Die buddhistische Welt. 7
Hinayäna ist ein transcendentaier Dualismus, das Mahäyäna dagegen
ein der Philosophie Spinozas nicht unähnlicher spiritualistischer
Monismus. Für die Praxis ist diese Verschiedeniieit überhaupt ohne
jeden Belang. Dagegen sei hier konstatiert, dass das Hinayäna und
Mahäyäna in den folgenden das Wesen der buddhistischen Welt- und
Lebensanschauung ausmachenden Punkten völlig übereinstimmen: 1. Die
Leugnung des animistisch-dualistischen Seelenbegriffes (Anattä). — 2. Das
ewige Werden (Anicca). — 3. Die vier Sätze vom Leiden (Dukkha, Tanhä,
Nibbäna, Magga). — 4. Die Idee der Wiedergeburt nicht im Sinne einer
Seelenwanderung oder Ego-Reinkarnation, sondern einer kausalbcdingten
Übertragung des Kamnia. — 5. Kamma (Karman) vorgestellt als Wirken
(Tat, Gedanke, Wunsch) nebst der daraus resultierenden Wirkung. — 6.
Das Kausalitäts-Gcietz als herrschend gedacht in der physischen, geistigen
und moralischen Welt. — 7. Die Erlösung als Befreiung vom Leiden. —
8. Die Hauptteile der Sittenlehren. — Der Begriff Buddhismus als ein-
heitliches Ganzes ist also selir wohl haltbar. Wir werden in späteren
Heften auf diesen Punkt zurückkommen.
Religlons-Kongress in Japan. Im Mai des verflossenen Jahres
traten zahlreiche Vertreter kirchlicher und religiöser Gemeinschaften in
Japan zu einem Kongress in Tokyo zusammen und tauschten ihre Ansichten
über den russisch-japanisclien Krieg aus. Viele Tausende waren zusammen-
geströmt: Buddhisten, Shintoisten und Christen, und zahlreiche Rednergaben
ihr Votum ab. Unter dem Vorsitz des Erzbischofs der Sodo-Gemeinschaft,
Rt. Hon. Rev. B. Nischiari, wurde eine Resolution folgenden Inhalts ange-
nommen: „Der gegenwärtige Krieg zwischen Japan und Russland ist keines-
wegs ein Krieg zwischen Buddhisten und Christen, ebensowenig zwischen
der gelben und der weissen Rasse; er hat überhaupt mit einer religiösen
oder Rassen-Frage nichts zu tun. Es ist lediglich ein Selbstverteidungs-
kampf, den Japan zur Wahrung seiner Existenz führt". — Viele in Japan
wirkende englische und amerikanische Missionare nahmen an dem Kongreis
teil und waren in dieser Frage derselben Ansicht wie die dortigen Ein-
geborenen.
Die buddhistische Mission in Amerika.
Abgesehen von der amerikanischen Sektion der Mahäbodhi-Society
mit ihrer Centrale in Chicago wird die dortige sehr tätige buddhistische
Mission von Japan aus geleitet. Der Mittelpunkt ist die Mission in San
Francisco (Polk Street 807) ; an ihrer Spitze steht der Herausgeber von
»The Light of Dharma«, Rev. Dr. Kentok Hori, mit dem wir in freund-
schaftlichem Briefwechsel stehn. Dieser verdienstvolle Geistliche hat das
ganze Missions - Wesen in Nord-Amerika wohl organisiert ; in seinem
Missionshause hält er jeden Sonntag Vormittag Erbauungs-Stunden, über
8 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
deren Verlauf er uns kürzlich ausführlich Bericht erstattet hat. Die ein-
zelnen Missions-Centren erstrecken sich bereits von Seattle bis Los Angelos
die ganze Pacific-Küste entlang; verschiedene Tempel sind erriclitet
worden, und man ersieht daraus, dass der Buddhismus im transatlantischen
Kontinent allmählich vorrückt. Die amerikanische Mission ist nun mit
unserer deutschen eng verknüpft worden, und beide werden in Zukunft
gemeinsam die buddhistischen Interessen im Abendlande wahrnehmen.
Wir wollen an dieser Stelle nicht versäumen, unseren Gesinnungsgenossen
in Amerika ein herzliches „Glückauf!" zu ihrem grossen Werke zuzurufen.
Der »Buddhistische Missions-Verein in Deutschland«
(Sitz Leipzig).
Einen Auszug aus den Satzungen dieses Vereines findet der Leser
auf der Rückseite des Umschlages. Hier sei nur folgendes hervorgehoben :
Die Gründung erfolgte am 15. August 1903 durch den Zusanunenschluss
von acht in Leipzig domicilierten Mitgliedern. Etwa vier Wochen
später wurde dem Vorsitzenden offiziell die Genehmigung seitens des
Polizeiamtes zu Leipzig bekannt gegeben. Kurze Zeit darauf machte
die Notiz von der Konstituierung des Vereins die Runde durch die gesamte
deutsche und einen Teil der ausländischen Presse. Zalilreiche Anfragen
und Mitteilungen liefen ein aus den verschiedensten Orten Deutschlands,
sowie aus Oesterreich, Ungarn, der Schweiz, Belgien, Luxemburg, Frank-
reich, Gross-Britannien, Russland, Griechenland, Nord-Amerika und Süd-
Afrika. Der Missions-Verein versandte zunächst eine grosse Anzahl der
von ihm herausgegebenen Gratis-Schriiten und fasstc dann den Beschluss,
durch eine Reihe von Vorträgen an die Öffentlichkeit zu treten. Es wurden
während des Winterhalbjahres 1903 1904 insgesamt 22 öffentliche Vor-
träge über Buddhismus in Leipzig gehalten. Ferner hat der Verein eine
Anzahl von Schriften in deutscher Sprache herausgegeben, dip wir hier
anführen wollen: Frey dank: Kleiner buddhistischer Katechismus, (bis
jetzt 3 Auflagen) — K uro da: Mahäyäna, die Hauptlehren des nördlichen
Buddhismus (Übersetzung) — Kuroda: Das Licht des Buddha (Über-
setzung und Bearbeitung) — Tilbe: Dhamma oder die Moral-Pliilosophie
des Buddha-Gotama — Tilbe: Sangha oder der buddhistische Mönchs-
orden; (die beiden letzteren Schriften sind Übersetzungen aus des Autors
Werk »Päli-Buddhism«) — Freydank: Buddhistisches Vergissmeinnicht;
eine Sammlung buddhistischer Sprüche für alle Tage des Jahres —
Skesaburo Nagao: Der Weg zu Buddha (Übersetzung aus einem uns
von Rev. K. Hori freundlichst zugesandten Buch) — Bowden: Die
Nachfolge Buddhas (Übersetzung). Wir weisen ferner an dieser
Stelle darauf hin, dass Herr Dr. Paul Carus (La Salle, Nord-
Amerika) kürzlich die Freundlichkeit hatte, uns die Autorisation zu der
Übersetzung seines Werkes »Buddhism and its Christian Critics« zu geben;
No. 1. u. 2. Die buddhistische Welt. 9
voraussichtlich wird auch binnen kurzem das bekannte schöne Buch des-
selben Verfassers »The Gospel of Buddha« in einer zweiten deutschen
Auflage publiciert werden. Endlich hat der »Missions-Verein« die schon
seit einem Jahre projektierte Herausgabe der Monatsschriften »Der Buddhist«
und »Die buddhistische Welt« jetzt zur Tatsache gemacht.
Um Missverständnissen in Bezug auf die Tendenzen dieses Vereins
vorzubeugen, machen wir hier nachdrücklich auf folgende vier Punkte
aufmerksam. Erstens: Der Verein ist laut §3a, b der Satzungen keine
Vereinigung von Buddhisten. .Mitglied des Vereins kann jede unbescholtene
Person werden, die das 21. Lebensjahr erreicht hat und mit dem Zweck
des Vereins sympathisiert; die Mitgliedschaft ist unabhängig von Geschlecht,
Stand, Konfession; sie ist nicht abhängig von dem Austritt aus dem bis-
herigen Bekenntnis und Übertritt zu einer buddhistischen Gemeinschaft
oder von der Anerkennung irgend welcher Glaubensartikel. Zweitens:
Der Verein hat nach § 1 b seiner Statuten nichts mit irgendweichen An-
griffen gegen die bestehenden kirchlichen Gemeinschaften zu tun; er
steht durchaus auf dem Boden der Toleranz und will niemandem seine
religiöse Überzeugung rauben; sein einziges Ziei ist, den Buddha-Dharma
in seinem wesentlichen Bestand in de:-. Ländern deutscher Zunge bekannt
zu machen ; dieses Ziel wird erreicht durch die Darstellung der buddhi-
stischen Lehren, durch die Abwehr unberechtigter Angriffe und durch
Beseitigung irrtümlicher Ansichten hinsichtlich dieser Religions-Philosophie.
Drittens: Der Verein ist eine durchaus unabhängige Gesellschaft; er
steht in keinem abhängigen oder sonst irgend weichem Verhältnis zu occultisti-
schen, esoterischen, theosophisciicri, mysiicistischen Vereinen, Logen oder
Gesellschaften. Viertens: Der Verein macht für keine spezielle Richtung,
Kirche oder Schule innerhalb des Buddhismus Propaganda ; er repräsentiert
den Buddhismus im allgemeinen, nicht aber einen einzelnen Aspekt des-
selben; er beobachtet absolute Neutralität hinsichtlich der von den ver-
schiedenen Schulen vertretenen Lehrmeinungen. Der Verein hat aber nicht
das Geringste mit den Lehren des sogenannten esoterischen oder Geheim-
Buddhismus zu schaffen, da dieselben a) historisch überhaupt nicht nach-
weisbar sind und b) mit dem von allen buddhistischen Schulen ausnahmslos
anerkannten Hauptprinzip des Buddha-Dharma (Anattä) in direktem
Widerspruche stehn.
Kleine Mitteilungen.
Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter!
Unter diesem Titel brachte seiner Zeit die »Leipziger Gerichts-Zeitung«
einen Artikel, in dem sie von der Gründung des Missions-Vercins Kenntnis
nahm. Wir bringen die Ausführungen des genannten Blattes ihrer Origi-
10 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
naiität halber hier zum Abdruck : „Wer erinnert sich nicht noch des vom
deutschen Kaiser gemalten Bildes, das den vorstehenden Warnungsruf als
Unterschrift trug. Der Sinn des Bildes war nicht schwer zu erkennen.
Im Vordergrunde scliarten sich um den gewappneten Michel die symbo-
lischen Vertreterinnen der europäisclien Grossmächte, und im Hintergrunde
tauchte am Horizont, umgeben von schweren Wetterwolken, das Bildnis
Buddhas auf. Des Kaisers Gemälde drückte also deutlich die Befürchtung
aus, dass der Drache dem Kreuz, — der Buddhismus dem Christentum
gefährlich werden könnte, darum eben sollten die christlichen Völker
Europas sich wappnen gegen das Vordringen der buddhistischen Lehre.
Was nach dem Warnungsruf des Kaisers von Berufenen und Unberufenen
im Namen des Christentums getan wurde, ist hinreichend bekannt. Man
hat aber nicht nur im Innern fleissig gearbeitet und darüber oft die For-
derungen des realen Lebens vergessen, nein, man hat auch nach aussen
hin sich bemüht, dem Christentum eine grössere Verbreitung zu verschaffen.
Grosse Missionen wurden ausgerüstet, um die sogenannten Heiden
zu bekehren, für die Negerkinder wurden von wohltätigen christlichen
Frauen Strümpfe gestrickt, und ungeachtet des Elends im Innern der
Heimat gingen grosse Summen Geldes ins Ausland, die dafür ausgegeben
wurden, eine Hand voll gesinnungsloser Lumpen, die es ja unter allen
Völkern giebt, oder ein paar Weiber, namentlich aber Kinder dem Christen-
tum zu gewinnen. Auch die Anhänger Buddhas blieben von den Missio-
nären nicht verschont; was aber noch keine andere Religionsbekenner-
schaft fertig brachte, das leisteten die Buddhisten: sie revanchierten
sich und schickten die Vcrkündcr ihrer gro.ssen V/eltanschauung als
Missionäre zu den Christen. Der Buddhismus hat zur Zeit mehr als
eine halbe Milliarde Anhänger. Da reicht weder das Christentum, noch
eine andere Religion auch nur annähernd heran. Bedenkt man überdies,
dass die buddhistische Lehre, die eine Weltanschauung, keine Religion im
Sinne unseres vom Formalismus arg entstellten Christentums bietet, etwas
ungemein bestechendes für den denkenden Menschen hat, so wird man
leicht ermessen können, dass sie, zumal im Lande der Denker und Dichter,
rasch und reichlich an Boden gewinnen »vird.
„Neuerdings hat sich nun, wie die Tageszeitungen meldeten, ein
»Buddhistischer Missions-Verein in Deutschland« gebildet, der
seinen Sitz in der Intelligenzstadt Leipzig nahm. Dieser Missions-Verein
will, seinen Satzungen gemäss, die buddhistische Religions-Philosophie
durch Zusammenschluss vieler in weiteren Kreisen des deutschen Volkes
verbreiten.
„Wir haben also in unseren Mauern eine richtige Mission zur —
Ausrottung des Christentums! Dieser Ausdruck ist selbstverständlich zu
schroff, aber er nennt die Sache beim rechten Namen. (Anm. d. Red.
Diese Meinung ist natürlich irrig, vergl. § 1 der Vereins-Satzungen).
„^Der Verein« — so heisst es in dem Bericht — »bildet eine freie
Vereinigung derjenigen Personen, die den Wert der buddhistischen Religions-
No. 1 u. 2. Die buddhistische Welt. 11
Philosophie für das Abendland erkannt haben; er steht auf dem Boden
der Toleranz und will daher mit Angriffen gegen die bestehenden l<irch-
lichen Gemeinschaften nichts zu tun haben. Er erstrebt die Bildung
einer buddhistischen Gemeinschaft in Deutschland, die Gründung von
Zweigvereinen, Abhaltung von Vorträgen, Gründung von buddhistischen
Seminarien, Bibliotheken und Lesezimmern, Centraüsierung der in Deutsch-
land domizilierten Buddhisten, Verkehr mit buddhistischen Gesellschaften
im Orient und Einberufung buddhistischer Kongresse«.
„Mit Toleranz will man also die Bekenner der Lehre Jesu ihrer
Religion abwendig machen (Anm. d. Red. Das ist derselbe bereits oben
rektifizierte Irrtum); nun sind wir neugierig zu erfahren, wie die Hüter
des Christentums ihre heiligsten Güter wahren werden". —
Gegnerische Stimmen. Dass öcr buddhistische Einfluss in Deutsch-
land bereits als ziemlich stark anerkannt wird, erhellt aus dem Umstände,
dass die christliche Apologetik in dieser Richtung immer tätiger wird.
Zumal protestantische Geistliche sind es, die zu dem Thema »Buddhis-
mus und Christentum« das Wort ergreifen. Herr Dr. Jercmias, Prediger
an der Lutherkirche in Leipzig, hielt hier vor einigen Jahren einen Vortrag
über Buddhismus, welcher, wenn wir nicht irren, einige Zeit darauf in der
»Evangelisch - lutherischen Kirchenzeitung« veröffentlicht wurde. Zwei
andere Leipziger Geistliche, die Herren Schreiber und Frenkel,
sprachen hier im vergangenen Jahre ebenfalls über Buddhismus und sein
Verhältnis zum Christentum. Superintendent Klingemann-Essen veröffent-
lichte eine Broschüre »Buddhismus, Pcssimisraus und moderne Weltan-
schauung«. Pastor Hunzinger schrieb über »Christentum und Buddhismus«;
Pastor Max Schreiber behandelte in einer besonderen Schrift das Thema
»Buddha und die Frauen«. In anerkennenswert objektiver Weise urteilt
Alfred Bertholet, Professor der Theologie in Basel, in seinen Broschüren
»Buddhismus und Christentum« und »Der Buddhismus und seine Bedeutung
für unser Geistesleben«. In der letzten Abhandlung (S. 57) sagt er be-
züglich der buddhistischen Ethik: „Ich stehe mit Bewunderung vor einer
solchen Ethik; aber ich muss von denen, die sie zu der ihren machen, sagen:
»Ihr habt einen andern Geist als wir«.
Pastor militaris militans. Während die Ausführungen der eben ge-
nannten geistlichen Herren mehr oder weniger objektiv urteilen (nota bene:
soweit das vom Standpunkte des christlichen Offenbarungsglaubens eben
möglich ist) wendet sich Herr Militär-Oberpfarrer Robert Falke-
Mainz gegen den Buddhismus in recht einseitiger und subjektiv gefärbter
Weise. Dieser Herr hat mit einer bewundernswerten Beharrlichkeit seit
einer Reihe von Jahren in Wort und Schrift gegen den Buddha und seine
Lehre polemisiert. Der Buddha erscheint ihm „treulos", „ihm schlug kein
12 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
fühlend Herz in der Brust", er war ein „stumpfer Mönch"; der Buddhis-
mus ist für Herrn Falke eine „Bettlerphilosophie"; eine „atheistische,
nihilistische, pessimistische Philosophie", sie atmet eine „schwermütige,
weltschmerzliche Stimmung;", und der Verfasser, nach dessen Ansicht
„dem Christentum vom Buddhismus eine bedeutende Gefahr droht",
resümiert in einem uns vorliegenden Artikel folgendermassen: „Der bleiche
Tod grinst dem Buddhismus aus seinen beiden Augen!" — Der Haupt-
irrtum Falkes, der auch eine Auseinandersetzung mit ihm erheblicli er-
schwert, besteht darin, dass er fortwährend Buddhismus und theosophischc
Qeheimlehre identifiziert. Die meisten der von Falke vorgebrachten
Argumente sind alt und längst widerlegt; indessen werden wir bei Gele-
genheit nicht versäumen, sie einmal gehörig unter die Lupe zu nehmen.
Bibliographie.
Abgesehen von den oben erwähnten, vom Buddhistisciicn Missions-
Verein veröffentlichten Schriften und den gegnerischen Auslassungen liegen
seit Ende lö^DS folgende beachtenswerte Ncu-Erscheinuiigen vor: Olden-
bergs monumentales Werk »Buddha« in 4. Auflage; Arthur Pfungst:
»Aus der indischen Kulturwelt«; Edmund Hardy: »Buddha«;
Dr. Paul Dahlke: »Aufsätze zum Verständnis des Buddhismus«;
von demselben Verfasser »Buddhistische Erzählungen«; Dr. Otto
Schrader: »Die Fragen des Königs Menandros (Milindapafilia)«;
in Vorbereitung von demselben ist noch eine Abhandlung über »Das
Wesen des Buddhismus«; eine andere kleine Arbeit Schraders: »Kennt
der Buddhismus den Begriff der christlichen Nächstenliebe?« ist leider
nahezu vergriffen. Die Besprechung einzelner dieser Werke wird in den
nächsten Nummern erfolgen.
Büchertisch.
(Für liesprechiinjj und KiicUsendiiiiij nicht verlangter Büclier übfriiiinnit die
RedaUliim keine VerpBiclitiuiij. Die Jiiiclier sind zu senden an den Redakteur
Karl Seidenstiicker, per Adr. üuddhistiscljcr Verlag in Leipzig.)
Eingesandte Literatur.
Die Religion der Zukunft. Von Oberpräsidialrat Th. Schnitze. Dritte
stark vermehrte Auflage, i. Teil. Das Christentum Christi und die
Religion der Liebe. II. Teil. Das rollende Rad des Lebens und der
feste Ruhestand. Frankfurt a. .M. Neuer Frankfurter Verlag 1901.
Preis 4 M.
Confucius. Von Professor Dr. U. Hattori, Tokyo. Frankfurt a. M.
Neuer Frankfurter Verlag 1902. Preis 0,30 M.
No. 1 u. 2. Die buddhistische Welt. 13
The Light of Buddha. By. Rcv. S. Kuroda. Osnl<a, Japan 1903.
Oullines of the Mahsiyäna as tought by Buddha. By. F^cv. S. Kuroda.
Asakusa, Tokyo, Japan 1893.
Buddhist and Christian Gospels. By Albert J. Edmunds. Philadel-
phia 1904.
The Outline of Buddhisni. By Skesaburo Nagno. San Francisco,
Buddhist. Mission 19C0.
The Light of Dhanna. A reh'gious magazinc dcvotcd to the teachings
of Buddha. Editcd by Rcv. Dr. Kcntok Hori. April 1904 —
Januar 1905. San Francisco, Buddhist Mission.
Cuddhism. An illustrated quarterly revievv. Edited by Bhikkhu An and a
Maitriya. Vol. 1, No. 4. Rangoon, Burma, Hanthav/addy Printing
Works 1904.
Im Wunderlar.de der Lotusblunie. Lehrdrania von Kama Deva.
Graz, Verlag von Paul Cicslar 1904. Preis geh. 2 Mk.
Das Evangelium der Freiheit. Von Anton Hartmann. Leipzig,
Theosophische Zcntraibuchhandlung 1904. Preis 1,20 M.
The Buddhist Hymns. Published by the Dharma-Sangha of B;iddha.
San Francisco.
Neuerscheinungen buddhistischer Literatur.
Der Weg zu Buddha. Von Skesaburo Nagao. Deutsche Ausgabe
von Karl B. Seidcnstücker, Leipzig, Buddhistischer Verlag. Preis
0,80 M.
Buddhistisches Vergissmeinnicht. Eine Sammlung buddhistischer Sprüche
für alle Tage des Jahres. Zusammengestellt von Bruno Freydank.
Leipzig, Buddhistischer Verlag. Preis 1,50 M.
Der Wert des Buddhismus. Von Bhikkhu Änanda Maitriya. Leipzig,
Buddhistischer Verlag. Preis 0,30 Mk.
Die vier erhabenen Wahrheiten. Von Bhikkliu Änanda Maitriya.
Leipzig, Buddhistischer Verlag. Preis 0,30 M.
Der Buddhismus als Erlösungs-Religion. Von Karl B. Seiden-
stücker. Leipzig, Buddhistischer Verlag. Preis 0,30 Mk.
Die Fragen des Königs Menandros. Von Dr. Otto Schrader. Berlin,
Verlag von Paul Raatz. Preis 5,50 M.
The Light of Dharma. Inhalt der letzten Nummer (Januar 1905): Die
Kürze des ursprünglichen buddhistischen Kanons — Buddhistische
Ideen bei Shakespeare — Civilisation und Aberglauben — Die
Tätigkeit deutscher Buddhisten — Bei der Schlacht am Nan-Shan-
Hügel — Bücherschau — Kleine Mitteilungen.
Buddhism. Aus dem Inhalt der letzten Nummer (November 1904): Die
neue Civilisation — Die Philosophie des Buddhismus — Die Grün-
dung von Lha'ssa — Sir Edwin Arnold — Die Einführung des
Buddhismus in Burma — Das lamaTstische Gebets-Rad — Die
Stein-Altertümer von Ceylon — In dem Schatten von Shwe-Dagon.
14 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Besprechungen.
Die Religion der Zukunft. Von Oberpräsidiairat Th. Schultze. Dritte
stark vermehrte Auflage, l'reis 4 M.
Wer immer an den religiösen Strömungen und Kämpfen unserer Zeit
Interesse nimmt, wird nicht umhin können, das geistvolle, grosse Werk
des »deutschen Buddhisten« zu würdigen. Theodor Schultze, dessen
Lebens- und Charakterbild Arthur Pfungst gezeichnet hat, gehörte ohne
Zweifel zu den tiefsten i3enkcrn unseres Volkes, und was an diesem
Manne das wahrhaft Grosse und Bewundernswerte ist, liegt in der Tat-
sache, dass er mit seiner hohen Begabung eine unbeugsame Energie und
einen tiefen Ernst verband, und dass er die Weltanschauung, der er er-
geben war, auch wirklich gelebt hat und ihr bis zu seinem Tode in
Theorie und Praxis treu geblieben ist. Keiner seiner Gegner hat es je
gewagt, seinen lauteren Charakter anzutasten und die Persönlichkeit dieses
Mannes zu verdächtigen.
In der Vorrede zu seiner deutschen Uebersetzung des Dhammapada
formuliert Schultze sein Programm im Anschluss an die Worte Max
Müllers: „Und wenn ich mich selbst fragte, aus welcher Literatur wir hier
in Europa, die wir beinahe ausschiicsslich von den Gedanken der Griechen
und Römer, und einer semitischen Rasse, der jüdischen, gezehrt haben,
dasjenige Correktiv herleiten können, dessen wir am meisten bedürfen,
um unser inneres Leben vollkommener, universeller, in Wahrheit mensch-
licher zu machen, zu einem Leben nicht nur für diese Welt, nein, zu
einem verklärten und ewigen Leben zu gcstaUen : — ich würde wiederum
auf Indien weisen." — Also die Schätze der indischen Geisteswelt sind
es, deren nach Schultzes Ansicht die europäische Kultur bedarf.
So ist das gesaninite Werk »Die Religion der Zukunft« im Grunde
der Beantwortung der Frage gewidmet: Welcher Weltanschauung ist ein
grösserer Wert als Kulturfaktor beizumessen: der jüdisch-christlichen oder der
indischen, speziell der in ethischer Hinsicht so bedeutenden buddhistischen
Weltanschauung? In dem ersten Teile unterzieht der Verfasser das
Judentum und das aus ihm hervorgegangene Christentum einer wahrhaft
vernichtenden Kritik; das Resultat, zu dem Schultze gelangt, ist ein durch-
aus negatives: „Es handelt sich jetzt um die Entscheidung der Frage,
ob es für jeden Alenschen nur eine überall gleichberechtigte Erkenntnis-
quelle giebt: Beobachtung und I'Jachdenken mit Hilfe seiner eigenen Sinne
und seines eigenen Verstandes, sowie begründetes Zutrauen zu dem von
anderen ebenso gewonnenen, ihm mitgeteilten Wissen; — oder ob für
das religiöse Gebiet noch ausnahmsweise eine zweite
höhere Erkenntnisquelle besteht: eine zu gewisser Zeit gewissen
die von ihnen den Zeitgenossen mitgeteilt und der Nachwelt überliefert
Personen auf übernatürliche Weise zuteil gewordene Offenbarung,
worden ist. Fällt die endliche Entscheidung dieser Frage gegen die bis-
her dem äusseren Anschein nach noch vorherrschende Annahme
einer Offenbarung als besonderer Erkenntnisquelle für das religiöse Ge-
No. 1 u. 2. Die buddhistische Welt. 15
biet, und zu Gunsten der Einheit der Erkenntnisquelle für alles menschliche
Wissen und Glauben aus, dann wird das Christentum zu einer historischen
Antiquität, die man ruhig beiseite legen kann, ohne besorgen zu müssen,
dass deshalb die Fundamente für den Bestand der europäischen Gesell-
schaft aus den Fugen gehen würden. Diese Krisis aber muss überstanden
sein, die Religion in der Gestalt überlieferter dogmatischer
Systeme gewisser vom Staate mit Zwangs- und Bannrechten
auf den Jugendunterricht ausgestatteter Korporationen muss
erst ganz absterben, bevor sie als selbsterworbene, oder in reifem
Lebensalter selbsterwählte, ethisch - metaphysische Welt- und Lebensan-
schauung und in dieser wurzelnde Gesinnung der Einzelnen zum innerlich
leitenden Prinzip für die Gestaltung der sozialen Verhältnisse der Nationen
des europäischen Kulturkreises werden kann." — Die Ansichten des Ver-
fassers über den Wert, oder Unwert des Christentums als Kulturfaktor
können wir im wesentlichen teilen; indessen erscheint uns die Zeichnung
der Persönlickeit Jesu zu einseitig.
Im zweiten Teile »Das rollende Rad des Lebens und der feste
Ruhestand« wendet Schnitze s.-ine Aufmerksamkeit dem indischen Denken
zu. „Während die Israeliten wie überhaupt die Semiten ganz unfähig waren,
den geistigen Blick der subjektiven Tiefe des Bewusstseins zuzuwenden,
dort Fragen vom höchsten allgemein menschlichen Interesse aufzufassen,
und für diese durch Selbstbeobachtung und Nachdenken eine Lösung zu
suchen, besass gerade hierfür der indische Zweig des arischen Völker-
stammes vor alters eine ebenso ausnahmsweise hohe Begabung, wie der
hellenische für die Auffassung und Darstellung des Schönen in der sinn-
lichen Erscheinung und im sprachlichen Gedankenausdruck." Der Ver-
fasser gibt nun eine vortreffliche Darstellung des Entwickelungsganges,
den die vorbuddhistische Religion in Indien genommen hat. Der Kern
desselben liegt nach Schultze — und das ist zweifellos richtig — in dem
Übergang von dem Standpunkte des nniv-o bjektiven Realis-
mus auf den des subjektiven Idealismus. „Es brach sich die
Erkenntnis Bahn, dass die objektive Welt nicht ausserhalb des Bewusst-
seins und unabhängig von diesem bestehe, sondern eine innerhalb des-
selben schwebende und völlig von dessen Organen und deren Funktionen
abhängige Erscheinung sei, welche durch das Bewusstscin zur
Einheit verknüpft werde. Aber mit diesem subjektiven Idealismus
verband sich sofort auch ein transcendenter oder metaphysischer Realis-
mus, d. h. die Einsicht, dass die Existenz des Bewusstseins mit seinen
subjektiven Fimktionen und seinem mannigfachen objektiven Inhalt nur
begreiflich sei, wenn ihm und allem, was es in sich trage, ein unbekann-
tes Etwas zur Unterlage seines zeitweiligen Bestehens diene, von welchem
sich nichts weiter sagen lasse, als dass es sei."
Nachdem der Verfasser das vorbuddhistische religiöse Denken in
Indien uns in seiner Entwicklung vorgeführt hat, geht er zur Darstellung
des Buddhismus über. Dieselbe ist geradezu meisterhaft und gehört
16 Die buddliistischc Welt. 1. Jalirj;
ohne Zweifel zu dem Besten, was jemals über dieses Thema geschrieben
ist. Schultze begnügt sich nicht etwa mit einer troclccnen Darstellung
der buddhistischen Lehren, sondern sein scharfer Blici< erkennt den Kern
der Sache und greift das Wichtigste heraus. Kein Wort ist hier zuviel
gesagt, und jeder, der sich in diese Darstellung versenkt, wird den tiefen
sittlichen Ernst fühlen, der aus jeder Zeile zu uns spricht. Zahlreiche
Belegstellen aus dem buddhistischen Kanon werden herangezogen, und
vortrefflich ist die Art und Weise, wie Th. Schultze verschiedene gegen den
Buddhismus erhobene Einwände zurückweist. Wie hoch der Autor den
Buddha und seine Religion schätzt, erhellt zur Genüge aus den Worten,
mit denen die Darstellung des Buddhismus schliesst: „Soweit unsere
historische Kenntnis reicht, hat keines andern Menschen Lebensarbeit
einen so ausgedehnten, so andauernden und so vorwiegend heilsamen
Einfluss auf die Nachwelt ausgeübt, wie die des Weisen aus dem Qäkya-
stamme".
Das letzte Kapitel ist »Bodenuntersuchungen für etwaige
Neubauten auf religiösem Gebiet« gewidmet. Schultze schrieb
diese Ausführungen als schwerkranker Mann, und bedauerlicher Weise
war er genötigt, seine Betrachtungen in den engsten Rahmen zu spannen.
Die Idee seiner geistvollen Darstellungen ist im wesentlichen die, dass
der Vedänta die Grundlage für die metaphysische Seite der Zukunfts-
rcligion bilden und der Buddhismus die Bausteine für die Ethik liefern
wird. Der Verfasser ist in seinem Urteil übrigens ausserordentlich zurück-
haltend: „Es wäre sehr voreilig, schon jetzt Vermutungen darüber hegen
zu wollen, welchen Inhalt das religiöse Vorstellen und Denken europäisch
gebildeter NichtChristen erhalten werde, wenn in Zukunft einmal nur
solche auch äusserlich für Christen gelten sollten, welche noch innerlich
am christlichen Dogma festhalten".
Die Arbeit Theodor Schultzes ist nach unserem Urteil ein monumen-
tales Werk von bleibendem Wert, und würden wir gefragt, welches nach
unserem Dafürhalten die drei besten und bedeutendsten Darstellungen
des Buddhismus in deutscher Sprache seien, so würden wir dieses Buch
mit nennen. Wenn eine spätere Generation einmal in der Lage sein wird,
die religiösen Strömungen unserer Tage klar überblicken zu können, dann
wird auch Theodor Schultze und seine Lebensarbeit noch nicht vergessen
sein: Der »deutsche Oudd'iist« hat in seiner »Religion der Zukunft« ein
ehernes Denkmal geschaffen, das dem Sturm der Zeiten trotzen und auch
für die Nachwelt von hoher Bedeutung bleiben wird. S.
Toleranz. Wenn da etwa, ihr Brüder, jene, die nicht mit uns sind,
über mich, oder über meine Lehre, oder über meine Gemeinde verächtlich
reden sollten, so darf das für euch kein Grund sein, dass ihr in Zorn geratet.
Brahniajäla-Sutta.
Redaktion: Karl B. SeidenstOckcr, Leipzig. — Druck; Arno Barhmann, Baalsdorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang.
LEIPZIG, Juni 1905.
No. 3.
Rundschau.
Die Einigung der buddhistischen Welt.
Dür Buddhismus in seinem heutigen Bestände stellt sich uns in zwei
Hauptrichtungen dar: die Buddhisten von Ceylon, Burma, Slam gehören
der Hinayäna-Schule an; während die Bewohner von Nepal, China,
Tibet, den mongolischen Territorien, Korea und Japan Anhänger des
Mahäyäna sind. Das Hinayäna fusst auf dem älteren, ursprünglichen
Päli-Kanon und hat bis heute das Päli als heilige Sprache bewahrt, weshalb
man das Hinayäna nicht unpassend als Päli-Buddhismus bezeichnet hat.
Im Gegensatze dazu stützt sich das Mahäyäna auf einen jüngeren, aber
umfangreicheren Sanskrit-Kanon; derselbe ist im ersten christlichen Jahr-
hundert auf dem unter der Regierung Kanishkas, Königs von Kashmir ab-
gehaltenen vierten Konzile festgesetzt worden. Beide Richtungen nun
zerfallen wiederum in verschiedene Unterabteilungen, aber es berührt
sympathisch, wenn wir hören, das alle »Schulen« des Buddhismus ein-
trächtig zusammen wirken und sich gegenseitig durchaus als berechtigt
anerkennen ; sie bezeichnen sich als „verschiedene Wege, die alle zu dem
gleichen Ziele führen."
Nun ist es sehr bemerkenswert, dass in unserer Zeit auch äusserlich
eine Einigung der verschiedenen Richtungen innerhalb des Buddhismus
zustande gekommen ist. Henry S. Oleott, der verdienstvolle Verfasser
des weitverbreiteten buddhistischen Katechismus, berief i. J. 1891 eine
Buddhisten-Konferenz nach Adyar (Indien) und legte den dort anwesenden
Vertretern der verschiedenen Schulen vierzehn von ihm ausgearbeitete
Leitsätze vor, welche die Grundlage für eine Zusammenschliessung
der buddhistischen Welt bilden sollten. Die Delegierten billigten die
Thesen und unterbreiteten sie den Vorstehern der einzelnen Territorien.
Die Sätze sind dann geprüft und angenommen worden von den Buddhisten
in Burma, Ceylon, Bengalen und Japan ; später haben auch die Lamas
der mongolischen Distrikte ihr Votum in bejahendem Sinne abgegeben.
Wir stehen hier also vor der bedeutsamen Tatsache, dass die buddhisti-
sche Welt ihrem Solidaritäts-Bewusstsein in nicht misszuverstehender
Weise Ausdruck gegeben hat.
««See«*
18 Die buddhistische Welt. l. Jahrg.
Buddhistische Leitsätze.
Im folgenden geben wir unseren Lesern die erwähnten vierzehn von
H. S. Oicott aufgestellten Thesen wieder. (Nach Oleotts Katechismus).
1. Die Buddhisten werden gelehrt, allen Menschen ohne Unterschied
die gleiche Duldsamkeit, Nachsicht und brüderliche Liebe, und allen Glie-
dern des Tierreichs eine umwandelbare Güte entgegenzubringen.
2. Das Weltall hat sich entwickelt, ist nicht erschaffen worden, und
in ihm waltet das Gesetz, nicht irgend eines Gottes Willkür.
3. Die Wahrheiten, auf die sich der Buddhismus gründet, sind natür-
licher Art. Sie sind, so glauben wir, in aufeinanderfolgenden Weltperioden
durch gewisse erleuchtete Wesen, Buddhas genannt, gelehrt worden;
der Name Buddha bedeutet »Erleuchteter«.
4. Der vierte Lehrer unserer gegenwärtigen Weltperiode war ?äkya-
muni oder Gautama Buddha, der vor ungefähr 2500 Jahren in einer
königlichen Familie Indiens geboren wurde. Er ist eine historische Per-
sönlichkeit, und sein Name war Siddhärtha Gautama.
5. Qäkyamuni lehrte, dass Unwissenheit Begierde erzeuge, unbe-
friedigte Begierde die Ursache wiederholter Geburt und diese die Ursache
der Trübsal sei. Um daher Freiheit von der Trübsal zu erlangen, ist es
nötig, der wiederholten Geburt zu entrinnen; um dieser zu entrinnen, ist
es nötig, die Begierde auszulöschen, und um die Begierde auszulöschen,
ist es nötig, die Unwissenheit zu beseitigen.
6. Die Unwissenheit nährt den Glauben, dass wiederholte Geburt eine
Notwendigkeit sei. Wenn die Unwissenheit beseitigt ist, wird die Wert-
losigkeit jeder solchen wiederholten Geburt — als Selbstzweck betrachtet
— ebenso klar erkannt, wie das hochgradige Bedürfnis, eine Lebens-
führung anzunehmen, durch welche die Notwendigkeit solcher wiederholter
nochmaligen Geburten aufgehoben werden kann. — Unwissenheit erzeugt
auch die täuschende und unlogische Vorstellung, dass es nur ein einziges
Dasein für den Menschen gebe, sowie die andere Täuschung, dass auf
dieses eine Leben Zustände unwandelbarer Freude oder Qual folgten.
7. Die Beseitigung all' dieser Unwissenheit kann erreicht werden
durch die beharrliche Ausübung eines allumfassenden Altruismus im Be-
tragen, Entwickelung der Einsicht, Weisheit im Denken und Vernichtung
des Begehrens nach den niederen persönlichen Freuden.
8. Da das Verlangen nach individuellem Dasein die Ursache wieder-
holten Geboren-werdens ist, hören die wiederholten Geburten auf, wenn
dieses Verlangen ausgelöscht ist, und das vollendete Einzelwesen erreicht
durch Meditation jenen höchsten Friedenszustand, der Nirväna genannt
wird.
9. Qäkyamuni lehrte, dass die Unwissenheit beseitigt und das Leiden
entfernt werden könne durch die Erkenntnis der »vier erhabenen
Wahrheiten«, welche umfassen:
I. Das Leiden des Daseins.
II. Die Entstehunsgsursache des Leidens, welche in dem stets erneuten
Begehren besteht, sein Ich zu befriedigen, ohne jemals imstande zu sein,
die Erreichung dieses Zieles zu verbürgen.
III. Die Vernichtung dieses Begehrens oder das Sichabwenden von
ihm.
IV. Die Mittel zur Erreichung dieser Vernichtung des Begehrens. Die
Mittel, auf die er hinwies, heissen der »erhabene achtfache Pfad«,
nämlich: Rechte Einsicht; rechte Gesinnung; rechte Rede; rechtes Handeln;
rechte Lebensweise; rechtes Streben; rechtes Gedenken; rechtes Sich-
versenken.
10. Rechtes Sichversenken (Meditation) führt zu geistiger Erleuchtung
No. 3. Die buddhistische Welt. 19
oder zur Entwici<iung jener buddhamässigen Fähigiceit, die in jedem
Menschen schlummert.
11. Das Wesen des Buddhismus, wie es vom Tathägata (Buddha)
selbst zusammengefasst wurde, ist:
Von aller Sünde zu lassen,
Tugend zu erringen.
Das Herz zu reinigen.
12. Das Weltall ist einer als »Karma« bezeichneten Ursächlichkeit
unterworfen. Die Verdienste oder Verschuldungen eines Wesens in
früheren Daseinsformen bestimmen seinen Zustand in der jetzigen. Jeder-
mann hat daher die Ursachen der Wirkungen, die er jetzt erfährt, selbst
vorher bereitet.
13. Die Hindernisse für die Erreichung eines guten Karma können
durch die Befolgung nachstehender Vorschriften beseitigt werdan, welche
in dem buddhistischen Moralkodex enthalten sind, nämlich: 1. Töte nicht!
— 2. Stiehl nicht! — 3. Gib dich nicht verbotenem geschlechtlichen Ge-
nüsse hin! — 4. Lüge nicht! — 5. Qeniesse keine berauschenden Ge-
tränke. — Fünf andere Gebote, die hier nicht aufgezählt zu werden
brauchen, sollen von denen beobachtet werden, welche schneller als der
Durchschnittslaie zur Erlösung von Leid und wiederholter Geburt ge-
langen wollen.
14. Der Buddhismus warnt vor abergläubischer Leichtgläubigkeit.
Gautama Buddha lehrte, dass es Pflicht der Eltern sei, ihre Kinder in
Wissenschaft und Literatur unterrichten zu lassen. Er lehrte auch, dass
niemand etwas glauben solle, was von irgend einem Weisen gesprochen,
in irgend einem Buche geschrieben oder durch Tradition bekräftigt sei,
sofern es nicht mit der Vernunft in Einklang stehe." —
Ein anderer hochverdienter Propagandist, Dr. Paul Carus, hat eben-
falls buddhistische Leitsätze — fünfzehn an der Zahl — aufgestellt. Es
ist nun hochinteressant, an diesem Beispiele zu sehen, dass der Buddhis-
mus, von verschiedenen Standpunkten beleuchtet, verschiedene Aspekte
darbietet. Der Leser mag nun die hier folgenden Leitsätze von Carus
mit denen Oleotts vergleichen:
1. Der Buddhismus ist die Religion der Erlösung vom Übel durch
Erleuchtung.
2. Erleuchtung bedeutet Erkennen der Wahrheit, die meine ganze
Persönlichkeit berührt; sie erleuchtet den Kopf, wärmt das Herz und
leitet die Hand.
3. Die Wahrheit, die Erleuchtung verleiht, kann nur durch energische
Anstrengung erreicht werden; sie muss erlangt werden durch persönliche
Erfahrung, durch Versuche in dem Empfindungsleben der Seele und durch
ernste Erforschung der Tatsachen des Daseins.
4. Erleuchtung zeigt, dass das Gesetz der Ursache und Wirkung in
der moralischen Welt nicht weniger unwiderleglich ist, als in der phy-
sischen, dass jede üble Tat ihre üblen Wirkungen hat und jede gute Tat
ihre guten Wirkungen.
5. Durch Erleuchtung lernen wir, dass das grösste Übel, in der Tat
das alleinige absolute Übel, moralische Schlechtigkeit ist, und dass ihre
Ursache Individualität ist.
6. Individualität besteht in der Annahme, dass es ein unabhängiges,
getrenntes Selbst gibt, und dass die Wohlfahrt des Selbst der höchste
Zweck des Daseins ist.
7. Es gibt kein Selbst-an-sich, kein Atman im Sinne einer getrennten
Ego-Wesenheit. Das wahre Selbst des Menschen ist die Zusammensetzung
seiner ganzen Persönlichkeit (Nama-Rflpa, Name und Form, d. i. Subjekt
2*
20 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
und Objekt); dieselbe besteht hauptsächlich aus dem Charakter des Men-
schen, seinem Gemüt, seinen Strebungen und seiner Denkweise.
8. Jedes Wesen ist in seinem gegenwärtigen Dasein das genaue Pro-
dukt aller seiner Taten in früheren Existenzen, und es wird gemäss seiner
Taten einst in zukünftigen Existenzen weiter bestehen.
9. Individualität ist eine Illusion, aber die Illusion wird durch Erleuch-
tung zerstört.
10. Erleuchtung erkennt den Zusammenhang alles Lebens, verleiht
eine alles verstehende Güte gegen alle Lebewesen und ein tiefes Mitleid
mit jeder leidenden Kreatur.
11. Erleuchtung ist mehr als Erkenntnis, mehr als Moralität, mehr als
Güte. Es ist Weisheit, Tugend und eine alles verstehende Liebe in
einem vereint. Es ist \Vahrheit, die sich in bewegenden Ideen als Kraft
manifestiert. Erleuchtung ist nur vollkommen, wenn sie unsere Gedanken
beherrscht, unsere Gefühle anregt und unsere Lebensführung regelt.
12. So gleicht die Wahrheit einer Leuchte. Sie offenbart das Gesetz
des Guten und zeigt uns den erhabenen Pfad der Gerechtigkeit, der zu
Nirväna führt.
13. Nirväna ist ein Zustand des Geistes, in welchem die Grenzen der
Individualität verschwinden und in dem man die Ewigkeit der Wahrheit
betrachtet. Dieser Zustand macht die eigene Individualität ebenso ob-
jektiv wie die anderer. Individuelle Existenz hört auf Zweck zu sein,
und das eigene Selbst, die eigene Seele wird mit den Wahrheiten, aus
denen sie besteht, identifiziert; nur diese Wahrheiten sind jenes Etwas,
welches bleiben wird, selbst wenn die ganze Welt untergehen sollte
[A. d. H.: Die sogen, ewigen Wahrheiten]. Kurz, Nirväna ist das voll-
ständige Übergehen der Individualität zur Wahrheit. Es ist Erlösung vom
Übel und höchste Seligkeit.
14. Wer zur vollkommenen Erleuchtung gelangt ist, so dass er ein
Lehrer der Menschheit ist, wird »Buddha« genannt, das heisst »der
Erleuchtete«.
15. Die Buddhisten verehren Gautama Siddhärtha als den Buddha;
denn er hat zum ersten Male die Wahrheit klar gezeigt, welche vielen
Hundert Millionen Leidenden unaussprechliche Segnungen gebracht hat." —
Wer sich mit den Lehren des Buddha beschäftigt, wird nicht umhin
können, diese zwei Gruppen von Thesen zu studieren und zu durch-
denken. Eine Fülle tiefer Gedanken liegt in ihnen, und glaube niemand,
ihren ganzen Inhalt so ohne weiteres zu erfassen. Die von H. S. Oleott
aufgestellten Sätze sind einfacher, mehr für das allgemeine. Verständnis
des morgenländischen Geistes berechnet, während Dr. Carus' Thesen in-
haltlich subtiler, tiefer und dem wissenschaftlichen Denken des Westens
angepasst sind.
Der Buddhismus in Japan.
Die buddhistische Religion in Japan ist durchweg Mahäy.lna-Buddhis-
mus und zerfällt wiederum in verschiedene Unterabteilungen oder »Schu-
len«, die aber alle sich gegenseitig achten und einmütig zusammen wirken.
Da in unseren Tagen die Buddhisten in Japan ausserordentlich eifrig tätig
sind, wird es sich lohnen, hier einen ganz kurzen Überblick über die
Gliederung des Buddha-Dharma im fernen Inselreich zu geben.
Der Buddhismus wurde 552 n. Chr. in Japan eingeführt; in seinem
heutigen Bestände zerfällt er in zwei Hauptgruppen.
Erste Gruppe (Shödö).
1. Die Kusha- oder Abhidharma-Schule; eingeführt 658 n. Chr.
No. 3. Die buddhistische Welt. 21
2. Die Ritsu- oder Vinaya-Schuie; eingeführt 724 n. Chr. Diese
Schule lehrt die im Vinaya niedergelegten Morallehren.
3. Die Hosso- oder Dharmalakshana-Schule; eingeführt 653 n. Chr.
Dieselbe lehrt, dass alle Dinge nur Erscheinungen im Geiste eines jeden
Wesens sind, d. h., dass die drei Welten: Wunsch, Form, Nicht-Form
nur im Geiste bestehen, und dass ausserhalb des Geistes überhaupt
nichts existiert.
4. Die Kegon- oder Avatamsaka-Sütra-Schuie; eingeführt 736
n. Chr. Nach der Lehre dieser Schule befinden sich in Wahrheit alle
Wesen im Zustande absoluter Freiheit ohne jede Fessel.
5. Die Tendai-Schule; eingeführt 805 n. Chr. Sie lehrt: Alle Wesen
sind ursprünglich rein und vollkommen; aber infolge der durch Unwissen-
heit erzeugten Trübung des Geistes wird diese Wahrheit nicht erkannt.
6. Die Shingon- oder Mantra-Schule; eingeführt 806 n.Chr. Es
gibt in Wahrheit nichts anderes, als Buddhn, und Buddha ist nicht ausser-
halb der Dinge. Alle Tugenden Buddhas liegen vollkommen in allen
Wesen, aber die Unwissenheit verhindert die Erkenntnis dieser Wahrheit.
(Im Geiste dieser Schule ist das vom Herausgeber übersetzte Schriftchen
»Der Weg zu Buddha« geschrieben.)
7. Die Zen- oder Dhyäna-Schule. Dieselbe gliedert sich in drei
Zweige:
a) Die Rinzai-Schule; eingeführt 1168 n. Chr.
b) Die Sotö-Schule; eingeführt 1223 n. Chr.
c) Die Oback-Schule; eingeführt 1653 n. Chr.
Diese Schulen lehren : Es hat nichts eine reale E.xistenz, als der eigene
Geist; ausserhalb des Geistes ist Buddha nicht, und der Geist ist nicht
ausserhalb Buddhas. Infolgedessen ist es nicht nötig, nach der Tugend
zu suchen und die Sünde zu fürchten; das Wesen aller Dinge ist Buddha
d. h. vollkommen und gut.
8. Die Hokke- oder Nichiren-Schule, (Schule vom Sonnenlotus);
eingeführt 1252 n. Chr. Sie fusst auf dem Saddharmapundarika-Sütra.
Zweite Gruppe (Jödo).
9. Die Jojitsu- oder Satyasiddhi-(^ästra-Schule; eingeführt 625
n. Chr. Sie lehrt die zwei Arten von Unrealifät, nämlich die Nichtigkeit
des Atman (Selbst) und die Nichtigkeit des Dharma (Dharma-Ding).
10. Die Sanron- oder Drei-^ästra-Schule; eingeführt 625 n. Chr.
Ihre Lehre hat den Zweck, den beiden weitverbreiteten irrigen Ansichten
(die Dinge sind, die Dinge sind nicht; beides im absoluten Sinne) ent-
gegenzutreten und den Mittelweg zu zeigen.
11. Die Jödo-Schule oder die Schule vom reinen Lande; einge-
führt 1138 n.Chr. Sie ist weitverbreitet und könnte als der buddhistische
Protestantismus bezeichnet werden. Die Priester dürfen heiraten; Cere-
monien sind abgeschafft und — leider — das fünfte Gebot (Enthaltung
von alkoholischen Getränken) ist aufgehoben. Diese Schule ist charakteri-
siert durch die Verehrung des Buddha Amitäbha. Äusserlich betrach-
tet, steht diese Schule ausserhalb des Buddhismus insofern, als ihre An-
hänger den Buddha Amitäbha personifiziert haben und glauben, durch
das unbegrenzte Erbarmen dieses Buddha erlöst zu werden ; damit haben
sie das Grundprinzip des Buddhismus (Selbst-Befreiung) aufgegeben. An-
dererseits muss gesagt werden, dass Amitäbha (d. h. unbegrenztes Licht
habend) in Wahrheit ein Prinzip ist, das später personifiziert wurde.
Paul Carus hat den Nachweis geliefert, dass der Begriff Amitäbha als
Prinzip sehr wohl haltbar ist (Buddhism, Vol. I. No. 4); er sagt im An-
hange zum Evangelium Buddhas: „Der Buddhismus lehrt, dass Amitäbha,
der Urquell des Lichts und das eigentliche Wesen Buddhas, d. h. dasjenige,
was Erleuchtung gibt und dessen Erkenntnis Nirväna ist, allgegenwärtig
22 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
und ewig ist. Es ist das, was der Wiri<lichkeit die Gestalt eines liar-
monisclien Ganzen gewährt. Es zeigt sich in der Gesetzmässigkeit des
Alls, die in gewissem Sinne übernatürlich ist, weil sie die unerlässliche
Bedingung aller Natur ist. Es ist das absolut Allgemeine, welches wir
in den formalen Wissenschaften, insbesondere der Logik, Mathematik und
dem Kausalgesetz als schlechthin notwendig erkennen. Als solches ist es
die Bedingung nicht nur der wirklichen, sondern überhaupt jeder möglichen
Welt. Seine Gegenwart erst macht die Welt erkennbar; daher ist es die
Voraussetzung der Wissenschaft und das ewige Urbild der Wahrheit. Vor
allen Dingen ist es auch der reale Uri^rund des guten Gesetzes der Reli-
gion und bildet die höchste Autorität sittlichen Lebens." — Es ist klar,
dass in diesem Lichte betrachtet die Aniitäbha-Lehre des Jödoismus
keineswegs ausserhalb des Buddhismus steht, sondern im Gegenteil einen
recht vollkommenen, auf der geistigen Höhe der letztzeit stehenden Aspekt
desselben repräsentiert, der mit der Lehre des Buddha in vollkommenem
Einklänge steht. Die Anhänger dieser Scliule bekennen sich denn auch
als eifrige Buddhisten, deren (ilaube vollkommen auf dem Boden der
Buddha-Leine fusst. Wer den Buddhismus in dieser Beleuchtung kennen
lernen will, sei auf die vom Herausgeber übersetzten zwei Schriften von
Rev. Kuroda verwiesen : »Mahäyäna« und »Das Licht des Buddha«.
12. Die Shinshu-Schule oder wahre Schule; eingeführt 1173 n.
Chr. Sie stimmt in den Hauptpunkten mit dem Jödoismus überein und
unterscheidet sich von demselben in verschiedenen Nebensächlichkciien.
13. Die Ji -Schule welche sich von der Jödo- und Shinshu-Schule nur
wenig unterscheidet.
Vom buddhistischen Missions-Verein.
Die Fortschritte des Vereins während der letzten Monate sind durch-
aus befriedigend. Die Mitgliederzahl ist gewachsen, der Interessenten-
kreis hat sich erheblich vergrössert.
Dem von verschiedenen Seiten gemachten Vorschlag, den Verein der
Mahäbodhi-Oesellschaft als Landes-Sekiion zu affiliieren, konnte aus tak-
tischen Gründen nicht stattgegeben werden. Dagegen wird der Verein
demnächst mit einem Projekt hervortreten, welches den Zusammenschluss
aller buddhistischen Korporationen im Westen zu einer »Abendländisch-
buddhistischen Gesellschaft« bezweckt; dabei soll die Selbständig-
keit der einzelnen Vereine durchaus bestehen bleiben.
Der Verein beabsichtigt, vom Herbst dieses Jahres an in verschiedenen
Teilen Deutschlands durch grosse öffentliche Vorträge zu wirken. Zu
diesem Zwecke wird ein »Vortrags-Fonds« gegründet werden.
Der buddhistische Missions-Verein erhielt dankend folgende Schen-
kungen für seine im Entstehen begriffene Central-Bibliothek: Von
der »International Buddhist-Society« je ein Exemplar von: The
Foundation of the Sangha of the West; On Religious Education in Burma;
On the Will in Buddhism; The Four Noble Truths; Animism and Law.
Von Herrn Dr. Paul Dahlke-Berlin wurde geschenkt je ein Exemplar
seiner Werke: Aufsätze zum Verständnis des Buddhismus und Buddhis-
tische Erzählungen.
Alle Mitglieder und Freunde des Vereins werden gebeten, die Adres-
sen von Interessenten sowie Äusserungen der Presse über die buddhis-
tische Bewegung der Geschäftsstelle bekannt zu geben.
No. 3. Die buddhistische Welt. 23
Kleine Mitteilungen.
Hymnen für buddhistische Gemeinden.
Bei den Andachts- und Erbauungsstunden der Buddhistcn-Oenieinden in
Amerika sind geistliche Lieder eingeführt worden. Dieselben sind — so-
weit wir sie kennen — sehr schön, innig empfunden, ohne Sentimentali-
tät, von kräftigem, frischem Geiste durchweht. Ein Teil derselben ist von
Dr. Carus gedichtet und komponiert, teils freie Schöpfungen, teils Über-
tragungen alter Verse aus dem Dhammapada. Einige dieser Hymnen
werden nach deutschen Choralmelodicn gesungen. Im Laufe der Zeit
werden sie ins Deutsche übersetzt werden und zweifellos viel zur Heili-
gung und Veredelung des inneren Lebens beitragen.
Verschiedene Ansichten über buddhistische Kunst
und buddhistische Tempel.
Die »Neue metaphysische Rundschau« brachte in ihrem 5. Bande
(1902, No. 5 6) die Reproduktion eines japanischen Kunstwerkes, welches
den Buddha Amitäbha darstellt. Das Blatt bemerkte bei dieser Gelegen-
heit: „Wir haben in diesem Hefte die Reproduktion einer Buddhastatuc')
beigefügt, um unseren Lesern zu zeigen, wie hoch die buddhistische Kunst
entwickelt ist, entgegen der landläufigen Anschauung, der Buddhismus hätte
als Nihilismus nicht die Fähigkeit, eine Kunst zu schaffen. Wir haben
hier unzweifelhaft ein Kunstwerk von vollendeter Schönheit vor uns, das
sehr wohl geeignet ist, auch auf christliche Gemüter einen tiefen Eindruck
zu machen."
Dieselbe Nummer brachte einen Artikel über »Buddhistische Kunst«,
in dem unter Bezugnahme auf die Pariser Weltausstellung gesagt wird:
„Ein moderner Künstler hätte auf der Pariser Weltausstellung jedenfalls
gute Gelegenheit gefunden, sich durch die buddhistische Kunstauffassung
inspirieren zu lassen, und ein Laie hätte mindestens die Erfahrung gemacht,
dass das Märchen, der Buddhismus habe keine Kunst hervorgebracht, —
eben ein Märchen ist. . . . Die wunderbaren Bauten der alten Khmers in
Angkor und Baioni überbieten in Wahrheit alles, was die religiöse Kunst
geschaffen hat. Zum ersten Male hatte man jetzt Gelegenheit, einen Be-
griff dieser eigenartigen Kunst zu erhalten, und die deutschen Museen
sollten daran denken, das Publikum ihrerseits durch gute Nachbildungen mit
diesen merkwürdigen Erzeugnissen religiöser Kunst eines untergegangenen
Volkes bekannt zu machen. . . . Man kann sich denken, welchen erha-
benen, wahrhaft überwältigenden Eindruck die Hundertc von
Buddha-Statuen machen müssen, welche das Äussere des berühmten
Tempels von Boro-Budur schmücken".
Im Gegensatze hierzu urteilt in dem protestantischen Missions-Blält-
lein »Israels Hoffnung« (15. Juni 1904, S. 61) Herr Pastor und Missionar
Inwood folgendermassen : „Als ich in China war, besuchte ich einen
Buddhisten -Tempel. In diesem Tempel waren 500 Götzen aufgestellt.
Ich werde das sonderbare eigentümliche Gefühl nicht vergessen, was in
jenem Tempel über mich kam, als ich rings um mich her nur die gräss-
lichen heidnischen Götzen sah. Es schien mir als wenn die ganze Atmo-
sphäre mit Satan angefüllt sei, und ich fühlte ein Beben im Innern". —
') Die Wiedergabe dieses Bildes ist die Kunstbeilage dieser Nummer.
24 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Büchertisch.
(Kür Besprechuiif; und Kückseiulunj; nicht verlaiiKli;!' l'üclicr übernimmt die
Redalilion keine Vcrpllichlunf;. Die Bücher sind zu senden an den Herausgeber
Karl Seidenstücker, per Adr. Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
Eingesandte Literatur.
Der buddhistische Katechismus. Von Henry S. Oleott. 35. (2. deut-
sche) Ausgabe mit besonderem Vorwort des Verfassers. Autorisierte
Übersetzung nobst Erläuterungen von Dr. Erich Bischoff, Leipzig.
Th. Griebens Verlag (L Fernau) 1902. X, 143 S. Preis 1,60 M.
The Light of Dharma, Buddha Birthday Number, April 1905. San Fran-
cisco. 36 S.
Von The Open Court Publishing Co. in Chicago wurden uns
eingesandt :
The Open Court, A Monthly Magazine, edited by Dr. Paul Carus.
Oktober 1904, Januar 1905. (Diese Nummern enthalten buddhi-
stische Hymnen).
Kants Prolegoniena. Edited by Dr. Paul Carus. 1902. V, 301 S.
Preis 2,— M.
Nirväna. A Story of Buddhist Psychology. By Paul Carus; illustrated
by Kwason Suzuki. 1902. 93 S. Preis 2,40 M.
Karma. A Storv of Buddhist Ethics. By Paul Carus. Illustrated by
Kwason Suzuki. 1903. VI, 41 S. Preis 3,— M. (Dieses Buch ist
'v. bereits ins Deutsche übersetzt.)
Buddhism and Its Christian Critics. By Dr. Paul Carus. 1897. 316 S.
Preis 5, - M. (Dieses gross angelegte Werk wird vom Herausgeber
ins Deutsche übersetzt werden.)
Das Evangelium Buddhas. Nach alten Quellen erzählt von Paul Carus.
Deutsche Übersetzung von E. F. L. Gauss. 1895. XII, 352 S. Preis
5,— JVl.
PrImer of Philosophy. By Dr. Paul Carus. 1899. VI, 232 S. Preis
4,- M.
The Surd of JMetaphysics. By Dr. Paul Carus. 1903. VI, 233 S.
Neuerscheinungen buddhistischer Literatur.
The Light of Dharma. Inhalt der letzten Nummer (April 1905): Die
Behandlung russischer Gefangener und Verwundeter seitens der
Japaner. — Der Wert des Buddhismus. — Sir Edwin Arnold über
den Buddhismus in Japan. — Das blumenreiche Japan. — Neue
Anwendung der alten Wahrheit. — Prädestination. — Notizen.
Gleichmut. Wenn dn, ihr Jünger, die Menschen den Vollendeten
werthalten, hochschätzen, achten und einen, da wird der Vollendete nicht
froh, nicht freudig, nicht aufgeblähten Gemütes. Darum also, ihr Jünger,
wenn auch die Menschen euch werthalten, hochschätzen, achten und ehren,
werdet da nicht froh, nicht freudig, nicht aufgeblähten Gemütes.
Wenn da, ihr Jünger, die Menschen den Vollendeten tadeln, verurteilen,
verfolgen und angreifen, da wird der Vollendete nicht unwillig, nicht miss-
mutig, nicht gedrückten Gemütes. Darum also, ihr Jünger, wenn auch die
Menschen euch tadeln, verurteilen, verfolgen und angreifen, werdet da
nicht unwillig, nicht missmutig, nicht gedrükten Gemütes.
Majjhima-Nikäya.
Redakteur: G. A. Dietze, Leipzig. — Verlag; Buddhistischer Verlag in Leipzig.
Druck: Arno Bachmann, liaalsdorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang.
LEIPZIG, Juli 1905.
No. 4.
Rundschau.
Der internationale Bund junger Buddhisten.
Der »Internationale Bund junger Buddhisten« (Inter-
national Buddhist Young Men's Association) mit seiner Zentral-
stelle in Tokyo hat folgenden Aufruf erlassen: „Da in unseren Tagen
der einsichtigere Teil der Menschheit jener Übel überdrüssig geworden
ist, welche eine rein materielle Kultur mit sich bringt, und da sich der
Mangel einer mehr geistigen Gesittung in hohem Grade fühlbar macht,
wenden viele ihren Blick dem Buddhismus zu als der am meisten vernünf-
tigen, philosophischen und kosmopolitischen Religion, welche unserem
zwanzigsten Säculum von den früheren Jahrhunderten als Erbe vermacht ist,
— einer Religion, die in äusserst vollkommener Weise den geistigen Anfor-
derungen einer fortschreitenden Menschheit genügt. Angesichts der jetzigen
Zeitverhältnisse sind wir junge Buddhisten Japans von dem innigen Wunsche
beseelt, das Evangelium Buddhas unter allen Völkern zu verbreiten und die
Wahrheit seiner Lehre dem Geiste aller Rassen auf Erden einzuprägen.
Viele der buddhistischen Völker befinden sich in einem schlafenden
Zustande hilfloser Untätigkeit und sind im Zauber des Aberglaubens be-
fangen. Das kaiserliche Inselreich im fernen Osten betrachtet es als seine
Aufgabe, den schlafenden asiatischen Kontinent zu erwecken und strebt
mit Eifer danach, diese sich selbst auferlegte Aufgabe durchzuführen. Da
dürfen auch seine buddhistischen Einwohner nicht müssig sein. Es ist
ihre Plicht, ihre Aufgabe darin zu erblicken, die geistigen Erwecker der
Völker Asiens zu werden und gleichzeitig die Wahrheit des Buddhismus
weit und breit auf Erden auszusäen.
Der »Internationale Bund junger Buddhisten« ist gegründet worden
als erster Schritt zur Verwirklichung dieses Ideals; es ist sein Ziel, eine
Kette zwischen den auf allen Erdteilen zerstreut lebenden Buddhisten zu
werden; er will den Zusammenschluss und die Vervollkommnung der
letzteren anbahnen und sie befähigen, für die Veredelung des Menschen-
geschlechtes in grossem Masstabe zu wirken.
Brüder und Schwestern, wo immer ihr weilen mögt, in Asien oder
Amerika, in Europa oder auf anderen Erdteilen, kommt und seid bereit,
euch mit uns zu verbinden 1 Lasst uns Hand in Hand der Verwirklichung
unserer glorreichen Hoffnung entgegen gehen 1" —
26 Die buddhistische Welt.
I. Jahrg.
Der Bund formuliert die Mittel, deren er sich zur Erreichung seines
Zieles bedienen will, folgcndermassen : Er will i-n-nung sunes
1. mit den Buddhisten in den verschiedenen Ländern in Verbindunc
K''^?^-'i"''u""'a''*'"'"^""'" Ansichten und Berichte über den Stand de?
buddhistischen Bewegung austauschen;
2 den jungen Buddhisten Japans, die ins Ausland gehen, und den
au.slandischen Buddhisten, die nach Japan kommen, in nTöglichst ausge-
dehntem JVlasse Vergünstigungen verschaffen • ^
R ^J- ^^"^}^^^ '" englischer Sprache und ändere neue Literatur über
Buddhismus herausgeben;
nu^°".,^^'J,^" ^^'* 8''°^^^ Buddhisten-Konferenzen abhalten
Über den Bund erteilen weitere Auskunft in Deutschland die
vTrf\\^^^^''fr^' Pn^ster, Strassburg i. E., Schochstrasse II, und
Karl B. Seidenstücker in Leipzig. (Briefe an Herrn Watanabe sind
tunlichst in englischer Sprache abzufassen.) oidnaoi. sina
4W><»«««»
Buddhistische Mission in Amerika.
,. . Die Mission im transatlantischen Kontinent arbeitet mit unermüd-
ichem Elfer und grossen Erfolgen. Vor kurzem wurde in O a k 1 a n d
y. uJau^ .^'"'^ "^"i^ Missions-Station gegründet, und die hier wohnen-
ic-c*^ h'^^"-^J"1. ^"^^ [T''^"''^ *ä*'g gewesen. Im April kam der
assistierende Geistliche von San Francisco, Rev. M. Fujii nach Oakland.
J^-»- u T.'''!""^..'!'^'' "^"'^" Mission zu übernehmen. In Vancouver
(Britisch Columbia) wird binnen kurzem eine neue Station gegründet
werden, die ein japanischer Geistlicher leiten wird. Jetzt kommt die er-
freuliche Kunde dass die buddhistische Mission auch an der atlantischen
(diesseitigen) Küste Amerikas ihr Werk beginnen wird; es werden sehr
bald geeignete Leiter die Arbeit übernehmen
cfoho,^'^ T "^'■'■..'^.^^- Dr. Hori mitteilt, trifft im Juni d. J. der Vor-
steher von Engaku-ji (Japan) Rt. Hon. Rev. Soyen Shaku in San Fran-
cisco ein und wird vielleicht ein ganzes Jahr in Amerika verweilen. Herr
hi^^ün» .'St einer der hervorragendsten Geistlichen Japans und steht
der 7Pn Sp"!,' ,.'"V^"'''-''*5" ^'^'l^." ''" <^"ß^^ ''"hlung."' Er ist Mitglied
y!^ « H D^,-^-°^'^?.""^^''^''^^'^'t<'»"on'Stcn) und fungierte seiner
Zeit auf deni Religion.s-Parlament in Chicago als einer der Delegierten
des japanischen Buddhismus. Auf seiner Visitations-Reise längs der
Pacific-Küste werden ihm die buddhistischen Missionare uad Laien-An-
hänger einen freudigen Empfang bereiten.
i,„ iR.'^ buddhistische Mission in Leipzig erhielt kürzlich einen sehr
MHauIr ^"^*m"1,^k'1'u? ^°" "'='''" ^ "T- Strauss, einem der ältesten
Mitglieder der Mahäbodhi-Society. Herr Strauss, ein Freund Dhar-
Zl^Jlt^' r .1 u 1?'^" ceylonischen Missionars, ist Repräsentant der
genannten Gesellschaft und der International Buddhist Society für
^mH^^'I"»- f' ^^"i^^ "''."•^ '^J"'''"'' '''■^"de über die deutsche Mission aus
und billigt durchaus die Zwecke und Ziele des »Buddhistischen
^Ömo'h"^;^^"^'"^- '" Deutschland«. Wir erwidern auch an dieser
Stelle die Grüsse dieses alten Pioniers buddhistischer Ideen im fernen
Westen auf das herzlichste und wünschen seinem Wirken den reichsten
oegcn.
Buddhistische Mission in Deutschland.
in nn^HÜ-M*^"!, ß'^-^'^''^" ""screr Zeitschrift hat die buddhistische Mission
in Deutschland einen sehr erfreulichen Aufschwung genommen, so dass
No. 4. Die buddhistische Welt. 27
der Geschäftsführer des Missions-Vereins (G. A. Dietze, Leipzig-R.,
Kohlgartenstrasse 39) vollauf zu tun hat. Wir möchten unsere werten
Leser hier auf folgende Punkte hinweisen:
Der Missions-Verein wird nunmehr damit beginnen, ganz billige
Propaganda-Schriften herauszugeben. Diese Schriften sollen kurz das
Wesen des Buddhismus charakterisieren, seine hohe soziale Bedeutung
für unsere Zeit hervorheben und die gegen ihn erhobenen ungerechten
Anschuldigungen sachlich zurückweisen.
Ferner werden acht glänzende Aufsätze Maitriyas (Separat-Abdrücke
aus dem »Buddhist«) als selbständige Broschüren unter dem Gesamt-
titel »Buddhismus« zum Preise von je 0,30 Mk. herausgegeben. Bis
jetzt sind erschienen das erste und zweite Heft (»Der Wert des Buddhis-
mus« und »Die vier erhabenen Wahrheiten«). Die Schriften sind vorzüg-
lich zur Propaganda und Aufklärung geeignet; jeder Freund und Anhänger
des Buddhismus sollte das Seine dazu tun, dass diese Hefte in Lesehallen,
Bibliotheken, vegetarischen Speisehäusern, Cafes, in den Sprechzimmern
von Ärzten und Rechtsanwälten usw. ausgelegt werden. Man denke daran,
dass wir nicht für eine Organisation, sondern für die Ausbreitung der
buddhistischen Wahrheiten wirken. Der Missions-Verein ist nur ein
Mittel zum Zweck, er soll nur die Mission zentralisieren und die Arbeit
planmässig durchführen. Wer aber von der Wahrheit des Buddhismus
überzeugt ist, sollte sich stets das alte Wort des Dhammapada vergegen-
wärtigen: „Die Darreichung der Lehre ist die grösste aller
Gaben".
Die Mission hat jetzt auch mit der Herausgabe der ethischen
und Erbauungs-Literatur des Buddhismus begonnen. Kurz nachein-
ander erschienen B. Freydanks Spruchsammlung »Buddhistisches
Vergissmeinnicht« und E. M. Bowdens »Die Nachfolge Buddhas«.
In diesen beiden Sammlungen sprechen die buddhistischen Schriften selbst
zu uns, und es tritt in ihnen die ganze sittliche Hoheit und soziale Kraft
des Buddhismus zu Tage. Das »Vergissmeinnicht« bietet zum weitaus
grössten Teile Perlen aus den alten Päli-Quellen, während Bowdens Werk
Sprüche aus der gesamten Literatur des Buddhismus von den ältesten
Tagen an bis auf die allerneueste Zeit enthält. Alle freireligiösen, ethi-
schen, fortschrittlichen Vereinigungen. Tierschutz-Vereine, alle freigesinnten
Eltern und Lehrer und alle, die für einen undogmatischen Religions-
unterricht, für reine Moralunterweisung eintreten, sollten diese Bücher
wenigstens prüfen; eine Fülle hoher, reiner, liebevoller Lehren werden
hier gegeben ; eine höhere umfassendere Ethik, als die hier niedergelegte,
ist schlechterdings undenkbar. Die Mission in Amerika hat ihre grosse
Freude über diese Spruchsammlungen bereits zum Ausdruck gebracht.
Wir bitten alle Freunde, Mitglieder und Anhänger uns baldmöglichst
etwaige Wünsche betreffs buddhistischer Vorträge für den Herbst und
Winter zukommen zu lassen. Wer es für wünschenswert hält, dass in
seinem Wohnorte ein oder mehrere grössere oder kleinere Vorträge ge-
halten werden, setze sich mit uns in Verbindung. Wünsche betreffs
Thema, Zeit usw. werden gern berücksichtigt. Auch werden nach wie
vor die Adressen neuer Interessenten und die Einsendung von Äusserungen
der Presse über unsere Bewegung erbeten.
Es wird gebeten alle Mitteilungen nur an die oben angegebene
Geschäftsstelle des Missions-Vereins zu richten.
3*
28 Die buddhistische Welt. j. Jahrg.
Vom evangelisch-sozialen Kongress in Hannover.
Am 13. Juni tagte in Hannover der 16. Evangelisch-soziale Kongress
Als ein erfreuliches Symptom für das Vorrücken des Buddhismus ist es
zu bezeichnen, dass dieser Kongress sich eingehend mit dem Buddhismus
beschäftigt hat. Das war man bisher von den christlichen Kreisen gar
nicht gewöhnt, umsomehr verdient diese Tatsache beachtet zu werden
Es fängt allmählich an zu tagen, und man beginnt langsam einzusehen
dass der Buddhismus immer mehr und mehr im Abendlande an Bedeu-
tung gewinnt.
Also: Herr Pfarrer Lic. H. Hack mann -London sprach über »die
sozialen Kräfte im Christentum und im Buddhismus«- er stellte
sechs Thesen auf, und die Ausführungen des Redners dienten natür-
lich dem Zweck, die Superiorität des Christentums gegenüber dem Bud-
dhismus darzutun. Herr Professor Dr. Harnack-Berlin pries dann im An-
schluss daran die christliche Nächstenliebe „als den Magnet der das
Christentum zur Weltreligion gemacht habe, und der auch ferner sein
Leitstern sein werde." —
Wir werden uns in der nächsten Nummer näher mit den sozialen
Kräften im Buddhismus zu beschäftigen haben. — Inzwischen hat das
»Freie Wort« in seiner letzten Nummer Herrn Lic. Hackmann eine sehr
scharfe Abfertigung zu teil werden lassen; wir empfehlen dem Leser die
Lektüre dieses Aufsatzes.
»Der Buddhist« und die deutsche Presse.
Die Beurteilung, welche unsere Zeitschrift in der deutschen Presse
gefunden hat, ist zum grössten Teil objektiv-sachlich, stellenweise sehr
günstig, hie und da kühl abwartend. Durchweg abfällige Kritiken liegen
uns bis jetzt zwei vor: die eine in der »Christlichen Welt« einem
in Marburg erscheinenden kirchlich -liberalen Wochenblatt Die Be-
sprechung findet sich in der Nummer vom 1. Juni und stammt aus der
Feder des oben erwähnten Lic. Pfarrer Hack mann. Die andere abfällige
Beurteilung befindet sich in der Juni-Nummer der in Leipzig erscheinenden
theosophischen Monatsschrift »Der Vähan« (Richard Bresch )
Dass ein christliches Blatt den Buddhismus vor der Hand eo ipo ab-
lehnt, ist nicht weiter verwunderiich ; befremdhcher könnte es schon
manchem erscheinen, dass ein theosophisches Journal eine buddhi-
stische Zeitschrift gänzlich abfällig bespricht. Dem guten »Vähan« geht
es halt wie so manchem seiner Gesinnungsgenossen: Er schätzt den Bud-
dhismus, preist ihn, empfiehlt ihn; dabei passiert ihm nun das immerhin
bedaueriiche Malheur, dass er gerade denjenigen Punkt auf den im
Buddhismus alles ankommt, von dessen Verständnis eine rechte Würdigung
dieser Religion erst abhängt, der als charakteristisches Merkmal dem
Buddhismus allein unter allen anderen Religionen eigentümlich ist —
dass er gerade diesen Punkt in jeder Weise verfehlt Wir meinen
die Anatjä-Lehre, die Doktrin vom Nicht-Selbst. Der »Vähan« gleicht,
um mit Änanda Maitriya zu sprechen, einem Manne, der das Koperni-
kanische Weltsystem mit Hilfe des Ptolemäischen kapieren und erklären
will. — Ergebnis : Konfusion, Unklarheit. So will der »Vähan« von seinem
ätmanisierenden, brahmanisierenden, egozentrischen Standpunkte aus den
nicht-ätraanischen, nicht-egozentrischen Buddhismus verstehen Dabei
kann selbstverständlich niemals etwas Gescheites herauskommen • er setzt
seinen Lesern nur ein verzerrtes Bild des Buddhismus vor Wir
empfehlen dem »Vähan« bei seinen egoisierenden Tendenzen drin-
gend das Studium der Aufsätze von Dr. Carus und Maitriya- das
No. 4. Die buddhistische Welt. 29
Blatt kann sehr viel daraus lernen und wird hoffentlich nicht so obstinat
sein, sein Ohr gegenüber sachlicher Aufklärung zu verschliessen. Der
»Vähan« fand es in seiner diesjährigen Januar-Nummer für gut, die Anattä-
Lehre, also das spezifische Charakteristikum des Buddha-Dharma, „ein
monströses Unding" zu nennen; schon allein durch dieses eine
Dictum hat der »Vähan« die Quantität und Qualität seines Verständnisses
für den Buddhismus einer wahrhaft vernichtenden Selbstkritik unterzogen.
Sowohl die »Christliche Welt« als der »Vähan« urteilen gehässig
und lassen in ihrer Besprechung Objektivität in jeder Weise vermissen.
Der hämische Ton, den die »Christliche Welt« anschlägt, und die höhnisch
wegwerfende Art des »Vühan« scheinen uns denn doch nicht im Einklang
zu stehen mit der guten Sache, der beide Blätter dienen oder dienen
wollen. Wie sagt doch der vorchristliche buddhistische König Asoka?
„Nicht das Verketzern anderer Religionen oder das grundlose Ge-
ringschätzen derselben, sondern im Gegenteil, die Achtung anderer Reli-
gionen und Ehrerbietung ihnen gegenüber — das ist recht. Wer so
handelt, unterstützt seine eigene Religion und erweist derjenigen anderer
einen guten Dienst; wer entgegengesetzt handelt, kompromittiert die
eigene Religion und beleidigt die der anderen." —
Wir werden auf die Auslassungen der genannten beiden Blätter noch
einmal zurückkommen, wenn wir die Stellung der deutschen Presse zum
»Buddhist« näher betrachten werden. Mit denselben Waffen freilich
kämpfen wir nicht.
Kleine Mitteilungen.
Die Aufgaben des Christentums gegenüber
dem Buddhismus.
Unter dieser Devise veröffentlicht Herr Lic. Pfarrer Hackmann in
der »Christlichen Welt« (15. Juni er.) folgende fünf Thesen:
1. „Eine natürliche und unvermeidliche Ent Wickelung rückt Buddhismus
und Christentum immer näher aneinander und zwingt sie, ihre Kräfte mit-
einander zu messen.
2. Es ist wichtig, dass man auf christlicher Seite dem Studium des
Buddhismus als Religion sowohl nach seinem geschichtlichen Fort-
schreiten, als nach seinen heutigen Zuständen viel stärker die Aufmerk-
samkeit zuwende.
3. Den Ausschlag im Kampfe zwischen Buddhismus und Christentum
werden freilich nicht Studien und theoretische Erwägungen geben, son-
dern der tatsächliche Erweis religiöser und sittlicher Kraft.
4. Diesen Erweis hat in erster Linie die Missionsarbeit zu liefern.
Sie bedarf dafür aber noch ganz wesentlicher Vervollkommnung. Sie
muss Männer zu ihrem Dienste finden, welche hervorragende Begabung
und gründlichste Geistesbildung verbinden mit einer festen Schulung des
Willens zur Hingabe an aufreibende Arbeit; sie muss in ihrer Methode
immer vor allem danach streben, etwas vom Wesen Jesu Christi als
einer lebendigen Macht der Hilfe den NichtChristen nahe zu bringen mit
Zurückstellung blosser Formen und Organisationen.
5. Die Theologie hat bisher in der Missionsaufgabe fast völlig versagt.
Gerade die freigesichtete Theologie muss in diese Lücke eintreten. Sie
findet hier das notwendige Gegengewicht zu überstarker Reflektion und
theoretischer Verdünnung des Christentums, eine Probe auf das, was
wirklich lebt." —
30 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Bravo, Herr Licentiat, endlich einmal ein vernünftiges Wort, welches
verdient, in den weitesten Kreisen beachtet zu werden! Dass die christ-
liche Theologie bisher in der Missions-Aufgabe versagt hat, dass Sie
einen freieren Geist in der christlichen Missionsarbeit wünschen, ist wohl
gesprochen. Sehr gut ist auch das offene Eingeständnis, dass die christ-
liche Mission „noch ganz wesentlicher Vervollkommnung bedarf",
und die Forderung, „blosse Formen und Organisationen sollen zurückge-
stellt" und dafür „etwas vom Wesen Jesu Christi den NichtChristen" —
Herr Hackmann vermeidet hier in löblicher Weise den sonst ebenso be-
liebten wie despektierlichen Ausdruck »Heiden« — „nahegebracht werden."
Das ist vorzüglich gesagt; wenn die christliche Mission wirklich in
diesem Geiste arbeiten wird, wenn anstelle von Seelenfang und Pro-
selytenmacherei wahre Menschlichkeit, Humanität und Liebe treten werden,
dann wird auch die buddhistische Welt Hand in Hand mit der christlichen
Mission zum wahren Wohle und Heil der Menschheit wirken können.
Von dem Zeitpunkte an, da die christliche Mission diesen Geist in
sich realisiert haben wird, wird man christlicherseits auch nicht mehr —
wie es Herr Hackmann noch tut — von einem Kampfe zwischen Chri-
stentum und Buddhismus sprechen. Brüderlich Hand in Hand arbeiten
zur wahren Wohlfahrt der Völker, — das entspricht dem Geiste des
Buddhismus, und wenn die christliche Mission sich bis zu derselben Höhe
emporschwingen kann — wohlan, sie soll willkommen sein I
Durchaus zu billigen ist endlich die Forderung des Herrn Hackmann,
„dass man auf christlicher Seite dem Studium des Buddhismus viel stärker
die Aufmerksamkeit zuwende I" Das ist allerdings sehr, sehr nötig.
Die Unwissenheit, auch in den Kreisen der protestantischen Geistlichkeit,
über den Buddhismus ist denn doch etwas zu gross, wie wir hier gleich
an einem Falle unseren Lesern zeigen werden.
«»See»
Ein Pastorales Anathema.
Im »Jahrbuch moderner Studenten« (Osterwieck a. Harz 1905)
schreibt Herr Pastor Schwechten S. 55 wörtlich folgendes: „Heute ist
Buddha der Götze auch vieler auf den dreieinigen Gott Getaufter. Unser
Geschlecht ist im ganzen so müde und zum Teil so von Furien verfolgt,
dass es leicht nur seine Hoffnung auf Nirväna setzt. Christ sein aber ist
das Gegenteil dieser schwächlichsten und schmählichsten aller Religionen."
Der Buddhismus — die „schmählichste" aller Religionen ! Wir
sehen, dass auch im Zeitalter der drahtlosen Telegraphie der Kultus der
Sancta Simplicitas selbst in den gebildeten Kreisen immer noch seine
grotesken Blüten zeitigt. Wir sehen aber aus dieser pasloralen Aburtei-
lung wieder, wie zeitgemäss die Forderung des Herrn Lic. Hackmann
ist, „man möge auf christlicher Seite dem Studium des Buddhismus viel
stärker die Aufmerksamkeit zuwenden." Nötig ist's sicherlich; hoffen wir,
dass die Beachtung dieser Forderung bald greifbare Gestalt annehme.
Glauben können wir's freilich vor der Hand noch nicht.
Eine Berichtigung von unbekannter Hand.
Wir finden soeben in einem Exemplar von No. 3 des »Buddhist«,
welches in einem Leipziger vegetarischen Speisehaus ausliegt, auf S. 18
der »Buddhistischen Welt« eine Randbemerkung von unbekannter Hand zu
der zweiten Olcottschen These. Oleott formulierte diese These
No. 4. Die buddhistische Welt. 31
folgendermassen : „Das Weltall hat sich entwickelt, ist nicht erschaffen
worden, und in ihm waltet das Gesetz, nicht irgend eines Gottes Willkür."
Hierzu bemerkt der unbekannte Leser: „Das Weltall existiert, ist in einem
ewigen Werden, Wechsel begriffen, hat sich also nicht entwickelt,
sondern entwickelt sich."
Der Schreiber hat ganz recht. Wann und wo immer ein empfinden-
des, denkendes Wesen die Vorstellung des »Jetzt« in sich empfindet, gilt
stets der Satz: „Die Welt ist ein Werden." Da nun die einzelnen Punkte
des zeitlichen Nacheinander, d. h. die subjektiven Vorstellungen »Jetzt«
unendlich sind, so gilt auch der Satz von der Welt als Werden unendlich
vielmal, d. h. immer. Oleott hat allerdings im Hinblick auf die in der
Vergangenheit vorgestellte Weltschöpfung des Judentums und Christi-
anismus die in unserer Vorstellung zeitlich hinter uns liegenden Stadien
der Welt im Auge gehabt und konnte von diesem Standpunkte aus
immerhin sagen: „Die Welt hat sich entwickelt."
Büchertisch.
(Für Besprechung und Rücksendung nicht verlangter Bücher übernimmt die
Redalition keine V'er]iflichtung. Die Bücher sind zu ser.dcn an den Herausgeber
Karl Scidenstücker, per Adr. Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
Eingesandte Literatur.
Prostitution des Geistes. Satirischer Roman von Erdniann Gott-
reich Christaller. Jugenheim a. d. B. Sueviaverlag 1901. 375 S.
2 Bde. Preis br. 3 Mk.
Ein kleiner Kulturkampf. Akten und Erlebtes zu dem satirischen Roman
Prostitution des Geistes«. Von E. G. Christaller. Jugenheim
a. d. B. Sueviaverlag 1903. 59 S. Preis br. 1 Mk.
Besprechungen,
Der buddhistische Katechismus. Von Henry S. Oleott. 35.
(2. deutsche) Ausgabe. Autorisierte Übersetzimg nebst Erläuterungen von
Dr. Erich Bischoff. Leipzig, Th. Griebens Verlag (L. Fernau) 1902.
X, 143 S. Preis br. 1,60 Mk.
Das vorliegende Werk ist der älteste buddhistische Katechismus.
In einige zwanzig Sprachen übersetzt, hat es eine ausserordentlich weite
Verbreitung gefunden. Die vorliegende Ausgabe zerfällt in fünf Abschnitte
und gibt in 386 Fragen und Antworten einen Überblick über das Leben
des Buddha, die Lehre, die Mönchsgemeinschaft, die Entwickelung des
Buddhismus und über das Verhältnis des letzteren zur Wissenschaft.
Beigefügt sind als Anhang die »vierzehn Leitsätze«, Literaturangaben,
Anmerkungen des Übersetzers und die Titel der kanonischen Päli-Texle.
Die Darstellung ist im allgemeinen klar und verständlich ; recht ge-
schickt ist besonders das Nibbäna-Problem behandelt. Der Katechismus
ist in erster Linie als Leitfaden für buddhistische Schulen in Asien be-
stimmt und will als solcher beurteilt sein. Unseres Erachtens wäre es
besser gewesen, wenn in der deutschen Ausgabe verschiedene Fragen
und Antworten gestrichen wären, namentlich No. 41, 42 und 104. Diese
Bemerkungen passen wohl für ceylonische Kindcrschulen, aber nicht für
wissenschaftlich gebildete Europäer, zumal sie von ganz unwesentlicher
Bedeutung sind. Wir hoffen auch, dass in der nächsten deutschen Aus-
gabe das leidige »das« Dharma durch »der« Dharma ersetzt wird.
32 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Im allgemeinen bietet dieser Katechismus manches Anregende, wenn
er auch inhaltlich und formell weit hinter dem in jeder Beziehung muster-
gültigen Katechismus von Subhadra Bhikshu zurückbleibt. S.
Kennt die Lehre Buddhas den Begriff der christlichen Liebe?
Von Dr. Otto Schrader. Berlin, Verlag von Paul Raatz. 9 S. Preis
0,25 Mk.
Dieses leider nahezu vergriffene kleine Schriftchen ist warm zu
empfehlen. Schrader führt den klaren Nachweis, dass der Begriff der
christlichen Liebe (Caritas, Maitri) im Buddhismus eine sehr wichtige Rolle
spielt. Es wird hier scharf der Unterschied betont zwischen Maitri
(Caritas) und Käma (Amor), auf deren Verwechslung das weitverbreitete
Missverständnis beruht, der Buddhismus kenne den Begriff der Liebe
nicht, da er die Überwindung von Käma lehre. Käma, niedere Liebe im
Gegensatz zum Hass ist im Sinne des Buddhismus eine Leidenschaft,
die notwendigerweise aufzugeben ist. Dagegen ist Maitri, die wahre
Herzensgüte, das unumschränkte Wohlwollen, Caritas, das Ideal eines
jeden Buddhisten. S.
Der Weg zu Buddha. Von Skesaburo Nagao. Berechtigte
deutsche Ausgabe von Karl B. Seidenstücker. Leipzig, Buddhistischer
Verlag. VIII, 61 S. Preis br. 0,80 Mk.
Dieses kleine Werkchen ist der dritte Teil der in englischer Sprache
erschienenen Schrift »The Outlines of Buddhism« (San Francisco 1900).
Seiner Darstellung nach mahäyänistisch, schildert es in sechs Kapiteln
die theoretische Lehre und die religiöse Praxis des Buddhismus. Das
speziell Mahäyänistische wird den Leser, der den Buddhismus bisher nur
in hinayänistischer Auffassung kennt, zunächst etwas befremdlich anmuten;
er wird aber bald finden, dass der Gegensatz zwischen beiden Richtun-
gen, so gross er in manchen Punkten auch sein mag, in den Haupt-
punkten der Lehre fast gänzlich verschwindet. Eibaulich ist zu lesen,
was über die religiöse Praxis gesagt wird. Wer den Buddhismus in
mahäyänistischer Beleuchtung kennen lernen will, dem sei neben den
Schriften von Kuroda auch dieses billige Büchlein empfohlen. D.
Prostitution des Geistes. Von E. G. Christ aller. Satirischer
Roman in 2 Bdn. Jugenheim a. d. B. Sueviaverlag. 375 S. Preis 3 Mk.
Der Verfasser, ein ehemaliger württembergischer Geistlicher, schil-
dert in diesem Romane die Pfarrcriaufbahn eines jungen Theologen, der
durch sein Studium Atheist geworden ist. Wegen der erhaltenen Stipen-
dien wird derselbe gezwungen, in den Dienst der Kirche zu treten, trotz-
dem der Kirchenbehörde der Unglaube des jungen Mannes nicht unbekannt
ist. Die hieraus entstehenden Konflikte sind meisterhaft geschildert,
interessant sind auch die Pfarrertypen, die uns Christallcr vorführt. Eine
herbe Kritik kirchlicher Einrichtungen zieht sich wie ein roter Faden durch
das ganze Buch. Eigentlich gehört ja der Roman nicht in den Propramm-
bereich unserer Zeitschrift, doch können wir des innerlichen Ernstes
wegen, der das Buch vorteilhaft auszeichnet, dasselbe wohl empfehlen. D.
Erlösung vom Übel. Gier und Hass, Zorn und Zwietracht, Heu-
chelei und Neid, Eiferung und Eigennutz, Trug und List, Starrsinn und
Ungestüm, Stolz und Dünkel, Lauheit und Lässigkeit sind vom Übel. Es
fribt einen Mittelweg, um der Lauheit und Lä.ssigkcit und den anderen
Übeln zu entgehen, der sehend und wissend macht, der zur Ebbung,
Durchschauung, Erleuchtung, Erlösung führt: es ist der heilige achtfache
Pfad Majjhima-Nikäya.
RediktenrT'GV A. Dietze, I.eipiii;. — Verlag: Buddhisti.sclier Verlag in Leipzig.
Druck: Arno Bachmann, Baaladorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang.
LEIPZIG, August 1905.
No. 5.
Eine Erklärum
»Der Tag« bringt in seiner Nummer vom 23. Juli er. einen offenbar
pastoral inspirierten kurzen Artil<el unter der Überschrift »Buddhismus
in Deutschland«, in dem das Blatt von unserer Zeitschrift Notiz nimmt
und im.Anschluss daran bemerkt: „Man kann kaum viel davon (d. h. vom
»Buddhist«) zu erwarten haben, da die erste Nummer ausser einem ein-
zigen Original-Artikel aus der Feder ihres Herausgebers nur Nachdrucke
und Übersetzungen bringt. Schade 1 Ein ernstlicher, überzeugungsgewisser
und proselytenhungriger Kampf des Buddhismus auf christ-
lichem Boden') würde gewiss im Christentum wieder mehr die grossen
und zugleich die gemeinsamen Gesichtspunkte hervortreten lassen. Immer-
hin rüsten sich die »Freunde der Christlichen Welt« bereits auf die Aus-
einandersetzung mit dem Buddhismus." ... Es folgt nun die Wiedergabe der
bekannten Hackmannschen Thesen. Dieser Umstand, sowie die Tat-
sache, dassdic »Christliche Welt« seinerzeit ganz ähnlich wie hier »Der Tag«
dem »Buddhist« den Vorwurf der Unselbständigkeit machte, legt die
Vermutung nahe, dass auch diesmal der Schreiber nicht fern von der
»Christlichen Welt« zu suchen ist. Mag das richtig sein oder nicht, genug,
der »Tag« ist ein sehr verbreitetes Blatt, und da ich vermuten darf, dass
der besagte Artikel manchen Lesern des »Buddhist« zu Gesicht gekommen
ist, so sehe ich mich veranlasst, hier eine Erklärung in dieser Sache ab-
zugeben.
Ich will hier die Frage ganz unerörtert lassen, ob die diversen
christlichen Missions-Blätter, -Boten, -Harfen etc. in Asien durchweg
Original-Artikel bringen oder auch zahlreiche Nachdrucke und Übersetzungen
aus europäischen christlichen Journalen. Jedenfalls scheint mir der Herr
Schreiber geistig nach anderen logischen Gesetzen zu arbeiten, als ich;
denn ich kann beim besten Willen nicht einsehen, dass man deshalb,
weil eine Zeitschrift zahlreiche Übersetzungen bringt, von derselben
„kaum viel zu erwarten habe", d. h. gut deutsch gesprochen, dass eine
Zeitschrift wegen der Übersetzungen, die sie bietet, minderwertig sei. Ich
habe ausdrücklich im F'rogramm des »Buddhist« darauf hingewiesen, dass
in unserem Journale den hauptsächlichsten Repräsentanten der buddhisti-
schen Mission in ausgedehntestem Masse das Wort gegeben werden soll.
Ob es sich hierbei um Original-Aufsätze oder um Übersetzungen aus dem
') Von mir gesperrt. Der Herausgeber.
34 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Englischen handelt, tut absolut nichts zur Sache ; mein Bestreben ist darauf
Rcrlchtet, unseren Lesern gerade gute, gediegene Arbeiten aus der Feder
bedeutender buddhistischer Forscher und Propagandisten zu bieten.
Wenn der Herr Schreiber es bedauert, dass der »Buddhist« nicht
zu einem „proselytenhungrigen Kampfe" antritt, so sollte mir für
meinen Teil der »Buddhist« leid tun, wenn er sich zu einem derartigen
niedrigen, unwürdigen Zweck hergäbe. Mag sein, dass andere
Missionen in hohem Masse proselytenhungrig sind, jedenfalls lehnt
es die buddhistische Mission mit aller Entschiedenheit ab, auf die
Seelenhatz und Proselytenmacherei auszugehen. Im >Buddhist« wird nur
die Lehre bekannt gemacht; niemand wird von uns genötigt oder be-
einflusst, Buddhist zu werden.
Der Herr Schreiber sagt weiter, dass sich „die »Freunde der Christ-
lichen Welt« bereits auf eine Auseinandersetzung mit dem Buddhis-
mus rüsten". Das klingt freilich schon bedeutend feiner und anständiger.
Zu einer sachlichen Auseinandersetzung sind wir jederzeit gern
bereit, und dass wir unseren christlichen Freunden in keiner Weise eine
Antwort schuldig bleiben, können unsere Leser aus der vorliegenden
Nummer des »Buddhist« ersehen.
Gewiss, verehrter unbekannter Herr, ich kann es ganz gut verstehen,
wenn Sie es lebhaft bedauern, dass der »Buddhist« Ihrem Wunsche zu-
wider davon Abstand nimmt, durch ein äusserliches, „prosclytcnhungri-
ges Kämpfen" dem heute äusserlich und innerlich zerfahrenen Christentum
mit all seinen hadernden Kirchen und Sekten zu der Gewinnung „gemein-
samer Gesichtspunkte" zu verhelfen; — wie gesagt, verstehen kann ich
dieses Ihr Bedauern ; aber Sie werden uns hoffentlich gestatten, dass wir
es dem Christentum überlassen, diese Aufgabe selbst zu lösen und seine
„gemeinsamen Gesichtspunkte" selbst ausfindig zu machen. Wir haben
in der Tat Wichtigeres zu tun. —
Ich glaube hiermit über diesen Punkt das Nötige gesagt zu haben.
Karl B. Seidenstücker.
Aus der buddhistischen Welt.
Eine neue buddhistische Zeitung in englischer Sprache. In
Ceylon ist eine neue buddhistische Zeitung in englischer Sprache unter
dem Titel »The Sandaresa« ins Leben getreten. Dieselbe erscheint in
Colombo wöchentlich einmal als Beiblatt zu dem singhalesischen
»Sarasavi Sandaresa«. Redakteur ist der rührige Laien -Anhänger
Perera. Die neue Zeitung gibt regelmässig politische Übersichten, Mit-
teilungen aus den asiatischen Ländern, Nachrichten über die buddhistische
Bewegung auf Ceylon, über die christliche Mission, sowie buddhistische
Aufsätze. Wir wünschen dem neuen Unternehmen einen gedeihlichen
Fortgang! —
Ausbildung buddhistischer Missionare für das Abendland. Es
besteht der Plan, in den nächsten Jahren einen festen Siamni von Bhikkhus
abendländischer Nationalität in Burma zu organisieren. Die letzteren
sollen dann nach einer Reihe von Jahren nach dem Westen zurückkehren
und in ihren Ländern für die buddhistische Mission wirken ; ins Auge
gefasst sind zunächst Amerika, England, Deutschland und Frankreich.
Auf jugendliches Alter, gute Erziehung, gründliche Bildung, eingehende
Kenntnis des Buddhismus und Beherrschung von Deutsch, Englisch und
Französisch wird grosser Nachdruck gelegt.
Nochmals der Buddhismus in Japan. Gelegentlich eines längeren
privaten Schreibens, das Herr Watana be, Priester in Strassburg, an den
No. 5.
Die buddhistische Welt.
35
Herausgeber gerichtet hat, gibt der erstere eine Notiz, die wir unseren
Lesern nicht glauben vorenthalten zu dürfen. Herr Watanabe schreibt:
„Da ich in No. 3 Ihrer Zeitschrift einen kleinen Fehler gefunden habe,
erlaube ich mir, denselben zu berichtigen. 1. Ihre Klassifikation der
Shödo und Jödo muss wie die nachstehende Liste gegeben werden:
A.
Shödo
Abhidharma
Hinayäna
B.
Jödo
Kusha
Jöjitsu , .
Kitsu-Vinaya I
Hosso. Positiver Idealismus. \
Sanron. Negativer Idealismus. | '
Kegon. Realistischer Pantheismus)
Tendai. Realistischer Pantheismus)
Shingon. Mystik.
Rinzai 1
So tu Zen oder Meditationismus.
Wöbakul
Nirhirpn I Praktisches Mahäyäna. (Ten-
iNicnirtn ^^^^ ^^^^ Shingon kombiniert).
Ji 1 Mit Shödo-Elementcn
Vutsunenbutsu) stark durchsetzt.
Jödo. — Steht in der Mitte von Ji,
Yutsu und Shin.
Silin. ~ Absoluter heteronomer Bud-
dhismus.
Niederes .
Höheres
Mahäy&na
II. Kusha und Jöjitsu existieren nicht mehr in Japan, obwohl ihre
Abhidharma-Schriften noch sehr eifrig studiert werdfen. Ritsu gehört
jetzt zur Shingon-Schule und ist nicht mehr unabhängig. — III. Es
ist richtiger, wenn für das Wort „eingeführt" bei den Schulen Nichiren
und Jödo „gegründet" gesetzt wird. — IV. Nur allein die Shin-Schule
erlaubt ihren Priestern die Heirat. Die anderen Schulen halten am Cölibat
fest; aber es macht sich jetzt eine Reformbewegung bemerkbar, deren
Zweck es ist, den Geistlichen die Ehe zu erlauben. — V. Der von den
jödoi'stischen jungen Priestern gegründete National-Temperenz-
Verein und der Hansei-Kwai der Shin-Schule haben sehr viel für
die Anti-Alkohol-Bewegung in Japan getan. Die höheren jödo-
i'stischen Geistlichen sind fast alle Anti-Alkoholiker." —
Buddhistische Mission in China. Erfreuliche Nachrichten über
die buddhistische Mission kommen aus China. Die japanischen Missionare
wirken mit unermüdlichem Eifer und sehr grossen Erfolgen. Wie aus
Peking gemeldet wird, hat der japanische Gesandte Nishida von der
chinesischen Regierung alle dieselben Rechte für die buddhistische Pro-
paganda der japanischen Missionare verlangt, welche die christlichen
Missionen geniessen, und die Regierung hat diesem Verlangen bereits
stattgegeben. Tempel, Schulen und Hospitäler werden erbaut, und es
unterliegt wohl keinem Zweifel, dass nach Beendigung des Krieges die
Buddha'isierung Chinas von Japan aus in grossem Masstabe in Angriff
genommen und allmählich durchgeführt werden wird. Das kann viel
schneller geschehen, als viele glauben mögen; handelt es sich doch unter
Anknüpfung an uralte Traditionen nur um die Neubelebung erstarrter
Formen, um die Erweckung einer schlafenden Religion. Für China bricht
der Morgen des geistigen Erwachens an. —
4*
36 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Mitteilungen und Notizen.
Eine Buddha-Statue in Deutschland. Der Grossherzog Ernst
Ludwig von Hessen hat unter einer alten, wuchtigen Eiche seines
Wolfgartener Schlossparl<es eine grosse Buddha-Statue aufstellen
lassen. Er hatte unmittelbar nach der Rückkehr von seiner indischen
Reise die Figur des Religionsstifters bei Professor Habich, Mitglied der
Darmstädter Künstler-Kolonie, bestellt. Das wohlgelungene Kunstwerk ist
in Odenwälder Syenit ausgeführt.
Ein Theologen-Urteil. In einem Briefe an den Herausgeber schreibt
ein Theologe: „Gestatten Sie mir das eine Urteil: Eine derartige kraft-
und energielose Weltanschauung ist zwar so recht geeignet für unser
heutiges degeneriertes Geschlecht, das den Taumelbecher der Lust bis zur
Neige und darum sich zum Ekel genossen hat, aber kann nicht im ge-
ringsten einen Menschen befriedigen, der einmal die herrliche Fülle der
Lebensaufgaben, die das Christentum erschliesst. voll und ganz erfasst
hat. Mögen darum auch durch die Tätigkeit des »Buddhistischen Missions-
Vereins« u. ä. mehr und mehr solcher jungen und alten „Greise" an ab-
gestandenen Zisternen sich erquicken lernen, doch wird die Zahl derer
unvergleichlich viel grösser bleiben, die an dem frisch sprudelnden Kraft-
quell ihres Heilands und Königs Jesu Christi täglich von neuem schöpfen
Achtungsvoll Gottlieb Wiedenfeld, stud. theol. in Greifswald"
Was der junge Mann hier schreibt, ist ja zweifellos gut gemeint
nur tut es uns aufrichtig leid, dass er durch diese Zeilen seiner eigenen
Sache, der er dient, einen recht Übeln Dienst erwiesen hat. Er scheint
nicht zu wissen, dass „der frisch sprudelnde Kraft-Quell seines Heilandes
und Königs" aus dem ethisch nicht ganz reinen Brunnen des alten Juden-
tums floss, und dass dieser Quell da, wo er von Jesus gereinigt ist, aus
denselben Bestandteilen besteht, wie das von Herrn stud. theol Wieden-
feld so herzlich verachtete „abgestandene Zisfernenwasser." Wo Jesus
über den Mosaismus hinausgeht, da stellt er — teilweise sogar mit den-
selben oder ganz ähnlichen Worten — sittliche Forderungen auf, die sich
samt und sonders in den ältesten buddhistischen Schriften finden Es
tut nicht gut, wenn ein Unerfahrener sich voreilig „von dem Eifer um
das Haus des Herrn fressen lässt". —
Ein Verslein zum China-Prozess. Anlässlich des letzten Hunnen-
Brief-Prozesses schrieb ein grösseres Blatt Mittel-Deutschlands folgenden
kurzen Vers:
„Der Besiegte wehrlos und vogelfrei!
Raub, Schändung und Tempel-Plünderei!
Auf Deutschlands Ehre ein Fleck, ein trüber, —
Christen waren wieder mal Buddha über!" —
Ein Abriss der buddhistischen Terminologie. Von verschiedenen
Seiten ist der Herausgeber ersucht worden, eine Zusammenstellung und
Erklärung der wichtigsten buddhistischen Fachausdrücke als besondere
Broschüre erscheinen zu lassen. Der Herausgeber wird diesem Wunsche
gern entsprechen, da ein derartiges kleines Wörterbuch für die mit der
indischen Philologie nicht vertrauten Leser des »Buddhist« zweifellos von
grossem Nutzen sein wird. Es kann sich zunächst natürlich nur um eine
Erläuterung der allerwichtigsten Termini handeln, also um einen kurzen
Abriss der buddhistischen Terminologie. Das Erscheinen des Buches
wird den Lesern unserer Zeitschrift bekannt gegeben werden.
Buddhistischer Missions-Verein in Deutschland.
Der Vorstand hat den mehrfach ergangenen Anregungen zufolge die
auch statutengemäss vorgesehene Einrichtung einer öffentlichen Bibliothek
No. 5. Die buddhistische Welt. 37
nunmehr durchgeführt. Da zu diesem Zwecice nur geringe Mittel zur
Verfügung standen, ist die Bücherei vor der Hand natürlich nicht umfang-
reich. Vorläufig stehen nur die im Litteraturverzeichnis auf dem Umschlag
des »Buddhist« angeführten Werke mit Ausnahme der umfangreicheren zur
Verfügung. Die Entleihbedingungen sind von der Geschäftsstelle des
Vereins zu erfahren. Nach auswärts muss Porto für Zusendung der Be-
stellung beigefügt werden; im übrigen empfiehlt es sich, stets mehrere
Bücher zu notieren, falls das eine oder das andere bereits vergeben sein
sollte. Um tatkräftige Unterstützung dieser Einrichtung wird freundlichst
gebeten, insbesondere wäre die Bibliotheksverwaltung für Büchersperiden
aus dem Gebiete der Religionswissenschaften sehr dankbar.
Als Antwort auf verschiedene Anfragen, die Abhaltung von Vorträgen
betreffend, ist mitzuteilen, dass zu diesem Zwecke erst ein Fonds geschaf-
fen werden muss; aus den Vereinsmitteln können Aufwendungen hierfür
nicht gemacht werden. Zusendungen für den Vortragsfonds wolle man
mit einer diesbezüglichen Angabe an die persönliche Adresse des Ge-
schäftsführers Herrn G. A. Dietze, Leipzig-Reudnitz, Kohlgartenstrasse 39,
richten. Quittung über eingegangene Beiträge erfolgt umgehend. In Aus-
sicht sind genommen für nächste Zeit Vorträge in Halle a. S., Altenburg
und Berlin.
Um Irrtümer zu vermeiden, sei darauf hingewiesen, dass der Bud-
dhistische Verlag ein vom Buddhistischen Missions -Verein vollständig
unabhängiges Privatunternehmen ist; Verein und Verlag arbeiten zwar
bei der Verbreitung der buddhistischen Lehren Hand in Hand, doch hat
der Verlag keinerlei Einfluss auf geschäftliche Einrichtungen etc. des
Vereins und umgekehrt.
Büchertisch.
fFür Besprechung und Rücksendung nicht verLingter Bücher übernimmt die
Redaktion keine Verpflichtung. Die Bücher sind zu senden an den Herausgeber
Karl Seidenstücker, per Adr. Buddhistischer Verlag in I-eipzig.)
Eingesandte Literatur und Besprechungen.
Het Boeddhisme. En Schets van Dr. Louis A. Bäh 1er. Uitgegeven
te's Gravenhage in het jaar 1905. 38 S.
Eine ausgezeichnete kleine Schrift über Buddhismus. Der Verfasser,
ein holländischer Pfarrer, gibt in ausserordentlich objektiver, sehr ver-
ständlicher Weise an der Hand von Oleotts Katechismus und den vierzehn
Leitsätzen eine kurze Darstellung der Buddha-Religion. Das Buch zerfällt
ausser seiner Einleitung in fünf Kapitel, die das Leben des Meisters, den
Dhamma, den Sangha, die Ausbreitung des Buddhismus und das Verhält-
nis des letzteren zur Wissenschaft behandeln. Wir sind der Ansicht, dass
die Ausführungen Bählers in Holland viel zur Beseitigung von Missver-
ständnissen und zur Bekanntwerdung des Buddhismus beitragen werden.
Mancher protestantische Geistliche könnte sich Bähler in puncto Sachlichkeit
und Toleranz zum Vorbilde nehmen. Wir wünschten im Interesse unserer
Mission, dass dieses Schriftchen bald ins Deutsche übersetzt werden
möchte. S.
Die Nachfolge Buddhas. Perlen aus der buddhistischen Literatur für
jeden Tag im Jahre. Zusammengestellt von Ernest M. Bowden.
Mit einem Geleitwort von weiland Sir Edwin Arnold. Nach der
vierten englischen Auflage ins Deutsche übertragen und mit einem
Anhange versehen von Karl B. Seidenstücker. Leipzig, Bud-
dhistischer Verlag. VIII, 307 S. Preis br. 2,80 M.
38 Die buddhistische Welt. i. jahrg
Für jeden Tag des Kalenderjahres ist aus den verschiedpiKsfpn huH
dhistischen Quellen je ein Spruch ausgewählt; - wer sie ai7e im 7^
htt«'""!'?^ ^t'^'"' "^> "•""■'*'• '^^"^^ '''^' «"" Ende des Iah es e n
besserer Mensch geworden sein, als er am Anfang war.*- Diese »Nach-
folge Buddhas, ist eine hochwillkommene Ergänzung zu B Frevdanks
unlängst ersch.enenem .Buddhistisches Vergissmeinnicht, eine Sammlung
buddhistischer Sprüche für alle Tage des Jahres«. Die Austattun^def
prachtigen Buches ist durchaus würdig und vornehm und dem t efen Ge-
halt seines Inhaltes entsprechend. Diese wenigen Worte nur als
empfeh^nden Hinweis; denn das Buch ist gerade auch für den b"ddhis«-
schem Denken und Fühlen noch Fernstehenden eine unschätzbare Fund-
grube tiefsinnigster Lebensweisheit. Richard Degen
•""'"Tcbs^^Preis'b^lsih. m'.T-1. '''"'''"' " ''■' ^'"'^^^"^^''^ ^^'^'^
VnibJ'^? eingehende Besprechung dieses ausgezeichneten, die japanische
Volksseele charakterisierenden Werkes erfolgt in der nächsten Nummer
Buddhistischer Katechismus zur Einführung in die Lehre des Buddha
Gütamo. Von Subhadra Bhikshu. Siebente Auflage Leipzie
Altmanns Verlag 1902. VII, 85. S. Preis broscli. M. 1 _. ^ ^'
ti:rJ" ^"^r Vorrede zu diesem vortrefflichen Buch schreibt der Verfasser
^Eh'r^r'"t'''!'^"u">^ "^^^ '"' J^hre 1888 die erste Auflage des
.Buddhistischen Katechismus« erschien, gab es zwar schon Wissenschaft
KreL^n^/t"''H','' ^5" B"dJ'"snnis genu^, aber selbst in dergebldeten
Kreisen Deutschlands kannte man die reine Lehre des Buddha Götamo
edelsten wSrHi^ir"'; ""' ^7'^^ ^1'' ''' '"^ '" ^'^''^^ ältesten 'und
edelsten Weltreligion etwas anderes, als eine längst vergangene und ab-
getane ku tur- und religionsgeschichtliche MerkwürdigkluSn nicht
♦r^r/'"^J^5^1I^'S^' ''^"'^ ^'^ ^o"- 2400 Jahren gültige Wahrheit' Hier
w, ."''h 'Buddhistische Katechismus, als Bahnbrecher auf. Sein Verfasse
uStt^'u^-ni'^:^''^. ^^'t^^^'^" "^"-«'«^ der Gebildeten für die Gr'fsse
ständniS und' Ant' ''"d'lh stischen Weltanschauung zu interessieren^ Ver-
s andnis und Achtung dafür zu erwecken und ihr Freunde und Anhänger
Z^^ZTn-^I',''u''"^^ '^^^^' g^'^'**^^ ^o" der festen Überzeugung dfss
die echte Buddha^ehre von weittragendem Einflüsse auf die geistigen Be-
wegungen der Gegenwart werden müsse, und ihre Verbfe tung eine
Kulturmission im höchsten Sinne sei." - veroreiiung eine
Dieses Ziel, welches Friedrich Zimmermann bei der Abfassung seines
^ll'^'i'f'""* "" A"ge gehabt hat, ist in jeder Weise orS forden
Se^nf 'S ^l'^^'^" ^'^'ff^" ""^^ den Buddhismus ist es gerade dem
hnnlt^ ^'"•^"^'If ^"/erdanken, dass die Lehre des Buddha in den ge
^nhfi ^T''"- des deutschen Volkes mehr und mehr bekannt und be-
achtet worden ist. Die letzte Auflage von H. S. Oleotts Ka ecliismus
behandelt den Buddhismus in 386. Zimmermanns Werk dagegen Tur
in 174 Fragen und Antworten; letzteres ist also an Umfang bedeutend
keiner; indessen wird niemand, der die beiden Katechismen kennt be
rLÄ .dä«s Subhadra Bhikshus Katechismus nach Form und innerem
Gehalt bei weitem der beste ist. Der bekannte Buddhologe Dr. K E Neüman^
schrieb m dem Anhange zu seiner Dhammapadani-Übersetzung (S m)
Zur ersten Einfuhrung in den Buddhismus ist mir kein geeigneteres und
^n ^^}u' r"l^^^^l^ Kründlicheres Werk bekannt geworden als der
;^.n„f'^n""'n'^l'P''""""!: ^°" Subhadra Bhikshu (Friedrich Zimmer^
mann). Das Büchlein, wohl zu unterscheiden von ähnlichen, jedoch sehr
ZltrZ'Y"' •"*• '."* <?l" ^''' J"'"''^" «e'"<^s Erscheinens bereits ins
Englische, Franzosische, Schwedische, Holländische, Russische (von der
Zensur verboten), Tschechische (gleich dem letzteren noch ungeZckt)
No. 5. Die buddhistische WeH. 39
sogar ins Japanisclie, Tokyo 1891, übersetzt worden." Ich darf hinzu-
fügen, dass eine Übersetzung des Büchleins ins Norwegische binnen
kurzem zu erwarten steht.
Unser Katechismus gliedert sich nach einer kurzen Einleitung natur-
gemäss in die drei Kapitel Buddha, die Lehre (Dhammo), und die
Brüderschaft der Erlesenen (Sangho). Die Ausdrucksweise ist
überall sehr klar und bestimmt, für den abendländischen Geist durchaus
verständlich. Die Antworten sind mit zahlreichen, sehr gehaltvollen An-
merkungen versehen, und eine reiche Fülle von Text-Stellen aus den
PÄli-Pitakas gibt dem Leser die Gewähr, dass der Verfasser in seiner
Darstellung der reinen Buddha-Lehre den richtigen Weg eingeschlagen
hat. Vielleicht hätte Zimmermann in Anbetracht des grossen Umfanges
der Päli-Schriften die Stellen genauer zitieren, also das entsprechende
Sutta des Anguttara- oder Samyutta-Nikäya usw. angeben können, in dem
diese oder jene Textstelle zu finden ist.
Die Hauptpunkte der buddhistischen Lehre (Die vier Wahrheiten,
Wiedergeburt, Karman, Tanhfl, die Khandhas) sind ausserordentlich durch-
sichtig behandelt; hie und da hätte der Anattä-Gedanke noch schärfer
hervorteten können. In den die Sittenlehren betreffenden Partieen, die
sonst wie alles andere in diesem Buche vortrefflich gehalten sind, ver-
misse ich noch die zehn Sünden, die zehn Irrungen (Dasa Kilcsä) und
die sechs resp. zehn Tugenden. Ich will indessen keineswegs sagen, dass
das Fehlen dieser Pimkte ein Mangel des Katechismus sei ; ich hätte sie
nur der Vollständigkeit halber gern genannt gesehen.
Allen, die eine vorzügliche kurze Schrift zur Einführung in die Lehre
des Buddha kennen lernen wollen, sei Subhadra Bhikshiis Katechismus
als die beste aller vorhandenen einschlägigen Bücher auf das wärmste
empfohlen. S.
Buddhist and Christian Gospels now first compared from the Originals.
Being Gospel Parallcis from Päli Texts, reprinted with additions.
By Albert J. Edmunds. Sccond edition with a notice by T.W.
Rhys Davids. Philadelphia, 1904. 34 S.
Eine ebenso beachtenswerte, wie interessante Schrift. Sie bietet
zahlreiche buddhistische Parallelstellcn aus den Päli-Textcn zum Neuen
Testament und bildet den vierten und fünften Teil zu einem grösseren
Gesamtwerk, dessen ersten drei Teile als einzelne zerstreute Aufsätze
erschienen sind. Diese ersten drei Abschnitte behandeln 1. die Kindheits-
legenden, 2. die Vorbereitung Jesu und Gotamas zu ihrem Lehramt, 3. das
Lehramt und die Sittenlehren beider Meister. Der vierte Teil nun, also
die erste Partie des uns vorliegenden Buches ist betitelt »The Lord«
(Der Herr) und gibt hochinteressante analoge Äusserungen Christi und
des Buddha über sich und ihre Mission; stellenweise ist die Überein-
stimmung und Ähnlichkeit dieser »Herren-Worte« geradezu verblüffend.
Im fünften Teile endlich werden die Parallelstellen zusammengetragen,
die auf die Zukunft der Gemeinde, die Eschatologie usw. Bezug nehmen.
Edmunds hat durch diese Arbeiten wirklich etwas Dankenswertes
geliefert; Schriften wie die vorliegende sind in erster Linie imstande, den
Dünkel vieler Christen, im Besitze der „allein selig machenden Religion"
zu sein, herabzuschrauben, und das gegensätzliche Verhältnis, in das
ebenfalls gerade weite Kreise des orthodoxen Christentums beide Reli-
gionen bringen möchten, auszugleichen. Wir werden nicht verfehlen,
den Lesern unserer Zeitschrift die wertvollen, ausgezeichneten Zusam-
menstellungen Edmunds in deutscher Übersetzung vorzulegen. S.
The Light of Dharma. Inhalt der letzten Nummer (Juli 1905):
Ewige Glückseligkeit ist dein. — Im blumenreichen Japan (Fortsetzung).
.40 Die buddhistische Weit. I. Jahrg.
— Die Behandlung russischer Gefangener und Verwundeter seitens der
Japaner (Schluss). — Obasuteyama. — Die goldenen Regehi der Pytha-
goräer. — Buddhismus. — Bücherschau. — Notizen des Herausgebers.
Congress of Japanese Religionists. The Kinitodo Publishing Co.
Tokyo 1904. IV, 56 S. mit drei Beilagen.
Dies ist der gedruckte Bericht über den vorjährigen in Tokyo abge-
haltenen Kongress, über den wir seiner Zeit (S. 7 der »Buddhistischen
Welt«) eine Notiz gebracht haben. Die Begrüssungsrede hielt Rev. S. Ku-
roda (Buddhist). Bevor die bekannte Resolution bezüglich des Krieges
angenommen wurde, sprachen folgende Herren: Rev. Moritane Hirata
(Shintoist), Jitsunen Saji (Unitarier), Rev. Ködo Kozaki (Christ),
Professor Sensho Murakami (Buddhist), Rev. Seiran Ouchi (Bud-
dhist), Rev. Reichi Shibata (Shintoist). — Drei Beilagen geben die
Photographieen der hervorragendsten buddhistischen , christlichen und
shintoistischen Kongressteilnehmer.
Wie sympathisch berührt dieses gemeinsame, einmütige Zusammen-
arbeiten der verschiedenen religiösen Gemeinschaften! Werden wir in
Europa auch einmal derartiges erleben? —
Sozialist und Vegetarier. Ein Zwiegespräch. Von Franz Priscliing.
Selbstverlag des Verfassers, Graz 1905. 16 S.
Der Verfasser legt in diesem kleinen Schriftchen seine Gedanken
über Sozialismus und Vegetarismus nieder. Interessenten können die
Broschüre vom Autor kostenlos beziehen.
Eingegangene Zeitschriften: Der Herausgeber bestätigt dankend
den Empfang von Tausch-Exemplaren seitens folgender Zeitschriften :
Blätter zur Pflege des höheren Lebens (Paul Frömsdorf, Schwcid-
nitz); Buddhism (Ananda Maitriya, Rangün); Das freie Wort (Max
Henning, Frankfurt a. M.); Das Wort (Leopold Engel, Dresden); Der
g'rode Michel (Franz Prisching, Graz); Der Tier- und Menschen-
freund (Professor Dr. Förster, Friedenau b. Berlin) ; DerVähan (Richard
Bresch, Leipzig); Die freien Glocken (Ludwig Kreichauf, Leipzig);
Die Handelsakademie (Leipzig); Die übersinnliche Welt (A. Wein-
holtz, Berlin); Reformblätter (Max König, Hannover); Schweizer-
ische Abstinenzblätter (Zürich, Schweizerische Gross-Loge des I. O.
G. T.); Steirische Schul- und Lehrer-Zeitung (Friedrich Döhren,
Graz); The Open Court (Dr. Paul Carus, Chicago); The Light of
Dharma (Rev. Dr. Kentok Hori, San Francisco); The 'Sandarcsa
(Percra, Colombo); Theosophischcs Leben (Paul Raatz, Berlin);
Theosophischer Wegweiser (Arthur Weber, Leipzig); Volkskraft
(Otto Melchers, Bremen).
Solidarität. Sei stets darauf bedacht, das Wohl und Glück anderer
zu fördern. jatakamal:i.
Überall in allem sich wiederkennend durchstrahlt der Jünger die
ganze Welt mit liebevollem, fricdevollein, unbewegtem Gemütc, mit weitem,
tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem.
Majjhima-Nikäya.
Verantwortlicher Rcdaktrur: G. Ä. Dirtze, Lcijtzig:. — VVrlag: Buddhistischer Verlag
in Leipzig. — Druck: Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang.
LEIPZIG, September 1905.
No. 6.
Rundschau.
Friede. So ist er denn ausgestritten, der blutigste, furchtbarste
Krieg, von welchem die Weltgeschichte zu sagen weiss! Welch' heisses
Ringen, welch' mörderischer Kampf! Viel tausend Menschenleben sind
geopfert; in ungezählten Familien ist Leid und Jammer eingekehrt, und
manch trauerndes Herz sieht seine einst so stolzen Hoffnungen welken,
sterben, für immer verweht werden. Eine furchtbar ernste Predigt über
die Wahrheit vom Leiden !
Und schnell und unaufhaltsam rollt das Rad der Zeitlichkeit dahin:
Wo noch vor kuizem Kanonendonner dumpf erdröhnte, wo der Schmerz
in tausendfacher Gestalt die Krieger anblickte, wo Blutgeruch die Luft
erfüllte und gellendes Todesschreien gen Himmel drang, — da schweigen
jetzt die Geschütze, da wird es still; lächelnd als sei nichts geschehen,
bestrahlt die Sonne das ganze Leichenfeld, und unter dem Erdboden
gehen die letzten sichtbaren Überreste tapferer Streiter dem Zerfall ent-
gegen, um neuen Formen eine Stätte zu bereiten — Vergänglichkeit! —
Japan hat den ostasiatischen Völkern die Wege zu einer friedlichen
Weiterentwicklung und geistigen Regeneration ebnen wollen; Japan
wollte den Frieden und hat, als alle anderen Mittel fehlschlugen, zu
dem schwersten, schmerzlichsten, opferreichsten Mittel gegriffen: zum
Kriege. Und dieses Mittel hat den Zweck erreicht: Die Völker im
fernen Osten haben nun für Jahre hinaus Frieden.
Der Friedensabschluss zu Portsmouth, dessen Zustandekommen der
weisen Einsicht der japanischen Staatsmänner zur hohen Ehre gereicht,
ist für die buddhistische Welt in zwiefacher Hinsicht von höchster Be-
deutung: Erstens sind die Völker Ostasiens für absehbare Zeit vor der
russischen Knute und Finsternis, der »weissen Gefahr« für Asien, ge-
schützt; und mit Japans Dominat in Ostasien ist diesen Völkern die
Möglichkeit eines geistigen Aufschwungs gewährleistet. Zweitens bricht
für die buddhistiche Mission mit dem Frieden von Portsmouth eine
neue Ära an. lapan wird jetzt mit Nachdruck dafür eintreten können,
dass seinen buddhistisciien Untertanen, die in andere Länder das Licht
des Buddha tragen wollen, und ihrer Mission dieselbe Freiheit gewähr-
leistet wird, die andere Missionen schon seit langem geniessen. Dies
wird zunächst für die ostasiatischen Länder in Frage kommen; im Lauf
der Zeit wird sich aber die Wirkung auch im Westen bemerkbar machen.
42 Die buddhistische Welt. i. Jahrg.
Die Buddhisten Japans sind in erster Linie dazu berufen und unter den
momentanen Verhältnissen an; meisten dazu befähigt, die Missions-Arbeit
im grossen Massstabe aufzunehmen und durchznfiilncn. Die buddhistische
Welt ist daher Japan zu grossem Danke verpflichtet.
Die buddliistischc IMission in Ameril<a. In den Vereinigten Staaten
geht das Missionswerk schneller vorwärts, als wir geglaubt haben: Die
Gründung einer Station an der atlantischen (diesseitigen) Küste ist be-
reits vollendete Tatsache. Rev. Dr. Kentok Hori, der bisher die
Mission an der Pacific-Küste von San Francisco aus leitete, ist dazu
auserselien worden, in Boston die Arbeit aufzunehmen. An'seine bis-
herige Stelle in San Francisco als neuer Superintendent ist Rev. K
Uchida, Dozent an der buddhistischen Universität in Tokyo, getreten.
Rev. Uchida ist bereits im Juli in San Francisco eingetroffen.
Die christliche Mission und die religiöse Erziehung auf Ceylon.
Über dieses Thema veröffentlicht Marie Musäus-Higgins, Colombo
(Ceylon), einen sehr interessanten Aufsatz in No. 18 des »Volkserzieher«
(Wilh. Schwaner, Berlin), dem wir nachstehendes entnehmen.
Von den 3578000 Bewohnern der Insel Ceylon sind 2331000 Sing-
halcsen, und unter diesen nach den neuesten Zählungsberichten 2141000
Buddhisten.
Seit ungefähr 1880 sind allmählich überall buddhistische Schulen
entstanden, die auch buddhistischen Religionsunterricht erteilen, sodass
die buddhistischen Kinder nicht mehr nötig haben, um etwas zu lernen,
in die Missionsschulen zu gehen, wo sie gezwungen werden, die Religion
ihrer Väter zu verachten. Gewiss werden die Missionare bestreiten, dass
sie die Kinder zwingen, Christen zu werden. Da möchte ich als Ant-
wort eine kleine Geschichte erzählen, die ich erst vor einigen Tagen von
einem gebildeten buddhistischen Singhalcsen gehört habe. Er sagte:
„Als ich klein war, lebte ich in einem Dorfe und ging jeden Morgen mit
anderen Jungen meines Alters in den Tempel, wo wir von einem Priester
unterwiesen wurden, wie wir den Tempel reinigen und Blumen auf den
Altar des Buddha legen sollten. Dafür wurden wir im Lesen und Schrei-
ben unterrichtet und lernten unser Panca Sita (die fünf Gebote in Päli
der religiösen Sprache der Buddhisten). Wir waren sehr glücklich. Als
ich grösser wurde und auch das Englische lernen sollte, wurde ich in eine
Missionsschule geschickt. Wir waren 17 buddhistische Knaben in der
Klasse zusammen und, als wir versetzt wurden, waren nur noch drei von
uns Buddhisten. Warum? Weil die Knaben dadurch, dass sie sich als
Christen bekannten, allerlei Freiheiten erlangten, weil sie bei den Lehrern
besser angeschrieben waren und weil sie nicht jeden Montag eine
Tracht Prügel haben wollten, wenn sie die Frage, ob sie am Sonn-
tag in der Kirche gewesen seien, verneinten." „Schliesslich," fuhr der
Singhalese fort, „ging ich auch in die Kirche; aber meinem Glauben blieb
ich doch treu. Einmal erwarb ich mir einen Preis durch den besten Auf-
satz; aber alle Lehrer mit Ausnahme meines Klassenlehrers wollten mir
den Preis nicht geben, Ich bekam ihn schliesslich doch; aber er wurde
mir ohne die übliche Öffentlichkeit übergeben. Mehrere Jahre später traf
ich meinen damaligen Klassenlehrer wieder, und er fragte mich, ob ich
gesehen hätte, was auf dem überklebten Titelblatte meines Pre'isbuchcs
stehe. Ich fand beim Ablösen, dass das Buch einem anderen christlichen
Mitschüler zugedacht war, und dass ich nur dem Gerechtigkeitssinn
meines Klassenlehrers den Preis zu verdanken gehabt habe."
So ist es auch noch jetzt. Die buddhistischen Kinder werden durch
Äusserungen — ich meine in den Schulen, wo sie nicht offen zum Christen-
tum bekehrt werden — über ihre ungebildeten heidnischen Ellern, welche
No. 6. Die buddhistische Welt. 43
zur Hölle verdammt sind, dazu gebracht, in der Schule sich als Christen
zu bekennen, während im Vaterhause sie es meistens nicht zu gestehen
wagen und mit den Eltern in den buddhistischen Tempel gehen. So
werden sie, sozusagen, zur Heuchelei erzogen, und sind, wenn sie heran-
wachsen, weder Christen noch Buddhisten. Sie sind gelehrt worden, den
Buddhismus zu verachten ; aber sie haben nicht gelernt, das walue
Christentum zu lieben, denn sie kennen es nicht. Ich kann di^: Ver-
sicherung geben, dass in den wenigen Distrikten, wo überwiegend be-
kehrte Heiden leben, mehr Lug und Trug herrscht als in denen, wo die
meisten Menschen Buddhisten sind. Ein Schulinspektor sagte mir vor
kurzem noch, dass er viel lieber die buddhistischen Schulen prüfe als die
christlichen, da er in den letzteren im Gegensatz zu den ersteren immer
so sehr aufpassen müsse, dass kein Betrug vorkäme. Kann man sich nicht
vorstellen, dass Leute, denen immer das Gesetz „des Karma" gepredigt
wurde, welches sagt, dass jede böse Ursache eine böse Folge, jeder
schlechte Same eine schlechte F-rucht hervorbringen muss, dass jeder Tat,
ob gut oder böse, eine, Belohnung oder Bestrafung folgt, wenn nicht im
gegenwärtigen Erdenleben, dann in einem der folgenden, und dass niemand
ihnen iiire bösen Taten abnehmen kann, dass diese Leute die christliche
Lehre der Vergebung der Sünden mi'svcrstehen können? Mir wird viel-
leicht geantwortet werden, dass die Buddhisten dann aus i'urcht vor der
Strafe nichts Böses tun. Aber da möchte ich fragen, ob das nicht besser
ist, als wenn sie sagen: „O, es ist viel leichter, ein Christ zu sein;
denn dann kann ich unrecht tun und nachher zum Priester gehen und
mir Vergebung meiner Sünden holen 1 Oder, ich lebe, wie es mir gefällt,
und wenn es zum Sterben kommt, dann bekenne ich meinen Glauben an
Christus, und meine Sünden sind mir vergeben !" Denn so wird das
Christentum leider meistens unter den Eingeborenen aufgefasst, wenn sie
es nicht aus Gewohnheit von ihren Vorfahren beibehalten haben, die
unter den Portugiesen Christen werden mussten.
Nun wird man mich fragen, warum stehen denn die Singhalesen
nicht Hand in Hand zusammen und arbeiten in Einigkeit für ihre Religion,
da ihnen doch Religionsfreiheit gewährt ist? Ja, das ist wohl leicht ge-
sagt, aber nicht so leicht getan ! Ein Volk, welches seit mehreren Jahr-
hunderten unterjocht gewesen ist und religiös bedrückt war von den
Portugiesen und Holländern, kann sich nicht so schnell davon frei machen.
Sie haben sich zum Teil aufgerafft und 1880 viele Schulen gegründet;
aber es sind nur wenige in Missionsschulen erzogene und ihrem Glauben
treu gebliebene Singhalesen da, die befähigt sind zum Organisieren ;
denn wie gesagt: früher durften Singhalesen nicht Leiter von Schulen
sein. Es gibt kaum Europäer, die vorurteilsfrei genug sind, um nach
Ceylon zu gehen und die Erziehung der Kinder in buddhistischem Sinne
zu übernehmen. Bis jetzt gibt es nur zwei Europäer, einen Engländer
und eine Deutsche, welche es unternommen haben, auf Ceylon erziehlich
im buddhistischen Sinne zu wirken. Den meist armen buddhistischen
Schulen gegenüber steht die mächtige Mission mit ihren vielen Schulen
und reichen Geldmitteln, die von guten Christen in Europa zur Bekehrung
der Heiden gespendet werden und es den Missionaren möglich machen,
billige Schulbildung zu geben. Dennoch heisst es im letzten Zählur.gs-
bericht vom Jahre 1901, dass von den ungefähr 867100 Kindern im
schulpflichtigen Alter nur 218500 unterrichtet werden, also drei Viertel
der Kinder keine Schule besuchen. Es sieht also noch sehr traurig mit
der Kindererziehung auf Ceylon aus.
Regierungsschulen gibt es auf der Insel 500, Qrant-in-Aid-SchuIen
(solche, welche von der Regierung unterstützt werden) 1328 und allein-
stehende Schulen 2089. Die meiste Schulbildung hängt also von Frivat-
5»
44 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Unternehmungen ab, welche mit grossen Opfern verbunden sind. Die
Buddhisten haben jetzt 142 Schulen, was sehr anzuerkennen ist, da ja alle
erst seit 1880 entstanden sind. Die Katholiken haben allein 336 Schulen
aufzuweisen, darunter mehrere sehr grosse, prächtige Knabenschulen.
Unter den buddhistischen Schulen sind drei gutbesuchte Kollegcs für
Knaben, eine einzige Mädchenpension und Schule (anglo-vernacular), wo
die Mädchen eine singhalesische und englische Erziehung bekommen,
und mehrere Oriental-Kolleges, wo Päli, Sanskrit und Singhalesisch ge-
lehrt wird und die meistens von jungen Priestern besucht und von alten
Priestern geleitet werden. Die übrigen buddhistischen Schulen sind
meistens Dorfschulen.
Von der älteren Generation der Buddhisten kann ich sagen, dass
ich viele gefunden habe, besonders unter den Frauen, die ihre Religion
sehr lieben, und ich habe bei den religiösen Festen wie beim Wesak
(dem Geburtstag Buddhas, Vollmond im Monat Mai) die Andächtigen mit
Gesichtern gesehen, welche von Liebe und Erleuchtung glänzten. Unter
der grossen Menge herrschte bei solchen Festen, wo die Menschen ge-
wöhnlich die ganzen Nächte im Tempel bleiben, Ruhe und Einigkeit; sie
erscheinen ganz glücklich in ihrem religiösen Eifer. Auch auf die Kinder
kann man durch ihre Religion einen sehr grossen Einfluss ausüben. Un-
streitig passt nur der Buddhismus für die Bevölkerung Ost- und Südasiens;
die Grundlagen desselben sind jedenfalls sehr moralisch und gut, min-
destens ebenso rein und ebenso erhaben wie diejenigen des aus dem
Buddhismus hervorgegangenen Cliristentums. Es sollte überhaupt jedem
erlaubt sein, in seinem eigenen Glauben, falls er dem Staate und der
Gemeinsamkeit nicht schadet, selig zu werden.
Die buddhistische Mission in Deutschland. Von der Heft-Serie
»Buddhismus« ist nunmehr das dritte Heft »Nibbäna« (von Änanda
Maitriya, Separat-Abdruck aus dem »Buddhist«) erschienen und kann zum
Preise von 30 Pfg. käuflich erworben werden.
Im September wird Karl Seidcnstücker in Hallea.S. in einem
geschlossenen Kreise von Anhängern, Freunden und Interessenten über
das Thema: »Der Buddhismus und das Abendland« sprechen. Es
ist dies der erste Missions-Vortrag, der ausserhalb Leipzigs gehalten wird.
Tod eines buddhistischen Hohenpriesters? Verschiedene Blätter
berichten von dem Ableben des greisen Hohenpriesters H. Sumangala
(Ceylon), eines der bedeutendsten buddhistischen Gelehrten und Apolo-
geten. Wir geben die Nachricht mit allem Vorbehalt wieder, da unser
ceylonesischer Gewährsmann bis jetzt von diesem Ereignis nichts be-
richtet hat.
Mitteilungen und Notizen.
Ein christlicher Missionars - Trick ? Christliche Blätter brachten
vor einem Vierteljahr mit innigem Behagen die Meldung, dass der
japanische Admiral Togo ein frommer, eifriger Christ sei. Wie nun
der ceylonische »The San dar es a« aus ganz sicherer Quelle erfährt, ist
Togo kein Christ und denkt auch nicht im entferntesten daran, Christ
zu werden. »Sandaresa« meint, die Meldung sei nichts, als ein christ-
licher Missionars-Trick.
Eine christliche Missionars-Stimme. Ein Freund aus Halle be-
richtet uns über eine Unterredung, die er kürzlich mit einem christlichen
Missionar, der in China gewirkt hatte, gehabt hat. Nachdem der Mis-
sionar in einem Vortrag die Religion des Buddha vor einer frommen Zu-
No. 6. Die buddhistische Welt. 45
hörerschaft beschimpft hatte, wurde er von dem betreffenden Herrn zur
Rede gestellt. „Woher es wohl komme, dass der Buddhismus in Deutsch-
land immer weitere Ausbreitung gewänne?" Nach der Antwort des
Missionars trägt daran der Satan und die verderbte Welt die Schuld.
„Der Buddhismus, dessen Ziel absolute Vernichtung sei, habe überhaupt
keinen sozialen Wert", meinte der Missionar. — Letzterer hat, wie gesagt,
in China gewirkt, und in diesem Lande ist es um den Buddhismus ähn-
lich bestellt, wie um das Christentum in Russland (allerdings ohne Knute
und Wutky). Wenn also der Herr Missionar die Entartung, die Miss-
bräuche und den Aberglauben innerhalb dieses chinesischen Buddhis-
mus dem Buddhismus an sich, d. h. der Lehre des Buddha, auf die Rech-
nung setzt, so darf er logischerwcise nichts dagegen einwenden, wenn je-
mand das Christentum Christi, d.h. das Christentum an sich, für die Verehrung
der heiligen Mutter Gottes von Kasan, für die mönchische Faulenzerei und
Trunksucht, für den Götzendienst und Aberglauben innerhalb des russi-
schen Christentums verantwortlich machen wollte. Freilich, wenn der Spiess
in dieser Weise umgedreht wird, dann wird es den Herren Missionaren nicht
passen; mögen sie doch endlich einmal die elementare Lektion lernen, dass
mit demselben Mass, mit dem sie messen, auch ihnen gemessen wird; d. h.
dass ihnen unter Anwendung der von ihnen geübten Unlogik auf das
Christentum deutlich gezeigt wird, dass sie sich auf dem Holzwege befinden.
Der Buddha vor einem deutschen Fürstenschlosse. Unter dieser
Devise brachte die Vossische Zeitung in ihrer Nummer vom 25.
August folgenden Leitartikel : „Die Heidenmission erlebt gegenwärtig
offenbar eine ernste Krisis. Man kann kein kirchliches Blatt in die Hand
nehmen, in dem nicht ein beweglicher Aufruf zur Sammlung von Geld-
mitteln zu lesen wäre. Fast ausnahmslos klagen die Missionsgesell-
schaften, dass ihre Kassen ein Defizit aufzuweisen haben von einem
derartigen Umfang, dass der weitere Betrieb der Vereinsarbeit in Frage
gestellt ist. Man greift zu den seltsamsten Mitteln, die treugebliebenen
Freunde der Missionssache zu immer neuen und immer grösseren Opfern
willig zu machen.
Es ist keine Frage, die Teilnahme an der Heidenmission ist gegen-
wärtig in einem rapiden Niedergang begriffen. Diese Tatsache ist über-
raschend. Das Interesse an der Christianisierung der heidnischen Völker
musste, so sollte man meinen, in dem Masse wachsen, als unsere geschäft-
lichen und politischen Beziehungen sich über den Erdball ausdehnen.
Mit der politischen und kommerziellen Entwickelung Englands ging die
Enstehung und Blüte der Missions- und Bibelgesellschaften des Insel-
reiches Hand in Hand. Man könnte erwarten, dass die Ära der deutschen
„Weltpolitik" eine Blüteperiode der Missionsarbeit herbeiführen würde.
Nun ist das Gegenteil der Fall. Die Teilnahme an der Bekehrung der
Heidenwelt erlahmt, und wenn dieser Mangel an Interesse nicht sehr bald
aufhört, werden die Missionsgesellschaften genötigt sein, ihre Arbeit er-
heblich einzuschränken.
Es ist schwer zu sagen, wie diese Erscheinung zu erklären ist. Aus
mangelnder Begeisterung für die religiösen Ideale des Christentums jeden-
falls nicht. Denn der Sinn für die Religion scheint in allen Schichten
der Bevölkerung im Wachsen begriffen zu sein. Man denke an die sog.
Gemeinschaftsbewegung, die wie eine starke Woge elementarer Frömmig-
keit von England und Skandinavien aus gegenwärtig über Deutschland
geht, man denke an den Jugendbund für entschiedenes Christentum, der
Millionen von jungen Leuten zu seinen Mitgliedern zählt und in Berlin
jüngst eine imposante Versammlung abhalfen konnte, man denke an die
überaus erfolgreiche literarische Propaganda der modernen Theologie.
Aber vielleicht hat diese verstärkte Anteilnahme an den religiösen Fragen
4& Die buddhistische Welt. [. Jahrg.
Rcrade den Blick von den fernen Missionsfeldern abgezogen Als in der
Reformationszeit das ganze Volk den Kampf um die religiöse Befreiung
vom romischen Papst- und Priestertum mitkämpfte, verlor es die Mission
völlig aus dem Auge. Der katholisch gebliebene Erasmus war es der
die Christenheit seines Zeitalters auf die Missionspflicht gegen die heid-
nischen Bewoliner der eben entdeckten neuen Welt hinwies für Luther
Zwingli und Calvin hörte die Welt hinter den Grenzen Frankreichs Eng-
ands und Spaniens auf. Der Kampf um die Herrschaft in der Landes-
kirche, der Kampf um die Erneuerung dieser Kirche, um das Recht der
freien persönlichen Überzeugung, dor Zwist zwischen den „Bekehrten" in
den Gemeinschaften und den „Unbekehrten" in der Kirclie, die Ausein-
andersetzung zwischen den Verteidigern der Wissenschaft und denen des
Bekenntnisses — dies alles mag zusammenwirken, die Teilnahme für die
Arbeit der Missionare einzuschränken. Dazu kommt noch die starke
Durchsetzung des religiösen Interesses mit sozialen Ideen, die ihre Ver-
wirklichung im Heimatboden suchen.
Der Mission erwachsen aber nicht nur in der Heimat Schwierigkeiten
Auch draussen treten ihr unerwartete Hemmnisse entgegen. In Afrika
erhebt die Athiopiermission drohend ihr Haupt. Unicr der Parole Afrika
für die Afrikaner" wächst sie zu einer schweren Gefahr für die europäi-
schen Missionsgesellschaften heran. Aller Orten berichten die Missionare
von dem Einbrechen der Sendlinge der farbigen Mission, denen die Ein-
gel)orenen zulaufen, und den Erfolg der weissen Missionare in Frage
stellen. Man mochte geneigt sein, der schwarzen Mission in diesem
Wetfkampf den Sieg zu gönnen, wenn man nicht bedenkt, dass unsere
Missionare zugleich die Pioniere der Kultur sind und neben den Kirchen
sogleich Schulen und Werkstätten erbauen, dass die Äthiopier aber mit
r^di en"^^ ' zugleich die Feindschaft gegen die europäische Kultur
if..iw^H^'*V/'"f"''"'* '^*>'''^ "^"""« '^^' Ostasiaten, sie nehmen die
Kultur des Westens an, lehnen aber die Religion des Westen ab. Man
vf! ^^^""o. •^"* hingewiesen, dass die hervorragendsten Heerführer der
J^pfvnrrw.nHo qI^h'""' ■''^^ °''" ""'' ^"'''^^ »«'^ ^""re Christen eine
hervorragende Stellung einnehmen und einen vorbildlichen Wandel führen"
Ch^JZf h// h^'^^k \on Tsuschima, Admiral Togo protestantische^
7w«r nt^hf «oIk '^.^'■..«"'^''^le Heerführer der Landtruppen, Marschall Oyama,
nrLJn^L^^-^ übergetreten sei, aber doch nichts wider das eifrige
rti^r Frfn Hp 'ph' 9^"'" ^'"^"wenden habe, aber im ganzen hält sich
der Erfolg der Christianisierungsarbeit in Japan und auch in China in
ii^h'/5?fl" Grenzen. Ja, die heimischen Kulte bemühen sich, durch ernst-
liche Reformen sich zum Wettbewerb mit dem Christentum zu rüsten.
... Y^^ in Afrika das Äthiopiertum den Rückschlag gegen die christliche
Missionsarbeit darstellt, so in Asien die buddhistische .Erwcckung< Der
Buddhismus erneuert sich nicht nur daheim, in Indien wie in Japan
mÜ«,w„»k^"*"' f "«^'•seits das christliche Europa als buddhistisches
Missionsgebiet zu behandeln. So abenteuerlich das klingt, so liegen doch
Ir Ju '^'^J'^^'"' Anfänge einer buddhistischen Expansion in Europa
r,L Schopenhauer würde mit inniger Freude diese Propaganda begrüsst
rÄ.» Q ^ 1^' f- ^ '"'^"u-l:, ^"r theosophischen Gesellschaften mit ihrem
pi f«f .?nif ^"^'■''*'^'"",^ bilden vielfach die Leute für die Sendboten Buddhas.
<Lu ?.nÄ' eme Zeitschrift gegründet worden, die sich die Aufgabe
fphri'n ^c. **^"'^^''?" Protestanten und Katholiken für die Weisheits-
mn<,Pr RuJfu"^" °'"''u ^" r^''*'"' '"'"'* ''^"''^" J""Serii Christi ganze
Ä.?»"^'^''^*^" '"'^'^^''"- ^^ «ibt bereits eine ganze Literatur von
mehr oder weniger gelehrten Schriften, die die Ebenbürtigkeit oder gar
die Überlegenheit des Buddhismus dartun wollen und die Prognose stellln
No. 6. Die buddhistische Welt. 47
dass der Buddhismus, der der Vernunft Iceinerlei Gewalt antue, einst da-
zu bestimmt sein werde, das Christentum in der europäischen Kulturweit
abzulösen. Tolstoi hat der europäischen Kulturwelt mit feurigen Zungen
ein Christentum gepredigt, das in Wahrheit trotz seiner christlichen
Therminologie echter Buddhismus ist.
In diesem Zusammenhang ist eine Notiz von lebhaftem Interesse, die
jüngst durch die Blätter liet: Der Grosshcr/.og von Hessen habe von
dem Darmstädter Bildhauer Professor Habich eine grosse Buddha-Statue
aus Odenwälder Syenit herstellen lassen und ihr einen Platz unter einer
mächtigen Eiche seines Wolfgartener Schlossgartcns angewiesen. Schwer-
lich ist dies geschehen, weil der Fürst ein ästhetisches Wohlgefallen an
der Buddha-Figur gefunden hat. Es soll dieser Akt vielmehr ohne Zweifel
eine Huldigung vor dem Stifter der tiefsinnigen Religion des Ostens dar-
stellen, deren reine und erhabene Gedanken unter uns weit mehr stille
Bekenncr gefunden haben, aKs man vermutet. Würde ein japanischer
Fürst vom Range des hessischen Grossherzogs in seinem Schlosspark
ein steinernes Kruzifix aufrichten, so würden die Missionare seinen Über-
tritt zum Christentum melden. Vielleicht wird mancher unserer Frommen
deshalb erschreckt aufgefahren sein, als er diese Darmstädter Nachricht
las. Es ist ein deutsch-protestantischer Bundesfürsf, der oberste Bischof
einer deutschen Landeskirche, der dem indischen Königssohn dieses
Monument errichtet hat, der in stillen Stunden vielleicht religiösen Ideen
nachhängt, von denen die cliristlichen Priester nichts wissen. In jedem
Falle ist es ein sympathisches Zeichen persönlichen Mutes, wenn der Gross-
herzog einem achtungswerten Zuge seines Herzens rückhaltlosen Ausdruck
verleiht, unbekümmert um höfisches Zeremonienchristentum und unduld-
same Eiferer.
Der Buddhismus klopft an die Türe Europas. Auch er ist eine Welt-
rcligion, auch er lehrt die Moral der Liebe, auch er kann die Gläubigen
mit jenem Frieden erfüllen, der „höher ist als alle Vernunft". Ob er auf
die Dauer dem Christentum widerstehen kann, ist die Frage. In der
Gegenwart aber weigert er sich entschieden, sicli von den Zöglingen
unserer Missionsanstalten tributpflichtig machen zu lassen. Er beginnt
seine mächtigen Glieder zu recken, und fängt nun seinerseits an, in
christliches Gebiet einzubrechen. Wollen wir nicht pharisäisch urteilen,
so müssen wir eingestehen, dass das christliche Europa auch vom Bud-
dhismus mancherlei lernen kann. Die edle Toleranz ist der Ruhm des
Buddhismus; wo aber das Christentum hinkommt, da kommt allzuoft
gleich hinterher die Intoleranz, jene „heilige Rücksichtslosigkeit", zu der
sich unsere frommen Geheimbündler gegenseitig verpflichtet haben. So
lange aber das herrschende Christentum noch vom Buddhismus lernen
kann, darf es sich nicht wundern, wenn der Buddhismus sein Haupt er-
hebt und den tauffreudigen christlichen Missionen einmal ein lautes Halt
zuruft!" —
Ob dieses Artikels hat sich in einem Teile der orthodox-protestan-
tischen Presse ein Entrüstungssfurm erhoben. Den Vogel abgeschossen
haben das Berliner Pastoren-Blatt »Der Reichsbote« und die »Deut-
sche Tageszeitung«. Der »Reichsbote« schreibt (26. August) am
Schluss eines Artikels in der bekannten „heiligen Rücksichtslosigkeit":
„So oberflächlich, wie die »Voss. Zeitung« denken unsere Missionare
nicht. Die »Voss. Zeitung« bringt so etwas fertig; denn sie tritt heute
für die Theologen Fischer, Jatho, Harnack, wie für die Heroen der Affen-
theorie ein, warum sollte sie nicht auch für den Buddhismus eintreten —
da er sich ja auch als Mauerbrecher gegen Christentum und Kirche ver-
wenden lässt."
48 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Soweit das fromme Pastorenbiatt. Wie wir nun hören, hat der
Grossherzog von Hessen noch den Auftrag zur Anfertigung einer zweiten
Buddha-Statue gegeben ; nun hat der »Reichsbote« abermals Gelegenheit,
seinem Herzen Luft zu machen; wir können freilich nicht recht begreifen,
wie man sich um ein an und für sich durchaus unwichtiges Ereignis so
arg aufregen Icann. Viel Lärm um Nichts!
Zu unserem Bilde. Wir bringen in dieser Nummer das Bild des
buddhistischen Patriarchen von Burma. »Thätanäbaing. ist
der Titel und bedeutet soviel als »Rat in Sachen der Religion«. Es ist
dies der höchste Würdenträger unter der burmanischen Geistlichkeit, aber
keineswegs ein Oberer oder Bischof, dem die Mönche und Laien in
blindem Gehorsam ergeben sein müssten. Der jetzige greise Patriarch,
den unser Bild darstellt, ist Taunggvvin Sayadaw; der.selbe wurde am
24. Oktober 1903 in Mandalay von dem englischen Lieutenant-Gouverneur
feierlich in seinen Rechten anerkannt und bestätigt, nachdem er in einer
Versammlung von delegierten Bhikkhus als Thäthanäbaing gewählt worden
war. — Ein ausserordentlich durchgeistigtes Antlitz, in dem ein hoher Grad
von geistiger Konzentration und tiefer ücmütsfriede sich ausprägt.
Buddha-Statuetten. Auf die an den Herausgeber gerichteten zahl-
reichen Anfragen wegen Buddha-Statuetten und -Bildern teilt derselbe
mit, dass er in dieser Angelegenheit ?ich mit japanischen Buddhisten in
Verbindung gesetzt hat. Es steht zu erwarten, dass der »Missions-Verein«
in einiger Zeit in der Lage sein wird, orientalische Buddha-Statuen zum
Selbstkostenpreis abgeben zu können.
Büchertisch.
(Für Besprechung und Rücksendung nicht verlangter Bücher übernimmt die
Redaktion keine Verpflichtung. Die Bücher sind zu senden au den Herausgeber
Karl Seidenstücker, per Adr. Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
Als wichtige Neuerscheinung liegt vor:
Die Reden Qotamo Buddhos aus der Sammlung der Bruchstücke
Suttanlpäto des Pält-Kanons übersetzt von Karl Eugen Neu-
mann. Leipzig. Verlag von Johann Ambrosius Barth 1905. VII,
409 S. Preis 20. — Mk. — Eine Besprechung dieser hocliwillkom-
menen Übersetzung des Suttanipäta erfolgt in einer späteren
Nummer.
I Glaubensfreiheit. Glaube nichts auf blosses Hörensagen hin ; glaube
I nicht an Überlieferungen, weil sie alt und durch viele Generationen bis
( auf uns gekommen sind; glaube nichts auf Grund von Gerüchten, oder
.* weil die Leute davon reden; glaube nicht, blcss weil man dir das ge-
/ schriebene Zeugnis irgend eines alten Weisen vorlegt; glaube nie etwas,
j weil Mutmassungen dafür sprechen oder weil langjährige Gewohnheit
/ dich verleitet, es für wahr zu halten: glaube nichts auf die blosse Au-
1 torität deiner Lehrer und Geistlichen hin. Was nach eigener Erfahrung
f und Untersuchung mit deiner Vernunft übereinstiinmt und zu deinem
f eigenen Wohle und Heile, wie zu dem aller anderen lebendenden Wesen
' dient, das nimm als Wahrheit an imd lebe danach.
' Anguttara-Nikäya.
Verantwortlicher Rcdaktrur; G. A. Uirtzp, Leipzig. — Verlag: Buddhistischer Verlag
in Leipzig. — Druck: Arno Baciimann, Baalsdorf- Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutsclhand.
Rundschau.
Der japanische Einfluss In China. Japans Einfluss auf China ist
zweifellos im stetigen Wachsen begriffen. Die von dem Prinzen Inuye
gegründete »Ostasiatische Liga« hat bereits eine weitreichende Pro-
paganda entwickelt. Eine von Japanern geleitete chinesische Presse be-
ginnt in China die japanischen Anschauungen über Kultur und Politik zu
verbreiten, und die japanischen Klassiker werden eifrig studiert. Japanische
Lehrerhaben europäische ersetzt und neue Colleges gegründet, während
in Tokyo nicht weniger als fünftausend chinesische Studenten
sich ausbilden. Bekanntlich nehmen die Japaner wohl gewisse Aspekte
der abendländischen Zivilisation an, behalten aber ihre eigene Weltan-
schauung und Philosophie bei und kennen ganz genau die Schwächen
der occidentalen Kultur. Die Chinesen werden von den Japanern in ihren
Anschauungen, soweit es sich um Humanität und Barbarei handelt, nicht
irre geleitet. Die Wiedererweckung des erstarrten chinesischen Buddhis-
mus lind eine Vereinigung seiner Zweige ist eine Aufgabe, deren Durch-
führung sich die japanischen Buddhisten unterziehen wollen. Ja, eine
chinesische Zeitschrift wies kürzlich auf die Notwendigkeit hin, buddhi-
stische Missionare nach London zu senden. — Man darf auf die Weiter-
entwicklung der religiösen Verhältnisse in Ost-Asien gespannt sein.
Das Projekt einer konfuzianisch -buddhistischen Universität.
Ein cinflussrcicher Japaner, der auch den südlichen Buddhismus genau
kennt, entwickelt der buddhistschen Welt Asiens ein interessantes Projekt;
es handelt sich um die Gründung einer grossen konfuzianisch-buddhisti-
schen Universität. Die Durchführung des Planes wäre aufrichtig zu be-
grüssen ; denn durch dieses äusserst wichtige kulturhistorische Ereignis
würde den Völkern Asiens auf einmal der Schatz ihrer eigenen Geistes-
kultur vor Augen geführt und ihnen Gelegenheit geboten, ihre
heiligsten Güter wieder kennen zu lernen. Die Völker Ostasiens brauchen
keine neue Religion ; was ihnen not tut, ist, dass sie auf die Quellen zu-
rückgreifen, die in ihren eigenen Landen, obwohl Tausenden unbekannt,
flicssen.
Der Buddhismus in Amerika. Die amerikanischen Buddhisten
erbauen sich ein Zentral-Heiligtum. In Los Angeles (Kalifornien) ist
ein prachtvoller Tempel i(n Bau begriffen. Wenn auch an und für sich
die Errichtung eines Tempels für den geistigen Gehalt einer Bewegung
6
50 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
nichts hedeutet, so beweist diese Tatsache doch, dass unsere buddhisti-
schen Freund« im transatlantischen Kontinent fähig sind, für ihre Sache
grosse Opfer zu bringen. Möge das auch für die Anhänger in
Deutschland ein Ansporn sein!
Von der IMahäbodhi-Geseltschaft. Die Geschäftsstelle der Mahä-
bodhi-Society ist jetzt : Isipatana Sarnath Benares, Indien. Der
dort domizilierte Sekretär der Geselischaft ist Herr Brahmachari
Haris Chandra, an welchen al!e Mitteilungen und Sendungen die Ge-
sellsch.ift betreffend, zu richten sind. Die Zentralstelle der Mahäbodhi-
Society befindet sich also jetzt an jener Stätte, wo der Buddha vor fünf-
undzwatKfg Jahrhutrderten seine erste Predigt über »die Aufrichtung des
Reiches der Gerechtigkeit« gehalten hat.
Die bttddbtsttsche Mission in Deutschland.
Halle a. S. Am 22. September hielt hier Herr Karl Seiden-
stücker einen Vortrag über das Thema »Der Buddhismus und das
Abendland«. In einem anderthalbstündigen Referat behandelte der
Redner die Grundideen des Buddhismus und wies auf die Bedeutung hin,
welche der letztere namentlich für die dem Abendlande so sehr fehlende
innerlich-geistige Kultur habe. An die Ausführungen schloss sich
eine sehr anregende Diskussion, die wegen weit vorgerückter Zeit (' J2
Uhr) abgebrochen werden musste. Es sind für Halle während des Winters
weitere Vorträge geplant, und es besteht die Aussicht, in absehbarer Zeit
eine Orts-Oesellschaft ins Leben zu rufen.
Leipzig. Die buddhistische Gesellschaft in Leipzig hält im
kommenden Winterhalbjahre allmonatlich einen öffentlichen Vortrags-Abend
ab. Am 16. Oktober sprach Karl Seidenstücker über die buddhi-
stische Ethik. Wir geben im folgenden das Vortrags-Programm für das
diesjährige Wintersemester:
Mittwoch, den 8. November 1905: Buddha und Christus. Karl
Seidenstücker.
Mittwoch, den 13. Dezember 1905: Die Religion der Zukunft.
Karl Seidenstücker.
JMiittwoch, den 10. Januar 1906: Buddhismus und Toleranz.
G. A. Dietze.
Mittwoch, den 14. Februar 1906: Buddhistische Wahrheiten
bei nicht-buddhistischen Denkern. Karl Seidenstücker.
Montag, den 12. März 1906: Die Seele des Menschen. Karl
Seidenstücker.
Mittwoch, den 11. April 1906: Ist der Buddhismus pessimis-
tisch? G. A. Dietze.
Lokal: Vegetarisches Speisehaus »Manna«, Leipzig, Schulstrasse 8, I.
Beginn: 8' .^ Uhr abends. Nach den Vorträgen Fragen-Erörterung.
Eintritt frei. Jedermann willkommen.
Berlin. Im November wird Karl Seidenstücker in Berlin
einige Vorträge halten. Es ergehen an die uns bekannten Mitglieder
des Vereins und Interessenten Eünladungen. Wer sonst den Vorträgen
beizuwohnen wünscht, möge rechtzeitig seine Adresse der Geschäfts-
stelle des Missionsvereins (Leipzig-!^., Kohlgartenstr. 39) mitteilen. Es
wird auch die Frage erörtert werden, ob zur Gründung einer buddhi-
stischen Gesellschaft in Berlin geschritten werden kann.
Sonstige Vorträge. Ausser den genannten Orten sind noch für
folgende Städte Vorträge im kommenden Winter geplant: Altenburg,
No. 7. Die buddhistische Well 51
Bremen, Breslau, Hamburg. Jnteressenten mögen ihre Adresse der
Geschäftsstelle bekannt geben.
Gründung von Zweig - Gesellschaften des »Buddbistischen
Missions-Vereins«. Für Berlin und Bremen sind die Aussichten auf
die Gründung von Orts-Gesellschaften günstig. Es ist aber wichtig, dass
bei Neugründungen nicht übereilt vorgegangen wird. Es ist erwünscht,
dass Zweig-Vereine erst dann selbständig ins Leben treten, wenn die
Garantie vorliegt, dass die neue Orts-Oesellschaft wirklich positiv
arbeiten wird.
Mitteilungen und Notizen.
Vom christlichen „Liebeswerke" auf Ceylon. Das »Mahäbodhi-
Journal« berichtet: Vor kurzem betrat der »Chief Officer« der »North
Central Province« mit einer geladenen Flinte in der Hand und begleitet
von einer Schar von Polizeibeamten die Einfriedigung des grossen Bodhi-
Baumes von Anurndhapura, jenes Baumes, der vor 2227 Jahren von dem
Arahä JVlahinda, dem Sohn de.s Königs Asoka, gepflanzt war. Der
Beamte liess dort verschiedene Buddhisten verhaften und zur Polizei-
Station abführen. Seit 2227 Jahren ist hier nie eine Störung der buddhi-
stischen Andachten vorgekommen. An dieser heiligen Stätte befanden
sich Einsiedeleien, Klöster und Altäre; heute wird der geweihte Boden
von der englischen Regierung benutzt, und unter dem Schatten des altchr-
würdigen Heiligtumes stehen jetzt Schlachthallcn, Branntwein-Destillalionen
und Kaufbuden. Die Buddhisten Ceylons hatten gehofft, dass dieser ehr-
würdige Ort ihnen zu Kultuszwecken belassen würde. Ganz neuerdings
nun hat die englische Regierung ein Stück Land zwischen den drei
grossen vor 2200 Jahren errichteten buddhistischen Altären dem angli-
kanischen Bischof überwiesen, und die IVlissionare der englischen
Hochkirche sind jetzt am Werk, hier eine Kirche zu errichten. Das
»Mahäbodhi-Journal« fügt hinzu: „Die Wahrheit des Wortes: .Mitten im
Leben sind wir vom Tod umfangen' haben die Buddhisten hier er-
fahren müssen." —
»The Sandaresa« berichtet ebenfalls über die Gründung dieser
anglikanischen Kirche und bemerkt dazu: „Es ist dies nicht das erste Mal,
dass sich die Anglikanische Kirche breit macht. Wir erinnern z. B. an
Kandy, wo die englische Kirche auf einem Grund und Boden steht, der
noch dem buddhistischen Tempel gehört, und wo die gewöhn-
lichen Andachten der Bud dhisten an Sonntagen verboten (1!)
sind. Wir würden diesen Fall christlicher Eingriffe vergessen, wenn in
dem vorliegenden Fall von Anuradhapura die christlich-kirchlichen Autori-
täten anch nur einen Funken grossmütigen Entgegenkommens gezeigt
hätten. Dieselben wissen ganz genau, wie heilig und teuer diese heilige
Stätte von Anuradhapura dem Herzen eines jeden Buddhisten ist. Sie
haben es nichtsdestoweniger vorgezogen, die Gefühle der buddhistischen
Gemeinde zu ignorieren und mit Füssen zu treten. . . ."
Also das ist „christliche Heidenmission" ! Ist es unter diesen Um-
ständen wirklich psychologisch unerklärlich und merkwürdig, wenn sich
die Volksmassen in Asien hie und da gegen diese scheinheilige, unter
der Maske christlicher Liebe sich einschleichende, in Wahrheit äusserst
brutale Mission auflehnen und den Versuch macihen, sich dieses
rücksichtslose weisse Schmarotzertum vom Halse zu schaffen?! Eine
Wirkung hat diese „Heidenmission" dennoch: Sie hilft fleissig mit, auch
noch den letzten Rest von Hochachtung gegeaüber den christlichen Kirchen
und Sekten vollends zu untergraben. Nur fröhlich weiter so ; die Toten
reiten schnell 1 !
*^ Die buddhistische Welt. i. jghrg.
Buddhas Glocken. In dem uns vorliegenden zweiten Hefte der
protestantischen Missionsschrift »Licht im firnen oTten. findet sS
unter dem genannten Titel auf S. 31 folgendes Gedicht:
„Hör-, wie die Glocken klingen, so feierlich durchs Tal! -
Was sagt woh| Chinas Söhnen ihr heller, reiner Schall?
Es ladet das Geläute sie wohl zur Kirche ein
s^u ■ ,"'Ä'- '^^".'^ ""'^ •'•■'^"''e ^''^h "e" dem Herrn zu weih'n?
Apn H?i"h?w''r'" '^'^"g'-^' ''"^ f-'^'ten Buddhas Ohr
Uen die betorte Menge zu ihrem Gott erkor'
Sie sollen ihn bewegen, von seinem Himmelsthron
Zu senden Glück und Segen als frommer Andacht Lohn
Und wenn die Glocken schallen, steigt manch Gebet empor
K^^"-"i °i- ^" verhallen, denn taub ist Buddhas Ohr
Doch jeder dieser Töne verwundet Jesu Herz
pfcn vi!/"'' n'lV?'''^ ^^^"^ ""'"^^ ^'■'"=h im födesschmerz.
Er spricht, vo I Weh und Leiden zu seiner Gläub'gen Schar
Die sorglos lasst verderben die Heiden Jahr für lahr-
„O dass dein Herz dies rührte, du träge Christenheit,
Und dir zur Bürde würde der Ärmsten bittres Leid I
,,Uu hast das Wort des Lebens und sollst mein Bote sein
Ü/M 1^!)' '^^^ vergebens noch fleh'n zu Holz und Stein!
FinH ^" '^i^u^"' ""^^* ^'"'^^'"' '"c Chinas Vor^ durchwühlt
una so die Schmerzen lindern, die meine Seele fühlt?"
,.oihJ^ •'^^'"f;,^'"^." nüchternen Menschen wirklich eine Aufgabe dieser
pathologisch-ruhrseligen Dichterei auch nur ein Wort des Bidauerns zu
widmen. Hat der „Dichter« vom Buddhismus so wenig Ahnung dass er
sTgenaTntl' BuddhM.^«"''''^,^"'" ''^''" "^'^^ Und' wenn "cf'inesLche
«^ntn ■". ^^'""'^*'^" wirklich zu Buddha als zu ihrem Gotte beten
sollten, so ist dieses nichts anderes, als wenn Christen den Stifter ihrer
Ss'Z"eSnotH«''^^- V',"^"!"!.""^* ''^ ""'^" S"*? Niemand ist gut
ais aer einige Gott!" Seit Jahrhunderten betet die Christenheit zu lesus-
Verschone uns vor Krieg, fi'rdbeben, Feuersbrunst, Wassersno Seuchen
?.h h^'T'J"^' k"" t^of^dem bleibt alles beim alten Hört Jesus? -Sei"
^Ketzerei' aher*^>',^''j°'''''=-''l ^''"'''" ^" -1^«"« um Vusrot u„g de
Hörf esüs? %.fK''H^'''*'i ^'"^ trotzdem immer weiter aus.
nort jesus^ — Seit Jahrhunderten beten die Christen aller Richtunpen
zu Jesus um die Bekehrung der „Heiden«, und trotzdem gewinnt der nich
mlhf Anhänte^^Hörf .-'^^'^f'^he" Buddhismus im ASänd 'imme!
^^hl u-^r^u .HorJesus? — „Nimm alle christliche Obrigkeit fdie
nicht-chrisfhche also nicht?!) in Deinen gnädigen Schutz'" -St ein
christliches Gebet, --- und trotzdem fallen chriltliche Fi^rsten und obriH-
sch r'n'JrT.'e'sus?" '^f;"^H^''""?'-f' T'' ^"'" ""^''^ «'^ ändere Me^-
scnen. Hört Jesus? — Richtig ist übrigens im genannten Gedicht der
Passus welcher besagt, dass „der Gläubfgen Schar die Heiden _ (wie
liebevoll!) - lässt verderben Jahr für Jahr." Sehr wahr Denke an
die „christliche Mission" auf Ceylon! - uenKe an
.... Kwan-Yin, Wir bringen unseren Lesern in dieser Nummer die Ab-
b Idung eines Denkmales buddhistischer Kunst: eine chinesische Kwan-Yin-
Statue. Kwan-Yin, eine eigentümliche Auffassung von Buddha, repräsentiert
den Buddha (d. h. den Adi-Buddha der Mahäyäna-Schule) in einer weib-
Se" DerTwa: Yi'n .."u ^'T if'' B^T^erzigkeit uiid"mXrirchen
ueoe. uer Kwan-Ym-Kultus ähnelt in vie en Punkten dem christlichen
ScrAuffassunTvon';^''^''"^-''^-^'*^* "*^'-'^" '""•''^- dass"'die mytholo-
gische Auffassung von Kwan-Yin eine ganz andere ist, als die von Maria.
No. 7. Die buddhistische Welt. 53
Urprüngiich ist Kwan-yin wohl eine durch brahmanische Einflüsse in den
Buddhismus gebrachte hinduistische Qakti. Qlakti ist der Kraft-Aspekt
der Substanz.
Das Urteil eines nicht-buddhistischen Inders über den Buddha.
Der indisch-brahmanische Missionar Svänii Vivckänanda schreibt in
seinem Werke »Karma-Yoga« über den Buddha folgendes: „Viele
haben die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt möglich sei, ohne Motiv
zu wirken. Sie haben kein anderes Werk, als Fanatismus, gesehen und
sprechen deshalb in dieser Weise. Icn will Euch mit wenigen Worten
von einem Mann erzählen, der es ins Praktische übertrug. Dieser Mann
war Buddha. Er ist der einzige Mensch, der dies jemals in die Praxis
umsetzte. Alle Propheten der Welt, ausgenommen Buddha, wurden von
äusseren Triebkräften bewegt. Die Weltpropheten können, mit dieser
einen Ausnahme, in zwei Teile geteilt werden: erstens die, welche be-
haupten, der auf die Erde herniedergestiegene Gott zu sein, und zweitens
die anderen, welche sich Gesandte Gottes nennen. Beide folgen
einem äusseren Antriebe und erwarten Belohnung von ausserhalb, wie
geistig auch die Sprache sein mag, die sie führen. Nur Buddha ist der
einzige Prophet, welcher .sagte: „Ich frage nichts darnach, eure ver-
schiedenen Theorieen von Gott zu kennen. Was hat es für einen Nutzen,
alle die spitzfindigen Lehren über die Seele durchzusprechen? Tut Gutes
und seid gut. Dies wird euch zu aller Wahrheit leiten." Buddha war
absolut ohne Motivkraft, und welcher Mensch wirkte mehr als er?!
Zeigt mir in der Geschichte einen Charakter, der sich so hoch über alle
erhob, wie er! Die ganze menschliche Rasse hat nur einen solchen
Charakter hervorgebracht, solche erhabene Philosophie, solche Sympathie.
Dieser grosse Philosoph, der die höchste Philosophie predigte, hatte
dennoch Sympathie für das geringste Tier und machte niemals irgend-
welche Ansprüche. Er ist der ideale Karma-Yogi, welcher gänzlich ohne
Motiv handelte, und die Geschichte der Menschen zeigt ihn als den
Grossesten, der jemals geboren wurde, über jeglichen Vergleich mit an-
deren erhaben ; die grösste Vereinigung von Kopf und Herz, die jemals
existierte, die grösste Seelenkraft, die sich jemals offenbarte. Er war
der grösste Reformator, den die Welt jemals sah. Er war der erste, der
zu sagen wagte: „Glaubet nicht um einiger alter Manuskripte willen;
glaubet nicht, weil es euer National-Glaube ist, oder weil man euch von
Kindheit an zum Glauben zwang; sondern denket selbst darüber nach,
und wenn ihr es geprüft habt, und findet, dass es einem und allen gut
tun wird, dann lebt danach und helft anderen danach zu leben." Der
wirkt am besten, der ohne jede Triebkraft schafft, weder für Geld, noch
für irgend etwas anderes, und wenn ein Mensch das zu tun imstande ist,
so wird er ein Buddha sein, und in ihm wird die Kraft erstehen, so zu
wirken, dass er die Welt umgestalten kann." —
Aus Russland. Wie uns in einem privaten Schreiben aus Livland
mitgeteilt wird, besteht die Absicht, binnen kurzem einige buddhistische
Schriften in lettischer Sprache erscheinen zu lassen; unter anderem
Subhadra Bhikshu's Katechismus sowie die im »Buddhist« deutsch
herausgegebenen Aufsätze von Änanda Maitriya.
In Russland leben etwa 850000 Anhänger des Buddhismus. Es sind
dies kirghisische und kalmückische Tataren an den Ufern der
Wolga im europäischen Russland und eine wachsende Anzahl von Bur-
jäten und anderen Stämmen im südlichen Sibirien, wo der Buddhismus
sich ausbreitet. Alle diese Völkerschaften sind Anhänger des lama-
i'stischen Mahäyänismus, also desjenigen Zweiges des Buddhismus,
der am stärksten modifiziert ist. Da nun jährlich eine Anzahl dieser
Buddhisten, unter ihnen befand sich ein Gross-Lama der mongolischen
5* Die buddhistische Weit.
I. Jahrg.
Klöster, nach Buddha-Gayä in Nord-Indien pilgert und dort mit dem
reineren südlichen Buddhismus bekannt wird, ist die Mögh'chkcit geceben
dass allmählich neues Leben in diesen erstarrten Zweig des Buddhismus
einströmt. Der Lamaisnius ist bekanntlich der westliche Zwei" des
Mahäyäna und hat sein Zentrum in Tibet, während das reinere Mahä-
yäna hauptsächlich in Japan seine Anhänger hat. Nach dem letzten
Rehgions- Edikt des Zaren ist es verboten, die in Russland lebenden
iamaistischen Buddhisten als „Heiden" zu bezeichnen; was sagen dazu
die evangelischen Konsistorien in Deutschland, die nach der Fassung des
allgemeinen Kirchengebetes zu urteilen, die Buddhisten als Heiden"
betrachten ? ! "
u .. .,^^j^\ i^^enfalls beachtenswert, dass auch im dunklen Russland die
buddhistische Propaganda sich bemerkbar macht. —
An die »Vegetarische Warte.>. In No. 19 der »Vegetarischen
V/arte, schreibt ein Herr F. Spier bei der Besprechung einiger bud-
dhistischer Bucher folgendes: „Wenn man in obigen Schriften auch
manchen richtigen und anregenden Gedanken findet, so ist doch für
einen sich am Leben freuenden Vegetarier diese die Nicht-Existenz
(Nirväna) als Höchstes preisende, den Lebenswillen als »Ursache des
leidvollen Daseins« erklärende Weisheit Buddhas nicht die rechte Erbau-
ung. Wenn auch der Vegetarismus als solcher (als welcher? die Red)
^1°I.L^ ^"'''' ^°- '^* '^°'^^ ^°" *^'"'='^' Ausbauen unseres Jammertals durch
Ubstgärtner zum irdischen Paradiese absolut nicht die Rede
Die verehrliche »Vegetarische Warte« würde sich zweifellos weniger
blamieren, wenn sie als Rezensenten Männer anstellte, die von dem
Ciegenstand, den sie besprechen, etwas mehr „Ahnung" hätten als Herr
F.Spier. Der letztere ist genau so wie sein Vorgänger Herr Benno Buer-
dorff ein gänzlich ungenügend informierter Beurteiler des Buddhismus
Die oben angeführten wenigen Worte des genannten Herrn zeigen, dass er
n,.™^i? ^^''4'"'f.u^'=^^"'^'^■''^ ^"'^'1 "'«^ht im entferntesten erfasst hat.
Dass nach des Buddha Lehre das Dasein deshalb leidvoll ist, weil
Artem Zerfall, Vcrgangichkeit nllen phänomenalen Dingen anhaftet, sollte
Herr Spier sich zunächst ad notam nehmen. Werden diese Tatsachen
etwa dadurch aus der Welt geschafft, dass „lebensfreudige Vegetarier"
h,"„!i. c^'°" .rdischer Obst-Paradiese anlegen?! Hebt etwa das Vor-
handensein solcher Lustgärten die Wahrheit von der Vergänglichkeit auf?!
Man verschone doch endlich die Welt mit derartigen Donquichotterien!
P/nn ''"'■f'' ."3 "'■gemasse Lebensweise manches Übel beseitigt werden
kann, bestreitet selbstverständlich kein vernünftiger Mensch. Aber gerade
^lV,u"'^lu^^V' "■'" derentwillen der Buddha die These auf-
• iVL"'* ' ^'-'''5" '^' '-'^"''^"" -kann auch der Vegetarismus
alt.l ^'v "v'^"v *^,^"", ^."Z*! ''/'' 'ustigste Vegetarier hat noch kein Kraut
gegen die Vergang ichkeit aufgefunden. Wir gönnen Herrn Spier von
Herzen seine Freude an Obstparadiescn ; wir bestreiten nur, dass durch
deren Anlegung der Charakter des Daseins an sich irgendwie verändert
wird^ Es mag ja ganz lustig .sein, so naturgemäss durch das Leben zu
K^c* -V ~" ,'ü''«^^*^'. "»"l das wird auch der lebensfrohe Herr Spier nicht
bestreiten können, ist es trotz alledem immer noch derselbe alte Spiel-
M^eTster^Tod -^^'" '-^'*^"**^"^'= aufspielt: Freund Hein, alias der
Bewahret Tugend, bewahret Reinheit! Reinheit heecnd und nfleupnri
bewahret im Handel und Wandel; vor geringstem S auf der Xl
schrertet beharrlich weiter Schritt für Schritt. ^ Maihhül-N^a "'
Na. 7. Die buddhistische Welt. 55
Büchertisch.
(Für Besprechung und Rücksendung nicht verlangter Bücher übernimmt die
Redaktion keine Verpflichtung. Die Bücher sind zu senden an den Herausgeber
Karl Seidonstücker, per Ad». Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
Eingesandte Literatur und Besprechungen.
Unter Marsmenschen. Erzählung von Oskar Hoffmnnn, Breslau.
Schlesische Verlags-Anstalt v. S. Schottiänder. 490 S. Preis 3 M.
Eine originelle Schilderung einer Reise nach dem Mars in einem
seltsamen Vehikel, ähnlich den phantasiereichen Schriften des bekannten
Jules Verne.
Die Entstehung des Christentums nach der modernen Forschung für
weite Kreise voraussetzungslos dargestellt von C. Promus. Jena,
Eugen Diederichs. 69 S. Preis 1 M.
Das wie alle bei L^iederichs erschienenen Werke trotz seines billigen
Preises vorzüglich ausgestattete Büchlein wünsche ich in die Hand eines
jeden gebildeten Laien, der den religiösen Problemen auch nur einiges
Interesse entgegenbringt. Wenn man auch den Schlussfolgerungen in
Bezug auf die Bedeutung eines modernisierten Christentums nicht
allenthalben bei.stinimen kann, sondern die religiöse Regeneration von
anderer Seite erwartet, so kann doch jeder aus dieser Schrift gar manches
lernen. D.
Das Lied von der Treue von C. Fr. Töllner. Oldenburg, Schwarz'sche
Hofbuchhandlung. Br. 3 M.
Das vorliegende Werk des Verfassers, der den Lesern des »Buddhist«
schon durch die vor kurzem erschienene Dichtung „Mahinda" bekannt
geworden ist, ist in Anlehnung an Wilhelm Jensens „Rose von Hildesheim"
entstanden. Genanntem Dichter ist auch das Werk zugeeignet. Es ver-
setzt uns in die bewegten Zeiten des Mittelalters, da überall der Kampf-
ruf ertönte: „Hie Weif, hie Waibling". Es zeigt uns des deutschen
Reiches Herrlichkeit zur Zeit der Hohenstaufer, zur Zeit Heinrichs VI., des
machtvollsten dieses Geschlechtes. Philipp, der unglückliche Bruder
dieses Herrschers, seine Gattin henc, die Rose von Byzanz, Konrad von
Querfurt, der ritterliche Kanzler des Reiches, die erdichtete Persönlichkeit
eines Junkers Fink v. Lassberg, das sind die Hauptgestaltcn des Werkes.
Ein „Lied von der Treue", wie es der Dichter nennt, weiss es uns zu
singen von Gattentreue, von Lehns- und Freundestreue, zeigt uns auch
in fesselnder Weise die mannigfachen ethischen Kollisionen, die sich aus
den verschiedenen Treuverpflichlungen ergeben. O. D.
Plotin, Enneaden. In Auswahl übersetzt und eingeleitet von Otto Kiefer.
2 Bände. Jena, Eugen Diederichs Verlag. Preis brosch. ä 7 Mk.,
geb. ä 9 Mk.
Der äusserst rührige Verlag von Eugen Diederichs, der sich schon
durch eine ganze Reihe von Neuausgaben älterer Philosophie und Mystik
verdient gemacht hat, bietet mit obigem Werke eine wertvolle Ergänzung
dieser Ausgaben. Hier des Näheren auf die Philosophie des grossen
Neu-Platonikcrs einzugchen, erscheint nicht angebracht, ich verweise auf
einen in nächster Zeit in unserer Zeitschrift erscheinenden Aufsatz über
Neuplatonismus und Buddhismus; hierbei wird auch Plotinos seine Wür-
digung erfahren, gegen den vom Standpunkte der Buddhisten mancherlei
56 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
einzuwenden ist. Die Kiefersche Plotin-Ausgabc ist keine nur für Fach-
gelehrte bestimmte Arbeit, sondern wendet sich, gehalten in der Sprache
der Gegenwart, an die Gebildeten unserer Tage, in welchen ein Streben
nach Verinnerlichung und Vergeistigung lebt. Allen denen kann dieses
Werk auch wirklich empfohlen werden. D.
Jahrbuch für Alkoholgegner 1906. Herausgegeben von Max War-
ming. Druck und Verlag der Hanseatischen Druck- und Verlags-
Anstalt, Hamburg. Gebunden I.— Mk.
Unter Hinweis auf das fünfte buddhistische Gebot sei dieses Büch-
lein wärmstens empfohlen. D.
In der Welt, aber nicht von der Welt. Gleichwie, ihr Jünger,
eine blaue Lotusrose, oder eine rote Lotusrose, oder eine weisse Lotus-
rose im Wasser geboren, im Wasser entwickelt, über das Wasser sich
emporhebend darsteht, unbefleckt von Wasser : Ebenso auch, ihr Jünger,
ragt der Tathägata, der sich in der Welt entwickelt hat, über die Welt
empor, unbefleckt von der Welt. Samyutta-Nikäya.
Wenn ein Mensch auch Böses getan hat, so sündige er hinfort nicht
wieder noch denke er mit Sehnsucht an das Böse zurück: das Ende der
Sünde ist Leid. Doch wenn ein Mensch Gutes tut, so tue er ts immer
wieder und denke daran mit Sehnsucht: tugendhafte Taten wirken Glück-
seligkeit, nhamni.ipada.
• *
Die von aller Sünde sich fernhalten, die in beständiger Einsicht
wandeln, die Erleuchteten, welche aller f-esscln ledig sind, diese wahrlich
sind Priester in der Welt. Udäna.
» »
•
Welcher Lehren immer du bewusst sein solltest, dass sie zur Leiden-
schaft und nicht zum Frieden führen, zum Stolze und nicht zur ücniui,
zum Wunsche nach vielem und nicht zum Wunsche nach wenigem, zur
Liebe zur Zerstreuung und nicht zur inneren Einkehr, zur Tiaghcit und
nicht zur Übung des Eifers, zu schwerer Befriedigung und nicht zur
Zufriedenheit, — wahrlich, dann mögest du im Geiste erwägen, dass
dies nicht der Dhamma, dass dies nicht der Vinaya, dass dies nicht
die Lehre des Meisters ist. Aber von welchen Lehren immer du
bewusst sein solltest, dass sie zum Frieden und nicht zur Leidenschaft,
zur Demut und nicht zum Stolze, zum Wunsche nach wenigem und nicht
zum Wunsche nach vielem führen, zur inneren Einkehr und nicht zur Liebe
zur Zerstreuung, zur Zufriedenheit und nicht zur Streitsucht, — wahilich,
dann magst du im Geiste erwägen, dass dies der Dhamma, dass dies
der Vinaya, dass dies die Lehre des Meisters ist. vinaya-HiaUa.
Geläutert sei unser Wandel, unsere Rede, unser Sinn, unser Leben,
offen und ehrlich, nicht heimlich und verhohlen; und dieser Läuterung
halber werden wir uns nicht überheben, noch die anderen geringschätzen:
also habt ihr euch, meine Jünger wohl zu üben. Majjhima-Nikäya.
VerintwörtUcher Redakteur: G. A. Dietze, Leipzig. - Verlag: Buddhistischer Verlag
in Leipzi|^. — Druck: Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang. LEIPZIG, November 1905.
No. 8.
Herzliche Bitte!
etwa 2000 japanische Kriegsgefangene (worunter
ungefähr 5—600 Nichtkombattanten) werden gegen Ende
November oder Anfang Dezember aus Russiand in Bremer-
haven eintreffen, von wo sie sich direkt nach Japan einzu-
schiffen gedenken.
Da sie während ihrer langen Gefangenschaft ein Leben
unter traurigsten, elendesten Verhältnissen zu führen ge-
zwungen waren, drängt es mich, den nun glücklich Befreiten
durch ein, wenn auch kleines Geschenk, Trost und Freude
zu bereiten und darf ich mir zu diesem edlen Zwecke wohl
auch Ihre gütige Mithilfe erbitten.
Jede, auch die kleinste Gabe wird dankbarst ent-
gegengenommen.
Da die Soldaten nur eine ganz geringfügige Tages-
löhnung erhalten, dürfte ihnen die Anschaffung der not*
wendigen Kleinigkeiten, wie: Strümpfe, Taschentücher,
Seife usw. recht beschwerlich fallen und ist deshalb die
freundliche Zusendung eben erwähnter Artikel, sowie von:
Zigarren, Zigaretten, Ansichtspostkarten und ähnlichen Sachen
sehr angenehm und erwünscht.
Quittung und Abrechnung über die eingehenden Spenden
werden in „Ost-Asien" veröffentlicht.
Hochachtungsvoll
Kisak Tamai,
Chefredakteur der Monatsschrift „Ost-Asien*.
Berljf» SW., Kleinbeerenstr. 9.
7
58 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Rundschau.
Aus Tibet. Während den meisten Reisenden verschiedener Natio-
nalität der Versuch, nach der Hauptstadt des geheimnisvollen Tibet,
Lhassa, vorzudringen, fehlschlug, ist es dem russischen Forscher
Zybikow nicht nur gelungen, die Stadt zu erreichen, sondern er hat
sich dort auch zwölf Monate aufgehalten. Zybikow ist Buddhist; er
stammt aus der Baikal-Gegend und hat die Universität Petersburg besucht.
Lediglich die Tatsache, dass er ein Anhänger des Buddhismus ist und
die tibetische Sprache kannte, ermöglichte es ihm, als Lama das Land zu
betreten und die ersten zuverlässigen Nachrichten über Lhassa zurück-
zubringen. Im Sommer 1900 betrat Zybikow das Land. Von Lhassa
selbst erzählt der Reisende, dass es malerisch, von üppigen Gärten im
Westen und Süden umgeben, an dem südlichen Abhänge eines Berges
liegt. Der Fluss Uitschu geht an dem südlichen Ende der Stadt vorbei,
die von Dämmen und Kanälen zum Schutz gegen Überschwemmungen
durchzogen ist. Rund um die Stadt führt ein schöner breiter Weg, der
zu Prozessionen benutzt wird. Die Stadt ist trotz ihrer Kleinheit — sie
hat nicht mehr als 10000 ansässige Einwohner — ein bedeutender Handels-
knotenpunkt. Die eingeborenen Händler sind meist Frauen. Mitten in
der Stadt steht der mächtige Buddha-Tempel. Er misst etwa 140 Fuss
im Quadrat, ist drei Stockwerke hoch und hat drei vergoldete chinesische
Dächer. Er enthält die riesenhafte Bronze-Statue des Buddha, die einen
Kopfputz aus getriebenem Gold und Juwelen trägt. Vor dieser Statue
brennt beständig ein Feuer, das mit geschmolzener Butter genährt wird.
Das heilige Gebäude enthält auch die Räume für den Dalai-Lama und
seinen Rat. Der Wohnsitz des Dalai-Lama, der im 7. Jahrhundert der
europäischen Zeitrechnung erbaut wurde, liegt etwa eine Meile entfernt
auf dem Berge Buddha-Lha. Nahe dabei steht das alte Schloss
Hodson-Bodala, ein 1400 Fuss langes Gebäude mit neun Stockwerken.
In diesem Schloss befindet sich das Schatzamt, die Münze, die Schulen
für Theologie und Medizin und die Unterkunftsräume für 1200 Beamte
und 500 Mönche. Etwa 1000 Bhikshu nehmen an der Prozession nach
diesem Berge teil. Unter anderen Klöstern und Tempeln sind in der
Nähe von Lhassa drei zu verzeichnen, in denen sich 1500 Mönche mit
gelehrten Forschungen beschäftigen. —
Nunmehr ist auch der bekannte russische Reisende und Erforscher
der Mongolei und Tibets, Leutnant P. K. Koslow, von seiner letzten
Reise, die er in diesem Sommer durch die Mongolei unternahm, zurück-
gekehrt und hat ein sehr umfangreiches und höchst interessantes Material
mitgebracht, über das er demnächst in der kaiserlich russischen Geo-
graphischen Gesellschaft berichten wird. In Urga ist Koslow mit dem
Dalai-Lama zusammengetroffen, der damals seit seinem Entweichen aus
Lhassa dort in grösster Zurückgezogenheit lebte. Koslow schildert den
Dalai-Lama als jungen, sehr gebildeten und energischen Mann.
Der Forscher überbrachte dem letzteren kostbare Geschenke der Geo-
graphischen Gesellschaft und erhielt als Gegengeschenk sehr wertvolle
Daten über die gegenwärtige Lage Tibets und mehrere Gegenstände, die
sich auf den lamaistischen Kultus beziehen. Das Herstellen einer Photo-
graphie von sich gestattete der Dalai-Lama nicht, doch sass er dem
Zeichner der Expedition, Herrn Koshewnikow, in den verschiedensten
Stellungen und Kostümen. Diese Entwürfe sollen alle sehr gut gelungen
sein und werden in den Veröffentlichungen der Geographischen Gesell-
schaft wiedergegeben werden. Koslow wurde vom Dalai-Lam? mehrere
No. 8. Die buddhistische Welt. 59
Male empfangen ; die Unterhaltung wurde dabei durch zwei Dolmetscher,
einen Mongolen und einen Tibeter, geführt. —
Tibet hatte im 19. Jahrhundert die Freundschaft Englands gesucht,
musste jedoch zu seiner Enttäuschung erleben, dass die Engländer nur
eigennützige Ziele verfolgten. Darauf schloss sich der jetzige Dalai-Lama
an Russland an und lehnte jede Handelsbeziehung mit England ab.
Das hatte die englische Expedition zur Folge und die Flucht des Dalai-
Lama. Der Regent, ein Abt, welcher während der Abwesenheit des
Dalai-Lama regierte, wird von den Engländern als eine gelehrte, wahr-
haft gebildete, liebenswürdige Persönlichkeit geschildert. Beim
Abschied gab er dem Chef der englischen Expedition ein Bild des
Buddha und sagte: „Wenn die Buddhisten dieses Bild ansehen,
denken sie nicht an Streit und haben nur Gedanken des Frie-
dens. Ich hoffe, wenn Sie dieses Bild ansehen, werden Sie
freundlich an Tibet denken." Als der Oberst Waddell ihm sagte,
das Wesentliche christlicher Religion sei das „Liebet eure Feinde", da
rief der Regent bitter aus: „Die Engländer haben überhaupt keine Religion."
Als Waddell fragte, warum er das denke, erwiderte er: „Weil ich es
weiss; weil ich es mit meinen eigenen Augen sehe in den Gesichtern
und an den Handlungen Ihres Volkes. Die Engländer haben harte Herzen
und werden dazu erzogen, zu töten und zu fechten wie Riesen, die gegen
Götter Krieg führen." —
In Lhassa herrscht seit zehn bis zwölf Jahren eine geistige Regene-
ration und Regsamkeit, die sich im eifrigen wissenschaftlichen Studium
und im Schriftstellern äussert. Seit 1903 erscheint in Lhassa sogar eine
von Mönchen herausgegebene Zeitschrift in englischer Sprache. —
Über die Geschichte und Form des Buddhismus in Tibet werden
wir in einem späteren Hefte berichten. —
Japan. Selbst christliche Zeitschriften weisen jetzt auf die intensive
Tätigkeit hin, welche die japanischen Buddhisten in ihrem eigenen Lande,
sowie in Korea und China entfalten. Gleich nach der Übergabe von
Port-Arthur errichtete dort die ausserordentlich tätige Zen-Schule (Ge-
meinde der Meditationisten) eine Missions -Station. Namentlich beginnt
jetzt der Buddhismus eine besondere Volks-Literatur zu schaffen. So
wurde vor kurzem in Japan ein buddhistischer Katechismus heraus-
gegeben, welcher die Lehre in klarer, allgemein verständlicher Form be-
handelt ; die erste Auflage dieses Buches von 5000 Exemplaren war
schon nach zwei Wochen vollständig vergriffen. Von Interesse dürfte
auch die Mitteilung sein, dass während des Feldzuges zahlreiche buddhis-
tische Geistliche den Kämpfenden und Verwundeten Trost gespendet
haben. —
Ceylon. Der gesetzgebende Rat von Ceylon hat neulich eine Reihe
von Beschlüssen gefasst, die darauf hinauslaufen würden, den Buddhis-
mus zur Staatsreligion dieser britischen Kolonie zu machen.
Obwohl damit die Verwaltung des buddhistischen Kirchengutes in die
Hände der Regierung kommen und damit der britische Einfluss
auf die Bekenner des Buddhismus gestärkt würde, finden es verschie-
dene englische Missions-Gesetlschaften unbegreiflich, dass ein
christlicher Staat den Buddhismus in einer seiner Kolonieen
als Staatsreligion anerkennen soll. (!!) Sie werden der engli-
schen Regierung einen Protest unterbreiten, in dem sie ver-
langen, dass die Beschlüsse des gesetzgebenden Rates von
Ceylon die königliche Sanktion nicht erhalten.
Wir können nicht umhin, diesen Akt vollkomniener Intoleranz
christlicher Missions-Gesellschaften vor der zivilisierten Welt gebührend
festzunageln. Es ist indessen gut und nützlich, dass die Herreh
60 Die buddhistische Welt. 1. Jahrg.
von der christlichen Mission von Zeit zu Zeit der Welt den
wahren Geist, der sie durchweht, ungeniert offenbaren.
Nord-Atnerllca. In Los Angeles sind vor kurzem zwanzig den
gebildeten Kreisen angehörende angesehene Personen offiziell in die
buddhistische Gemeinde aufgenommen worden.
Buddhistischer Missions-Verein in Deutschland.
Leipzig. Am 8. November sprach Karl Seidenstück er über das
Thema >Budd ha und Christus«. In eingehender Darstellung behandelte
der Redner zunächst die auffallende Ähnlichkeit zwischen der buddhisti-
schen und christlichen Legende und widmet«! dabei dem Christus-Mythos eine
eingehende Betrachtung. Sodann versuchte er, die historischen Persön-
lichkeiten der beiden Meister an der Hand der Pali-Suttas und der ersten
drei Evangelien zu zeichnen. Des weiteren schritt der Referent zur Dar-
legung der Lehren, wobei er nachdrücklich darauf hinwies, dass trotz
mancher Änlichkeiten sich auch tiefgehende Unterschiede in den Lehren
des Buddha und Christi zeigen, so namentlich hinsichtlich des Gottes-
Begriffes, der Begriffe der Gerechtigkeit, Unpersönlichkeit auf der einen,
Gnade und Persönlichkeit auf der anderen Seite; ferner zeigt sich die
grosse Kluft zwischen beiden Religionen in der Auffassung der Erlö-
sungs-Idee. Zum Schluss wies der Vortragende auf die mystische Ver-
wertung hin, welche die Begriffe Buddha und Christus im nördlichen
Buddhismus einerseits, bei den christlichen Mystikern andererseits gefun-
den haben. — An den Vortrag schloss sich eine sehr lebhafte lange
Diskussion, in welcher Vertreter der buddhistischen, mosaischen, christ-
lichen und theosophischen Weltanschauung -das Wort ergriffen. Auch
diesmal musste die Diskussion wegen weit vorgerückter Zeit abgebrochen
werden.
Der nächste Vortrag findet am Mittwoch, den 13. Dezember
statt; das Thema lautet: »Die Religion der Zukunft«.
Berlin. Am 18. November hat sich hier eine »Buddhistische
Gesellschaft in Berlin« konstituiert. Den Vorsitz übernimmt Herr
Dr. med. Landsberg (Berlin S. 14, Dresdenerstr. 52).
Mitteilungen und Notizen.
Pseudo-Buddhisraus. Am 23. Oktober hat in Mannheim zu Gunsten
der durch die Katastrophe in Italien so schwer heimgesuchten Bevölke-
rung ein Vortrag über Buddha stattgefunden. Rednerin war die Dich-
terin Franz Sikking. Wenn auch der Zweck des Unternehmens ein
durchaus guter Ist, so hätte die Dame — wenn wir den Zeitungsbe-
richten Glauben schenken dürfen — besser getan, ein anderes Thema
zu behandeln, das sie besser beherrscht. Die Ausführungen strotzen
geradezu von Ungereimtheiten und Unrichtigkeiten. Frau Franz Sikking
erntete dafür ausser reichem Beifall noch einen Lorbeerkranz, woraus
wieder einmal die Tatsache erhellt, dass die Ansichten des deutschen
Publikums über den Buddhismus vollständig wüste und leer sind und dass
noch mancher Tropfen ins Meer rinnen wird, bis die Spukgeister dieses
Pseudo-Buddhismus ihre Unkenrufe nicht mehr erschallen lassen.
Die Marmorbibel der Burmanen. So ungeheuer viel Arbeit auch
auf die verschiedenen Bibeln der Welt verwendet worden ist, so muss
die Palme doch der Kutho-daw zuerkannt werden, die ein buddhistisches
Monument in der Nähe von Mandalay in Burma ist. Es besteht aus
No. 8. Die buddhistische Welt. 61
etwa siebenhundert Tempeln, von denen jeder eine weisse Marmorplatte
enthält, auf deren Gesamtzahl der ganze Text der burmanischen Bibel,
aus über acht Millionen Silben bestehend, eingegraben ist. Die Sprache
ist Päli. Dies wunderbare Werk steht einzig in seiner Art da. Die
Kutho-daw wurde im Jahre 1857 von Mindon-min, dem vorletzten
Könige von Burma, errichtet. Diese gewaltige Tempelmasse bildet ein
Viereck, in dessen Mitte sich ein alles überragender Tempel erhebt.
Jede der Marmor-Tafeln, auf denen der heilige Text verzeichnet ist, wird
von einem reichverzierten Schutzdache in Pagodenform überschattet.
Ein ceylonesischer Bhikkhu als Märtyrer. Im Dezember 1900
wurde der Bhikkhu Silaratana Thero von dem Distrikts-Gerichtshof von
Matara zu sechs Monaten schweren Kerkers verurteilt. Der Grund war
folgender: Der Mönch, welcher bereits zwanzig Jahre der Bruderschaft
angehörte, wurde von einem Schurken überfallen und misshandelt. Das
Gericht lud den Bhikkhu vor, damit derselbe seinen Beleidiger namhaft
machen und gegen ihn Zeugnis ablegen sollte. Entprechend dem für die
Ordensgemeinschaff gültigen Gebot, dass kein Mitglied sich gegen Be-
leidiger rächen oder dazu beitragen darf, dass die letzteren bestraft wer-
den, weigerte sich der Bhikkhu, gegen seinen Beleidiger Zeugnis abzulegen.
Die Lehre des Buddha predigt Vergebung, und der Mönch wollte dieses
höchste Gebot unter keinen Umständen verletzen. Die Prinzipien der
britischen Jurisprudenz scheinen aber mit dieser Satzung nicht in Einklang
zu stehen; denn der unschuldige Möncli wurde gewaltsam entkleidet, mit
der Faust geschlagen und zu den Verbrechern gebracht.
Alle Hochachtung vor diesem Märtyrer im gelben Gewände 1
Eine beachtenswerte Probepredigt hat der protestantische Stadtvikar
Lic. H. Römer in Remscheid gehalten. Die „Reformation" macht
darüber folgende Angaben:
„Die kirchliche Lehre von der Gottessohn schaff ist aus zwei
Quellen geflossen: einer alttestamentlich-jüdischen und griechisch-heid-
nischen. Lasst uns zunächst von der letzteren hören. Ihr wisst alle, wie
in der Sage und Mythologie der Griechen und Römer und anderer Völker
des Altertums von Gottessöhnen die Rede ist. Herakles-Herkules z. B.
ist der griechische Held, der Sohn des Zeus und einer irdischen Mutter;
Romulus und Remus, die Gründer Roms, werden als Göttersöhne hinge-
stellt, ebenso Kyros, der grosse Perserkönig, Alexander der Grosse,
Kaiser Augustus, im fernen Osten der grosse indische Religionsstifter
Buddha. Alle diese grossen und bedeutenden Menschen, die mehr
leisteten, als gewöhnliche Sterbliche, wurden auf göttlichen Ursprung
zurückgeführt. Diese griechisch-heidnische Anschauung hat sich auch der
Person Jesu bemächtigt." So hatte man denn auch ihm übernatürliche
Geburt zugeschrieben und habe dadurch seine Sündlosigkeit erklären
wollen. So stehe denn im Glaubensbekenntnis: „geboren von der Jung-
frau Maria". Die Sitte, das Apostolikum verlesen zu müssen, sei
ein Kreuz und ein Zwang für viele Diener des Wortes, die dadurch
mit dem Schein der Unwahrhaftigkeit behaftet würden. Die Verlesung
müsse durchaus beseitigt werden. A-lan könne Jesum den Sohn Gottes
nur in dem Sinne nennen, dass er am tiefsten in das göttliche Geheimnis
hineingeschaut und dass Gott durch ihn seine Gnade und Wahrheit in einzig-
artiger Weise der Welt kund getan habe. Gegen Schluss der Predigt
heisst es: „Wir suchen den Menschen, der ganz ist und echt, der nicht
seine wunde Stelle hat und seine Achillesferse. Wir suchen den, der ein
Ideal ist für unser Leben, das niemals täuscht noch trügt, von dem wir
sagen können: So möchte ich sein, so möchte ich werden, so ganz und
echt, so rein und wahr, so freundlich und geduldig, so mild und so tapfer,
so männlich und kindlich, so menschlich und göttlich zugleich, — o Herr,
88 Die buddhistische Welt. j jajjrg.
zu wem können wir gehen als zu dir, zu dir, der du die Göttlichkeit des
Menschen uns hast schauen lassen " vjuiuicnKcit aes
Auf diese Probe-Predigt hin ist Lic. H. Römer zum Pfarrer in Rem
scheid gewäiilt worden. Wenn der Bericht der „Reformation^' hre" Inh^
zutre fend wiedergibt so kann, meint die „Kreuzzeit.m?' das rheinische
Konsistorium diese Wahl unmöglich bestätigen es müsste dPnn^ rh mi^
den Grundsätzen, die der Evangelische OberkfrchenraT bei der endJüLen
EnUcheidung des Falles Fischer aufgestellt hat, in schroffen WideSch
setzen
Büchertisch.
(Für Besprechung und Rücksendung nicht verlangter Bücher übernimmt die
Redakuon kerne Verpfl,ch.ung. Die Bücher sind zu senden an den HerTsgeb r
Karl Seidenstucker, per Adr. Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
„ ,,. . Eingesandte Literatur und Besprechuneen
Buddhist and Christian Gospels. Compared^fromtSe^ Originals by
Ät r'rinif,r"h'-M^l''*^'* with parallels from the Chin^ese Bud-
dhist Tripitaka by M. Anesaki. (Tokio, 1905. Pp. XVIII <S 230.)
c •* j r. Selbstanzeige des Herausgebers
beit dem Bekanntwerden der indischen Religion in Eurooa ist diP
Frage ob der Buddhismus vom Christentum oder das ChrSum vom
Buddhismus entlehnt habe, oft der Gegenstand von SehrtenFoSnee^
geworden. Seydel versuchte die Ähnlichkeiten zwischen den Lebens"
ere gnissen und Reden Christi und Buddhas durch Entlehnungen au
Seiten der christlichen Evangelien zu erklären. Lillie eing den hLori
rtl^l" ß^?ie'i""gen zwischen den beiden Religionen nach ^Die Resultate
P^ttn^^Th'''" '^°'"i,''">-°""f" "'^ht als abschliessend betrachtet werden
es sind Ihnen auch einige Irrtümer mit unterlaufen Die Ahn ichkeifpn
fmÄ"-«"" "t''^'" R<="g'0"en in Einzelheiten der heiligen Legenden
icnünh "sind^'h'i^-h?'' "t**"'"^ 't''' ^^""g'°«^" Mission m ? elÄrvefl
er^Äifer^i^f^^S-^rÄ^^^ST^
ngen Quellen sind ziemlich weit fortgeschritten na^<;„lf,-Pi
die Sammlung der Reden und Sprüche Buddhas und deiner mn^i'tfeih'.rp'n'
Jünger, ist jetzt vollständig in der Ursprache, Im PäHveröZtcS'T
V«. D'e mehrjährige Arbeit Edmund's kann mit Recht als der erste
Versuch der obenerwähnten Forschung bezeichnet wenden Wie Professir
UmsciUi?u?g' ^"^'"^ "'' Päli-Text-Society zu London in römischer
\l\ Die siamesische Ausgabe des Königs von Slam
(3) Die birmanische, herausgegeben in Rangoon. '
No. 8. Die buddhistische Welt. 63
Rhys Davids über das Werk bemerkte, ist die Arbeit Edmund's eine
vollständige Nebeneinanderreihung aller der Stellen, in denen die Evan-
gelien und die Nikäyas (die fünf Teile des Sutta-pitaka) Ähnlichkeiten
aufweisen. Die Vergleichungen sind mit Bezug auf die Ähnlichkeiten im
Lehrinhalte und in den Ideen unternommen und wie der Verfasser selbst sagt :
„Weder auf christlicher noch auf buddhistischer Seite soll bei diesen
Parallelen auf eine Entlehnung hingedeutet werden. Wir bringen keine
Theorie vor, sondern beschränken uns lediglich auf Tatsachen. Sie stammen
aus einer Gedankenwelt, die einst dem ganzen Orient gemeinsam war."
Die ganze JVlasse der Parallelstellen ist in sechs Gruppen eingeteilt:
1. Geburts- und Kindheitslegende.
2. Anfang der Lehrtätigkeit.
3. Lehrtätigkeit und Ethik.
4. Der Herr und Meister.
5. Schluss der Lehrtätigkeit ; Zukunft der Kirche; Eschatologie.
6. Ausserkanonische Parallelen.
Diejenigen Leser, die sich für die legendarischen Seiten der Evan-
gelien interessieren, werden in den zwei Anfangsabschnitten zuverlässigere
Mitteilungen über diese Gegenstände finden, als Seydels obengenannte
Werke. Andererseits dringen die zwei folgenden Abschnitte noch tiefer
in den Geist der beiden grossen Gottmenschen ein. Manche Christen
werden vielleicht in meiner Anwendung des Ausdrucks „Gottmensch" auf
Buddha eine Entwürdigung ihres Herrn finden; aber diese Bezeichnung
entspricht eben dem Glauben der Buddhisten. Schon die frühesten Bud-
dhisten, welche uns die Päli-Schriften überliefert haben, glaubten an
Buddha als „wahrlich Mensch und wahrlich Gott" (manussa-bhüto
brahma-bhüto). Den Inhalt dieses Glaubens hat der Verfasser klar im
vierten Abschnitte, besonders in den Parallelen 43-44 und 50-60 dargelegt.')
Der fünfte Abschnitt legt vor uns die Gedanken über die drohenden
Zustände des Weltlebens und über den schliesslichen Sieg der Gerechtig-
keit. Diese Gedanken werden Abscheu in dem Herzen der Kinder der
modernen Kultur erwecken. Aber sie waren der feste Glaube der beiden
Meister und werden immer lebendig im Menschenherzen fortleben, sofern
das Weltleben voll von Ungerechtigkeiten und Brutalitäten bleibt.
Diesen Parallelen hat der Verfasser eine historische Einleitung hin-
zugefügt. Darin wollte er haupsächlich auf die Möglichkeit, ja einiger-
massen Wahrscheinlichkeit der Entlehnung einiger Gedanken und Stellen
in den Geburts- und Kindheitslegenden auf christlicher Seite hinweisen.
Die ganze Arbeit hat der Verfasser zwar schon längst im ganzen
abgeschlossen, aber sie ist bis auf die Erscheinung der eben erschienenen
Ausgabe nicht veröffentlicht worden. Einen kleinen Teil davon druckte
der Verfasser zweimal, — die erste Ausgabe 1902 und die zweite 1904. Jetzt
ist das Ganze vollständig in Tokio erschienen. Hier muss ich, als Heraus-
geber dieser dritten Ausgabe, mein Bedauern darüber ausdrücken, dass der
Druck hier in Tokio nicht ohne entstellende Druckfehler geschehen ist.
Ferner möchte ich noch einige Worte über meine Arbeit an den
Paralielstellen aus den chinesischen Versionen sagen. Bisher ist es
schon teilweise bekannt gegeben worden, dass die chinesisch-buddhisische
Tradition einige dem Päli-Kanon entsprechende Texte aufbewahrt hat.
') Die weitere Entwickelung dieses Glaubens hat der Herausgeber
in einer besonderen Arbeit (Genshinbutsu to Hoshinbutsu), erschienen
im Oktober 1904, zu verfolgen gesucht. Das Buch wird hoffentlich in
naher Zukunft in englischer Sprache erscheinen.
Vgl. die Besprechung der japanischen Ausgabe in Japan Daily Mail,
U- März 1905.
64 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Nanjio') hat früher die Sütras (Reden) im chinesischen Dirghaägama
mit den Suttas im Päli Digha-nil<aya identifiziert. Kasawara's'^) Ver-
gleich der chinesischen Nirväna-Rede mit dem Päli Mahäparinibbäna,
Beal's') Inhalts-Angabe verschiedener Vinaya-Texte (Bücher der Disziplin)
u. a. können als bahnbrechende Entdeckungen auf diesem Gebiete be-
zeichnet werden. In jüngster Zeit hat Takakusu einige andere Über-
einstimmungen zwischen den beiden Traditionen ') und auch die Existenz
einer chinesischen Übersetzung aus dem Päli'') bewiesen. JV\eine Arbeit
auf dem Gebiete hat einige neuere Übereinstimmungen zu Tage gebracht;")
z. B. die Existenz beinahe aller chinesischer Madhyama-Reden im Päli
Majjhima u. a., ferner die von über 800 chinesischen Samyukla-Reden
im Päli Samyutta. Ausserdem ist jetzt das Vorhandensein des Päli Iti-
vuttaka, Mahämangala, Khandha-paritta, Vasala, Agganna u. s. f. in chine-
sischen Versionen bewiesen. Einen Teil dieser Ergebnisse habe ich in
den Parallelstellungen der chinesischen Versionen zu den in dem hier
besprochenen Buche übersetzten Päli-Stellen benutzt. Der Leser wird
finden, wie wenige dieser Päli-Stellen ohne entsprechende chinesische
Versionen sind. Darum möchte ich zum Schlüsse nochmals betonen,
was ich im Vorwort zu dem Buche gesagt habe:
„Die Agamas und die Nikäyas, von denen die ersteren in chinesi-
schen Übersetzungen aufbewahrt, aber seit tausend Jahren von den
Buddhisten im Osten übersehen worden sind, und von denen die letzteren
treu von den Buddhisten des Südens in ihrer Ursprache, dem Päli, über-
liefert sind, treffen hier (in diesem Buche) zusammen und stehen, neben-
einander gedruckt im Chinesischen und im Englischen. Es dünkt mir eine
Tatsache zu sein, dass die Päli Nikäyas und die chinesischen Agamas
von einer und derselben Quelle herstammen. Vergleichende Studien
dieser zwei Abzweige der Überlieferungen werden über den ursprüng-
lichen Bau und Inhalt der buddhistischen heiligen Schriften, und infolge-
dessen über ihre Geschichte Licht verbreiten. Wenn die vorliegende
Ausgabe einen Stein zum grossen Gebäude der historischen Studien des
Buddhismus beitragen sollte, so wäre meine Arbeit an der Herausgabe
dieses Buches nicht ohne ihren Lohn." Anesaki Masaharu. (D. jap. Post.)
Der Ursprung des Buddhismus und die Geschichte seiner Ausbreitung
von Licentiat Hackmann-London. I. Teil. Religionswissenschaft-
liche Volksbücher, III. Reihe, Heft 4. Halle a.S. Gebauer-Schwetschke
Verlag. 74 S. Preis 40 Pfg.
Erwartungsvoll haben wir die Arbeit unseres guten Bekannten vom
evangelisch-sozialen Kongress in die Hand genommen und- haben eine
für einen christlichen Geistlichen einigerniassen passable Darstellung
des Buddhismus gefunden, die sich vorteilhaft von den Pamphleten der
meisten Amtsbrüder des Autors abhebt. Allerdings können wir dies zu-
nächst nur vom ersten Teil sagen, der zweite Teil ist wohl noch nicht
erschienen. Das Schriftchen enthält nach einigen einleitenden Bermer-
kungen eine kurze Darlegung des Lebens, eine Abhandlung über die
Lehre und die Geschichte der Ausbreitung in Vorderindien, Ceylon,
Hinterindien, Tibet, China, Korea und Japan. D.
') Nanjio, A Catalogue of the Chinese Translation of the Buddhist
Tripitaka. 1883, Oxford.
-) Max Müller, Sacred Books of the East, Vol. XI. p. 37.
Oldenberg, The Vinäya Pitakam, Bd. I. p. XLV f.
Takakusu, A Päli Chrestomathy, 1900, Tokio.
J. R. A. S., Juli 1896 pp. 416-439.
Vgl. . ~. ™. .
") Vgl. A. J. Edmunds, The Shortness of the Primitive Buddhist
Canon. San Franzisko, Januar 1905.
Verantwortlicher Redakteur: G. A. Dietze, Leipzig. — Verlag: Buddhistischer VerUg
in Leipzig. — Druck: Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang.
LEIPZIG, Dezember 1905.
No. 9.
Rundschau.
Ceylon. In Ceylon hat sich vor kurzem eine »Buddhistische
Traictat-Gesellschaf t« gebildet. Dieselbe gibt billige Flugblätter uiid
Broschüren in singhalesischer Sprache heraus, um den breiten Massen
des Volkes die buddhistischen Lehren in leicht verständlicher Form nahe
zu bringen. Der Verleger hat es sich namentlich zur Aufgabe gemacht,
in regelmässiger Folge kleine Broschüren zu vertreiben, welche die von
selten der christlichen Missions-Gesellschaften irreführenden Angriffe auf
den Buddhismus gebührend zurückweisen.
Dieses neue Unternehmen ist ein erfreuliches Zeichen für die immer
stärker um sich greifende buddhistische Bewegung. Die christlichen
Missions-Gesellschaften klagen denn auch nicht wenig über den ener-
gischen Widerstand, den sie jetzt allenthalben finden. Von ihrem Stand-
punkte aus kann man's ihnen allerdings nicht verdenken, dass sie in
Jeremiaden ausbrechen; wie viel angenehmer wäre es doch, wenn die
Singhalesen widerstandslos sich dem Christentum unterwerfen würden!
Aber damit ist es jetzt vorbei. Der letzte Bericht der »Bibel- und Christ-
lichen Literatur-Gesellschaft« ist denn auch des Jammers voll. Man höre:
„Die Schaffung und Verbreitung christlicher Literatur war niemals so
notwendig wie heute. Die Angriffe auf das Christentum von selten der
buddhistischen Presse waren noch niemals so ernst und zuversichtlich.
Sie macht sich damit breit, Hundert-tausende von Flugschriften und
Büchern zu verbreiten, die den Zweck haben, die Ansprüche des Herrn
Jesu Christi herabsusetzen (?) und den Glauben vieler zu zerstören "
In dieser Tonart geht es dann weiter. »The Sandaresa« konstatiert, dass
dieses wertvolle Dokument für die buddhistische Propaganda sehr er-
mutigend sei und protestiert energisch gegen die schamlosen Verdächtigun-
gen, welche dieser Bericht gegen die buddhistische Literatur schleudert.
Die Temperenz-Bewegung auf Ceylon, ein Protest gegen die mit der
europäischen Hochkultur Hand in Hand gehende Verbreitung des Alko-
holismus, hat grosse Fortschritte gemacht. Die Zahl der gegründeten
Zweig-Gesellschaften beträgt etwa sechshundert. Herr Dharmäpala,
der verdienstvolle Begründer der Mahäbodhi-Society, weilt gegen-
wärtig in Ceylon, um für die Temperenz-Bewegung zu wirken und junge
Singhalesen zu veranlassen, nach Japan zu gehen, dort zu studieren und
die kulturellen Verhältnisse des kaiserlichen Inselreiches kennen zu lernen.
8
66 Die buddhistische Welt.
I. Jahrg.
Unser trefflicher Mitarbeiter, der Hochw. Bhiicl<hu Nyänatilolca
der uns vor l<urzem die deutsche Übersetzung des Elta-Nipata (aus
dem Anguttara Nikäya) zur Publil<ation eingesandt hat, ist von Colombo
nach Cullalankä übergesiedelt. Er schrieb uns: „Das nächste Mal hoffe
ich Ihnen die Übersetzung eines Aufsatzes meines lieben Freundes, des
Bhikkhu Jinavaravamsa, d. i. des vormaligen siamesischen Prinzen
Prisdang übersenden zu können samt seiner Photographic und Lebens-
beschreibung, welch' letztere wohl geeignet sein dürfte, grosse Sensation
hervorzurufen." — Wir wollen an dieser Stelle vorläufig bemerken dass
der genannte Prinz, der eine englische Erziehung genossen und als be-
glaubigter Bevollmächtigter Slams an europäischen Höfen geweilt hat
1896 in die Bruderschaft eintrat und seitdem rastlos für die Ausbreitung
des Buddhismus tätig ist. ^
Zwei deutsche Anhänger des Buddhismus, darunter ein Mitglied des
»Buddhistischen Missions-Vereins«, haben sich vor kurzem nach Ceylon
begeben und beabsichtigen demnächst einige Broschüren zu veröffent-
lichen, in denen das Verhältnis zwischen Buddhismus und Christentum
näher behandelt wird.
Burma. Endlich, nachdem ein langer Zeitraum verflossen ist nun-
mehr das I. Heft (Oktober 1905) des zweiten Jahrganges des »Buddhism.
erschienen. Das Journal nennt sich jetzt nicht mehr Quartalsschrift-
die einzelnen Nummern folgen einander in einem Zeitraum von vier bis
sechs Monaten, und vier Nummern bilden jedesmal einen »Jahrgang«
oder »Band«. Die vorliegende stattliche Nummer von 167 Seiten ist
wieder reich illustriert und enthält ausgezeichnete Aufsätze deren Titel
wir unter der Rubrik »Büchertisch, anführen. Als Vollbilder bietet das
Heft Abbildungen de^ Shwe-Dagon-Pagode in Rangün (Buntdruck),
ferner des herrlichen Änanda-Tempels und des »Unvergleichlichen
Klosters«. Die Oktober-Nummer bringt auch eingehende Besprechungen
der buddhistischen Mission in Deutschland.
Der Sekretär der »International Buddhist Society« hat in
diesem Jahre zwei Reisen im Interesse der Gesellschaft unternommen
eine m den Pegu-Distrikt, die andere nach Tavoy und Mergui- Die Be-
wohnerschaft hat ihm überall einen enthusiastischen Empfang bereitet
Der Zweck der Reise war die Unterhandlung über wichtige — für den
Buddhismus in Burma so brennende Fragen, den Unterricht und die Er-
ziehung betreffend. Ferner sind mit gutem Erfolge sehr bedeutsame
Schritte von Seiten des Thäthanäbaing zur Reorganisierung des burmani-
schen Sangha unternommen worden.
Japan. Unter den zwölf buddhistischen »Schulen« in Japan sind
die unter dem Namen Shin, Jödo und Zen bekannten die tätigsten
Uie westliche und östliche Hongwanji sind die wichtigsten Zweige
der Shin-shu (Shu=r Schule), und diese sind jetzt die am weitesten ver-
breiteten und einflussreichsten Glieder des japanischen Buddhismus
Die genannten beiden Zweige der Hongwanji haben ihre eigenen
Schulen, in welchen die Söhne und Töchter ihrer Anhänger erzogen
werden, während für die höhere wissenschaftliche Ausbildung in beiden
Zweigen berühmte Colleges und ähnliche Anstalten in Tokyo und Kyoto
den zwei grossen Hauptquartieren der Hongwanji, bestehen In diesen
Colleges erhalten die Studierenden die Elemente der abendländischen
Wissenschaft sowie einen tiefgehenden Unterricht nicht nur in der eigenen
sondern in der allgemein-buddhistischen Philosophie. Die Zöglinge dieser
Anstalten haben wichtige Posten im In- und Auslande inne und die aus-
gezeichneten Früchte dieses reformierten Erziehungssystems machen sich
bereits in verschiedenster Weise bemerkbar. Die Hongwanji ist es
No. 9. Die buddhistische Welt. 67
auch, welche die buddhistische Mission in Noid-Amerika gegründet hat
und unterhält und jetzt ebenfalls in Korea und China eifrig propagandiert.
An zweiter Stelle, was das Werk der Erziehung und des Unterrichts
betrifft, ist die J6d6-Schule (»Schule des reinen Landes«) zu
nennen. Obwohl dieser Schule in früheren Jahren aus finanziellen Gründen
in ihrem Wirken gewisse Grenzen gezogen waren, so sind diese
Schwierigkeiten nunmehr beseitigt. Das Jödö-College in Tokyo spielt
heute unter den japanischen Lehranstalten eine Hauptrolle und ist ein .
typisches Beispiel für den Aufschwung des japanischen Unterrichtswesens.
Zwei Schriften des Rev. Kuroda, der als Dozent an dieser Anstalt wirkt,
wurden vor Jahresfrist in deutscher Ausgabe veröffentlicht.
Die Zen -Schule gliedert sich dreifach, und ihr unter dem Namen
S6d6 bekannter grösster Zweig hat in den letzten Jahren einen gewal-
tigen Aufschwung genommen. Die Södö-Schule besitzt zahlreiche, über
das ganze Reich zerstreute Lehranstalten, und das Sodö-College in
Tokyo ist eine der ersten buddhistischen Universitäten Japans; viele von
ihren ehemaligen Alumnen bekleiden jetzt hohe Posten.
Seit den letzten Jahren hat die kaiserliche Regierung ihre indifferente
Haltung gegenüber diesen wichtigen Institutionen aufgegeben und erkennt
nun ihren hohen Wert und fordet die genannten Bestrebungen nach
Kräften.
Humanitäre Einrichtungen sind in Japan nicht so allgemein wie in
den Ländern des Westens; denn die Bevölkerung ist im allgemeinen be-
deutend hilfsbereiter als im Abendlande, so dass die Notwendigkeit öffent-
licher Wohlfahrtseinrichtungen bei weitem nicht so dringend ist. Waisen-
häuser und -Schulen sind indessen in Japan nichts Seltenes, solche
Anstalten trifft man in grösseren und kleineren Städten an. Die reichste
und verbreitetste humanitäre Korporation in Japan ist die Charitas-Ver-
einigung der Nishi Hongwanji, welche über das ganze Reich verbreitet
ist. Ausser anderen nützlichen und milden Einrichtungen unterhält sie
ein Säuglingsheim und eine Waisen-Schule in Kyoto.
Seit Jahren unterhielt die Hongwanji auf eigene Kosten Prediger,
welche die Aufgabe haben, die Gefangenen in verschiedenen Gefängnis-
sen zu besuchen und ihnen zu predigen. Jetzt aber unterhält die
kaiserliche Regierung diese Prediger auf Staatskosten, da die Wirkung
solcher Predigten sich als sehr heilsam erwiesen hat. Viele Gefangene
sind durch diese buddhistische Mission völlig umgewandelt und noch
nützliche Glieder der menschlichen Gesellschaft geworden. —
Nord- Amerika. Rev. K. Uchida hat am 14. August in San Fran-
cisco sein neues Amt als Superintendent der buddhistischen Mission
angetreten und ist jetzt der Herausgeber des »The Light of Dharma«.
Er war bisher als Dozent an der buddhistischen Universität zu Tokyo
tätig und berechtigt für sein jetziges Arbeitsfeld zu den besten Hoffnungen.
Rev. Uchida hat verschiedene Werke veröffentlicht, von denen sein »The
Light of Truth« ein vortreffliches Handbuch zur Einführung in das
Studium des Buddhismus darstellt.
Rev. Kentok Hori wirkt jetzt in Boston; er hat für unsere Zeit-
schrift die Übersetzung von Mahäyäna-Texten in Aussicht gestellt.
Der Right Rev. Soyen Shaku, einer der hervorragendsten Geist-
lichen der Zen-Schule, hat in den Stationen der amerikanischen Mission
glänzende Vorträge gehalten, bei denen Herr Suzuki, der Assistent des
Herrn Dr. Carus, als Dolmetscher fungierte. Die diesjährige Oktober-
Nummer des »The Light of Dharma« bringt das Bild dieses einsichtigen,
energischen Geistlichen.
Die von Rev. Fujii geleitete Oakland-Mission macht sehr er-
freuliche Fortschritte; ihr Einfluss erstreckt sich bereits bis zu dem
8*
tß Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
benachbarten Alvarado. Am 10. September fand in Aivarado eine grosse
Versammlung statt, in der beschlossen wurde, dort eine Mission zu grün-
den und zum Bau eines Tempels zu schreiten; eine Kommission wurde
gewählt, um die nötigen Schritte zu tun.
Die buddhistische Mission in Deutschland.
Obwohl die buddhistische Mission in Deutschland seit ihrem Be-
stehen schon manches geleistet hat, so ist das bisher Geleistete dennoch
im Vergleich zu dem gewaltigen Arbeitsfeld gleich Null. Die Propaganda
muss in einem ganz anderen Mafsstabe betrieben werden. Die weitesten
Kreise des deutschen Volkes kennen vom Buddhismus entweder gar nichts,
oder nur sein durch die christliche Brille gesehenes Zerrbild,. Hier will
und wird unsere'Missioh Wandel schaffen ; es muss nach Kräften danach
gestrebt werden, dass die Saalkörner der buddhistischen Ideen in die
weitesten Kreise gestreut werden, damit jeder die Gelegenheit hat, die
Lehre kennen zu lernen. Das lässt sich aber nur durch eine planmässig
durchgeführte, energische und ausdauernde Propaganda erreichen;
die Geduld ist nicht ohne Grund eine der buddhistischen Haupttugenden.
Es wird daher folgendes geschehen: I. Der Missionsverein gibt in mög-
lichst schneller Reihenfolge eine Serie billiger Flugschriften heraus,
die in leicht verständlicher Form die Grundgedanken der Lehre darstellen
und die unberechtigten Angriffe auf den Buddhismus sachlich zurück-
weisen. Bis jetzt sind zwei Flugschriften erschienen: No. 1. Der
erhabene achtfache Pfad, No. 2. Die Kraft der Meditation.
Der Preis für alle diese Flugblätter stellt sich folgendermassen : 1 Stück
10 Pfg., 10 Stück 60 Pfg., 100 Stück 4,50 Mk. Der billige Preis dieser
Schriften ermöglicht eine möglichst weite Verbreitung derselben. Wir
bitten alle Mitglieder des Vereinsund alle Freunde der Bewegung dringend,
für die Verbreitung dieser Flugblätter im Bekanntenkreis usw. energisch
wirken zu wollen. II. Die buddhistische Mission in Leipzig stellt allen
Freunden Prospekte des >Buddhist« sowie Satzungen des
Missions-Vereins in beliebiger Anzahl zur Verbreitung gratis zur
Verfügung. Alle Bestellungen erledigt prompt die Geschäftsstelle des
Vereins (Herr G. A. Dietze, Leipzig-R., Kohlgartenstrasse 39). Möge
jeder Freund der Bewegung das Seine dazu tun, die buddhistischen Ideen
verbreiten zu helfen: Viribus unitisl — III. Der Herausgeber dieser
Zeitschrift wird im nächsten Frühjahr ein Buch veröffentlichen unter dem
Titel »Der Buddhismus. Vier Vorträge zur Einführung«. Inhalt:
1. Ecce mundus. 2. Das grosse Problem und seine Lösung. 3. Die Richt-
wege. 4. Im Keuzfeuer der Kritik. Der Autor gedenkt in dieser Arbeit,
welche speziell für die gebildeten Kreise bestimmt ist, in durchsichtiger
Form das Wesen des Buddhismus zu zeichnen, und zwar in einer Auf-
fassung, die, in manchen Punkten von der landläufigen abweichend, in
allen Punkten der Kritik standhalten kann. Das Erscheinen dieser Arbeit
wird den Lesern bekannt gegeben werden. — Weitere Ideen zur Ver-
stärkung der Propaganda liegen vor; doch ist deren Verwirklichung zur
Zeit noch nich möglich.
Wir machen unsere Leser bei dieser Gelegenheit nochmals auf den
Vortrags-Fonds aufmerksam, dessen Speisung allen Freunden hiermit
höflichst nahe gelegt wird. Die genannte Geschäftsstelle des Vereins
nimmt alle Spenden dankbar entgegen und sendet umgehend Quittung
über die eingelaufenen Beträge. —
No. 9. Die buddhistische Welt. 69
Mitteilungen und Notizen.
Fanatismus christlicher JWissionare in China. Die »Londoner
Zeitung Hermann« berichtet: „Über die Ermordung der amerika-
nischen Missionare in China berichtet der Korrespondent des
„Daily Express" in Hongkong, dass die Handlung der Eingeborenen
lediglich auf einen Fehler zurückzuführen war, den sich eine der Mis-
sionarinnen der Station, Miss Machle, zu Schulden kommen liess. Diese
Dame versuchte nämlich während einer Prozession der Chinesen in
Lientschau in Kwantung einige der Teilnehmer davon abzuhalten, ihre
„Götzenbilder" anzubeten, die sie in der Prozession umhertrugen. Und als
die Heiden sich weigerten, das zu tun, nahm sie ihnen einige der „Götzen-
bilder" weg und weigerte sich, ihnen dieseben zurückzugeben. Darüber
gerieten die Chinesen natürlich in sinnloser Wut; sie umzingelten die
Missionsstation und setzten dieselbe in Brand. Die Bewohner derselben
wurden erschlagen und ihre Leichen nachher in den Fluss geworfen.
Fünf Personen verloren auf diese Weise ihr Leben, nur Dr. Machle und
Miss Paterson blieben am Leben. Sechs französische Priester, die auf
einer benachbarten Station nebenbei wohnten, liess man gänzlich unbe-
lästigt." —
Nun kommt also die Welt endlich dahinter, wie sogenannte
Christenverfolgungen entstehen. Verführe ein chinesischer Missionar in
Spanien oder Deutschland bei einer christlichen Prozession mit gleicher
Unverfrorenheit, so würde er in Spanien zweifellos totgeschlagen und in
Deutschland geprügelt und eingekerkert. O christliche Duldung, wie mild
lässt du doch dein Licht im fernen Osten strahlen! Wahrlich du bist
seit den Zeiten des Bonifatius immer noch die alte geblieben!
Eine Zuschrift. Wir geben gerne folgender Berichtigung Raum,
die uns aus unserem Leserkreise zugeht:
„Sehr geehrte Redaktion! Unter Mitteilungen und Notizen des No-
vemberheftes findet sich eine kurze Angabe, die mich veranlasst Ihnen
zu schreiben. Die Überschrift lautet: Die Marmorbibel der Burmanen.
Da ich selbst in Burma war und Mandalay recht genau zu kennen glaube,
war ich über Ihre Notiz einigermassen überrascht. Ich vermute, dass Sie
einem ungenauen Berichterstatter in die Hände geraten sind. Jener
Mindon-min, der die heiligen Schriften redigieren und in Marmor aus-
hauen liess, baute meines Wissen nur 450 sog. Pagoden, um sie darin
zu bewahren, nicht aber 700. Diese Pagoden sind ferner nicht Tempel,
sondern kleine Dagobas, d. h. Reliquienschreine, wie sie sich in Burma
zu hunderttausenden finden und wie man sie auch sonst in buddhistischen
Ländern baut.
Auch in der Mitte dieses Pagodenkomplexes steht kein Tempel,
sondern nur eine grosse Dagoba, ein Reliquienschrein.
Der burmanische Name für Pagode ist Zaydi (Opferplatz), man
sagt auch wohl Paya (Heiligkeit), eine allgemeine Bezeichnung, mit der
auch die Mönche angeredet werde.
Würde es sich nicht überhaupt empfehlen, beim Buddhismus nicht
von Tempeln zu sprechen? Das Wort Tempel hat einen etwas barbari-
schen oder sagen wir heidnischen Beigeschmack, es erinnert an heidnische
Idole und dergl. Zudem kennt der Buddhismus ja auch eigentliche
Tempel garnicht. Er hat seine Klöster, seine Tschetiyas (Versammlungs-
hallen), (was bei ihnen Tempel genannt wird), seine Statuarien (in Burma
Tayaung's) und seine Stüpas, englisch Topes oder Dhätugarbhas, (singh.
Dagabas), das sind die Reliquienschreine, aber eigentliche Tempel, wo
man einem Gotte opfert, besitzt er nicht. Wenn die Burraanen Blumen
TD Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
und Kerzen opfern, so ist das nicht ein do ut des-Act für den Gott
Buddha, sondern lediglich eine Handlung der Dankbarkeit für den, der
den achtfachen Pfad fand,') den erleuchteten Menschen, Qautama Buddha.
Was mit dem „reichverzierten Schutzdach in Pagodenform" gemeint ist,
verstehe ich auch nicht. Die Marmortafel ist in die kleine Pagode ein-
felassen, die glockenförmig ist und von einem „Hti" gekrönt wird, dem
onnenschirm mit Glöckchen, der die „Erhabenheit" symbolisiert, ein
Schutzdach aber existiert nicht. - j^.^ ^^.^^^^^ Hochachtung
Graf K. H.
0 diese buddhistischen Barbaren! Das »Hamb. Fremdenbl.« berich-
tet von einem Automobilisten, der in Indien von „buddhistischen Fanatikern"
und „wütenden Dienern Buddhas" beinahe lebendig gebraten worden wäre.
Diese Notiz machte die Runde durch die deutsche Presse. Das verehrliche
»Hamb. Fremdenblatt« mag sich nun endlich einmal derbe hinter die Ohren
schreiben, dass die Hauptmasse des indischen Volkes sich aus Brah-
minen und nicht aus Buddhisten rekrutiert, und dass Buddhisten sicher-
lich nicht im Schlafe daran denken einen Europäer zu rösten. Vor einigen
Jahren waren drei Deutsche rüpelhaft genug, auf dem Altare eines bud-
dhistischen Tempels in der Nähe von Tokyo ihren Skat zu spielen, nach-
dem sie die Buddha-Bilder heruntergeworfen hatten. Der Geistliche sah
dieser europäischen Flegelei schweigend zu, und die Skat-Helden amü-
sierten sich weidlich über diese Gutmütigkeit. Und trotzdem sollen die
„wütenden" Jünger Buddhas wild genug sein, um einen europäischen
Automobilisten wegen seines Sause-Wahnsinns lebendig zu rösten!
Zu Strassburg auf der Schanz. Im »Katholischen Kaufmännischen
Verein Argentina« sprach im November der als Orientalist bekannte (?)
Divisions-Pfarrer Holtzmann über das Thema »Christus und Buddha«.
Nach dem Bericht der »Strassburger Post« hat der Redner lediglich »olle
Kamellen« aufgewärmt. „Buddha, der lebensmüde Pessimist", „die bud-
dhistische, pessimistische Weltanschauung verneint jede Möglichkeit einer
t lücklichen Lebensgestaltung" u. s. f. Donnernder Beifall erscholl am
nde des Vortrages, an den sich ein „Tänzchen" anschloss. Ob der
Beifall dem Vortrag oder dem beginnenden Tanz galt , lassen wir
füglich auf sich beruhen; jedenfalls: Christus und Buddha nebst anschlies-
sendem Tänzchen — wirklich nicht übel. Erinnert uns lebhaft an jene
Bekanntmachung eines theologischen Studenten-Vereins: „Dienstag abend:
Paulus im Leiden, danach Kneipe." — Wohl bekomm'sl
«»996««*
Büchertisch.
(Für Besprechung und Rücksendung nicht verlangter Bücher übernimmt die
Redaktion keine Verpöichtung. Die Bücher sind zu senden .in den Herausgeber
Karl Seidenstücker, per Adr. Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
Eingesandte Literatur und Besprechungen.
Buddha und Christus. Von G. Tschirn, Breslau. II. Auflage. Verlag
der Handesdruckerei in Bamberg. Preis 50 Pfg.
Buddha und Christus! Ein vielverbreitetes Thema, besonders hat
man sich christlicherseits öfters damit abgegeben, diese beiden Personen
') Anm. d. H. Vgl. hierüber die April-Mai-Nummer des »Buddhist«
9. f. - - -
S. 9. f , S. 43 ff.
No. 9. Die buddhistische Welt. H
miteinander zu vergleichen, um dann Christus in recht hellem Lichte
strahlen zu lassen. Im vorliegenden Werkchen ist es ein freireligiöser
Prediger, der unparteiisch, da er weder Christ noch Buddhist ist, Buddha
und Christus miteinander vergleichen will. Es muss nun auch zugegeben
werden, dass die Darstellung vollständig objektiv ist, ob man dies aber
auch auf christlicher Seite tun wird, erscheint mir fraglich, denn da heisst
es immer noch: „wer nicht für uns ist, der ist wider uns." Unser Ver-
fasser schildert zunächst die bekannte frappante Ähnlichkeit der christ-
lichen und buddhistischen Legende, ohne jedoch wie Professor Seydel
und andere zur Annahme einer direkten Beeinflussung zu kommen. Dann
weist er auch auf die Ähnlichkeit so mancher Sittenlehren der beiden
Religionsstifter hin, doch nicht ohne die vollständig verschiedenen Grund-
lagen der beiderseitigen Religionen eingehend darzulegen. Die christlichen
Autoren, die über dasselbe Thema geschrieben haben, machen dem Bud-
dhismus eine ganze Reihe schwerwiegender Vorwürfe, auf die des näheren
einzugehen hier nicht der Platz ist. Herr Prediger Tschirn weist nun an
der Hand zahlreicher Belegstellen diese Vorwürfe als unberechtigt zurück
und zeigt an einer ganzen Reihe von Bibelstellen, wie dem Christen-
tum dieselben Vorwürfe gemacht werden können. Herr Tschirn kommt
zu dem Schluss, dass der Buddhismus sehr wohl einen Vergleich mit dem
Christentum aushalten könne. Es wäre so manches noch über das sehr
treffliche Büchlein zu sagen, doch besser ist es schon, man liest es
selbst, und das möchte ich hiermit jedermann empfehlen. Eins wäre
noch zu bemerken. Herr Tschirn nimmt an, dass der Buddhismus dem
Entwicklungsgedanken ablehnend gegenübersteht, dies ist von T. ein Irr-
tum. (? D. H.) Wenn Oberpräsidialrat Schultze dem Entwicklungsgedanken
skeptisch gegenüber stand, so tat er dies nur, um vor einer Überschätzung
desselben zu warnen. Dass viele Leute den Entwicklungsgedanken über-
schätzen, alles von der Entwickelung erwarten, an diesem Gedanken
„haften", ist wohl unbestritten, und das ist ein Fehler, vor dem der
Buddhist warnt. D.
Giovanni Pico della IVlirandola. Ausgewählte Schriften. Übersetzt und
eingeleitet von Arthur Liebert. Verlegt bei Eugen Diederichs
in Jena. 1905. Preis brosch. 8 Mk., geb. 10 Mk.
Wir hatten schon früher einmal Gelegenheit, auf das verdienstvolle
Unternehmen des Diederichs'schen Verlages hinzuweisen, die alten Philo-
sophen und Mystiker durch zweckmässige Neuausgaben weiteren Kreisen
zugänglich zu machen. Diesmal sind es die Schriften eines der einfluss-
reichen Humanisten und Mystiker der Frührenaissance, die uns zum ersten-
male überhaupt in deutscher Übersetzung, vornehm ausgestattet, der Ver-
lag vorlegt. Der Graf Pico von Mirandola und Concordia gehört zu den
Philosophen des Quatrocento, die wohl stark beeinflusst durch die
Studien griechischer Klassiker, insbesondere Piatons und der Neuplatoniker,
doch die Fesseln der Scholastik nicht ganz abstreifen konnten. Seine
Philosophie ist kein selbständiges System, vielmehr ist dieselbe eine Zu-
sammenfassung fast aller bis dahin in der Geschichte des Denkens auf-
getretener Systeme. Immerhin ist dieselbe nicht ohne historische Bedeu-
tung und zeigt von einem erstaunlichen Fleisse und grossen Kenntnissen.
— Das vorliegende Werk enthält einen Abriss des Lebens und der
Philosophie Picos, eine Reihe Briefe von demselben, sowie eine
Auswahl aus seinen Schriften. Aus dem Leben Picos ist bemerkenswert,
dass er, der doch trotz seiner Studien antiker Schriftsteller ein treuer Sohn
der römischen Kirche war, mit derselben in Konflikt geriet und vor ein In-
quisitionstribunal gestellt wurde. Doch lief alles gut ab, da Pico die
Zurückziehung einer seiner Schriften, der sog. Apologie, welche auch in
der vorliegenden Ausgabe bruchstückweise enthalten ist, eidlich versprach.
72 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Bei seinem Tode hielt der bekannte Dominikaner Girolamo Savonarola
eine Leichenrede, die darin gipfelte, dass des Toten Seele noch nicht
eingegangen sei zur ewigen Seligkeit im Schosse des Vaters, dieselbe
vielmehr ihre Sühne im Fegefeuer empfinge. Die Sühne war notwendig,
weil der Graf der Stimme des Herrn, die ihn durch Savonarola auffor-
derte, in das Dominikanerkloster St. Marco zu Florenz einzutreten, nicht
Folge geleistet hatte! — Erbaulich sind die Briefe zu lesen, die uns
Zeugnis ablegen vom Geiste jener Zeit. In den Werken selbst finden
wir manche Gedanken, die auch heute nicht ohne Bedeutung sind,
während andere wieder seltsam anmuten. Für oberflächliche Lektüre
sind die Schriften jedoch nicht geeignet, da könnten sie leicht Verwirrung
anrichten. Denkenden Lesern aber werden sie manche Anregung bieten.
D.
Die Religionen der Erde von Professor Nathan Söderblom-Upsala.
Religionsgeschichtliche Volksbücher. 111. Reihe, Heft 3. Halle a.
Saale, Gebauer-Schwetschke Verlag. Preis 40 Pfg.
Der Autor, ein liberaler protestantischer Theolog, bringt in diesem
Schriftchen eine schätzenswerte Darstellung der verschiedenen Religions-
systeme. Für uns ist natürlich das besonders von Interesse was der
Verfasser über den Buddhismus zu sagen hat; da finden wir, dass er
wirklich bestrebt ist, dem Buddhismus Gerechtigkeit wiederfahren zu
lassen. Wenn bei der Gegenüberstellung von Christentum und Buddhis-
mus das Christentum als besser und für die Menschheit wichtiger dar-
gestellt wird, so ist dies ja bei einem christlichen Theologen nicht anders
zu erwarten und kann durchaus nicht Wunder nehmen. Die verschiedenen
Unklarheiten über den Buddhismus, die in dem Heftchen nicht fehlen,
hier richtig zu stellen, würde zu weit führen, sie ergeben sich auch aus
dem christlichen Standpunkte des Verfassers. Nun noch ein Wort zur
Religionsstatistik. Wenn der Herr Prof. Söderblom alle die „mit oder
wider Willen etwas von dem christlichen Denken angenommen haben"
als Christen zählt, dann wird wohl der Irrtum derer, die den grössten
Teil der Einwohner Chinas und Japans als Buddhisten zählen, auch nicht
80 sehr gross sein. Im allgemeinen ist die Broschüre ganz empfehlens-
wert. D.
The Light of Dharma. A Religious Magazine devoted to the Teachings
of Buddha. Edited by Rev. K. Uchida. San Francisco, Cal.
U.-S. A., October 1905. Pp. 71—102. Inhalt: Das Wesen des
Buddhismus. — Der Buddhismus eine natürliche Religion. — Glaube
ist Saat. — Die Behandlung russischer Gefangener. seitens der
Japaner. — Das chinesische Itivuttakam. — Ein lebender Buddha.
— Der Buddhismus. — Der moderne buddhistische Tempel auf
Ceylon. — Notizen des Herausgebers. —
Buddhism. An illustrated Review. Edifed by Bhikkhu Änanda
Metteyya, Rangoon. Vol. II, No. 1, October 1905. Pp. 167 und
VIII. Inhalt: Rechte Anstrengung. — Die Illusion des Ego.— Bud-
dhismus und Pessimismus. — Sam-Ye. — Die Kräfte des Charakters.
— Der Buddhism-js, eine agnnstische Religion. — Ceylon in der
Vergangenheit und Gegenwart. — Das neuere Leben in Amerika. —
Verdienst. — Die Reorganisation des Sangha in Ober-Burma. —
Die Gesellschaft. — Buddhistische Propaganda. — Neuigkeiten und
Notizen. — Nachrichten aus Ceylon. — Toten-Liste. — Der Kom-
mentar zu dem Dhammapada. —
VerutwortUcher Redakteur: G. A. Dietze, Leipzig. — Verlag: Buddhistischer Verlag
ia Leipzig. — Druclc: Arno Bachmano, Baalsdorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang.
LEIPZIG, Januar 1906.
No. 10.
Rundschau.
Die buddhistische Mission In Indien. 3n Royapeffah (Süd-
3nditn) arbeifef eine »Buddhisf ische Qesellschaff« mif grosser
Energie unfer nichf geringen Schwierigkeifen. EVIlwöchenflich findef eine
Dersammlung s(a(l, in welcher Bhikshu Reu. Handaräma über Buddhis-
mus spricht; ausserdem werden noch besondere Dorlcsungen oon ITlil-
gliedern der Qesellschaff gehallen. Der Zuhörerhreis wächst beständig,
und manche Besucher haben bereits den Buddhismus öffentlich ange-
nommen. Ändere wiederum, die sich gern offen zum Buddhismus be-
kennen möchten, zaudern cor der Rand noch, dies zu tun. Das Umsich-
greifen des Buddhismus in Sndien wird nämlich üon den Rindus im
allgemeinen sehr argwöhnisch beobachtet; sie fiirchlen im Buddhismus
einen ihrer eigenen Religion überlegenen Riualen. Aus diesem Grunde
sympathisieren sie mil wenigen Ausnahmen nicht mit der buddhistischen
mission und lassen ihr nicht die geringste Unlerstützung angedeihen;
dahinter steht natürlich die brahmanische Prieslerschaft (Tout
comme chez nousl D. R.). So i.sl es erklärlich, dass die mission in
Petlah sehr arm ist und ihre Dersammlungen oorläufig in einer gemie-
teten Rallc abhalfen muss. Es ist durchaus notwendig, dass hier Bud-
dhisten namentlich aus Ceylon helfend eingreifen ; und zweifellos wird
dies letztere auch geschehen.
Rus einem späteren Berichte der Petfah-mission erfahren wir fol-
gendes: namentlich wirken ausser dem obengenannten Bhikshu zwei
niänncr für die Rusbreifung des Buddhismus : der Pandit Jyodhi Doss
(der Generalsekretär der »Säkya Buddhist EVssociafion of Southern 3ndia«)
und Professor Lakshmi Oarasu. Der Pandit erklärt im EVnschluss an
die Predigten des Bhikshu die buddhistische Lehre in einfacher, klarer
Form unter Reranziehung wichtiger Text-Stellen und belebt seine Rus-
führungen durch Beispiele aus dem praktischen beben. Die macht
seiner Reden auf die Zuhörerschaft soll eine gewaltige sein. Professor
narasu hält des öfteren Dorträge über Buddhismus in englischer Sprache;
dieselben erfreuen sich eines sehr regen Besuches. Er entwickelf den
Dhamma mit grosser Klarheit und beleuchtet ihn üon den ücrschieden-
slen Gesichtspunkten aus. namentlich schärft der Redner seinen Zuhö-
rern immer wieder ein, dass der Buddha keinen blinden Glauben uon
den menschen oerlangte, sondern vor allen die Betätigung dessen,
74 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
was ihnen geprcdigf wurde. Der meisler sleüfe jedem anheim, die
Lehre zu prüfen und, wenn man findcf, dass sie für den Einzelnen wie
für die Qesamfheil heilbringend isf, ihr nachzuleben. — Professor Harasu,
der in der Rcligionswisscnschaff wohl bewanderf isl, weist ferner auf
den Unterschied zwischen Buddhismus und den anderen Religionen,
namentlich fiinduismus und Christentum, hin. Die letzleren haben ihre
bestimmten Dogmen und lehren das Reit oon fremder fiilfe erwarlen;
der Buddhismus hat nichts dergleichen. Er besteht in Selbstzucht und
Selbstbeobachtung, und diese seine praktische Seite ist das lüichtigste
an ihm. Diese Dcrnunft-Religion ist im Grunde nichts mehr und nichts
weniger, als der Erzieher zu sittlicher Reinheit und menschlicher Doll-
kommenhcit. Die Grösse des Buddha bestand darin, dass er die IDahr-
heiten, die in den cerschiedcncn religiösen Systemen üorhanden sind, er-
kannte und anerkannte und auf diese IDeise eine uniüersalc Religion
schuf, eine Religion, die nicht nur den Gelehrten und Philosophen be-
friedigt, sondern auch dank ihrer praktischen Bedeutung (Sittenlehre)
den breiten Olassen des Dolkcs zum Segen gereicht. —
Der kürzlich slatfgefundene Besuch, welchen der Tashi-bama
oon Tibet dem ITlahäbodhi-Tempel in Buddha-Qayä (Oord-
3ndien) abgestattet hat, darf in seiner hohen Bedeutung für die buddhi-
stische Bewegung nicht unterschätzt werden. Der Buddhismus in Tibet tritt
jetzt aus seiner starren Exciusicifäf heraus und besinnt sich auf seinen
Zusammenhang mit der reineren südlichen Ljehre. Die Folgen hiercon
dürften weitgehende Reformen im tibetischen Buddhismus sein, welche,
wenn auch nicht plötzlich, so doch allmählich in dem ccrschlossenen
Fiochlande um sich greifen werden. —
Russland. Das St. Pertcrsburger Sslowo bringt in seiner Hummer
com 22. Dezember (9. Dezember alten Stils) 190.5 unter der Spilzmarke
»O Buddislach« folgende interessante Ootiz: „lüie uns mitgeteilt wird,
arbeitet das ITlitglied des Reichsrates Tscherewanski ein Schriftstück
aus über die Frage des freien Bekenntnisses (im weitesten Sinne) der
buddhistischen Religion. Der Entwurf soll dann dem Reichsraf oder der
Dolks-Duma üorgelegt werden." —
Schweiz. 3m Laufe des Januar wird Dr. R. Führer in Basel
einen Cyklus uon sechs Dorträgen über »die weif- und kultur-
historische Bedeutung des Buddhismus« halten. Dr. Führer hat
zwanzig ^ahre in Britisch Ostindien gelebt und während dieser Zeit
den Zustand der buddhistischen Gemeinden in Burma, Ceylon und Slam
genau kennen gelernt und war so glücklich, i. "]. 1896 den Lumbinl-Rain
(den Geburtsort des Buddha) aufzufinden und identifizieren zu können.
Dr. Führer wird die Freundlichkeit haben, uns seine Dorträge zur Pu-
blikation zu überlassen.
Buddhistischer Missions-Verein in Deutschland.
Offizielle Anzeigen. Die Anfang Januar 1906 collzogene tleuwahl
des Dorslandes ergab folgendes Resultat:
Dorsitzcndcr: Dr. phil. F. Rornung, Leipzig-Rleinzschocher.
General-Sekretär: Karl Seidenstücker, Leipzig.
Sekretär: R. Löwke, Leipzig.
Kassierer und Geschäftsführer: G. EV. Dictze, Leipzig-Reudnifz.
Der buddhistische ITlissions-üerein ernannte folgende Repräsen-
tanten: Für nord-Amerika Rerrn Reo. Dr. Rentok Rori in Cam-
bridge-Boston (U.-S. a.); für Ceylon Rerrn ID. R. de Siloa (Dice-
Präsidcnt der Voung ITlen's Buddhist Association) in Colombo. Ferner
No. 10. Die buddhistische Welt. 75
überfrug der Buddhisdschc ITlissions-Derein Herrn Reu. Dr. Rori die
Ehrenmitgliedschaff. —
Die rnifglieder des buddhisf ischen missions - Dcreins
werden höflichst gebeten, ihre ITlitgiieds-Beifräge für das
Jahr 1906 an den Kassierer einzusenden. Da dcrDercin durch
seine erhöhte Propaganda dringend finanzieller Unter-
stützung bedarf, so ist es erwünscht, dass die Rbgabcn —
wenn möglich — für das ganze laufende Jahr pränumerando
gezahlt werden. Quittung erfolgt umgehend.
Vorträge. Rm 13. Dezember sprach Karl SeidenstücUer über
»Die Religion der Zukunft«. Die Ausführungen bestanden im
wesentlichen in einer i^larcn Darlegung der idealistischen lüeltan-
schauung und der sich aus derselben ergebenden ethischen Ronsequen-
zen, nach dem üorlrag gelangte durch Rerrn Dielze der EVufsatz: »Die
Kraft der meditation« zur Dericsung.
Die nächsten Oorträge in Leipzig finden statt am 10. Januar
(Buddhismus und Toleranz, Q. A. Dictze), und am 14. Februar
(Buddhistische LDahr heilen bei nicht-buddhistischen Denkern,
Karl Seidensfückcr).
Mitteilungen und Notizen.
Ein Vorschlag zur Lösung des deutsch-englischen Konfliktes.
Die »Friedcns-lüarte« schreibt in ihrer Dczember-flummer: ,,Dass
wenigstens für die diplomatischen Kreise in Deutschland ein solcher
Konflikt besteht, daran ist, nach der Thronrede Kaiser IDilhelms und den
Reden des Reichskanzlers im deutschen Reichstage, kein Zweifel. An-
dererseits haben Dertreter der IDissenschaft und des fiandels in beiden
Ländern wiederholt erklärt, dass für den Antagonismus beider Länder
kein eigentlicher Grund oorlicgt, dass oielmehr ITlissüersändnisse und
Presstreibereien auf beiden Seiten die Ursache jenes undefinierbaren
Konfliktes bilden, der die Gemüter nicht nur in Deutschland und England,
sondern in der ganzen Kulturwelt auf das heftigste erregt.
Angesichts dieser uerworrencn Lage, die gerade durch ihre Dcr-
worrenheit so gefärlich wird, gibt es nur ein mittel, die gesunde Der-
nunft zur Geltung kommen zu lassen, indem man nämlich den wahren
Tatbestand aufzuklären cersucht und auf Grund des gewonnenen Ergeb-
nisses die Gefahr eines Krieges beseitigt.
Am 29. 3uli 1899 haben bekanntlich 26 Regierungen, unter welchen
sich auch die deutsche und die englische Regierung befand, ein Abkom-
men getroffen, in dem sich folgender Passus findet:
»Bei internationalen Streitigkeiten, die weder die Ehre noch wesent-
liche Onteressen berühren und einer ucrschiedenen IDürdigung der Tat-
sachen entspringen, erachten die Signaturmächtc es für nützlich, dass
die Parteien, die sich auf diplomatischem lücge nicht haben uerständigcn
können, soweit es die Umstände gestalten, eine internationale Unter-
suchungskommission einsetzen mit dem Auftrage, die Lösung dieser
Streitigkeiten zu erleichtern, indem sie durch eine unparteiische und ge-
wissenhafte Prüfung die Tatfragen aufklärt«.
IDorauf Hesse sich dieser Paragraph besser anwenden als auf den
zwischen Deutschland und England bestehenden Gegensatz, für den keiner
den Grund kennt, dessen Berechtigung jedoch üon beiden Seifen be-
stritten wird?I mit der Aufklärung des Tatbestandes sind »die Ehre
und wesentliche 3nteressen« keines der beiden Länder berührt, im Gegen-
teil, diese Aufklärung läge im 3nteresse beider Staaten und würde einem
9*
78 bie buddhistische Welt. I. )ahrg.
jeden zur Ehre gereichen. Ruf diplomafischem IDege voar, wie uns
dauernd mitgeleilf wird, eine Einigung schon deshalb nicht möglich, da
man die Ursache der Dcrsfimmung eben nichl kcnnf, und die Umsfändc
gesfaifcn es auch ausgczeichnef , diesen Raager Paragraphen zur t\n-
Mjendung zu bringen.
Die Einselzung einer infernafionalen Unfersuchungskommission zur
Aufklärung der Tafsachen, die ja keine Rafion irgendwie vjerpflichfcf
(„Der Bericht hat in keiner IDeise die Bedeutung eines Schiedsspruches"),
wäre demnach das denkbar oernünfligsfe Beginnen, lüahrlich, wem es
Ernst darum ist, dass die elende Retze nicht weifer fortgesetzt werde,
wer das Qlück üon Tausenden und die Erhaltung unserer V^ulturgüter
nicht leichtfertig auf das Spiel setzen will, sollte das durch internationale
Dereinbarung gegebene mittel zur Anwendung bringen und den Frieden
herzustellen suchen, beuor es eine ,, Ehrensache" geworden ist, den Rricg
zu führen." —
Zur elften Kontinentalen Missions-Konferenz in Bremen. Die
Dcrhandlungen dieser oom 29. ITlai bis 2. ;juni 1905 abgehaltenen Konferenz
liegen nunmehr gedruckt uor. 3ntere.ssanf ist besonders das Referat des
Prof. D. IDarneck (Ralle) über »die gegenwärtige Lage der deut-
schen eoangelischen missionen«. IDir erfahren darüber in der
»Zeitschrift für ITlissionskundc und Religionswissenschaft«
folgendes: „D. IDarneck hob drei Tatsachen heruor, die nach seiner
Überzeugung die Lage zu einer ernsten machen. 1. Das bedrohliche
Zurückbleiben der missionseinnahmen hinter den Ausgaben;
2. die wachsende Qefahr der Überflügelung der eüangclischen ITlission durch
die katholische in unseren Roloniecn ; 8. die zunehmende Zersplitte-
rung unserer ITlissionskraft durch Begründung immer neuer kleiner
missionen, namentlich unter dem Einfluss der „Qemeinschaftsbewegung".
Zu Punkt 1 bemerkt D. IDarneck: „Unbedingt ausgeschlossen ist
eine Rerabsetzung der Gehälter der missionare, da bei der zu-
nehmenden Derteuerung aller bebcnsbedürfnisse uielmehr eine Er-
höhung derscben unausbleibbar ist." Bei Punkt 1 führt IDarneck
als erschwerend für eine Steigerung der missionsbeiträgc an 1. die
zielbcwusstc Gegnerschaft, die die öffentliche mcinung durch Der-
mittelung der sich ihr meist (?) sehr willig zur Derfügung' 'stellenden
Tagespresse stark wider die mission beeinflusst; 2. die mit der Unter-
grabung seiner Fundamente immer fortschreitende Entleerung
des Christentums zu einer blossen Dernunft- und moralreli-
gion; 3. die steigenden Ansprüche, welche die wachsenden und sich
beständig mehrenden heimatlichen Liebeswerke an die finanziellen Lei-
stungen der missionsfreunde stellen. Über die moderne liberale prote-
stantische Theologie spricht sich D. IDarneck sehr scharf aus: „Be-
ängstigender (I) als die direkte Gegnerschaft ist die destruktiue moderne
Theologie, welche durch ihre Derneinung der Geschichtlichkeit der
Reilstalsachen wie ihre Eliminicrung der cüangelischen Grundwahrheiten
das Christentum won einem Stück seines apostolischen Glaubens nach
dem anderen entleert, die Offenbarung in eine bloss natürlich religions-
geschichtüche Entwicklung umsetzt und dadurch den Boden wankend
macht, in dem der christliche Glaube gewurzelt ist. Unter dem Einfluss
dieser Theologie, der in dem jüngeren Qe,schlechl der Pastoren und
Lehrer im IDachsen ist und auch in den Gemeinden immer
weiter um sich greift und selbst nicht wenigen innerhalb der
missionskreise zur Anfechtung (I) wird, erlahmen die inner-
sten, die religiösen missionsantriebc, die durch keine natio-
nalen, kolonialpolitisehcii, kulturellen oder humanitären ersetzt
werden können (?V); sie erlahmen, weil die apostolische Botschaff nicht
mehr da ist, die einen solchen IDert für den Glauben hat, dass er ange-
I«Jo. 10. Die buddhistische Welt. 77
trieben wird, zu ihrer OcrbrcKung Opfer zu bringen. 3n der Zweifels-
afmosphäre, voelche unfer dem Einfluss der modernen Theo-
logie erzeug! wird, sierben die lüerke öolfes ab. IDell für die
gegenwärfige ITlisslon hier dieselbe Gefahr besfehf, wie einsf für die
dänisch-hallcsche, deren Tofengräbcr der Rationalismus wurde, muss
sie an dem grossen Rampfe, der jefzf um den aposfolischen
Glauben gekämpft wird, durch IDorf und Schrift den aktiosfen
EVnteil nehmen; denn sie lebt uon diesem Glauben und Kann,
wie ihre Arbeiter, so auch ihre Unferhaltungsmittel in zureichendem
rriassc nur gewinnen, wenn derselbe Glaube in ihr die Orossmacht bleibt,
der die Rposfel zu LDelteroberern machte."
Diese Ausführungen des in den Kreisen der eoangelischen ITlission
hochgefeierten Professor IDarneck sind nach oerschiedenen Richtungen
hin sehr charakteristisch und lehrreich. IDir erfahren uon ihm — was
allerdings schon längst ein offenes Qeheimniss ist, — dass der gegenwärtige
Stand der protestantischen mission den Dertretern derselben ernste Sorgen
bereifet. Finanzielle Schwierigkeiten, Zersplitterung, Uneinigkeit im eigenen
Rause, Überflügelung durch Rom, nachlassen des allgemeinen 3nteres8es
für die „ficidenmission", — freilich ernst genügt IDas nun speziell uns
bei der ganzen Sache interessiert, ist die für die Christen beschämende,
für den Unbeteiligten belustigende Katzbalgerei im eigenen Lager
zwischen der allen posiliuen Richtung (zu deren Dertretern D.
IDarneck gehört) und der modernen liberalen Theologie, unter
deren Dertretern unsern Lesern der bic. Plarrer Fiackmann zur Genüge
bekannt geworden ist. lüährend hier Professor IDarneck der „grund-
stürzenden modernen Theologie'' offen den Krieg erklärt und sie be-
schuldigt, dass sie ,,den Boden des Christentums wankend mache" und
das letztere ,,üon einem Stück des aposfolischen Glaubens nach dem
anderen entleere", hat sich seinerzeit L>ic. Rackmann, also ein Dertreter
der ,, entleerenden Richtung", dahin ausgesprochen, ,,dass die Theologie
bisher (also die alte Richtung) in der tTlissionsaufgabe fast viöllig oer-
sagi habe und dass die freigcrichtefe Theologie in diese Lücke ein-
treten müsse."
lüir sind nun gespannt, wie sich die Dinge weiter entwickeln wer-
den, ob die alte, oolle Theologie, oder die moderne, entleerte
Richtung aus diesem Kampf als Siegerin heruorgeht. 3n der Zwischen-
zeit reibt sich natürlich Rom als tertia gaudens seelcnoergnügt die
Rande und ,, überflügelt" die protestantische mission. „IDenn nun ein
Reich mit sich selbst uneins wird, wie will dies Reich bestehen?" Und
was endlich die Raupisache ist: IDelche Schlüsse werden die denkenden
„Reiden" aus diesen christlichen Streitereien ziehen und was werden
sie daraus für die Religion der Liebe und ihre Dorkämpfer folgern?! —
Der Buddhismus und die deutsche Presse. IDie sehr das 3n-
teresse des deutschen Publikums für den Buddhismus im Steigen be-
griffen ist, kann man am besten aus der deutschen Presse ersehen. Es
oergehf jetzt keine IDochc, ohne dass eins der grösseren Tagesblätter
zu dem Thema »Buddhismus« das IDorf ergreift. So machte kürzlich
ein »3m Rciligtum des Buddhismus« betifelfer Aufsatz die Runde
durch die Blälfer, welcher in gefälliger Form ein slimmungsuolles Bild
üon einem Besuche des ITlahäbodhi -Tempels in Buddha-Qayä
enlwirfl. „nirgends wohl auf der IDelf umfängt die mystisch-tiefe
Gtaubensmachi dieser grossen und reinen Religion, der seit den Tagen
Friedrich Schlegels und Schopenhauers auch die deutsche Kultur man-
che Offenbarung oerdankt, mit solcher Allgewalt den ITlenschen, wie in
dem Tempel cor dem Baum zu Buddha-Qayä." Ferner ist während der
Abfassung dieser Zeilen der protestantisch-orthodoxe »Reishsbole« am
7fc Die buddhistische Welt. 1. Jahrg.
IDerk, einen längeren Rufsafz über »die Erlösung nach Buddhismus
und Chrisfenfum« zu ucröffenflichcn, zu welchem unsere Zcifschriff
Stellung nehmen wird. — Auch die »lüochc« und der »Tag« bringen des
öfleren inferessanfe Oofizen und Bilder aus der buddhistischen RuKur-
welf. — Zu unserem lebhaften Bedauern lässt seit einiger Zeit Rerr
militäroberpfarrer Robert FalKe nichts mehr uon sich hören, der
früher durch seine plumpen antibuddhisfischcn Angriffe in sehr danhens-
Moerfer IDeise die allgemeine Rufmcrhsamtseit auf den Buddhismus ge-
Icnhf hat. Sein Schweigen rührt oielleicht daher, weil ihm im wer-
gangenen Sommer auf einen im »Tag« ucröffcntlichten EVrtihel über
»buddhistisches millcid und christliche ijicbe« vjon einem nicht-
Buddhisten coram publico in demselben »Tag« die wohloerdicnfc
Züchtigung erfeilt wurde. Eine zweite gründliche Lektion hat dem Rerrn
militäroberpfarrer ganz kürzlich Dr. Schrader in einem neu er-
schienenen Büchlein gelesen, dessen Anzeige der bescr unier der Rubrik
»Bücherfisch« finden wird. — Endlich sei noch bemerkt, dass der Sanskrit-
Professor ander Uniüersifät IDien L>. u. Schröder in IDiener Zeitungen
Artikel, über Buddhismus ueröffcnllicht hat. ü. Schröder, der durch
seine Übersetzung des »Dhammapada« in der buddhistischen IDelt be-
kannt geworden ist, hatte in den neunziger Jahren eine literarische
Fehde mit dem oerstorbenen Oberpräsidialrat Th. Schultze über das
Thema »Buddhismus und Christentum«, bei welcher u. Schröder
als Derteidiger des letzteren nicht gerade günstig abschnitt.
Arthur Schopenhauers Werke. Das Studium der Philosophie
des grossen deutschen Geistes wird für jeden Schüler des Buddhismus
zum Dersfändnis des letzleren sehr förderlich sein. Die genaueste und
beste aller Schopenhauer-Ausgaben ist die uon Eduard Qrisebach im
Derlagc oon Philipp Reclam jun. in Leipzig erschienene. Dieselbe
empfiehlf sich — ganz abgesehen üon ihrem billigen Preise — durch
ihre grosse Qenauigkcil und Sorgfalt. Für den philosophisch nicht. Qe-
schulten empfiehlf es sich oielleicht, zunächst, ehe er an das 'Studium
des Hauptwerkes (»Die LDelt alslDillc und Dorstell ung«) herantritt,
zu den »Parerga« zu greifen. Freilich wird für ein wirkliches Der-
sfändnis der Schopenhauerschen Philosophie die Bekanntschaft mit Rants
Lehre unerlässlich sein; auch Spinoza und Piaton sind heranzuziehen.
IDir können allerdings jenen nicht beipflichten, welche behaupten, dass
die buddhistische Lehre sich mit der Schopenhauers deckt; aber ein
tieferes Dersfändnis des Buddhismus wird durch ein Eindringen in
Schopenhauers IDeltanschauung zweifellos wesentlich gefördert. Erst
dann werden dem Schüler die Augen für die Tiefe des Dhamma ge-
öffnet. Zur Erleichterung des Eindringens in die Schopenhauerschc
Philosophie kann Professor Paul Deussens IDerk »Die Elemente der
tnetaphysik« (Leipzig, F. A. Brockhaus 189Ü) empfohlen werden.
Büchertisch.
(Für Besprechuiij; und Rücksendung nicht verlangter Kücher übernimmt die
Redaktion keine Verpflichtung. Die Bücher sind zu senden an den Herausgeber
Karl Seidenstücker, per Adr. Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
Eingesandte Literatur und Besprechungen.
Wille und Liebe in der Lehre Buddhas. Don Dr. phil. F. Otto
Schrader, Zweite bedeutend uermehrfe Auflage üon »Kennt
der Buddhismus den Begriff der christlichen Liebe?« Berlin.
Derlag üon Paul Raafz 1906. 34 S. Preis brosch. 80 Pf.
No. 10. Die buddhistische Welt. *9
Der Derfasser, ein junger Päli-Qclehrfer, bemerl?t in seinem Dor-
M:or(: „Zu der oorliegendcn ZMjeilen Ruflage haf mir der oon Unrichtig-
I^eilen s(rolzende Rrfikel des Rerrn ITlil ifäroberpfarrers R. Fällte
über »Buddhis(isches ITliflcid und clirisdiche biebe« (aus dem Berliner
»Tag« am 9. ^uli 1905 im Ramburger Rorrespondenlen wiedergegeben)
die Feder in die Rand gedrüclif. Die Ervoeilerung des Themas ent-
sprang der IJberlcgung, dass die beiden bchandclfen Begriffe, lüille
und Isiebe, (alsächlich eng mif einander verbunden sind, und dass es
sehr notwendig isl, das dcufsche Publikum auch über den ,, schlaffen
weichlichen 3ndiffcrenfismus" Buddhas ein wenig aufzuklären." — IDir
cerweisen den Leser auf unsere kurze Besprechung der ersten Ruflage
dieser vorzüglichen Schrift (Juli-Reff der »Buddhistischen IDelf«
1905) und wollen an dieser Stelle nur noch hinzufügen, dass hier ein
Renner der Päli-Quellcn an der Rand zahlreicher Belegstellen einen der
Raupt-Einwändc, welche man christlicherseits gegen den Buddhismus
zu erheben pflegt, in siner ganzen Ralflosigkelt gründlich aufdeckt. IDir
empfehlen dieses Büchlein wärmstcns unsern Lesern, sowie den Rmts-
brüdern des Rerrn Falke, also den protestantischen Qcistlichen, zur ge-
neigten Kenntnisnahme. S.
Wissenschaft und Religion. Don R. maluert. Flach dem 25. Tau-
send der französischen Rusgabe ins Deutsche übertragen. Frank-
furt am maln. Heuer Frankfurter üerlag 1904. IV und 124 S.
mit 1.56 ailustrationen. Preis brosch. 2 m.
Das oorlicgende hochinteressante, äusserst lehrreiche IDerk ist den
Lesern bereits aus einem Kapitel desselben bekannt, das wir S. 234 ff.
unserer Zeitschrift zum Rbdruck gebracht haben. Es ist hier sehr üicl
gutes Ulalerial zusammengetragen, an dessen Rand der Derfasscr dem
Ursprung des religiösen Denkens und dem Zusammenhang der oer-
schiedenen Religionssysfeme nachzugehen cersucht. Ob alle uon ITlaloerf
gezogenen Sclu.ssfolgerungen zu recht bestehen, ist allerdings fraglich;
immerhin zeigt das IDerk in seinem Rufbau einen durchaus streng wLssen-
schafllichen, objekfioen Charakter, und die Rusführungen sind auf alle
Fälle äusserst anregend. ITlaloerls 3dee ist, kurz ausgedrückt, folgende:
Die rriythen aller Religionen — also auch der christlichen — gehen in
ihren wesentlichen Punkten im letzten Grunde auf den Sonnen- und
Feuer-iriythos zurück, wie er — nach ITlaloert — in den alten
uedischen Rymnen am deutlichsten zum Rusdruck kommt. Der Der-
fasser sucht seine Rnsichten durch Reranziehung zahlreicher geschicht-
licher Quellen und an der Rand der Symbolik der verschiedenen Systeme
zu stützen. Eins lernen wir jedenfalls aus diesem Buche: dass nämlich
bei der Rnalysierung des Christentums herzlich wenig Originales zu
finden ist, „es ist alles schon dagewesen". Das mythologische im Bud-
dhismus können wir selbstuerständüch ohne Schaden für den wesentlichen
Bestand des letzteren getrost aufgeben, (ich meine hier die Buddha-
Legende); was aber wird aus dem Christentum, wenn die Fundamente
des Chrislus-mylhos und die sich aus demselben ergebenden Dogmen
zum IDanken gebracht werden? Eine morallehre, weiter nichts, während
der Buddhismus seine grossartige Sittenlehre auf einer IDeltan schauung
aufbaut, die oon keiner einzigen monolheVslischen Religion auch nur an-
nähernd erreicht worden ist. Und gerade in diesem Punkte kommt der
Buddhismus in maloerts Buch entschieden viel zu kurz; denn eben
über das IDcscnIlichc des Buddhismus, das aus dem ,,vedischen
Feuer-mythos" nicht abgeleitet werden kann, wird hier nichts ge-
sagt. IDir nehmen trofsdem keinen Rnstand dieses bedeutende IDcrh
unsern Lesern zu empfehlen, welches wie wohl selten ein anderes ge-
eignet isl, die dumpfe dogmatische Kirchenlufl (ganz einerlei, in welcher
Religion sie auf den Qemüfern lasten mag) durch einen frischen, freien
jjuffstrom forizufcgen. S.
80 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Die wahre Gestalt des Christentums. Don Vues Quyof und Sigis-
mond Isacroix. Übersefzf uon einem deufschcn Sozialisfen.
Berlin. Derlag : Buchliandlung Dorwärfs 1905. XII und 92 Seilen.
Preis 50 Pfg.
Dieses cor kurzem neu aufgelegte, inhaKreiche Schriffchen isf eine
Übcrseizung der Elude sur le.s docfrines sociales du chrislianisme der
genannten Derfasser, welche bei J. Brouillet, Paris, Quais des Qrands
Äuguslins 57 im Jahre 1873 erschien. — lüer sich insbesondere über die
polifische Bcdeulung des Chrislenlums in der Eniwichlungsgeschichle
der europäischen üölUer zu orientieren wünscht; wer wissen will, wes-
halb die doch gewiss sonst recht nüchternen, meist nur auf Gelderwerb
bedachten Europäer und Rmerihaner dennoch millionen über millionen
übrig haben für die Unterhaltung ihres Rirchenwesens daheim, wie für
ihre missionen im Auslände; oder sich die Frage beantworten möchte,
weshalb es gerade Bchenncr des Christentums sind, welche die Technik
des Zcrslörens oon beben und Eigentum zur allerhöchsten, nirgends und
nie zuuor erreichten Blüte entwickelt haben und unablässig weiterent-
wickeln selbst unter den schwersten persönlichen Opfern, der wird in diesem
Schriftchen gründliche Belehrung finden. — abgesehen uon der knappen,
markanten französischen E\usdruckswcisc, die der Uberetzer üorzüglich
wiedergegeben hat, liegt ein gewisses Kolorit über dem ganzen, wie
man es sonst in Büchern, welche Religionsangelegenheiten behandeln,
allerdings nicht anzutreffen gewöhnt ist. Dasselbe ist wohl eine lüider-
spiegelung der Entslehungszeit dieser Arbeil: nur zwei Jahre erst waren
ja vjerflossen seil jenem entsetzlichen Kriege, in welchem die zwei mäch-
(igslen, in den Künsten und IDissenschaftcn auch des Friedens am
höchsten siehenden Dölker des Kontinents — und sclbstüerständlich
eines genau so christlich, wie das andere I — einander zerfleischten ; und
das mirakel- und lüallfahrtswcsen üon bourdes usw., in welchem ihr
unglückliches, noch aus Tausenden frischer lüunden blutendes Daterland
auch noch seine Ehre als Kullurstaat und mehr noch zu cerlicren drohte,
hallen die Derfasser sogar noch ganz dicht cor Augen : ein paar ,, Seg-
nungen der christlichen Ziuilisalion", welche wohl sehen und denken
lehren und dann gewiss nicht jedermann zu ihrem bobredncr machen.
— Recht lesenswert erscheint das Reftchen auch für Buddhisten, nament-
lich jene, welche noch immer gern uon den uermeintlichcn Ähnlichkeiten
zwischen Buddhismus und Christentum reden, werden hier Daten genug
finden, an denen sie den lüert ihrer chrisljich-afaüistischcn Doreingc-
nommenheilen selber abschätzen können. Übersetzt und gnlsprechend
bearbeitet, d. h. üon demjenigen befreit, was nur einem uerhällnismä.ssig
liefeingeweihten Kenner europäischer sozialer Dcrhällnisse ucrständlich
sein kann, dürfte sich diese Abhandlung als ein oortreffliches Schutzmittel
bewähren in allen jenen bändern, wo sich Christen lästig machen,
einerlei wodurch : Es würde den lüescnskern dieses beidcns erkennen
lehren, und hiermi! würde es zur Aufhebung dieses bcidens führen. R.
Der Verkehr mit Frauen. IDcnn du mit einer Frau redesi, so tue
CS in Rerzensrcinheif. Sprich zu dir selbst: „Jin diese sündige lüelt ge-
slellt, will ich der fleckenlosen bilic gleichen, die unberührt bleibt üon
dem ITlorast, in dem sie wächst." JSsl die Frau alt, betrachte sie als
deine mutier; ist sie eine jüngere Frau, betrachte sie als deine Schwester;
ist sie üon niedriger Rerkunfl, betrachte sie als deine jüngere Schwester;
ist es ein jugendliches ITlädchen, dann begegne ihr mit Ehrerbietung und
Röflichlieit. Sülra der zweiundüicrzig Teile.
Verantwortliche !■ Redakteur; G. .'\. l)irt/r, 1 eip/i;;. - - Verlag: Hiuldliistisclicr Verlug
in Leipzig. — Druck ; Arno Harhmann, Baalsdorf-Leipzig.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang.
LEIPZIG, Februar 1906.
No. 11.
Rundschau.
Japan, flach der offiziellen SfafisfiK oom ^ahre 1905 isf der Bestand
der buddhislischen Schulen in ^apan an Tempeln folgender:
Schulen: Jahr der Begründung: Zahl der Tempel:
Rosso 659 n. Chr
Regon 7.36 n. Chr
Tendai 805 n. Chr 4600
Shingon 806 n. Chr 13016 (inhi. Rosso)
Yuzunembuisu . . 1117 n. Chr
Uödo 1175 n. Chr 8381 (Inkl. Regon)
I Rinzai 1191 n. Chr 6122
Zen 86(6 1227 n. Chr 13708
I IDobaku .... 1654 n. Chr 5.56
Shin 1224 n. Chr 19639
nichiren 1252 n. Chr 5195
J\ 1275 n. Chr. . . ■ . 1199 (inhl. Vuzu)
3nsgesamt 72416 Tempel,
nach der Slalisfih oom jjahre 1902 besfanden 71994 Tempel; es isf
also innerhalb der lelzicn drei ^ahrc die 2ahl der buddhislischen Tempel
in 3apan um 422 gesliegen.
^ede Schule hal für die Ausbildung ihrer Geisdichen mehrere höhere
und mifflerc Seminare. Einige Schulen haben üiele junge Qeislliche zum
Studium nach Europa und Amerika gesandl. Flach der S(a(is(ik com
^ahre 1902 bcfrug die Zahl der buddhislischen Qeisflichen in Japan 53178.
Die innere ITlission des japanischen Buddhismus arbeifcf mi( derselben
Energie voie die äussere ITlission.
Jedes Regimen! und jede Schvaadron der japanischen Armee sovaie
jedes Schiff der kaiserlichen marine haf eine Anzahl buddhislischer
missionare, deren Aufgabe es isf, den Soldafen die buddhistischen IDahr-
heilen zu predigen. Diese missionare kamen bei Beginn des Rrieges
mit nach dem asiatischen Rontinent, voo sie inmitten der furchlbaren
Ereignisse vjiel Trost gespendet und oiel Segen oerbreitet haben. Sic
sind Abgesandte fast aller buddhistischen Schulen ; den stärksten Ron-
fingent stellten auch hier wieder die Rongwanji (Shin), 36do und Sölö
(Zen). nach einer aufopferungsüollcn Täligkeif kehren die missionare
jetzt wieder nach Japan zurück. —
10
82 Die buddliistisclic Welt.
1. Jahrg.
Dor einigen fahren gründelcn fähige japanische Buddhisfen in Tolwo
eine Randclsschule, genannt die »Cenfral-Randels-Schule«, welche
einen erfreulichen Aufschwung genommen hal und jefzf einige' Rundcrl
Sfudenlen als Rörer zählf. Ferner ha( Dr. S. ITluraUami, Professor des
Buddhismus an der Uniüersiläf Tokyo, dasclbsf die »Orienlalischc
mädchen-Schulc« gegriindef, welche für die Zukunft das Beste cer-
sprichf. Reiche Personen haben dieses schöne IDerk mit grossen Sum-
men unterstützt. —
Ruch in der Rerausgabe religiöser Literatur seitens der Buddhisten
in 'Japan macht sich ein lebhafter Aufschwung bemerkbar. Es gibt
Traklat-Gesellschaffen in Kyoto und Tokyo, welche kleine Broschüren
und Flugschriften zum Teil uorzüglicher EVrl herausgeben. So erschien
kürzlich in japanischer Sprache eine Sammlung buddhistischer
Predigten der Sötö-Qemeinschaf t, ferner ein englisch geschriebenes
lüerk betitelt »Buddhistische ITIeditationen nach japanischen
Quellen«. Es werden ücrschicdene buddhistische Zeitschriften in japani-
scher Sprache herausgegeben, unter denen die monatlich erscheinenden
Journale »Die religiöse IDelt« und »Das reine Licht« die ucrbrei-
fetsten sind. — Dazu kommen noch die Publikationen der »3nter-
nalional Buddhist Voung ITIen's Rssoccialion«, welche einen
festen Zusammenschluss aller Buddhisten ohne Rücksicht auf die ein-
zelnen Richtungen anstrebt. —
Die buddhistische Mission in Korea und China. Schon uor dem
russisch-japanischen Rriege war die ITIission in diesen Ländern tälig.
Um nur üon der mission der Rongwanji zu reden, so hat dieselbe
wichtige missions-Cenfra in Shang-hai, Söul, Chcmulpo, Fusan, Rmoy
und oielen anderen Orten. Seil Beendigung des Krieges ist die Ulissions-
fätigkeit in Korea und China eine noch ciel inlensiüere geworden, allein
die »lüestliche Rongwanji« beabsichtigt in diesem jähre in
folgenden Orten neue Stationen zu gründen: Ta-lien, Port Rrlhur, muk-
dcn, Rntung, Liao-yang, Tieh-Iing, Chang-chun, Peking, Tien'-ching,
Ping-yang; Ccntral-Stationcn werden in Peking und Ta-lien errichtet.
Es ist zu bemerken, da.ss ausser der Rongwanji natürlich auch andere
Schulen in China und Korea missionieren, unter denen wiederum die
Sotö die tätigste ist. Gleichzeitig werden auf der 3nsel Sachalin
buddhistische ITlissionen gegründet.
lüir geben an dieser Stelle den lüortlaut eines Dertrages wieder
der zwischen den buddhistischen Führern in Tokyo und den Dihäras in
Rwantung, Fukien und T.schetiang üereinbart wurde: „1. JJn Kanton wird
eine grosse Cenfral-ITlission errichtet und damit eine buddhistische Roch-
schule zur Ausbildung junger Qcistlicher vjerbunden. Don hier aus soll
die buddhistische Reform in China ausgehen und durch Gründung anderer
niissionen in den Prouinzen üerbreifel werden. 2. Die Central-ITlission
in Kanton ist ihrerseits ein Zweig der Central-ITlission in ;]apan. Rllc
Ternpel, Schulen und sonstigen Anstalten dieser buddhistischen mission
geniessen den Schutz des japanischen Kaiserreiches. 3. Die alten Qrund-
lehren des Buddhismus, wie die riiruäna-adee, das Gebot der
Schonung aller Lebewesen und der buddhistischen allgemei-
nen Bruderliebe werden zu Gründe gelegt. 4. Auf dieser gemein-
sanien Grundlage soll eine Einigung der vjerschiedenen Schulen und
Richtungen innerhalb des Buddhismus erstrebt werden, 'y. Bei allem
Festhalten an den buddhistischen Grundwahrheiten soll gegen die religi-
ösen Anschauungen und Dorschriften aller Hicht-Buddhisfen die weit-
gehendste Duldung geübt werden." —
. Sandwich-Inseln. Ruf den Rawai'i'schen tJnseln mitten im Stillen
Ozean arbeiten lebhaft buddhistische ITlissionare (Japaner) unter der
No. 11. Die buddhistische Welt. 83
Lcifung des Superinfendenfen Reo. K. Omamura in honolulu. Ruf
der tinsel befinden sich eine EVnzahl buddhislischer Tempel und Qeisf-
licher. Der Sfand dieser ITlission isf ein sehr blühender.
Ceylon. Rm 2. Januar fand im Rnanda-Collcgc zu Colombo die
diesjährige Ronuenlion der Dorsfeher und Lehrer der Buddhisfen-Schulen
Ceylons sfalt (nofa bene: nur derjenigen, welche unfer Rufsichl der
»Colombo Buddhist Theosophical Sociefy« arbcifen). Die Oersammlung
gab ein erfreuliches Bild oon dem IDachsfum des buddhistischen Schul-
wesens auf Ceylon. Soweit die unter der beifuug der genannten Qesell-
schaff stehenden Buddhisten-Schulen (abgesehen oon diesen gibt es in
jenem l^ande noch ca. 100 andere buddhistische Isehranslalten) in Frage
kommen, wollen wir über die Rrbeit im cerflosscncn Jahre folgendes
bemcrlien ; Es wurden 22 neue Schulen eröffnet; damit beträgt die,
Gesamtzahl der unter der C. B. T. S. arbeitenden ceylonesischen Bud-
dhisten-Schulen 200. Rcht neue besondere Schulhäuser wurden gebaut;
sechs Schulgcbäude wurden oergrössert und mit dem Bau oon fünf
neuen Schulhäusern ist begonnen worden. Die Schulen werden besucht
oon 1.5770 Knaben und 9800 tTlädchcn, also insgesamt oon 25570 Rindern.
Die Aussichten für die weitere Entwicklung im kommenden- Jahr sind
günstig trotz der Schwierigkeiten, welche die christlichen missionare der
Ausbreitung der buddhistischen Erziehung bereiten, ücrschiedenc wich-
tige Anträge zur Förderung der edlen Sache wurden oon der Dersamm-
lung angenommen.
Am 9. Februar dieses 3ahres sind zwei Europäer, ein Deutscher
und ein Rolländer, oon Bhikkhu riyänatiloka als riooizcn in die
buddhistische Bruderschaft aufgenommen worden.
Nord-Amerika, nach Dancouoer (Britisch Columbia) kam oor
kurzem ein neuer buddhistischer missionar aus Japan, Reo. S. Sasaki.
So oiel wir wissen, ist dies die erste buddhistische ITlission in Britisch-
riord-Amerika. Die dort wohnenden Buddhisten hatten sich bereits oor-
hcr zu einer Organisation zusammengeschlossen und haben nunmehr ein
schmuckes ITlisslonshaus errichtet. —
Blättermeldungen zufolge haben sich in San Francisco gelegentlich
der Einweihung eines neuen buddhistischen Tempels fünfzig Personen
als mifgüeder der dorfigen Gemeinde eintragen lassen.
Unser oerehrter Freund, Fierr Reo. Kentok Rori in Cambridge-
Boston ist, wie er uns mitteilt, mit der englischen Übersetzung eines wichtigen
grossen IDerkes über Buddhismus beschäftigt. Das Buch ist japanisch ge-
schrieben und hat als Autoren Reods. Dr. B. rianjio und Dr. R. Rayeda!
Das bedeutende lüerk isf betitelt: »Auszüge aus buddhistischen
Schriften« und enthält eine reiche Auswahl oon Texten sowohl des
südlichen, wie des nördlichen Buddhismus. IDir wollen hier das 3nhalts-
ocrzeichnis anführen: I. Teil: Allgemeine Einleitung. II. Teil: Der
Glaube. 1. Glaube, 2. Derehrung, 3. Bekenntnis. 111. Teil: Lebenswandel.
1. Einleitung, 2. rnoralilät in Bezug auf die eigene Person, a) Selbst-
beherrschung, b) Einsichtige Rede, c) Geduld, d) Fleiss. e) Treue,
f) Schamhaffigkeit. g) Ehrenhaftigkeit, h) Geduld, i) Geistige Gesund-
heit. 8. nioralitäf gegen andere, a) Dankbarkeit, b) Loyalität, c) Pflichten
der Elfern und Rinder, d) Pflichten der Lehrer und Schüler, e) Freundes-
pflichten, f) Pflichten des Ehemannes und der Ehefrau, g) menschenliebe.
h) Güte gegen die Tiere, i) Pflege der Elenden. 4. Soziale Tugenden,
a) Friedfertigkeit, b) lüirkcn für das allgemeine IDohl. c) die Rlasscn
in der Gesellschaft. 5. moralifät in Bezug auf die »drei 3uwelen«. a)
Buddha-yuwel. b) Dharma-3uwel. c) Sangha-3uwel. d) Predigt.
IV. Teil: Die Lehre. 1. Die Hatur. a) Die Realität der Hafur. b) Die
natur als Erscheinung. 2. Der ITlensch. a) Die Ocrgänglichkeif. b) Der
menschliche Rörper. c) Der menschliche Geist, d) Sünde, c) Rarma.
84 bie buddhistische Welt. I. Jahrg.
glDiedcrgcburl. g) Erlösung. 3. Der Buddha, a) Das ITlIfleid des
uddha. b) Die iDcishcif des Buddha. c1 die Rciligkcif des Buddha,
d) Die Persönlichkeit des Buddha, e) Plirvjana. Appendix: 1. Das Iscben
des Buddha. 2. Rurzgefassle Qeschichfe des Buddhismus. — IDir sehen
der englischen Übersetzung dieses ca. 600 Seiten umfassenden hochwich-
tigen iDerkes (dieselbe wird in etwa 2 fahren üollendel sein) mit grosser
Spannung entgegen und hoffen schon corher das eine oder andere
Rapifel unseren Lesern in dieser Zeitschrift zugänglich machen zu hönnen.
— Rcrr Reo. Dr. Rori hat uns ferner noch einen EVufsatz über den
Buddhismus in ^apan freundlichst zugesagt.
Russland. Der Kaiser oon Russland empfing am 14. Februar in
Audienz Abordnungen der buddhistischen QeisHichheif mit dem Raupt
der buddhistischen öeisIlichUeit oon Sibirien, Bandido Khamba-Lama
an der Spitze, sowie üertreler der burjatischen Bevölkerung. Die Ab-
ordnungen überreichten Adressen, in denen sie ihrem Danke für die
manifeste oom 3. ITIärz 1905 Ausdruck gaben, die die Oleichheil und die
Freiheit des Qewissens gewährten. Die Deputationen überreichten dem
Kaiser eine Statue des Buddha und der Kaiserin eine vjon Burjaten ge-
fertigte silberne Dase.
Mitteilungen und Notizen.
Die christliche Mission in Japan, nach der Statistik com ^ahre
1902 war der Bestand der christlichen mission in ^apan wie folgt:
iVtlssionare
Ausländer Unländer Kirchen
Protestantismus 275 .... 775 .... 801
Römischer Katholizismus . . 106 .... 34 ... . 154
Griechischer Katholizismus 1 . . . . 179 .... 103
interessant und äusserst beachtenswert sind die Klagen protestan-
tischer missions-Bläller über die Zähigkeit, mit welcher bei den japani-
schen Christen der buddhistische Qrundzug sich erhält; überall kommt
unter der christlichen ITlaske das buddhistische Qesicht wieder zum Dor-
schein. Ein christlicher Qelehrter in Tokyo, Professor Ukita, sagte
i. 3. 1903 ganz offen, dass „gelehrte Christen (es handelt sich nicht um
Ronoertitenl) Schritt für Schritt buddhistische und konfuzianische An-
schauungen annehmen." — Es ist ein grossartiges Schauspiel zu sehen,
wie der Buddhismus, ohne in seinem eigentlichen IDesen sich zu ändern,
alles Gute, wo immer er es finden mag, aufnimmt und ucrwerfet. ^n
der Form äusserer Propaganda hat der Buddhismus oom Christen-
tum manches gelernt, während das Christentum beginnt, sich mit bud-
dhistischen Grundsätzen, die ihm ursprünglich oöUig fremd waren
(z. B. der Tierschutz), zu durchsetzen. tJn Japan besteht übrigens eine
starke unitarische Bewegung, deren Zweck es ist, Buddhismus und
Christentum in 'Japan zu oerschmelzen, u. z. unter Beiseitlassung aller
Derschiedenheiten in der lüeltanschauung (?) und unter Betonung der ethi-
schen niomenle; die üertrefer dieser Richtung sind meist Japaner. IDir
glauben nicht so recht an einen dauernden Erfolg, da die Kluft zwischen
der orientalisch-buddhistischen und der abendländisch-christlichen lüelt-
anschauung doch zu tief ist. Freilich — maskieren lässt sich so manches,
und im günsfigsfen Fall wird hier das Ergebnis ein — buddhaisicrtcs
Christentum sein.
China und die christliche Mission. IDieder einmal geht die Kunde
»on einer bevorstehenden frcmdcnfcindlichcn Bewegung in China durch
No. 11. Die buddhistische Welt. 85
die Presse, und \Biedcr weiss man uon der Ermordung chrisllicher
missionare scilens chinesischer Banden zu melden. Jinleressanl ist die
Oofiz einer Zeifung, wonach die Dcranlassung zu dieser Qevoalltaf
wieder die „UnDorsichfigl^eiC chrisflicher missionare gewesen sei; ielzfere
sollen nämlich einen (oder mehrere) Chinesen gewalfsam gegen seinen
IDillen bei sich behalfen haben. — Es ls( nun sehr werfooll, dass gerade
In dieser Zeil der chinesische Qcsandlc In Berlin, Qenerallcufnanl Vinl-
schang, sich einem Derlrefer des »Berliner Tageblaffes« gegenüber bezüg-
lich des chinesischen Fremdenhasses folgendermassen geäusserf hal:
„3ch muss mir da im Urfeil einige Beschränkung auferlegen, doch will
ich sagen, dass die Schuld nichl auf Seifen der Chinesen liegf. Die 2Aus-
länder fragen selbst die Schuld. 3ch mache In erster Reihe
die missionare ocranfwortllch, wenn üon den Chinesen Felndseüg-
Keiten gegen die Ausländer cerübt werden. Sagen Sie selber, muss es
uns nichl tief ucrlclzen, wenn da so ein misslonar ankommt und uns zu
seiner Religion, was er so nennt, mit Freundlichkeit oder auch mit Ge-
walt behehren will. Ruf unsere Empfindungen wird dabei heine Rück-
sicht genommen. Unser Ahncnkulfus und die Lehre des Konfuzius sind
uns durch jahrtausendelange Übung heilig und teuer. Gibt es etwas
Besseres und fnöhcres, so wollen wir es gerne kennen lernen.
Rber dicLeute, die es uns bringen, müssen auch danach sein.
Dann dürfen nicht protestantische und katholische missionare
sich mit einander herumbalgen und Im Seelenfange einander
Konkurrenz machen, lüas sind es denn für beute, die sich oon den
missionaren bekehren lassen? meistens oerkommene menschen,
die dabei ihren materiellen Dorteil finden. IDIe lächerlich ist
überhaupt dies ganze missionswesen! 3n Europa gibt es doch
wahrhaftig so üiel zu oerbessern, dass Europäer es wirklich nicht
nötig haben, Ihren heiligen Eifer an die „minderwertigen Chinesen" zu
uerschwenden. Die missionare, sage Ich, dringen Ins Land ein,
behelligen die chinesischen Bauern, die am Glauben ihrer
üätcr hängen, werden üon Ihnen zurückgewiesen, kommen mit
grösserer Zudringlichkeit wieder, hetzen Familienglieder
gegen einander auf, stiften Unfrieden unter der Beoölkcrung
und werden schliesslich uon hcissblüligen Leuten tällich an-
gegriffen. Dann ist der Krach fertig. Der misslonar ruft seine Re-
gierung an, diese muss sich, oft gegen ihren IDillen, gedrängt oon einer
starken Strömung in ihrem Lande, für den misslonar Ins Zeug legen
und zwingt die chinesische Regierung, ihre herausgeforder-
ten Untertanen noch zu bestrafen! Das wiederholt sich im
ganzen Reiche in hundert, in tausend Fällen. So wird im
ganzen Lande Erbitterung erzeugt, die sich schliesslich in
einem Ausbruch gegen alle Fremde entladet."
Gleichzeitig spricht sich ein chinesischer Rutor in seiner »modernen
Betrachtung der Beziehung der missionen zu den chinesischen EVuf-
ständen« über den IDerl der christlichen mission In nlcht-misszuoer-
stehender IDeise aus: ,,lDenn man uns beweisen kann, dass die IDirk-
samkeit der missionare in China eine geistige Bewegung Ist, dass
dieselben dahin, wo oorher Dunkel herrschte, Licht bringen, dass sie Orient
und Occident dadurch einander nähern, dass sie gewissermasscn deren
höhere Qelstesströmungen in gegenseitige Berührung bringen, dann sage
ich: sie sind würdig, uon allen Gutgesinnten unterstützt zu werden. Rber
ich frage: kann man uns das beweisen?
„Gewiss hat der protestantische misslonar sich in der letzten Zeil
eifrig „wissenschaftlichen" Studien hingegeben. Er kann seinen einge-
borenen Schülern mit vjollem Rechte sagen, dass die mandarincn Toren
sind, wenn sie sich über eine mondfinsicrnis aufregen. EVber erzählt er
86 Die buddhistische Welt. l. Jahrg.
nifhl denselben Schülern eine Slundc später, dass die Sonne und der
niond auf den Befehl des hebräischen öcnerals ^osua sfillslanden und
dass das Buch, in dem diese Talsache berichfel wird, ein uon dem all-
wissenden Schöpfer des IDellalls diUficrfes heiliges Buch isf?
„Och appelliere an alle, denen die Sache des geisligen ForlschrlKs
ernstlich am Rerzen liegt, und frage sie, ob es etwas Unwissenschaft-
licheres geben kann, als eine derartige Gaukelei, um Keinen schummern
Rusdruck zu gebrauchen. Die Tatsache, dass dieser missionar sich
dessen nicht bewusst ist, beweist nur, wie tiefgehend das Übel ist, das
er anrichten kann.
„3ch behaupte also, dass, wie ausgedehnt auch die rein wissen-
schaftlichen Kenntnisse sein mögen, welche die protestantischen Ulissio-
narc nach China tragen, sie gleichzeitig den nagenden IDurm mitbringen,
der schliesslich jede Hoffnung auf geistigen Fortschrift für die Chinesen
uerschwinden lässt.
„Denn ist es nicht in Europa diese selbe geistige Gefahr, gegen welche
alle die grossen Befreier des menschlichen Geistes gekämpft haben? IDahr-
lich jedem, der den Kampf für die Qcistesfreiheit in Europa auch nur
ein wenig kennt, muss es höchst sonderbar, ja abgeschmackt erscheinen,
dass dieselben Ijeute, die in Europa im Flamen der Religion uerbrannt
und üerfolgt haben, sich hier in China als die Derfechfer der IDisscn-
schaft und des geistigen Fortschrittes aufspielen I
„Es isf also nicht wahr, dass das lüerk der missionarc in China
eine geistige Bewegung ist. ^eder, der sich die mühe nehmen' will, den
wirren und dunklen fiaufen oon Schriften zu untersuchen, der sich ,,Der-
öffenflichungen der missionen in China" nennt, kann sich leicht über-
zeugen, dass es gerade diese obskure biteratur ist, die dem gebildeten
Chinesen seine üerachfung des Auslandes einflösst. Und wenn nun
dieser gebildete Chinese sieht, dass dieses obskure Zeug dem Dolke
aufgezwungen wird, einesteils durch die anmassende Zudringlichkeit der
missionare, andernteils durch den Schrecken, den die fremden Kanonen-
boote einflössen, so empfindet er für die Ausländer einen Fiass, den nur
diejenigen begreifen können, die zusehen müssen, wie alles, was ihnen
teuer und heilig ist, das Erbe ihrer Rasse und ihrer Oation, ihre Bildung,
ihre Ziüilisalion, ihre Literatur Gefahr läuft, auf immer entstellt oder
zerstört zu werden." —
Des Kriegers Zweifel.
Stha, der Feldherr, trat üor den Erhabenen und sprach: „iJch
bin, Erhabener, ein Krieger und bin uom Könige ernannt, seinen
Gesetzen Geltung zu verschaffen und seine Kriege zu führen.
Erlaubt nun der Talhägata, welcher Güte ohne ITlass lehrt und
Barmherzigkeit gegen alle Leidenden, die Bestrafung des Der-
brechersV Und weiter, erklärt der Talhägata, dass es Unrecht
ist, in den Krieg zu ziehen, zur Beshützung unseres fierdes,
unserer Frauen, unserer Kinder und unseres Eigentums?
Lehrt der Talhägata eine uüllige Selbstergcbung, so dass ich dem Übel-
täter gestatten soll, zu tun, was ihm beliebt, und dass ich unterwürfig
dem nachgeben soll, welcher droht, mir mein Eigentum mit Gewalt zu
nehmen? Sagt der Talhägata, dass jeder Kampf, auch die Kriegführung,
welche einer gerechten Sache gilt, Unrecht ist?"
Der Buddha erwiderte: „Der Talhägata erklärt: lOer Strafe ver-
dient, muss bestraft werden, und wer Gunst verdient, muss begünstigt
werden. Aber gleichzeitig lehrt er, keinem lebenden IDcsen Schaden
zuzufügen, sondern voll Güte und lüohlwollen zu sein. Diese Dorschriften
widersprechen einander nicht; denn wer seiner Derbrechen wegen bestraft
werden muss, erleidet seinen Schaden nicht durch das Übelwollen des
Richters, sondern infolge seiner bösen Taten. Seine eigenen Handlungen
haben die Strafe über ihn gebracht, welche der üollziehcr des Gesetzes
No. U. Die buddhistische Welt. 87
über ihn verliängl. lüenn ein Richler sfraff, so soll er keinen Rass im
Rerzen liegen; der ITlörder jedoch, \)jenn er die Todesstrafe erleidcl,
sollle bedenken, dass dies die Fruch! seines eigenen Tuns isi. Sobald
er cersichf, dass die Sfrafe sein Gemüf läulerf, wird er sein Qeschick
nich! länger beklagen."
Und der Erhabene fuhr forf : ,, Der Talhägala lehrt, dass alle Krieg-
führung, bei voelcher der ITlensch besfrcbt isf, seinen Bruder zu löfen,
zu beklagen isi; aber er lehrf nichf, dass diejenigen, welche in den Rricg
ziehen für eine gerechfc Sache, nachdem sie alle ITliilel aufgebofen haben,
den Frieden zu erhallen, ladclnswcrf sind, lüer Krieg üerursachf, der isl
ladcInsMjerl.
,,Der Talhägala lehrl ein völliges Selbslaufgeben, aber er lehrl nichf
die Unler\s:erfung unler böse ITlächle, seien es ITlcnschen, oder Deoas,
oder riafurkräfle. Kampf muss sein; denn alles Leben isf ein Kampf
irgendwelcher Rrf. E\bcr derjenige, welcher kämpft, soll zusehen, dass
er nicht im 3nleresse des Selbstes kämpft gegen lüahrheit und Gerech-
tigkeit.
„IDer im Interesse des Selbstes kämpft, so dass er selbst gross,
oder mächlig, oder reich, oder berühmt werden möchte, wird keinen
guten Lohn ernlen; wer aber für Gerechtigkeit und lüahrheit kämpft,
wird grossen Lohn haben; denn wenn er auch unterliegt, wird er siegen.
..Das Selbst ist kein geeignetes Qefäss für grossen Erfolg; das
Selbst isf klein und zerbrechlich, und sein 3nhalt wird bald cerschüllet
werden zum Dorteil und üielleichf zum Fluch anderer.
„Die lüahrheit aber ist gross genug, das Streben und die Arbeit
aller menschen in sich aufzunehmen, und wenn die Einzelexistenzen
oergehen wie Seifenblasen, die in nichts zerplatzen, so wird ihr 3nhalf
erhalten bleiben, und in der lüahrheit werden sie ein ewiges Dasein führen.
,,lüer in den Krieg zieht, Siha, sei es selbst für eine gerechte Sache,
muss darauf gefasst sein, üon den Feinden getötet zu werden; denn das
isf das Los der Krieger, und wenn sein Schicksal ihn ereilen sollte, so
hat er keine Ursache, sich zu beklagen.
,,EVber wer siegreich ist, sollle der Unbeständigkeit aller irdischen
Dinge gedenken. Sein Erfolg mag gross sein; aber sei er noch so gross,
so kann doch das Rad des Lebens sich wieder wenden und ihn nieder-
werfen in den Staub.
,, lüenn ein Sieger sich mässigt, allen Rass im Rerzen ausrodef,
den niedergetretenen Feind aufhebt und zu ihm spricht: ,Komm' nun
und mache Frieden, lass uns Brüder sein!' so wird er einen Sieg dauon-
Iragen, der nicht ein oorübergehender Erfolg ist; denn seine Früchte
werden bleiben immerdar.
,, Gross ist ein erfolgreicher Feldherr, o Siha, aber wer das Selbst
bezwungen hat, ist der grösste Sieger.
„Die Lehre con der Selbstbezwingung, Siha, wird nichf gelehrt,
um die Seelen der ITlenschen zu uerderben, sondern sie zu erhalten, lüer
das Selbst besiegt, ist fähiger zu leben, erfolgreich zu sein und Siege zu
erringen, als wer der Sklace des Selbstes ist.
„lüer frei ist von der Täuschung des Selbstes, wird bestehen und
nicht fallen im Ringen des Lebens.
,,lüer Rechtschaffenheii und Gerechtigkeit erstrebt, wird keinen
misserfolg haben; seine Unternehmungen werden gelingen, und sein
Erfolg wird ein dauernder sein.
„lüer in seinem Qemüte Liebe zur IDahrheit beherbergt, wird
leben und nicht sterben; denn er hat üon dem lüasser der UnSfcrblich-
keif getrunken." (Eüangelium Buddhas).
88 Die buddhistische Weit. I. Jahrg.
Buddhistischer Missions-Verein in Deutschland.
Zum Repräscnfanf cn des »Buddhisfischen ITlissions-Dereins« für
Ös( erreich is( üom Dorsfand Rcrr Dr. med. Erich ITlafzner in
Birhfcld (Sieicrmark) ernannf worden.
Rm 14. Februar sprach Rarl Seidensfüchcr in ijeipzig über das
Thema »Der Buddha als Reformalor«. 3n diesem Dorfrage wurde
der Derdiensfe gedachl, welche sich der ITlcisler als Reformafor [Indiens
erworben haf. EVls Raupfgesichfspunkfe wurden namentlich bclonf die
üerficfung und Dergeisligung der uorgefundenen Anschauungen, der
Derzichl auf jede Ar( abföfender Rskese, die Überwindung des Rifualis-
mus und endlich die prai?fische Durchführung des Einheifs-Prinzipes, auf
örund deren Toleranz, menschenliebc und Qüfe gegen alle lüesen die
bcifsicrne des praklischen Buddhismus wurden. — Rn den üorlrag schioss
sich eine längere Debafie, in welcher Fragen allgemeinen Charakters
besprochen wurden, die ausserhalb des in dem Dorlrage behandclfen
öcbiefes lagen. — Der nächste Dorfrag findet am 14. ITlärz slaft im
Degelarischen Speisehaus »ITlanna« Leipzig, Schulsfrasse 8.
Büchertisch.
(Für Besprechung und Rücksendung nicht verlangter Rücher übernimmt die
Redaktion keine Verp6ichtung. Die Bücher sind zu senden an den Herausgeber
Karl Seidenstücker, per Adr. Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
Eingesandte Literatur und Besprechungen.
Das untergegangene Lemuria. Von W. Scott-Elliot. Autorisierte
Übersetzung von A. von Ulrich. Mit zw^ei Karten. Leipzig.
Verlag von Max Altmann 1905. 62 S.
Die zügellosen Phantasien eines Laien über ein paar geologische
und paläontologische Namen. Dass in unserer naturwissenschaftlich so
sehr weit vorgeschrittenen Zeit dergleichen botokudenhaft abergläubisches
Zeug nur gedacht, geschweige denn niedergeschrieben werden kann, bleibt
ein Rätsel. Dr. H.
Waiden oder das Leben in den Wäldern von Henry D. Thoreau.
Aus dem Englischen übersetzt und eingeleitet von Dr. W. Nobbe.
Verlegt bei Eugen Diederichs, Jena 1905. Br. 5.— M., geb. 6.— M.
Als Führer zur Vereinfachung des Lebens wird dem deutschen
Publikum dieses Hauptwerk des Philosophen von Concord vorgelegt.
Zur Vereinfachung des Lebens! Unsere Leser werden darunter nichts
Verwunderliches finden, die Einsicht von der Notwendigkeil einer Ver-
einfachung des Lebens wird wohl keinem fehlen. Uns sind es keine
fremden Lehren, 4ie der Asket vom Waldenteich verkündet. Wir wün-
schen diesem ausgezeichneten Werke auch in Deutschland die Beachtung,
die es verdient, und die es in Amerika in so grossem Masse ge-
funden hat. Von Thoreau ist der Weg zum Buddha nicht mehr so schwer
zu finden. D.
Oemeinsame Philosophie der Religionen. Von Willi Boldt. Berlin.
Selbstverlag des Verfassers 1904. 32 S. Preis 0,40 M..
Eine der vielen überflüssigen theosophischen Propaganda-Schriften.
Vertntwortlieher Red«kteur: G. A. Dietie, Leipzig. — Verlmg: Buddhistischer Vertag
in Leipzig. — Druck: Arno Bachnunn, Ba«lsdorf-Leipzij.
Die
Buddhistische Welt.
Publikations-Organ
des
Buddhistischen Missions-Vereins in Deutschland.
I. Jahrgang.
LEIPZIG, März 1906.
No. 12.
Rundschau.
Ceylon. In buddhistischen Kreisen ventiliert man lebhaft die Frage
der Gründling einer buddhistischen Universität in Colombo.
Japan. Die Jödo-Schule besitzt ein vorzügliches College in Tokyo,
und die Zöglinge desselben sind nach verschiedener Richtung mit gutem
Erfolg tätig. Es ist jetzt ein Fond gegründet worden, um für das College
ein neues grosses Gebäude zu errichten, welches in wenigen Jahren be-
endet sein wird. Die Wirksaml<eit der Jödo-Schule liegt hauptsächlich
auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichtes.
Drei Provinzen des nördlichen Japan sind, wie bekannt, von einer
Hungersnot heimgesucht. In Tokyo und anderen Städten haben Buddhisten
sofort Hilfskomitees gegründet, welche eine energische Tätigkeit enfal-
teten; auch die Christen haben sich in derselben Weise betätigt. Der
Mikado und die Kaiserin haben ebenso wie die Regierung durch grosse
Geldspenden und Lieferung von Nahrungsmitteln tatkräftige Unterstützung
gewährt. Dank dieser edlen Hilfsaktionen ist die Lage der bedrohten
Einwohner jetzt erträglich.
China und Korea. Die Jödo-Schule hat jetzt 13 Missionare
nach Korea und 4 nach der Mandschurei entsandt. Die wichtigsten
Centra ihrer Tätigkeit sind die Städte Söul, Chemulpo, Fusan und Gesan.
In China missionieren die Jödoisten in Liaoyang, Talien-wan, Mukden
und Port Arthur.
Rundreise des Right Rev. Soyen Shaku. Der hohe Geistliche
der buddhistischen Aieditations - Gemeinschaft (Zen-shu oder
Dhyäna-Schule) hat in den Vereinigten Staaten, wie wir bereits wieder-
holt berichteten, viele buddhistische Vorträge gehalten. Er verliess San
Francisco am 12. März und besucht nun die Städte Chicago, Washington
und New- York. Ende April schifft er sich nach Europa ein; es ist
nicht ausgeschlossen, dass er hier in Leipzig einen Lehrvor-
trag halten wird. Von Europa begibt sich Herr Soyen Shaku über
Indien, wo er früher viele Jahre geweilt hat, nach Japan zurück.
Von der Mahäbodhi-Society. Die Mahäbodhi-Gesellschaft
hat ihr Hauptquartier jetzt endgültig von Benares nach Colombo (Ceylon)
verlegt. Wer die Tätigkeit dieser Gesellschaft unterstützen will, abonniere
auf das »Mahäbodhi-JournaU (jährl. 4 Mk.) Adresse: The Manager,
Mahäbodhi-Journal, Colombo, Ceylon. Der Abonnements-Betrag ist im
Voraus zu entrichten.
11
90 Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Die Ffihrer der »Theosophischen Gesellschaft« (Adyar).
Das »Mahäbodhi-Journa!« schreibt in seiner diesjährigen Januar-Num-
mer: „Wir sehen, dass in Indien theosophische Führer an Europäer und
Amerikaner appellieren, hinduistische Colleges und Bibliotheken
zu unterstützen. Henry S. Oleott, Mrs. Besant, Herr Leadbeater
und eine Anzahl anderer europäischer Theosophisten, die in Indien wirken,
helfen der Hindu-Bewegung. Die Theosophisten behaupten von sich,
keiner speziellen Religion auzugehören, da nach ihrer Auffassung alle
Religionen dieselbe Grundlage haben; und dennoch finden wir,
dass es ein ganz bestimmter Hinduismus ist, den die genann-
ten Führer in Indien predigen. Das Central -Hindu-College
wird durch öffentliche Beiträge erhalten; es hält seine Tore buddhi-
stischen Studenten geschlossen (!l), und dieses College steht
unter dem Schutz von Annie Besant und anderen europäischen
und hinduistischen Theosophisten. In Ceylon wird Theosophie
als Buddhismus gehandhabt; in Indien ist sie Hinduismus, und in Amerika
und England ist sie ein esoterisches Christentum. In Ceylon predigt H.
S. Oleott Buddhismus, und wenn er in Indien ist, sagt er den Hindus,
dass der Hinduismus für sie das Beste sei. Herr C. W. Leadbeater ist
in Ceylon Buddhist, in Amerika und England predigt er die christliche
Gottes-ldee. Die armen Buddhisten Ceylons steuern dazu bei,
in ihren Städten buddhistische Schulen zu eröffnen, und doch
wird der Aussenwelt erzählt, es seien dies theosophische
Schulen." —
Also die genannten Herrschaften von der Theosophischen Gesell-
schaft können deutsch und polnisch — je nach Bedarf. Wir freuen uns
aufrichtig, dass endlich ein buddhistisches Journal den Mut findet, gegen
diesen widerwärtigen Adyar-Schwindel einmal energisch Front zu machen.
Freilich von den drei mit Namen genannten Führern sind zwei, näm-
lich Oleott und Leadbeater, höchst minderwertige Geister, tief unter
Annie Besant stehend, welche in gewisser Beziehung eine geistvolle Frau
und, wie wir wenigstens trotz Hensoldt immer noch glauben, ehrliche
Kämpferin genannt werden muss. Henry S. Oleott, dessen Verdienste
als Organisator wir keineswegs verkennen wollen, der Präsident dieser
in Adyar zentralisierten Gesellschaft, hat bereits von der verschlagenen
Gründerin, Madame Blavatsky, das Zeugnis erhalten, „dass er dümmer als
der König von Portugal und der Grossvater aller Esel sei." Und doch
ist dieser im Grunde höchst unbedeutende Yankee schlau genug, auf die
Dummheit seiner Mitmenschen bauend sich seinen wohlbesoldeten Präsi-
dentenposten bis an sein Lebensende zu sichern. Klappern gehört eben
zum Handwerk, und ein Präsident, der sich des besonderen Schutzes
und Wohlwollens zweier hypothetischer, transbrahmaputrischer Adepten
erfreut und rühmt, hat der Welt für das Vorhandensein dieser „Meister"
Beweise zu liefern — selbstredend auf Kosten der Wahrheit. So hat denn
Oleott im Zeitalter der Röntgenstrahlen die Schaubuden-Wunder seines
„mystic shrine" in Adyar spielen lassen, oder gut deutsch gesprochen,
hat gelogen wie telegraphiert und das Dunkelblaue von Indiens Himmel
heruntergeschwindelt. Und, — so unglaublich dies klingen mag, dieser
plumpe, polizeiwidrige Schwindel fand und findet auch heute noch in
allen fünf Erdteilen selbst unter Gebildeten Gläubige, alias Gimpel, die
sich durch den Knalleffekt dieses brillierenden, aber stinkenden Feuer-
werkes fangen liessen. Aber jedes Feuerwerk muss einmal verpuffen,
und auch für den »Old Nominal« in Adyar ist die Stunde nahe, da sein
ganzer fauler Zauber offenbar wird; ihn und seine Meister (deren in
Dresden fabrizierte Phantasie-Bilder in Deutschland reissenden Absatz
finden) nimmt heute kein zurechnungsfähiger Mensch mehr ernst, — und
wäre es auch nur im leisen Halbschlaf.
No. I2. Die buddhistisclie Welt. IW
Herr Leadbeater, der sich durch seine ernst genommen sein
wollenden Reiseberichte aus Astralien und Devachan schon ge-
nügend in geistiger Hinsicht qualifiziert hat, weiss offenbar die Dummheit
des „homo sapiens", auf die er spekuliert, ebenso zu schätzen, wie
Herr Oleott. Anders steht es mit Frau Besant, die uns aus besserem
Holz geschnitzt zu sein scheint als ihre Genossen. „Von Zeit zu
Zeit hör' ich die Alte gern", — gewiss, Annie Besant ist eine
ehrliche und geschickte Vorkämpferin ihrer Sache; sie ist der Abend-
und Morgenstern der »Theosophical Society«, welcher bald in Madras,
bald in London sein Licht erstrahlen lässt und die Scharen der Getreuen
immer wieder aufs neue begeistert; aber es muss trotzdem konstatiert
werden, dass sie ebensowenig wie die anderen „Koryphäen" sich von
der Beschränktheit und Sophistik des theosophistischen Systems losringen
kann. Die Einseitigkeit dieses Systems besteht darin, dass es alle
Religionen durch die graue Brille eines bestimmten, Geheimlehre
genannten occultistischen Mystizismus betrachtet und allen Ernstes
behauptet, alle Religionen seien im wesentlichen sich gleich. Anders
ausgedrückt: das theosophistische System ist ein modernes Prokrustes-
Bett, für welches alle Religionen und Philosophieen unter Anwendung
von roher Gewalt, verlogener Sophistik und plumper Fälschung zurecht-
gestutzt werden; was zu lang ist, wird abgehackt, was zu kurz
ist, wird auseinandergezerrt; Hauptsache, dass das gemarterte Opfer
hineinpasst. Was aus einem derartig prokrustizierten, ausgezerrten, ver-
stümmelten, vergewaltigten, gefälschten, kurz, theo-sophistisch zugerich-
teten und verhunzten Buddhismus oder Christentum für ein —
stellenweise allen geschichtlichen Tatsachen Hohn sprechendes — grauen-
volles Monstrum wird , ist allen mit den Verhältnissen Vertrauten
zur Genüge bekannt. Diese Herrschaften von der »Theosophical Society«
haben — incredibile dictu — wirklich und wahrhaftig die Naivität (oder
soll ich sagen Arroganz) der Welt (d. h. der kritiklosen Menge) weiss
zu machen, dass erst ihnen durch den Schimmer der von Madame
Blavatsky verkündeten Geheimlehren das wahre Licht über das eigentliche
Wesen des Buddhismus, Hinduismus und Christentums aufgegangen sei; Tat-
sache, — Scherz ausgeschlossen! Diese Leute sagen allen Ernstes den
Buddhisten und Brahminen, dass diese ihre eigene Religion nicht verstehen,
und dass ein rechtes Verständnis erst durch ein wenig Zusatz des
Blavatskyschen Elixieres resp. durch die für Flachköpfe so bequeme
Prokrustes-Methode gewonnen werden könne. Unter diesen Umständen ist
es nicht verwunderlich, wenn die Hindus der Frau Besant trotz deren Fürsorge
für das Hindu-College den Stuhl laut und deutlich vor die Tür stellen; wenn
ferner Christen der „genialen" Engländerin für ihr esoterisches Christen-
tum mit den allerdings wenig galanten Worten quittierten: „Mir scheint,
die Alte spricht im Fieber." Und nun wird Mrs. Besant auch noch von
den Buddhisten abgeschüttelt. Madame sitzen also glücklich zwischen
drei Stühlen, — Madame konnten es auch kaum anders erwarten;
suum cuique! — Wir werden uns übrigens bald mit Frau Besants
Schriften auseinandersetzen müssen und bei dieser Gelegenheit den Be-
weis liefern, dass wir ihren Standpunkt an dieser Stelle richtig beurteilt
haben. — S. .mi-x-fm
Buddhistischer Missions-Verein.
Zum Repräsentanten des »Buddhistischen Missions-Vereins« für
die Schweiz ist Herr Dr. A. Führer in Basel ernannt worden.
Der Geschäftsführer des Vereins, Herr G. A. Dietze wohnt vom
1. April d. J. ab Leipzig- Neustadt, Tauchaerstrasse 50. Wir bitten,
hiervon Kenntnis nehmen zu wollen.
11*
9f Die buddhistische Welt. I. Jahrg.
Einladung zur General-Versammlung. Der »Buddhistische
Missions-Verein« ladet hierdurch die verehriichen Mitglieder
zu der am Dienstag, den 8. Mai d. J., abends 8 Uhr, im Vegeta-
rischen Speisehaus »Manna«, Leipzig, Schulstrasse 8, I statt-
findenden diesjährigen General-Versammlung ergebenst ein.
Tagesordnung: 1. Bericht der Beamten; 2. Wahl der Kassen-Revisoren;
3. Neuwahl des Vorstandes; 4. Antrag des Vorstandes, die Generalver-
sammlung wolle beschliessen, „den bisherigen Namen »Buddhisti-
scher Missions-Verein in Deutschland« umzuändern in »Bud-
dhistische Gesellschaft in Deutschland«;" 5. Antrag des Vor-
standes, die Generalversammlung wolle beschliessen, „die von dem
Vorstande in dreifacher Lesung angenommenen revidierten Satzungen als
offizielle Satzungen des Vereins anzunehmen." 6. Referat des Herrn Karl
Seidenstücker über das Thema: „Wege und Ziele unserer Propaganda."—
Erklärung. Der »Buddhistische Missions-Verein« erklärt hierdurch
offiziell, dass er in keinerlei Verbindung mit dem »Buddhistischen Verlage«
in Leipzig steht und für etwaige Geschäfts-Manipulationen dieses Privat-
Unternehmens in keiner Weise verantwortlich ist. Der Verein erklärt
ferner, dass er mit der im »Buddhistischen Verlage« erschienenen und
von demselben jüngst zur Ansicht versandten Schrift »Das christliche
Barbarentum in Europa« nicht das Geringste zu tun hat.
*»»»€&»
Notizen des Herausgebers.
Der »Buddhist« als offener Sprechsaal. Ich möchte, ehe der
neue Jahrgang beginnt, die Leser nochmals auf einen Punkt besonders
aufmerksam machen. Der Buddhismus ist kein fertiggedrechseltes dog-
matisches System, in welchem alle Fragen nach Schema F behandelt
werden. Im Gegenteil; es ist hier der individuellen Anschauung der
denkbar weiteste Spielraum gelassen, namentlich hinsichtlich philosophi-
scher, kulturhistorischer, religionsgeschichtlicher und sozialer Probleme.
Unsere Zeitschrift nun will keiner speziellen Richtung dienen, vielmehr
jeden zu Wort kommen lassen, der einen verständigen Beitrag für einen
Teil des grossen Gebietes liefert, So erklärt es sich, dass im »Buddhist«
oft verschiedene Ansichten sich hören lassen, und der geneigte Leser
wolle nicht gleich murren, wenn er in einem Punkte anderer Ansicht ist
als ein Mitarbeiter. Der Buddhismus ist eben kein Dogmatismus.
Das »Evangelium Buddhas«. Um Missverständnissen vorzubeugen,
sei bemerkt, dass, wo wir das »Evangelium Buddhas« als Quelle
zitieren, es sich keineswegs um eine alte kanonische Schrift handelt, son-
dern um ein von Dr. Carus geschriebenes Buch. Dasselbe fiisst zwar
zum grössten Teile auf alten Quellen, enthält daneben aber auch Zu-
taten, welche die eigene Phantasie eingegeben hat. Dies gilt z. B. von
der in voriger Nummer abgedruckten Partie, betitelt:
Des Kriegers Zweifel. Verschiedene Leser haben mir ihr grosses
Befremden über dieses Kapitel ausgedrückt, und gesagt, dies könne
schwerlich eine authentische Äusserung des Buddha sein, da es dem
Geist des Buddhismus (cf. das erste Gebot!) direkt widerspreche. Ich
habe darauf im »Evangelium Buddhas« nach der Quellenangabe für dieses
Kapitel mich umgesehen und allerdings gefunden, dass Dr. Carus gerade
die von uns abgedruckte Stelle als »explanatory addition« bezeichnet.
Wir haben hier also beileibe kein authentisches Wort des
Buddha über die Kriegsführung vor uns, sondern die rein persön-
liche Ansicht eines Anhängers, welche, solange sie nicht in aufdringlicher
No. 12. Die buddhistische Welt. 99
Form erscheint, immerhin als der geschickte Versuch eines Kompromisses
betrachtet werden muss.
Des Right Rev. Soyen Shaku Vortrag in Leipzig ist bis jetzt
allerdings noch ein frommer Wunsch, dessen Realisierung aber durchaus im
Bereich der Möglichkeit liegt. Wir bitten daher alle diejenigen, welche,
falls der Vortrag stattfindet, an demselben teilzunehmen wünschen, dies
rechtzeitig dem Geschäftsführer Herrn Dietze mitzuteilen.
Büchertisch.
(Für Besprechung und Rücksendung nicht verlangter Bücher übernimmt die
Redaktion keine Verpflichtung. Die Bücher sind zu senden an den Herausgeber
Karl Seidenstücker, per Adr. Buddhistischer Verlag in Leipzig.)
Eingesandte Literatur und Besprechungen.
Buddhismus und buddhistische Strömungen in der Gegenwart. Eine
apologetische Studie. Von Peter Sinthern, Priester der Ge-
sellschaft Jesu. Münster i. Westf. Verlag der AIphonsus-Buch-
handlung (A. Ostendorff). XII und 129 S. Preis 2 Mk.
Wenn da etwa, ihr Brüder, jene, die nicht mit uns sind,
über mich, oder über meine Lehre, oder Ober meine Ge-
meinde verächtlich reden sollten, so darf das für euch kein
Grund sein, dass ihr in Zorn geratet. Brahmajäla-Sutta.
„Dem abgelebten Genussmenschen, dem weichlichen, trägen, lebens-
überdrüssigen, daseinsmüden Sohne der indischen Sonne . . . ." Wir
haben wörtlich zitiert; vergl. S. 20. Wer das sein soll? Nun, der
Buddha! Und das nennt sich eine Apologie, eine Verteidigung!
Wie es nun weiter geht und schon auf den Seiten vorher zu lesen
war, kann sich ja nun wohl jedermann selber vorstellen nach diesem
Pröbchen. Mag es sich nun um das Leben und die Lehren des Buddha, um
seine Jünger, seine Laienanhänger oder um sonst etwas Buddhistisches
ältesten oder neuesten Datums handeln: Alles ausnahmslos findet hier
seine Kritik nach obigem Muster. — So schien unsere Lesearbeit ziem-
lich langweilig werden zu wollen. Aber trotzdem sind wir, und bald
genug, auf unsere Kosten gekommen, wenn auch schwerlich nach den
Intentionen des Autors. Wenn man nämlich ein Weilchen nur mit einiger
Aufmerksamkeit gelesen, wird man plötzlich mit Überraschung gewahr,
dass alles ohne Ausnahme, was hier dem Buddhismus so bitter aufgerech-
net wird, genau dasselbe ist, was bald dem Christentume im allgemeinen,
bald dem Katholizismus im besonderen von ihren Kritikern vorgehalten
zu werden pflegt. Da fehlt weder die Authenticität der Texte, noch ihre
Vertrauenswürdigkeit rücksichtlich Wundergeschichten etc., weder die
Transsubstantiation, noch die Unverständlichkeit des Lateinischen für
Laien, weder die Moraltheologie des Liguori, noch gewisse neueste Straf-
prozesse gegen christliche Geistliche usw. Nichts bleibt unserem Er-
innerungsvermögen erspart; der Verfasser suggeriert uns all und jedes I
Aber auch er scheint von solcher Suggestion nicht freigeblieben zu sein.
Beim Pätimokkha z. B., S. 53, scheint ihm so etwas in den Sinn ge-
kommen zu sein, wie eine Erinnerung an das Gleichnis vom Splitter im
Auge. Er beklagt da, dass unser Jahrhundert „so krankhaft erregbare
Nerven gegenüber dem geringsten Scheine eines Schattens im Christen-
tume zeigt." Also doch „der geringste Schein eines Schattens." Wes-
halb übersetzt er uns nicht lieber bei dieser so günstigen Gelegenheit
M Die buddhistische Welt. 1. Jahrg.
etwas z. B. aus der Theologia moralis des heiligen Dr. Alphonsus iWaria
de Liguori? Fügte er dann hinzu, dass diese für den Gebrauch im
Beichtstuhl bestimmt ist, zum Ausfragen der Ehefrauen und Töchter an-
derer Leute durch einen Cölibatären unter vier Augen, und nicht für eine
Versammlung erwachsener, selbständiger Männer, so würde er schnell
genug erfahren, ob auch Leute von festen Nerven, allerfestesten und gesun-
desten sogar, nicht doch etwas anderes darin sehen, als den „Schein
eines Schattens."
Auf die gleiche Art wie vorstehend, stets zu seinem Schaden, Hesse
sich ausnahmslos alles und ohne irgend welche Mühe widerlegen, was
der Autor dem Buddhismus zum Vorwurfe macht. Wollte er das? Wir
verzichten trotzdem.
Nebenher bekommen dann auch die Leute von der Ethischen Kultur
und auch die Theosophen ihr Teil. Doch das interessiert hier nicht weiter.
Was nun der Autor als seinen eigenen, selbstverständlich positiv-
christlichen Standpunkt darlegt, deckt sich mit dem, was uns meistens
schon auf den Schulbänken zuwider geworden ist. Auch hier gelingt
es ihm noch rücksichtlich des von ihm Beabsichtigten in mitunter recht
tragikomischer Weise danebenzugreifen. — So illustriert er seine Glautjens-
stärke an der Erweckung des Lazarus. Angenommen, die Sache habe
sich so verhalten. Aber was beweist sie denn? Eigentlich doch, dass
ein Mensch, entgegen den Behauptungen des Autors, unter Umständen
auch öfter sterben kann, als nur ein Mal. Was die Wiedergeburt des
Lazarus von der indo-buddhistischen Wiedergeburt unterscheidet, ist in
der Hauptsache das, dass dem zweiten Dasein des Lazarus die Kinder-
und Jugendzeit fehlte. Als erwachsener Mann kam er in das Leben zu-
rück; möglichen Falles eben so schwach und gebrechlich, wie wenige
Tage vor seinem ersten Tode. Ob das ein Glück war, über welches er
und seine Angehörigen sich zu freuen Ursache hatten?
„Nur unter dem Schatten des Kreuzes wird die alte und neue Welt
ihre höchsten Kulturgüter wahren, nur die Religion des Kreuzes wird dem
nach Erlösung schmachtenden Inder wahre Erlösung, menschenwürdige
Erlösung und alle Segnungen bringen für Zeit und Ewigkeit, welche die
Religion des Kreuzes so reichlich über alle Völker ausgiesst . . . ." ruft
der Verfasser zum Schluss S. 129 aus. Wie diese „Kulturgüter" und
„Segnungen für Zeit" aussehen, erfährt man auf S. 85, wo man es eine
„unendliche Liebestat Gottes nennen rauss, wenn er den Menschen mehr
oder weniger sein ganzes Leben lang von Kreuz und Leid geplagt sein
lässt." Und S. 88, wo es heisst: „Gerade die Übel dieses Lebens be-
weisen das Dasein eines persönlichen Gottes." — Das ist also der
Weisheit letzter Schluss. Elend sollen wir sein, elend muss man die
Menschen machen, damit Gottes Herrlichkeit offenbar werde!
Mehr oder Ärgeres hat keiner der zahlreichen antikirchlichen und
atheistischen Historiker und Pamphletisten gegen das Christentum und
seine Einrichtungen vorzubringen gewusst, wie dieser Pater S. J. in diesen
paar Worten. — Wir lassen ihm gerne seine „Religion des Kreuzes" und
ertragen es neidlos, dass man die unserige weder nach einem Kreuz,
noch nach einem Galgen, Richtbeil, Scheiterhaufen oder einem anderen
Mordinstrumente nennen kann. Sie ist, was sie war, und bleibt, was
sie ist: die Religion des in der Weisheit beruhenden Friedens, in welchem
Mass, Neid, Hochmut, Gier keine Stätte besitzen ; tolerant, weil sie kein
Gewerbe ist; frei, weil sie für keine Mächtigen Bütteldienste am Geiste
der Unterdrückten verrichtet; unbenötigt der Gotteslästerungs- und
Religionsschmähungsparagraphen, weil sie als Wahrheit die Logik auf
ihrer Seite hat; unbefleckt vom Blute der Folterkammern, Schafotte und
Religionskriege wie vom Qualme der Ketzerverbrennungen. Und von
No. 12. Die buddhistische Welt. fl6
den Übeln des Lebens lehrt sie nicht, dass sie eine ewige und gar
segensreiche Institution eines allgütigen Gottes seien, sondern sie sagt:
„Alles, was dich plagt und peinigt, hat seine natürliche Ursache. Betäube
dich darum nicht mit Hoffnungen auf fremde Hilfe. Bitte und bete nicht
um Hilfe, denn das ist zwecklos und Zeitvergeudung. Willst du, dass
es besser werde, so benutze deinen dir angeborenen Menschenverstand,
das einzige, was dir zu helfen vermag, und erforsche die Ursachen deines
Elendes, deiner Leiden. Hast du sie gefunden, so nimm nicht etwa Rache,
denn nicht durch Böses, sondern durch das Gute wird das Böse beseitigt.
Beseitige daher die bösen Ursachen, so bist du frei von deren bösen
Wirkungen: all dein Elend hat dann ein Ende. Es ist nicht ewig!"
Dr. H.
Kokoro. Von Lafcadio Hearn. Einzig autorisierte Übersetzung aus
dem Englischen von Berta Franzos. Mit Vorwort von Hugo
von Hofmannsthal. Buchschmuck von Emil Orlik. Frankfurt
a. M. Literarische Anstalt Rütten <S Loening. 1905. 290 S. Preis:
brosch. 5 Mk., geb. 7 Mk.
Ein wundervolles Buch! Nichts Alltägliches, Gewöhnliches, sondern
eine ganz aussergewöhnliche Schöpfung. Wer Lafcadio Hearn nicht ge-
lesen hat, hat nichts gelesen von dem, was über Japan geschrieben ist.
Es ist wirklich wunderbar, mit welcher Tiefe und Innigkeit der Verfasser
die Seele des seltsamen Volkes im fernsten Osten in sich aufgenommen
hat. Über dem Ganzen liegt ein Kolorit, das sich unmöglich in Worten
wiedergeben lässt. Wir lesen kein Buch, — nein, wir sind in Japan,
hören japanische Lieder, atmen japanische Luft, besuchen einsame Tempel,
lassen uns von Priestern belehren, sehen und fühlen japanische Trauer
und Freude. Stereoskopartig stehen die Bilder vor uns mit einer Lebens-
wahrheit und Ausprägung im Einzelnen, die durch und durch meisterhaft
ist. Wir freuen uns noch am Bilde, — da, plötzlich ein anderes, ebenso
klar, lieblich, schön und herzerfreuend. So reiht sich Bild an Bild, und
wenn man das Buch aus der Hand legt, fühlt man erst ganz die Grösse
und Reinheit dieses Genusses im Gegensatz zu den zweifelhaften Ge-
nüssen unserer modernen Decadence-Literatur. Hier weht göttlich-reine,
frische, krystallklare Bergesluft, ein Labsal für den, der gezwungen ist,
für gewöhnlich den Strassenstaub der Moderne zu schlucken. Bald heiter,
bald ernst, bald leichte Genre-Bildchen, bald tiefernste Schilderungen, so
ziehen diese entzückenden Gemälde plastisch an unserem geistigen Auge vor-
über, aber nie verfehlen sie, das höchste Interesse wachzurufen! Wie
rührend ist da die Erzählung von der »Nonne im Tempel von Amida«,
wie tief ergreifend die Skizze »Auf einer Eisenbahnstation«, wie
ernst und tief die Kapitel »Die Macht des Karma«, »Die Idee der
Präexistenz«, »Gedanken über den Ahnenkult«! Und dann wieder
»Götterdämmerung« mit ihren geistvollen Betrachtungen über japani-
sche Buddha-Statuen. Hier sagt Hearn: „Die reine Klarheit, die leiden-
schaftslose Zärtlichkeit dieser Buddhagesichter vermag noch jetzt dem
Abendland Seelenfrieden zu bringen, das in seinen zur Konvention herab-
gesunkenen Religionen keine Befriedigung mehr findet und dem Kommen
eines neuen Heilandes entgegenharrt, der da verkünden wird: ,Ich habe
dieselbe Liebe für Hoch wie für Nieder, für den Sittlichen wie für den Un-
sittlichen, für den Verderbten wie für den Tugendhaften, für jene, die
Irrlehren anhängen, wie für jene, deren Glaube gut und wahr ist.'"
So haben wir in der Tat ein Werk vor uns, welches die höchste
Aufmerksamkeit der gebildeten Welt beanspruchen muss. Dass ein Bud-
dhist aus den Hearnschen Werken wertvolle Beiträge zum Verständnis
des japanischen Buddhismus erhält, macht diese Bücher für unsere
üesinnesgenossen um so wertvoller. Wir werden uns sehr bald mit einer
96 Die buddhistische Weit. 1. Jahrg.
anderen Schöpfung des hervorragenden Autors beschäftigen ; vor der
Hand empfehlen wir »Koiioro« aufs wärmste, dessen deutsche Über-
setzung und künstlerische Ausstattung dem Inhalt adäquat sind. — S.
The Light of Dharma. A Religious Magazine devoted to the Teachings
o? Buddha. Edited by Rev. K. Uchida. San Francisco, Cal.
U.-S. A., Vol. IV, No. 4. Januar 1906. Pp. 103—134. — Inhalt:
Das Phänomenale und das Hyperphänomenale. — Altruismus im
Buddhismus. — Buddhismus. — Eine kurze Skizze der Shin-shu.
— Das blumenreiche Japan. — Die Schwelle buddhistischer Sitten-
lehren. — Die Behandlung gefangener und verwundeter Russen
seitens der Japaner. — Notizen des Herausgebers. — Bücherschau.
The Journal of the Mahäbodhi-Society. Edited by the Anagärika H.
Dharmapäla. Colombo, Ceylon. Vol. .XIV, No. 1. Januar 1906.
Pp. 1 — 16. Inhalt: Ein Rückblick. — Übersicht über den Angut-
tara-Nikäya. — Der Unterschied zwischen dem Buddhismus und
anderen Religionen. — Mitteilungen und Notizen. — Nachruf für
Eduard Atkinson. —
Ein deutscher Buddhist (Oberpräsidialral Theodor SchuUze).
Biographische Skizze ron Dr. Rrlhur Pfungsf. Zweite uer-
mehrle Auflage. ITlif Bildnis. Sfudgarf. Fr. Frommanns Derlag
1901. 51 S. Preis brosch. 0,75 mk.
Der Derfasser bemerk! in seinem DorvDorf zu diesem rech! beachlcns-
vocrten Büchlein: „Es war mir eine besondere Freude, dass es dieser
kleinen Schriff oergönnf gewesen isi, zum erslen Ulalc wcifere Rreise
auf die einzigarlige Persönlichkei! des »Dcufschcn Buddhisten« aufmerk-
sam zu machen, welcher wie kaum ein anderer, dazu berufen erscheint,
ein entscheidendes IDort zu den religiösen Kämpfen unserer Zeit zu
sprechen. Oberpräsidialral Schulfze hätte es in seinen letzten Lebens-
jahren gewiss nicht für möglich gehalten, dass die Frage, wie sich der
RuKurwert des Christentums zu dem des Buddhismus üerhalie — jenes
Problem, dessen Studium ihn unablässig anzog — so bald oon höchst
aktueller Bedeutung werden würdel lüenn man aber seine Schriften
liest, in denen er mit furchtbarem Ernste die Fragen behandelt, die heute
an jedem lüirtshaustischc besprochen werden, dann gelangt man zu der
Überzeugung, dass er uorausgesehen haben muss, wie die lücltanschau-
ung des abendländischen Rulturkreises mit der des ostasiatischen in nicht
ferner Zeit cerhängnisooll zusammenprallen würde. IDenn ich in der
Dorrede zur ersten Auflage dieser Schriff die Erwartung ausgesprochen
habe, dass ich durch meine Arbeit uielleicht der lüissenscliaft einen
Dienst leisten würde, so möchte ich heute der Fioffnung Ausdruck geben,
dass es dieser neuen Auflage üergönnt sein möchte, auch die Augen der
Politiker auf Schultzes Bücher zu lenken, mehrere der schwierigsten
Probleme, welche heute Parlamente und Kabinette in inlensiusfer IDcise
beschäftigen, — ich möchte als Beispiel nur die Diskussionen über den
Unwert oder den lüert der missionen erwähnen — sind uon Schultze
eingehend behandelt worden. Die f'^esultale, zu denen er gelangt ist,
ccrdienen um so höhere Beachtung, als er, dem Streite des Tages ent-
rückt, frei üon jeder leidenschaftlichen Parteinahme die Probleme rein
theoretisch und ausschliesslich mit wissenschaftlichen millcln zu lösen
oersucht hat."
^eder, der Theodor Schultzes Fiaupfwerk »Die Religion der
Zukunft« wirklich studiert und mit (äenuss gelesen hat, wird gern zu
dem üorliegenden Büchlein greifen, in dem Arthur Pfungst den Charakter,
Iscbensgang und die Qeistesrichtung dieses bedeufenden ITIannes so an-
ziehend gezeichnet hat. S.
Verantwortlicher Redakteor: G. A. Dietze, I-eipzig. — Verlag: Bnddhistischer VerUg
In Leipzig. — Druck: Arno Bachmann, Baalsdorf-Leipzig.
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