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MÜNCHENER BEITRÄGE
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HERAUSGEGEBEN
VON
E BREYMANN und J. SCHICK.
XXXIV.
DER EINFLUSS VON AEIOST'S ORLANDO FUEIOSO AUF
DAS FRANZÖSISCHE THEATER.
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LEIPZIG.
A. DEICHERT'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1905.
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DER EINFLÜSS
VON
ARIOST'S ORLANDO FÜRIOSO
AUF DAS
FRANZÖSISCHE THEATER
VON
Db. TH. ROTH,
OBERLEHRER AM REALGYMNASIUM ZU VEGESACK.
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LEIPZIG.
A. DEICH ER T'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHT.
(GEORG BÖHME).
1905.
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Alle Rechte vorbehalten.
Inhalt.
Seite
Vorwort VI
Benützte Literatur VII
Einleitung.
1. Der Einfluß Italiens auf die französische Literatur im all-
gemeinen 1
2. Der Einfluß Italiens auf die franz. Lyrik 9
3. Italienischer Einfluß auf das franz. Epos . . ' 25
4. Italienischer Einfluß auf die Erzählung und den Roman . 29
5. Italienischer Einfluß auf das franz. Theater.
I. Italienische Schauspieler in Frankreich 37
II. Einfluß Italiens auf die franz. Tragödie 45
lU. Einfluß Italiens auf die franz. Komödie 53
IV. Einfluß Italiens auf die franz. Pastorale 67
V. Einfluß Italiens auf die franz. Oper 71
Ariost in Frankreich.
I. Übersetzungen 75
II. Ariost in der franz. Lyrik 76
III. Ariost im franz. Epos 88
IV. Ariost im franz. Theater 102
1. Die Bradamante-Episode " 104
2. Die Koland-Episode 166
3. Die Isabella-Episode 1^4
4. Die Ginevra-Episode 203
5. Die Alcina-Episode 220
6. Die Joconde-Episode 225
7. Die Erzählung vom Zauberbecher 234
8. Die Erzählung von den verzauberten Quellen . . . 241
9. Die Erzählung vom Amazonenstaate 242
10. Die Ring-Episode 244
11. Die Atlante-Episode 245
12. Einzelne Entlehnungen aus dem Orl. für 245
Ergebnisse 248
Anhang: Ariost-Ubersetzungen 256
Vorwort.
Die Torliegende Abhandlung ist der erste Versuch, ein
Gesamtbild zu geben von dem Einfluß, den der Orlando fu-
rioso des Ariost auf die französische Literatur ausgeübt
hat. Ihre Entstehung verdankt sie in erster Linie den An-
regungen und Katschlägen meines hochverehrten Lehrers,
Herrn Professors Dr. Breymann. Daher sei es mir ge-
stattet, ihm an dieser Stelle meinen tiefen Dank für seine
mühevolle Unterstützung sowohl bei der Abfassung der Arbeit
als auch ganz besonders bei der Durchsicht der Korrekturen
auszusprechen.
Ebenso herzlich danke ich Herrn Professor Dr. Schick
für seine liebenswürdige Beihilfe bei der Durchsicht der
Korrekturen; ferner der Staats- und der Universitäts-
bibliothek zu München, der Stadtbibliothek zu
BTemen, der Kgl. Bibliothek zu Berlin, endlich den
Bibliotheken de PArsenal, Mazarine, Ste-Genevieve
und der Nationalbibliothek zu Paris, welche alle
meine Wünsche, soweit sie vermochten, mit bekannter Bereit-
willigkeit und Liebenswürdigkeit erfüllt haben.
Benutzte Literatur.
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nos jours. Milan. 1861. 8^.
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terature fran^aise. P. 1858. 8^.
Aumer, Gh.: Astolphe et Joconde ou les coureurs d^avan-
tures. P. 1827. 8^
Baif, Ant. de, (Eueres en rime, p. p. Marty-Laveaux.
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Baillet: Jugements des Savants, rev. et corr. par La Mon-
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Bauter, Ch. : La Rodomontade, Tragedie de Rodomont,
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Casanova, G. : Memoires ecrites par lui-meme. P. 1880.
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Coignee de Bourron: Les Amours d'Angelique et de
Medor avec les furies de Roland et la mort de Sacri-
pant, Roy de Circassye et plusieurs beaux effets con-
tenus en cette tragedie tiree de FArioste et qui est en
cinq actes en vers sans distinctions de scenes. Troyes.
(N. Oudot). 1620. 12».
[Coignee de Bourron]: Les Amours de Zerbin et d'Isa-
belle princesse fugitive oü il est remarque les perils et
grandes fortunes passees par le dit Zerbin recherchant
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Le Sage, A. R. : Les eaux de Merlin. Opera comique en
un acte et en Vaudeville, im 2. Bande des Thßätre de
la Foire, contenant les meilleures piöces, qui ont ete re-
pr^sentees aux foires de St-Germain et de St-Laurent . . .
recueillies, revues et corrigees p. M. M. Le Sage et
d'Orneval. P. (Etienne Ganneau). 1721. 9 Bde. 12».
Le Sage et d'Orneval: L'isle des Amazones. Opera Co-
— XV -
mique en un acte et eo Vaudeville, im 3. Bande des
Theätre de la Poire. P. 1721. 9 Bde. 12^
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11*
— XX —
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in : Gion stor. XXXI, 442.
— — : Quelques sources italiennes du Theätre comique
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Vauquelin de la Fresnaye: Diverses poesies, p. p.
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— — : Les Foresteries, p. p. J. Travers. Caen. 1872. 8^.
Vianey, J.: Mathurin Rögnier. P. 1896. S^,
: Les ödes pindariques de Ronsard, in : Rev. d. langues
rom. 1900. sept.-oct.
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La Source de TOlive, in: Rev. crit. 1902. 21 oct.
ün modele de Desportes non signale encore, in : Rev.
d'Hist. litt, de la Fr. 1903. X, 277 ff.
: L'Arioste et les Discours de Ronsard, in: Rev. üni-
versitaire 1903. XII, 473—75.
: La part de l'imitation dans les Regrets, in : BuU. ital.
IV, Iff.
Vollhart, W. : Die Quelle von Moliere's Tartuffe, in: Herr.'s
Arch. Bd. 91, S. 55—68.
Voltaire: CEuvres, p. p. Beuchot. P. 1829—34. 70 Bde. S^
Wagner, E. W. : Mellin de St-Gelais. — Eine literarische
u. geschichtliche Untersuchung. Ludwigshafen a. Rh.
1893. 8<>.
- XXI —
Weinberg, G.: Geschichte des franz. Schäferspiels in der
ersten Hälfte des 17. Jahrh.'s. Prankfurt a. M. 1884. 8^
Wenzel, G. : P. Larivey's Komödien und ihr Einfluß auf
Moliöre, in: Herr.'s Arch. Bd. 82, S. 63-81.
: Ästhetische und sprachliche Studien über Antoine de
Monchretien, im Vergleich zu seinen Zeitgenossen. (Diss.).
Weimar. 1885. 8<>.
Y u n g : Moli^re's Stegreif komödien, in : ZfrSp. XXII, 190 flf.
Zumbini, B.: Studj di lett. stran. Firenze. 1893. 8^ (Vgl.
Gier. stör. Bd. 23, 292 ff.).
Anm. In der obigen Liste sind folgende von dem Verfasser
benutzte Arbeiten nicht mit verzeichnet worden, da deren Titel bereits
bei Klein, der Chor, p. IX ff.. Fest, der Miles glor., p. IX ff.; Ebner,
Beitrag, p. IX ff.; Buchetmann, Rotrou's Antigone, p. VIII ff. ; Böhm, Bei-
träge, p. Xff. und Holl, Tendenzdrama, p. Xff. aufgeführt sind: Amicis,
L'imitazione latina; Ancien theätre fr., p. p. Viollet le Duc; D^Ancona,
I comici italiani; Anecdotes dramatiques; Baschet, Les comediens;
Beauchamps, Recherches; Belleau, (Euvres poetiques; Bibliotheque
du th. fr., p. p. La Valliere; Birch-Hirschfeld, Geschichte; Brunet,
Manuel; Ohasles, E., La comedie; Chasles, Ph. Etudes; Creizenach, Ge-
schichte; Darmesteter et Hatzfeld, Le 16e siecle; Dhom, Welches ist
das Verhältnis . . . . ; Des Masures, Tragedies sainctes ; Didot, Dict. gen. ;
Doumic, Marguerite de Navarre; Du Verdier, La biblioth^ue; l abert ,
Entwicklungsgeschichte; Faguet, La tragedie; Fournier, Le theätre fr.
au 16e et au 17e siecle; Fournier, Varietes hist. et litt.; Garnier, Les
tragedies, herausgeg. v. W. Förster; Gaspary, Geschichte; Goedeke,
Grundriß; Goujet, Bibliotheque; Gröhler, P. Scarron; Haag, La France
protestante; Histoire universelle des theätres; Jodelle, (Euvres, p. p.
Marty-Laveaux ; Journal du theätre frangais (zitiert nach Faguet);
Julleville, Histoire du theätre en Fr. au m. äge; derselbe, Hist. de la
langue etc.; Kahnt, Gedankenkreis; Klein, Geschichte des Dramas;
La Croix du Maine et du Verdier, Les bibliothäques ; Larivey, Les
Comedies; La Taille, Jacques de, (Euvres; Lenient, La Satire; Leris,
Dictionnaire portatif; Lotheissen, Moliöre; derselbe, Geschichte; Lucas,
Histoire philosophique ; Mairet, Silvanire, herausgeg. v. K. Otto ; Magnin,
Les origines; Marguerite de Navarre, L'Heptameron ; Michaud, Biogr.
univ. ; Moland, Molifere et la com. ital. ; Moreri, Le grand Dictionnaire
historique; Morf, Geschichte; Mouhy, Tablettes dramatiques; derselbe,
Abrege; Nagel, A. de Baif; Niceron, Memoires; Parfaict, Histoire;
— XXII —
Dieselben, Dictionnaire des theätres; Pasquier, Les JRecherches; Peters,
P. Scarron [Münehener Beiträge, H. 6]; Proelss, Geschichte; ßein-
hardstöttner, Plautus; Kigal, A. Hardy; derselbe, Esquisse; Sainte-
Beuve, Tableau historique; Sand, Masques; Schmidt- Wartenberg,
Seneca's Einfluß; Stiefel, über die Chronologie; Suchier und Birch-
Hirschfeld, Geschichte; Tivier, flistoire; Toldo, Figaro; derselbe, Ce
que Scarron doit . . . . ; derselbe, Le theätre de la Renaissance ; Vapereau,
Dictionnaire; Wiese u. Percopo, Geschichte.
Einleitung.
1. Der Einfloß Italiens anf die französische Literatur
im allgemeinen.
Der Einfluß der italieDischen Literatur auf die fran-
zösische ist der tiefgehendste und erfolgreichste gewesen, den
je eine fremde Literatur auf das französische Schrifttum aus-
zuüben vermocht hat. Trotzdem fehlt es immer noch an einer
das gesamte Gebiet der Literatur umfassenden Darstellung
dieses Einflusses. Seitdem mit der Renaissance das
Studium des klassischen Altertums seinen Einzug in Frank-
reich gehalten hatte, ward man nicht müde, die Alten als die
unerreichten Vorbilder zu preisen und ihre Nachahmung als
die sicherste Gewähr für die Unsterblichkeit eines Werkes
hinzustellen; in Wirklichkeit aber plünderte man die Schätze
der spanischen und ganz besonders der italienischen Lite-
, ratur, meist ohne Quellenangabe, oft auch mit der lügenhaften
Angabe antiker, Vorbilder.^) Es ist daher begreiflich, wenn
die Literarhistoriker des 16. bis 18. Jahrhunderts, soweit sie
überhaupt sich mit Quellenforschung beschäftigen, zunächst
den klassischen Einfluß auf die französische Literatur hervor-
heben, weniger aber den italienischen beleuchten. So zählt
Du Verdier (1585) nur die Übersetzungen und freien Über-
tragungen italienischer Dichter auf, scheint aber nichts von
^) Texte, Les orig. de la Ben. (R. des c. et c.) 1894, S. 248: o^lls
ont pleine la houche de la tragedie grecque; en fait ih lisent et relisent
la Sophonisbe de Trissin; sHls imiteront Terence ow Piaute, leur vrai
10\imdMe est tme comedie de Bihbiena.»
Münohener Beiträge z. romanisclien u. engl. Philologie. XXXIV. 1
— 2 —
der itaKanisierenden franz. Lyrik des 16. Jahrb. zu wissen;
so erwähnt er von Mellin de St- Gelais nur die Ginevra
und die Sophonisbe als Nachahmungen der Italiener^), von
Desportes nur die Übertragungen aus dem Rasenden Boland
und aus Aretino's Marfisa.^) Goujet behandelt allerdings in
einem eigenen Bande die italienischen Übersetzungen, doch
führt er von sonstigen Einflüssen der italienischen Literatur
wenig an. Du ßellay nennt er den französischen Ovid*);
Ronsard hat nach ihm nur das Altertum zum Vorbilde ge-
nommen *) ; auch bei Ant. Baif wird mit keinem Worte des
italienischen Einflusses gedacht.^) Besser unterrichtet sind
die Brüder Parfaict in ihrer Histoire du theäire frangais (1745 ff.)
und Beauchamps in seinen Recherches (1736), da die Bühnen-
dichter gewöhnlich die Quelle, aus welcher sie ihre Stoffe
schöpften, angegeben haben. Wo das jedoch nicht der Fall
ist, sind ihre Quellenangaben mit großer Vorsicht aufzunehmen.*)
Erst im 19. Jahrhundert beschäftigt sich eine Reihe
hervorragender Gelehrter mit der Untersuchung dieses Ein-
flusses. Ant. Scoppa stellt 1803 in seinem Traue de Ja poesie
italienne, rapporte ä la poesie frangaise eine eingehende Unter-
suchung über die französische Prosodie an und kommt zu
dem Resultate, daß ein großer Teil der franz. Verskunst von
der italienischen beeinflußt sei."^ Weit wichtiger ist Rathery's
Infliience de Vltalie sur les lettres frangaises, depuis le XIII^ s,
jusqu^au regne de Louis XIV, Doch gibt Rathery nur einen
allgemeinen Überblick über den italienischen Einfluß in Frank-
reich; einen großen Raum nimmt zudem die Untersuchung
von Frankreichs Einfluß auf Italien ein®); so handeln die
^) BiUioth, S. 864.
*) Ibd. S. 947.
5) Bibl. frang. XU, 119.
*) Ihd. XII, 192.
») Ihd. Xni, 340.
•) Vgl. über die geringe Zuverlässigkeit ihrer Angaben Böhm, Beitr,
z. Kenntnis d. Einflusses Seneca^s {S. 28—31)^ woselbst sich noch weitere
Literaturnachweise finden,
') Traite, S. 245 ff.
•) Oe Isner, Dante in Frankreich, unterzieht das Buch einer
— 3 —
ersten 50 Seiten nur von dem letzteren. Spricht er z. B. von
Tasso, 80 ist ihm in erster Linie daran gelegen, zu be-
weisen, daß der italienische Dichter häufig auf altfranzösische
Quellen zurückgeht; zum Schlüsse erst fügt er hinzu, wie
Boileau und Voltaire über den Dichter geurteilt haben.^)
Über Konsard und seine Schüler weiß er nur zu sagen, daß
sie besonders Petrarca, Bembo und Sannazar nachahmen®);
in ähnlicher, allgemeiner Weise wird die Pastorale behandelt.
Gründlicher und übersichtlicher behandelt Amould den
Gegenstand in seinen Essais de tkeorie et cfhisioire Mtteraire
(1858); er betrachtet die einzelnen Literaturgattungen in
chronologischer Reihenfolge und untersucht besonders eingehend
den Einfluß des italienischen Stiles auf den französischen. ^)
Was den stofflichen Teil betrifft, so geht er, wie sein Vor-
gänger, nie auf Einzelheiten ein. So sagt er z. B. über die
franz. Dichter des 16. Jahrhunderts*): tll serait fädle de relever
dans les oeuvres de Ronswd^ de du Bellay^ de Baif de Bemi
BelleaUy de Desportes et en general des poetes de lä seconde moitie
du 16* siede un grand nombre de moreeanx lyriques, ödes, sonnets,
ckansons, madrigaux, imites ou traduits de l'italien, mais cela noics
apprendrait peu de chose.^ (\) Ihm ist es besonders darum zu
tun, das resultat definitif festzustellen.
Auch Demogeot widmet einen größeren Abschnitt seiner
Histoire des litteratures etrangeres (1880) dem italienischen Ein-
flüsse.*) Er verfolgt ihn als erster, allerdings in ganz kurzen
Umrissen, vom Beginn des 15. Jahrhunderts bis in die erste
Hälfte des 19. Jahrhunderts, lehnt sich jedoch allzusehr an
ßathery an, den er auch in der ausführlichen Behandlung
des französischen Einflusses auf die italienische Literatur
nachahmt.
scharfen Kritik; Demogeot, Hist, des litt, itr.^ spricht ihm die Gründ-
lichkeit ab.
^) Influence, S. 96.
«) Ibd., 8. 110.
®) Essais j S. 335: «De Vinfluence exercee par la litterafure italienne
sur la litterature frangaise.»
*) Ibd., S. 416.
») Chap. XIII 135 ff.
1*
— 4 —
. In demselben Jahre (1880) erschien die erste be-
deutendere Arbeit über die italienischen Schauspieler in Frank-
reich, besonders in Paris, von Campardon, welcher sich
ausschließlich mit der inneren Geschichte derselben, mit ihren
Beziehungen zum französischen Hofe, ihren Einnahmen, ihrer
sozialen Stellung und ihrem Privatleben beschäftigt.^) Auch
Baschet geht in seinen Comediens itaUens ä la cour de France
nicht auf den literarischen Einfluß der italienischen Schau-
spieler ein.
Von deutschen Forschem kommt besonders Lotheissen's
Geschichte der französischen Literatur im 17, Jahrhundert (1877)
in Betracht; zwar weist er nachdrücklich auf die wichtige
Bolle hin, welche Italiens Schrifttum in Frankreich spielt*),
doch geht er nicht viel über Eathery und Demogeot hinaus ;
auch ihm ist die Pleiade in erster Linie Nachahmerin der
Alten, Malherbe einseitiger Bewunderer der Griechen und
Römer, Regnier nur ein Schüler des Horaz.^) Ergiebiger
dagegen ist Proelss' Abschnitt über dieses Thema in seiner
Geschichte des neueren Dramas (1880/83) *), besonders der Teil,
welcher die französische Oper^) behandelt, während ihm da-
gegen bei der Besprechung der Tragödie und der Komödie
nicht wenige Irrtümer unterlaufen.®)
Erst das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts bringt
. uns mehrere eingehende Abhandlungen über einzelne Epochen
der französischen Literatur, in denen die italienische Ein-
wirkung sich besonders geltend macht.
N o 1 h a c und S o 1 e r t i liefern einen ausführlichen Bericht
von Heinrich's III. Reise nach Italien und von seinem ersten
Zusammentreffen mit den Comid gelosi in Yenedig,'^ Stiefel
^) Les comediens du roi de la troupe iialienne etc. Par. 1880. 8^.
2) Geschichte J, 25, 27, 264: ff.; IV, 9 ff.
») Ibd. 7, 30.
*) Cf. Bd. II, Halbhand 1, 8-314. .
6) Ibd., S. 234—310.
*) Ibd., S. 22 : Die Corrivaux sollen die Übersetzung eines Ariosf sehen
Lustspieles sein! S. 26: Die Deguisez des J. Godard sind nach ihm
von Larivey beeinflufH.
') Nolhac e Solerti, 11 viaggio in Italia di Enrico III etc
1890; vgl. aiich das Giom, stör. 1891, XVIL 146ff.
_• 5 —
untersncht die itaL Quellen des Pofrasüe Ton Tristran VHermiU
und eimge unbekanDte Quellen Eotrou'scber Stücke.^) Texte
beginnt seine Forschungen über Italiens Einfluß auf die fran-
zösische Renaissance, welcher nach ihm darin bestand, daß
er in die Sprache Anmut und Keinheit brachte, in dem
Dichter einen stark ausgeprägten Individualismus großzog und
die idee d!art als obersten Grundsatz für jeden Dichter auf-
stellte.^) Allerdings bleibt uns Texte einen befriedigienden
Beweis für diese von ihm aufgestellten Punkte schuldig. Die
Zeit Franz' I. wird hinsichtlich des italienischen Einflusses
eingehend von Fr. Flamini untersucht, welcher im 4. E^apitel
seiner Studi eine Beihe neuer Tatsachen zutage fordert und
besonders das Wirken italienischer Gelehrter am Hofe und
an der Pariser Universität schildert.^)
Während er in einem weiteren Kapitel gelegentlich der
Besprechung von Odet de laNoue's Gedichten den italieni-
schen Einfloß zur Zeit Heinrich's III. nur kurz behandelt^),
ist den Entlehnungen Desportes' bei den italienischen.
Dichtem ein breiterer Baum gewidmet ^), wobei er viel Neues
bringt; so findet er in Desportes' Sonettensammlung Les ren-
canires des Muses de Franee et d^Itcdie zu der bis dahin auf 43
angegebenen Zahl von entlehnten Sonetten 10 weitere, deren
Quellen Sonette von Domenichi, Amomo, Kota und.
Marini bilden/)
Das größte Verdienst um die Forschungen auf diesem
Gebiete jedoch hat der unermüdlich fleißige Toldo sich
erworben, der eine geradezu erstaunliche Kenntnis der
^) Tristan V Herrn. Le Parasite (1891); derselbe, ünbek, itoL Quellen
J. Rotrou's (1893).
*) Les origines de la Ren. (1894); derselbe, L^influence xiaL dans
la Ren. fr., in seinen Etudes (1898).
*) Studi di storia lett., aap. IV, 197—339; auf S. 206—209 führt er
die Namen v(m 6 bedeutenden Gelehrten an der Pariser Univ. an von
itaL Dichtem am Hofe Franz I. ioerden besonders Amomo und G. Camillo
Delminio (S. 297 ff., bzw. 319 ff.) behandelt.
*) Le rime di Odetto de la Noue e Vltcdianismo aftempo d^ Enrico
III, ibd., 8, 370—381.
*) I plagi di Ph. Desportes, ibd,, 8. 347 ff., und Appendix, 8. 431 ff.
•) Le rime, ibd., 8. 358—360.
— 6 —
italienischen und französischen Literatur an den Tag legt.
Er untersucht die Quellen der französischen Novellen des
16. und 17. Jahrhunderts und findet, daß nahezu die Hälfte
derselben lange vorher schon in italienischen Novellensamm-
lungen enthalten waren. ^) Wenn auch G. Paris bestreitet,
daß Toldo's Quellenangaben für alle Novellen richtig seien,
so muß er doch zugeben, daß in den meisten ein italienischer
Einfluß sich geltend macht. ^) Noch wichtiger sind seine
Untersuchungen über die Komödie der ßenaissancezeit, welche
er in einer ßeihe von Artikeln in der Revue dUHistoire litteraire
de la France veröffentlicht hat.*)
Nach dem Vorbilde G-aspary's *), den er übrigens nicht
erwähnt, zerlegt er die Handlung in den Lustspielen in ge-
wisse Motive und vergleicht diese in den Komödien der beiden
Literaturen. Da nun gewisse Motive in der Komödie aller
Zeiten unabhängig voneinander wiederkehren und die Grund-
lage fast jeder Litrigue bilden, müssen viele seiner Quellen-
forschungen mit Vorsicht aufgenommen werden. Wir werden
später Gelegenheit haben, ihm eine Anzahl von Irrtümern
nachzuweisen. Trotzdem darf seine Arbeit auf diesem Gebiete
als eine grundlegende bezeichnet werden, ebenso wie seine
Untersuchung über die italienische Kunst bei Rabelais ^), über
Montesquieu's *), Diderot's ') und Voltaire's ®) Beziehungen zur
Literatur jenseits der Alpen.
^) Contributo (1895), pass.
') La nouvelle fr. (Journ. d. Sav. 1895, mai-juin, 289 — 803 \ H42
— 861); der formelle Einfluß wird von G. Paris vollst, zugegeben; hin-
sichtlich des Stoffes tvill er keine „literarischen^ Einflüsse^ sondern in
erster Linie Volksüberlieferung gelten lassen (vgl. ibd., S. 294, 298, 850).
') La Comedie de la Renaissance (Rev. d'Hist. litt. 1897, XXIII,
366—892; 1898, XXIV, 554—608); bei Ret z, La litt, comp., S. 60, un-
richtig angeführt.
*} Geschichte, II, 611 ff.
y *) L'arte ital. nelV op. di Rabelais (ANSp. 1899, Rd. 100, 108—148).
*) Deir Espion di G. P. Mar anno etc. (Giorn. stör. 1897 ff., XXIX,
47—79.)
') Se il Diderot abbia imitato Goldoni (G^orn. stör. 1895. XXVI
S. 850—876).
®) Attinenze fra il teatro comico di Voltaire e quelle di Goldoni
(Giom. stör. 1897, XXXI, 858).
— 7 —
Vianey beleuchtet zum ersten Male das Verhältnis der
Pleiade zu Ariost mit besonderer Berücksichtigung der Lyrik ^);
wenig gelungen ist ihm die Untersuchung über das Theater
des 16. Jahrhunderts, welches nach ihm, besonders in den
Tragödien Garnier's und Montchrestien's, einige Beschreibungen
TOD Zweikämpfen und Schlachten in der Manier des Ariost
aufzuweisen hat. 2) Die Bradamante Garnier's erwähnt er
nicht, ebensowenig die beiden yorhergehenden, dem Orlando
furioso entlehnten Tragikomödien, Yon denen wir allerdings
nur die Titel besitzen. Bouvy liefert uns in seiner Abhand-
lung Voltaire et VItalie (1898) ein reichhaltiges Material über
diese Seite der Voltaireforschung *) ; doch erschöpft er keines-
wegs den Gegenstand. Creizenach's dritter Band seiner
Geschichte des neueren Dramas (1903) berücksichtigt im
richtigen Maße den Einfluß Italiens besonders auf die Komödie,
bringt zum Teil neues Quellenmaterial, so z. B. für die Gorri"
vaux des J. de la Taille, die er ganz richtig auf eine Novelle
im Decamerone (V, 1) zurückführt*), schließt aber seine
Arbeit mit dem Jahre 1570 ab. Mit der Zusammenstellung
italienischer Dichter, die ins Französische übersetzt wurden,
beschäftigen sich Blanc*^) und Guidi*); doch können beide
den Anspruch auf Vollständigkeit nicht erheben; besonders
lückenhaft ist die Kompilation Blanc's; von den 94 Über-
setzungen (nebst deren verschiedenen Auflagen) Ariost's kennt
Blanc nur 46, Guidi zählt deren @)
Den ersten Versuch, die bis 1900 vorhandene Literatur
über die Wechselbeziehungen des italienischen und französi-
>) L'Arioste et la Pleiade (Bull ital, J, 293—317). t
2) Ibd., S. 313.
') B, nennt nicht die ital. Quellen des Zadig^ noch die der J^cossaise,
geht nicht auf die einzelnen Nachahmungen in der Pucelle und in
Henri IV. ein-, auch über die Quelle Tancrlde^s laßt er uns im Un-
gewissen.
.*) Geschichte des neueren Dramas IIT, 93 f.
*) Bibliogr. des irad. fr. d^aut. ital.j in: Bibliopr. italico-franQ.,
II, 1265—1506.
*) Annali delle ediz. e delle versioni delV Orl. für. e d'altm lavori
etc., 8. 177 ff.
— 8 —
sehen Schrifttums machte Betz in seinem bibliographischen
Werke La Uüercdure comparee (1900). Leider sind Betz* An-
gaben allzu unvollständig ^X ^^^ Einteilung ist mangelhaft;
da der Verfasser die Titel, anstatt nach Literaturperioden
oder Literaturgattangen, nach der Zeit ordnet, in der die be-
treffenden Werke erschienen sind. Besonders dürftig ist
der italienisch-französische Teil ausgefallen, in dem Betz zwar
eine ziemlich große Zahl französischer Arbeiten, dagegen fast
gar keine deutschen anführt und Yon den deutschen wissen-
schaftlichen Zeitschriften nur ganz wenige in den Kreis
seiner Untersuchung zieht.
Von den bedeutendsten franz. Literaturgeschichten des
19. Jahrhunderts betonen nur die in der jüngsten Zeit er-
schienenen den Einfluß Italiens. Während Sainte-Beuve ^),
Saint-Marc Girardin ^) und Nisard *) auf die einseitigste Weise
die Nachahmung des Altertums als Yorherrschend bezeichnen
und itsdienische Einwirkungen nur flüchtig berühren, werden
letztere von Lanson, Morf und in Petit de JuUeville's großem
Literaturwerk, wenigstens in bezug auf das Theater mehr be-
rücksichtigt; allerdings ist es bei der Anlage dieser Werke
von. vornherein ausgeschlossen, daß sie auf Einzelheiten ein-
gehen.
Außer den angeführten Werken wurde noch eine größere
^) S. 53 wird ein Artikel von Labitte: Dante, trad. de M. Fiorentino
etc. (B. d. 2 Jkf., 1. nov. 1840) erwähnt, doch suchten wir den Artikel
verglich an dieser Stelle; daselbst vermissen mr bei Hauvette^s Dante
dans la poesie fr. de la Ren. die Angabe, da/J die betr. Abhandl. nur
eine kurze Rede ist. Auf S. 58 ist bei Nunziante's Marino alla corte
di Luigi XIII, welcher in der Nu>ov. AntoL erschien, die Angabe des
Bandes ausgefallen. Murray^s Artikel The influence etc. {S. 66) erschien
in der Academy am 17, Juli, nicht am 4. Sept. Über Betz'' unvoll-
-ständige Angaben cf. Minckwitz, IM. Bl. f. germ. u. rom. Phil. 1902,
S 58; ebenso Bouvy, Buü. ital. 1901, I, 57.
*) Tabl. hist. etc.; er erwähnt ital. Einfl. weder bei Du Bellay
[S. 70 ff.), noch bei Ronsard (S. 80 ff.).
^) Tabl. de la litt, fr.; er erwähnt selbst bei Meli, de St- Gelais
{S. 66) und bei Desportes (S. 80) keinen Einfl. der ital. Lit.
*) Hist. de la litt. fr. ^ III, 74: *La tragidie [est] imitee des anciens,
la tragi'Comedie imitee des Espagnols, la farce imitee de Vitalien.»
— 9 —
Anzahl von SpezialuntersachuDgen zu Rate gezogen, welche
im Laufe unserer Abhandlung besprochen werden sollen.
2. Der Einflufi Italiens anf die franzosiselte Lyrik«
Der umstand, daß das italienische Kom der Sitz der-
Christenheit war, brachte es mit sich, daß sich ein reger
Verkehr zwischen den gebildeten Kreisen Frankreichs und
Italiens bereits frühzeitig entwickelte. Kardinäle, Priester
jeden Standes und Kanges, Diplomaten, Heerführer und ganze
Scharen von Söldnern waren stets auf dem Wege nach dem
Lande jenseits der Alpen, und brachten die großartigen Ein-
drücke, welche die Trümmer der alten Welt und die Nach-
kommen derselben, ihre neue Literatur, ihre Liebe zur Kunst,
auf sie machten, mit nach Hause. ^) Andererseits sandte Italien
eine Eeihe seiner besten Sohne nach dem westlichen Nachbar-
lande, und half so seine höherstehende Kultur dort zu ver*
breiten.^) Thomas von Aquin, Brunetto Latini studieren auf
der Pariser Hochschule. Pico della Mirandola^), Dante*),
Petrarca*^), Boccaccio^) verweilen, wissensdurstig oder schutz-
bedürftig, kürzere oder längere Zeit auf französischem Boden ;
Cretin, Molinet, Chastellain, Meschinot lesen und studieren
bereits die guten Schriftsteller Italiens '), und bald dringen
^) Flamini, Studi, pass.
*) ProelsB, Cresch. II, 1. Halhh., S. 8; Lanson, Hist, 8. 152^
besonders aber Arnaiid, Les Italiens prosateurs fr.y wo diese Reisen der
Italiener nach Frankreich von Brunetto an eingehend behandelt werden,
•) Dorez et Thnasne, Pico d. l Mirandola en France {cf. Qiorn,
stör. XXXI, 145) ; ebenso Morf I, 10 {La Croix, Bibi. J, 439, Seine
Werke wwden von Ä. Baif 1557 übersetzt),
*) Arnould, Essais, S. 338; Kathery, Infi., 8. 20,
*) Lanson, l, c, S. 153, 164; Arnonid, l, c, 8, 338; Gaspary,
I, 409; Couture, Petr, et J, Colonne; cf, Romania 1882, IX, 338,
•) Arnould, l, c, S. 338.
') Rathery, In/?., /S.oo; Ph. Chasles, J^fude», Ä. 867.; Becker,
Jean Lemaire, 8. 298 ff. findet, daß Martin Franc, der Sekretär der Päpste
Felix V, und Nikolaus Y., eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den beiden
— 10 —
XJberBetzuDgen der großen italienischen Dichter Dante, Petrarca
und Boccaccio in weitere Kreise ein.^) Aber erst als die durch
Karl VIII. 1494 begonnenen Feldzüge der französischen Könige
Frankreich das Italien derBenaissance erschlossen hatten, ergoß
sich in das Land ein Strom neuer Ideen, welche die bereits
vorhandene Neigung zur Nachahmung der antiken Literatur
stärkten, klärten und auf eine Besserung der unbefriedigten
Lebenszustände hindrängten.^) Der erste bedeutende Mann,
bei dem sich der neue Einfluß zeigt, ist Jean Lemaire de
Beiges. Seine italienischen Vorbilder sind Dante, Petrarca,
Boccaccio, Filelfo und Serafino.^) Aus der IMv. Com,, deren
Verfasser er mit J. de Meung auf eine Stufe stellt*), nimmt
er die Terzine mit ins Französische, und dichtet in diesem
Versmaße seinen Temple (THonneur et des Vertus.^)
In seinem Buche Concorde des deux langues (1511), in
welchem Lemaire seine Überzeugung von der Überlegenheit
der italienischen Sprache zum Ausdruck bringt, fordert er
am Schlüsse zu gemeinschaftlicher Kulturarbeit der beiden
Länder auf.
Jene Überlegenheit bekundete sich auch darin, daß eine
Anzahl Franzosen sich der italienischen Sprache in Wort
Literaturen gespielt liat; in seinem Champion des Dames schwebt ihm
Daniels Div. Com. vor, auf welche besonders die NacJiahmer des Rosen-
romans ihre Blicke richten. Bocc.^s Decamerone und De claris mulieribus
finden frühzeitig Nachahmer in Frankr. Chastellain schreibt ihm zu
Ehren den «Temple de Bocace». Von Petrarca sind es die rührende
Geschichte von Griselidis und die «Trionfi», welche mit Vorliebe nach-
gebildet werden.
1) Blanc, Bibl Bd. II, S. 1291—94 {Dante); S. 1326—29 (Petrarca);
S. 1278—1281 {Boccaccio) ; von der Übersetzung BoccJs durch Le Ma^on
werden allein 24 Ausg., bzw. Neuauflagen angeführt.
«) Morf, Gesch. J, 10.
») Becker, l. c, S. 297.
*) Oelsner, Dante in Frk., S. 18.
*) Darmest. et Hatzf., Le 16« s., S.84; Lanson, l. c, S. 227;
Birch-Hirschfeld, Gesch. d. frz. Lit. im 16. Jahrh., S. 73, erwähnt
nichts von einem italienischen Einflüsse bei J. Lemaire; Gidel, Hist.
de la litt, fr., S. 27, nennt den «Temple de Venus» eine Dichtung im Geiste
der Trionfi; Morf, l. c, S. 19: y,Er ahmt gern Petrarca nach.^'
— 11 —
und Schrift bedieoten, so G. d'Avost, Gab. de Gutterry,
J. Zuallart, Ph. E. de Gondi, P. Bricardk^) Umgekehrt sehen
wir Italiener, welche das französische Idiom gebrauchen, da-
bei aber eine Heihe von Italianismen mit einmischen.^)
Der bedeutendste dieser Italiener ist G. Alione^), ein politi-
scher Dichter, welcher die Eroberungen der französischen
Könige in Italien feiert. Es ist Elamini's Verdienst, eine
Anzahl der berühmtesten italienischen Humanisten, welche in
französischer Sprache schrieben, der Vergessenheit entrissen
zu haben.*) Stärker wird der italienische Einfluß mit der
Eegierung Franz' I. Nach Kathery dichtete dieser König
selbst in der Manier Petrarca's Sonette *) ; Proelss •) nennt ihn
einen Bewunderer Aretino's; Maulde beschäftigt sich mit
der italienischen Erziehung des Fürsten vornehmlich durch
Quinziano Stoa und schildert den Einfluß derselben auf sein
späteres Leben.') Ob aber Franz I. ein besonderer Beförderer
des italienischen Einflusses auf die franz. Literatur war, ist
zu bezweifeln. Zwar stand er der Benaissancebewegung und
dem Eindringen italienischen Wesens mit großem Wohlwollen
gegenüber, doch fehlte ihm auch hier, wie in der Politik, die
nötige Energie und Aufopferung.®)
^) Siehe darüber Picot, Des Frangais qui ont ^ei'it en Italien^ in: ^
Rev. des Mblioth^queSj Bd. XI, S. 4—6.
*) Birch-Hirschf., Geschichte d. frz. Litt.^ S, 106; „Alione^s
erste Arbeiten weisen vielfache Italianismen auf.^
') Darm. u. fiatzf., Le 16« s., S. 86, führen seine Werke an und
erwähnen, me Wagner, Meli, de 8t-Gelais, S. 120, Alione als den Ver-
fasser des in Terzinen gedichteten «^Chapitre de Liberte».
*) Studiy S. 203 ff. Fl. hebt hervor, daß Bathery kaum die Namen
dieser Männer kennt. Fausto Andreiini, G. AUione, Mario Filelfo und
Quinz. Stoa werden in den Studi eingehend behandelt.
») Infi., S. 70.
•) Gesch., Bd. i, Halbb. 2, S. 98 ff.
') LHnfluence de Veducation ital. sur Fr. J«*, in: Societe d^etud.^
ital. 1, 3 ff. Das beste Bild vom Italianismus am Hofe Franz^ I. ent-
wirft Flaminiim^. Kap., 8. 199 — 337, seiner Studi: Le lettere italiane
alla Corte di Francesco I., re di Francia.
8) Ähnlich Morf, Geschichte, in: ANSp. Bd. 94, S. 208, und
Proelss, l. c, Bd. II, Halbb. I, S. 8, welcher aber den Beginn des
Einflusses der ital. Lit. später ansetzt.
_ 12 — -
•»
Wichtig ist, daß unter seiner ßegierung zahlreiche Über-
setzungen italienischer Dichter in Prankreich erstehen, 1537
wird der Cortegixmo CaStigiione's übersetzt^), nachdem im
Oentükomme Pasquier's um 1628 bereits eine Nachahmung
dieses so berühmten Werkes erschienen war.^) 1543 machte
die Übertragung Ton Ariost's Orlando fttrioso *) Frankreich mit
den fantastischen Schöpfungen des ferraresischen Dichters
bekannt; in demselben Jahre erschien auch Macchiavellfs
„Kriegskimst"' in französischer Sprache. Ein Jahr später über-
setzt J. Martin die Arcadia Sannazaro'S; ein Werk, das nahezu
ein Jahrhundert lang den gewaltigsten Einfluß auf die fran-
zösische Literatur ausüben sollte.*) 1549 gab J. Vincent
den Franzosen eine Übersetzung des Orlando innannorato^)\
1571 endlich, bereits nach dem Tode Franz' I., erschienen
in franz. Sprache ßembo's *) Asolani, welche von dem bereits
erwähnten N. Pasquier in seinem ^tonopkih nachgeahmt worden
waren. '^)
Petrarca war längst schon übersetzt worden; seine
Dichtungen und Bembo's Asolani erweckten die Begeisterung
der französischen Dichter für platonische Ideen *) und so ent-
stand nach dem Muster der italienischen Akademien, wenn
auch etwas freiheitlicher, die Lyoner Dichterschule, deren
Hauptvertreter Sceve, Dolet, B>abelais, Sainte-Marthe und
Fontaine waren.*)
Den Mittelpunkt dieses Piatonismus bildeten Marguerite
1) Morf, Gesch., S. 35; derselbe in: ANSp., Bd. 94, S. 210; ein
ausführliches, wenn auch nicht vollständiges Verzeichnis der ital. Über-
setzungen jener Zeit findet sich bei Goujet, YII, Iff., VIII, 426 ff.
*) Toldo, Co7itribuio, S. 41, Anm. 4.
') Birch-Hirschfeld, Geschichte, Anm., S. 29.
*■) Du Verdier, S, 719.
^) Du Verdier, S. 627.
*) Du Verdier, 8. 719, von J. Martin übersetzt.
') Tolda, Contributo, S. 46, Anm. 2.
») Birch-Hirschf., Gesch., S. 163 f.; ibd., Anm., S. 29: die Trionfi
wurden übers. 1314, 1519^ 1531; 12 Sonette v. J. Feietier 1547.
®) Siehe darüber eingehend &eiBourciez, Les mceurs pol, S. 101 ff. ;
Birch-flirschf., 163 ff. ; L e f r a n c , ie Flatofiisme etc., in : Rev. d'Hist.
litt, de la France 1896. III^ annee, S. 1—45.
-— .13 .—
de JJavarre und Heroet, ihr Sekretär und Verfasser der Par-
faiie Ämye,^) Neben Petrarca und Eembo wurden in diesem
Kreise besonders die Italiener Cavalcante, Politiano, Accolti
und Pico della Mirandola studiert.^)
Mit dem Einzug der Dauphine Catherine de Medi-
cis in die französische Hauptstadt faßt die italienische Lite-
rAtur in Frankreich festen Fnß.^) Die florentinische Höf-
lingsgesellschaft bildet einen Herd italienischen Einflusses, in
dessen Zentrum lange LuigiAlamanni stand, der in zahl-
losen Dichtungen und besonders in seinem Gedicht über den
Landhau (1546) König Franz feiert. Leider fehlt uns bis jetzt
eine Würdigung des Einflusses dieses Italieners auf die fran-
zösische Literatur.*)
Itjsdienische Künstler und Schriftsteller lebten in Prank-
reich oder fanden sich dort Torübergehend ein, wie Bernhard
Tasso und II ßosso. Aretino erbat sich von Italien aus die
Q-unst des französischen Hofes. Die größten italienischen
Künstler übten ihre Kunst an den Prachtbauten der da-
maligen Zeit : Leon, da Vinci, Andrea del Sarto, Primaticcio,
^) Lefranc, l. c, S. 9 ff. Über Marg.^s Briefwechsel mit der ital.
Dichterin V. Colonna, s. Birch-Hirschf., S. 112; nach Rathery {Infi.
S. 73) schätzt und rühmt diese Fürstin besonders della Casa, Caro,
Tolomei, Alamanni, Bernardo Tasso.
*) Katharinen^s Bedeutung in dieser Beziehimg %vird bes. eingehend
von Bourciez (Les mceurs, S. 270 ff.) geschildert: Sie brachte italienische
AlmosenierCj Astrologen, Ehrendamen etc. mit an den Hof. Ähnlich bei
Arnould, Essais, S. 339; Demogeot, Hist, S. 143; Birch-H.,
S. 111—112; Fl amini {Studi, S. 200) hebt Jiervor, daß Kath. sich be-
sonders um Petr. verdient gemacht liabe, weil sie eine Sammlung petrark.
Sonette, betitelt «Laure dAmgnon» herausgab. Ihr Sekretär Tronchet
übersetzte 70, Philieul de Carpentras in ihrem Auftrage 196 Sonetie des
. ital. Dichters.
') Hauvette's L. Alamanni {S. 80) berührt diesen Punkt nur
ganz oberflächlich; vgl. die Krit, in der ZfSp. 1904. XXVI, Ref.,
S. 214ff.; Boss. bibl. 1904. XII, 148 ff.; Flamini [Studi, S. 269—285)
erwähnt ebenfalls Alam.^^ Einfluß] auf die frz. Lit; ferner behandelt
er neben Alam. den bis jetzt ganz unbekannt gebliebenen Hofdichter
Martellif welchen er *%l piü cospicuo letierato italiano* der Zeit nennt.
•^ (jCf. S. .311^316, woselbst noch einige weitere Namen sich finden.) —
über AI. s. noch Buchetmann, Rotrou^s Antigone, S. 29.
— 14 —
Benv. Cellini, Fra Giocondo und Domenico da Cortonä,
Paganino und PacHa^ptti, Andrea Solario ^) waren die hervor-
ragendsten. Eine Anzahl von Lehrstühlen an der Pariser
Hochschule war von italienischen Gelehrten hesetzt.^)
Die französischen Lyriker fangen an, ihre Liebe in der
Manier Petrarca's zu besingen. Selbst Ol. Marot kann sich
vom Einfluß Italiens nicht frei halten. Während seines
langen Aufenthaltes in diesem Lande lernt er die italienische
Sprache und Literatur gründlich kennen; dem Studium der
ersteren verdankt er seine glatte Ausdrucksweise, seine kunst-
voliendete Form.^ In seinen Jugenddichtungen merkt man
den Schüler Petrarca's; im Temple de Cupide vermischt er die
Manier des Kosenromans mit der geistreichelnden Kunst des
Dichters der Laura*); er übersetzt sogar eine Reihe von
Sonetten und Visionen*^) und studiert mit Vorliebe Aretino,
dessen Stil er nachahmt.*)
In grammatischer Hinsicht beruft er sich gerne auf die
Italiener, so bezüglich der Kongruenz des Partizips Perfekti
und des Gebrauches des Artikels.') Die Arcadia Sannazaro's
hat er ebenfalls gelesen, wie aus der 1531 auf Louise von
Savoyen geschriebenen Totenklage hervorgeht.®)
Marot's Freunde und Schüler sind fremden Einflüssen
sogar noch zugänglicher als ihr Meister. Desperiers®) zeigt
seine Vorliebe für die italienische Sprache in dem häufigen
Gebrauche der Diminutivform auf ei und ette^^) Noch mehr
^) Fla mini, StiidL, S. 226,
2) Morf, Gesch., S. 36.
^) Demogeot, HisL, S. 138; Bourciez, in: ßist. de la langue
et litt, fr., hrg. v. P. de Jidleville. Bd. IIIj 111, erwähnt nichts von einem
ital. Einflüsse.
*) Gidel, Bist., S. 55.
^) Demogeot, l. c, S, 138; Wagner gibt in seiner ^Arbeit über
Mellin de St- Gelais [S. 120) sechs als die Zahl der übersetzten Sonette
an, erwähnt auch ein Epitaph auf Laura.
«) Rathery, Infl., S. 72.
') Wagner, Mellin de St-Gelais, S. 121.
*) Morf, Gesch., S. 50.
») Über Desperiers cf. Rev. d'Hist. litt. 1902, IX, 100.
*°) Morf, Gesch., S. 52; ausführlich über sein Lehen handelt
Birch-Hirschf., Gesch., S. 36ff.
— 16 —
tritt der Italianismus bei Mellin de St-Gelais zutage. Dieser
erscheint als eigentlicher Träger des Kultus, • dessen sich die
italienischen Dichter, vor allem Petrarca, am französischeu
Hofe zu erfreuen hatten, und der italienischen Geschmacks-
richtung in der Poesie, welche sich mit Du Bellay, Baif und
Bonsard noch in der folgenden Schule fortsetzte.^)
1538 übersetzt Saint-Gelais den Cortegiano in einer uns
Yerloren gegangenen Passung^; 1545 erscheint der erste
Band seiner Gedichte, worin der italienische Einfluß vor-
herrschend ist. Italianismen finden sich im Beim, in den
Vokabeln und Wortformen (besonders der substantivierte
Infinitiv) ; ital. poetische Formen werden eingeführt, so z. B.
das Madrigal, die Terzine für die beschreibende Dichtung und
das Pasquill.*) Von den ital. Lyrikern ahmt er besonders
Petrarca und Aretino, von den Epikern, wie wir sehen werden,
Ariost, von den Dramatikern Trissino nach. Im Epigramm
dagegen nimmt er Boccaccio und Poggio als Muster.
Auch Margarete von Navarra*s Lyrik steht, wenigstens
in der Porm, unter P^trarca's Einfluß. Sie schreibt Terzinen
nach dem Vorbilde des großen Plorentiners, welchen sie
gründlich studiert, und ahmt Sannazaro's „Weiden^ in der
Einkleidung der christlichen Gedanken in antiker Mythologie
nach.*)
^) Siehe Birch-Hirschfeld, Geschichte^ S. 149ff.; Wagner,
Mellin de St-Gelais, Lehen u, Charakteristik, S. 9 — 119; der ital, Einfl.
auf 8t.' Gel, (S. 119—149) ist sehr eingehend behandelt, Lenient {La
Satire au 16« »., S. 149); Bonreiez, in Julleville^s großer Litt.-Gesch.
{Bd. III, Kap. 2, S. 131) sagt von St.- Gelais, er schwanke zwischen ün-
gebundenheit u. petrark, Manier,
*) Morf, Gesch., S. 52 drückt sich ungenau aus, wenn er sagt,
daß Mellin d. St-Gelais eine Ausgabe des Cort. besorgt habe.
») Wagner, ;. c, S. 120 ff.; Morf, Gesch., S, 52: „Er {Mellin)
schreibt Terzinen auf der Spur Bembos und Ariosts.^ Sainte-Beuve
{Le 16« 8., S, 40) und St-Marc Girardin {Tableau, S. 66) erwähnen
keinen italienischen Einfluß.
*) Morf, Gesch., S. 60; Lefranc {Dem. pois. de Marg.) findet den
Einfluß Dantes bes. in zwei der von ihm hrsg. Gedichte Margareiens. Nach
Picot {Des ^rangais qui ont ecrit en iialien, Rev. des bibl. 1900, XI,
S. 4 — 6) schrieb Marg. sogar 4 Sonette in italienischer Sprache. Ahnlich
flanvette, in: Bull. ital. Bd. II, 217^
^ 16 -^
Obwohl die Franzosen im Jahre 155^ ihre Eroberungen
in Italien verloren, dauerte der literarische Einfluß Italiens
unvermindert fort, wohl deshalb, weü die nunmehr ans-
..brechenden Eeligions- uod Bürgerkriege einen solchen Nieder-
gang über das Land brachten, daß die Dichter ihre Blicke
mehr denn je nach ItaUen wandten und dort ihre Meister
suchten. Es ist daher keineswegs auffallend, wie Lotbeissen
meint, „daß mit dem Steigen der religiösen Leidenschaft^i
. in Frankreich das Anwachsen des italienischen Einflusses und
damit auch der klassischen Studien zusammenfällt.^' ^) Nach
Morf beginnt gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Periode
des Niedergangs der Benaissance-Literatur und damit des
ital. Einflusses.^)
Noch ehe die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zu
Ende ist, treten die Dichter der Plejade in Tätigkeit. Bis
in die neueste Zeit hinein glaubte man ihren Versicherungen,
Nachahmer der Alten zu sein. Ein eingehendes Studium
hat das überraschende Resultat ergeben, daß sie weit mehr
unter italienischem, als unier aniiketn Einfltisse stehen, und
daß sie oft absichtlich auf antike Nachahmung hinweisen,
wo italienische vorhanden ist. Die De/fence Du Bellay^s
befürwortet von speziell italienischen Dichtungsarten nur
das Sonett.^) Die antiken Formen, welche Du Bellay empfiehlt,
wurden längst schon in Italien gepflegt und konnten ebenso-
gut als Vorbilder dienen, wie die klassischen Originale. Sainte-
Beuve*) erwähnt weder bei Du Bellay noch bei Eonsard
itialienischen Einfluß, Saint-Marc Girardin ^) kennt als italieni-
sches Vorbild der Plejade nur Petrarca, auch Darmesteter
und Hatzfeld nennen kein anderes italienisches Muster ^, selbst
^) Gesch. I, 26,
«) Gesch., S. 88ff.
') Livr. II, chap. IV: «... Sonne moy ces heaiix Somiets, non moins
docte que plaisante Invention Italienne ... Pour le Sonnet donques tu
as Petrarqiie et quelques modernes Italiens.»
■*) Le 16* siede, S. 70 u. 80.
») Tableau, S. 66.
•) Le 16* sücle, S. 96 ff. und S. 125.
— 17 —
G. Pellissier bringt in Julleville's großer Literaturgeschichte
keine neuen Resultate.^) Dagegen hatte bereits in den 50 er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts Amould den italieni-
schen Einfluß auf die Plejade stark betont.^) Er sagt: „Was
Bonsard und die Lyriker seiner Zeit besonders erstrebten,
war die Harmonie der Sprache. Diese suchten sie bei den
Italienem. Man las nicht nur Petrarca und Sannazaro, man
las sie laut; man hörte sie rezitieren, suchte die Harmonie
ihrer Verse zu erfassen und in die Muttersprache zu über-
tragen." Leider läßt sich Amould auf eine nähere Unter-
suchung nicht ein. Auch Lanson stellt den italienischen und
den antiken Einfluß auf gleiche Stufe.*)
Texte, der tüchtige Renaissanceforscher, geht noch weiter,
wenn er von den Dichtern der Plejade sagt: ^Hs parlent bien
haut de Pindare ou d^ Homere; au fond ils songent ä Petrarqite
ou au Tasse . . . Partout ce sont les Italiens qui nous fournissent
et les genres et les modeles.-» *)
Falsch ist es, wenn Proelss neben dem antiken und
italienischen Einflüsse noch den spanischen anführt*), da dieser
erst mit dem Ende des Jahrhunderts sich fühlbar machte,
als das Plejadengestim längst schon untergegangen war.
Wir wollen nun näher auf die Untersuchung des Ein-
flusses eingehen, welchen die großen Lyriker Italiens auf jene
franz. Dichtergruppe auszuüben vermochten.
ßonsard ahmt in seinen Oden nicht bloß Pindar, wie
man bisher einseitig annahm, sondern auch Petrarca und
besonders Alamanni nach, dessen hynmes pindar iquss er in
seinen Ödes pindariques die Einteilung in Strophen, Gegen-
strophen und Epoden entlehnte.®) In seinen Sonetten, <iAmours
*) Ronsard et la Pleiade {Petit de Jullev., Hist. III, 137 ff,).
«) Essais, S. 412.
*) Hist.j S. 164: «^Les Italiens sont niis snr le meme pied que les
andens.»
*) Rev. des cours et conf., März 1894, S. 248.
*) Gesch., Bd. II, Hbd. 2, S. 15.
®) J. Vianey, in: Rev. d. lang. rom. 1900 sept. — oct. Vgl. noch
die Rev. de la Renaiss. 1902 {oct— die.).
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIY. ^
— 18 —
de CassandreT^ betitelt, verbindet er die Erotik der petrarki-
schen Manier mit dem Schwelgen in mythologischen Vor-
stellungen ^) ; daneben macht sich auch der Einfluß Bembo's
und anderer Nachahmer Petrarca's geltend; dagegen befreit
er sich in den tAmours de Marien ^ namentlich im ersten Teile,
vom Einfluß Petrarca's % während er in den Eklogen wieder
ganz in dessen Spuren wandelt. Zu den Eklogen liefert ihm
nicht nur Vergil, sondern auch Sannazaro das Beispiel, oft
sogar den Wortlaut.^) Ob Eonsard jedoch das Sonett in
Frankreich in Mode gebracht hat, ist bezweifelt worden.
Pflänzel datiert die ersten französischen Sonette in Fetrarca's
Manier vom Jahre 1511*), während Ronsard die seijiigen erst
1647 veröflfentlichte ; für Du Bellay beansprucht er die Ehre,
das Sonett eingeführt zu haben ^), der jedoch erst 1549
seine ersten 60 Sonette herausgab. Wagner endlich sucht
zu beweisen, daß jene Ehre dem Abbe St- Gelais gebühre,
der bereits um 1511 sich eingehend mit der italienischen
Poesie beschäftigte, während Marot erst von seiner ersten
italienischen Reise 1535 an mit ihr bekannt wurde®); doch
unterläßt Wagner, ein Datum für das Erscheinen der ersten
Sonette St-Gelais' anzugeben. In Vaganey's Sonettenverzeichnis
wird Ronsard als der erste franz. Sonettendichter bezeichnet. ')
Wie dem auch sei, Ronsard war einer der ersten, die in der
Sonettenform dichteten und dieselbe auf französischem Boden
heimisch machten.
Mehr noch als Ronsard sucht Du Bellay seine Vorbilder
jenseits der Alpen. Seine Olive ist eine Sonettendichtung nach
dem Muster Petrarca's, doch benützte er nicht nur diesen, wie
*) Suchier und ßirch-Hirschf., Gesch., S. 349.
2) Morf, Gesch., S. 158.
') Torraca, Gli imitatori str. del Sannazaro, S. Ö8,
*) J. du Bellay, S. 7.
^) Ibd., S. 14.
«) Mellin de St.-G., S. 124. — W. erörtert die Streitfrage sehr
eingehend.
') Le Sonnet en It. et en Fr., unter dem Jahre 1547 (die Ab-
handlung ist nicht paginiert).
— 19 —
Demogeot ^), Lanson ^) und Pellissier *) zu glauben scheinen,
sondern er plünderte hauptsächlich die im Jahre 1546 in
Venedig erschienene Sonettensammlung 100 italienischer Dichter
aus, von denen er, wie leicht erkenntlich ist, 30 teils aufs ge-
naueste nachahmte, teils geradezu übersetzte. 1553 schwört
Du Bellay bekanntlich den Fetrarkismus ab, jedoch nicht
den italienischen Einfluß. Die Aniiquiiez de Rome, welche
bis in die neueste Zeit als selbständige Schöpfung des
Dichters galten, haben neben lateinischen auch eine Keihe
italienischer Vorbilder aufzuweisen, so Guidiccioni, Molza,
Dante, Ariost ; ja selbst Petrarca's Geist weht in Du Bellay's
Klageliedern.*) Auch Jodelle's lyrische Dichtungen, seine
Tercets, sind Nachahmungen von CapUoli italienischer Dichter.^)
Antoine de Ba'if®) ist mehr Epiker als Lyriker; als
letzterer schrieb er die anmutigen Amours de Meline (1552),
die Amours de Franeine (1558) und Les Amours diverses, Sonette,
die sich im Geleise petrarkischer Liebesdichtungen bewegen,
welchen jedoch ein gewisser naturalistischer Sinn eigen ist. Seine
Emhassade de Venits ist eine Nachahmung Bembo's und enthält
eine Lobpreisung der Liebe. Die beiden Dichtungen Genevre
imd Fleurdepine, Nachahmungen Ariost's, werden später noch be-
handelt werden. Pontus de Thyard ist einer derjenigen Dichter,
welche fast gleichzeitig mit Ronsard petrarkische Dichtung
pflegten ') ; seine Erreures amouretises erschienen in ihrem ersten
Teile sogar vor den Amours de Cassandre, Die meisten Versarten
entlehnt er Petrarca, Sannazaro ®), Cariteo, Teobaldeo. Zahl-
reiche Italianismen und Concetti sind in seinen Dichtungen zu
finden.
1) Bist, /S. 140.
«) Bist, S. 282.
*) Rons, et la Pleiade {Julleville, Bist. III, 193).
*) Vianey, Bulletin ital. 1901, J, 315 ff. u. 77, 39 ff.
^) Darm, et flatzf., Le 16« siecle, S. 116, Anm. 2.
*) Nagel, Das Lehen J. A. d. Baifs {Berr. Arch, Bd. 60,
S. 241-^266); derselbe, die Werke J. A. d. Baifs {Berr. Arch. Bd. 61.
S. 63—124).
') Flamini, Role de P. d. Th. dans le pitrarquisme frang, {Rev.
de la Renaiss. 1901, 1. fasc.).
®) Torraca, Gli imitatori str. del Sannazaro, S. 40 ff.
2*
— 20 —
Eioe größere Anzahl weniger bedeutender Poeten schließt
sich den Führern dieser petrarkischen Liebeslyrik an; zahl-
lose Sonette, Oden, Elegien und Eklogen werden gedmckt,
alle den ewig neuen Gegenstand der Liebe, bald platoniach,
bald realistisch behandelnd. Eine gewisse ermüdende fän-
förmigkeit konnte nicht ausbleiben, leidet doch schon Petrarca's
Ca7i%oniere an diesem Übel. So tragen die Sonette Ta-
hureau's ^), de laPeruse's, Denisot's, Ol. de Magny's ^), Passeraf 8
und des Masures' dasselbe Gepräge petrarkischer Nach-
ahmung. Der bedeutendste von den eben angeführten
Jüngern der Plejade ist unstreitig Ol. de Magny, welcher
neben Petrarca auch Sannazaro sich zum Vorbild wählt,
letzteren besonders in seinen 1557 erschienenen Soupirs, in
denen sich, nach Morf, auch Fabrizio Luna's Einfluß geltend
macht. ^) Zu den Fehlern Magny's rechnet Lintilhac : tVexcee
de fadlite, le petrarquisme et la seft'viliU dans Vimitation de tous
les modeles m'dinaires des peirarquisants depuis Anacreon jusqu^d
Sannaxar, ■» *)
Ein ebenfalls sehr bemerkenswerter Lyriker ist J. Van-
quelin de la Fresnaye. Seine Fm-esteriesj in denen er seine
Liebesgeschichte erzählt, sind eine Nachahmung der Ärcadia
Sannazaro 's.*) Einzelne Teile sind geradezu wörtlich übersetzt,
so ist z. B. For. I, 1 eine Übersetzung von Ed. II, 2 der Jrc.
und For. I, 6 von Eel I, 9,^) Auch Vauquelin huldigt der
petrarkischen Manier, auch er hat seine Laura (Myrtin e),
welche er in Form und Inhalt, ganz wie sein Vorbild besingt.^
Seine beiden Bücher Idillies weisen ebenfalls, jedoch nur ver-
einzelt, italienischen Einfluß auf. Seine Satiren (1605) galten
^) Lemercier, Vaiiq. d. l. Fr., S. 19; Morf, Gesch., S. 171.
2) Lintilhac, Hist 7, S. 201 Torraca, /. c, S. 44.
3) Gesch., S. 172.
*) Hist, S. 201.
'^) Lemercier, Vatiq. de la Fr., S. 23 ff.
«) Ibd., S. 25.
"') Ihd.j S. 143, xoo Lemercier mit Bez. mif Petr. folgenden Vera
Vatiquelin's zitiert.
Et volontiers poiir hii je m^en ij'ois ä Rome.
In seinem «Art poetique» {I, 547) sagt Vaiiqueli7i von Petr. :
QuHl orna le sonnet de sa premiere gräce.
— 21 —
länge Zeit als selbständige Schöpfnogen. Göujet ^), Lenient^),
Arnould*), Morillot*) erwähnen nichts von einer italienischeh
Beeinflussung der französischen Satiren in dieser Zeit; allein
schon längst ist von Lemercier der Beweis geliefert worden,
daß sie zum großen Teil Plagiate sind ^) ; von Ariost entlehnt
er, wie wir weiter unten sehen werdien, über die Hälfte seiner
Episteln, während er eine Anzahl von Satiren aus Sansovioo's
Sammlung Seite Libri di satire (1560) übersetzt.
Im Jahre 1573 erschien PL Desportes' erste Gedicht-
sammlung, deren erste Hälfte Amours de Diane und Amours
d'Hippolyte überschrieben ist, und aus Sonetten, Oden, Stanoes
und Terzinen besteht.^) Sodann folgen Liebesklagen (iJlegies),
Stücke, welche aus dem Orl, für. übersetzt sind,und Diverses
Amours et autres oeiivres mesl6es. Später kamen noch die Demieres^
Amours (Les amours de Cleoniee) hiozu.
Du Verdier zählt sieben italienische Vorbilder für die
lyrischen Gedichte Desportes' auf: dellaCasa^ Mozarillo,
Gnidiccioni, Molza, Copetk, Sannazaro und Berni.^)
Diese Aufzählung ist jedoch nicht vollständig. In der Diane
folgt er vor allem dem Sänger der Laura ^, dann finden sich
auch noch Anklänge an Pamphilo Sasso.*) Fla, mini findet,
wie bereits S. 5 bemerkt wurde, noch weitere Vorbilder in
den italienischen Lyrikern Domenichi, Amamo, Ilota und
Marini.^®) In seinen epischen Versuchen stoßen wir auf
Ariost's und auf Aretino's Spuren. ^^) Schon im nämlichen
^) ThSätre frang. III, 295.
^) La Comedie, S. 24S.
*) Essais, 6. 426.
*) In : Julkville, Hist. III, 253.
*) tltude litt, sur les poesies de J. Vauq. de la Fresnaye. 1887,
S. 199 ff. Vgl. ferner Vianey, in der Rev. des üniversites du Midi,
1895, i S. 315 (dort zeigt V., daß Vauq. in seinen Satiren ein Plagiator
gewesen ist).
ö) Morf, Gesch., S. 177.
') Bibl., S. 947.
8) Flamini, Ess., S. 351 [hei Morf, S. 241 falsch zitiert).
») Vianey, ün modele de Desp. {Bev. d'Hist. litt. 1903, S. 277 ff.).
^°) Ess., S. 358—360.
") Morf, Gesch., S. 177.
— 22 —
Jahre, wo Desportes' Amours cfHippolyte erschieDen, schrieb
ein Anonymus, nach Goujet^) ein gewisser R. G. de Saint-
Jory, ein Pamphlet, Les rencontres des Muses de France et
d^Italie, in welchem er für 43 Sonette Desportes' fünfzehn
ital. Vorbilder nachweist. Seitdem hat die Forschung gefunden,
daß die Zahl der Plagiate viel größer ist, daß indessen
Desportes' Nachahmungen den italienischen Originalen meist
ebenbürtig und oft überlegen sind, wie Faguet zu beweisen
gesucht hat.^) Baillet nennt ihn bereits im 17. Jahrh. den
Prince des po'etes erotiques^), Morillot den geschicktesten der
Petrarquisten.*)
Desportes' Schüler B ertaut steht besonders als beschrei-
bender Dichter unter italienischem Einfluß, sonst hält er sich
mehr an seinen Meister Desportes und an Ronsard, die er
ausdrücklich als seine Vorbilder bezeichnet. Mit Bertaut
endet die Herrschaft des Petrarquismus in Frankreich;
die folgenden Dichter werden jedoch darum den italienischen
Mustern nicht untreu. Tansillo, Berni, Aretino und die
burlesken Dichter treten nun an Stelle Petrarca's, des
Lyrikers Tcat* i^ox^jv-
Fr. de Malherbe versuchte der franz. Literatur
eine neue, vom italienischen Einfluß unabhängige Lyrik zu
geben, aber auch er bildete sich an den Italienern heran:
sein erstes größeres Gedicht „die Tränen des hL Petrus^
(1587) waren eine Nachahmung von Tansillo's gleichnamiger
Dichtung.*)
1) Bibl. fr. XIV, 71.
*) Desportes (Rev. d. cours et conf. Janv. — Mars 1894. S. 385, 417,
461, 481); dasselbe sagt Morf, Gesch., S. 178.
*) Jugemens des Sav. V, 37.
*) In : Jidlev., Hist. III, 251 : all lui {ä Petrarque) a pris les procides
de composition et de style, auxquels ont eu recours, peu oii beaucoup,
tous les poetes du temps, ä la seule excepHon de Du Bartas.»
'^j In seiner Yorr. zu Malh.^s Werken ^t6^ Laianne Tansillo' 8 «La-
grime» in 13 Gesängen als Quelle an, während Allais {Malh., S. 115)
beweist, da/J Malh. die erste Ausgabe der ital. Dichtung in 42 Stanzen
{1560) benützte, und seiner Vorlage genau, Vers für Vers folgte. Bob.
Estienne hat 1595 ebenf. eine Nachahm. der «Lagrime» herausgegeben,
s. Allais, /. c. S. 286).
— 23 —
Der Satiriker M. B6gnier folgte den Lateinern, vor allem
Horaz, aber auch den neueren Italienern, Berni, B. Aretino
und Ariost. Amould beweist, daß er auch mit Vorliebe die
Capüoli Mauro's und Caporali's studierte und nachahmte, be-
sonders in Sitten- und Charakterschilderungen.^) Flamini
meint, daß sogar zwei Drittel seines Honneur ennemi de la vie
Nachbildungen Mauro's seien, daß er mehrere Züge seines
berühmten Mauvais gtte Berni entlehnt und noch mehrere
andere ital. Dichter als Modelle benützt habe.^)
Theophile de Viau schrieb außer Komödien eine An-
zahl von Oden, Sonetten und Satiren ; die in diesen Gedichten
für witzige Vergleiche und sinnreiche Gegensätze zutage tretende
Vorliebe mag er Desportes und den Italienern, besonders
Marini entlehnt haben. Eine Untersuchung seiner lyrischen
Dichtungen nach dieser Seite hin fehlt noch.
Als bedeutendste Gefährten Malherbe's sind Maynard
und Bacan zu nennen. Ersterer gibt selbst in einem Briefe
an Conrart zu, daß er die besten italienischen und spanischen
Bücher täglich lese^); sein Philandre ist ganz im italienischen
Geschmacke. Bacan verstand sehr gut italienisch; er
liebte die Italiener und ahmte sie nach.*) Voiture und die
Gäste des Hotel Bambouillet huldigen, soweit sie für die
lyrische Poesie in Betracht kommen, ebenfalls der Nachahmung
Italiens ; ist doch die sich dort treffende Gesellschaft nur eine
Nachbildung der römischen Gesellschaftskreise, und stammt
doch Cath. deVivonne mütterlicherseits von Italien ab.
Was zur Schönheit des Lebens beitragen konnte, die Pflege
der Kunst und Poesie, die gefällige Unterhaltung, den leichten
Verkehr der beiden Geschlechter, all das nahm man von
1) jEJm., S. 426.
*) Studij S. 369. Lotheissen, Gesch. i, 104^ sagt von Begnier:
Seine Hauptmuster blieben die Lateiner; doch benutzt er manchmal auch
einen ital. Dichter als Vorbild. Von diesen Italienern erwähnt er jedoch
nur Mauro.
^) F a g u e t , Maynard {Rev. d. cours et conf. Nov. 1894 — mars 1695,
S. S3ff.\ wo der Brief zitiert wird,
*) Arnould, Ess., S. 416.
— 24 —
Italien«^) Demogeot nennt die drei Hauptdichter des Hotels,
Voiture, Benserade und Dorat^ Jünger der Muse Marini's.*)
Dieser italienische Dichter, welcher am franz. Hofe eine
glänzende Stelle *) einnahm, wirkte geradezu verderblich durch
seinen Einfluß auf die französische Lyrik. Seine Über-
treibungen in der Anwendung von Antithesen, Wortspielen
und glänzenden Bildern, der sogenannte Marinismus, fanden
überall Eingang. Andererseits ist der Zug von Freigeisterei,
der sich um diese Zeit in der franz. Lyrik geltend macht,
ebenfalls auf einen Italiener, Lucilio Vanini, einen Schüler
G. Bruno's, zurückzuführen.*)
Mit Boileau's Auftreten macht sich die franz. Poesie
vom italienischen Einflüsse frei^); der Hauptgrund dafür ist
in dem raschen Verfall der italienischen Poesie zu suchen;
außerdem kommt noch hinzu, daß Frankreichs Dichtkunst sich
gerade um diese Zeit zu einer hohen Blüte emporschwang.
Erst das 18. Jahrhundert kann einige vereinzelte Nach-
ahmungen italienischer Lyrik verzeichnen, so werden Chia-
brera's Oden von Lebrun ®) nachgeahmt ; Filicaja, der Sänger •
der Befreiung Wiens, ist ein Vorbild J. B, Rousseau's. ') '
Größer ist der italienische Einfluß, wie wir sehen werden,
auf epischem und dramatischem Gebiete. Hettner's franz.
Literaturgeschichte des 18. Jahrh. geht leider auf keine
Quellenuntersuchung ein.*)
Von den großen französischen Lyrikern des 19. Jahrhunderts
kommt allein Lamartine in Betracht. In seiner Jugend
*) Lotheissen, Gesch. J, 153 — 155,
*) Histj S. 144. Aus einem Briefe Voiture^s erfahren wir^ da/i «•
eine Übers, des Orl. für. an ilf»»« ^e Sahitot sandte^ ein Zeichen von der
Beliebtheit it. Dichter zu jener Zeit.
^) Siehe darüber Wiese-Percopo, Gesch. d. it. L., S. 387 — 389.
*) Schirmacher, Voiture {Herr. Arch.^ Bd. 9€, S. 109 ff.).
*) Lanson, Hist., S. 806: «Boileau et les jpurs classiques nous en
(nämlich von der Nachahmung der Italiener) affranchissent, ä partir
de 1660.»
*) Demogeot, Hist. des litt. etr.. S. 146.
') Ibd., S. 146.
®) Weder Lanson noch eine andere frz. Liti.-Gesch. untersudit den^
italienischen Einfluß im 18. Jahrhundert.
— 26 —
liest er nach seinem eigenen Geständnisse Tasso^s GeruscUemme
liberata und die anderen großen Epen des Cinquecento.
So groß Leopardi's Einfluß auf die Lyrik seines eigenen
Landes war, über die Grenzen desselben ging er nicht hinaus;
vielmehr ließ er sich selbst, wie A. OrioP) bewiesen hat,
TOQ den französischen Dichtem Rousseau, Chateaubriand und
besonders M^^ de Stael beeinflussen. Die franz. Lyrik des
19. Jahrh. ist ihre eigenen Wege gegangen, ja in mancher
Hinsicht war sie derjenigen der übrigen europäischen Nationen
weit voraus und ist heute noch in steter, selbständiger Ent-
wicklung begriffen.
. 3. Italienischer Einfluß auf das Epos.^)
Als den Schöpfer des neueren klassizistischen, französischen
Epos können wir Ronsard betrachten. Er wollte in der Franciade
ein Epos nach dem Muster der großen antiken Epen-
dichter schaffen, doch hält er sich neben Vergil besonders an
den Italiener Ariost, den er oft nahezu übersetzt, wie wir
später zeigen werden. Über die längeren epischen Gedichte
Baif s und Desportes', Nachahmungen einzelner Episoden des
Orlando furioso, werden wir ebenfalls in einem anderen Kapitel
handeln. Der Südfranzose Du Bartas wendet die poetischen
Prinzipien Ronsard'» auf einen religiösen Gegenstand an;^
Amould hält es für möglich, daß Du Bartas des großen
Florentiners Divina Commedia kannte und sie zu seinem Vor-
bilde machte.^) Sicher ist, daß besonders in dem Epos Judith
') Leopardi et la litterat fr., in: Buü. it 1902, t. IT, 303-326,
*) Daniels Emiluli im 15. Jahrh. war kein großer {vgl. Oelsner,
Dante in Frkr., 8. 3; Arnould, Ess. 392; ßouvy, Voltaire etc.
8. 37). Im 3. Teü der «ifwfoctow de Fortune» der Christine de Fisan
findet »ich eine Anspielung auf Inferno XXVII; einzelne Na/ihr
akmumgen finden sich im «Livre du Chemin de long estude», im Glossar
zum ^tlAvre de Frvdence», wo eine 8teUe aus dem Inferno XVI, 124
— 126 angeführt wird {s, darüber O eisner, Dante in Frkr., 8. 5 ff.);
ferner Wiese, gelegentl. der Kritik von Oelsner^s Ahh., in Herr.^s Arch.
Bd. 102, 8. 229 f.
») Essais, 8. 442.
— 26 —
Tasso und Ariost für einzelne Stellen benützt wurden^); in
seiner Seconde Semaine (II, 2 u. 3) werden Petrarca, Boccaccio,
Ariost und Tasso als Hauptvertreter der italienischen Poesie
genannt.
„Im 17. Jahrhundert, sagt Arnould, steht das romantische
Epos Frankreichs in voller Blüte, wozu besonders der schnelle
Erfolg des befreiten Jerusalems und das Glück des marinischen
Adone beitrugen. Auf Tasso und Ariost gehen besonders
Scudery, St.-Amant, Desmarets, Chapelain, Le Moine zurück." ^)
Doch scheiterten alle Nachahmungen an dem mangelhaften
Stil der Franzosen, sie verstanden nicht das Scherzhafte,
Ironische eines Ariost, noch das Erhabene, Ernste eines Tasso
nachzuahmen, und so hören sich ihre Epen wie Parodien der
großen Italiener an.
Boileau's Lutrin hat neben dem Froschmäuseh-ieg auch
den Geraubten Wassereimer Tassoni's zum Vorbilde.*)
Hierher möchten wir auch eine Reihe von burlesken franz.
Dichtem stellen, welche insgesamt bei den burlesken (auch
hemesk genannten) Dichtern Italiens in die Schule gingen.
Italien ist das Vaterland des Burlesken.*) Pulci
kündigt es an, bei Ariost finden sich eine Menge von bur-
*) Siehe weiter unten heim Abschnitte: Einfl. AriosVs auf d. frz,
Epos; Rathery, Infi., S, 97 ff. erwähnt überhaupt nichts von einem
ital. Einfluß auf das frz. Epos.
*) Essais, S. 445 ff. Gemeint sind Scuderifs Alaric, St. Amanfs
Alboin, Desmarefs Clovis, Chapelain^s Pucelle und Le Moine's St-Louis.
Birch-H. {Lit.-Gesch., S. 410) erwähnt hier nichts von einem ital.
Einflüsse.
») Suchier-Birch-H., Gesch., S. 485; Gröbedinkel (1882);
Knaake (1883); Bobertag, in: E. St. I, 456; II, 204.
*) über die „Burleske" in Italien finden sich Andeutungen beiWiese-
Perc, Gesch. j S. 342 ff. j über die bürgert. Dicht, in Frankreich bei
Morillot {Scarron et la poesie hü'l.) welcher fast nur den span, Ein-
fluß behandelt. Wichtiger, und nur auf den italienischen Einfl. bezug-
nehmend, dagegen: Toldo, Ce que Scatron doit aux. burl. und Seh ön -
he TT, St.-Amant {ZfrSp. I, 113 ff., wo er S. 139 eine Definition des Burl.
gibt, jedoch auf den ital. Einfl. nicht näher eingeht). Cfr. noch Vianey,
Bruscambille etc., in: Rev. d'Hist. litt. 1901, VIII, 569 jf. Fe^'ner Toldo,
in Gröb.'s Z. (1901). XXY, 71 ff.
— 27 —
lesken Bemerkungen. Populär jedoch wurde diese Dichtnngs-
art bekanntlich erst durch Berni. Eine ganze Schule entstand
um ihn: Eolengo, Molza, della Casa, Firenzuoli, Mauro,
Caporali etc. Der bedeutendste Vertreter der französischen
burlesken Dichtung war Scarron. Seiner Abstammung nach
Italiener, kam er frühzeitig nach Rom, kurz nachdem Lalli
die erste Travestie der Aneide veröffentlicht hatte, welche
ihm wahrscheinlich die Idee zu seinem Virgile travesty gab.^)
Als weitere Quellen dieser französischen Travestie sind die
Oigantea Amelonghi's und die Werke Bracciolini's nachgewiesen
worden, hauptsächlich dessen Scherno' degli d&i,^)
Auch der bereits erwähnte St-Amant schrieb 1637 in
diesem Genre seinen Passage de Gibraltar und 1643 seine Rome
ridicule. Der Möise sauve desselben Dichters weist Einflüsse
klassischer Schriftsteller und italienischer Dichter, besonders
von Castelvetro Piccolomini und Tasso auf.^) Sarrazin hatte
ebenfalls aus Italien eine Vorliebe für das Burleske mit-
gebracht und schrieb die Aventure de la Souris. Die Blütezeit
des Burlesken in Frankreich datiert seit Scarron's Typhon 1644.
Drei Jahre später veröffentlichte Loret seine Poesies burlesques ;
1649 erschien eine Passion de Notre-Seigneur in burlesken
Versen.- Alles schreibt in dieser Manier. Morillot führt
folgende bekannte Autoren von Travestien an: Furetiere,
Du Fresnoy, Perrault, Br6beuf, Barciet, Claude Petit-Jean,
Richer d'Assoucy, Picon et cent autres.*)
Folgendes sind die Gegenstände, welche die Franzosen,
in Nachahmung der Italiener, mit Vorliebe in burlesker Weise
behandelten *) :
1) Die Liebe und die Frauen.
2) Persönliche Angriffe und ärgerliche Abenteuer.
3) Paradoxe.
*) 8. Krit v. Toldo's Ce que Semron etc., im Giorn. stör. XXV,
S, 325 ff.
^) Schönherr, St-Amant, in: ZfrSp. X, 174.
') Scarron etc., S. 152,
^) ToldiO, M. mr la poesie hurl. {ZrPh. XXV, 71., tind Vianey
in der Bev. d'ß'H. litt. VIII S. 569—576); ferner Arnould, Essais,
S. dOL
— 28 —
4) Gegen die Ehre.
5) Verteidigung einiger moralischer Gebrechen und des
menschlichen Elendes.
6) Verteidigung der Krankheiten.
7) Verteidigung der Tiere.
8) Burleske Beschreibungen : die Brennessel, der Binsen-^
korb (le cabas), die Mütze, der Tabak etc.
Sogar ßonsard hatte einen Panegyrikus auf das Glas,
Le verrej nach Bino geschrieben ^), ein Loblied auf den
Salat, La salade, nach Molza^), endlich les Vues ou Nouvelles,
nach Mattio Pranzesi.*) Du Bellay schrieb einen Hymnus
auf die Taubheit*), Jamyn ein Gedicht gegen die Ehre.^)
Eine größere Zahl burlesker Dichtungen findet sich in
den Muses gaillardes, im Cabinet satirique und im Parnasse,
Die Prologe Bruscambille's, welche vor den Aufführungen
im Hotel Bourgogne gewöhnlich gesprochen wurden, sind
nichts anderes als burleske Satiren.^) Er lobt da die Armut,
die Feigheit, zählt die Freuden der Galleux (Krätzkranken),
die Tugenden der Puees auf und ahmt so. die Italiener nach.
Auch Regnier's Satiren 7 und 11 und seine ganze Galerie
häßlicher Frauen gehören hierher. Die 10. Satire, in welcher
er ein persönliches Abenteuer schildert, ist eine Nachahmung
Bemi's, Theophile de Viau huldigt dem burlesken Ge-
schmacke in seinen Eegrets faits sur un fächeiix logis. Eine
große Anzahl derartiger Nachahmungen finden wir in den
Studien Toldo's über die burleske Poesie.')
Allmählich jedoch stirbt die Burleske aus oder fristet in
^) ß, o n s. , (EuvreSj jp. jp. Blanchemain III, 402.
*) Ihd.j VIj 87. Binö'8 und Molzd's Gedichte finden sich in den
Opere burlesche. Londra. 1723. Livr. 11^ 214 u. 223.
') JEtons., (Euvres, p. p. Blanchem. FJ, 257, — FranzesVs Gedicht
befindet sich in den Opere burl.j Livr. II, S. 97.
*) (Euvres. p. p. Marty-Lav. II, 399 ff.
*) (Euvres, p. p, CoUetet. 1879. II, 203 ff,
*) Vianey, Bruscambille ei les poetes bemesques {Bev. d^Hiet. litt,
VIII, 571),
') La poesie burl,, Gröb.'s Z. XXV, S. 71—93; 215—229; 257-^277;
384-410.
— 29 —
den literarischen Cafes, welche besonders von Regnier und
Berthelot besucht werden, ein elendes Dasein.^)
Nach dem Aussterben des burlesken Genre vergeht eine
lange Zeit, ehe wir wieder etwas von italienischem Einflüsse
auf die französische Epik bemerken. Erst in Yoltaire's beiden
Epen Henri IV und La Pucelle finden sich einige Anlehnungen
an die italienischen Epiker Dante und Ariost ^) ; manche Züge
entlehnte er auch dem 1623 vom Italiener Malmignati ge-
dichteten Enrico, qitarto.^)
Auch der größte Epiker des neunzehnten Jahrhunderts
in Frankreich, V. Hugo, kannte die ^LHvina Comedia^ zwar
nicht gründlich, aber er nennt Dante seinen tdiviti maitrei^.^)
4. Italienischer Einfluß auf die Erzählung und den Boman/)
Die Quelle des modernen Romans und der modernen
Erzählung ist Boccaccio's Decamerone. In seinem Werke
findet man alle Formen dieser Literaturgattung, welche die
Geister der Renaissancezeit bis zum 17. Jahrhundert unter-
hielten imd interessierten. Die Franzosen wurden durch
Laurent de Premierfaict's Übersetzung des Boccaccio (1414)
mit dem Decamerone bekannt®); doch scheint der Erfolg
dieser Übersetzung kein großer gewesen zu sein. Denn erst
als die Novellen Bandello's, Giraldi^s, Poggio's und die Facetien
*) Vianey, Bruscanibille etc., in: Rev. d^Hist litt VIII^ S. 569 ff.
^) Prato. Tre paasi d. Div. Com, etc., in: Giorn. Dant. J, 560 ff.;
Oelsner {Dante in Frkr.j S. 34) behauptet jedoch, Volt, hätte sich nie
mit Dante beschäftigt; vgl. dag. Farinelli's scharfe Kritik von Oelsner s
Abh., im Giorn. stör. XXIX, S. 142.
«) Hettner, Gesch., 8. 227.
*) Farinelli, Giorn. stör. XXIX, 142; Bonyy, Bull. ital. 1902,
(Chroniqvs) sagt von V. Hugo: «On n'oserait affirmer que V. H.
connüt ä fond la Div. Com. . . . Mais il est certain que le grand poete
frangais nourrissait un vrai culte pour Dante, et quHl avait de Vensemble
de son poeme une idee claire et vive. Le Purgafoire et le Paradis n'ont
pas autant d^attrait pour V. H que VEnfer, bien quHl les ju^e eux aussi
extraordinaires.»
*) Körting's Geschichte des frz. Romans beschäftigt sich nicht
mit Quellenforschung. Auch sonst ist dieser Gegenstand noch wenig be-
handelt worden.
•) Suchier u. Birch-H., Gesch., 8. 262.
— 30 —
Straparola's erschienen waren ^), gewann auch die fran-
zösische Novelle Lebenskraft und errang bald eine der italieni-
schen Literatur nahezu gleichkommende Stellung in der Novellen-
literatur.
1536 vollendete der Sattler Nicolas aus Troyes eine zwei-
bändige Sammlung von Novellen, von welchen uns jedoch nur
der 2. Band (180 Novellen) unter dem Titel: Le grand Paran-
gon des nouvelles nouvelles enthalten ist. Der Verfasser benützt
vornehmlich Ant. de la Säle, außerdem besonders Boccaccio
und andere italienische novellieri. Die Comptes du monde aven-
tureux werden 1555 publiziert; 15571 erscheinen die Joyevx
Devis Des Periers'; 1565 veröffentlicht Tahureau seine
Dialogues, 1572 werden die Discours non plus melancoliques que
divers und der Printemps Iver's veröffentlicht^); 1547 er-
scheinen die Propos rustiqu£s und 1548 die Baliverneries des
Noel du Fail und 1585 die Contes et discours d^Eutrapel von
demselben ; die Matinees erscheinen 1585 — 86 und die Apres
disnees 1587 — 88, beide von Choliöres verfaßt. Die Contes
amoureux des Flores, um 1531 veröffentlicht, sind zum größten
Teil dem Boccaccio entlehnt, während die 1584 veröffentlichten
Facetieuses joumees des Chapuis den Notti Strapola's ent-
nommen sind.^)
Auch das 17. Jahrhundert hat mehrere solche Samm-
lungen von Erzählungen aufzuweisen : 1603 le Tresor des rS-
creations ; 1646 die Galerie des curieux; 1668 den Courrier facetieux;
1695 den Bouffon de la Cour und die Caquets de VAccoucMe.
Diese Angaben sind größtenteils nach Toldo's erstmaliger
Zusammenstellung gemacht.*) Die meisten sind Bahmen-
erzählungen, gehen also in ihrer Form auf Boccaccio zurück.
^) Vher die ital. Nov. 8. Näheres 6ei Wiese -Pferc, Gesch., S. 376 ff.
2) Cf. KocKs Z. IV, 274; IX, 33ff., 54ff.; ZDA. XXI, 445ff.;
Schnorr^ 8 Ar eh. VI, 130 Anm.; Herr. Ar eh. XC, 182; Lieb au, König
Edw. III, S. 90 ff.
*) Toldo, Contrihuto, 8. V u. S. 83 ff., 106 ff.
*) Contrihuto, S. Vf. Toldo^s Zusammenstellung ist nicht vollständig.
Es fehlen z. B. noch: Belleforesfs Bist, {prodigieuses) tragiques eX'
traites des oeuvres ital. de Bändel. P. 1547 {s. Du Verdier, S. 366) und
Henri Philippe de Villiers' Hecatomythie {eine Übertragung der Liebes-
briefe Parabosc&s, 1536; s. Du Verdier, S. 572).
— 31 —
Schwerer, oft sogar unmöglich ist es, festzustellen, ob auch
der Inhalt der Novellen vom Italienischen genommen ist, oder
ob die behandelten Sto£fe auf den mittelalterlichen Anekdoten-
schatz des franz. Volkes zurückzuführen sind ; viele von ihnen
sind übrigens Gemeingut aller damaligen Kulturvölker. Von
den Cent NouveUes Nouvelks gehen mehr als 30 auf italienische
Quellen zurück^); eine große Anzahl italienischer Novellen
hat auch Margarete von Navarra in ihren Eeptameron auf-
genommen.^) Im Orand Parangon findet Toldo 87 Novellen *),
denen italienische Quellen zugrunde liegen, die Comptes du
monde aventurenx enthalten 44*), die Joyeux devis endlich 50
italienische Novellen.*)
Dieses Ergebnis von Toldo's Untersuchung wurde jedoch
von G. Paris angezweifelt®), der darauf hinweist, daß eine
Keihe der von Toldo als italienisch bezeichneten Novellen
teils in den Fableaux bereits zu finden seien, teils in der
mündlichen Überlieferung des Volkes schon seit Jahrhunderten
lebten. So behauptet Paris, die Novellen des Orand Parangon
seien puremeni fran^ais ') ; vom Heptameron sagt er, daß der
italienische Einfluß sich nur auf die Anlage der Sammlung
und auf viele Ideen, aber „literarisch" auf keine der Er-
zählungen erstrecke.®) Ahnlich spricht er von den JoyeKx
^) Toldo, Contr,, S. 1—29,
«) Ibd., S. 30—82.
») Ibd., S. 83—105.
*) Ibd., 8. 106—127.
») Ibd., 8. 128—153. Such.-Birch-Hirschf., 8.330 bezeichnen
die Joyeux Devis einfach als eine Art Fortsetzung der Fableaux.
•) La nouv. frang. {Journ. d. Sav. 1895. mai-juin, 289 — 303 u.
347 — 361). Auch Tobler hat einmal gesagt: „Toldo^s Verweisungen auf
itul. Vorbilder {Herr. Ar eh. Bd. 98, 8. 211) sind sehr oft ivenig überzeugend.^
') La nouv. fr., 8. 298; Wagner, Mellin de 8t'Q., S. 119 da-
gegen: „In dem Grand Par. wird die ital. Überlieferung fortgesetzt.^
8) Ibd., 8. 350; Such -Birch'B.., Gesch., 8. 331: „Einzelne (No-
vellen) stammen aus litt. Quellen, aus Ariost, Masuccio, G. Cinthio,
Sacchetti etc.". Mort, Gesch., 8. 80 sagt, das Hept. erinnere an
Boccaccio. — Wenn wir bedenken, daß Le Magon von Marg. be-
auftragt wurde, den Decameron zu übersetzen, so ist wohl anzunehmen,
daß die eine oder andere Nov. ihrer 8ammlung aus dem Decameron
stammt
— 32 —
Devis.^) Doch gibt er am Schlüsse seiner Arbeit den
itaUenischen Einfluß, wenn auch in beschränkterem Grade m.
Einen zwingenden Beweis, daß Toldo im Irrtum sei, hat er
jedoch nach unserer Ansicht nicht geliefert, da ein solcher
vielleicht überhaupt nicht zu liefern ist.
Für die übrigen bei Toldo aufgezählten Novellensamm-
lungen ist eine genaue Quellenuntersuchung bis jetzt nicht
angestellt worden; aber es ist wahrscheinlich, daß auch hier
eine reiche Ausbeute italienischer Quellen sich ergeben würde;
Die beiden Hauptwerke Rabelais', der Oargantua und
der Pantagruel, stehen auch vielfach unter dem Einflüsse
italienischer Dichter und Schriftsteller. Toldo hat sich zum
erstenmal mit ziemlich eingehender Genauigkeit darüber ge-
äußert.^) Doch bedarf es, um ein vollständiges Bild dieses
Einflusses zu geben, noch der Zuhilfenahme einer Anzahl
anderer Forscher.
Aus Pulci's Morgante Maggiore nahm Kabelais die Gestalt
seines Morgan; nach demselben Italiener führt er in seiner
Genealogie PantagrueFs (Garg. II, 1) 62 Kolosse an, die dem
Stammbaume des Kiesen zur Zierde gereichen.^) Femer ent-
hält die Keise PantagruePs Anklänge an Pulci und Folengo,
welch letzterer zweimal von Kabelais erwähnt wird.*) Das
Erziehungssystem, wie es der französische Satiriker
aufstellt, ist teils seinen eigenen Ideen entsprungen, teils nach
den Theorien der Kenaissance geschaffen, wobei Castiglione's
Cortigiano besonders berücksichtigt wird.^) Einfluß der italieni-
schen Kenaissancekultur ist es, wenn Kabelais ganz besonders
das Gefühl der Ehre betont.®) Die Gestalt des Panurge er-
*) Ihd., 8. H50; Morf, Gesch., S. 80: „Sie erinnern an Sacchetti."
«) LWte ital nelV opera di F. R, in : Herr.'s Arch., Bd. 100, S. 103
— 147; Arnould, Ess., S. 465, behauptet, daß ein bestimmter Einfluß
Italiens auf Rabelais sich nicht nachweisen lasse.
8) Morf, Gesch., S. 77.
*) Garg. II, 7; III, 11. PulcVs Morgante wird in Garg. II, 1
angeführt.
*) Toldo, Varte ital, in Herr.'s Arch. C, 119.
^) Zumbini, Siudj d. lett. stran.; cap. IV, Rabelais. Unsere
Stelle ist angeführt nach dem Referat über das Buch im Giom. stör.
XXIII, 292 ff.
- 33 -
innert an den Brunello des Innamorato (C. II, 5) und an
den des Orl. für. (C. III), an den Margutte des Morgante
Maggiore (0. XIX) und an den Cingar Folengo's (Macch.
11).^) Die Anekdote über das Almoseugeben findet sich bereits
bei Poggio (C. N. N. XXV); ebenso erinnert an diesen das
Gelübde im Sturm. ^) F. Colonna's Polifilo wird im I. Buche
(Kap. 9) des Gargantua erwähnt, und der Schluß des 5. Buches
ist nahezu eine wörtliche Übersetzung dieses 1499 in Italien
erschienenen Werkes.*) Die Abtei Thelöme ist beschrieben
nach dem Vorbilde der Renaissancepaläste; die Liebe der
Thelemiten war die platonische Liebe Petrarca's.*) In den
Regierungstheorien endlich, die er in seiner großen Satire auf-
stellt, sind Macchiavel imd Castiglione seine Quellen.
Eine Reihe italienischer Schriftsteller trägt außerdem
noch zur Bildung Rabelais' bei; er selbst nennt sie uns:
Poliziano (Garg. I, 24), Lorenzo Valla (I, 10), Passavante
(I, 14), Pontano (I, 19), Alberti (II, 7), Pico della Mirandola
(II, 18), P. Giovio (V, 31).*)
So konnte selbst dieser sonst so unabhängige Geist sich
dem Einflüsse der italienischen Literatur nicht entziehen, viel-
mehr erwuchsen ihm seine besten Ideen aus dem Studium der
italienischen Dichter und Schriftsteller. Mit Recht hat Phil.
Ghasles einmal gesagt, daß Rabelais die Elemente seiner
„großen Ironie" hauptsächlich in Italien sammelte.®)
^) Luzio's Spigolature FolenghianCy Bergamo, 1897, in welchen
ein Kapitel über die Nachahm. FoVs bei Rabelais handelt, konnte nicht
benützt werden; vgl. Toldo, l. c, 8. 124.
«) JRabelais, Garg. IV, 18 u. 19.
*)Sölthoft -Jensen, Le 5^ livre de Rabelais, etc. {Rev. d^Hist.
litt. 1896. III, 608 ff.).
*) Toldo, l. c, S. 137 ; ferner das Referat v. ZumbinVs Studj in
dem Gior. stör. XXIII, S. 292 ff., wo noch AriosVs Insel der Alcina
und Bemi^s rifojcimento delV Orl. innam. als Quellen angeführt werden.
*) Lanson, Hist, S. 254, nennt außer den bisher ertoähnten Vor-
bildem noch Coccaie und Aretin. Das Verhältnis des Ersteren zu Rab.
wird untersucht von Loforte-Randi in den «ümoristiy* [Lett. stran.
Palermo. 1901. 5«. seria, S. 179 ff.); der Artikel ist sehr allgemein ge-
halten; vßl. Krit. desselben in dem Bull. it. 1901. I, 317.
«) Etudes, S. 446.
Hfinchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIY. 3
•— 34 -
Im 17. Jahrhundert sind außer den bereits erwähnten
Novellensammlungen noch Lafontaine's Contes, eigentlich nur
Novellen in Versform, zu nennen. Ihre Quellen sind zum
großen Teil in Italien zu suchen.^)
A. Regnier hat allerdings die Quellen sämtlicher Conus
in der Lafontaine-Ausgabe der Grands ^crivains eingehend
untersucht und festgestellt, doch fehlt bei ihm eine übersicht-
liche Zusammenstellung der Ergebnisse, die wir nun hier
geben wollen.
I. Teil der Contes:
Conte 1 = Ariost, Orl. f., Canto XXVIII, 4 ff.
7J
3- „
77
J»j \J(X\JJLL1, JLJ.J., I.
„ VII, 7.
>7
11 — Candelaio
(letzte Szenen).
IL Teil:
Conte 1 Bocc.
, Dec
. VIII, 8.
7>
3
7»
TX, 6.
V
4
77
III, 2.
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5- „
7?
II, 2.
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7- „
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VII, 5, 8 u. 9.
J>
8_ „
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II, 10,
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9
77
VIII, 1.
??
13
77
I, 2 (oder aus den Diporti des
Parabosco).
»
14 Bocc.
, Dec
. II, 7.
W
15
77
IV, 2.
77
16
77
III, 1.
ni. Teil:
Conte 4 = Orl.
für., 1
0. X 1,111, 17flf.
') Bekannt ist ja Lafontaine's Vorliebe für die ital. Dichter^ welche
er in folgenden an den Bischof von S o i s s o n s gerichteten Versen zum
Ausdruck bringt:
«Je cheris VArioste, et festime le Tasse;
Plein de Machiavel^ entete de Boccace,
Ten parle s% souvent qu''on en est etourdi;
Ten lis qui sont du Nord et qui sont du Midi,i>
(Gr. tor. IX, 204, Vers 77—80.)
— 35 —
Conte 5 = Bocc, Dec. V, 9.
„ 13 = Orl. für., G. XLIII, 67 ff.
IV. Teil:
Conte 6 = Bocc, Dec. III, 8.
99 7 = „ „ UL, 2.
8 = Pecorone, Giorn. I, 2.
9 = Bocc, Dec. III, 10.
10 = „ „ IX, 10.
15 = „ „ III, 5.
16 = Ragionamenti dell' Aretino, Giorn. I, 1.
V. Teil :
Conte 3 = Bocc, Dec. III, 3.
,, 7 = Novella piacevolissima des Macchiavel.
Von den 64 Erzählungen des großen Dichters sind also
nicht weniger als 27 auf eine italienische Quelle zurück-
zuführen.
Als eine Fortsetzung des Ritterromans haben wir den
Schäferroman zu betrachten, welcher besonders in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich in Blüte stand.
Sannazaro aus Neapel schuf dieses Genre mit seiner Arcadia
(1489 — 1495). Spanien entwickelte es weiter und übertraf
die Arkadia mit Montemayor's Diana 1560; von Spanien aus
gelangte diese Dichtungsart sodann nach Frankreich. Indessen
macht sich auch manchmal ein direkter Einfluß Italiens
geltend, wie z. B. bei Honore d'ürfe. Die Quellen seiner
Astree sind in Sannazaro's Arcadia^ in Tasso's Aminta und in
Guarini's Pastor fido zu suchen.^) Birch-Hirschfeld bemißt
den italienischen Einfluß auf d'ürfe sehr hoch, wenn er sagt:
„Neben den spanischen Mustern sind es die Erzeugnisse der
italienischen Schäferdichtung, denen d'ürf§ für seine Schöpf-
ungen am meisten zu verdanken hat. Die Vereinigung mittel-
alterlicher, antiker und italienischer Bildungsbestandteile
1) Lanson, Eist, S. 369 u. 370.
3*
— 36 —
machte das Werk zu einem Lieblingsbuch der Zeitgenossen,
deren Stimmungen und Lebensideale es aussprach/^ ^)
Während das Schäferspiel für die ersten Jahrzehnte des
17. Jahrhunderts sich eine hervorragende Stelle im dramati-
schen Genre errang und bis in die Mitte desselben Jahrhunderts
sich auf der Bühne erhielt, ward dem Schäferroman eine viel
kürzere Lebensdauer zuteil. Bald nach dem Erscheinen der
Astree wandte sich die Mode dem historischen, und später
dem mehr realistischen Roman a la Princesse de Cleve zu;
andererseits verfiel in Italien die Prosaerzählung nach Art der
Arcadia, ohne daß ein neues Genre an ihre Stelle getreten
wäre; daher hört mit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
der Einfluß Italiens auf diesem Gebiete auf.^) Nur wenige
französische Erzähler des 18. Jahrhunderts wenden ihre Blicke
dorthin. Montesquieu^) schreibt seine Lettres persanes nach
dem Vorbilde G. P. Marana's Vesploratore turco e le di lui
relazioni segrete alla Porta ottomana, M™® d'Aulnoy nach dem-
selben Muster ihren Prince Marcassin,^)
Der komische Roman der Franzosen hat seinen Ursprung
in Spanien, wo Lazarillo de Tormes, 1553, die glänzende
Reihe der novehs picarescas eröflfnete. Ab und zu jedoch
scheinen sich auch italienische Einflüsse bemerkbar zu machen ;
so geht in Cyrano de Bergerac's Histoire coDiiqice des Etats et
Empires de la Lune, 1656 oder 1659, und desselben Ver-
fassers Histoire comique des Etats du Soleil, 1662, die Idee
der Mond- und Sonnenreise auf Dante und Ariost zurück.*^)
1) Sucb.-B.-Hirschf., Gesch., S. S72,
^) Nach Lintilhac [Hist., S. ^40) benützen in der 2. Hälfte des
17. Jahrh., der Märchendichter Perrault und die schriftstellernden Damen
aus dem Gesellschaftskreise der Marquise de Lambert die von J. Louveau
1560 übersetzten FacHieuses Nuits des Straparola.
») Wiese- Pferc, Gesch., S. 47(K Marana (1642-1698) lebU drei
Jahre in Paris und übersetzte selbst sein Werk ins Franz. Siehe auch
Toldo: Les Lettres persanes et V Espion de Mar. {Gior. stör., Bd. XXIX,
S. 47-49).
*) Darm, et Hatzf. , Le 16^ s., S. 64 u. Anm. 5.
*) Körting, Gesch. d. frz. Rom., Bd. II, Kap. VII; Hönncher
{Fahrten nach Mond und Sonne in d. frz. Lit. des 17. Jhrh.^s) streift diese
— 37 —
5. Elnflnß Italiens auf das franz. Theater.
I. Italienische Schauspieler in Frankreich.
Der Einfluß der italienischen Schauspieler auf die fran-
zösische Bühne kann nicht hoch genug angeschlagen werden;
daher ist er auch schon von einer großen Anzahl von Literar-
historikern einer eingehenden Untersuchung gewürdigt worden.
Freilich ist es oft geradezu unmöglich, diesen Einfluß, soweit
er die bloße Kunst des Schauspielers betrifft, festzustellen,
da wir hierüber für die italienische Bühne des 16. u. 17. Jahr-
hunderts nur spärliche ^), für die französische überhaupt keine
schriftlichen Aufzeichnungen besitzen.
Gewöhnlich bezeichnen die Literarhistoriker als Datum
des ersten Auftretens italienischer Schauspieler in Paris das
Jahr 1571, so z. B. Lucas, Campardon, Baschet, Julleville;
D'Ancona schwankt zwischen 1570 und 1571; ßigal nimmt
1572 an. Fest gibt als Datum das „Ende des 16. Jahr-
hunderts" an. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß bereits
früher schon ital. Wandertruppen in Paris gespielt haben.
Wir wissen, daß solche Truppen wiederholt vor 1571 einen
Quellenfr. nicht. Nach Bengesco, Bibliogr. Volt. Z, 440, geht Voltaire' 8
MtcromSgas in seiner Idee auf Cyrano^s beiden Romane, also indirekt
auf it. Einfl. zurück.
*) Hierher gehören vor allem die Scenarii Gherardi's, 1694^
1697 und 1700 erschienen; ihnen gingen voraus die weniger bedeutenden
Scenarii von Flam. Scala und Dom. Biancolelli, bekannt unter dem
Namen Dominique I. Für die Zeit von lö60 — 1665 ist Dorefs Muse
historique {3 vols. ; neue Ausg. F. 1867. 4 vols.) wichtig. Eine ausführliche
kritische Bibliographie über das ital. Theater in Paris findet sich bei
Klingler, Die Com.-Ital., S. 19 ff. Doch vermisse ich folg. für diesen
Gegenstand in Betracht kommenden, wichtigen Werke: Ebert, Ent-
wicklungsgesch., S. 122 ff. ; Lucas, Hist., III, 137 — 168; Fournier,
Varietes hist. et litt. V, 69 ff.; D'Ancona, Dell. orig. IL 455 ff.;
Julleville, Les comediens fr., p. 67 ff.; Fest, Der miles glor. {Münch.
Beitr,) 8.43; Riga!, Le Th. fr. avant la periode class., S. Iff. Ver-
einzelt steht K 1 i n g 1 e r mit seinem Lobe von Sand's Masques et Bouffons,
deisen biogr. Teü jedoch auch von ihm als unzuverlässig bezeichnet wird
{8. 8. 21, Änm. 2).
— 38 —
Ruf nach Frankreich erhielten, und bei einer solchen Ge-
legenheit mögen sie wohl auch die Hauptstadt des Landes
betreten haben. Ebert hält es nicht für unmöglich, daß die
geistlichen Komödien der Königin von Navarra (gestorben
1549) durch italienische Komödianten gespielt wurden.^) Von
Trautmann wissen wir, daß bereits im Jahre 1496 italienische
Schauspieler sich nach Frankreich „zerstreut" hatten.^) Proelss
verlegt ebenfalls das erste Erscheinen derselben in Frankreich
in das Ende des 15. Jahrhunderts^) und Birch-Hirschfeld
datiert es, allerdings ohne Quellenangabe, von 1486 an.*)
Lotheissen endlich nimmt das Jahr 1533 an, in dem be-
kanntlich die italienischen Komödianten zu Lyon die Calandria
Bibbiena's aufführten.^)
Von 1571 an finden sich solche Wandertruppen beständig
in der französischen Hauptstadt. Ganassa war der Direktor
der ersten Gesellschaft; gleichzeitig mit dieser wirkten noch
zwei andere, von denen wir nichts Näheres wissen.^) Als
Heinrich III. 1576 eine Versammlung der Reichsstände nach
Blois entbot, lud er, um sie zu unterhalten, an seinen dortigen
Hof die berühmte italienische Schauspielergesellschaft der
Comici gelosi, welche er auf seiner Reise nach Ober-
italien kennen gelernt hatte.') Diese spielten so vortreflFlich,
^) Entwicklungsgesch., S. 122^ Anm. 184. Laur, Marg., S. 302,
tveiß dasselbe zu berichten.
^) Ital. Schauspieler j S. 224. Die betr. Stelle lautet: „Am 5. Februar
1496 schrieb Herzog Ercole von Ferrara an Franz von Gonzaga, da^J
die Schauspieler, loelche terenzinische und plautinische Stücke an seinem
Hofe gespielt hätten, nach aller Herren Ländern, besonders nach Neapel
und Frankreich sich zerstreut hätten. "^
3) Proelss, Gesch., Bd. I, Halbbd. II, S. 98, 121, 156; Bd, II,
Halbbd. I, S. 8.
*) Suchier und Birch-H., Gesch., S. 357.
«) Gesch. I, 265.
^) Nur bei Baschet erwähnt, L c, S. 39.
') Mol and, Moliere et la com. it. 2. Aufl., S. 38; Lotheissen-,
Gesch., I, 266 ; NolhaceSolerti, Viaggio di Enr. III (Giom. stör.
Bd. XVII, 139ff. und 446f.); d'Ancona, Yarietä si. e lett, 2^ serie,
beschäftigt sich haupts. mit der inneren Geschichte dieser Truppe;
Proelss (/, 1. 26), Morf {Gesch. 197) und Klingler {Die Com,'It.,
— 39 —
daß „sie mehr Zulauf hatten^ als die yier besten Prediger
zusammengenommen".^) Weitere Gesellschaften waren die
Fedeli^), unter dem berühmten Direktor und Theaterdichter
E. G. Andreini, welche von Baschet die mattres des mattres de
Molüre genannt werden.^) Das berühmteste weibliche Mitglied
dieser Truppe war Isabella d' Andreini, welche man mit der
Isabella im Orl, für, verglich. 1584 spielte Fabricio de Por-
naris*), 1600 kamen die Gelosi abermals, jetzt unter Plam.
Scala, welchem später ein Saal im Palais Bourbon zur Ver-
fügung gestellt wurde.
Alle diese Truppen erfreuten sich unvermindert des größten
Beifalls, waren ihre Mitglieder doch wirkliche Künstler und den
franz. Schauspielern weit überlegen. In Frankreich wurden
außerdem die Frauenrollen noch von jungen Burschen gespielt,
während bei den Italienern auch Frauen die Bühne betraten
und die Zuschauer durch den Glanz ihrer Schönheit und
durch ihr anmutiges Spiel blendeten.^) Die italienische
Sprache war dabei kein Hindernis, da das Spiel der Komö-
dianten so deutlich und lebendig war, daß auch der italieni-
schen Sprache nicht mächtige Zuschauer das Stück verstehen
konnten.®) Vielleicht wurden sie auch vor dem Beginn der
Vorstellung mit dem kurzen Inhalt des betr. Stückes bekannt
gemacht. Dieses war immer ganz im Charakter der commedta
delV arte aufgebaut: Liebesintriguen, Entführungen oder Ver-
wechslungen, dabei Übertreibungen einzelner Charakterzüge,
wie Prahlerei, Geiz, Furchtsamkeit etc. Daneben aber ver-
S. Iff.) netmen das Jahr 1577, wo die Gelosi bereits von Blois nach
Faris gezogen waren.
1) Morf, Gesch., 197; ähnlich Ruth, Gesch. 11, 493.
^) Näheres über die Fedeli siehe: Bevilacqiia, Andreini e la comp,
dei Fedeli {Giom. st, Bd. XXIII, 76).
•) Les com., S. 334; über die weiteren Schicksale dieser Fedeli s.
Parfaict Rist, du Theätre fr. III, 236 f., ebenso in ihrer Hist. du
TMatre itaX. (P. 1753), welche nach Klingler {Die Com.-ltcU., S. 19) ein
vollst. Plagiat der handschriftl. Aufzeichnungen Gueulette's sind.
*) Proelss, Gesch. II 1, S. 26.
*) Lotheissen, Gesch., I, 266.
*) Ein großer Teil der besseren Pariser Gesellschaftskreise verstand
damals das Italienische geläufig.
— 40 —
sachläsi^gteD sie auch die comniedia erudita nicht, welche sich
jedoch nie einbürgern konnte, da sie für denjenigen, welcher
des ItaUenischen nicht mächtig war, unverständlich sein mußte.
Der Einfluß der italienischen Bühnenkünstler wirkte wohl
zunächst auf die französischen Schauspieler ; diese hatten keine
andere Tradition, als das künstlerisch wertlose Spiel der
Basochiene und der Gonfreres de la Passion, Die Kunst der
Italiener, die von Natur aus schon zu Schauspielern geboren
sind, und bei denen ständige Theater sich an den Fürsten-
höfen schon seit Beginn des 15. Jahrhunderts befanden, wo
sich die Kunst von Vater auf Sohn vererbte, mußte für die
französischen Kollegen eine Offenbarung sein. Sie werden
zunächst versucht haben, ihr Gebärdenspiel, ihr für die Bühne
berechnetes Kostüm, ihre Art des Vortrages und der Be-
wegungen nachzuahmen.
Dann ging man daran, einzelne Rollen, die auf der
italienischen Bühne immer wiederkehrten und stets den Bei-
fall der Pariser fanden, auf ihr eigenes Theater zu übertragen,
endlich aber übersetzte man eine Reihe von italienischen
Stücken oder ahmte sie nach, um mit den Italienern kon-
kurrieren zu können. So lassen sich zweifelsohne die in der
zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts in Paris erschienenen ÜbersetzuDgen, besonders die-
jenigen von Larivey auf diese Entwicklung des ital. Einflusses
zurückführen.^)
Von den typischen Rollen, die in der commedia delV arte
gebräuchlich waren, ging vor allem die des großsprecherischen
Soldaten auf die französische Bühne über. Pest, welcher
unter Benutzung der einschlägigen Literatur die Geschichte des
miles gloriosus bis auf Moliöre's Zeit untersucht hat, betont
hierbei zu sehr den antiken Einfluß auf Kosten des italieni-
schen.^) Er übersieht, daß vor .EW^mc (der ersten französischen
Komödie) bereits ein italienisches Lustspiel ins Pranzösische
übersetzt wurde, welches den prahlerischen Soldaten aufzu-
weisen hat. Es sind dies die higannati Giglio's, 1531
^) Proelss, Gesch. Bd. II, Halhbd. J, 26.
•) Der mü. glor. in d. frz. Litt., pass.
— 41 —
erschienen und 1643 übersetzt^), nicht zu verwechseln mit
den Ingannati Secchi's, c. 1551. Wenn Fest femer be-
hauptet, daß Grevin bei der Zeichnung des Panthaleone den
antiken €müesi im Auge hatte, so müssen wir auf die
neuesten Forschungen Toldo's hinweisen, welcher zeigt, daß
Q-rerin's Quellen neben der erwähnten Übersetzung der 7n-
gannati nur noch Eugene und die Tresoriere, also keine an-
tiken Lustspiele waren. ^) Andererseits ist nicht unmöglich,
daß der Rodomonte des Orl, für. dem französischen Dichter
vorschwebte, da er aus diesem Epos die beiden An-
fangsverse des zweiten Gesanges anführt (Akt II, Szene 3).
Auch ß. Belleau's Capitaine Eodomont steht, nach Fest,
unter klassischem Einfluß; demgegenüber ist jedoch einzu-
wenden, daß der Name tRodonionh an das Epos des Ariost
denken läßt, welches damals bereits in französischer Über-
setzung in mehreren Auflagen erschienen war. Toldo erinnert
daran, daß die Szene, wo Rodomont erscheint, eine auffallende
Ähnlichkeit mit einer Stelle im Orl, für, (XLVI, 101) habe.^
Daß überhaupt mit dem Namen Rodomont nicht allein
die Idee eines großsprecherischen Soldaten, sondern auch
die des Ariost'schen Helden verknüpft war, beweisen die
Verse einer 1622 erschienenen, dem Gros Guillaume zuge-
schriebenen Satire, worin dieser Volkskomiker von den Cour-
tisans sagt:
«7fe fönt les Eodomonts , les Bogers, les Bravaches,
Es arboriseront quatre ou cinq cens pennaches
Au feste sourcilleux dhin ckapeau de cocu
Et n^ont pas dans la poche un demy quart d^escti,'»^)
1) Toldo, La com. de la Ben, {Bev. d'Hist. litt 1897, S. 379).
Der Schöpfer der Bolle des •matamoros» der comm. delV arte ist Silvio
FiorilU^ welcher sich urkundlich erst 1599 so benannte {s. Stiefel,
in: ZfSp. Bd. 26. Bez. u. Bef.j S. 35). Sein Sohn war der berühmte
8chau^«£ler Tiberio Fiorilli, langjähriger Darsteller des Scaramuccio,
welcher vielleicht den matamoros nach Frankr. verpflanzte {s. Klingler,
l. c, S. 113).
«) La com. de la Ben. {Bev. d'Hist. litt 1898, S. 556).
») Ibd., S. 564.
*) Bei Fest, l. c, S. 72, in anderem Zusammenhange zitiert
— 42 —
Moli^re ließ den traditionellen Capüaine fallen, behielt
aber einige seiner Züge in verfeinerter Gestalt bei.^) Der
Grund, warum er diese Figur nicht vollständig beibehielt,
während er doch eine Reihe anderer komischer Typen der
ccyinm, delV arte herübernahm, scheint mir ein ganz äußer-
licher zu sein. Die italienischen Schauspieler verbannten bereits
vor der Mitte des 17. Jahrhunderts den Capitano von ihrer
Bühne und ersetzten ihn durch andere Charakterfiguren,
die allerdings mehr oder minder mit jenem verwandt waren. ^)
Infolgedessen verschwand er auch bald von der französischen
Bühne, oder fristete dort nur noch ein kümmerliches Dasein.^)
Denn man muß stets im Auge behalten, daß, wie Moliöre,
ebenso die späteren Lustspieldichter bei den Italienern in
die Schule gingen, und, wie wir sehen werden, für sie sogar
ihre Erstlingsstücke schrieben.
Von weiteren Typen ging auf das französische Theater
der Pedant über, welcher zuerst durch den Cleandro der Suppo-
siti (übers. 1545) in Frankreich Eingang fand. Im Laquais
Larivey's, einer Übersetzung aus dem Italienischen, findet
sich ebenfalls ein pedantischer Professor. Die Amme in
ihrer wichtigen Rolle ist nach Fournel eine Schöpfung des
italienischen ßenaissancelustspiels.*) Durch die balia in Ariost's
Suppositi wurde sie den Franzosen bekannt. Der Einfluß
des Altertums auf den valet ist allerdings unbestreitbar, aber
es wirkt auch italienischer Einfluß mit.*^) In den Esbahisy der
Hauptsache nach einer Nachahmung der Ingannati^ also eines
italienischen Lustspiels, tritt uns bereits der Typus des Dieners
des 17. Jahrhunderts entgegen delure, heaii parleur, abondunt
en proverhes, cheville ouvriere de Vaciion»^) Die ersten Diener
Moliöre's, hauptsächlich Mascarille im Etoiirdij zeigen vornehm-
lich italienischen Einfluß, desgleichen die von Regnard, der
1) Fest, Der mil. glor., S. lJ9^.
^) Schon die scenari des Flam. Scala {1611) haben kernen Kapitä
aufzuweisen; ebensowenig die des Dominique u. des Gherardi.
3) Fest, Der miles glor., S. 12S,
4) Fournel, Le Th. au 17 e s., S. 114.
">) Ibd., S. 117.
«) Ibd., S. 117.
— 43 —
sich ja selbst an den Italienern heranbildete.^) Lucas-) zählt
noch weitere Typen auf, die Moliöre der comm, deW arte entlehnt
habe, z. B. den Pantalon (den Arnolphe des Mol.), den
Docteur (Metaphraste und Pancrace), den Arlequin,
den Pierrot, welcher die Rolle des Arlequin spielt,
den Mezzetin (Gros Rene und Covielle), den Scara-
muccio (Scaramouche). Fournel nennt dagegen nur Mas-
carüle, Sganarelle, Metaphraste und Marphusius, den Docteur^ den
Mexxetin oder Leandro, als Typen, deren Vorbilder auf der
italienischen Bühne zu suchen seien.^)
Es erübrigt noch, das Schicksal der italienischen Schau-
spieler in Paris bis zu ihrem endgültigen Verschwinden zu
verfolgen.
!Nach dem Tode Mohöre's nahmen ihr Einfluß und ihr An-
sehen etwas ab. Der Grund davon lag darin, daß ihre Schau-
spielkunst keine Entwicklung aufzuweisen hatte*); die Steg-
reifkomödie wurde nach einem konventionellen ca/zevoÄ gespielt *^),
die Handlung blieb im großen und ganzen dieselbe, nur die
Rollen änderten sich ab und zu. Außerdem hatten die Fran-
zosen jetzt ein eigenes, unübertreffliches, abwechslungsreiches
Lustspielrepertoire in Moliöre's Meisterwerken, Trotzdem aber
geben die ital. Künstler seit 1680, wo sie das Hotel de Bour-
gogne beziehen, täglich Vorstellungen. Von 1682 spielen sie
auch rein französische Stücke in französischer Sprache, nach-
dem schon seit einem ganzen Jahrhundert häufig längere Stellen
in französischer Sprache in ihren Stücken vorkamen.®) Damit
') Ihd., S. 119.
^) Hist. phil. J, 1S8. Seine Quelle scheint allerdings der unzuver-
lässige Chamfort gewesen zu sein.
') Fournel, l. c, S. 134; Morf, Gesch. [S. 197), sagt sehr allge-
mein: „Diese italienischen Truppen haben tiefe . . . Spuren^^ zurückgelassen;
Schneegans, Moliere {S. 29) zählt die einzelnen Typen der ital. Com.
auf, bespricht aber nur ihr Verhältnis zu Moliere.
*) Despois, Hist. du th.fr., S. 59f.; Fest, Der mil. glor., S. 58.
• *) über die Darstellung und Improvisation s. besonders Albo'ize, Le
theätre de Tabarin {Le monde dram. 1835. I, S. 361 f.). Betz gibt
fälschlicherweise in seiner Litt. comp. {S. 56) als Titel dieser Arbeit an :
Hist. de la Com. ital. en France.
«) Klingler, Die Com.-Ital, S. 171/f.
— 44 —
fangt für dieCömici italiani eine völlig neue Epoche an,
die sich dann durch das ganze achtzehnte Jahrhundert hinaus-
zieht; man kann sodann ihre Bühne als eine national-fran-
zösische bezeichnen.
Auch als solche wußte sie das Interesse der Franzosen
ganz besonders zu fesseln, indem sie es sich zur Aufgabe
machte, bald aktuelle Ereignisse, Skandalgeschichten aus der
Pariser Gesellschaft, bald Parodien berühmter Theaterstücke
und Opern auf die Bühne zu bringen.^)
In der Parodie sind sie unübertrefflich: Götter und
Menscheu, Meisterwerke, wie der Od (1682) des großen Oor-
neille, alles fällt ihrem Spotte anheim.^) „Id viel weiterem
Umfange als die Tragödie wird die Oper parodiert: die Par-
titur LuUi's, die Libretti Quinault's, . . . P^court's Tänze und
der lärmende, praugende, szenische Apparat, den man dort
entfaltete, Musik, Tanz, Spektakel! Das gibt Augen- und
Ohrenweide die Fülle." *) Man kann geradezu sagen, daß die
Italiener dieses genre begründeten, da es vor ihnen außer
Donneau's «La Cocue imaginaire» (1660) wohl nur wenige
Parodien gegeben haben mag. Noch unzweifelhafter gebührt
ihnen das Verdienst, das Vaudeville und die komische
Oper geschaffen zu haben.
Sobald die Musik der Lulli'schen Opern im Volke be-
kannt zu werden begann, bemächtigten sich die findigen
Italiener einiger besonders beliebter Arien, versahen sie mit
parodierenden, oder derbhumoristischen Texten und flochten
sie in ihre Possen und Lustspiele. Damit ist das Vaudeville
schon geschaffen. Bald schrieb man anstatt der den ernsten
Opern entlehnten Musik eigene Partituren und es entstand so
die Operette. Favart, der bei den Italienern sich heranbildete,
hat die erste derartige Operette geschrieben; auf der Bühne
der Comici italiani fand diese neue, schnell beliebt ge-
wordene Gattung ausgezeichnete Darstellung.
1697 wurde die Comedie italienne unterdrückt wegen der
^) P. d'Estree, Les orig. de la Revue au theätre {Bev. d'Hint.
litt. 1901. VIIT, 234—280).
2) Klingler, l c, S. 179ff; Despois Le th. fr., S. 65.
ä) Klingler, l c, S. 183.
— 46 —
Aufführung der Fatcsse Prüde, in welcher man M™® de Main-
tenon leicht erkennen konnte^); erst 1716, als der Regent
an der Spitze des Staates stand, durften sie wieder zurück-
kehren. Während der Zeit ihrer Verbannung wurde das
Theätre de la Foire gegründet, mit welchem sich die
Italiener später (1762) verschmolzen^); erst mit Beginn der
Revolution verließen sie für immer die Seinestadt; 1793 wurde
ihr Theater 'zur Opera comique national, aus der dann 1810
die heutige Opira comique hervorging.
n. Die Tragödie.
Seit dem 15. Jahrhundert begannen die Italiener, sich
eine eigene Tragödie nach den regelmäßigen Formen der
antiken dramatischen Kunst zu schaffen. Auf Trissiuo's
Sophonisbe folgte die JRosmunda und der Oreste BucceUai's, die
Thdlia Martelli's und die neun Tragödien Giraldi Cinthio's, von
denen zwei Didone und Cleopatra betitelt sind. Diese
neue Kunst Italiens konnte in Frankreich nicht unbeachtet
bleiben und unter der doppelten Beeinflussung durch Italien
und Griechenland treten um die Mitte des 16. Jahrhunderts
die Jünger des Humanismus mit dem Bestreben hervor, eine
dramatische Dichtung zu schaffen, die in heimischer Sprache
den großen Mustern des Altertums und Italiens nacheiferte.
Bereits hatte Quinziano Stoa, der Erzieher Franz' I., eine
Anzahl von Stücken geschrieben, deren Stoffe der römischen
Geschichte entlehnt, und deren Vorbilder griechische Tra-
gödien waren. ^) Alamanni, der eigentliche Vertreter der
*) D e 8 p o i s , Le tJieätre fr., S. 65. Ein Gemälde von Wa tteau,
Le dipart des comediens Italiens (um 1718 gemalt)^ verewigt dieses denk-
würdige Ereignis. Eine Reproduktion dieses Bildes findet sich in der
Lit.'Gesch. von Suchier und Birch-Hirschf., S. 515f. und hei
Klingler, L c, S. 13.
*) Wie populär die ital. Komödianten noch im 18. Jahrh. waren,
beweist liarmontel's Klage, daß die »Diguisements» der ital. Schau-
spieler die Werke des großen Moliere in Vergessenheit brächten (».
E. Chafiles La com. fr.., S. 5).
*) Darmeiteter et Hatzf., Le 16« »., S. 155, ebenso Birch-
Hirschf., Geschichte der franz, Lit, 62 ff.
— 46 —
italienischen Literatur am Hofe Franz' I., bearbeitete die
Antigene in italienischer Sprache, die dann zuerst in Frank-
reich gedruckt wurde. ^) Italienische Schauspieler führten^
wie wir bereits gehört haben, lateinische und italienische
Tragödien am Ende des 15. Jahrhunderts in Frankreich auf.
Bald wurden italienische Übersetzungen antiker Tragödien an
den Hof gebracht. In einer solchen Zeit entstanden Jodelle's
zwei Tragödien Cleopätre und Didon. Der Einfluß
Seneca's ist unverkennbar^); aber auch die Italiener dienten
ihm als Vorbilder. Arnould hält es für gewiß, — beweist
es allerdings nicht — daß der franz. Dichter die gleich-
namigen Stücke C in thio 's kannte.*) Auch Levrault ist der-
selben Ansicht. Er sagt: tCest ä Ciniio quHl s'adressa. M
les Premiers pas de la Muse franguise sur lu scene tragique furent
guides . . .par unpoete italien.^^) Doch ist diese Behauptung bis
jetzt nicht bewiesen worden. Rigal leugnet jede Abhängigkeit
der Jodelle'schen Didon vom gleichnamigen ital. Trauerspiel,
da dieses viel weniger klassischen Geist in sich trage ^) ; über
die Cleopätre äußert er sich überhaupt nicht. Böhm*) ver-
mutet, daß Rigal vielleicht auf Grund einer von ihm zitierten
Stelle bei Du Verdier '^ auf die Möglichkeit eines Abhängigkeits-
verhältnisses der beiden französ. Stücke von G. Cinthio ge-
kommen sei. Nach Friedrich's Untersuchungen über die
Didodramen ist eine Benützung von Dolce's Didon e seitens
Jodelle ebenfalls ausgeschlossen.®)
Birch-Hirschfeld erwähnt bei Jodelle's Tragödien
überhaupt keinen italienischen Einfluß.®) Morf gibt als Vor-
^) Darm est. et flatzf. , Le 16« siede, S. 155.
^) Siehe darüber die gründliche Arbeit B ö h m's (Der Einfl. Seneca^s),
woselbst toeitere Literaturangaben über Seneca's Einflvß auf die ersten
franz. Tragödien sich finden.
») Essais, S. 466.
*) Drame, S. 19.
*) Le theätre fr. avant la per. class., S. 271, Anm.
•) Einfluß Seneca's S. 74; Böhm gibt als Hauptquelle der ClSopäire
die Antoniusbiographie von Plutarch an {ibd., S. 76).
') Bibliothequej S. 286; vgl. Böhm, l. c, S. 74 u. Anm, 2,
^) Die Didodramen, S. 45; vgl. Böhm, ibd.j S. 47.
») Suchier und B.-H., Gesch., S. 357.
— 47 —
bilder Seneca und die Italiener an und findet, daß Jodelle
nach dem Beispiele der Italiener den Chor häufiger am
Dialoge teilnehmen läßt als Seneca.^) Texte spricht allerdings
nicht speziell von Jodelle's Stücken, doch legt er ganz be-
sonderen Nachdruck auf den italienischen Einfluß bei den
ersten Tragikern der französischen Bühne.®) Böhm äußert
sich selbst nicht über diese Quellenfragen der beiden Stücke^
da sie außerhalb des Rahmens seiner Untersuchung liegen^
führt aber diejenigen Literarhistoriker an, welche nun Seneca
als Vorbild nennen.^)
In der von Böhm aufgestellten Zeittafel der zwischen
1552 — 1573 veröffentlichten franz. Tragödien findet sich an
vierter Stelle die Sophonisbe St-Gelais'*), über die bereits
eine stattliche Literatur existiert. Die umfangreichste und
gediegenste Abhandlung über St-Gelais' Sopkonwbe in ihrem
Abhängigkeitsverhältnis zur gleichnamigen Tragödie Trissino's
mit Berücksichtigung der weiteren französischen und außer-
französischen Bearbeitungen dieses Stoffes ist die von An-
drae, welcher 12 französische, 5 italienische, 2 spanische,
1 portugiesische, 3 niederländische, 3 englische, 13 deutsche
und 2 russische Tragödien über diesen Stoff eingehend be-
handelt hat.'^)
Was St-Gelais' Stück betrifft, so haben die Untersuchungen
von Fries •) und Wagner "^ ergeben, daß es eine Übersetzung
von Trissino's Sophonisbe ist mit einigen wesentlichen Ab-
weichungen am Schlüsse, indem er den Tod der Heldin nicht
1) Gesch., S. 200.
') Les Origines de la Ren., in: Rev. des cours et conf. 1894; nov.
— nmrs, 8.248: «lls ont pleine la houche de la tragidie grecque; enfait
ils lisent et relisent la Sophonisbe de Trissin. lls feignent de se demander
s'ils imiterant Terence ou Flaute; leur vrai modele est une comedie de
Bibbiena.»
«) Einflvfi Seneca's, S. 57 ff.
*) Ibd., S. 27.
**) Siehe StiefePs anerkennende Kritik dieser Arbeit in Vollm.'»
J.'B. IV. 2. S. 555 f.; daselbst {S. 5 56 ff.) handelt St. nonh über den-
Einfluß des italienischen Dramas auf das anderer Länder.
•) Monchrestien^s Sophonisbe, seine Vorgänger u. Quellen, pass.
') Mellin de St-Qelais, S. 120 ff.
- 48 —
auf der Bühne vor sich gehen läßt, sondern ihn nur erzählt^
offenbar um damit einer von den italienischen Dramaturgen
aufgestellten Forderung zu genügen.
Der von Böhm auf „1556?" datierte Josias des Messer
Philone ^), unter dem er den Tragiker Des Mazures vermutet,
und die 1561 gedruckte Soltans des ßounyn^) werden von
einigen Literarhistorikern als Übersetzungen aus dem Italieni-
schen bezeichnet^); doch wurde bis jetzt noch nicht untw-
sucht, inwieweit diese Behauptung auf Wahrheit beruht. Die
Soltane bezeichnet der auf Venema's*) Dissertation fußende
Morf als eine „stümperhafte Nachahmung Seneca's, ins-
besondere seiner Medea".^) Böhm kommt zu demselben Ur-
teile, wenn er, allerdings in gemilderter Form, die Soltane
als eine „Kopie" der Senecatragödien bezeichnet.®)
Dagegen sind unstreitig die Italiener als die Vorbilder
der TuUia, eines von Böhm nicht erwähnten Stückes Le
Breton's, anzusehen, das dieser nach der gleichnamigen Tra-
gödie Martelli's 1533 schrieb.')
Selbst das religiöse Tendenzdrama kommt, wenn auch
vereinzelt, von jenseits der Alpen herüber und gibt den Pro-
testanten eine Waffe in die Hand zur Verteidigung ihres neuen
Glaubens. 1558 übersetzte nämlich Jean Crespin aus dem
Italieuischen des Francesco Negro seine Tragedie du Boy Francs
Arbitre, einen „Prosatraktat von 426 Seiten, ein dialogisiertes
Pamphlet von unheimlicher Beredsamkeit".®)
Von Le Jars' Lucelle bemerkt Ebert, der sie sehr ein-
gehend behandelt, daß ihr eine italienische Novelle zugrunde
') Einfl. Seneca'8, S, 27.
2) Ihd., S. 27.
^) Ibd., S. 75, Anm. 1 sind die betr. Autoren gennannt. Ho 11
(Tendenzdr., S. 169) erwähnt den JosiaSj den er ebenf. dem Des Mazures
zuschreibt.
*) Venema besorgte einen Neudruck der Soltane (Marb. Diss.
1888. A. u. A. Nr. 81).
*) Gesch., 8. 205.
ö) Einfl. Seneca^s, S. 152. Über den Ausdr. „Kopie^, ibd.j S. 150.
') Morf, Gesch. 204.
*) Holl, Das rel. u. pol. Tendenzdr.^ S. 136 u. Anm, 1; Morf,
Gesch., S. 210.
— 49 —
liege. ^) Nach Morf sieht sie wie die Bearbeitung eines
italienischen Originals aus.^)
Von ß. Garnier und Änt. de Montchrestien werden
wir später noch reden; auch diese beiden Hauptyertreter
des Renaissancedramas können sich dem italienischen Ein-
fluß nicht entziehen. Doch können wir hier gleich Mont-
chrestien's Sophonisbe erwähnen, die dem Gange der Hand-
lung in Trissino's Trauerspiel folgt. ^) Eine weitere nur von
Andrae erwähnte Sophonisbe Mermet's (1584) ist nichts
.*
anderes als eine Übersetzung der Sophonisbe des italienischen
Dichters.*)
Hardy, der fruchtbarste Theaterdichter, den Frankreich
gesehen, blieb in seinen Tragödien unabhängig vom Einfluß
des ital. Theaters ^), während dagegen in Theophile de Viau's
Fyranie et Thisbe sich eine bedenkliche Neigung zum Marinis-
mus bemerkbar macht, welcher allmählich die ganze fran-
zösische Literatur ergreift und sie mehrere Dezennien hin-
durch beherrscht.^) Selbst Corneille bleibt nicht frei von
dieser geschmacklosen Moderichtung, und ßoileau hat allen
Grund, sie zu bekämpfen.*^)
Von Mairet's Tragödien gehören hierher seine Soplimiisbe
und sein Marc-Antoine, welch letzterer neben Plutarch und
*) Ebert, Entw., S. IV.
3) Morf, Gesch., S. 211.
') Vgl. Kritik von Andrae's Sophonisbe (ZfSp. 1891, Suppl. 6, S. 5).
*) Ibd., S. 5. Eine neugedruckte Sophonisbe von Mond ot aus dem
gleichen Jahre icird von Andrae ebenfalls envähnt.
*) In seinem grundlegenden Werke über Alex. Hardy erwähnt Rigal
keine ital. Quelle. Dagegen hält Morf , l. c, S. 226, seine Schäferspiele
stofflich von Italien beeinfliifit. Wir iva-den darauf in einem späteren
Abschnitte zurückkommen.
®) Marinismen: Akt I, Sz. 1 (Vers 6—10) und I, 1, Vers 38 f.
Akt V, 2. Vers 6öf. Vgl. Lotheissen, Gesch. I, 311 ff . Nach Luc&a,
Hist {III, 27 S) und Lotheissen, Gesch. {I, 309) fand die erste Auf-
führung von Fyrame et Thisbe 1617 statt.
') Art poetique I, 43 ff.; 11, 106 f. G. Scudery, Boisrobert, Cyr.
de Bergerac, La Calprenede und Benserade, die sich in der Tragödie ver-
suchten, als diese ihren Aufschwung nahm und die vornehmste DicJitungs-
form wurde, verrieten eine große Neigung zum Marinismus.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIY. 4
— 50 —
und Garnier auch auf Gir. Cinthio zurückgeht ^) ; die Mariamne
des Tristan THermite, die in demselben Jahre wie der
Cid ihre Erstaufführung erlebte und einen fast ebenso lebhaften
Erfolg errang, weist auf die €Mariannay> Dolce's zurück.^)
Mit der nun folgenden Blütezeit des französischen Trauer-
spiels und dem gleichzeitig eintretenden raschen Verfalle der
italienischen Literatur mußte naturgemäß der Einfluß Italiens
immer mehr zurücktreten. Die Epigonen eines Corneille und
eines Racine ^) brauchten nun nicht mehr über die Alpen zu
gehen, um Vorbilder für ihre Dichtungen zu finden; und
selbst wenn sie dort nach solchen gesucht hätten, würde ihr
Bemühen vergeblich gewesen sein. Denn das 17. und die
erste Hälfte des 18. Jahrhunderts bezeichnen den traurigsten
Tiefstand des italienischen Dramas und der italienischen Lite-
ratur überhaupt. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts beginnt in Italien mit Metastasio ^) eine neue Periode
der dramatischen, vorzüglich der tragischen Kunst, die in
Frankreich nicht unbemerkt blieb. Metastasio wird gelesen
und nachgeahmt; seine vorzüglichsten Bewunderer sind Vol-
taire, Marmontel, La Harpe, Rousseau.*) Voltaire folgt ihm
in der Nichtbeachtung der drei Einheiten (Semiramis); die
Idee, mit dem Orphelin de la Chine ein chinesisches Stück
auf die Bühne zu bringen, kam ihm bei der Lektüre des
Eroe cinese von Metastasio.*) Lefranc de Pompignan soll ihn
zum Vorbild in seiner Didon gewählt haben ') ; Lemierre schreibt
seinen Artaxerce und seine Ypermnestre in Anlehnung an Meta-
stasio's gleichnamige Tragödien^); der Tüus Du Belloy's ist
^) Dannheisser, Stud. zu Mairefs Leb. u. Werken, S. 110,
*) W i e s e - P ^ r c, Gesch., S. 300. Vgl. noch Landau, Die Ih'amen
von Herodes u. Mariamne, in: Z. f. vgl. Lit 1895, VIII, 175 ff., 279 ff.
•) Dejob, EtudeSj S. 158, glaubt bei Racine ital. Einfl. zu finden^
der auf die ital. Lektüre in seiner Jugend zurückzuführen sei.
*) Ibd., S. 151—172.
*) Ibd., S. 152, Hettner geht in s. Liit.-Gesch. auf Quellenfragen
nicht ein.
«) ßouvy, Voltaire, 8. 212,
') Dejob, l. c, S. 153; ebenso ßouvy, l. c, S, 205
*) Petitot, Repertoire, Bd. IV, S. i95 wnd Dejob, l c, S, 153f.
— 51 —
eine Nachahmung der Clemenxa di Tito Metastasio's, seine Zelmire
eine Nachbildung der Issipile. ^) Marmontel und Deriaux
arbeiten seinen Demofoonte zu Operntexten um.^) Vieuville
ahmt 1766 dasselbe Stück nach. Bursay und La Ville
endlich bringen je einen Ärtaxerce nach dem Vorbilde des
Artaserse des italienischen Tragikers auf die Bühne, und am
Ende des 18. Jahrhunderts ist es wiederum Metastasio, den
Lamac in seinem Themistocle vor Augen hat. Ja, bis ins
19. Jahrhundert reicht noch sein Einfluß. Denn Delrieu's
Ärtaxerce (1808) und Arnault's Begulus verdanken ihr Ent-
stehen dem großen Italiener. Goldoni, der lange Zeit in
Paris weilt, berichtet besonders von der Beliebtheit der Stücke
Meta Stasi o's.^) Von Voltaire ist noch zu erwähnen, daß
seine Merope durch die Lektüre von Maffei's gleichnamigem
Stücke veranlaßt wurde*), beabsichtigte er doch ursprünglich
das italienische Stück selbst zu übersetzen. Bouvy weist auf
eine Eeihe von Entlehnungen, welche Voltaire bei Maffei
machte, hin. Auch in seiner ißcossaise läßt sich eine italienische
Quelle nachweisen, und zwar ist es diesmal Goldoni's Bottega
del caß, welche ihm einige Szenen lieferte, wie d'Ancona ^\
Neri ®) und Toldo "^ nachgewiesen haben. Die Quellen zu
Diderot's Rührstücken Le Fere de familJe und Le füs natnrel
^) Dejob, ihd.^ S. 154 tt. Petitot, l. c, iF, 19o.
^) Ibd., S. 154; ebenso für die folgenden hier angef Stücke ^ die vo7i
Metastasio heeinfl, worden sind.
') Goldoni, Memoires^ Teil III, Kap. 8. Goldoni seihst ist lange
ohne Einfluß auf die franz. Lit. gehliehen. Mit seinem französisch ge-
schriehenen «Bourru hienfaisant» hat er sich jedoch in der Literatur
seiner Zeit einen ehrenvollen Platz errungen und ist von den Kritikern
einstimmig hewundert worden (J. Merz, C. Goldoni, S. 67).
*) In Hartmann's Merope im it. u. fr. Dr., S. 76, werden die
Meinungen einzelner Literarhistoriker üher Volt.^s Entlehnungen von
Maffei angeführt. Jedoch geht aus seinen Ausführungen nicht klar hervor,
worin Maffei den frz. Dichter heeinflußt hat. S. Krit. üher Harimann's
Merope, in: Z. f. vergl. Litt. 1903. N. F. VI, 416.
^) I comici italiani in Francia, in: Varietä, 3<* serie, S. 280.
*) TJna fönte delV icossaise . di Voltaire, in : Rassegna hihliogr. d.
lett. it., VII, S. 44.
') Giom. stör., Bd. XXXI, 442 ff.; Merz (C. Goldoni, S. 37) üher-
geht diese Frage.
4*
— 52 —
sind noch nicht eingehend untersucht worden. Freron nennt
das erstere geradezu ein Plagiat des gleichnamigen Goldoni-
schen Stückes, während Eosenkranz, der Herausgeber Diderot's,
nur eine teilweise Benützung desselben zugibt.^) Von dem
zweiten Stücke erklärt Diderot selbst, daß es unter &oldoni's
Einfluß geschrieben wurde. ^)
Auch Alfieri fand Nachahmer in Frankreich. Lemercier
verdankt ihm zum großen Teil den Erfolg seines Agamemnonj
Legouve pöre entlehnte den Schluß seines Jßteocle dem Polinice
des Italieners.^)
Noch in der Restaurationszeit finden wir Spuren italieni-
schen Einflusses. Denn 1821 brachte Janin einen Oreste
auf die Bühne, der die meisten Szenen des gleichnamigen
Alfieri'schen Stückes enthielt; dasselbe kann man von der
im nächsten Jahre aufgeführten Clytemnestre Soumet's sagen.
Endlich zeigt sich Alfieri's Einfluß noch 1827 in Guirand's
Virginie.^)
Das ganze 19. Jahrhundert hindurch werden italienische
Tragödien auf franz. Boden in italienischer Sprache auf die
Bühne gebracht. M.^^ Eistori, die große Tragödin der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte mit ihrer Truppe
mehrmals ital. Trauerspiele in Paris auf.*) 1830 ließ die
Herzogin von Berry italienische Tragödien in der Haupt-
stadt Frankreichs aufführen; doch machte die Julirevolution
diesen Vorstellungen bald ein Ende. 25 Jahre später trat
M"^® Eistori noch ein letztes Mal mit einer Truppe auf und
spielte mit außerordentlichem Beifall Alfieri's Mitra und Pellico's
Francesca da Bimim,^) Erst gegen 1860 hören diese Gastspiele
^) über Frtroii's Behauptung s. Kosen kränz, Diderofs Leb. u,
W. I, 275.
'^) Ausg, V. Rosenkr, VII, 3S7.
3) Dejob, Ekides, 227 ff.
*) Dejob, ihd., S. 227 f.
*) Dejob, ibd.j S. 284, Anm. 1, mit weiteren Lit.-Ang. Jedoch
vermissen wir: Perrens, La comedie ital. ä Paris. iV/"»< Ristori {Rev. des
deux M. 15. Juni 1855 %md 15. Juni 1857).
^) Dejob, ibd., S. 282.
— 53 —
der Italiener auf, um nochmal gegen Ende des Jahrhunderts
durch Eleonore Düse in Mode gebracht zu werden.^)
III. Die Komödie.
Noch mehr als die französische Tragödie steht die Ko-
mödie in ihren Anfängen unter italienischem Einflüsse. Bereits
9 Jahre bevor Jodelle's Eugene ou la Rencontre über die Bühne
ging, hatte Ch. Estienne ein Lustspiel ^) aus dem Italienischen
übersetzt, nachdem die Franzosen schon 1533 zu Lyon die
Calandria Bibbiena's auf der Bühne hatten sehen können. In
der Vorrede zu seiner Übersetzung teilt Estienne dem Leser
mit, daß er die LenUy den Negromant und den Marescalco,
welchen er fälschlicherweise ebenfalls Ariost zuschreibt, ge-
lesen habe, und führt sie seinen Landsleuten als Muster vor.
Im Jahre 1545 erscheint die Übersetzung der Supposiii des
Ariost durch J. Bourgeois^); 1549 empfiehlt Du Bellay in
dem Manifeste der Pleiade die Komödie und die Tragödie im
Gegensatz zu den mittelalterlichen Gattungen des Dramas.*)
Im Jahre 1552 endlich erhalten die Franzosen in Eugene
ou la Rencontre ihre erste Originalkomödie. Wir finden im
Stücke selbst keinen italienischen Einfluß, allein der Prolog
ist ganz nach italienischer Manier aufgebaut, indem er die
im Stücke auftretenden Personen kurz andeutet.*^)
Aus dem Umstände nun, daß diese erste französische
Komödie nicht unter italienischem, sondern teils unter antikem,
teils unter mittelalterlich-französischem Einfluß steht, haben
viele, selbst moderne Forscher den italienischen Einfluß auf
das Lustspiel überhaupt viel zu wenig betont. Wir wollen
^) Larroumet, La Düse et le public parisien {Xouv. Et. Paris.
1899, 8, 239 f,).
*) Das Sacrifizio der Intronati zu Siena lodS.
*) Nach Creizenach (Gesch.^ III^ 89) wurden wahrscheinlich in
Paris die Lucidi des Firenzuola lö55 und Anfang März des folgenden
Jahres in Fontainebleau die Flora des Alamanni vor der Hofgesellscliaft
aufgeführt
*) Vgl. Lanson, Hist, S. 275,
*) Ygl. den Prolog in den iial. Komödien Androsiaj Cassaria etc.
— 64 —
hier die Ansichten einiger wichtiger Autoritäten auf diesem
Gebiete anführen.
Schon Vauquelin gibt zu, daß Frankreich sein Lustspiel
nicht selbst geschaffen, sondern es den Italienern und Lateinern
entlehnt habe.^) Auch Beauchamps gibt den italienischen
Einfluß auf die Komödie zu, wenn er auch meint, daß seine
Landsleute nur die Fehler der Italiener entlehnt hätten.^)
£. Chasles nennt den italienischen Einfluß auf das franz.
Theater (Komödie) vorherrschend, bezeichnet jedoch Italien
als ein „trügerisches Vorbild und als einen gefährlichen Führer" *),
während dagegen Lenient die Eenaissancekomödie auf die
mittelalterliche Farce zurückführt.*)
Mahrenholtz hinwiederum gesteht dem franz. Lustspiele
nationale Selbständigkeit zu, bedauert aber, daß daneben
„immer wieder die plumpsten Nachahmungen der spanischen
und römischen Komödie und namentlich, was am meisten zu
bedauern sei, die italienische commedia deW arte sich Bahn
brachen".*^)
In seiner Einleitung zur Farce de Pathelin erklärt endlich
Genin, daß die Verwicklungs- , wie die Charakterkomödie,
aus der Farce entstanden sei.*) Genin's Ansicht wird auch
von Aubertin vertreten'), während Darmesteter und Hatz-
feld jene Komödie aus dem italienischen Lustspiele und der
Farce erstehen lassen, wobei sie jedoch der letzteren die größere
Bedeutung beilegen. ®) Ganz besonders vertritt Petit de
JuUeville die Entwicklung der franz. Komödie aus der Farce
^) Art poetiquCj Chant III, v. 130 ff.
^) Rech, I. Teil, S. 150 ff.: ^Nous lümes leurs ouvrages, nous les
imitämeSf il nous arriva ce qui arrive, quand on suit ses guides sans dis-
cernement, nous prtmes leurs defauts, et ne tirämes point de parti de
leurs heautes.»
*) La Comedie en Fr., S, 109; vgl. ibd., S. 10: «Ow lit les anciens
ou les imite ä travers Vinfluence de VItalie; VItalie fut un modele di'
cevant et un guide dangereux.»
*) La Comedie en Fr., S. 572.
*) Meliere, Abschn. i, S. 68.
**) Farce de Pathelin, Einleitung, S. IV ff.
?) Hist. du th. fr, I, 583.
«) Le 16* siech, S. 176.
— So-
und verteidigt seinen Standpunkt mehr als einmal in seinen
Werken.^) Dagegen erkennt Rigal voll und ganz die Be-
deutung des italienischen Einflusses an^); als einen Aus-
fluß der mittelalterlichen Farce bezeichnet er diejenigen
Stücke, welche nur belustigen wollen; auch betont er, daß
die meisten Personen der französischen Komödie sich bereits
im italienischen Lustspiele vorfinden.^) Barthelemy, dessen
Geschichte des franz. Lustspieles übrigens jedes wissenschaft-
lichen Wertes entbehrt, spricht vom italienischen Einfluß erst
gelegentlich der Erwähnung Scarron's.*)
Nach Lotheissen ist das Lustspiel aus dem französischen
Volksgeiste hervorgegangen *) ; an einer anderen Stelle läßt er es
jedoch von „der ausgelassenen Commedia delV arte^ ausgehen.*)
Der italienische Einfluß wird ganz besonders von Lanson
betont, welcher das französische Lustspiel geradezu einen Ab-
glanz des italienischen nennt.') Creizenach schätzt die Be-
^) La com. et les mceurs^ S. 1. Ferner: Le th. en Fr., S. 84 ff": «La
com. demeura originale .... Un ilement nouveau fut empruntij non de
VantiquitSj mais de la com. ital.^ qui inspira aux Frangais le goüt et levr
do^ina les modeles dune intrigue plus compliquee^ de ces imhroglios que
la simplicite du mögen äge avait ignores ou dedaignes.» Hier gibt
Julleville also den ital. Einfl. wenigstens teilweise zu. Dagegen sagt er in
Bd. Ily S. 421, seiner großen Litt.-Gesch. : «La moralitS aboutit ä la gr&nde
comedie de caracteres; la sotie devient la comedie politique et sociale.»
*) Julleville, Hist, III, 216^818, S. 266: «Les eamedies etant
souvent de simples traductions, sont construites ä VitaUenne plutöt qu^ä
la frangaise.»
') Ihd., S. 311; Rigal zäJUt hier die bereits im ital. Lustspiel
befindlichen Personen auf, die später auf die frz. Bühne übergingen:
•Leandre et Isäbelle, les amoureux; Scapin ou Arlequin, les valets;
Fantalon, le vieux marchand; le Docteur, le pedant de Bologne; et le
capitaine terrible etc.»
*) Hist de la Com. fr., S. 178.
*) Gesch., I, 24.
«) Ibd., I, 335.
') Hist, S. 502 f. : «Notre comedie du XVI^ siede, depuis VAndrienne
jusqxCaux trois dernieres comedies de Larivey {1540 — 1611), n'est qu'un
reflet de la comedie des Italiens .... Cest aux Italiens qu^on va
directement, et exclusivement. Leur exemple vaut assez pour imposer
la prose ä certains de nos auteurs, en d^pit des exemples contraires des
anciens, Intrigue, dialogue, types, comique, tout vient d'eux, et ceux qui
— Be-
deutung der Vorbilder des klassischen Altertums für das Lust-
spiel bei weitem nicht so hoch wie für das Trauerspiel, da
in der Komödie der italienische Einfluß weit stärker ein-
gewirkt habe.^) Morf endlich betont, daß Jodelle's Nachfolger
zwar am französischen Schauplatz der Handlung festhalten,
daß sie sich jedoch im Geiste mehr dem römischen und dem
auf ihm beruhenden italienischen Lustspiele nähern.^) — Wir
haben hier also eine ßeihe der verschiedenartigsten Ansichten,
deren Extreme einerseits von Julleville mit der Betonung der
Fortentwicklung aus der Farce, andererseits von Lanson mit der
exklusiven Hervorhebung des italienischen Einflusses vertreten
werden. Eine genaue Unterscheidung der verschiedenen
Strömungen, die auf die Entwicklung des franz. Lustspiels
eingewirkt haben, wird wohl nie möglich sein, und wir dürfen
Kigal recht geben, wenn er sagt: tUhistoire de la coniedie
frangaise du 16 * sUck doit se resigner ä remplacer quelquefois les
certitudes par les prohabüites.'* ^)
Während die erste französische Komödie*), wie wir be-
merkten, keinen italienischen Einfluß aufzuweisen hat, vielmehr
als eine aus den damaligen Zeitverhältnissen herausgewachsene
„beißende Satire auf die Zuchtlosigkeit der katholischen Geist-
lichkeit" angesehen werden kann ^), schöpft der Verfasser der
1560 erschienenen Esbahis, J. Grevin, mit vollen Händen aus
einer italienischen Quelle, nämlich aus den von Ch. Estienne
übersetzten Ingannati od. Sacrifizio.^) Wie wir bereits oben
essaient ou se vantent de faire des compositions originales^ ne se distiri'
gnent pas du tout des traducteurs.y>
1) Gesch., Bd. III, 77.
«) Ge»ch., S. 217. Levrault {La ComSdie, 1903, S. 23) rechnet
Eugene und La Reconnue noch zu den Farcen, u. datiert den it. Einfl.
erst von den nachfolgenden Stücken an.
3) Julleville, l. c, 111, 296.
*) Die Bezeichnung y^comedie"^ findet sich urkundlich unseres Wissens
1545 gelegentlich eines «mystere» der Königin von Navarra [Fr. Parfaict
III, 56), vielleicht nach der in demselben Jahre erschienenen „Co midie
tres Sligante"^ von J. Bourgeois, welches der Titel für die Über^
Setzung der Stippositi des Ariost ist.
5) Holl, Tendenzdrama, S. 204.
•) Morf, Gesch., S. 218; Chasles (La com., S. 47) gibt keine
Quelle an. Das Datum ist nach Holt (Tendenzdr., S. 206) angegeben.
— 57 —
gesagt haben, spielen auch Reminiscenzen an des Dichters
früheres Lustspiel tLa Trisoriere^ und an Jodelle's <^Eugene»
mit herein. G-r6vin flicht satirische AustäUe ein, deren
Kosten vorzüglich die Italiener tragen. In der Figur des
Pantaleone, welcher sich von nun ab auf der komischen Bühne
Frankreichs einbürgert, stellt Grßvin den bramarbasierenden
italienischen Kurschneider dar.
ßemi Belleau's Lustspiel La Reconnue ^), welches wir gleich-
falls schon erwähnt haben, ist allerdings nach den lateinischen
Mustern des Flau tu s undTerenz gedichtet, aber es finden
sich, wie Toldo nachgewiesen hat, darin auch Spuren des
italienischen Renaissancelustspieles. ^) Hpll hält die Esbdhis
für eine Originalkomödie, welcher die geschichtlichen Ereig-
nisse von 1562 und 1563 zugrunde liegen.^)
F. le Loyer entlehnt in seinen beiden Stücken le Muet
insense und Nephclococugie eine Anzahl von Zügen dem italieni-
schen Theater.*)
Schwierig scheint es dagegen, das Vorbild der Napoletaines
des Frangois d'Amboise zu finden. Rigal will in ihnen eine
Nachahmung des Alessandro von Piccolomini sehen. '^) Toldo
dagegen glaubt als Quelle eine Novelle im Decamerone gefunden
zu haben.*) Birch-Hirschfeld und Morf äußern sich über die
Quellenfrage überhaupt nicht.
Tumöbe's Les Contents (1584) sind nicht den Contenti
des Parabosco, sondern der Hauptsache nach dem Älessayidro
des Piccolomini mit Benutzung einiger anderer italienischer
Komödien entlehnt.')
*) Aufgef. 1564. Abgedruckt im Ancien Th. fr. IV, S41—4S8.
*) La com. fr., in: Rev. d'Hist. litt. 1898, S. 567.
») Tendenzdr., S. 204.
*) Toldo, La com. fr., in: Rev. d'Hist. litt. 1898, S. 564.
*) Kigal, La com. de la Ren. (in: Jullev., Hist., III, 301).
*») Toldo, /. c, S. 585.
') Morf, Gesch., S. 220; ebenso Toldo, l. c, 1899, S. 571 ff.,
welcher besonders Kawczynski {Festschrift zum VIII. deutschen NeU'
phü.'Tage: Über das Verhältnis von «Les Contents» zu «Les Esbahis»
und beider zu den Italienern) berücksichtigt; Fest {Der miles, S. 66) 6e-
handelt sie als Origi7ialkomödie.
— 68 —
"Wichtiger für die französische Komödie ist Pierre Larivey,
dessen Übertragungen von 9 italienischen Lustspielen ins
Französische wir jedoch hier nicht erwähnen, da sie bei
Darmesteter und Hatzfeld^), Rigal^), Morf*),
Suchier-Birch-Hirschfeld*) angegeben sind. Interessant
ist aber, daß man ihn lange Zeit hindurch für einen Original-
dichter hielt, der die Lateiner und Italiener nicht mehr oder
weniger nachahmte, als es die anderen franz. Lustspieldichter
taten. Die Gebrüder Parfaict nennen seine Lustspiele ^pieces
de theätre ä Vimitation des anciens Qrecs et Latins et modernes
Italiens.^ ^) Chasles sagt von Larivey, er habe sich von
der direkten Nachahmung freigemacht, besonders habe er
die Komödie wieder zurückgeführt zur ursprünglichen Quelle,
dem lateinischen imd griechischen Theater.®) Auch Lenient
stellt den französischen Dichter als selbständig hin, der
sich allerdings von der Stegreifkomödie, der Farce und den
Lateinern beeinflussen lasse, aber seine Stücke unabhängig
aufbaue.')
Nach Janet (1855) und Lucas (1682; I, 25 ff.) werfe»
Darmesteter und Hatzfeld von neuem die Frage auf,
was Entlehntes und was Originales in den Lustspielen
Larivey's sei. Sie finden, daß Larivey nur Übersetzungen,
allerdings init einzelnen Änderungen, geliefert habe. Die
letzteren bestehen darin, daß er den Schauplatz der Hand-
lung gewöhnlich nach Frankreich verlegte, daß er Neben-
personen hinzufügte, einige Szenen und Rollen fortfallen li^,
so daß die Stücke scheinbar den Charakter von Original-
komödien bekamen.^) Zu einem ganz ähnlichen Resultate
^) Le Iße «., S. 179.
«) La com. /r., iw Julie ville's Hist. III, 305 und IV, 191,
») Gesch., S. 245.
*) Gesell., S. 362.
'^) Hist du th. III, 390 u. 425.
•) La com., S. 115.
') La com., S. 576.
») Le 16^ s., S. 179.
— 59 —
kommen auch G. WenzeH), Morf^), Birch-Hirschf eld ') und
Toldo.*)
Larivey's Verdienst liegt darin, den Franzosen das Ver-
ständnis der italienischen Lustspiele erleichtert und sie mit
einer Menge neuer Gestalten und Ideen, mit einer Fülle von
echt komischen Szenen und mit einer Reihe stereotyper
Charaktere bekannt gemacht zu haben, welche von nun an
in den französischen Lustspielen immer, wenn auch in ver-
änderter Gestalt, wiederkehren.
Die Escolliers P er r in 's 1589 werden von Chasles*)
imd Darmesteter und Hatzfeld*) als ein Originallustspiel
angesehen. Doch findet Toldo einige auffallende Ähnlich-
keiten mit den Suppodti des Ariost, der Müesia des Gia-
notto, und er bemerkt, daß der in den Escolliers behandelte
Stoff auch bei einer Eeihe italienischer Novellisten vor-
handen sei.') Die Tasse des Cl. Bonet geht in ihrem Stoffe
auf eine Erzählung in Sacchetti's Novellino zurück.®) Die
Deguisez TrottereVs, welche übrigens in keinem Zusammenhang
mit dem gleichnamigen Stücke Godard's stehen, sind ganz in
der Manier der italienischen Stegreif komödie geschrieben.^)
Die ComSdie des proverbes erinnert durch die Dreizahl der
Akte an die scenarii des Fl. Scala^®); das Auftreten der
Bohemiens in diesem Stücke geht ohne Zweifel auf die Oingana
des Giancarli (1595) zurück. ^^) Der Stoff zu Mairet's Duo
*) Larivey^s Komödien u. ihr Einfl. auf. Moliere (Herr, Arch., Bd. 82,
S. ÖS— 80).
2) Gesch., S. 245.
») Such, und ß.-H., Gesch., S. 362.
•*) La com, fr. {Eev. dHist litt 1898, S, 582 ff.). — Holl [Teyidenz-
drama, S, 211) glaubt, daß Larivey seinen Komödien vielfach die Ereig-
nisse der Zeit zugrunde legt.
*) La Com., S. 116.
^ Le 16' «., S. 180.
^ Bev. d'Hist, litt, 1899, S. 586.
8) Ibd., S. 590 ff.
») Toldo, ibd,, S. 605; Mori (Gesch., S. 221) sagt: „Die Dieyier-
rollen sind ganz italienischen Geistes."'
10) Toldo, ibd., 1900, S, 270.
") Toldo, ibd, S, 270.
— 60 —
d/Ossone endlich (1627) findet sich in der 41. Novelle des
Massuccio; eine ähnliche Erzählung lesen wir in den Diporti
des Parabosco (giom. I, nov. 2), welche in die Joyeux Devis
überging, woraus sie später Scarron für sein Lustspiel Pr6-
eauiion inutile nahm.^) Rotrou^s Quellen sind bereits eingehend
von Stiefel untersucht worden, welcher für Ciarice, Celie und
La Soeur italienische Stücke als Vorbilder gefunden hat.^)
Wir kommen nun zu Moliöre, von dessen Beziehungen
zu den Italienern wir bereits gelegentlich des Abschnittes
über die italienischen Schauspieler in Frankreich gesprochen
haben. Eine beträchtliche Anzahl von Abhandlungen über
diese Beziehungen ist bereits vorhanden, und wir werden im
folgenden die wichtigsten derselben in Betracht ziehen.
Grundlegend ist vor allem Moland's Moliere et la ccyniedie
italiefine (1867), worin Moliere's Verhältnis zu den Comici
italiani gründlich dargelegt wird, während Fournel die Stellung
des großen Dichters zur zeitgenössischen Komödie betrachtet.^)
Den Einfluß des plautinischen Lustspiels schildert Eeinhard-
stöttner's bekanntes Werk.^) Die gründlichste, umfangreichste
wissenschaftliche Arbeit aber bildet die von Despois und Mes-
nard veranstaltete Ausgabe von des Dichters Werken in der
Sammlung der Grands ^crivains,^) Die neueste Arbeit über
Moliöre, welche die bisherigen Moli^reforschungen gewissenhaft
berücksichtigt, bildet Schneegans' Moliere,^)
Was des Dichters Verhältnis zur italienischen Schau-
spielertruppe betrifft, so wissen wir, daß er schon in früher
Jugend ihre Stücke sah, daß er später, als seine Truppe ab-
wechselnd mit den Italienern im Palais Bourbon spielte, mit
^) Unbek. it. Quellen Rotrou's {ZfSp. 1891, Suppl. 5), tvoselbst reich--
Jialtige hihliogr. Angaben zu finden sind. Der Stoff der AmSlie ist nach
Stiefel {ibd.j S. 2T) zwei spanischen Stücken und einem ital. PastoraU
drama entlehnt, s. auch Vianey, Denx sources inconnues de Rotrou,
pass.j und Fest, Der mil, S. 77 f.
*) Les contemporains de Moliere. Recueil de comedies, s. Introduction,
') Spätere Bearbeitungen plautinischer Lustspiele.
*) Doch fehlt es dem Werke an einer übersichtlichen Zusammen"
Stellung der Quellen.
*) Geisteshelden, Bd. 42 {1902).
— 61 —
diesem stets auf gutem Fuße stand, mit einigen Mitgliedern
sogar freundschaftlich verkehrte.^) Da Moliöre ein ebenso
guter Schauspieler wie Lustspieldichter war, darf man an-
nehmen, daß er die mimische Kunst bei den Italienern gelernt
hat. Despois deutet sogar die Möglichkeit an, daß er sich
in seinen großen Stücken von der Schauspielkunst eines
Charakterdarstellers wie Scaramouche beeinflussen ließ, wenn
auch zu bemerken ist, daß die Comici italiani schließlich
doch nur immer tpet-sofinages de Convention» auf der Bühne
darstellten.^)
Ihr Personal bestand so ziemlich für alle Stücke aus
zwei Liebhabern, drei weiblichen Personen, zwei für die
ernsten, eine für die komische Rolle, ferner aus Scaramouche,
Pantalon, dem Docteur, einem Mezzetin und einem Arlequin %
so daß im ganzen nur 10 Personen für eine Aufführung
nötig waren ; dabei war nicht ausgeschlossen, daß bei manchen
Stücken diese Zahl nicht einmal erreicht wurde. Moliöre,
und darauf wurde bis jetzt nicht hingewiesen, braucht für
seine Lustspiele gewöhnlich dieselbe Anzahl. Gewiß schwebten
ihm daher bei der Abfassung seiner Komödien die italienischen
Schauspieler und ihre canevas vor, und sicherlich bildete er
seine eigene Truppe nach dem Muster jener. Freilich scheint
nicht ein Mitglied von der Moli^reschen Truppe annähernd so
berühmt und beliebt geworden zu sein wie Scaramouche,
Trivelin und Aurelie, mit ihren wahren Namen Tiberio Fiorelli,
Domenico Locatelli und Brigida Bianchi.
Jedenfalls lernte Moliöre viel mehr bei den Italienern als
bei den französischen Lustspieldichtern des 16. Jahrhunderts,
bei Jodelle, de la Taille u. a., deren Stücke schwerfällig in
^) Vollhart, Die Quelle von Moliere's Tartuffe {Herr,\'i Arch.
Bd. XCIj S. 91 f.). Siehe auch die Kritik von Toldo {Giorn. stör.
XXIV. 297), wo derselbe darauf hinweist, daß Moliere die Aufführungen
italienischer Künstler besuchte, und dafi er auch später, als er in
den SchaiMpiderstand trat, in intimem Verkehr mit seinen Kunstge-
nüssen blieb.
^) Despois, Le th., S. oU.
') Despois, ibd., S. 61.
— 62 —
der Handlung, mangelhaft in der Charakterzeichnnng, un-
künstlerisch in der ganzen Komposition sind, während er
an den Stegreifkomödien dramatische Lebendigkeit, scharfe
Charakterisierung und genialen Aufbau eines Stückes studieren
konnte.^)
Untersuchen wir nun kurz, in welchen Stücken sich hin-
sichtlich des Stoffes Einflüsse sowohl der Stegreifkomödie, wie
der tcommedia ericdita-» bemerkbar machen.
Wir wissen, daß Moliöre während seiner Wanderjahre
Farcen nach dem Muster der Possen der commedia deW arte
entwarf und aufführen ließ ^) ; wir kennen nur die Titel von
drei derartigen Stücken: Le docieur amoureux, Les trois
docteurs und Le maitre d^ecole, von denen das letztere wahr-
schdnlich sich an die Stegreif komödie tArlequin ecolier^ an-
schließt. Schneegans hält es nicht für ausgeschlossen, daß
die drei Titel sich auf ein Stück beziehen.*)
Von den erhaltenen Stücken gehören hierher:
1) La Jalousie du Barhouille. Nach Despois findet sich
der Stoff zur Handlung dieser Posse im Decamerone (VII,
4)^); doch lag Moliöre ein bis jetzt nicht aufgefundener
italienischer canevas vor. Schneegans gibt als Stoffquelle
Decam. IV, 3 an.*^)
2) Le Medeein volant ist die Nachahmung eines Des-
pois ®) und Schneegans '^) unbekannten Medico volanie , den
*) Ähnlich Wenzel, La com. de Larivey {Herr, Arch. Bd, LXXlly
80), und Fest, Der mil., S. 66, welcher Wenzel zitiert ; ferner M o 1 a n d ^
La com. it., S. 5, und A. d. Breton {bei Julleville, Hist, Bd, F, 15),.
welche beide den Einfl, der ital. Stegreifkomödie auf Moliere in bezug
auf die Lebendigkeit der Handlung betonen.
®) Schneegans, Mol, S. 29; über MoVs Stegreifkom. hat
Young in der ZfSp., Bd. XXII, 190 ff. ausführlich gehandelt
^) Moliere, S. 32; Young, i6d., S, 192, der sich über diese
Frage nicht äußert, nennt noch die Titel von 9 weiteren, Mol, zuge-
schriebenen Farcen.
*) Despois, Les ceuvres de Mol. 1, 11; ebenso Young, l. c, S. 198^
*) Moliere, S. 3L
«) (Euvres de Mol. I, 47.
') Molüre, S. 32.
— 63 —
Young unter den Scenarii inedäi ddla Comm. delV arte gefunden
zu haben glaubt.^)
3) VJ^Jtourdi geht nach Despois^) und Schneegans*)
auf den Innaveriito des Barbieri, genannt Beltrame
(1629/1630) zurück; in Akt IV, Sz. 2 übersetzt er geradezu
aus Em. Groto*) und L. de Fomaris. Eigal sucht zu
beweisen, daß neben dem Innavertito des N. Barbieri besonders
der Parasite des Tristan l'Ermite in Betracht konune.'^) Ab-
weichungen von Barbieri's Stück finden sich insofern, als
Moli^re den tCapüano Bellerofont€y> wegläßt und dafür den
alten Anselnie mit seinen Eigenschaften, wenigstens zum Teil
ausstattet.®) Nach Schneegans ist das „Gepräge dieses Lust-
spiels durchaus italienisch".')
4) Der erste Teil des Depit nmoitrevx hat Ähnlichkeit
mit der Komödie Secchi's: Vinteressc.^)
5) Don Garde beruht auf den Gelöste del principe RodHgo
Oigognini's (1654)®); die Heldin des Stückes, ein kriege-
risches Mädchen, erinnert außerdem an die Frauengestalten
bei Ariost und Tasso.
6) In der &ole des maris sind einige Szenen den Esprits
Larivey's, welche selbst eine ital. Übersetzung sind, entlehnt.^®)
7) Le Fdckeux wurde nach einem. Can^m« italieu gedichtet,
welcher den Titel führt: Pantalpotie a?nante sfortunato ^^) \ übri-
gens behandelt die 8. Satire Regnier's denselben Gegenstand.
8) Den Stofif zu seiner iJcole des femmes fand Moli^re
entweder im Pecorone des Ser Giovanni Fiorentino, oder in
^) L. c, S. 207. — Scenarj ined.j S. 105 — 116. Diese Sammlung
Viird auch hei Klingler {La Com.-Ital. etc.. S. 21) erwähnt.
») (Euvres d. M. /, 79.
») Molüre, S. SS.
*) Ihd., S. 38.
*) JLes com. d, Mol. {Revue universitaire, 15 fevr. 1903).
«) Fest, l. c, S. 121.
^ Molih-e, 8. 40.
') Despois, Mol.-Axisg. /, 381, wo ausführl. darüber gehandelt ivird.
*) Ibd.y l c. IIj 217. Ebenso Schneegans, l. c, S. 74.
^) Despois, /. c. II, 340, bei Schneegans nicht erwähnt,
") Despois, l. c. HI, 6.
— 64 —
den Notti faceziose Straparola's ^), oder endlich in der ersten
der nouvelles tragiques Scarron's.^)
9) Von dem Stücke Le Mariage force sagt Schneegans:
„Die Komik darin beruht sehr häufig nur auf technischen
Kniflfen, die Moliere namentlich in seinen schnell entworfenen
Possen immer wieder zu verwenden weiß, die er vielleicht
auch der italienischen Stegreifkomödie abge-
lauscht hatte." ^ Ein bestimmtes Vorbild läßt sich jedoch
nicht anführen. Despois gibt mehrere Canevas an, die Ähnlich-
keiten mit Moliöre's Lustspiel haben.*) Jedenfalls liegt eine
italienische Quelle zugrunde.*
10) Bezüglich der Quelle des Tartuffe ^) haben die neuesten
Forschungen ergeben, daß der französische Dichter ihn nach
dem Muster der italienischen Stegreifkomödie // PedanU
schrieb.®) Moland gibt als Vorbilder den Finto Ipocrito und
den canevas <s^Dottore Bacchettone^ an, welcher in der erhaltenen
Fassung allerdings erst nach dem Tartuffe erschien; auch
Decameron III, 8 erinnert an die Fabel des Stückes.
11) Für den Avare hat Moliere eine Reihe von italieni-
schen Lustspielen benützt, nämlich die Sporta Grelli's, die
Oase sval^igiate, den Cameriere mobile, den Amante traditOj alle
drei Stegreifkomödien von unbekannten Verfassern, endlich
die Suppositi des Ariost. Knörich hat 1886 diese Quellen
des Avare einer eingehenden Untersuchung unterzogen.*)
12) Der Don Juan geht* allerdings auf den Burlador di
Sevilla zurück '), allein dieses Stück wurde bereits in den 30er
^) Schneegans, Moliere^ S. 91.
2) Despois, l c. 111, 144.
«) Moliere, S. 112.
*) (Euvr, de Mol, S. IV, 8.
») Vollhardt, Die Quelle des Tartuffe {Herr .'s Arch., Bd. XCI,
ooff.). Vollhardt bemcksichtigt die vorausgehenden Forschungen, bes. die
von Mahrenholtz. — Schneegans {Mol., S. 117) kommt zu demselben
Resxdtate.
®) In den ZfSp. VIII, 51—68: doch ist die Arbeit keineswegs als
eitle abschliefiende z\(, betrachten.
') Lucas, Hist. I, 73; Lotheissen, Gesch. IV, 40; Mesnard,
(Euvres de Mol, Bd. V, Iff.: Schneegans, l. c, S. 130 ff. Eine Zu-
sammenstellung über die neuesten Forschungen in der Don Juan-Sage
— 65 —
Jahren des 17. Jahrhunderts tod dem Stegreif komödiendichter
Giliberto am italienischen Theater in Paris gespielt, so daß
der Stoff dem Theaterpublikum schon vor Moli^re bekannt
war. Zudem wurde das italienische Stück 11 Convitato di
pietra des Giliberto von zwei Franzosen, Dorimond und De
Villers, bearbeitet. Die Bearbeitung des letzteren, le Festin
de Pierre^ diente Moliöre als Grundlage seines Don Juan,
13. In dem Schwanke Le hourgeois genüUiomme (1671) ist
die türkische Zeremonie (Akt IV, Szene 6 — 13) dem Steg-
reiflustspiel Le disgraxie d^ Arlecchino entnommen.^)
14. Le Malade imaginaire verdankt mehrere Züge, wie
Moland behauptet, der Gestalt des Manfurio im Candelaio des
Giord. Bruno. ^)
15. In den Fourberies de Scapin, welche sich ganz der Manier
der italienischen Komödie nähern, ist die Szene mit dem Sack
den Notti faeeziose Straparola's entnommen.^)
Diese Übersicht der stofflichen Entlehnungen, die Moliöre
bei den Italienern machte, beweist, wie tiefgehend der lite-
rarische Einfluß Italiens damals war. Wiese*) sagt daher
ganz richtig, daß Moliöre's Lustspiele die herrlichsten Früchte
der italienischen Stegreif komödie seien.
Von den zeitgenössischen, komischen Dichtern kommt
vor allem Tristan l'Hermite in Betracht, dessen Parasite, wie
Stiefel bewiesen hat, eine Nachahmung von Pomarie's Angelica
(1584) ist, welche selbst als ein Plagiat der Olimpia des della
Porta angesehen werden kann.*^) Der Amant discret Quinault's
gibt Stiefel in dem Jahresbericht für neue deutsche Literaturgesch, hrsg. ^
V. E, Schmidt. 1899. Bd. X, 1. Abteilung^ 7, AbhandL
1) Mesnard, (Euvres de Moliere, Bd. VIll, i/f, 35.
*) Molihre et la comedie it., S. 105 — 111.
') Mesnard, (Euvres de Moliere VIII, 390. Vgl, Schneegans,
Mol, S. 212.
*) Wiese-Pferc. , Gesch., S. 435. Auch Schneegans bezeichnet
diesen Einfl. d. Ital. als „nur vorteilhaft^ (Mol. S. 30). Siehe femer
Toldo {Kritik v. Vollharfs „Quellen des Tartuff e^ Giom. stör. XXIV,
301): *Negli albori del Rinasdmento la commedia deW arte fu scuola
alle nazioni d^ Europa, alla Francia sopratutto, di vera e sana comicitä.*
*) Tristan VHermite^s Le Parasite u. s. Quelle, in: HerrJs Arch.
Bd. 86, S. 47 ff.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. ^
— Be-
geht ebenfalls auf eine italieDische Quelle zurück. Corneille
lehht sich in seinen ersten Lustspielen an die italienische
Stegreif komödie an. Der matamore in der lUtcsion comique ist
nicht ein Abklatsch des Capitano der commedia dell' arte,
sondern, wie Pest beweist, und wie Corneille in seinem
^Examen* selber sagt, ein Phantasiegebilde. ^) Eegnard,
der würdigste Erbe von Moliöre's Kunst, arbeitete in seiner
Jugend für die Comedie italienne.^) Sein Stück La Serenade
ist ganz im Stile der ital. Farce. ^) Le Bai und die Folies
amoureicses, deren Gegenstand der Finta pazza von Strozzi ent-
lehnt ist, sind ebenfalls Nachahmungen der italienischen Steg-
reifkomödien. ^) Auch in der Komödie Le divorce finden sich
einige der ital. Bühne entlehnte Szenen.^)
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahm der
vielseitige La Motte-Houdar den Stoff seiner Komödien zum
großen Teil aus Boccaccio; drei dieser Novellen des ital-
Dichters hatte bereits Lafontaine in seinen Contes bearbeitet
doch geht aus verschiedenen Einzelheiten hervor, daß La Motte
direkt die italienische Quelle benutzte.^) Es kommen folgende
Komödien in Frage:
1. La Venitienne, comedie-hallet^ 1705, läßt aU die Masken
der ital. Komödie wieder an uns vorüberziehen.
2. Le Talisman = Bocc.^ Dec. II, 10.
3. Le Magnifique = Bocc, Dec. III, 5.
4. Minutolo = Bocc, Dec. HI, 6.
5. Le Calendrier des Vieillards = Bocc, Dec. II, 9.
So sehen wir, wie der Altmeister der Erzählung, Boccaccio,
noch im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der nüchternen Auf-
klärung, seinen Zauber auf die Franzosen ausübte.
Fast alle Komödiendichter des 18. Jahrhunderts bilden
^) Der mil. glor., S. 97.
2) Lucas, Hist, 7, 283 ff.; III, UOff. Nach L. schrieb er 10 Stücke
für die ital. Bühne. Nach Fournel {Le th,, S. 343) verfaßte er für
diese auch seine letzten Stücke.
5) Leniönt, La Comedie 7, 25 u. 28.
*) IM., S. 29.
^) Lucas, Hist. phil. III, 141.
^) Vgl. Toldo, Quelques sources, in: Bull, it. I, 200 ff.
— 67 .-
sich in ihren Werken an dem italienischen Theater zu Paris.
Florion arbeitet ganz nach den canevas der italienischen Ko-
mödie. Dufiresny, Piron, Delisle und Marivaux verkehren in
ihren Lehrjahren vorzüglich bei den Italienern und studieren
deren Technik, die sich durch eine größere Freiheit aus-
zeichnete als diejenige der Comedie fran^aise,^) Mit Beginn
der Revolution wurde das Theater der Italiener endgültig ge-
schlossen und damit endete der 200 Jahre andauernde Einfluß
desselben.
Ein Lustspieldichter des 19. Jahrhunderts, welcher ganz
besondere Vorliebe für Italien und für die italienische Lite-
ratur besaß, darf hier nicht unerwähnt bleiben. Es ist dies der
geniale Alfred de Musset, von dessen künstlerisch so wunder-
bar gebauten Komödien einige auf italienische Chroniken
zurückgehen. Seinen Lorenzacclo entlehnt er, wie Lafoscade ^)
nachweist, der Chronik Varchi's, die ^Quenouille de Barberine*
ist aus einer Novelle Bandello's, die <^Carmosin6» aus einer
Erzählung im Decamerone entstanden; sein Andre del Sario
endlich kann als eine Frucht seiner italienischen Reisen an-
gesehen werden.
IV. Die Pastorale.
Die Pastorale nimmt einen so wichtigen Platz in der
Geschichte des französischen Theaters ein, und der Einfluß
Italiens auf dieselbe ist so bedeutend, daß wir ihr einen
eigenen Abschnitt widmen wollen.
Der Ursprung der italienischen Pastorale geht nach
W i e s e ^) zurück auf die griechischen dramatischen Eklogen,
und es war kein Geringerer als Boccaccio ^), der sie zuerst
nachahmte, bis sie sich dann im Laufe des 15. Jahrhunderts
zum Schäferdrama weiter entwickelte, mit welchem Namen
wir als erstes die Flavia 1528 bezeichnen dürfen. **) Den
^) LansoD, Hist.j S. 646.
2) Theätre d'Alf. de Müsset ^ S. 136. Vgl. auch E. Bouvy in der
Chroniqiie des Bull. itäl. 1902. II, 248.
^) Gesch. der it. Lit.j I, 316.
*) Lotheissen, Gesch., I, 137.
*) Wiese u. Perc, Gesch., S. 316,
— 68 —
Gipfelpunkt in ihrer Entwicklung erreichte die Pastorale in
Tasso's Aminta 1681 und in Guarini's Pastor fido 1590.^)
Die Elemente dieses dramatischen Genres sind nach Weinberg
folgende: die spröde Geliebte, der liebedtirftige Schäfer, der
weltkluge Vertraute, die Entstehungsgeschichte der Liebe,
der erste Kuß und die schließliche Vereinigung der Liebes-
paare ; dazu kommt meist noch ein Wahrsager und ein Satyr. ^)
Was die Entstehung der französischen Pastorale betrifft,
so sind so ziemlich alle modernen Forscher darin einig, daß
Frankreich diese Literaturgattung der apenninischen Halbinsel
verdankt. Allerdings erwähnt Goujet bei der Pastorale nur
die Nachahmung der alten Griechen und Lateiner.*) Ra-
thery*) jedoch führt als die hauptsächlichsten Vorbilder der
französischen Pastorale Sannazaro, Tasso und Guarini an.
Amould bezeichnet Tasso, Guarini und Marino als die wahren
Leiter des französischen Geschmackes in der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts und bezeichnet den italienischen Einfluß auf
die Pastorale als vorherrschend^): „Sie (d. ital. Past.) verlieh
der franz. Literatur einen feinen, zarten Ausdruck für subtile
Gedanken und innige Gefühle ; doch wäre ihr Einfluß auf die
Dauer unheilvoll geworden, wenn nicht mit der Princesse de
Cleve eine neue Periode auf dem Gebiete der Erzählung ein-
geleitet worden wäre." Morf glaubt in der französischen
Pastorale einen dreifachen Einfluß zu finden.*) Nach ihm ist
sie entstanden unter der Einwirkung des Altertums, der Bibel
und Italiens. Wie Rigal weist er auf das comedie betitelte
Hirten- und Satyrspiel Les ombres hin, welches unabhängig
vom italienischen Einfluß zu sein scheint. Rigal, der dasselbe
ins Jahr 1666 verlegt, findet darin bereits einige der Haupt-
charakterzüge der Pastorale, einen Wahrsager, einen Satyr
und eine spröde Schäferin.') Weinberg®), der sich be-
^) Rigal, in: Julleville, Hist III, 316.
2) Das frz. Schäferspiel, S. 5 ff.
3) Bibl fr., III, 247.
*) Infi., S. 110 ff.
'') Essais, S. 452.
«) Gesch., S. J224.
') La Pastorale, in: Jullev., Hist., Bd. III, 316.
*) Das frz. Schäfersp., S. 4.
^ 69 ^
soiKlers eingehend mit dem französischeü Schäferdrama be-
schäftigt, hebt hervor, daß während der Blütezeit des fran-
zösischen Schäferspiels gerade der italienische Einfluß dem
spanischen weichen mußte, daß jedoch die italienischen Fasto-
ralen eines Tasso und Guarini zu bedeutend gewesen wären,
um nicht beachtet zu werden. Auch Dannheisser führt
den UrspruDg der französischen Pastorale auf italienischen
Einfluß zurück; nur die Einführung eines neuen Elementes,
der Zauberei, sei spanischer Herkunft.^) Seiner Ansicht
schließt sich Birch-Hirschfeld ^) an, während Lanson sich
hierüber nicht äußert. Stiefel betont ganz besonders den
Einfluß Italiens und die große Anzahl von Übersetzungen
italienischer Pastoralen.^)
Groto's Dieromena ist das erste italienische Schäfer-
drama, welches von Brisset 1692 ins Französische über-
tragen wurde.*) Während der erste französische Pastoral-
dichter Montreux, den wir später noch kennen lernen
werden, ganz in den Fußstapfen Montemayor's wandelt,
ahmt Hardy den Pastor fido Guarini's nach**); ebenso ist die
Theords des P. Trotterei, 1610, eine Nachbildung des „treuen
Hirten".*) In den Bergeries Bacan's finden sich stellenweise
Anklänge an die nämliche italienische Pastorale, nur ist
in der letzteren die Intrigue viel feiner.') Nach Amould
sind sie in Inhalt und Stil Nachahmungen Boccaccio's und
1) Zfwr Gesch. des Schäfersp.'s in Fr., in: ZfSp. 1889, II, 68: „Schon
im 16. Jahrh. drängte sich die it. Fastorale der Beachtung und Nach-
ahmung der Franzosen aup^
«) Such. u. ßirch-H., Gesch., S. 383.
') ZfSp.. Bd. XX VL Ref. w. Bez. 1 u. 2, S. 38: „Von 1594^1630
befassen sich einige 40 Dichter mit der Fastorale. Zahlreiche Uber^
Setzungen wurden den ital. Fast, von Grotto, Ongaro, Braceiolini, Bona^-elli,
Isahella Andreini zuteil.
*) Blanc, Bihl. II, 1305. Dagegen gibt Goujet {Bibl. fr., XIII,
373) 1595 als Erscheinungsjahr an.
^) Rigal, Hardy, S. 513 ff.; Weinberg, Das frz. Schaf er sp.,
8. 36; Weinberg geht leider nur selten auf die Quellenfrage ein.
ö) Weinberg, ibd., S. 53; Parfaict, Hist, IV, 151.
"') Weinberg, ibd, S. 53: „Racan bezeichnet sich als Nachfolger
GuarlnVs.'' Vgl. Dannheisser {ZfSp. XI, 75).
— 70 —
Sannazaro's.^) Mairet hat den Stoff, nicht aber die Form
seiner Pastoralen den Italienern abgelauscht.^) Wichtig ist
die bereits erwähnte Übersetzung der Füis de Sdro (1607)*),
1629 von Du Gros, 1630 von Pichou übersetzt.*) Richelieu
hielt sie für die richtigste und am besten komponierte
Pastorale.'^) Eine Reihe von französischen Dichtem, die sich
dieser Literaturgattung widmen, halten streng an den italieni-
schen Vorbildern fest. Zu dieser italianisierenden Richtung
gehören besonders d'ürfe mit seiner Silvanire (1627), Rays-
siguier, der Übersetzer des ^Aminta:» Marechal, der bereits
erwähnte du Gros und Baro.®)
Auch der besser bekannte Rotrou schöpft gerne die
Stoffe zu seinen Tragikomödien und Schäferspielen aus italieni-
schen Quellen, wie Stiefel eingehend bewiesen hat.') Die
Pelerine amoureicse 1634 ist nachgebildet der Pellegrina des
G. Bargagli ^) ; Rotrou's ganz in der Manier der Pastorale
sich bewegende Tragikomödie Celie hat als Vorbild Oli duoi
fratelli rivali des della Porta ®) ; auch in seinen anderen Stücken
Mlandre, Clorinde, Amelie und Florismonde ist der italienische
Einfluß unverkennbar.^^)
Von 1638—1650 erscheinen, wie Weinberg^^) bemerkt,
keine Schäferspiele mehr ; was dann folgt, ist schon als Uber-
^). Essais, S. 452.
2)Dannheisser, Z. Gesch. d. drei Einh. (ZfSp. XIV^ S. 3);
ferner Birch-H. {SMchier u. Birch-H., Gesch., S. 384): „Mairets Sil-
vanire wird gedichtet in all der Strenge, die in dieser Dichtungsart bei
den Italienern beobachtet tourde^.
») Wiese-Pörc, S. 336,
*) E-igal (JuUev., Hist, Bd. IV, 348); Dannh., Z. Gesch, d. dr. Einh.
{ZfSp., Bd. XIV, 66): Übers, v. Du Gros 1628 {?), Lucas gibt als Jahres-
zahl für die Abfassung v. Du Cros* «La Fillis» 1629 an. Auch Wein-
berg nimmt als Abfassungszeit 1629, als Druckjahr 1647 an.
'^) Birch-H. {Such. u. B.-H., Gesch., S. 383).
«)Dannheisser, Z. Gesch. d. Seh. (ZfSp., Bd. XI, 85),
') Unbekannte Quellen BotrotCs {ZfSp. 1891, Suppl. V, Iff'.),
8) Ibd., S, 4ff.
») Ibd., S. 49 ff.
10) Rigal, in; Jullev., Hist. IV, 348.
ii) Das frz. Schaf ersp., S. 136.
— 71 —
gang zur Oper zu betrachten, von welcher wir im folgenden
Abschnitte sprechen werden.
V. Die Oper.
Die Oper im modernen Sinne hat ihren Ursprung in den
Kesidenzen der italienischen Fürsten des 16. Jahrhunderts,
in den prunkliebenden Kreisen der florentiner und lombardi-
schen Aristokratie, an den Höfen der Medici und Sforza.^)
Gegen Ende dieses Jahrhunderts tritt nämlich die Musik in
Verbindung mit der Lyrik, indem Gedichte Sannazaro's,
lyrische Stellen aus Ariosto's Orlando furioso und aus Tasso
in Musik gesetzt werden.^) Tragödien und Schäferspiele werden
mit Chören ausgestattet, die gesungen wurden, Konzerte,
Ballette und allegorische Darstellung unter musikalischer Be-
gleitung bildeten die Zwischenakte. So entstanden die Opern
eines Peri und Monteverde, welche bald über die Grenzen
des Landes hinaus bekannt wurden.^
In Frankreich erfolgte die Einführung der italienischen
Oper durch Mazarin, der selber ein Italiener war, und welcher
1642 italienische Schauspieler und Tänzer nach Paris kommen
ließ. Diese spielten hier zum erstenmal (1645) eine Oper vor
dem französischen Publikum, welche teils gesungen, teils vor-
getragen wurde und einige Ähnlichkeit mit dem bereits seit dem
14. Jahrhundert existierenden Ballett {ballet de cour) hatte.*)
Es war dies Strozzi's Festa teatrale della finta pazxa,
zu der Sacrati die Musik geschrieben hatte. Zwei Jahre
später ging eine zweite nicht minder berühmte Oper, der
Orfeo Monte verde's, über die Bühne, ohne jedoch einen großen
Erfolg beim französischen Publikum zu erringen.^)
1) Schure, Eist, S, 234.
2) Wiese-Perc, Gesch., S. 437.
3) Schure, Bist, S. 234.
*) Chouquet, Hist., S. 90; vgl. La Porte u. Chamf., Dict,
J, 161; Nuitter, Les orig., S. 33; Vapereau, S. 1515,
*) Chouquet, l. c, S, 92ff,; La Harpe, Cours de litt. I, 654:
«Ce spectaele ennuyait toxit Paris. Trls peu de gens entendaient V Italien j
et presque personne ne savait la musiqiie.» Dagegen behauptet ßouvy
— 72 —
Schon 1646, also ein Jahr nach der Erstaufführung der
Finta pazxa, traten die Franzosen mit regeknäßigen comedies
de musique, die sich im Geleise der italienischen Oper be-
wegten, hervor, konnten aber mit der italienischen Oper nicht
konkurrieren, auch nicht als diese neue französische Gattung
in Cambert einen genialen Schöpfer und in Lully und Rameau
talentvolle Fortsetzer fand.^)
Das erste französische musikalische Drama, das mit der
italienischen Oper annähernd verglichen werden kann, ist
Cambert's Muse ingrate, 1659, deren Text von dem geschickten
Perrin verfaßt war und ein Pastoralthema behandelte.^) Musik
und Text, stehen so vollständig unter italienischem Einfluß,
daß von einem selbständigen Erstehen der franz. Oper nicht
gesprochen werden kann.^) Daher gibt auch La Porte-Cham-
fort bereits im 18. Jahrhundert zu, daß die Franzosen keine
eigene Oper geschaflfen haben. ^) Arnould^) und Birch-
Hirschfeld®) bezeichnen die italienische Oper als eine
„italienische Erfindung". Proelss dagegen nimmt eine
Weiterentwicklung des französischen Balletts und der fran-
zösischen Ballettmusik an, deren Ergebnis, unter Hinzutritt
italienischen Einflusses, die franz. Oper wäre.*^) Demgegenüber
muß aber behauptet werden, daß das französische Ballett,
wie es seit dem 14. Jahrhundert bestand, unter Katharina
von Medici durch das nach Frankreich gebrachte italienische
Ballett verdrängt wurde, wie Doumic nachgewiesen hat. 8)
(B%dl. it. J, 263\ daß sich der Einfluß des Orfeo in Frankreich hes* a'uf
dem Theater, dwrch das Erstehen mehrerer lyrischer Tragödien unmittelbar
bemerkbar machte,
^) Chouquet, ITist, S. 90 u. 91.
2) Nuitter, Les orig., S. 34 f., wo er das Entstehen der franz. Oper
ausführlich schildert.
3) Koestlin, Gesch., S. 322.
*) Dict. dram. II, 332.
ö) Essais, S. 481.
•) S u c h i e r u. B.-H., Gesch., 479 ; L a n s o n , Hist, S, 531, Anm 1,
berührt das Abhängigkeitsverh. d. frz. Oper nicht.
^3 Gesch., Bd. II, Halbband 2, S. 238.
^ Kritik v. Boüand^a Gesch, d. Oper^ Bev. des 2 Mondes, juiUet,
1996, S. U7.
— 73 —
Zehn Jahre nach Cambert's erster Oper erfolgte, wiederum
naeh dem Beispiele Italiens, die Gründung einer Mn£dkakadeniie,
tpour y reprisenter et ekanter en public des operas et reprSsentaiions
en rmmque ei en vers fran^is pareilles et semblables d ceüe (fltalie*,^)
Lully brachte diese neugeschaffene und staatlich anerkannt»
Oper bald auf eine hohe Stufe, wenn er auch die italienische
Oper zu Paris nicht verdrängen konnte. So sehr Lully in
seinem späteren Leben seine eigenen Wege ging, verdankte
er doch seine ganze musikalische Ausbildung den Italienern,
besonders dem berühmten Caletti, genannt Cavalli, dessen
Serse er in seiner Jugend aufführen sah.^) Bameau, der
zweit« Hauptv^ireter der französischen Oper, ist ein Be-
vnmderer Pergolese's, welcher mit seiner Serva padrona 1746
einen ungeheuren Erfolg in Paris errang.^)
Die Oper nahm überhaupt im 18. Jahrhundert eine so
bedeutende Stellung unter den dramatischen Grenres ein, daß
das Publikum, wie zur Zeit der Erstaufführung des Cid, für
diese» oder jenes Stück leidenschaftlich Partei ergriff, und
daß literarisch hervorragende Männer in diesen Streitigkeiten
die Führerrollen übernahmen.^) Fast durchgehends handelte
es sich hier um die Bivalität der sogenannten französischen
und der italienischen Oper. Bereits 1702 begann der Streit
mit Baguenet's Parallele des Italiens et des Francis, worin er
den Italienern den Vorzug gibt.*) Mit dem Auftreten Gluck's
xmd Piccini's, den damals berühmtesten italienischen Opem-
komponisten, brach der Kampf der beiden Bichtungen heißer
aus denn je. Bekanntlich endete derselbe mit dem Siege der
Gluckisten^ der jedoch nur »ein vorübergehender war. Denn
^) Chouquet, Hist., S. 102; chemo Ko.es tlin, Gesch.f S. 224u
2) Koestlin, Gesch., 8. 222.
*) Proelss, Gesch., Bd. II, Hhd. 2, S, 252; Chouquet, ihd.,
8. 134 f., bezeichnet als Datum der Erstaufführung dieser Oper in Paris
1746, durch die Truppe RiccohonVs ; 1752 erschien eine neue Ttiippe aus
Italien, welche einen durchschlagenden Erfolg errang.
^) Lanson, Hist, S. 643, sagt hierüber: ^L^ Opera devient au
18^ stiele notre premiere scene. La pompe du spectacle, les machines,
les costumes, tout Veclat de la mise en scene Hatte les yeux et amuse la
frivolite du public mondain.*
») Koestlin, Gesch., S. 229,
— 74 —
neben ihm und besonders nach seinem Weggange wurden mit
Vorliebe italienische Komponisten zur Bühne zugelassen:
Salieri, Sacchini, Paisiello, Guglielmi, Cimarosa, Bianchi, Prid-
zeri, Prati, Oambini, Bruni und Mengozzi.^) Im 19. Jahr-
hundert treten die Namen eines Spontini, Rossini, Bellini,
Donizetti und Verdi in den Vordergrund ^), und sie bezeichnen
ebensoviele Siege der italienischen Oper, die schon längst ihr
eigenes Theater in Paris hatte und stets über vorzügliche
Kräfte verfügte. Noch zur Zeit des zweiten Kaiserreiches
stand die italienische Oper in voller Blüte, besonders weil
Napoleon III. große Liebe zur Musik hatte. Cimarosa und
Paisiello waren seine Lieblingskomponisten. '^) In neuester
Zeit brachte es Mascagni allerdings nur zu einem leichten Er-
folge, während dagegen den Franzosen eine Reihe einheimischer
Opemdichter in Meyerbeer, Halevy, A. Thomas, Gounod und
Bizet erstand.*)
In einer Geschichte der französischen Oper darf die
komische Oper {opera batfffe, opera comique) nicht vergessen
werden. Lenient nennt sie ein „nationales Produkt", doch
konstatiert er eine gewisse Verwandtschaft mit der italieni-
schen Stegreif komödie. ^) Koestlin sieht die Keime der
komischen Oper {conudie ä ariettes) in den Voix de ville,^)
Besonders aber war es der italienische Opemkomponist Duni,
welcher mehrere französische Singspiele schrieb und der tat-
sächliche Begründer des französischen Singspiels ist. Als den
bedeutendsten Franzosen in diesem Genre nennt Koestlin Grfttry,
welcher sich an italienische Vorbilder hält. Proelss läßt die
komische Oper aus dem Jahrmarkttheater hervorgehen, gibt
aber zu, daß ihre Komponisten die Italiener als Vorbilder
hattön.'') Vapereau endlich weist darauf hin, daß die italieni-
schen Schauspieler eine Truppe von comediens clmntants in ihrem
^) Chouquet, Hiat, S. 177f.
2) Proelss, Gesch., Bd. II, 2, S. 260.
») Chouquet, Hist. 211, 212.
*) Proelss, Gesch. II, 2, S. 261; Chouquet, l. c, S. 184,
**) La Com. II, 16S u. 166.
«) Gesch., S. 233.
') Gesch. II, 2, S. 247 u. 252.
— 75 —
Saale spielen ließen.^) Diese comediens chantants müssen jedoch
Italiener gewesen sein, da sie sonst schwerlich von den Schau-
spielern diese Erlaubnis erhalten hätten. Aus diesen Anfängen
entwickelte sich die Opera comique zu einem bedeutenden
Faktor im literarischen Leben der französischen Hauptstadt.*)
Mit Panard, welcher neben Gretry als ihr hervorragendster
Librettist anzusehen ist, macht sie sich vom italienischen
Einfluß völlig unabhängig und bildet sich zu einer vor-
herrschend moralischen Bühnengattung aus, während sie vorher,
hauptsächlich mit italienischen Kräften, Parodien und Vau-
devilles aufführte.^)
Nachdem wir im vorausgehenden eine kurze Übersicht
des italienischen Einflusses auf die Literatur der Franzosen
zu geben versucht haben, kommen wir nun zum Hauptteile
unserer Abhandlung, nämlich zur Untersuchung des Ver-
hältnisses, in welchem Ariosto's unsterbliches Epos zur
französischen Literatur, insbesondere zum französischen Thea-
ter steht.
Ariost in Frankreich.
I. Übersetzungen.
So beliebt auch die italienische Sprache im 16. und
17. Jahrhundert in Frankreich war, so blieb ihre gründliche
Kenntnis immerhin nur auf kleine Kreise beschränkt. Um
daher eine Einsicht in die Meisterwerke der italienischen
Literatur zu gewinnen, mußten sich die weiteren Kreise des
gebildeten Publikums mit Übersetzungen aus dem Italienischen
behelfen, von denen die hauptsächlichsten bereits eingangs
erwähnt wurden. Was die Übersetzungen betri£Ft, welche
Ariost's Orlando furioso und seine minder bedeutenden Dich-
tungen erfuhren, so haben wir im Anhange dieser Ab-
handlung zum erstenmal versucht, ein vollständiges Verzeichnis
1) Dict, S. 1507.
^) Claris (i. e. Claretie\ Le Th. de la foire Saint-Laurent Kap,
112, 8, 95.
*) Lenient, La Com., Bd. IT, 171.
— 76 —
der französischen Ariost-Ubersetznngen aufzustellen. Für die
älteren Übersetzungen stehen uns du Verdier ^) und Goujet ^)
zur Verfügung, für die neueren machten Ferrazzi*), Blanc^)
und Guidi '^) Zusammenstellungen, von denen jedoch keine auch
nur annähernd vollständig ist. Am lückenhaftesten ist die
Yon Ferrazzi, relativ am vollständigsten die von Guidi.
IL Ariost in der französischen Lyrik.
Obwohl Ariost in erster Linie Epiker war, übte er doch
einen ganz bedeutenden Einfluß auf die französische Lyrik,
insbesondere des 16. Jahrhunderts aus. Wir werden sehen^
auf welche Weise die französischen Lyriker es verstanden
haben, einzelne Stanzen des Orlando auszusuchen und sie in
geschmeidige Sonette zu verwandeln, oder seine Satiren oft
nahezu wörtlich nachzubilden.
Nachdem der Orlando fiirioso durch die erste Lyoner
Übersetzung von 1543 weiteren Kreisen des gebildeten
Publikums zugänglich gemacht worden war, gewann er bald
einen allgemeinen Buf, und die zahlreichen Übersetzungen be-
zeugen, daß er schon damals eines der meist verlangten Bücher
war. Besonders schnell muß er sich in Lyon, dem Er-
scheinungsorte der ersten Übersetzung und dem Sitze einer
reichen, blühenden Kolonie eingebürgert haben. Wir hören
bereits von der schönen Seilerin Louise Labe (1526 — 1566)^
daß sie den „Rasenden Roland^' gelesen, und sich mit den
beiden Heldinnen des Epos Marfisa und Bradamante verglichen
habe.^) Taillemont, gleichfalls ein Lyoner und ein bedeutendes
^) La Bibl. de Dxi Verdier ^ pass.
*) Bibl. fran{'. VII, 345 ff, — Weder du Verdier^ 8 noch Ghujef»
Verzeichnis kann Anspruch auf Vollständigkeit erheben, wie aus unserer
Zusammenstelluny [s. AnJiany) hervorgeht.
») BiUiogr. Ariostesca. S. 172—176.
*) Bibl. it.'fr. II, 1271-1275.
^) Annali, S. 177 ff. — Rathery, Lifl., S. 96, erwähnt nw, daß
zahlr. Ubersetzmigen des Ariost erschienen seien.
«jßirch- Hirsch f., Gesch. d. frz. Lit. d. 16. Jahrh., S. 176;
ebenso Laur, Louise Labe, S. S.
— 77 ~
Mitglied der dortigen Dichterschule, in welcher eine „Haupt-
quelle der preziösen Literatur zu erkennen ist", bearbeitet,
wie wir später sehen werden, eine Episode aus Ariost.
Auch am Hofe der schöngeistigen Königin von Nararra
£ndet der Divmo Äriosto schnell Anhangt); wir wissen zwar
nicht, ob der OrL für, sich unter den Lieblingsbüchem Mar-
garetens befand, aber wir wissen, daß ihr Sekretär Guill.
Belliard ein Buch lyrischer Gedichte verfaßte, unter denen
sich Nachahmungen aus Ariost befinden.^) Vielleicht wählte
er gerade diesen Dichter als Vorbild, um einen Wunsch seiner
königlichen Gebieterin zu erfüllen.
Bedeutend aber wird Ariost's Einfluß erst, als die Dichter
der Pleiade ihre Tätigkeit beginnen, und die lyrische Poesie
unter ihnen eine Blütenperiode, wie kaum ein zweites Mal
wieder, erlebt. Diese Dichter der Ronsard'schen Schule,
einschließlich ihres Hauptes, waren keine genialen Schöpfer,
die aus eigenem Herzensbronnen ihre Lieder hätten quellen
lassen und, unbekümmert um die Regel und Autorität, sagen
können, was ihre Brust bewegte ; diese Schüler der Renaissance
brauchten vor allem Vorbilder, an die sie sich klammern,
auf die sie sich berufen konnten, sie brauchten Stoff, der ihnen
würdig genug schien, um in antike Verse gekleidet zu werden ;
und selbst da, wo ihr Herz spricht, wo die Liebe ihnen eine
beredte Zunge verleiht, wagen sie es nicht, einen Schritt allein
zu tun, selbst da füllen sie ihre Verse mit fremden Worten
und Ideen aus.
Die glühende Begeisterung für Petrarca und den Petrarkis-
mus war bald verraucht ; man merkte bald, daß der Stoff, der
jenen Dichtem zugrunde lag, einer Entwicklung nicht fähig
war; er mochte die lyrischen Geister in ihren Jugendjahren
begeistern, ihnen den rechten Ausdruck für die Form ihrer
Lieder geben, den zum Manne herangereiften Dichter jedoch
konnte Petrarca's monotoner Piatonismus nicht befriedigen.
Welche Fülle von Ideen und Idealen bot dagegen der
^) El amini, Varietäy 8. 265, bemerkt, daß ihn Franz I. in seinen
lyrischen Versuchen naohahmte; doch erfahren wir nichts Näheres darüber,
*) La Croix, Bibl. I, 311.
— 78 —
wunderbar vielseitige Dichter des Orl. für, ! Mit welch' zartem
Empfinden schildert er nicht die Liebe, die im Herzen seiner
Mädchengestalten glüht; und wie lebendig weiß er nicht uns
diese selbst zu schildern! Wie blaß und verschwommen,
wie seelenlos mußte da im Vergleiche zu diesen Heldinnen
Petrarca's Laura erscheinen!
So sehen wir denn, wie die Pleiade und ihre Epigonen
erfüllt sind von dem Geiste, der aus dem Orlando weht, wie
sie alle, die antik sein wollenden Jünger Ronsard's, halben
Wegs stehen bleiben, um die Schätze aufzulesen, die ihnen
eine erst kurz verflossene Epoche anbot, und die das Alter-
tum niemals geben konnte.
Als einen Vorläufer der Pleiade können wir den eifrigsten
Schüler Petrarca's auf französischem Boden, M ellin de
Saint-Gelais betrachten; aber man findet bereits bei ihm
Spuren Ariost'scher Nachahmung. Hören wir zuerst, was
einzelne Kritiker hierüber sagen.
Kathery begnügt sich mit der Bemerkung, daß er dem
Ariost „einige Stücke" entlehnt habe^), während Elamini die
6. Elegie des italienischen Dichters erwähnt, die St-Gelais
nachgeahmt habe.^) Wagner dagegen, welcher hauptsächlich
den Epiker St-Gelais studiert ^) , zählt zu diesen Nach-
ahmungen das Gedicht, welches D'u7i Eslongementhetiteltist^),
und jenes, welches beginnt mit den Versen:
«Et toy doidx vent faisant doulx hruit en Vair
Qui farrete j^our enteiidre mes dicts.j
Vianey endlich bezeichnet die 6. und 7. Elegie des Ariost
als Vorbilder von St-Gelais.^)
Allgemein drückt sich Morf aus, indem er sagt, St-Gelais
schreibe Terzinen auf der Spur Bembo's und Ariost's.*}
^) Inp,iience^ S. 107.
2) Studi, S. 265,
3) Mclin de St-Gelays, S. 127,
*) (Euvres de Mellin 7, 210; die Quelle ist dort {S. 212) mit folgenden
Worten angegeben: «Cecy^ pris d^Ariosto, est pour r edier sur le luth
ou guiterre avec le chant qu'on appelle Bomanesque.»
^) Arioste et la Pleiade, BidL ital. I, 295 ff.
«) Gesch., S. 53.
— 79 —
Ebenso erwähnen Birch-Hirschfeld ^) und Bourciez ^) den
Lyriker Mellin nur allgemein als Nachahmer der Italiener
und der alten Klassiker.
Es scheint auch in der Tat, daß, außer den eben ge-
nannten Stellen, sich keine nachweisbaren Entlehnungen oder
Anklänge an das italienische Epos bei Mellin de Saint-Gelais
finden; wenigstens führte uns unsere Untersuchung über den
lyrischen Teil Saint-Gelais' zu diesem Schlüsse; der Epiker
Saint-Gelais dagegen ist, wie wir später sehen werden, ein
eifriger Nachahmer Ariost's.
Weit bedeutender jedoch ist die Einwirkung Ariost's auf
Joachim Du Bellay, neben Ronsard das fähigste Mitglied
der Plejade.
Pflänzel, welcher eine eingehende Studie über dessen
Sonettensammlung Olive (1549) veröffentlicht hat, findet in
derselben folgende Einflüsse:. Petrarca, die blasoneurs,
Ariost, die neuplatonische Lehre, einen gewissen christiani-
sierenden Zug,*)
Von Ariost erwähnt er nur eine Nachahmung ; allgemein
sagt er, daß Du Bellay ihn besonders in der Schilderung der
sinnlichen Reize nachgeahmt habe. Pflänzel kennt augen-
scheinlich den italienischen Dichter viel zu wenig, sonst hätte
er finden müssen, daß Sonette 7, 8, 10, 11, 18, 30, 35 in der
Olive den Sonetten 23, 7, 17, 12, 8, 10, 2 bei Ariost ent-
sprechen, d. h. mehr oder minder frei übersetzt sind. Aber nicht
genug : die schönsten Reden, welche Ariost den Helden seines
Epos in den Mund legt, verwendet Du Bellay für seine Sonette,
oder vielmehr, er gießt sie in die Sonettenform, die er in
Italien kennen gelernt hatte. Jene berühmten Klagen, welche
Bradamante um ihren geKebten Roger anstimmt*), teilt Du
^) Gesch. der frz, Lit des 16, Jhr.^ S, 161.
*) Les mcewrs polies, S. 282, wo besonders der ital. Einfl. auf die
Sprache des Dichters hervorgehoben wird.
') über die Sonette des J. Du Bellay S. 28 ff, — An Ariost
(C, IX, 67) erinnert Sonett 14: die Reize Olivens sind ähnlich geschildert
tvie die Schönheit der Ariosf sehen Olimpia.
*) Orl. für. C, XXXII, st. 18—26, C. XLIV, st. 41—48 u. 61—65;
C. XLV, st. 26—40.
— 80 —
Bellay für seine Zwecke in drei Teile ein, d. h. er bildet
daraus drei Sonette. Eoland's Klagen bei der Nachricht;
daß Angelika mit Medor Liebesschwüre getauscht, werden
bei Du Bellay in zwei Sonetten wiedergegeben^); ein Sonett
behandelt Sacripant's Klage über die Untreue Angelika's.*)
Die Schönheiten seiner Geliebten Olive weiß der französische
Dichter mit keinen anderen Worten besser zu preisen, als mit
denen, welche Ariost gebraucht, um Alcinens Beize zu schildern,
mit denen sie Euggiero zu betören sucht. ^) Wir können hier
auf eine nähere Vergleichung der beiden Dichter nicht ein-
gehen, doch wollen wir nach Vianey eine Zusammenstellung
derjenigen Sonette der Olive geben, welche unverkennbar ihren
Ursprung in Ariost's Rasendem Roland haben*):
Olive: Son. 25^) = Oii. für.: C. XLIV, 61—62
S. 39 = „ „ C. XLIV, 63—64
S. 29 = „ „ C. II, 65—66
^) Orl für., a XXIII, st 108—109; st. 128—129,
*) Son. 25; dessen 1. Strophe lautet:
«Je ne croy point, veu le dueil que ie meine
Pour Vapre ardeur Wune flamme suhtilCj
Que mon ml feust en larmes si fertihi
Si n^eusse au chef Weau vive une fontaine» etc.
^) Orl. für., C. Vlly 12 ff. Daneben wird auch AriosVs prächtige
Schilderung von Olimpia^s körperlichen Reizen gerne nachgeahmt; 8, Orl.
für., C. XI, 67 ff.
*) Bull. ital. I, 293.
^) Die ersten vier Verse des Sonetts 25 lauten:
«Me soit amour ou rüde, ou favorable,
Oll hault, ou has me pousse la fortune,
Tout ce qu'au coeur ie sens pour Vamour d'une
Jusq^ä la mort, et plus, sera durable.»
Vgl. Orl. f., a XLIV, 61, 2—5:
«0 siami Amor benigno, o m^usi orgoglio,
me Fortuna in alto o in basso ruote;
Immobil son di vera fedes coglio.»
Oder, um ein anderes Beispiel zu wählen, Sonett 97:
«Qui a peu voir la matinale rose
D^une liqueur Celeste emmieUee
Quand sa rougeur de blanc entremeslee
Sur le na'if de sa branche repose* etc.
Vgl. Orl. f., C. J, st. 42, 43.
-^ 81 rr^
Olive: S. 47 = (hl. für.: C. XXXIII, 63—64
S. 31 = „ „ C. XLV, 37—39
S. 37 = „ „ C. XXXII, 20—21
S. 25 = „ „ C. XXni, 125—126
S. 42 = „ „ C. XXIII, 127
S. 97 = „ „ C. I, 42—43
S. 91 = „ „ C. VII, 11—14.
Ziehen wir außerdem in Betracht, daß der Dichter der
Olive außer Ariost noch dreißig andere italienische Lyriker
ausplündert^), dann bleibt nicht mehr viel für Petrarca's
Nachahmung übrig. Wir müssen daher die Meinung einer
Anzahl von Forschern, welche in der Olive ausschließlich eine
Nachahmung Petrarca's sehen, entschieden als irrtümlich zu-
rückweisen.
Während nämlich Sainte-Beuve von einem italienischen
Einfluß bei Du Bellay überhaupt nichts zu wissen scheint*),
erwähnen St. Marc-Girardin^), Lanson*), Pellissier*),
ja selbst noch Morf *) und Birch-Hirschfeld ') nur Petrarka als
Vorbild für die Olive, Auch in den Äntiqiätez de Ronie und
in den Regrets, die gewöhnlich als Ausfluß persönlichster Ge-
fühle betrachtet werden, finden sich Anklänge an Ariost,
und zwar an dessen Satiren, wie Vianey nachgewiesen hat;
Alcina und Buggier o werden in den Eegrets in den So-
netten LXXXVII — XC genannt ®) ; in dem berühmten Sonett
^) Vianey, Les sourcea ital. de V Olive (Annales internationales
d'Hist Congres de Baris, 1900. F. 1901. S. 73ff.)
2) Le 16 e siecle, S. 70-80.
») Tabkau, S. 70.
*) Eist., S, 281 ff.
*) Bonsard et la Pleiade (Hist., p, p. Jullev. Bd. HI, 192): «Tous
{ses S07inets) sHnspirent, fond et forme, du chantre de Laure.»
**) Gesch., S. 163. „Olive, eine Sonettdichtung nach dem Muster
Betrarkas."
') Suchier u. B.-Hirschf'., Gesch., S. 347: Die Sonette in der
Olive sind freie Übertragungen aus Betrarcä's «Canzoniere» und Nach-
ahmungen des Meisters.
*) Vgl, die letzten drei Verse von Sonett LXXXVII:
^Bref, ie ne suis plus rien qu^un vieil tronc anime,
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. ^
— 82 —
CXXIX, wo er das Ende seiner Verbannung begrüßt, bedient
er sich jener zwei Stanzen, in denen Ariost das Ende seines
Epos ankündigt; wir wollen beide Stellen zum Vergleiche
anführen :
Du Bellay:
«Je voy (Dillie^'s) je voy serener la tempeste,
Je voy le vieil Pt'oie son troppeau renfermery
Je voy le verd Triton s'egäier sur la meVj
Et voy VÄstre jumeau flamhoier sur ma teste:
Ja le vent favorable d mon retour s'appreste,
Ja vers le front du port je commence ä ramer,
Et voy ja tant d'amis, que tie les puis nonuner,
Tendant les bras vers moy, sur le hord faire feste:
Je voy mon grand Eonsard, je le cognois d^id,
Je voy mon eher Morel, et mon Dorat au^si,
Je voy mon Delahaie, et mon Pa^chal encore:
Et voy un peu phis hin (si je ne suis deceu)
Mon divin Mauleon, duqu^l sans Tavoir veu,
La grace, le sgavoir^ et la vertu j'adore,
Ariost, Orl. für., C. XL VI, st. 2 u. 3:
<cSento venir per allegrexza un tuono,
Che fremer Varia e riynhomhar fa Tonde.
Odo di squille, odo di tromhe un suono,
Che Valto populär grido confonde,
Or comincio a discer^iere chi sono
Questij ch^empion del porto ambe le sponde,
Par che tutti s'allegrino, ch\o sia
Venuto a fin di cosl lunga via.
Qui se plaint de se voir ä ce hord transforme^
Comme le myrte Anglois au riuage WAlcine,»
Ebenso Son. LXXXVIIT, Vers 4-8:
«Qwi ni'estremdra le doigt de Vanneau de Melisse,
Four me desencJianter comme U7i autre Roger?» etc.
Ferner Son, XC Vers S, m?o die alten Zauberinnen u. die bösen
Sieben „Alcines^^ genannt iverden.
— 83 —
Oh de che belle, e sagge donne veggio,
Oh de die Cavalieri il lito adomo!
Oh de cKamiei, a chl in eterno deggio,
Per la letiziaj ch^han del mio retomo!
Mammaj e Oinem^a, e Valtre da Coreggio
Veggo del moh in siilV estremo como.
Veronica da Gamhera e con loro,
Si grata a Feho, e al santo Äonio coro,*
Wir sehen hier, wie Du Bellay nahezu Vers für Vers
seinem Vorhilde folgt, wir bemerken zugleich den häufigen
Gebrauch mythologischer Anspielung bei dem französischen
Dichter, den wir als eine charakteristische Eigentümlichkeit
der Pleiade ansehen können.^)
In den Antiquitex de Bome^ deren Quellen neben einigen
lateinischen Dichtern besonders Castiglione, Guidiccioni und
Ariost sind, kommt für unsere Untersuchung namentlich Sonett
14 in Betracht, das eine Nachbildung von Orl. fur, C. XXXVII,
80 und 110 ist. 2)
Da Du Bellay bereits die schönsten lyrischen Stellen aus
dem „Basenden Roland" in seine Sonette herübergenommen
hatte, konnten die nachfolgenden Dichter nicht mehr viel
Neues in ihm entdecken; doch gehen auch sie noch oft auf
*) Morf, Gesch., S, 163, bezeichnet als Vorbilder Du Bellay^ s in
diesen beiden Sammlungen Navagero, Sannazar und Castiglione, dagegen
nicht Ariost. Suchier-Birch-H., Gesch. 352, scheint sie für unab-
hängig von ital. Einfluß zu halten. — Von der Art, loie Du Bellay den
ferraresischen Dichter im den Regrets nachahmt, sagt Vianey in dem
Bulletin italien (t. IV, fasc. 1, S. 47) : «II ne copie jamais VArioste, sans
deute; mais il a sa malice, et son äjprete, sa ligne precise et son coloris
discret, son art d'enfermer un gravid sujet dans un petit cadre.>>
') «Comme an passe en este le torrent sans danger,
Qui souloit en hyver estre roy de la plaine.
Et ravir par les champs dhme fuite hautaine
L'espoir du laboureur, et Vespoir du berger» etc.
Vgl. Orl. f., C. 37, st. 110:
<<Come torrente che superbo faccia
Lunga pioggia talvolta o nievi sciolte», etc.
6*
-^ «4 —
diese Quelle zurück, so Eonsard im I. Teile der Amours de
Cassa7idre, Sonette 183^) und 192.«)
Wo Ronsard die Beize seiner Kassandra schildert, schwebt
ihm Ariost's Beschreibung von Alcina und Olympia vor.
Manchmal ist es unmöglich, festzustellen, ob Bonsard Du
Bellay oder Ariost unmittelbar nachgeahmt hat, so beim Liede
welches beginnt mit den Worten:
^Las! je n^eusse Jamals pensey^y
welches sich bereits bei Du Bellay ganz ähnlich vorfindet
(Sonett 35), und welches auf Orl. für. C. XLIV, 61—62 zu-
rückgeht.*)
Baif, der in seinen epischen Versuchen einer der glück-
lichsten Ariostnachahmer ist, greift auch in seinen lyrischen
Gedichten auf den Orl, für. zurück. Gerade so wie Bonsard
seine Cassandre, so besingt Baif seine Maine und später
seine Frandne^ indem er sie mit der Schönheit einer Alcina
und Olympia ausstattet. Das Gedicht Dieu garde le hois^)
enthält z. B. eine besonders lange Beschreibung Möline's,
die der Hauptsache nach Ariost's „Basendem Boland" ent-
lehnt ist; wenn er sagt, seine Geliebte habe eine Nase, «ow
^) o^Son chef est d'or, son front est un tableau
Qu je voy peint le gain de mon dommage;
Belle est sa main^ qui me fait devant dge
Changer de teint, de cheveux et de peau» etc.
Vgl. O. für., C. YII, 12.
^) «Qiiand le grand cell dans les Jumeaux arrive,
TJn jour plus doux serena Vunivers,
D^espies crestez ondoyent les champs vers,
Et de couleiirs se peinture la rive» etc.
Vgl. 0. für., C. XVI, 68.
^) Das Lied ist nach jenem Briefe, den Bradamante an Roger
sendet^ gedichtet. Die erste Strophe lautet:
«Las je n'eusse jamais pense,
Dame qui causes ma langueur,
De voir ainsi recompense
Mon Service d'une rigueurj
Et qii'en Heu de me secourir
Ta o^uaute m'eust fait mourir.» {(Euvr. de Bons.,' S. 81.)
*) (Euvres de Baif {p. p. Marty-Lav.) t. /, S. 63.
— 85 —
Penvie ne trouve rien d reprendre^, so entlehnt er diesen Vorzug*
der Alcina des Ariost:
€Quindi il naso per mexxo il viso scende,
Che non trova Vinridm ove remende^ ^).
Von den Hüften Meline's rühmt er, sie seien faits au iouvj
wobei er sicherlich an Olympia denkt, von deren fianchi . . . e
coscie Ariost sagt: <iPareano faiii Da Fidia a tm-no.'^)
In den Diverses Ämours übersetzt er jene schlüpfrige
Elegie 6, wo Ariost der Nacht dankt, daß sie seiner Liebe
günstig gewesen, und Elegie 7, wo die Nacht vom Dichter
verwünscht wird, weil sie zu hell geblieben sei.*)
Die erstere der beiden Elegien Ariost's findet sich auch
bei Bemy Belleau^), der ebenfalls als ein Nachahmer des
Italieners zu bezeichnen ist, wenn er auch in erster Linie
sich von den bernesken Dichtem beeinflussen läßt. In der
premiere joumee de la Bergerie zitiert Vianey eine Stelle,
wdche die bereits erwähnten Klagen Bradamante's para-
phrasiert ^) ; allerdings könnte auch Du ßellay's Olive (Son. 27)
ihm als Quelle gedient haben, die aber selber wieder auf
Ariost zurückgeht.
Zu den Jüngern der Pleiade, und zu den ersten französi-
schen Sonettisten dieser Schule gehört Olivier deMagny,
dessen Muster und Vorbild in Sannazar zu suchen ist.®) In
seinen Soupirs machen sich auch Spuren Ariost'scher Lyrik
bemerkbar. Die Sonette 36 und 91 ') sind freie Übersetzungen
der Sonette 10 und 12 Ariost's. Sonett 17, welches das Lob
1) Orl fiir. a VII 12.
2) Ibd. C. XI, 69,
') Ed. Marty-Laveaux 7, 380.
*) Ed. Marty-Lav. I, ISO.
*) Bull. ital. 1901, 1, 274. Die Stelle findet sieh in R. Belleau's (Envres,
(p. p. Mart'Lav, 7, 256); sie entspricht Orl. für. XXXII, 21.
*) Favre geht in seinem Olimer de Magny auf eine Quellen-
Untersuchung nicht ein.
') Siehe Vianey, L^Arioste et la Pleiade. Bullet, ital. 1901, t. I,
295 ff, — Eine ausführliche Beschreiburig von Magny 's Aufenthalt in
Italien findet sich in der Vorrede von Courbet's Ausgabe der Oden
V. Ol. d. Magny, S. XXIV ff.
— 86 —
der Treue singt, ist dem Anfang des XXI. Gesanges (St. 1
u. 2) im „Roland" entlehnt.^)
Der galante Abbe und Hofdichter Ph. Desportes, be-
kannt als Verfasser eines Boland furieux, eines Mort de Bodo-
mont etc., hat sich den Ruf eines großen Plagiators erworben,
unter den ausnahmslos italienischen Nachahmungen befindet
sich sein oft zitiertes Gedicht Contre une nuict trop claire ^), das
eine Übersetzung der bereits mehrfach behandelten siebenten
Elegie Ariost's ist.
Als einer der letzten Vertreter der Ronsard'schen Schule
ist der Satiriker J. Vauquelin de la Fresnaye zu be-
zeichnen, der erst in neuester Zeit eine gebührende Wür-
digung erfahren hat. Ste.-Beuve erwähnt ihn nur vorüber-
gehend.^) St. Marc-Girardin nnd Nisard übergehen ihn mit
Stillschweigen, während Darmesteter und Hatzfeld ihn nur als
Nachahmer von Horaz kennen.*)
Erst Lemercier unterzieht seine Satiren einer eingehenden
Quellenuntersuchung, die ein sehr überraschendes Resultat
ergibt.*^) Seine Satiren sind nämlich zum großen Teile nur
Übertragungen aus Sansovino's Sammlung Seite libri di Satire
(1560), in welcher Vauquelin auch Ariost's Satiren fand; in
der Vorrede sagt er allerdings: tPArioste qne fay pareUlement
^) Ne fune intorto crederö che stringa
Soma cosl, ne cosi legno chiodo,
Come la fe ch'una bella alma cinga
Del suo tenace indissolubil nodo.
Nk dagli aniiqui par che si dipinga
La Santa Fe vestita in altro modo,
Che d^un vel bianco che la cuopra iutta;
Ch'un 8ol punto, un sol neo la pud far brutta.
*) S. Flamini, Studi, S. 431 — 4dl. Neben Desportes erwähnt er
Gilles Durand, der denselben Gegenstand nachahmte. Im 2. Buche
der «Diane» (Son. 63) schildert er die Reize seiner Geliebten nach Ariosfs
Beschr. v. Olympia u. Älcina (p. p. MichielSy S. 108).
®) La poesie fr. du 16 ^ siecle, S. .112.
*) Le 16« siede, S. 143. Auch Lanson, Hist.j S. 340, erwähnt
nichts von einem ital. Einfl. auf den Satiriker. Suchier u. Birch-Hirschf.
erwähnen ihn zwar im Index^ wo auf Seite 357 verwiesen tvird, doch
ist er dort nicht genannt.
*) J^tudes sur Vauquelin etc., S. 189 ff.
— 87 —
suivi en quelques uties de nies Satires» ; doch geht daraus nicht
hervor, daß er, wie es tatsächlich der Fall ist, fünf von den
sieben Satiren des Ariost ganz oder teilweise übersetzt hat:
1) Sat. II, 2, an d'Auberville gerichtet = Ariost: Sat. 3.
Teilweise ist sie fast wörtlich übersetzt.
2) Sat. m, 2, an J. de Morel = Ar., Sat. 4, an Sig. Malag.
3) Sat. II, 8, an M. Le Blanc = Ar., Sat. 5 (über die
Frauen u. d. Ehe), an Ant. Malag.
4) Sat. n, 3, an M. de Perron = Anfang v. Ar., Sat. 6
(gegen die Humanisten), an P. Bembo.
5) Sat. I, 3, an M. de Piron = Ar., Sat. 7. Vauquelin
(Satire I, 3) furchtet sich nach Paris zu gehen und gibt dafür
nahezu dieselben Gründe an, wie Ariost für seine Weigerung,
sich nach Born zu begeben.^)
Die Forestefies, eine Jugendarbeit nach dem Muster der
Arcadia Sannaxaro's, weist eine Stelle auf, die unverkennbar
den Stempel der farbenglühenden Sprache Ariost's trägt ^) ; es
ist dies die Idylle, welche A sa Ninfe betitelt ist.^ Die Be-
schreibung der Schönheit dieser Nymphe ist eine Nachbildung
der schon mehrmals erwähnten Schilderung Alcina's und
Olympia's.*)
Endlich spendet Vauquelin in dem Art poeiique dem
Dichter des „Rasenden Roland" ein hohes Lob:
Plus hardiment a pris les gestes hasardeux
De nos vieux paladins connus par tout le monde,
Et des yreux Chevaliers de nostre Table Bonde.^)
Auch der bedeutendste Satiriker dieser Zeit, Math.
B6gnier, schöpft ebenso gerne aus den Italienern wie aus
Horaz. Lanson bezeichnet Bemi, Caporali und Aretino als
^) Flamini, Studi Sil— 316 erwähnt einen getoissen in Paris
lebenden Simeonij welcher die Satiren Ariost's nachahmte; doch sind
nur einige seiner Schriften bis jetzt gedruckt worden, — Nach Le-
mercier's TJrteü [l. c, S. 267) gelang es Vauquelin nicht, den feinen
Spott des Italieners zu erreichen.
«) 3Iorf, Gesch., S. 176.
3) IL Teil, 2. Son,
*) Orl. für., C. VII, 12 f u. C. XI, 76 f
») Kap. II, Vers 902—904.
— 88 -^
söine italienischen Vorbilder^); Birch-Hirschfeld ftthrt eben-
falls nut Berni und Aretino an ') ; Petit de JuUeville dagegen
erwähnt außerdem noch Mauro.*) Keiner von ihnen scheint
von den zwei Stellen in Rfegnier's Satiren zu wissen, die
aus Ariost übersetzt sind; sie zeigen, daß der französische
Dichter die Satiren Ariost's zum mindesten kannte. Die
beiden fraglichen Stellen sind:
1) Regnier, Sat. III, 173—180 = Ariost, Sat. I, 154
— 165 (an Galasso Ariosto).
2) ßegnier, Sat. II, 40—42 = Ariosto Sat. II, 88—90
(an Aless. Ariosto u. an S. ßagno). Als Beispiel geben wir
diese letztere Entlehnung ßögnier's:
Il6gDier, Sat. II, 40—42:
« C*est que la pauvrete coynme moy les affoh,
Et que grace ä Dien, Phosbus et son troupeau,
Nous n^eitsmes sur le dos iamais un hon manteau,'^
Ariost, Sat. II, 88—90:
^ApoüOy tua merce, tua merccy santo
Cüllegio della Muse, io non possiedo
Tanto per voi, cKio possa fartni im mayito,^
Mit dem Erbleichen des Pleiadengestirnes endete auch
die kurze Blütezeit der französischen Renaissancelyrik. Ver-
gebens suchte Malherbe ihr neues Leben einzuhauchen, ver-
gebens wies er auf Rom und Griechenland hin; es waren
falsche Wege, die er seinen Landsleuten zeigte. So sehen
wir auch, wie Ariost nicht weiter mehr mit dem Zauber seiner
Sprache, mit der Farbenpracht seiner Bilder und der Innig-
keit seiner Gefühle den Geist der jugendlichen Lyriker Frank-
reichs fesselt und ihnen nicht mehr die zahlreichen Liebes-*
Sonette einflößt, durch die ihre Namen unsterblich wurden.
III. Ariost im französischen Epos.
Wir behandeln in diesem Abschnitte zugleich auch das
Epos in ungebundener Sprache, der Erzählung, und beginnen
^J Hist, S. 341.
*) Such. u. Birch-H., Gesch., S. 378.
3) Eist. IV, 32.
— 89 --
Tikit Aettt originellsteD Erzähler des 16. Jahrhunderts, ntit
Rabelais, welcher, wie wir bereits gehört haben, eine um-
fassende Kenntnis der italienischen Literatur besaß, und der
auch Ariost's Orl, für, gelesen und in seinen Oarganttm und
Pdntagruel mehrmals verwertet hatte. Vor allem ist es die
berühmte Sturmscene (Pantagruel, livre IV, chap. XVIII ff.) ^),
zu Aet eine Episode im Orl, für. Anlaß gegeben hat (Orl.
für. C. XI, st. 37, 38). Ferner, wie Ariost, so verwünscht auch
Rabelais die Erfindung des Pulvers.^) Panurge's Gestalt er-
it^nert an den Brunei des III. Gesanges im „Rasenden
Roland". Für seine Reise in den Mond ist das Vorbild iö
Astolf s Mondreise zu suchen. Endlich geht die Beschreibung
der Abtei Theleme auf die unvergleichliche Schilderung der
l^auberinsel Alcinen's zurück. Auch Rabelais' Ansichten über
die Ehe enthalten Andeutungen an die Satiren Ariost's.
Bald nach der ersten Übersetzung des Oi-l. für. ins Fran-
zösische, versuchte Berenger de laTour eine der schönsten
Episoden daraus frei nachzuahmen (24. Gesang: Isabelle und
Zerbin), die 1558 unter dem Titel VAmie des Amies erschien.*)
Goujet, von dem wir allein ein urteil über diese Nachahmung
haben, stellt sie über Desportes' Rolmul furieux.^)
Das Jahr 1572 ist für die französische Epik bedeutungs-
voll, weil damals Ronsard's Franeiade erschien. Von den meisten
Forschem wird Vergil oder Ovid als Hauptquelle und Vorbild
des französischen Epikers angegeben. Mit Unrecht; denn Ronsard
ahmt mit Vorliebe einen obskuren alexandrinischen Dichter,
Apollonius, der eine Argonautica verfaßte, nach und
übersetzt ihn, weil dieser in der Beschreibung ganz besonders
glänzende Partien aufzuweisen hatte.*) Seine Bewunderung für
^) Kap. 18 : Comment Pantagruel evada une forte tempeste en mer.
-) Pantagruel, Livre IV. eh. LXII: «Comment Gaster inventoyt
art et moyen de non estre bless^. ni touche par coupz de canon.*
^) Vollst. Titel: Vamie des amies, imitation de VArioste, divisee en
dlivres par Berenger de la Tour., Lyon. 1558, 8^. — Vgl. La Croix,
Bihl I, 77.
*) Bihl. fr. VIT, 359: «Les vers ont un tour plus aise et plus
naturel que cewc de . . . Ph. Desportes.» — Das Gedicht ist in Zehn-
nlbern abgefaßt»
*) Vianey, LArioste et la PUiade, Bull. ital. I, 305.
— 90 —
den spätgriecbischen Dichter war jedoch nicht so einseitig^
daß er nicht auch nach anderen Quellen sich umgesehen
hätte. Die wichtigste dieser sekundären Quellen ist der
OrL fur,j den er bereits in drei kleineren, vor der Fran-
«iade erschienenen, epischen Erzählungen stofflich benützt
hatte, nämlich
1) In V Hymne de la Lais et de ZetheSj wo die Senapes^
Episode zweifellos einen Einfluß der Harpyenerzählung im
Orl für. (C. XXXin, 102 ff.) aufweist, i)
2) Im Poeme d^Orphee^), in welchem die Geschichte von
Pleurdöpine und Richarde (Piordiligi und Ricciardetto) teil-
weise nachgeahmt ist*); teilweise übersetzt ist sie in der Er-
zählung von Iphis.
3) Im Hymne de Pollux et de CastoVy insofern der Zwei-
kampf zwischen Pollux und Amycus an verschiedene Episoden
im Orl, für, erinnern, in denen Ariost mit einer etwas er-
müdenden Monotonie Zweikämpfe seiner Helden schildert.*)
^) (Eunres de Ronsard {p. p. Blanchem.) F, 19—42. Vgl. z. B. das
Erscheinen der Harpyen an der Tafel des Senapes bei beiden Dichtem:
Rons., ibd., S. 40 u. Orl. für. C. XXXIIl, st. 119 ii. 120.
*) (Euvr. de Ronsard {p. p, Blanchem.) III, 425.
») Orl. für., C. XXV, st. S5/f. Vgl. Rons, ibd., 429:
«Tu exerces, amour, siir mon coeur ta malice:
On ne voit qu^une vache aime une antre genisse,
La jument, la jument, la brebis^ la brebis;
La biche n'aime point Vautre Hohe; et je s^iis
Seilte pucelle au monde aimant une piicelle,
Forgant la majeste de la loi naturelle.»
Vgl. Orl. f., C. XXV, st 35:
«Se pur volevi, Amor, darmi tormento,
Che fincrescesse il mio felice stato,
D^alcun martir dovevi star contento.
Che fosse ancor negli altri amanti usato.
Ne tra gli uomini mai ne tra Varmento,
Che femmina ami femmina ho trovato:
Non par la donna alV altre donne bella,
Ne a cervie cervia, ne alV agnelle agnella.»
*■) (Euvr es de Ronsard (p. p. Blanchem.) V, 2 ff.; vgl. S. 55; femer
S. 59, wo die Mädchen mit Frühlingsblumen verglichen werden. Vgl,
die bekannte Stanze im Orl. f., C. I, st. 43.
— 91 —
In der Franciade sind es vor allem zwei Schilderungen
die den unverkennbaren Stempel der deskriptiven Manier des
italienischen Epikers tragen: die Schilderung eines Turniers^)
und eines Schiffbruches^); einige Gleichnisse sind sogar
wörtlich ins Französische herübergenommen worden.
In demselben Jahre , wo Ronsard den Franzosen das
erste moderne Epos gab, erschienen zwei weitere Nach-
ahmungen aus dem OrL für. Die erste besteht in einer
Sammlung von Gedichten^) verschiedener Autoren, welche
in bunter Reihenfolge die verschiedensten Episoden des
„Rasenden Roland" behandeln:
1) Eoland furieux Ph. Desportes
2) Bodomont y,
^) (Euvres de Ronsard (p. p. Blanchem. IIT, 128).
Vgl.: «Du coup donne le rivage tremhla,
La mer fremit, le fleuve se troubla;
En mille esclats les pointes acerees
Furent toucher les vaüters etherees»^ etc.
Vgl. damit OrL, für. C. XL V, st. 62, wo der Angriff der Gegner
im Zweikampf dem Sturme auf der hohen See verglichen wird.
*) Franciade {III, 94 ff):
« Tantost pendus ils voisinent les cieux,
Tantost ils sont aux enfers stygieux.»
Vgl Ort. für., C. X. st. 106:
«Si forte ella nel mar hatte la coda,
Che fa vicino al ciel Vacqua innalzare», etc.
Vgl. ferner t. III, 96 u. 97, wo das Eindringen de^' Wogen auf
das Schiff geschildert wird, u. Orl. für. C. XL, st. 29^30 :
'iAinsi, de mille et mille flots voutez
Qui r^assailloient la nef de tous costez», etc.
Ferner :
*0u les filks, Sans chois, florissent tout ainsi
En gräces et beautez es maisons de leur mere,
Qiie les fleurs des jardins en la saison premiere.y
Orl. für., l. c:
*Come nel mar che per tempesta freme,
Assaglion Vacque il temerario legno,
CNor della prora, or dalle parti estreme
Cercano entrar con rabbia e con isdegno», etc.
*) Titel: Imitations de quelques chans de VArioste, par divers poetes
frangois, nommez en la quatrieme page suyvante. P. XDLXXII. 8^.»
— 92 —
3) Dmjix cotnplaintes de Bradamant Ph. Desportes
4) Le Premier livre d'Angeliqtie „
5) Oenevre le commencent Saingelais
6) La Suyte J. Ä, de Bdif
7) Fleurdepine „
8) Benaud Loys d^ Orleans
Von Desportes' Nachahmungen sagt Goujet, daß sie
dfessen erste poetische Versuche gewesen seien: «// Us croyoit
peu dignes de voir le jour»,^) Den ersten Teil, Boland
fiirieuxy welcher im Vergleich zum Original sehr abgekürzt
ist, schrieb der Dichter zu seiner Unterhaltung ^) ; vom zweiten
Teile, der Geschichte des Rodomont 2), behandelt die Einleitung
ßodomont's Kampf mit Roger und seinen Tod von der Hand
des letzteren, wie Ariost ihn im 46. Gesänge darstellt.^) Der
weitere Teil dieser Episode jedoch und «Le premier livre
d'Angelique» sind nicht, wie Goujet meint, «c?e Vinvention du
Poete fran^oisi^), sondern freie Nachahmungen von Aretino's
Marfisa und Le lagrifne di Angelica,^) Die beiden Klagen Bra-
damante's behandeln endlich j«nen Schmerzensausbruch des
ritterlichen Mädchens, der mit der bekannten Strophe beginnt :
^Misera! a cid mai piü creder debh* io?
Fo' dir eKognuno e perfido e crudele,
Se perfido e crudel sei, Euggier mio,
Che si pietoso tenni, e si fedele.
^) Bibl fr. VII, 352. F a g u e t , Desportes {R. d. c. et c, 1894, mars,
S, 417) nennt sie *adaptati(ms» aus seinen Jugendjahren und nach seiner
Rückkehr aus Italien; ihr literarischer Wert ist, nach Faguei, sehr mittel-
niä/äg. Doch erhielt er nach Goujet {Bibl, fr. Bd. XIV, 68) für seinen
„Roland'' 800 Taler.
^) Der vollst. Titel lautet: •La mort de Rodomont et sa descente
aux enfers.» Vgl. Orl. für. C. XLVI, st. 101 ff.
^) Such. u. ßirch-fl. , Gesch., S. 865, geben den ungenauen Titel
•Angelique et Medor» an.
*) Bibl. fr. Bd. VII, 352.
') Vgl. Darmest. et Hatzf., Le 16* s., S. 137; Morillot,
in: Hist, p.p. Julleville III, 250 ff. erwähnt nichts von einer Nachahmung
Ariosfs; Lanson, Bist, S. 290; Morf {Gesch., S. 177) wwdßirch-
Hirschf. {Such. u. B.-H., Gesch., S. 365) bezeichnen Ariost nur im
allgem. als Vorbild. — über Aretin^s Marfisa, Le Lagrime di Angelica
6tc., 8. Gasparg, Gesch. der it. Lit. Bd. II, 522.
— 98 —
Qiial crudeltäj quäl tradimento rio
UhqiMi' s^udi per tragiche querele,
Che non trovi minw, se penaar mal
AI mio merio, e al tuo debito vorrai?^ ^)
und der sich im 33. Gesänge ^) nach ihrer seltsamen Vision
YQn den Ruhmestaten ihrer französischen Landsleute in Italien
erneuert.
Wichtiger als Desportes' Versuche sind Saint-Gelais'
und Baif's Behandlungen der Ginevra-Episode, St-Gelais' An-
teil beginnt bei Stanze 2 des 4. Gesanges und geht nicht
über die neunte Stanze des fünften Gesanges hinaus, während
Baif den Rest der Episode nicht ganz bis zur Mitte des 6. Ge-
säuges (Stanze 18) paraphrasiert.
Nach Wagner ist Mellin de St-Gelais dem Originale
großenteils treu gefolgt, hat aber die ottava rima durch den
.paarweis gereimten Zehnsilbner ersetzt.^) Die Abweichungen,
die ab und zu vorkommen, sind im ganzen unglücklich zu
nenneU; indem er öfter das Original abschwächt oder unnötig
ausmalt. Wenn aber Wagner daraus dem französischen
Dichter einen Vorwurf macht, daß er die vier ersten Stanzen
des fünften Gesanges übergangen hat^), so ist ihm entgegen
zu halten, daß dieselben überhaupt nicht in den Zusammen-
hang der epischen Erzählung gehören.
Mit Bai'f s Anteil an der Genevre und mit seiner Flenrde-
pine haben sich die Forscher bis jetzt nicht beschäftigt. Weder
Darmesteter u. Hatzfeld, noch Pellissier, Morf oder Birch-
jHirschfeld erwähnen diese Nachdichtungen, nicht einmal
H. Nagel, der doch Baifs Leben und Werke eingehend
bearbeitet hat, liefert uns mehr als eine Angabe ihrer Titel.*)
Was endlich den letzten Teil der erwähnten Sammlung be-
triflFt, so gehört er nicht in den Rahmen dieser Arbeit, da
^) Orl für. C. XXXII, 37.
*) Ibd., C. XXXIIL 62.
3) Mellin de St-Gelais, S. U5ff.
*) Mellin de St-G., S. 148.
*) Baif, Werke, in: Herr. Arch. Bd. LX, 241 ff. ti. Bd. LXI,
53ff., 64ff.
— 94 —
Louis d'Orleans' Benaud auf den Rinaldo Tasso's zurückgeht.^)
Renavd erschien 1672 auch als besondere Schrift.^)
Aus demselben Jahre stammt eine Nachdichtung der
Joconde-Episode (Orl, für, C. XXVIII) von dem als Mitverfasser
äer Satire Menippee bekannten Nicolas Rapin^), über die
eine Untersuchung noch nicht angestellt worden ist.
Ein sehr wenig bekanntes episches Gedicht ist Fumee's
Mirroir de Loyaute (1576), welcher das rührende Geschick Isa-
beilas und Zerbinos, wie es uns Ariosto im 24. Gesänge darstellt,
frei nacherzählt *) ; allerdings werden seine Verse als schlecht
und seine Ausdrucksweise als ungemein roh bezeichnet.^)
Vielleicht war es dieser Mißerfolg Fumee's, welcher de
Laval®) veranlaßte, dieselbe Geschichte im nächsten Jahre
noch einmal zu behandeln. Er wählte die Erzählungsform
und brachte das Ganze in den Rahmen eines Dialogs zwischen
Isabella und Zerbino, ohne die Sache jedoch besser zu machen.
Es scheint um diese Zeit Mode gewesen zu sein, einzelne
Teile aus dem „Rasenden Roland" nachzudichten. Denn be-
reits zwei Jahre später haben wir zwei weitere Nachdichtungen
dieser Art zu verzeichnen, die allerdings literarisch sehr ge-
ringwertig und längst in Vergessenheit geraten sind. Das
erste Gedicht sind die Plaintes de Boger pour Bradaniante von
Hesteau, sieur de Nuysement.') Es ist im Versmaß
^) Groujet, Bihl. fr. VII, 357; La Croix/, ^89, nennt den •Be-
tia^id» irrtümlich eine Nachahmung Äriosfs.
^) Benaud, imite de VArio8te{!). P. (X. Breyer) 1572. S. 8^; 8. ferner
(roujet, Bihl fr. VII, 358.
*) Le 28^ chant du Bol. für. par N. R. [Nicolas Bapin\ P. 1572^
12^. Bei Goujet, t. XIV, 131 und t. VII, 358 erwähnt. Das Gedicht
ist im Versmaß des Originals geschrieben.
*) Miroir de* Loyaute imite du XXIV ^ chant de VArioste p. Grilles
Fiimee. P. 1575. 8^. — La Croix du Maine {Bibl. I, 289) erwähnt das
Werk nicht, dagegen Goujet, Bibl. fr. VII, 360. Von neueren Forschern
wird die Dichtung nicht erwähnt.
'^) Uoujet, 2. c, VII, 360.
*) Isabelle, Imitation de VArioste, p. Ant. Martineu de Laval. P. 1576.
8^; Guidi (A^m. S. 193) schreibt de La Valle.
") Nur bei Goujet {l. c, t. XIII, 205) haben wir die Dichtung
erwähnt gefunden. — Hesteau, sietir de N., (Euvres poetiques. P. 1578. 4^,
Siehe daselbst Buch III.
~ 95 —
des Oi'h für, abgefaßt und paraphrasiert Roger's Klagen nach
dem Kampf mit Bradamante {Orl. für., C. XLV, st. 87 ff.).
Die zweite Nachahmung ist von Guill. Belliard^), dem
bereitserwähnten Sekretär der Königin von Navarra, welcher
die Klagen Bradamante's im 45. Gesang des „Basenden Bo-
land" behandelt.^)
Von der OZ«/w/na-Episode, die bei Ariost im elften Ge-
sang (st. 51 ff.) sich findet, gab Pierre du Brach, sieur de
la Motte eine Nachahmung (1584).*) Dieselbe Geschichte
wurde 1598 von Guill. Bernard de Vervese behandelt und
zwar im zweiten Teile seiner Gedichte unter dem Titel: Les
Ämours et les Regrets (TOlympe,^)
1599 erschienen die Ämours de Cloridan et de Marphise
des Sieur de la Roque, von dem Goujet boshaft sagt: «Le
ckoix qtCil a fait des endroits d^Arioste et de cenx d^Ovide sont
une preuve quHl alloii partout eher eher du feu pour augmenter
Vemhrasement qui le tourmentoit,'»^)
Für die im folgenden Jahre gedichtete Angeliqus delivree
gibt Guidi als Verfasser einen gewissen de Bazire an*),
während Barbier das Gedicht in sein Dictionnaire des Anonyme
aufnimmt und den Namen Bazire in Klammern setzt.')
^) Gr. Belliard, Foemes. Livre 1, contenant les delicieuses ämours
de Marc-Antoine et de Cleopatre: Les triomphes d'Amour de la mort et
autres imitations d''Ovide, de Fetrarque^ et de VArioste. F. 1578, 4^
Angeführt bei Farfaict, Beauchamps und du Verdier, Bibl., J, 22aif.
«) 0. /•.; C. XLV, St. 28 ff.
') Du Verdier, Bibl. S. 1219. F. du Brach wird hier «Controlleur
pour le Roy en sa chancellerie de Bordeaux» genannt.
*) Goujet, Bibl fr. XIV, 228; Guidi (Ann. 180) kennt diese Aus-
gabe nicht, dagegen erwähnt er (S. 194) eine solche von 1605 mit dem ver-
änderten Titel: f<Les Ämours d'Olimpie et de Birene ä Vimitation de
VArioste par de Vervese. Lyon. 1605. 12^.
*) G o u j e t , Bibl. fr. XIII, 430 ff. ; da bei Ariost Marfisa u. Cloridano
in keiner Beziehung zueinander stehen {vgl. C. XVIII, st. 154 ff.), scheint
das Gedicht eine ziemlich freie Nachahmung z\i sein.
*) Blanc, /. c, II, 1274, gibt folgenden Titel: Angelique delivree,
trad. ou imitation par de Bazire, F. 1600. 12^.
') Dict. des auteurs anon. Bd. VI, 190 : Ang. delivree ä Vimitation
de VArioste {Far de Bazire) F. 1600, 12^. — Auch der edle La Boetie ver-
suchte sich an einer Faraphrasierung der Klagen Bradamante's. S. (Euvres
compl. de la Boetie, p. p. Feugere F. 1846, S. 473 ff. Der Titel derselben
— ^ ^
Das 17. jÄhrhundert ist dem Epos in Frankreich nicht
günstig ; die Literatur dieser Zeit steht im Zeichen des Dramas.
Wir werden daher verhältnismäßig wenige Dichter finden, die
sich im OL für, ihre Stofife holen, und wir müssen nahezu
die erste Hälfte des Jahrhunderts übergehen, bis wir auf eine
Ariost'sche Nachahmung stoßen.
Nach Goujet veröffentlichte Guill. du Peyrat 1645 die
Eegrets de Bradamante et de Boger tires de PArioste, wo, wie
jener sagt, der Geist ebensowenig auf seine Rechnung kommt,
wie das Herz.^) Elf Jahre später eröffnet Chapelain's
Bucelle (1656) die Reihe jener heroischen Epen, die irgend einen
Helden aus ferner Zeit und seine Taten in stolzen und prunk-
vollen Alexandrinern besingen, und besonders reich an Be-
schreibungen und Vergleichen sind.
Scudery's Älaric, Desmaret's Clovis und Le Moine's
St. Loms begeistern sich alle, wie Arnaud behauptet, an Ariost
und Tasso^); allerdings bleibt er uns den Beweis für diese Be-
hauptung schuldig.^) Schönherr, der auf einige ähnliche
heroische Epen zu sprechen kommt, erwähnt unter den
italienischen Quellen derselben das Epos des Ariost überhaupt
nicht. ^)
In Boileau's heroisch-komischem Epos Le Lutrin geht,
lautet : A Marguerite de Carle sur la traduction des plaintes de Brada-
mante au 32 *: chant de Loys Arioste. Weder bei Guidij noch bei Blanc,
noch in irgend einer der in dieser Arbeit genannten Kompilationen ist
diese Schrift aufgeführt worden.
^) Bibl. XVy 42. — Die von Goujet erwähnte Ausgabe ist jedoch
nicht die erste j da diese bereits 1593 zu Tours erschien; vgl. Pasquier,
Becherches de la France VU, 7.
*) Essays, S. 442.
') Ztvar versucht er einige Entlehnungen anzuführen, doch besteht
kein zwingender Grund, die betr. Steüen auf den Orl. für. zurückzuführen,
da Vergil u. Tasso ganz ähnliche Begebenheiten, wie Reisen, Schlachten,
Stürme, SchiffhrücJie, Heldentaten von Amazonen erzählen. So behauptet
Arnould ferner, ohne es zu beweisen, der Held des Le Moyne'schen Epos,
St. Louis, habe nach dem Muster der Ariosf sehen Helden eine Anzahl
von Abenteuern zu bestehen; Oiapelain dagegen habe seine tBucelle* nach
Ai-iosVs Bradamante gezeichnet, mit dem Bewußtsein, die Heldin des itaU
Dichters in den Schatten gestellt zu haben.
*) St.'Amant, in: ZfSp. XI, 113 ff. Vgl 147, 163, 158.
— 97 —
wie Tröverret glaubt^), die Idee und Schilderung der Discordia^)
auf ebendieselbe allegorische Gestalt im ^Käsenden Roland^ *)
zurück, wo sie ebenfalls in einem Kloster ihre unheilvolle
Tätigkeit ausübt. Ein eifriger Verehrer und Leser des OrL
für, war Lafontaine ; von seinen Contes et Nouvelles suchen die
schönsten ihr Vorbild in diesem Epos. Gleich die erste der-
selben, die Erzählung der Joconde, ist dem 28. Gesänge des
OrL entlehnt; von allen Nachdichtungen des OrL für. kann
sie als die gelungenste betrachtet werden. Bekanntlich gab
Boileau der französischen Bearbeitung den Vorzug vor der
italienischen*), während Voltaire Ariost's Joco^ieZe-Episode höher
stellte.^) Der wesentliche Unterschied liegt nach Regnier
darin, daß Lafontaine die anstößigsten Stellen wegließ.
Außerdem ' aber ergibt, nach unserer Meinung, eine sorg-
fältige Vergleichung der beiden Bearbeitungen, daß Lafontaine
viel ärmer an Bildern, daher auch weniger anschaulich ist,
und daß seiner Sprache der Fluß und der Wohllaut der
Verse Ariost's fehlen.
Hans CarveTs Ring®), eine Erzählung, die sich be-
reits in Poggio's „Facezie"' (Nr. 133) und in den Cent Nouvelles
Nouvelles (Nr. 11) findet, und die Ariost am Schlüsse der
fünften Satire in Reim gesetzt hat, wird von Lafontaine in
der zwölften Erzählung des ersten Buches behandelt, wobei
sein direktes Vorbild allerdings Rabelais war. Auch hier
behauptet Voltaire Ariost's Überlegenheit '), während Regnier
^) ntalie au XVI^ siech, II, 147, S. 120.
^) Le Lutrin, Ch. I, v, 25.
») C. XIV, 8t. 78—96; 0. XXYII, st. 37—39.
*) S. hierüber Cotronei, Lafontaine et VArioste {Boss, della lett.
ital. e Siran., S. 29), dessen Arbeit sich mit der Vergleichung der beiden
Dichtet und mit der Wertschätzung von Boileau'' s Urteil beschäftigt Cotr,
gibt im Gegensatz zu Boileau dem Dichter des OrL für, den Vorzug,
*) (Euvres de Lafontaine, p. p. Regnier I V, 376, wo über diesen lit.
Streit ausführlich gehandelt wird.
*) (Euvres de Lafont., p, p. Regnier IV, 376 ff.
^) Discours aux Welches t, XLI, 561. S. auch Carducci,
L^Ariosto ed il Voltaire (Fanfulla della Dom., 5. Juni 1S81), wo sämtliche
Urteile Voltaire^ s über Ariost zusammengestellt sind. Ebenso Donati,
L^Ariosto ed il Tasso giudicati dal Voltaire, pass.
Mttnchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 7
— 98 —
sie weg^i der höheren Komik, die in der ErzahluDg des fran*
zösischen Dichters liege, {bestreitet. Die Erzählung vom Zauber-
becher iirt Ton Lafontaine ^) bedeutend verkürzt worden (UI. Teil,
4. Erz,) ans dem Od. fw. (C. XLH, st 70 bis C. XLIII
st. 67) ; oft drückt er in einem einzigen Verse das aus, wofür
Ariost eine ganze Stanze nötig hat; daß bei einem solchen
Verfahren die epische Eleinmalerei zu kurz kommt, ist klar.
Während z. B. Ariost^) sagt:
<E It piü rieche gemme avea con hi,
Che mai mandassin gVIndi agli Eritrei»,
läßt der französische Dichter das Bild vollständig fallen und
gibt nur den trockenen Sinn wieder: proposa de Vargent,^
Die 13. Erzählung desselben Teiles: Le petH; chien qui
secoue de Fargent et des jnerreries^), gleichfalls eine Nachahmung
aus dem „Rasenden ßoland^, leidet au der nämlichen Bilder-
armut, und steht deshalb dem Originale ohne Zweifel nach ;
damit soll jedoch den berühmten Fabeldichter kein Vorwurf
treffen, dieser fällt vielmehr auf die französische Sprache über-
haupt, die niemals jene Geschmeidigkeit erreichte, wie sie
die italienische Schwestersprache schon längst besaß. '^)
Nahezu gleichzeitig ®J mit der Joco/icfo-Erzählung La-
fontaine's erschien eine Übersetzung derselben Episode von
^) (Euvres 7, 88 ff,
^) Orl für., C. XLIII, st. 35.
*) Vers 310; vgl. außerdem:
Lafont. V. 95 = Orl, C. XLIII, st 13.
„ V. 114, 115 = Orl, a XLIU, st 14.
„ V. 284 = Orl, C. XLIII, st 34.
*■) (Euvres V, 242 f.
') Dieser Mangel der Sprache wa/r es auch, der nach Arnould
(E9S., S. 446) verhinderte, daß m Frankreich ein wirkliches Kunstlos ge-
schaffen wurde: «On n'oubliait qWune ehose, &est que oes ouvrages {die
italienischen Epen) s'etaAent soutentLS par le style admirable de faciliti,
de mouvement, de gräce, d'eUgance, dans le Roland, moirhs pur, moinn
flexible, moins pleine de couleur, d'eclat et souvent de force dans l^&rusalemj
affectiv recherche et faux, moAs du woins ing^n'fjffux et brillant, dans
VAdone . . , et que le style n^est pas seulement %m resultat du talent in-
dividv^l, maie la fleur meme du genie et de la langue de V Italic.»
^) (Euvres de BouiUon, contenant Vhistoire de Joamde, le Mari
— 98 ^-
BouiUon. Eine Y^rgleichisiDg der Arbeiten lag nahe^ und bo
TuiterDahm es Beoleau^ die Vorzüge und die Mängel d^ beiden
Joconde zu prüfen und ein entscheidendes Urteil abzugeben,
das zugunsten des ersteren ausfiel.
Die epische Dichtung des 18. Jahrhunderts wird be-
sonders ^vertreten durch Yoltaire's Henriade und La FttceUe,
welche beide Spuren Ariostischen Einflusses tragen. Boutjt,
wdcher sich in neuester Zeit mit der Frage der Abhängigkeit
des großen Philosophen von der italienischen Literatur be-
schäftigt hat, zitiert eine Reihe von Stellen aus seiner
Korrespondenz, aus denen hervorgeht, daß Voltaire zur Zeit
der Ab&ssung seiner epischen Gedichte sich mit der Lektüre
des Orl, für, befaßte.^) Wir wissen auch, daß Voltaire das
Epos Ariost's mit Unrecht für eine Parodie des Rittertums
ansah und daß er es deshalb in seinem Essai sur la poesie
^»ique nicht unter die epischen Dichtungen einreihte, sondern
inline Anmerkung verwies.^) Trotzdem war der Orl. für. eines
seiner Lieblingsbücher, von dem er sagte: tSi on lit Homere
par une espece de devoir, on lit et reUt Ärioste pour son plaisir,»^)
Er nimmt das Buch mit auf seine Reisen, sein ^stes Wort,
das er bei seiner Ankunft in Berlin an Collini richtet, ist eine
Frage betreffend Ariost.*) Alt und fast blind geworden, läßt
er sich von Waguiere|täglich ein oder zwei Gresänge daraus
vorlesen**); ja ganze Afcsalze konnte er aus dem Gedächtnisse
vortragen. Wiederholt äußerte sich Voltaire in den Aus-
drücken des höchsten Lobes über den italienischen Dichter ^) |
commode . . . P. 1663. 12^. Bouillon war Sekretär des Herzogs Guston
von OrUans.
^) VoltaWe et V Italic, chap. III, S. 79—129. Bouvy sagt von
Voltaire^ s Verhältnis zu Ariost {8. 79): ^Voltaire a eprouve powr Arioste
plus que de la Sympathie. II Va aim4 jusqu'ä VappeUr son «dißit* et le '
prendre plusieurs fois pour modHe.» An einer anderen Stelle heißt es:
*Des 1730 le Roland furieux est dejä Vun de ses livres de chevet.»
«) Bouvy, ibd., S. 101.
») Ibd., S. 101.
*) Ihd., S. 103.
^) Casanova, Memoires III, 197.
*) SiMe de Louis XIV, chap. 32; Essai sur les mceurs, chap. 28 u.
7*
— 100 —
als Mirabeau's Übersetzung seinen Beifall nicht finden konnte,
versuchte er selber, einige Stanzen aus der italienischen
Dichtung allerdings mit der größten Freiheit zu tibersetzen.
Als er die Henriade schrieb (vor 1723), war er noch besser
mit Tasso als mit Ariost bekannt; doch glauben wir in der
Einführung der Discordia in die Henriade ^) eine Entlehnung
aus Ariost zu sehen ^); einzelne Kampfesschilderungen er-
innern lebhaft an die Art und Weise, wie der italienische
Epiker Zweikämpfe und Schlachten zu beschreiben pflegte.
Zahlreicher sind die Nachahmungen in Voltaire's komischem
Epos La Pucelle, von dem die ersten fünfzehn Gesänge be-
reits 1753 erschienen, während das Ganze zwei Jahre später
gedruckt wurde. Nach seinem eigenen Geständnisse schwebte
ihm bei der Dichtung besonders der Orl. für. vor.^) Die
Versuchung der Pucelle durch den Barfüßermönch Grisbour-
don ^) erinnert an Angelika, wie ihr im Schafe vom lüsternen
Eremiten Gefahr droht (C. VIII, st. 48 u. 49) ; die Beschreibung
des Esels, beginnend mit den Worten*):
< Ce beau grison deux alles possedait
Sur son echine et souvent s^en servaiU , . .,
erinnert lebhaft an den Ippogriffo des Orl. für. (C. IV,
st. 5). In beiden Epen wird eine Reise in den Mond ge-
schildert*) und im 13. Gesang widmet der französische Dichter
Astolfs Mondreise einige Verse.') Die Schilderung von
121; Candide, chap. 25; s. weitere Urteile bei ßouvy, Voltaire, S. 106,
107 u. 108.
^) La Henriade L 53 ff.
3) Orl. für., C. XIV, 78 ff.
') ßouvy, Volt., S. 117, ICO eine Reihe von Brief stellen Volt, zitiert
werden, aus denen dies hervorgeht; so schreibt Volt. z. B. an Cideville
(8. Mai 1734): «Cest plutot dans le goüt de VArioste que dans celui du
Tasse que fai travaille.»
*) La Pucelle, eh. V, v. 48 ff.
6) Ibd., eh. II, V. 245 ff.
«) Orl. für., C. XXXIV, Iff.; La Pucelle, Chant UI^, v. 46 ff,
"') La Pucelle, ibd., II, v. 12 ff.:
«Un autre Jean eut la bonnefortune
De voyager au pays de la lune
Ävec Astolphe, et rendit la raison.
^ 101 —
DuQois' Beise nach Mailand und seine dortigen Heldentaten
(Chant VII) haben eine auffällige Ähnlichkeit mit der Olimpior
Episode (C. XI, st. 55flf.), teilweise auch mit der Ginevror
Episode (C. V); der im 11. Gesänge der Pucelle erwähnte
Wunderfelsen von Sainte-Beaume ist eine Nachahmung der
Wunderquellen im Ariost'schen Epos (C. I, st. 78); das
Palais de r Imagination (Chant III, V. 1 ff.) mit seinen verzauberten
Bewohnern ist das getreue Abbild des Zauberschlosses des
Atlante (C. IV, st. 11 f.). Während des Zweikampfes
zwischen Trimouille und Arondel ^) fliehen ihre Geliebten, um
derentwillen sie sich schlagen; auch diese Episode ist dem
italienischen Dichter abgelauscht (0. 1, st. 17 f.).^) Endlich
sind die Einleitungen zu den einzelnen Gesangen in beiden
Epen durchwegs ähnlich, so z. B. spricht die Einleitung zum
21. Gesang der Pucelle von den Wunden, die der lose Amo^
schlägt, im Orl, für, wird derselbe Gegenstand im Eingang
zum 2. Gesang behandelt. Die ersten zwei Verse des 17. Ge-
sanges der Pucelle sind nahezu eine wörtliche Übersetzung
der zwei einleitenden Verse des 8. Gesanges im Ariost'schen
Epos. Man vergleiche die beiden Stellen:
La Pucelle: tOh qite ce monde est rempli d'enchanteurs/
Je ne dirai rien des enchanieresses,*
Orl. für, : « Oh qimnte sono incantairidj oh qtcanti
Incantator tra noi, che non si sanno:» I
La Harpe stellt den Orl. für. weit über die Pucelle Voltaire's,
welche ihn weder durch das Interesse des Stoffes noch durch
die Zeichnung der Charaktere anziehen kann.*)
Von den Erzählungen in Prosa, die Voltaire geschrieben
hat, kommt für unsere Untersuchung Zadig ou la Destinee
Si Von en croit un auteur veridique,
Au paladin amouretix d^Angelique.»
*) La PucelUf chant VIII u. IX.
*) Aiu)h die schmutzige Geschichte der männlichen Nonne Besogne
am Schlüsse des 10. Gesanges dürfte auf die Ricciardetto-Episode im
Orl, für. (0. XXVj Iff.) zurückgehen. Femer erinnert der Umstand, daß
der Erzbischof St. Denis eine reine Jungfrau suchen ^vill^ an Joconde,
l^Orl. fj C. XXVIII), der auf der Suche nach einer treuen Ehefrau ist
») Cours de litt. I, 872.
■^ 102 —
(1747) in Bdtracbt. Der Hauptsache nach ist diese Geschichte
dem Engländer Pamell entlehnt, Welcher sie in den Homilien
des Albert von Padna gefunden hat.^) Seele gibt noch einige
weitere Quellen an^ darunter den OrL für. für das 19. Kapitel,
Les combats betitelt, die jedoch nur ganz allgemein die
Kampfesschilderungen im italienischen Epos nachahmen.
Damit endet der Einfluß Ariost's auf das französische
Epos; wir dürfen ihn durchaus als einen fruchtbringenden
bezeichnen, wenn er auch nicht bewirken konnte, den Fran-
zosen zu einem wirkliehen Künstepos zu verhelfen.^)
IV. Äriost im französischen Theater.
Ein Versuch, die Beziehungen Ariost's zum französischen
Theater zu untersuchen, wurde bis jetzt noch nicht gemacht.
Vianey's Arbeit über Ariost's Einfluß auf das Drama
der Pleiade umfaßt kaum drei Seiten und behandelt nur
Montchrestien und Garnier in ganz allgemeiner Weise ; andere
Beeinflussungen scheint er überhaupt nicht zu kennen.^)
Eicke sagt zwar von Ariost's Orlando, er sei von den franzö-
sischen Dramatikern geradezu ausgeplündert worden, zumal
für Textbücher zu Opern, doch erwähnt er nur Mairet's und
Quinault's Boland furievx.^) Von den vielen Theaterstücken,
die in Betracht kommen, wurden bislang nur zwei, die Brada-
mante von Garnier und der Boland furieux von Mairet, ein-
gehend behandelt. Bezüglich der Verlässigkeit der Urteile
der Brüder Parfaict, von Leris, Beauchamps , Mouhy, La
Valliöre und Higal verweisen wir auf die vortreffliche Kritik
Böhm's, der wir in allen Punkten beistimmen.*) Einige
') Bengesco, Bibliogr. Volt J, 435 ; ähnlich Seele, der in seinem
•Zadig ou la Destinee» diese Qtteüe eingehend behandelt hat.
*) Vgl. Dejob, £tifdes, S.288: *Notre vive et slculaire admiration
pour VArioste et pour le Tasse n'a pas pu inspirer ä nos poetes une
Beule ipopSe vraiment vivante.*
») Vlnfl. de VArioste sur la Pleiade [Bull, ital 1901. I, 313 SIS);
die Brad. Garnier^s wird nur kurz erwähnt.
*) Zur neueren Gesch. d. Bol. Sage in De^Uschl. u. Frankr.. S, 12,
'^) Der Evnfl. Seneca% S. 27 ff.
— 103 —
Urteile dieser Autoren, welche bei Böhm, sich nicht finden,
seien hier noch angeführt. Von Parfaict's Geschichte des fra»-
^ösischen Theaters sagt der Ver&sser der Trcm ateclea litUrarires ^),
eie sei eine Kompilation okne Gesdunaek und Methode; das
Dictionnaire det theätrea de Paris wimmle Ton Ungenarngkeiten.
Moreri bezeichnet ihre „Gsschichte^ als ein konfuses Madir
werk, Toll Fehler und Widersprüche ^ ; diese kämen daher, daß
die Brüder Parfaict sich eine Eeihe von Mitarbeitern hielten.
Mouhy's AbregS genießt nach Bigal einen sddecfaten Bnf.^)
Über L6ris' Dictiormaire möchten wir b^nerken, daß es nicht
nur eine Kompilation von untergeordneter Bedeutung ist,
wie Böhm sagt, sondern geradezu ein Plagiat Ton Beau-
champs' EecherckeSj sowohl in bezttg auf Daten, als auch hin-
sichtlich der kritischen Bemerkungen, die oft wörtlich her-
übergenommen sind.
Nic6ron's Memoires werden von dem Verfasser der Trois
Stieles Uttiraires ein €chaos eterneh genannt, das nur Fehler
und Irrtümer aufweise.*) La Harpe unterzieht die Anecdotes
dramaüques einer schärfen Kritik und weist nach, daß eine
große Anzahl derselben erlogen sind.*) Betreffs Goujet's Bib-
liotheque frangaise, über deren Wert wir bei Böhm eine Kritik
vermissen, Nicfiron's Memoires und Maupoint's Bibliotheqite du
Tkedtre fran^ ist Steffens zu vergleichen.®) Vapereau
schätzt Goujet's Werk als eines der nützlichsten, die wir
haben. ')
Außer den hier angeführten Autoren benützten wir be-
sonders Maupoint, der allerdings aus dem unzuverlässigen
Niceron schöpft, und das Dictionnaire des theätres de Paris von
La Porte et Ohamfort, welches von dem Verfasser der « Trois
1) Bd. III, 458.
*) Dict. hist.j III, 373: «Les mensonges, hs errews, les contra^
dkti(ms y fourmiüent*
^Alex, Hardy, S, 688.
^) Bd. 111 j 405: *ll se contenta de copier les Joumalistes et le$
Biographes, vrai moyen de perp4tuer les faules et les erreurs.^
«) Limratwre et CHtique, IV, 273.
«) Botrm-Studien, S. 13.
') Dict,, S. 914: •Vun des plus utiles que nous ayons».
c
.'.,-•
— 104 —
siedes liMra%res7> als eine gewissenhafte Kompilation bezeichnet
wird.^)
Was die Einteilung der in Frage kommenden Stücke be-
trifFt; so scheint es uns praktischer und besonders übersicht«-
licher zu sein, dieselben nach dem Stoffe zu ordnen, als sie
in chronologischer Reihenfolge zu behandeln, da ja das Epos
Ariost's sich leicht in eine Reihe von Episoden zerlegen läßt,
und da die französischen Dramatiker immer nur einzelne
solche Episoden, die oft gar nicht mit der Haupterzählung
verknüpft sind, für ihre Zwecke auswählten.
1. Die Bradamante-Episode.
Die Bradamanteepisode im Orh für. umfaßt den 44. Ge-
von Stanze 36 an, den ganzen 45. und den 46. bis
Stanze^Oö- ^), und erzählt den Zweikampf Roger's mit der
von ihm geliebten Bradamante, zu dem ihn sein um ihre
Hand werbender Ereund Leon auffordert. Kein geringerer
als Rob. Garnier versuchte es diesen Stoff dramatisch zi;
bearbeiten und bühnengerecht zu machen. Seine Bradamante
nimmt eine wichtige Stellung im französischen Theater des
16. Jahrhunderts ein; bereits Ebert beschäftigt sich daher
eingehend mit ihr; die Inhaltsangabe, die er von den^
Stücke gibt, kann heute noch als Muster gelten.^) Trost's
£tude analytique et critique sur le theätre de Bob, Oamier^)
^) Bd. III, 77, ^
2) Förster ^t in seinem Neudniek {Bd. 17, S. XXXV) als
V Qtielle den 43. Gesang an, toahrscJieinlich der Angabe Gamier\s in der
Vorrede zur Brad. folgend. Der Irrtum des Dichters u. des Heraus-
gebers beruht darin, da/J sie die ursprüngliche Ausgäbe des Orl. für. in
44 Gesängen im Auge hatten, loährend die später von Ariost vervoll-
ständigte Ausg. 46 Gesänge aufweist; diese letztere ist aUein noch ge-
bräuchlich. Eine Ausg. mit 44 Ges. wurde noch von Giovachino Avesani
{Firenze. 1826. 3 vol. 8^) veranstaltet.
«) Entw., S. 169 ff.
*) Programm einer Bielefelder Schule, 20 Seiten umfassend. Haupt-
sächlich wird der Einfiufi Seneca^s u. Horaz' angedeutet; von Ariost
spricht er nicht.
y
c ■'
\/
%
^ ^ 105 —
ist ein Plagiat von Ebert's Entwicklungsgesctiichte, in franzö-
sicher Sprache geschrieben und mit einigen , wertlosen Ztu-
Sätzen versehen. Eaguet widmet dem Stücke in seiner
tTragedie fran^ise du 16^ sieclej einige Seiten 0, ist jedoch, was
den historischen Teil betrifft, mit Vorsicht zu benutzen, da
seine Daten sich auf das <^ Journal du Theätre fran^uis^ stützen.^)
W. Eörster's mustergültiger Neudruck von Gamier's Stücken,
der sich hauptsächlich auf die Ausgabe von 1585 stützt ^), ist
mit einer wertvollen biographischen und bibliographischen Ein-
leitung versehen, die sämtliche Ausgaben der Werke Gamier's
bis in die Gegenwart aufzählt.*) Ferner besitzen wir eine
Pariser Dissertation von Bernage, die das Hauptgewicht auf
die ästhetische Betrachtung legt, im übrigen aber sich eng
an Eaguet anschließt. **) Endlich gab uns E. Pasini im siebenten
Jahrgange (1900 — 1901) des Ännuario degJi Studenti Trentini
(S. 122 flf.) eine eingehende, wenn auch nicht fehlerfreie Ver*
gleichung der Garnier'schen Bradamante und ihrer italienischen
Quelle, auf die wir noch öfters zurückkommen werden. Die
erste Ausgabe der Bradamante ist nach Förster's Unter-
suchungen wohl zweifellos im Jahre 1582 erschienen^), da
ein Exemplar der von Eaguet ') angeführten Ausgabe vom
Jahre 1580 bis jetzt nicht gefunden werden konnte.^)
1) S. 212ff.
^) Siehe darüber Böhm, S. SO [daselbst weitere Lit.-Ang.).
') Nach Förster (s. Vorrede^ Bd. J, S. XIY) die beste Ausgabe.
*) Ibd. J, S. XII.
») :^tiide sur Bob. Garnier. P. 1880. 8^.
«) Ibd., Vorrede, Bd. 7, S. XII
') La trag, fr., S. 212.
®) Als Datum der Erstausg. geben 1580 an: Mouhy (Abr. II, 164, y
während er im I. Bd. S. 69 und in den Tablettes, S. 38 das Datum
y 1582 angibt)', Didot {Biogr. univ. Bd. XIX, 509); Vapereau [Dict.,
S. 85€f); Darm, et Hatzf,, [Le 16^ s., S. 172); Lintilhac (Hist.,
8. 214); Brunet (Manuel II, 1490) drückt sich vorsichtiger aus: „Eine
Ausg, von 1580 ist vorhanden, doch enthält sie weder die Juives noch die
Bradamante. Es ist entweder anzunehmen, daß diese beiden in einem se-
paraten Exemplar veröffentlicht wurden, oder da/i die Ausgabe von 1582
dieselben zum erstenmal enthielt.
Das Jahr 1582 nehmen an: Beauchamps (Rech., Bd. II, 40);
Leris {Dict, S. 88); Mouhy [Tabl, S. 38, Abr. I, 69); Ebert {Entw.,
Y
A
— 106 -- «
Eine Aufführung de» Stückes im 16. Jahrhundert ist Us
jetet geschichtlich nicht nachgewiesen worden. Zwar behauptet
das Journal du Theätre fran^cds^ daß eine erfolgreiche Auf-
fthrung der Bradamante im Jahre 1580 im Hotel de Bour-
gogne stattgefunden habe^); doch haben EigaP) und im
letzten Jahre noch Lanson ^) es als unzweifelhaft hingestellt,
daB die Benaissancetragödien, und speziell Oamier's Stücke
im 16. Jahrhundert nicht auf einer öffentlichen Pariser Bühne
angeführt wurden.^) Da es jedoch neben dieser ständigen
S. i45); Lucas {mst, Bd, III, 270); Mol and {Molüre ete., S. 126);
Proelss {Gesch., Bd. 11, Halhh. J, S. 25); Morf (Gesch., S. 211).;
Rigal (Sist, p. p. JuUev.y Bd. III,S98); Suchier u. Birch-Hirschf.
{Gesch., S. 358) u. Pasini {l c, 8. 122).
^) Ebenso Leris (Diet, S. 88); Mouhy {Ahr. 11, 164), der Ver-
fasser der Trois sieeles littSraires (Bd. II, 375 : ^Ävec un sticcks prodi-
gieux»); Mich and (Biogr. gin. Bd. XV, 587); Faguet (La trag
fr., S. 212), welcher sich auf das Joum. du th. fr. beruft.
*) Le Thiätre frang. avant la piriode classique., S. 117 — 128.
') ^tudes sur Us origines de la Trag, class. en Framce (Rev. d'Hist.
m. 1903, Bd. X, S. 177 ff. u. S. 413 ff.),
^) Rigal, Alex. Hardy, S. 93, sagt über die • Bradamante» Fol-
gendes : «ill est vrai que Garnier, en icrivant sa Brad., a pensi qu'elle
pourrait itre reprisentee, et que cette tragi-comedie a 4te representee en
effet tout au commencement du 17^ sihile. Quoi d'Honnant, puisque la
Bradamante est la plus dramatique — je devrais dire la seule dramatique —
des pieces de Garnier ? Mais les expressions memes de Vtmtewr montrent
que, sHl privoit une reprlsentation possible, hd-mime n'a pas fait et ne
songepas ä faire representer son oeuvre.» In seiner Hist. du J%, fr. avant
la Periode classique (S. 116 ff.) hält derselbe Forscher diese Behauptung
aufrecht und sagt weiterhin, die Tragödien aus dem letzten Drittel des
16. Jahrh. seien überhaupt nur für die Lektüre geschrieen worden, eine
Annahme, die bereits Ebert (Entw., S. 149) geäußert hatte, und die
Stiefel in seiner Kritik des RigaV sehen Werkes (ZfSp. Bd. XXVI,
S. 28 der Bez. u. Ref.) für richtig erklärt, wenn er auch zugibt, daß
derartige Stücke von Wandertruppen sicherlich aufgeführt wurden.
Allerdings läßt uns Stiefel im unklaren, ob er von Paris oder von
der Provinz spricht. Daß solche Stücke in der Provinz gespielt wurden,
hat Lanson (Bev. dHist. litt. 1903, S. 192 ff.) bewiesen; eine große An-
zahl von Stücken zählt dieser Forseher auf, die in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrh. in der Provinz gespielt wurden, darunter mehrere Tror
gödien. Von Garnier sagt er (ibd., S. 416), er scheine seine Stücke
ntw zum Lesen geschrieben zu haben, doch habe er a die Möglichkeit
einer Aufführung seiner Bradamante gedacht
— 107 —
Bühne auch sogenanDte ,^iegende Bühnen^ gab, auf denen die
Wandertruppen ihre Stück» lot das Publikum brachten, so
ist es immerhin nicht ausgeschlossen, daß eine dieser Be^
naissancetragödien auch in Paris gespielt wurde, besonders
weil, wie Stiefel sagt, die Tragödie damals im Geschmacke des
Pablikums lag.^)
Wenn wir auch keine schriftliche Aufzeichnung über eine ^
Bradamanteaufführung aus dem 16. Jahrhundert haben, so
besitzen wir dagegen zwei ausfuhrliche Schilderungen einer
solchen aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. In H^roard's ^
Journal sur Venfance de Louis XIII findet sich für den 29. JuH
1611 folgender Eintrag: A six heures il va chex la Herne oü il voit
achever la Bradamante refpresentee par Madame (unter tMadame> ist
die Königin zu verstehen) ei aiUres.^) Einen zweiten Eintrag >^
macht Heroard am 2. August desselben Jahres: tA trois
heures mene en carosae au vieux ehäteau, en la solle du hol, oü, en
sa presence (L e. des Dauphin), ceUe de la Bmiej des princes,
princesses et seigneurs, de M, le chancelier et prSsident Jeannin, a
ete representee sur le thiätre' tout aecommodS la tragi-comedie de
Bradamante, par ces personnages.y^*) Es folgt nun das RoUenrer-
zeichnis, welches sich jedoch nicht genau mit den entsprechenden
Personen bei Garnier deckt, ein Zeichen, daß einige Ab-
änderungen am Stücke gemacht worden waren. So tritt hier v — -
eine LSonor**), Tochter KarPs des Großen auf, femer ein
griechischer Gesandter •), Personen welche sich bei Garnier
nicht finden. Interessant ist auch, daß ein großer Teil der v -
IfännerroUen durch Frauen gespielt wird, so z. B. wird der
alte Aymon durch ein Fräulein de Renel dargestellt, Benaud
durch Fräulein d'Harambure gespielt, ein Umstand, der uns
^) ZfSp. Bd. XXVI, 29.
') Nach Heroard [Bd. J, 392) fand eine BradamanteauffUknmg
bereits am 27. April 1609 am kgl. Hofe statt, bei welcher der Dauphin
{der spätere Louis XIV) sieben Verse sagen sollte , aber plötzlich erklärte:
•Tai oublii mon rolet.»
») Bd. II, 71.
^) Bd. II, 72.
*) Gespielt von M"^* Christienne.
•) Dargestellt von M^^« de Vernueil.
— 108 —
jedoch nicht besonders auffallen darf, wenn wir bedenken^
daß in unserer Zeit sogar Rollen wie Hamlet von EraueU;
" > -allerdings Berufsschauspielerinnen, wiedergegeben werden. Von
eben dieser Vorstellung haben wir einen Bericht aus der
maßgebenden Feder Malherbes ^) , welcher sie in zwei
Briefen (s. u. 4. August 1611) erwähnt und welcher die
Durchführung der Rolle der Marphise durch die Königin,
^ welche als Amazone gekleidet war, rühmt. ^) Malherbe nennt
das Stück eine „comödie" und zitiert einige Verse aus der-
selben, welche der Herzog von Vendome, ein Sohn des Königs,
zu sprechen hatte; dieselben lauten:
i^Charlemagne, Leon, Roger et Bradamante
Sont de gaxe et carton d Ja comediante,
Des lis farhorerai les braves etendards ;
Du Gange jusqu'au Rhin et vers les hards d^Afrique
Pour rmm <jpetit papa» donray des coups de piqice,*
Die Worte finden sich indes nicht in dem uns vorliegenden
^ Texte der Tragikomödie; es besfötigt sich hier die oben aus
der Hin^jifügung neuer Rollen geschlossene Behauptung, daß
das Stück mit einiger Veränderung über die Bühne ging;
wir dürfen jedoch annehmen, daß diese Einschiebungen nicht
wesentlicher Natur waren, sondern aus eingestreuten Be^-
merkungen aktueller Art sich zusammensetzten, die dem an-
wesenden königlichen Hofe gelten sollten.
y Auch Scarron läßt in seinem Roman comique die
Schauspielerin La CaTerne von einer Bradamanteaufführung
erzählen, die diese in ihrer frühesten Jugendzeit gesehen hat.^)
^) (Euvres, p, p. Lalanne, t. III, p. 247 — 248.
^) Auch La Caverne trägt als Bradanmnie ein Amazonenkostüm
{Scarron, Born, com., i, 273).
^) Boman comique, 2. Teil, 3, Kap. (Bd. I, 273), La Caverne nennt
das Stück <i Boger et Bradamante» ; das Theater des perigordischen Edel-
Sitzes war, wie sie sagt, höchst bequem und die Dekoration der Handlung
angepa/it. Auch bei dieser Aufführung wurden Abstriche gemacht, wc"
nigstens für die Bolle La Boque's. Die Barone und Edelleute fanden
solches Vergnügen an dem Stücke, dafi die Truppe noch längere Zeit dort
spielen durfte.
-^
— 109 —
Da nun der Bonian comique zwischen 1651 und 1657 erschien
und La Caveme damals bereits ziemlich bejahrt war, können
wir jene Aufführung mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in
das erste oder zweite Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts setzen.
Die Tatsache nun, daß Garnier's Bradamante in den ^ _
ersten zwei Dezennien des 17. Jahrhunderts Aufführungen
erlebte, und zwar auf einer öffentlichen und auf einer
privaten ßühne , berechtigt uns zu dem Schlüsse , daß
ähnliche Inszenierungen dieses Stückes schon früher statt-
fanden, höchst wahrscheinlich bereits im 16. Jahrhundert; ob
nun an Privattheatern, oder auf Wanderbühnen, oder vielleicht
auch im Hotel de Bourgogne, das kann allerdings heute noch
nicht festgestellt werden.^) Denn es ist kaum anzunehmen,
daß unsere Bradamante 20 oder 30 Jahre hindurch das be<
scheidene Dasein eines Buchdramas fristete^ dann aber, durch
irgend einen Zufall, plötzlich bühnenfähig wurde. Betrachten
wir endlich auch jene sich in keinem anderen Stücke -r
Oarnier's findende Stelle in der Vorrede des Dichters
zum Drama: tCeluy qui vovdroü faire representer cette BradU'
mantei^ 2), so ergibt sich daraus unzweifelhaft, daß er, erstens,
-das Stück für die Bühne geschrieben und zweitens, an die
Möglichkeit, wahrscheinlich sogar an die Gewißheit einer
Aufführung gedacht hat; und wenn er sich etwas vorsichtig
^) K. Saar, der Übersetzer des Roman comique j und ein guter
Kenner des frz. Theaters jener Zeitj sagt von Garnier {der Komö-
diantenroman, Teil IIIj 198): „Bei Garnier zeigt das Renaissancedrama
schon ein nationaleres Gesicht. In patngtischer_Absicht wählte er Stoffe. "^ ^
in^enen er die Zeitereignisse spiegeln, 8§inen Schmerz über die Zustände
seines _vom Bürgerkriege zerfleischten Vaterlandes ausdrücken konnte ...
Die anderen Trag, aus der Schule Ronsard's blieben ewig Schulkomödien ^
sie gingen niemals auf der lebendigen volkstümlichen Bühne in Fleisch und
Blut der Nation über. Garnier^ s Dramen hingegen bildeten den Übergang
:zu den Stücken Hardy^s, und zur Zeit der Festsetzung der Wanderschau-
Spieler im Hotel de Bourgogne den Grundstock des ersten Repertoires.»
') Die ganze Stelle lautet: «Et par-ce quHl n'y a point de ChceurSj
comme aux Tragedies precedentes, pour la distinction des Actes: Cehiy
qui voudroit faire representer cette Bradamante, sera sHl luy piaist,
aduerty d'vser d^entremets, et les interposer entre les Actes pour ne les
^onfondrCj et ne mettre en continuation de propos ce qui requie^'t quelque
distance de temps.» {Les Tragedies de Garn., ed. Förster j IV, 5.)
\
>•
V
— 110 —
und bescheiden ausdrückt, so bringt das eben der ganze Ton
einer Vorrede mit sich. Endlich möchten wir noch auf einen
weiteren, von den Forschem bis jetzt ebenfedls unbeachteten,
sdir wesentlichen Grund hinweisen, der eine Aufführung
unseres Stückes noch im Laufe des 16. Jahrhunderts wahr-
scheinlich macht. Garnier hat bis zur Abfassung der Brada*
mante an^^ Stoffe nach d6m Muster Seneca's dramatisiert
oder er schöpft, wie in den luifves, aus der Bibel ^), — plötzlich
greift er zu einem diametral entgegengesetzten Stoffe, dessen
Handlung in dem von den Männern der Eenaissance so sehr
geschmähten Mittelalter sich abspielt. Was mochte wohl den
Dichter zu dieser Wahl bewogen haben ? Wir wissen, daß be-
reits um 1576 J. de Fumee ^) eine Episode aus dem „Easenden
Eoland^, von dem uns allerdings weiter nichts bekannt ist, für
die Bühne bearbeitete^), daß femer ein ähnliches, später zu
besprechendes Stück ^) 1564 zu Blois am königlichen Hofe, end-
lich 1581 auf dem Theater von Le Havre ein tBoland fwieux»
aufgeführt wurde % der vielleicht schon seit mehreren Jahren
\ auf den französischen Bühnen gespielt worden war ; wir wissen
endlich aus Lanson's Verzeichnis der in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts außerhalb Paris aufgeführten Stücke, daß
Stoffe romantischen Inhaltes zu jener Zeit überaus gerne auf
der Bühne gesehen wurden und großen Erfolg hatten.^) Alle
diese Umstände lassen es uns als geradezu gewiß erscheinen,
daß Garnier diesen Stoff wählte, zunächst weil er ein Bühnen-
stück schreiben wollte, und ferner daß das Stück, wie die
beiden vorher zitierten, bei seinem großen dramatischen Ge-
halte noch im Laufe des 16. Jahrhunderts eine oder mehrere
Aufführungen erlebte.
») S. Goujet, Bibl fr., Bd. VII, 360: o^B avoit ite tenti de mettre
h meme aujet (Orl. für., C. XXIV, Cloridan und Medor) en TragSdie»,
Da Fumee^s «Mirroir de Loyaute» 1575 erschien, dürfte dieses Stück um
dieselbe Zeit, jedenfalls vor Gamier^s Bradamante, anzusetzen sein.
*) Der GinevrorEpisode {Orl. für., C. V, VI) entnommen.
») Lanson {Bev. d'Hist. litt., 1903. Bd. X, 207).
*) Ibd., S. 413 ff. Lanson findet eine große Anzahl von Stüdeen,
u>elche zwischen 1552 und 1600 nach beglaubigten Zeugnissen gespieU;
wurden. «2Vm^ itait jouable entre 1550 — 1630.»
J. _-
— 111 —
Da eine mehr oder weniger auBfiihrliche Analyse der
Bradamante bereits öfters gegeben worden ist^), setzen wir
die Eekanutschaft des Inhaltes unseres Stückes Toraus und
beschäftigen uns sofort mit d^ Untersuchung des Yerhält-
niases Garnier's zu dem Orl ßtr.f welches von den genannten
Forschem entweder überhaupt nicht, oder nur sehr obi^-
äächlich in das Auge gefaßt worden ist.^)
Folgende Personen (Entre^arlevrs), welche sich in der betr.
Episode des italienischen Epos nicht finden, sind von Garnier
hinzugefügt worden: Nymes, Duc de Bauieresy Basüe, I>uc d^Athenes^
La Montagne, Hippcdqt^e und La Boque, Der Dichter hat die
beiden ersteren und Hippalque eingeführt, um die aUsu langen
Menage im italienischen Epos durch _Dialoge_ wied ergeb gn
zu können. La Montagne vertritt die Rolle des „antiken^
Soten, wohl eine Reminiszenz an Seneca. La Roque endlich,
der unverschämte Diener des alten Aymon, scheint uns eine
fkitlehnung aus der commedia deW arte zu sein, die damals
bereits seit einem Jahrzehnt in Paris blühte. Denn weder
bei Ariost, noch in den früheren Stücken Garnier's läßt sich
eine derartige komische Dienergestalt nachweisen, dagegen
war sie eine beständige Figur in der italienischen Stegreif- ^
komödie.^) / // H'
/
*) z. B. von Ebert, Entw., S. 169ff.; Faguet, La trag, frang^ -
S. 212 ff.; Trost, Etüde anal, S.löff.; Darmesteter et ^a^Tffeld,
Le 16^ 8., S. 172ff,; Bernage, Bob. Garnier, S. irf^Kigal, Le th.
de la Ben. {Hist litt., p, p. JiUleviüe, Bd. III, 312); Pasini, La Brad,
di R. Garn., Annuario . VII, 125.
*) z. B. Ebert [Entw., S. 172) sagt nur von Szene 2 des 3. Aktes,
daß dieselbe „ganz nach Ariost" geschrieben sei. Weitaus die eingehendste
Abhandlung hierüber ist die von Pasini, der leider die früheren
Forschungen über diesen Gegenstand unberücksichiigt läßt, weshalb sei/ne
Arbeit sehr an wissenschaftlichem Wert verliert; nur BigaVs Kapitel
über die Renaissancetragödie in Jullevilys Lit.-Gesch. wird von ihm
herüehsichtigt. Pasini zitiert au/ierdem nicht nach Verszahl, sondern bloß
nach Akten und Szenen.
^ Pasini, l. c, S. 129, unterschätzt dagegen nach unserer Ansicht
die Wichtigkeit dieser komischen Bolle, wenn er sie als eine Statisten-
roUe bezeichnet: «iZ paggio La Boqu>e (A. II sc. II} . . . serve piü da
/-u.
— ~ x^
\:
— 112 —
Weder Ort noch Zeit der Handlung ist im Stücke an-
gegeben; als ersteren haben wir uns den Hof KarVs des
Großen zu Paris zu denken. Für die Zeit lassen sich
y natürlich keine bestimmten Angaben machen. Interessant ist
die von den Forschern bisher nicht erwähnte Erscheinung,
daß Garnier innerhalb des Stückes alle bei Ariost vor-
kommenden Zeitbestimmungen wegließ, um die Einheit der
A Zeit zu bewahren. Während ferner im italienischen Epos
eine Eeihe von Schauplätzen für die Bradamante-Episode
(Wald, Zelt vor der Stadt, Palast, Zimmer der Bradamante
etc.) besteht; fehlen bei Garnier alle Bühnenanweisungen, wahr-
scheinlich um die Einheit des Ortes zu retten ; auch im Stücke
selbst sind Angaben über die Örtlichkeit der einzelnen Szenen
vermieden ; es ist daher auch anzunehmen, daß daselbe ohne
jeden Kulissenwechsel gespielt wurde.
Der erste Akt, welcher die Exposition der Tragikomödie
bildet, besteht nur aus zwei Szenen ^) und ist vom französischen
Dichter {t^i erfunden.^) Auffällig sind die vielen mytholo-
gischen Anspielungen, welche beweisen, daß Garnier sich von
der Seneca'schen Tradition nicht ganz frei machen konnte;
so wird Roland als unverwundbar wie Achilles geschildert
(I, 1, V. 21):
«A jRoland Vinuindble, ä qui Dieu faicorable
Naissani a compose le corps invulnerable ?>
Renaud wird vom Kaiser «nostre Hectory genannt (I, 1,
V. 107); daneben aber nehmen Anrufungen des Christen-
gottes ^), Schilderungen seiner Macht und seines Zornes
einen breiten Platz ein*); mehrmals wird hervorgehoben, daß
comparsa che da attoi-e». Indes hält er sie für wichtiger als die Rolle
der Hippalque.
^) Monolog Karls und sein Zwiegespräch mit dem Herzog von Bayern.
^) Nur die Ankündigung ^ daß der Krieg ein Ende habe (V. 115 ff.)
und daß die Hochzeit Roger^s und Bradamante's in aller Pracht gefeiert
werden solle, falls Leon im Zweikampf unterliege, ist aus Ariost ge-
nommen (C. 43, St. 150—153; C. 44, st. 12—13 u. st. 27—33).
3) Vgl. I, 1, V. 29 ff.; I, 1, v. 49 ff.
*) Vgl besonders J, 1, v. 95 ff.
\
\
— 113 -^
Karl der Beschützer der Kirche sei nnd daß Q-ott ihm die
Macht verliehen ^), dieselbe zu verteidigen :
€ QuHls (les Makometans) veuleiit par le fer Mahumetique
rendre.y (I, 1, 34.)
Es ist ganz gut möglich, daß Garnier dabei an die reli-
giösen Wirren seiner Zeit dachte und als treuer Legitimist
des „allerchristliohsten" Königs B[errschergewalt über die
Religion seines Landes betonen wollte, wenn auch Holl, der
allerdings diese Stelle nicht herbeizieht, behauptet, solcherlei
Anspielungen hätten dem Dichter fern gelegen.^) Besonders ^■
die ersten Verse, welche Garnier dem großen Kaiser in den
Mund legt, scheinen uns geradezu eine Apologie des König-
tums von Gottes Gnaden gegenüber den Angriffen der Liguisten
zu sein (I, 1, v. 1 — 4):
«Les sceptres des grmids Bois vien7ient du Dimt supreme,
C^est luy qui c&int nos chefs d^vn royal diademe,
Qui 710US fait quand il veut regner sur Vunivers
Et quand 'il veut fait choir nostre einpire ä renuers.*
Erst gegen Schluß des ersten Aktes beginnt die Expo- >
sition des Stückes, indem der Kaiser erklärt, er wolle deih
ritterlichen Helden Roger die Hand Bradamante's als Lohn
für seine treuen Dienste geben; als ihn der Herzog von
Bayern darauf aufmerksam macht, daß der alte, starrköpfige
Aymon seine Tochter nur an Leon, den zukünftigen Kaiser
^ von Byzanz, verheiraten werde, drückt Karl die Hoffnung
( aus, Leon würde im Zweikampfe mit dem kriegerischen
Mädchen sicherlich unterliegen. Hier liegt offenbar ein
Widerspruch vor; denn will der Kaiser seinem Paladine die
Tochter Aymon's wirklich geben, dann braucht er den Byzan-
tiner überhaupt nicht zum Zweikampfe zuzulassen.?) Noch
«II a mis sur mon chef la Frangoise couronne,
II a fait que ma voix toute la tewe estonne» etc.
^) Tendenzdrama, S. 209.
') Die beiden sich widersprechenden Stellen lauten:
ä) iBradamante et Roger sous vn amour egal
Conioindre ensemblement d'rn lien coniugal.»
{Akt J, 3. V. 167 ff.)
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 8
\
— 114 —
unklarer aber wird diese Sache, wenn wir später aus Brada-
manten's Munde vernehmen, daß sie selbst die Zweikampfs-
bedingung festgesetzt habe. In der ersten Szene des 2. Aktes
(V. 218 ff.) sagt nämlich der Dichter von ihr:
tEUe a faict tout expres par le mo7ide s^voir,
Que quiconque voudra pour espouse Cavoir,
Doit la combatre armee,:» .
\ Im Orl für. (C. XLV, st. 22) läßt Karl der Große
auf Bitten des ritterlichen Mädchens die Kampfesbedingung
ergehen.
Pasini hält den ganzen ersten Akt für eine recht un-
glückliche Erfindung des französischen Dichters und deutet
an, daß dieser besser getan hätte, den Einzug der Paladine
in Paris nach dem siegreichen Kampfe gegen die Sarazenen
im 1. Akt darzustellen (cfr. Orl. für. C. XLIV, st. 27—34).
Dem ist aber entgegenzuhalten, daß dann zwischen dem 1. und
dem 2. Akte ein langer Zeitraum liegen müßte, währenddessen
Koger seine Heldentaten in Bulgarien und die darauffolgenden
Abenteuer zu bestehen hätte. Nun aber hat Garnier, wie wir
bereits bemerkten, alles getan, um die^ Einheit der Zeit zu
bewahren; er hätte also mit der Einführung der von Pasini
vorgeschlagenen Szene ein ihm so teures Prinzip preisgeben
müssen. Außerdem, — und das wäre viel schlimmer — ,
stünde diese Szene in noch geringerem Zusammenhange mit
der Handlung des Stückes, als die von Garnier gewählte
Exposition. Wir können daher den 1. Akt Garnier's keines-
wegs als verfehlt, sondern vielmehr als ziemlich glücklich er-
funden bezeichnen, wenn wir von den oben aufgedeckten
Widersprüchen absehen. Denn in dieser Exposition hat
Garnier ,einen überaus prächtigen Charakter geschaffen, der
bei Ariost so verunstaltet und verschwommen uns entgegen-
tritt, wir meinen die ideal gezeichnete, königliche Figur des
großen Kaisers.
b) «Mais 81 de la combatre il rCauoit le pouuoir,
Selon mon ordonnance il ne sgauroii Vauoir,^^
{Akt J, ^, 170.)
r
— 115 —
Von der ersten Szene des/ 2. Aktes an hält Garnier sich
>^ mehr an sein Vorbild. Das ZWiegespräch der beiden Gatten, v
Aymon und Beatrix^) (Akt I, 1), der Streit zwischen Vater
und Sohn 2) (II, 2) und Beatrix' Zwiegespräch mit ihrer un-
glücklichen Tochter^) (IT, 3) entwickeln sich aus dem Orl.
für. (C. XLIV, st. 35 — 47). Doch nur das Gerippe zu diesen v
prächtigsten Szenen des ganzen Stückes gab Ariost dem
\ französischen Dichter. Nur eine Stanze widmet der italienische
Dichter dem Unwillen Aymon's über die Widerspenstigkeit
seiner Kinder (C. XLIV, st. 36)^):
€ Ode Amone il figlniol con qtialque sdegno,
Che, senza conferirlo seco, gli osa
La figlia maritar, ch^esso ha disegno,'
Che del figliuol di Costantin sia sposa,
Non di Buggier, il quäl non ch^dbhi^ regno,
Ma non puö dl Mondo dir: Questa e mia cosa;
Ne sa che nohiltä poco si prezxa,
E men virtü, se non v'e ancor riechezza,*
Wie unbestimmt und schwach drückt sich Ariost aus,
wie wenig plastisch ist doch hier der alte polternde Kriegs-
mann gezeichnet! tCon qimlque sdegno^, „etwas zornig" tritt
hier der Vater dem Sohne entgegen, der ihm zu widersprechen
. wagt! Wie ganz anders läßt Garnier den alten Aymon reden! v
Eine Mut von Schmähworten schleudert dieser dem undank-
baren Sohne ins Gesicht (Akt II, 2, v. 397) :
Äym. t Arrogant, plein d'audace.
^) Orl für. C. 44, st 36-37.
*) Orl. für. C. 44, st 36 u. st 75. Bei Ariost (C. 44, st 37) zankt
auch Beatrix, und zwar noch schärfer als ihr Gemahl, den unfolgsamen
Sohn aus:
*Ma piü d'Amon la moglie Beatrice
Biasma il figliuolo e chiamalo arrogante.»
8) Orl für. C. 44, st 38—47.
*) Pasini, l. c, S. 139, läßt diese Streitszene sich aus Orl. für,
C. 44, si. 75 V. 4—8 entwickeln. Doch ist jene. Stelle ganz allgemein
gehalten, während die von uns zitierten Verse das Wesentliche der
Grarnier^ sehen Szene enthalten: Aymon'' s Yorumrfüher die Armut Roger^s;
die Verse 191 — 195 spielen sogar auf diese Szene an.
8*
\
— 116 —
Oses-tii proferer ces mots deuant ma face ?
Qiie tu Va^ accordee? impudent, eshontd/*
^ Je entscliiedener Renaud auf seiner Meinung besteht,
daß Roger und Bradamante nicht mehr getrennt werden
dürften, desto mehr gerät Aymon in Wut, bis ihm Worte
nicht mehr genug erscheinen, bis er seinem Diener die
Rüstung zu bringen befiehlt, um seine Widersacher zu be-
V kämpfen. So schuf Garnier aus einigen schwachen An-
deutungen bei Ariost eine höchst dramatische Szene, vielleicht
d^e beste des ganzen Stückes.^)
Andererseits verkürzt und streicht der französische Dichter,
wenn er irgend eine Stelle im italienischen Epos nicht dra-
matis ch genüge findet« So sagt Ariost von Aymon's Gattin
(C. XLIV7'37): ' ■
tMa piü d'Amon la mogJie Beatrice
Biasma il figlirwlo^ e chiamalo arrogante.^
Mit ganz richtigem Gefühle ließ Garnier diese Szene
zwischen Mutter und Sohn weg und legte die Worte der
ersteren dem Vater in. den Mund, für den sie auch geeigneter
erscheinen.
Für die dritte Szene des 2. Aktes war die Grundlage
bei Ariost allerdings gegeben; dort sucht Beatrix vergebens,
ihr geliebtes Kind von der Heirat mit dem „armen Ritter**
abzubringen, Bradamante jedoch gibt ihr auf alles Zureden
keine Antwort; nur Tränen hat sie statt eines Wortes der
Entgegnung. Im französischen Stücke malt Beatrix ihrer
Tochter eine Zukunft an der Seite Leon's mit den glänzendsten
Farben aus (Akt II, 3, v. 531 ff.):
<cLa femme vous serez düvn puissant EmpereuVf
De Charles le compaing: encores Charlemagne
Auec la France n'a qvUxm quartier d^Älemagne,
Et les champs Milanois, m c'est qu^ Constantin
Tient inille regions de V Empire Lathu
*) Mit Unrecht sagt Pasini, l. c, S. 135, Aymon sei ein getreues
Abbild des Ariosfschen Heldefi («il. ^ riprodotto tale e quäle dalV
Ariostescoy). Gerade die stufenweise Steigerung des Zornes im Herzen
des alten Aymon ist Garnier^ s selbsteigenes Werk.
\
y
\
— 117 —
// a la Macedone et Ja Thrace suiette,
II commande au Dalviate, au Gregeois, et au Gete:
Vitale, La Sidle et les isles qui sont
Depuis nostre Ocean iusqu^ä la mer du Pont
Eeuerent sa puissance ...»
Bradamante bleibt nicht stumm, wie bei Ariost; sie hält ^
der Mutter die weite Entfernung entgegen, die sie vom Eltern-
hause trennen würde ; sie macht die Mutter auf die Gefahren
aufmerksam, die ihr bei den unsicheren Bechtszuständen im
byzantinischen Keiche drohen würden; doch Beatrix erklärt /
sich bereit, mit ihr n ach K onstantin opel zu gehen ; alles ver-
gebens; schließlich versichert das arme Mädchen, lieber ins ^
Kloster sich flüchten zu wollen, als Leon zum Gemahl zu
nehmen, und nun siegt auch im Mutterherzen die Liebe zum
Kinde über den Kitzel des Ehrgeizes und des Größenwahnes ; ^
Beatrix verspricht, für Bradamante Fürbitte beim Vater ein-
zulegen.
Von all dem findet sich nichts im „Rasenden Roland"
sondern Garnier's dramatisches Genie allein hat auch diese
Szene geschaffen.^)
Der 3. Akt unseres Stückes beginnt mit einer Unter-
redung Leon's mit seinem Freunde Roger ;^) die Andeutung
zu derselben hatte Garnier im Orl, für. (C. XLV, st. 65 f.)
gefanden, wo Ariost von Leon sagt:
tE pregal poi con efficaci deiU^
Ch'egli sia quelj cKa questa pugna vegna
Col nojne altrui, sotto mentita insegna,>
Diese ^efficaci dettu und Roger's Einwendungen und Aus- v
flüchte, über die sich der italienische Epiker nicht näher
äußert, bilden die erste Szene dieses Aktes, und sind durch-
weg freie Erfindung des französischen Dichters.^)
*) Pasini sagt von dieser prächtigen Szene toeiter nichts, als dafi
sie dem Ariost entlehnt sei.
") Bei Ariost spielt diese Szene noch in Konstantinopel, bei Ga^mier^s
Stück sind wir über die Örtlichkeit der Szene vollständig im urüdaren
\ gelassen.
y^^^ ') Pasini tadelt^ daß Garnier die beiden Helden erst vorführe, aUi
i^
— 118 —
Dagegen ist die nächste Szene, der Monolog Bradamante's,
mit Ausnahme der ersten acht Verse und des Schlusses, ge- /^
radezu eiue Nachdichtung der betreflfenden Stelle bei Ariost
(C. XLV, st. 26 — 40) ; so drückt Bradamante ihre Befürchtung,
Roger möchte ihrer Liebe untreu werden, bei Ariost in folgen-
den Versen aus (C. XLV, st. 28 v. 3 ff.):
< Oh come sopra ogni timor le preme,
Che per porla in obblio se ne sia gitol
Che vistosi Amon contra^ et ogni speme
Perduta mai piii d'esserle maritOj
Si sia fatto da lei lontano, forse
Cosl sperando dal suo amor disciorse,:»
Dasselbe sagt Garnier's Bradamante (v. 819 — 826)
<iQitelque fiouitelle amour (ce qice Dieu ne permette)
Vous eschauferait point d^une flamme secreUe ?
Quelque face angelique auroit point engraue
Ses traits daiis vostre canir de ses yeux esdaue?
He Dieu ! qice sgay-ie ? helas / si d^Aymon la ricdesse
Vous a desespere de m^auoir pour maistresse,
Que pour vous arracher cei amour ennuyeux
Vous soyez pour iam/zis esloigne de mes yeux,*
Wir sehen hier, daß derselbe Gedanke bei beiden Dichtem
mit nahezu den nämlichen Worten ausgedrückt wird, nur daß
der französische Dichter etwas weitschweifiger ist. Die Gleich-
nisse in Stanze 34, 36 'und 38 des 45. Gesanges finden sich
auch bei Garnier nahezu wörtlich übersetzt, so z. B. Orl, für.
(0. XLV, 34):
^Son simile aW avar, chlm il cor si intento
AI suo tesoroj e si ve Vha sepolto.
Koger das Versprechen, für Leon in die Schranken zu treten, bereits ge-
geben habe; Garnißr habß auger^scheinlich vermieden, den inneren Kampf
i£Q23^ vor der EinioiUigung zu schildern, den Ariost so wunderbar er-
zählt habe. Wir müssen gestehen, daß Ariost Roger^s Seelenqualen gerade
nach der Abgabe des Versprechens in mehreren Stanzen darstellt (0. /*.,
C; ^^. 57—60), während jenem Teil nur eine Stanze {ibd. st. 56)
gewidmet
1
I
! 1
/C C^IJ^ ^
c.
V
— 119 —
Che non ne puö hntan viver contenio,
Ne non sempre temer 6he gli sia toltoS
Garnier, Brad. v. 831—^35:
€je ressemble ä celuy.qui de son or auare
Ne Vesloigne de peur qu'vn larron s^en empare:
Tousiours le voudroit. voir^ Fatwir d son cosie,
Craignant incessamment quHl ne luy soit oste*, etc.
Die nächste Szene (Sp. 3), ist der 62. und 63. Stanze
des 45. Gesanges entnommen, wo Leon, der eben vor Paris
angekommen ist, sich bei Karl dem Großen zum Zweikampfe
mit Bradamante anmeldet; während aber bei Ariost der
Griechenfürst in vier Zeilen seine Bitte vorträgt und von
Karl nur gesagt wird, daß er dieselbe gewähren wolle, bildet
Garnier daraus eine Szene von 25 Versen (V. 859 — 885),
y ohne einen neuen Gedanken hinzuzufügen.^) Ganz frei er-
fanden ist Szene 4 des 3. Aktes, in welcher Bradamante mit
Karl und ihrer Dienerin Hippalqiie die Vorbereitungen zum
Kampfe bespricht und ihrem Abscheu gegen den „Gregeois"
Ausdruck verleiht. Mit epischer Breite erzählt uns Ariost,
wie Roger Stück für Stück seiner Kampfesrüstung anlegt.
^ Garnier ahmte diese Schilderung zum Nachteil seiner Tragi-
komödie in der 5. Szene nach, nur daß Roger bereits in
' voller Rüstung auf die Bühne tritt. Aber erst von Vers 973
an hält er sich an sein Vorbild, wobei er auch viel weit-
schweifiger ist als jenes (cfr. Orl, für., C. XLV, st. 69 und
70). Ein weiterer Monolog folgt bei Garnier in der nächsten
Szene, indem Bradamante ebenfalls in Kampfesrüstung er-
scheint und nach Art der Helden vor Troja Drohungen
gegen ihren byzantinischen Partner im bevorstehenden Kampfe
\^ ausstößt.^) Ariost dagegen läßt seine Amazone wortlos sich
in den Kampf stürzen, und erzielt dadurch zweifelsohne eine
größere ^Wirkung.
y-
^) Dagegen läßt Garnier hier sorgfältigst die bei Ariost befind-
lichen Zeitbestimmungen Hl medesmo du und ^Valtro d)» (0. f. C. 45,
8t, 62 u. 63) weg.
^) Auch Pasini bezeichnet [l. c, S. 131) diese Schmährede Brad.^
gegen Leon als eine unglückliche Erfindung des franz» Dichters,
V
— 120 —
Zwischen dem 3. und 4. Akt ist eine gewisse Zwischen-
zeit zu denken, 'in welcher der Kampf sich abspielt; der-
selbe dauert bei Ariost den ganzen Tag hindurch, bei Garnier
fehlt eine Zeitangabe. Die 1. Szene des 4. Aktes ist \c
von dem französischen Dichter frei erfunden: die Eltern
Bradamante's erfahren von La Montagne den Verlauf und
Ausgang des Kampfes, von dem das Schicksal ihrer Tochter
abhängt. La Montagne's Schilderung hält sich eng, oft
sogar wörtlich, besonders bei den Gleichnissen, an das Ori-
X ginal {Orl für., C. XLV, st. 71—82), nur der Schluß ist bei
Garnier anders gestaltet; hier bedrängt Roger ^comme en \
ayant pitie> (v. 1109), nachdem er sich zuvor immer in
Defensive gehalten, seine Gegnerin derart, daß sie kampfes-
müde sich ergibt, im Orl, fiir. macht erst der Einbruch der \
Nacht und der Befehl des Kaisers (cfr. Oi-l, fur,, C. XLIV, st. 82)
dem Kampfe ein Ende^); Roger hält sich bis zum Schlüsse
in Defensive und das Motiv, warum er überhaupt Wieder-
stand leistet, liegt in dem Versprechen, das er seinem Freund
und Lebensretter gegeben hat. Für die folgenden 2 Szenen
war die Situation allerdings im „Rasenden Roland" gegeben,
allein Garnier arbeitete dieselbe ganz selbständig aus. Die
Monologe JBpger's und Bradamante's sind im französischen
viel lyrischer, exklamativer als bei Ariost, wo z. B. Roger
in ganz logischer Weise die Folgen seines Sieges überdenkt
und, als er keinen anderen Ausweg als den Tod sieht, von
seinem Schlachtroß und Schwerte Abschied nimmt (0. XLV,
st. 86—95).
Wie schon früher bemerkt, liebt es der französische
Dichter, mythologische Anspielungen da und dort einzu-
schalten. Hier haben wir ein weiteres Beispiel (Akt IV,
Sz. 2, V. 1127ff.):
^Goujfrcs des a'eux eiifers, Tenariens riuages^
OmhreSy Larues, Fureurs, Mo7istres, Demons, et Eages,
Ayrachez moy d'ici poiir me rouer lä bas» ctc,
^) Püsini, U)d., S, 127 findet in den beiden Erzählungen des Zwei-
kampfes keinen Unterschied.
— 121
'X-
später noch in demselben Monolog wird Mars, Hector und
der trojanische Krieg erwähnt.
Bradamante's Klagen nach ihrer Niederlage sind bei
Ariost (C. XLV, st. 98 — 103) einfach, aber rührend, sie
enden in dem erneuten Versprechen, ihrem vermeintlich
fernen Geliebten treu zu bleiben, wenn auch hinter den
stillen Mauern eines Klosters. Bei Garnier bricht sie zuerst
in heftige Vorwürfe gegen sich selbst aus, erst von v. lr§9&^.
beklagt sie ähnlich wie im „Käsenden Koland" das Femsein
xles Geliebten. Wir wollen den Anfang der Klagen Brada-
mante's in den beiden Dichtungen gegenüberstellen, um zu
zeigen, wie verschieden ein und dasselbe Grundmotiv behandelt
worden ist. Ariost (C. XLV, st. 97):
fZ^eÄ, Ruggier mio (dicea) dove sei gito ?
Puote esser che tu sia tanto discosto,
Que tu non abbi qicesto bando vdito^
Ä nessun altro, fuor ch!a te, nascosto^»
Garnier, Brad. (Akt IV, 3, v. 11 73 ff.):
BracL: ^nHa fille iniserable et regorgeant de' maux!
du sort outrageux trop outrageivx assauts!
malheureuse vie en 7niseres plongeef
mon ame, ö mon ame ä iamais affligee!i> ^)
\ Wieviel würdiger weiß doch Ariost den Schmerz auszu-
X^ drücken! Szene 4 des 4. Aktes ist wiederum freie Erfindung
Gamier's; sie ist als ein sehr glücklicher Griff des Dichters
zu bezeichnen, da sie sehr dramatisch wirkt und uns eine der
interessantesten Gestalten des Ariost'schen Epos, ^aijhise,
die edle Schwester Roger's und die treue FreundinBrada-
mante's vorführt.^) Szene 5 hingegen geht auf C. XLV,
st. 103 — 116)^) des Orl. für. zurück; jedoch folgt Garnier
^) Pasini {l. c, S. 127) geht stillschiveigend über diese Unterschiede
hinioeg,
*) Irrtümlicherweise läßt P&sini {l. c, S. 127) diese Szene aus dem
Orl. /*., C. 45, st. 103 sich entivickelnj während doch dort nur gesagt
unrd, da(i Marphise zu Karl d. Großen geht und für Roger und Brada-
mante Fürbitte einlegt. Sz. 4 des 4. Aktes dagegen spielt zwischen Mar.j-
Brad. u. Hippalque und ist^ vom franz. Dichter eingef ügt.
*) Bei Pasini, ibd.^ ist fälschlich st. 104 u. 105 desselben Gesanges
angegeben.
^ -
?^
[(^t
y
y
y
y
■4
I ■
\
— 122 —
keineswegs sklavisch diesem Vorbilde. Während bei Ariost, ^
Marphise die Szene eröffnet und trotzig vom Kaiser verlangt, /
Leon müsse noch mit ihrem Bruder auf Leben und Tod
kämpfen, wenn er Bradamante, die doch mit Eoger bereits
verlobt sei, als Gattin haben wolle, worauf Karl dem „Griechen-
fürsten" diese Aufforderung mitteilen läßt — , ist es in Gamier's v
Stück Leon, welcher zuerst das Wort ergreift und den Kaiser
>- um seinen Siegespreis bittet. Auch hier ist Aymon ganz
verschieden von dem Amon des Orl, fur,\ zwar weigert er
sich in beiden Fällen Marphise nachzugeben, allein bei Garnier
tritt er viel entschiedener und lärmender auf als bei Ariost;
y er führt einen höchst komischen Wortwechsel mit dem furchtlosen
Mädchen, er wird sogar von seiner Frau unterstützt, die dort
überhaupt nicht auftritt.^) Doch nimmt er ab und zu einen
Vers wörtlich aus dem Epos herüber, so z. B. v. 1381:
Äy. : « Cest vne pure fraude ourdie encontre moy. »
Ariost sagt (C. XLV, st. 108, 5):
<aQuesto e (diceva Amon) questo e un inganno
Contra me ordito ...»
Karl der Große endlich, welcher im Epos an dieser
Stelle ganz in den Hintergrund tritt, nimmt in der Tragi-
komödie lebhaften Anteil an dem Gespräche und sucht die
streitenden Parteien zu versöhnen. Die letzte Szene (6) des
4. Aktes gehört ganz Garnier an, die Person des Herzogs
von Athen ist von Garnier erfunden, um die Szene zu er-
möglichen; im Orlando heißt es bloß von Leon (C. XLV.
St. 117):
tPer cittadi mandöy ville e castella,
D^appresso e da lontan, per rürovarlo.^
Im 5. Akt mehren sich die Abweichungen von der
Quelle. Das Zwiegespräch zwischen Leon und Roger findet
bei Ariost im Walde statt, wo Roger den Tod suchen wollte ;
Garnier unterläßt wiederum jede Ortsangabe, die Szene be-
ginnt erst, nachdem Roger seinen wahren Namen geoffenbart. ^)
*) Auch diese Untei'schiede sind von Pasini 7iicht bemerkt ivorden
(vgl. 0. c, S, 127).
^) Pasini, S. 1S3, tadelt es, daß, wie hier, Garnieruns oft vor eine
— 123 —
Charakteristisch für Garnier sind die zwei letzten Verse
dieser Szene (v. 1639 f.):
tBetournons au logis pour vn peu votcs refaire,
Puis irons au chasteau pour vos nopces par faire,'»
Im Orl. für, bleiben die beiden im ganzen drei Tage im >
Walde, bis Roger, der von der Aufregung der letzten Zeit
[ ganz entkräftet war, seine frühere Kraft wiederfindet.^) Auf
diese Weise wird im Drama die Orts- und Zeiteinheit ohne
Schwierigkeit beobachtet.^) In der 2. Szene erscheint die bul- /
garische Gesandtschaft vor dem Kaiser des Abendlandes und
erzählt von Roger's Heldentaten in der Schlacht bei Hoven-
garde; bei Ariost ist die Gesandtschaft nur in der <LOittä
Beah, nicht aber vor dem Kaiser (C. XL VI, st. 48). Der m
Schlachtbericht ist im Vergleich zur nämlichen Schilderung
bei dem italienischen Dichter (C. XLIV, st. 79 ff.) farblos
und nüchtern.
So wird die wunderbare Stanze 87 durch den einfachen
Vers (1564) wiedergegeben:
<üEt des Orecs ennemis fit vn sanglant carnage,»^)
Die nächste Szene bat Garnier wahrscheinlich eingeschoben,
um Aymon und Beatrix, die beiden komischen Rollen, noch
einmal auftreten zu lassen, aus dem „armen Ritter" Roger
ist ja nun ein mächtiger König geworden und diese Verände-
rung konnte nicht ohne Wirkung auf das Eltempaar bleiben.
Karl teilt ihnen mit, daß die Bulgaren den tapferen Roger
\ zum Könige haben wollen ; daraufhin ändern sie sofort ihre
Gesinnung gegen den vorher so arg geschmähten Ritter, gerne
möchten sie ihn nun zum Schwiegersohne haben:
vollendete Tatsache stelle^ ohne dieselbe loie hei Ariost zu entivickeln.
Doch können wir nicht einsehen^ was diese Szene gewonnen hätte durch
^ eine Schilderung der Art und Weise, wie Leon seinem Freunde das Ge-
^ ständnis abringt.
^) Cfr, Orl für. (C. XLYl, st. 48):
Ove posaro il resto di quel giorno,
E Valtro appresso, e Valtro tutto intero
Tanto che 7 Cavalier dal liocorno
Tornato fu nel suo vigor primiero.^
^) Pasini scheint diese Zeitverschiebungen übersehen zu haben.
^) Pasini, S. 119, gibt ein ähnliches Beispiel aus dieser Szene an.
V
— 124 —
tPuis qu'il est maintenant Boy de la Bulgarie.:»
(v. 1624.)
T Szene 4 bringt die Auflösung des dramatischen Knotens:
Von Roger begleitet, tritt Leon vor den Kaiser hin und er- V
zäMt, wie er seines Freundes Bekanntschaft gemacht, dessen
Tapferkeit in der Schlacht bei Hovengarde bewundert, und
wie er ihn für sich in den Zweikampf gesandt habe. All dies Y
ist jedoch viel ausführlicher geschildert als im Orlando, doch
folgt der französische Dichter der Hauptsache nach seiner
Quelle. Der Anfang von Leon^s Erzählung (Brad. v. Garnier,
Akt V, 4, V. 1629; vgl. Chi. für. C. XL VI, st. 54) weicht /
insofern ab, als auch hier Garnier die bei Ariost sich findende
Ang?*^® ^^^ Dauer des Kampfes fallen läßt. Die Fragen, die V';
Karl an den Byzantiner stellt, sind von Garnier erfunden. .
-4lich Ajmon's Zwischenreden, die plötzliche Umwandlung
seiner Gesinnung, als er hört, daß Roger der Sieger im Zwei-
kampfe gewesen ist, die Worte der Beatrix, die bei Ariost
an dieser Stelle überhaupt nicht erwähnt wird, sind Ein-
schieb ungen des französischen Dramatikers.^)
Wir sehen, daß Garnier das Elternpaar Bradamanten's '\
bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund stellt, während
es im Epos eine sehr unbedeutende Rolle spielt. Szene 5 des
5. Aktes geht auf Stanzen 65 und 66 (C. XLVI) zurück,
doch zeigt uns in diesen der Dichter die glückliche Braut
allein, in der Kammer weinend vor Freude
<üPiangea i siioi casi in camer a segreia» ]
bald stürzen mehrere Boten herein und verkünden ihr die
Wendung. Der Dramatiker vereinfachte diese Szene, indem
er Hippalque allein ihrer Freundin die Botschaft übermitteln
läßt. Die letzten zwei Szenen, welche aus dem unmotivierten
Erscheinen Melisse's und aus der Entschädigung Leon's durch
die Hand Leonoren's bestehen, der Tochter Karl des Großen,
wären besser fortgeblieben, da sie in keiner Weise zum
Stücke gehören. 2) Weder von Melisse noch von Leonore
*"! Pasini (S. 128) erwähnt auch hier keine Verschiedenheiten
zioischen dem ital, Poem und dem Theaterstücke.
*) Auch Pasini ist hier unserer Ansicht. Er sagt hierüber {l. c,
— 125 —
wurde einmal im Stücke gesprochen, vielleicht glaubte Garnier,
ein derartiger, romantischer Stoff müßte notwendigerweise von
Geistererscheinungen u. dgl. begleitet sein, und in einer Tragi-
komödie dürfte am Schlüsse des letzten Aktes auch nicht
eine Person Grund zur Traurigkeit haben.
Wenn wir das Resultat unserer Untersuchung noch kurz
zusammenfassen, so ergibt sich, daß von_den 23 Szenen, aus /
denen das Stück besteht, 15, also mehr als die Hälfte durch
den französischen Dichter teilweise oder ganz geschaffen
werden mußten, während die übrigen bei Ariost sich bereit^
vorfinden. Mit der freien Behandlung des Stoffes geht eine v
ebenso freie Gestaltung der Charaktere Hand in Hand.
Am wenigsten verändert ist die Person Eoger's, welcher '
ebenso entsagungsvoll und edelmütig im Gamier'schen Stück
ist, wie im Epos Ariost's. In beiden Dichtungen tritt uns
besonders die Gefühlsseite dieses Helden entgegen, seine
Klagen um die Geliebte, um sein eigenes Glück, nehmen einen
breiten Kaum ein; was aber im Epos sich gut durchführen
läßt, ist nicht immer für die Bühne vom Vorteil; so dürfen
wir sagen, daß Roger's Gestalt im Stück verfehlt zu nennen
ist, weil sie zuviel spricht, immer spricht, nie aber auf
offener Szene handelt.^) Von Ariost'schen Helden möchten
wir Taten sehen und Abenteuer, nicht aber endlose Klagen
hören. Erscheint uns Roger's Charakter zu schwächlich und
weiblich, so finden wir Garnier's Bradamante etwas allzu
männlich, ganz verschieden von jener echten Jungfrauenge-
stalt in der Panzerrüstung bei Ariost. Wie hätte ihr der
italienische Epiker so unweibliche Worte in den Mund gelegt
wie Garnier in Akt III, 6, v. 989 ff. :
S. 130) : «L^unica vera novitä inseriia, anzi posta in coda dal francesCj
voglio dire la <:ombinazi(me improvista del matrimonio di Leonora con
Leone, non poteva essere piü infelice.» Ähnlich äti/krt er sich über
Melisse' 8 Auftreten. Pasini glaubt, daß Garnier sie eingeführt habe,
weil sie sich auch bei Ariost finde. Er wirft daher dem franz. Dichter
Mangel an Selbständigkeit vor. Warum hat aber der Dichter so sdb-
ständ igerwei se die Leonore eingeführt? Auch sonst geht de^' franz.
Tragiker sehr selbständig vor; wir glauben daher nicht, daß P.'s Moti-
vierung richtig ist.
^) Dasselbe sagt Pasini, S. 187.
\
\
— 126 —
« Ä* ie le piiis atteindre anec le coiäelas,
Je Venuoiroy ckercher vne femme lä bas:
Ce jnignon, ce beau fils, qiti n^a houge de Grece,
Et qui ne feit iamais preuue de sa prouesse
N\t couru la fortune et ne^ s'est hasqrdej> eic})
^ Leon ist wie bei Ario8t der zaghafte und feige theau fils^,
der verweichlichste Orientale,' der nur auf den starken Arm
seines Freundes vertraut, dessen Liebe zu Bradamante nur
eine Laune ist, da er so leicht auf sie verzichten kann. Als
er zum Schlüsse die ihm angebotene Hand Leonoren's ohne
Zögern annimmt, müssen wir überhaupt zweifeln, ob sein
Charakter ernst zu nehmen ist. Viel ehrenvoller verläßt er
im Epos den Schauplatz, da er dort sich stillschweigend ent-
fernt, nachdem Roger und Bradamante sich wiedergefunden
haben. ^)
Auf die Umwandlung, die Garnier mit den Eltern
Bradamante's vornimmt, haben wir bereits mehrmals hinge-
wiesen. Ihre vorzügliche Charakterzeichnung beweist, daß
der französische Dichter auch über eine glückliche komische
^der verfügt. Der tostinato* Aymon im OrL für, wird zum
habsüchtigen Kleinbürger, dem vor allem darum zu tun ist,
seine einzige Tochter möglichst vorteilhaft, vor allem tsans dot^^
an den Mann zu bringen (v. 176 ff.):
« Ce que ie prise plus en si belle alliance,
Cest qii'il ne faudra pohit desbourser de finanee»
II ne demande rien. » [IJ
worauf seine würdige Gattin erwidert:
tll est trop grand seignenr,
QiCa besoing de nos Mens le fils dhn Empereur?>
Aymon ist der geizige Alte der italienischen Komödie, der
Damonio der Suppositi, welcher seine Tochter dem reichen
^) Vgl. Akt IV, 5, V, 1077 if. — Pasini {S, 136) berührt diesen
Clmrdkterzug nicht , dagegen findet er, daß die Brad, Garnier^ 8 eine
größere «delicatezza» zeige^ ivenn sie nicht dem Vater, sondern der Mutter,
und zwar in schonendster Weise mitteile, daß sie Roger allein liebe.
2) Äh7ilich Pasini, S. 137.
— 127 —
^^^oktor der Rechte, Cleaudro, anbietet. Levrault glaubt, Y
K^ daß kein geringerer als Moli^re eine Reihe dieser komischen
Svenen (Akt IT, 1, 2, 3), in denen die beiden Gatten auf-
\ treten, in seinem Ayare^ verwertet hat.^) Neben dem Geize -
macht sich bei dem alten Aymon eine gewisse Prahlerei ^
geltend, von der wir bei Ariost nicht das Mindeste hören.
\ Ebert glaubt daher, in Aymon den Matamoros, der Komödie zu '
C: sehen. ^) Besonders glücklich gelang dem französischen Dichter
/ die Charakterzeichnung der Beatrix; ganz unter dem Einfluß
ihres rauhen Gemahles stehend, schätzt sie wie dieser das
gleißende Gold und den kaiserlichen Purpur höher als alle
V anderen irdischen Güter; aber noch höher steht ihrem Mutter-
herzen das Glück ihrer geliebten Tochter, der sie alles opfert
(vgT A. II, Sz. 3 V. 510) :
tvn iour m^est ennuyeux
Quand vn iour ie nie treuue absente de vos yeuxf»
\ Als sie sieht, daß Bradamante lieber ins Kloster gehen V
will, als Leon nach Byzanz zu folgen, gibt sie ihre Heirats-
pläne auf und verspricht sogar beim Vater Fürbitte einlegen
zu wollen.*)
An die italieni^he Komödie erinnert auch die Gestalt
^ des Dieners L a Roqu e, eine ganz selbständige Schöpfung des
französischen Dramatikers. Zwar tritt er nur in einer Szene
(II, 1) auf, aber die wenigen Worte, die er spricht, könnten
ihn nicht besser charakterisieren. Als der alte Aymon voll
Wut über Renault's Ungehorsam nach Waffen ruft und die
lächerlich schreckliche Drohung ausstößt (v. 457):
«Je set^ay dans le sang iusques ä la ceinturef»
unterbricht ihn der Diener mit unverschämtem Spotte :
«Monsieur, entrons dedans, ie crains que vous iombiex,
Vous fixestes pas trop bien asseure sur vos pieds.»
Da die übrigen auftretenden Personen eine sehr unter-
^) Les genres litt La Comediej S. 27(?).
«) Vgl Akt II, 2, n. 449, 461 ii. 473.
') Ähnlich nennt Rigal den Aymon einen Rodomont oder einen \
Taillebras {Le Th. de la Ren., in Jxdleville^s Lit.-Ges., Bd. III, 313).
*) Pasini bespricht diesen Charakter nicht.
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A
— 128 —
geordnete Bedeutung im Stück haben, wollen wir sie nicht
in das Bereich unserer Untersuchung ziehen. Im ganzen
könneD wir sagen, daß die Änderungen, die Garnier in der
Behandlung des Stoffes vornahm, nachteilig für den Wert
der Bradamante, die Änderungen und Neugestaltung der
Charaktere dagegen yorteilhaft zu nennen sind.^)
Wie wir bereits bemerkt haben, nimmt Garnier ganz be-
sonders die Gleichnisse aus Ariost herüber, indem er sie y^
meist wörtlich übersetzt. Selbst, da wo die Szene ganz frei
erfunden ist, werden Vergleiche aus dem Epos eingestreut.
Im folgenden stellen wir eine Liste dieser meist wörtlichen
Entlehnungen auf.
Vergleich :
Akt I, 1, V. . 87—90 = Orl. für. C. XLIV, st. 92
Akt III, 2, V. 815—818 = „ „ C. XLV, „ 26
V. 831—834 = „ ,, C. XLV, „ 34
V. 837-842 = „ „ C. XLV, „ 36
V. 843—849 = „ „ C. XLV, „ 38
Akt IV, 1, V. 1046—1050 = „ „ C. XLV, „ 71 '
V. 1051—1054 = „ „ C. XLV, „ 72
V. 1059—1669 = „ „ C. XLV, „ 73
V. 1083—1089 = „ „ Ö. XLV, „ 75
Akt IV, 2, V. 1150—1154 = „ „ C. XLIV, „ 45
Akt V, 2, V. 1567—1568 = „ „ C. XLIV, „ 87.«)
Neben dem Orl, für. bildeten auch die Dichtungen von
Vergil und Seneca, teilweise auch von Bforaz eine Quelle
für die vielen Vergleiche, die Garnier in seine Tragikomödie
eingeschoben hat, und welche die an und für sich schon zu
langen Monologe noch mehr ausdehnen.^)
Aus der von uns angestellten Untersuchung ergibt sich für
1) Ahnlich Rigal (l c, S. 312) ^m<Z Pasini, Z. c, S, 138. >
') Über diese Entlehnungen siehe bes. in Pasini's Arbeit {S. 139
— 164) das Kapitel «La forma» j welches der beste Teil der ganzen Ab-
handlung ist. Der Rahmen unserer Arbeit erlaubt uns nicht, nä/ter
auf diese entlehnten Stellen einzugehen, Pasini's Zusammenstellung
ist außerdem so genau^ daß kaum etwas nachzutragen wäre.
') Vgl. Trost, Mude^ S. 20ff.j wo diese Quellen untersucht sind.
\
\
/
\
7
— 129 —
das Verhältnis Garnier's zu Ariost folgendes Resultat: die
Handlung in der französischen Tragikomödie beruht in der
Hauptsache auf den letzten zwei G-esängen des Orl, für.
A usgenomm en den 1. Akt und die beiden letzten Szenen /
des 5. Aktes, folgt derfranzösische Dichter seinem Vorbilde
in^^ajlen wesentlichen Punkten, ist aber stets bestrebt, den
epischen Stoff dramatisch . zu . gestalten und schiebt ein bei
Ariost nicht vorkommendes komisches Element ein. Wörtliche
Entlehnungen finden sich meist nur in den Vergleichungen.
Was den Bau des Stückes betrifft, so ist Garnier darauf be-
dacht, die Einheiten der Zeit un^ des Ortes, im Gegensatze
zu seiner Quelle, zu bewahren, d. h. in den Fußstapfen Sen<|ca's
zu bleiben, w odurc h jedoch der Stoff viel von seinem ur-
sprünglichen Reize verlieft.
Von einer großen Anzahl von Forschern besitzen wir Urteile
über den historischen und ästhetischen Wert unseres Stückes.
Als sehr wichtig scheint uns vor allem das von Vau-
quelin de la Fresnaie in seinem Art poetique gefällte
Urteil, das von keinem der von uns angeführten Autoren an-
gedeutet oder zitiert wird. Im 1. Bd. seiner poesies diverses
(hrgs. z. Caen 1869, 3 Bde.) findet sich auf S. 86 u. 87
eine kurze Inhaltsang, der Brad. in Versen, und zum Schlüsse
wird das Stück als das Muster eines Dramas in bezug auf die
Wiedererkennung („reconnoissance") und auf die Vermischung
desTragschenjnit dem Komischen genannt.
Die Brüder Parfaict zählen es zu den schwächsten
unter den Dramen Gamier's ^), bezeichnen es aber irrtümlicher-
weise als die erste Tragikojnödie.^) La Harpe, der große
Kritiker des 18. Jahrhunderts, erwähnt die Bradamante nicht. ^)
Dagegen lobt Sainte-Beuve den Dichter, daß er nicht den
Chor und die allzu große Einfachheit der klassischen Tragödie
verwandt habe.*) Ebert nennt die Bradamante neben den \
*) Hist du Th. fr., Bd. III, 454 f
*) Dasselbe tut M a u p o i n t {S. 58), welcher sagt, daß das Stück
„Ariosf* ganz nachgeahmt sei. — Über die erste Tragikomödie s. Böhm,
Seneca, 8. 4, Änm. 2.
») Cours de litt, Bd. 1, 460.
*) Le 16^ s., S. 274.
Hünchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. ^
V
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y^
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\
|/ul^^ \-^n^
— 130 —
\
Jüdinnen das bedeutendste Drama untres Dichters, hebt be-
sonders den Reichtum der Handlung he^rvor, tadelt aber das
Vorherrschen desjilonologesund die lockere Szenenverbindung^^^)
Moland konstatiert die Beliebtheit unseres Stückes, das
noch zur Zeit Scarron's populär gewesen sei.*), Darmesteter
und Hatzfeld bezeichnen es als das beste von allen
Stücken Garnier's, nur finden sie die Mischung zwischen
Komischem und Tragischem nicht immer gelungen. ^) Nach
Wenzel ist die Exposition des Stückes kur^, die Hand- X
lung einheitlich, während die Verwicklung durch flie entg egen - Vi
gesetzten Ansichten der Hauptpersonen ungemein interessiere.*)
Ganz besonders eingehend kritisiert Faguet Garniöir's Brada-
mante. Er tadelt vor allem, daß Roger und Bradamante U'
sich während des ganzen Stückes nicht sehen und daß nicht y
letztere anstatt Marphisens den Leon zum Kampfe heraus-
fordert, iloger's Klagen, sagt er, würden mehr wirken, wenn
sie in einem weniger geschraubten Tone gehalten wären;
auch Karl's Sprache findet er schwülstig (boursoufl6). *^)
Bernage, welcher sich speziell mit Garnier befaßt, urteilt
sehr günstig über die Entwicklung der Handlung und der
Charaktere und über die Sprache, welche manchmal an
„Corneille*' erinnere.*) Rigal ist voll des Lobes für unsere
Tragikomödie, doch sei es dem französischen Dichter nicht
gelungen, die feinen, zarten Nuancen des italienischen Epos
wiederzugeben, da er bald die tragische, bald die komische
Seite des StofiFes übertreibe. Dagegen ist die Handlung,
nach Rigal, leicht entwickelt und natürlich; bestreiten müssen
wir aber seine Behauptung, daß die Szene zwischen Aymon,
Benaud und Beatrix bloße Entlehnungen aus Ariost seien.')
Levrault®) endlich sagt von Garnier's Stück: «jB^n com-
^) S. 169. — Weiterhin tadelt er, daß die Mischung zwischen Ko-
mischem und Tragischem nicht überall durchgeführt sei.
*) Moliere et la Com. it., S. 126.
'J Das Urteil stimmt genau mit dem Eberfs überein !
*) Montchrestien, S. 18.
*) La Tr. fr., 216-236.
•) Etüde, S. 235.
') Le theätre de la Ren. {Hist, in: Jullev., Bd. III, 293 ff.).
^) Drame et Trag., 8. 25. Die Behauptung LewraulVs, daß die
k
V
- 131 —
posee et fort ingenieuse, eile renferme ä cöte d^ipisodes chevaleres-
qiies et toiicha?its des seines dSun haut comiqus. • . . Ce fut le
jpremier eocemplaire de cette tragieomedie qui devait innrer plus
tard ä des novateurs Videe du drame romantiqus,*
Erst 22 Jahre nach dem Erscheinen von Gamier's Brada-
mante macht wieder ein Dichter den Versuch, dieselbe Epi-
sode dramatisch zu bearbeiten. 1605 nämlich veröffentlichte
Charles Baut er seine beiden Tragödien tLa Bodoinontade» und
«La mort de Bodomont*,^) Irrtümlicherweise findet sich bei
einigen Autoren die Jahreszahl 1603.^)/ über den Verfasser
wissen wir kaum mehr, als daß er von 1680 — 1630 lebte
und ein Pariser war.*) Aus dem Datum seiner Geburt geht
hervor, daß die beiden Tragödien Jugendarbeiten waren, und
wir werden sehen, wie ihnen alle die Fehler und Schwächen
solcher Jugendsünden anhängen.
Brad, die Urquelle des romantischen Dramas seij ist mit Vorsicht auf-
zurahmen. Jedenfalls wirken noch eine Reihe anderer Faktoren mit zur
Entstehung des «drame romantique».
^) Das benützte Exemplar befindet sich in der Bibl. Not. von Paris
(YS 6680) und trägt den Titel: «^La Rodomontade. Mort de Roger. Tra-
gedies et Amours de Catherine. A Monsieur le Lieutenant Civil. Paris.
MDCY». Darunter ist bemerkt: «De Meliglosse, Clarus vates orbis»,
worauf noch ein Vierzeiler folgt:
«Je chante Rodomonty ses fureurSj ses boutades,
Et comme un grand Roger Vesclava sous les fers
Des Parques vaillamment^ et comme les enfers
Tremblerent de fraieur par ses Rodomontades.»
Den Tragödien selbst gehen dreizehn Sonette voraus, die dem Ver-
fasser desselben die Unsterblichkeit versprechen; unter den Sonetten be*
findet sich ein lateinisches, das sein Bruder gedichtet und mit der Unter'
Schrift: J. B. Par. [isien] versehen hat. Daraus und aus dem Anagramm
Meliglosse sowie aus dem Clarus vates orbis [= Carolus Basterius] fand
man seinen wahren Namen Charles Bauter oder Bautier.
«) Leris, Dict. port, S. 387; Mouhy, Abregi, Bd. II, 23;
Maupoint Eist, S. 273.
«) Goujet, Bibl. fr., Bd. XV, 104—108. Weitere Einzelheiten
bieten noch: Parfaict, Hist, Bd. IV, 38; Beauchamps, Rech. 2. T.,
8.73; Mouhy, Tabl, 204 u. AJbr., Bd. J, 419; M i c h a u d , Biogr. univ.,
Bd. III, 317 {am ausführlichsten); Didot, Nouv. B. g., Bd. IV, 836 \
Vapereau, Dict. univ., S. 213; Or. Enc, Bd. F, 910.
9*
\-
— 132 —
Über die Quellen der beiden Stücke finden sich bei allen
von uns zu Rate gezogenen Forschern irrtümliche Angaben.
Parfaict's Histoire du Th. fr. erwähnt für das erste der beiden
Stücke keine Quelle, das zweite ^La mort de Eogeri^ nennt
er «wne grossiere traditctioni^ de l'Arioste ^) ; er scheint also
nicht zu wissen, daß der jugendliche Roger am Schlüsse des
Orl, für, heil und gesund aus dem Kampfe mit Rodomont
hervorgeht. Beauchamps bezeichnet das zweite Stück als
eine „Nachahmung aus Ariost'S während er vom ersten be-
hauptet, es sei aus Ariost genommen (prise de VÄrioste).^)
Andere Literarhistoriker geben als Quellen beider Stücke den
* Roland furieux> an.*)
Von dem zweiten Stücke erwähnten wir bereits, daß es
nicht aus dem OrL für. entnommen sein kann, da das Epos
mit der Heirat, keineswegs aber mit dem Tode Rogers endet.
Das erste Stück dagegen geht nur teilweise auf das Epos
Ariost's zurück, nämlich bis zur zweiten Szene des dritten
Aktes (inklusive), von wo an uns Bauter Rodomont's Helden-
taten in der Unterwelt vorführt.
Der Inhalt des dem Orl. für. entlehnten Teiles ist
folgender. Akt I: Umgeben von seinen getreuen Roland,
Regnaut, Olivier, Roger, Aymon, Marphise, Bradamante und
Leon, rühmt Karl der Große die Tapferkeit seiner Paladine,
die Paris von den Sarazenen befreit, und die ganze Welt mit
ihrem Ruhm erfüllt haben. Nur das Schicksal Bradamante's
macht ihm einige Sorgen; wohl weiß er, daß sie den Roger
herzlich liebt, aber er hofft, daß sie ihn doch allmählich
vergessen und dem Leon, der sie im Zweikampf soeben be-
siegt hat, die Hand zum ewigen Bunde reichen werde,
€Avisi que le crayon trace premierement
Sur la ioile s^efface apres fort aisement
1) Bd. 77, 77; ebenso Goujet, Bibl XV, 104.
') Rech., 2, Teil, S. 73; ebenso Vapereau, Dict, S. 21S.
») La Vall., Bibl. I, 365; Mouhy, Tabl, S. 204; Maupoint,
Bibl, S. 272. — JwMichaud's Biogr. univ. Bd. IV, 853 ivird am
Ende des Artikels aw/'Moreri, I}ict. hist, hingewiesen, doch fanden
wir dort Bauter nicht verzeichnet.
— 133 —
Par une autre coiileur, ainsi Vamour iwemiere
Uune fille souvent se ehange en la derniere,^
Aymon dagegen ist voller Freude über den Ausgang des
Kampfes und er gerät in maßlose Wut, als Boland, Marphise
und sein eigener Sohn Regnaut gegen eine Heirat zwischen
Leon und Bradamante sich erklären, da diese bereits mit
Roger verlobt sei. Von seinem Vater bekommt Kegnaut
die härtesten Schmähungen zu hören:
« Voicy mon imjmdent qui sans cesse gromelhf . . .
Qui te fait si Imrdy de faroistre ä mes yeux, . . .
Si fempoigne un baston, je te feray plics sage
Respecter cest endroit, et changer de langage.i^
Der Kaiser ist auf Seite des alten Aymon, während die
übrigen ßegnaut's Partei ergreifen und den rücksichtslosen
Ehrgeiz des Vaters scharf tadeln. Schon will der jähzornige
Alte zum Schwerte greifen, als Roger und Leon erscheinen:
so wird durch die Erzählung des Griechenfürsten vom wirk-
lichen Sieger ein glückliches Ende des Streites herbeigeführt.
Aymon fügt sich sofort, ohne jede Motivierung, in die neue
Situation und nimmt Roger mit Vergnügen als Schwieger-
sohn an. Karl, der kurz vorher erklärt hat, er kenne Roger
kaum, überhäuft ihn nun mit Lobreden, so daß dieser ge-
rührt dankt und dem Kaiser seine Dienste anbietet. Leon
tröstet sich augenscheinlich schnell über seinen Verlust, denn
nun will er Doralice, von der wir jedoch weiter nichts hören,
zur Frau nehmen. Gerne gewährt ihm der Kaiser die Ein-
willigung dazu.
Akt II: Rodomont zählt die Heldentaten auf, die er vor
Paris vollführt hat, erklärt, daß selbst Pluto in der Unterwelt
sich ängstige, es möchte die Erde unter seinen wuchtigen
Tritten zusammenstürzen. Trotz alledem aber muß er sich
schämen, da ihn vor nicht gar langer Zeit Bradamante aus
dem Sattel geworfen hat; seine Ehre wieder herzustellen, ist er
nun gekommen; als er aber von seinem begleitenden Schild-
knappen vernimmt, daß auch der von seinem heidnischen
Glauben abgefallene Roger anwesend sei, beschließt er vor-
erst, diesem die Schärfe seines Schwertes fühlen zu lassen.
-^ 184 —
In der nächsten Szene bittet Aymon seinen neuen Schwieger-
söhn um Verzeihuog, daß er ihm früher so feindlich gesinnt
gewesen sei, was Roger ihm gerne vergessen will. Die dritte
Szene zeigt uns die Hochzeitsgäste, die unter den Klängen
der Musik sich an die festliche Tafel setzen, ehe das große
Turnier seinen Anfang nimmt. Wir hören, wie OUvier seinen
Freund Roland wegen] seiner tollen Liebe zu Angelica ver-
spottet:
... «/e regard (TAngelique,
Cousin, comme je croiSj le courage vous picque
Non Vhonneur de Boger t>^
worauf Roland erwidert:
. . . « Oliver fay franchy
Heureusement ce saut et je vis affranchy
De ses cruelles loi^s, cognoissani sa inalice
Et le hautain refus de mon humble service.y>
Karl verkündet nunmehr das Festprogramm für die nächsten
acht Tage, und eröffnet das Hochzeitsmahl, während Chöre
lyrische Weisen zu Ehren der Venus und anderer Grottheiten
anstimmen. Da tritt plötzlich Rodomont herein und fordert
unter schrecklichen Drohungen nicht nur den abtrünnigen
Bräutigam Bradamante's zum Kampfe heraus, sondern aUe
die Ritter der Tafelrunde. Doch flößt er diesen nicht den
geringsten Schrecken ein, vielmehr verspottet ihn Roland
wegen seiner Niederlage durch den Arm Bradamante^s und
Roger macht sich sofort zum Zweikampf fertig, ohne sich
von den Befürchtungen seiner Braut abhalten zu lassen.
Akt III: Als Roger nicht sofort auf dem Kampfplatze
erscheint, bezichtigt ihn der prahlerische Rodomont der
Schwäche und der Furcht, da es doch ehrenvoll für ihn
sein müße, von Rodomont's Hand zu fallen. Endlich findet
sich jener am Platze ein (2. Sz.), begleitet von den Hoch-
zeitsgästen und der w^einenden Braut, die er vergebens
zu trösten sucht. Ehe die beiden Gegner aufeinander los-
stürzen, schleudern sie sich, nach Art der Helden vor lUon,
Drohungen und Schimpfworte ins Gesicht. Der Kampf
dauert nicht lange; Rodomont's Rüstung wird durchbohrt^
— 135 —
sein Degen bricht entzwei, er stürzt sich ohne WafiPe auf
den Gegner, der ihm jedoch den Todesstoß versetzt; so stirbt
er mit den Worten:
<Je renie Mahon, fenrage, je despite.^
Mit dieser Szene endet bei Ariost der 46. und letzte
Gesang seines Epos. Für den folgenden Teil istChapuys*
Bohnd furieiiXj die Quelle, die keiner der oben genannten
Forscher zu kennen scheint, und die sich am Ende der
Chapuys'schen Übersetzung des Rol, für, von Ariost be-
findet, ohne durch eine besondere Angabe von dieser getrennt
zu sein.^)
Über das Verhältnis des ersten Teiles zum OrL für, ist
folgendes zu bemerken:
Der erste Akt des Stückes zeigt einige Ähnlichkeit niit
Garnier's Bradamante, besonders die Eede Karl's des Großen
bewegt sich großenteils in demselben Ideengeleise. Ch. Bauter
kannte ohne Zweifel die Tragikomödie ; eine Stelle derselben
entnimmt er sogar nahezu wörtlich dem Stücke Gamier's ^) ;
außerdem deutet eines der erwähnten Sonette^) darauf hin,
daß man ihn bei Lebzeiten schon für einen Nachahmer des
Dichters der Bradamante hielt. Bauter setzt mit seiner
Handlung da ein, wo Garnier die Lösung des dramatischen
Knotens herbeiführt (Akt V, 4), nur daß bei diesem die
^) G. Chapuys, Roland furieux, contenant la mort de Roger . . .
mise d'italien de J. B. Pescatore. Lyon. 1553. 8^.
*) Garnier, Brad., Akt IV, 2, v. 1151:
^Ainsi pour vous, taureaux, vous n'escorchez la plaine,
Ainsi pour vous, moutons, voii9 ne portez la laine,
Ainsiy mouscheSy pour vous aux champs vous ne riichez,
Ainsi pour vous, oiseaux, aux bois vovs ne nichez».
Vgl. damit Bauter, La Rod. (J. AM):
<.Ainsi mouches pour vous ne sont pas vos ruchees,
Ainsi oyseavac pour vous ne sont point vos nichies,
Ainsi moutons pour vous la laine ne portez
Ainsi taureaux pour vous la terre n'escartez,»
*) Die letzten Verse desselben lauten:
viS'il est ainsi tu as, comme je crois,
Lame, Ve^prit, d^Euripide Gregeois
Ou de Garnier Vesprit dans toy repose.»
— 136 —
Szene mit der Enthüllung Leon's • beginnt ^), während bei
Bauter dies erst in der Mitte des ersten Aktes geschieht, als
Aymon noch im heftigen Streite mit Eoland, Marphise und
Kegnaut liegt. Der Verfasser der Kodomontade hält sich
hier jedoch mehr an Ariost; er führt Roland und Olivier
redend ein, wie es dieser tut (C. XLIV, st. 60), läßt, wie der
italienische Dichter, (C. XLV, st. 104), Bradamante an dem
Streite Aymon's mit seinen Widersachern teilnehmen, wogegen
sie bei Garnier nicht anwesend ist (Akt IV, 5). Wie bei
Ariost (C. XLVI, st. 64), so bittet Aymon in der Rodo-
montade seinen Schwiegersohn Roger um Verzeihung wegen
seines früheren Verhaltens^); bei Grarnier ist die Stelle aus-
gelassen.^) Dagegen ahmt er den letzteren darin nach, daß
er Bradamante am Ende des Streites auf der Bühne erscheinen
läßt, während sie bei Ariost in ihrer Kemmenate bleibt, und
daß er Leon mit Doralice sich vermählen läßt (bei G-amier
mit Leonore).
Vom 2. Akte an hat Bauter kein anderes Vorbild mehr
als den OrL fur,^) Rodomont's erstes Auftreten '^) ist eigene
Zutat des dramatischen Dichters, wobei er sich allerdings
auf die beiden Stanzen 102 u. 103 des 46. Gesanges stützt;
eigene Erfindung des französischen Tragikers ist auch die
Schilderung des Hochzeitsmahles ®) , die Einführung von
Chören '), augenscheinlich eine Nachahmung der klassischen
Tragödie, endlich die Worte Karl's und das Gespräch zwischen
Olivier und Roland vor dem zweiten Auftreten Rodomont's.®)
1) Akt F, 4, F. 1630:
«Voicy le CJievalier dHncroyable vertu» etc.
«) Akt 7, Sz. 3.
») Vgl. Akt 7, Sz. 7.
*) Orl. f., C. XLVI, 8t. 101—140,
^) Im Epos erscheint Rodomont am letzten, d. h. neunten Tage der
Hochzeitsfestlichkeiten (C. XLVI, st. 74 u. 101), bei Bauter kommt
Rodomont zwei Tage vor der Hochzeit an {Akt II, 1).
*) yg^' Orl. fur.y C. XLVI, st. 73, 74 und 75, wo nur ein paar
Verse dasselbe schildern. — Ariost gibt dagegen eine lange Beschreibung
eines von Melisse gewirkten Teppichs (ibd., st. 76 — 101),
') Die Verse des Chores werden hier gesungen {«Chceur des Musiciens»),
*) Karl setzt in einer langen Rede das Programm für die Festlich-
— 137 —
Auch Bodomont's Aufschneidereien bei diesem letzten
Auftreten finden sich nicht bei Ariost, der dem Helden
nur wenige Worte bei dieser Gelegenheit in den Mund legt.^)
Dagegen ist der rührende Abschied £.oger's von seiner ge-
liebten Braut ganz nach der Quelle geschildert und ist als
der schönste Teil des Stückes anzusehen. Wie besorgt fragt
Boger nicht seine Braut, warum sie denn so furchtsam sei:
tEt qu'est ceei/y mon cceur, ma chere Bradamante,
Je vous vois toute pasle et cf'aintifve et tremblante?>
(Akt III, 2).
Und wie rührend ist deren Antwort:
tPuis je avoir du plaisir voics voyant ä mes yeux
Marteller et blesser par cet audadeux ?
Non, non, autant de coups qui toucheront vos armes,
Me seront tout autant de fleches et d'alafines,
Qui mendront mJassaülir ...» (ibd.)
Der Zweikampf der beiden Helden mußte natürlich im
Drama anders dargestellt sein, als im Epos ; hier ^) wird
Bodomont am Schenkel verwundet, so daß er zu Boden
sinkt, worauf sich Boger auf ihn stürzt und ihm nach kurzem
Bingen den Todesstoß versetzt. In der Tragödie bricht
Eodomont*s Degen entzwei, und Boger tötet mit Leichtigkeit
den waffenlosen Gegner. Das Gespräch, das während des
Kampfes zwischen Boger und Bodomont geführt wird, ebenso
die Beglückwünschung des Siegers durch die Zuschauer und
die Anordnung Earl's, daß die Leiche des Bodomont den
Baben zum Fräße vorgeworfen werde, sind Zutaten Bauter's.
Bei Ariost flieht bekanntlich die Seele Bodomont's aus dem
Leibe und eilt hinab in das düstere Beich der Unterwelt:
€AUe squallide ripe d^Acheronte,
Sdolta dal corpo piü freddo che ghiaccio,
keiten fest und fordert die Bitter zur eifrigen Teilnahme an den Turnieren
auf Olivier^s und Rolandes Gespräch ist bereits erwähnt worden.
^) Orl. f, C. XLVIj 105 u. 106. Nur der vorletzte Vers von st. 106
enthält eine gewisse Prahlerei:
«Äe non basta uno, e quattro e sei n^accetto.^
«) Orl. für., a XLVl, st. 130 ff.
— 138 —
Bestemmiando fuggi VAlma sdegnosa^
Che fu si altiera dl Mondo e si orgogliosa^)i^
Von den VerändeningeD, die in der Rodomontade an
einzelnen Charakteren gemacht wurden, heben wir be-
sonders diejenigen hervor, welche an dem Charakter der
Hauptperson, an Eodomont, zu bemerken sind. Ariost
charakterisiert, wie soeben bemerkt wurde, seinen Helden:
€ Che {VÄlma sdegnosa) fu si altera al Mondo e si orgogliosa, >
Stolz und hochmütig ist er auch bei Bauter, aber dieser
stolze Hochmut wird zum Spott durch die ungeheuerlichen
Aufschneidereien, die sich nahezu in jedem Gedanken finden,
den er ausspricht. Führen wir einige seiner „Rodomontaden"
an. Von seinen Heldentaten bei der Belagerung von Paris
erzählt er u. a. folgendes:
« Quand je frappois du pied, le carreau offense^
Sur lequel je frappois esioit tout emhraxe
Le feu de ce carreau croissoit en teile sorte
De carreaux en carreaux, que soudain une parte
Se irouvoit emhrasee, et ses rameaux ardans
Alloyent de coup sur coup tellement s^estendaiis
Dedans ceste maison qu^aussi tost sa voisine
Ärse ni'estoü apres sa voisine en ruine.^ (Akt II, 1,)
Pluto zittert in seinem Reiche, wenn des Helden Tritt
auf der Erde erdröhnt, Nereus beschwichtigt die Wogen auf
Rodomont^s Befehl. Bei Ariost will dieser mit vier oder
sechs Rittern den Kampf aufnehmen ^), bei Bauter fordert er
alle Anwesenden in die Schranken (II, 3):
ۆh de tes paUadins n^estre pas suffizant
Pour s^ attaquer ä moy, qu^üs viennent tous ensemble,'>
Als er bereits den tödlichen Streich empfangen hat, ruft
er noch prahlend und drohend seinem Sieger zu:
«... Ah je suis assez fort
Pour ores te dompter et te donner la mort!>
(Akt III, 2)
*) Letzte Stanze des Epos.
«) Orl für,, C, XL VI, st 106.
— 139 —
Wie kommt Bauter zu dieser fundamentalen Verände-
rung eines bei Ariost ganz ernst zu nehmenden Charakters?
Zwei Möglichkeiten einer ErkläruDg sind vorhanden. Dem
Dichter konnte die Gestellt Aymon's in Grarnier's Brada-
mante Yorgeschwebt haben, die ja ganz lebhaft an Eodo-
jnont erinnert, oder — und das ist das Wahrscheinlichere —
Bauter dachte an den tmües gloriosiis:^ der französischen
und der italienischen Komödie.^) Dort fand er nicht nur einen
derartigen Charakter fertig geschaffen vor, sondern er fand
sogar schon einen Bodo mont in der französischen Komödie,
der mit denselben Eigenschaften ausgestattet war, wie er ihn
dann in seiner Bodomontade schuf.*) Natürlich wollte Bauter
mit seinem Bodomont nicht einen Lustspielhelden, sondern
eine echt tragische Bühnengestalt schaffen.
Neben dieser Hauptperson des Stückes treten die übrigen
Rollen nur wenig hervor. Auch fehlt ihnen jede psycholo-
gische Grundlage; so will Aymon zuerst nur Leon, den Thron-
folger d^s byzantinischen Reiches, zum Schwiegersohn, nimmt
aber dann mit Roger ebensogut vorlieb, ohne daß dieser, wie
bei Garnier, die Königskrone von Bulgarien erhalten hat ; die
Sinnesänderung Aymon's ist also nicht motiviert. Leon's
plötzliche Verlobung mit Doralice ist ebensowenig begründet.
Nur Roland's Charakter weist eine Eigentümlichkeit auf,
die wir bei Ariost an dieser Stelle nicht bemerken. Olivier
neckt ihn wegen seiner Liebe zu Angelica, indem er seines
Freundes brennende Begierde, im Turniere aufzutreten, dahin
auslegt, daß dieser dort von Angelika gesehen zu werden
wünsche. Roland entgegnet ihm aber, seine törichte Liebe
zu dieser spröden Schönen sei längst schon gestorben. Später
(Akt II, 3) heißt es, daß Thetis ihn unverwundbar .gemacht
habe. Diese beiden neu hinzugefügten Bemerkungen über
Roland wären sicherlich besser weggeblieben, da sie uns diese
bei Ariost so menschlich sympathische Figur etwas entfremden,
und unnatürlich erscheinen lassen.
^) S. Fest, Der mil. glor.j S. 58 ff., wo diese Gestalt in einer Reihe
von Komödien des 16. Jahrh. nachgewiesen wird.
*) In Remy Belleau's Reconniie findet sich der Cap. Bodomont;
9, darüber Fest, l. c, S. 34ff.
— 140 —
Bradamante und Roger, das glückliche Brautpaar, sind
entschieden am besten gezeichnet, doch treten sie nur in der
rührenden Abschiedsszene hervor, auch ist nicht eine Spur
psychologischer Entwicklung in ihrer Liebe vorhanden, die
uns die beiden Gestalten interessant machen könnte.
Wörtliche Entlehnungen, wie sie bei Garnier's Tragi-
komödie zu finden sind, haben wir hier nicht entdeckt; die
bereits zitierten zwei Gleichnisse sind die einzigen in der
Rodomontade.
Fassen wir die vorstehende Untersuchung kurz zusammen,
so müssen wir sagen, daß das Stück, soweit es seinen Stoff
Ariost's Epos entlehnte, wohl eine lebendige Handlung auf-
zuweisen hat, daß ihm dagegen jede psychologische Entwicklung
sowohl im Aufbau der Handlung wie in der Zeichnung der
Charaktere fehlt. Da der Eindruck, den die Rodomontade
macht, ein durchaus komischer ist, verdient sie überhaupt
nicht den Namen Tragödie. Eher wäre man versucht, sie
für die Parodie einiger der Ariost'schen Heldengestalten
anzusehen.
Nur wenige Forscher haben sich mit diesem Stücke be-
schäftigt. Die Brüder Parfaict tadeln vor allem die
Rodomontade.^) Goujet nennt La Rodomontade Und La
mort de Roger Stücke, welche die Aufmerksamkeit des Lesers
nur in geringem Maße verdienten.^) Nach Mouhy ist die
erstgenannte «une tragedie on ne pent pas plus foihle»,^) Bei
Michaud endlich heißt es von Gh. Bauter : tll j^rend le nom
de Meliglosse — c^est ä dire langue de miel, qui ne kd eonvenait
guere ; car sa versification est tres dure,-»^) Wir können den
absprechenden Urteilen, welche wir soeben angeführt haben,
nur beistimmen.
Trotz ihrer Minderwertigkeit erlebte die Rodomontade
mehrere Auflagen. Bereits 1613^) erschien die zweite zu
1) Eist d. Th. fr., Bd. 77, 7o.
«) Bihl, Bd. XV, 104.
3) Tablettes, S. 204.
*) Biogr. icniv., Bd. III, 317.
^) Leris, Dict., S. 387: «fort rare et peu connue». Dasselbe sagt
— 141 —
Ronen, welche nach Brunet einige Veränderung aufweist und
von der nur mehr wenige Exemplare existieren ; zwei weitere
Auflagen erschienen 1619 und 1620 zu Troyes.^)
Das nächste Stück, welches uns beschäftigt, ist die Bra-
damante La Calpren^de's, welche 1637, also ein Jahr
nach Corneille's „Cid", im Drucke erschien^), nicht 1636,
wie G-oujet fälschlicherweise angibt. ^) La Calprenöde ist
eigentlich nur als Romanschriftsteller in der Literatur be-
kannt, doch ist seine Tätigkeit als Dramatiker nahezu ebenso
umfangreich.
Geboren in der Gascogne, trat er frühzeitig iü ein Pariser
Garderegiment ein mit dem Manuskript des Mithridate in der
Tasche, welcher im nämlichen Jahre wie die BrAdamante ge-
druckt und aufgeführt wurde. Auf diese beiden Stücke folgen
M o D h y , Ahr., Bd. J, 419 ; Anecd. dram., Bd. II, Ml ; Brunet, Man. du
Uhr., Bd. III, 1590.
1) Parfaict, Eist, Bd. IV, 38; La Valliere, Bibl. d. Th. fr.,
Bd. J, 365; Beauchamps, Beck., 2. Teil, S. 73; Brunet, Man.,
Bd. III 1590.
®) Wie belieht die Fortsetzungen des Orl. für., in denen die Schick-
säle der Ariosf sehen Helden meist in grotesker Weise weiter erzählt
werden, in Frankreich waren, beweist der Umstand, dafi noch zwei Tra-
gödien diesen Stoff behandeln. Wir haben aus dem Jahre 1625 <iLa mort
de Roger» und «La mort de Bradamante, tragedies tirees de la suite de
VArioste» {s. Parf., Bist, Bd. IV, 77; Beauchamps, Rech., 2. Teil,
S. 97; La Valliere, Bibl, Bd. I, 365: L6ris, Dict., S. 88). Beide
Stücke erschienen in der Sammlung «Le Thedtre frangois», Paris, Gr. Loyson,
1623, bzw. 1625, 8^. Von der «Mort de Bradamante» erschien übrigens,
nach Parfaict, BAst. (ibd.), bereits 1622 eine Sonderausgabe {s. auch
Leris, Dict, S. 88).
») Bibi. fr. XVllI, 226, ebenso Leris {Dict. SS); Lucas, Bist.,
Bd. III, 280. — Das Datum 1637 geben an: Beauchamps [Rech.,
2. Teil, S. 171); Parfaict {Bist, Bd. V, 217); Mouhy {Tabl. I, 30;
Äbr., Bd. /, 7Ö); Niceron (Mem., Bd. XXXVIl 235 u. 243); La
Porte et Cham fort (Dict, Bd. III, 562); Michaud [Biogr. univ.,
Bd. IV, 428); Didot {Biogr. gen., Bd. XXVIU, 447); Vapereau
{Dict. univ., S. 1151); La Grande Encycl., Bd. XXI, 705, woselbst Aus-
führlicheres über sein Leben nachzulesen ist. Auch sei hier noch auf
Körting {Gesch. d. frz. Romans, I. 245) hingewiesen, der aus den oft
höchst dramatisch geschriebenen Romanen schliefU, daß La Calpy\''s Dramen
„relativ wertvoll^ seien.
— 142 —
noch sieben weitere, meist historischen Inhalts, welche sich
bei Beauchamps verzeichnet finden.^)
Folgendes ist kurz der Inhalt der Bradamante. ^)
Akt I: Roger wird von Leon gebeten, den Zweikampf
mit Bradamante für ihn und in seiner Rüstung auszufechten ;
vergebens sträubt sich der unglückliche Held dagegen, doch
die Bitten des Griechen sind so eindringlich, die Dankesschuld
dünkt Roger so gfoß, daß er schließlich zusagt, nicht ohne
seine eigene Tapferkeit zu verwünschen, die ihm ein so ver-
hängnisvolles Geschenk geworden sei. Bradamante, welche
ihren geliebten Roger weit in der Ferne glaubt, wünscht
seine Ankunft dringend herbei, um sie aus der drohenden
Gefahr zu befreien, im Kampfe gegen den Griechen jüngling
zu unterliegen. Denn die Stunde des Kampfes ist bereits
nahe, und Karl läßt sich trotz der Bitten Marphise's und
Leon*s, welch' letzterer aus aufrichtiger Liebe zu Bradamante
vom Kampfe zurückschreckt, nicht bewegen, im letzten Augen-
blick den Zweikampf zu verbieten. Der Akt schließt mit
einem Dialoge zwischen Aymon und Marphise, in dessen Ver-
laufe der Vater Bradamante's das kühne Amazonenmädchen
wegen ihrer Parteinahme für Roger mit scharfen Worten tadelt.
Akt II: Zwei Monologe eröffnen diesen Akt; in dem
einen Sucht Leon seinen Betrug, Roger an seiner Statt in
den Kampf zu schicken, zu rechtfertigen, indem er darauf
hinweist, daß seine Liebe zur Gegnerin während desselben
ihn verwirren möchte; in dem anderen Monologe überlegt
Roger vergeblich, wie er seiner ihn nicht kennenden Geliebten
im Kampfe gegenübertreten solle; die Bradamante besiegen,
heißt für ihn, sie verlieren, sich von ihr besiegen lassen, ist
gleichbedeutend mit Treubruch an dem Freunde. Nachdem
Aymon noch einmal den Versuch gemacht hat, seine Tochter
vom Kampfe abzuhalten und Leon's Hand ohne Kampfes-
bedingung anzunehmen, beginnt der Zweikampf; lange hält
^) Recherches, 2. Teil, S. 125ff,
*) Benutztes Exemplar: La Bradamante^ Tragicomedie, A FariSj
1637. 4®. Das Priv, ist ausgestellt am 7, Febr. 1637 j während das des
Mithridate bereits das Datum des 30. Sept. 1636 trägt.
— 143 —
sich Eoger in der Verteidigang; als aber Bradamante einea
Augenblick zurückweicht, drängt er ihr nach, entreißt ihr den
Degen, so daß sie sich für besiegt erklären muß.
Akt III: Während Bradamante trostlos über ihre Nieder«
läge ist und sich weder von ihrem Bruder Renaud noch von
ihrer Freundin Marphise freudig stimmen läßt, wird auch
Boger seines Sieges nicht einen Augenblick froh, sondern
klagt laut das Schicksal an. Schon will Karl dem Griechen-
fürsten, der ja als Sieger gilt, den köstlichen Preis, die Hand
Bradamante's, zuerkennen, als Renaud und Marphise, zum
größten. Arger des alten Aymon, den königlichen Richter
bewegen, Leon nur dann den Preis zu gewähren, wenn er
noch mit Roger, dem heimlichen Verlobten Bradamante's,
kämpfe.
Akt IV: Leon, der feige Orientale, welcher auch dies-
mal nicht in die Schranken des Kampfplatzes zu treten wagt,
sucht seinen Helfer auf; er findet ihn in tiefster Traurigkeit,
deren Grund zu erfahren ihm auch gelingt. Nun will
Leon zeigen, daß auch er edel sein kann und verzichtet auf
weitere Bewerbung um die schöne Tochter Aymon's.
Akt V : Beide gehen nun an den Hof, an welchem man
schon glaubt, der Grieche habe die Flucht ergriffen. Sie
enthüllen nun, wer der eigentliche Sieger im Kampfe gewesen
ist; da gleichzeitig bulgarische Gesandte dem Roger, der
ihr Volk so ritterlich in der Schlacht von Novengardes unter-
stützt hatte, die königliche Krone anbieten, steht einer end-
gültigen Verlobung der beiden Liebenden auch von Seite des
ehrgeizigen Aymon kein Hindernis mehr im Wege.
Der Gang der Handlung ist nahezu ganz derselbe wie
bei Ariost Die wenigen Punkte, in denen er von seiner
Quelle abweicht, sind folgende: Der französische Dichter
drängt die ganze Handlung in den Zeitraum eines Tages zu"
sammen, um die Einheit der Zeit zu retten, während bei Ariost,
wie wir früher gesehen haben, eine viel längere Zeit ange-
geben ist. Auch die Beobachtung der Ortseinheit zwingt den
dramatischen Dichter, vom Epos abzuweichen, wo verschiedene
Schauplätze (Leon's Heimat, Bradamante's Wohnung, die
Kaiserpfalz, die Wildnis etc.) anzunehmen sind. Von den
— 144 —
Personen, die im OrL für. auftreten, vermissen wir bei La
Calpren^de Aymon's Frau, Beatrix, wogegen La Calprenöde
eine neue Rolle in Zenon, dem „Freunde" (Vertrauten!)
Leon's, schafft.
Femer ließ der französische Dichter mit richtigem Ge-
fühle die Zauberin Melisse aus seiner Tragödie fort, indem
er Leon nicht durch die Führung Melisse's, sondern auf
eigenen Antrieb den Ort besuchen läßt, wo Roger sich
aufhält :
«Je me sens inspire de visiter ce bois*
(Akt IV, Sz. 3, S. 85).
Endlich erscheint bei La Calprenede in der Schlußszene
die glückliche Bradamante auf der Bühne, während sie bei
Ariost in der stillen Kammer Freudentränen vergießt {OrL
für., G. XLVI, st. 65).
Was die Charaktere der einzelnen Personen betrifft, so
leiden sie an demselben Fehler, wie die Gamier's ; sie sprechen
zu viel, und handeln zu wenig; entweder sind sie ohne jede
Entwicklung, oder, wenn sie ihren Sinn ändern, gibt der
Dichter kein hinreichendes Motiv an (z. B. im Falle Leon's);
während Gamier's Helden immer noch eine gewisse Rau-
heit und unbeholfene Naivität an sich haben, fehlt den Ge-
stalten im Stücke La Calprenöde's auch diese, bei Ariost
so scharf hervortretende Eigenschaft. Roger und Leon denken
zu viel, sprechen zu viel in Antithesen, als hätten sie die
Logik des Aristoteles im Kopfe. Man merkt, daß der
Verfasser des Stückes den Cid kannte, wo ähnliche innere
Konflikte auf der Bühne analysiert werden. La Calprenöde
scheint überhaupt nicht die Absicht gehabt zu haben, einiger-
maßen historisch getreue Charaktere zu schaffen, sondern
er wollte ein ganz modernes Stück schreiben mit Franzosen
des 17. Jahrhunderts auf der Bühne. Darum macht er Kaiser
Karl zum „König". Roger ist bei ihm das Vorbild eines ga-
lanten Hofmannes; gleich bei seinem ersten Auftreten am
Hofe sagt er dem Könige und seinem Gefolge die plattesten
Schmeicheleien (Akt I, Sz. 6, S. 24). Die Bradamante La
Calprenöde's ergeht sich in herben Vorwürfen gegen ihren
Geliebten den sie wiederholt des Treubruchs beschuldigt;
— 146 -^
trotzdem erklärt sie, ihn noch zu lieben; wir sehen in ihr
das leidenschaftliche Weib, leidenschaftlich im Zorne nnd in
der Liebe. Vgl. z. B. Akt I, 3, S. 27 :
€Mon comr ne retient phis la douleur qui te presse
II est vray ce perfide a faiisse sa promesse,
L'ingrat a vioU sa foy^
11 n^a point de regret de favoir dSlaissee,
Et ne se souvient plus de toy
Quoiqu^U mve dans ta pensee,
Quel esprit prevoyant ettst recognu la faule
Des serments quHl me fit d'une amiti4 si saincte,
Et de tant de fidelite?
Que feusse creu faillir conire mon grand courage,
De soupQonner de lächetej
Ses discours et son beau visage,i^
In diesem Tone schmäht sie den abwesenden Boger den
ganzen ersten Teil des Stückes hindurch. Wieviel edler
spricht doch die Bradamante des Ariost von ihrem fernen
Geliebten ! Zwar furchtet auch sie dann und wann, er könnte
sie vergessen haben, aber gleich fassen wieder Hoffnung und
Zuversicht in ihrem Herzen Platz:
tNuovo pensier ch^a qtieslo poi snccede,
Le dipinge Ruggier pieiio di fede.T>
(C. XLV, St. 29.)
Wie bei Garnier, so hat auch in diesem Stücke der alte
Aymon einen Stich ins Derbkomische. So sagt er z. B. in
der 3. Szene des 2. Aktes (S. 29) zu seiner eigenen Tochter :
«Fflf, tygresse, va rrionstrey horreur de la nature,
Veuille le Ciel sur toy venger ta propre injure
Et pour te faire voir son pouvoir ahsoluy
Te perdre en ce combat, puisque tu Vas voulu,^ ^)
Doch als er seine Tochter am Kampfplatze erscheinen
siebt, vergißt er seinen Groll und ruft in gerechtem Vater-
stolze aus:
*) Vgl. Akt I, 7, S. 19y die Worte, welche er an Marphise richtet,
femer Akt II, 5, S. 32, wo Aymon seinen Sohn Renaud zurechtweist.
Münchener Beiträge z. romanischeu u. engl. Philologie. XXXIV. 10
— : 146 —
aCette ferocüe pleine de tant d'cmdacej
Qui mesine sous Varmet se remarque en sa face,
Ce port majestueux et doux egalement
Paroist en mestne temps redoutable et charmant,»
(Akt n, 4, S. 31.)
Im Stile und im sprachlichen Ausdrucke ist das Stück La
Calprenede's vollständig unabhängig von seiner stofflichen
Quelle ; die vielen bei Ariost und bei Garnier vorkommenden
Vergleiche sind hier verschwunden bis auf einen, der dem
OrL für. entlehnt zu sein scheint:
«Et le sang qui ruisselle en mille et mille lieux,»
(Akt V, 2, S. 92.)
Vergleiche damit OrL für. (C. XLIV, st. 87):
<^E il sanguey come un rio, corre alla valle,»
Die PreresParfaict meinen, daß der Verfasser seinen
Vorgänger Garnier nachgeahmt habe ^) ; es kann das höchstens
für die Charakterzeichnung Aymon's gelten ; im übrigen schließt
er sich, wie wir gesehen haben, ausschließlich an die italienische
Quelle an.
Wollen wir ein kurzes Urteil über die Bradamante La
Calprenöde's fällen, so müssen wir vor allem von einer Ver-
gleichung mit der Bradamante-Episode im ital. Epos absehen;
wir dürfen die Ariost'schen Helden nicht mit den höfischen
Gestalten La Calprenede's in Zusammenhang bringen. Unter
dieser Bedingung aber ist dem Stücke ein gewisser Wert nicht
abzusprechen: psychologische Vertiefung einzelner Charaktere,
spannender Gang der Handlung und leicht dahinfließende
Sprache sind die Hauptvorzüge des Stückes.
Die wenigen Kritiker, welche das Werk erwähnen, scheinen
unsere Meinung über dessen Wert nicht zu teilen. So nennen
es die Fröres Parfaict das schwächste Stück des Dichters
in bezug auf den Aufbau, die Versifikation und die Charaktere.^)
^) Hist., Bd. 7, 217.
*) Hist., Bd. Vj 217 : «De toutes les pieces de M. de la CalprenMe,
voici la plus faible pour la conduite, et la versification, et nulle noblesse
dans la peinture des car acter es de ses personnages. On y troiive meme des
scenes qui frisent les discours des petits bourgeois.»
— 147 -^
Mouhy gibt ihm die Epitheta <iimediocr6 et mal diahguee*.'^)
Ahnlich urteilt Pifteäu darüber, wenn er sagt: nBradamanie
est iine des plus faibles pieces de VAuteur ä tous les points de
vue, n'ayant rien de rettssi: ni Vintriguey ni Us verSy ni les carac-
ieres, ni le ton qui n'est celui d'une comedie bourgeoise.*^)
Es scheint, als ob die Bradamante La Calpren^de's
eine Zeitlang dem bekannten Eestarrangeur Ludwig XIV.,
dem Herzog von Saint- A ig n an zugeschrieben worden sei;
wenigstens finden sich diesbezügliche Bemerkungen bei Be au-
ch amps^) und Goujet;^) der Irrtum kam wohl daher,
daß La Calpren^de's Tragödie anonym erschien und daß
Saint-Aignan, allerdings 27 Jahre später (1664), eine
Bradamante ridicule schrieb, die jedoch nicht gedruckt wurde.
Zu den Stücken, welche ebenfalls die Bradamante-Episode
behandeln, gehören auch ^Les amours d^Angeliqiie et de Medor>
von Gabriel Gilbert^), obwohl der Titel eher eine Nach-
ahmung der später zu besprechenden Roland-Episode ver-
muten ließe. Das Stück erschien im Drucke 1664.®) In der
^) Tablettes, Bd. 1, SO.
^) Bist., S. 139. Pifteau's Urteil scheint ein Plagiat der Br.
Parfaict zu sein.
') Rech., 2. Teil, S. 153: «Cette pi^ce, suivant M. d. C, est douteuse
entre lui et le duc de Saint-Aignan.»
^) Bibl. fr., Bd. XVIII, 226: <^L'Abh6 de Marolles, dans soti De-
nombrement d^Anteurs, attribue ä Fr. de Beauvilliers, duc de Saint-Aignan,
une piece de Theätre intitulee Bradamante, et M. VAbbe d'Olivet dit quHl
y eut en effet une Tragi-Comedie sous ce titre, imprimee sans nom d'Auteur
en 1637. Les Ecrivains de VHist. du Th. fr. (Parfaict) ne la nomment
point; ils ne parlent que de la Tragi-Comedie de Bradamante, du Sieur
de la Calprenede qui est de 1636.» Die beiden Stücke von 1637 u. 1636
^ind identisch, da ja, wie tvir bereits bemerkt, La Calprenede^s «B^'ada-
mantei^ 1637 erschien.
^) Das benützte Exemplar [s. Bibliogr.) befindet sich in der Bibl.
nat. zu Paris (Y. Th. 806).
*) Alle von uns zu Rate gezogenen Forscher führen dieses, Datum
an: Fr. Parfaict {Eist. IX, 247); Beauch. {Rech., 2. Teil, S. 169);
lieris {Dict, S.33); Lü.Y alli er e {Bibl, Bd. III, 17); Anecd. drara.
(Bd. 1, 65); La Porte et Chamfort {Dict. I, 87), die auch eiyie
kurze Inhaltsangabe des Stückes bringen; Didot {Biogr. gen., Bd. XX,
495); Brunei [Man., Bd. II, 1591); Vapereau {Dict un., S. 884);
Lucas, Bist. III, 295. mir Mouhy {Abr. I, 36; II, 170) gibt
10*
— 148 —
Vorrede sagt der Verfasser, daß es sein 16. Drama sei. Von
Gilbert wissen wir, daß er der reformierten Kirche angehörte
nnd im Dienste der Königin Christine von Schweden stand;
nachGoujet nahm er (vor 1657) einen längeren Aufenthalt
in Italien^); trotz seiner hohen Stellung als «Secretaire des
commandements:» bei der Königin Christine und trotz seiner
fruchtbaren Schriftstellerei ^) waren seine Vermögensverhält-
nisse stets zerrüttet; er starb um 1680 in großer Armut in
einem fremden Hause.^)
Wir wollen nunmehr versuchen, die etwas verwickelte
Handlung der tÄmours (TAngelique et de Medor» in kurzen
Zügen zu schildern.
Akt I: Arimand (mit seinem wahren Namen Medoi'),
erzählt seinem Vertrauten, daß er aus Liebe zu Angelika
ihres Vaters Reich vor Aufruhr geschützt habe und nun-
mehr schon seit sechs Monaten am französischen Hofe weile,
um stets in ihrer Nähe zu sein. Ein bevorstehendes Turnier,
für welches jede der Damen am Hofe einen ihr sympathischen
Ritter als Kämpen auszuwählen hat, soll dem verliebten
Arimand zeigen, ob seine Geliebte ihm wirklich zugetan
ist. Zu diesem Zwecke streut Alidor, der Vertraute Ari-
mand's, das Gerücht aus, Medor sei aus Spanien zurück-
gekehrt, und wolle sich als Ritter für Angelika anbieten und
so, laut Beschluß des Kaisers, deren Hand gewinnen. Da
das Datum 1644 an, was zweifellos auf einen Druckfehler zurücksni-
führen ist.
^) Bibl. fr., Bd. XVIlIj 87. — G. Hartmann scheint Goujefs
Angaben nicht zu berücksichtigen {s. Hartm., Merope, S. 15); vgl.
Kritik d. Arbeit v. Stiefel {ZfSp. 1893, Bd. XV, S. 43 ff.). — Auf
Goujet stützen sich Haag, La Fr. prot, Bd. V, 265 — 267; La Ghr.
Enc, Bd XVIII, 930.
«) Nach Goujet (Bibl. fr., Bd. XVIII, 86) ist er der Verfasser
von 5 Tragödien, 4 Tragikomödien, 2 Schäferdramen n. 1 Komödie;
außerdem schrieb er noch einige lyrische Sachen. Goujefs Angaben
können nicht richtig sein, da ja Gilbert seine Tragikomödie Angilique
et Medor bereits das 16. Stück nennt, ßeauchamps behauptet, die
anderen Stücke seien unbekannt (Rech. II, 168). Auch Brunet {Man.,
Bd. 11, 1591) führt nur die von Goujet erwähnten Stücke an. Demnach
scheinen die fehlenden bis jetzt nicht bekannt zu sein.
') Beauchamps, Bech. II, 170.
— 149 —
aber Angelika befürchtet, Medor möchte zu spät erscheinen,
bittet sie Arimand, den sie wegen seines opferwilligen Dienst-
eifers heimlich liebt, an Stelle jenes Ritters für sie in die
Schranken zu treten.
Akt II : Nachdem Angelika erzählt hat, daß sie Medor
Liebe schulde, weil er sie von den verderbbringenden Klauea
einer Bärin gerettet habe, erhält sie den Besuch dreier
„Freundinnen", deren Namen uns gut bekannt sind, nämüch
von Marphise, Isabelle und Bradamante; dank ihrem weib^
liehen Scharfsinne entdecken sie bald, daß Angelika eine
stille Neigung für den schönen Arimand hegt, die dieser
nicht unerwidert läßt und da nun jede von ihnen gleichfalls
in Liebe zu dem Jüngling entbrannt ist und den Wunsch hegt,
er möchte ihr Kämpfer im Turniere sein, so verleumden
sie ihre „Freundin" in ganz schändlicher Weise und bieten
sich gegenseitig deren Verehrer als „Turnierdamen" an; als
Arimand zum Kaiser befohlen wird, fallen die drei Frauen
über Angelika her und schleudern ihr die unsinnigsten Ver-
dächtigungen ins Gesicht.
Akt III: Roland, Renaud und Roger versuchen von
Arimand zu erfahren, ob er Angelika's Liebe sicher sei und
ob er für sie im Turniere kämpfen werde. Da aber ihr Be-
mühen fruchtlos bleibt, bietet sich jeder von ihnen dem
Mädchen als Ritter im Zweikampfe an und erzählt dabei mit
den größten Übertreibungen seine Heldentaten, während
jeder den Medor, der ja als Verlobter Angelika's gilt, ver-
leumdet.
Akt IV : Nun bringen Marphise, Bradamante und Isabella
der Angelika die Nachricht von Medor's Ankunft am Hofe,
nicht ohne ihr dabei einige grobe Beleidigungen zu sagen;
Angelika ist jedoch keineswegs über diese Nachricht erfreut,
da, sie bereits Arimand mehr zu lieben glaubt als Medor,
und als ersterer, um sie auf die Probe zu stellen, ihr die
Mitteilung macht, daß Medor schon seit einem halben Jahre
am Hofe weile, da erschrickt sie so sehr, daß Arimand nun-
mehr der Liebe Angelikas sicher ist.
Akt V: Nachdem Angelika in einigen Stanzen ihr
Liebesleid geklagt hat, das eigentlich nur in der Ungewißheit
— 150 —
besteht, ob sie ihr Herz Arimand oder Medor zuwenden soll,
will sie durch Melinde, ihre Vertraute, die Gewißheit er-
langen, ob Medor zum eben begonnenen Kampfe erschienen
sei ; man teilt ihr statt dessen mit, daß er im letzten Jahre
in ihres Vaters ßeiche die Dynastie gerettet und sie in
ihrer Abwesenheit auf den Thron erhoben habe. Schon hat
sie den Entschluß gefaßt, dorthin zurückzukehren und mit
Medor den Thron zu teilen, als Arimand, der eben im
Turniere an Stelle Medor's siegreich kämpft, vor seine Ge-
liebte tritt und sich ihr als Medor zu erkennen gibt. Als
Beweis, daß er wirklich Medor ist, zeigt er ihr die Schärpe,
die sie einst beim Angriff des Bären hat fallen lassen. Angelika
bietet ihm als Lohn seiner treuen Liebe Herz und Thron an.
Das Stück endet mit einer Lobrede Medor's auf Karl den
Großen, welche wohl als eine Verherrlichung Ludwigs XIV.
angesehen werden muß:
<Mais allons rendre gräce au Heros des Ffancois
Le plus sage mortel et le pkis grand des Rois
Qui se fait rehommer en paix, aussi qu^en giterre^
Qui vient de partager Vempire de la ten^e,
Dont la rare vertu brille de iouies partSj
Et mesle avec les Lys VÄigh en ses etendarts.^
(Akt V. 8, S. 70). 1)
Dieser Gang der Handlung zeigt, wie frei der Dichter
seine Quelle benützt hat. Er entlehnt der Bradamante-Epi-
sode die Idee des Zweikampfes, der Verkleidung des einen
der beiden Kämpfenden, der als Sieger aus dem Turnier
hervorgeht und die Hand der Geliebten erhält. Um diese
Grundidee des Stückes gruppieren sich Szenen von sekundärer
Bedeutung, welche teils auf den Orl, für. zurückgehen, teils
eigene Erfindung des französischen Dichters sind. Wenn
Angelika sich um den abwesenden Medor härmt, so hat Gilbert
offenbar Bradamante's Klagen um den fernen Roger im Auge;
ebenso, wenn Karl bei Gilbert bestimmt, daß Angelika den-
jenigen zum Gatten wählen müsse, der von ihr als Kämpe
im Turnier aufgestellt werde, falls er als Sieger aus dem
^) Das Stück igt ohne Verszählung.
— 151 —
Kampfe hervorgehe. Aber diese Szenen, in welchen die drei
Helden Roland, Renaud und Roger, und die drei Frauen-
gestalten Marphise^ Isabelle und Bradamante auftreten, sind
nicht aus dem italienischen Epos genommen.
Zeugt schon die Art und Weise, wie Gilbert die Hand-
lung seines Stückes ummodelt, von einer großen Unabhängigkeit
des Dichters von der ital. Quelle, so tritt diese Freiheit noch
mehr hervor, wenn wir uns die Charaktere näher ansehen.
Angelika (Bradamante bei Ariost) ist eine vollendete Intri-
gantin vom Anfang bis zum Schluß der Tragikomödie. Sie
kann Medor nicht vergessen, hängt aber auch an Arimand,
in dem sie ja nicht im entferntesten den Medor vermutet;
sie versucht nicht, diese aufkeimende Liebe zu ihrem Dienst-
knappen zu unterdrücken, sondern bedauert fast, daß Medor
immer noch in ihrer Seele lebendig ist:
«JEif si Medor rCestoit le Maistre de mon coeur,
Ärimant pourroit seid en esire le vainqneur,»
(Akt II, 1, S. 17).
Als sie dann erfährt, daß Medor am Hofe weilt, jubelt
sie nicht laut auf vor Glück, sondern seufzt und denkt, wie
herrlich doch Arimand sei, und gesteht es ihm offen:
« Ouyf je trouve dans votcs un charme qui in^attire,
Je crains d'en dire trop^ et n'en 'puis assex dire;
Vous partagez mon coeur avec votre rival:
Oest luy seul qui vous nuit, luy seul vous est fatal.
Apres ce qvHl a fait, le sort veut qus je Vayrne;
Mais rrCarrachant ä vous je m'arrache ä moy mesme
Pour finir 7)ies ennuis et mon, cruel tourment]
Que fixestes vous Medor, ^
(Akt IV, 4, S. 53.)
Daß am Schlüsse des Stückes dieser im letzten Verse
geäußerte Wunsch ihr erfüllt wird, steht daher im krassesten
Widerspruch zur Gerechtigkeit, während dagegen die Brada-
mante Ariost's ihr Glück vollauf verdient. Medor (Roger
im Orlando) hat mit diesem keine andere Ähnlichkeit, als
daß er für seine Geliebte den Zweikampf, allerdings nicht
auf Leben und Tod, wagt; ganz unverständlich an Medor ist
— 162 —
uns, daß er sich überhaupt verkleidet, nachdem er sich be-
reite von Angelika geliebt weiß. Die drei Helden Boland,
Benaud, fix)ger sind vom französischen Dichter frei erfunden ^) ;
sie sind das Abbild der Mehrzahl jener Hofleute zur Zeit
Gilberts, die ihr Leben in galanten Abenteuern vertändeln.
Zuerst werben sie um Angelika; als diese sie zurückweist,
nehmen sie mit Bradamante, Isabelle und Marphise vorlieb,
die geradezu Karikaturen der entsprechenden Gestalten bei
Ariost sind.
Direkte Anklänge an den italienischen Dichter lassen
sich nur an zwei Stellen nachweisen, nämlich Akt I, 1:
Apres le grand combat dant tu mens de parier,
Des Sarrazins vainqueurs poursuivant la victoire,
fPentre avec les fuyards dans une forest noire.
Je rrCegare parmi les pins et les cyprex;
Et seul dans un vallon ddideux et frais,
Je vois une Amazone au hord d^une fontaine
La visiere levee et qui prenoit haleine,>
Man vergleiche damit die wundervolle Beschreibung dieser
Quelle bei Ariost (C. I, st. 37 und 38).
Die zweite Stelle lautet:
tDe ces adroits Ghuerriers les detix lances rompues
On en voit les eclats voler jicsques avx nues,
Et chacun n'en a que le trongon,
JJun et Vautre pourtant est ferme sur Vargon.^
(Akt V, 7.)
Das Vorbild hierzu ist im Orl. für, zu finden (0. XL VI,
st. 115):
«Le lance aW incontrar parver di geh,
I tronchi, augelli a salir verso il cielo,»
*) Roland's Charakter erinnert auffällig an den typischen tniles
gloriosus. Vgl. Akt 7F, 5, S. 55:
«Bleust au Ciel quHl eust fait un si hardi dessein
La peur en me voyant lui glaceroit le sein.»
Ferner Akt F, 7, 8. 68:
*Il (= Rol.) murmurCj il eclate, il devient furieuXj
Et 8ort en menagant et la terre et les Cieux.»
— 153 -r-
Im ganzen betrachtet scheinen uns Les amours (TAnge*
liqtie et de Medor die Übergangsstufe zu den Parodien Ariosti-
scher Gestalten und Episoden zu sein; einen künstlerischen
oder ästhetischen Wert können wir dem Stück nicht zusprechen.
Die Brüder Parfaict geben von Gilberts Werken eine
kurze Charakteristik, weiche neben den vielen Fehlem zwei
Vorzüge hervorhebt, nämlich glückliche Situationen imd einen
leichten Versbau,^) Doch können wir ihnen nicht beistimmen,
wenn sie behaupten, daß, mit Ausnahme der Kamen, Gilbert
der Erfinder des Stoffes und der Charaktere sei. ^) Leris
nennt die Amours d'Angeliqiie et de Medor ein sehr schlechtes
Stück ^); dasselbe urteil fallt Mo uhy*): Medor ist nach ihm
ein Geck, Angelika eine Preziöse, Boland endlich ein roher
Mensch. In der Grande Encyclopedie wird ein Urteil
Chapelain's über unseren Dichter zitiert, welches wir hier
wieder geben: <iC^est un esprit delicat, duqtiel on a des ödes,
de päits poemes et plusieurs pieces de thiätre pleines de cotif
versation^ .^) Chapelains lobende Charakteristik hält uns nicht
ab, unserem Stücke jeden Wert abzuerkennen.
In demselben Jahre, in dem Gilberts Angelique et Medor
erschien, wurde im Palais Royal eine Bradamante ridicule^)
aufgeführt, deren Verfasserschaft, wie schon oben erwähnt,
dem Herzog von Saint- Aign an zugeschrieben wird. Leider
ist das Stück nicht im Drucke erschienen, doch läßt sich aus
seinem Titel der Schluß ziehen, daß wir es mit einer Parodie zu
tun haben. Da Gilbert's Tragikomödie nahezu eine Parodie
') Hist.j Bd, V, 119: «^Les pieces que cet auieur donna au theätre
ne sont pas bomies; mais ä travers les defauts elks sont remplies de
situations heureuses et, dans touteSj la versification est aisee.»
*) Hist.^ Bd. IX, 24:7 : nA Vexception des noms des Acteurs, qui sont
dans le Poeme de VArioste, M, Gilbert est absolument inventeur de la
fable, de la conduite et des car acter es de ses Personnages,»
3) Dict, S. 26.
*) Tahl., Bd. I, 20 u. Abr.y Bd. I, 36. — M. kopiert wörtlich diese
Stelle aus der Gesch. der Brüder Parfaict.
*) Bd. XVIIl 930.
*) Erwähnt bei ßeauchamps, Bech., 2. Teil, S. 153; Leris,
ZHct.j S. 88; Lucas, Hist, Bd. III, 295, welcher das Stück einem
unbekannten Verfasser zuschreibt.
— 154 —
genannt werden kann, ist es naheliegend anzunehmen, daß eines
der beiden Werke das andere veranlaßt oder beeinflußt hat.
Der Versuch, die Bradamanteepisode in ein ernstes Drama
umzuarbeiten, wurde auch von Thomas Corneille ge-
macht.^) Seine Bradamante wurde 1696 gedruckt^), ruhte
aber bereits seit mehr denn 15 Jahren als Manuskript unter
den Papieren des Dichters. ^) Nach Reynier erlebte das
Stück zwölf Aufführungen.*) Da Reynier, der sonst die
meisten Dramen Corneille' s analysiert und bespricht, für
dieses Stück nur ein paar Zeilen vernichtender Kritik hat,
wollen wir hier zum erstenmal eine kurze Analyse desselben
geben. '^)
Akt I : Leon, der schon lange am Hofe Karl's um Brada-
mante's Hand geworben hat, will von ihr endlich eine definitive
Antwort haben. Doralice, die Vertraute Bradamante's, welche
die Bewerbung des Griechenfürsten begünstigt, sucht Roger
bei ihrer Herrin zu verdächtigen, weil er sich jetzt, wo alle
Welt weiß, daß Leon um Bradamante wirbt, verborgen halte.
Obwohl nun diese dem unangenehmen Freier die Bitte abschlägt,
ihm ohne vorausgegangenen Kampf die Hand zu reichen, glaubt
Roger's Schwester Marphise dennoch, daß Bradamante im
^) Eine äußerst reichhaltige Biographie des Dichters findet sich in
Keynier's Th, Corneille (S. ijf). Siehe femer Michaud, Biogr. gen.,
Bd. IX, 283: Didot, Biogr. univ., Bd. XI, 876; La Gr. Enc, Bd. XII,
997). Unser Baum erlaubt uns nicht, eine Schilderung seines Lehensganges
zu gehen.
'^) Siehe unsere Bibliographie, S. X.
*) Der Dichter selbst sagt hierüber in der Vorrede: «Hy aplus de
quinze ans que cette piece auroit paru au Theätre, si je n^eusse pas ap-
prehende que la reputation de VArioste, tout fameux quHl est, n^eust pas
este d'un assez grand poids, pour autoriser Vincident sur lequel tonte
Veconomie en est fondee», etc.
*) Thomas Com., S. 367. — Die erste Aufführung fand 1695 statt. —
Doch scheinen die Aufführungen enttäuscht zu haben, da Beauch.
(Rech., 2. Teil, S. 199) sagt, das Stück habe nicht den Erfolg gehabt, den
es verdiente.
*) L. Geiger [Nation, X, 769) sagt von Reynier' s Arbeit, sie sei
sehr gelehrt und fleißig, aber der Dichter iverde darin sehr nüchtern
und kühl beurteilt; wir können wis dieser Kritik von L. Geiger nur an^
schließen.
.— 15& —
Grunde ihren Verlobten längst vergessen habe und sich des-
halb im Zweikampfe freiwillig von Leon besiegen lassen werde.
Akt II: Inzwischen ist aber Roger aus der Fremde
zurückgekehrt; er erzählt seiner Schwester all die Abenteuer, die
er bei dem Bulgarenvolke bestanden hat, seine Rettung, dann
das edelmütige Eintreten Leons und seine weiteren Irrfahrten.
Er läßt sich von Marphise nicht irre machen in seinem Glauben,
daß Bradamante den unkriegerischen Griechen besiegen werde.
Bevor jedoch der Zweikampf stattfindet, eilt Leon zu seinem
Freunde Roger, dessen wahren Namen er nicht kennt, und bittißt
ihn, an seiner Stelle in die Schranken des Kampfplatzes zu
treten, was jener auch nach einigem Sträuben zu tun sich
bereit erklärt.
Akt III: Der Kampf hat eben zugunsten Leon's ge-
endet. Bradamante beschönigt Roger gegenüber ihre Nieder-
lage nicht, erklärt aber, als dieser Mißtrauen zu hegen scheint,
voll Zorn, daß sie Leon's stürmischer Bewerbung nachgeben
werde, wenn Roger an ihrer Liebe zweifle. Marphise glaubt
natürlich fest, daß Bradamante sich freiwillig besiegen ließ
und überredet ihren Bruder, dagegen Einspruch zu erheben.
Akt IV: Roger mächt sich inzwischen auf, Leon zu
suchen, entdeckt ihm seinen wahren Namen und erzählt ihm,
wie er mit Aymon's Tochter schon lange heimlich verlobt
sei; während die kriegerische Marphise den Zerstörer des
Glückes ihres Bruders zum Zweikampfe herausfordert, falls
er noch Ansprüche auf Bradamante mache.
Akt V: Auch Bradamante tut das Äußerste, um Leon
zu bewegen, nicht von seinem durch den Sieg erlangten Rechte
Gebrauch zu machen, so daß dieser, nachdem er noch eine
Zeitlang hartnäckig darauf bestanden hat, plötzlich auf Brada-
mante's Hand verzichtet, welche nun der glückliche Roger
erhält. Letzterer erklärt noch zum Schlüsse seiner Geliebten,
daß auch er der Braut eine Krone ^) anbieten könne:
€Si vons doutez encor de mon amour extreme,
Madmne^ venex voir avec comhien d^ardeur
Je joins une Couroniie ä Voffre de mon coßur. >
(Akt V, 5, S. 74).
^) Er meint natürlich die Krone Bulgariens.
-^ 166 —
Die Handlung schließt sich der Hauptsache nach an die
betreffende Episode im OrL für. an: Jßoger wird Yon Leon,
der seinen wahren Namen nicht kennt, aufgefordert, gegen
s^ne eigene Geliebte zu kämpfen, die er durch seinen Sieg ver-
liert, wenn nicht Leon im letzten Augenblick auf sie Verzicht
leistet. Um diese Grundidee jedoch gruppieren sich mehrere
Nebenhandlungen untergeordneter Bedeutung, die eigene Zu*
taten des französischen Dichters sind ; andererseits läßt er eine
Reihe von Personen, die sich in seiner Quelle finden, ganz fort,
so z. B. das Elternpaar Bradamante's, und ihren Bruder
Kenaud, was sehr zu bedauern ist; femer die Person des
Kaisers, endlich die bulgarische Gesandtschaft. Durch diese
Vereinfachung war es dem Dramatiker leichter, das Interesse
ausschließlich auf die Hauptpersonen Roger und Bradamante
zu legen. Was Faguet bei Garnier tadelt, daß nämlich die
beiden Liebenden sich nie im Stücke treffen ^), hat Corneille
vermieden, dadurch aber die Wahrscheinlichkeit der ganzen
Handlung vermindert, da bei der mehrmaligen Zusammen-
kunft der Liebenden leicht ein Mittel hätte gefunden werden
können, um den Zweikampf überhaupt zu vermeiden. Außer-
dem tritt nicht klar hervor, warum denn Bradamante den
Geliebten nicht offen als ihren Bräutigam und zukünftigen
Gemahl bezeichnet. Die unglücklichste Änderung in der Tra-
gödie jedoch ist die Rolle Marphise's, welche die Intrigantin
zu spielen hat und Bradamante mit den niedrigsten Ver-
dächtigungen überhäuft. Auch hier fehlt das Motiv, welches
Marphise zu ihrem Argwohn veranlaßt, da diese ja von Brada-
mante in keiner Weise beleidigt wird.
Da der Schauplatz der Handlung nach den damals
geltenden Regeln ein einheitlicher sein muß, werden die in
Konstantinopel etc. spielenden Handlungen nach Paris an den
Hof des großen Karl verlegt ; die Zeit für dieselben ist eben-
falls, wie bei Garnier, auf 24 Stunden zusammengedrängt.
Die Charaktere sind alle von der idealen Höhe, auf die
sie die luftige Phantasie des italienischen Dichters stellte,
herabgesunken zum gewöhnlichen Niveau von Bühneuintri-
^) La trag, frang., S. 218,
— 157 —
ganten. Das Liebespaar ist von gegenseitigem Mißtrauen
erfüllt (vgl. Akt III, S. 2 u. 3), Marphise mißtraut der
Verlobten ihres Bruders^), Doralice verleumdet Roger,
den Bräutigam ihrer Herrin®); nur Leon wird uns vom
Dichter als ein Held geschildert, für den wir Bewunderung
liegen können. So legt er ihm gleich am Anfange des
Stückes (2. 8z. des 1, Aktes, S. 5) folgende stolze Worte in
den Mund:
<Viennent tous ces Qnerriers, dont la haute vaittance
Ä remply VUnivers du renom de la France,
QuHls ni'osent disputer le nom de vostre Epoux,
Ferme et sans m^etonner, je les attendray tous?-»
Später (Akt II, 1, S. 22) schildert Th. Corneille diesen
Helden mit folgenden Worten :
€Leon est un Gtterrier, qui fameux, redoutabkf
Avant qus de ceder sera de tout capable.
Son amour sans espoir^ sHl ne triomphe pasy
En depit de luy-mesme animera son bras,^
Als endlich Leon am Schlüsse des Stückes Bradamante
die Mitteilung macht, daß nicht er, sondern Koger im Kampfe,
gesiegt habe, schließt er mit dem stolzen Verse:
tCPest ainsi que Leon se venge düun Rivah.
(Akt V, 3, S. 70).
Stil und Sprechweise sind völlig unabhängig vom italieni-
schen Vorbild ; Corneille's Sprache ist die in den Dramen der
nachklassizistischen Zeit übliche: ihr Vorbild sind Pierre
Corneille und Racine.
Nach dem eben Gesagten kann unser Urteil über das
Stück nur ein ungünstiges sein: Die Veränderungen, die
Th. Corneille an seinem dem Ariost entlehnten Stoffe macht,
sind durchgehends als Verschlechterungen anzusehen; die
Charaktere aber, ob nun im Vergleiche zu denen im Ort. für,
oder für sich betrachtet, sind uninteressant, weil ihnen allen
*) Vgl Akt J, 4; A. II, 2; A. III, 4.
») Vgl Akt J, 1,
^ 158 --
der heldenhafte Zug fehlt, und \veil wir von einer inneren
Entwicklung derselben nichts sehen können.
Nicht viel besser lauten die Urteile anderer Forscher.
Die Brüder Parfaict, die den Dichter im allgemeinen sehr
günstig beurteilen ^), bezeichnen das Stück als verfehlt, haupt-
sächlich deswegen, weil der Stoff nicht interessant genug
sei.-) Dieser Grund mag gelten für die Zeit des nüchternen
18. Jahrhunderts, in welchem die Brüder Parfaict schreiben,
nicht aber für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts,
wo derlei romantische Stoffe immer noch als anziehend
erschienen. Leris meint, daß das Stück mehr Erfolg gehabt
hätte, wenn Th. Corneille sich nicht so eng an Ariost an-
gelehnt hätte, da Kämpfe zwischen Frauen und Männern
nicht mehr nach dem Geschmacke seien. ^) La Porte et
Cham fort werfen ihm vor, daß er Garnier benützt habe; das
Stück sei verfehlt wie alle anderen.*) Der erstere Vorwurf,
daß Garnier ein Vorbild Corneille's gewesen sei, ist entschieden
zurückzuweisen. Keine Spur vom Einflüsse dieses Dichters ist
in Corneille's Bradamante zu finden. Als das schwächste von
allen Stücken des Dichters bezeichnet es Mouhy in seinen
Tablettes, ^) La Harpe erwähnt zwar die Bradamante nicht,
charakterisiert aber Corneille's Tragödien ganz allgemein:
« On trouve daiis ses tragedies des heautis de sentiments^ des sitnations
qiii entrawenty un pathetique attendrissant, La versification en est
lache et soin-efit mcmrecte,y>^) Michaud's Urteil schließt sich
nahezu wörtlich an die Kritik Beauchamps' und der Brüder
Parfaict an. Die Grande Encyclopedie lobt die
Stücke Th. Corneille's wegen ihres kunstvollen Aufbaues,
tadelt aber den gekünstelten Stil; die „Bradamante" wird
') Hist, Bd. VIII, 344 ff\
*) Hist, Bd. XIIIj 429 : «La principale action . . . est fondee sur
une generosite romanesquCj qui ne peut interesser ni le cceur ni Vesprit
des gens senses.»
') Dict.j S. 65. — Leris schreibt hier wörtlich das Urteil Beattch.''8
aus (s. Eech.j 2. Teil, S. 199: «On reprocha ä Vauteur de s'etre trop
assujetti ä suivre VAriostey>).
*) Dict, Bd. J, 183.
^) Tablettes, S. 39.
*) Cours de litt. I, 605.
— 169 —
direkt schlecht genannt.^) BerDage, welcher in seiner Studie
über Garnier auch auf das Corneille'sche Stück zu sprechen
kommt, stellt es weit unter G-arnier's Bradamante.^) Reynier
glaubt, daß Th. Corneille besser getan hätte, wenn er dieses
elende Machwerk überhaupt nicht veröffentlicht hätte, und er
fertigt dasselbe mit ein paar Zeilen ab.^) Geiger end-
lich übt die denkbar schärfste Kritik an den Stücken des
jüngeren Corneille, indem er sagt: „Voll von Unmöglich-
keiten, angefüllt mit erlogenen Gefühlen, mit hochtrabenden
Redensarten, ohne eine Spur von Charakterentwicklung; die
Mache ist fast in allen Stücken dieselbe ; der Held ein kühner
Kriegsmann, Verwandlung des Helden, Empörung und Stillung
des Aufstandes, Außer dem Helden die edelmütige Fürstin
der Inbegriff der Zärtlichkeit nach den Regeln des Pre-
ziosentums." *)
Vielleicht angeregt durch die Bradamante Corneille's,
schrieb der zu seinerzeit sehr berühmte Librettist Charles
Roy 1707 eine lyrische Tragödie Bradamante % welche von
dem weniger bekannten Komponisten Lacoste in Musik . ge-
setzt wurde.®) Wir haben bereits weiter oben gesehen, daß
di« französische Oper italienischen Ursprungs ist, daß jedoch
das französische Ballett eine gewisse Ähnlichkeit mit jener
hatte, indem beide mehr oder minder dekorative Zwecke ver-
folgten. Allmählich verbanden sich diese beiden Gattungen,
die ganz verschiedener Herkunft sind, und erfüllten vor allem
^) Bd. XIL 997,
^) Etüde 8. B. Garnier j S. 184: «Ce n'est pluß la Bradamante de
VArioste^ c'est une composition de faniaisie oü les noms seuls et quelques
incidents rappellent Vauteur original. Ce n'est plus Vaccent heroi'que, ou
les pdntures de mceurs si comiques qui fönt le merite de Garnier. C^est
un pele-mele de situ^tions forcies^ de froides conversations qui Stent ä
cette histoire tout son intiret et toute sa veriti. La piece de Garnier
est de heaucoup preferable.»
») Th. Corneille, S. 297.
*) Th. Corneille, Nation, X, 770.
*) Roy lebte von 1683 — 1764. Nähere Angaben über sein Leben
finden sich bei Mich au d (Biogr. univ., Bd. XXXVI, 666); Didot,
Nom. Biogr. gen., Bd. XLII, 805 f.; La Gr. Enc, Bd. XXVIII, 1100.
^) Clement u. Larousse {Dict. lyrique, S. 168) geben der Musik
von La Coste die Schuld an dem Mißerfolge der Bradamante,
— 160 —
die Aufgabe, Auge und Ohr des Zuschauers zugleich zu er-
götzen. Für den Librettisten erstand daher vornehmlich die
Pflicht, einen Stoff zu finden und zu bearbeiten, dem deko-
rative Seiten abzugewinnen waren, oder der bühnendekorative
Einlagen gestattete, wie großartige Landschaftsbilder, über-
natürliche Wesen, z. B. Geister, Kobolde, verzauberte Per-
sonen; femer Kämpfe und Tänze, Hochzeits- und Leichen-
züge. Götter und Helden, Fürsten und Schäfer, Zauberer
und Feen waren unumgänglich notwendige Requisiten des
musikalischen Dramas. Der Schauplatz des letzteren durfte
nicht, wie in der klassizistischen Tragödie, das prunklose Ge-
mach eines königlichen Palastes oder, wie in der Komödie,
ein einfaches Familienhaus sein, sondern mitten in der Er-
habenheit und Majestät der jungfräulichen Natur; eine tiefe
Waldschlucht mit emporragenden Baumriesen und sprudelnden
Quellen, umschlossen von moosbehängten Felsenwänden, ein
malerisch lebendiger Seehafen mit der Musik des rauschenden
Wassers und dem Mastenwald im Hintergrund, ein Raum im
finstern, freudelosen Hades mit all seinen Schrecknissen, mit
Blitz und Donner und höllischen Spukgestalten — , das waren
die Szenen, in welche der Operndichter seine Handlung ver-
legte, und welche der Regisseur mit bewunderungswürdiger
Kunst vor den entzückten Augen des Publikums aufbaute. ^)
So wurde hier der Schwerpunkt, der in der Tragödie
auf Handlung und Charakteren beruhte, auf die Musik
und Dekoration hin verschoben^); wir dürfen deshalb bei
*) Vgl. Chouquet {Hist. de la musique dramatiquey S. 113) definiert
die Oper jener Zeit als eine «tragidie reposant sur une donnie de la
fable ou fondSe sur le merveUleux^ jeu des machineSj iclat pomp&uoi öm
specta^le et danses introduites dans chaque acte». Eine ähnliche De-
finition der damaligen Oper gibt N uitt er (Les origines de Vop.^ S.XIIIf,)^
wenn er sagt: « meler ä Vaction les divinites de la fable ou lesfees
de VArioste; revetir les dieux et les heros, les princes et les hergers
de pandcheSj de broderies c^est ce qu^on a appeli Vceuvre par excellence :
V Opera!»
^) Ähnlich sagt Grodefroy {Poetes du 18^ sieclCj S. 312 ff.): ^LHm-'
portante question dans les opiras du 18« siede, &etaient la musique, les
danses, les chants, la mise en scene, les decorations, les costumes, les ma-
chines de tous genres quHls necessitent.»
— 161 —
der Beurteilung des Libretto nicht den Maßstab der Tra-
gödie anlegen^ da ja der Textdichter in erster Linie den An«
forderungen jener beiden Faktoren entgegenkommen mußte
Eine kurze Inhaltsangabe der Bradamante wird uns einen
Begriff von dem Gesagten geben.
Die Oper eröffnet mit einem Prolog, oder vielmehr einem
Vorspiel, das vor dem in einem Walde gelegenen Zauber-
schlosse Athlante's seinen Schauplatz hat. Der alte Zauberer
ist gerade im Begriffe, für seinen Liebling Roger unzerstörbare
Waffen zu schmieden, als Melisse ihn dabei überrascht und
sein Vorhaben für unnötig erklärt, da sie selber Roger ihren
Schutz angedeihen lassen wolle. Auf einen Wink der beiden
Zaubergestalten verschwindet der Palast und Roger's Bild,
das auf der Bühne sichtbar ist, wird von vier Genien fort-
getragen.
Akt I: Bradamante wünscht sehnlichst ihren Geliebten
Roger herbei, da ihr „ehrgeiziger" Vater sie zur Ehe mit
Leon zwingen will; vergebens sucht Hippalque, ihre Ver-
traute, sie zu trösten. Plötzlich jedoch kommt Melisse im
Zauberwagen, von ihrem Spukgefolge begleitet, und ruft dem
unglücklichen Mädchen folgende Worte zu:
Bradamante, ce jour finira tes alarmes,
A Vamant que tu crains, tu devras ton bonheur,
Pour un cojnbat fameux prepare ta valeur;
Le guerrier qui pourra te vaincre par les artnes,
Est le seul digne de ton coeur . . .
(Akt I, 4, S. 18.)
Dieses Orakel versetzt die so Angeredete in große Be-
stürzung, da sie weiß, daß heute noch ihr Zweikampf mit
Leon stattfinden wird.
Akt II und III: Leon und Roger haben ihre Fahrt von Kon-
stantinopel beendet und betreten eben den Hafen von Marseille,
der erstere voll Zuversicht auf den nahen Sieg, den Roger
an seiner Statt über Bradamante erringen und der ihm dieses
schöne Mädchen für immer sichern soll, der letztere in trost-
lose Betrachtungen über sein eigenes Schicksal versunken.
Leon beeilt sich, seine zukünftige Gattin zu begrüßen und
ihre Liebe zu gewinnen, doch diese weist ihn stolz ab, und
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. H
— 162 —
erklärt, nur der Gewalt der Waffen weichen zu wollen.
Herzlich willkommen dagegen heißt sie ihren Geliebte q, dem
sie erzählt, welch' sonderbares Orakel ihr von Melissen mit-
geteilt worden sei. Aber auch Leon erhält davon Kunde
und ist sehr bestürzt darüber, da er nun eigenhändig gegen
Bradamante kämpfen muß. Da eilt sein Freund in den Wald,
um dort seinem Leben ein Ende zu machen, da Bradamante
ihm nun völlig verloren zu sein scheint. In seiner Ver-
zweillung erscheint Melisse, überbringt ihm eine Rüstung,
welche Leon's Waffengewand vollständig ähnlich sieht, und
fordert ihn auf, Leon im Kampfe mit Bradamante zuvor-
zukommen; denn
.... ttromper les Rivanx dont on est alaj-me,
Cest im doux mystere
Que VAmour eclaire
Avec son flambean,
Et qii'il Cache ä leurs yevx avec son handeau,'>
(Akt III, 4, S. 39.)
Akt IV : Roger, welcher seinem Freunde zuvorgekommen
ist, hat den Sieg über die Geliebte errungen ; als nun Leon auf
dem Kampfplatz erscheint, hört er bereits den Siegesjubel
der Menge und fragt vergebens, wer der Sieger sei. Dieser
jedoch, der kein anderer als Roger ist, wird sich jetzt bewußt,
daß er den Freund getäuscht hat und wartet mit Unruhe auf
dessen Kommen. Leon wird nun von Melissen benachrichtigt,
daß er sich nur dann Hoffnung auf Bradamantens Hand
machen könne, wenn er den ihm zuvorgekommenen Gegner
besiege.
Akt V: Roger's Schmerz über seinen Verrat steigert sich
immer mehr. Er will nicht länger mehr leben ; schon legt er
Hand an sich selbst, als Bradamante naht und bald nach
ihr Leon, der nunmehr in seinem Freunde den Rivalen er-
kennt, welcher ihn verraten hat. Im ersten, aufwallenden
Zorne will er ihn töten, aber plötzlich besinnt er sich anders :
^Non, je veux ovblier que tu m^as pü trahiVf
Roger j je faimay trop pour te pouvoir hair,*
(Akt V, 4, S. 5.)
— 163 —
Nach diesen edlen Worten verwandelt sich plötzlich auf
das Geheiß Melisse'a die Einöde in einen herrlichen Garten ;
die Chöre und Genien bringen dem glücklichen Brautpaare
Eoger-Bradamante ihre Wünsche dar.
In diese Haupthandlung sind zahlreiche lyrische Einlagen
verflochten, die von den verschiedenartigsten Chören vorge-
tragen werden ; außerdem treten zwischen den einzelnen Akten
noch besondere Chöre auf. ^)
Fragen wir nun nach dem Verhältnis der Oper zur italieni-
schen Quelle, so sehen wir auf den ersten ßlick, daß tief
einschneidende Veränderungen in der ersteren vor sich ge-
gangen sind, indem nicht bloß die Bradamante-, sondern
auch die Athlante-Episode benützt worden ist.^) Der ersteren
sind entlehnt Bradamante's Klage um den fernen Geliebten
(Akt I, 1 = Orl. für., C. XLV, st. 96 ff.), Leon's Bitte an
seinen Freund, an seiner Statt zu kämpfen (II, 1 = Orl. für.,
C. XLV, st. 57), Roger's Klagen in der folgenden Szene
^) Damit man sich einen Begriff bilden könne von dem Personen-
apparatj den eine französiscJie Oper erfordert, wollen wir ein Verzeichnis
all dieser Nebenpersonen in Roy^s Bradamxinte geben. Außer den in
der Analyse genannten Bollen treten noch auf:
TJne suivante de Melisse,
TJn suivant de Melisse,
La Statue de Merlin {wird im Verzeichnis bei Boy aufgeführt),
Troupe d^Amants et d'Amantes Enchantes,
Troupe de Grecs et de Suivants du Prince de Grece,
Troupe de Fies et d^Esprits sous la Figure de Guerriers,
de Guei-rieres et de Cyclopes apportant des armes ä Boger,
Un guerrier,
üne guerriere,
Troupe de Peuples de Marseille, de Bergers et de Bergeres,
Deux Marseilloises,
ün Marseillois,
TJn autre Marseillois,
Troupe de Genies, sous des formes agreables,
Un Genie,
Deux Heros,
Bemerkenswert unter den einzelnen Gruppen sind die Amants et
Atnantes enchantis, da sie eine Nachahmung der verzauberten Verliebten
auf Akinens Insel (0. VI, st. 33 ff.) zu sein scheinen.
«) Orl. für. C. IV, st. l—öl.
11*
— 164 —
(= 0. f., C. XLV, st. 68 — 61), seine erneuten Etagen nach
dem Zweikampfe mit Bradamante (Akt III, 3 u. Akt Y,
1 = 0. f., 0. XLV, St. 86 ff,), endlich das Wiedersehen der
beiden Freunde und Leon's Verzicht auf Bradamante (Akt V,
4 u. 5 = Orl für., C. XLV, st. 117 u. C. XLVI, st. 21 ff.).
Der Athlante-Episode ist der Prolog entnommen, in welchem
der alte Zauberer sich als Freund Koger's bekundet (Prolog
;= 0. f., C. IV, 1 ff., wo allerdings Athlante's Liebe zu Boger
so weit geht, daß er ihn in sein Zauberschloß sperrt, um ihn
vor den Versuchungen der Welt zu bewahren.); die Orakel-
szene (Akt I, 4) geht zurück auf den 3. Gesang im Orl. für,,
wo Bradamante, gleichfalls durch den Mund der Statue
Merlin's eine, allerdings verschiedene Prophezeiung erhält
{Orl. für., C. III, st. 11 ff.) Das Orakel selbst, und die Art
und Weise, wie es sich erfüllt, ist eigene Erfindung der
Librettisten.
Die Charaktere der Oper haben eine auffällige Ähnlich-
keit mit den Helden, wie Ariost sie uns vorführt. Ihre stete
Verbindung mit übernatürlichen Wesen, das fortwährende
Sichbewegen in großen Gedanken, die lyrische Stimmung, die
in ihnen vorherrscht, ohne jedoch dem Tatendrang Abbruch
zu tun, endlich der Mangel jeglicher psychologischen Ent-
wicklung dieser Charaktere — , alle diese Eigenschaften sind
bereits in der italienischen Quelle Roy's enthalten. Nur Koger's
Charakter ist in der französischen Oper ganz unwürdig ent-
stellt; der Betrug an dem Freunde, wenn auch durch ein
höheres Wesen (Melisse, s. Akt III, 4) gebilligt und ver-
anlaßt, ist ein zu großes Schandmal an Roger's Ehrenschild,
als daß wir diesem Helden noch dieselbe Sympathie schenken
könnten wie dem Ruggiero des Ariost. Im großen und ganzen
aber hat Roy jenen wunderbaren lyrischen Ton getroffen, der
über den Oii, für. ausgegossen, und der so schwer nachzuahmen
ist; seine Bradamante kann neben Garnier's gleichnamiger
Tragödie als die gelungendste Dramatisierung der Bradamaute-
Episode betrachtet werden.
Der Wert des Stückes ist bisher von den Forschern ver-
schieden beurteilt worden; dagegen wird Roy's dichterisches
Talent nahezu übereinstimmend anerkannt, P alis so t rühmt
— 165 —
seine außerordentliche Befähigung für die Oper, und sagt, daß
man einzelne Stellen aus seinen Operntexten allgemein aus-
wendig lerne.^) LaPorte et Cham fort dagegen bezeichnen
die Oper Roy's, wie alle seine übrigen lyrischen Tragödien
als verfehlt.-) Weniger günstig urteilt über Roy La Harpe»
der ihn unbegabt nennt und besonders seine Verskunst tadelt.^)
Der Verfasser der Trois siecles liUeraires lobt Roy besonders
als gefürchteten Satiriker seiner Zeit, der sich sogar mit seinem
beißenden Spotte an Voltaire und an die Mitglieder der
Academie fran^aise wagte. ^) InMichaud's Biographie uni-
verselle^ welche auch eine ausführliche Lebensbeschreibung
unseres Dichters enthält, werden, wie bei La Harpe, die
Verse als schwerfällig beanstandet, dagegen des Dichters
Gestaltungskraft und Vornehmheit, die manchmal bis ins Er-
habene sich steigere, willig anerkannt.*) Chouquet*) hält
dagegen wenig von unserem Dichter ; seine Bradamante nennt
er tun autre ouvfage malheureiixj , während andererseits in der
Grande Encyclopedie behauptet wird, daß diese Oper zu den
besten lyrisch-dramatischen Erzeugnissen der frz. Bühne ge-
höre.') Clement endlich betrachtet Roy's Bradamante als
verfehlt, scheint aber, wie bereits bemerkt, die Schuld z. Teil
auf die Musik zu schieben.®)
^) MimoireSy Bd. II, 272 — 275: *ll avait des talents trhs disüngues
pour le genre de V Opera.»
«) Biet, Bd. J, 184.
') Cours de litt.f Bd. II, 385: «On s'apergoü que cet ecrivain dont
les productions sont Ms nombreuseSj eut besoin, de beaucoup de travail
pour vaincre la natwre qui ne V avait pas fort heureusement organise. Sa
versification est d^ordinaire penible et dure, qihelquefois meme etrangementy>
*) Bd. IV, 158.
*) Bd. XXXVI, S. 666: «La versification est presque toujours
depourvue de gräce et de facilite, mais eile ne manque ni de force^ ni de
noblesse et quelquefois le poete s'est ilevi jusqü'au sublime.»
*) Histoire de la mus. dr., S. 331.
") Bd. XXVIIl, 1100: «II avait peu de facilite et sa versification
est pinible; mais il ne manquait ni de talent, ni d'esprit, peu vif d'ailletirs
et porte ä Vepigramme.»
^) Dict lyr., S. 199: «LHllustre ni^ce de Charlcmagne ne rtvLSsit
pas mieux ä V Opera qu^au Theätre-Frangais. Elle 71' eut pas d'ailleurs,
pour se faire accepter, une musique digne d'elle.»
— 166 —
2. Die Roland-Episode.
Unter Roland- Episode verstehen wir hier jenen Teil des
OrL für,, in welchem die Ursachen der Raserei Roland's,
diese selbst, und die unmittelbaren Folgen derselben erzählt
werden; diese Episode wird behandelt in C. XIX, ßt. 17 — 43,
C. XXIII, st. 67—136, C. XXIX, st. 40—74, 0. XXX,
St. 1—16.
Als erstes französisches Stück, welches diese Episode
dramatisch behandelt, ist ein Roland furimx zu nennen,
Velcher 1581 zu Le Havre aufgeführt wurde ; die Vorstellung
dauerte zwei Tage, die Schauspieler setzten sich aus Schülern
zusammen, welche nach der Vorstellung die Stadt wieder
verließen, um anderwärts zu spielen. Das Stück scheint
niemals gedruckt worden zu sein ; jedenfalls haben wir keine
weitere Nachricht von ihm. Es ist nur im Tagebuch des
Michelle Riebe ^) und neuerdings von Laoson erwähnt worden.^)
Ein weiteres Stück, das wahrscheinlich auch die Roland-
episode behandelt, wird von Lepage in seinem Theätre en
Lorraine erwähnt.^) Der Titel desselben, Zerbin et MMor^
kann nicht ganz richtig sein, da diese beiden Personen im
Ariost'schen Epos nichts miteinander zu tun haben, oder man
müßte annehmen, daß der Verfasser des Stückes seine Quelle
bedeutend umänderte. Es wurde am Karneval 1614 zu
Remiremont in Lothringen von einem gewissen Vichard
und seiner Truppe aufgeführt, wofür sie „8 Francs" von der
Stadt erhielten. Weitere Nachrichten über diese Tragödie
besitzen wir nicht.
In ßrunet's Manuel *) und in der Grande Encyclopedie *)
wird in dem Artikel über Ch. Bauter gesagt, daß diesem
Dichter auch eine 1614 erschienene Tragödie zugeschrieben
*) Journal de Michel le Bichcj S, 344.
*) J^tudes 8ur les orig. d l. trag, class. (Bev. d^Hist. litt. d. l. Fr,,
1903, S, 207).
') Le Theätre en Lorraine, S. 245.
*) Manuel du libr., Bd, III, 1590.
*) La Gr. Ena., Bd. 7, 910.
— 167 —
werde, welche betitelt sei «Le« amours d^Angelique et de
Medorj.^) Wir konnten weder die Quelle der Gr. Encyd.,
noch das Stück selbst unter Bauter's Werken entdecken.
Dieser Behauptung der Gr. Encycl. scheint auch Beau-
-champs' Angabe über das Leben Bauter's zu widersprechen;
er sagt nämlich von diesem: Bauter promet de passer de
Limitation des Italiens (nach dem von ihm verfaßten Stücke
La 7no9't de Boger) ä des pieees de sa propre invention; on croit
qu'ü s'en est ienu d la promesse,^ Nun besitzen wir aus dem
Jahre 1620 eine Tragödie, die denselben umfangreichen Titel
hat und in dem nämlichen Verlage und Verlagsorte erschienen
ist. Diese Amours d^Angehque et de Medor sind aber von
Coignee de Bourron, einem ziemlich unbedeutenden
Dichter, von dem wir noch eine Pastorale Iris besitzen.*).
Wir werden also nicht fehlgehen, wenn wir das von
Brunet und in der Or. Enc. erwähnte Stück mit der Tragödie
des Coignee de Bourron für identisch und für eine erste
Ausgabe dieses Stückes halten.
Wir lassen zunächst eine Analyse von Coignee de
Bourron's Tragödie folgen.
Akt I : Angelika sitzt am Krankenlager des verwundeten
Medor und zählt, während dieser in sanftem Schlafe ruht,
alle seit ihrer Ankunft in Frankreich erduldeten Leiden
aof, schildert dann ihre Flucht aus dem Christenlager, ihr
*) Der vollständige Titel lautet: Tragedie frangoise des Amours
d^Angelique et de Medor avecques les fu/ries de Roland ei la mort de
Sacripant, le roy de Sercacye et plusieurs heaux effets contenus en ladite
tragedie tiree de la Bioste {sie !). Troges^ Nie. Oudot, 1614, 8^ {s. Brunet,
Manuel, ihd).
') Über den Sieur H. D. Coignee de Bourron fehlen genaue bio-
graphische Angaben. Beauchamps (Bech. II, 91), die Br. Parfaict
{Hist, Bd, IV, 331), und die Anecd, dram. {Bd. II, 300, Nachtrag)
erwähnen zwar unser Stück, geben aber keine Nachricht über den Autor.
Die neueren biographischen und bibliographischen Werke führen Coignie
de Bourron überhaupt nicht mehr an. Vgl. Michaud, Didot, LaGrr.
Enc, Querard, Brunei und Vapereau, wo seiii Name nicht zu
finden ist. "Weinberg {Das franz. Schäferspiel, S. 89) nennt die Iris
des Coignee de Bourron ein unbedeutendes Machwerk, scheint aber über
den Verfasser nichts zu wissen.
— 168 —
erstes Zusammentreffen mit Medor, bis sie durch dessen
Klagen in ihrer Erzählung unterbrochen wird. Durch die
rasenden Schmerzen seiner Wunde bis zur Verzweiflung ge-
trieben, bittet Medor seine Pflegerin, ihn zu töten, doch diese
sucht ihn zu beruhigen und führt ihn an eine Quelle. In-
zwischen trägt ein Schäfer philosophische Tiraden über das
Elend in der Welt und über die Gottlosigkeit der Menschen
und besonders der Frauen vor; doch scheint er nicht so
grimmig zu sein, wie man aus seinen Keden schließen könnte,
denn, als Angelika und Medor wiederkommen, bietet er ihnen
gastfreundlich seine Hütte als Wohnung an.
Akt II : Medor ist wieder völlig genesen, und seine treue
Pflegerin ist seine Geliebte geworden ; glückselig durchwandeln
sie die prächtige Gartenlandschaft, schneiden ihre Namen in
die Rinden der Bäume ein und entwerfen tausend Pläne für
ihre Zukunft. Weniger glücklich ist Sakripant, da auch er
Angelika glühend verehrt, aber kein Gehör bei seiner Ge-
liebten findet.
Akt III: Roland hat das nämliche Unglück zu beklagen
wie Sakripant ; er muß sich selber vorwerfen, daß er das Glück
aus den Händen entschlüpfen ließ, als er vor der großen
Maurenschlacht Angelika dem alten Naymes übergab; um sein
Unglück voll zu machen, will es das Verhängnis, daß Roland's
Blick sich auf die verräterischen Schriftzeichen, welche die
Liebenden in die Bäume eingeschnitten haben, richtet, und
nun fällt es wie Schuppen von seinen Augen, und er erkennt,
daß Angelika ihn betrogen hat. Wütend stürzt er sich in
das Haus des Schäfers.
Akt IV : Dieser kann aber nur berichten, daß die beiden
Liebenden das Zimmer und das Lager in größter Unordnung
für immer verlassen haben:
€Et au Heu de (luvet, c^estoient charbons dedans:^,
Roland wütet und rast auf der Bühne, während der Schäfer
jammernd zur Seite steht.
Akt V: Sakripant ist immer noch auf der Suche nach
Angelika; durch einen Boten erfährt er, daß Roland in
Raserei verfallen, und daß seine Angebetete mit Medor ver-
schwunden ist. Der Bote hatte nämlich von der schaden-
— 169 —
frohen Angelika den Auftrag erhalten, ihr und Medor's Bild
überall vorzuzeigen. Sakripant will den Anblick desselben
nicht überleben, sondern tötet sich aus Verzweiflung. Der
Bote verläßt den Platz mit den Worten:
tHeureux qui rCest atteint de Vamoureux soud^.
Damit endet das Stück.
Der Verfasser der Tragödie folgt ziemlich genau der
Handlung im Orl. für. Im I. Akt (OrL für., C. XIX, st. 26
u. 27) finden sich folgende Abweichungen: die Erzählung
Angelika's von ihren früheren Erlebnissen findet sich bei
Ariost nicht an dieser Stelle; Anhaltspunkte dazu gibt OrL
ftir, 0. I, st. 5 ff. ; doch ist es dort nicht Angelika's Bruder,
der sie von Cathay nach Frankreich bringt, sondern Roland.
Der Schäfer ist bei Ariost (Orl. für., C. XIX, st. 27) ver-
heiratet und Familienvater, während er in unserem Stücke
unverheiratet ist; seine philosophische Rede ist Zutat des
französischen Dichters.
Im IL und in den folgenden Akten schiebt Coignee de
Bourron unbegreiflicherweise die Rolle des Sakripant ein, der
hier bei Ariost nicht auftritt. Die Liebesszene im IL Akt
baut sich auf st. 36 des 19. Gesanges. Im III. Akte be-
ruhen die Klagen Roland's um die entflohene Angelika auf
freier Erfindung, das übrige ist geschildert nach OrL für,
C. XXIII, st. 101 — 116. Der nächste Akt dagegen folgt
fast ganz dem italienischen Epos; nur fällt in der Tragödie
Roland sofort nach dem Verlassen der Hütte in Raserei,
während er bei Ariost noch eine Nacht umherirrt, ehe der
Wahnsinn seinen Geist umdunkelt (O/. für., C. XXIII, st. 16 ff.) ;
auch sieht im Epos nicht der Schäfer allein, sondern es sehen
mehrere Hirten den Wutausbrüchen Roland's zu {OrL für.,
C. XXIII, St. 136). Der V. Akt ist völUg frei erdichtet.
Zeigt schon die Analyse des Stückes, daß dem Dichter
jeder Sinn für den richtigen Aufbau einer Handlung fehlt, so
tritt Coignee's Schwäche noch mehr in der Zeichnung der
Charaktere hervor. Nirgends eine Entwicklung derselben, nir-
gends eine Beziehung zwischen Charakter und Handlung,
keine Gegenüberstellung einzelner Personen. So trägt z. B.
— 170 —
Sakripant in anderen Worten genau dasselbe vor wie Roland;
beide lieben Angelika, sind also Rivalen; aber der Dichter
denkt nicht daran, sie einmal einander gegenübertreten zn
lassen, was das Interesse ungemein erhöht hätte. Geradezu
komisch wirkt die Rolle des Schäfers, durch dessen Mund,
wie es scheint, Coignee de Bourron seine eigene Weltan-
schauung verkünden will. So nimmt sich folgende Stelle
über die Erschaffung der Frau im Munde des Schäfers höchst
sonderbar aus:
«... Quand la flamme divine
Fut desrohe au Ciel par la main inhumaine
Du laiTon Promeiheej Jupiter confessant,
Ne voulid envoyer sur iceluy ä V instant
ün foudre foudroiant^ ains une mve flamme^
Lächee dans les yevx d^une maligne femme,
Les ouvrages mignards de Minerve elVapprit^
Pifis de Venus la belle une grace eile prini.
Et pour r komme lounir nous eyivoya la femme,^
Die einzige, poetische Stelle, die sich in unserer Tragödie
findet (Akt II, S. 13), ist eine freie Nachahmung des ita-
lienischen Vorbildes. Es ist dies die von Medor gedichtete
Inschrift an der Grotte, wo Angelika und Medor ihr erstes
Liebesglück genossen haben:
« Vous preZf vous arhriceaux qui e^tes en la plahißf
Ou lä vous omhragex la coulante fontaine
Ou je trouvay m^mour que jamais les troupeaux
Des chevres et des boucs ne broutent ros rameaux
Que jamais le vent froid de vos feuilles si vertes
Ne vous rendent en hiver chenues et decouvertes,
Que jamais le bestial de vous, 6 ondelettes
Ou lä je vy jwemier mes douces amourettes
Ne troublent votre cours, vos replis tourrioyans
Mais satis fin vous alliez vos couleurs ondoyans,>
Man vergleiche damit die berühmte Schilderung im OrL
für., C. XXIII, st. 108 und 109:
^Liete piante, rerdi herbe , limpide acque^
Spelunca opaca, e di fredde ombre grata,
— 171 —
Dovt la hella Ängelicaf che naeque
Di Galafron f da molti invano amata,
Spesso nelle mie braecia nuda giacque; ,,
Della commoditä che qui trCe data,
lo povero Medor ricompensarvi
Ualtro non posso, che d'ognor lodarvi:
E di pregare ogni Signore amunte,
E Cavalieri e Damigelle, e ognuna
Persona o paesana o viandantCj
Che qui sua volontd meni o Fortuna;
CK aW herbe, aWmnbra, aW antroy al rio, alle plante
Dica: Benigno abbiate e Sole, e Luna,
E delle Ninfe il coro, che proveggia,
Che non condtica a voi pastor mai greggia,i^
Mit richtigem Gefühl hat der französische Dramatiker
die breite epische Schilderung kürzer zusammengefaßt; freilich
mußte dabei auch manch schönes Bild, das die Phantasie
Ariost's in sein Epos gezaubert hat, verschwinden.
Coignee de Bourron's Les amours d'Angelique et de Medor
sind, um zum Schlüsse zu kommen, ein äußerst schwaches
Theaterstück, das wohl nicht wieder der Vergessenheit ent-
rissen werden wird; es ist entschieden die am wenigsten ge-
lungene Dramatisierung einer Episode aus dem Orl, für.
Die einzigen Kritiker, die sich über den Wert des Stückes
äußern, sind La Valli^re^) und Mouhy^), und zwar be-
zeichnen beide es als sehr mittelmäßig.
Bekannter als das vorausgehende Stück ist Mairet's
€Roland furieux« , welcher 1640 im Drucke erschien , jedoch
l)ereit8 mehrere Jahr vorher vollendet und aufgeführt wurde.
Da das Privileg bereits am 23. Februar 1639 gegeben wurde,
müssen wir annehmen, daß unser Stück entweder im Jahre 1638
oder noch früher entstanden ist. Während Beauchamps^)
die Frage der Entstehungszeit nicht aufrollt, geben die Brüder
1) BibliotUque J, 527,
*) Abrege, Bd. J, 36 u. II, 51.
») Rech., 2. Teil, S. 113.
— 172 —
Parfaict als Datum der Vollendung und Aufführung des
Roland ftirietix 1636 an. ^) La Valli^re^), Goujet^),
und Niceron*), Baillet^) und Menage*) führen nur das
Druckjahr an, während La Harpe das Stück überhaupt
übergeht.') Mich au d erwähnt die Jahreszahl 1636 als Datum
der Vollendung und Aufführung *) ; Lucas®) Vapereau^^)
und Lotheissen^^) nehmen 1636 an. Vorsichtiger drückt
sich Dannheißer aus, der als bester Kenner von Mairet's
Leben gilt; er legt die Abfassung in die Jahre 1636 — 1638.^^)
Auf die Brüder Parfaict geht wieder die Grande Ency-
chpedie zurück, welche 1635 annimmt.^^) Rigal endlich glaubt
daß 1638 das richtige Datum für die Vollendung und Auf-
führung des Roland fiirieux sei.^*) Dieses Datum scheint auch
uns der Wirklichkeit am nächsten zu kommen, zumal kein Grund
vorliegt, weshalb der Dichter eine verhältnismäßig so große
Zwischenzeit zwischen Vollendung und Drucklegung hätte
vergehen lassen sollen.
In der Vorrede macht Mairet darauf aufmerksam,
daß neben der ßaserei Roland's noch eine weitere Episode
sich im Stücke finde, der Tod Zerbin's und Isabellens,
tde fagon qii^il est veritahle de dire qiHl contient une Tragedie et
une Tragicomedie tout ensemhle.^ Zugleich erklärt er, daß er
wohl die Einheit des Ortes, nicht aber die der Zeit be-
obachtet habe.
1) Hist du Th. fr., Bd. IV, 344.
2) Bihl. du Th. fr., Bd. II, 89.
3) Bihl. fr., Bd. XVIII, 179 ff,
*) Memoires, Bd. XXV, 244.
^) Bd, IV, 4. Teil, S. 253.
«) Anü'Baillet, Bd. I, 359.
"') Cours de litt, Bd. I, 461.
«) Bihl. imiv., Bd. XXVI, 163 ff.
») Hist, Bd. III, 279,
^0) Dict univ., S, 1309,
^') Gesch., Bd. I, 334.
^^) Studien, S. 110. — Später {s. Zur Gesch. d. Einheiten, ZfSp,,
Bd. XIV, S. 66) setzt er das Datum zicischen 1637 und 1638.
^3) Bd. XXII, 1010.
. '*) Hist de la litt fr. {p. p. Julkville), Bd. IV, 258.
— 173 —
Die nachfolgende Analyse soll uns zeigen, inwieweit der
französische Dichter seiner Quelle gefolgt ist.
Akt I : Roland erzählt, wie er Angelika nach der Mauren-
schlacht {OrL für, 0. I, 5 ff.) verloren habe und wie er nun
fürchte, sie könnte in die Hände eines ihrer Verehrer gefallen
sein. Plötzlich richtet sich sein Blick auf die von Medor in
die Rinde der Bäume eingeschnittenen Namen der beiden
Liebenden. Zwar ahnt schon jetzt der arme Betrogene, daß
Angelika ihre Liebe einem anderen geschenkt hat, aber erst
durch die Erzählung des Hirten, in dessen Hütte Angelika
und Medor die glücklichen Tage ihrer ersten Liebe verlebten,
erfährt er sein Unglück.
Akt II: Nachdem Roland im tiefsten Schmerze die
Wohnung des Hirten verlassen hat, wagt sich das Liebespaar
aus seinem Versteck, in das es sich bei der Ankunft jenes
Helden geflüchtet hatte. In seligem Glücke lustwandeln
sie in dem Hain; als Medor einen Augenblick forteilt, um
ein Messer zu holen, mit dem er sinnreiche Verse in die
Bäume einschneiden will, begegnet Angelika Isabellen, der
Geliebten Zerbin's, und beide erzählen sich ihre Erlebnisse.
Akt III: Als dann Angelika und Medor wieder in die
Hütte zurückgekehrt, und Isabella mit Zerbin allein im Haine
zurückbleibt, sehen die beiden an einem Baume Roland's
Waffenrüstung hängen , die gleich darauf der zufällig hier
vorbeikommende Rodomont unter Schmähreden gegen ihren
Besitzer sich aneignen will. Zerbin, dem Roland einst das
Leben gerettet hat, tritt dem prahlerischen Rodomont kühn
entgegen ; es kommt zum Kampfe, in dem der edle Zerbin nach
kurzer Gegenwehr fällt; mit einem Schmerzensschrei stürzt
sich Isabella auf den geliebten Leichnam, und kann erst durch
das Erscheinen eines Eremiten von demselben entfernt werden.
Der Einsiedler bindet den toten Zerbin auf sein Reittier und
verläßt mit der trauernden Isabella die Unglücksstätle.
Akt IV : Kaum hat Angelika ihr Schlafgemach verlassen,
80 findet sie, daß Medor sich bereits entfernt hat. Schon fängt
sie an unruhig zu werden, als Berenice, die Gattin des Schäfers,
die Nachricht bringt, ein Mann habe entsetzliche Verheerungen
— 174 —
im Walde angerichtet; Angelika ahnt, wer der Unheilstifter
ist; sie bangt um ihren geliebten Medor, den sie bereits
für verloren hält, während dagegen der Schäfer und seine
Frau sich in komisch -zärtlicher Weise liebkosen. Von einem
Pfeile an der Schulter verwundet, kommt Medor inzwischen
zurück, und beschließt mit seiner Geliebten die sofortige Ab-
reise. Weitere Nachrichten über das tolle Beginnen Koland's
treffen io der Hütte des Schäfers ein, so u. a. daß ein Ritter
auf einem Pferde vom Himmel gestiegen sei mit der Er-
klärung, Roland habe seinen Verstand verloren, und wenn ihm
etwas Leides geschehe, so seien die Schäfer (!) dafür ver-
antwortlich. Rodomont, der bei seinem ersten Auftreten
über die Untreue Doralice's trostlos war, hat sich nun sterblich
in Isabella verliebt, deren Bräutigam er soeben getötet hat;
vergebens sucht ihn Aronthe, sein Diener, durch ein paar
Flaschen Wein, die Rodomont, dem Koran zutrotze, bis auf
den Grund leert, zum Weiterritt nach Paris zu bewegen,
wohin ihn ein Brief des Maureukönigs Agramant, der eben
diese Stadt belagert, einlädt.
Akt V: Bald gelingt es Rodomont, seine neue Geliebte
einzuholen , und sie mit seinen Liebes beten er ungen zu er-
belästigeu. Isabella will jedoch lieber sterben als sich diesem
schrecklichen Menschen ergeben ; sie erklärt daher dem Ritter,
sie besäße eine Salbe, die jedermann unverwundbar mache,
und fordert ihn auf, die Wunderktaft derselben an ihrem
eigenen Leibe zu erproben. Rodomont, der bereits vom Weine
sinnlos betrunken ist, geht in die Falle ; zu spät sieht er, wie
nach seinem Schwerthiebe Isabellens Haupt vom schönen
Leibe sich löst und wie er so zum Mörder seiner eigenen
Geliebten wird; zu spät verflucht er seine Trunkenheit, die
ihm den Verstand geraubt hat. Am Ende des Stückes sehen
wir noch Roland, wie er eben in seiner Raserei einen Hirten
ergreift und ihn weithin schleudert (Bühnen Weisung: Le
jetant par-dessus la moniagne ^)). Plötzlich überfallt ihn eine
große Müdigkeit, er sinkt zu Boden und schläft ein. Da
kommt ihm Heilung von seinem Freunde Astolf, der ihm vom
^) Akt 7, 4, 8. 101.
— 175 —
Himmel seinen verlorenen Verstand wiederbringt und der ihn
sodann auf seinem geflügelten Rosse gen Paris führt.
Unsere Inhaltsangabe zeigt, daß wir es mit zwei Haupt-
handlungen zu tun haben, die nur lose durch das einmalige
Zusammentreffen von Angelika und Isabella verknüpft sind.
Beide Handlungen finden sich allerdings auch bei Ariost vor,
doch folgt dort alles nicht so rasch aufeinander, auch erlaubt
sich Mairet eine Anzahl von Änderungen und Zusätzen, die
wir im folgenden kurz vorführen werden.
ßoland's Monolog am Eingang des Stückes ist freie Er-
findung des französischen Dichters. Nachdem Roland die
verhängnisvollen Namen gelesen hat, bricht er bei Mairet in
laute, endlose Klagen aus (Akt I, 1, S. 6); bei Ariost
findet der Schmerz keine Worte (Cfr. OrL für,, 0. XXIII,
St. 112):
«iVe pote aver (cheH duol Voccupö tantoj
Alle querele voce o umore al pianto.>
Als Roland das Haus des Hirten betritt, sind im italieni-
schen Epos die Liebenden längst schon in der Ferne (?gl. OrL
für., C. XIX, st. 40, 41), in der Tragödie dagegen haben sie
sich nur versteckt und kommen nach dem Weggang Roland's
noch mehrmals auf die Bühne ; sie sind Zeugen der Ver-
heerungen des rasenden Helden, Medor wird sogar durch
einen Pfeilschuß von ihm verwundet, endlich treffen sie noch
mit dem zweiten Liebespaare des Stückes zusammen — ,
lauter Zutaten des französischen Dichters. Dasselbe ist der
Fall mit der komischen Szene des Hirtenehepaares (Akt IV,
3, S. 72). Die Erzählung von dem Ritter, der vom
Himmel auf die Erde steigt, sollte wohl eine Anspielung auf
Afltolfs „Himmelsreise^ sein ^), findet sich aber bei Ariost an
dieser Stelle nicht. Eine gewaltige Änderung vollzieht Mairet
in der Episode Isabella-Zerbin-Rodomont , indem er Zerbin
nicht von Mandricard, wie im Epos (cfr. C. XXIX^ st. 58),
sondern von Rodomont töten läßt; allerdings hat Mairet da-
dordi den Vorteil erreicht, den Tod des Liebespaares ohne
Einführung einer neuen Person (Mandricard) darstellen zu
^) Orl für., C, XXXIII, st Iff.
— 176 —
können. Wie die vorhin erwähnte komische Einlage, so ist auch
die possenhafte Szene zwischen ßodomont und seinem Diener
Erfindung des Dramatikers.
Der Tod Isabellens ist bei Ariost zeitlich und räumlich
weit getrennt sowohl von dem Ausbruch der Easerei Roland's
als auch von dem Tode Zerbin's^); der französische Dichter
läßt uns bezüglich der Zeit im unklaren, der Ort der Handlung
bleibt unverändert, wie Mairet selber in der Vorrede sagt.
In der Schilderung dieser zweiten Episode hält er sich jedoch
mit Ausnahme der Einführung Eodomont's an Stelle des
Mandricard an die italienische Quelle.
Das letzte Auftreten Eoland's und seine endgültige Heilung
sind je einer Stelle im Orl, für. nachgeahmt. Die Art und
Weise, wie der rasende Held einen Hirten tötet ^), ist nach
OrL für., C. XXIV, st. 5 geschildert:
« Uno ne piglia, e del capo lo scema
Con la facilitä die torria alcuno
DalVarhor pomej o vago fwr dal jpruno,^
Ariost läßt seinen Helden im Zustande der Käserei eine
lange Reihe von Taten ausführen; Frankreich, Spanien, ja
das Mittelmeer durchquert der Wahnsinnige (cfr. OrL für.,
C. XXIX, St. 40 ff., C. XXX, st. 4—14) und erst auf afri-
kanischem Boden bringt ihm sein Freund endgültige Heilung
(cfr. Orl für. C, XXXIX, st. 45 ff.). Der nachfolgende Ritt
der beiden Freunde auf dem Griffon, der sie nach dem schwer
bedrängten Paris führen soll, ist wiederum von Mairet frei
erfunden.
Das Schwächste an der Tragödie ist die Zeichnung der
Charaktere; in der Regel erzählen die einzelnen Hauptper-
sonen beim ersten Auftreten ihre Lebensgeschichte, so Roland
(Akt I, 1), Angelika, Medor und Isabella (Akt II, 2 u. 3,
S. 24), dann folgen entweder Klagen über ein persönliches
Unglück, oder es wird, wie von Seiten Roland's und Rodomont's,
irgend eine rohe Tat vollbracht.
Die Liebesszenen zwischen Angelika und Medor wirken
1) Cfr. C. XXIX, 8t 8—32.
«) Akt 7, Sz. 3 {S. 101).
— 177 —
durch ihre Länge und Monotonie ermüdend. Medor's erste
Worte, die den Prahlereien Rodomont's nicht nachstehen,
kommen ans um so befremdender Tor als wir aus Ariost wissen,
daß Tapferkeit nicht seine stärkste Seite und daß er alles
eher als ein Aufschneider ist:
tNy Bolandj ny Begnard^ ny de plus danger enx,
Fussent-üs preservez par la force des charmeSj
N^auront point de valeur qui ne cede ä mes armes. »
Akt II, 1, S. 25.
und wenn er dann mitten im süßesten Liebesgeflüster
forteilt, um sein Messer zu suchen , das ihm aus der Tasche
gefallen ist, so wirkt das einfach komisch auf Leser und
Zuschauer.^) Geradezu zotenhaft ist eine Stelle in der bereits
erwähnten Szene der Schäferfamilie, in welcher nämlich die
Frau zu ihrem etwas bejahrten Manne sagt:
<aMon plaisir me suffitj si je le sgay borner
Aux forces de celuy qui me le peut donner,
En pouvant plus avoir fen voudrois davantage,>
Bemerkenswert ist der Charakter Rodomont's.^) Wir haben
gesehen, daß bereits Bauter diesen Helden, höchst wahr-
scheinlich unter dem Einfluß der französischen und ita-
lienischen Komödie, zu einem mües gloriosus der Tragödie
umformte. Ganz dasselbe geschieht in Mairet's Roland furkux,
Bodomont ist derselbe Aufschneider wie in Bauter's Rodo-
montade ^) ; er weist aber noch eineü anderen Zug auf, den er
nait dem fiodomont der Komödie gemeinsam hat, seine Ver-
1) Akt II, 1, S. 25, Medor :
« je rCay sur moy ny poingon ny couteau
En venant mon estiiy rri'est tomhe de la po8che.[!]
') Es scheint uns wahrscheinlich, daß Mairet den Rodomont deshalb
an Stelle des Mandricard einführte, weil jener längst schon eine bekannte
Figur auf der französischen Bühne und bei den Franzosen überhaupt
war, wahrend Mandricard niemals diese Popularität erlangte.
») Vgl. Rol. für. Akt III, 4, S. 56:
*Apprens que Rodomont dans Paris si vante
N^a jamais rien connii qui Vait epouvante.»
Ferner die Schilderung seiner „Heldentaten^ vor Paris {Akt IV,
5, S. 84).
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 12
— 178 —
liebtheit und sein angebliches Glück bei den Frauen.^) Nach-
dem er von Doralice einen Korb erhalten, verliebt er sich
sogleich in Isabella, die er noch kaum gesehen hat (vgl. Akt
IV, 5, S. 80). Als er von seinen Heldentaten bei der Be-
lagerung von Paris erzählt, sagt er u. a., daß hundert Frauen
aus Schrecken vor seinem Erscheinen in der Seinestadt, vor
der Zeit entbanden:
«Cew/ femmes sur la placCj avant tenne acccmcherent.^
(Akt IV, 5, S. 84.)
Eine reine Possenszene ist Rodomont's Gespräch mit
seinem Diener Aronte. Als dieser ihm ein paar Flaschen
Wein anbietet, weist er sie keineswegs zurück, da doch sein
Glaube ihm verwehrt, dieses Getränk zu nehmen, sondern er
sagt ruhig:
«jVe croyant de ma loy que ce qu^il en faut croire,
Surtout quand il s'agit de manger et de hoire» etc.
(Akt IV, 5, S. 82.)
Werfen wir noch einen Blick zurück auf das Gesagte, so
müssen wir uns folgendes Urteil über Mairet's Tragödie bilden :
Was der Dichter in der Vorrede als Vorzug ansieht, die
gleichzeitige Dramatisierung zweier Episoden, ist als verfehlt
zu erklären, da der Zuschauer beiden Handlungen nicht mit
dem gleichen Interesse folgen kann. Es fehlt dem Stücke
ferner eine Motivierung der einzelnen Szenen, die Personen
treten auf und verschwinden, ohne daß ein Grund dafür er-
sichtlich ist; auch leidet es an der allzugroßen Anzahl Ton
Monologen. Die Mischung des Komischen und Tragischen ist
als mißlungen anzusehen. Was das Verhältnis der Tragödie
zur Quelle betrifft, so hat der Dichter diese mit größter
Freiheit benützt, wie wir gesehen haben. Die Kritik, welche
einzelne Forscher an dem Roland furieux geübt haben, ist im
allgemeinen nicht günstig. Beauchamps^) sagt von ihm:
«Boland est romanesque et irregulier pour la fable; mais il a qiiel-
^) Siehe Fest, Der miles, S. 66 ff.,, wo der miles in Tournehu's «Con-
tent8^> geschildert wird. Mit der Verliebtheit paart sich eine ebenso große
Tölpelhaftigheitj indem Rod. in die von Isabella gestellte Falle geht.
*) Recherches, 2. Teil, S. 113 f.
— 179 —
ques agremens. Les vers en sont fcnbles, et pourtant ils ont une
certaine tendresse en leurs passions qui les fait aim'er. > Die Brüder
Parfaict nenneu das Stück geschmacklos und kunstlos und
zählen es zu den schwächsten Leistungen des Dichters.^)
Niceron führt, ohne Quellenangabe, das Urteil Be au champs'
wörtlich an. ^) Mouhy tadelt den romantischen Stoff und den
Versbau, findet dagegen einige ziemlich gute Stellen.*) La
Porte und Ohamfort verurteilen besonders die etwas
sinnliche Liebesszene zwischen Angelika und Medor und die
mißlungene Mischung von Komischem und Tragischem.*)
Aus neuerer Zeit sei das Urteil Michaud's erwähnt,
welches mit dem der Brüder Parfaict übereinstimmt.^) Dann-
heißer bezeichnet das Stück als recht unbedeutend, nur seine
Entstehungsgeschichte könne als Entschuldigung dafür dienen,
daß Mairet es überhaupt schrieb. Der romantische Zug, der
vor allem in dieser Tragödie liege, sei zum Teil auf die Ein-
wirkung des Grafen Belin, seines Gönners, zurückzuführen.®)
Während Eicke nur den Namen unseres Stückes erwähnt'),
Weinberg dagegen es gänzlich übergeht®), besitzen wir
französischerseits noch Urteile von Bizos®) und Rigal.^^)
Der erstere verurteilt das Stück in jeder Hinsicht und kann
nicht begreifen, wie Mairet ein so elendes Machwerk schreiben
konnte. ^^) Der letztere tadelt die Ungeschicktheit, mit der
^) Hist.j Bd, Vj 118: «Sans goüt et sans art»
«) Mimoires, Bd. XXV, 249.
») TdbUttes, S. 204; Ahr., Bd. II, 213.
*) Dictionnaire, Bd. III, 70.
*) Bihl. univ., Bd. XXVIj 165: «Roland furieux .... traiti
Sans goüt.»
•) Studien zu Mairefs Leben und Werkenj S. 27.
') Zur Rolandsage, S. 14.
®) Schäferspiel, S. 90 ff., wo eine ebenso kurze wie mangelhafte
Lehensgeschichte des Dichters zu finden ist.
®) iJtude, S, 195. — Dann heißer {l. c, S. 2, Anm. 3) wirft dem
Werke Bizos' Mangel an Selbständigkeit vor, ein Urteil, das wir vollauf
bestätigen.
10) Le Theätrefr. au XVII^ 8., in: Jullev., lY, 258.
1*) JEltude, S. 194: «Cette piece regut le plus froid accueil du public
Stonne d^une si triste et si prompte decadence; on se demandait comment
le celebre ecrivain avait pu sacrifier les nobles et fiers sentiments dont
12*
— 180 —
Mairet diesen Stoff behandelt und nennt die Ausdrucksweise
des Dichters prosaisch, schleppend, schwer verständlich und
geschmacklos.^)
Wenige Jahre nach Mairet trat Guillaume deßiche-)
mit einem neuen Stücke hervor unter dem Titel Les amours
(TAngelique et de Medor etc. 1648. Der Verfasser bezeichnet
es auf dem Titel als eine Tragödie in 8 Akten [!] mit
Chören, aber ohne Szeneneinteilung. Mouhy meint, es habe
auf den Theatern der Provinz vielleicht Beifall gefunden. *)
Nähere Angaben über den Inhalt zu machen, sind wir leider
nicht in der Lage, da das Stück verschollen zu sein scheint.*)
Um so bedeutender dagegen ist das folgende die Roland-
Episode behandelnde Stück, welches im Januar ^) 1685 zum ersten
Male aufgeführt und noch in demselben Jahre gedruckt wurde.*)
il avait su animer Sophonishe et Massinissa pour les galanteries et fa-
deurs de son nouvel ouvrage; on ne pouvait croire que le style hizai're
et dameretj qui n'avait Hen de dramatique, sor-tit de la phime qui avait
^crit les beaux vers de la Sophonishe^ du Marc Antoine et du Soliman;
il donna un mediocre canevas d^opera sous le nom de tragi-comedie.»
^) Hist. de la litt. {p. p. Jullev.) Bd. IV, 258 : «ie R. f. unit, avec
une rare maladresse, la tragedie que Montreux avait dejä traitee sous le
titre d^lsdbelle ä une tragi-comedie pleine, aussi hien qu'une ancienne
pastorahj de hizarreries, d'effets sceniqiies et dHndecences Son style est
presque constamment p^^osaique, trainant, ohscur, plein de mauvais goüt*
^) über G. de Riches^ Leben wissen ivir nichts; keines d&r in
unserer Arbeit ziti&rten Literaturwerke führt seinen Namen an. Von
Mouhy, Abrege I, 36, wird es einem Desroches zugeschrieben, unter
welchem Namen wohl de Riche gemeint war. Dieselbe Behauptung findet
sich auch in d. Anecd. dr. III, 152.
*) Abrege J, 36: «Cette piece a pu reussir en province.»
*) Wenigstens besitzt keine der drei großen Pariser BihUotheken ein
Exemplar des genannten Stückes.
^) Chouquet, Hist, S. 321, Clement, Dict. lyr., S. 587 u.
Leris, S. 291, bezeichnen den 8. {18.) Januar, bzw. 8. Febr. als den Tag
der ersten Aufführung.
*) Quinaulfs zwölf Opern finden sich in den drei ersten Bärgen des
Recueil des operas, Amsterdam 1684 und 1690, 12^. Eine ausführliche
Lebensbeschreibung des Dichters kann nachgelesen werden bei Goujet,
Bibl. fr., Bd. XVIII, 242 ff.; La Gr. Encycl, Bd. XXVII, 1160. —
La Porte et Cham fort geben irrtümlicherweise 1689 als Datum der
Aufführung und des Druckes an. Lucas {Hist, 111, 307) erwähnt das
Stück nicht.
— 181 —
Es ist dies die Oper Roland von Ph. Quinault ^), neben seiner
Armide die bekannteste Schöpfung dieses Librettisten.
Folgendes ist der Inhalt von Quinault's Oper.
Prolog : Demo[go]rgon, der Feenkönig und das Haupt der
Erdgeister (le premier des Genies de la Terre), sitzt, umgeben
von Feen und Erdgeistern, auf seinem Throne und preist die
Wohltaten des Friedens und die Regierung des französischen
Königs; sodann deutet er den Gegenstand an, welcher nun
zu Ehren des Königs aufgeführt werden soll:
€Du celebre Roland renouvellons VHisioii'e,
La France luy donna le jour,
Montrons les erreurs oü VArnmir
Peut engager un ccenr qui neglige la gloiref^
Akt I : Angelika, die Königin von Cathay, hat zu Medor,
einem jungen Gefolgsmann des afrikanischen Königs Agra-
mant, eine tiefe Zuneigung gefaßt, doch schwankt sie noch,
ob sie dieser Neigung folgen, oder dem ruhmbedeckten Roland
ihre Hand geben soll. Themire, ihre Vertraute, erteilt An-
gelika den Rat, den ersteren aus ihren Augen zu verbannen.
Dieser aber gesteht ihr in einer der folgenden Szenen seine
unwandelbare Liebe, wird aber mit seinem Antrage für dieses
Mal abgewiesen. Gleich darauf überbringen Abgesandte Roland's
ein kostbares Armband, welches für Angelika bestimmt ist.
Akt II : Angelika steht an jenen zwei berühmten Zauber-
quellen, aus denen man Liebe oder Haß trinken kann; sie
zögert noch, aus welcher sie das Wasser schöpfen soll, als
Roland auf sie zukommt. Schnell steckt das Mädchen seinen
unsichtbar machenden Ring in den Mund und entfernt ihn erst
wieder, als Roland fort ist, und Medor, voll Verzweiflung über
die Härte der Geliebten, des Weges kommt und sich töten will.
Angelika, in deren Herzen der Stolz nunmehr zurücktritt vor
der Allgewalt der Liebe, ruft dem unglücklichen Jüngling zu,
er solle weiter leben und sein Glück mit ihr teilen. So finden
sich ihre Herzen, und unter dem lieblichen Gesänge von Liebes-
göttern und verzauberten Liebespaaren feiern sie ihre Verlobung.
Akt III: Die beiden Liebenden können ihres Glückes
^) Quinanlt gab ihm den Titel ^tragedie-opera» .
— 182 —
nicht so recht froh werden, da sie Koland's Eifersucht
fürchten müssen. Um diesen zu beruhigen, verspricht ihm
Angelika ein Stelldichein an der Grotte, wo sie gewöhnlich
mit ihrem Liebsten spazieren geht; den dadurch eifersüchtig
gewordenen Medor beruhigt sie mit einschmeichelnden Worten.
Akt IV: Roland eilt indessen voll Freude zur Q-rotte
und achtet nicht auf die Bitten seines Freundes Astolf, der
ihn zur Hilfeleistung für das von den Mauren schwer be-
drängte Reich bewegen will. An dem verabredeten Orte an-
gekommen, findet Roland keine Angelika, dafür aber entdeckt
er jene Inschriften, welche von Medor's Hand herrühren und
vom Glücke der beiden Liebenden in unzweideutiger Sprache
reden. Noch kann er an die Wahrheit seiner Entdeckung
nicht recht glauben, als ein ländlicher Hochzeitszug heran-
naht und ihm die Kunde bringt, daß die Fürstin von Cathay
mit ihrem jugendlichen Liebhaber eben den Hafen verlassen
habe. Das Armband des Hirten Thersandre, in dem Roland
sein eigenes Geschenk wieder erkennt, und das Angelika
jenem treuen Hirten vor ihrer Abreise gegeben hat, spricht
deutlich genug, wie schwer Roland von dem Mädchen ge-
täuscht wurde. Der Schmerz macht ihn tobsüchtig; in seiner
Raserei zerstört er alles, was ihm in die Hände fallt.
Akt V: Dieser Akt versetzt uns in den Zauberpalast
der Fee Logisstilla. Astolf, Roland's treuer Freund, erhält
von dieser gütigen Zauberin einen Zaubertrank, der den in
festen Schlaf versunkenen Helden zu neuem, gesunden Leben
wieder erweckt. Gloire, Renommee und Terreur begrüßen den
Erwachenden und wollen ihn zu neuen Taten geleiten, Logis-^
stilla aber ruft ihm warnend zu :
«La Gloire vous appelle,
Ne soupirez plus que pour eile ;
iVbw, n^ouhliez jatnais
Les maux que VAmour vous a faiis*
(Akt V, 4, S. 45).
Die vorstehende Analyse zeigt auf den ersten Blick, daß
Quinault's Oper eine ganze Anzahl von Veränderungen gegen-
über ihrer Quelle aufzuweisen hat. Der Prolog ist von An-
fang bis zu Ende das Werk des Franzosen und soll eine
— 183 —
Ehrung des Roi-Soleil seio, welcher die erste Anregung zu
dem Stücke gegeben haben soll.
In der Oper selbst finden wir sehr viele Personen,
die bei Ariost nicht vorkomnaen. „Ziliante, prince des Isles
Orientales; Coridon, Berger, Amant de Belise; Belise, Amante
de Coridon, femer Confidents und Confidentes, Suivants, Sui-
vantes, troupes d'Amours, de Sirenes, de Dieux, de Fleuves,
de Silvains, d'Amants enchantes, d'Amantes enchantees, de
peuples de Cathay, de Bergers et de Bergöres, de F6es,
d'Ombres d'anciens Heros" ; endlich treten am Schlüsse die
allegorischen Gestalten Gloire, Terreur, La Renommee auf.
Auf freier Erfindung des Librettisten beruht der ganze
erste Akt; die Tatsache von dem Geschenk Roland's ist zwar
bei Ariost erwähnt (C. XXIIT, st. 120), aber die Art und
Weise des Überbringens ist von Quinault erdichtet. Vom
zweiten Akt ist dasselbe wie vom ersten zu sagen. Nur die
Erwähnung der beiden Zauberquellen geht auf Ariost (Ort,
für, 0. I, st. 78) zurück. Der Schauplatz des dritten Aktes
ist der nämliche wie beim italienischen Dichter, sonst erinnert
jedoch nichts an das Epos Ariost's. Vom vierten Akt ist
nur Thersandre's ^) Bericht von der Abreise der beiden
Liebenden und das Vorzeigen seines von Angelika erhaltenen
Ringes, endlich auch der Ausbruch der Raserei Roland's, der
italienischen Quelle entnommen. Die Heilung Roland's durch
Jjogisstilla vollzieht sich bei Ariost in den Sandwüsten Afrikas *),
bei Quinault im Palaste der Logisstilla unter deren Beisein.
Die drei erwähnten allegorischen Gestalten fehlen bei ersterem,
wie überhaupt der ganze, echt opemhafte Abschluß des Stückes.
Wenig ist von den Charakteren zu sagen, da bei einem
so ausgesprochen lyrischen Stücke, wie der JRol. für,, natur-
gemäß wenig Gewicht auf deren richtige Zeichnung und Ent-
wicklung gelegt wird. Die Person des Roland der Quinault-
schen Oper kann nicht den Anspruch erheben, daß man sie
ernst nehme, wie das doch beim Orlando des Ariost der Fall
ist; denn es wirkt gerade komisch, wenn wir sehen, wie er
in blinder Liebe sich von Angelika zum Stelldichein verleiten
*) Cfr, (h± fur., C. XXIII, st 118 ff.
«) Ibd., C. XXXIX, 8t. 45 ff.
— 184 —
läßt; während welcher Zeit diese mit ihrem Liebhaber Yer-
schwindet. Komisch wirkt femer die Szene, in der Koland
in Baserei gerät (Akt IV. 4). Nach der BühnenweisaDg
bricht er die Inschriften, die auf Holztafeln angebracht sind (!),
in Stücke, reißt Zweige und Aste von den Bäamen und zer-
schlägt Felsenstücke, schließlich glaubt er eine Furie zu sehen
und beginnt zu ihr zu sprechen. So stehen wir den Titel-
helden fortwährend in komischen Situationen und als diejenige
Person, die getäuscht wird. Man könnte überhaupt versucht
sein, die ganze Oper als Parodie des Orl. für. zu betrachten,
wenn die Charaktere Angelika^s und Medor's nicht so ernst
und tiefsinnig vom französischen Dichter gezeichnet worden
wären. Lange sträubt sich Angelika, den Regungen ihres
Herzens Folge zu leisten, sie weist Medor's Antrag zurück,
aber in demselben Augenblicke bereut sie ihr hartes Wort;
und als sie dann den Geliebten ihretwillen leiden sieht
(Akt II, 4), stürzt sie in seine Arme und flüstert ihm leise
zu, wie sehr sie ihn liebe, und bietet dem einfachen Knappen
eines Königs Krone und Thron von Cathay an. Diese beiden
Szenen zwischen Angelika und Medor sind zweifellos die
schönsten des ganzen Stückes.^) Überhaupt tritt Roland im
Vergleiche zu diesem Liebespaar viel zu sehr in den Hinter-
grund, abgesehen davon, daß er auch weit weniger sympathisch
erscheint als Angelika und Medor.
*) Das Duo in der 4. Szene des I. Aktes wurde bald sehr populär
und war jahrzehntelang in aller Munde {Clement^ Dict lyr.j 8. 972):
Aug.: «... Partez Medor! Med.: Ciel!
Ang.: Partez sans dxffbrer.
Med. : Helas ! Ay je pü vovs deplaire ?
Ang.: Non, non je n'ay point de colere
Laissons les discours superflus.
Partez
Med. : Je ne vous verray plus» etc.
Dieselbe Berühmtheit erlangte Sz. 4, Akt III, S. 25:
Vivez pour nioy, quHl vous soiwienne
Que votre Destinee est unie ä la mienne,
Ma mort suivroit votre trepas:
Evitons un desthi tragique;
Medor ne veut-il pas
Vivre pour Angelique ?»
— 185 —
Um Quinault's Dichtung gerecht zu beurteileü, muß man
berücksichtigen, daß der Verfasser nicht eine Tragödie in
den strengen Formen der Klassizität schreiben wollte, sondern
daß es ihm vor allem darum zu tun war, einen Operntext zu
liefern, d. h. einen möglichst romantischen Stoff zu dramati-
sieren und ihn mit lyrischen, für Arien, Duos und Chöre
passenden Einsätzen zu durchwirken.
Dieser Zweck rechtfertigt Quinault's Abweichungen von
der Quelle zur Genüge, und er erklärt auch, daß wir eine
logische Entwicklung der Handlung und teilweise auch der
Charaktere des Stückes schlechterdings in Abrede stellen
müssen. Als Oper des ausgehenden 17. Jahrhunderts jedoch
betrachtet, ist der Roland Quinault's zu den besten da-
maligen Erzeugnissen dieses Genres zu zählen. Auch in
musikalischer Hinsicht gehört der Roland zu den erstklassigen
Opern jener Zeit, und LuUy, der Komponist des Stückes, er-
klärt es für die beste seiner Tonschöpfungen. ^)
Bald nach der Aufführung des Stückes ließen sich
kritische Stimmen vernehmen, welche das tolle Gebärden des
rasenden Roland's auf der Bühne und das etwas süßliche
Liebesgesäusel Angelika's und Medor's lächerlich machten,
und irgend ein versgewandter Kritiker, dessen Namen wir
nicht kennen, faßte diese vernichtenden Äußerungen des
Theaterpublikums in folgendem Gedichte zusammen:
tDans un bois, Ängelique errante ä la ventiirej
Voit Medor etendu, blesse, sans nul espoir\
Le irouve heaiij le panse avec Vemjmtre noir,
Lui fait des houülons frais et guerit sa hlessure,
Son amoureux Roland fait piteuse figure,
Jone d Colin-maülard, lui ^;«r/e sans la voir,
Feste en vain, car la Reine ouhliant son devoir,
De son cotivalescant veut etre la monture.
Themire a beau chanter, beait dire et beau crier,
Qu^il est peiit-etre issii de qiielqiie cuisinier :
Ängelique le veut et l^a giieri pour eile.
») Clement, Dict lyr., 8. 5SS.
— 186 —
Elle enleve Medor et plante lä Eolandj
Qui va dans les Hameaux faire le Capitan;
Puis un doux mennei lui remet la cervelle,> ^)
In L6ris' Dictionnaire portatif ^) wird der Oper Quinault's
ein unbedingtes Lob zuteil. Während Niceron^), Mau-
point*) nur den Namen des Stückes anführen, wird es bei
Goujet^), der doch Quinault ausführlich behandelt, nicht
einmal dem Namen nach erwähnt. La Porte und Cham-
fort geben zwar zu, daß der vierte Akt große Schönheiten
aufzuweisen hat, beanstanden aber, daß Angelika und Medor
zu oft auf der Bühne erscheinen, und daß Roland's Raserei
sich im Abreißen von Baumzweigen u. dgl. äußert.®) Auch
Voltaire bezeichnet den vierten Akt als ein Meisterwerk
Quinault's.') Voltaire's Schüler La Harpe findet, daß das
Stück nicht so sehr eine tragedie lyrique als eine pastorale
heroique ist, wo eine Königin einem Schäfer (sie!) den
Vorzug gebe vor einem berühmten Helden. StoiBf und
Verwicklung sind nach ihm etwas unbedeutend®); doch
reicht Quinault manchmal bis zum Erhabenen. C h o u -
quet bespricht zwar den Eoland Quinault's nicht näher*),
fällt aber über die lyrischen Dramen dieses Dichters insge-
samt ein sehr günstiges Urteil. ^^) Als besonderes Verdienst
^) Zitiert hei La Porte et Cham fort, Dict.j III, 70.
2) S. 291 f.
3) Memoires XXVIII, 210.
*) ßihl. fr., S. 273.
»*) Bihl. fr., XVIII, 248.
®) Dict. dram., III, 70: «. . . . Angelique et Medor paraissent
trop souvent sur la scene. Les fiireurs de Roland surtout devroient le
porter ä quelque chose de plus qu'ä ebrancher des arh'es et ä combattre
des etres inanimes.y>
') Dict, pliil. [Art. Art dramatique) VII, 189.
®) Cours de litt., I, 665 : <.<... Le fond est un peu faible, Vintrigue
est peu de chose.»
®) Hist. du drame musical, S. 321.
^°) Ibd., S. 112: «ic premier, il comp^'it que, h cause de sa desti-
nation speciale, Vop^ra exige une autre coupe que celle des pieces oü il
n'entre que du dialogue. Versificateur harmonieux, elegant et facile,
auteur verse dans la science et dans la p-atique du theätre . . ., Ph. Quinaidt
— 187 —
rechnet er ihm an, daß er die Mischung des komischen
und des tragischen Elementes, die dem französischen Gre-
schmacke nicht behage, vermieden habe.^) Wir haben jedoch
gesehen, daß gerade der Roland furieux sehr oft das Komische
streift.
E i c k e beschränkt sich auf die Betonung des szenischen
Apparates, mit dem Quinault seine Oper ausstattete. 2) Dou-
mic nennt die Szene, in der Roland durch den Hochzeits-
zug die Untreue Angelika's erfährt (Akt IV, 4), geradezu ein
Wunder der Kunst. ^)
Ahnlich wie Chouquet hält Proelss unseren Dichter
ganz besonders geeignet für die Oper, da er ein zartes,
lyrisches Talent besitze und sich der Musik unterzuordnen
wisse. Allerdings vernachlässige er dadurch die eigentlichen
dramatischen Forderungen, die folgerichtige Entwicklung der
Charaktere und der Handlung.*) Julleville bezeichnet den
Roland als eine bemerkenswerte Leistung, hebt aber zugleich
den Mangel jeglichen dramatischen Interesses hervor, der dem
Stücke anhafte.^) Birch-Hirschfeld^) endlich erkennt
Quinault's Unerreichbarkeit in der Handhabung des Stiles
resolut de consacrer ses brillantes facultes ä un genre qui, de son temps,
manquait encore ä notre littirature.»
^) Ihd.^ S. 112: «II commenga par imiter les Italiens et par com-
hiner Velement comique avec VSlement tragique; mais il s'apergxit vite
que le goüt frangais repousse ce melange, et il y renonga pour toujours
aprhs la representation d'Alceste.»
') Z. Bolandsage^ S. 14, — Eicke beschäftigt sich nur mit Prolog
und Personenverzeichnis des Stückes.
') Kritik von Roland' s Histoire de V Opera, die sich mit dem
Einfluß der Oper auf die Tragödie beschäftigt (Bevtie des 2 mondeSj
1895, 8, 451).
*) Gesch. d, Dramas, Bd. II, Halbbd. 2, 247.
») Le Theätre en France, S. 247.
•) Gesch. d. frz. Litt, (Suchier und ßirch- Hirschfeld)
8. 479: * Quinault verstand es, in geschickter Weise Ludwig^ s XIV. Lob
in sinnreichen Prologen zu verkünden und in seinen Operntexten dem.
Komponisten wirkungsvolle theatralische Unterlagen zu schaffest. Wahr-
heit und Kraft verlangte man in derartigen Dichtungen nicht, es genügte,
wenn die Situation oberflächlich, aber doch mit Pathos gekennzeichnet
war; das Übrige war Aufgabe der Musik. In der flüssigen Geschmeidig-
— 188 —
und des Verses an, spricht ihm aber jede tiefere dramatische
Begabung ab.
Unter den Theaterstücken, die dem bekannten, äußerst
fruchtbaren Komödiendichter Dancourt zugeschrieben
werden, befindet sich eine Parodie der Quinault'schen Oper,
betitelt Angelique et Medm: Sonderbarerweise wird sie von
nur wenigen Forschern erwähnt.^) Gespielt wurde das Stück
zum ersten Male am 1. August des Jahres 1685 nach der
Aufführung von Racine's Berenice ^) ; der Erfolg, den es er-
zielte, scheint nicht bedeutend gewesen zu sein, da es nur 14
Aufführungen erlebte.^)
Der Inhalt des kurzen Einakters ist in wenigen Worten
folgender: Ein junger Mann vom Lande will ein Mädchen
der Hauptstadt heiraten, das jedoch nur von ihrer Mutter zu
diesem Bunde gezwungen wird. Ein vornehmer Edelmann^
der eine tiefe Zuneigung zu der Dame gefaßt hat und sich
von dieser wieder geliebt weiß, beschließt den unbequemen
Freier vom Lande zu überlisten. Da nämlich der letztere
ein leidenschaftlicher Freund der Musik ist, führt er sich
keit und natürlichen Anmut des StilSj im Wohlklang des Verses hat
Quinault niemand erreicht. "^
^) Beauchamps, Recherches, 2. Teil, 8. 369 ff.; Dictionnaire d.
Th., II, 242; Mouhy, Tablettes L 20 und Abrege I, 36; Querard,
La France litt., Bd. II j 381; dagegen fehlt eine Et^vähnung dieser
Komödie bei: Palissot, M^m. d. litt., II, 91ff.; Lemazurier, Galerie
des auteurs, I, 195 ff. ; Michaud, Bibl. univ., Bd. X, 89 {die Haupts.
Werke werden aufgezählt und zum Schlüsse heißt es: *Il a compose
beaucoup d'autres comedies qu'il a fait representer sur les thSätres de
province auxqucls il etait attache»); Jal, Dict. crit., S. 466; Lucas,
Hist.f III, 308; La Gr. Encycl, XIII, 827 {bringt eine kurze Lebens^
beschreibung des Dichters); Lemaitre, La comedie apres Moliert,
S. 233 u. 234; Lion, La com. apres Mol. {Hist. d. l. litt., p. p.
Julleville, Yl, 567 ff.). Die vollständigste Ausgabe der Werke Dan-
court's ist nach Vapereau {Dict. univ., S. 572) die von 1760;
doch findet sich dort unser Lustspiel nicht; dasselbe ist gedruckt in
einem «Recueil de Pieces de Theätre», welcher unter Dancourfa Namen
erschien.
2) Mouhy, Tablettes, Bd. /, 20, nennt die Komödie „sehr schwach^;
ebenso L e r i s , Dict. portatif., S. 43. Er bezeichnet sie als eine Art Fa^
rodie des Hol. v. Quinault.
— 189 —
verkleidet als Opernsänger in das Haus der Geliebten ein, wo
eben der zukünftige Bräutigam 'weilt. Man macht den Vot-
schlag, den Roland von Quinault auf der Hausbühne zu spielen.
Das Mädchen übernimmt die Rolle Angelika's, der Edelmann
die des Medor; nach einigen Szenen, in welchen Quinault's
Oper parodiert werden soll, verschwinden die beiden Spieler
hinter den Kulissen, ein Diener aber tritt auf die Bühne und
meldet, daß das Liebespaar verschwunden sei:
tAngelique est partie, et Medor avec elle,> *)
Mutter und Bräutigam sind in Verzweiflung; denn nach
einem solchen Skandal bleibt den beiden kein anderer Aus-
weg übrig als auf ihren Heiratsplan zu verzichten.
Da weiter nichts als der Titel dieses Einakters dem Orl.
für, entlehnt ist, gehen wir sogleich zu einigen anderen Stücken
über, die gleichfalls Parodien der Quinault'schen Oper sind.
Strenggenommen gehören sie nicht zu unserer Abhandlung,
aber sie dürfen nicht übergangen werden, da sie ein .glänzender
Beweis sind, wie tief und lebendig noch in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts die Kenntnis des Ariost'schen Epos
war, und wie beliebt und bekannt die unsterblichen Helden
und Heldinnen desselben in allen Kreisen des Volkes waren.
Im Jahre 1717 wurde ein Pierrot furieux ou Fien-ot
i2öfo^nrf2) vonEuzelier aufgeführt^); leider wurde diese Paro-
1) Sz. 8, S. 232.
*) Das Stück ist erwähnt hei folgenden Autoren: Beauch. , Rech,
{nur im alphabetischen Verzeichnis der Theaterstücke); Leris, Dict.
dram.j S. 263; Mouhy, Tablettes 7, 13 (M. gibt irrtümlich als Datum
d. Auff. 1731 an); Maupoint, Bibl, 8.340; La Porte et GL, Dict.
da-ojm. III^ 455.
^) Fuzelier {1672—1752) war ein sehr fruchtbarer Theaterdichter
und schrieb hauptsächlich für die Bühne des Theätre de la Foire de St.
Germain. Ein scharfes Urteil fällt über ihn La Harpe {Cowrs d. litt.
iJ, 439): «. . . Ze plus froidj et le plus plat rimeur, le bei esprit leplus
^agant et le plus glacij qui ait faxt chanter ä V Opera des fariboles dia-
loguies.» Lucas {Hist. II, 50) bedauert ^ daß er nur für das Theater
gearbeitet habe. Weitere Urteile finden sich 6eiMichaud {Biogr.univ.,
XYf 309, wo auch La Harpe' s Kritik zitiert ist); Didot {Biogr.
ginir. XIX, 77 ff.), La Gr. Encycl, XVIII, 316.
— 190 —
die der Quinault'schen Oper nicht gedruckt. La Porte und
Chamfort ^) nennen dieselbe Vecht „gewöhnlich", während Des
Boulmiers behauptet, das Stück habe einen großen Erfolg
errungen. 2)
Außer diesem Einakter Fuzelier's veröfifentlichten Domi-
nique und Romagnesi^) im Jahre 1727*) eine Parodie
der Oper Quinault's unter dem Titel Arlequin Roland, die
nun kurz besprochen werden soll.
Der Inhalt des Stückes ist folgender: Harlekin kann
Angelika's Liebe trotz reichlicher Geschenke nicht gewinnen,
da deren Herz für Medor schlägt. Um Harlekin's zudring-
lichen Bewerbungen zu entgehen, bewilligt sie ihm ein Stell-
dichein auf einem Balle, der in der großen Oper abgehalten
wird, flieht aber, anstatt dorthin zu gehen, mit ihrem Ge-
liebten nach Poissy und von da zu Schiff nach Rouen. Als
Harlekin unterdessen auf dem Balle vergebens das treulose
Mädchen sucht und dabei noch von zahlreichen Masken über
sein Unglück verspottet wird, gerät er in grenzenlose Wut,
er wirft die Kleider bis aufs Hemd von sich, prügelt einen
Theaterdiener durch, der ihm Limonade anbietet, zerbricht
seine Gläser und demoliert schließlich die sämtlichen neuen
Dekorationen des Ballsaales.
Man muß zugeben, daß die beiden Verfasser dieser
niedrigen komischen Parodie die schwächste Seite von Quinault's
Oper, die Darstellung von Roland's Raserei, herausgefunden
und mit Erfolg lächerlich gemacht haben.
Eine ähnliche Handlung weist jene im Jahre 1744 er-
^) Dict dram., III, 455: «Parodie grossierement falte,»
*) Hist. de Vopera com., II, 457.
^) Beide waren Schauspieler am italienischen Theater zu Paris.
Eine ausführliche Liste ihrer zum Teil nicht gedruckten Theaterstücke
{meist Einakter) findet sich hei Beauchamps, Recherches, 3, Teü,
S. 130 ff. ; über Romagnesi, der gewöhnlich den Schweizer, den Deutschen
oder den Betrunkenen {sie!) spielte, siehe Vapereau, Dict. univ., 8. 1755;
eine Liste seiner Werke findet sich auch 6ei Querard, La Fr, litt, Ylll,
131, 100 mehr als 20 Stücke dieses Autors erwähnt werden.
*) Nach Beauchamps, Rech., 3. Teil, S. 133 wurde es am 31. Dez.
1727 aufgeführt; ebenso Maupoint, Bibl. d. Th. fr., S. 232; La
Porte et Chamfort, Dict., Bd. I, 126 u. III, 66,
— 191 —
schienene Parodie auf, welche Panard^) und Sticotti^)
zu Verfassern hat und die unter dem Titel Roland bekannt
ist.^) Wie bei Dominique, so hat auch hier die listige An-
gelika den aufdriüglichen Rolaad zu einem Stelldichein be-
stellt, und zwar diesmal zum Jahrmarkt von Saint-Germain.
Vergebens sucht Astolf, sein Freund, ihn über die Untreue
seiner Angebeteten zu trösten. Als Roland auf einem Brette
die Namen von Angelika und Medor liest und von einem
eben vorüberziehenden Hochzeitszuge die Flucht der beiden
Liebenden erfährt, da fällt er in Raserei und zerschlägt die
Dekorationen des Theatersaales von Saint-Germain. Wir
zitieren, um eine Probe von dem Stücke zu geben, die Schluß-
verse in der letzten (8.) Szene:
Rol. seul: . . . Air: Les Trembleurs (bei Quinault):
^J^ay donc decouvert Uur trame:
LHngrate trahit ma flamme,
Ce trait dechire mon äme,
Dans quel etat je me vois !
Que tout sente id m/i rage:
Faisons un affreux ravage
Burandalj sers mon courage.
Allans ahattre du bois,T^
^) P a n a r d , mehr bekannt als Dichter von Trink- und Gesellschafts-
liedern, schrieb etliche 80 Theaterstücke {s. Querard, La Fr. litt.,
Bd. yZ, 58i; Vapereau, DicL, S. 1529); Didot (Biogr. gen. XXXIX,
125) schätzt die Zahl derselben sogar auf mehr als achtzig. La Harpe,
Cours de litt. 11, 446, nennt Fanard^s theatralische Erzeugnisse wertlos
und bestreitet ihm den von Marmontel gegebenen Titel «Le La Fontaine
du Vaudeville.» Ebenso ungünstig lauten die Urteile von Desessart
{Bibl. d'un homme de goüt V, 156) und in Michaud's {Biogr. univ.,
XXXII, 61); nach der Kritik des letzten Werkes sind die Stücke
Fanard^s arm an Erfindung und dramatischer Wirkung. Dagegen wird
Fanard von Lenient (La Com., II, 1711172) gelobt und als Schöpfer des
•vaudeville mordl^ bezeichnet.
*) Nach Des Boulmiers (Hist. de Vop. com., Bd. II, 432) wissen
wir von diesem Autor nur, daß er Schauspieler am „neuen italienischen
Theater^ zu Faris war und mit Fagan, Fanard und Dominique eine
Anzahl von Farodien und Vaudevilles schrieb.
*) Nach Leris, Dict, S. 292, wurde der „Roland'' am 20. Januar
1744 aufgeführt. Ebenso La Porte et Chamfort, Dict. III, 71.
— 192 —
Mit diesen Worten beginnt er sein Zerstörungswerk. ^)
Von einem dauernden, künstlerischen Erfolge kann bei
diesen Parodien natürlich nicht gesprochen werden. Sie wurden
für den Augenblick geschaffen, einzig zu dem Zwecke, die
Lachmuskeln des Theaterpublikums für eine Stunde lang zu
reizen, und sie verschwanden schon nach einigen Aufführungen
für immer von der Bühne.
Die große Beliebtheit der Quinault'schen Oper veran-
laß te den gewaltigen Nebenbuhler Glucks Piccini, sich eben-
falls an die Tonsetzung dieses Stoffes zu machen. Mar-
montel, der vielgewandte Schöngeist der zweiten Häifbe des
18. Jahrhunderts, sollte zu diesem Zwecke den Text Quinault's
an einzelnen Stellen umarbeiten.^) So verschwindet denn der
Prolog aus dem Stücke, die Szene, in der Roland's Raserei
ausbricht (IV, 4), wird wesentlich verkürzt, die allegorischen
Gestalten in der letzten Szene der Oper bleiben ebenfalls
weg. Im großen und ganzen ist der Text und die Inszenie-
rung einfacher geworden und nähert sich mehr der klassi-
zistischen Tragödie ßacine's. Trotzdem scheint der Stoff
noch zu romantisch für die vornehm einfache Musik Piccinrs *)
gewesen zu sein. Wenigstens sagt La Harpe, der im übrigen
*) Leris, Dict. portj S. 388 bezeichnet als Parodie der Oper von
Quinault auch den Einakter Polichinelle Gros Jean^ der jedoch nicht
gedruckt wurde und dessen V&rf asser nicht bekannt zu sein scheint. Das
Datum der Auffassung ist bei Leris nicht angegeben. Dasselbe sagt der
Verfasser der Anecd. dram., II, 84. — Barbier (Dict. des Ano-
nymes, VII, 377) gibt noch den Titel einer anderen Parodie^ betitelt
Roland, parodie nouvelle (Par Bailly) s. l. n. d. 8^, 48 Seiten. Leider
gelang es uns nicht, in den drei großen Bibliotlieken von' Paris d^is
Stück ausfindig zu machen. Höchst wahrscheinlich ist das derselbe Roland,
den d'Estree (Rev. d'Hist. litt. 1901, S. 265) im Auge hat, wenn er
sagt: Arlequin Roland fait son entree «ä cheval sv/r un äne». C^tst le
frhre de Vlle de la Folie, il demande un picot en plätre pour sa mon-
ture, mais il semble etre venu plutöt pour se quereller avec sa Boeur.*
*) Lenient, La. comedie du 18« s., II, 232, sagt, Marmontel sei
bereit gewesen, alles zu machen, Tragödien, Opern, Episteln.
') Nach Chouquet, Hist. du dr. m., S. 165, ist der Roland Picdni^s
erste Oper mit französischem Texte. Derselbe Forscher lobt besonders ver-
schiedene Szenen, die Roland's Verzweigung behandeln, umd das Duo
zwiscJien Angelika und Medor.
— 193 —
diesen zweiten Eoland für ein Meisterwerk des musikalischen
Dramas hält ^), von der Raserei Boland's im 4. Akte (4. Sz.),
sie hätte nur einen lächerlichen Eindruck auf die Zuschauer
ausgeübt.^
Auch aus dem 19. Jahrhundert besitzen wir eine Operette^
deren Titel auf die Rolandepisode in Ariost's Epos Bezug
xdmmt. Es ist dies Sauvage's Ängelique et Medar^ zu der
kein Geringerer als der Komponist Ambroise Thomas die
Musik schrieb. Die Operette wurde zum erstenmal am
10. Mai 1843 aufgeführt, geriet aber bald in Vergessenheit.*)
Doch wurde sie durch Druck der weiteren OfPentlichkeit zu-
gänglich gemacht.
Der Inhalt der Operette ist kurz folgender : Ein Theater-
direktor will Piccini's Oper Roland auffüliren, aber es fehlen
ihm noch die Rollen von Medor und-Roland. Zu denselben
werden zwei Verehrer der Sängerin erwählt, welche die An-
gelika zu spielen hat Schließlich einigen sich die beiden
männlichen Rollen dahin, daß der begünstigte Verehrer der
Angelika den Medor, der abgewiesene dagegen den Roland
zu spielen habe.
Wenn auch die Operette weiter keine Beziehungen zum
Ariost'schen Epos hat als einige Namen, so ist das Stück
immerhin interessant als Beweis, daß auch im 19. Jahrhundert
die Gestalten des Orl, für. den Franzosen wohlbekannte Er-
scheinungen waren, und daß besonders die Roland-Episode
eine unvertilgbare Popularität erlangt hat.
*) Courß de litt.^ II, 418^ Anm. 1. Doch ist er mit dem absoluten
Lobe^ das Voltaire dem Stücke spendet, nicht einverstanden.
*) Ibd. Ij 665. — Außer Roland schrieb Marmontel die Opern
AmadiSy Armide, Atys, Isis, Persee, Phaeton und Thesee {sämtliche von
Quinault) um. Von diesen Umarbeitungen sagt die Biogr. univ.
XX VII, 34: «Les changements, ayant faxt disparaitre les taches et non
les beautes des anciennes poisies, ont ajoute ä leur interet et les ont
swrtout rendues susceptibles d^admetti-e toutes les formes d^une musique
qui semblait devoir nou^ etre etrangere.» Ähnl. Didot, Biogr. gen.,
XXXIII, 899 ff.
») Clement, Dict. lyr., S, 40.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 13
194 —
3. Die Isabella-Episode.
Diese Episode, welche bekanntlich den Tod Zerbin's durch
die Hand Mandricard's und das tragische Ende seiner Ge-
liebten Isabella durch einen Schwerthieb Rodomont's be-
handelt, umfaßt im italienischen Epos einen Teil des 24. Ge-
sanges (ToddesZerbin st. 46 — 94), des 28. Gesanges (st. 95 — 102)
und des 29. Gesanges (Tod Isabellens, st. 3 — 31).
Wir haben bereits gesehen, daß Mairet diese Episode in
seinen Roland verflocht und wir verurteilten diese Dramati-
sierung zweier Episoden in einer Tragödie aufs schärfste.
Lange Zeit^) vor Mairet versuchte bereits ein in der
frz. Literaturgeschichte des 16. Jahrhunderts ziemlich be-
kannter Dichter, Nicolas de Montreux (auch bekannt
unter dem Namen Olenix du Mont Sacre), diese Episode zu
dramatisieren.^) Nicolas de Montreux, von dem uns nichts
bekannt ist, als daß er wegen Beteiligung an den Unruhen
von 1601, die gegen Heinrich IV. gerichtet waren, längere
Zeit im Gefängnis saß^), daß er ferner ein 16. Buch zum
^) Nach Parfaict, Hist. 111 j 478 f., erschien die 1. Ausgabe am
25. Aug. 1594; eine andere Ausgabe stammt aus dem J. 1595, das Privileg
vom 18. Dezember 1594; ferner La Croix, Bibl. II, 171; Beau-
champs, Rech., II. Teil, S. 52; La Va liiere i, 260; Leris, Dict,
dratn., S. 195, 496; La Porte et Cham fort, Dict, 111, 478;
Haiireau, Hist. du, Maine, II, 421 — 4S9; Körting, Gesch. d. frz.
Rom., I, 67; Rigal {Theätre fr. av. la periode cla^ss., S. 114).
Mouhy, Abrege, II, 243; Didot, Biogr. gen., XXXVI, 397 und
J o h. B o 1 1 e , Moliereüber Setzungen, Herr. Arch., Bd. 82, S. 108, bezeicJir
nen dagegen irrtümlicherweise 1594 als das Jahr der Veröffentlichung
der ,.Isabella^\
^) Beauchamps, Rech., II, 46, bezeichnet Math, de LavaVs ^ Isa-
belle» {1576) als Tragödie; Mouhy, Abr., I, 270 und Tablettes, II, 45,
wo er LavaVs Isabelle eine Pastorale nennt, und Prölss, Gesch. d.
Dramas, IIi, 31. Eine vorgenommene Prüfung hat uns jedoch gezeigt,
daß LavaVs Bearbeitung dieser Episode kein Drama, sondern eine Ei'-
Zählung in Stanzen ist, ivelche die Klagen Isabellens um den toten Zerbin
imd ihr eigenes unglückseliges Ende besingt.
3) La Croix, Bibl, II, 171; ferner La Valliere, l. c, I, 261;
Haureau, Hist. du Maine 11, 421—439: «..ne en 1561 \ on manquf
— 195 —
Amadis de Gaule, vier Bücher der „Schäfereien der schÖDen
Julia", drei Pastoralen, ebensoviele Tragödien und eine Komödie
schrieb. ^) Er war ein eifriger Verehrer und Nachahmer der
italienischen Literatur, besonders der ital. Schäferpoesie ^), die
er in seinem Schäferroman geradezu sklavisch nachahmt^).
Die dramatische Bearbeitung einer Episode aus dem Orl. für,
ist daher als ein Ausfluß von Montreux' Begeisterung für den
italienischen Epiker zu betrachten. *) Ob das Stück eine Auf-
führung erlebte, ist uns nicht überliefert. Doch scheint es
ims aus zwei Gründen wahrscheinlich : erstens wissen wir, daß
ein anderes Stück Montreux', die Komödie La Joyeuse 1581
in Poitiers gespielt wurde % und zweitens hatte das Stück im
Ausgange des 16. und Anfange des 17. Jahrh. eine solche Be-
rühmtheit erlangt, daß es 1607 sogar ins Deutsche übersetzt
wurde. ®) Allerdings wird uns eine nähere Untersuchung des
Stückes zeigen, daß es nichts weniger als dramatisch ist.
Wir geben zunächst eine Inhaltsangabe der Isabella.
Akt I ') : In einem mehrere Seiten umfassenden Monologe
gibt sich der Geist Zeobin's (sie !) den Zuschauern zu erkennen,
erzählt von seiner Liebe zu Isabella, von seinem tragischen
Ende, und hofft, mit seiner Geliebten nach deren Tode in der
de renseignements sur sa vie» ; Nouv. Biogr. gen. XXXVI, 397 f.; Holl,
Tendenzdrama, S. ^8,
') Nouv, Biogr., 36, 397,
2) flaureau, l. c, 433: «11 semble preferer V Ar loste ä Virgile,
Sannazar ä Theocrite, et Garnier ä Sophocle.>^
') Körting, Gesch. des frz. Rom., J, 67.
*) La Croix du Maine, l. c., 11, 171, glaubt sogar, Montreux
habe eine «Suite de VArioste» {soll wohl heißen du Roland furieux) ge-
schrieben, worin die Taten der Bourbonen besungen werden-, doch sei
das Werk nicht gedruckt worden.
^) ßigal, Le Theätre frang., S. 114; L&Tison, La trag, class, (Rev.
de VHist, litt. 1903, S. 207); Faguet, Trag, fr., S. 315, behauptet, daß
auch die Tragödie Cleopätre 1594 aufgeführt tvurde; da jedoch Faguet
sich auf das unzuverlässige Journal du Th. fr. stützt, ist die Richtigkeit
dieser Behauptung zu bezweifeln.
«) Näheres darüber : J. B o 1 1 e , Moliereübersetzungen in Deidschland
[Herr, Arch., LXXXII, 108) und Trautmann, Frz. Schausp. {Jahr-
buch f, Münch. Gesch. II, 294).
') Das Stück ist ohne Szeneneinteilung und Verszählung.
18*
— 196 —
Unterwelt weiterzuleben; weiß er doch, daß Isabelle bald ihre
Treue mit dem Tode büßen muß, den sie von Rodomont's
Hand erleiden wird. Nachdem Zeobin's Geist wieder ver-
schwunden ist, erscheint Rodomont, und prahlt mit seinen
Heldentaten vor Paris; seinem Vertrauten Sicambras teilt er
mit, daß er in Isabellen verliebt sei und daß er dieselbe, falls
sie nicht freiwillig ihm folge, mit Gewalt sich erobern würde.
Vergebens stellt ihm Sicambras vor, daß Liebe sich nicht er-
zwingen lasse, vergebens mahnt er den Helden an seine Ritter-
pflicht. Das Gespräch über diesen Gegenstand wird mehrere
Seiten lang zwischen den beiden weitergeführt. Ein Chor
verherrlicht zum Schlüsse die Macht der Liebe, der Keusch-
heit und der Treue.
Akt n : Auch dieser Akt wird durch einen langen Mono-
log eröffnet, in dem Isabelle den Tod ihres Zeobin's erzählt
und den Entschluß äußert, sich das Leben nehmen zu wollen.
Fleurdelys, ihre Vertraute, sucht sie in einem langen Zwie-
gespräche davon abzubringen, worauf der Chor mit eiiner aber-
maligen Verherrlichung der Liebe und Treue schließt
Akt lU : Renault, der so unglücklich in die leichtsinnige
Angelika verliebt war, jetzt aber vollständig von seiner Liebe
geheilt ist, teilt uns die ganze Geschichte dieser Leidenschaft
mit, während Brandimart, Renault^s Freund und Fleurdelys'
Verehrer, das Schicksal Roland's, besonders den Ausbruch
seiner Raserei erzählt, worauf zwischen den beiden ein langer
Dialog über die Frage geführt wird, ob die Liebe glücklich
oder unglücklich mache. Zum Schlüsse kommt Isabelle auf
die Bühne und schildert zum zweitenmal in einem langen
Einzelgespräch den Tod Zeobin's. Wie die folgenden, so
wird auch dieser Akt durch einen Chorgesang beendet.
Akt IV: Rodomont, üe fils des TitanesT>y beschließt, nach-
dem er sich mit Sicambras noch einmal beraten hat, Isabella
in seine Gewalt zu bringen, weil er ein Verbrechen aus Liebe
für statthaft hält. Gleich darauf trägt er seine Bewerbungen
Isabellen vor, die zuerst mit Bitten den immer zudringlicher
werdenden Freier abzuwehren versucht, dann aber ihre Zu-
flucht zu einer List nimmt. Sie erzählt Rodomont von wunder-
baren Ejräutern, die den Körper unverwundbar machen, und
— 197 —
lädt ihn ein, sie mit ihr zu pflücken. Kodomont leistet der
Einladung Folge.
Akt V: Fleurdelys erfährt durch den langen Bericht
eines Boten die Einzelheiten des Todes ihrer Herrin und
bricht darauf in endlose Klagen aus, mit denen die Tragödie
schließt.
Von einer Handlung in der Isabella können wir, streng
genommen, nicht sprechen. Monologe und Dialoge wechseln
miteinander ab ; nirgends ist das Auftreten einer Person moti-
viert, nirgends der Umschlag einer Gesinnung dargestellt.
Alles ist Erzählung, und, was noch schlimmer ist, die Er-
zählungen wiederholen sich ; so wird Zeobin's Tod nicht weniger
als dreimal geschildert (Akt I von Zeobin's Geist, Akt II von
Isabelle, Akt V vom Boten).
Diese Schilderung und der Bericht über Isabellens Tod
sind die einzigen größeren Entlehnungen aus der entsprechen-
den Episode des OrL für. Ferner geht Bodomont's Meinung
(Akt IV, S. 66), ein Verbrechen aus Liebe sei statthaft, auf
Ariost zurück, der {OrL für,, C. XXIV, 38) sagt:
^E faeilmente ogni scusa s^ammette,
Quando in Amor la colpa si riflette,»
Weder Rodomont^s Prahlereien, noch sein Zwiegespräch
mit dem im Epos überhaupt nicht erwähnten Sicainbras, noch
Benault's, Brandimart's und Fleurdelys' Auftreten sind vom
französischen Dichter aus der italienischen Quelle entlehnt.
Renault steht bei Ariost ebensowenig in Verbindung mit der
Isabella-Episode wie das rührende Liebespaar Brandimart und
Fleurdelys (cf. OrL für,, C. XLI, st. 101 u. C. XLIII, st.
154 jBf.). Eigentümlich ist das Erscheinen von Zeobin's
Geist am Anfange des Stückes ; vielleicht gehen wir nicht irre,
wenn wir die Einführung des Geistes durch Montreux als eine
Reminiszenz seiner Ariostlektüre betrachten, wo gleich im 1.
Gesänge (st. 25) der Geist Argaglia's aus dem Flusse auf-
taucht. Vielleicht auch fand Montreux das Vorbild der
« Ornbre» in Garnier's Ilijjpolyte, einem Stücke, welches mit dem
Auftreten des Geistes von Egee beginnt. Der Botenbericht
am Schlüsse der Tragödie ist eine Nachahmung Garnier's,
— 198 —
bei dem solche Berichte, ebenso wie bei Montreux, die dra-
matische Handlung ersetzen.^)
Von den auftretenden Personen interessiert uns nur Hodo-
mont, insofern er hier zum erstenmal in einer aus Ariost
entlehnten Tragödie auftritt. ^) Offenbar schwebte dem Dichter
der Eodomont der Komödie vor, da der fi;Odomont des Ariost,
wie wir bereits bemerkt haben, keineswegs der Prahlhans und
Weiberfreund ist, wie ihn Montreux darstellt.
■•
Die Schilderung seiner Heldentaten ist voll von Über-
treibungen; er hält sich für einen Nachkommen der Titanen
(Akt IV, S. 60); keiner der Paladine des großen Karl ist
ihm gewachsen, um Isabellens Liebe zu gewinnen, lügt er
ihr vor, daß zahllose Könige und Fürsten ihm Untertan seien;
tCent Roys ä me servir et niille riches Princes
Me venant faire ioug et offrir leurs provinces.j
(Akt IV, S. 67).
Als dann Isabella sich trotzdem ablehnend gegen ihn
verhält, sagt er ganz erstaunt:
^Mais Celle ne dolt j^cls penser estre en malheur
Qui twnt de Eodomont esclave la valeur
Qui commande mir luy comme vous Isabelle. ^
(Akt IV, S. 67).
Alle Frauen, selbst die Göttinnen, begehren, wie er sich
rühmt, seine Liebe:
«Car quand bieti avioureux de la fiere Pallas,
De Jwion, de Venus, et Diane, la belle,
Chacune j^ctf'oistroit ä mes desirs cruelle ?
Rodomont peut assez pour en despit des Dieux
Bavir d'elles le bien dont il est ennuyeux (envieux?),*
(Akt 1, S. 13.)
Dagegen vermissen wir eine Hauptschwäche Bodomont's,
die bei Ariost (O. f., 0. XXIX, 20 - 23) so prächtig geschildert
ist, nämlich die allzu große Liebe dieses Mohamedaners für
den Wein.
1) Vgl Morf, Gesch., S. 2i:^ ; Suchier u. Birch-Hirschf..
Gesch., S. 369.
*) ß auter 's Rodomontade fällt erst in das Jahr 1605; 8. ob, S. 131
— 199 —
Einige Stellen in Montreux^ Tragödie sind nahezu Über-
setzungen des Originals, nur daß der französische Dichter
alles mit größerer Ausführlichkeit und Schwerfälligkeit wieder-
gibt. So sagt Eodomont zu dem Vorschlage Isabellens, die
Wunderkräuter zu suchen:
€je le veuXj il 7ne piaist , ensemblement allons
Chercher toutes ces fleurs au^^dessous des vallons,
Ällons ensemblement sur les costeanx süperbes
Ces r deines eueillir et amasser ces herbes.:»
(Akt IV, S. 80.)
Man vergleiche damit Orl. für., C. XXIX, st. 19:
<icElla per balze e per valloni oscuri
Dalle cittä lontana e dalle ville
Ricoglie di molf erbe; e il Saradno
Non rabbandona, e Ve sempre viei7io.»
Im nämlichen Akte finden sich folgende Worte Isabellens :
«/e veux bien vous aymer, bien qu^en ayex pouvoir
Plus belle que je suis, mille beautex avoir
Mais je vous veux avant une rechte apprendre,>
(Akt IV, S. 82.)
Die entsprechende Stelle bei Ariost (O. f., 0. XXIX,
st. 14) lautet:
«Potrete iuttavia Htrovar cento
E mille donne di viso giocondo;
Ma chi vi possa dar questo mio dono,
Nessuno al mondo, o pochi altri ci sono,»
Eine weitere Nachahmung findet sich noch im 5. Akte,
wo es heißt:
^Decouvre son beau col, monstre son chaste sein,
Dit au More cruel : Or 7naintenant espreuve,
Si rien plus dur que moy ä ton avis se treuve,*
(Akt V, S. 98.)
Ahnlich hieß es schon im Orl. für., C. XXIX, st. 25:
mBagnossi, come disse, e Heia pforse
Air incauto Pagano il collo ignudo,y>
— 200 —
Man vergleiche hier die wirkangsyoUe Kürze bei Ariost
gegenüber der Schwerfälligkeit der Montreux'schen SchüderoDg!
Endlich gehört noch eine andere Stelle in demselben Akte
(S. 99) hierher:
tRodomont enyvre tire son /<?r alors,
Eh frappe sur le col quHl separe du corps
De la cJiaste Isabelle, et mourani venerable
Proiionga son Zeobin (sie!) d'une voix lamentable,*
Fast geradeso lautet die betreffende Stelle im Original
{Chi. für,, C. XXIX, St. 25, 26):
«. . . e scorse
Sl colla mano et si col feiro crudo^
Che del bei capo, giä di Amore atbergo,
Fe tro7ico rimanere il petto e il tergo.
Quel fe tre balzi; e fimne udita chiara
Vocey Muscendo nominö Zerbino.T>
Sollen wir ein Gesamturteil über Isabelle fällen, so kar:^^^
dies nur ein in jeder Beziehung ungünstiges sein. Mc^^'
treux hat in diesem Stücke bewiesen, daß ihm alles Zeug ^^
einem Dramatiker fehlt, daß er keine Ahnung von dran:»^*'
tischer Handlung, von Entwicklung oder von der Zeic^l^'
nung von Charakteren hat. Jeder der Akte beginnt mit em^^^
oder zwei langen Monologen, geht dann über auf eio lan^'ös
Zwiegespräch und endet wiederum mit einem Monologe. .^— ^
glücklichsten ist er immer noch da, wo er sich an sei-Xio
Quelle hält.
Es kann uns daher nicht wundernehmen, wenn die E^Txi-
tiken über Montreux und speziell über seine IsabeUe gerade
nicht voll des Lobes sind.
Die Brüder Parfaict^) bezeichnen die dramatischen Lei-
stungen Montreux' als ungenießbar, von seiner IsabeUe ^ sagen
^) Bist, du Th. fr. III, 479: «A notre egard, trop contens de h
lecture de ses Poemes Dramatiques, nom nous promettons bien de n'y
januiis retourtier.»
^) Ibd.j S. 496: «L^Auteur n\i fait que niettre ce sujet en tnau'
vois vers Fran^ois et lux donner une forme Dramaiiqüe ä la manitrt
de son tems ...» |
— 201 —
sie nur, daß der Dichter den bei Ariost yorgefandenen Stoff
in schlechte französische Verse gebracht und nach Art der
Zeit dramatisiert habe. NachGoujet sind der Stil und die
Ausdrucksweise unseres Stückes sehr hart, die Verse dagegen
unter der Mittelmäßigkeit.^) Mouhy nennt das Stück schlecht
und tadelt besonders den Versbau.^ HaurSau meint, die
Isabelle sei einfach eine Paraphrasierung der Ariost'schen
Episode, die aus einer Reihe von Eeden bestehe und deren
größter Fehler sei, daß sie äußerst langweilig wirke.^) Gün-
stiger ist die Kritik über unseren Dichter in der Nouv. Biogr.
gdn.^), welche die warme Sprache und die stellenweise sehr
schönen Verse des Stückes besonders heryorhebt. Faguet,
nach welchem Montreux ein Schüler Gamier's ist, bezeichnet
dessen Tragödie als zu langweilig und als veraltet für ihre
Zeit; die Isabelle nennt er nach dem Journal du Th. fr.
€romanesque et bizarj-e,:» ^)
Die Grande Encyclopedie charakterisiert Montreux' Stücke
als „ungleichwertig, meist mittelmäßig", schweigt aber über die
Isabelle.*) ßigal endlich scheint dieselbe überhaupt nicht zu
den regelrechten Tragödien rechnen zu wollen '), denn er sagt
von ihr: «Ävec son apparüion d^ombre au debut et, ä la fin, son
suicide heroique raconte par un messager, eile a la pretention d\etre
une tragedie reguliere:»,^)
^) Bibl fr., Bd. XV, 104.
*) Tablettes, S. 134: «niauvaise et nial versifiSe».
*) Hist du Maine, S. 424: «^La tragedie de Montr, est simplement
une Paraphrase du rScit de VÄriosie et tonte cette parapkrase consiste en
de longs discours ricites successivement par Vombre de Zeobin , par Ro*
donwnt, par Sicambras, son ecuyer, par Isabelle, par Fleurdelys, par
Brandimart et par le preux Retiand etc.»
*) Nouv. Biogr. gen., XXXVI, 397,
*) La Trag, fr., 8. 315: << Montreux est en retard sur son temps.»
Fag. erklärt, ein Exemplar der Isabelle nicht gefunden zu haben, und beruft
sich d^haU) auf das Journal du Th. fr.
«) Bd. 24, 278.
') Le thiatre de la Ren., in: Jull&oille, III, 315.
*) Alex. Hardy, von dem bekanntlich 12 Stücke mir dem Titel nach
durch das Stück MaheloVs {s. darüber Rigal, A. Hardy, S. 72 u. 176 u. bes.
Rigal, Le Th. fr. avayit Corneille, S. 310 ff., wo das «Memoire» von Mahelot
genau beschrieben ist) erhalten sind, schrieb auch eine Tragödie «La folie
— 202 —
Außer Montreux' Isahelle besitzen wir noch eine zweite
Tragödie, in welcher die Isabella-Episode behandelt wird,
welche jedoch, wie aus dem Titel derselben hervorgeht, Zerbin's
Abenteuer mit seinen treulosen Freunden Choret und Odoric
(Orl. für., C. XVIII) umfaßt.^) Da ein Verfasser von den
Forschern^), die das Stück erwähnen, nicht angegeben ist,
sind wir auf Vermutungen angewiesen, oder müssen auf eine
Lösung der Verfasserfrage verzichten. Unseres Erachtens
käme in erster Linie Ch. Bauter in Betracht, der ja, wie wir
bereits sagten, außer den beiden schon erwähnten Tragödien
noch andere ähnliche, uns aber nicht bekannte Stücke schrieb ^) ;
als zweiter vermutlicher Verfasser wäre Coignee deBourron
zu nennen, der 7 Jahre früher auch die Rolandepisode dra-
matisch behandelt hatte. Da es uns bisher nicht möglich
war, das Stück in einer der Pariser Bibliotheken ausfindig zu
machen, können wir unsere Hypothesen nicht näher begründen.
Wir möchten nur darauf hinweisen, daß Bourron's Stücke
dysabelle» (= La folie d^Isahelle)^ von der La Valli^re {Bibl. I, 551)
sagt, sie scheine dem Ariost entlehnt zu sein. Doch lä/U die dem Stücke
hinzugefügte Bühnenweisung Mahelofs einigen Zweifel über die Richtig-
Iceit von La Valliere^s Vermutung erstehen. Denn jener sagt in der
Bühnenweisung u. a.: «H faut que le theätre soit beau, et ä un des
cötes une belle chambre oü il y ait un beau lit, des sieges pour s'asseoir.
La dite chambre s'ouvre et se ferme plusieurs fois. Vous la pouvez
mettre au milieu du theätre, si vous voulez.» Diese Angabe des Schau-
platzes würde absolut nicht stimmen zur Isabellaepisode bei Ariost. Auch
eine Tragödie, in xcelcher Renault eine bedeutende Rolle spielt, scheint
Hardy geschrieben zu haben (sieÄe Rigal, AI. Hardy, S.72); Stengel
{Neudruck des AI. Hardy, S. IV) meint, dieselbe sei identisch mit dem
von uns bereits erwähnten Stücke La mort de Bradamante {1622; siehe
Parfaict, Hist. IV, 366 \i. La Vall. I, 549); doch spielt Renault
in dieser Tragödie eine so untergeordnete Rolle, daß wir StengeVs Ver-
mutung zurückiveisen müssen. Weitere Untersuchungen sind hietHiber
noch nicht angestellt.
^) Les Amours de Zerbin et d^Isabelle, princesse fugitive, oü il est
remarque les perils et grandes fortunes passees par ledit Zerbin, recher-
chant son Isabelle par le monde, et comme il est delivre de la mort par
Roland. Troyes. 1621, 8^.
«) Beauch., Rech., 2. Teil, S. 92; La Valliere, Bibl. I, 536;
Mouhy, Abrege I, 501.
*) Vgl. auch Beauch., l. c, S. 72.
— 203 —
Jngelique et Medor nnd der anonymen Tragödie ein auffällig
langer Titel gemeinsam ist, wie ihn andere zeitgenössische
Stücke nicht aufzuweisen haben.
Eine Inhaltsangabe der Tragödie findet sich bei La
Yallidre.^) Das Stück ist außerdem bei Beauchamps^) und
Mouhy ^) erwähnt, welch' letzterer es zu seiner Zeit schon zu
den tPieces Anonymes et Tres dif fidles d irouver> zählt.
4. Die Ginevra-Episode. ^)
Diese Episode gehört zu den in Frankreich am meisten
gelesenen. Schon Mellin de Saint-Gelais und Desportes ver-
suchten sie in ihrer Muttersprache nachzuerzählen; auch in
England war sie, wie wir gesehen haben, schon frühzeitig be-
kannt, und beliebt, wohl deshalb, weil der Schauplatz derselben
Schottland ist. Die Episode umfaßt im italienischen Epos
drei Gesänge (C. IV, st. 56—72, C. V ganz, 0. VI, st. 2—16).
Von allen Episoden des OrL für. wird die Geschichte
der unglücklichen schottischen Königstochter zuerst dramatisch
behandelt.
Am Faschingsdienstag des Jahres 1564^) nämlich wurde
eine Tragikomödie Geniew^e im Schlosse zuFontainebleau
vor dem königlichen Hofe aufgeführt, wobei die Rollen von
den einzelnen Mitgliedern des Hofes gespielt wurden.®)
1) Bihl I, 536 ff. In dem Bull, ital (IF, 00-61) gibt Tolda
eine Inhaltsangabe des Stückes genau nach La Valliere, ohne jedoch
seine Quelle zu nennen. Über die Verfasserfrage äußert er sich nicht,
toie es überhaupt dem ganzen Artikel an Gründlichkeit mangelt.
*) Rech., 2. Teil, S. 92.
') Abrege I, 501.
*) Über die Quelle ders. (BandellOy Novelle. /« parte, nov. 22) siehe
Rajna, Le fonti ddV Orl. f., S. 128 ff.
*) Madeleine, Poetes fr. ä Fontainebleau, S. 359 und Lanson,
Les orig, de la trag, class. {Rev. d^Hist. litt. 1903. X, 418).
*) Nach Brantome^s Erzählung, die wir nachfolgen lassen, geicinnt
es den Anschein, als ob nur weibliche Personen spielten. Doch glauben
wir, daß Brantome's Schilderung in diesem Falle yücht (janz genau ist,
zumal wir loissen, daß z. B. der Epilog von Castelnau, also V07i ehiem
Manne vorgetragen imrde.
— 204 —
\ Das Stück scheint yerschollen zu sein; doch haben wir
einen ziemlich eingehenden Bericht des französischen Chronisten
Castelnan^), welcher selber an der Aufführung der Oenievre
tätigen Anteil nahm. Dem Lokalhistoriker Madeleine aus
Fontainebleau gebührt das Verdienst^ auf das Stück neuer-
dings aufmerksam gemacht zu haben.
Wir wollen auf diese merkwürdige Aufführung näher ein-^
gehen und Madeleine's Bericht darüber durch Hinzuziehung
neuer Quellen ergänzen.
Außer Ton Castelnau wird nämlich unsere Tragödie auch
von Brant6me^)in den Dames illustres erwähnt, wobei er die
Vorliebe Katharina's von Medici, der damaligen französischen
Königin, für Turniere und andere Arten von Waflfenspielen
hervorhebt und erzählt, wie „eine Komödie von der schönen
Ginevra aus Ariost" von «niadame d'Angouleme et par ses plus
iwnnestes et heiles princesses et dames et filles de sa cour» so vor-
trefflich, wie noch keine andere aufgeführt wurde. ^) Dan
Michel erwähnt die Aufführung einer Komödie am Abend
des Faschingssonntags, so daß wir es hier entweder mit
einer kleinen Zeitverwechslung zu tun haben, oder wir müßten
annehmen, Dan spreche von einem anderen Stücke.*)
Aus der Korrespondenz der Königin selbst geht hervor,
daß sie Anfangs Februar 1564 in Fontainebleau war, wo sie
ihren Gemahl erwartete, doch erwähnt sie sonderbarerweise
nichts von den Festlichkeiten.'^)
Auch Castelnau nennt den Titel unseres Stückes nicht,
sondern berichtet^) nur über den Epilog, den er „nach der
Komödie, die von einem jeden bewundert wurde", vorzutragen
hatte und dessen Verfasser kein Geringerer war als Bonsar d.
^) Memoires sur les regnes de Frani'ois II, Charles IX, Henri III,
et de Catherine de Medicis. P. 1621, #, S. 284 ff,
^) (Euvres de Br. [Ausg. Laianne, II, 346).
^) Ibd., S. 347: «Une comedie sur le sujet de la helle Genevre de
VArioste.»
*) Le Tresor des Merveilles de la Maison royale de Fontainehleau^ S, 5.9.
^) Lettres de Cath. d. Medicis, Bd. IT, 146 {in der Sammlung der
Documents inedits de VHist. de France).
**) Memoires, S. 234: «Et apres la Comedie qui fut admiree d^ufi
chascim ...»
— 205 —
In seinem Boccage Royal spielt B/onsard sogar auf die
Oenievj'e an, als er sich an Katharina von Medici wendet und
die Erinnerung an die Fontainebleauer Festlichkeiten auf-
frischt; die betreflfenden Verse lauten^):
«Qimfid voirrons-nous sur le Jiatit dhine scene
Quelque Janni ayant la joue pleme
Ou de farine ou d'encre qui dira
Qudqive hon niot qui vous rejouira ?
Qtmnd voirrons'nous un autre Folynesse
Tromper Dalinde? . . . . »
Ein Kommentator des Boccage Royal^ Pierre de Mar-
cassus, nahezu ein Zeitgenosse Ronsard's, bemerkt zu den
beiden letzten Versen, daß sie auf ein Stück anspielen, welches
1564 zu Fontainebleau gespielt wurde. ^)
Endlich wird inVauquelin's Art poetique^) ein Stück,
welches die Ginerra-Episode behandelt, als Muster einer Tragi-
komödie zitiert:
«Pw/s qu'est il rien plus beau qiCcn aigreur adouci,
Par le contraire euent de la Pe7'ipeiie ?
Polinesse croyoit la mort d^Ariodant,
Esperant voir ietie7* dans vn hrasier ardani
Vinnocente Geneure, alors que miserable
Au contraire il se void mourir comme coupable,-»
Diese Verse beziehen sich sicherlich auf die in Fontaine-
bleau aufgeführte Geniövre, es müßte denn sein, daß später
noch ein anderes, uns unbekanntes, ähnliches Stück ver-
öflfentlicht wurde.
über den Verfasser der Geniewe sind wir vollständig im
Dunkeln. Es ist indes anzunehmen, daß derselbe in dem
damals in Fontainebleau weilenden Dichterkreis zu suchen
ist. Sehr wichtig scheint uns die Tatsache, daß bereits 1556
eine französische Bearbeitung unserer Episode von Claude
*) Boccage royal {p. 2>- Blanchemain) III^ S. 384.
*) Bei Madeleine, l. c, S. 359 angeführt.
^ Les diverses Poesies de VauqneUn 7, 88; im 2. Buch des Art
poHique.
— 206 —
Taillemont geliefert wurde, welche jener Tragödie als
Quelle dienen konnte.^) Oder sollte Gl. Taillemont später
seine Bearbeitung zu einem Drama umgeändert haben ? Vor-
erst können wir jedoch über diese Frage keine genügende
Antwort geben.
Sind wir über die Genievre von Fontainebleau nur auf
Vermutungen angewiesen, so besitzen wir dagegen die Oenevre
des Claude Billard, welche dieser Dichter im Jahre 1610
veröffentlichte und die noch im nämlichen Jahre über die
Bühne ging. Billard, in seiner Jugend Page der Her-
zogin von Ketz, später ein tatenloses Leben auf seinem Schlosse
Courgenay verbringend, hinterließ sieben Tragödien und die
Tragikomödie Genövre, einige kleinere französische und
lateinische Gedichte und ein religiöses Epos, V^glise trioni-
phante, das jedoch nicht veröffentlicht wurde.
Wir lassen zunächst eine Inhaltsangabe seiner Tragi-
komödie folgen.
Ariodan erzählt in einem neun Seiten langen Monologe, wie
er von seiner Geliebten Ginevra und dem Herzoge Polynesso
verraten worden ist, und sein Schmerz hierüber ist so groß,
daß er sich zu töten beschließt. Nachdem der Chor ein
Klagelied über die verhängnisvollen Folgen der Eifersucht
angestimmt hat, deutet er an, daß Ariodan vielleicht falsch
gesehen habe und daß der Verleumder von Ginevra's Ehre
bestraft werden würde.
Akt II : Ariodan's Bruder, Lurquain, verflucht die treu-
lose Ginevra, weil sie seinen Bruder in den Tod getrieben
habe ; er will ihren Frevel blutig rächen, indem er den König,
Ginevra's Vater, zur Anordnung eines ,, Gottesurteils" drängt,
das die Schuld oder Unschuld des Mädchens ans Tageslicht
bringen soll. Der Chor nimmt am Schlüsse des Aktes für
die Königstochter Partei, da er von deren Unschuld fest
überzeugt ist.
*) Le conte de Vinfante Genevre figle du Roy d'Escosse pris du
Furieiix et fet Frangoes. — Die Erzählung befindet sich in der Tricarite
des Cl. Taillemont^ Lyonoes, Lyon, J. Temporal, 1556, 8^. Nur bei Du
Verdier, S, 954, erwähnt.
— 207 —
Akt III: Giüevra beweint in einem fünf Seiten langen
Monologe ihren tot geglaubten Ariodan, um so mehr, als sie
den Grnnd seines Selbstmordes nicht ahnen kann, worauf
schließlich der Chor ein Loblied auf die lindernde Wirkung
der Tränen anstimmt.
Akt IV : Nachdem Lurqain mit harten Worten Ginerra
des Verrates an Ariodan beschuldigt hat, bricht diese wiederum
in laute Klagen aus und bedauert ganz besonders, daß
ihr in der Feme weilender Bruder Zerbin für ihre Ehre
nicht eintreten kann. Die königlichen Eltern suchen ihr Kind
zu trösten, und rufen Gott und die Heiligen in langen Bitten
zum Beistande an, damit der l)eyorstehende Zweikampf ein
gutes Ende für Ginevra nehme. In solcher Bedrängnis weiß
auch der Chor keinen andern Trost als das unerschütterliche
Vertrauen zu Gott, der die Unschuld rette.
Akt V: Noch ehe, der Zweikampf zwischen Lurquain
und dem unbekannten Ritter, der sich in letzter Stunde für
Ginevra gemeldet hat, zum Austrag kommt, erscheint Kenault
am Hofe. Nachdem er mit ausführlichen Worten seine Her-
kunft und seine Heldentaten berichtet hat, erzählt er, daß er
Dalinde, die Vertraute Ginevra's und verstoßene Geliebte
Polynesso's, getroffen habe ; von ihr sei ihm mitgeteilt worden,
daß sie in der Kleidung ihrer Herrin mit Polynesso das
nächtliche Stelldichein am Balkon gehabt habe. Aus Dalinden's
weiterem Berichte ergibt sich, daß Polynesso seinem Freunde
Ariodan den Glauben an die Treue Ginevra's rauben und
deren Liebe dann selber gewinnen wollte.
Auf diese Erzählung Reoault's hin wird der Zweikampf
sofort aufgehoben, und Polynesso auf königliche Verfügung
hin dem Feuertode überliefert, der unbekannte Ritter aber,
der in letzter Stunde für die Königstochter eintreten wollte,
ist kein anderer als Ariodan, welcher sich allerdings ins Meer
geworfen hatte, aber durch das kalte Wasser bald wieder
zur besseren Einsicht gebracht wurde. Bereitwillig belohnt
der König den tapferen Ariodan mit der Hand seiner Tochter.
Was das Verhältnis dieser „Handlung" zu Ariost betriflft,
so findet sich nur eine Abweichung von der italienischen
Quelle; während nämlich Polinesso in der Tragikomödie den
— 208 —
Feuertod stirbt, scheint dieser Verräter bei Ariost ohne Be-
strafung davongekommen zu sein (cf. OrL für., C. VI, st. 15).
Trotz dieser engen Anlehnung an den Epiker lassen sich
keine wörtlichen Nachahmungen oder Übersetzungen einzelner
Szenen nachweisen. Billard ist viel weitschweifiger als sein
Vorbild; wo Ariost mit einem oder ein paar Versen eine
Situation zeichnet oder eine Gemütsstimmung schüdert, da
malt der französische Dichter breit aus, wobei er besonders
die Kumpelkammer der griechischen und römischen Mytho-
logie ausplündert, wie es eben damals in der Schule Gamier's
Sitte war. So beruht Ariodan's langer Monolog (Akt I, 1)
auf den zwei Versen bei Ariost (Orl, für., C. V, 52):
<LCadde in tanto dolor, che si dispone
Allora, allora di voler morire,T>
Ebenso ist Lurquain's Monolog (Akt II, 1) eine Aus-
malung der 4 Verse im OrL für. (G. V, 61):
«D/ tutii il sico fraiel moströ piü lutto,
E si Sommer se nel dolor si forte y
Ch^ad esempio di lui contra se stesso
Voltö qitasi la man^ per irgli appresso, » ^)
Endlich sind Ginevra's Klagen um den totgeglaubten
Geliebten eine breit angelegte Paraphrase der 60. Stanze des
5. Gesanges.
Von einer Charakterisierung der Personen des Stückes
kann streng genommen nicht gesprochen werden, da sie
immer nur auftreten, um irgend eine Begebenheit zu er-
zählen ; natürlich sind die männlichen Charaktere nicht mehr
die tatendurstigen Helden Ariost's, die lieber wuchtige Streiche
austeilen als lange Beden halten. Eine bemerkenswerte Ände-
rung hat im französischen Drama besonders Benault erfahren;
er spricht ungemein viel, und zwar in den hochmütigsten Aus-
drücken, Yon sich und seinen Heldentaten, so daß er auffällig
an den Bodomont der früher von uns behandelten Stücke
erinnert. So tritt er gleich anfangs mit folgenden Worten auf:
*) Im Unterschiede von Ariost geht hier [Akt lY, 2) Lurquain zu
Ginevra selbst^ während er im Epos mir vor den König tritt und da»
Gottesurteil verlangt
— 80» —
tJ^adore ce grand Dim, je löue miUe fois
Le grand Dieu quia&nJa fait et Chretien et Fran^ois
Et du sang de Clairmont ...»
(Akt V, 1, S. 76).
Von seinen Taten spricht er sodann in höchst prahle-
rischer Weise:
tJ^ay brave P Orient et porte sur le front
Plus de palms» de prix, trophies de vietowea
QuHl ne court dans la mer d'eau flottante de Loyre,
Que le Tage n^ielot en sea flbts eeumms
De sahhns ä grams (for, ny que le Nil famefus
Ne voü d'arbres touffus aux grai^ds monts de la Lwne»
(Akt V, 1, 77).
In diesem Tone geht es mehrere Seiten hindurch.
Den Chorgesängen jedoch kann man einen gewissen
poetischen Wert nicht absprechen. Meist in bilderreicher
Sprache sich bewegend, beschäftigen sie sich mit einem dem
Iiihalt des yoraasgehenden Aktes entsprechenden Thema.
So widmet der Chor am Schlüsse des II. Aktes der „Wahr-
heit" folgende Zeilen:
« Verite, fille impolue
A pour son pere le iempsj
Pour mere la plaine bleue
Des Cieux au tour inconstans;
Le temps muahle, et les Dieux,
Deseouvrant tout ä nos yeux.>
Besonders poetisch ist der Chorgesang am Ende des
3. Aktes; da vernehmen wir das Lob der Tränen in folgen-
dem Sechszeilier :
^Nature donne aux oyseaux
Le bec et Vaile pour armes;
Le courage aux lyonceauxy
Aux dames Vceü et les larrnes:
Bei ceil le Roy de nos coeurs,
Larrnes vengeance aux langueurs,>
In demselben Chore ist darauf hingewiesen, daß Ginevra^s
Schmerz der Freude Platz machen wird, wie nach langer
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 14
— 210 —
Dürre die Blume durch erquickenden Eegen neubelebt und er-
frischt wird: «^
tComme un arage (Teste
Commence par le tonnerey
Finit par Vkumidite,
De pluie abreuvant ses pleurs
Farde Vemail de nos fleurs.»
Das Gleichnis stammt übrigens aus dem OrL für., wo
ebenfalls die glückliche Wendung früherer Betrübnis mit der
vom Regen erquickten Blume verglichen wurde (C. 32, 108).
Abgesehen von diesen einzelnen lyrischen Schönheiten
ist die Genevre Billard's ein schlechtes Machwerk, das
den Namen Tragikomödie überhaupt nicht verdient, da es
keine Handlung, sondern nur eine lange Eeihe von Monologen
und ein paar Dialoge enthält.
Nicht besser lautet das Urteil der Forscher, die das Stück
gelesen und kritisiert haben. Beauchamps macht dem Dichter
der Genevre den Vorwurf anberechtigter Eitelkeit, die aus
seiner Widmung des Werkes an den König hervorgehe ^) ; aller-
dings scheinen Billard's Zeitgenossen eine ebenso hohe
Meinung wie dieser selbst von der Genevre und seinen anderen
Stücken gehabt zu haben. ^)
Der Verfasser der Anecdotes dramutiques^) spricht ihm
^) Rech,, 2. Teil, S. 84.
^) Li dem von uyis benutzten Sammelbande von Billard's Tragödien
findet sich ein Sonett des Lyrikers Habert, welches Billard an die Spitze
der tragischen Dichter stellt; man vergleiche Nr. 2 u. 3:
9i Billard sent de Hesse emouvoir ses esprits
De se voir le vainqueur des Fo'etes Tragiques:
Phoebus orne son chef de fueillages Delphiques,
A VArt de Melpomene estant le mieux appris.
A Sophocle, Euripide et Seneque il fait honte.
Jodele, la Peruse et Garnier il surmonte,
Deplorant les malheurs des Princes et des Roys.»
^) Bd. III, 46: «. . . . des pensees naives, exprimees d^un style am-
poule et hyperbolique, forment un melange rejouissant, mais ce plaisir
est celui que donne une Farce.» — Parfaict {Hist. TV, 129), die nur
den Titel des StücTces anführen, behaupten irrtümlicherweise, der Stoff
der Genevre sei der nämliche, den Nicolas Chretien bereits unter gleichem
— 211 —
die Kunst ab „Intrigen zn knüpfen" und Dialoge zu schaffen,
und stellt seine Stücke auf das gleiche Niveau wie die Farcen.
Nach Goujet ist die Genevre so langweilig, daß man sie
kaum lesen kann; ähnlich ist das Urteil Mo uhy 's, der den
Dichter der Genevre als eingebildet, diese selbst als „schlecht
in jeder Beziehung" bezeichnet^). Sainte-Beuve kon-
statiert in Billard's Tragödien einen oft grotesken Gegen-
satz zwischen Form und Inhalt.^) Eingehend mit dem Dichter
der Genevre, nicht aber mit dieser selbst, beschäftigt sich
Faguet, dessen Urteil mit dem unserigen im großen und
ganzen übereinstimmt.^) Nach ihm hat ßillard's Theater nur
historischen Wert, weil alle seine Stücke den großen Fehler
haben, nahezu ganz arm an Handlung und in einer schwer-
falligen, kalten Sprache geschrieben zu sein; Faguet nennt
sie darum nur dialogisierte Elegien, die alle Fehler der Gar-
nier'schen Schule im höchsten Grade, dagegen nur wenige von
deren Vorzügen besäßen. ^) G. W e n z e 1 findet, daß Billard's
Monologe einen elegischen Zug aufweisen, welcher sich bereits
in den antiken klassischen Stücken finde. ^) Bigal endlich
glaubt, der Verfasser der Genevre sei von Alex. Hardy
beeinflußt worden; mit Ausnahme der fünften Akte seien
seine Stücke geistlos und veraltet.^)
Titel behandelt habe, und der in ihrem Werke gelegentlich der Erwähnung
Chritiens bereits analysiert worden sei. Eine vorgenommene TJntersuchwng
ergab, daß es sich nicht um die Genem'Cf sondern um eine Tragödie *Alboin»
handelt, deren Stoff von beiden Dichtern dramatisch bearbeitet wurde.
1) Tablettes, I. Teil, S. 110, Abrege I, 219.
2) Le 16 e sücle, S, 314.
») La Trag, fr., S. 325 ff.
*) Ibd., S. 330: «Peu dHnvention, une composition eocacte et mono-
tone, avec un peu de mouvement parfois au denouement, beaucoup de
diclamation et quelquefois un peu d'eloquence; tous les defauts de Vecole
de Garnier pousses ä leur perfection, quelques-unes des qualites de cette
ecole ä un degre estimahle, voilä Videe d'ensemble que Von garde de
Claude Billard.»
^) Die Trag. Montchrestien^s, S. 11.
•) Le Theätre au 17 ^ siede {Jullev. IV, 190): *. . .il lui est arrive
de mettre quelque mouvement dans ses cinquiemes actes; mais comme
tout le reste est vide et demode!»
14*
— 212 —
Em weiteres d^GFinevra-Hpisode entnommenes, fcinfaktiges
Siiüok wurde 16M Ton dem zi^nlich unbekannten Diehtw
J>u Recker unter dem Titel VIndienne amaureuse ou ^h&»^
reux Naufrage veröflfentMcht. *) Zwei Jahre sp^er Keß er- die
Pastoralkomödie Mdixs erscheineo, welche Weinberg em
mittelmäßiges Stack nennt^^) Wdtere Stüeke sind Yen dem
Dichter nicht bekannt.
Der ziemlich verwickelte Inhalt unserer Tragikomödie ist
folgender :
Akt I: Oleraste, Prinz von Peru, erzählt wie ein grau-
sames Geschick ihn, seinen Bruder Rodomare und seinen Rat-
geber und Admiral Melidor durch einen Sturm an die Küste
von Florida geworfen hat. Diese drei Schiffbrüchigen kommen
gerade zur rechten Zeit, um Axiane, die Tochter des Königs
Syname aus den Händen Meander's zu befreien, welcher ihr
Gewalt antun will. Auf Bitten Cleraste's erhält der scheinbar
reuige Meander von Axiane Vergebung. Rosemonde ^ Prin-
zessin von Cusko, erklärt sogar, trotz dieses Vorfalls,' Meander
weiter lieben zu wollen.
Akt II : Cleraste hat gleich zu Axiane beim ersten An-
blick eine tiefe Neigung gefaßt, welche diese nicht uner-
widert läßt. Beide gestehen sich ihre Liebe und widmen sich
gegenseitig Liebesverse, die sie auf ein Stück Papier nieder-
schreiben. Dann ruhen sie bei Einbruch der Nacht an». Fufi^
eines Baumes aus. Inzwischen entwendet jedodi MeandiMf
dem schlafenden Cleraste die Verse, die ihm soeben Axiane
gewidmet hat.
Akt in : Meander, der Axiane leidenschaftlich liebt, be-
schließt, seinen Nebenbuhler Cleraste dadurch zu beseitigen,
daß er dessen Glauben an Axianens Treue erschüttert. Er
übergibt ihm zu diesem Zwecke jene Verse mit der Behaup-
tung, Axiane habe sie an ihn, den Meander, gerichtet. Außer-
^) Siehe Bibliographie , S. XL M o u h y , Abrege II, 14S, gibt als Druck-
jähr 1611 aw; Maupoint, Bibl, 8. 175, 1632, ßrunet mdlith 1636;
das uns vorliegende Exemplar ist von 1631. Eine andere Ausgabe er-
schien 1635.
*) Das franz. Schäferspiel, 8. 124.
— 813 —
idem versichert er, daß «r ihm abends eine deutlichere Probe
TOH deren Untreue atif dem Balkon de« Palastes geben wolle.
CHeraste glaubt in der Tat an Axiane's Verrat, nachdem er
Meander itiit einem weiblichen Wesen an dem besagten Platze
^sehen bat. Doch war jene Gestalt nicht seine Geliebte,
sondern Eoisemonde, welche auf Geheiß Meander's sich mit
Axiane's Kleidern angetan hatte. Der getäuschte Cleraste will
die yermeintliche Untreue A^ane's nicht überleben, sondern
stürzt sieh ins Meer.
Akt IV : Nachdem Rosemonde in einem langen Monologe
ihrer Keue über die Freveltat Ausdruck gegeben hat, kommt
Cleraste heil und gesund von der Meeresküste zurück und
erzählt, daß er im kalten Wasser plötzlich wieder neue Lust
am Leben bekommen habe, und daher wieder ans Land ge-
schwommen sei. Unterdessen treffen sich Eosemonde und
Cleraste zufällig noch einmal in einer Grotte, wo letzterer
die Verräterei Meander's aus Eosemonde's Munde erfährt.
Akt V: Axiane war von ihrem eigenen Vater ins Ge-
fängnis geworfen worden, da Kodomare und Melidol*, die
beiden Augenzeugen der nächtlichen Balkonszene, als ihfd
Ankläger aufgetreten waren. Dort muß sie so lange
bleiben, bis das vom König angeordnete Gt)ttesurteil ihre
Schuld oder Unschuld bewiesen hat. Als jedoch Meander's
Verrat offenbar wird, läßt der König auch ihn in Ketten
legen, aber selbst im Kerket hört der Eilende nicht auf,
Axiane durch die Mauer hindurch tnit Liebesbeteuerungen
2tt bestürmen. Endlich soll das Gottesurteil in Form eines
Kampfes zwischen den Vertretern der Anklage und den Ver-
tretern der Angeklagten vollzogen werden. Melidor und Rodo-
mare treten als erstere, Cleraste und Kosemonde als letztere
in die Schranken. Nachdem aber Eosemonde im Kampfe
den Helm verloren hat und daher erkannt wird, muß sie alle!
erzählen. Die Folge davon ist, daß Cleraste mit der fiand
Axiane's, Eodomare mit der Hand Eosemonde's belohnt
Wird, während Meander seine Strafe in den Flammen findet.
Wie aus dieser Analyse zu ersehen ist, hat Du ßocher
eine Eeihe von Veränderungen und Zusätzen gegenüber der
italienischen Quelle vorgenommen.
— 214 —
Der Schauplatz der HandluDg wird von ihm nach Peru
und nach Florida veriegt. Die entsprechenden Personen sind
im Drama anders benannt und gehören anderen Ständen an;
außerdem werden auch neue Rollen eingeführt; nämlich
Erastrote, Cleraste's Vater, die beiden Gesandten Clidamour
und Kosemonde ; endlich wird dieEolle des Lurcanio bei Ariost,
im Drama auf Melidor und Eodomare zugleich verteilt. Die
Personen entsprechen sich im Stücke und in der Quelle folgen-
dermaßen :
Cleraste Ariodante
Axiane Ginevra
Kosemonde Dalinda
Meander Polinesso
Melidor u. Eodomare Lurcanio
Sycame König v. Schottland.
Im Gange der Handlung finden sich folgende Verände-
rungen: Der Schiflfbruch des Cleraste, die Begegnung mit
Axiane und Meander, die Liebesszene zwischen dem Prinzen
von Peru und der Königstochter von Florida, das Entwenden
der Verse durch Meander, also der ganze erste Teil des
Stückes bis Akt III, 5 ist eigene Erfindung des französischen
Dichters. Femer treflfen sich Dalinda und Ariodante bei Ariost
nicht, während bei Du Kocher Cleraste und Kosemonde in
der Grotte und später noch einmal (V, 2) im Zwiegespräch
sind ; Zutaten des franz. Dichters sind auch die Kerkerszenen
(V, 1 u. 4), die Beteiligung Dalinda-Kosemonde's am Kampfe,
endlich die Art und Weise, wie die Aufdeckung von Poli-
nesso-Meander's Verrat vor sich geht. Unverändert von der
Quelle herübergenommen sind nur die Balkonszene, der Selbst-
mordversuch Ariodante-Cleraste's und die Anordnung des
Gottesurteils durch den König auf Veranlassung von Clerastens
Bruder.
Von den Charakteren haben besonders die beiden Haupt-
helden des Stückes eine Umgestaltung erfahren. Cleraste, der dem
edlen Ariodante bei Ariost entspricht, wird zwar bei Du Kocher
ebenfalls als edler, hilfsbereiter Mensch geschildert; aber seine
Sprache ist zu geziert, als daß wir ihn mit einem Helden des
— 215 —
Orl. für. vergleichen könnten. So schildert er z. B. die Beize
seiner Geliebten mit folgenden Worten:
€Ses yeux ne sont-ils pas deux soleils dont la flamme
Sert d^un phare nouveau pour eclairer mon äme ?
Son visage Or-t-il pas des attraits ravissans
Qui derohent au corps la liherte des sens?
La joue est un parietre oü dans les flsurs ecloses,
Ses lys en se mourant fönt renaistre hs roses?
La bouche rCest-elle pas le plus cliarmant sejour
Oü se puissent donner les oracles d'Amour ?
(I, 3, S. 36).
An einer anderen Stelle (I, 2, S. 13) nennt er Axiane
tV abrege des chefs d'oeuvre^, und die Verse, die er ihr wid-
met , könnten ebensogut im Hotel Rambouillet geschrieben
worden sein (Akt 11, 5, S. 45).
Meander ist durch seinen Versuch, Axiane mit Gewalt
sich zu erobern, durch die Entwendung der Verse und durch
sein niedriges Verhalten im Kerker gegenüber der Königs-
tochter weit schlimmer und abstoßender geworden, als ihn
Ariost unter dem Namen Polinesso darstellt. Kosemonde ist
zwar im ersten Teile des Stückes ganz die schwache Dalinda
des italienischen Dichters, erinnert aber später durch ihre
unerschrockene Teilnahme am Kampfe eher an Bradamante
oder an Marphisa.
Du ßocher's Ulndienne Amoureuse ist nach unserer
Ansicht viel höher zu stellen als die Genevre Billard's. Das
Stück ist reich an Handlung, hat einen lebhaften Gang, und
beinahe jede Szene ist motiviert. Zu tadeln ist jedoch die
gezierte mit Concetti überhäufte Sprache, die allerdings in
der damaligen Zeit der „Pastoralmanie" Mode war.
Der Verfasser der Änecdotes dramatiqiies'^) scheint daher
*) Bd. III, 175: *Il paroit qua du temps de cet Auteur le goüt
miserable des Romans regnoit dejä sur le theätre. Les deux Pihces {de
Du Rocher) en sont infestees; des plaintes lamentables sur la perte des
maitresses, de fades expressions sur la fidelite, des incidents pueriles qui
rivoltent le bon sens, un enchamement continuel de jeux de mots et
d'antithhses pitoyables, faisoient alors tout le succes des pieces de fhedtre,
et voilä ce qiCon trouve dans du Rocher. La poesie penible et fati-
{
— 216 —
lUkch lUMäerer Ansicht zu streng zu urteilen/ wenn er sagt.
Du Rocher sei einer der Vertreter jener «ohlechten Q^
schmacksrichtung, die ihr Yorhild in dem prexiösen Soman
der Zeit sachte.
Wir haben bereits £rüher erwähnt, daß der OrL fwr. eine
Lieblingslektüre des Philosophen von Ferney war, -daß in
seinen Epen und in einer seiner Erzählungen nachweisbar
Spuren Ariost'schen Einflusses sich finden. Von seinen zahl-
reichen dramatischen Erzeugnissen kommt für unsere Arbeit
nur sein Trauerspiel Tancrede in Betracht.
Die Quellenfrage des Tancrede ist indessen eine sehr
Sichwierige, die yielleicht überhaupt nicht gelöst werden kann.
La Harpe ist der Ansieht, daß die Oinevra-Episode im
Orl. für. den Anlaß zu Voltaire's Tragödie gegeben habe.^)
Beuchet^) dagegen weist darauf hin, daß bereits 1713 eine
gewisse M™® Desfontaines einen Roman tLa Camtesse
de Savoie^ veröffentlichte, der nichts anderes als eine Be-
arbeitung der Ginevra-Episode ist und 1726 in Druck gelegt
wurde. ^) Voltaire begrüßte das Erscheinen dieses Werkes mit
einigen Verszeüen, die er an die ihm bekannte Verfasserin
richtete. Desnoisterres*), der Biograph Voltaire's, der
augenscheinlich auf La Harpe zurückgeht, bezeichnet den
Stoff des Tancrede als eine direkte Entlehnung der Gineyra-
Episode bei Ariost. Birch-Hirschfeld drückt sich hisi-
gante trehuche ä chaque pas et ses vers mal congus sont quelquefois trls
difficiles ä entendre.*
^) Cours de litt 11^ 639 : *Le combat d^Äriodant paur Genhyre, gui
dans r Orlando est une suite des lois de la cheväkrie^ indiquait ä Voltaire
un Chevalier pour son heros. Cest une Obligation de plus b, VArioste,
de lui avoir donne Voccasion de mettre la chevalerie sur la sc^ne.i*
*) (Ehivres de Volt., IV, 489: «Voltaire n^eut m^m^e pas hesoin de
puiser cette idee dans VOrl. für . . . II la trotwa dans un petit roman
de Jf »»« De Fontaine dont il avait saluS Vapparition par une pi^ de ver»
quand il n' avait que dix-neuf ans.»
*) über Mme Desfontaines s. Biogr. univ., XIV, 326, — 3f«w Z>€«/1
starb 1730 arm, und verlassen. Neugedr. wurde der Römern in den (Euvre$
de Mesdames de la Fayette et de Tencin. F. 1804. 5 Bde. 8^.
*) Vie de Volt, IV, Iff,: ^Cette fable d^ailleurs n* est pas de lui^
c'est u/n emprunt ä VArioste qui lui-meme Vavait emprtmt^ ä notre ancien
iheätre.»
— 217 —
sichtlich der ^uellenfrage etwas ucibestimmt aus ; er «agt, der
romantischen Fabel des Tancröde liege die Geschichte voa
Ariodaiite und Gineyra im rasenden Boland zugrunde. ^)
Bouvy, ein gründlicher Kenner Voltaire's und seiner Be-
gehungen zum italienischen Theater, streift nur diese Frage,
hält aber den Boman der M^^ Desfontaines für die
direkte Quelle des Voltaire'schen Trauerspiels.^) Toldo,
der sich erst in der allerjüngsten Zeit damit beschäftigt hat,
behauptet, der französische Dichter habe sehr wenig dem
Anost, Tiel dagegen der Comtesse de Savoie entlehnt.^)
Wir wollen nun, was die hier zitierten Autoren unter-
lassen haben, den Inhalt des Tancrede in kurzen Worten
wiedergeben und die Vergleichungspunkte mit der Ginevra-
episode feststellen.
Almenaide, die Tochter des Argire, ist angeklagt, ihre
Vaterstadt Syrakus den Mohammedanern überliefern zu wollen.
Das Todesurteil ist bereits über sie gesprochen, als ein un-
bekannter Ritter sich anbietet, im ritterlichen Zweikampfe für
ibre Unschuld einzutreten. Dieser edle Unbekannte ist kein
anderer als Tancrede, der aus Syrakus verbannt worden ist. Er
kämpft und bleibt Sieger gegen Orbassan, dessen Gattin Al-
menaide werden soll. Almenaide ist nun gerettet; sie hatte früher
ihren Retter in Byzanz kennen gelernt, sie liebt ihn seitdem und
findet auch Gegenliebe. Tancrede dagegen hält sie für treulos,
da er glaubt, sie wolle in kurzem aus Neigung mit Orbassan sich
vermählen; er entfernt sich nach einer kurzen Unterredung,
ohne sich mit Almenaide auszusöhnen, und sucht den Tod
im Kampfe gegen die die Stadt belagernden Mohammedaner.
Almenaide stirbt vor Schmerz beim Anblick des sterbenden
^) Suchier und Biroh-H., Gesch. d. frz. Lit, S, 533.
*) Voltaire et Vltalie^ S. 115.
^) Quelques notes pour servir ä Vhist. de Vinfl. du Furioso (Bull,
ital. 1904, IVj 56): *ll y a dans la tragedie de Voltaire fort peu de
VArioste et heaucoup de la Comtesse de Savoie .... Toujonrs est-il qu'on
a guelque peine ä demeler dans cette tragedie Vhistoire des malheurs
de Genevre et que Vinspiration paratt, en maints endroits, flottante et
incertaine.»
— 218 —
Tancrdde, der tödlich verwundet nach Syrakus zurückgebracht
wird.
Dies ist in großen Zügen die Handlung in Voltaire's
Trauerspiel.
Eine Ähnlichkeit mit der Ginevra-Episode im Furioso
springt sofort in die Augen: Der Zweikampf, welcher die
Schuld oder Unschuld eines ungerecht angeklagten Mädchens
an den Tag bringen soll ; ferner ist der Ritter, welcher in
diesem Kampfe für die Beschuldigte eintritt, in beiden
Fassungen zugleich der Geliebte derselben, er kämpft für sie,
ohne von ihrer Unschuld überzeugt zu sein, und ist Sieger
in dem Kampfe. Die Lösung ist bei Ariost eine glückliche,
bei Voltaire eine tragische. Andere Vergleichsmomente sind
jedoch nicht vorhanden. Schauplatz, Exposition, Lösung,
Nebenpersonen stehen in keiner Beziehung zu Ariost's Er-
zählung. Der Zweikampf jedoch, die Veranlassung dazu und
der Ausgang desselben können unmöglich als zufallige Ähnlich-
keiten mit der Ginevra-Episode angesehen werden; hier war
offenbar der Orl. für, die Vorlage, oder es liegt eine auf dem
Epos beruhende Quelle vor.
Wie verhält es sich nun mit der Comtesse de Savoie, dem
Eomane der M"^® Desfontaines ? Voltaire hat ihn sicher ge-
lesen, ebensogut wie den Furioso, Welche von den beiden
Quellen schwebte ihm bei der Abfassung seines Tancrede vor?
Die Handlung in der Comtesse de Savoie spielt, wie bei
Voltaire, in Sizilien; gewiß ist das keine zufällige Ähnlich-
keit. 3Iendoc€, der Hauptheld des Desfontaines'schen ßomans,
gehört einer altadeligen, französischen Familie an, die zur
Normannenzeit nach Sizilien auswanderte, genau so wie die
Familie des Tancröde, und Mendoce macht seinen Namen
auf dieser Insel ebenso berühmt, wie Tancrede ganz Sizilien
mit seinem Ruhm erfüllt. Diese auffälligen Ähnlichkeiten
im Schauplatz und in der Hauptperson — der Zweikampf
und die ihn begleitenden Nebenumstände sind mit Ausnahme
der Namen und des Schauplatzes beiM"^® Desfontaines dieselben
wie bei Ariost — lassen es uns nahezu als gewiß erscheinen^
daß dem französischen Tragiker der Roman der von ihm
hochverehrten M"^® Desfontaines vorschwebte, als er 1760
— 219 —
seinen Tancrede niederschrieb.^) Somit wäre Ariost's Erzählung
im 6. Gesänge nur die indirekte Vorlage zu dieser Tragödie
gewesen.^) Außer den oben bezeichneten Entlehnungen
haben wir jedoch Voltaire's Stück als ein Originalwerk im
besten Sinne des Wortes anzusehen.^)
Am Ende des 18. Jahrhunderts, 1798, bzw. 1799*),
erschien Mehul's Ariodant, die Lieblingsoper des Meisters,
zu welcher F. B. Hoffmann den Text geschrieben hatte.*)
Da der letztere nichts weiter als eine freie Übertragung des
1796 erschienenen Tonstückes Ginevra^) von Pindemonte
ist, wie eine Vergleichung der beiden Libretti ergeben hat,
so beschäftigen wir uns nicht weiter mit diesem Operntexte,
welcher die letzte dramatische Bearbeitung der Ginevra-Episode
ist, die wir ausfindig machen konnten.
^) Bengesco, Bibl. Volt. I, 58; das Stück tvurde zum erstenmale
am 3. Sept. 1760 aufgeführt und erlebte 12 aufeinander folgende Auf-
führungen; gedruckt wurde es erst im nächsten Jahre.
*) Mehrere italienische Operntexte behandeln übrigens die Ginevra-
Episode {s. darüber Clement, Dict. lyr.j S. 49 u. S. 318; ebenso Rie-
mann, Opernhandbuch, S. 188). Die wichtigsten italienischen Opern, die
diesen Gegenstand behandeln, sind die nachher zu erwähnende Ginevra
Pindemonte's {1796) und Rossi di Verona 's Ginevra di Scozia
{1799). Beide Opern wurden in Paris aufgeführt {s. CUment, ibd.); von
letzterer erschien sogar eine französische Übersetzung unter dem Titel
Genüvre d'J^cosse, opera en quatre actes, represente pour la premihre
fois ä Paris sur le Thiätre de Vlmpiratrice, rue de LouvoiSj le . . . plu-
viose, an YIIL
') Ähnlich sagt auch Beuchot, (Euvres de Voltaire lY^ 489: <iDu
reste, toute la trame est de Vinvention de Voltaire, et il n'a empruntS ä
ßes devanciers que le fond du sujet.»
*) Clement, Dict. lyr., S. 49; ebenso Chouquet, Hist. d. drame
mus., S. 185; Riemann, Opernhandb.j S. 26.
*) Hoff mann war berühmt als Kritiker und Polemiker, dabei ein
vielseitiges Genie, das auf dem Gebiete der Naturwissenschaften ebenso
zuhause war, wie auf dem Gebiete der schönen Literatur; über sein
Leben s. Michaud, Biogr. univ., XIX, 499; La Gi\ Encycl., XX,
178. — Nach Chouquet, ibd., S. 185, hatte die Oper keinen daueryiden
Erfolg und ist nunmehr ganz der Vergessenheit anheimgefallen; ebenso
Clement, l.^c, S. 49.
*) Wiese-Percopo, Gesch. d. ital. Lit, S. 495.
— 220 —
5. Die Alcina-Episode.
Diese Episode, welche besonders berühmt ist weg€ti dw
herrlichen Schilderung Alcinens und ihrer Gärten, reicht bei
Ariost von C. VI, st. 23 bis C. VII, st. 21 nnd schüdert
Roger's Aufenthalt bei der ZaubOTin Alcinu. Wie wir schon
an früherer Stelle bemerkten, entnahmen bereits die Schüler
Ronsard's, und ihr Meister selbst, Ariost's Schilderung der Reiz«»
Alcinen's (C. VII, st 11—16), um Worte zu finden für die
Schönheit ihrer Geliebten.
Dagegen dauerte es in Frankreich lange, ehe ein dra^
matischer Dichter sich an diesen Stoff wagte. Der erste
Versuch, der in dieser Richtung gemacht wurde, ging ton
keinem geringeren aus als von Ludwig XIV., welcher im Jahre
1664^) seinem schon früher erwähnten Zeremonienmeister,^
dem Herzog von Saint- Aignan, den Auftrag erteilte, im Ver-
sailler Schloßpark ein Fest aufzuführen, dessen Schauplatz die
Gärten Alcinens vorstellen sollte. Dieses Fest, welches vom^
7. — 13. Mai 1664 gefeiert wurde, ist bekannt unter dem
Namen Les plaisirs de Vlh enchantee. ^) EJs hat auch seinen
Platz in der französischen Literaturgeschichte^ weil während
der Feier desselben Moliöre's B-incesse (TElide und die drei
ersten Akte seines Tartuffe aufgeführt wurden.®) Die Grund-
idee des ganzen Festes ist die, daß Roger und mehrere
andere Ritter, die im Banne der unechten Reize Alcinens
liegen, durch den Zauberring, welchen Athalant im Auftrage
*) Bemerkensivert scheint es uns zu sein, daß im nämliekeft Jahft
Gilbert seine Amours d'Angelique et de Medor, also eine weitere JBe»
arbeitung einer Ariosf sehen Episode veröffentlichte.
^) Über dieses Fest haben ivir folgende Berichte:
a) den offiziellen Bericht der Gazette, 21. Mai 1664. n* 60;
b) einen sehr ausführlichen Bericht bei Marigny, Les f^teS de
Versailles. P. 1664. 8^;
c) SiMe de Louis XIV, chap. 25 (Ausg. v. ß e u c h o t, Bd. XX, 146^150).
•) Despois, (Euvres de Mol. IV, 89—268, woselbst noch weitere
Literaturangaben sich finden. Eine kurze Erwähnung des Festes findet
sich auch bei Goujet, Bibl. XVIII, 226, ivo die von^ Herzog von
St' Aignan gesprochenen Worte zitiert sind, Maupoint, Bibl., 8. 252;
endlich auch Lotheissen, Gesch. IV, 33.
Melissen» dem ßoger an den Finger steckt, befreit werden
soUen ; der Aloina-ßpisode im Orl. für. liegt dieselbe Idee z«-
grufide» nur daß Roger ab alleiniger Sterblicker im Beieke
der Zauberifl weilt, nnd daß Bradamante ibm den rettende»
Eing überreicht (vgl. Orl. für., C. VI, VII u. VIII); ne«
eingeführt ist außerdem die Person des Oger le Danois,
dessen Rolle vom Herzog von NoaiDe» gei^ielt wurde-. Nach
dem Berichte der Oaxette (officieüe) fand der Häuptteil des
Festes am ^. Tage dtatt; an diesem Tage nämlich sollet) die
Sitter ihre Befreiung erhalten. Ale Akine, welche in einem
von reißenden Tieren bewachten Felsenschloß haust, merkt,
daß ihr Zauber bald nicht mehr wirksam sein wird, teilt sie
diese Befürchtung ihrer Vertrauten Cölie mit. E» folgt sodann
ein Ballet, welches jedech durch Melisse's Erscheinen unter-
brochen wird; diese übergibt dem Roger durch die Hand
Athalant's ihren Zauberring ; in demselben Augenblicke erfolgt
ein Donnerschlag und gleichzeitig stürzt das ganze Schloß in
Trümmer, die Gärten verschwinden, und die Helden steigen
aus den rauchenden Trümmerhaufen hervor. Diese Darstellung
der Alcina-Episode ist vielleicht die großartigste In^tzenierung,
die je eine Erzählung des Orl. fm. erfahren hat. Der Schau-
platz ist hier nicht mehr der enge Raum der Bühne mit den
leinwandbemalten Kulissen zur Seite und im Hintergrunde;
als Darsteller sehen wir nicht mehr arme, verachtete Schau-
spieler, sondern Fürsten und Herzöge; wirkliche Bäume,
Wälder und Quellen beleben die Landschaft, und an Stelle
dtes spärlichen Lampenlichtes strahlt die goldene Maiensonne
a^uf das ganze Bild h^nieder.
Eine großartigere Huldigung hätte Frankreich dem
italienischen Dichter nicht bringen können!
Erst 1705^) wurde die Alcina-Episode dramatisch be-
handelt^ und zwar von dem Librettisten Danchet^), in der
Oper Äkina^ zu der Campra die Musik schrieb.
*) Parf., Dict. J, 4:2 u. Chouquet, Hiat, S, 330^ geben als
Datum der Aufführung den 15. Januar 1705 an. Eine zweite Auf-
führung fand nach Parf., Dict. du Th.^ Bd. I, 43 j nicht statt,
^ über sein Leben s, Biogr. univ.^ Bd. X, 87; La Gr. Enc.^ Bd. XIII^
826; in beiden Werken wird von seiner Tätigkeit als Librettist nicht
gesprochen.
— 222: -^
Der Verfasser des Textes ist, nach La Harpe, eiü
keineswegs glücklicher . Nachahmer Quinault^s, der weniger
durch Dichtungen al» durch den Spottvers, den J. B. Rousseau
auf ihn schrieb, bekannt geworden sei ; doch sei er nicht ohne
Talent.!)
Eine kurze Analyse der Oper wird zeigen, ob das Urteil
des französischen Kritikers gerechtfertigt ist.
Prolog : Die beiden allegorischen Gestalten Grloire und
Temps streiten sich, wessen Herrschaft am Dauerhaftesten sei i
zugleich wird die Handlung des Stückes mit folgenden Worten
angedeutet:
tDans un spectacle Tnagnifiqtie,
Retracez hs Heros que par son art magiqvs,
Aldne retenoit sur des bords trop charrnants :
Faites voir par quel art Melisse,
Couronnant la vertu, punissant Vinjustice,
Les ftt enfin sortir de leurs enchantements,»
Akt I: An einer abgelegenen Stelle mitten im Gebirge
erzählt Alcine ihrer Vertrauten, daß sie zu dem vom Sturme
ans Ufer geworfenen, und von ihr geretteten Astolf eine tiefe
Zuneigung gefaßt habe, und daß sie ihn zu ihrem Gemahl
erküren möchte. In einem darauffolgenden Zwiegespräch er-
klärt dieser jedoch, er könne nur Melanie lieben, worauf die
wütende Zauberin durch ßachedrohungen Astolfs Liebe sich
erzwingen will.
Akt II: Alcinens Gemahl Athlant hat bald von deren
sträflicher Neigung erfahren, und obwohl er behauptet, daß
seine Liebe für die Gattin längst schon erkaltet sei, will er
diese doch für ihre Untreue bestrafen. Während er noch
beschäftigt ist, eine angemessene Strafe ausfindig zu machen,
erscheint Melanie, Astolfs Geliebte, die, von Melissa nach
einem Schiffbruch ans Ufer gerettet wurde und nun auf der
Suche nach Astolf ist; Athlant entbrennt sofort in Liebe zu
dem schönen Mädchen, und als dieselbe nicht erwidert wird.
^) Cours de litt, II, 375: «H s'en faut de tout que Vauteur
d^Hesiode [Danchet] lui (d Quinault) soit comparable II n^itaitpas
depourvii de tälent.» Seine Alcine wird von La Harpe nicht erwähnt
— 223 —
beschließt er mit Alcine, die mittlerweile mit ihm zusammen-
getrofifen ist, die beiden Liebenden voneinander fernzuhalten.
Gerne willigt die Zauberin ein, da sie ja, den ritterlichen
Astolf mit ihren Keizen bestricken will.
Akt III: In der Verkleidung einer Nereide nähert sich
Alcina der Geliebten Astolf 's und lügt ihr vor, dieser habe
sie vei'gessen und schmachte in Liebe zur schönen Alcina,
Als das Mädchen in Klagen gegen den Treulosen ausbricht,
sucht Athlant sie zu trösten, indem er ihr seine Liebe an-
bietet. Als jedoch seine Beteuerungen zurückgewiesen werden,
denkt er nur noch daran, Astolf, seinen Nebenbuhler, von
der Insel zu entfernen und so seiner Gemahlin einen bösen
Streich zu spielen.
Akt IV: Astolf will eben auf Athlant's Geheiß die
Insel verlassen, als er seiner Geliebten, die er weit von hier
glaubt, begegnet. Schnell stellt sich nun Melanie's Irrtum
von Astolf s angeblicher Untreue heraus, und beide schwören
sich Liebe und Treue. Da kommen unter Blitz und Donner
die beiden Gatten, und mit ihnen eine ganze Schar höllischer
Geister.
Akt V : Während Athlant darauf besteht, daß sein Neben-
buhler getötet werde, kann Alcine sich nicht entscheiden, ihre
Einwilligung dazu zu geben ; liebt sie doch den Astolf auch
jetzt noch und so will sie sein Leben erhalten. Als aber
Athlant vorschlägt, daß sich die beiden Liebenden heiraten
sollen, glaubt die Zauberin auch dazu ihre Genehmigung
nicht erteilen zu können. In diesem Augenblicke steigt Melisse
auf einem goldenen Wagen vom Himmel hernieder und ver-
scheucht die böse Zauberin mit ihrem Spuk. Mit gütigem
Feenlächeln schließt sie den Bund der beiden Liebenden.
Die Handlung der Oper Danchet's beschäftigt sich nicht
mit dem Schicksale Roger's, wie es im Orl. für, der Fall ist,
sondern mit Astolf s Abenteuern auf der verzauberten Insel,
die sich allerdings auf das italienische Epos (C. VI, st. 33 — 53)
stützen, aber größtenteils vom französischen Dichter erfunden
sind. Bei Ariost erzählt der in eine Myrte verwandelte Astolf
seinem Freunde Roger nur, daß Alcina ihn mit ihren Reizen
bestrickt, nach einiger Zeit aber von sich gewiesen habe.
— 2^ —
woFanf er, wie alle ebemaligea Liebhaber der Zauberin, in
einen Baum verwandelt worden sei. Die Liebesgesc^ehte
zwischen Astolf jand Melanie, welch' letztere übeffaaupt im
Ariost'schen Epos Dicht Torkommt, ist also^ von Dan^het firei
erfanden, oder, wais wahrscheinlicher ist, sie ist eine Beminis-
zenz an Boger's Yerhältms mit Bradamante, welehe ihren Gef-
liehten durch Melissa {OH. /wr., G. VII, st. 39 ff.) au» Ahrine's
ümgamung entreißen läßt. Athlant, bei Arioet der Beschützer
Bk^ger's, i^t hier der würdige 3atte der Zauberin, Ihre Eifers
süchteleien und Betrügereien sind Danchefs Zutaten. Aueh
die Lösung des dramatischen Knotens ist von ihm erfunden.
Von den Charakteren kommt nur Ateina in Betracht, die
uns der französische Dichter dadurch menschlich näher bringt,
als Ariost, daß er sie, die verheiratete Frau, von einer
tiefen Neigung zu dem bereits verlobten Astolf entbrennen
läßt, während dieselbe Zauberin bei Ariost überhaupt nui?
kurze Zeit ein und denselben Mann lieben kann; man: vgl.
Orl. für,, C. VI, st. 50:
^Conohbi tardi il suo mobil ingegno,
Usato amare e disamare a un punto.
Non era stato oltre a duo mesi in regno,
CKun nuovo aniante al loco mio fu assunto.
Da se cacdommi la Fata con sdegno,
E dalla graxia sua nC ebbe disgiunto :
E seppi poi, che tratti a simil porto
Avea miW altri amanti, et tutti a torto,^
In diesem Charakterunterschiede liegt gerade^ der Haupt-
reiz der Oper Danehet's : ein mit übernatürlichen Gaben aus-
gestattetes Weib liebt einen gewöhnlichen Sterblichen und muß
trotz ihrer Kunst auf ihn verzichten. Die Schwäche des
Stückes liegt hauptsächlich in dem nahezu komischen Ver-
hältnisse des Ehepaares Alcina und Athlant, dae sich fort-
während gegenseitig zu betrügen sucht; dieser allzu sehr an
das Alltagsleben erinnernde Teil der Oper stimmt nicht zu
dem Grundtone, in dem diese sich bewegt
Anklänge an die italienische Quelle in bezug auf sprach-
lichen Ausdruck finden sich nicht ;> der französische Dichter
^=r 228' -^
ifegnügte sich, die Grundidee und den Schauplatz atts Ariost
ziä* entlehnen.
Das Stück scheint vollständig der Vergessenheit anheint^
g^allen zu sein; wenigstens fanden wir hei den von uns zu
Rate- gessogenen Forschern kein Wort der Kritik üher Dan-'
c bot 's Alcine.^)
Zwei weiter^ Opern, die uns jedoch nicht erhalterr sind,
beschäfdgeH sich noch mit demselben Stoffe. Die eine ist
voxt dem Grafen Laville de Lacepöde komponiert und
1786 für die Pariser tOpera^ zur Aufführung angenommen,
abör nicht aufgeführt worden. Sie ist* unseres Wissens nur
bei Clement erwähnt.^) Der Verfasser des Libretto ist nicht
genannt, und das ungedruckte Manuskript schlummert in der
Theaterbibliothek der Pariser Oper. Querard erwähnt eine
dreiaktige Oper in Prosa Alcine, deren Verfasser Sedaine
deSarcey ist, ein Neffe des bekannten Lustspieldichters
J. Sedaine.^) Die Oper wurde nach Querard zum ersten Male
i. J. 1789, später dann noch einmal i. J. 1795 am Peydeau-
theater aufgeführt; die Musik ist von Bruni; leider ist das
Stück ebenso wie das vorausgehende nicht gedruckt worden.
6. Die Joconde-Episode. ^)
Wir kiommen nun zu der berüchtigtsten aller Episoden im
Orl. für,, zur Joconde-Episode ^) , einer echten Renaissance-
1) Beauchamps, Rech., 3, Teil, S. 105; Parfaict, Dict. J, 4:2;
L^ris, Dict., S. 11; Manpoint, Bihl., S. 9, erwähnen das Stück nur,
ohne es zu beurteilen. Auch neuere Werke übergehen es in ähnlicher
Weise: La Harpe, Cours de litt., II, 375; Michaud, Biogr., X, 87;
Ohouquet, Hist, 330; La gr. Enc. XIII, 826 und Clement, Dict,
lyr., S. 27.
^) Dict. lyr., 8. 18: «Alcine, opera, musique du comte Laville de
Lacepede. Regu ä V Opera en 1786, mais non 7'epresente.»
^) La France litt. IX, 11; Querard gibt dem Stücke den Titel
VIsle enchantee, während Clement, Dict. lyr. Suppl., S. 1182, den Titel
Alcine gebraucht; beide bezeichnen die Oper als ungedruckt.
*) Orl. für. C. XX VIII, st. 1—75.
'') Fonti dell Orl. f., S. 383.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 15
— 226 —
Erzählung, welche Rajna auf die Erzählung in der 446. Nacht
in 1001 Nacht zurückführt und die das alte Thema von der
Treulosigkeit und List der Frauen in origineller Weise be-
handelt. Die betrogenen Ehegatten Astolfo und Giocondo
wollen sich aus Rache über die ihnen angetane Schmach an
dem ganzen weiblichen Geschlechte rächen, werden aber
schließlich von einem einfachen Landmädchen ein zweitesmal
betrogen und kehren dann zu ihren Gattinnen zurück.
Die erste dramatische Bearbeitung auf französischem
Boden erfuhr die Joconde-Episode i. J. 1628 durch zwei
provengalische Dichter Claude Brueys und Charles Feau^);
da dieses Stück jedoch in provengalischer Sprache geschrieben
ist, gehört es nicht in den Rahmen dieser Arbeit.
Eine weitere dramatische Behandlung des Stoffes begegnet
uns erst wieder i. J. 1740, wo Fagan einen Einakter in
Prosa Joconde veröffentlichte.^) Ob das Stück mehr als eine
Aufführung erlebte, ist uns nicht berichtet. Der Verfasser
selbst war ein sehr fruchtbarer Theaterdichter und erlangte
besonders im Vaudeville eine gewisse Berühmtheit, so daß
man ihn sogar den Lafontaine des Vaudevilles zu
nennen pflegte. Palissot^), ein Zeitgenosse unseres Dichters,
hebt seine Natürlichkeit und Ungezwungenheit hervor, tadelt
aber die übermäßige Fruchtbarkeit des Schriftstellers, die un-
fehlbar zur Oberflächlichkeit führen mußte. Vapereau*)
^) Das Stück erschien im «Jardin des Musos Frovengalos» (5 Bde^
12^) und hat keinen besonderen Titel, wenn man nicht die Überschrift
i<Comedie de onze personnages» , die sich bei La Yalliere, Bibl. II, 19
findet, als Titel bezeichnen will. Toldo erwähnt das Stück in der Com,
d. l. Renaiss. {Rev. d'Hist. litt., 1900, S. 279), ist sich aber über die
Quelle des Stückes nicht klar.
^) Les trois siecles litt. III, 255, woselbst der Joconde als relativ
bestes Stück Fagan' s genannt wird; doch, so heißt es weiter, kann man es
nicht ein gutes Stück nennen. Leris, Dict, 253 nennt es «fort bien ecrite».
^) Memoires II, 108.
*) Dict. Univ., S. 762. Weitere Urteile über den Dichter, dem all-
gemeine Oberflächlichkeit vorgeworfen wird, finden sich bei La Harpe,
Cotirs de litt. II, 448 ; M i c h a u d XIII, 441 ; La gr. Enc. X VII, 73; in diesen
drei Werken wird Joconde jedoch nicht erwähnt — Joconde steht im
1. Bande der Gesamtausg. der Werke Fagan' 8 vom Jahre 1760,
— 227 —
dagegen bezeichnet Fagan 's Stil als nachlässig und den Auf-
bau der Stücke als unnatürlich.
Betrachten wir zunächst die Handlung in dem Stücke
Joconde. Astolf und Joconde haben die verschiedensten
Gegenden Europas besucht, und überall gefunden, daß Frauen-
treue ein leerer Wahn sei. Ein ganzes Buch war bereits
vollgeschrieben mit den Namen derjenigen Frauen, welche
ihren Männern die Treue brachen und sich den beiden Aben-
teurern hingaben; nur für drei Namen ist noch Kaum. Das
Gasthaus, in dem sie eben abgestiegen sind, beherbergt drei
Schwesteru, welche im Rufe der Unnahbarkeit stehen. Astolf
glaubt jedoch, in dreißig Minuten ihre Tugend zuschand'en
machen zu können, und in der Tat gelingt es ihm auch auf
folgende Weise: Der ältesten Schwester Marcelle, welche
Witwe ist, bietet er seine Reichtümer an, falls sie ihm nur den
Titel eines Gemahls ohne dessen Rechte gewähren wolle ; mit
Freuden willigt sie selbst ohne diese Klausel ein. Suson, die
Zweitälteste, ein zänkisches Mädchen, wird von ihm durch
Heiratsversprechungen und dadurch, daß er ihr in Aussicht
stellt, sie an den Hof zu führen, gewonnen. Die dritte der
Schwestern endlich, Clorinde, eine Philosophin, wird verführt
durch das Geschenk eines Diamantringes, nachdem zuvor
ihr treuer Wächter und Lehrer Matasio von Astolf mit einer
wertvollen Tabaksdose bestochen worden ist. So glänzen auch
die Namen dieser drei Tugendengel in dem verhängnisvollen
Buche, welches ihnen der schlaue Verführer nunmehr zeigt.
Nur unter der Bedingung, daß die drei Schwestern ihre früher
abgewiesenen Freier heiraten, will er von einer Veröffentlichung
ihres Fehltrittes absehen.
Im Gegensatz zu dem Lustspiel der beiden provengalischen
Dichter ist Fagan's Stück sehr dezent, sogar viel dezenter als
die Erzählung bei Ariost. Dieser letzteren sind folgende
Punkte entlehnt: der Schauplatz des Stückes (cf. Orl. für.,
C. XXVIII, St. 52), die Erzählung von Astolf über die Er-
folge seiner Reisen (O. f., C. XXVITI, st. 48—52), die Ver-
führung durch Geld und Preziosen (cf. OrL für,, C. XXVIII,
st. 48 u. st. 53), endlich die Schlußszene, welche mit einer
dreifachen Verlobung endet (cf. O?-!. für., 0. XXVIII, st. 74,
15*
.— 228 .—
wo Astolf und GioGondo Fiammetta mit dem ^Greco» yeih
heiraten. Alles übrige in Fagan's Einakter ist entweder eigene
Erfindung de& Dichters^ oder beruht auf anderen Quellen.
Die Hauptänderung an dem Stoffe, nämlioh die Einführung
von drei Schwestern an Stelle eines einzigen Mädchens, ist
keine glückliche zu nennen. Die Art und Weise, wie die drei
verführt werden, ist nahezu dieselbe, und die Wahrschein-
lichkeit, daß sie in so kurzer Zeit und mit so plumpen Mitteln
überha,upt in ihren Grundsätzen wankend gemacht werden
können, ist nichts weniger als groß.
Stil und Dialog des Stückes sind frisch und lebendig;
Bede und Gegenrede folgen rasch aufeinander ; Witz und
Ironie kommen reichlich zum Ausdruck, besonders in den Sollen
Joconde's und Astolf s (vgl. Sz. 1, 4 und 6); am gelungensten
scheint uns Szene 6 zu sein, in welcher die beiden Don
Juans Clorinde und den Philosophen Matasio sich ihren Ab-
sichten gefügig machen. Astolf erklärt, ohne Clorinde nicht
leben zu können und fragt, nachdem er die leidenschaftlichst^:!
Liebesschwüre getan hat:
Ast. He ! bien ? Cela ne fait-ü aucun effet sur vous ?
Clor. ÄiuMn,
Matas. Ni sur moi,
Ast. Je ne me rebuterai point. U n^y aura point de res^
souree qite je n'employe pour vous attendrir. Je deviendrai gcUatd
et magnifique, Voici, par exemple, un Diamant (Laissex^moi
suivre nia demonstration ; et pretez voils ä tout ced, je vous en
conjure) . . . Voici un diamant d\m prix considerable, Jnuzginex-
vous que je Vai laisse sur votre Toiktte, sans que vous vous en
soyez apper<pA,e. Vous Vessayez; et quoiqus vou^s soyez dans le
dessein de faire d^exactes recherches pour le rendre, voics le recevez
en atiendant.
Clor, (en recevant la Bague) Je le reQois?
Ast. Oui,
Matas. Badinage !
Ast. Ce n^est pas tout. Je sgais que vous avez aupres de
vous un homme de Lettres, qui est votre conseü, votre ami^ 7}uü
aise dans les affaires, comme la plupart le sont; je lui dis: Mon-
sieur, ma flamme est honnete, le mariage est man- obfet^ votre
— 229 —
honneur ne eera pas blesse en me eervant; detemvinez VaimaMe
Chrinde^ determinex celle que fadore; je vous promets müle
dueats si Vaffcmre rmssü^ et void d^avance %me Tabatiere eodreme'
ment riohe que je vous prie d'acoepter.
(d Matasio),
Accepiex, je vous prie, Monsieur,
Mat., prenant la Tabatiere et la regardant,
Oui, oui; speculaiion que ioui cela.
Diese kurze Antwort des Philosophen zeigt uns dessen
Charakter besser als eine lange Schilderung; das zweifache
Oui sagt uns, wie gierig er nach der Tabaksdose greift, wie
zugänglich er der Bestechung ist; doch daß er wenigstens
den Schein der Unbestechlichkeit bewahren will, geht aus dto
folgenden Worten: speculaiion que tout cela hervor. So sehen
wir in Matasio den falschen Philosophen, den <i:faux savanU,
der hinter der Maske der Philosophie die Laster des Geizes
und der Verstellung geschickt zu verbergen weiß.
Pagan's Joconde scheint den ihm geistig verwandten,
ebenfalls äußerst fruchtbaren Theaterdichter Charles Coli e^)
veranlaßt zu haben, 16 Jahre später denselben Gegenstand
wieder aufzugreifen und auf die Bühne zu bringen. Sein
Joconde erschien 1768 in der ^Thedtre de societe^ betitelten
Sammlung seiner besten Stücke und wird als Lopera comique
en deux actes et en vaudeviUesT^ bezeichnet.^) Aufgeführt wurde
*) über C o 11 e ' s vielbewegtes Leben «. D i d o t , XI, 151; M i ch au d ,
yill, 587, wo dem Dichter der Vorwurf gemacht wird, in seinen Stücken
allzusehr der Obszönität die Zügel schießen zu lassen; denselben Vorwurf
macht ihm auch Vapereau {Dict., S. 488): «... Comedies en general
fort licendeuses, avec ces sous-entendus et ces gravelures gazees qui
plaisaient au grand monde du XVIII^ siMe» ; La gr. Encl., XI, 936,
wo besonders die Vielseitigkeit und Fruchtbarkeit des Dichters hervot-
gehoben wird: ^ColU composa pour le theätre du duc d^ Orleans des operas
comiques, des comedies, des proverbes et des parades d'une gaiete osee,
mais franche et bien originale.»
*) Das Theätre de societe erschien 1768 in zwei, und 1777 in drei
Bänden; diese zweite Ausgabe ist nur ein Neudruck der von 1768. Das
Stück wird nur &ei Querard, La Fr. litt, II, 244—245, und in der
gr. Enc. XI, 936 erwähnt.
— 230 —
diese komische Oper bereits 1756 ^), wahrscheinlich erlebte das
Stück nur eine einzige Aufführung.
Wir gehen sofort zu einer Analyse des Joconde von
Colle über. Die in dem Stücke auftretenden Personen sind
folgende :
Astolphe, Roy de Lombardie, Joconde, Seigneur de sa
Cour, M"^® Dutour, Concierge d'une maison situee k St. Cloud,
et möre de Theröse. Th§rese, fiUe de M"^® Dutour, et amou-
reux de Blaise. Blaise, jardinier de la maison dont M™®
Dutour est la Concierge.
Akt I: Blaise, der eben im Garten der Frau Dutour
beschäftigt ist, drückt dieser seine Beunruhigung über die
Anwesenheit zweier junger Reisenden im Hause aus, welche
seiner geliebten Therese etwas zu aufdringlich den Hof
machen ; vergebens sucht die Dame den eifersüchtigen Gärtner
zu beruhigen ; ahnt sie doch ebensowenig wie Blaise, daß die
beiden Reisenden niemand anders sind als Astolf und Joconde,
welche den letzten Platz in ihrem Buche mit Theresen's
Namen auszufüllen gedenken. Beide bestellen das junge
Mädchen zu einem nächtlichen Stelldichein in den Garten, wozu
sich Therese auch bereit erklärt, nachdem die Verführer sie
mit einem wertvollen Ringe beschenkt und ihr außerdem 100
Dukaten versprochen haben, falls sie zur rechten Zeit am
verabredeten Orte erscheine.
Akt II : Therese, welche ihre Absicht wohl durchschaut,
macht dem Geliebten von ihrem Vorhaben Mitteilung und
gibt ihm den Auftrag, das nächtliche Stelldichein aus der
Nähe zu belauschen. Als die Dunkelheit hereinbricht, finden
sich Blaise und Therese zuerst an dem Platze ein und sezten
sich plaudernd auf eine Steinbank. Bald darauf erscheint
Astolf und sieht Therese bei einem jungen Manne sitzen; er
glaubt natürlich, sein Freund sei der Glückliche auf der
Bank, und entfernt sich stillschweigend; nicht lange hernach
tritt Joconde hervor, hält den ahnungslosen Blaise für seinen
Freund Astolf, und entfernt sich ebenfalls. Beide treffen sich
und beglückwünschen sich über den Erfolg, bis es sich heraus-
^) La gr. Em., S. 936.
— 231 —
stellt, daß Therese sie zum besten gehabt hat. Sie machen
jedoch gute Miene zum bösen Spiele, und schenken dem
listigen Mädchen anstatt 100 sogar 200 Dukaten. Sodann
beschließen sie, zu ihren Frauen zurückzukehren, ohne den
leeren Platz in ihrem Buche auszufüllen :
tBetoumons demain avec nos femmes, bien convaincus qu^elles
sont les memes dans ious les pays.'^ (Akt H, Sz. 8),
Die Handlung schließt sich eng an die Joconde-Episode
im Orl. für. an. Nur wird das Obszöne, das Äriost so un-
verhüllt erzählt, gänzlich fallen gelassen und durch ein harm-
loses Stelldichein im Garten ersetzt. An Stelle des Gast-
hauses zu Cattiva (Orl, für,, C. XXVIII, st. 54) führt uns
der Dichter in den Garten eines Mietshauses der Pariser
Vorstadt Poissy. Die Person der M"^« Dutour ist Erfindung
des französischen Dichters; ihre Tochter Therese ist die
Eiammetta, Blaise der Greco des 0/7. für,
Coll6 ist es gelungen, die Joconde-Episode so umzuge-
stalten, daß der Grundgedanke derselben erhalten bleibt, daß
aber alles Obszöne vollständig daraus verschwunden ist. Der
Vorwurf der Indecenz kann daher dem Dichter in diesem
Stücke keineswegs gemacht werden; vielmehr dürfen wir es
ihm als ein Verdienst anrechnen, den goldenen Kern, den
diese Episode in sich schließt, von der schmutzigen Um-
hüllung, in die ihn Ariost kleidet, befreit zu haben.
Der Gang der Handlung schreitet rasch dahin und die
Spannung dauert bis zur letzten Szene an, der Dialog ist
lebhaft und wechselt ab mit lyrischen Strophen, deren Inhalt
sich meist um das Glück der Liebe dreht.
Sogar noch im 19. Jahrh. findet sich ein Dichter, welcher
die Joconde-Episode einem Lustspiele zugrunde legt. Es ist
dies M. Etienne's^) Lustspiel Joconde ou les Coureurs d'Aven-
*) Etienne war besonders erfolgreich in der Anfertigung von Opern-
texten; auch die uns vorliegende Frosaausgabe der Joconde wurde als
Libretto verwendet^ zu dem Nicolo die Musik schrieb {s. Clement, Dict,
S. 38). Über Etienne s. näheres bei Michaud, XIllj 146j wo der Joconde
das 16. Stück des Dichters genannt wird; Didot, XFJ, 633 ff. ; Vapereau, Dict.
univ.j 745 j nach dem das Stück einen großen Erfolg errang; la gr. Enc.
XVL 660, wo der Joconde als das beste Stück ittienne's bezeichnet wird.
— 232 —
tures, welches zum ersten Male am 28. Februar 1614 j^ufge-
führt wurde, uud van dem 1821 bereits die 9. Ausgabe
erschien.
Die überaus verwickelte Handlung der Komödie ist ^ia
ihren Hauptzügen kurz folgende:
Akt I: Grraf Robert und sein Freund Joconde gellen
ihre Bräute Mathilde und Edile bezüglich ihrer Tr^ue auf
die Probe stellen, indem der eine von ihnen der Verlobten
des anderen den Hof macht. Da Mathilde und Edile daiS
gleiche zu tun beschlossen haben, bestehen die beiden Mädchen
scheinbar die Probe nicht, und Eobert faßt daher mit seinem
Freund den Entschluß, aus Eache dafür alle Frauen, die »ie
träfen, zu verführen.
. Akt 11: Auf einem ländlichen Balle in der Nähe des
gräflichen Schlosses wählen sich die beiden ihr erstes Opfer
aus in der Person der hübschen Jeannette, die mit Lucas,
einem jungen Manne, verlobt ist. Wie in dem vorausgehenden
JStücke von CoUe hält jedoch die schlaue Jeannette die beiden
Verführer bei einem nächtlichen Stelldicheia zum besten, sp
daß die Betrogenen sich schließlich wieder nach ihren .ver-
lassenen Bräuten zurücksehnen.
Akt III: Unterdessen hat sich das Gerücht verbreitet,
die beiden Abenteurer wollten Jeannette verführen; es wird
deshalb ein Haftbefehl gegen sie erlassen, und schon sollen
sich die Türen des Gefängnisses für sie öffnen, als Mathilde
und Edile, die ihren ehemaligen Verlobten in der Verkleidung
als Zigeunerinnen auf den Ball gefolgt waren, die wahren
Namen der vermeintlichen Abenteurer verraten und diesen
.80 die Schmach des Gefängnisses ersparen. Reumütig bitten
sie um Verzeihung und versprechen treue und vertrai^ende
Gatten zu werden.
Etienne's Lustspiel steht unleugbar unter dem Einflüsse
von Colle's gleichnamigen Stücke, nur Anfß,ng und Ende
gehen teils auf Ariost zurück, teils sind auch sie vom fraziZQsi-
schen Dichter hinzugefügt. Wie Celle, so sucht auch B t i e n n e
alles Unanständige fern zu halten und aus der durch und
durch derb lasziven Erzählung des Ariost eine harmlos komische
Handlung mit einer, wenn auch nicht aufdringliclie^^ lehrhaften
— 233 ^
«Pointe zn bilden. .Wie bei Clolle endlich^ sind auch hi^r
lydsehe Strophen erotisdtien Inhaltes eingestreut, welche
dem Grannen oft einen ernsthaften, sentimentalen Ton ver-
leihen.^) Was Etienne dem Ariost entlehnt, ist besond^s
die Exposition des Stückes; aber wie zart weiß er nicht
^iae Quelle umzugestalten! Während bei Ariost Astolfo
jind .^riocondo ihre Frauen in flagranti ertappen, denken bei
ijtienne die beiden Bräute überhaupt nicht ernstlich daran,
ihren Verlobten untreu zu werden; und die simulierte ün-
rta^eue besteht nur darin, daß sie kleine Geschenke von dem
.y^führQr annehmen. Etienne ist sogar noch moralische
alsCoUe, bei dem Astolf und Joconde bereits am Ende ihrer
abenteuerlichen verbrecherischen Keise stehen, während sie
Etienne uns vorführt, wie sie dieselbe erst anfangen, und nie
sie den Namen des ersten Opfers in ihrem Buche einzutragen
im Begriffe sind.
Ereie Erfindung des französischen Dichters ist das länd-
liche J^allfest, die Verhaftung der beiden tCoureurs d'Äventures'^
.und ihre Befreiung durch Mathilde und Edile. Diese Zu-
taten sind durchwegs als glücklich zu bezeichnen. Das Tanz-
fest gibt zu einer Reihe von gelungenen dramatisch wirkungs-
vollen Szenen (vgl. Akt II, Sz. 1 — 5) Anlaß ; die Verhaftungs-
szene durch den Bailli des Ortes und die Ankunft der beiden
^) Vgl. Akt III, Sz. i, wo Robert bereut, seine Braut verlassen zu
haben:
Str. 1. «Dans un delire extreme
On peut fuir ce qu'on aime :
On pritend se venger,
On jure de changer^
On devient infidelej
On court de belle en belle;
Mais on revient toujours ä ses pr emiers amours.»
Str. 2. Ah! d'une ardeur sincere
Le temps ne peut distraire.
Et nos plus doux plaisirs
Sont dans nos souvejiirs.
On pense^ on pense encore
A Celle qu^on adore,
Et Von revient toujours ä ses premiers amours,»
— 234 —
Damen bilden einen höchst dramatischen Schluß. Fügen wir
noch hinzu, daß der Ort der Handlung unter dem sonnigen
Himmel der Provence liegt, und daß sanges- und lebensfrohe
Provengalen die Träger der Handlung sind, so haben wir die
charakteristischen Seiten des Stückes hervorgehoben.
Es ist schade, daß dieser so glücklich entworfene Schwank
der völligen Vergessenheit anheimgefallen ist, und daß den
Dichter desselben das gleiche Los ereilt zu haben scheint.^)
Etienne's Joconde ou les Coureurs dCAventures wurde
später von Aumer zu einem Ballett verarbeitet und von
dem Komponisten H6rold in Musik gesetzt. Die Auf-
führung des unter dem Titel Asiolphe et Joconde bekannten
Balletts erfolgte am 29. Januar 1827 ^) und hatte, dank der
Musik Heroldes, einen bedeutenden Erfolg.^)
7. Die Erzählung vom Zauberbecher.
Wir kommen nun zu der Erzählung vom Zauberbecher,
welcher Ariost den ersten Teil des 43. Gesanges (st. 1 — 70)
widmet. Welche Bewandtnis es mit diesem Becher hat, er-
fahren wir aus Strophe 28 des genannten Gesanges, wo
Ariost sagt:
<iDisse Melissa: lo ii darb un vasello
Fatto da ber, di viriü rara e strana,
Qual gid, per fare aecorto ü suo fratello
Dell fallo di Ginevra, fe Morgana,
Chi la moglie ha pudica, bee eon quello:
Ma non vi puö giä ber chi Vha puttana;
*) Michaud XIII, 146, nennt das Stück «fameux» . Vapereau,
Dict univ.f 745, loht besonders die Charakterzeichnung des Joconde, der
unbeständig, frivol und allzuleicht verliebt, aber immer liebenswürdig und
niemals hassenswert (odieux) sei. In der gr. Enc. XVI, 660 unrd Jo-
conde, wie bereits erwähnt, das beste Stück d. Dichters genannt Clement,
Dict. lyr. 614 endlich hält das Stück für eine der vollkommensten komi-
schen Opern.
2) Chouquet, Bist, S. 392.
^) Ibd. ; Chouquet führt auch die Schauspieler an, welche die Haupt-
rollen des Balletts zu spielen hatten.
— 235 —
Che 7 vin, quando lo crede in bocca porre,
Tutto si sparge, e fuor nel petto acorre.^
Der erste französische Dichter, welcher diese Episode
dramatisch behandelte, war kein geringerer als Lafontaine^
der gemeinschaftlich mit seinem Freunde, dem berühmten
Schauspieler Champmesle den lustigen Einakter < La coupe
enchantee^ verfaßte. Als Abfassungsjahr wird von Lema-
zurier^) und Regnier^) 1688 angegeben. Welches der
Anteil eines jeden der beiden Verfasser an dem Stücke ist,
läßt sich jedoch nicht bestimmen.
Maupoint^) und La Porte et Chamfort*) geben
die beiden Dichter als Verfasser an, ohne den Anteil des
einzelnen präzisieren zu wollen. Mouhy^) meint, das Stück
sei von Lafontaine allein verfaßt, später aber in C h a m p -
mesle's Gesamtausgabe eingereiht worden, obgleich dieser
nur seinen Namen hergegeben habe; außerdem behauptet
er irrtümlicherweise, die Coupe enchantee sei dem Boc-
caccio entlehnt. 6) In Michaud's Biogr, wird jedoch
in Abrede gestellt, daß Champmesle an dem Stücke über-
haupt mitgearbeitet habe ; die Vermutung einer Mitarbeit des
letzteren sei aus der intimen Freundschaft der beiden Männer
hervorgegangen.') Brunetifere scheint der Ansicht zuzuneigen,
daß Champmesle die Hauptarbeit an der Komödie geleistet
habe.®) Regnier endlich verzichtet darauf, ein urteil über
diese Frage abzugeben, indem er sagt : tön ne saura Jamals
la pari que Lafontaine a prise ä la composition de cette petite
comedie.T^^) Dieser letzteren Ansicht schließen auch wir uns
an, denn nirgends in dem Stücke läßt sich eine Stelle nach-
^) Galerie, I, 184.
*) (Ehivres de Laf. {Ausg. der Gr. tcr.) VIl, 439.
») Bibl, S. 85.
*) Biet dram. 1, 324.
*) Tabl, S. 60, 61.
ö) Ihd., S. 6L
"') Biogr. univ., VII, 465: «On pretend que Ch. a eu une tres grande
pari . . .et ä la coupe enchantee . . . Cette assertion n'a d'autre fondement
que les relaiions d^amitie qui existerent entre Lafontaine et ChampmesU.y»
8) La gr. Enc, XXI, 756.
®) (Euvres de Laf. {Ausg. der Gr. ]^cr.), VII, 442.
— 236 —
weisen, die aus dem Rahmen der Einheitlichkeit, in dem das-
selbe geschrieben ist, herausträte.
La coupe enckantee wurde zum erstenmale im Jahre 1710
gedruckt und als Verfasser M. Chammelay (sie!) bezeicfaiiet.
Später, 1735, wurde die Komödie in die Gesamtausgabe der
Dichtungen Champmesle's aufgenommen, wo sie sich im
2. Bande derselben befindet.^) H. Regnier endlich gab dem
Stücke einen Platz im 7. Bande seiner Ausgabe Lafon-
taine 's. ^)
über die Veranlassung zur Abfassung unserer Komödie
erzählt Maupoint folgende Anekdote: <^L'edtccation qm
M, G,, architecie, voulut donner ä sa fille en la ienant enfermie et
privee de la connaissance des hommesj fournit le sujet de ceite
peilte piecey>. Die Behauptung M a u p o i n t ' s ^), daß diese Be-
gebenheit den Stoff zu Lafontaine's Stücke geliefert habe, ist
in dieser Form keinesfalls richtig, denn wir sehen nicht ein, was
das sonderbare Erziehungssystem des Architekten G. .mit der
Geschichte vom Zauberbecher zu tun haben könnte. Maupoint
wurde vielleicht dadurch zu seiner Behauptung verleitet, .daß
im Stücke unter anderen ein ähnliches Erziehungssystem
geschildert wird. Aber dieselbe Schilderung findet sich auch
im OrL für,] da Lafontaine außerdem schon früher diBse
Episode aus dem italienischen Epos ins Französische über-
setzt hat^), ist es als sicher anzunehmen, daß der große
Fabeldichter und Ario st Verehrer den Stoff zu dieser Komödie
direkt dem OrL für, entlehnte.
Wir gehen nun auf die Analyse unseres Stückes über.
Lucinde, Tochter des Normannen Tobin, flüchtet mit
Perette, Frau des Thibaud, welche im Dienste des Töbin
steht, zum Bauer ßertrand , weil sie den Neffen ihrer Stief-
^) (Euvres de M. Champmesle, P. 1735, 2 vol., 12. Das Stück findet
sich in II, 578—620.
2) (Euvres d. Laf. {Äiisg. der Grands Ecr. de la France\ JBd Ylly
439—495.
5) Bibl, S. 85.
*) Unter d. Titel: La coupe enchantee; auch die berühmte Erzähhmg
Lafontaine's «Les oies de frere Philippe», eine Satire auf die allzustrenge
Erziehung, ist der Episode im 43. Ges. des Qrl. für. entnommen.
— 287 —
OBOitter heiraten soll, während sie dagegen den jnngen Lelie^
den Sohn des reichen Anselm, liebt. Tbibaud, auf der Snche
n«ch seiner flüchtig gegangenen Erau, kommt mit Lelie und
dessen Lehrer Josselin zusammen und , yertrant ihnen sein
efariiches Unglück an; fürchtet er doch, daß ihm seine Frau
hereits die Treue gebrochen habe. Josselin empfiehlt ihm,
sich mit dem Zauberbecher Anselm's in diesem Funkte 6e»
wiBheit zu verschaffen. Anselm habe den Becher von einem
Araber erstanden und stelle ihn jedermann zur Verfügung.
Thibaud aber will aus den nämlichen Gründen wie sie bei
Ariost (C. XLIII, st. 65 u. 66) angegeben sind, das gefähr«
lichB Experiment nicht wagen, sucht jedoch einen Verwandten
des? Tobin, der sich ebenfalls gern Gewißheit über die Treue
seinerGemahlinTerschaffen möchte, zu dieser Frobe zubewegen,
Anselm fängt indessen an, sich über seinen von ihm in
ailer Sorgfalt und Abgeschlossenheit erzogenen Sohn Lelie zu
hennruhigen, da er ihm verliebt zu sein scheint. In der Tat
sehen wir bald nachher den Jüngling am Arme Lucindens.
Nun erscheinen auch Lucindens Vater Tobin und sein
V-^er Griffand, welch beide ihre Ehehälften im Verdachte
der' Untreue haben. Als sie von der seltsamen Eigenschaft
des Bechers hören, verlangen sie daraus zu trinken ; der Becher
wird' ihnen gereicht, aber Beide verschütten beim Trinken
Mllssigkeit und haben daher für den Spott der Umstehenden
nicht zu sorgen. Anselm hat inzwischen von der Liebe seines
ST»hnes zu Lucinden erfahren; nach einigem Widerstreben
willigt er in die Heirat des jungen Faares ein; den Zauber-
becher aber verspricht er zu brechen, da derselbe so manchen
Mann schon unglücklich gemacht habe.
Wie uns der Inhalt des Stückes gezeigt hat, ist der:
Stoff, wie ihn der Orl, für, bietet, im wesentlichen beibe-
halten worden. Nur der Schauplatz und der Stand der Fer-
sonen wurde verändert; außerdem aber sind eine Reihe von
Personen neu eingeführt worden, da ja bekanntlich in der
Ariost^schen Erzählung nur vier Fersonen erwähnt werden:
Das Anstößige im italienischen Original wurde soweit wie
möglich beseitigt. Das Tragische und Bittere, das bei Ariost's
Erzählung sich findet, ist ebenfialls fortgeblieben; selbst als
— 238 —
Tobin und Griffand von der Untreue ihrer Frauen wissen,
versagt ihnen der gute Humor nicht; sie wissen sich mit
Anstand ins Unvermeidliche zu fügen. Vollständig frei er-
funden dagegen ist die Flucht Lucinden's, das Liebesver-
hältnis zwischen ihr und Lelie und der anfängliche Wider-
stand der beiderseitigen Eltern, diese Verbindung gut zu
heißen. Französische Zutat ist es endlich auch, daß Anselm
am Schlüsse des Stückes den Becher zu zerbrechen verspricht.
Der literarische Wert der Komödie ist nach unserer
Ansicht kein hoher. Es fehlt in derselben vor allem an
Motivierung und Entwicklung; so werden wir im unklaren
gelassen über die Gründe, die Perette zur Flucht von ihrem
Gemahl Thibaud bestimmen, wir erfahren nicht, ob und mit
wem sie Ehebruch getrieben; das gleiche vermissen wir bei
den ehebrecherischen Frauen des Tobin und Griffand. Auch
die plötzliche Einwilligung der Eltern Lucindens und Lelie's
in deren Heirat ist unmotiviert. Endlich suchen wir in dem
Stücke vergebens eine Hauptperson oder auch Hauptper-
sonen, um die sich die ganze Handlung gruppiert; alles ist
zu kurz und zu skizzenhaft behandelt, so daß das Stück eher
den Namen Posse oder Schwank als den einer „Komödie" ver-
dient. Vielleicht sollte es auch als eine Parodie der Ariost'schen
Erzählung gelten, obwohl dem entgegenzuhalten ist, daß als
Parodie betrachtet, dasselbe sich enger an das Original an-
schließen müßte.
Fast möchten wir aus dem Unwert der Coupe enchantee
den Schluß ziehen, daß Lafontaine zum mindesten die Haupt-
arbeit an der Abfassung derselben nicht getan habe, da wir
diesem großen Geiste ein solches Machwerk unmöglich auf
die Rechnung setzen können.
Anderer Ansicht scheinen allerdings Petitot^) und
Regnier^) zu sein, welche die Coupe encJmntee ziemlich günstig
beurteilen. Doch deutet Regnier an, daß sie vor ihm in der
Regel eine abfällige Kritik erfahren habe ^).
^) Repertoire du TJi. fr., XVI, 250—251.
2) (Euvres VII, 442.
') Ibd. : «. . . . Cet ouvrage rCest pas aussi mauvais qu^on Va pre-
tendu.»
— 239 —
Als Nachahmungen der Coupe enchantee bezeichnet Regnier
die beiden Einakter Saint-Foix' UCh-acle und Les Grdces,
von denen der erste am 22. März 1740, der zweite am 23. Juli
am Theätre frangals aufgeführt wurden.^) Saint-Foix be-
hauptet jedoch in der Vorrede zu Les Oräces, daß er den
Stofif zu seinen beiden Stücken selber erfunden habe.^)
Wir werden uns daher mit denselben nicht weiter beschäf-
tigen, sondern sofort auf eine zweite dramatische Behandlung
unseres Stoffes, zu der einaktigen komischen Oper La coupe
enchantee von Rochon de Chabannes übergehen. Dieses
kleine Stück ging am 19. Juli 1753 über die Bühne und errang
einen ehrenvollen Erfolg. ^) Gedruckt wurde das Stück erst
im Jahre 1765, und zwar im zweiten Bande des Nouveau
Thiätre de la Foire, Ein Neudruck desselben wird vermutlich
innächsterZeiterscheinen, wenigstens beabsichtigt J.-J. Olivier,
der Herausgeber von Heureusement ^ nach und nach sämtliche
Stücke von Rochon de Chabannes in einer Ausgabe dem
Publikum zugänglich zu machen.
Rochon de Chabannes gehört heute zweifelsohne
zu den tCkiblies», während er bei Lebzeiten zu den erfolg-
reichsten Theaterdichtern zählte. Bereits LaHarpe jedoch
rüttelte an seinem Ruhme, indem er den Erfolg des Dichters
nicht dessen Werken, sondern der Tüchtigkeit der Schauspieler
und Schauspielerinnen zuschreibt.^) J.-J. Olivier wirft
ihm Armut in der Erfindung und Nachlässigkeit im Stil vor.
^) Ibd., S. 443.
*) Mercure de France 21janvier 1769; dort werden die Handlungen
in beiden Stücken als «situations si conmies» bezeichyiet.
^) J.-J. Olivier, Heureusement. Comedie p. Roch. d. Chab, F.
1903 j S. IVj woselbst auch zum erstenmal eingehende Studien über
Roch. d. Chab. Leben und Wirken gemacht werden. La Coupe enchantee
wird leider nur erwähnt.
*) Cours d. litt. IIj 373: *Rochon ne laissa pas d'etre fort lou6
comme versificateur^ quoiqtCil soit reste dans la derniere classe de ceux
ä qui les acteurs ont fait au theätre une petite fortune sans consequence
et qui ne donne point de rang dans Vopi^iion . ... II n^y a peut-etre pas
une page de son theätre oü Von ne rencontre des fautes grossiereSj des
fautes de sens, d^expression, de convenance, tout ce qui prouve ä la fois
le difaut d^esprit et de jugement.^
--. 240 —
bebt dagegen die Natürlichkeit, den Witzj den kunstvollen
Aiifban und den Dialog als rührtenswert in "Roche n 's-
Komödien hervor^). Als Gresändtsehaftssekretär in- DresdetT
(1770 — 1772) hatte er Gelegenheit die deutsche Literatur
kennen zu lernen, und so brachte er eine französische Bear-
beitung der Minna von Bamhelm unter dem Titel Les Ämants
gemreux mit nach Frankreich zurück. Da er'Miüna^ Liebe zu
Tellheim für zu stürmisch erachtete, änderte er ihren Charatfeferi
inäem er aus dem herrlichen deutschen Mädchen- eine Witwe (!)
machte, die mit ihrer Leidenschaft zum Major etwJas voif-
sichtiger zurückhält^).
Die Handlung der Coupe enchanUe ist kurz folgende:
Ein Liebender will durch die Fee Melisse erfahren, ob
sein Mädchen ihn auch wirklich nur allein liebe. Die !E*ee"
gibt ihm aus dem Zauberbecher zu trinken , und als der
Jüngling die Flüssigkeit beim Trinken verschüttet, erklärt
sie ihm, daß er die Liebe des jungen Mädchens nicht allein
besäße. Drei Ehemänner kommen während dieser Probe^
dazu und wollen ebenfalls die Treue ihrer Frauen ergrüüxien ;
vergebens warnt sie die Fee, den verhängnisvöUcii Thmt zu
tun; nur einer der drei Ehemänner hatte üröache, mit dei
Treue seiner Ehehälfte zufrieden zu sein.
Rochon de Chabannes entlehnt nur die Idee des
2äuberbechers und die Person der Fee Melisse dem italienischen
Stücke (cf. Orl für., 0. XLIII, st. 28), alles andere ist'
selbständige Bearbeitung des französischen Dichters." Wie~bei
Lafontaine wird auch hier die Probe mit dem' Zaüberbecher
alles Tragischen entkleidet: Die beiden gehörnten Eheniänner
^) Op. cit.j S. XVII: «. . . si Eochon manquaii dHwoeHUdn, sHl
nigligeait trop son style^ il avait du naturell de resprit^ saväithäHr-uVie
piece et entendait fort bien Vart du dialogue.T»
*) Olivier sagt hierüber- {Op. cit., S: XII): *Non content d^all4ger
la piece allemande de ses longueurs, il avait modifii le cä/racthre de
Vkirome, dont Vamour expansif eüt sans doute etonn^ uii pkhUc hahitui
ä la riserve decente des Henriettes et des Sylvias. Rochon fif de Minna
une jeune veuve et rendit plus discrHe sa passion powr le beau TeU-
heim.» Die Aufführung des Stückes {13. Okt. 1774) bedeutete isinefi größtn
Erfolg für den Dichter.
— 241 —
lachen nach dem bedeutnngsvollen Trünke über ihr eheliches
Mißgeschick, und das Stück endet wie eine mittelalterliche
Parce.
8. Die verzauberten Quellen.
Die Erzählung vom Zauberbecher erinnert unwillkürlich
an die Geschichte jener zwei Wunderquellen im Ardennen-
walde, welche die Kraft haben, unauslöschliche Liebe oder
Abneigung dem einzuflößen, der von ihrem Wasser trinkt.^)
Ariost sagt von ihnen (C. I, st. 78):
«E questo hanno causato due fonianSj
Che di diverso effeto hanno liqtwre,
Ambe in Ardenna, e non sono lontane:
D^amoroso desto Vuna empie il core;
Chi hee deWaltra, senxa amor rimmte,
E volge tutto in ghiacdo il primo ardore.
Rinaldo gtcstö d^una, e Amor lo strugge;
Angelica deW aUra, e Vodia e fugge:».
Diese Quellen bilden auch den Mittelpunkt einer ein-
aktigen komischen Oper von Le Sage, Les eatix de Merlin
betitelt, welche am 25. Juli 1715 aufgeführt wurde und
deren Handlung im Ardennenwalde spielt.^) Wir geben eine
kurze Inhaltsangabe unseres Stückes:
Harlekin, welcher eben von der spröden Colombine ab-
gewiesen worden ist, will sich erhängen, wird aber von seinem
Freund Mezzetin daran verhindert; bald darauf kommen beide
an die zwei Wunderquellen im Ardennenwalde. Merlin, der
gütige Zauberer, stellt ihnen einen Teil des wundervollen
Wassers zur Verfügung, welcher die beiden in Paris auf dem
Jahrmarkt zu verkaufen beabsichtigen. Eine iEleihe von un-
glücklich liebenden Jünglingen, Mädchen und Frauen suchen
^) Über das Alter dieser Sage s. P. Kajna, Le fonti delV 0. /".,
S. 80. Rajna verlegt die Heimat derselben ins alte Griechenland.
^) Des Boulmiers, Hist. I, 25. Nach Leris, Dict. port., S. i55,
wurde das Stück am 11. Sept. 1735 von neuem aufgeführt. — Ebenso
LaPorte etChamfort, Dict. J, 411. Das Stück findet sich im 2. Bande
des ThSätre de la Foire.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. Iß
_ 2aa? —
ondl finden Heilung hei den WasserveFkäufem. AuchJlfarinette^
die aprode^ Geliebte« Measzetin's , und Colbmbine stellen sioh
ein und drücken den beiden, die sie nicht kennen, ihre B.eu6'
aus über die ungerechte Behandlung, welche sie Harlekin und
Mezzetin widerfahren, ließen«. Diese, geben- den; Mädchen be-
reitwillig Wasser von der Quelle der Liebe zu trinken, worauf
sie sidi ihnen zu erkennen geben. Colombine und Marinette
Terspüren. alsbald^ die Wirkung des Trunkes und versuchen^
ihre Liebhaber zu vsersöhnen; als die liebeentbrannten Mädchen'
dies im: guten nicht fertig bringen^ zwingen sie den Harl^in^
und den Mezzetin durch Anwendung von Gewalt^ vom Wasser
der Liebe zu trinken, worauf dann eine allgemeine Versöhnung
erfolgt.
Diese kurze Analyse zeigt, daß Le Sage dem Ariost
nur die Idee der Zauberquellen und den Schauplatz im Ar-
dennenwald entnimmt, die übrigen Teile des Stückes dagegen
selbständig erfindet und dramatisch behandelt.
Wie in den^ vorausgehenden Stücken wird auch hier der
Episode das Ernsthafte, Tragische genommen, auch wird alles
vermieden, was an das italienische Original direkt erinnern
könnte, so daß wir streng genommen von einer Parodie der
betreffenden Erzählung im Original nicht sprechen können»
9. Die Eczählung vom Amazonenstaate.
Als eine Parodie der drei Heldinnen Ariost's, Brada-
mante, A«ngelika und Marfisa, darf wohl der kleine Schwank
L'ile des Ämaxones gelten, welcher von D'Orneval und Le
S«ge 1718 gemeinschaftlich verfaßt wurde ^) und zwei Jahre
später mit ziemlich großem Jffirfolge über die Bühne ging; ^)
D'Omeval, welcher den Hauptanteil an der Arbeit hat, ist
nach Des Boulmiers <iun auieur fecond et ingmieua>^)j
^) Dcks Stück findet sich im dritten Bande des Theätre de la Foire
P. 1737, 8^; tüegen der Jahreszahl vgl. Leris, Diet. dr., Ä 256) Anecdoie»
dram, /, 464, wo überall 1718, bzw. 1720 angegeben wird.
*) Des Boulmiers, l. c, II, 371.
3) Ibd. II, 432; La Harpe, Cours de litt. II, 439 wne^Bemardin,
La com., S. 153 erwähnen D'Omeval nur als Vielschreiber.
— 248: —
der die meisten seiner Stücke gemdnsehafttich mit'Le Saige'
undi Enron schrieb»
Die Handlung dieser etwas derben Parodie Ariost'sch^''
Gestalten ist folgende :
Pierrot, Harlekin und «Scaramonche werden auf die
Amazoneninsel verschlagen und müssen sich den drei Amazonen
Atalide, Marphise und Bradamante, welche ihnen mit Pistolen
auf den Leib rücken, ergeben und sich außerdem dem Gesetze
des Landes unterwerfen, welches verlangt, daß jeder männ-
liche Ankömmling drei Monate lang der Gemahl einer Ama-
zone sein muß. Eben werden drei Männer, die diesen Dienst ^
getan, verabschiedet; em Schweizer, dem der Abschied schwer
fallt, weil er während jener Zeit nach Herzenslust zu essen^-
und trinken bekam, ein Spanier, welcher in schmachtender
Liebe zu Bradamante entbrannt ist und gerne noch länger
bleiben möchte, endlich ein Franzose, welcher frohgemut von
Atalide scheidet, die ihn aber nur ungern ziehen läßt. ^)
Das Stück ist eine recht einfältige Posse ohne Witz und
Humor, ohne Verwicklung oder Spannung und ohne Charakter-
zeichnung. Daß es eine Parodie der drei genannten weiblichen Ge-
stalten aus dem Orl, für. sein soll, sagen schon die beiden Namen
Marphise und Bradamante, welche sich in der Isle des Ama^
xoms finden. So ist hier Marphisa ein zänkisches Weib, das
seinem Gemahl, der dem Trünke ergeben ist, die heftigsten
Szenen macht. ^) Die Sprache wechselt zwischen Vers und
^) Für das sonderbare Landesgesetz hat offenbar eine Stelle im Orl.
fwr, als Quelle gedient (C XX, 30), wo Orontea an der Spitze der Kre-
tenserinnen eine Amazonenherrschaft gründet. Eine Stelle scheint nahezu
wörtlich herübergenommen zu sein; nämlich Sz. 4 sagtBrad.: *Plu9ittirs
Isles .... de venir prendre nos enfants mäles^ et de nous donner deux
filles pour un gargon. Vgl. damit Orl. für. C. XX, st. 33:
«Accio il sesso viril non le soggioghi.
Uno ogni madre vuol la legge orrenda etc.»
*) Wir geben hier eine kleine Probe aus Szene 6. Marphisa ist im
Begriffe sich von dem Schweizer Baron, der drei Monate lang ihr Gemahl
war^ zu verabschieden:
Marphise chante: En bonne foi, pouvez-vous- croire
Que pour vous mes pleurs vont couler,
16*
— 244 —
Prosa und bewegt sich oft in den niedrigsten Ausdrücken.
Das Stück sollte 1718 über die Bühne gehen, da aber gerade
um diese Zeit die komische Oper geschlossen wurde, mußte
die Aufführung auf unbestimmte Zeit verschoben werden.^)
10. Die Ring-Episode.
Die Geschichte des unsichtbar machenden Zauberrings^
welcher ursprünglich im Besitze Angelikas war, ihr aber
später vom listigen Brunello entwendet wurde, findet sich im
3. Gesang des Ch-L für. (st. 68flf.). Sie hat den Anlaß zu
einer kleinen französischen Komödie gegeben, welche in eine
andere größere Komödie verwoben ist. Der Titel dieser
Doppelkomödie von Thomas-Simon Gueul Lette lautet: Les
wmediens par haxard et Uanneau de Brunei, Das Stück wurde
am 15. März 1718 gegeben, ist aber nicht gedruckt.*)
Yous qui passiez le jour ä hoire,
Et tonte la nuit ä ronfler?
Le bar ort: Moi, m^y riveiller qtielquefois.
Marph.: Ouij pour chanter ä phine voix:
Borij borij Bon
Que le vin est hon!
Par ma foi, fen veux hoire.
Heu le vilain Yvrogne!
Le baron c kante: Oh! point de fächementj mon Belle!
Si chel trinquerai touf le jour;
Cest dans le mn que sti VAmour
B'allume son cJiandelle.
Marph, Je crois quHl y eteint encore plus souvent Fussiez vous
de ja aux Treize-Cantons.
Le bar.: L'y etre ein petif cruelle^ ein petif VIngrate. Moipour-
tant, Vy aimer vous toujours heaucoup grandement», etc.
Mit derlei billigen Witzen suchten die Verfasser die Lachlust des
Theaterpublikums rege zu halten.
1) Parfaict, Hist. XIII, 169.
*) Beauchamps, Nouv. theätre italien III, 29L Parf., Dict, du
Th. fr., VII, 445. Eine ausführliche Inhaltsangabe des Stückes findet
^ich bei Parf, Bist, du Th. fr. XUI, 169.
— 245 —
11. Die Ätlante-Episode.
Atlante's Zauberschloß, in welchem der alte Zauberer
seinen Schützling Küdiger vor den Stürmen des Lebens be-
wahren will, wird von Ariost im 4. Q-esange (st. 12 ff.) ge-
schildert. Die sich darin anknüpfende Befreiung des Helden
durch Bradamante liefert dem Lustspieldichter La Grange
den Stoff zu seinem Einakter Le palais mcha7iie, der 1761
aufgeführt wurde, jedoch nicht im Drucke erschienen ist. ^)
Wir geben nach den Brüdern Parfaict eine kurze Inhalts-
angabe des Stückes. ^)
Clorinde, die Geliebte ßoger's, wird von der Zauberin
Urgande in dem verzauberten Schlosse gefangen gehalten.
Roger jedoch befreit mittels eines von Merlin erhaltenen
Zauberstabes die Geliebte aus den Händen der sich vergebens
wehrenden Urgande. Das Zauberschloß verschwindet, Roger
findet seine Clorinde wieder und gibt den zahlreichen Ge-
fangenen der bösen Fee die Freiheit wieder.
Diese kurze Handlung ist von Anfang bis zu Ende der
Atlante-Episode des Orl, für. nachgebildet. Nur ist Atlante
durch die aus Tasso's Befreitem Jerusalem bekannte Zauberin
Urgande ersetzt, bei Ariost wird außerdem umgekehrt Roger
durch Bradamante - Clorinde befreit. Nach den Brüdern
Parfaict hatte das Stück auf der Bühne keinen Erfolg.*)
12. Einzelne Entlehnungen aus dem Orlando furiose.
Es erübrigt noch einige Werke anzuführen, in denen sich
stellenweise der Einfluß des Ariost'schen Epos geltend macht.
Auch diese legen Zeugnis davon ab, wie verbreitet die Be-
kanntschaft mit dem gefeierten italienischen Epos war, und es
ist anzunehmen, daß auch dort, wo sich ein unmittelbarer
Einfluß nicht wahrnehmen läßt, es dennoch vielfach auf die
Schaffungskraft der französischen Theaterdichter eingewirkt hat.
') P. Parfaict, Dict IV, oof.
'') Ibtl, Dict. IV, oof.
'j Ibd., Dict. IV, oof
— :M6 —
Wie bereits von E. Köhler^) hervorgehoben worden
ist, enthält die von Jacques de la Taille verfaßte Tra-
fgöäie.Daire (1559 — 1662) einedemAxiost. nachgebildete Stelle!
Im 5. Akte dieser Tragödie wird Alexander dem 6ro&en
mitgeteilt, daß Darius mit folgenden Worten aus dem Leben
.verschieden sei:
<0 Aleocandre, adieu, qudque pari ou tu sois,
Ma ^nere et ses enfants aye en recommanda —
II ne petMt achever, cor la mort Ven garda'».
Die entsprechende Stelle im Orl. für. (0. XLII, 14)
lautet :
«i7 dirgli: Orlando , fa dhe ii raccordi
Di me nelt oraxion tite grate a Dio;
Ne men ti raccommando la mia Fiordi —
Ma dir non pote tligi^, e qui finiö:».
Diese poetische Lizenz findet sich unseres Wissens nur
bei Ariost. Daß Jaques de la Taille Ariost im Urtext kannte,
dürfen wir wohl annehmen, besonders wenn wir bedenken, daß
sein Bruder Jean ein gründlicher Ariostkenner war, der sogar
den Negromant des italienischen Dichters ins Französische
übertrug. Bei Garnier finden sich, abgesehen von seiner
Bradamante, in einigen Stücken Beminiszenzen , wenn auch
nur sehr unbestimmter Art, an die Lektüre des Ariost'schen
Epos. So erinnert die Schilderung des Zweikampfes zwischetf^
Eteocle und Polynice in der Antigene (Akt III, s. V. 113 ff.)
an den Kampf Roger's und ßodom.Oöt's am Schlüsse .4es -^ß.
Gesanges (st. 100 ff.). Bei beiden Dichtern prallen die
iKämpfenden mit solcher Gewalt aufeinander, daß die Rosse
rücklings zu Fall kommen ; in beiden wird dann der >Kampf
zu Fuß ausgef echten, und zwar nicht bloß mit Schwert und
Degen, sondern auch mit Faust und Fuß ; weiter jedoch geht
die Ähnlichkeit nicht.
Auch Montchrestien scheint die Kampfesschilderangen
im Orl für. zu kennen und sie sogar an einer Stelle in sei&em
Hector nachzuahmen.
^) Arch. f. Lit'Gesch. V, 243.
2) Cfr. Böhm, Einfl. Senecas, S. 55 f.
— 247 —
Im 5. Akte wird der sich auf die Argolier stürzende
Hektor mit einem Falken yerglichen, welcher auf eine sorg-
los nach Atzung suchende Yogelschar jählings herabschießt.
Dieser Vergleich findet sich nahezu wörtlich im 25. Gesänge
(st. 12) des italienischen Epos.^) Der Zweikampf zwischen
Hektor und Achilles in der nämlichen Tragödie erinnert lebhaft
an die Zweikämpfe, wie sie Ariost in seinem Epos so gerne
und so unübertrefflich schildert. ^) Doch ist es möglich, daß
Montchrestien's Schilderung von Ariost unabhängig ist, da
direkte Entlehnungen an dieser *St£itle nicht nachweisbar sind.
^) S. Vianey, Arioste et la PUiade, Bull. it. IIIj 8. 319. — Die
Stelle findet sich auf S. 62 d^ JuUevilW sehen Ausg. v, Montehrestien
"und lautet:
Comme quand un faucon soustenu de ses aisles
Descouvre le voler des faibles colombelles,
Qui retournent des champs et coupent seurement
La ^ague remuant du venteux SUmentt
II se laisse tomber sv/r la bände ümide;
La plupart fuit legere oü la crainte la guide^
Et de bec et de mains sur terre il les abat;
Heetor fondant de mesme en VArgoUqm armee^
On la void sur le chcmip de Qa de Ih senUe,
Mais ceux lä guHl rencontre au müieu de ses ,pas
De trenchant ou d^estoc regoivent le trespas.
Die entsprechende Stelle im Furioso lautet:
Come stormo d^augei, chHn ripa a un stagno
Vola sicuro, e a sua pastura attende,
SHmprovviso dal ciel falcon grifagno
Gli da nel mezzo^ ed un ne batte o prende:
Si sparge in fuga, ognun lascia il compagno,
E dello scampo suo cura si prende:
Cosl veduto avreste far costoro,
Tosto cheH buon Buggier diede fra loro.
^) 'Wuvres de Montchr. {Ausg. v. P. de JuUediUe\ S. 52 f.
Ergebnisse.
Am Schlüsse unserer Untersuchungen angelangt, wollen
wir noch kurz die Resultate derselben zusammenfassen. Der
Einfluß der italienischen Literatur auf die französische ist
größer, als man nach dem allgemeinen Urteil über die Be-
deutung dieses Einflusses anzunehmen geneigt ist. Nur ganz
allmählich macht sich die Überzeugung geltend, daß Italiens
Anteil an der Entwicklung der neufranzösischen Literatur ein
ebenso wichtiger, manchmal sogar, wie bei den Dichtern der
Pleiade, ein wichtigerer Faktor war als der antike Einfluß.
Oft auch hatte Italien die Vermittlerrolle zu spielen
zwischen antikem und französischem Schrifttum, d.h. griechischer
und römischer Geist drangen über Italien in Frankreich ein,
teils durch italienische Gelehrte und Künstler, die ihren
dauernden oder vorübergehenden Wohnsitz auf französischem
Boden nahmen, teils durch italienische Übersetzungen klassischer
Schriftsteller oder durch italienische Originalwerke, in denen
der Hauch hellenischen und römischen Geistes zu ver-
spüren war.
Mit der Einführung der terza rima durch J. Lemaire
de Beiges beginnt der italienische Einfluß auf die franzö-
sische Lyrik in Form und Inhalt. Die Sonettdichtung,
die in Frankreich geradezu die regelmäßige Form der lyrischen
Poesie wurde, hat ihre Heimat in Italien. Die Ode, die
bisher stets als eine direkte Entlehnung aus dem klassischen
Altertum gegolten hat, wird dem Fürsten des poetischen
Siebengestirns durch den Italiener Alamanni näher ge-
— 249 —
bracht. Nicht miDder bedeutend ist Italiens Einfluß auf den
Inhalt der lyrischen Poesie Frankreichs gewesen, wenigsten»
in der ersten Blütenperiode der Lyrik von Marot bis zum
Tode Malherbe's. Die Lyrik dieser ganzen Periode ist nahezu
ausnahmslos erotisch, bald im üppigsten Sinnengenusse schwel-
gend, bald auf den reinen Höhen platonischer Liebe wandelnd.
In beiden Richtungen war Italien das stete Vorbild der
französischen Sänger: von Petrarca lernten sie jene zarten,
keuschen Liebeslieder, wie sie der Sänger der Laura seiner
Geliebten in nahezu religiöser Liebe geweiht hatte; von Bembo
und Ariost entnahmen sie die Schilderungen glühend schöner
Frauenleiber, balsamisch duftender Gärten, wie sie die Menschen
des ßenaissancezeitalters erdachten und schufen, und nach
ihrem Vorbilde malten sie die Genüsse aus, die sinnliche
Liebe allein zu geben vermag. Mit Malherbe trat diese
heitere Lebensanschauung, wie die Renaissance sie hervorge-
rufen hatte, zurück; für Frankreich kam die Blütezeit des
Theaters, und die Lyrik fristete ein klägliches Dasein fort,
bis sie im 19. Jahrhundert eine neue Auferstehung feierte,
zu der das schwer damiederliegende Italien allerdings so viel
wie gar nicht beigetragen hat.
Das moderne französische Epos des 16. und 17. Jahr-
hunderts geht zwar in erster Linie auf antike Vorbilder zu-
rück, aber wir haben gesehen, daß Ronsard 's Frammde,
welche die Reihe der französischen epischen Dichtungen er-
öffnet, eine große Anzahl Entlehnungen aus dem Furioso
des Ariost aufzuweisen hat; die romantischen Epen des
Saint-Amant, Desmarest, Le Meine verdanken ihr
Dasein den italienischen Vorbildern des Orlando und der
Gerusalemmeliberata;die ganze burleske Poesie endlich,
die vorzugsweise beschreibend ist, geht, wie wir eingehend
dargelegt haben, auf die italienische burla zurück. Selbst das
Epos des 18. Jahrhunderts, mit Voltaire's La Henriade und
La Pucelh d'OrUa'iis an der Spitze, atmet noch den Hauch
italienischer Ependichtung, und der große Epiker des 19. Jahrh.'s,
VictorHugo, nennt den Dichter der Divina Commedia seinen
nDivin maitrei^. Wir erinnern uns femer daran, daß die
französische Novelle nicht ihren Ursprung in den Fableaux
— SBO —
.des Mittelalters, soiiderD in der Hauptsache in der italieni-
■Bchen tKovdlnt hat, daß die Verserzählungen eines La-
iontaine nahezu zur Hälfte auf italienische Quellen ziirück-
igehen, daß endlich noch im 18. Jahrh, Montesquieu tiad
Voltaire, der erstere in smuen Le.llres jiersanes, der letztere
in seinem Zadig, sich an italienische Vorbilder anlehnen.
Was das franzoBische Theater betrifft, so ist der itahenische
üBinäuß dem antiken zum mindesten gleichzustellen. Wir
:liaben Yon neuem darauf hingewiesen, daß mit dem Einzug
jgewerbsmäßiger, italienischer Schauspieler in Frankreich
und mit der Eröffnung des Theaters der commeiUa dell'
arte in Paris eine neue Epoche für das französische Theater
heranhricht. Nach dem Muster der italienischen Schauspieler
Aildet sich ein fester Schauspielerstand in der französischen
Äauptstadt, zu dem auch bald, wiederum nach dem Beispiele
-der Italiener, weibliche Vertreter der Mimik gehörten. Die
Komödianten des Stegreifspieles waren Meister in der Dar-
stellung von Charakterrollen; dementsprechend waren auch
ihre Stücke zugeschnitten, d, h. sie waren größtenteils Charakter-
komödien. Diese letzteren hatten alsbald einen so durch-
schlagenden Einduß auf die französische Sühne, daß die
mitte läJter hebe Farce fast ganz verschwand, und sieb ein neues
LLustspiel, die französische Cbarakterkomödie bildete, die
dfare Vollendung in Moliöre erhielt, dessen Abhängigkeit
vom italienischen Theater eingehend von uns behandelt worden
ist. Einzelne Lustspieldichter des 18. Jahrb., ja selbst ein
ganz moderner Dichter, der zartbesaitete Ä. de Müsset,
atehen unter italienischem Einflüsse.
Weniger abhängig von diesem Einäusse ist das franzö-
diiache Trauerspiel. Die ersten Tragödien stehen insbesondere
:in Abhängigkeit von Seueca, später wird Spanien auf lite-
rarischem Gebiete dominierend, bis dann die Franzosen ein
.■aelb ständiges Trauerspiel in Corneille's Cid bekommen.
IDoch hat unsere Untersuchung gezeigt, daß zwischen 1550 —
1636 eine Menge italieniscber Tragödien teils nachgeahmt
lund übersetzt werden, teils ihren Stoff italienischen Erzäh-
ilnngen und Epen entlehnen. Noch im 18. Jahrb., als Italien
■Jiach langer, geistiger Verödung ein zweites Risorgimento
— -SSI — —
feiert, : macht flicii ;der rEinfluß dieses liandes auf diefzaazö-
.sische 0?Eagödie ^Iteod, indem mehrere Tragiker ^sfieiten
Sanges Stüoke von Metas'tasio und Alfieri, dkeen
rbdiden genialen Yertretem «der italienischen klasaizistisohen
Tragödie, nachahmen. Die Pastorale und die Oper dagegen
sind spezifisch italienische Erodukte, die nach Frankreich
^verpflanzt werden; die italienische Pastorale in Frankreich
wird, wie wir gesehen haben, zeitweilig durch die spanische,
welche jedoch ebenfalls ein Ableger der italieuischen ist, ver-
drängt; doch kann sie sich in einigen von uns erwähnten
Yertretem cbis zum :Ende der Blütezeit dieses Gtenres be-
haupten.
Unumschränkte Hen^sehaft jedoch fühirt in Fraiükreich
die italienische Oper, die der Kardinal Mazarin, «ein
SiziUaner von Q-eburt, dai Franzosen zum ersten Male bekannt
: macht. Wir haben von den heißen Kämpfen gesprochen, die
noch zu Ende des 18. Jahrhunderts ausgekochten werden
zwischen den Anhängern der rein litalienischen Oper und
denen der französischen, welch' letztere sich aus der italieni-
schen Oper und aus dem seit Ausgang des Mittelaltei^sapi
rfran^ösischen Hofe aufgeführten Ballette entwickelt hatte.
'Wir nannten eine namhafte Zahl italienischer Komponisten
bis auf Verdi herab, die in Frankreich beliebt und ton-
angebend waren.
Was das Schicksal Ariost':S in Frapkreich betrifft, so können
wir dasselbe nach den .Ergebnissen unserer .Untersuchung ge-
radezu ein glänzendes nennen.
Nicht weniger als 97 Übersetzungen und Ausgaben^)
dieses Epos ins Französische haben wir aufgezählt; davon
.fallen 33 in das 16., 14 in das 17., 21 in das 16. und 34
in das 19. Jahrhundert. Fünf Übersetzungen sind ohne An-
gabe der Jahreszahl erschienen. Obwohl Ariost in elfter
Linie epischer Dichter ist, finden sich manche lyrische «Stellen
jin .seligem Orlando furioso und in seinen Satiren ; diese Stellen
wurden wiederholt von französischen Lyrikern, besonders von
^) In diese Zahl sind auch die unvollständigen Übersetzungen so-
wie die Neuauflagen . mit .eingeschlosaan.
— 252 —
einigen Hauptvertretern der Pleiade, ihren unmittelbaren Vor-
gängern und Nachfolgern nachgeahmt. Frühzeitig begann man<
auch einzelne Episoden nachzuahmen oder zu paraphrasieren ;
sogar Lafontaine verschmähte es nicht, zwei dieser Episodeoi
frei zu übersetzen und in seine Contes aufzunehmen.
Eingehend haben wir ferner untersucht, wie groß der
Einfluß der OrL für. auf das französische Theater gewesen
ist. Dieser Einfluß besteht darin, daß die französischen
Dramatiker einzelne Episoden aus dem „Basenden Roland^
dramatisch bearbeiten. Seit 1564 finden wir solche drama-
tische Bearbeitungen, wenn wir auch zum Teil nur ihre Titel
kennen.
JDie Bradamante-Episode findet eine Anzahl talent-
voller und dichterisch begabter Bearbeiter. Garnier, La
Calpren^de und Thomas Corneille sind die hervor-
ragendsten unter ihnen ; alle drei bearbeiten den Stoflf in ganz
ähnlicher Weise und halten sich ziemlich genau an die
italienische Quelle. Am besten bearbeitet ihn Garnier; seine
Gestalten haben noch das Meiste von dem Hauche Ariost-
scher Poesie behalten. In den Tragödien der beiden letzteren
treten uns nicht mehr Ariost'sche Wesen entgegen, sondern:
Franzosen des 17. Jahrh.'s, Gestalten, wie wir sie auf der
klassizistischen Bühne des Frankreich des 17. Jahrhunderts
sehen. Roy 's Versuch, die Bradamante-Episode zu einem
Opemtexte zu verwenden, kann als gelungen angesehen werden.
Die Roland-Episode scheint in Frankreich beliebter
und bekannter gewesen zu sein; trotzdem gelang es weder
Mairet noch Quinault, den beiden bedeutendsten unter
den dramatischen Dichtern, die sich mit dieser Episode be-
schäftigten, ein erfolgreiches Stück auf die Bühne zu bringen.
Die Ursache des Mißerfolges lag in der Episode selbst, in
der es an einem Mittelpunkt fehlt, um den sich alle Neben-
episoden, wie die Liebesgeschichte Angelica's und Medor's,
der Tod Zerbin's und das Auftreten Rodomont's, gruppieren
könnten. Dieser Mittelpunkt, den natürlich Rolandes Raserei
bilden sollte, konnte für die Bühne nur schwer geschaffen
werden. Nur ein genialer Dichter wie Shakspere ver-
mochte den Wahnsinn durch ein ganzes Stück hindurch auf
— 253 —
die Bühne zu bringen, und die Nerven der Zuschauer in höchster
Spannung zu erhalten. M a i r e t und Quinault, zwei G-eister,
die nicht über das Mittelmaß hinausragen, wußten nicht, was
sie mit dem rasenden Helden auf offener Szene anfangen
sollten ; sie dachten nicht daran, diesen im G-runde so tragischen
Helden psychologisch ernst zu nehmen, ihn in seinen Seelen-
kämpfen, in seinem Ringen und allmählichen geistigen Dahin-
sterben darzustellen ; statt dessen brachten sie die äußerlichste
Seite des Wahnsinns zur Darstellung, ließen den Helden Bäume
ausreißen u. dgl. Die Wirkung war beim Publikum eine
komische ; so folgten denn bald Parodien auf Parodien, welche
alle diesen Hauptmangel an der dramatischen Darstellung
der Bolands-Episode unbarmherzig geißelten.
Die Isabella- und die Ginevra-Episode wurden
schon frühzeitig dramatisiert. Montreux schuf ein Zerrbild
aus der rührend schönen Isabella-Episode, während Billard
die Geschichte von Ariodant und Ginevra in endlos
langen Monologen und Dialogen ohne jedes dramatische In-
teresse und in bombastischer Sprache auf der Bühne vor-
tragen ließ. Nicht besser machten es die Nachfolger der
beiden Dichter, wenn wir etwa von Voltaire absehen, dessen
Tancrede auf die Erzählung von der schottischen Königs-
tochter zurückgeht. Ihr Fehler lag darin, daß sie allzu
peinlich dem mit epischer Breite erzählten Gange der
Handlung bei Ariost folgten, statt sich die Erzählung
dramatisch zurecht zu machen, und die einzelnen Personen
derselben zu lebendigen, wahrheitsgetreuen Charakteren zu
gestalten.
Diesen Versuch, eine Ariost'sche Episode wirklich dra-
matisch zu behandeln, und die Charaktere psychologisch zu
vertiefen, machte D auch et. In seiner ^/c?wa sehen wir, wie
der Kampf in AIcine's liebeglühendem Herzen sich abspielt.
Die Handlung in den einzelnen Szenen wird zum großen Teil
motiviert; die Charaktere sind in kurzen, markigen Zügen
dargestellt. Leider nimmt das Wunderbare, ein unerläßliches
Requisit der damaligen Oper, in dem Stücke einen allzu-
großen Raum ein und vermindert so bedeutend den Wert
desselben.
Eiß^ gFÜDtdliebe VeiräQderwg: erfuhrea dj^ Jocon d e-
npd : di^ Z a p berbecfaer- Epi^ode^ auf dem fra&zi&sisehea -
Tjueater. Bei Atiost liegt de^^elbea etwa« Tragisches, Pessi-r
mistis^ßB iimet^:^ ein bittere Zweifel an deo: ideal^t^n Gütern .
des Manschen, a&: Erauenliebe uq4 Treue sprieht sich darin.:
auj94 dabßi; sind die obsrönsten. Situationen eingeflocditea^
welche selbst für die sittlich sq tief verdarbene Z[^t desv
Dichters daa Maß des Erlaubten überschreiten^ weshalb dieser
seine weiblichen Leser vor der Lektüre des 28v Gesanges-
wairpen zu . m^üqsen glaubt. Diese charakteristischen Merk-
male der beiden: Erzählungen verschwinden: nun aus den
fro^jiösischen dramatischen Bearbeitungen derselben. Harmn
lose, meist einaktige Kofflödien, — ^ Possen oder Schwanke
miöchten wir sie eher nennen -^, werden aus den zwei Episoden
gebildet, Stücke von durchwegs heiterem Tone, ohiie. jede
obszöne Anspielung.
Auch einige kleinere Episoden, wie die Erzählung yoni;
Schlosse des alten Zauberers und von dem Amazonenataat
auf Kreta, wurden ihrer Ernsthaftigkeit oder ihrer Obszönität
entkleidet und für die komische Bühne zurecht gemacht;
freilijQh verschwand bei einer solchen Umwandlung die zarte
Poesie des Originals, und die unnachahmliche Mischung
zwischen Tragischem und Komischem, wie sie sich durch den
Orl. für, zieht, geht in. diesen für den Tageserfolg geschriebenen
Einaktern völlig verloren*; nur die Namen der in ihnen auf-
tretenden Personen und die einzelnen Situationen erinnern
noch an die Quelle, welcher die Verfasser dieser Komödien
ihre Stoffe entlehnten.
So sehen, wir also, daß. im 16. und 17. Jahrhundert die
Episoden aus dem Furioso nahezu ausnahmslos in ihrer vollen .
Tragik von den französischen Dichtern aufgefaßt und in
diesem Sinne dramatisiert weiden ; der Grund davon liegt
wohl, dai^in, daß man in jener Zeit die Poesie des Bittenepos
noch, versteht. Das 18. Jahrhundert^ das Zeitalter der Auf-
klärung, das nur die Yeraunft gelten läßt, glaubt nicht mehr
an diese Poesie, sondern spottet darüber, und so entstehen-
die zahlreichen Parodien Ariost'scher Heldengestalten y be«!
sonders des Eoland, dann auch der Marphise, der Bradamaate^v
r^'
/^
— 255 —
der Angelica und anderer. Daneben aber darf der Glanz
der Bitterepen noch erstrahlen auf der pnmkhaften Bühne
der Oper, wohin sich die Welt des schönen Scheins während
dieses Jahrh.'s vorzugsweise geflüchtet hat. Im 19. Jahr-
hundert endlich hören die dramatischen Bearbeitungen des
Orl, für. in Frankreich gänzlich auf, obwohl man glauben
sollte, daß die romantische Schule den romantischsten aller
Dichter wieder zu Ehren hätte bringen müssen. Doch scheinen
die Zeiten endgültig vorüber zu sein, in denen man mit Vor-
liebe Eitter in glänzender Küatung und Bitterfräulein in Panzer
und Harnisch auf der Bühne ihre Waffen führen sieht. Das
heutige Theater folgt eben dem Zuge der modernen Zeit, die
sich immer mehr vob deoai Yerstäjadisse jener mittelalter-
lichen Welt entfernt.
Anhang.
Ariost-Übersetzungen.
1) Roland furieux compose jpremierement en ryme thuscane
par Messire Loya Arioste, noble Ferrarois et maintenant traduict
en prose franQoyse: partie suyvant la phrase de Vauteur^ paHie
av^si le style de ceste nosire langue. Lyon. 1543. foh
Von dem Übersetzer wissen wir nichts Bestimmtes. Du
Verdier schreibt die Übersetzung dem J. des Gouttes zu^);
doch verfaßte dieser nur die Vorrede und erklärte darin aus-
drücklich, nicht der Verfasser derselben zu sein. Goujet
gibt jene Stelle in der Vorrede wieder und behauptet J. des
Gouttes scheine nicht der Verfasser der Übersetzung zu sein.*)
Niceron's Behauptung, Jean Martin sei der Übersetzer ^), wird
von Guidi angeführt.^) Nach Nostradamus ist der Stil der
Übersetzung <iisuranne, devenu harhare pour nous».^) Jeder Ge-
sang wird allegorisch gedeutet.
^) La Bibl, S. 709.
2) Goujet, Bibl. fr., Bd. FU, 345 f. — In der Widmung des
Werkes an Card. Hippolyte von Este sagt J. des Gouttes: <tTeUe fut
Vopinion du translateur du Furieux^ quand premierenient äma requete,
il mit la main ä la plume; assavoir qu'il ne doubtoit point que V Arioste
towme en prose Frangoise ne perdtt beaucoup de sa nayvete etc.» Da-
nach kann J. des Gouttes der Übersetzer nicht sein, wenn wir nicht an-
nehmen, daß er seine Autorschaft verbergen wollte.
8) Memoires, Bd. IV, 539.
*) Annali, S. 177.
^) Vie des Poetes prov. Vorrede, S. VIl.
— 257 —
2. Dieselbe — , Lyon. 1544. in fol. ^)
3. Rol. für . . . en prose (Seit. Ausg.) Paris. 1545. 8^
4. Dieselbe — , Lyon. 1545. 8^,'-)
5. Dieselbe — , (seltene Ausg.) P. 1552. 8^
6. Dieselbe — , P. 1552. 8^
7. Le premier volume du ßol. für. . . . par Jean Fornier
de Montauban. P. 1555. 4^ (Nur die ersten 15 Gesänge,
ziemlich selten.) ^).
8. Derselbe — , Anvers. 1555. 8® (Nachdruck).
9. Derselbe, Anvers. 1555. 4® (Nachdruck).
10. ßol. für., comp, premierement etc. (Neudruck d.
J. d. Gouttes zugeschr. übers.) P. 1565. 8^
11. Derselbe — P. 1571. 8^ (Nachdr. der J. des Gouttes
zugeschr. übers.*)
12. Derselbe. Par. 1575. 8^.
13. Rol. für., trad. p. G. Landre P. 1571. 8^^)
14. D'amour furieux, Roland für., compose en rithme
tuscane p. M. Lovys Arioste, P. 1572. 8^. ®)
15. Rol. für., trad. en prose . . . p. Gabr. Chappuys,
Lyon. lo76. 8«.')
16. Derselbe — , Neudruck, Lyon. 1577, 8^»)
17. Arioste Frangois de J. D. B. Les XII premiers
chants de PArioste traduit en vers avec les Arguments et
Allegories sur chacun cbaot. Lyon. 1580. 8^®)
^) Brunei, Man., Bd. 7, 167; Guidi, Ann. 177.
^) Guidi, ihd.; ebenso die unter 5 u. 6 angeführten.
3) Du Verdier, l. c, S. 691; Goujet, l. c, Bd. VII, 347:
Fo(u)rnier übersetzte den Orl. für, «surtout pour des heros qui von-
droient unir ä la valeur les qualites, qui fönt estimer Vhonneur dans le
herosy». Die Übers, ist so buchstäblich wie möglich, entbehrt aber der
Korrektheit und Vornehmheit. Ebert, Entwicklungsgesch.^ S. 169, er-
wähnt diese Übersetzung.
*) Guidi, Ann., S. 179.
*) Nur 6ei G u i d i erwähnt; vgl. Q, u a d r i o , Stör, e rag., Bd. 1 F, 558,
*) Nur bei Guidi erw.
'1 Goujet, l. c, Bd. VII, 362 sagt von dieser L'bers., sie sei so
schlecht, da^i es unmöglich sei, sie zu lesen.
») Guidi, Ann., 179; Goujet, ib, VII, 362 gibt an: Lyon 1576.
*) J. D. B. = Jean de Boessiere de Montfer en Auvergne; siehe
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 17
— 258 —
18. ßol. für. (Neudruck d. Ausg. von 1543). P. 1580. 8^
19. UAr. fr. p. J. D. B[oe88iere] Lyon. 1580. 8^
20. Le Rol. für., trad. p. G. Chappuys, nouv. ed. augm. de
figures en bois et de cinq Chants ajoutes au susdit Poöme. —
La Suite de Rol. für., contenant la mort du vaillant Roger
(du G. ß. Pescatore) et de quelques stances du nieme Arioste,
trad. de Tit. par le menae Chap. Lyon. 1582. 8^.^)
21. Rol. für. (Neudr. der Übers, von 1543). P. 1582. 8^
22. Rol. für. . . . p. Gabr. Chappuys. Lyon. 1582. 8^.
23. Rol. für. (Neudruck der Übersetzung v. Chappuys
V. 1582). P. 1583. 8 0.2)
24. Derselbe — , Lyon. 1604. 8^'^)
25. Derselbe — , Lyon. 1608. 8^
26. Derselbe — , Ronen. 1610 u. 1618. 8^
27. Le Divin Arioste ou Rol. le Für. trad. nouvellement
en Prangois par Fr. de Rosset dedie ä la grande Marie
de Medicis reine de France et de Navarre. Paris. 1615.
2 vol., 4^^)
Barbier, DicL des Anon., Bd. I, 272; Querard, Superch. litt,
Bd. II, S26d. Nach Goujet {B. fr. VII, 351) übersetzte J. de
Boessiöre diese 12 Ges. nicht allein. Wir haben es vielmehr mit
einer Kompilation der Teilübersetzimgeii von Mellin de St-Gelais. J. A.
Ba/if und Cl. Belliard zu tun, die wir noch kennen lernen werden.
Boessieres^ Anteil ist nach Goujet nicht besser und nicht schlechter als der
der übrigen. In der Vorrede sagt er, Ariost sei ihm im Traum erschienen
und habe ihn aufgefordert, den Orl. für. zu übersetzen. Boessieres hat
später noch den ganzen Orl. für. übersetzt, doch erschienen nur die ersten
zwölf Bücher im Druck.
^) Goujet, B. fr.j Bd. VII, 363: «4 Vegard de la suite du poeme
de Rol., traduite encore par le nieme, c'est Vouvrage d'un autre Foete
Italien, J.-B. Pescatore.»
*) Nur bei Guidi, A7in., S. 181.
3) Nur bei Blanc, Bibl. II, 1271.
^) Nach Blanc enthält «Le divin Arioste» auch eine ^^suite con-
tinuee iusques ä la mort du Paladin Roland^ ; nach Guidi findet sich
diese Fortsetzung erst in der Ausgabe von 1644, Goujet {B. f,
Bd. VII, 337) hält die Rosse f sehe übers, für eine Fortsetzung einer
anderen, die zum Verf. einen Grafen Scandiano habe. Da Rosset Pro-
venzale war, beherrschte er die franz. Sprache nicht mit der nötigen Leich-
tigkeit.
— 259 —
28. Rol. für.) trad. p. G. Chappuys (Nachdruck). Rouen
1617. 8 0.1)
29. Derselbe, Rouen. 1618. 8^
30. Le Divin Arioste (Neudruck der Ubers. v. Rosset).
P. 1625. 40.
31. Rol. für., trad., ou iniite des vers Ital. de TArioste
(erster Gesaug). Rouen. 1638. 8 0.
32. Le Divin Ariost (Neudruck von Rosset). P. 1644. 8^
33. Arioste travesty, en vers burlesquea (sans nom de
Pauteur). P. 1650. 4^.2)
34. L'Arioste moderne (ohne Namen des Verf.'s), P. 1685,
2 vol., 12 0. Nach ßrunet ist die Übersetzung von einer Dame:
Louise Genevieve Gomez de Vasconcelle.^)
35. Derselbe — (nnit Angabe der Verfasserin). P. 1685.
2 vol., 12 0.
36. Derselbe — Lyon. 1685. 2 vol., 12«.^)
37. Derselbe — Lyon. 1686. 2 vol., 12 ^5)
38. Derselbe — P. 1720. 2 vol., 12 0.
39. Rol. für., poeme heroique d'apres la trad. nouv. p. M.
(J. B. de Mirabeau). La Haye. 1741. 4 vol., 12".«)
^) Nur Gruidi, Ann.j S. 181. Ebenso die unter J99, 30 ii. 31 ver-
zeichneten Ubers.
^) Nach Goujet {ibd. VII^ 375) nur ein Gesang; der anonyme
Übersetzer loidmet ihn Scarron, dessen Nachahmer er ist.
^) Die Übersetzung ist abgekürzt; die anstößigen Stellen sind ent-
fernt. Anlafi zu einer solchen Übertragung gab ihr, wie sie in der Vor-
rede sagt, Quinault's Oper: *Fuisque V Opera va faire entrer Arioste
dans le commerce du grand nombre, il ne faut pas quHl y paroisse en
vieux libertin; il effaroucheroit les Dames plutot que de les divertir»
{s. Goujet VIIj 368; Barbier, Dict. d. an. I, 272).
^) Diese u. d. vorausgeh. Ubers. erwähnt nur Guidi, ibd. S. 183,
^) Nur bei Blanc, Bibl. II, 1172, ebenso die folgende.
^) Goujet {VII, 369) lobt die Ubers. von Mirabeau: «. , . la plus
elegante et la mieux ecrite que Von pouvoit esper er de ce poeme si fa-
mcux.y> Ahnlich Moreri {Dict. hist., Bd. 1, 314): «La seule traduction
que Von puisse estimer, est celle qui a ete faite par Mirabaud.»
Wesentlich anders dagegen urteiltY o Mb. ive {Dict. phil, Bd. VII, 516); er
tadelt Mirab., weil er das Ironische, das Scherzhafte des ganzen Gedichtes
17*
^ 260 --
40. Derselbe — La Haye. P. 1741. 4 vol., 12 ^
41. Derselbe — Amsterdam. 1756, 4 vol., 12 ^
42. Derselbe — P. 1758, 4 vol., 12 ».
43. Rol. für., poeme de M. Loujs Arioste trad. en fran^ois,
Amstd. 1766. 3 vol., 12® (ohne Namen des Verfassers).^)
44. Derselbe (Neudr. der vorigen Übersetzung). P. 1771.
3 vol., 12 0.
45. Rol. für., poeme heroi'que, trad. p. d'üssieux. P. 1775
—1783. 4 vol., 8^.2)
46. Rol. für. (Neudruck von Mirabeau's Ubers.). P. 1775.
4 vol., 8 0.
47. Derselbe — P. 1776. 4 vol. 4^
48. Rol. für., trad. p. de Cavailhon. P. 1776—1777.
3 vol., 18 0.
49. Rol. für. (Neudruck v. Mirabeau's übers.). La Haye.
1778. 4 vol., 12«.
50. Rol. für., trad. p. E. de la Vergne, comte de Tressan.^)
P. 1780. 5 vol. 12 0.
51. Essai de traduction en vers du Rol.-le-Pur. de T Arioste
par Dupont de Nemours. P. 1781. 8^*)
52. Rol. für. (Neudr. v. Tressan's Übers.). P. 1781 (ohne
Angabe der Zahl der Bände und des Formats).^)
53. Derselbe — P. 1786. 5 vol. 18 ^«)
54. Rol. für., avec Titalien ä cote, nouv. trad. p. Pan-
ckoucke^) et Framery. P. 1787. 10 vol. 18 ^
nicht nachzuahmen verstehe; dann gibt er seihst eine Übersetzung der ersten
drei Strophen des 35. Ges.
1) Nwr Guidi, Ann., S. 184.
') Brunei {Man. J, 442) bezeichnet sie als literarisch unbedeutend.
^) Brunet {Man. J, 44); «La traduction de Tressan a eu jadis
du succeSj quoiqu'elle manque tout ä fait de fidelite.» Ähnlich La gr.
Encycl, Bd. XXXI, 363.
*) Nach Guidi, 8. 185, in 4 vol.
^) Barbier, Dict. des anon» Nr. 5505.
*) Diese und die vorhergehenden übers, erw. nur Guidi, ibd.
^ Panckoucke'a Ubers. loird von Brunet {Man. J, 443) als
ziemlich genau bezeichnet; der ital. Text ist der übers, beigefügt. Siehe
auch La grande Encycl.j Bd. XXV, 933.
— 261 —
55. ßol. für., trad. p. Tressan. P. 1787. 4 vol. 12 ^.i)
56. Derselbe — trad. p. Tressan. Par. 1788. 3 vol. 8^
57. Derselbe — trad. p. Tressan. Par. 1792. 8 vol. 16^
58. Derselbe — trad. p. Tressan. Par. 1793. 6 vol. 8^
59. Derselbe — P. 1797. 6 vol. 8^.2)
60. Derselbe — trad. p. Tressan. Par. 1800. 4 vol. 8®.
61. Derselbe — trad. p. Laborde. Perp. 1802. S^
..
62. Eol. für. (Neudr. v. Tressan's Übersetzung). P. 1804.
4 vol. 8 0.
63. Derselbe — tr. en prose. P. 1810. 6 vol. 12^.
64. Derselbe — Par. 1810. 6 vol. 16^
65. Essai de trad. en vers ... [p. Dupont de Nemours].
P. 1812. 80.
66. Derselbe (Neudr. d. Ausg. v. 1812). P. 1813. 8».
67. ßol. für. (Neudr. v. Tressan). P. 1818. 6 vol. 8 o.
68. Rol. für. (Neudr. v. Tressan). P. 1822. 7 vol. 12 ».
69. Rol. für., poeme heroi'que (Chants I — XXIII, nach
Plane, p. XIII), P. 1822. 8^ (der Übersetzer ist unbek.).»)
70. Rol. für. (Neudr. v. Tressan). P. 1823. 4 vol. 32«.
71. Rol. für. (Neudr. v. Tressan), suivi du Rol. amoureux,
de Bojardo. P. 1824. 7 vol. 8».
72. Derselbe — P. 1824. 4 vol. 32 ^
73. Derselbe — P. 182.6. 6 vol. 18 ^^)
74. Rol. für., trad. en vers frangais p. Ch. Duvau de
Chavagne.^) Angers 1829, 3 vol., 8^.
75. Rol. für., trad. p. le baron de Prenilly. P. 1834.
4 vol. 8«.
76. Rol. für. (Neudr. v. Tressan), P. 1835. 3 vol. 18 ^.
77. Rol. für. (Neudr. v. Chavagne's Übers.; Verbesserte
Auflage). P. 1838. 3 vol. 8 o.
78. Rol. für., nouvelle traduction en Prose avec la vie de
l'Arioste . . . p. A. Mazuy, P. 1839—1840. 3 vol. 8 o.«)
^) Nur Guidi, ibd.
^) Nur Blanc, l. c; ebenso die folgenden drei.
') Guidi, Ann., S. 187.
*) Nur Blanc, Bibl. II, 1272. In dasselbe Jahr fällt auch die
Übersetzung der Satiren des Ariost von Trilis. Lyon. 1826. 8°.
^) 8. auch Brunet, Man., Bd. I, 443.
®) In diesem Jahre werden auch die Satiren von Delecluze übers.
— 262 —
79. Rol. für. (Neudr. V. Panckoucke). P. 1842. 2 vol. 18 ^
80. Eol. für. Paris. 1842. 2 vol. 12 «,
81. Rol. für., P. 1844. 8^ (ohne Angabe des Über-
setzers; die Ausg. ist mit 350 Vignetten versehen).^)
82. Rol. für. (Neudr. v. Tressan). P. 1846., 4 vol. 16 ».
83. Rol. für. (Neudr. der Übers, von 1844. P. 1863.
4 vol. 8^
84. Rol. für. (20 chants) trad. en vers p. F. Desserteaux.
P. 1864. 12 ^
85. Rol. für., imite en vers p. F. Ragon. P. 1869.
2 vol. 12 ö.
86. Rol. für., trad. pour la Bibliotheque Nationale. P. 1875.
6 vol., 12 ^
87. Rol. für., trad. p. Hippeau. P. 1876. 2 vol. 12 ^
88. Le Rol. de TAr. raconte . . . p. Marc-Monnier. P.
1878. 12^2)
89. Rol. für., trad. p. Du Pays, P. 1878. in-fol.
90. Rol. für., trad. litt. p. Bonneau. P. 1879—1883.
3 vol., 18 ^' (Canti I— XV).
91. Rol. für., trad. p. Reynard. P. 1880—1883. 4 vol. 18 o.
92. Rol. für., trad. p. Ch. Simond. P. 1890. 8^
Übersetzungen ohne Angabe des Datums der
Veröffentlichung.^)
93. Rol. für., trad. en fr., P., 4 vol., 8 ^ Die Übersetzung
wird angeführt im 2. Bande der Bibliotheque des Romans, und
u. mit Kommentar versehen (Satires, tr. p. D. P. 1839, 8^). — Mazny^s
Übers, ist mit zahlreichen Anmerkungen vers., die meistens der engl.
Ausg. d. Orl. für. von Panizzi entlehnt sind.
^) Nach B 1 a n c [Bibl. IL 1274) ist Victor Philipon de la Madelaine
der Übersetzer [ebenso Brunet, Man., Bd. I, 443).
*) Ang. Degubernatis {Xuov. Ant. 1878. 5« serie, S. 380) sagt
von Marc-Monnier, er übersetze zwar nicht mit gewissenhafter Treue,
aber seine Übersetzung entspreche franz. Geschmacke. M.-M. läßt alle
Episoden beiseite, welche sich nicht direkt auf den Gang der Handlung
im Orl. für. beziehen.
^) Die nun folgenden Übersetzungen sind 6ei Blanc, II, 1273 er-
wähnt.
— 263 —
es wird dort zugleich bemerkt, daß es sich um eine abge-
kürzte Übersetzung handle.
94. Rol. für., po^me heroique, P., 4 vol., 4^.
95. ßol. für., trad. en Fr. p. J. Mart. P., 8^
96. Rol. für., trad. p. Panckoucke et Tramery avec une
notice sur TArioste par A. Latour, P., 2 vol., 12 ^.
97. Rol. für., trad. p. Maruy, P., 1 vol. 4^. (Illustrierte
Ausgabe).
Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.). Naumburg a. S.
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