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Full text of "Der erdkundliche Lehrstoff in neuzeitlicher Auffassung; unter besonderer Berücksichtigung der Konzentration, der kausalen Zusammenhänge und des Arbeitsunterrichts. Ein Handbuch für Unterricht und Studium"

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KONRAD  OLBRICHT 

DER 

ERDKUNDLICHE 
LEHRSTOFF 


IN  NEUZEITLICHER  AUFFASSUNG 


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FERDINAND  HIRTIN  BRESLAU 


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DER  ERDKUNDLICHE  LEHRSTOFF 
IN  NEUZEITLICHER  AUFFASSUNG 

UNTER  BESONDERER  BERÜCKSICHTIGUNG 

DER  KONZENTRATION,  DER  KAUSALEN  ZUSAMMENHÄNGE 

UND  DES  ARBEITSUNTERRICHTS 

EIN  HANDBUCH  FÜR  UNTERRICHT  UND  STUDIUM 

VON 

DE  KONRAD  OLBRICHT 

STUDIENRAT   AM    ELISABETH- GYMNASIUM   IN    BRESLAU, 
MITARBEITER  AN  DER  E.  v.  SEYDLITZ'SCHEN  GEOGRAPHIE 

MIT  38  KARTENSKIZZEN    UND    DIAGRAMMEN 


564146 


FERDINAND  HIRT  IN  BRESLAU  /  1921 

KÖNIGSPLATZ  1 


Meiner  lieben  Frau 


Alle  Rechte  vorbehalten 
Copyright  1921   by  Ferdinand  Hirt,  Breslau 


Vorwort. 

In  der  Einleitung  iiabe  ich  die  Gesichtspunkte,  aus  denen  heraus  das 
vorliegende  Buch  auf  Grund  einer  zehnjährigen  Unterrichtserfahrung 
geschrieben  ist,  eingehend  entwickelt.  Den  Verlagsbuchhandlungen  von 
B.  G.Teubner,  Quelle  &  Meyer  und  Justus  Perthes  danke  ich  für  das  Ent- 
gegenkommen, mit  dem  sie  mir  den  Abdruck  größerer  Teile  von  Aufsätzen, 
die  ich  in  den  in  ihrem  Verlag  erschienenen  Zeitschriften  veröffentlichte, 
gestatteten.  Die  ständige  Benutzung  der  Breslauer  Bibliotheken,  sowie 
der  Handbüchereien  der  Universitätsinstitute  ermöglichte  auch  die  Berück- 
sichtigung der  jüngsten  Literatur. 

Besonders  danke  ich  Herrn  Professor  Dr.  Reinhard  für  die  zahlreichen 
Ratschläge  und  Verbesserungsvorschläge  bei  Durchsicht  der  Korrekturen. 

Ich  denke  mir  die  vorliegende  Arbeit  nicht  nur  als  Hilfsmittel  für 
den  Lehrer  der  Erdkunde  —  auch  der  Leser  der  trefflichen  Wagner- 
schen  Methodik  wird  in  ihr  eine  ganze  Reihe  neuer  Gesichtspunkte  und 
Ergänzungen  finden  — ,  sondern  gleicherweise  als  Einführungsbuch  für 
Studierende.  Auch  der  Geschichtslehrer  wird  aus  ihm  manches 
zur  Gestaltung  seines  Unterrichts  entnehmen  können.  Da  ich  endlich  die 
Ergebnisse  langjähriger,  noch  nicht  druckfertig  vorliegender  eigener  Spezial- 
arbeiten  eingeflochten  habe,  wird  auch  der  Fachgeograph  sicher  ihm 
Neues  herauslesen. 

Liebe  und  Freude  am  Unterricht  zu  wecken,  ist  aber  der  Hauptzweck 
meiner  Arbeit;  sind  doch  beide  die  Gärungserreger,  unter  deren  Mitwirkung 
Lehrer  und  Schüler  imstande  sind,  ihr  Bestes  herzugeben  und  zum  Aufbau  der 
Heimat  beizutragen,  die  nicht  zum  wenigsten  durch  unsere  Weltfremdheit 

—  trotz  der  vielen  Fremdsprachen  an  den  Schulen!  —  zusammenbrach. 
Wenn  Konrad  Haenisch  sagt:  »Es  ist  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der 

Schule  der  Zukunft,  daß  die  ganze  Erziehung  und  der  ganze  Unterricht  in 
weit  höherem  Maße  als  bisher  fest  hineinverankert  werde  in  den  Mutter- 
boden, den  Wurzelboden  unseres  Volkstums«,  dann  wird  er  —  und  zwar 
möglichst  bald  —  dafür  sorgen  müssen,  daß  der  Erdkundeunterricht  auch 
auf  der  Oberstufe  aller  höheren  Lehranstalten  Einzug  hält  und  von  Fach- 
leuten im  engsten  Anschluß  an  die  in  der  Heimat  zu  erkennenden  Er- 
scheinungen gegeben  wird. 

Wie  ein  roter  Faden  zieht  sich  die  Überzeugung  durch  meine  Aus- 
führungen, daß  die  Erdkunde  nur  an  Hand  des  Atlasses  —  »Landkarten 
sind  ein  Turngerät  für  den  Geist«  (Fox)  —  erarbeitet  werden  soll,  um  so 
die  dieser  Wissenschaft  eigenen  Denkprozesse  —  die  Kerschensteiner  an- 
scheinend in  seinen  sonst  so  vorzüglichen  Ausführungen  übersehen  hat 

—  richtig  zum  Entfalten  zu  bringen. 

Daß  auch  die  preußische  Unterrichtsverwaltung,  dem  Vorbilde  der  an  deren 
deutschen  Staaten  folgend,  der  Erdkunde  möglichst  bald  den  ihr  gebührenden 
Platz  im  Lehrplan  auch  der  oberen  Klassen  zuweist,  ist  wohl  der  Wunsch 


4  Vorwort. 

aller  Erdkundelehrer,  die  ihr  Fach  wirklich  mit  Lust  und  Liebe  unterrichten 
und  auf  Grund  eigener  Studien  wissen,  welche  Bildungswerte  es  enthält. 
Sagt  doch  mit  Recht  unser  Hindenburg  —  der  es  wohl  wirklich  mit  dem 
Deutschtum  ernst  meint  —  in  seinen  Lebenserinnerungen:  Ich  wünschte 
auf  die  Gefahr  hin,  für  einen  Böotier  gehalten  zu  werden,  daß  in  den  Schulen 
auf  Kosten  von  Latein  und  Griechisch  die  lebenden  Sprachen,  unsere  Ge- 
schichte, Deutsch,  Erdkunde  und  Turnen  mehr  in  den  Vordergrund  gestellt 
werden.  Muß  denn  das,  was  im  dunkelen  Mittelalter  das  einzige  war,  an  das 
sich  die  Bildung  anklammern  konnte,  auch  noch  heute  in  erster  Linie  stehen  ?« 

Dankbar  gedenke  ich  des  Kuratoriums  des  Vereins  alter  Elisabetaner, 
das  mir  mehrfach  größere  Summen  für  Wanderungen  und  Studienreisen  mit 
reiferen  Schülern  zur  Verfügung  stellte.  Manches,  was  wir  auf  diesen  Reisen 
sahen  und  zeichneten,  fand  Niederschlag  in  den  nachfolgenden  Zeilen. 

Eine  starke  Berücksichtigung  des  Weltkriegs  ergab  sich  von  selbst,  da 
ich  der  Ansicht  bin,  daß  Weltkrieg,  Weltwirtschaft  und  Entwicklung  der 
Menschheit  so  eng  zusammenhängen,  daß  der  Geograph  hieraus  nicht  nur 
vieles  lernen  kann,  sondern  auch  Wesentliches  besser  zu  erklären  vermag 
als  mancher  Historiker,  für  den  die  Erde  nicht  der  Lebensraum  ist,  aus 
dem  heraus  sich  die  Menschheit  entwickelte,  sondern  nur  die  Schaubühne, 
auf  die  sie  gestellt  wurde. 

Und  da  wir  nun  einmal  die  Schüler  zu  Menschen  erziehen  müssen,  welche 
die  Welt  so  sehen,  wie  sie  ist,  und  nicht  so,  wie  sie  uns  Utopisten  aller 
Parteien  gern  malen  möchten,  so  müssen  wir  auch  im  Unterricht  immer 
wieder  darauf  hinweisen,  daß  die  letzten  Friedensschlüsse  —  seit  Brest- 
Litowsk!  —  den  Krieg  nicht  beendet  haben  und  durch  die  Art  ihrer  Aus- 
führung zeigen,  daß  Frankreich  Deutschland,  England  das  Deutschtum  im 
Auslande  um  jeden  Preis  vernichten  wollen  und  dies  auch  unzweifelhaft 
tun  würden,  wenn  sie  mit  ihm  allein  auf  der  Welt  wären. 

Aber  die  überall  glimmenden  Funken  zeigen,  daß  der  Weltfrieden  noch 
nicht  da  ist,  fürs  erste  nicht  kommen  wird  und  auch  nie  eintreten  kann, 
wenn  er  auf  der  Vergewaltigung  einzelner  Völker  beruht. 

Damit  komme  ich  nochmalszum.  »Ceterumcenseo«  meiner  Ausführungen: 
Eine  Schule,  die  Schüler  erziehen  will,  die  ausgestattet  mit  Wirklich- 
keitssinn und  harmonischer  allgemeiner  Bildung  ins  Leben 
treten,  ist  ohne  einen  gediegenen  Erdkunde  Unterricht  ein  Torso, 
ich  bin  sogar  überzeugt  davon,  daß  wir  nie  in  diesen  Weltkrieg  eingetreten 
wären,  wenn  unsere  damals  leitenden  Kreise  als  Folge  eines  richtigen 
Erdkundeunterrichts  die  Welt  so  eingeschätzt  hätten,  wie  sie  wirklich  ist. 

Mein  Buch  ist  auch  insofern  ein  Kriegskind,  als  es  infolge  der  un- 
geheuerlich gesteigerten  Papierpreise  von  seinem  ursprünglichen  Umfange 
stark  zusammengestrichen  werden  mußte  und,  abgesehen  von  dem  ge- 
drungenen Stil,  vieles  in  Stichworten  und  Klammern  ausgesprochen  wurde. 
Darauf  bitte  ich  diejenigen  Leser,  die  in  bezug  auf  den  Stil  anspruchsvoll 
sind,  Rücksicht  zu  nehmen. 

Breslau,  im  Januar  1021.  Konrad  Olbricht. 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

Vorwort 3 

Enleitung 7 

I.  Die  Erdkugel 12 

II.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen 14 

III.  Die  Ozeanischen  Becken 27 

IV.  Die  Lufthülle 31 

V.  Die  Pflanzendecke 36 

VI.  Die  Tierwelt 39 

VII.  Der  Mensch 45 

VIII.  Aufgaben  der  Länderkunde 62 

IX.  Europa  im  allgemeinen 64 

X.  Mitteleuropa 65 

XI.  Osteuropa 86 

XII.  Südeuropa 92 

XIII.  Das  atlantische  Europa 109 

XIV.  Asien 127 

XV.  Afrika 141 

XVI.  Australien 149 

XVII.  Amerika 152 


Die  Geographie  ist  eine  assoziierende  Wissenschaft, 
die  mancherlei  Verbindungen  unter  verschiedenen  Wissens- 
zweigen schafft,  die  sonst  ohne  jeden  inneren  Zu- 
sammenhang bleiben  müßten.  (Herbart) 

Geographie  auf  wirklidie  Weise  anschaulich  gemacht, 
ist  von  der  NaturgesdiiJhte  und  Historie  der  Völker  un- 
abtrennbar and  gewährt  zu  beiden  die  richtige  Grund- 
lage. (Herder) 


Einleitung. 

Wie  Herbart  und  Herder,  beide  mit  wirklich  humanistischer  Denk- 
weise —  sofern  man  unter  Humanismus  Einheitlichkeit  und 
harmonische  Abklärung  im  Denken,  nicht  etwa  enzyklopädi- 
sc  hesAn  sammeln  von  Kenntnissen  ohneje  de  innere  Verbindung 
versteht  — ,  über  den  Wert  und  die  Bedeutung  der  Erdkunde  denken, 
zeigt  das  meinem  Büchlein  vorangesetzte  Kennwort. 

Endlich  nun  scheint  sich  nach  dem  mutigen,  erfolgreichen  Vorgehen 
Sachsens  und  Bayerns  auch  bei  uns  in  Preußen  die  Erdkunde  den  Platz 
an  der  Sonne  zu  erobern,  den  sie  längst  verdiente  und  den  man  ihr,  zu 
lange  ängstlich  beim  »guten  bewährten  Alten«  verharrend,  so  lange  vor- 
enthalten hat,  bis  daß  man  endlich  auch  ihre  Bedeutung  erkannte.  Jeder 
weitblickende,  einsichtige  Pädagoge  sieht  in  ihr  nicht  einen  unberechtigten 
Eindringling  in  die  Oberstufe,  sondern  er  begrüßt  sie  mit  Freuden  als 
ein  Fach,  das  dank  seiner  konzentrierenden  Fähigkeiten  eher 
zu  verbinden  und  zu  versöhnen,  als  zu  trennen  berufen  ist. 

Mein  größstes  Bestreben  ist  es,  in  folgenden  Zeilen  die  Kausal- 
zusammenhänge, die  erst  Wesen  und  Kern  einer  Wissenschaft  aus- 
machen, auch  für  die  Zwecke  des  erdkundlichen  Unterrichtes  schärfer 
herauszuarbeiten. 

Es  kommt  weniger  auf  Wortwissen  (bei  uns  noch  heute  vielfach  für 
»Bildung«  gehalten),  sondern  vielmehr  darauf  an,  das  Wissen  anzuwenden 
und  gedanklich  zu  verarbeiten. 

Vielwisserei  erzeugt  keine  Vernunft  (Heraklit),  nicht  in  der  Kennt- 
nis des  Gewordenen,  sondern  in  der  des  Werdens  liegt  die  Vernunft 
(darin  der  Vorzug  des  auf  der  Entwicklungslehre  aufgebauten  Natur- 
kundeunterrichtes!). Ein  jedes  Schaffen  muß  ein  Ziel  haben,  ein  jedes 
Denken  einen  Zweck.  Und  wie  oft  werden  nicht  nach  Kerschensteiner 
Erkenntnisse  mit  Kenntnissen  verwechselt!  Erst  wenn  allgemein 
die  »Topographie«,  die  vielfach  auch  heute  noch  die  »Seele«  und  das 
»Ziel«  d^s  Erdkundeunterrichtes  ist,  auf  eine  ähnliche  Stellung  beschränkt 
wird,  wie  im  (modernen!)  Sprachunterricht  die  Vokabeln  und  Phrasen, 
oder  in  der  Mathematik  die  Formeln  und  Lehrsätze,  erst  dann  haben  wir 
ihren  Zweck  richtig  erkannt,  wobei  wir  naturgemäß  nicht  verhehlen, 
wie  wichtig  eine  Kenntnis  der  nötigsten  Topographie  für  das 
Gelingen  des  Erdkundeunterrichtes  und  das  Herausarbeiten 
der  Leitlinien  überhaupt  ist.  Nie  aber  werde  sie  zum  Selbstzweck. 
Hettner  sagt  einmal:  »Die  Heimatkunde  hat  nicht  so  sehr  die  Aufgabe, 
eine  rein  topographische  Kenntnis  der  Umgebung  zu  vermitteln,  wie  sie 
Droschkenkutscher  und  Austräger  gebrauchen,  als  vielmehr  eine  aus  der 
unmittelbaren  Anschauung  gewonnene  Einführung  in  die  Grundbegriffe 


8  Einleitung. 

der  Erdkunde  und  Hand  in  Hand  damit  eine  Anleitung  zu  geographischer 
Betrachtungsweise  zu  erarbeiten.«  Darin  hegt,  daß  die  Heimatkunde  nicht 
nur  an  den  Anfang,  sondern  auch  an  das  Ende  der  Schulzeit  gehört,  daß 
sie  nicht  erlernt,  sondern  erwandert  sein  soll,  was  am  besten  erreicht 
wird,  wenn  in  der  allgemeinen  Erdkunde  der  Oberstufe  immer  auf 
die  in  der  Heimat  erkennbaren  Erscheinungen  Bezug  genommen  wird. 
Schon  hierin  liegt,  daß  nur  ein  Fachgeograph  mit  tüchtigen  geologischen 
Kenntnissen  auf  der  Oberstufe  unterrichten  darf! 

Wie  aber  muß  der  Erdkundeunterricht  gestaltet  werden,  daß  er  zu  einem 
wirklichen  Erziehungsmittel  wird  —  Kerschensteiner,  der  selbst  offenbar 
einen  sehr  schlechten  Erdkundeunterricht  genossen  hat,  streitet  ihm  der- 
artig bildende  Werte  ab!  — ,  anstatt  den  Schüler  derartig  mit  einer  Fülle  von 
Einzeldingen  zu  belasten,  so  daß  er  den  Wald  vor  Bäumen  nicht  mehr  sieht? 

Wie  unendlich  vieles  im  Erdkundeunterricht  —  und  erst  in  der  Ge- 
schichte!—  von  Stunde  zu  Stunde  Erlerntes  ist  dem  Schüler  schon  nach 
kurzer  Zeit  wieder  entfallen,  weil  es  in  zusammenhanglosen  Einzelnamen 
ohne  lebendigen  Hintergrund  bestand,  und  weil  jede  Einordnung  in 
ein  System  fehlte,  in  dem  jede  Einzelheit  aus  notwendigen  Gründen 
ihren  Platz  hat,  wobei  jeder  entbehrliche  geistige  Ballast  abgelehnt 
werden  muß. 

Mehr  als  ein  anderes  Fach  eignet  sich  die  Erdkunde  zu  einer 
fachlichen  Konzentration  und  verdient  es,  in  den  Mittelpunkt  des 
Unterrichtes  gestellt  zu  werden.  Es  ist  überaus  anziehend,  den  zahlreichen 
Anknüpfungspunkten  zu  den  Nachbarfächern  nachzugehen,  wobei  wir 
sehen  werden,  daß  eine  Fülle  von  interessanten  Beziehungen  bisher  gar 
nicht  richtig  ausgewertet  wurde.  Was  ich  hiervon  gebracht  habe,  ist  in 
jahrelangem  Unterricht  von  mir  ausgeprobt  und  immer  wieder  von  neuem 
auf  seine  Verwendbarkeit  durchgearbeitet  worden. 

Gerade  uns  Deutschen,  denen  das  mit  praktischem  Sinn  verbindende 
Herren menschentum  der  Engländer  fehlt  —  der  Ideologe  denkt,  der  Krämer 
handelt,  das  ist  die  Tragik  in  der  Weltgeschichte!  — ,  ist  ein  eingehender 
Erdkundeunterricht  doppelt  nötig. 

Aber  dazu  genügt  es  nicht,  den  Erdkundeunterriclit  auch  auf  der  Ober- 
stufe einzuführen,  wo  der  Schüler  erst  anfängt,  stärker  ein  selbständiges 
Urteilen  zu  entwickeln.  Es  muß  auch  im  Lernstoff  eine  Reform  ein- 
setzen und  alles  Überflüssige  und  Entbehrliche  schwinden,  um  Zeit  für 
das  Erarbeiten  der  Zusammenhänge  zu  gewinnen.  Wie  oft  be- 
dauert ein  Lehrer,  zu  diesem  Erarbeiten  der  Zusammenhänge  nicht  zu 
kommen,  weil  er  sonst  das  Pensum  nicht  bewältigen  könnte.  Weg  also 
mit  allen  Kenntnissen,  die  nur  von  heute  auf  morgen  gelernt,  später  aber 
verfliegen  und  das  Gedächtnis  ganz  unnötig  belasten.  Natürlich  muß  auch 
der  Lehrer  Selbstzucht  üben,  was  er  um  so  leichter  kann,  je  höher  und 
unabhängiger  er  über  dem  Stoffmaterial  seiner  Wissenschaft  steht. 

In  der  Länderkunde  habe  ich  angedeutet,  was  ich  persönlich  für  wesent- 
lich halte.  Sie  ist  etwa  mit  der  Lektüre  in  den  Sprachen  vergleichbar,  und 
ihr  Wesen   besteht  in   dem   Anknüpfen  von   Berührungspunkten, 


Einleitung.  9 

das  naturgemäß  ein  großes  Sachwissen  des  Lehrers  voraussetzt,  dem  es 
ein  leichtes  sein  muß,  von  einem  bestimmten  Lande  zu  verwandten  Er- 
scheinungen in  anderen  Ländern  und  Erdteilen  überspringen  zu  können. 

Aus  ihr  erarbeiten  wir  auch  die  allgemeine  Erdkunde,  etwa  der  Gramma- 
tik vergleichbar,  wobei  das  Hauptgewicht  auf  eine  möglichst  eingehende 
Ausnutzung  der  Atlaskarten  zu  legen  ist  und  nur  Dinge  gebracht  werden, 
die  der  Schüler  aus  zur  Verfügung  stehenden  Karten  und  Bildern  —  oder 
aus  Beobachtungen  bei  Ausflügen  —  wirklich  ersehen  kann.  Dabei  ist  es 
m.  E.  nicht  unumgänglich  notwendig,  daß  eine  Schülergeneration  etwa 
alle  Kapitel  der  allgemeinen  Erdkunde  gleichmäßig  beherrscht,  sondern 
es  muß  dem  Fachlehrer  —  wie  in  der  Lektüre  der  Sprachen  —  eine  gewisse 
Freiheit  gelassen  werden.  Erst  dann  erziehen  wir  —  Qualitäts-  und  Quan- 
titätsarbeit leistend  —  nicht  nur  enzyklopädisches  Wissen,  das  von  selbst 
zur  Oberflächlichkeit  führt.  Es  ist  also  vorzuziehen,  nur  wenige  ausgewählte 
Kapitel  zu  behandeln,  diese  aber  gründlich  und  durch  eigene  Beobach- 
tungen gestützt;  so  leisten  wir  wirklich  brauchbare  Schularbeit. 

Geologie  auf  der  Unterstufe  zu  treiben,  halte  ich  für  bedenk- 
lich, auch  auf  der  Mittelstufe  besteht  die  Gefahr,  daß  dem  Schüler  bloße 
»Schlagworte«  haften  bleiben,  keine  Erkenntnisse.  Daher  auf  beiden  Stufen 
nur  allgemeinere  Fragen  (Faltengebirge,  Vulkane,  Schwemmländer)  und 
erst  auf  der  Oberstufe  auch  Formationsnamen  und  verwickeitere  Vorgänge. 

Vieles  kann  man  schon  im  Anfangsunterricht  ohne  gelehrte  Worte  bringen, 
etwa  in  der  Art,  wie  ich  es  in  dem  Kapitel  über  Mitteleuropa  zu  zeigen 
versucht  habe. 

Dieses  an  Stelle  von  Deutschland  zu  behandeln,  halte  ich  schon  aus 
geschichtlichen  Gründen  für  praktisch,  aber  auch,  um,  wo  irgend  möglich, 
an  Stelle  politischer  Einheiten  —  deren  Seifenblasennatur  uns  gerade  die 
heutige  Zeit  zeigt  —  natürliche  Landschaften  zu  setzen.  Schon  durch  die 
Erarbeitung  der  Grenzen  derselben  und  der  dabei  vielfach  sich  heraus- 
stellenden Übergangslandschaften  wird  ein  gutes  Stück  Denkarbeit  geleistet. 

Das  Gebiet  der  Ortsnamen  habe  ich  mehrfach  gestreift  und  würde 
mich  freuen,  wenn  auf  dem  von  mir  angebahnten  Wege  ein  besserer 
Kenner  weiterarbeiten  würde. 

Zahlen  sind  erst  dann  von  Wert,  wenn  sie  zeitlich  und  räumlich  ver- 
glichen werden.  Man  lasse  nur  die  notwendigsten  (Erdteile,  Deutschland, 
Heimatstaat)  lernen  und  lasse  viel  graphisch  vergleichen.  Eine  gute  Übung, 
die  den  Wirklichkeitssinn  der  Schüler  sehr  anregt,  ist  das  Schätzen.  An 
der  Wand  hängt  etwa  die  politische  Karte  Asiens,  auf  der  auch  Deutsch- 
land zu  sehen  ist,  sowie  etwa  der  Rhein,  oder  die  Oder,  deren  Zahlen- 
werte der  Schüler  kennt.  Wie  groß  sind  Afghanistan,  Persien  . . . .,  wie 
lang  der  Hoangho,  oder  Ganges?  Jeder  Schüler  arbeitet  für  sich,  schätzt 
und  schreibt  die  Zahlen  ins  Diarium.  Welche  Freude,  wenn  dann  der 
Lehrer  die  richtigen  vorliest  und  die  Übereinstimmung  groß  ist! 

Bei  den  Einwohnerzahlen  der  Städte  gebe  man  möglichst  das  Wachs- 
tum —  etwa  gleichmäßig  seit  1871  —  in  "/o  eingeklammert  und  lasse  als 
Hausaufgabe  auf  Grund  der  Angaben  des  Atlas  und  des  Lehrbuches  die 


10  Einleitung. 

Großstadtdichte  einiger  Staaten  ausrechnen,  also  feststellen,  auf  wieviel 
Quadratkilometer  eine  Großstadt  kommt.  Daß  sich  bei  diesen  Berech- 
nungen die  Dichte  Chinas  (100 000  km')  als  kleiner  herausstellt  als  die 
Spaniens  und  nur  den  zehnten  Teil  der  Deutschlands  (11000)  beträgt, 
diejenige  Indiens  ungefähr  der  russischen  gleicht  (170000),  dürfte  auch 
manchem  Fachmann  unbekannt  sein.  Wie  auch,  daß  man  die  Vereinigten 
Staaten  nur  mit  ganz  Europa,  ihre  Einzellandschaften  mit  den  europäischen 
Einzelstaaten  vergleichen  darf,  um  nicht  zu  Trugschlüssen  zu  kommen. 

Die  graphische  Darstellung  leitet  zum  Kartenzeichnen  über,  einem 
der  Schmerzenskinder  des  Erdkundelehrers.  Kopien  schon  vorhandener 
Atlaskarten  zu  entwerfen  ist  Zeit-  und  Materialverschwendung,  trägt  nicht 
immer  —  da  mechanisch  gearbeitet  —  zur  Einprägung  des  Lernstoffes  bei, 
erfordert  auch  zu  wenig  Denkarbeit  und  macht  nur  guten  Zeichnern 
wirklich  Freude.  Besser  ist  es,  die  Schüler  solche  Dinge  zeichnen  zu 
lassen,  die  wirkliche  Denkarbeit  beanspruchen  und  zugleich  kausale  Zu- 
sammenhänge erkennen  lassen,  oder  zu  Vergleichen  Veranlassung  geben. 
Zeichne  Deutschlands  Rinnenseen!  Die  Verbreitung  der  Siedlungen 
in  den  Alpenländern!  Wo  liegen  die  Alpenseen?  Die  Hauptlinien  des  nord- 
amerikanischen Eisenbahnnetzes!  Wo  finden  wir  in  Afrika  Wasserfälle? 
Wie  liegen  die  Vulkane  Hinterindiens?  Wie  liegen  die  Kohlen-  und  Eisenerz- 
lager Europas  zum  Meer?  Welchen  Einfluß  haben  die  Meeresströmungen 
auf  die  Verbreitung  der  Malaien?  Zeichne  die  Lage  der  Palmen- 
grenze in  Europa!  Die  Lage  der  Baumgrenze!  Welche  Namen  Ostelbiens 
sind  aus  anderen  Landschaften  Deutschlands  entlehnt?  Wo  finden  wir  in 
Europa  Dünenküsten?  An  welchen  Namen  erkennen  wir  noch  heute  die 
ehemalige  Ausdehnung  des  Römerreiches  in  Europa?  Was  besagen  die 
Ortsnamen  Nordamerikas?  Griechische  Namen  in  Südeuropa!  Das  sind 
nur  einige  Beispiele,  die  zeigen  sollen,  daß  die  Zeichnungen  zugleich  an 
Verstandesfragen  anknüpfen  können.  Viel  Freude  macht  es  den  Schülern, 
auf  einer  selbstgezeichneten  Erdkarte  die  wichtigsten  Produkte  der  Einzel- 
länder (Einführung  in  Zeichengebung)  einzutragen,  was  gut  im  Unterricht 
geschehen  kann.    Auch  lasse  man  Profile  zeichnen. 

Das  Gradnetzzeichnen  wird  am  besten  an  den  mathematischen 
oder  Zeichenunterricht  angeschlossen,  das  Entwerfen  von  Routenaufnahmen 
—  und  ihr  Ausarbeiten  zu  Hause  —  läßt  sich  im  Anschluß  an  Turnmärsche 
leicht  bewerkstelligen  (Kompaß  und  Stoppuhr!).  Das  Feststellen  der  Schwer- 
punkte- von  Ländern  und  Erdteilen  läßt  sich  gut  an  den  Physikunterricht 
anschließen  (Umrisse  aus  Pappe  ausschneiden)  und  im  Erdkundeunterricht 
auswerten  (Lage  der  Hauptstädte  zu  den  Schwerpunkten). 

Aber  auch  der  Unterricht  ist  eine  Kunst  und  kein  Handwerk, 
und  die  Fragekunst  spielt  bei  der  Neugestaltung  des  Erdkundeunterrichtes 
die  Hauptrolle.  Weniger  Sachfragen,  die  bloß  das  Gedächtnis  üben,  son- 
dern Verstandesfragen,  bei  denen  die  Kenntnisse  der  durch  die  Frage 
zu  erarbeitenden  Erkenntnis  nachgeordnet  sind  und  nicht  Selbst- 
zweck, sondern  nur  Mittel  zum  Zweck.  Gerade  die  hohe  Konzentrations- 
fähigkeit der  Erdkunde  gestattet  Fragereihen,  bei  deren  Beantwortung  wir 
in  dem  Schüler  Denkprozesse  auslösen,  welche  erst  zu  wirklicher  huma- 


Einleitung.  1 1 

nistischer,  die  Zusammenhänge  erfassender  Denkweise  erziehen.  Diese  aber 
ist  mehr  wert,  als  die  zusammenhanglose  Sammlung  von  Kenntnissen, 
die  uns  das  Konversationslexikon  besser  gibt. 

Hier  bedeutet  aber  Konzentration  nicht  nur  Verknüpfung 
verschiedener  Lehrstoffe  zu  einem  harmonischen  Ganzen,  son- 
dern auch  zugleich  unter  Weglassung  —  »Kunst  ist  Weglassen«, 
sagt  Liebermann  —  alles  überflüssigen  Ballastes  das  Herausheben 
der  großen  Zusammenhänge. 

Sie  vernachlässigen,  wäre  eine  Sünde  am  Wesen  und  Geist  der  Erd- 
kunde. Wollen  wir  doch  unsere  Schüler  zu  mehr  erziehen,  als  zu  Reflex- 
automaten, für  die  eine  Abschlußprüfung  Zweck  und  einziges  Ziel  des 
Schulunterrichtes  ist. 

Gar  mancher  Lehrer  mag  beim  Durchlesen  der  folgenden  Zeilen  denken, 
ob  nicht  zahlreiche  Darlegungen  für  den  Schüler  zu  hoch  sind.  Man  be- 
achte aber,  was  man  schon  von  einem  Tertianer  alles  in  griechischer,  oder 
von  einem  Quartaner  in  lateinischer  Grammatik  verlangt.  Das  ist  wahrhaftig 
nicht  wenig,  sondern  oft  recht  viel;  manchmal  —  oder  häufig?  —  freilich 
keine  Erkenntnis,  sondern  nur  bloße  Kenntnis,  die  von  dem  Schüler  mehr 
mechanisch  erlernt,  als  geistig  verdaut  wirdO-  Und  kann  nicht  nur  der 
Lehrer  erfolgreich  unterrichten,  der  kein  Sklave  des  Lehrbuchs  ist,  sondern 
den  gesamten  Lehrstoff  übersieht?  Einige  Leitlinien  durch  diese  zum  Teil 
schon  dem  Fachmann  unübersehbare  Fülle  zu  legen,  ist  ebenfalls  der  Zweck 
der  folgenden  Zeilen.  Wie  weit  der  Lehrer  sie  auch  unterrichtlich  benutzt, 
hängt  nicht  nur  von  seiner  persönlichen  Ansicht,  sondern  nicht  zum  wenig- 
sten von  der  Aufnahmefähigkeit  seiner  Schüler  ab.  Zeigen  wir  auch  hier 
etwas  Wagemut! 


')  Nach  dem  Urteil  von  zahlreichen  Lehrern  der  alten  Sprachen. 


Die  Erdkugel. 


Gestalt  und  Größe. 

Die  Erde  ist  ein  infolge  ihrer  Umdrehung  an  den  Polen  abgeplattetes 
Rotationsellipsoid').  Sie  besteht  aus  einer  äußeren  Gesteinshülle 
und  einem  metallischen  Kern,  die  beide  allmählich  ineinander  übergehen. 
Die  Schale  wird  zum  größtenTeil  aus  Kieselsäureverbindungen  aufgebaut,  wo- 
zu auch  Verbindungen  der  Leichtmetalle  Kalium,  Kalzium,  Natrium,  nament- 
lich aber  desAluminiums  und  Magnesiums  treten,  und  zwar  überwiegen  erstere 
in  den  äußeren  Schichten  (Sal),  letztere  in  den  Tiefen  (Sima).  Das  spezifische 
Gewicht  des  Sal  berechnet  man  auf  2,5—2,7,  dasjenige  des  Sima  auf  3-4. 

Der  Erdkern. 

Der  Erdkern  wird  von  Sueß  als  Nife  bezeichnet  (Ni  =  Nickel,  Fe  = 
Eisen),  um  das  Vorherrschen  dieser  beiden  Metalle  auszudrücken.  Man 
kann  aber  annehmen,  daß  in  den  zentralen  Teilen  die  schwereren  Metalle, 
vor  allem  die  Edelmetalle  Gold,  Silber  und  Platin,  vorherrschen,  die  infolge 
ihrer  größeren  Schwere  in 
viel  geringerem  Umfange  ^ 

in    den     Gesteinsmantel  '^ 

eingedrungen  sind.  Mit 
Hilfe  der  Drehwage  be- 
rechnet man  das  Eigen- 
gewicht der  Gesamterde 
auf  5,6  (Physikunterricht). 
Wichtige  Aufschlüsse 
über  die  mutmaßliche  Zu- 
sammensetzung und  An- 
ordnung der  Schichten 
im  Erdinneren  verdanken 
wir  der  Erdbebenfor- 
schung, deren  Wellen- 
diagramme den  Erdkörper 
wie  mit  Röntgenstrah- 
len durchleuchten. 

Auch  wissen  wir  aus 
den    neueren    Gezeiten- 
messungen, daß  der  Erdkern  starrer  als  Stahl  ist,  aber  über  seineTempcratur  und 
seine  sonstige  physikalische  Beschaffenheit  sind  wir  noch  völlig  im  unklaren. 

')  Den  Umfang  berechnete  zuerst  Eratosthenes  mit  der  Basis  Memphis  — 
Syene  nach  der  Proportion  u  :  b  --  360 :  z  (Mathematik  1 1  b).  Genauere  Ergebnisse 
erzielten  die  Gradmessiingen,  die  zugleich  die  Abplattung  erwiesen  (gleichen 
Bögen  auf  der  Erde  entsprechen  nicht  gleiche  Grade  am  Himmelsgewölbe). 
Inhalt  und  Oberfläche  lassen  sich  in  der  Stereometrie  errechnen,  die  Beweise 
für  die  Kugelgestalt  und  Drehung  (Foucaultscher  l^endelversuch  und  Abplattung) 
bietet  der  Physikunterricht.  Hier  errechnen  wir  auch  das  spezifische  Gewicht 
des  Gesteinsmantels,  erkennen  die  Anordnung  der  Erdschichten  nach  dem 
spezifischen  Gewicht  (Lufthülle,  Wasserhülle,  Gesteinshülle  und  Metallkern), 
was  zu  Betrachtungen  über  den  Erdkern  führt  (Magnetismus  und  Nordlichter). 


1.  ers^(?  Vorläufer 

(gehen  durch  die  Nife) 

- 2. zweite  Vorläufer 

3.  Haupfweilen 

1.  Erdbebenwellen  und  ihre  Beeinflussung  durch 
die  Nife. 


Die  Gesteinshülle.  13 


Die  Gesteinshülle  bezeichnet  man  als  Lithosphäre  und  schätzt  ihre 
Dicke  auf  etwa  1400  km.  In  sie  eingebettet  liegen  die  Mägmaherde,  deren 
Laven  die  Vulkane  aufbauen.  Auf  Grund  der  Zunahme  der  Wärme  in  Bohr- 
löchern und  Bergwerken  kann  man  berechnen,  daß  in  etwa  60  km  Tiefe 
die  Gesteine  der  Erdhülle  plastisch  sein  müssen.  Möglicherweise  umgibt 
in  dieser  Tiefe  eine  plastisch-flüssige  Zone  den  festen  Erdkern;  aber 
über  die  physikalisch-chemische  Bedingtheit  dieser  Zone  hat  unsere  For- 
schung bisher  keine  Antwort  gegeben. 

Die  Gesteinshülle. 

Die  oberste  Hülle  der  Lithosphäre,  die  das  Forschungsbereich  der  Geo- 
logie bildet,  ist  verbogen.  In  tiefen,  vielfach  von  Bruchspalten  umgebenen 
Mulden  sammelt  sich  das  Meer,  die  Aufwölbungen  bilden  die  Festländer, 
oder  besser  Kontinentalblöcke.  Das  fließende  Wasser  erniedrigt  die 
Festländer,  und  die  Flüsse  führen  den  Schutt  ins  Meer,  wo  sich  die 
Sedimentgesteine  (von  »sedeo«  =  ich  setze  mich  ab;  Gegensatz  dazu 
die  vulkanischen  oder  Eruptivgesteine  —  »erumpo«  =  ich  breche  aus)  bilden, 
die  sich  vielfach  in  großen,  langgestreckten  Mulden  (Geosyn kl  inalen)  ab- 
setzten, dann  in  die  tieferen  plastischen  Teile  der  Lithosphäre  gerieten  und 
hier  zu  kristallinen  Schiefern  (metamorphe  Sedimente)  umkristallisierten.  An 
vielen  Stellen  der  Erde  aber  wurden  diese  Geosynklinalen  zu  hohen 
Gebirgen  aufgefaltet,  die  nach  ihrer  Verebnung  durch  die  Erosion  mehr- 
fach als  Schollengebirge  nochmals  über  die  Umgebung  gehoben  wurden. 

Die  Gründe,  welche  die  Gebirgsbildung  verursachen,  sind 
uns  noch  unbekannt.  Neuerdings  neigt  man  dazu,  die  Gebirgsbildung 
mit  Massenverschiebungen  der  größeren  Erdtiefen  in  Beziehung 
zu  setzen.  Im  Unterricht  ist  es  nicht  nur  statthaft,  sondern  auch  empfehlens- 
wert, die  Erscheinungen  der  Erdoberfläche  mit  den  Runzeln  eines 
Apfels  und  dem  Zerbrechen  einer  Eisdecke  über  einem  Teiche  in  Schollen 
zu  vergleichen.  Auch  muß  unbedingt  auf  die  lineare  Anordnung  der 
Faltengebirge  und  die  merkwürdige  Zuspitzung  der  Kontinente  nach 
Süden  hingewiesen  werden.  Hier  verbirgt  sich  ein  noch  unbekanntes 
Gesetz,  das  heute  das  Antlitz  der  Erde  beherrscht  und  vielleicht  auch 
schon  in  früheren  Zeiten  beherrscht  hat,  da  sich  die  Gründe  für  eine 
gewisse  Permanenz  der  Kontinente  und  Ozeane  mehren.  Man  ist 
immer  mehr  geneigt  anzunehmen,  daß  bestimmte  Teile  der  Erdoberfläche 
ständig  Hebungsgebiete  sind,  während  andere  sich  stetig  senken.  Zwischen 
beiden  liegen  in  breiten  Zonen  die  Gebiete,  die  bald  vom  Meere  über- 
flutet werden,  bald  wieder  Festländer  bilden  (Tetraedertheorie).  Hier  ent- 
steht die  Mehrzahl  der  Sedimente,  die  nach  Lebewelt  und  Beschaffenheit 
des  Materials  nur  Bildungen  flacher  Meere  sein  können. 

Über  das  Alter  der  Erde  haben  wir  nur  Mutmaßungen.  Während  man 
früher  verhältnismäßig  geringe  Zeitlängen  annahm,  machen  die  Unter- 
suchungen des  Radiumgehaltes  verschiedener  Eruptivgesteine  größere 
Zeiträume  wahrscheinlich;  während  früher  100000  Jahre  als  unglaublich 
erschienen,  liegen  heute  600  Millionen  Jahre  im  Bereiche  des  Möglichen 
(Untersuchungen  der  pleochroitischen  Höfe). 


14  II.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen. 

Die  Einteilung  der  Erdkunde. 

Die  Abbildung  der  Erde  erfolgt  durch  den  Globus  und  die  Land- 
karten und  entwickelt  sich  mehr  und  mehr  zu  der  selbständigen  Wissen- 
schaft der  Kartographie^. 

Mit  der  Gestaltung  der  Oberflächenformen  der  Erde  und  ihrer 
Bedingtheit  durch  aus  dem  Erdinneren  stammende  (endogene  oder  tek- 
tonische)  und  von  außen  her  wirkende  (exogene)  Kräfte  beschäftigt  sich  die 
Morphologie.  Das  Meer  behandelt  die  Meereskunde,  die  Lufthülle  die 
Meteorologie,  das  vegetative  Leben  Tier-  und  Pflanzengeographie 
und  den  Menschen  die  Anthropogeographie  und  Völkerkunde  (Ethno- 
logie). Alle  diese  Wissenschaften  liefern  die  Grundsteine  zu  der  wissen- 
schaftlichen Erdbeschreibung  der  Länderkunde,  dem  Endziel  jeder 
geographischen  Forschung. 

Diese  sieht  —  wie  Schlüter  mit  Recht  bemerkt  —  alles  unter  dem 
Gesichtswinkel  des  Begriffs  der  Landschaft.  Nur  derjenige,  der 
zu  einer  derartigen  Betrachtungsweise  fähig  ist,  ist  wirklich  ein  Geograph, 
und  wirkliche  Erdkunde  ist  ebensowenig  bloße  Kompilation,  wie  etwa  die 
Philosophie,  sondern  in  ihrer  Arbeitsweise  dieser  nahe  verwandt.  Das 
räumliche  Nebeneinander  der  verschiedenen  Dinge  auf  der 
Erde  zu  beschreiben  und  in  ihrem  inneren  Zusammenhang  zu 
erklären,  das  ist  das  Wesen  der  Geographie,  der  Philosophie 
der  Landschaft. 

II.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen. 

Kontinentalsockel. 

Nicht  die  Küstenlinie  bildet  die  Grenze  zwischen  den  Kontinental- 
schollen  und  den  ozeanischen  Becken,  sondern  erst  jenseits  der 
200-m-Tiefenlinie  beginnt  der  steile  Abfall  zur  Tiefsee,  so  daß  die  Flach- 
meere als  randliche,  zeitlich  wechselnde  Überflutungen 
der  Kontinentalschollen  angesehen  werden  müssen.  Da  diese  als 
Schelfe  bezeichneten  Flachmeere  als  Laichgebiete  zahlreicher  Fische  eine 
große  biologische  Bedeutung  haben,  ist  ihre  Behandlung  im  Erdkunde- 
unterricht unbedingt  nötig  und  kann  gut  im  Anschluß  an  die  Naturkunde 
erfolgen  oder  durch  sie  vertieft  werden. 

Ziehen  wir  also  diese  Flachmeere  zum  Kontinentalgebiet,  so  bildet  dieses 
eine  einzige  zusanunenhängendc  Fläche,  und  die  Becken  des  Mittelmeeres 
sowie  der  indoaustralischen  Randmeere  erscheinen  wie  die  mittelamerika- 
nischen Meere  in  ihrer  wahren  Natur:  als  lokale  Einbrüche  in  die  Kontinental- 
region. Sie  finden  ihr  Gegenstück  auch  inmitten  der  Festländer  (Ungarisches 
Becken,  Tarimbeckcn). 


•)  In  der  Schule  fehlt  es  an  Zeit,  eingehend  Kartographie  zu  treiben  und  Grad- 
netze zu  entwerfen.  Dankenswert  ist  jedoch  eine  Behandlung  der  Projektions- 
arten im  geometrischen  Zeichnen  der  Realanstalten.  Dringenderwünscht 
ist  die  Beteiligung  erdkundlich  vorgebildeter  Lehrer  bei  den  Jugendübungen 
und  Wandenmgen  vor  allem  der  Oberklassen  (Kompaßablesen,  Kartenzeichnen 
mit  Kompaß  und  Schrittzählen,  Bestimnumg  der  Sonnenhöhe  usw.).  Auch  im 
Trigonometrieunterricht  kann  viel  praktische  Erdkunde  getrieben  werden. 


Faltengebirge.  1 5 


Im  Bereiche  des  nördlichen  fünfzigsten  Parallels,  sowie  des  zwanzigsten, 
hundertvierzigsten  und  dreihundertdreißigsten  Längenkreises  erstrecken 
sich  besonders  die  Festlandsmassen,  für  die  ein  Hauptmerkmal  das  Zu- 
spitzen nach  Süden  ist,  was  nicht  nur  für  die  großen  Kontinente,  sondern 
auch  für  Einzellandschaften  (Indien,  Grönland)  gilt;  laufen  doch  fast 
alle  Halbinseln  nach  Süden  aus!  Dieses  zweifellos  vorhandene  Bildungs- 
gesetz der  Erde  sucht  die  Tetraedertheorie  zu  erklären.  Sie  nimmt  an, 
daß  die  Erde  bei  stärkererVolumenverringerung  infolge  der  Abkühlung 
die  Oberfläche  beizubehalten  versucht  und  die  Gestalt  eines  sphärischen 
Tetraeders  erhält,  dessen  Ecken  und  Kanten  die  Landmassen  bilden,  während 
die  Flächen  von  den  Ozeanen  eingenommen  werden.  Als  Spitze  sieht  sie 
das  antarktische  Festland  an,  als  gegenüberliegende  Ecken  die  aus  Ur- 
gesteinen aufgebauten  alten  Landmassen  des  arktischen  Amerika  (Lauren- 
tischer Schild),  des  nördlichen  Europa  (Fennoskandischer  Schild)  und 
Sibiriens  nördlich  des  Baikal  (Angaraschild).  Die  Kanten  fallen  mit  den 
ebengenannten  Linien  größter  Landanhäufung  zusammen,  von  denen  die 
meridional  verlaufenden  auch  die  Hauptvulkangebiete  der  Erde  (Bruch- 
linien!) und  große  Grabenbrüche  enthalten;  die  Flächen  mit  den  vier  Haupt- 
ozeanen, von  denen  das  Eismeer  den  Nordpol  umlagert  und  durch  unter- 
seeische Erhebungen  von  den  übrigen  abgeschlossen  wird,  die  nach  Süden 
an  Fläche  zunehmen.  Auch  die  eigenartige,  ebenfalls  an  Vulkanen  reiche 
Zone  der  Kesselbrüche,  welche  die  Südkontinente  vom  Norden  abtrennt 
und  in  Gestalt  eines  größten  Kreises  die  Erde  umzieht,  dürfte  mit  diesem 
Gestaltungsprinzip  zusammenhängen,  für  das  die  Tetraedertheorie  einen 
möglichen  Weg  der  Erklärung  gibt,  der  sich  im  Unterricht  der  Ober- 
stufe als  sehr  anregend  erweist. 

Faltengebirge. 

Von  dem  Formenschatz  der  Kontinente,  an  dessen  Herausmodellierung 
die  endogenen  (Faltungen,  Aufwölbungen,  Kesselbrüche,  Vulkane)  und 
exogenen  (feinere  Modellierung  der  Kleinformen  durch  das  fließende 
Wasser,  Wind  und  Gletschereis)  Kräfte  gleichmäßig  arbeiten,  fallen  zuerst 
die  Falten-  oder  Kettengebirge  ins  Auge. 

Ein  Hauptzug,  reich  an  Vulkanen,  umgibt  in  wechselnder  Breite,  vielfach 
geschwungenen  Girlanden  gleichend,  das  Becken  des  Großen  Ozeans,  ein 
zweiter,  an  Vulkanen  ärmerer,  läßt  sich  von  den  Atlasländern  und  der 
Pyrenäenhalbinsel  aus  in  wechselnder  Breite  durch  den  Süden  der  Alten 
Welt  bis  nach  Neuseeland  hin  verfolgen  und  enthält  vor  allem  die  Hoch- 
gebirge Südeuropas  und  Südasiens.  Vielfach  ist  der  Zusammenhang  durch 
jüngere  Einbrüche  verdeckt  (Lücke  zwischen  Alpen  und  Karpathen),  wobei 
aber  häufig  Reststücke  (kleine  Karpathen,  Kreta)  stehengeblietDen  sind.  Viel- 
fach sind  nur  die  höchsten  Kämme  landfest  geblieben,  während  die  Täler 
vom  Meere  überflutet  wurden  (Dalmatinische  Inseln,  Euböa,  Sumatra,  Java, 
Melanesien).  In  einem  weit  höheren  Stadium  der  Senkung  bezeichnen  nur 
Schwärme  von  Koralleninseln  die  Richtung  der  ehemaligen  Falten,  deren 
großartigen  Aufbau  das  Netz  der  Tiefseelotungen  in  immer  größerem  Um- 
fange enthüHt  (Polynesien). 


16  II.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen. 

Faltengebirge  entstehen  durch  Auffaltung  (Erdbeben!)  der  großen,  mit 
Sedimenten  angefüllten  Geosynklinalen,  wobei  sich  zwischen  den  Falten- 
girlanden häufig  ortsfremde  ungefaltete  Massen  einschieben  (Kastilien, 
Sardinien  und  Korsika). 

Der  innere  Kern  eines  jeden  Faltengebirges,  dessen  Kompliziertheit  sich 
bis  zu  den  noch  heute  ungeklärten  Überschiebungsdecken  steigern  kann  — 
diese  fallen  schon  aus  dem  Lehrstoff  der  Schule  heraus  — ,  besteht  aus 
aufgedrungenen  Tiefengesteinen  (Zentralgranite),  die  vielfach  während  der 
Faltung  erstarrten  und  geschiefert  wurden  (Gneise)  und  die  benachbarten 
Sedimente  zu  den  an  Mineralien  und  Erzen  reichen  kristallinen  Schiefern 
umformten.  Um  diesen  Kern  lagern  sich  die  unveränderten  Sedimente. 
Bei  jungen  Gebirgen  (Teile  der  Anden,  Atlas)  überwiegen  diese  Sedimente, 
aus  denen  bei   der  infolge  des  Alters  verstärkten  Abtragung  in   immer 


-^Ecken  nach  der 

Tpfraederlehre  "=■  Fal|-(?ngebirgi?  — Brcit-en  kreis 

■v:;.  Zone  d. Kesselbrüche         ^Grabenbrüche  grössterLandhäufung 

2.  Faltengebirge. 

größerem  Umfange  die  kristallinen  Kerne  (Wurzeln  der  Gebirge!)  mit  ihrem 
Erzreichtum  herausgeschält  werden  (nordeuropäische  Gebirge,  Alpen 
und  Ural). 

Am  besten  zeigen  den  Aufbau  eines  Faltengebirges  die  Alpen  mit  ihren 
harten  kristallinen  Kernen  (Zentralgruppen  mit  Gletschern),  die  beiderseits 
durch  weiche  Schieferzonen  (Längstäler,  die  heute  von  verschiedenen 
Flüssen  benutzt  werden ')  von  den  randlichen  Sedimentzonen  (Kalkalpen) 
getrennt  werden.  Im  Süden  erweitert  sich  die  Po-Ebene  auf  Kosten  der 
einbrechenden  Alpen,  und  vulkanische  Magmen  steigen  auf  (Euganeen, 
Monte  Berici).  Noch  großartiger  zeigt  sich  dies  Zusammenbrechen  des 
inneren  Bogens  bei  den  Karpathen,  deren  Magmenergüsse  als  Unga- 
risches Erzgebirge  für  das  Wirtschaftsleben  so  wichtig  sind. 


')  Gegenstück:  Qiiertäler. 


Schollengebirge. 


17 


Schollengebirge. 
Im  Laufe  der  Zeit  können  Faltengebirge  völlig  eingeebnet  werden 
(ständiges  Verbreitern  der  Täler!)  und  erscheinen  als  flachwellige  Ebenen 
(Fastebenen),  aus  denen  nur  härtere  Gesteinszüge  (Quarzitrücken  des  Huns- 
rück  und  Taunus,  Ketten  der  Appalachen)  und  Einzelberge  als  Härtlinge 
(Brocken,  Zobten)  ragen. 

Solche  eingeebneten  Fal-  .  J^ r- A 

tengebirge  können  dann 
neu  aufgewölbt  werden 
undvielfach  durch  Bruch- 
linien begrenzt  (Thermal- 
spalten!),  als  Horste  wie- 
der über  die  Umgebung 
gehoben  werden,  wobei 
sich  die  Flüsse  von  neuem 
einschneiden.  Das  sind 
die  vielfach  an  Erzen 
reichen  Schollengebirge,  deren  Richtung  häufig  (Sudeten,  Böhmer  Wald, 
Ural,  Appalachen)  die  Erstreckung  der  ehemaligen  Falten  ersehen  läßt 
und  bei  denen  nicht  selten  die  alten  Einebnungsflächen  (Fastebenen)  noch 
im  Landschaftsbilde  zu  erkennen  sind  (Schiefergebirge,  Erzgebirge,  Harz, 
Skandinavische  Alpen,  Auvergne).  Solche  Schollengebirge  brauchen  nicht 
rings  von   Bruchlinien   umgeben   zu  sein,  sondern  können   auch   durch 


3.  Landschaft  mit  Bruchrand,  Abtragungsfläche  über 
ehemaligem  Faltengebirge  (A)  von  Härtungen  (H). 


4.  Landschaft  mit  verschiedenen  Schichtstufen  und  Zeugenbergen  (zu  Seite  18). 

Schiefstellung  von  Schollen  entstehen  (Erzgebirge,  Schwarzwald,  Vogesen, 
Skandinavische  Alpen),  wobei  der  durch  die  Bruchlinie  bezeichnete  Steil- 
abfall die  Wasserscheide  trägt.  Fast  alle  Schollengebirge  stellen  sich  als 
verebnete  und  dann  wieder  gehobene  und  in  verschiedenem  Umfange 
durch  das  fließende  Wasser  wieder  zerschnittene  Faltengebirge  heraus 
(epirogenetische  Bewegungen). 

0  1  b  r  i  dl  f ,  Der  erdkundlidie  Lehrstoff.  2 


18 


11.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen. 


Schichtstufengebirge. 

An  die  Schollengebirge  schließt  sich  ein  weiterer  Gebirgstypus  an,  der 
ain  besten  vom  Schwäbisch-Fränkischen  Jura  vertreten  wird  und  schon  von 
Tertianern  erarbeitet  werden  kann,  wenn  als  Gegenstück  etwa  ein  Schol- 
lengebirge wie  das  Erzgebirge  betrachtet  wird. 

Das  wird  schon  dem  ^ 

Schüler  klar,  daß  der  zer-  w  u  5'^ 
läppte,  ganz  unregelmä- 
ßig verlaufende  Rand  des 
Juragebirges  mit  den  vor- 
gelagerten Einzelbergen 
(Hohenstaufen ,  Hohen-  ';  , 
zollern,  Hohenneuffen)  •. '  ..  ". 
unmöglich  einem  Bruch-  '•'•/' 
rande  entspricht,  sondern 
aus^  einer  ausgedehnten 
Gesteinstafel  durch  das 
Wasser  herausmodelliert  sein  muß,  wobei  die  vorlagernden  Einzelberge 
die  ehemalige  weitere  Ausdehnung  dieser  Tafel  beweisen  (Zeugenberge!). 
Ebenso  läßt  sich  durch  die  Schüler  erarbeiten,  daß  bei  fortschreitender  Ab- 
tragung von  dem  Gebirge  nur  noch  einzelne  Tafelberge  überbleiben,  die 
schließlich  auch  verschwinden. 

Solche  Gebirge  werden  als  Erosions-  oder  Schichtstufengebirge 
(im  Unterricht  spreche  ich  von  Erosionsrand  und  Bruchrand  —  lappig, 
geradlinig!)  bezeichnet.  Sie  finden  sich  vor  allern  in  der  süddeutschen 
Stufenlandschaft,  im  Pariser  Becken  (Argonnen)  und  Südostengland  (Downs) 

J 


5.  Inselberglandschaft  in  Afrika  (nach  Stieler). 


6.  Zertalte  Inselberglandschaft  bei  Rio  de  Janeiro  (nach  Sievers). 
Alte  Landoberfläche  vor  der  jüngeren  Zertalung.    J  ^  Inselberge. 

und  führen  über  zu  den  Tafelbergen  (Sargdeckel berge),  für  die  wir  im 
Eibsandsteingebirge  und  der  Heuscheuer  gute  Beispiele  haben.  Tafel- 
berge finden  sich  aber  auch  im  inneren  Australiens  und  m  Sudamerika 
(Guayanahochfläche).  Mit  ihnen  eine  gewisse  Ähnlichkeit  haben  die  meist 
aus  härteren  Graniten  zwischen  weicheren  kristallinen  Schiefern  bestehenden 
und  als  Härtlinge  aufzufassenden  In  sei  berge,  die  im  Sudan  und  in  Sud- 
amerika stellenweise  auch  in  Hinterindien  und  Australien  ganze  Insel- 
gebirg'slandschaften  bilden,  bei  deren  Herausarbeitung  auch  die  Ab- 
tragung durch  Wind  eine  Rolle  spielt. 


Qrabenbrüche. 


19 


Grabenbrüche. 

Im  Anschluß  an  die  Bruchlinien  der  Schollengebirge  behandelt  man 
am  besten  die  Grabenbrüche  (bestes  Beispiel  die  Oberrheinische  Ebene 
mit  ihren  randlichen  Horsten),  die  besonders  in  Afrika  in  großem  Umfange 
auftreten  (Gebiet  der  ostafrikanischen  Gräben  und  ihrer  Seen). 

Die  vielfach  als  Gräben  bezeichneten  ozeanischen  Gräben,  die  an 
den  Rändern  der  Ozeane,  besonders  am  Rande  des  Großen  Ozeans, 
auftreten,  scheinen  dagegen  keine  »echten«,  durch  Bruchlinien  begrenzten 
Gräben  zu  sein,  sondern  langen  Mulden  zwischen  werdenden  Falten- 
gebirgen zu  entsprechen. 

Ich  weise  noch  darauf  hin,  daß  vielfach  die  Gesteinszusammensetzung  — 
Kalksteine  sind  meist  weiß!  —  auch  an  den  Namen  der  Gebirge  erkannt 
werden  kann  (Albanien,  Leukas,  Kap  Gris  Nez,  Argentario,  Gennargentu  usw.). 


D  (Speziairall  von  4j 


7.  Entwicklung  der  Vulkane. 

A:  Rezenter  Vulkan  mit  Spalten  (Erzgänge!)  von  Nebenkegeln. 
B:   Zerschnittener  diluvialer  Vulkan  (Chimborasso). 
C:  Tertiäre  Vulkanruine  (Basallkuppe!). 
D:  Vulkan  mit  Explosionskaldera  und  jüngerem  Kegel 
(Typ  des  Vesuvs  mit  Monte  Somma). 

Vulkanismus. 

Zu  den  anregendsten,  im  Anschluß  an  die  Nebenkarten  des  Atlas  erfolg- 
reichst zu  erarbeitenden  Fragen  des  Erdkundeunterrichtes  gehört  der 
Vulkanismus,   über  dessen  Verbreitung  schon  einiges  gesagt  wurde. 

Auf  der  Landkarte  treten  uns  Vulkane  meist  als  einzelstehende,  rund- 
liche Berge  entgegen,  die  sich  vielfach  zu  langen  Schwärmen  (Vulkan- 
linien!) anordnen. 

Ohne  Schwierigkeiten  erkennen  auf  guten  Atlaskarten  die  Schüler  die 
Vulkane  (bes.  Vulkanlinien)  in  Zentralfrankreich,  auf  Java,  in  den  Anden, 
im  Bereiche  der  ostafrikanischen  Gräben,  in  Hinterindien.  Sie  ersehen, 
daß  Vulkanlinien  häufig  Bruchspalten  am  Rande  der  Kontinentalschollen 
(Sumatra-Java-Linie,  ostasiatischer  Randbruch  auf  den  A  u  ß  e  n  r  a  n  d  der  Inseln 

2* 


20  II.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen. 

beschränkt  —  nicht  auf  Sachahn!  — )  entsprechen,  was  auch  für  die  Mehr- 
zahl der  amerikanischen  Vulkane  gilt.  Auch  auf  den  Zusammenhang  zwischen 
versunkenen  Vulkanen  und  Korallenriffen  sei  hier  schon  hingewiesen. 

Der  Schüler  findet  aber  auch  die  Vulkane  in  Südeuropa  und  in  Deutsch- 
land, hier  namentlich  den  Kaiserstuhl,  den  Vogelsberg  und  die  Rhön.  Auf 
den  Nebenkarten  könnten  jedoch  die  landschaftlich  so  außerordentlich 
wirkungsvollen  Vulkane  des  Hegau  (Hohentwiel)  noch  besser  heraus- 
gearbeitet werden.  Kreisrunde  Seen  sind  ebenfalls  vulkanischen  Ur- 
sprungs (durch  Explosion  gebildete  Trichter)  und  werden  Mare  genannt. 
Solche  Mare  zeigen  die  Karten  in  Mittelitalien  und  im  Albaner  Gebirge, 
wogegen  die  Mare  der  Eifel  recht  stiefmütterlich  bedacht  sind. 

Durch  vulkanische  Deckenergüsse  entstanden  Island  (hier  auch 
Vulkankegel),  das  Hochland  von  Abessinien  (hier  überdeckte  die  Lava  ein 
hochgehobenes  Tafelland)  und  der  Hauran.  Auf  der  schönen  Kaukasus- 
karte erkennt  der  Schüler  auch  den  vulkanischen  Charakter  des  Elbrus  und 
Kasbek,  die  isoliert,  getrennt  vom  Hauptkamm  (vgl.  dagegen  die  Alpenberge) 

aufragen.    Die  kleinasia- -._ 

tischen  Vulkane     finden      ,-•       ,|,„^^     "\                       .--'"  '"•. 

wir  auf  der  Karte  der  Bai-    /  /'"^^      ""'^Y         \   /  '    '  '     .', 
kanhalbinsel,  die  armeni-    ';  PN  (•)      | ;    c>''""'''%     ;/  .     *        '         * 
sehen  um  Eriwan.  Daß  aus     •     -          ^<\-^  >•        .■^''    / ;    '    *       ^^,uu** 
dem    Meere    aufragende      '-^^^mw^,/                   >   *  .  *      ^^      ''  \ 

Vulkane  in  Wirklichkeit         ""■ '"  \   *     •/  ^'"" 

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viel  hoher  smd,  zeigt  der  •,*       • 

Stromboli,  der  sich  bei-  "  .      *  •  *       •     .' 

nahe  3000m  über  seinen  ---..?.----'' 


Sockel   erhebt;  aber  nur  •  Nebenkrater 

das   oberste  Drittel    ragt  g  ^^^^^^^  ^^^^^  ^,^^  ^^^^^^,     j^^^^ 

als  Insel  über  das  Meer. 

Einzelheiten  des  Vulkanismus  lassen  sich  an  Hand  der  Nebenkarten 
(Rom  und  Albaner  Gebirge  und  Golf  von  Neapel  und  Ätna)  erarbeiten 
(dazu  Bild  des  Vesuv  und  Ätna).  Da  erkennen  die  Schüler,  daß  eine 
ältere  vulkanische  Tätigkeit  zuerst  große,  kreisförmige  Kraterwälle 
schuf,  die  teilweise  zerstört  wurden,  ehe  eine  jüngere  Tätigkeit 
die  kleineren  Krater  und  Mare  (Mt.  Cavo,  Albaner  See,  Nemisee,  Vesuv- 
gipfel) schuf.  Die  Römer  nannten  den  alten,  nur  1130  m  hohen  Wall 
Monte  Somma  (summa!),  weil  damals  der  heutige  höhere  Krater  (Pompeji!) 
noch  nicht  bestand.  Beim  Ätna  erkennen  wir  deutlich  die  aufgesetzten 
Nebenkrater,  sowie  Reste  des  alten  Kraterwalles  (serra  del  Solfizio),  der  hier 
zumeist  von  dem  größeren,  jüngeren  Vulkan  überschüttet  wurde.  Auch 
beim  Kilimandscharo  (Schirakamm)  und  auf  Teneriffa  erkennen  wir  die 
alten  Krater.  Der  Lehrer  kann  diese  Verhältnisse  durch  einige  Strich- 
zeichnungen erläutern  und  auch  die  Entstehung  der  durch  Schluchten 
zerrissenen  diluvialen  Vulkane  (Chimborasso,  Kilimandscharo)  und  der 
tertiären  Vulkanruinen  (Basaltkuppen  Mitteldeutschlands)  erläutern,  hierbei 
bemerkend,  daß  die  tafelförmigen  Basaltberge  (Rhön  und  Erzgebirge)  Reste 
alter  Lavadecken  sind.  Auf  der  Oberstufe  ziehe  man  den  sogenannten 
Vulkanismus  des  Mondes   mit   heran    (Physik   der  Oberprima!)    und 


Großschollen.  21 


erwähne  die  an  Diamanten  reichen  Vulkanröhren  des  Blaugrundes  in  Süd- 
afrika. —  Ebenfalls  im  Anschluß  an  den  Vulkanismus  behandele  man  die 
Erdbeben  (Versuch:  Holzklötze  mit  aufgebauten  Gegenständen,  die  gegen- 
einander verschoben  werden!)  ebenso  die  Geysire  (Physik)  und  warmen 
Quellen  mit  ihren  Sinterterrassen  (Kurorte!).  Auch  die  Entstehung  der 
Schwefellager  und  Erzgänge  gehört  hierher. 

Großschollen. 

Wohl  der  größte  Teil  der  Erdoberfläche  wird  von  durch  Großformen 
wenig  gegliederten  Hochflächen  eingenommen,  die  mehrfach  mit  Bruch- 
rändern gegen  die  Umgebung  grenzen,  vielfach  wie  gewaltige  Schilde  sich 
allmählich  aufwölben  und  im  Bereiche  des  Nördlichen  Eismeeres  unter 
das  Wasser  tauchen,  so  daß  nur  die  Höhen  als  Abgliederungsinseln 
landfest  bleiben.  Diese  meist  von  ausgedehnten  Abtragungsflächen  — 
vielfach  mit  Resten  aufgelagerter  Sedimenttafeln  (Rußland!)  —  bedeckten 
Formen  nenne  ich  Großschollen  (Gegensatz:  Schollengebirge!). 

Die  größte  derselben  bildet  Afrika  mit  Ausnahme  der  Atlasländer  und 
der  Grabenlandschaft  des  Ostens.  Wie  flache  Schüsseln  sind  in  sie  die 
Becken  des  Kongo,  Schari,  des  oberen  Nil  und  des  Sambesi  eingesenkt. 
Wo  diese  Flüsse  den  aufgewölbten  Rand  der  Scholle  verlassen,  finden 
wir  Stromschnellen  und  Wasserfälle,  die  noch  heute  dem  Erschließen  des 
»Dunklen  Erdteils«  recht  große  Schwierigkeiten  bereiten.  In  der  trockenen 
Sahara  bilden  ähnliche  abflußlose  Schüsseln  die  großen  Sandwüsten  der 
Libyschen  Wüste  und  der  Igidiwüste.  Vielfach  überragen  Inselberge 
und  schroffe  Bergländer  von  verschiedenster  Ausdehnung  die  Hochscholle 
(Tibesti,  Tasili,  Hoggar,  Kamerungebige  usw.).  Die  südlichste,  ebenfalls 
wieder  im  Wüstengürtel  gelegene  Schüssel  beherbergt  die  Kalahari  mit 
ihren  Sandflächen. 

Schon  hier  kann  darauf  hingewiesen  werden,  daß  die  höheren  Teile  der 
Trocken  gebiete  von  Felswüsten,  die  Senken  von  Sandwüsten  ein- 
genommen werden,  wobei  letztere  aus  dem  Material  aufgebaut  sind,  das  der 
Wind  und  die  vereinzelten  Regengüsse  aus  den  Hochflächen  abtragen. 
(Jede  ausgetrocknete  Pfütze,  in  die  von  der  höheren  Umgebung  der 
Sand  und  Schlamm  hineingetragen  werden,  ist  eine  Wüste  im  kleinen!) 

Die  afrikanische  Großscholle  setzt  sich  jenseits  des  Roten  Meeres  in  der 
Arabischen  Scholle  fort,  deren  Ränder  mehrfach  aufgewölbt  sind.  Noch 
schöner  treten  uns  diese  als  Ghats  bei  der  Indischen  Scholle,  dem 
Dekhan  entgegen,  die  zugleich  durch  die  der  Abdachung  folgenden  Flüsse 
reicher  gegliedert  ist.  Madagaskar  ist  eine  kleinere,  durch  Täler  zer- 
schnittene Hochscholle,  die,  schiefgestellt,  von  Osten  nach  Westen  sich 
abdacht.  Auch  im  größten  Teile  Australiens  (mit  Ausnahme  der  Ketten- 
gebirge im  Osten)  sehen  wir  eine  Großscholle  mit  zwei  großen  Boden- 
flächen. Die  östliche  wird  vom  Stromsystem  des  Murray  entwässert,  die 
westliche  ist  von  großen  Sandwüsten  verschüttet,  über  die  sich  inselartig 
einige  Bergmassive  erheben  (vgl.  Afrika). 

In  Südamerika  finden  wir  die  Guayanascholle  und  die  Brasilische 
Scholle.    Erstere  zeigt  deutlich   die  Schildform    und  einige  aufgesetzte 


22  II.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen. 

Gebirgszüge,  letztere  erhebt  sich  langsam  von  der  Tiefebene  des  Amazonas 
und  Parana  aus  und  fällt  treppenartig  (Staffelbruch)  gegen  den  Atlantischen 
Ozean  ab.  Deutlich  erkennen  wir  in  der  Anordnung  der  Flüsse 
(Wasserfälle  am  Rande!)  die  Schiefstellung  der  im  Osten  am  meisten 
gehobenen  Scholle  (vgl.  Vorderindien). 

Eine  Großscholle,  allerdings  mit  Inlandeis  bedeckt,  bildet  den  größten 
Teil  der  Antarktis. 

Auf  der  nördlichen  Halbkugel  finden  wir  die  Sibirisch-Russische 
Großscholle  (getrennt  durch  den  Ural)  und  die  Kanadische  Scholle, 
die  sich  allmählich  aus  den  Niederungen  des  Lorenzstromes,  des  Missis- 
sippi und  des  Mackenzie  erhebt  (auch  Kanadischer  Schild  genannt). 

Die  Sibirische  Scholle  dacht  sich  von  den  Randgebirgen  Zentral- 
asiens nach  Norden  ab  und  taucht  dann  unter  das  Eismeer,  über  das  ihre 
höheren  Teile  als  Inseln  ragen.  Ein  ähnliches  gilt  für  die  Russische 
Scholle,  deren  aufgewölbter  Westrand  das  Skandinavische  Hoch- 
gebirge ist,  und  für  die  Kanadische  Scholle.  Ostsee,  Karisches  Meer, 
Weißes  Meer  und  Hudsonbai  sind  die  wichtigsten  der  flachen  Über- 
flutungsmeere, und  erst  viel  weiter  nördlich  senken  sich  die  Schollen 
mit  der  200- m -Tiefenlinie  zum  Eismeerbecken  ab.  Ein  im  Wasser 
schwimmendes  flaches  Brett  mit  unebener  Oberfläche,  das  durch  Schief- 
stellung (Belastung  durch  ein  Gewicht!)  an  einer  Seite  vom  Wasser  über- 
spült wird,  erläutert  dieses  Verhalten  am  anschaulichsten. 

An  der  unteren  Grenze  der  Großschollen  steht  das  Kastilische  Hoch- 
land, das  den  Übergang  zu  den  intensiver  zersplitterten  Schollen- 
landschaften vermittelt.  Auch  Grönland  kann  als  vom  Inlandeis  über- 
deckte Großscholle  betrachtet  werden. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  den  Formen  der  Erdoberfläche  zu,  die  haupt- 
sächlich von  exogenen  Kräften  geschaffen  worden  sind  und  heute  noch 
gestaltet  werden,  als  da  sind  Regen,  Wind  und  Gletschereis.  Ihnen  kann 
man  die  Korallenbauten  als  durch  organogene  Kräfte  bedingt  anschließen. 

Formenschatz  des  Landes. 

Der  größte  Teil  der  Oberflächenformen  der  Erde  ist  durch  die  Arbeit 
des  fließenden  Wassers  im  Anschluß  an  Härteunterschiede  der  Gesteine 
herausmodelliert  (Erosionsformen !).  Im  Gegensatz  zu  den  steilwandigen, 
allmählich  sich  abböschenden  Tälern  des  fließenden  Wassers  schafft  das 
Eis  Trogtäler,  die  häufig  von  Seen  ausgefüllt  sind  (Zeichen  ehemaliger 
Vergletscherung).  Über  diese  vom  Eise  abgeschliffenen  Formen  ragen 
die  steilwandigen,  durch  den  Frost  geschaffenen  Hochgebirgsformen', 
denen  man  auch  die  Gletschernischen  der  Kare  (Schneegruben)  zurechnen 
muß  (Strichzeichnungen  an  der  Tafel  im  Anschluß  an  Bilder!). 

Ein  Kennzeichen  von  Flüssen,  die  in  Ebenen  fließen,  ist  die  Mäander- 
bildung, die  wir  bei  dem  kleinen  Maßstabe  unserer  Atlaskarten  meist 
nur  auf  Nebenkarten  deutlich  erkennen  (Mississippimündung,  Oberrhein, 
Donau).  Bei  einer  gewissen  Reife  des  Mäanders  wird  derselbe  abgeschnitten 
und  bleibt  als  Altwasser  liegen  (Donau  bei  Wien).  Am  besten  läßt  dies  die 
Karte  des  Deutschen  Reiches  1  :  100000  erkennen,  von  denen  wohl  jede 
Anstalt  einige  charakteristische  Blätter  in  ihrer  Sammlung  hat  (Heimatkunde!). 


Formenschatz  des  Landes.  23 


Sind  die  Mäander  eines  Flusses  tief  in  eine  Hochfläche  eingesenkt,  so 
ist  diese  durch  jugendliche  Hebung  des  Landes  entstanden  (Moseltal). 

Schneidet  sich  ein  Fluß  in  eine  Hochfläche  ein,  so  entsteht  ein  Kanontal 
mit  steilen  Wänden.  Bekannt  hierdurch  ist  der  Koloradofluß,  doch  bilden 
auch  Duero,  Tajo,  der  obere  Doubs  und  die  südrussischen  Flüsse  solche 
steilwandigen  Täler,  die  durch  Schraffierung  auf  den  Karten  leicht  deut- 
licher zum  Ausdruck  gebracht  werden  könnten.  Die  Verkehrsfeindlich- 
keit der  Kanons  erkennt  der  Schüler  daran,  daß  die  Eisenbahnen  sie  ver- 
meiden. Terrassen  erzählen  von  einer  unregelmäßig  erfolgenden  Ver- 
tiefung des  Tales  (Erosionsterrassen),  oder  von  einer  zeitweisen  Zuschüttung 
derselben  (Aufschüttungsterrassen).  Letztere  finden  wir  vor  allem  im 
Bereiche  der  deutschen  Mittelgebirge,  wo  sie  entstanden,  als  während  der 
Eiszeit  das  nordische  Inlandeis  die  Unterläufe  absperrte  und  im  Ober- 
laufe große  Schuttmassen  angehäuft  wurden. 

Werden  in  abflußlosen  Gebieten  Gebirge  abgetragen,  so  füllt  der 
Schutt  allmählich  die  Täler  auf  und  hüllt  ganze  Landstrecken  bis  auf  die 
höchsten  Kämme  in  diese  Schuttmassen  ein,  die  meist  Ebenen  bilden, 
deren  Senken  von  Salzseen  und  Sandwüsten  eingenommen  werden.  Solche 
Landschaften  des  Trockenklimas  (aride  Formen)nenneichVerschüttungs- 
hochflächen  (Iran,  Teile  der  Mongolei,  Pamirhochfläche,  Mexiko,  Ana- 
tolien,  Tibet,  Bolivien). 

Dies  leitet  zur  Oberflächengestaltung  der  Wüsten  über  (Fels- 
wüsten, Steinwüsten,  Sandwüsten)  mit  ihren  Inselbergen,  Pilzfelsen,  Salz- 
seen und  Sanddünen.  Vielfach  ist  der  Verlauf  der  Dünen  durch  die  regel- 
mäßig wehenden  Winde  (Wüste  Thar,  Australien,  Sahara),  die  Monsune 
und  Passate  bedingt  (schöne  und  wissenschaftlich  wenig  ausgenutzte  Karten 
im  Stieler  und  Andree!) 

Tritt  in  Tälern  der  Wüsten  das  Grundwasser  in  die  Nähe  der  Ober- 
fläche, so  bilden  sich  die  Oasen,  deren  Entstehung  noch  strittig  ist 
(Einbruchskessel  oder  Reste  verschütteter  Täler). 

Fossile,  d.  h.  mit  Vegetation  überwachsene  Wüsten  dehnten  sich  am 
Rande  des  nordeuropäischen  Inlandeises  aus  und  bildeten  die  ausgedehnten 
Dünenlandschaften  Norddeutschlands  (Niederlausitz,  Netzetal);  einer  bei 
feuchterem  Klima  von  Wasser  überschwemmten  Dünenlandschaft  verdankt 
der  Tschadsee  (jede  Insel  ist  eine  Düne!)  seine  Entstehung. 

Bei  ihrem  Transport  zerkleinern  die  Flüsse  allmählich  das  mitgeführte 
Gesteinsmaterial,  vertiefen  durch  die  ständige  Reibung  der  Gesteinsblöcke 
gegen  die  Ufer  ihr  Bett,  zerreiben  den  Schutt  immer  mehr  (Felsblöcke, 
Kies,  Sand  und  Schlamm)  und  häufen  ihn  endlich  im  Unterlaufe  an,  so 
daß  hier  Anschwemmungsländer  entstehen,  die  zumeist  von  größter 
Wichtigkeit  für  die  Siedlung  des  Menschen  sind.  In  welchem  Umfange 
die  Meeresteile,  in  die  große  Flüsse  münden,  verflacht  werden,  zeigen 
Mississippi,  Amazonenstrom,  Euphrat  utid  Tigris,  Ganges  und  Bramaputra, 
Jangtse  und  Hoangho,  Sambesi,  La  Plata,  Rhone,  Donau  und  namentlich 
der  Po.  Interessant  ist  die  Beeinflussung  der  Flüsse  durch  ihre  Nebenflüsse. 
Sind  die  Nebenflüsse  auf  beiden  Seiten  von  gleicher  Wassermenge,  so 
fließt  der  Hauptstrom  inmitten  der  Tiefebene  (Donaulauf  in  Ungarn,  Loire, 
Seine,  Ebro  usw.).    Empfängt  der  Fluß  jedoch  von  einer  Seite  (etwa  einem 


24 


II.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen. 


Hochgebirge)  die  wasserreicheren  Nebenflüsse,  so  wird  er  von  ihnen  nach 
der  entgegengesetzten  Seite  verdrängt  (Donau  in  Süddeutschland,  oberer 
Po,  Ganges,  Murray,  Guadalquivir  und  untere  Donau).  Anderseits  erkennen 
wir,  wie  die  Nebenflüsse  im  Unterlauf  häufig  abgeschleppt  werden  und 
dem  Hauptstrom  parallel  fließen  (Po,  Ganges,  Amazonenstrom). 

Vielfach  zeigen  die  Flüsse  Deltamündungen,  wobei  mehrfach  durch 
jüngere  Senkungen  das  Delta  unter  das  Wasser  getaucht  und  in  Inseln  auf- 
gelöst wird  (Newa,  Dwina,  Petschora,  Wolga,  sibirische  Flüsse,  Mackenzie). 
Münden  Flüsse  in  ein  Meer  mit  großem  Gegensatz  von  Ebbe  und  Flut, 
so  erhalten  wir  die  wirtschaftlich  wichtige  Schlauch-  oder  Trichter- 
mündung (Nordseeflüsse,  Seine,  Garonne,  Loire,  englische  Flüsse,  Hudson 
und  St.  Lorenz). 

'Häufig  entsteht  an  der  Flußmündung  eine  Barre  (Barranquilla  am 
Magdalenenstrom).  Wird  das  Mündungsgebiet  gehoben,  legt  sich  die 
Barre  als  Damm  vor  sie  und  dämmt  einen  See  ab;  so  entsteht  der  Li  man. 
Wächst  ein  Delta  in  ein  Meer  mit  einer  starken  Küstenströmung,  so 
wird  seinem  Wachstum  ein  Halt  gesetzt,  wenn  die  abtransportierende 
Kraft  der  Meeresströmung 
größer  als  die  aufschüttende 
Kraft  des  Flusses  ist.  Das 
Delta  wird  hierbei  meerwärts 
durch  einen  Sanddünen - 
kränz  abgeschlossen  (Nil- 
delta)  oder  fehlt  (Kongo!). 
Beim  Mississippi  scheint  ein 
solches  abgestorbenes  Delta 
vor  kurzem  neubelebt  zu  sein, 
auch  beim  Po  weisen  Dünen- 
züge auf  Unterbrechungen 
der  Deltabildung  hin. 

Durch  Schwemmländer  wieder  an  die  Kontinente  angegliederte  ehemalige 
Inseln  nennt  man  Angliederungshalbinseln  (Schantung,  Kathiavar, 
Monte  Gargano),  deren  Werden  man  an  Ceylon  und  Bangka  erkennt. 
Viele  Häfen  des  Altertums  sind  durch  Anschwemmungen  unbrauchbar 
geworden  und  versandet.  Saloniki  droht  das  Schicksal,  welches  Venedig 
durch  Ablenkung  der  Brenta  abgewandt  hat. 

Bei  starker  Senkung  werden  Täler  in  Meeresstraßen  verwandelt,  deren 
Gestalt  und  Verlauf  häufig  noch  das  ehemalige  Tal  erkennen  läßt  (Bosporus, 
Dardanellen,  Großer  und  Kleiner  Belt,  Cattarobucht,  Chesepeakebai). 

Seen  können  auf  mannigfaltige  Weise  entstehen.  Einmal  durch  Aus- 
füllung von  Grabenbrüchen  wie  die  ostafrikanischen  Seen  (tektonische  Seen), 
oder  als  Erfüllungen  von  ehemaligen  Kratern  (Mare)  und  Abdämmung  von 
Tälern  durch  Lavaströme  wie  bei  'den  Seen  Armeniens  (vulkanische  Seen). 
Die  Eiszeit  schuf  langgestreckte  Rinnenseen  (glaziale  Seen).  Durch  Über- 
flutung kontinentaler  Hohlformen  entstehen  Überflutungsseen  mit  meist 
unregelmäßigen  Umrissen  (Tschadsee,  tibetanische  Seen,  Seen  der  Wüsten). 
Vielfach  bilden  sie  sich  auch  beim  Aufstau  der  Nebentäler  durch  An- 
schwemmungen wasserreicher  Hauptstrinne  (Seen  des  Jangtsetales).    Ab- 


Q.  Mississippidelta. 


Die  Küsten.  25 

gliederungsseen  sind  durch  Strandwälle  abgegliederte  Teile  des  Meeres 
(Haffe,  Lagunen). 

Daß  unsere  Flußtäler  nicht  Erdspalten  sind,  sondern  das  Werk  fließenden 
Wassers,  zeigen  die  Regenrinnen,  die  nach  starken  Regengüssen  sich 
fast  überall  beobachten  lassen.  Auf  solche  Kleinformen  muß  das 
Auge  des  Schülers  möglichst  frühzeitig  eingestellt  werden. 
Sandbänke  und  selbst  Terrassen  lassen  sich  hierbei  vielfach  gut  erkennen. 

Die  Küsten. 

Flutet  das  Meer  über  das  Land,  so  entsteht  eine  reich  gegliederte  Küste, 
deren  Charakter  je  nach  der  Art  des  überfluteten  Landes  wechselt  (Senkungs- 
küste oder  Rias).  Die  Täler  bilden  dann  Buchten,  während  Hügel  als  Inseln 
aufragen  (südchinesische  Küste);  werden  Seen  überflutet,  so  entstehen 
Förden  und  Fjorde.  Bemerkenswert  ist  es,  daß  namentlich  die  polwärts 
des  40.  Breitenkreises  gelegenen  Küsten  durchgehend  durch  Überflutung 
reich  gegliedert  sind. 

An  der  Südinsel  Neuseelands  und  Tasmanien  zeigen  das  schon  unsere 
AtJaskarten.  Im  Westen  Nordamerikas  beginnt  diese  Küstenform  vom 
47.  Breitenkreise  an,  im  Osten  schon  vom  35.  Die  südamerikanische  Küste 
ist  südlich  des  42.  Grades  stark  gegliedert,  die  spanische  nordwärts  vom 


fi/^'       ^S\   f""^^^*  Dunen 

^/  _>Wind 

10.  Deutsche  Ostseeküste. 

42.  Grade  an.  Die  britischen  Inseln  zeigen  fast  durchweg  derartige  Küsten- 
formen, ebfenso  Frankreich,  Skandinavien  und  Dalmatien.  In  Südafrika  fehlen 
sie,  da  es  nicht  genügend  weit  polwärts  reicht.  In  den  niederen  Breiten 
finden  wir  im  Bereich  der  Mittelmeere  (Ägäisches  Meer,  Karibisches  Meer, 
indoaustralische  Meere)  vielfach  Senkungsküsten. 

Aber  an  den  Senkungsküsten  beginnt  die  Brandung  zu  arbeiten,  indem 
sie  die  Vorsprünge  abschleift  und  die  Buchten  zuschwemmt.  Je  weicher  das 
Material  ist,  das  die  Küsten  aufbaut,  um  so  schneller  gelingt  die  Begradigung. 

Die  Felsküsten  der  Bretagne,  der  Normandie,  von  Cornwallis,  Wales, 
Schottland  und  Irland  heben  sich  auf  den  Karten  durch  ihre  reiche 
Gliederung  gut  von  den  aus  weichen  Gesteinen  bestehenden  be- 
gradigten Küsten  des  übrigen  England  und  Nordfrankreich  ab.  Auch  an 
der  Ostseeküste  ist  dieser  Gegensatz  erkennbar,  und  ein  Vergleich  mit  der 
geologischen  Karte  lehrreich. 

Ein  prächtiges  Beispiel  der  Abhängigkeit  vom  Winde  sind  die 
norddeutschen  Küsten.  Durch  weiches  diluviales  Material  begrenzt, 
haben  sie  ihre  unregelmäßigen  Formen  nur  an  solchen  Stellen  bewahrt, 
wo  der  Wind  die  Wellen  vom  Ufer  abtreibt,  oder  wegen  geringer  Aus- 


26  II.  Die  Kontinentalschollen  und  ihre  Oberflächenformen. 

dehnung  der  Wasserflächen  die  Wellenkraft  sich  nicht  ungehindert  ent- 
wickeln kann  (Belt-See,  Teile  der  Kieler  und  Lübecker  Bucht,  Meeresteile 
östlich  von  Rügen  und  der  Greifswalder  Bodden). 

An  allen  anderen  Teilen  der  Küste  ist  diese  begradigt.  Das  von  ehemals 
vorhandenen  Halbinseln  abgetragene  Material  legt  sich  als  sandiger,  mit 
Dünen  besetzter  Streifen  vor  die  Küste,  und  die  innersten  Teile  der  ehe- 
maligen Buchten  bilden  durch  Sandflächen  (auch  Usedom  und  Wollin  sind 
so  angelegt)  vom  Meer  getrennte  Binnenseen  (Ausgleichküste).  Biegt  die 
Küste  um,  so  wächst  unter  dem  Einfluß  der  Westwinde  (und  der  durch  sie 
erzeugten  Küstenströmung!)  der  Sandstreifen  in  das  tiefe  Wasser  und  bildet 
eine  Halbinsel,  die  schließlich  bis  zum  entgegengesetzten  Ufer  einer  Bucht 
sich  verlängern  und  diese  als  Nehrung  abschließen  kann.  Das  abgedämmte 
Wasser,  das  sich  dann  am  östlichen  jüngsten  Teil  der  Nehrung  einen 
Ausweg  sucht,  nennen  wir  Haff.  Münden  Flüsse  in  dieses,  so  wird  es 
allmählich  ausgefüllt,  und  es  entsteht  fruchtbarer  Marschenboden  (Weichsel- 
delta, von  der  Ostsee  durch  eine  sandige  Nehrung  getrennt).  Werden  Haff 
und  Nehrung  unter  den  Meeresspiegel  gesenkt,  so  bleiben  die  hohen  Dünen 
der  Nehrung  als  Inseln  stehen,  während  die  höheren  Teile  der  ehemaligen 
Haffe  die  Marschen  bilden.  Das  während  der  Ebbe  trockengelegte  Gebiet 
wird  Watt  (man  kann  es  durchwaten)  genannt.  Eine  solche  Senkungs- 
küste finden  wir  an  der  Nordsee.  Der  sie  begleitende  Dünenkranz  beginnt 
bei  Dünkirchen  und  ist  nur  noch  in  Holland  und  Jütland  in  größerem  Um- 
fange erhalten,  in  ersterem  Lande  durch  die  jahrhundertelange  Arbeit  des 
Menschen,  ohne  die  ein  großer  Teil  des  Landes  schon  Meeresboden  wäre 
(Dens  Marc,  Batavus  litora  fecit). 

Schön  erkennen  wir  solche  Ausgleichküsten  (Strandseen!)  auch  süd- 
lich der  Garonne  (Les  Landes),  in  Nordapulien,  zu  beiden  Seiten  der  Po- 
mündung  (Haff  =  Lagune  —  lacus  — ;  Nehrung^  Lido  —  litus),  in  großen 
Teilen  der  amerikanischen  Golf-  und  atlantischen  Küste;  endlich  an  der 
Küste  der  Provence.  Hier  wird  der  von  der  Rhone  ins  Meer  geführte 
Schutt  durch  eine  Küstenströmung  nach  Westen  geführt,  so  daß  im  Osten 
der  Handelshafen  Marseille  liegt.  Umgekehrt  liegt  Alexandrien  im  Westen 
der  Nilmündung,  da  eine  ähnliche  Strömung  den  Schlamm  und  Sand  nach 
Osten  führt  (Versandung  der  phönikischen  Häfen;  durch  Vorgebirge 
geschützt  Haifa  und  Beirut!).  Auch  die  Lage  von  Tarragona,  Barcelona  und 
Livorno  wird  erst  so  dem  Schüler  verständlich.  In  vielen  Fällen  erkennt 
man  die  Küstenströmung  an  der  Richtung  der  sandigen  Landzungen  (sie 
geben  die  Richtung  der  Strömung  an!)  und  an  den  Stellen,  wo  Nehrungen 
durch  Flüsse  unterbrochen  werden  (afrikanische  Küsten,  Walfischbai,  süd- 
brasilische Küste). 

Eine  gehobene  Küste  erkennt  man  meist  an  Strandlinien,  wofür 
sich  überall  im  Freien  nach  Regengüssen  kleine  Modelle 
finden.  Ich  erwähnte  schon,  daß  man  auch  die  Ausdehnung  von  Binnen- 
seen während  der  Fluvialzeit  an  ihnen  ersieht.  Wie  weit  die  Entstehung 
der  Schelfs  auf  die  anschwemmende  Arbeit  der  Flüsse  zurückzuführen 
ist,  läßt  sich  naturgemäß  nicht  immer  genau  entscheiden.  Sicher  liegen 
Aufschüttungsschelfs  in  folgenden  Meeresteilen  vor:  Gelbes  Meer,  Teil 
des  Ostchinesischen  Meeres,  Golf  von  Tonking,  Mündungen  von  irrabadi, 


Morphologie  als  Praktikum.  27 

Ganges,  Narbada,  Senegal,  Gambia,  Sambesi,  Nil,  Amazonenstrom,  Golf 
von  Lion,  nördliches  Schwarzes  Meer,  Adriatisches  Meer  nnd  Persischer 
Golf.  (Beweis:  Plötzliche  Verbreiterung  des  Schelfs!)  Die  Neufund- 
landbankentstand  durch  Schmelzen  der  Eisberge  im  warmen  Golfstrom. 
Vorbedingungen  für  die  Entstehung  von'  Korallenriffen  (Biologie- 
unterricht!) sind:  Gleichmäßige  Wassertemperatur  von  mehr  als  20  Grad, 
Küste  ohne  Brandungswellen,  kein  Brackwasser  (Flußmündungen!),  lang- 
same Senkung,  kein  kaltes  Tiefenwasser  (vgl.  nächstes  Kapitel).  Man  lasse 
nun  die  Schüler  die  Koralleninseln  selbst  suchen  und  ihr  Fehlen  an  großen 
Teilen  der  tropischen  Küsten  begründen  (dazu  Verbreitungsskizzen  an  der 
Tafel,  einige  Strichzeichnungen). 

Morphologie  als  Praktikum. 
Den  morphologischen  Unterricht  denke  ich  mir  also  als  eine  Art  Prak- 
tikum, in  dem  möglichst  nur  der  Atlas  und  Abbildungen  benutzt  werden 
und  es  auf  »Vollständigkeit«  gar  nicht  ankommt.  Stets  aber  soll  auf 
Spaziergängen  auf  Kleinformen  geachtet  werden,  die  Modelle  zu  den 
Großformen  liefern.  Aus  der  schon  jetzt  für  den  Fachmann  beinahe  un- 
übersehbaren Fülle  habe  ich  das  herausgegriffen,  was  meines  Erachtens 
sich  im  Unterricht  am  besten  erarbeiten  läßt,  und  bin  mir  der  Unvoll- 
ständigkeit  dieser  Zeilen,  die  aber  wohl  manchen  zu  neuer  Betrachtungs- 
weise anregen  werden,  wohl  bewußt. 

III.  Die  ozeanischen  Becken. 

Aus  der  Erwägung,  daß  beinahe  drei  Viertel  der  Erdoberfläche  auf  das 
Weltmeer  entfallen  und  zahlreiche  Formen  des  Landes  sich  auch  unter 
demselben  fortsetzen,  erkennen  wir,  daß  auch  die  »Meereskunde«  ein- 
gehend behandelt  werden  muß.  Vorteilhaft  ist  dabei,  daß  zahlreiche 
Einzelheiten  in  Nachbarfächern  erarbeitet  werden  können. 
Der  zoologische  Unterricht  behandelt  die  Meerestiere  und  Korallenbauten, 
die  Wärmelehre  die  Temperaturverteilung  im  Meere  und  die  Meeres- 
strömungen, die  Chemie  die  Zusammensetzung  des  Meerwassers  und  seine 
Ausscheidungen.  Die  Elektrizitätslehre  knüpft  bei  der  Besprechung  der 
Kabel  an  Tiefenmessungen  an;  dies  führt  zu  den  wissenschaftlichen  For- 
schungsreisen (Challenger,  Valdiviaexpedition).  Empfehlenswert  ist  eine 
größere  Berücksichtigung  der  Meerestiefen  auch  auf  den  Schulwand- 
karten, um  die  Beziehungen  zwischen  den  Erdteilen  und  umliegenden 
Meeren,  ohne  die  z.  B.  Australiens  Natur  und  Entstehung  unverständlich 
bleibt,  besser  herausarbeiten  zu  können^). 

Gliederung  der  Meere. 
Gliedern  wir  die  Meere  nach  ihrer  räumlichen  Verteilung,  so  unterscheiden 
wir  die  eigentlichen  Ozeane  und  die  Nebenmeere,  die  entweder  Über- 
flutungen  der  Kontinentalblöcke  (Nordsee),  oder  Einbrüche  in    diese 


^)  Ausgezeichnet  eignen  sich  hierzu  die   physikalischen  Karten   von  Haack 
und  Groll. 


28  HI.  Die  ozeanischen  Becken. 

(Schwarzes  Meer)  sind.  Wir  teilen  die  Nebenmeere  in  Randmeere  und 
Mittelmeere,  zwischen  denen  es  namentlich  in  Indonesien  zahlreiche 
Übergänge  gibt.  Daß  die  Mittelmeere  eine  in  Form  eines  größten  Kreises 
angeordnete  Zone  von  Kesselbrüchen  darstellen,  wurde  schon  erwähnt. 
Treffend  spricht  Rohrmann  von  einem  »Verkehrsäquator«,  dessen  weiterer 
Ausbau  durch  den  Suezkanal  und  den  Panamakanal  erfolgte. 

Gliedern  wir  die  Meere  nach  der  Tiefe,  so  unterscheiden  wir  die  flachen 
Schelfe  von  den  eigentlichen  Tiefenbecken,  die  große,  flache  Wannen 
mit  steilgestellten  Rändern  darstellen  und  durchschnittlich  4000  m  tief 
sind.  In  sie  erscheinen  lokal  die  größten  Tiefen  meist  als  langgesfreckte 
Tiefseegräben  eingesenkt.  Diese  liegen  zumeist  am  Rande  der  Ozeane 
und  sind  mit  den  Zonen  der  Faltengebirge  verknüpft,  mit  denen  sie 
genetisch  im  Zusammenhang  zu  stehen  scheinen. 

Die  Schelfe. 

Bei  den  Schelfen  unterscheiden  wir  Aufschüttungsschelfe  und  Über- 
ftutungsschelfe;  erstere  können  sowohl  durch  Flußanschwemmung,  wie 
durch  die  Arbeit  von  Riffkorallen  —  Bahamainseln,  Malediven  —  ent- 
standen sein.  Aufschüttungsschelfe  liegen  meist  an  der  Mündung  großer 
Ströme  —  man  verfolge  den  Verlauf  der  200-m-Linie  zur  Küste!  — ,  wo 
sie  nur  dann  fehlen,  wenn  Strömungen  den  Schutt  wegführen,  wie  an  der 
Kongomündung.  Die  aus  den  Ozeanbecken  aufragenden  Inseln  sind  meist 
vulkanischer  Natur,  wenn  sie  vereinzelt  stehen.  Langgestreckte  Inselketten 
sind  als  Reste  untergetauchter  —  oder  erst  entstehender?  —  Faltengebirge 
anzusehen,  die  natürlich  auch  Vulkane  tragen  können  (Hawaizug). 

Durch  schmelzende  Eisberge  entstand  die  Neufundlandbank;  an  der 
Stelle,  wo  die  beiden  durch  den  Kanal  und  die  Shetlandstraße  in  die 
Nordsee  eindringenden  Strömungen  zusammentreffen,  wurde  die  Dogger- 
bank aufgebaut. 

Die  biologische  Bedeutung  der  Schelfe  für  den  Fischfang  erklärt  sich 
daraus,  daß  sie  Laichgebiete  der  Hochseefische  sind  und  als  die  einzigen  durch- 
lichteten Teile  des  Meeres  auch  die  Mehrzahl  der  Bodentiere  beherbergen. 

Daß  die  auffallend  gleiche  Tiefe  der  Ozeane  auf  gleichartige 
Entstehung  hinweist,  bemerkte  zuerst  Alfred  Wegener.  Auch  kann  erwähnt 
werden,  daß  den  Großen  Ozean  fast  allseitig  Kettengebirge  und  Vulkan- 
reihen umgeben  (Pazifischer  Typ),  während  den  Atlantischen  und  Indischen 
Ozean  meist  Großschollen  umrahmen  und  ihre  Küsten  die  Kettengebirge 
(Atlas,  Kantabrisches  Gebirge,  Appalachen,  Südafrikanisches  Gebirge)  meist 
quer  abschneiden  (Altantischcr  Typus). 

Meeresboden  und  Sedimente. 

Die  Zuschüttung  der  Ozeane  erfolgt  von  den  Küsten  aus,  wo  die 
Flüsse  Schlamm  und  Sand  ablagern.  Die  Mächtigkeit  dieser  Ablagerungen 
nimmt  naturgemäß  von  den  Küsten  aus  ab.  An  steilen  Felsküsten  wird 
das  abbröckelnde  Gestein  von  der  Brandung  zu  einem  groben  Kies  zer- 
rieben, der  durch  Strömungen  auch  entlang  der  Küste  verschleppt  wird. 
Salzablagerungen  finden  heute  nur  an   Binnenseen  statt.    Im  kleinen 


Wärnieverteilung  im  Ozean.  29 

wird  dieser  Prozeß  in  warmen  Klimaten  (z.  B.  Mittelmeer)  nachgemacht, 
indem  man  das  Meerwasser  in  Teiche  leitet  und  verdunsten  läßt  (Salinae!). 
Während  Sand  und  Schlamm  in  der  Nähe  der  Küste  abgelagert  werden, 
transportieren  die  Meeresströmungen  die  feinsten  Teilchen  in  die  Hochsee, 
wo  sie  dann  allmählich  zu  Boden  sinken,  vermengt  mit  durch  Winde  ver- 
frachtetem Vulkanstaub  und  den  Panzerschalen  von  Globigerinen,  Ptero- 
poden,  Diatomeen  und  Radiolarien.  Es  bedeckt  der  Globigerinenschlamm 
(kalkhaltig!)  die  ozeanischen  Tiefen  etwa  von  3000  m  ab,  während  wir  in 
den  Tiefen  über  5000  m  meist  den  kalkfreien  roten  Tiefseeton  auf  aus- 
gedehnten Flächen  finden.  Er  ist  bezeichnenderweise  am  meisten  im 
Pazifik  und  seinen  geringen  Zuflüssen  verbreitet,  am  wenigsten  im  Atlantik, 
in  den  große  Ströme  münden.  Im  Bereiche  der  Schmelzwässer  (kalbende 
Eisberge,  deren  Schutt  zu  Boden  sinkt!)  der  polaren  Inlandeisdecken  stellen 
sich  wieder  gröbere  tonigsandige  Ablagerungen  ein.  Je  geringer  die 
Bewegung  des  Wassers  ist,  um  so  feinkörniger  wird  also  das 
Sediment.  An  den  Küsten  sind  sandige  Ablagerungen  die  Regel,  oft  werden 
sie  unter  Mitwirkung  des  Windes  zu  hohen  Dünen  aufgeweht.  In  den 
durch  Dünen  vom  offenen  Wasser  abgeschlossenen  Haffen  sammeln  sich 
infolge  des  ruhigen  Wassers  feine,  als  Schlick  bezeichnete  Tone  an.  So 
entstand  in  früherer  Zeit  der  Marschboden  der  Nordseeküste,  der  heute 
nach  Durchbrechung  der  Nehrungen  wieder  zerstört  wird. 

Die  Lehre  von  den  Sedimenten  behandelt  man  am  besten  im  bio- 
logischen Unterricht;  in  dem  Naturkundeunterricht  der  Tertia  wird 
ihr  vorgearbeitet  bei  Betrachtung  der  Gehäuse  bauenden  Protozoen  (Glo- 
bigerinen und  Radiolarien;  Haeckel,  Challenger!).  Aber  auch  bei 
Besprechungen  vieler  mariner  Tiere  (Korallen,  Oktopoden,  Muscheln!)  muß 
unbedingt  auf  den  Meeresboden  hingewiesen  werden,  dessen  Beschaffenheit 
von  größter  Bedeutung  für  Lebensweise  und  Bau  derselben  ist.  Hat  man 
neben  einer  Gesteinssammlung  die  Fraasschen  Tafeln  der  geologischen 
Zeitalter  zur  Hand,  so  kann  in  Konzentration  mit  dem  mineralogischen 
Unterricht  eine  propädeutische  Geologie  behandelt  werden  (Bedeutung 
der  Muscheln  und  Kopffüßler  als  Leitversteinerungen,  Entstehung  der 
Versteinerungen !) 

Wärmeverteilung  im  Ozean. 

Die  Lehre  von  der  Verteilung  der  Wärme  im  Ozean  kann  im  An- 
schluß an  den  Physikunterricht  erarbeitet  werden,  wobei  namentlich  das 
kalte  Tiefenwasser,  das  Auftriebwasser  und  die  Lehre  von  Ebbe  und 
Flut  behandelt  werden.  Zum  Verständnis  des  folgenden  Abschnitts  über 
die  Lebewelt  sei  mitgeteilt,  daß  sich  in  der  vertikalen  Temperaturanordnung 
der  Ozeane  mit  Ausnahme  der  polaren  Meere  überall  eine  Dreiteilung 
zeigt  (Näheres  bei  Supan  S.  341  ff.).  Eine  Oberschicht  weist  starke 
Temperaturabnahme  auf  und  ist  etwa  200  m  mächtig.  Die  Temperatur 
sinkt  hier  am  Äquator  von  durchschnittlich  28**  auf  14°.  Es  folgt  eine 
800  m  mächtige  Mittelschicht,  in  der  die  Temperatur  auf  4  —  6°  sinkt, 
und  endlich  eine  mehrere  tausend  Meter  mächtige  Unterschicht  mit  sehr 
langsamer  Abnahme,  so  daß  bei  4000  m  Tiefe   durchschnittlich  1  —  l"" 


30  III.  Die  ozeanischen  Becken. 

erreicht  werden.  Die  kalten  Boden wässer  (unter  1")  der  südlichen 
Ozeane  werden  allgemein  von  den  schmelzenden  Eiswässern  des  Süd- 
polarkontinents hergeleitet,  wogegen  die  arktischen  Meere  untermeerische 
Rücken  von  den  übrigen  Ozeanbecken  trennen  und  den  Ausgleich  des 
Bodenwassers  verhindern.  Von  größter  geographischer  Bedeutung  ist 
die  20*'-Isotherme  des  Meereswassers,  da  unter  ihr  keine  Bauten  von 
Riffkorallen  mehr  vorkommen.  Sie  muß  unbedingt  auch  in  jede  tier- 
geographische Karte  eingezeichnet  werden. 

Die  Strömungen.    , 

Der  Golfstrom,  der  Kuro-Shiwo  und  die  West  winddrift  der  süd- 
lichen Halbkugel  sind  durch  die  darüber  wehenden  westlichen  Winde  be- 
dingt (gezwungene  Strömungen).  Die  beiden  ersteren  sind  von  unendlicher 
Bedeutung,  da  sie  das  warme  tropische  Wasser  bis  in  hohe  Breiten  bringen 
und  dort  als  »Warmwasserheizung«  wirken.  Was  wäre  Europas  Kultur 
ohne  den  Golfstrom?  Als  Ausgleich  entstehen  neue  Strömungen  (auch 
als  freie,  d.  h.  vom  Wind  unabhängige  bezeichnet),  wie  der  Kanarische  Strom, 
der  Kalifornische  Strom,  der  Nord -Äquatorialstrom  und  andere.  Die 
kreisförmigen  Strömungswirbel,  die  sich  nur  auf  von  Land  umgrenzten 
Ozeanen  entwickeln  (vgl.  dagegen  das  Südliche  Eismeer!),  behandle  man 
auf  Grund  der  Karte.  Es  kommt  hier  weniger  auf  Vollständigkeit  an,  als 
auf  das  geographisch  Wichtige.  Die  Fahrt  des  Kolumbus,  der  Seeverkehr 
zwischen  Ostafrika  und  Indien,  die  Besiedlung  Madagaskars  durch  Malaien 
und  endlich  die  Besiedlung  Neuseelands  und  der  Südseeinseln  (bei  letz- 
teren auch  die  Pflanzenwelt)  sind  überhaupt  erst  durch  Hinzuziehung  der 
Meeresströmungen  zu  erklären.  Daß  der  Schüler  ihre  Richtung  oft  aus 
der  Anordnung  der  Landzungen  erkennt,  erwähnte  ich  schon  im  vorigen 
Kapitel.  Bewegt  sich  eine  Meeresströmung  vom  Lande  ab,  so  steigt  das  kalte 
Tiefen wasser  auf  (Nebelbildung!)  und  wirkt  abkühlend.  Liegen  solche 
Küsten  an  tropischen  Meeren,  fehlen  Korallenbauten  (Westküsten  von 
Südamerika  und  Afrika). 

Die  Farbe  des  Meerwassers  hängt  in  großem  Umfange  von  der 
Verunreinigung  durch  mitgeführte  Schwebestoffe  ab.  Das  reine  Wasser 
ist  tiefblau  und  auf  die  an  Plankton  (warum?)  armen  ruhigen  Gebiete 
außerhalb  der  Strömungen  beschränkt.  Blau  ist  also  die  Farbe  der  Wüsten 
des  Meeres.  Innerhalb  der  Strömungen  wechselt  die  Farbe  je  nach  der 
Menge  der  mitgeführten  Sedimente  von  Blaugrün  über  Schilfgrün  bis  Gelb. 
Letztere  Farbe  finden  wir  besonders  an  den  Mündungen  der  großen  Flüsse. 
Sie  kann  sich  auf  ganze  Meeresteile  übertragen  (Gelbes  Meer).  Im  Durch- 
schnitt dringen  die  letzten  Lichtstrahlen  bis  etwa  400  m  tief  in  das  Wasser. 
Diese  dünne,  belichtete  Oberschicht  bildet  das  Wohngebiet  der  Wasser- 
pflanzen (Tange,  Algen)  und  der  zahlreichen  von  ihnen  sich  ernährenden 
Planktontiere.  Darunter  liegt  die  dunkle,  tierarme  Tiefseeregion  (Leucht- 
organe), über  deren  Aufbau  wir  dank  der  großen  Expeditionen  der  letzten 
Jahre  immer  klarer  sehen. 


IV.  Die  Lufthülle. 


sookm 


Bedeutung  der  Lufthülle. 

Die  Lufthülle  hat  für  die  Erde  eine  doppelte  Bedeutung.  Einmal  er- 
möglicht sie  infolge  ihres  Gehaltes  an  Sauerstoff  und  Kohlensäure 
^inen  wichtigen  Teil  des  Stoffwechsels  der  Lebewesen  (Assimilation  und 
Atmung),  sodann  sammelt  sie  wie  das  Glasdach  eines  Treibhauses 
die  Sonnenwärme  und  macht  erst  dadurch 
die   Erde   für  viele    Lebewesen  bewohnbar. 

Die  Behandlung  der  Atmosphäre  wird  ein- 
geleitet durch  die  Physik  in  Obertertia  und 
Sekunda.  Hier  werden  Barometer  und  Ther- 
mometer, die  Abnahme  des  Luftdruckes  und 
die  Luftbewegung  infolge  verschiedener  Er- 
wärmung behandelt,  das  Wesen  der  Konden- 
sation des  Wasserdampfes  und  der  Registrier- 
ballon besprochen.  Im  Anschluß  an  die 
Elektrizitätslehre  findet  dann  auch  eine  Be- 
handlung der  elektrischen  Erscheinungen 
(Gewitter,  Nordlichter)  statt,  so  daß  der  eigent- 
liche Erdkundeunterricht  in  Obersekunda  auf 
diesem  Material  erfolgreich  aufbauen  kann, 
wenn  die  kollegiale  Konzentration 
richtig  durchgeführt  wird. 

Nach  den  jüngsten  Forschungen  erstreckt 
sich  die  Atmosphäre  bis  in  die  gewaltigen 
Höhen  von  500  km. 

Die  unterste,  etwa  12  km  dicke  Schicht 
ist  die  Troposphäre,  auf  die  infolge  des 
Gehaltes  an  Sauerstoff  allein  das  Leben  be- 
schränkt ist.  Sie  ist  der  Schauplatz  der 
Wolkenbildung  und  der  als  Winde  bekannten 
Strömungen  und  reicht  bis  zu  der  Umkehr- 
schicht, deren  geringe,  über  die  ganze  Erde 
nachweisbare  Temperaturerhöhung  durch  die 
totale  Reflexion  ultraroter  Lichtstrahlen  erklärt 
wird. 

Bis  zu  70  km  Höhe  reicht  die  meist  aus  Stickstoff  bestehende  Strato- 
sphäre, deren  Bestandteile  wir  aus  der  Beobachtung  der  Sternschnuppen 
(daher  ihre  Wichtigkeit!)  kennen.  Bis  etwa  250  km  folgt  eine  aus  Wasser- 
stoff bestehende  Hülle,  in  der  sich  neben  Sternschnuppen  die  tieferen 
Nordlichter  (Geißlersche  Röhren!)  finden.  Zuletzt  folgt  eine  Schicht  mit 
Geokoronium,  die  durch  die  Beobachtung  der  höheren  bandenförmigen 
Nordlichter  bis  auf  500  km  Höhe  bekannt  ist. 

Für  den  Erdkundeunterricht  kommt  also  besonders  die  Troposphäre 
in  Betracht,  weil  sich  in  ihr  das  Leben  und  die  es  bedingenden  Luft- 
strömungen abspielen. 


Geokoronium 


25ckm 


Wasserstoff 
/     /Sl'ern3x;hXupp6n 


Draperien 
MQtQore 


10 


JJ 


VVolken  hülle 


n.  Die  Lufthülle. 


32 


IV.  Die  Lufthülle. 


wwwwww / 


Bewegungen  in  der  Lufthülle. 

Ist  ein  Weltkörper  von  einer  Lufthülle  umgeben,  so  eilt  diese  infolge 
größerer  Beweglichkeit  bei  der  Drehung  dem  festen  Kern  voraus,  und 
es  entstehen  parallel  dem  Äquator  angeordnete  Strömungen,  die  sich 
bei  der  Erde  auf  die  gemäßigte  Zone  beschränken,  aber  bei  Jupiter  und 
Saturn  die  ganze  Lufthülle  beherrschen.  Das  sind  die  planetarischen 
Winde  (auf  der  Erde  als  Westdrift  bezeichnet),  die  nur  der  Rotation  ihre^ 
Entstehung  verdanken.  In  sie  schieben  sich  die  als  Maxima  und  Minima" 
bezeichneten  Wirbel  (Vergleich:  die  Wirbel  eines  Flusses!),  die  auf  be- 
stimmten Bahnen  wandern  und  von  größter  Bedeutung  für  unser  ab- 
wechslungsreiches Klima  sind,  das  ohne  sie  nur  Westwinde  aufwiese. 
Naturgemäß  ist  die  Zone  der  planetarischen  Winde  auf  der  wasserreichen 
Südhalbkugel  besser  ausgebildet  als  auf  der  NordhalbkugelJ  mit  ihrem 
reichen  Wechsel  von  Wasser  und  Land. 

Ein  zweites  Windsystem  bildet  sich  zu  beiden  Seiten  des  Äquators  in- 
folge der  stärkeren  Erwärmung  dieses  Gebietes  aus. 

Die  zu  beiden  Seiten  

des  Äquators  erwärmte  .^^^^or~"^'"t^>><rWesfdrifr 

Luft  steigt  infolge  ihres 
geringeren  Gewichtes 
in  die  Höhe  und  gibt 
die  enthaltende  Feuch- 
tigkeit als  Regen  ab 
(Steigungsregen  der 
Tropen,  auf  der  Erd- 
oberfläche die  wind- 
stillen Zonen  der  Kal- 
men). Zum  Ausgleich 
strömen  von  beiden 
Seiten  Luftmassen  her- 
bei, die  auf  der  Nord- 
halbkugel (Beharrungsvermögen)  nach  rechts,  auf  der  Südhalbkugel  nach 
links  abgelenkt  werden;  das  sind  die  breiten  Zonen  der  Passate,  wichtig 
für  die  Entstehung  vieler  Meeresströmungen.  Die  über  dem  Äquator 
aufsteigenden  Strömungen  fließen  dann  polwärts  als  Antipassate  ab 
und  sinken  im  Bereiche  der  Wendekreise  wieder  auf  die  Erdoberfläche 
herab,  um  von  neuem  durch  die  Passate  verfrachtet  zu  werden.  Wo  diese 
Winde  herabsinken,  liegen  die  windstillen  Zonen  der  Roß  breiten  mit 
ihrem  Trockenklima.  Das  sind  die  Zonen  der  klimatischen  Wüsten, 
die  sich  in  zwei  breiten,  die  Wendekreise  umsäumenden  Gürteln  um  die 
Erde  ziehen  (Wendekreiswüsten!).  Von  ihnen  unterschieden  sind  andere 
Wüsten,  die  durch  die  Gliederung  der  Landoberflächcnformen  bedingt 
sind  und  meist  zwischen  den  Regen  abhaltenden  Faltengebirgen  liegen 
(Wüsten  Nordamerikas  und  Zentralasiens).  Das  sind  Becken  wüsten, 
die   ganz  anderen  Faktoren  ihre  Entstehung  verdanken. 

Eine  weitere  Komplikation  wird  durch  die  Schiefstellung  der  Erd- 
achse bedingt.  Mit  dem  wechselnden  Stande  der  Sonne  wandern  die 
Passate,  und  es  finden  sich  auf  beiden  Halbkugeln  Gebiete,  die  bald  in  der 


'^^Rossbreifen 


12.  Schema  der  Klimazonen. 


Die  Klimazonen.  33 


Westdrift  liegen  und  ihre  Regenzeit  haben,  bald  dem  Gürtel  der  absteigen- 
den Antipassate  (Trockenzeit)  angehören.  Da  dieses  Klimagebiet  besonders  in 
den  Mittelmeerländern  ausgeprägt  ist,  spricht  man  von  einem  Mittelmeer- 
klima (Winterregen).  Es  findet  sich  auch  in  entsprechenden  Breiten  an 
den  Westseiten  der  anderen  Erdteile,  so  in  Kalifornien,  Chile,  dem  Kap- 
land und  Westaustralien.  Nach  der  Charakterpflanze  bezeichnet  es  Köppin 
treffend  als  Weinklima.  Entsprechend  seiner  Übergangsstellung 
werden  die  Sommer  nach  Süden  zu  immer  regenärmer,  wie  folgende 
Werte  des  Anteils  der  Sommer-  und  Frühjahrsregen  (in7o)  zeigen:  Poebene 
51,  Florenz  41,  Rom  33,  Neapel  31,  Palermo  30,  Malta  18.  In  Malta 
sind  schon  6  Monate  ohne  jeden  Niederschlag.  Die  Entwicklung  des 
Mittelmeerklimas  eignet  sich  gut  zu  immanenter  Wiederholung  in  Unter- 
sekunda bei  Behandlung  Südeuropas. 

Ein  besonders  wichtiges  Windsystem  sind  die  Monsune. 
Im  Sommer  wird  die  Luft  über  Hochasien  erwärmt  und  steigt  in  die 
Höhe.  Zum  Ausgleich  strömt  von  den  benachbarten  Meeren  die  Luft  ins 
Land  und  bringt  üppigste  Regenfälle.  Im  Winter  fließt  die  erkaltete  Luft 
von  Hochasien  ab;  es  entstehen  trockene,  seewärts  gerichtete  kalte  Winde. 
Halbjährlich  wechselnde  Monsune  sind  auch  von  eminenter  Bedeutung  für 
den  Seeverkehr  zwischen  Vorderindien  und  Ostafrika  (Fahrt  des  Vasco  de 
Gama).  In  Nordchina  kennzeichnen  die  Landmonsune  den  Winter,  auch  in 
Südchina  kommen  bis  Kanton  große  Temperaturstürze  vor,  während  sie  von 
Indien  durch  die  hohen  Gebirge  abgehalten  werden.  Überhaupt  kann  auf  die 
Bedeutung  ostwestlich  streichender  Gebirge alsSchutz  gegen  kalte 
Nordwinde  vielfach  hingewiesen  werden  (Südküste  der  Krim,  Riviera,  Rhein- 
gau, südspanische  Küste,  Provence).  Im  Gebiete  der  Westdrift  sind  wiederum 
nordsüdlich  verlaufende  Gebirgszüge  nicht  unwichtig,  da  sie  regenreiche  von 
regenarmen  Gebieten  trennen.  Besonders  gut  zeigen  das  die  Erghenihügel  in 
Südrußland,  in  abgeschwächtem  Maße  der  Ural,  viele  der  deutschen  Mittel- 
gebirge, die  Gebirge  der  britischen  Inseln  und  das  norwegische  Hochland, 
das  von  Schweden  zugleich  die  vom  Golfstrom  stammende  Wärme  abhält. 

Im  Anschluß  an  die  Monsunwinde,  die  in  kleinerem  Umfange  auch 
auf  den  übrigen  Kontinenten  während  der  heißen  Sommermonate  auf- 
treten, sei  auf  die  an  jeder  Küste  bekannten  Land-  und  Seewinde 
hingewiesen,  sowie  auf  Bora  und  Föhn. 

Die  Klimazonen. 

Die  verschiedene  Erwärmung  der  Erdoberfläche  kommt  in  den  Klima- 
zonen zum  Ausdruck,  von  denen  üblicherweise  die  Tropenzone,  die 
gemäßigten  Zonen  und  die  kalten  Zonen  unterschieden  werden,  die  durch 
die  Wendekreise  und  Polarkreise  voneinander  abgegrenzt  werden. 

Aber  diese  rein  mathematischen  Linien  decken  sich  jedoch  keineswegs 
mit  irgendwelchen  Grenzlinien  der  Tier-  und  Pflanzenverbreitung,  oder 
mit  irgendwelchen  klimatischen  Kurven  und  sollten  nun  endlich  als 
Grenzlinien  fallen  gelassen  werden.  Ich  gebe  hier  die  Einteilung 
wieder,  die  ich  meist  im  Anschluß  an  den  botanischen  Unterricht  der 
Untersekunda  aufstelle,  und  die  auch  im  Wirtschaftsleben  der  Erde  am 
besten  zum  Ausdruck  kommt. 

0 1  b  r  i  dl  t ,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  3 


34  IV.  Die  Lufthülle. 


Geringe  Temperaturschwankungen  (weniger  als  5  Grad)  und  große 
Regenmengen  (mehr  als  1500  cm)  an  den  Küsten  kennzeichnen  die  Tropen- 
zone, die  in  eine  zentrale  (Regen wälder)  und  äußere  (Grasländer  und 
Savannen)  Region  zerfällt.  Gummibäume,  Ölpalmen,  Kaffee,  Kakao,  Ge- 
würze und  Bananen  sind  ihre  wichtigsten  Leitpflanzen,  während  Reis, 
Zuckerrohr  und  Baumwolle  auch  in  die  Subtropen  reichen.  Eine  Abart 
der  Tropenzone  ist  die  regenreiche  Monsunzone  mit  der  Teepflanze 
(Teeklima).  Große  Trockengebiete  mit  der  Dattelpalme  in  Asien  und 
Nordafrika,  den  Kakteen  in  Amerika  und  den  Grasbäumen  in  AustraUen 
sind  Kennzeichen  der  Subtropenzonen,  die  poJwärts  bis  zur  Palmen- 
grenze reichen.  Baumwolle,  Reis  und  Zuckerrohr  sind  in  ihnen  wich- 
tige Nutzpflanzen. 

Die  Zone  der  Hartlaubgewächse  (in  Australien  durch  den  Euka- 
lyptuswald vertreten)  ist  ein  Übergangsgebiet  zur  gemäßigten  Zone,  die 
das  Haupt\'erbreitungsgebiet  unserer  Brotgetreide  ist  und  in  zwei  Gürtel 
zerfällt,  welche  die  Sommerisotherme  von  20°  voneinander  trennt.  Äquator- 
wärts  liegt  die  Weizenzone  mit  Weizen,  Mais,  Weinbau,  Südfrüchten 
und  üppiger  Obstkultur,  polwärts  die  Roggen zone  mit  Gerste,  Hafer  und 
Kartoffeln  bis  zur  Getreidegrenze  reichend.  Aber  auch  die  Hülsenfrüchte, 
die  Futterkräuter  und  die  Zuckerrübe  (man  erinnere  an  die  Kontinentalsperre, 
die  das  Monopol  des  Rohrzuckers  brach!)  sind  wichtige  Nutzpflanzen  der 
gemäßigten  Zone,  in  deren  wärmeren  Teilen  der  Laubwaid  überwiegt. 

Jenseits  der  Getreidegrenze  beginnt  die  Polarzone,  äquatoru'ärts  ein- 
geleitet durch  den  breiten  Gürtel  der  Nadel-  und  Birkenwälder,  der  schon 
das  Landschaftsbild  der  polaren  Teile  der  Roggenzone  beherrscht.  Erst 
jenseits  dieser  Nadelwaldzone  mit  ihrem  riesigen  Reichtum  an  Pelz- 
tieren setzt  die  Tundrazone  mit  ihren  Renntieren  ein,  mit  der  das  Leben 
gegen  die  Eis-  und  Schneefelder  der  Pole  hin  erstirbt^). 

Von  diesen  liegt  heute  das  größte  in  der  Antarktis,  deren  riesiges  Inland- 
eis abkühlend  auf  die  angrenzenden  Meere  und  damit  auch  auf  die  Süd- 
kontinente wirkt  (Verlauf  der  Isothermen!)  und  gewissermaßen  ein  Über- 
bleibsel der  Eiszeit  ist.  In  dieser  lagen  abgesehen  von  der  stärkeren  Ver- 
gletscherung der  Gebirge  auch  über  Nordamerika  und  Nordeuropa  zwei 
riesige  Inlandeisdecken. 

Die  Eiszeit. 

Das  sind  Fragen,  die  im  Unterricht  schon  darum  behandelt  werden 
müssen,  weil  sie  sich  leicht  aus  den  Atlaskarten  erarbeiten  lassen. 

Wie  ein  solches  Eis  wirkt,  erkennen  wir  am  besten  an  Grönland,  dessen 
Gletscher  gewaltige  Schuttmassen  ins  Meer  führen  und  auf  den  abbrechen- 
den Eisbergen  nach  Süden  verfrachten.  Das  Schmelzen  der  ersten  in  Grön- 
land kalbenden  Eisberge  wirkt  auch  auf  den  Golfstrom  und  die  von 
ihm  berührten  Länder  abkühlend;  hierdurch  erklärt  man  neuerdings 
die  Eisheiligen! 

')  An  Fläche  bedecken  auf  den  Festländern:  die  Tropenzone  26  Millionen  km^ 
(18%),  die  Subtropen  37  Millionen  (25%),  Weizenzone  37,5  (25  »/o),  Roggenzone 
13,  Nadelwaldzonc  10  (7'',o)  und  die  Polarzone  22  (15%). 


Die  Eiszeit. 


35 


Die  Gletscher  formen  die  Trogtäler.  Diese  Aushobelung  der  Täler 
durch  Gletscher  zeigt  neben  Grönland  auch  das  Alpengebiet.  Schmilzt 
ein  solcher  Alpengletscher  ab,  bleibt  eine  langgestreckte,  oft  am  Rande  von 
Moränenschutt  abgedämmte  Wanne  übrig,  in  der  das  Wasser  einen  See 
bildet.  Rinnenseen  im  Gebirge  sind  also  die  Zungenbecken  ehe- 
maliger Gletscher.  Leicht  kann  jetzt  der  Lehrer  mit  der  Klasse  ein  Bild 
von  der  Vergletscherung  der  Alpen  im  Eiszeitalter  rekonstruieren ,  wobei 
es  keiner  Erklärung  bedarf,  warum  in  den  Nordalpen  die  Gletscher  einst 
viel  weiter  ins  Vorland  fluteten  als  im  Süden.  Die  meisten  Schulatlanten 
zeigen  schon  jetzt  brauchbare  Karten  der  die  Seen  umrahmenden  Moränen- 
wälle, die  vor  allem  am  Gardasee  erkennbar  sind. 

Ähnlich  kann  im  Unterricht  die  Ausdehnung  der  großen  Inlandeismassen 
Nordeuropas  und  Nordamerikas,  die  Vergletscherung  des  Schwarzwalds, 
des    Riesengebirges 

und  der  Karpathen, ir  \fisrancl 

des  Felsengebirges, 
der  südchilenischen 
Anden  und  der  Neu- 
seelandalpen aus  den 
Nebenkarten  (Reich- 
tum an  Rinnenseen!) 
erarbeitet  werden, 
wobei  auch  auf  den 
Fjordreichtum  der 
Küsten  in  Gebieten 
ehemaliger  eiszeit- 
licher Vergletsche- 
rung hingewiesen 
werden  muß  0- 

Hierbei  muß  ins- 
besondere verwiesen 
werden  auf  den  Gegensatz  zwischen  dem  vom  Eise  kahlgescheuerten 
Abtragungsgebiet  mit  seinen  Rundhöckern  —  an  den  Küsten  als 
Schären  unter  das  Wasser  getaucht  —  und  den  zum  Ackerbau  wenig  ge- 
eigneten Fels-  und  Geröllgebieten  im  Gegensatz  zu  dem  Aufschüttungs- 
gebiet mit  seinen  fruchtbaren  Lehmböden.  Diese  weichen  nur  im  Ge- 
biete der  Urstromtäler  und  den  den  Moränenwällen  vorgelagerten  Sand- 
flächen weniger  fruchtbaren,  mit  Heide  oder  Kiefernwald  bedeckten  Flächen. 
Gürtelartig  umlagert  die  meisten  ehemaligen  Inlandeisdecken  der  Löß 
(Pampaslehm),  ein  überaus  fruchtbarer  Boden,  der  sich  besonders  zum 
Anbau  von  Zuckerrüben  eignet  und  während  der  Eiszeit  durch  die  von 
den  Eisdecken  herabwehenden  Winde  aufgeschüttet  wurde;  dies  wird 
noch  heute  in  Grönland  und  Antarktika  beobachtet.  Außerdem  bilden 
sich  heute  Löße  auch  in  den  Randzonen  der  Wüsten. 


RinnensGGn  der 
AblTiagungszone 

13.  Nordeuropäisches  Vereisungsgebiet. 


^)  Diese  Senkungserscheinungen  hängen  offenbar  mit  dem  Druck  der 
gewaltigen  Inlandeismassen  zusammen,  nach  deren  Abschmelzen  wieder 
ein  Aufsteigen  des  entlasteten  Landes  erfolgte  (gehobene  Strandlinien  in  Skan- 
dinavien, Nordamerika  und  Antarktika). 


36  V.  Die  Pflanzendecke. 


Die  im  Eiszeitalter  vergletscherten  Gebirge  weisen  eigenartige  Land- 
schaftsformen auf  (steile  Felswände,  tiefe,  oft  von  Seen  erfüllte  Kessel  und 
Becken),  die  man  Hochgebirgsformen  nennt  (Schneegruben  des  Riesen- 
gebirges), im  Gegensatz  zu  den  viel  sanfteren  Mittelgebirgsformen. 
Die  aus  heute  noch  vergletscherten  Gebirgen  abfließenden  Flüsse  haben  durch 
den  Gletscherschlamm  eine  milchweiße  Trübung  (lsar=  Isere,  Eisack),  die 
später  grünlich  wird  (Rhein,  Donau).  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  überhaupt 
die  Flußfarbe  erwähnt.  Aus  Rotsandsteinböden  fließende  Flüsse  sind  meist 
rötlich  (Roter  Main,  Colorado),  Lößflüsse  sind  gelblich  (Hwangho  =  Gelber 
Fluß),  Moor-  und  Urwaldgebiete  entwässernde  Flüsse  weisen  dunkle  Farben 
auf  (Schwarze  Elster,  Schwarzwasser,  Rio  Negro).  Die  in  Wüstengebieten 
fließenden  Flüsse  liegen  große  Teile  des  Jahres  trocken  und  münden  meist 
in  Salzseen  (Wadis).  Ist  der  Blick  des  Schülers  hierfür  geschärft,  so  erkennt 
er  leicht  die  Grenzen  der  großen  Trockengebiete  der  Erde,  wobei  auch 
die  Salzseen  Erwähnung  finden  können. 


V.  Die  Pflanzendecke. 


Mit  Ausnahme  der  eisbedeckten  Polarländer,  der  Hochgebirge  und  der 
Wüsten  spielt  beim  Landschaftsbild  der  Erde  neben  den  Oberflächen- 
formen das  Pflanzenkleid  eine  entscheidende  Rolle.  Wir  können  dabei 
mehrere  große  pflanzengeographische  Gebiete  unterscheiden,  die  in  engem 
Zusammenhang  mit  den  natürlichen  Klimazonen  stehen. 

Die  Pflanzengebiete. 

Das  Nordische  Gebiet  umfaßt  die  Festländer  der  Nordhalbkugel  bis 
zur  Palmengrenze  äquatorwärts.  In  der  Tundra  (Moossteppe)  überwiegen 
Moose,  Flechten  und  Gräser,  dazwischen  Zwergbirken  und  zahlreiche 
Beeren  (Heidelbeergestrüpp). 

Südlich  schließt  sich  ein  ausgedehntes  Waldgebiet  ^)  an,  das  an- 
fangs neben  Birken  nur  Nadelhölzer,  südlich  der  Eichengrenze  aber  auch 
Laubhölzer  enthält  und  vielfach  durch  den  Menschen  in  eine  >  Kultur- 
steppe« verwandelt  wurde.  Den  Wäldern  sind  ausgedehnte  Wiesen  ein- 
gestreut, die  im  westlichen  Europa  oft  Moor-  und  Heidegebieten  weichen. 

In  Ostasien  und  dem  östlichen  Nordamerika  reicht  dieses  Wald- 
gebiet am  weitesten  nach  Süden  und  verändert  sich  wesentlich.  Nörd- 
lich der  großen  Seen  überwiegen  in  Nordamerika  noch  Nadelhölzer,  hier 
besonders  durch  die  Weimutskiefer  vertreten,  weiter  südlich  stellt  sich 
eine  Fülle  von  Laubbäumen  ein,  gegen  die  Europa  ärmlich  ist.  Neben  der 
Hikorywalnuß  finden  wir  zahlreiche  Eichen,  Lorbeerbäume,  den  Essig- 
-baum,  die  Magnolie,  den  Tulpenbaum  und  an  der  Küste  in  großen  Ur- 
wäldern die  Sumpfzypresse.  Der  Herbstwald  strahlt  in  einem  Farben- 
gemisch von  Hellgelb  bis  Zinnoberrot,  dem  sogenannten  Indianersommer. 

Ähnlich  mannigfaltig  ist  der  ostasiatische  Wald,  in  dem  wir  neben 
dem  Tulpenbaum  auch  den  Gingko  finden.  Maulbccr-  und  Kampferbäume 
sind  hier  heimisch,  auch  Aprikose,  Apfelsine  (Chinaapfel)  und  Teestrauch. 


•)  Man  erinnere  auch  an  die  Bedeutung  der  Forstwirtschaft. 


Die  Pflanzenffebiete.  37 


In  beiden  Gebieten  handelt  es  sich  um  die  Reste  des  einst  über  die 
ganzen  Nordkontinente  verbreiteten  tertiären  Waldes,  der  sich 
in  größerem  Umfange  erhalten  konnte,  weil  ihm  die  Möglichkeit  geboten 
war,  in  der  Eiszeit  nach  Süden  zurückzuweichen,  während  in  Europa  die 
langen,  ostwestlich  verlaufenden,  im  Eiszeitalter  vergletscherten  Ketten- 
gebirge und  die  Becken  des  Mittelmeeres  dies  verhinderten.  Noch  in  den 
Braunkohlenlagern  finden  wir  aber  typisch  amerikanisch-ostasiatische  Arten, 
vor  allem  Sumpfzypressen  und  Mammutbäume. 

Das  innerasiatische  Pfanzengebiet  reicht  in  Europa  bis  weit  nach 
Südrußlands  Steppen.  Seine  Pflanzen  (Federgras,  Beifuß,  Gänsefuß,  Königs- 
kerze u.  a.)  sind  der  sommerlichen  Trockenheit  angepaßt,  oder  überstehen 
diese  durch  Knollen-  und  Zwiebelbildung  (Tulpen  und  Hyazinthen). 
Im  Frühling  wachsen  diese  Pflanzen  schnell,  um  die  kurze  Vegetations- 
zeit auszunutzen,  so  daß  sie  sogar  in  reicher  benetzten  Gebieten  die  lang- 
samer wachsenden  Holzgewächse  ersticken  und  so  keinen  Baumwuchs  auf- 
kommen lassen.  Kennzeichnend  fürTurkestan  sind  die  Saxaulsträucher. 

Ölbäume  und  Korkeichen,  der  Maulbeerbaum  und  die  echte  Kastanie 
sind  neben  den  aus  hartlaubigen  Myrten,  Lorbeer,  Buchsbaum  und  Ginster 
bestehenden  Gestrüppen  der  Macchien  Leitpflanzen  des  Mittelmeer- 
gebietes,  das  als  Kulturpflanzen  den  Weinstock  und  die  Südfrüchte  besitzt. 
Die  Nadelhölzer  sind  durch  Pinie  und  Zypresse  vertreten.  Weit  verbreitet 
ist  die  Zwergpalme.  Durch  Ausscheidung  ätherischer  Öle  (Parfümindustrie 
Südfrankreichs)  schützen  sich  namentlich  Thymian,  Lavendel,  Rosmarin  und 
wohlriechende  Rosen  gegen  Austrocknung.  Auch  die  aus  Amerika  ein- 
geführten Kakteen  und  Agaven  sind  vielfach  Charakterpflanzen  des 
Gebietes  geworden. 

Ein  Gegenstück  zum  Mittelmeergebiet  ist  das  neuerdings  durch  riesigen 
Obstanbau  aufblühende  Kalifornien  mit  den  seltsamen  Mammutbäumen. 

An  das  Mittelmeergebiet  schließt  sich  die  Region  der  Sahara,  Arabiens 
und  Südpersiens  an,  deren  Charakterbaum  die  Dattelpalme  ist,  das  Symbol 
des  Orients. 

Das  Tropengebiet  gliedert  sich  in  die  äquatorialen  Urwälder  (Regen- 
wälder), die  subtropischenlichten  Waldgebiete  mit  einzelstehenden  Baum- 
gruppen (Savannen),  die  Grasländer  (Llanos,  Kampos)  und  die  tropischen 
Trockengebiete  (Mexiko). 

Neben  einer  Fülle  von  Laubhölzern,  wichtigen  Farbhölzern,  Lianen  und 
Epiphyten  (Vanille  und  Orchideen)  liefern  die  Urwälder  die  Gummibäume 
und  Ölpalmen.  Eine  Fülle  von  Kultur-  und  Gewürzpflanzen  ist  über  das 
ganze  Tropengebiet  verbreitet.  Die  subtropischen  Grasländer  sind  besonders 
reich  an  Palmen,  neben  denen  aber  auch  Lilien  (Drachenbaum),  die  Kakteen 
und  Wolfsmilchgewächse  (Mexiko  und  Indien)  baumbildend  auftreten. 

Im  Austral kontinent  bildet  der  Eukalyptusbaum  lichte  Wälder.  Hier 
finden  wir  auch  die  merkwürdigenGrasbäume,  viele  Akazien  und  Kasuarinen. 

Neuseeland  ist  bekannt  durch  Baumfarne  und  die  Kaurifichte,  das 
nichttropische  Südamerika  durch  die  Araukarie  (Zimmertanne)  und  den 
Fieberrindenbaum. 

Ungewöhnlich  reich  an  Blütenpflanzen  (Immortellen,  Erikazeen,  Gera- 
nien usw.)  ist  Südafrika,  in  dessen  Wüsten  die  merkwürdige  Welwitschie 


38  V.  Die  Pflanzendecke. 


wächst.  Die  vielen  Beziehungen,  die  es  zu  Australien  und  Südamerika  auf- 
weist, machen  es  wahrscheinlich,  daß  hier  nur  die  Reste  der  Pflanzendecke 
eines  gewaltigen  Südkontinentes  fortdauern,  dessen  größter  Teil  heute  unter 
dem  Südpolareise  vergraben  Hegt. 

Ein  Pflanzengebiet  für  sich  sind  die  Hochgebirge,  eigentlich  eine  Ab- 
art der  Tundra.  Die  außerordentlich  große  Verbreitung  mancher  Hoch- 
gebirgspflanzen, die  heute  ganz  isoliert  und  an  weit  voneinander  getrennten 
Gebieten  vorkommen,  ist  nur  dadurch  erklärlich,  daß  im  Eiszeitalter 
zwischen  den  einzelnen  Gebieten  breite  Verbindungen  bestanden.  Fast 
jedes  Hochgebirge  hat  beim  Abbrechen  dieser  Verbindungen  seine  Pflanzen- 
decke spezialisiert  und  umgeformt,  wobei  für  die  tropischen  Gebirge 
Amerikas  und  die  afrikanischen  Vulkane  z.  B.  besonders  die  baumartigen 
Korbblütler  und  Baldriangewächse  bezeichnend  sind. 

Verbreitung  der  Pflanzenvereine. 
Leider  fehlt  es  in  der  Schule  an  Zeit  zu  einer  eingehenden  Behand- 
lung der  Pflanzengeographie.  Ich  pflege  im  Anschluß  an  die  nach 
den  natürlichen  Klimazonen  erfolgende  Besprechung  der  wichtigsten 
Kulturpflanzen  einige  pflanzengeographische  Erörterungen  zu  bringen. 
Immer  stelle  ich  das  wirtschaftlich  Wichtige  in  den  Vordergrund  und 
gebe  die  Verbreitung  der  großen,  natürlichen  Pflanzengemeinschaften 
(Wald,  Baumsteppe  —  Savanne  —  Steppe,  Ödland  und  Kulturland)  über 
die  einzelnen  Erdteile,  da  sich  in  ihr  nicht  nur  die  Kulturhöhe,  sondern 
auch  die  Siedlungsmöglichkeit  widerspiegelt.  Eine  Wandkarte  hierüber 
existiert  leider  noch  nicht  0.  Nach  Supan  gilt  folgende  Verteilung 
(Prozente  eingeklammert): 


Steppe  und 

Wald 

Kulturland 

Savanne 

Ödland 

Europa.  .  .  . 

3     (30) 

4,4  (44) 

0,6  (  6) 

2      (20) 

Asien 

13     (29) 

9      (20) 

9,2  (21) 

1 3      (29) 

Afrika   .... 

9     (30) 

5,3  (18) 

8,5  (29) 

7      (24) 

Nordamerika 

9     (38) 

3,5  (14) 

4     (17) 

7,5  (31) 

Südamerika  . 

8     (45) 

3,8  (21) 

4     (22) 

2(11) 

Australien  .  . 

1,3(13) 

1      (11) 

3,4  (38) 

3,3  (37) 

Zusammen  "/o       30  20  23  27 

Von  einer  Übervölkerung  der  Erde  kann  also  bei  einem  Fünftel 
Kulturland  noch  nicht  die  Rede  sein,  wenn  die  künstliche  Bewässerung, 
die  neuerdings  in  den  Trockengebieten  Amerikas  (Kalifornien!)  und 
Australiens  wahre  Wunder  wirkt,  weiter  ausgebaut  wird  und  die  Land- 
wirtschaft auch  außerhalb  Deutschlands  sich  inmier  mehr  die  Erfahrungen 
der  Wissenschaft  zu  eigen  macht. 


')  Mit  Zugrundelegung  der  Gradnetzkarten  von  J.  F^erthes  habe  ich  für  das 
Breslauer  Elisabethgyinnasium  zwei  farbige  Wandkarten  der  Tier-  und  Pfianzen- 
geographie  gezeichnet.  Hierbei  lehnte  ich  mich  einmal  an  die  pflanzengeo- 
graphischen Karten  in  Meyers  physikalischem  Handatlas,  sodann  an  eine  von 
mir  entworfene  Zonenkarte  der  Tiergeograph  ie,  von  der  die  den  beiden 
folgenden  Kapitehi  beigefügten  Skizzen  ein  Auszug  sind.  Die  Ausführung  der 
Karten  erfolgte  unter  Beihilfe  einiger  Primaner. 


VI,  Die  Tierwelt. 


W^r  leben  unbedingt  im  Zeitalter  der  Säuger,  die  allerdings  vom 
Menschen  schon  stark  eingeengt,  vielfach  ausgerottet  und  mannig- 
faltig umgeformt  (Haustiere)  wurden.  Seit  dem  Beginn  der  Tertiärzeit  ver- 
drängen sie  die  Reptilien  und  fallen  heute  im  Landschaftsbilde  so  auf,  daß 
sie  für  dieses  von  größter  Bedeutung  sind.  Es  ist  daher  selbstverständlich, 
daß  ich  in  den  folgenden  Zeilen  das  Hauptgewicht  auf  die  Säugetiere 
lege  und  die  übrigen  Tiere  nur  insoweit  heranziehe,  als  sie  die  Land- 
schaft beeinflussen. 

Ungefähr  im  Bereich  des  nördlichen  Wendekreises  durchzieht  die  Erde 
als  eine  der  wichtigsten  tiergeographischen  Linien  die  nördlichste  Ver- 
breitungsgrenze der  Zahnarmen,  welche  die  breiten,  ausgedehnten 
Nordkontinente  Eurasien  und  Nordamerika  von  den  schmäleren  Süd- 
kontinenten Afrika,  Indoaustralien  und  Südamerika  scheidet. 

Eine  zweite,  beinahe  noch  wichtigere  Linie  trennt  den  Australkontinent 
mit  den  Melanesischen  Inseln  vom  Sundaarchipel.  Ganz  isoliert  als  der  Rest 
eines  mesozoischen  Festlandes  steht  endlich  der  Neuseelandarchipel,  der 
die  altertümliche  Brückeneidechse,  aber  kein  einziges  Säugetier  beherbergt. 

Die  Urerde. 

Das  australische  Gebiet  wird  von  Kloakentieren  und  einer  großen 
Fülle  von  verschiedenartigst  differenzierten  Beuteltieren  (Känguruh,  Beutel- 
wolf, Beutelratte,  Beutelhund)  bewohnt,  die  sich  hier  erhalten  konnten,  da 
dieser  Erdteil  spätestens  seit  der  mittleren  Tertiärzeit  durch  breite  Wasser- 
straßen von  Asien  getrennt  war,  die  ein  Herüberwandern  jüngerer 
Formen  bis  auf  fliegende  Hunde  und  durch  Treibholz  angetriebene 
Mäuse  verhinderten. 

Die  Grassteppen  bevölkert  der  straußähnliche  Emu,  ein  Verwandter 
des  erst  in  historischer  Zeit  in  Neuseeland  ausgerotteten  Moas,  die  Wälder 
bunte  Krontauben,  Kakadus  und  Loris,  dazu  Eis-  und  Webervögel.  In 
den  Flüssen  ist  bemerkenswerterweise  das  indische  Leistenkrokodil  hei- 
misch, auf  Neu-Guinea  finden  sich  die  prachtvollen  Paradiesvögel.  Die 
weite  Verbreitung  von  Schlangen  über  die  australischen  Inseln  weist  auf 
das  Vorhandensein  ausgedehnter  mesozoischer  Landbrücken  hin.  Australien 
ist  die  Notogäa  der  Tiergeographen;  während  m.  E.  der  Name  Ur- 
erde passender  ist. 

Die  Alterde. 

Das  transsaharische  Afrika,  Indien  mit  Indonesien  sowie  Süd- 
und  Mittelamerika  bilden  die  Alterde,  das  Verbreitungsgebiet 
der  Zahnarmen,  zu  denen  eine  Fülle  anderer  älterer  Säugetiertypen  kommt. 

Am  altertümlichsten  ist  der  Charakter  Südamerikas,  der  Neogäa,  das 
offenbar  lange  Zeit  eine  Insel  bildete  und  die  Besiedlung  mit 
jüngeren,  höheren  Formen  unmöglich  machte. 

Neben  Faultieren  und  Gürteltieren  finden  wir  hier  nicht  nur  die  Ameisen- 
fresser, sondern  auch  kleine  Beuteltiere  sowie  das  altertümliche  Wasser- 
schwein und  den  Tapir.  Die  Urwälder  beherbergen  Brüllaffen,  Greif- 
schwanzaffen und  eine  Fülle  bunter  Papageien,   Kolibris,  Tagfalter  und 


40  VI.  Die  Tierwelt. 


Eidechsen,  die  Flüsse  die  Alligatoren,  die  Steppen  den  straußähnlichen 
Nandu.  Jüngeres  Aussehen  zeigt  das  Andengebiet,  in  das  von  Norden 
her  in  geologisch  junger  Zeit  Lamas,  Bären,  Hirsche,  Silberlöwe  und 
Jaguar  eingewandert  sind. 

Südlich  des  Himalaja  erstreckt  sich  Indien,  bestehend  aus  Vorderindien, 
Hinterindien  und  Indonesien,  noch  ganz  im  Bereich  der  Alterde  (Schuppen- 
tiere) liegend.  Indonesien  ist  der  Rest  einer  großen  Südosthalbinsel  Asiens, 
die  erst  im  Diluvium  endgültig  vom  Festlande  getrennt  wurde  und  deren 
Inselgruppen  eine  mannigfaltige,  noch  heute  kaum  zu  entwirrende  Ge- 
schichte durchliefen.  Am  frühesten  abgetrennt  wurden  offenbar  die  Phi- 
lippinen und  kleinen  Sundainseln,  denen  Elefant,  Nashorn  Krokodil  und 
die  Großkatzen  (Tiger,  Leopard,  Panther)  des  übrigen  Indiens  fehlen, 
nicht  dagegen  seine  Riesenschlangen. 

Im  einzelnen  erscheint  der  Südosten  mit  seinen  Flattermakis,  Zwerg- 
hirschen (Tragneiden)  und  vor  allem  durch  den  Tapir  altertümlicher  alsVorder- 
indien,  dessen  Südende  (Nilgirigebiet  und  Ceylon)  jedoch  mit  seinen  Halb- 
affen und  Spitzhörnchen  wieder  mehr  an  die  Malaiische  Halbinsel  erinnert. 

Das  hinterindische  Gebiet  beherbergt  auch  Gibbon  und  Orang-Utan, 
während  die  übrigen  Affen  über  ganz  Indien  verbreitet  sind.  Außerdem 
lieferte  Indien  zahlreiche  Kulturtiere  (Zeburind,  Argusfasan,  Bankivahuhn). 

Den  letzten  Teil  der  Alterde  bildet  das  transsaharische  Afrika  —  auch 
Äthiopien  genannt,  mit  seinen  Schuppentieren. 

Am  altertümlichsten  erscheint  hier  Madagaskar,  ein  Museum  alttertiärer 
Formen  (Halbaffen,  Fledermäuse,  Borstenigel,  Zibetkatzen  und  Nager), 
die  ursprünglich  die  ganze  Alterde    bevölkerten. 

Borstenigel,  Otterspitzmäuse  und  Goldmulle  geben  auch  dem  inneren 
Südafrika  einen  altertümlichen  Anstrich. 

Die  afrikanischen  Flüsse  beherbergen  die  Krokodile,  die  Wälder  Riesen- 
schlangen, Nilpferde,  Elefanten,  Traguliden  und  das  Okapi  neben  zahl- 
losen Hundsaffen,  dem  Gorilla  und  dem  Schimpansen;  dazu  Grünpapageien 
und  den  Graupapagei.  In  den  Steppen  der  Strauß  als  Rest  der  großen 
Laufvögel  der  Südhalbkugel,  sowie  die  ebenfalls  noch  altertümliche  Giraffe, 
Zu  diesen  alten  Formen  kommen  zahlreiche  jüngere,  vor  allem  Groß- 
katzen (Panther,  Leopard,  Löwe)  und  Huftiere.  Die  letzteren  sind  vor 
allem  durch  die  Antilopen  vertreten,  von  deren  Arten  über  neun  Zehntel 
nur  in  Afrika  vorkommen,  dazu  Tigerpferde,  Flußschweine  und  einige 
Wildstiere  (Kapbüffel). 

Nicht  nur  dies  stärkere  Überschwemmen  mit  jüngeren  Formen  trotz 
der  breiten  Grenzzone  der  Sahara,  sondern  auch  das  Fehlen  der  Beutel- 
tiere und  Tapire  zeigt,  daß  von  allen  Teilen  der  Alterde  das  äthiopische 
Gebiet  dem  Entwicklungsherd  der  jüngeren  Säuger  offenbar  am  nächsten 
gelegen  hat,  so  daß  hierdurch  die  Nordgrenze  der  Zahnarmen  am  meisten 
nach  Süden  verschoben  wurde. 

Die  Neuerde. 

Als  äußersten  Vorposten  dieser  jüngeren  Säuger  der  Neuerde  möchte 
ich  die  Füchse  ansehen,  deren  Südgrenze  ungefähr  mit  der  Nordgrenze 
der  Zahnarmen  zusammenfällt  und  im  Somalilande  beinahe  den  fünften 


Die  Neiierde. 


41 


nördlichen  Parallel  erreicht.  Dies  ist  wahrscheinlich  durch  die  treffliche 
nordsüdliche  Wanderstraße  des  Niitales  bedingt,  längs  deren  auch  die 
Hamiten  am  weitesten  nach  Süden  vordrangen.  Die  südlichste  Zone  der 
Neuerde  reicht  nördlich  etwa  bis  zur  Südgrenze  des  Edelhirsches  und  der 
mit  ihm  verwandten  Formen.  Am  altertümlichsten  ist  ihr  Charakter  in 
Ostasien,  das  durch  Hochasien  und  seine  Gebirgsumrahmung  offen- 
bar vom  Entwicklungsherde  der  jüngeren  Formen,  der  mehr  im  Nord- 
westen zu  suchen  ist,  abgetrennt  wird.  Nicht  nur  die  Schuppentiere  reichen 
hier  bis  an  den  Jangtse,  sondern  in  den  letzten  Waldgebieten,  die  als 
Zufluchtsoasen  die  hier  so  dicht  siedelnde  Menschheit  übrigließ,  finden 


O  BeuH(?r  u. Zahnarme      " —  Nordgrenze  derAlferde 
•  BeuHer  allein       *  ++  PrimiNvG  Jnsekl-GnFrGsser 

®  BeuHer  U-Kloakenliere 

14.  Versuch  einer  Zonenkarte  der  Tierwelt. 


wir  Zwerghirsche  wie  das  Moschustier  und  Wasserreh  als  altertümliche 
Formen  im  Verein  mit  zahlreichen  Schlankaffen  und  dem  Waschbärhund. 
Dazu  kommen  als  junge  Formen  Hasen,  Wildschweine,  Wölfe  und  Füchse. 
Von  den  Vögeln  seien  namentlich  die  prachtvollen  Fasanen  erwähnt. 

Jugendlicher  erscheint  der  Charakter  Japans  und  Koreas,  wo  sich  infolge 
des  kühleren  Gebirgsklimas  ein  abgewandelter  Edelhirsch  (Sikahirsch)  er- 
halten hat,  der  während  der  Eiszeit  auf  heute  abgebrochenen  Landbrücken 
überwanderte.  Dasselbe  müssen  wir  für  die  Philippinen  mit  ihren  Vor- 
hirscharten  annehmen. 

Nordwestlich  schließt  sich  eine  zumeist  mit  Wüsten  und  Steppen  be- 
deckte Zone  an,  die  in  breitem  Streifen  über  Saharabien  und  das  Vorder- 
asiatische Gebirgsland  bis  zur  Mongolei,  Turan  und  den  süd- 
russischen Steppen  reicht.  Nach  den  Charaktertieren  kann  man  hier 
von  einer  Zone  der  Schafe  und  Ziegen  sprechen.  Saharabien  besitzt  außer- 


42  VI.  Die  Tierwelt. 


dem  Gazellen,  Schakale,  Hyänen,  den  Strauß,  Paviane,  Spring- und  Sand- 
mäuse und  den  Löwen,  Turan  ist  die  Heimat  der  Kamele  (das  einhöckerige 
Dromedar  ist  eine  erst  in  geschichtlicher  Zeit  nach  Vorderasien  und  Afrika 
eingeführte  Kulturform).  Auch  finden  wir  Pferde  (Wildpferde),  Pfeifhasen, 
Murmeltiere,  wozu  Wildschafe,  Antilopen  und  den  Tiger. 

Die  Gebirgswälder  der  Umrahmung  besiedeln  der  Maralhirsch,  Rehe 
und  Braunbären,  die  namentlich  im  gebirgsreichen  Vorderasien  überwiegen. 
Dieses  ist  in  vieler  Beziehung  (Löwe  und  Tiger  kommen  zusammen  vor) 
ein  Übergangsgebiet,  das  nicht  nur  den  Säugern,  sondern  offenbar 
später  auch  dem  Menschen  als  Wanderweg  zwischen  den  Wüsten  diente 
(Verbreitung  der  Indoeuropäer). 

Tiergeographisch  eine  Provinz  Saharabiens  sind  die  europäischen  Mittel- 
meerländer, die  zwar  in  geschichtlicher  Zeit  den  Löwen  verloren,  dafür 
aber  heute  noch  reich  an  Schafen,  Ziegen  sind  und  als  Wildtiere  den 
Mufflon,  das  Stachelschwein  und  den  Braunbär  aufweisen.  Dazu  kommen 
der  Damhirsch  und  die  Wölfe,  die  das  im  Eiszeitalter  eingebrochene 
Mittelmeerbecken  nicht  mehr  zu  überschreiten  vermochten. 

Ein  merkwürdiges  Gemisch  nördlicher  und  südlicher  neuerdlicher  Formen 
zeigt  Nordamerika  südlich  des  45.  Parallels,  das  landschaftlich  in  den 
trockenen  Westen  (Prärien,  Felsengebirgsbecken  nebst  bewaldeten  Gebirgs- 
umrahmungen)  und  den  noch  zur  Zeit  der  Entdeckung  einen  einzigen 
Urwald  bildenden  Osten  zerfällt.  Der  amerikanische  Braunbär  (Baribal), 
zahlreiche  Wölfe,  der  Virginische  Hirsch,  Bison,  Puma,  Jaguar  und  die  Gabel- 
gemsen sind  unzweifelhaft  junge  Formen,  zu  denen  sich  in  den  Steppen 
Weißfußmäuse  und  Präriehunde,  an  den  Flußufern  der  Biber  gesellen. 

Das  Charaktertier  unter  den  Vögeln  ist  der  Truthahn;  infolge  der  warmen 
Sommer  sind  im  östlichen  Waldgebiet  südliche  Formen  wie  Kolibris  und 
Sittiche  bis  an  den  40.  Parallel  verbreitet.  Dazu  kommt  eine  merkwürdige 
Unterschicht  alter  Formen,  wie  das  Baumstachelschwein,  das  Stinktier,  die 
Waschbären  und  die  Klapperschlange.  Am  altertümlichsten  erscheint  der 
Südosten,  wo  die  Wölfe  fehlen  und  Kaimane  und  Beutelratten  (Opossum) 
an  die  Urerde  erinnern.  Ähnlich  alte  Formen  weisen  die  Großen  Antillen 
in  den  insektivoren  primitiven  Schlitzrüßlem  auf,  was  an  das  frühere  Vor- 
handensein eines  heute  meist  im  Meere  versunkenen  Insellandes  gemahnt, 
in  dem  diese  alten  Formen  sich  isoliert  erhalten  konnten,  um  später  die 
Nachbargebiete  zu  besiedeln.  Daß  der  Kaiman  an  Krokodile  Ostasiens 
erinnert  —  vgl.  Magnolien  usw.!  — ,  ist  kein  Beweis  für  das  Vorhanden- 
sein ehemaliger  Landbrücken  zwischen  beiden  Gebieten,  sondern  dafür, 
daß  von  einem  weiter  nördlich  gelegenen  gemeinsamen  Entwicklungs- 
herd beide  Faunengebicte  südwärts  verschoben  wurden.  Dieser  Herd  ist 
wahrscheinlich  die  nördliche  Zone  der  Neuerde;  sie  umfaßt  alle  Land- 
massen, die  etwa  nördlich  der  Südgrenze  der  Großhirsche  liegen. 

Die  Nordzone  der  Neuerde  umfaßt  als  Milieu  drei  Florengürtel: 
Die  Laubwaldzone  der  mittleren  gemäßigten  Zone  mit  den  ein- 
gesprengten Wiesen,  Heiden  und  Mooren,  den  n()rdlich  sich  anschließenden 
Nadel  Waldgürtel  und  die  Moossteppen  der  Tundren  mit  ihrem  Süd- 
saum von  Birkenwald. 


Ursachen  der  Tierverbreitung.  43 

Hierbei  kennzeichnet  die  Laubwaldzone  vor  allem  der  Edelhirsch  (in 
Amerika  Wapiti),  wozu  Rehe,  der  Braunbär,  Wölfe  (daraus  Haushund  vom 
Menschen  gezogeh),  Füchse,  Kleinraubtiere,  Hase,  Biber,  Eichhörnchen, 
Hamster  und  die  Fülle  lieblicher  Singvögel  kommen.  In  den  Flüssen  leben 
Lachse,  Karpfenarten  und  Hechte,  die  sich  gleichmäßig  von  Europa  bis 
Amerika  erstrecken.  Im  Nadelwaldgebiet  bleiben  die  meisten  dieser  Formen, 
wenn  auch  an  Zahl  verarmend,  und  die  Pelztiere  (Fischotter,  Hermelin 
usw.)  sind  ein  wichtiger  Erwerbszweig  der  Bevölkerung.  Die  Hirsche 
weichen  dem  Elche  und  weiter  nördlich  dem  Renntier,  dem  Charaktertier 
der  Tundren.  Zu  ihm  gesellt  sich  im  arktischen  Amerika  der  Moschus- 
ochse, der  noch  im  Eiszeitalter  auch  Nordeuropa  bewohnte.  Die  Nahrungs- 
armut des  Landes,  lebhaft  kontrastierend  zum  Fischreichtum  der  an- 
grenzenden Meere,  veranlaßt  das  Zusammendrängen  der  Tierwelt  an  den 
Küsten,  was  in  gleichem  Maße  von  Säugern  mit  ihrem  rrieist  weißen  Pelz- 
kleide (Lemming,  Polarfuchs,  Eisbär,  Schneehase),  wie  von  Vögeln 
(Lummen,  Enten,  Gänsen,  Möwen  —  Vogelinseln!)  gilt.  Lebt  schon  der 
Eisbär  amphibisch,  so  sind  Formen  wie  Walrosse,  Robben,  Seehunde  und 
Wale  in  steigendem  Umfange  durch  ständige  Anpassung  zu  richtigen 
fischförmigen  Wassertieren  geworden  und  haben  sich,  angereizt  durch 
kalte  Strömungen,  während  des  Eiszeitalters  sogar  bis  über  die  südliche 
Zone  verbreitet.  Heute  sind  sie  wieder  durch  die  breite  Lücke  der  warmen 
Tropenmeere  von  ihren  nördlichen  Verwandten  getrennt.  Wie  stark  kon- 
trastieren nicht  an  den  Südspitzen  Amerikas,  Afrikas  und  Australiens  die 
neuerdlichen  Seehunde  von  den  altertümlichen  Pinguinen! 

Ursachen  der  Tierverbreitung. 

Schon  in  der  Schilderung  der  Pflanzengeographie  kam  zum  Ausdruck,  daß 
die  Nordhalbkugel  mit  ihren  Landmassen  offenbar  ein  Entwicklungszentrum 
—  besser  Entwicklungsgürtel  —  höherer  Formen  ist,  die  ältere  allmählich 
südwäiis  verschieben,  wobei  dann  mit  der  Zeit  gewaltige  Lücken  entstehen, 
wie  das  Schulbeispiel  der  Tapire  zeigt.  Hierbei  sind  die  Formen  der  Ur- 
erde  alttertiär  und  sogar  mesozoisch,  die  der  Alterde  meist  mitteltertiär, 
die  der  südlichen  Neuerde  Jungtertiär  und  die  der  nördlichen  meist  eis- 
zeitlich. Eine  wichtige  Stütze  dieser  »Verschiebungstheorie«  ist  der  Um- 
stand, daß  in  den  tertiären  und  mesozoischen  Ablagerungen  Europas  und 
Nordamerikas  zahlreiche  Formen  »fossil«  vorkommen,  die  heute  noch  in 
der  Ur-  und  Alterde  leben.  Den  Ursachen  der  Entwicklung  nachzugehen, 
fällt  schon  aus  dem  Forschungsbereich  des  Geographen  heraus. 

Es  mag  aber  noch  erwähnt  werden,  daß  —  wie  schon  zwischen  den 
vorstehenden  Zeilen  zu  lesen  —  die  Tiere  stark  dem  Wohnraum  in 
Körperbau  und  Hautfarbe  angepaßt  sind.  Die  Waldformen  zerfallen  in 
Boden-  und  Kletterformen  mit  naturgemäß  zahllosen  Übergängen. 
Ihre  Farben  sind  meist  bunt,  oder  grün  (Papageien),  oder  gefleckt  (Panther, 
Leopard  usw.),  oder  auch  dunkel,  wie  der  Waldesschatten  (Elefanten,  Nil- 
pferde). Steppentiere  sind  entweder  gestreift,  wie  Gras  und  Dschungel 
(Zebras,  Tiger),  oder  gefleckt,  wie  die  Bäume,  unter  denen  sie  weiden 
(Giraffe),  endlich  mattbraun  wie  der  Boden  (Antilopen).  Bei  Wüstentieren 
wird  die  Farbe  intensiver  gelb  (Löwe).    Die  weiße  Farbe  der  Polartiere 


44  VI.  Die  Tierwelt. 


wurde  schon  eru'ähnt,  und  es  sei  abschließend  nur  bemerkt,  daß  die 
Meeressäuger  nach  Art  der  Fische  oben  dunkel  und  unten  hell  gefärbt  sind. 
Es  war  nicht  meine  Absicht,  in  diesen  Zeilen  mehr  als  eine  skizzen- 
hafte Andeutung  der  kausalen,  noch  zu  schreibenden  Tiergeographie  zu 
geben,  einem  der  dankbarsten  Gebiete,  das  nicht  nur  im  Schüler  neue  Er- 
kenntnisse anstatt  bloßen  Lernstoffs  erweckt,  sondern  auch  Geographie 
und  Biologie  ineinander  zu  einem  harmonischen  Gesamtbilde  verwebt. 
Daß  eine  eingehendere  kausale  Tiergeographie  neben  dem  großen,  deut- 
lich erkennbaren  Nordsüddrängen  der  Lebewelt  auch  die  Bedeutung  lokaler 
Zentren  zweiten  Grades,  die  ebenfalls  zeitweise  zu  Entwicklungsherden 
neuer  Formen  werden  können  —  vgl.  die  Stellung  Hochasiens  für  die 
Entwicklung  und  Ausstrahlung  der  Mongolen,  die  Afrikas  für  die  Anti- 
lopen, die  Südamerikas  für  die  Zahnarmen  und  die  Australiens  für  die 
Beutler  — ,  eingehender  würdigen  muß,  liegt  auf  der  Hand.  Nochmals  sei 
ausdrücklich  betont,  daß  wir  wohl  die  Wanderungen  der  Lebewelt 
kennen,  noch  nicht  aber  ihre  Ursachen;  denn  die  Simrothsche 
Pendulationstheorie  mit  ihren  vielfach  bestechenden  Ergebnissen  setzt 
Polschwankungen  in  einem  Umfange  voraus,  der  den  neuesten  Forschungen 
der  Geologie  direkt  widerspicht. 

Die  Tiere  des  Meeres. 

Da  die  Meere  der  Erde  miteinander  in  engsterVerbindung stehen,  sind 
hier  Untergebiete  noch  schwieriger  abzugrenzen  als  auf  den  Festländern. 

Allgemein  unterscheidet  man  die  Tierwelt  der  Strand-  und  Küsten- 
zone, der  Hochsee  und  der  durch  Lichtmangel  gekeimzeichneten  Tief  see. 
in  der  Hochsee  trennt  man  die  selbsttätig  sich  bewegenden  Tiere  als 
Nepton  von  den  durch  Strömungen  getriebenen  Tieren,  dem  Plankton, 
das  wiederum  ersteren  zur  Nahrung  dient  und  im  Gebiete  der  Meeres- 
strömungen sich  häuft,  während  die  strömungslosen  Teile  der  Hochsee 
arm  an  Lebewesen  sind,  den  Wüsten  der  Festländer  vergleichbar.  Die 
Bodentiere  bilden  das  Benthos. 

Vielfach  nimmt  man  an,  daß  die  Tiefseetiere  von  der  Flachsee  her  ein- 
gewandert sind.  Vielleicht  wurde  von  ihr  aus  sogar  auch  erst  das  Süß- 
wasser besiedelt,  das  gerade  den  altertümlichen  Fischen  (Störe,  Lungen- 
atmer  u.a.)  einen  Zufluchtsort  bietet. 

Für  erdkundliche  Zwecke  konuuen  nur  die  Meerestiere  in  Betracht, 
die  wirtschaftlich  von  Bedeutung  sind.  Diese  müssen  dann  aber  auch  in 
ihrer  Verbreitung  kurz  charakterisiert  werden. 

Außer  den  schon  genannten  Tieren  beherbergen  die  arktischen  Meere 
den  Grönlandwal,  die  äquatorialen  den  Potwal  und  die  Delphine.  Die 
Schelfe  der  Nordkontinente  sind  in  der  gemäßigten  Zone  die  wichtigsten 
Gebiete  des  Fischfangs  (Hering  und  Kabeljau),  die  Flachsee  der  warmen 
Meere  beherbergt  besonders  Schwänune,  Korallen  und  Perlmuscheln,  dazu 
die  für  die  Volksernährung  so  wichtigen  niederen  Meerestiere  (frutti  de 
mare),  Seewalzen  (Trepang  in  Ostasien)  und  Schildkröten. 

Durch  Erschließung  der  afrikanischen  und  südamerikanischen  Schelfe 
dürfte  der  Ertrag  der  Hochseefischerei  nach  fachmännischen  Schätzungen 
noch  verdoppelt  werden  können. 


Rückblick.  45 

Rückblick. 

Wie  wir  sahen,  läßt  sich  also  schon  jetzt  eine  Gesetzmäßigkeit  in 
der  Entwicklung  und  Verbreitung  der  Tierwelt  erkennen,  an  der  infolge 
ihrer  hohen,  das  kausale  Denkvermögen  steigernden  erzieherischen  Werte 
der  Unterricht  nicht  vorübergehen  darf. 

Bei  der  Pflanzenwelt  liegen  die  Verhältnisse  insofern  schwieriger,  als 
neben  den  Nordkontinenten  auch  auf  dem  antarktischen  Kontinent  Ent- 
wicklungszentren von  hochspezialisierten  Formen  gelegen  haben,  deren 
Ausläufer  wir  in  Südamerika,  dem  Kaplande  und  Australien  finden.  Baum- 
farne und  altertümliche  Nadelhölzer  sind  jedoch  ein  Charakteristikum  der 
Alterde,  und  die  auf  der  Neuerde  entstandene  Hochgebirgsflora  ist  während 
der  Eiszeit  auch  weit  über  die  Hochgebirge  der  Alterde  ausgebreitet  worden. 

Auf  jeden  Fall  hat  die  Neuerde  mit  ihren  ausgedehnten,  zumeist  in  der 
klimatisch  wechselvollen  gemäßigten  Zone  gelegenen  Landmassen  art- 
bildender gewirkt,  als  die  Alterde  mit  ihren  durch  weite  Ozeane  getrennten 
Landmassen, deren  meist  gleichmäßig  warmes  Klima  ein  Verharren 
altertümlicher  Tierformen  begünstigte.  Auch  der  Mensch  kann 
wohl  nur  innerhalb  der  Neuerde,  und  zwar  in  Eurasien  entstanden  sein, 
was  schon  seme  Verbreitung  anzeigt. 

VII.  Der  Mensch. 

Ausbreitung  und  Rassen. 

Als  jüngstes  Lebewesen  erscheint  nach  Abschluß  der  Tertiärzeit  der  Mensch. 
.  Auf  der  Neuerde  finden  wir  die  höchststehenden  Rassen  der  Mon- 
golen und  Europäer  (gelbe  und  weiße  Rasse).  Um  letztere  lagern  sich 
äquatorwärts  in  breiter  Zone  die  Semiten  (brünette  Rasse).  Die  Alterde 
ist  der  Sitz  der  Neger  und  Drawida  (schwarze  Rasse),  zwischen  denen, 
in  einsame  Gebiete  verdrängt,  Reste  einer  älteren,  z.  T.  kleinwüchsigen 
Menschheit  hindurchschimmern  (Negrito,  Wedda,  afrikanische  Pygmäen, 
Papua).  Auf  den  Südspitzen  der  Alten  Welt  und  im  äußersten  Osten  Asiens 
(Jesso,  Sachalin)  sitzen  die  ältesten  (protomorphen)Urrassen  der  Australier, 
Buschmänner,  Hottentotten  und  Ainu. 

So  ordnet  sich  die  Menschheit  zu  großen  Wellen  an,  die  sich  kon- 
zentrisch um  Mitteleuropa  lagern  und  in  ihrer  Verbreitung  offenbar  ähn- 
lichen Gesetzen  folgen  wie  die  Säugetiere.  Durch  ausgedehnte  Wanderungen 
wurde  dies  Bild  erheblich  verwischt.  Seit  der  Entdeckung  der  Neuen  Welt 
besiedelt  der  Europäer  nicht  nur  die  gemäßigten  Zonen  der  Neuen  Welt, 
sondern  auch  Südafrika  und  Australien.  Zugleich  überschwemmt  er  mit 
•Negerarbeitern  das  tropische  Amerika  (Mischrassen  der  Mulatten,  Mestizen 
und  Zambos).  In  noch  älterer  Zeit  besiedelten  Mongolenstämme  Hinter- 
indien und  Indoaustralien  und  erzeugen  durch  Vermischung  mit  Ein- 
geborenen die  Malaien,  denen  die  seegewandten  Polynesier  verwandt 
zu  sein  scheinen.  Etwas  jünger  ist  das  Eindringen  der  Europäer  (Arier) 
über  Vorderasien  nach  Indien,  wo  sie,  durch  das  Klima  erschlafft  und 
durch  Vermischung  mit  den  Drawida  umgewandelt,  die  Hindu  bilden, 
von  denen  nur  wenige  Teile  (Brahmanen,  Kastenwesen)  den  Charakter 
reiner  bewahrt  haben. 


46 


VII.  Der  Mensch. 


weisse  Rasse  Gelbe  Rasse 

lII.Schich^    ■■:;::•  blonde  Haare  lillll  Kurzkopf  i.  verschied. Grede 

•••  blaueAugen  — Mongolenfalfe  am  Auge 

H.  Schichf   Z^  Neger  u.Dravida  — ^  Malaienwanderungen 

I.öchichl-  •Prol'omorphe  Rassen  (ohneTöpfereij 

15.  Rassenkarte. 

Wohl  schon  in  vorgeschichtliche  Zeit  fällt  die  Überschwemmung  der 
Neuen  Welt  von  Asien  aus  mit  den  in  verschiedenem  Grade  mongolen- 
ähnlichen Indianern,  deren  Bau  uns  noch  so  manches  Rätsel  aufgibt. 

Gewaltig  müssen  die  Völkerwanderungen  der  vorgeschichtlichen  Zeit 
gewesen  sein,  deren  Dunkel  sich  erst  allmählich  zu  hellen  beginnt. 


Der  Mensch  der  Eiszeit. 

Es  ist  das  einwandfreie  Ergebnis  der  jüngsten  Forschungen, 
daß  die  ältesten  Spuren  des  Menschen  in  Europa  —  vor  allem 
in  Frankreich  und  Mitteleuropa  —  auftreten,  während  sie  in  den 
übrigen  Erdteilen  erst  nach  der  Eiszeit  erscheinen. 

Zumeist  verknüpft  mit  eiszeitlichen  Kiesen  und  Lößen  finden  wir  in 
Frankreich  und  Mitteleuropa  in  Ablagerungen,  deren  Alter  wir  sicher  auf 
mehr  als  100000  Jahre  schätzen  müssen,  den  plumpen  Neanderthal- 
menschen,  der  teilweise  die  Rasseneigentümlichkeiten  der  Neger,  Europäer 
und  Mongolen  in  sich  vereinte  und  sich  rohe  Faustkeile  schlug  (Alt- 
paläolithikum).  Noch  älter  ist  der  Heidclbergmensch  mit  seinem 
durchaus  tierischen  Unterkiefer,  vielleicht  der  Träger  der  eolithischen 
Kultur,  die  im  Anfange  des  Eiszeitalters  die  Menschwerdung  einleitet. 

In  den  letzten  Stadien  der  Eiszeit  erscheint,  anscheinend  während  der 
letzten  Zwischeneiszeit  im  ncirdlichen  Europa  entstanden,  der  grazilere, 
dem  Australier  ähnelnde  Aurignacmensch ,  der  Anfertiger  zierlicher 
Klingen  (Klingenkultur).  In  seinem  Kulturbcsitz  finden  wir  aus  Knochen 
angefertigte  Wurfspeerspitzen  (Fernkampf),  in  den  von  ihm  bewohnten 


Die  jüngere  Steinzeit.  47 


Höhlen  Wandreliefs  und  Höhlenmalereien  (Jungpaläolithikum),  die  be- 
weisen, daß  er  nicht  nur  Mammut  und  Renntier  jagte,  sondern  auch  einen 
Totenkult  besaß  und  zeltartige  Wohnstätten  baute.  Nach  den  jüngsten 
zuverlässigen  Schätzungen  muß  dieser  Jungpaläolithiker  in  der  Zeit  von 
30000  bis  10000  vor  Christus  in  Europa  gelebt  haben,  meist  am  Rande 
des  Inlandeises  der  letzten  großen  Eiszeit.  Funde  in  Nordamerika  machen 
es  wahrscheinlich,  daß  er  noch  im  Eiszeitalter  zur  Zeit  der  Lößbildung 
mit  Mammut,  Ren  und  Moschusochse  über  die  isländisch-grönländische 
Landbrücke  nach  Nordamerika  wanderte,  dort  aber  bald  ausstarb. 

Mit  dem  Ausklingen  des  Eiszeitalters  beginnt  infolge  starker  Vermehrung 
eine  gewaltige  Auswanderung,  welche  die  Faustkeil-  und  Klingenkultur 
weit  über  die  Alte  Welt  verbreitet  bis  nach  Südafrika,  Australien  und  den 
japanischen  Inseln.  Wann  diese  Völkerwellen  die  Südspitzen  der  Alten 
Welt  erreicht  haben,  wissen  wir  nicht.  Doch  zeigt  die  Kultur  der  Australier, 
Wedda,  Ainu  und  Buschmänner- Hottentotten,  der  die  Töpferei 
fehlt,  mit  dem  Mangel  an  Haustieren  und  den  reichen  Höhlenmalereien 
—  die  wir  bezeichnenderweise  durch  ganz  Afrika  verfolgen  können  — , 
daß  hier  die  letzten  Jungpaläolithiker  leben,  die  allerdings  dem  Aussterben 
entgegengehen  und  durch  das  Milieu  körperlich  stark  umgeformt  wurden. 

Etwas  jünger  als  diese  älteste  Welle  der  noch  heute  lebenden  Mensch- 
heit erscheinen  die  Melanesier,  deren  Kultur  in  zahlreichen  Einzelheiten 
der  mesolithischen  (Küchenabfallhaufen)  gleicht,  die  wir  in  Europa  in  der 
älteren  Nacheiszeit  finden.  Daß  auch  in  Afrika  diese  Welle  einmal  vertreten 
war,  zeigt  die  Übereinstimmung  des  Bogens  der  Melanesier  mit  dem 
südlicher  Negerstämme. 

Die  jüngere  Steinzeit. 

Der  größere  Teil  der  jüngeren  Nacheiszeit  —  etwa  6000  bis  2000  vor 
Christus  —  wird  von  dem  Neolithikum  eingenommen,  der  Zeit  der  Pfahl- 
bauten, der  Töpferei,  Weberei  und  der  geglätteten  Steinwerkzeuge. 

In  ihr  scheinen  sich  auf  der  Erde  gewaltige  Völkerverschiebungen,  Um- 
formungen durch  Anpassung  an  neue  Wohngebiete  und  Vermischungen 
vollzogen  zu  haben. 

Bis  auf  spätere  Entlehnungen  durchaus  neolithisch  ist  die  Kultur 
der  Neger  und  Drawida,  der  zweiten  Welle  der  Menschheit.  Sie  besitzt 
hochentwickelte  Töpferei,  Webindustrie,  Bogen  und  Pfeil  als  Waffen,  aller- 
dings anstatt  Pflugkultur  den  primitiveren  Hackbau.  Meist  finden  wir  den 
Zusammenschluß  zu  Stämmen  -  im  Gegensatz  zu  den  Sippen  der  Urvölker. 

Wahrscheinlich  in  Anpassung  an  die  hochasiatischen,  erst 
nach  Zähmung  von  Renntieren  (Pferde!)  bewohnbar  werdenden  Step- 
pen entsteht  jetzt  der  Mongole,  der  von  Hochasien  wellenartig  —  Ver- 
breitung der  Kurzköpfe!  —  die  Umgebung  überschwemmt.  Noch  im 
Steinzeitalter  aus  Asien  übergewanderte,  durch  Anpassung  an  das  land- 
schaftlich so  gegensatzreiche  Amerika  nachgedunkelte  Mongolen  sind  wahr- 
scheinlich die  Amerikaner,  die  vor  der  Entdeckung  des  Erdteils  noch  ganz 
in  der  Steinzeit  lebten.  Das  südliche  Europa  bewohnt  eine  brünette  Rasse, 
den  Norden  die  I  ndogermanen.  In  der  Tropenzone  entstehen  als  An- 
passungstypen die  Neger  und  Drawida,  letztere  nur  der  Rest  einer  dunkel- 


48  VII.  Der  Mensch. 


häutigen  Urbevölkerung,  die  gegen  Ende  der  jüngeren  Steinzeit  noch  ganz 
Indien  und  Ostasien  besiedelte  (Restvölker  bis  Afghanistan  und  Südchina). 

In  der  jüngeren  Steinzeit  macht  die  menschliche  Kultur  gewaltige  Fort- 
schritte. In  immer  höherem  Maße  werden  Haustiere  gezähmt  —  vor  allem 
Rinder,  Pferde  und  Kamele  anstatt  der  dem  mesolithischen  Menschen  be- 
kannten Hunde  und  Schweine  — ,  Gräser  zu  Getreide  veredelt,  Hackfrüchte 
und  Obstsorten  gezüchtet  (Funde  in  den  Pfahlbauten)  und  der  Pflug 
erfunden. 

Hiermit  beginnt  eine  viel  intensivere  Art  des  Ackerbaues,  als  bei 
dem  primitiveren  Hackbau.  Nicht  mehr  die  Frau  (Forschungen  von  E.  Hahn) 
bearbeitet  das  Land,  sondern  der  Mann  muß  jetzt  den  schweren  Pflug  führen. 

Gegen  Ende  des  Neolithikums  beginnt  der  Mensch  in  immer  dichteren 
Scharen  die  Tiefländer  des  Nil,  Euphrat  und  Tigris,  sowie  die  Streifen  an 
Zentralasiens  Strömen  zu  besiedeln.  Aber  erst  der  Bau  und  die  Instand- 
haltung von  künstlichen  Kanälen  macht  diese  meist  regenlosen 
Gebiete,  deren  Flüsse  ihre  Wasserfülle  von  den  regenreichen  Quellgebieten 
beziehen,  bewohnbar.  So  entsteht  hier  notgedrungen  ein  Zusammen- 
arbeiten größerer  Volksmengen.  Die  Berieselungskultur  zwingt 
die  Stämme,  sich  zu  Staaten  zusammenzuschließen.  Städtebau,  Gesetz- 
gebung, Pflugkultur  und  Schrift  sind  nur  weitere  Folgerungen,  sowie  be- 
sonders das  Schmelzen  der  Metalle. 

Die  Metallzeit. 

So  bilden  sich  in  diesen  Gebieten,  vor  allem  in  Ägypten,  Babylonien  und 
Assur,  die  ersten  Staaten  (vergleiche  die  Hochlandstaaten  der  Azteken  und 
Peruaner),  deren  Blüte  wieder  benachbarte  Nomadenvölker  anlockt.  Dazu 
beginnt  von  Norden  aus  gegen  Ende  des  Neolithikums  eine  gewaltige 
indogermanische  Wanderung,  deren  Wellen  bis  nach  Nordafrika 
(Megalithkultur)  schlagen  und  über  Vorderasien  und  Turan  sich  bis  nach 
Nordindien  (Arier)  verfolgen  lassen.  Auch  Mongolenwanderungen 
setzen  jetzt  ein,  die  nicht  nur  Vorderasien  überschwemmen,  sondern  auch 
durch  die  Lücke  des  Weihotales  nach  China  und  dem  übrigen  Ostasien 
hinüberschlagen. 

Der  Brennpunkt  aller  dieser  Bewegungen  ist  der  Orient,  dessen 
Kultur,  befruchtet  durch  zahlreiche  Völkermischung,  sich  mächtig  ent- 
wickelt. Ihre  Wellen  schlagen  auch  über  Südeuropa,  wo  Etrurien,  Troja 
und  Mykene  aufblühen  und  namentlich  Phönizien  und  Kreta  (vgl.  Gotland 
und  Visby!)  große  Stapelplätze  werden. 

Später  verschiebt  sich  der  kulturelle  Schwerpunkt  weiter  nach 
Westen.  Neue  indogermanische  Wanderungen  bedingen  frisches  Blut 
(Hellenen  und  Italiker),  und  die  griechisch-römische  Kultur  tritt 
das  Erbe  der  orientalischen  Völker  an,  sie  auch  politisch  beherrschend 
(Alcxanderrcich,  römisches  Imperium,  Hellenismus). 

Eine  jüngere  Germanenwanderung  —  Völkerwanderung  —  leitet  das 
Mittelalter  ein.  Unter  ihren  Schlägen  zerbricht  allmählich  das  römische 
Weltreich,  und  teilweise  auf  seinen  Trümmern  entstehen  neue  Nationen. 
Die  Kultur  verschiebt  sich  nordwärts,  und  das  westliche  Europa 
wird  jetzt  die  Hauptschaubühne  der  mittelalterlichen  Geschichte. 


Die  Metallzeit.  49 


Eine  Nachblüte  erlebt  aber  der  Orient  in  dem  Araberreiche,  und  die 
Wellen  der  arabischen  Kultur  schlagen  bis  nach  Spanien  (Kordoba),  hier 
mit  der  fränkischen  zusammenstoßend. 

Nicht  zum  wenigsten  blüht  der  arabisch-persische  Orient  unter  dem  Ein- 
fluß der  großen  Handelsstraßen  auf,  die  ihn  durchqueren,  und  das 
Abendland  mit  dem  tropischen  Indien,  den  Gewürzinseln  Hinterindiens 
und  dem  Seidenlande  China  verbinden. 

Vor  allem  vermitteln  Genua,  Venedig  und  Portugal  diesen  Handel, 
dessen  Schätze  über  die  flandrischen  Städte  und  über  Lübeck  bis  England 
und  Skandinavien  gelangen. 

Auch  Hochasien  sendet  während  des  Mittelalters  ständig  neue  Völker- 
wellen aus,  die  Osteuropa  völlig  tatarisieren  (Goldene  Horde),  ihre  letzten 
Wellen  bis  nach  Mitteleuropa  und  dem  Balkan  schicken,  die  Randländer 
Chinas  überfluten  (chinesische  Mauer)  und  sogar  nach  Indien  dringen 
(Reich  des  Großmogul). 

Die  weltgeschichtlich  wichtigste  dieser  Wellen  überschwemmt  mit  den 
Turkvölkern  Vorderasien.  Das  hier  stellenweise  arabische  Kulturelemente 
aufsaugende  Türkenreich  (die  Türken  haben  arabische  Schriftzeichen!) 
sperrt  die  Landwege  die  das  Abendland  mit  Indien  verbinden, 
und  das  Suchen  des  Seeweges  nach  Indien  leitet  das  Zeitalter  der 
Entdeckungen,  der  Kolonisation  und  damit  die  Neuzeit  ein,  in  welcher 
der  Europäer  seinen  Eroberungszug  über  die  ganze  Erde  antritt,  und  auch 
die  Neue  Welt,  die  bisher  sich  langsam  und  abgeschlossen  entwickelt 
hatte,  in  die  Schaubühne  der  Weltgeschichte  einzieht. 

In  größtem  Umfange  wird  hierdurch  die  Ökumene  (das  von  Menschen 
besiedelte  Gebiet)  erweitert  und  umgewandelt  und  polwärts  bis  zu  den 
Getreidegrenzen  vorgeschoben,  innerhalb  deren  nur  noch  die  Wüsten  und 
tropischen  Urwälder  dichterer  Besiedelung  entbehren.  Im  größten  Teile 
der  gemäßigten  Zone  verwandelt  der  Ackerbau  das  Land  in  eine  Kultur- 
steppe, in  der  vielfach  nur  noch  die  Gebirge  die  ursprüngliche  Walddecke 
tragen.  Stellenweise  finden  wir  sogar  den  Gartenbau  (China  und  Japan); 
dazu  werden  gewaltige  Flächen  durch  künstliche  Bewässerung  erschlossen. 

Die  für  den  Urmenschen  charakteristische  Fischerei  und  Jagd  Wirt- 
schaft finden  wir  nur  noch  im  dichten  Tropenwalde  oder  polwärts  der 
Getreidegrenze,  die  Vi  eh  Wirtschaft  in  den  Grasländern  der  Subtropen. 
Aber  auch  der  tropische  Hackbau  weicht  immer  mehr  den  großen,  von 
Europäern  beaufsichtigten  Pflanzungen  (Plantagenkultur). 

Die  Erfindung  von  Eisenbahn  und  Dampfschiff  verkürzt  nicht  nur 
die  Entfernungen  auf  der  Erde,  sondern  gestattet  auch  eine  rationellere 
Verarbeitung  der  Naturschätze  (Eisen-  und  Textilindustrie,  Dampfpflug- 
kultur), wozu  die  Kunst  der  Ärzte  immer  mehr  Seuchen  zu  bekämpfen  lernt. 

Alles  dies  bedingt  eine  ständig  schneller  werdende  Zunahme  der  Be- 
völkerung der  Erde  und  das  Verstärken  des  dem  Menschen  angeborenen 
Häufungstriebes(Großstädte),Esistwohlmehralsein  Zufall, daßgeradein  den 
Breiten,  in  denen  sich  anscheinend  die  Menschwerdung  im  Eiszeitalter  voll- 
zog, heute  auch  diemenschliche  Kultur  und  die  Städtebildung  ihr  Maximum 
erreichen.  Deutlich  zeigen  sich  so  die  Optimalen  (Karte)  der  menschlichen 
Kultur,  auf  denen  auch  die  Mehrzahl  der  Millionenstädte  liegt. 

0 1  b  r  i  ch  t ,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  4 


50  VII.  Der  Mensch. 

Der  Welthandel. 
Im  Jahre  1750  wohnten  auf  der  Erde  etwa  750  MilHonen  Menschen, 
1800  und  900  MüHonen,  1850  über  1200  und  zu  Beginn  des  Weltkrieges 
beinahe  1700  Millionen.  In  derselben  Zeit  wuchs  aber  der  Welthandel 
von  einer  Milliarde  Mark  auf  17  (1850)  und  147  Milliarden!  Dies  ist 
die  Folge  der  immer  weitergehenden  Arbeitsteilung.  War  früher 
jeder  Staat  ein  selbständiges  Wirtschaftsgebiet  (Selbstversorger),  so  lehrt 
der  verfeinerte  Betrieb  den  Anbau  auf  Vv^enige  gut  gedeihende  Pflanzen 
zu  beschränken.  Hinzu  kommt  die  immer  schärfer  werdende  Scheidung 
von  Industrie-  und  Ackerbaustaaten,  die  über  die  Haus-  und  Großindustrie 
zur  Schwerindustrie  führt,  wie  sie  besonders  Deutschland,  England,  Belgien, 
die  Schweiz  und  Teile  der  Union  aufweisen,  die  wir  mit  Recht  als  Länder 
der  »Hochkultur«  den  Vollkulturgebieten  (Frankreich^  Skandinavien, 
Norditalien)  gegenüberstellen.  Die  Zonen,  in  denen  die  Hausindustrie  über- 
wiegt, (übrige  Kulturländer)  bezeichnen  wir  als  Altkultur.  Im  Gegensatz  zu 
dieser  Staaten kultur,  welche  die  weiße  und  gelbe  Rasse  kennzeichnet, 
steht  dann  die  Stammeskultur  (Hackbau,  Sammelwirtschaft,  Fischfang) 
der  Indianer,  der  schwarzen  Rasse  und  der  Polarvölker.  Der  immer  stärker 
werdende  Wettbewerb  der  Großstaaten,  das  Drängen  Rußlands 
zur  offenen  See,  die  Revanchesucht  Frankreichs,  das  zugleich 
fürchtete,  allmählich  seine  Rolle  als  Großmacht  auszuspielen,  und  die  Angst 
Englands,  seine  Vormachtstellung  als  größte  Flottenmacht  zu  verlieren, 
häuften  im  Verein  mit  deutscher  Schaukelpolitik  eine  Menge  von  Zünd- 
stoff an.  Dieser  mußte  zu  Beginn  des  20.  Jahrhunderts  zur  Explosion 
kommen,  zumal  damals  die  steigende  deutsche  Handelskurve  mit  der  eng- 
lischen zusammenprallte  (causae  belli).  Daß  dies  aber  gerade  im  Jahre  1914 
geschah,  war,  wie  Georg  Wegener  mit  Recht  bemerkt,  mehr  oder  weniger 
ein  Zufall  (casus  belli). 

Der  Weltkrieg. 

Eine  unendliche  Fülle  von  wirtschaftlichen  und  moralischen  Werten 
hat  dieser  Krieg  zerstört.  Durch  das  Hinzuziehen  gelber,  brauner  und 
schwarzer  Truppen  haben  Frankreich  und  England  ein  Verbrechen  an 
der  weißen  Rasse  begangen  und  ihr  moralisches  Prestige  vernichtet,  so 
daß  hierdurch  und  durch  den  Gewaltfrieden  von  Versailles  überall  neue 
Feuerbrände  auf  den  Ruinen  der  Alten  Welt  auflodern,  anstatt  dieser  endlich 
den  ersehnten  Frieden  zu  geben. 

Hierauf  immer  wieder  hinzuweisen,  ist  eine  Pflicht  der  deutschen  Lehrer. 
Denn  nie  kann  Deutschland  eine  geachtete  Stellung  in  der  Welt 
einnehmen,  wenn  es  aus  Liebedienerei  vor  dem  Ausland  zu  den 
ständigen  Anklagen,  daß  es  der  Anstifter  des  Weltkrieges  sei, 
schweigt.  Hiermit  predigen  wir  keinen  Revanchekrieg,  sondern 
gegenüber  feindlicher  Heuchelei  und  Zerstörungssucht  nur  den  entschlos- 
senen Kampf  um  Recht  und  Gerechtigkeit,  um  Freiheit  und  Selbstbestimmung. 

»Es  ist  die  Mission  der  Deutschen,  die  Ideenretorte  der 
Menschheit  zu  sein.«  Dies  Wort  eines  Franzosen  zeigt  uns  den  Weg, 
der  uns  wieder  nach  oben  führen  wird  durch  die  wallenden,  düsteren 
Nebel  der  Gegenwart. 


Die  Kolonialreiche.  51 


Die  Kolonialreiche. 
Die  große  Bedeutung,  welche  die  Kolonien  der  europäischen  Völker 
spielen,  macht  auch  im  Unterricht  eine  zusammenhängende  histo- 
risch-wirtschaftspolitische Darstellung  notwendig. 

Erst  seit  dem  Zeitalter  der  Entdeckungen  können  wir  von  übersee- 
ischen Kolonisationsbestrebungen  reden.  Mit  der  Entdeckung  der 
Neuen  Welt  gibt  das  Mittelmeer  seine  Bedeutung  an  den  Atlantischen 
Ozean  ab,  und  auch  die  Ostsee  verliert  ihre  Wichtigkeit.  Zuerst  nutzen  die 
am  meisten  westwärts  gelegenen  Länder  Spanien  und  Portugal  ihre 
günstige  Lage  aus  und  erwerben  sich  große  Kolonialreiche.  Da  beide 
Länder  aber  arm  an  Bevölkerung  sind,  handelt  es  sich  weniger  um  tief- 
greifende innere  Kolonisation  (mit  Ausnahme  von  Mittelamerika  und  den 
Silberländern  Südamerikas),  sondern  um  Schaffung  großer  »Interessen- 
sphären«. Dies  führt  so  weit,  daß  im  Jahre  1 474  durch  päpstlichen  Schieds- 
vertrag die  Welt  durch  die  »Demarkationslinie«  in  eine  spanische  und 
portugiesische  Hälfte  geteilt  wurde.  Spanien  bekam  die  Philippinen,  die 
Südseeinseln  und  ganz  Amerika  mit  Ausnahme  Brasiliens  zugesprochen, 
Portugal  letzteres,  sowie  ganz  Afrika  und  Indien.  Zugleich  beherrschte 
es  durch  Besetzung  von  Ormus  und  Maskat  den  Ausgangspunkt  wichtiger 
Handelswege  nach  Europa. 

Aus  Seeraub  und  Schmuggelhandel  nach  den  spanischen 
Kolonien  erwuchs  Englands  Macht,  die  zum  ersten  Male  nach  Ver- 
nichtung der  Armada  (1588)  von  Bedeutung  wird.  Im  Jahre  1600  wird 
die  ostindische  Kompagnie  begründet,  nachdem  einige  Jahre  vorher 
als  erster  Stützpunkt  in  Amerika  Virginien,  genannt  nach  der  Königin 
Elisabet,  besetzt  wurde.  Es  beginnt  das  Zeitalter  des  Ausbaues  des  eng- 
lischen Weltreiches  (Imperialismus),  beherrscht  durch  Kriege  mit  Holland 
und  Frankreich,  die  gleichzeitig  als  Kolonialvölker  auftreten. 

Sehen  wir  von  Rußland  ab,  dessen  riesiges,  schon  damals  10,5  Mill.  qkm 
umfassendes  nordasiatisches  Gebiet  derart  mit  dem  Mutterlande  zusammen- 
hängt, daß  es  nicht  als  Kolonialgebiet  bezeichnet  werden  kann,  so  ist  Spanien 
mit  6  Mill.  qkm  das  größte  Kolonialland  (Philippinen,  Mexiko  und  Süd- 
amerika); ihm  nicht  weit  nach  steht  Portugal  mit  4,5  Mill.  qkm  (Brasilien 
und  Afrika).  Frankreich  besitzt  das  große,  aber  menschenarme  Lorenz- 
und  Mississippibecken  ^  (2,5  Mill.  qkm),  außerdem  Handelsstützpunkte  in 
Vorderindien  und  St.  Louis  (Senegal),  Ft.  Dauphin  (Madagaskar)  und  die 
Insel  Reunion  als  Etappenpunkte  nach  Indien.  Holländisch  ist  der  größte 
Teil  der  hinterindischen  Inseln  mit  Kolombo,  Mauritius,  dem  Kaplande, 
Olinde  (Brasilien)  und  Tobago  als  Etappenpunkten,  sowie  Neu-Amsterdam 
(heute  New  York)  mit  zusammen  1,1  Mill.  qkm.  Englisch  sind  Neu-Fund- 
land,  das  Randgebiet  der  Hudsonbai  und  die  heutigen  Neu-Englandstaaten 
(zusammen  800000  qkm).  Politisch  und  geschichtlich  wichtiger  sind 
Gambia,  Goldküste,  St.  Helena,  Bombay,  Madras  und  Hugli  als  Keime 
des  großen  Kolonialreichs  mit  Indien  als  Mittelpunkt.  In  großen  See- 
kriegen (1651  — 1674)  wird  durch  die  von  Crom  well  geschaffene  Flotte 


*)  Hier  finden  wir  auch  heute  noch  französische  Namen,  wie  New  Orleans, 
St.  Louis  usw. 

4* 


52  VII.  Der  Mensch. 


Holland  besiegt;  bald  beginnt  ( 1 688 — 1815)  auch  die  Bekämpfung  Frank- 
reichs unter  der  Losung  »Aufrechterhaltung  des  europäischen  Gleich- 
gewichts«. Die  Loslösung  der  Vereinigten  Staaten  (1776 —  1 783)  ist  zwar  für 
England  ein  harter  Schlag,  der  aber  durch  die  Besetzung  von  Kanada,  des 
Mississippibeckens(bis  1 783)  und  durch  den  Verzicht  Frankreichsauf  Vorder- 
indien wieder  gutgemacht  wird.  Im  Jahre  1788  setzt  sich  England  auch 
in  Australien  fest  (Sydney).  So  ist  bis  zum  Jahre  1790  das  englische  Ko- 
lonialgebiet auf  5,5  Mill.  qkm  angewachsen,  zumeist  auf  Kosten  des  in 
Kontinental  kriege  verwickelten  Frankreichs,  dessen  Kolonialfläche  auf 
150000  qkm  zurückgeht.  Das  holländische  Gebiet  (Erschließung  Indo- 
nesiens) ist  inzwischen  auf  2,2  Mill.  qkm  angewachsen,  ebenso  durch  Er- 
forschung Amerikas  das  spanische  und  portugiesische  auf  10  Mill.  bzw. 
8  Mill.  qkm.  Aber  Holland  besitzt  noch  Kolombo  und  das  Kapland  (bis 
1806),  Frankreich  die  Seychellen,  Mauritius  und  Reunion  als  Etappen- 
wege nach  Indien. 

Am  18.  Juni  1815  fiel  bei  Belle  Alliance  die  eigentliche  Entscheidung 
zwischen  Frankreich  und  England,  und  von  nun  an  wird  in  England  der 
Gedanke  der  Weltbeherrschung  (Imperialismus!)  etwas  Selbstverständ- 
liches und  Vorderindien  derMittelpunkt  des  riesigen  Kolonialreichs.  Kapland, 
Kanada  und  Australien  werden  die  wichtigsten  Siedlungskolonien  als 
Ersatz  für  das  verlorene  Amerika.  Als  Etappenpunkte  werden  nicht  nur 
bis  auf  einige  französisch  bleibende  Teile  die  Inseln  des  Indischen  und 
Atlantischen  Ozeans  besetzt,  sondern  auch  Malta,  Aden  und  Gibraltar; 
eine  Perlschnur  von  Stützpunkten  schließt  sich  um  Afrika.  Schon  im 
Jahre  1870  ist  England  das  größte  Kolonialland  der  Erde  mit 
21  Mill.  qkm,  das  selbst  Rußland,  welches  inzwischen  Turkestan  und  das 
Amurgebiet  mit  Wladiwostok  besetzte  und  sein  Gebiet  auf  16,5  Mill.  qkm 
erhöhte,  überragt.  Das  holländische  Kolonialreich  hat  die  heutige  Aus- 
dehnung (1,8  Mill.  qkm)  erreicht  (Verlust  des  Kaplandes!).  Spanien  und 
Portugal  sind  nach  Loslösung  der  amerikanischen  Gebiete  auf  410000 
bzw.  1,9  Mill.  qkm  heruntergegangen.  Frankreich  hat  durch  Besetzung 
von  Algerien  (1830),  Guayana  und  Senegambien  ein  Kolonialgebiet 
von  600000  qkm  erworben.  Die  letzten  Jahrzehnte  bringen  (namentlich 
in  Afrika)  die  Ab  run  düng  des  englischen  Kolonial  reiches,  dessen 
Lebensnerv  seit  Eröffnung  des  Suezkanals  (1869)  auf  die  Linie 
Gibraltar  —  Ägypten  —  Aden  übergeht.  Frankreich  erwirbt  sich  nicht 
nur  in  Hinterindien  (1884)  großes  Kolonialgebiet,  sondern  rundet  auch 
seinen  afrikanischen  Besitz  (beginnend  1878  mit  der  Erwerbung  von  Tunis^ 
wodurch  es  Italien  dem  »Dreibund«  in  die  Arme  trieb)  erheblich  ab. 
Es  tat  dies  mit  ausdrücklicher  Bewilligung  Deutschlands,  damit  es  nicht 
immer  auf  das  »Vogesenloch  starre«.  Aber  im  allgemeinen  verstand  es 
Frankreich  nicht,  seine  kolonialen  und  kontinentalen  Interessen  (Revanche- 
politik) richtig  zu  vereinigen.  Es  verzichtet  aus  Furcht,  die  gegen  Deutsch- 
land verwendbaren  Kräfte  zu  schwächen,  auf  eine  Intervention  in 
Ägypten  (1881)  und  weicht  im  Jahre  1899  (Faschoda)  endgültig  vom 
Indischen  Ozean,  der  hiermit  ein  englisches  Meer  wurde.  Dafür  und  für 
den  Verzicht  auf  Ägypten  bekam  es  allerdings  schon  damals  Marokko 
zugesprochen. 


Die  Kolonialreiche. 


53 


Gefährlich  drohte  für  England  eine  Zeitlang  Rußland^  zu 
werden,  das  sich  durch  seine  Festsetzung  in  Turkestan  Indien 
bedenklich  genähert  hatte.  Doch  brachte  der  Krieg  mit  Japan  eine 
große  Schwächung  des  Riesenreiches  mit  sich,  und  geniale  englische  Staats- 
kunst lockte  russische  Wünsche  und  Ausdehnungsbestrebungen  unter  dem 
Deckmantel  des  »Panslawismus«  in  die  Richtung  Konstantinopel  —  Balkan. 

Als  letztes  Land  erscheint  um  das  Jahr  1884  Deutschland  in  der 
Reihe  derKolonialvölker.SeinVorgehen  hängt  mitdem  Aufschwünge  unseres 
Vaterlandes  seit  dem  Kriege  1870  und  7 1  zusammen.  Spät  traten  wir  auf  den 


=  Übrige  Kolonien    •  früheranderen Sfaafen gehörig 

Alter  — Neuer  Jndienweg 

16.  Das  englische  Imperium. 


Plan.  Die  aus  dem  ehemals  spanisch -portugiesischen  Kolonialbesitz  er- 
wachsenen Republiken  waren  von  den  Mächten  als  selbständige  Staaten 
anerkannt,  und  Afrikas  wichtigste  Punkte  (namentlich  die  großen  Ströme) 
waren  anderweitig  besetzt,  nachdem  der  Kongostaat  »provisorisch« 
Belgien  zugesprochen  war,  da  England  und  Frankreich  sich  nicht  einigen 
konnten.  So  fehlten  unseren  Kolonien  nicht  nur  die  Verbindung  unter- 
einander, sondern  auch  natürliche  Verkehrswege,  wie  sie  große 
Flüsse  darstellen,  sowie  endlich  Etappenpunkte,  welche  Heimat  und 
Kolonien  verbinden.  Das  Hauptgewicht  legte  Deutschland  auf  Afrika. 
Von  der  bewaldeten,  ungesunden  Küste  ausgehend,  suchten  wir  uns  mög- 
lichst viel  Fläche  im  gesunderen,  dichter  bevölkerten  »Hinterlande«  zu 
sichern  (dies  tritt  namentlich  bei  Togo  und  Kamerun  gut  in  den  Grenzen 
hervor),  wobei  es  mehrfach  zu  Auseinandersetzungen  mit  Frankreich  und 


0  Englands  raffinierte  Diplomatie  erkannte  dies  sofort  nach  dem  Sturz 
Bismarcks  und  wußte  Deutschland  zu  veranlassen,  seinen  Vertrag  mit  Ruß- 
land zu  lösen,  womit  die  Schaukelpolitik  der  Wilhelminischen  Ära  begann, 
die,  verstärkt  durch  eine  ungeschickte  Diplomatie,  uns  mit  der  ganzen  Welt 
verfeindete. 


54  VII.  Der  Mensch. 


England  kam.  In  Südwestafrika  erwarben  wir  gutes  Siedlungsland, 
dessen  Entwicklung  (Diamanten!)  auch  der  Hereroauf  stand  nicht  hemmen 
konnte.  Eifrig  wurde  im  letzten  Jahrzehnt  der  Bau  von  Wegen  und  Eisen- 
bahnen betrieben,  auch  Abrundungsbestrebungen  machten  sich  be- 
merkbar. Diese  hingen  mit  der  Marokkofrage  zusammen,  doch  scheinen 
auch  Verhandlungen  mit  England  zwecks  Aufteilung  des  portugiesischen 
Kolonialbesitzes  geschwebt  zu  haben.  Ein  zweites  aufblühendes  Kolonial- 
gebiet erwarben  wir  uns  im  Stillen  Ozean. 

Der  Weltkrieg  hat  uns  den  Verlust  unserer  Kolonien  gebracht,  die 
zwischen  England  und  Frankreich  (als  »Mandatare  des  Völkerbundes«) 
aufgeteilt  wurden,  dazu  schuf  sich  England  die  Landbrücke  zwischen 
Indien  und  Ägypten  über  Südpersien  und  Arabien,  wobei  ihm  Mesopo- 
tamien als  eines  der  größten  Baumwolländer  der  Zukunft  zufiel  (Dominium 
maris  Jndici). 

Eine  Tabelle  möge  die  Entwicklung  der  Kolonien  erläutern: 

Wachstum  des  Kolonialbesitzes  (Mill.  km^): 


1600 

1790 

1870 

1905 

1914 

1920 

England 

0,8 

5,5 

21,0 

28,8 

34,0 

ca.  40 

Frankreich 

2,5 

0,15 

0,6 

7,0 

10,6 

ca.  12 

Rußland 

10,5 

12,0 

16,5 

16,8 

16,9 

16,9? 

Deutschland 

— 

— 

— 

2,6 

2,9 

— 

Portugal 

4,5 

8,0 

1,9 

2,2 

2,1 

2,1 

Holland 

1,1 

2,2 

1,8 

2,0 

2,1 

2,1 

Spanien 

6,0 

10,0 

0,4 

1,0 

0,5 

0,5 

Das  britische  Kolonialreich  hat  heute  über  400  Millionen  Einwohner, 
das  russische  (1914)  33,  das  französische  annähernd  60  —  Schwarze 
Armee!  — ,  das  holländische  40,  das  belgische  15,  das  portugiesische  bei- 
nahe 10,  Äußerlich  steht  England  fester  da  als  je  und  auf  dem 
Gipfel  seiner  Macht.  Aber  auch  hier  scheint  die  Entwicklung  dafür  zu 
sorgen,  daß  die  Bäume  nicht  in  den  Himmel  wachsen.  Der  Versuch 
Englands,  auch  durch  Raub  der  deutschen  Seekabel  den  deutschen  Kauf- 
mann zu  erdrosseln,  hat  zu  einer  gewaltigen  Weiterentwicklung  der  Funken- 
telegraphie  geführt,  in  der  namentlich  Deutschland  und  Amerika  mit  Erfolg 
bemüht  sind,  sich  von  der  Londoner  Weltzensur  frei  zu  machen. 


Politische  Geographie. 

Aus  der  großen  Fülle  der  politischen  Geographie  seien  in  folgenden 
Zeilen  nur  einige  wenige  wichtige  Gesichtspunkte  herausgegriffen,  wo- 
bei ich  besondersauf  Wegeners  »Geographische  Ursachen  des  Weltkrieges« 
und  Supans  »Leitlinien  der  allgemeinen  politischen  Geographie«  hinweise. 
Auch  die  Ergebnisse  eigener  Arbeiten  sind  schon  eingeflochten. 


Staaten  und  Grenzen,  55 


Staaten  und  Grenzen. 

Wir  können  Großstaaten,  Mittelstaaten  und  Kleinstaaten  unter- 
scheiden. Politisch  bedeutungsvoll  sind  Pufferstaaten  (Belgien,  Luxem- 
burg, Schweiz,  Persien  usw.),  die  vielfach  absichtlich  geschaffen  wurden 
(Belgien,  Rheinbund).  Wichtig  sind  für  die  politische  Erdkunde  die  Grenzen. 

Die  ideale  Grenze  für  jeden  Staat  ist  die  Kreislinie,  von  der  die  wirk- 
lichen Grenzen  naturgemäß  stark  abweichen.  Wichtiger  als  die  politische 
Grenze  mit  ihren  vielen  Krümmungen  ist  im  Kriegsfall  die  aus  ihrer 
Abrundung  entstandene  strategische  Grenze  (Verlauf  der  öster- 
reichisch-italienischen Front).  Als  Grenzfaktor  bezeichnet  man  die  Zahl, 
die  angibt,  um  wieviel  die  strategische  Grenze  die  ideale  übertrifft.  Be- 
sonders ungünstig  war  diese  Zahl  für  Deutschland,  die  Türkei  und  Öster- 
reich-Ungarn, günstiger  für  Frankreich.  Ein  Land  mit  ausgedehnter  See- 
grenze steht  in  kontinentalen  Kriegen  günstig  da,  braucht  aber  zur  Ver- 
teidigung eine  große  Flotte.  Es  kann  auch  leichter  Handel  treiben,  ist 
aber  nicht  mehr  Herr  über  seine  Lage,  wenn  im  Kriegsfall  größere  See- 
mächte nicht  nur  seine  Küstenstädte  angreifen,  sondern  auch  seinen  Handel 
blockieren  (Italien,  Griechenland,  Norwegen,  Portugal). 

Im  einzelnen  unterscheiden  wir  natürliche  und  künstliche  Grenzen. 
Natürliche  Grenzen  sind  vor  allem  das  Meer  und  Gebirge,  doch  über- 
wiegen bei  den  meisten  Staaten  künstliche  Grenzen.  Die  Römer  schützten 
diese  durch  Grenzwälle  (Limes,  Hadrianswall,  Trajanswälle  in  der  Do- 
brudscha),  die  Chinesen  durch  die  große  Mauer.  Eine  ähnliche  Schutz- 
vorrichtung ist  die  moderne  Front  mit  ihren  Schützengräben. 

Flüsse  sind  immer  Verkehrsadern  natürlicher  Landschaften  und 
daher  nur  Grenzen  bei  primitiven  und  in  Entwicklung  begriffenen  poli- 
tischen Gebilden  (Rhein-  und  Donaugrenze  des  Römerreiches,  Donau- 
grenze der  unentwickelten  Balkan  Staaten,  Rheingrenze  des  napoleonischen 
Frankreichs).  Wirkliche  Grenzen  sind  sie  nur,  wenn  sie  zugleich  Nationali- 
täten scheiden  (untere  Donau)  ^). 

Als  Verdichtungspunkte  der  Bevölkerung  sind  die  Siedlungen 
in  ihrer  Lage  vielfach  von  geographischen  Faktoren  abhängig. 

Die  Hafenstädte. 
Die  Küstenstädte  liegen  mit  Vorliebe  an  der  Mündung  größerer 
Flüsse,  deren  Gebiet  sie  wirtschaftlich  beherrschen.  Vielfach  finden  wir 
sie  am  Ende  des  Fluttrichters  (Hamburg,  Bremen,  London,  Bordeaux, 
Nantes)  m'it  einem  zur  See  hingeschobenen  Vorhafen  (Cuxhaven,  Graves- 
end,  Bremerhaven,  St.  Nazaire),  der  dann  zumeist  den  Passagierverkehr 
vermittelt,  während  der  Frachtverkehr  möglichst  tief  ins  Land  einzudringen 
sucht.  Bei  großen,  schlammreichen  Strömen  mit  mehreren  Mündungsarmen 
liegt  der  Mündungshafen  vielfach  an  einem  Seitenarm,  der  weniger  der 
Versandungsgefahr  ausgesetzt  ist  (Karatschi,  Kalkutta,  Schanghai,  Rangun, 


*)  Einen  Überblick  gab  ich  in  dem  Aufsatz:  Über  Grenzen  und  ihre  Ver- 
änderungen«  (Geogr.  Anzeiger  1915  Augustheft),  der  auch  Zahlenangaben  ent- 
hält. Man  lasse  die  Schüler  der  Oberstufe,  welche  die  Kreisrechnung  beherrschen, 
als  Hausaufgabe  (mit  Messungen  auf  der  Karte  verbunden!)  einige  Grenzfaktoren 
ausrechnen,  sowie  den  Anteil  der  See  an  der  Grenzlinie! 


56  VII.  Der  Mensch. 


Para,  Kanton,  Saigon,  Marseille,  Venedig,  Livorno  und  Cadix).  Auch  Häfen 
wie  Barcelona,  Malaga,  Saloniki,  Smyrna  und  Alexandria  liegen  aus  dem- 
selben Grunde  abseits  der  Flußmündungen.  Viele  ehemals  blühende  Häfen, 
wie  Adria,  Ravenna,  Tarragona,  Narbonne,  Milet,  Ephesus  und  Halikarnaß, 
sind  durch  Versandung  unbrauchbar  geworden,  wie  auch  die  meisten 
Häfen  des  alten  Phönikiens. 

Zahlreiche  Häfen  (Genua,  Venedig,  Triest,  Tarent,  Petersburg  und 
Wladiwostok)  finden  wir  am  Ende  tiefer  Meerbusen.  Sie  sinken  in  ihrer 
Bedeutung,  wenn  diese  zu  Nebenmeeren  werden  (Venedig,  Tarent,  Korinth). 

Vielfach  sind  infolge  Fehlens  geeigneter  Flüsse  Städte  durch  geschicht- 
liche Faktoren  wichtige  Häfen  geworden  und  stehen  nur  durch  Eisen- 
bahnen mit  ihrem  Hinterlande  in  Verbindung  (Konstanza,  Bombay,  Port 
Sudan,  Beirut,  Sydney,  Rio,  Pernambuko).  Auch  New  York  vermittelt  als 
Ausgangspunkt  der  großen  amerikanischen  Eisenbahnlinien  einen  großen 
Teil  des  Handels,  der  eigentlich  New  Orleans  zukäme  (Versandung  des 
Mississippi)  und  Memel  wurde  durch  Libau  überholt. 

Calais,  Dover,  Boulogne,  Dünkirchen,  Brindisi  und  Durazzo  kann  man 
treffend  als  Übergangs-  oder  Fährhäfen  bezeichnen.  Konstantinopel 
und  Kopenhagen  beherrschen  die  Ausgänge  wichtiger  Nebenmeere,  die 
zugleich  von  wichtigen  Straßen  des  Landverkehrs  (Eisenbahnfähren)  ge- 
kreuzt werden. 

Eine  besondere  Rolle  spielen  Aden,  Hongkong,  Kapstadt,  Gibraltar, 
Kolombo  und  Singapore,  als  Hauptetappenorte  des  britischen  Kolonial- 
reiches glänzend  gewählt. 

Bei  Kriegshäfen  lassen  sich  zwei  Fälle  unterscheiden.  Einmal  liegen  sie 
an  tiefen,  gegen  Versandung  geschützten  Buchten  (Kiel,  Wilhelmshaven, 
Spezia,  Pola,  Portsmouth,  Tarent,  Kronstadt,  Reval),  bevorzugen  dann 
aber  auch  wieder  Halbinseln,  die  weit  in  ein  verkehrsreiches  Meer  hinein- 
ragen (Ferrol,  Coruna,  Brest,  Cherbourg,  Plymouth,  Toulon,  Helder,  Port 
Arthur,  Biserta  und  Singapore). 

Bei  den  Handelshäfen  neigt  der  sich  steigernde  Verkehr  dazu,  einige 
wenige  Riesenhäfen  auf  Kosten  benachbarter  zu  vergrößern  (New  York, 
London,  Hamburg),  also  gewissermaßen  einen  Auslesevorgang  zu  treffen. 

Hennig  zählte  1910  21  Welthäfen  auf,  von  denen  allein  acht  auf  das 
britische  Imperium  fielen.  Nach  demselben  Verfasser  fielen  1908  beinahe 
vier  Fünftel  des  Weltverkehrs  auf  den  Atlantischen  Ozean,  nur  20  Prozent 
auf  den  Stillen  Ozean  und  sechs  auf  den  Indischen.  Nach  Erdteilen  be- 
rechnet fielen  auf  Europa  53,  Amerika  18,  Asien  17,  Afrika  7  und  Austra- 
lien 5  Prozent 

Die  Lage  der  Binne.nstädite, 
Die  Binnenstädte  liegen  zumeist  an  den  Flüssen.  Bevorzugt  werden 
Stellen,  wo  größere  Nebenflüsse  münden,  in  Gebirgstälern  solche,  wo  Neben- 
tälcr  münden  und  von  denen  Paßstraßen  ausgehen  (Städte  Südtirols,  Inns- 
bruck). Früher  waren  Furten  wichtig  (Frankfurt,  Schweinfurt,  Oxford), 
dazu  aber  auch  Stellen,  an  denen  der  Fluß  sich  in  zahlreiche  Arme  mit 
Inseln  auflöst.  Beliebt  sind  Außenseiten  von  Flußkrümmungen,  die  weniger 
der  Versandung  ausgesetzt  sind  (Köln,  Düsseldorf,  Ruhrort,  Wien,  Dresden), 


Das  Wachstum  der  Städte.  57 

bei  breiten  Tälern  auch  die  Ufer,  die  der  Fluß  unterspült  (Hamburg,  Ofen- 
Pest).  Bei  verwilderten  Flüssen  liegen  die  Städte  oft  erst  in  einer  größeren 
Entfernung  vom  Strom  (Straßburg,  viele  Weichselstädte  usw.). 

Einschnitte  zwischen  Gebirgen  und  Stellen,  an  denen  aus  Gebirgspässen 
kommende  Straßen  einen  Fluß  kreuzen  oder  die  See  erreichen,  sind  eben- 
falls von  Siedlungen  bevorzugt  (Osnabrück,  Minden,  Bonn,  Mainz,  Frank- 
furt, Wien,  Bologna,  Florenz,  Turin,  Mailand,  Straßburg,  Verona,  Santander, 
Malaga).  Liegen  Senken  an  Grenzen,  so  können  größere  Siedlungen  fehlen 
(Mährische  Senke,  Eisernes  Tor)  oder  Zwillingsstädte  auftreten  (Mülhausen 
und  Beifort).  Zwillingsstädte  finden  wir  auch  sonst  an  Grenzen  (Frankfurt- 
Offenbach,  Gibraltar-La  Linea,  St.  Sebastian-Bayonne,  Kiachta-Maimatschin, 
Mannheim-Ludwigshafen,  Leipzig-Halle).  Auch  Wasserfälle  wirken  vielfach 
städtebildend  (Industrie  und  Umschlagverkehr).  Beispiele  sind  St.  Paul, 
Jekaterinoslaw,  Spokane,  Niagara  Falls,  Rochester  N.-J.,  Fallinienstädte. 
Neuerdings  wird  jedoch  die  gewonnene  elektrische  Energie  weit  weggeleitet. 

In  einigen  Fällen  sind  Doppelstädte  aus  den  Religionskämpfen  des  Mittel- 
alters zu  erklären  (Nürnberg-Fürth,  Köln-Mülheim). 

Städte,  die  nach  geschichtlichen  Persönlichkeiten  genannt  sind,  lassen 
vielfach  noch  die  Zeit  ihrer  Gründung  erkennen  (Wilhelmshaven,  Ludwigs- 
hafen, Karlsruhe,  Franzensbad,  Franzensfeste,  Nikolajew,  St.  Petersburg, 
Jekaterinenburg,  Jekaterinoslaw,  Victoria,  Sydney,  Adrianopel,  Charleston, 
St.  Louis,  Port  Elizabet,  Barcelona,  Mahou,  Zaragoza  =  Cäsarea  Augusta, 
Orleans  =  Aureliansstadt),  Kolonialstädte  auch  das  kolonisierende  Land 
(Sagunt  =  Zakynthos,  Carthagena,  Agde  =  Agathe,  Nizza  =  Nicaea,  Monako 
=  Monoikos,  Antibes=  Antipolis,  Messina  =  Messenierstadt,  die  Griechen- 
städte Süditaliens,  die  Römerstädte  außerhalb  Italiens,  die  Städte  der  Neuen 
Welt).  Eine  Fülle  von  Belehrung  liegt  in  den  Ortsnamen,  an  die  mit 
gleichem  Erfolge  der  geschichtliche  und  sprachliche  Unterricht  anknüpfen 
können  und  müssen!^) 

Neben  geographischen  Ursachen  sind  aber  auch  geschichtliche, 
vor  allem  der  Ausbau  der  Straßen  und  Eisenbahnen  von  Einfluß  auf  die 
Weiterentwicklung  besonders  solcher  Siedlungen,  die  größere  natürliche 
Verkehrswege  entbehren  (Halle,  Leipzig,  Nürnberg,  Mailand,  Moskau, 
München).  Als  Knotenpunkte  des  Landverkehrs  überflügelten  Stuttgart 
Eßlingen,  Frankfurt  Mainz,  Eine  besondere  Rolle  spielen  die  Oasen- 
städte Asiens  und  Nordafrikas. 

Das  Wachstum  der  Städte. 
In  jeder  Stadt  unterscheiden  wir  den  meist  rundlichen  Kern  und  die 
neueren  Stadtteile,  die  in  vielen  Fällen  weit  über  die  Stadtgrenzen  wachsen 
und  Eingemeindungen  nötig  machen.  Neuerdings  wachsen  aber  auch  im  Um- 
kreis der  Städte  (teuere  Bodenpreise  im  Stadtkern)  zahlreiche  Dörfer  durch 
Anlage  von  Fabriken,  Villenkolonien  und  Verschiebebahnhöfen  stark  an  und 
bilden  das  wirtschaftliche  Weichbild  der  Stadt,  das  wir  mit  berücksich- 
tigen müssen,  um  die  wirkliche  Bedeutung  der  Siedlungen  erfassen  zu 
können,   Namen  wie  Groß-Berlin,  Groß-London  usw.  sind  so  erklärlich. 

1)  Vgl.  hierzu  die  feinsinnige  Studie  von  Prof.  Dr.  Karl  Olbrich  über  »die 
Konzentrationsmöglichkeiten  usw.«  (Breslau  1913,  Trewendt  Grannier). 


58  VII.  Der  Mensch. 


Alle  geographischen  Arbeiten  sollten  sich  endlich  daran  gewöhnen,  bei 
den  Einvvohnerangaben  immer  die  mit  den  Städten  zusammengewachsenen 
Vororte  einzurechnen  und  zum  Vergleich  etwa  das  Wachstum  der  letzten 
40  Jahre  in  Prozent  beizusetzen  (da  wir  erst  hieran  die  Bedeutung  und  die 
Entwicklungsmöglichkeiten  von  Siedlungen  erkennen),  oder  die  Einwohner- 
zahl, etwa  von  1871,  dahinter  einzuklammern  0. 

Das  Wachstum  und  die  Entwicklung  der  Heimatstadt  muß  jede  Schule 
ihren  Schülern  an  Hand  verschieden  alter  Pläne  vorführen  können,  und 
die  Erklärung  der  Straßennamen  gibt  manchmal  bedeutsame  Auf- 
schlüsse. Überhaupt  empfiehlt  es  sich,  bei  siedlungsgeographischen  Fragen 


17.  Städtebildung  1910  (Zahlen  im  Text). 

möglichst  viel  an  die  Heimatstadt  und  benachbarte  Siedlungen  anzuknüpfen 
und  hierbei  auch  auf  das  architektonische  Aussehen  der  Städte  hinzuweisen, 
was  wiederum  Anknüpfungspunkte  zu  der  Kunstgeschichte  bietet. 
Bei  solcher  Behandlungsweise  erscheint  die  Siedlungskunde  von  über- 
raschender Reichhaltigkeit  und  Anwendungsfähigkeit  und  erweckt  dazu  in 
hohem  Grade  Liebe  und  Verständnis  für  die  Heimat,  damit  nicht  wenig 
zur  Volksgesundung  beitragend. 

Städte  als  Kultur'messer. 
Das  Jahr  1914  bezeichnet  zweifellos  einen  der  Wendepunkte  geschicht- 
licher Entwicklung,  indem  der  Welthandel  eine  ungeahnte  Höhe  erreicht 
hatte  und  auch  die  Industrialisierung  in  dem  starken  Anwachsen  der  Städte 
ihren  beredten  Ausdruck  fand.  Gerade  in  der  Städtcbildung  kommt  der 
eigenartige  Häufungstrieb  des  menschlichen  Geschlechtes  am  besten  zum 
Ausdruck,  so  daß  wir  in  ihr  einen  wichtigen  Gradmesser  für  die  Vervoll- 
kommnung der  Kultur  erblicken  können.  Es  liegt  nahe,  dies  auch  zahlen- 
gemäß und  kartographisch  zum  Ausdruck  zu  bringen. 


*)  Dies  Prinzip  wird  jetzt  in  den  neuen  Ausgaben  des  Seydiitz  durchgeführt. 


Städte  als  Kulturmesser.  59 


Berechnen  wir  den  Prozentsatz,  den  die  Städte  von  mehr  als  30000  Ein- 
wohnern an  der  Gesamtbevölkerung  der  Einzelländer  ausmachen,  und 
nehmen  wir  als  Fixpunkt  das  Jahr  1910,  in  dem  die  letzte  allgemeine  Volks- 
zählung in  größeren  Gebieten  der  Erde  stattfand,  so  erhalten  wir  folgendes 
Bild  (vgl.  Karte),  wenn  wir  den  Prozentsatz  der  Stadtbevölkerung  Stadt- 
faktor nennen  0. 

Fast  städtelos  (von  Handelsemporien  wie  Singapur,  Bangkok,  Para, 
Palembang  usw.  abgesehen)  sind  das  tropische  Indonesien,  das  tropische 
Afrika  und  das  Innere  Südamerikas,  Zonen,  die  wir  als  Gebiet  der 
Stammeskultur  bezeichnen  können,  wo  der  Europäer  nur  inselartig 
in  den  großen  Plantagen  siedelt.  Städteinseln  bilden  hier  die  Insel  Java 
(1,7  °/o)  und  die  »Stadtdörfer«  des  Sudan,  über  deren  Größe  sichere  Zahlen 
fehlen  (schätzungsweise  4°lo  der  Bevölkerung  wohnen  in  diesen  »Städten«). 

Auch  in  Vorderindien  steigt  der  Stadtfaktor  nur  auf  3,5  °/o  (Ceylon  mit 
seinen  Hafenstädten  Q^/o),  was  durchaus  dem  kulturellen  Bilde  der  von 
wenigen  Europäern  ausgepreßten,  wenig  kultivierten  Eingeborenenbevölke- 
rung entspricht.  Im  tropischen  Amerika  finden  wir  jedoch  an  den  Küsten 
höher  entwickelte  Gebiete  mit  durchschnittlich  7%,  die  in  den  gesunden 
Hochlandsgebieten  von  Mexiko  und  Südbrasilien  auf  9  und  sogar  H^/o 
steigen.    Eine  ähnliche  Höhe  zeigen  die  Philippinen  mit  S^/e. 

Erst  jenseits  der  Tropen zone,  wo  die  Temperaturschwankungen 
größer  werden  und  anreizend  auf  die  Arbeitskraft  wirken,  setzt  in  größerem 
Umfange  die  Städtebildung  ein.  Fast  der  ganze  Orient  hat  einen  Stadt- 
faktor von  etwa  lO^'/o,  der  als  Altkultur  bezeichnet  sei,  da  er  seit  Jahr- 
hunderten sich  auf  derselben  Höhe  zu  halten  scheint.  Die  stärkere  Arbeits- 
lust äußert  sich  in  der  hochentwickelten  Hausindustrie,  die  auch  für 
China  (9  %)  und  Korea  bezeichnend  ist,  während  das  industrielle  Japan  es 
auf  16"^/o  bringt,  was  auch  in  seiner  Großindustrie  zum  Ausdruck  kommt. 
Im  ganzen  Süden  der  Vereinigten  Staaten  mit  seiner  eigenartigen  Ver- 
mischung von  Plantagenkultur  und  Großindustrie  finden  wir  ebenfalls 
10^12  °/o,  ähnliche  Zahlen  weist  Südosteuropa  (Ungarn,  Balkanstaaten)  auf. 
Nur  auf  8,5  °/o  bringt  es  Osteuropa  (einschließlich  Galizien,  aber  ohne  Finn- 
land, die  Ostseeprovinzen  und  Polen!).  Mit  seiner  eigenartigen  Mischung 
eines  tiefstehenden  Bauernstandes,  der  in  großen,  verkommenen  Dörfern 
siedelt,  und  mit  inselartig  eingesprengter  Großindustrie,  erinnert  es  an  Indien. 

Als  Vollkulturgebiete  bezeichnen  wir  die  Landstriche,  in  denen  die 
Großindustrie  sich  in  größerem  Umfange  einstellt  und  der  Stadtfaktor 
auf  mehr  als  1 5  °/o  steigt.  Solche  Gebiete  sind  der  ganze  Westen  Europas 
(Österreich  23,  Italien  16,  Dänemark  28,  Skandinavien  20,  Polen  19, 
baltisches  Gebiet  28,  Spanien  und  Portugal  15,  Frankreich  23),  das  Amur- 
gebiet mit  der  Insel  Jesso  (27  °/o),  das  Seengebiet  der  Vereinigten  Staaten 
und  Kanada  (23  »/o),  Chile  (26  "/o),  Transvaal  (29°/o),  Queensland  (28^/0) 
und  die  Schweiz  (200/0). 

Am  höchsten  stehen  die  Gebiete  mit  überwiegender  Schwerindustrie 
(Eisen  und  Kohle),  die  ich  als  Hochkultur  bezeichnet  habe. 

^)  Die  folgenden  Zeilen  sind  ein  Auszug  aus  einer  größeren  noch  nicht 
druckfertig  vorliegenden  Abhandlung. 


60 


VII.  Der  Mensch. 


In  Europa  sind  das  England  (51  "/o,  Irland  hat  trotz  seiner  günstigen 
Lagenur21°/o),  Deutschland  (35  «/o),  Belgien  (30  »/o)  und  Holland  (36  ^/o), 
in  Amerika  die  Pazifischen  Staaten  (41  "/o)  und  das  Neuenglandgebiet,  wo 
die  Stadtkultur  mit  6 P/o  ihren  Höhepunkt  erreicht. 

Merkwürdig  ist  auch  der  hohe  Stadtfaktor  im  La  Platagebiet  (33  "/o),  im 
Süden  des  Australkontinentes  (45%)  und  in  Neuseeland  30*^/0,  in  denen 
sich  der  Häufungstrieb  der  Mutterländer  vererbt  zu  haben  scheint  (diese 
Gebiete  haben  Großindustrie,  aber  keine  Schwerindustrie!). 

Vom  anthropologisch  rassenkundlichen  Standpunkt  ist  beachtenswert,  daß 
im  Durchschnitt  der  Stadtfaktor  der  Mongolen  8"/o  ist,  der  Slawen  10% 
(Tschechen  allein  12'*/o),  der  Romanen  2\°lo,  der  Germanen  40''/o  (um 
1800  hatten  die  Slawen  5^/0,  Romanen  13  und  Germanen  15,  ein  deut- 
licher Fingerzeig  für  die  kulturellen  Unterschiede  in  der  Entwicklungs- 
fähigkeit!) beträgt.  Aus  diesen  Zahlen  ergibt  sich  auch  der  Verlauf  der 
Optimalen,  deren  Bedeutung  ich  schon  würdigte.  Man  vergesse  aber 
nicht,  daß  in  diesen  Zahlen  nur  die  äußere  Seite  der  Kultur  —  bzw. 
die  Zivilisation?  —  zum  Ausdruck  kommt. 


"■^^KonlinpnfdlkurvG 


N  60 


50       40       30       20        10       0        10       20       30       40  5 

18.    Kurve  der  Großstädte;  jedes  mm  eine  Großstadt. 


Die  Großstädte. 

Daß  die  Großstädte  hauptsächlich  eine  Erscheinung  der  gemäßigten  Zone 
sind,  zeigt  die  abgebildete  Kurve,  in  der  jedes  Millimeter  einer  Großstadt  ent- 
spricht und  zum  Vergleich  die  Flächenkurve  der  Landmassen  (Kontinental- 
kurve) eingezeichnet  ist.  Innerhalb  der  Wendekreise  finden  wir  eine  Groß- 
stadthäufung nur  in  Monsunasien  mit  seinem  abwechslungsreichen  Klima. 

Als  höhere  Stufe  der  Großstädte  erscheinen  die  Millionenstädte,  von 
denen  nur  Kalkutta  (l  225  000  Einwohner),  Rio  de  Janeiro  (1  000000)  und 
Bombay  (980000)  innerhalb  der  Wendekreise  liegen  (1910),  außerhalb 


Rückblick.  61 


hingegen  London  (6500000),  New  York  (6200000),  Paris  (4  100000), 
Berlin  (3  500 000),  Chicago  (2  400  000),  Tokio  (2  200  000),  Wien  (2  030 000), 
Petersburg  (1900  000),  Philadelphia  (1  700  000),  Moskau  (1  600  000), 
Hankau  (l  500000),  Buenos  Aires  (1  500000),  Osaka  (1  200000),  Konstanti- 
nopel (1200  000),  Boston  (l  100  000),  Hamburg  (1  100  000),  Liverpool 
(1050000)  und  Budapest,  Birmingham,  Manchester,  Warschau,  Glasgow, 
Siangtau  und  Singan  (je  1000000). 

Als  Weltstädte  bezeichnet  man  die  Städte  mit  mehr  als  zwei  Millionen 
Einwohnern.  Sie  liegen  bemerkenswerterweise  alle  auf  der  nördlichen 
Optimale  oder  in  ihrer  Nähe  (alle  Zahlen  für  1 Q 1 0  einschließlich  der  Vororte!). 
Die  während  des  Weltkrieges  stattgefundenen  Veränderungen 
lassen  sich  noch  nicht  statistisch  greifen.  Die  europäischen 
Millionenstädte  scheinen  mit  Ausnahme  von  Wien  (1840000),  Moskau 
und  Petersburg  (1000000  bzw.  600000)  ungefähr  ihre  Einwohnerzahl 
behalten  zu  haben,  während  Madrid  die  Million  erreicht  haben  soll.  Die 
amerikanischen  Städte  sind  dagegen  stark  gewachsen.  New  York  ist  die 
größte  Stadt  der  Erde  geworden  (7  500000),  auch  Chicago  scheint  auf 
3000000,  Buenos  Aires  auf  1900000,  Rio  de  Janeiro  auf  1200000  an- 
gewachsen zu  sein.  Eine  gewaltige  Entwicklung  setzt  in  China  ein,  wo 
Hankau  auf  2000000,  Schanghai  auf  1000000  angewachsen  ist. 

Rückblick. 

Aber  auch  Europa  wird  dank  der  bevorzugten  Stellung,  die  es  in 
der  Entwicklung  der  Lebewelt  einnimmt,  die  Rückschläge,  die  es 
durch  den  Weltkrieg  und  die  ihm  folgenden  Zeiten  des  Niederganges  er- 
litten hat  und  noch  erleiden  wird,  ebenso  überwinden,  wie  die  Zeit  der 
Völkerwanderung,  der  mongolischen  mittelalterlichen  Heimsuchungen  und 
des  Dreißigjährigen  Krieges. 

Die  Gefahr  einer  Übervölkerung  der  Erde  scheint  noch  nicht 
vorhanden  und  nicht  Ursache  des  Weltkrieges  gewesen  zu  sein,  wenn  wir 
erwägen,  daß  gewaltige  Landflächen  der  künstlichen  Bewässerung  0  noch 
harren  und  selbst  in  Ländern  wie  Rußland  der  Ertrag  des  Ackerbaues  noch 
nicht  die  Hälfte  des  deutschen  betrug.  Aus  diesem  Grunde  sind  auch  Be- 
trachtungen über  das  »Altern«  der  Menschheit  heute  noch  bodenlose 
Spekulationen,  wenngleich  der  Weltkrieg  und  seine  Folgezeit  gelehrt  hat, 
daß  Völker  wie  das  französische  zweifellos  ihrem  Niedergang  entgegen- 
gehen, der  durch  noch  so  starke  Negerarmeen  nicht  aufgehalten  werden 
kann.  Aber  das  ist  noch  kein  »Untergang  des  Abendlandes«. 


0  Durch  sie  werden  nicht  nur  Ackerflächen,  sondern  auch  Weideland  er- 
schlossen, das  wiederum  eine  Steigerung  der  Viehzahl  ermöglicht. 


VIII.  Aufgaben  der  Länderkunde. 


Wesen  und  Inhalt. 

Im  Gegensatz  zur  allgemeinen  Geographie  beschäftigt  sich  die  Länder- 
kunde mit  der  Beschreibung  der  einzelnen  Landschaften. 
Verstand  man  hierunter  früher  ein  mechanisches  Zusammentragen  von 
allgemeinen  Ortsangaben,  topographischen  Verhältnissen,  statistischen  An- 
gaben mit  eingestreuten  geschichtlichen  Notizen  und  einer  Aufzählung 
sogenannter  Merkwürdigkeiten,  so  hat  sich  die  moderne  Länderkunde 
weit  über  diese  primitive  Stufe  erhoben.  Sie  ist  kausal  geworden,  das 
heißt,  sie  versucht  das  wirtschaftliche  und  staatliche  Leben  eines  Landes 
durch  seine  Oberflächenformen,  sein  Klima  und  die  dadurch  bedingten 
Erscheinungen  der  Biosphäre  (Pflanzenwelt,  Tierwelt  und  Mensch)  zu  be- 
gründen. Schon  um  nicht  Kenntnisse,  sondern  Erkentnisse  zu  vermittteln, 
muß  unbedingt  auf  die  Gesetzmäßigkeit  in  der  Anordnung  der 
Oberflächenformen  und  auf  ihre  Entstehung  hingewiesen  werden,  was 
aber  —  wie  ich  in  den  folgenden  Kapiteln  zu  zeigen  versuchen  werde  — 
fast  ohne  jeden  geologischen  Aufwand  geschehen  kann.  Man  könnte  die 
Stellung  der  Geologie  im  erdkundlichen  Unterricht  etwa  mit  der  der 
Sprachgeschichte  im  sprachlichen  vergleichen.  Wichtiger  als  die  Geologie 
ist  die  Morphologie,  d.  h.  die  Beschreibung  der  Formen,  da  diese  maß- 
gebend für  Klima  und  Lebewelt  sind. 

Jede  Länderkunde  beginntmiteinerBeschreibung  der  Oberflächen- 
formen, die  aber  nie  in  eine  mechanische  Topographie  ausarten  darf, 
da  sie  dann  keinerlei  Bildungswerte  vermittelt.  Es  folgen  das 
Klima  mit  seinem  Einfluß  auf  die  Pflanzendecke  und  die  Besied- 
lung, sowie  ein  Überblick  über  das  Wirtschaftsleben.  Die  politischen 
Verhältnisse  werden  bei  der  Besiedlung  entwickelt,  können  aber  auch 
in  einen  kurzen  geschichtlichen  Abriß  verwoben  werden.  Von  diesem 
bei  einer  länderkundlichen  Betrachtung  üblichen  Schema  soll  man  sich 
aber  freimachen,  wenn  es  dadurch  gelingt,  die  großen  Zusammenhänge 
besser  und  anschaulicher  herauszuarbeiten.  Von  dieser  Freiheit  habe  ich 
in  den  folgenden  Abschnitten  vielfach  Gebrauch  gemacht. 

Die  gegebenen  Einheiten  für  die  Betrachtung  sind  naturgemäß  die 
großen  Erdteile  Europa — Asien  (Eurasien),  Australien,  Afrika,  Amerika 
mit  Grönland  und  die  Antarktika.  Diese  Erdteile  gliedert  man  dann  in 
natürliche  Unterabteilungen,  in  deren  Namen  entweder  die  Lage  (Süd- 
europa, Ostasien,  Zentralasien),  oder  Klima,  Oberflächenbau  und  Pflanzen- 
decke (Äquatorial -Afrika,  Kordillierenländer),  endlich  aber  auch  wirt- 
schaftliche Eigenart  (Plantagengebiet,  Präriengebiet,  Sudan)  zum  Ausdruck 
kommen.  Diese  Unterabteilungen  der  großen  (Kontinentalblöcke!)  Erd- 
teile als  künstliche,  selbständige  Erdteile  mit  Namen  wie  Mongolia, 
Nigritia,  Andina,  Kordillieria  aufzufassen,  halte  ich  für  überflüssig  und 
bei  der  Unschönheit  der  Namcngebung  auch  im  Interesse  des  Sprach- 
gefühles der  Schüler  nicht  einmal  für  wünschenswert')- 


')  Banse  in  seiner  sonst  inhaltreichen  Länderkunde, 


Stoffeinteilung.  63 


Stoffeinteilung. 

Üblicherweise  wird  die  Länderkunde  in  drei  aufeinanderfolgenden 
Kursen  behandelt.  Deren  erster  umfaßt  Deutschland;  im  zweiten  folgt 
Europa,  im  dritten,  viel  zu  kurzen  (wie  sollen  z.  B.  auf  dem  Gymnasium 
bei  einer  Wochenstunde  —  noch  1920!  —  alle  außereuropäischen  Erdteile 
auch  nur  einigermaßen  erschöpfend  behandelt  werden,  wenn  dazu  der 
Lehrplan  die  Betrachtung  der  deutschen  Kolonien  verlangt?)  Außereuropa. 
Für  viel  richtiger  würde  ich  es  halten,  Deutschland  mit  Mitteleuropa  im 
ersten  Kursus  zu  behandeln,  das  übrige  Europa  nebst  einem  Überblick 
der  kolonialen  Entwicklung  im  zweiten  Kursus,  die  außereuropäischen 
Erdteile  im  dritten  Kursus.  In  den  höheren  Schulen  müßten  dann  diese 
Kurse  in  den  Klassen  Illa,  IIb  und  IIa  vertieft  werden,  während  die  Prima 
als  Abschluß  »Einige  Kapitel  aus  der  allgemeinen  Erdkunde«  zu  behandeln 
hätte,  die  dann  sowohl  an  den  geschichtlichen  (Kolonien-  und  Staaten- 
kunde, Weltverkehr),  als  auch  an  den  chemischen  (Wirtschaftsgeographie 
mit  »Warenkunde«,  Vulkanismus,  Gebirgsbildung),  den  physikalischen 
(Erde  als  Weltkörper,  Klimazonen,  Wind  und  Wetter)  und  endlich  an 
den  biologischen  Unterricht  (Kausale  Pflanzen-  und  Tiergeographie, 
Menschenrassen,  Weltmeere)  anknüpfen  könnten.  Ja  nicht  aber  versuche 
man  den  Schülern  das  ganze  Riesengebiet  der  allgemeinen  Erdkunde 
»enzyklopädisch«  vor  Augen  zu  führen.  Eine  solche  Darstellung  könnte 
nur  oberflächlich  sein,  vielmehr  beherzige  man  das  schöne  Wort  Goethes: 

»Eins  recht  wissen  und  können,  gibt  höhere  Bildung 
als  Halbheit  in  Hundertfältigem.« 

Die  Erdteile  bespricht  man  am  besten  in  der  Reihenfolge  Asien,  Australien, 
Afrika,  Amerika  und  Antarktika.  Wie  man  innerhalb  dieser  die  Einzel- 
landschaften folgen  läßt,  ist  lediglich  eine  Frage  der  Persönlichkeit;  nur 
bei  Asien  empfiehlt  es  sich,  die  Randlandschaften  erst  an  die  Behandlung 
Zentralasiens  anzuschließen.  Das  Material  an  Zahlen  und  Namen 
(Memorierstoff!)  beschränke  man  nach  Möglichkeit;  noch  manche  Schul- 
geographien verlangen  zu  viel.  Kürzung  des  Stoffes  und  innerliche 
Durchdringung  sei  die  Losung.  Denn  wir  wollen  kein  Kennen,  sondern 
Können,  kein  Wortwissen,  sondern  Sachwissen.  Nie  lasse  man  die  großen 
Assoziationsmöglichkeiten  gerade  der  Erdkunde  außer  acht  und  knüpfe 
durch  Vergleiche  immer  an  schon  bekannte  Dinge  (immanente  Wieder- 
holung), oder  benachbarte  Fächer  (kollegiale  Konzentration)  an.  Da  Zahlen 
nur  durch  Vergleiche  und  Veranschaulichungen  Wert  bekommen, 
lasse  man  die  Schüler  lieber  Diagramme  und  Vergleiche  (z.  B.  der  Kohlen- 
förderung) zeichnen,  anstatt  sie  mechanisch  Bekanntes  kopieren  zu  lassen ; 
dabei  erstrebe  man  eine  möglichste  »Gleichzeitigkeit«  des  Zahlenmaterials. 
Derartige  im  gleichen  Maßstabe  gehaltene  Diagramme  und  einige  Skizzen 
wirtschaftsgeographischer  Verhältnisse  sind  mehrfach  in  den  Text  ein- 
gestreut.   Im  Unterricht  empfiehlt  es  sich,  diese  farbig  anlegen  zu  lassen. 


IX.  Europa  im  allgemeinen. 


Überblick. 

Europa  ist  zwar  der  Fläche  nach  der  zweitkleinste  Erdteil,  steht  aber 
kulturell  hoch  über  den  anderen,  deren  Länder  zum  größten  Teile  im 
Besitz  europäischer  Mächte  sind.  Einem  nach  Westen  spitz  zulaufenden 
Dreieck  vergleichbar,  schiebt  es  sich  zwischen  den  Atlantischen  Ozean 
und  das  Mittelmeer,  nur  im  Osten  in  Asien  übergehend.  Aber  auch  hier 
bilden  Ural,  Kaspisches  Meer  und  Kaukasus  Grenzen  von  nicht  zu  ver- 
kennender Deutlichkeit,  so  daß  die  Versuche,  Rußland  Asien  zuzuweisen, 
überaus  gekünstelt  erscheinen.  Beachtenswert  ist  jedoch  der  von  Supan 
gemachte  Vorschlag,  Europa  als  Halbinsel  Asiens  (Eurasien)  aufzufassen 
und  es  zu  diesem  in  ein  ähnliches  Verhältnis  zu  setzen,  wie  Indien  und 
Ostasien.  Das  Wort  »Europäische  Halbinsel«  gibt  diese  Auffassung  wieder; 
ebenso  der  Name  »Atlantisches  Asien«. 

Unschwer  läßt  sich  Europa  in  einen  von  Faltengebirgen  durchzogenen 
Süden,  einen  Osten  mit  überwiegendem  Tafelland  und  einen  Westen 
gliedern,  der  zumeist  aus  Schollenländern  besteht,  zwischen  die  mehrfach 
das  Meer  gedrungen  ist.  Klimatisch  kommt  diese  Dreiteilung  ebenfalls 
zum  Ausdruck,  indem  im  Osten  gegensatzreiches  Kontinentalklima  vor- 
herrscht, im  Süden  das  sommertrockene  Mittelmeerklima,  im  Westen  das 
durch  den  Einfluß  des  Golfstroms  gemilderte  Seeklima  mit  kühlen  Sommern, 
aber  warmen  Wintern.  Völkisch  ist  Osteuropa  das  Gebiet  der  Slawen, 
Südeuropa  die  Heimat  der  Romanen,  während  in  Westeuropa  der  Germane 
siedelt.  Aber  im  einzelnen  finden  wir  zahlreiche  Abweichungen,  und 
durch  die  im  Westen  noch  vorhandene  keltische  Urbevölkerung  und  die 
aus  Osten  tief  eingedrungenen  Mongolen  (Finnen,  Lappen,  Magyaren)  wird 
das  Bild  noch  bunter,  zudem  diese  drei  Landschaften  sich  nicht  scharf 
gegeneinander  abheben,  sondern  allmählich  ineinander  übergehen,  so  daß 
man  mit  Recht  die  Mitte  des  Erdteils  als  Mitteleuropa  ausscheidet. 

Gliederung. 

So  gliedern  wir  Europa  in  Mitteleuropa,  Südeuropa,  Osteuropa 
und  Westeuropa,  welches  ich  lieber  als  Atlantisches  Europa  be- 
zeichnen möchte,  um  seine  Beeinflussung  durch  dieses  Meer  anzudeuten. 
Aber  auch  die  zu  Nord- und  Ostsee  sich  entwässernden  Teile  Mitteleuropas 
zeigen  diese  Abhängigkeit  vom  Atlantischen  Ozean,  während  das  Donau- 
gebiet schon  nach  Osten  schaut.  Nicht  zuletzt  beruht  auf  diesen  geo- 
graphischen Ursachen  die  politische  Zweiteilung  Mitteleuropas  in  das 
mehr  auf  den  Seehandel  angewiesene  Deutschland  und  das  kontinental 
dem  Orient  zugewandte  Österreich -Ungarn.  Auch  wurzelt  es  in  geo- 
graphischen Ursachen,  daß  ein  breiter  Gürtel  von  Übergangslandschaften 
mit  wechsclrcicher  politischer  Gestaltung  Mitteleuropa  umlagert,  wobei 
je  nach  dem  Kräfteverhältnis,  das  zwischen  Mitteleuropa  und  seinen  Nachbar- 
staaten herrscht,  auch  die  politische  Zugehörigkeit  dieser  neuerdings  treffend 
als  »Grenzmarken«  bezeichneten  Übergangslandschaften  wechselt. 

Im  Altertum  lag  der  wirtschaftliche  Schwerpunkt  Europas  im  Mittelmeer- 
gebiet, das  seine  höchste  Blüte  im  Römerreiche  erlebte,  dessen  Umrisse 


Allgemeines. 


65 


sich  noch  heute  in  der  Verbreitung  der  romanischen  Völker  widerspiegeln. 
Im  Osten  sind  sie  zwar  durch  jüngere  slawische  Wanderungen  verwischt, 
aber  in  Namen  wie  Rumelien,  Hadrianopolis  (Adrianopel)  und  Konstanti- 
nopel, welche  die  Lücke  zwischen  dem  geschlossenen  Verbreitungsgebiet 
der  Romanen  und  den  Rumänen  ausfüllen,  leben  sie  fort. 

Heute  hat  sich  der  Schwerpunkt  Europas  zweifellos  nach  Nordwesten 
verschoben,  während  der  Osten  durch  seine  Großräumigkeit  und  die 
mangelnde  Berührung  mit  der  See  gekennzeichnet  ist.  War  das  europäische 
Wirtschaftsleben  vor  dem  Weltkriege  zumeist  durch  die  Großmächte 
beherrscht,  so  sind  als  Folgeerscheinung  desselben  die  »Neutralen«  zu 
großer  Blüte  gelangt  und  gleichen  Ruhepunkten  zwischen  schwankendem 
Boden,  der  besonders  unruhig  im  halbasiatischen  Osten  ist.  Dieser  macht 
jetzt  ähnliche  Zustände  durch  wie  zur  Zeit  der  Tatarenherrschaft. 


X.  Mitteleuropa. 


Allgemeines. 

Eine  1,65  Millionen  km-  große  Ländermasse,  im  Westen  begrenzt 
durch  die  Artoishöhen,  die  Argonnen,  die  Sichelberge  und  den 
Schweizer  Jura  gegen  das  Kerngebiet  Frankreichs.  Die  Südgrenze  folgt 
der  Sprachgrenze  zwi- 
schen Deutschen  und  Ita- 
lienern, die  sich  im  Wes- 
ten teilweise  mit  dem 
Alpenkamm,  im  Osten 
mit  den  Berggruppen  der 
Ortleralpen,  der  Marmo- 
lata,  den  Karawanken  und 
Karnischen  Alpen  deckt. 
Weiterhin  scheidet  sie  in 
der  Draulinie  Deutsche 
und  Magyaren  gegen  die 
Südslawen  undfindetihre 
Fortsetzung  in  dem  Kar- 
pathenkamm,  dem  sie  et- 
wa bis  Czernowitz  folgt, 
um  von  hier  in  gerader 
Linie  über  die  Rokitno- 
sümpfe  und  den  Urwald 
von  Bialowics  bis  an  den 

Peipussee  zu  verlaufen.  Das  ist  eine  im  Gelände  wenig  hervortretende 
Linie,  die  aber  völkisch  hochbedeutsam  ist,  da  sie  die  großrussische,  grie- 
chisch-orthodoxe Welt  westlich  begrenzt  (die  große  Scheide  der  Karte!). 
Innerhalb  dieser  Grenzen  wohnen  165  Millionen  Menschen,  von  denen 
etwa  75  Millionen  Deutsche  (einschließlich  der  Schweizer,  aber  ohne  die 
10  Millionen  Holländer  und  Flamen),  15  Millionen  Polen,   10  Millionen 

Ulbricht,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  5 


'i"  Nadelwald 
Die  grosse  Scheide! 


19.  Die  Städtedichte  Europas. 


66  X.  Mitteleuropa. 


Mag>'aren  sind,  während  der  Rest  auf  Slawen,  Rumänen  und  Franzosen 
fällt.  Mitteleuropa  ist  also  das  Bollwerk  des  Deutschtums,  von  dem  aus 
schon  in  vorgeschichtlichen  Zeiten  das  Germanentum  seine  Wanderungen 
angetreten  hat,  um  alte  morsche  Rassen  zu  verjüngen.  Obwohl  heute 
nur  sein  Kerngebiet  wirklich  deutsch  ist,  zeigen  auch  die  übrigen  Teile 
Mitteleuropas  mehr  oder  weniger  Einflüsse  deutscher  Kultur  vom  Flamen- 
strand bei  Dünkirchen  bis  zu  den  Burgen  Siebenbürgens  und  der  deut- 
schen Hochschule  in  Czernowitz,  vom  Schweizerland  bis  an  die  estnische 
Felsküste,  auf  der  Burg  und  Dom  von  Reval  thronen.  Politisch  jedoch  hat 
Deutschland  Mitteleuropa  nie  ganz  zu  erfüllen  vermocht;  den  Osten  über- 
fluteten nach  dem  Abzüge  der  Germanen  während  der  Völkerwanderung 
die  Slawen  bis  an  die  Posensche  Seenplatte,  der  Westen  wurde  allmählich 
romanisiert,  den  böhmischen  Kessel  besiedelten  die  Tschechen,  und  in 
Ungarns  Pußten  blieben  die  letzten  Reste  der  mittelalterlichen  Mongolen- 
invasion in  den  Magyaren  zurück,  während  um  das  Siebenbürger  Deutsch- 
tum die  Rumänen  sich  ausbreiteten. 

Ungünstige  Verhältnisse  verhinderten  aber  auch  die  politische  Einigung 
des  Deutschtums.  Die  Dreiheit:  norddeutsches  Flachland  mit  Entwässerung 
zu  Ost-  und  Nordsee,  mitteldeutsches  Bergland  mit  seinen  zahlreichen, 
durch  Gebirge  abgetrennten  Senken  und  Alpenvorland  (oberdeutsch-öster- 
reichische Hochebene)  von  der  Donau  nach  Südost  entwässert,  zeichnet 
der  geschichtlichen  Entwicklung  die  Leitlinien  vor,  wobei  nur  das  Rhein- 
tal als  einigendes  Element  wirkt.  Der  Flachlandstaat  Preußen 
und  Bayern-Österreich  sind  die  Pole  deutscher  Geschichte;  zwischen 
ihnen  pendelt  Mitteldeutschlands  Kleinstaaterei,  ein  getreues  Abbild  der 
Oberflächenformen.  Dabei  konnte  es  nicht  ausbleiben,  daß  das  Rhein- 
gebiet in  Zeiten  politischer  Schwäche  unter  den  Einfluß  des  Franzosen- 
tums  geriet  und  als  Pufferstaaten  hier  kleinere  Grenzgebiete  abbröckelten, 
die  Ratzel  treffend  mit  den  herabgestürzten  Zinnen  einer  mittelalterlichen 
Burg  vergleicht.  Österreich  umgekehrt  wies  der  Donauweg  nach  Ungarn, 
dessen  Getreideernten  ihm  eine  willkommene  Gabe  waren,  und  so  ent- 
stand hier  die  Österreich-ungarische  Monarchie  —  treffend  Donaumonarchie 
genannt  — ,  in  der  Deutsche  und  Magyaren  kleinere  Völker  beherrschten, 
während  Bayern  zwar  durch  den  Main  Verbindung  zum  übrigen  Deutsch- 
land hat,  aber  noch  immer  ein  Herd  separatistischer  Züge  blieb. 

Ausgezeichnet  durch  eine  Überfülle  an  Eisenerzen,  Kohle  und  sonstigen 
Bodenschätzen,  zentral  gelegen  ein  Brennpunkt  des  europäischen  Verkehrs, 
entwickelte  sich  Mitteleuropa  zu  der  großen  wirtschaftlichen  Höhe  der 
Vorkriegszeit  unter  der  Führung  des  Deutschtums.  Drei  starke  Großmächte, 
Deutschland,  die  Donaumonarchie  und  Rußland,  hielten  die  unruhigen 
kleineren  Völker  im  Zaume,  vor  allem  den  Polen. 

Der  Weltkrieg  hat  dieses  Gleichgewicht  gestört  und  das 
Wirtschaftsleben  zertrümmert.  Der  Oberste  Rat  schuf  zwar  den 
Tschechen  und  Idolen  ihre  lang  ersehnten  > Nationalstaaten  «,  rundete  diese 
aber  überall  durch  fremde  Nationalitäten  ab  und  verhinderte  trotz  der 
Parole  des  Selbstbestimmungsrechtes  der  Völker  vor  allem  den  Anschluß 
Österreichs  an  die  Reichsdeutschen.  Es  umfaßt  der  neuzubegründende 
Polenstaat  unter  30  Millionen  über  15  Millionen  Nichtpolen,  Tschechien 


Das  Alpengebiet. 


67 


üpufsche  unfer  Fremdherrschaft 
0?ufsche  freiwillig  losgelbst 
Jrredenfen  nirhtdeutscher 
Sfamme 
II  Deufschinseln 


o  Dputschp 

Kulfursföttpn 

imOsfen 


unter  12  Millionen  ebenfalls  beinahe  die  Hälfte,  da  die  Slowaken  schon 
jetzt  wirtschaftlich  wieder  zu  Ungarn  streben.  Dazu  kommen  die  gewalt- 
sam von  Ungarn  abgelösten  Teile  der  Magyaren  um  Theresiopel  und 
in  Siebenbürgen. 

So  bildet  augenblicklich  der  nicht  reichsdeutsche  Osten  Mitteleuropas 
ein  Gebiet  von  etwa  70  Millionen  Menschen,  von  denen  annähernd 
30  Irredentisten  sind,  die,  vom  eigenen  Volkstum  losgelöst,  dieses  doch 
nicht  vergessen  werden.  Verhältnisse,  die  denen  des  Balkans  gleichen, 
sind  damit  erreicht^).  Polen  und  Tschechien,  die  Staaten  von  »Entente- 
Gnaden«,  sind  am  reichsten  an  volks- 
fremden Splittern  und  halten  diese  nur 
mit  Unterstützung  der  Entente  fest.  Was 
aber,  wenn  diese  Unterstützung  einmal 
ausbleiben  sollte?  Werden  dann  nicht 
die  auf  der  Karte  schraffierten  Gebiete 
zu  lodernden  Feuerbränden  werden, 
wenn  eine  wirkliche  »Freiheit«  er- 
wächst? Deutschland  wird  wieder 
hochkommen,  das  lehrt  nicht  nur  die 
Geschichte,  sondern  auch  die  Vorge- 
schichte und  die  Verbreitung  des  Men- 
schentums über  die  Erde.  Erscheint 
da  doch  Mitteleuropa  und  vor  allem 
seine  nördliche  Hälfte  als  das  große 
geheimnisvolle  Zentrum,  in  dem  nicht 
nur  die  Menschheit  entstand,  sondern 

auch  die  höheren  Rassen  und  Kulturen,  um  das  sich,  wellenartig  sich  ab- 
stufend, immer  tiefere  Menschheitsstufen  legen  bis  herab  zu  den  primitivsten 
Kulturen  Australiens  und  Südafrikas.  Unendlich  befruchtend  hat  immer 
deutscher  Fleiß  und  deutsches  Wissen  gewirkt  von  dem  Reformationswerk 
Luthers  bis  zu  den  Wundern  der  chemischen  Großindustrie  der  Gegenwart. 

Mitteleuropa  in  weiterem  Umfange  ist  also  kein  politischer,  sondern 
ein  geographischer  Begriff.  Innerhalb  seiner  weitgesteckten  Grenzen 
können  wir  ein  Mitteleuropa  in  engerem  Sinne  abgrenzen,  ein  Gebiet,  in 
dem  das  Deutschtum  noch  heute  das  Landschaftsbild  und  das 
Aussehen  der  Städte  beherrscht,  auch  da,  wo  es  politisch  anderen  Völ- 
kern Untertan  wurde.  Dieses  engere  Mitteleuropa  umfaßt  das  Deutsche 
Reich  in  seinem  ehemaligen  Umfange,  das  Böhmerland  mit  der  March- 
senke  und  das  deutsche  Alpenland  einschließlich  der  Schweiz  und  ist  im 
Südosten  durch  die  Alpen-Karpathenlinie  gut  begrenzt.  Was  jenseits  dieser 
Gebiete  hegt,  sei  als  Grenzmarken  bezeichnet,  abgesehen  von  Ungarns 
Kesselland. 

Das  Alpengebiet. 

Es  ist  nicht  schwer,  Mitteleuropa  in  natürliche  Landschaften  einzuteilen. 
Als  erste  finden  wir  das  Alpengebiet,  zu  zwei  Fünftel  bewaldet,  zu 
einem   Drittel   von   Grasmatten   eingenommen,   während    sich   der   Rest 


20.  Die  Balkanisierung  Mitteleuropas 
durch  den  Frieden  von  Versailles. 


*)  Darum  spreche  ich  von  einer     Balkanisierung     Mitteleuropas. 


68  X.  Mitteleuropa. 


gleichmäßig  auf  Hochgebirge  und  Kulturland  verteilt.  Die  westlichen 
Alpen  sind  politisch  an  die  Schweiz  angeschlossen,  zu  der  ihre  Täler 
sich  öffnen  (24000  km-  mit  1 V4  Millionen  Einwohnern,  die  sich  dank 
der  Seen  und  der  prächtigen  Gebirge  zumeist  von  Fremdenindustrie 
nähren),  während  der  Osten  Deutsch-Österreich  bildet,  dessen  Alpen- 
anteil etwa  50000  km-  mit  2  Millionen  Einwohnern  umfaßt.  Hier  be- 
herrschen die  Täler  das  politische  Bild;  jedes  wird  zum  Kern  eines  Kron- 
landes, so  das  Inntal  zu  Tirol,  das  Murtal  zur  Steiermark,  das  Salzachtal 
zu  Salzburg  und  das  Drautal  zu  Kärnten.  Die  bequem  zugänglichen 
Pässe  des  Arlbergs  und  Brenners  erweitern  dann  Tirol  um  südlich  und 
östlich  gelegene  Talgebiete  (Südtirol  und  Vorarlberg).  Neben  Wald-  und 
Vi  eh  Wirtschaft  sind  gerade  die  österreichischen  Alpen  reich  an  Eisenerzen, 
die  eine  große  Industrie  bedingen,  während  die  durch  die  Flußtäler  an 
Bayern  (vgl.  Schweiz)  angeschlossenen  nördlichen  Randzonen  der  Kalk- 
alpen auch  einen  großen  Salzreichtum  besitzen.  Als  einzige  Großstadt 
entwickelte  sich  Graz  (190000  Einwohner). 

Die  deutschen  Mittelgebirge. 

Zwischen  den  Alpen  und  dem  Flachlande  erstrecken  sich  die  deutschen 
Mittelgebirge,  zumeist  flachlagernde  Sandstein-  und  Kalktafeln,  die  nur 
in  dem  schmalen  Streifen  zwischen  dem  Teutoburger  Wald  und  dem  nörd- 
lichen Harzvorlande  gefaltet  sind.  Im  Main-Neckargebiet  sind  sie  zu  Schicht- 
stufengebirgen herausmodelliert  und  auch  sonst  durch  eine  intensive  Zer- 
talung,  die  vor  allem  im  Anschluß  an  den  Grabenbruch  der  Oberrhein- 
ebene erfolgte,  reich  gegliedert.  Einen  schönen  Schmuck  bilden  die  tertiären 
Vulkanruinen,  deren  Basaltkuppen  namentlich  die  Oberlausitz  zieren.  Ganz 
vulkanischer  Natur  sind  das  Siebengebirge,  der  Kaiserstuhl,  Rhön  und 
Vogelsberg. 

Aus  dieser  jüngeren  Decke  —  meist  mesozoischen  Alters  —  ragen, 
vergleichbar  den  Inseln  des  Mittelmeeres,  ältere  Gebirgstrümmer,  bald  als 
Schollen  (Harz,  Thüringer  Wald),  bald  als  Aufwölbungen  (Randgebirge 
Böhmens).  Sie  bestehen  aus  stark  gefalteten  kristallinen  Schichten  und 
Schiefern  und  werden  von  Granitstöcken  durchsetzt,  deren  Randsäume  reich 
an  Edelerzen  und  Mineralien  sind  (Erzgebirge,  Oberharz).  Sie  sind  als 
Trümmer  eines  alten  Faltengebirges  aufzufassen,  dessen  Falten  zu  aus- 
gedehnten, von  Härtungen  überragten  Fastebenen  verebnet  wurden.  Schön 
finden  wir  diese  im  Harz,  Schiefergebirge  und  Erzgebirge  erhalten,  viel- 
fach (Schwarzwald,  Vogesen)  durch  Zertalung  wieder  stark  zerschnitten. 
Diese  alten  Gebirgshorste  sind  vielfach  verknüpft  mit  Steinkohlenlagern, 
die  bald  nur  kleine  beckenförmige  Einlagerungen  zwischen  den  Falten  dar- 
stellen (Saargebiet,  Sachsen,  Waidenburg,  Böhmen),  bald  ihnen  in  breiten 
Randgürtcln  angelagert  sind  (Aachen,  Ruhrgebiet,  Oberschlesien).  Mit  dem 
tertiären  Vulkanismus  hängen  auch  die  zahlreichen  Eisenerzlager  und  Heil- 
quellen zusammen,  die  vielfach  an  langen  Bruchlinien  —  Südrand  des 
Erzgebirges  —  auftreten.  Da  auf  weiten  Flächen  fruchtbare  Lößdecken 
aufgeschüttet  wurden,  sind  alle  Bedingungen  für  eine  starke  Bevölkerungs- 
verdichtung gegeben,  zumal  sich  auch  häufig  Salzlager  finden.  Die  kristallinen 
Gebirge  liefern  das  Material  zur  Glasindustrie  (Schwarzwald,  Thüringer 


Das  Alpenvorland. 


69 


Wald,  Erzgebirge,  Riesengebirge)  und  die  Schiefergebirge  (Rheinisches 
Schiefergebirge,  Harz,  Frankenwald,  Gesenke)  gutes  Baumaterial.  Die  Sand- 
steinböden (Odenwald,  Hardt,  Hessische  Gebirge)  sind  meist  mit  Wald 
bedeckt,  die  Kalkgebirge  tragen  an  den  Hängen  üppigen  Laubwald  (Jura- 
gebirge), auf  den  Hochflächen  Grasweiden.  Auch  sind  sie  reich  an  Höhlen, 
die  schon  in  vorgeschichtlicher  Zeit  besiedelt  waren. 


'^AUe  Rumpfgebirge 
"^ Bruchlinien    ^-  Eisenerz 
•^Sfeinkohle  >  (erbohrh 
4^  Flachlagerung  m.Schichtsfufen 
O  TerMäre  Vulkanruinen 


Oünenküsfen 
Moränenwälle  d. Eiszeit 
Marschen    lil  Braunkohlenbe^ngbau 
LÖSS  n  *  Kaliwerke 


21.  Der  Bau  Mitteleuropas. 


Das  Alpenvorland. 

Nördlich  ist  den  Alpen  das  Alpenvorland  vorgelagert,  eine  große,  sich 
nach  'Osten  abdachende  Hochebene,  im  Süden  überschüttet  von  den 
Moränenwällen  der  Eiszeitgletscher,  zwischen  denen  zahlreiche  Seen  liegen. 
Der  Westen  wird  von  Rhein  und  Aare  entwässert  und  ist  zu  einem  welligen 
Hügelland,  dem  Schweizer  Mittelland,  zerschnitten,  einem  reich  be- 
völkerten Gebiet  (auf  13000  km-  beinahe  2  Millionen  Menschen)  mit 
reicher  Landwirtschaft  und  blühender  Industrie,  die  vier  Städte  zu  Groß- 
städten werden  ließ,  an  der  Spitze  das  industrielle  Zürich  (230). 

Rauher  infolge  der  hohen  Lage  (+500  m)  ist  das  Klima  der  Schwäbisch- 
Bayrischen  Hochebene,  die  mit  großen  Mooren  und  ausgedehnten 
Wäldern  (53000  km-  mit  4^4  Millionen  Einwohnern),  Bayerns  Kernland  ist. 


70  X.  Mitteleuropa. 


Die  ehemals  blühenden  Donaustädte  (vor  allem  Ulm,  Regensburg  und  Passau) 
wurden  im  Zeitalter  der  Eisenbahnen  von  München  (660)  und  Augsburg 
(1 68)  mit  ihrer  Großindustrie  überflügelt.  In  der  Oberpfalz  um  Amberg  eine 
aussichtsvolle  Eisenindustrie  in  dem  sonst  an  Bodenschätzen  armen  Gebiet')- 
Das  österreichische  Donaugebiet  umfaßt  bis  an  die  enge  Donau- 
schlucht zwischen  Wiener  und  Böhmer  Wald  den  Osten  der  oberdeutschen 
Hochebene  und  erweitert  sich  unterhalb  derselben  zum  Wiener  Becken. 
Daher  die  politische  Trennung  in  Ober-  und  Niederösterreich  mit  Linz  und 
Wien.  Beide  Gebiete  umfassen  das  fruchtbare,  lößbedeckte  Donautal  und 
die  umliegenden  Waldgebirge  (30000  km^  mit  4  Va  Millionen  Einwohnern). 
Fast  die  Hälfte  der  Einwohnerzahl  fällt  auf  Wien,  das,  die  Völkerpforte 
zwischen  Alpen  und  Karpathen  beherrschend,  als  Hauptstadt  eines 
50-Millionenstaates  auf  über  2  Millionen  Einwohner  anwuchs  und  nun 
als  Hauptstadt  eines  Kleinstaates  von  nur  6  Mill.  Einw.  sicher  sinken  wird 
(1920  nur  noch  1850000  Einw.). 

Das  südwestliche  Deutschland. 

Die  Senke  des  Ries,  das  Altmühltal  und  die  Bayreuther  Senke  öffnen  den 
Weg  vom  Donaugebiet  zu  den  Beckenlandschaften  des  Main  und  Neckar, 
die,  von  Franken  und  Schwaben  bewohnt, auch  als  Süddeutsches  Stufen  - 
land bezeichnet  werden.  Das  Wirtschaftsleben  des  meist  landwirtschaft- 
lichen Gebietes,  in  dessen  tiefen  Tälern  schon  die  Rebe  gedeiht  (40000  knr, 
4,4  Mill.  Einw.)  beherrschen  Nürnberg  (465),  Stuttgart  (455)  und  die  alte 
Bischofsstadt  Würzburg.  Im  Mittelalter  verteilte  sich  die  Bevölkerung  auf 
eine  große  Zahl  kleiner  Reichsstädte,  die  heute,  vom  modernen  Leben  wenig 
verändert,  einen  schönen  Reiz  dieser  Landschaften  bilden.  Die  südwest- 
liche Fortsetzung  der  Kalktafel  des  Schwäbischen  Jura  wurde  noch  von 
der  Alpenfaltung  mit  ergriffen  und  zu  den  Ketten  des  Schweizer  Jura 
aufgefaltet,  dessen  Landschaft  Wälder  und  Viehweiden  beherrschen.  Die 
Siedlungen  sind  durch  Uhrenindustrie  weit  bekannt.  Die  Sprachgrenze  — 
an  den  Namen  kenntlich  —  folgt  dem  südöstlichen  Hauptkamm  mit 
seinen  steilen  Kalkfelsen  (Weißenstein!). 

Main  und  Neckar  öffnen  ihreTäler  zur  tief  gelegenen  Oberrheinischen 
Tiefebene.  Geschützt  ist  sie  von  Waldgebirgen,  deren  höchste  Gipfel  noch 
Moränenseen  umrahmen.  Sie  ist  im  Frühling  ein  einziger  blühender  Garten, 
reich  an  Getreide,  Obst  und  Wein,  nur  an  den  Stellen  dürftiger,  wo  der 
West  durch  die  Zaberner  Pforte  seine  Stürme  sendet  und  die  Über- 
schwemmungen des  Rheins  wirksam  sind. 

Der  Rhein,  bis  Speier  ein  ungestümer  Alpenfluß  und  eine  brauchbare 
politische  Grenze,  war  erst  unterhalb  gezähmt  und  duldet  Städte  an  seinen 
Ufern,  die  politisch  einheitlich  sind  (Kurpfalz,  Hessen).  Infolge  des  Durch- 
gangsverkehrs drei  Städtereihen,  je  eine  am  Gcbirgsrande  an  den  Stellen, 
wo  Seitentäler  münden,  eine  dritte  am  Rheinstrom,  oder  in  seiner  Nähe. 
Wo  durch  die  Zaberner  Senke  und  den  Kraichgau  führend  ein  Querweg 
die  Rheinebene  kreuzt,  finden  wir  Straßburg  (222)  und  Karlsruhe  (185), 
im  Süden  beherrscht  die  Baumwollstadt  Mülhausen  (131)  die  Burgunden- 

*)  Die  einfi^ekiainnierleii  Zahlen  be/eichnen  immer  die  Wirtschaftsgebiete  der 
Großstädte  (1919). 


Mitteldeutschland.  71 


pforte,  an  der  Neckarmündung  die  Industriestadt  Mannheim -Ludwigs- 
hafen (500)  mit  ihren  riesigen  Hafenanlagen  und  chemischen  Fabriken, 
an  der  Mainmündung  die  alte  Kaiserstadt  Mainz  (145),  die  jedoch  vom 
benachbarten  Frankfurt  (775)  überflügelt  wurde.  Dieses  beherrscht  nicht 
nur  die  Verkehrswege  nach  Norddeutschland,  sondern  kann  diese  auch 
infolge  seiner  Zugehörigkeit  zu  Preußen  als  großer  Eisenbahnknoten  besser 
ausnutzen  und  wurde  so  mit  der  industriellen  Umgebung  zur  Metropole 
und  größten  Siedlung  Süddeutschlands.  Erst  in  den  letzten  Jahrzehnten 
wurde  der  Rhein  auch  oberhalb  Speiers  reguliert  und  der  Schiffahrt  bis 
Straßburg  der  Weg  geöffnet. 

Mitteldeutschland. 

Die  ebengenannten  Verkehrswege  führen  durch  die  Hessensenke,  die 
nördlich  in  das  Weserbergland  übergeht,  ein  dünnbevölkertes,  meist  mit  Wald 
bedecktes  Bergland,  dessen  nordsüdlich  streichende  Senken  dem  Durch- 
gangsverkehr als  Leitlinien  dienen  0-  Wo  von  diesem  Nordsüdwege  das 
Eder-  und  Lahntal  einen  Weg  nach  Südwest  weisen,  entwickelte  sich  die 
alte  Kurfürstenstadt  Kassel  (178)  heute  zu  einer  blühenden  Fabrikstadt,  an 
einer  Senke,  die  den  Teutoburger  Wald  durchquert,  die  Leinenstadt  Biele- 
feld (223),  Osnabrück  mit  seiner  Eisenindustrie  da,  wo  der  Verkehrsweg 
Köln — Hamburg  die  letzten  Gebirgsausläufer  schneidet  und  die  zwischen 
diesen  gelegene  Senke  sich  nach  Nordwest  öffnet.  Die  Bevölkerungsdichte 
des  Gesamtgebietes  beträgt  nur  1 10,  gegen  170  im  Gebiet  des  Oberrheins. 

Westlich  vom  Hessenlande  liegt  das  Rheinische  Schiefergebirge, 
eine  dünnbevölkerte  Hochfläche,  überragt  von  bewaldeten,  an  Eisenerzen 
reichen  Gebirgsgruppen,  die  in  ihrer  Richtung  ein  altes  abgetragenes 
Faltengebirge  erkennen  lassen.  Hineingesenkt  in  diese  Hochfläche  sind  die 
gewundenen  Täler  des  Rheins  und  seiner  Nebenflüsse,  umrahmt  von  Reb- 
hügeln. Die  größte  Dichte  erreicht  die  Bevölkerung  (4,2  Millionen  auf 
34000  km-)  in  den  Tälern,  sowie  in  den  Kohlengebieten  der  Wurm  (Aachen) 
und  Saar  (Saargebiet),  Koblenz  beherrscht  die  Verkehrswege,  Trier  den 
Ausgang  der  Moselsenke  nach  Westen.  Hoch  entwickelt  ist  infolge  der 
zahlreichen  Vulkane  mit  ihren  Laven  und  Aschen  vor  allem  die  Stein- 
industrie, während  im  Siegerlande  Eisen  verhüttet  wird. 

Nördlich  an  das  Schiefergebirge  schließt  sich  das  großartigste 
Industriegebiet  Europas,  das  Ruhrgebiet.  Der  Süden  (das  Sauer- 
land) liegi  noch  im  Gebirge  und  treibt  Eisenindustrie  (meist  Feinindustrie 
—  Solingen  —  140),  und  Textilverarbeitung  (Elberfeld  485),  die 
Bonner  Bucht,  in  der  Köln  (800)  zur  Metropole  des  deutschen  Westens 
wurde,  hat  Braunkohlenbergbau  und  Maschinenindustrie.  Der  eigentliche 
Schwerpunkt  der  Industrie  liegt  in  dem  Kohlengebiet  zwischen  Ruhr  und 
Lippe.  Hier  ist  der  Sitz  der  Schwerindustrie  (Essen  —  550),  deren  Rhein- 
häfen Duisburg  (810)  und  Düsseldorf  (550)  sind.  Westlich  vom  Rhein 
Textilindustrie,  die  sich  bis  an  die  holländische  Grenze  schiebt,  wo  zwischen 
üppigem  Ackerland  und  Viehweiden  zahlreiche  Schlote  qualmen.  Zentren 


0  Man  beachte  den  Vorzug  (Städtereichtum),  den  der  breite  Grabenbruch 
des  Leinetals  vor  dem  engen,  gewundenen  verkehrsarmen  Wesertal  genießt. 


72  X.  Mitteleuropa. 


sind  hier  für  Baumwolle  München-Gladbach  (192)  mit  Umgebung,  für 
Seide  Krefeld  (175).  Das  Ganze  bildet  eine  einheitliche  Industrieprovinz, 
die  auf  5500  km-  beinahe  6,5  Millionen  Einwohner  aufweist! 

Östlich  des  Hessenlandes  stoßen  wir  auf  Thüringen-Sachsen,  das 
Dreieck  im  Norden  begrenzt  von  der  Linie  Harz— Lausitzer  Gebirge,  im  Süden 
vom  Thüringer-,  Frankenwald  und  Erzgebirge,  die  im  Fichtelgebirge  zu- 
sammenstoßen. Im  Westen  hebt  es  sich  gegen  das  Eichsfeld.  Als  Kern 
Mitteleuropas  ist  es  ein  Durchgangsland  für  den  Verkehr  und  Wande- 
rungen, daher  die  Leipziger  Tieflandsbucht  überreich  an  Schlachtfeldern. 
Zwischen  bewaldeten  Gebirgen  liegen  fruchtbare  Senken  (die  Goldene  Aue) 
und  erklären  als  Mittelpunkte  der  Staatenbildung  die  politische  Buntheit  Thü- 
ringens, das  nun  endlich  einen  Einheitsstaat  bilden  wird,  während  östlich 
der  Saalelinie  großzügigere  Formen  schon  längst  die  Einheit  Sachsens 
bedingten.  Schätze  an  Braunkohlen,  Kupferschiefer  (Mansfeld)  und  Salz 
finden  wir  im  Norden,  Kohlenlager  und  Erze  im  Erzgebirge  und  seiner 
nördlichen  Abdachung,  fruchtbaren  Lößboden  nicht  nur  in  der  Leipziger 
Bucht,  sondern  auch  in  den  Tälern  Thüringens.  So  erklärt  sich  ungefähr 
die  politische  Dreiteilung.  Thüringen,  das  »grüne  Herz  Deutschlands«, 
blüht  besonders  durch  Landwirtschaft,  die  in  Erfurts  Umgebung  zum 
Gartenbau  wird;  der  preußische  Norden  und  Anhalt  sind  Gebiete  für 
Getreidebau  und  Zuckerrübenkultur,  Sachsen  dagegen  mit  seiner  kärg- 
lichen Landwirtschaft  wurde  zum  Industriestaat,  begünstigt  durch  die  er- 
wähnten Bodenschätze  und  den  Fleiß  der  Bewohner,  der  sich  besonders 
in  der  Hausindustrie  des  Erzgebirges  zeigt,  die  ein  gewisses  Spiegelbild 
im  Thüringer  Wald  findet  (Spielwarenindustrie).  Aber  auch  in  die  ehemals 
rein  landwirtschaftlichen  Gebiete  zieht  immer  mehr  die  Industrie,  so  daß 
in  Thüringen— Sachsen  auf  37000  km"  beinahe  8,5  Millionen  Einwohner 
leben  und  die  Dichte  im  W  auf  140,  im  O  sogar  auf  320  steigt. 

Fächerförmig  strahlen  die  Straßen,  den  Flüssen  folgend,  von  Leipzig  (7 10) 
und  Halle  (200)  aus,  die  zusammen  fast  eine  Million  Einwohner  zählen  und 
beide  Brennpunkte  des  Eisenbahnverkehrs  sind.  Außer  ihnen  wuchs  in  Thü- 
ringen neben  zahlreichenMittelstädten  Erfurt(  1 35)zurGroßstadtan,  in  Sachsen 
das  malerische  Dresden  (685)  als  Beherrscherin  des  Elbtales  mit  Feinindustrie 
(Schokolade,  Zigaretten),  Chemnitz  (410)  mit  seinen  riesigen  Maschinen- 
fabriken, die  Leinenstadt  Plauen  (105)  und  die  Kohlenstadt  Zwickau  (108). 

Das  Eibsandsteingebirge  mit  seinen  tafelartigen  Zeugenbergen  leitet  über 
zu  den  Sudeten,  deren  deutscher  Anteil  auf  etwa  6000  km"  annähernd 
800000  Einwohner  zählt.  Sie  siedeln  besonders  in  den  Senken  zwischen 
den  Gebirgen;  das  Waldhufendorf  zeigt  uns,  daß  hier  noch  zu  An- 
fang des  Mittelalters  ein  einsames  Waldgebirge  lag.  Auch  in  den  Sudeten 
lassen  sich  gewisse  Zentren  der  Bevölkerungsverdichtung  erkennen.  Das 
fruchtbare  Hügelland  der  Oberlausitz  mit  seinem  Lößboden  und  Braun- 
kohlenlagern wies  dem  Verkehr  gute  Leitlinien.  Durch  ihn  entstanden 
die  ^Seciisstädte«,  vor  allem  Görlitz,  Bautzen  und  Zittau.  Im  Hirschberger 
Kessel  blühen  die  Pensionopolis  Hirschberg  am  Fuße  des  Riesengebirges 
mit  seinen  Moränenseen  und  Sommerfrischen,  in  der  Glatzer  Senke  zahl- 
reiche bekannte  Badeorte.  Auch  die  Groliindustrie  hat  im  Waldenburger 
Ländchen  infolge  des  dortigen  Steinkohlenreichtums  Fuß  gefaßt. 


Das  Norddeutsche  Flachland.  73 

Der  gjößere  Teil  der  Sudeten  gehört  schon  zum  Böhmerlande, 
einem  fruchtbaren  lößbedeckten  Kessel,  rings  umgeben  von  Waldgebirgen, 
die  der  Deutsche  erschlossen  hat,  während  im  Innern  Tschechen  wohnen. 
Leider  gelang  es  dem  Deutschtum  nicht,  durch  seine  Kolonisation  den 
Ring  um  die  Tschechen  zu  schließen.  Hier  sind  auf  den  Mährischen  Höhen 
Brunn  (180)  und  Iglau  deutsche  Inseln  geblieben,  östlich  deren  dieTschechen, 
jenseits  der  March  in  die  verwandten  Slowaken  übergehend,  sich  bis  an 
die  Donau  bei  Preßburg  erstrecken  und  im  Nordosten  auch  die  Mährische 
Pforte  mit  ihren  Steinkohlenlagern  besiedeln. 

Das  ist  die  Tschechoslowakei,  die  (ohne  das  ungarische  Erzgebirge) 
auf  80000  km-  beinahe  10  Millionen  Einwohner  zählt.  Von  ihnen  sind 
zwei  Fünftel  Deutsche,  die  sich  nach  dem  Zusammenschluß  mit  ihren 
Volksgenossen  sehnen.  Eine  auf  die  Dauer  schwer  verdauliche  Irredenta! 
Im  innern  Kessel  treiben  die  Tschechen  meist  Ackerbau  und  Vieh- 
zucht und  haben  Prag  (600)  bis  auf  seine  steinernen  Zeugen  längst  des 
deutschen  Charakters  beraubt.  Die  Deutschen  nähren  sich  im  Böhmer 
Wald  von  Holz-  und  Glasindustrie.  Im  Egerland  mit  seinen  weltberühm- 
ten Badeorten  blüht  der  Braunkohlenbergbau  mit  Aussig  als  Hafen,  im 
Sudetenlande  die  Textilindustrie  (Reichenberg).  Ein  Zankapfel  zwischen 
Polen  und  Tschechen  ist  der  Städtekomplex  um  Ostrau  (120),  wo  Öster- 
reichs größte  Waffenschmiede  (Skodawerke)  blühte,  deren  Filiale  wir 
in  Pilsen  finden,  auch  dort  im  Anschluß  an  Steinkohlenlager. 

Das  Norddeutsche  Flachland. 

Den  Norden  Mitteleuropas  nimmt  das  Norddeutsche  Flachland 
ein,  nach  Osten  sich  verbreiternd  und  durch  die  Elbe-Saale-Linie  in  zwei 
wichtige  Teile  geschieden,  von  denen  der  unter  dem  Einfluß  des  regen- 
spendenden Meeres  wiesenreiche  Westen  hauptsächlich  Viehzucht  (Klein- 
bauern), der  kontinentalere  Osten  mit  seinen  heißen  Sommern  mehr  Acker- 
bau (Großgrundbesitz)  treibt. 

Westelbien  besteht  aus  mehreren,  »Geest«  genannten,  durch  breite 
Täler  getrennten  Landschaften.  Diese  weisen  vielfach  ausgedehnte  Moore  auf 
und  sind  auf  weiten  Flächen  von  Heidekraut  bedeckt,  wie  in  der  hügeligen 
Lüneburger  Heide,  welche  die  Fortsetzung  des  Fläming  bildet.  In  ihr 
entstand  auf  den  Wilseder  Höhen  nach  dem  Vorbilde  der  amerikanischen 
Nationalparke  der  erste  deutsche  Naturschutzpark.  An  den  Küsten  ziehen 
sich  die  wiesenreichen  Marschen  hin,  die  auch  weit  in  die  großen  Täler 
hineinreichen.  Südlich  der  Linie  Hannover — Magdeburg  liegt  ein  frucht- 
bares Lößgebiet  mit  unterlagerndem  Reichtum  von  Braunkohlen  und  Salz. 

Ostelbien  zerfällt  in  den  Baltischen  Höhenrücken,  das  Gebiet 
der  großen  Urstromtäler  mit  dem  südlichen  Höhenrücken  und  in 
das  schlesische  Lößgebiet. 

Das  Flachland  dringt  in  der  Bonner  und  Leipziger  Bucht  weit  in  die 
Mittelgebirge  ein;  da  jedoch  beide  in  ihrem  wirtschaftlichen  Leben  schon 
zu  den  Mittelgebirgen  gehören,  rechnen  wir  die  Leipziger  Bucht  (ein- 
schließlich des  Regierungsbezirkes  Merseburg  westlich  der  Elbe,  aber 
ohne  Anhalt)   zum   sächsisch -thüringischen   Gebiet,   die   Bonner   Bucht 


/4  X.  Mitteleuropa. 


bis   zur    Linie  Wesel — Geldern    zum    niederrheinischen    Industriebezirk, 
der  auch  das  Münsterland  südlich  der  Lippe  umfaßt. 

Die  Oberflächenformen  des  Flachlandes  sind  das  Werk  der  Eiszeit- 
gletscher. Sie  schufen  geschwungene  Moränenwälle,  davorgelagerte 
breite,  sandige,  vielfach  vermoorte  Urstromtäler,  mit.E)ünen  und  Kiefern- 
wald bedeckte  Sandtlächen  und  wellige  Moränenlandschaften,  deren  Lehm- 
böden sich  zum  Ackerbau  vorzüglich  eignen,  oder  Laubwald  tragen  und 
deren  langgestreckte  Rinnenseen  die  Bewegungsrichtung  der  ehemaligen 
Gletscher  angeben.  Am  Südrande  des  Flachlandes  dehnt  sich  die  Löß- 
zone (entstanden  durch  Staubwinde,  die  vom  Eise  herabwehten,  dem  Föhn 
vergleichbar)  mit  ihrem  hochentwickelten  Ackerbau  (Zuckerrüben). 

Im  Norden  geben  Ost-  und  Nordsee  dem  Flachlande  natürliche  Grenzen. 

Von  den  norddeutschen  Küsten  zeigen  nur  noch  die  Ostseeküste 
von  Schleswig-Holstein  und  die  vorpommersche  Küste  mit  ihren  Buchten 
(ertrunkene  Seen!)  und  Inseln  (abgeschnürte  Hügel)  die  Formen  des  all- 
mählich vom  Wasser  überfluteten  Landes.  Die  übrigen  sind  durch  die 
Arbeit  der  von  den  Nordwestwinden  gegen  die  Küsten  geschleuderten 
Wellen  begradigt.  In  Mecklenburg  und  Hinterpommern  wurden  die  ehe- 
maligen Buchten  zu  Strandseen  abgedämmt  und  durch  einen  sandigen 
Dünenstrand  von  der  See  abgeschnitten.  In  Ost-  und  Westpreußen  legt 
sich  der  Dünenw^all  als  Nehrung  (Heia  ist  eine  werdende  Nehrung)  vor 
die  Küste,  von  ihr  durch  Haffe  getrennt,  die  allmählich  von  den  Flüssen 
zugeschwemmt  werden  (das  Weichseldelta  gehörte  früher  zum  Frischen 
Haff,  das  Memeldelta  zum  Kurischen).  Heute  sind  die  Wanderdünen 
der  Nehrungen  meist  durch  Kiefernwald  festgelegt.  An  der  Nordsee- 
küste wurde  der  ehemalige  Dünenwall  durch  das  Meer  zerrissen  und  in 
eine  Inselreihe  aufgelöst,  während  die  in  verlandeten  Haffen  entstandenen 
fruchtbaren  Marschböden  (Schlick)  als  Watten  zur  Flutzeit  vom  Meere 
überspült  werden.  Die  weißen  Stranddünen  sind  von  größter  wirt- 
schaftlicher Bedeutung  für  das  Badeleben  an  Ost-  und  Nordsee.  Auch 
das  Helgoländer  Badeleben  spielte  sich  nicht  auf  dem  Felseiland  ab,  sondern 
auf  der  benachbarten  -Düne'<.  Die  deutsche  Küste  ist  verhältnismäßig 
arm  an  Häfen  (namentlich  an  solchen  für  tiefgehende  Schiffe)  und  infolge- 
dessen auch  die  Seefischerei  längst  nicht  in  dem  Umfange  entwickelt,  wie 
an  den  buchtenreichen  Felsküsten  Norwegens,  Englands,  Frankreichs  und 
Italiens.  Dafür  ist  aber  die  Unzugänglichkeit  der  versandeten  Küsten  von 
größter  Bedeutung  im  Weltkriege  gewesen. 

Westelbien. 

Westelbien  ist  ein  altgermanisches  Siedlungsland.  Im  Nordwesten  mit 
seinen  Wiesen,  Mooren  und  Heiden  überwiegt  der  Einzelhof  in  der 
Marsch  das  Straßendorf,  weiter  südlich  das  Haufendorf.  Ein  Kranz  von 
Siedlungen  hat  sich  an  den  Flußmündungen  entwickelt,  wobei  die  Haupt- 
siedlung an  dem  Ende  des  Fluttrichters  liegt  (Hamburg,  Bremen),  fluß- 
abwärts ein  jüngerer  Vorhafen  für  die  modernen  Riesenschiffe  (Cuxhaven, 
Bremerhaven).  In  Schleswig-Holstein,  das  wir  wegen  seines  Klimas  und 
der  Wirtschaftsformen   noch   zu  Westelbien   rechnen,   ist  besonders   die 


Ostelbien.  75 

buchtenreiche  Ostseeküste  städtereich;  wo  diese  Küste  Mitteldeutschland 
am  nächsten  liegt  —  der  Osten  war  damals  noch  zumeist  slawisch  — , 
wurde  Lübeck  (123)  für  lange  Zeit  die  Ostseekönigin. 

Beinahe  die  Hälfte  der  Einwohnerzahl  aller  deutschen  Häfen  entfällt 
auf  Groß-Hamburg  (1400),  das  als  zweite  Fabrikstadt  Deutschlands  Bremen 
(370)  weit  überflügelt  hat.  Bremerhaven  (105)  ist  Hauptsitz  der  See- 
fischerei, Kiel  (221)  und  Wilhelmshaven  (früher  105)  Kriegshäfen. 

Abgesehen  von  Münster  (1 12),  der  Beherrscherin  der  Münsterschen 
Tieflandsbucht,  finden  wir  ein  zweites  Städtegebiet  in  dem  schon  er- 
wähnten Lößgebiet  am  Nordrande  des  Mittelgebirges.  An  dessen  Enden 
wuchsen  Hannover  (423)  und  Magdeburg  (322)  zu  großen  Industrie- 
städten und  Eisenbahnknotenpunkten  an,  die  übrigen  Städte  weit  über- 
flügelnd, von  denen  nur  Braunschweig  (l  50)  eine  kleinere  Großstadt  wurde. 

So  ist  Westelbien  trotz  der  einsamen  Moor-  und  Heidegebiete  dicht 
bevölkert  und  ernährt  auf  85000  km-  etwa  9  Millionen  (D.      HO). 

Ostelbien. 

Ostelbien  ist  altes  Germanenland,  in  das  erst  nach  Christus  die  Slawen 
bis  an  die  Elblinie  einwanderten.  Im  frühen  Mittelalter  erfolgte  dann 
die  Wiedereroberung  durch  Deutsche,  die  zumeist  friedlich  vor  si-ch 
ging  und  sich  vor  allem  an  der  Küste  und  im  südlichen  Lößgebiet  weit 
nach  Osten  schob,  in  der  Mitte  dagegen  in  der  waldigen  Zone  der  Seen 
Westposens  haltmachte.  Aber  auch  dem  von  Polen  bewohnten  Gebiet 
drückte  die  jahrhundertelange  deutsche  Herrschaft  ihren  Stempel  auf,  der 
sich  sowohl  in  Bauten  als  auch  in  der  Anlage  des  Straßennetzes  kund- 
gibt; es  herrschte  dort  eben  deutsche  Ordnung.  Während  in  Westelbien 
sich  noch  zahlreiche  Splitter  der  mittelalterlichen  Kleinstaaterei  finden,  ist 
Ostelbien  bis  auf  Mecklenburg  politisch  geeint.  Neben  geschicht- 
lichen Gründen  dürfte  das  Netz  der  Urstromtäler,  das  Ver- 
kehrswegen und  Kanälen  Leitlinien  wies,  hierbei  mitgespielt 
haben.  Preußens  Königen  hat  Ostelbien  viel  zu  verdanken,  besonders 
Friedrich  dem  Großen.  Dieser  holte  Flamen  in  das  entvölkerte  Land 
(Fläming),  die  in  der  Niederlausitz  eine  blühende  Tuchindustrie  be- 
gründeten, und  besiedelte  vor  allem  die  großen  Moorgebiete  des  Netzetales. 

Das  Gebiet  des  Baltischen  Landrückens  ist  ein  dünnbevölkertes  Bauern- 
land (Dichte  57).  Wo  die  Täler  der  Oder,  Weichsel  und  des  Pregel  Breschen 
in  diesen  schlagen,  entwickelten  sich  die  großen  Hafenstädte  Stettin  (287), 
Danzig  (221)  und  Königsberg  (263),  letzteres  schon  im  Ordensland  mit 
seinen  wundervollen,  festungsartigen  Backsteinbauwerken,  die  im  Verein 
mit  malerischen  See-  und  Hügellandschaften  namentlich  dem  Masuren- 
land  einen  eignen  Charakter  geben. 

In  der  sandigen  Zone  der  Urstromtäler  spielen  die  Städte  eine  größere 
Rolle,  da  Eisenbahnen  und  Kanäle  gut  entwickelt  sind  (Dichte  65).  Eine 
Insel  in  ihm  bildet  das  industrielle  Groß-Berlin  (mit  ihm  steigt  die  Dichte 
dieser  Zone  auf  115!),  der  größte  Eisenbahnknoten  Mitteleuropas  und 
seine  größte  Fabrikstadt  (3900).  Seine  Spinnenarme  nach  allen  Seiten  aus- 
sendend, verhindert  es  das  Aufkommen  einer  Großstadt  in  seiner  Um- 
gebung. Der  Hohenzollernkanal  hat  es  jüngst  zu  einem  Großhafen  gemacht. 


76  X.  Mitteleuropa. 


Unter  dem  Einfluß  Berlins  blieben  auch  die  Tuchstädte  der  Lausitz 
von  mittlerer  Größe,  und  erst  weit  im  Osten  konnten  Posen  (170)  und 
Bromberg  (100)  die  Großstadtgrenze  überschreiten.  Von  größter  Zukunfts- 
bedeutung ist  am  Südrand  des  Flachlandes  der  Braunkohlenstreifen  zwischen 
Bitterfeld  und  Spremberg,  innerhalb  dessen  sich  stellenweise  eine  Groß- 
industrie zu  entwickeln  beginnt,  die  schon  Berlin  mit  Elektrizität  versorgt. 

Am  dichtesten  siedelt  die  Bevölkerung  im  Lößgebiet  Schlesiens,  wo 
der  Großgrundbesitz  0  einen  riesigen  Anbau  von  Getreide  und  Zuckerrüben 
gestattet  und  Bodenschätze  aller  Art,  vor  allem  die  Kohlen  und  Erze  Ober- 
schlesiens, verdichtend  wirken. 

In  der  Mitte  dieses  Gebietes  wuchs  Breslau  (600)  weit  über  die  zahl- 
reichen Mittelstädte  zu  einer  Halbmillionenstadt  an  und  dürfte,  wenn 
wieder  ruhigere  Verhältnisse  eintreten,  infolge  seiner  zentralen  Lage  inner- 
halb Mitteleuropas  noch  sehr  wichtig  werden,  in  Oberschlesien  finden 
wir  vier  weitere  Großstädte  [Königshütte  (240),  Beuthen  (155),  Kattowitz 
(190)  und  Hindenburg  (150)]  mit  gewaltiger  Industrie,  die  infolge  der 
weiten,  südlichen  Ausdehnung  der  noch  wenig  erschlossenen  Kohlenflöze 
eine  große  Zukunft  hat. 

Das  Deutsche  Reich.  / 

Der  bisher  betrachtete  Teil  Mitteleuropas  war  im  wesentlichen  das  Gebiet 
des  Deutschen  Reiches,  über  das  einige  allgemeine  Bemerkungen  folgen 
sollen.  Daß  ich  hierbei  die  ehemaligen  Reichsgrenzen  beibehalte,  wird 
mir  niemand  verdenken,  dem  Kultur  über  Augenblickspolitik  steht;  an- 
statt von  einem  »ehemaligen  Deutschen  Reich«  spreche  man  lieber  von 
einem  Gebiet  deutscher  kultureller  Durchdringung.  Für  dieses  fällt  die 
Ostgrenze  mit  der  »Neupolens«  und  Kongreßpolens  zusammen.  Sie  trennt 
saubere  deutsche  Dörfer  mit  einem  dichten  Eisenbahnnetz  von  schmutzigen 
Slawendörfern,  zwischen  denen  namentlich  das  Fehlen  deutscher  Land- 
straßen mit  ihren  Obstbaumreihen  auffällt. 

Deutschland  hatte  1871  41  Millionen,  vor  dem  Weltkriege  beinahe 
68  Millionen  Einwohner;  die  Zahl  der  Großstädte  stieg  in  derselben  Zeit 
von  16  auf  47.  Die  Bevölkerung  ist  bis  auf  geringe  Teile  deutsch.  Im 
Osten  siedelten  3,5  Millionen  Polen  und  300000  Masuren  und  Kassuben 
in  Oberschlesien,  Posen  und  der  Kassubei  (Danzig  ehemaliger  Hafen 
Polens!).  Eine  wichtige  Grenze  zwischen  Polen  und  Deutschen  bildet 
auch  heute  noch  das  Waldgebiet  zwischen  der  Oder  und  unteren  Warthe. 
Neuerdings  war  die  Zahl  der  polnischen  Arbeiter  auch  im  Ruhrgebiet 
stark  gewachsen.  In  Lothringen  leben  200000  Franzosen,  in  Schleswig 
140000  Dänen  und  im  Spreewalde  als  Volksinsel  (vgl.  Tschechen  und 
Magyaren)  100000  Wenden.  Von  der  Bevölkerung  waren  62 '*/o  Prote- 
stanten und  36^/0  Katholiken.   Juden   finden   sich  über  das  ganze  Reich 


*)  In  Ostelbien  entfallen  auf  den  Großgrundbesitz  43 "/o  der  Fläche,  in 
Westelbien  nur  5Vo,  im  Rlieingebict  und  in  Siiddeutscliland  gar  nur  3!  Ein 
gewisser  Umfang  desselben  ist  unbedingt  n()tig,  um  die  großen  hidustrie- 
bezirke  richtig  ernähren  zu  können;  aber  einsichtige  Agrarpolitiker  haben  er- 
wiesen, daß  auch  ein  Großgrundbesitz,  der  10-  IS^/o  umfaßt,  dazu  imstande  ist. 


Das  deutsche  Siedlungswesen.  77 

zerstreut,  namentlich  in  den  Städten,  vor  allem  in  Breslau,  Posen,  Frank- 
furt und  Berlin. 

Das  Gebiet  der  katholischen  Konfession  deckt  sich  vielfach  mit  den 
alten  Bistümern  Köln,  Würzburg,  Münster  und  Posen.  Fast  ausschließlich 
katholisch  ist  auch  das  Alpenvorland,  das  Gebiet  um  den  oberen  Rhein 
und  Oberschlesien.  Protestantische  Inseln  bilden  hier  die  ehemals  freien 
Städte  in  Württemberg  und  Ansbach-Bayreuth. 

Das  deutsche  Siedlungswesen. 

Zur  Römerzeit  war  der  Rhein  eine  wichtige  Grenze  der  lateinischen 
Kultur.  An  seinem  Westufer  entstanden  die  bekannten  Römerstädte 
Colonia  (Köln),  Bonna  (Bonn),  Confluentes  (Koblenz)  und  andere, 
während  am  Ostufer  des  Rheins  fast  nur  jüngere  Städte  liegen  (Düssel- 
dorf, Karlsruhe).  Auch  die  Donau  war  eine  wichtige  Grenze  (Regina 
castra  =  Regensburg,  Castra  Batava  =  Passau).  Zwischen  beiden  Flüssen 
wurde  der  Limes  als  Grenzmauer  erbaut;  nach  ihm  heißt  der  Taunus 
(Zaungebirge),  auch  Vicus  Aurelii  (Öhringen  vgl.  Orleans)  und  Aquileia 
(Aalen)  erinnern  an  ihn. 

Aber  auch  die  Endungen  der  Ortsnamen  lassen  eine  Gesetzmäßigkeit 
in  der  Verbreitung  erkennen,  die  ihre  Lage  schneller  einprägt.  In 
Hannover  und  Schwaben  überwiegen  die  Namen  auf  ingen  (in  Bayern 
ing),  im  Gebiete  der  Oberrheinischen  Ebene  diejenigen  auf  heim,  in  der 
Magdeburger  Börde  die  auf  leben  (dänisch  lew);  im  Schiefergebirge  finden 
wir  die  Endung  scheidt,  in  Mitteldeutschland  hausen,  im  Spessart,  dem 
Odenwald  und  Vogelsberg  mit  Rhön  die  Endung  bach.  Im  Südwesten 
häufen  sich  die  Endungen  hofen  und  weiler^);  letztere  wird  in  der  Schweiz 
zu  wil,  in  Frankreich  zu  ville.  Aus  ingen  wird  in  Belgien  inghem,  aus 
heim  hem  und  em  in  England  ham.  Im  ehemals  römischen  Gebiet  treffen 
wir  vereinzelt  auch  die  Endung  ach  (ache  =  aquae,  bach). 

Bei  der  Besiedlung  des  Ostens  breiten  sich  die  deutschen  Namen  als 
Decke  über  die  slawischen;  vielfach  können  wir  die  Herkunft  der  Siedler 
noch  erkennen  (Frankenstein,  Frankfurt  a.  O.,  Osterode  i.  O.  usw.,  Fläming, 
Preuß.  Holland  u.  a.).  Im  Gebiete  des  Deutschordens  sind  die  Namen  oft 
mit  den  Vorsilben  Deutsch  und  Marien  verbunden  (Marienburg,  Frauen- 
burg, Marienwerder,  Deutsch  Eylau  usw.). 

Während  zur  römischen  Zeit  nur  die  lößbedeckten  Niederungen  dichter 
besiedelt  waren,  drangen  die  Siedler  in  der  Folge  auch  in  die  Waldgebiete 
ein,  deren  planmäßige  Erschließung  aber  erst  später  (nach  800)  erfolgte. 
Aus  dieser  Zeit  stamm.en  die  Endungen  rode,  roth,  rath,  schlag,  hau,  grün, 
hain  und  ähnliche,  die  Siedlungsform  ist  das  Waldhufendorf. 

Westlich  des  Limes  lag  lange  Zeit  römisches  Kulturgebiet,  was  wir  an 
den  Namen  Bernkastei,  Kastei,  Trier,  Augsburg  (Augusta),  Zabern  (Tabernae), 
Bingen  (Bingium)  und  anderen  erkennen;  aber  auch  die  Endung  weiler 


0  Weiler  sind  meist  auf  Waldlichtungen  angelegte  Gehöftgruppen.  Die 
Ortsnamen  auf  ingen  weisen  auf  den  Stamm  der  Langobarden  hin,  deren 
Wanderung  von  der  Lüneburger  Heide  (Bardowilk)  über  Schwaben  nach  der 
Lombardei  so  verfolgt  werden  kann. 


TS 


X.  Mitteleuropa. 


ist  dem  Römischen  (villa)  entlehnt  und  findet  sich  nur  im  Südwesten 
(vgl.  Eltville  bei  Biebrich  wie  die  Endung  ville  in  Nordfrankreich),  wo 
auch  markt  (aus  mercatus)  entstand.  An  römische  Fähren  (trajektus)  er- 
innern Utrecht  und  Dortrecht. 

Bis  1100  war  die  durch  Burgen  (Magdeburg,  Hamburg,  Harburg, 
Merseburg,  Naumburg,  Altenburg)  geschützte  Linie,  die  sich  von  Lübeck 
über  die  mittlere  Elbe  zur  Saale  zog.  Ostgrenze  des  Deutschtums.  Westlich 
entwickelte  sich  aus  dem  Einzelhof,  der  noch  heute  im  Nordwesten 
herrscht,  das  Haufendorf  0-  Jenseits  dieser  Linie  begann  das  slawische  Ge- 
biet mit  dem  Rundling  im  Grenzsaum  und  dem  langgestreckten  Straßen- 
dorf, noch  heute  kenntlich  an  den  dem  Deutschen  fremden  Endungen 
witz,  itz,  titz,  grad  und  grod,  grot  (vgl.  Garten)  tow,  ow,  in,  die  sich  noch 
heute  in  Rußland  finden  (Naugard  =  Neugarten  =  Nowgorod,  Beigard  ^ 
Belgrad,  Wollin  =  Wolhynien,  Pommern  =  Po  Mare  =  am  Meere).  Diese 
Straßendörfer  baute  der 

••"  Rundling?  (Alfer  Grenzsaum) 
oo  Haufendorf  ursprünglich 
oo  Haufendorf  Eroberungsgebief 
-'-  Einzelhof     \\\\    Waldhufendorf 
w  Weiler        Uli    Marschendorf 


ra  Kolonisahongebief 
geschlossendeufsdi 
=  Oasselbe  m  slavischen 

Enklaven 
-I-51üvisches  Reihendorf 
°3°  Magyarische  Dorfstadfe 

'N^^-^cr.'. _  , ^-«.^       ••  DeufscheStadte  im 

^~-^J^  ^i:--'-^  j:^    ^^ ~^~t:A  Slavengebief 

DerRahmen  Ungarns 

'Nahirgrenzen  ^^^*^/  .^-J^^^     —  ^i^  grosseScheide 

—  Völkische  Grenzen 

22.  Grenzen  und  Siedlungen  Mitteleuropas. 


Deutsche  als  Reihen- 
dorf (im  Walde  das 
Waldhufendorf)  aus, 
während  in  den  Mooren 
und  auf  den  Deichen  an 
den  Marschen  die  lang- 
gestreckten Marschen- 
dörfer und  Moorkolo- 
nien entstanden. 

Die  deutsche  Kolo- 
nisation besiedelte  ge- 
schlossen das  ostelbi- 
sche  Flachland  bis  zur 
Linie  Lauenburg  (Hin- 
terpommern) —  Görlitz 
und    schob    sich  noch 

fühlerartig  über  dieselbe  ostwärts  nach  Schlesien  und  dem  Ordens- 
land. Wie  gleichlautende  Ortsnamen  (Neuzelle,  Naumburg,  Landeshut, 
Frankfurt  a.  O.,  Freiburg,  Reichenbach)  zeigen,  wurden  Schlesien  und 
Südbrandenburg  besonders  von  Mitteldeutschen  besiedelt,  ebenso  ein  Teil 
Masurens  (Löbau  und  Osterode!). 

Als  Verdichtungspunkte  der  Siedlung  entstanden  die  Städte, 
die  vielfach  als  Burgen  (Endung  bürg)  begründet  wurden,  in  West-  und 
Süddeutschland  ist  der  Grundriß  der  Städte  bis  auf  Neugründungen  wie 
Mannheim  und  Karlsruhe  unregelmäßig,  im  deutschen  Osten  überwiegt 
das  Schachbrett  der  planmäßig  angelegten  Kolonistenstadt  mit  dem  »Ring« 
als  Marktplatz,  in  rheinischen  Städten  schimmert  vielfach  das  viereckige 
Römerlager  im  Straßennetz  hindurch,  sonst  oft  auch  ältere  Stadtgrenzen 
in  ringförmigen  Straßenzügen,  die  aufgraben  und  wall  enden.  Breite  Prome- 
naden bezeichnen  heute  die  Grenze  zwischen  den  Stadtkernen  und  den 


1)  dorf  =  dorp  =  torpe  =  turba,  d.  ii.  Ansammlung. 


Politisches  und  wirtschaftliches  Leben.  79 

Stadtteilen,  die  im  wesentlichen  in  den  letzten  50  Jahren  entstanden  0-  hi 
dem  letzten  Jahrzehnt  entsteht  um  die  größeren  Städte  aus  ehemals 
rein  ländlichen  Orten  (Verteuerung  der  Bodenpreise  in  den  Städten)  ein 
wirtschaftliches  Weichbild  mit  Fabriken  und  Villenkolonien  und  bildet 
mit  der  eigentlichen  Stadt  zusammen  die  wirtschaftliche  Stadt. 

Das  Aussehen  der  Städte  ist  viel  vom  Material  (z.  B.  Schieferbauten!) 
abhängig.  Im  Flachlande  überwiegt  der  Backsteinstil,  im  Osten  wird  der 
spitze  Turmhelm  durch  die  Renaissancekuppel  ersetzt  (Rathäuser  in  Danzig 
und  Breslau).  Besonders  reizvoll  sind  die  Fachwerkbauten  im  Bereiche 
oder  in  der  Nähe  der  mitteldeutschen  Waldgebirge  (Hildesheim  Goslar  u.  a.). 
Burgartig  erscheinen  die  Bauten  im  Gebiete  des  Deutschordens.  Ein  »roter 
Hauch«  liegt  über  der  Landschaft  und  den  Siedlungen  des  Buntsandstein- 
gebietes. Ein  weiteres  Eingehen  hierauf  erfolgt  am  besten  in  der  Heimat- 
kunde. 

Politisches  und  wirtschaftliches  Leben. 

Die  politische  Gestaltung  Deutschlands  bespricht  man  im  An- 
schluß an  eine  kurze  geschichttiche  Entwicklung-).  Im  Erdkundeunterricht 
gilt  es  zu  zeigen,  daß  natürliche  Landschaften  sich  vielfach  mit  geschicht- 
lichen decken.  Im  Flachlande  und  dem  ebenfalls  großräumigen  Alpen- 
vorlande  entwickelten  sich  die  großen  Staaten  Preußen  und  Bayern,  im  Mittel- 
gebirge ist  auch  heute  noch  die  Kleinstaaterei  am  besten  erhalten ;  vielfach 
ist  sie  aber  nicht  durch  geographische,  sondern  geschichttich-dynastische 
Ursachen  zu  erklären  (Gegensatz  zwischen  Ernestinern  und  Albertinern !)  ^). 

Auch  die  Verteilung  der  Parteien  kann  man  im  erdkundlichen 
Unterricht  streifen,  da  sich  in  ihr  auch  das  Wirtschaftsleben  Deutschlands 
widerspiegelt.  So  deckt  sich  die  Sozialdemokratie  mit  der  Großindustrie, 
die  Konservativen  finden  wir  im  Bereiche  des  Großgrundbesitzes,  der 
Kleinbauer  wählt  überwiegend  fortschrittlich  und  nationalliberal,  der 
Katholik  Zentrum  oder  polnisch. 

Deutschland  wurde  in  den  letzten  Jahrzehnten  immer  mehr  ein  Industrie- 
staat, was  wohl,  z.  T.  mangels  politischer  Sicherungen,  auch  sein  Verhängnis 
wurde.  Wichtig  für  die  Entwicklung  der  Industrie  ist  der  Ausbau  der 
Wasserstraßen  und  Eisenbahnen  gewesen. 

Die  größte  deutsche  Wasserstraße  ist  der  bis  Straßburg  ausgebaute 
Rhein,  der  auch  im  Sommer,  durch  alpines  Gletscherwasser 
gespeist,  über  eine  genügende  Wassermenge  verfügt.  Duisburg,  Düssel- 
dorf und  Mannheim  sind  die  wichtigsten  Stapelpunkte  des  Großverkehrs. 


1)  Man  leite  die  Schüler  an,  die  Verbreitung  der  Ortsnamen  und  die  Ent- 
wicklung der  Städte  selbst  aus  Plänen  herauszusuchen. 

-)  Hierbei  kann  darauf  hingewiesen  werden,  daß  Namen  wie  Mark  Branden- 
burg, Altmark,  Neumark,  Uckermark,  Krain  (Ukraine),  Steiermark  u.  a.  auf 
ehemalige  Grenzlandschaften  hinweisen,  die  das  alte  Deutsche  Reich  gegen 
die  Slawen  schützen  sollten. 

^)  Bei  Betrachtung  der  natürlichen  Landschaften  weise  man  immer  auf  die 
territoriale  Gestaltung  hin,  während  das  umgekehrte  Verfahren  Vivisektion  ist. 


80  X.  Mitteleuropa. 


Frankfurts  Osthafen  wächst  seit  Inangriffnahme  der  Mainkanahsation.  Auch 
der  Bau  des  Main-Donaukanales  wird  jetzt  in  Angriff  genommen,  während 
die  Pläne  für  den  Ausbau  der  Mosel  und  Saar  sich  durch  die  politische 
Lage  verbieten. 

Gering  entwickelt  ist  die  Weserschiffahrt,  auf  der  Elbe  werden 
besonders  die  böhmischen  Braunkohlen  verfrachtet.  Noch  mehr  als  hier 
leidet  in  der  sommerlichen  Zwischenzeit  die  Schiffahrt  auf  Oder  und 
Weichsel.  Am  Ausbau  der  Oder  wird  rüstig  gearbeitet,  derjenige  der 
versandeten  Weichsel  kann  erst  nach  Klärung  der  polnischen  Frage  er- 
folgen, ist  dann  aber  durchaus  nötig  und  wird  Danzig  die  ehemalige  Be- 
deutung wiedergeben. 

Auf  der  Donau  beginnt  die  regelmäßige  Schiffahrt  bei  Regens- 
burg. Nach  dem  Ausbau  der  Kanalverbindungen  zum  Main,  Rhein,  Elbe 
und  Oder  dürfte  sich  der  bishervernachlässigte  Donauverkehr  gewaltig  heben. 

Das  ausgedehnte  ostdeutsche  Kanalsystem  hat  für  den  Groß- 
verkehr eine  größere  Bedeutung  als  das  veraltete  französische  und  der 
bayrische  Ludwigkanal.  Die  Erfahrungen  des  Krieges  haben  gelehrt,  wie 
nötig  ein  Ausbau  und  eine  Verbindung  mit  den  westdeutschen  Wasser- 
straßen in  Zukunft  ist.  Wichtige  Ansätze  dazu  sind  schon  im  Dortmund- 
Ems- Kanal,  dem  Mittellandkanal,  dem  Elbe -Trave- Kanal,  dem  Kaiser- 
Wilhelm-Kanal  und  dem  Großschiffahrtsweg  Berlin — Stettin  (Hohenzollern- 
kanal)  gemacht.  Auch  die  Fortführung  des  Mittellandkanals  von  Hannover 
durch  die  reiche  Magdeburger  Börde  mit  Stichkanälen  nach  Halle  und 
Leipzig  ist  beschlossen.  Mehr  wie  bisher  wird  dadurch  die  Elbe  ihre 
zentrale  Stellung  im  deutschen  Flußnetz  ausnützen  können,  zumal  da  ihr 
Gebiet  reich  an  Bodenschätzen  (Salz,  Braunkohle)  ist. 

Der  Ausbau  des  deutschen  Eisenbahnnetzes  erfolgte  zumeist  völlig 
unabhängig  von  den  bestehenden  Flüssen,  da  die  Richtung  des  Verkehrs 
vielfach  nicht  den  Flußläufen  folgt  (Elbe  und  Donau).  Die  meisten  deutschen 
Hauptstrecken  sind  zweigleisig  ausgebaut,  viele  sogar  schon  viergleisig 
(Duisburg — Hannover).  Hauptbrennpunkte  des  Eisenbahnnetzes  waren 
Berlin  (123),  Köln  (90),  Leipzig  (83),  Halle  und  Düsseldorf  (81),  Duis- 
burg (80),  Hannover  (82),  Frankfurt  (77),  München  (68),  Hamburg  (66), 
Magdeburg  (59),  Breslau  (52),  Koblenz  (50),  Nürnberg  und  Stuttgart  (48)')- 
im  Gebiete  der  Mittelgebirge  finden  wir  vielfach  Tunnelanlagen;  besonders 
großartig  ist  die  Schwarzwaldbahn  Offenbach— Villingen  mit  ihren  Tunnels 
und  Kehren.  Nur  an  wenigen  Strecken  fanden  wir  den  elektrischen  Betrieb 
(Königszelt— Lauban,  Halle— Bitterfcld,  Berlin— Zossen),  da  dieser  in  Kriegs- 
zeiten zu  großen  Gefahren  (Zerstören  der  Zentralen  durch  Flieger  usw.) 
ausgesetzt  ist.  Ein  Blick  auf  eine  Eisenbahnkarte  zeigt  uns,  daß  das  Netz 
der  Eisenbahnen  (mit  Ausnahme  des  Nordostens)  nicht  so  zentralisiert 
ist  wie  in  Frankreich,  und  Berlin  längst  nicht  in  dem  Maße  das  Wirt- 
schaftsleben beherrscht  (vgl.  das  Aufblühen  der  Messen),  wie  etwa  Paris 
und  London. 


>)  Die  eingeklainmerten  Zahlen  geben  die  Zahl  der  täglich  ausfahrenden 
Schnellzüge  (im  letzten  Friedensjahr!)  als  Verkehrsmaß  wieder.  Groß  ist  auch 
der  Verkehr  in  F^remen  (47),  Essen  (55),  Oberhausen  (46),  Dortmund  (50) 
Hagen  (62),  Dresden  (45),  Kassel  (40)  und  Stettin  (38). 


Die  Ostmarken.  81 


Ergänzt  werden  die  Eisenbahnen  in  den  großen  Industriebezirken  durch 
ein  ausgedehntes  Netz  elektrischer  Straßenbahnen,  die  hier  auch  den  Ver- 
kehr von  Ort  zu  Ort  bewältigen. 

Von  den  deutschen  Häfen  stehen  Hamburg  und  Bremen  obenan,  in 
zweiter  Reihe  folgen  Königsberg,  Danzig,  Stettin,  Kiel,  Lübeck  und  Emden. 
Ein  großer  Teil  des  westdeutschen  Verkehrs  geht  über  Rotterdam  und  Ant- 
werpen. Besonders  dem  Personenverkehr  dienen  die  Vorhäfen  Cuxhaven 
und  Bremerhaven.  Die  Kriegshäfen  Kiel  und  Wilhelmshaven  liegen  fern 
von  Flüssen  an  vor  Versandung  geschützten  Buchten.  Die  genannten 
Hafenstädte,  vor  allem  Hamburg,  sind  zugleich  Sitz  des  deutschen  Schiff- 
baues, der  in  letzter  Zeit  einen  großen  Aufschwung  genommen  hatte. 

Die  Ostmarken. 

Östlich  der  ehemaligen  Reichsgrenzen  beginnt  ein  Gebiet  mit  derartig 
verworrenen  und  durchaus  ungesicherten  politischen  Verhältnissen ,  daß 
der  Ausdruck  »balkanisiertes  Mitteleuropa«  dafür  durchaus  zutreffend  ist. 
Kann  man  doch  schätzen,  daß  von  den  annähernd  50  Millionen  Einwohnern 
dieses  Gebietes  beinahe  die  Hälfte  durch  die  Grenzen  des  Versailler 
»Friedens«  Ländern  zugeteilt  ist,  in  denen  sie  kulturell  vergewaltigt  wird. 

Wir  beginnen  mit  der  Betrachtung  der  Fortsetzung  des  Baltischen  Land- 
rückens, die  wie  Nordostdeutschland  altes,  an  Burgen  und  Kirchen  reiches 
Ordensland  ist  und  als  »Baltische  Mark«  bezeichnetsei.  Auf  95000 km^ 
wohnten  hier  vor  dem  Weltkriege  beinahe  3  Millionen  Einwohner,  die  prote- 
stantischen Letten  und  Esten.  Durch  Ansiedlung  zahlreicher  Deutscher  war  ein 
wichtiges  Bollwerk  des  Deutschtums  geschaffen  (Ortsnamen).  Neben  Wald- 
wirtschaft und  Viehzucht  viel  Ackerbau.  Die  Hauptstadt  ist  die  alte  Hanse- 
stadt Riga  mit  großer  Industrie  (heute  150000,  früher  550000  Einw.!); 
auch  Libau  und  Reval  sind  wichtige  Häfen  und  Festungen,  Dorpat  Sitz 
einer  Universität,  Dünaburg  und  Narva  (Wasserfälle)  Fabrikstädte. 

Südlich  schließt  sich  die  Litauische  Mark  an,  meist  von  katholischen 
Litauern,  daneben  Weißrussen  und  Polen  bewohnt.  Sie  umfaßt  120000  km^ 
mit  6  Millionen  Einwohnern  und  ist  die  hügelige,  seenreiche  Fortsetzung 
Masurens  mit  viel  Wald ;  daneben  Ackerbau  und  Viehzucht.  Neben  der 
Hauptstadt  Wilna  sind  die  Fabrikstadt  Bjalistok  und  die  Festungen  Kowno 
und  Grodno  von  Bedeutung.   Die  Hafenstadt  ist  das  deutsche  Memel. 

Russisch-Polen  oder  »Kongreßpolen«  ist  die  natürliche  Fort- 
setzung des  Gebietes  der  Urstromtäler  und  weist  außerhalb  der  sandigen 
Flußtäler  auch  ausgedehnte,  für  Ackerbau  geeignete  Lehm-  und  Lößböden 
auf,  dazwischen  auch  große  Wälder,  namentlich  in  der  Lysa-Gora.  Bei 
Tschenstochau  Eisenerzlager,  weiter  südlich  die  Fortsetzung  der  ober- 
schlesischen  Steinkohlen.  Polen  war  vor  dem  Kriege  die  wichtigste  Industrie- 
provinz Rußlands,  mit  einem  gut  ausgebauten  Eisenbahnnetz  und  einer  hohen 
Bevölkerungsdichte  (100,  gegen  20  im  gesamten  Rußland!) 

Warschau  ist  neben  dem  Sitze  der  Behörden  eine  starke  Festung  und 
die  größte  Industriestadt  des  Landes  (Baumwollspinnereien,  Eisenindustrie, 
Maschinenfabriken);  es  hatte  1  250000  Einwohner,  die  zweite  Stadt  Lodz, 
das   polnische  Manchester,    mit   riesigen   Baumwollspinnereien   600000. 

Olbridil,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  6 


82  X.  Mitteleuropa. 


In  Lublin  undTschenstochau  (je  90000)  blühte  ebenfalls  die  Textilindustrie, 
die  auch  hier  zumeist  in  deutscher  Hand  war.  Sosnowitz  (100  000)  ist  der 
Hauptort  des  Dombrowabeckens  mit  großen  Kohlenbergwerken.  Der 
Brückenkopf  Terespol  (Theresia)  der  Grenzfestung  Brest-Litowsk  (Litauisch 
Brest)  erinnert  an  die  ehemalige  österreichische  Herrschaft.  Die  groß- 
polnische Republik  zählt  nach  den  jüngsten  Friedensschlüssen  auf 
400000  km-  etwa  30  Millionen  Einwohner.  Da  von  diesen  beinahe  die 
Hälfte  Nichtpolen  sind,  ist  in  Anbetracht  der  polnischen  Unduldsamkeit 
und  kulturpolitischen  Unfähigkeit  wenig  Aussicht  für  eine  gedeihliche 
Zukunftsentwicklung. 

Nur  durch  künstliche  geschichtliche  Grenzen  von  Polen  getrennt 
(Teilungen  Polens)  ist  die  Galizische  Mark  (80000  km^,  8  Mill.  Einw.). 
Ihr  Flachlandanteil  ist  die  Fortsetzung  der  schlesischen  Lößzone;  etwa  ein 
Drittel  der  Fläche  gehört  den  Karpathen  an  und  ist  dicht  bewaldet,  wobei 
in  den  Vorbergen  Buchen  vorherrschen  (Bukowina).  Am  Karpathenrande 
finden  wir  Erdöllager,  an  der  Dreikaiserecke  Steinkohlen,  bei  Wielicka 
Steinsalz,  so  wie  bei  Halics,  das  dem  Lande  den  Namen  gab.  Zwischen  den 
Gebirgswäldern  dehnen  sich  Wiesen  aus.  Im  Flachland  wird  neben  Ge- 
treide viel  Flachs  (Leinwandindustrie)  angebaut. 

So  ist  das  Land,  reich  an  Industrie  und  Landwirtschaft,  sehr  dicht 
bevölkert  (auf  90000  km-  beinahe  9  Mill.  Einwohner).  Im  Weichselgebiete 
wohnen  Polen  (Hauptort  Krakau  mit  150000  Einw.),  im  Djnestergebiet 
Ruthenen  (Lemberg  210000  Einw.),  um  den  Pruth  Rumänen  (Czernowitz 
90  000  Einw.).  Die  wichtige  Festung  Przemysl  beherrscht  die  Wasserscheide 
und  den  Duklapaß.  Südlich  der  bewaldeten  Karpathenmauer,  die  in  der 
Tatra  mit  ihren  Moränenseen  über  die  Baumgrenze  ragt,  liegt  Ungarn. 

Ungarn. 

Ein  Kerngebiet  von  etwa  100000  km-  umfaßt  die  lößbedeckte  Unga- 
rische Ebene  mit  ihren  meist  in  Weizen-  und  Maisfelder  umgewandelten 
Pußten.  Hier  erhielt  sich  bis  auf  die  eingestreuten  Gebirgsinseln  (wie 
Bakony  =  Buchenwald),  wo  Deutsche  siedeln,  als  Rest  der  mittelalterlichen 
Mongoleninvasion  das  Reitervolk  der  Magyaren.  Es  siedelt  mit  seinen 
riesigen  Dörfern  gleichenden  »Städten«  so  weit,  wie  die  Ebene  reicht. 
Die  umliegenden  Waldgebirge  dagegen  sind  von  Rumänen,  Deutschen, 
Ruthenen  und  Slowaken  bewohnt.  Von  ihnen  ist  das  Ungarische  Erz- 
gebirge ein  Land  alter  deutscher  Bergwerkstädte,  das  Liptauer  Gebirge 
(Liptauer  Käse!)  reich  an  Wiesen,  das  Kesselland  Siebenbürgen  eine  mittel- 
alterliche Hochburg  deutscher  Kultur,  deren  mauerumgebene  Städte  ebenso- 
gut in  Süddeutschland  liegen  könnten.  Der  Karpathen  wall  umfaßte  dieses 
bunte  Völkergemisch  zu  einer  politischen  Einheit  mit  210000  km-  und 
beinahe  15  Millionen  Einwohnern.  Er  hat  seine  staatsbildende  Kraft  vier 
Jahrhunderte  hindurch  bewährt  und  wird  wohl  auch  in  Zukunft  wieder 
eine  ähnliche  Rolle  spielen,  da  die  Völker,  die  innerhalb  desselben  liegen, 
wirtschaftlich  aufeinander  angewiesen  sind.  Als  einzige  wirkliche  Groß-* 
Stadt  entwickelte  sich  Budapest  zur  Millionenstadt,  da  es  nicht  nur  zentral 
gelegen  ist,  sondern,  am  Ausgange  der  engen  Donauschlucht  gelegen,  alle 


Istrisch-Slowenische  Mark.  83 

Straßen  sammelt,  die  nach  Südosten  fächerförmig  von  ihm  ausstrahlen. 
Der  Lage  nach  ist  es  ein  verkleinertes  Abbild  von  Wien. 

Der  Donauweg  verbindet  Ungarn  mit  Österreich,  der  Wechselaustausch 
von  Landwirtschafts-  und  Industrieprodukten  (auch  Kohlen)  hatte  beide 
Länder  zur  Donaumonarchie  zusammengefaßt,  von  der  schon  Bismarck 
sagte:  »Wenn  Österreich-Ungarn  nicht  bestände,  müßte  man  es  geradezu 
erfinden! « 

Istrisch-Slowenische  Mark. 

Es  liegt  in  der  Natur  geographischer  Grenzen,  daß  sie  nicht  immer 
leicht  zu  ziehen  sind,  sondern  häufig  auch  nach  geschichtlich -wirtschaft- 
lichen Beziehungen  abgewandelt  werden. 

Ein  geradezu  klassisches  Beispiel  für  solche  infolge  der  Unzulänglichkeit 
genauer  Grenzziehung  entstehende  Übergangsgebiete  sind  das  Nordende 
des  Dinarischen  Gebirges  nördlich  der  Kulpalinie  sowie  das  kroatisch- 
slawonische  Hügelland. 

Der  größte  Teil  von  Kroatien-Slawonien  (38000  km-  mit  2  Mill. 
Einw.)  ist  noch  ein  Teil  der  Ungarischen  Ebene,  und  die  in  ihm  aufragenden, 
mit  Weinbergen  bedeckten  Hügel  kontrastieren  durchaus  von  den  südlich 
der  Save  beginnenden  bosnisch-serbischen  Waldgebirgen.  Die  Bevölkerung 
steht  zwar  durchaus  im  Gegensatz  zu  den  Magyaren,  aber  auch  von  den 
östlichen  Serben  kontrastiert  sie  durch  ihr  römisch-katholisches  Bekenntnis. 
Der  Aufschwung  Agrams  war  nicht  zum  wenigsten  durch  die  Lage 
zwischen  der  Ungarischen  Ebene  und  seinen  Adriahäfen  bedingt. 

Das  obere  Savetal  erweitert  sich  zu  dem  fruchtbaren  Kessel  von  Laibach. 
Diesen  umgeben  rings  Hügelländer,  die  jedoch  eine  deutlich  erkennbare 
Tiefenlinie  zwischen  den  hochragenden  Julischen  Alpen  und  dem  steil- 
wandigen Nordende  der  Dinariden,  dem  Kapellagebirge  (=  Ziegen- 
gebirge) bilden. 

Unterirdische  Flüsse  (Höhlen)  und  eine  an  Einsenkungen  reiche,  einem 
versteinerten  Meer  nicht  unähnliche  Oberfläche  bezeichnen  diese  Karstland- 
schaften, deren  von  tiefen  Tälern  zerrissene  und  von  Viehweiden  bedeckte 
Hochflächen,  im  Westen  unter  die  Adria  getaucht,  die  wundervollen  Häfen 
Istriens  bilden.  Den  größten  Teil  des  15  000  km-  großen  Gebietes  be- 
wohnen Slowenen,  die  über  die  Hälfte  der  1  200000  Bewohner  ausmachen ; 
dazu  kommen  an  den  Küsten  beinahe  300000  Italiener,  die  sich  von  Fisch- 
fang und  Handel  nähren.  Durch  großartige  Eisenbahnbauten  mit  dem  nord- 
östlichen Hinterlande  verbunden,  wurde  Triest  Österreichs  größter  Handels- 
hafen, Pola  der  Stützpunkt  seiner  Kriegsflotte  und  Fiume  —  an  der  Stelle 
gelegen,  wo  die  Ungarische  Ebene  sich  am  meisten  der  Adria  nähert  und 
die  Kulpasenke  einen  bequemen  Übergang  gestattet  —  Ungarns  auf- 
blühender Handelshafen. 

Nicht  wirtschaftliche,  sondern  imperialistische  Gründe  haben  diese 
Küsten  Italien  zuerteilt,  das  sich  hier  einen  leicht  zu  verteidigenden  Grenz- 
wall gegen  das  benachbarte  Südslawenreich  suchte.  Triest  aber  ist,  des 
Hinterlandes  beraubt,  eine  tote  Stadt  und  zur  Verarmung  verurteilt.  So 
ist  auch  hier  eine  durchaus  unklare  politische  Lage  geschaffen,  und  viel 


84  X.  Mitteleuropa. 


Zündstoff  für  die  Zukunft  liegt  noch  aufgespeichert.  Wir  Geographen  helfen 
uns  für  unsere  Zwecke  am  besten  durch  die  Aufstellung  einer  Istrisch- 
Slowenischen  Mark,  um  so  die  Übergangsstellung  dieser  Landschaft 
anzudeuten.  Aus  wirtschaftsgeographischen  Gründen  ziehen  wir  sie  zu 
Mitteleuropa,  dessen  Adriazugang  sie  beherrscht  (Adriatische  Mark). 

Die  Westmarken. 

Die  gleichen  Problemstellungen  finden  wir  westlich  der  Grenzen 
Deutschlands,  wo  große  Flächen  des  mittelalterlichen  Deutschen  Reiches 
als  Pufferstaaten  dem  Deutschtum  verlorengegangen  sind  und  Frank- 
reichs Trikolore  wieder  für  eine  Zeit  auf  Straßburgs  Münsterspitze  weht. 

Hier  liegt  zwischen  Argonnen,  Sichelbergen,  dem  Vogesenkamm,  der 
Wasserscheide  zwischen  Saar  und  Mosel  sowie  dem  Südrande  des  Ar- 
denner  Waldes  ein  fruchtbares,  an  Eisenerzen  reiches,  von  Maas  und  Mosel 
durchströmtes  Hügelland,  das  als  Lothringen  eine  Westmark  Mittel- 
europas ist  (40000  km-  mit  2,8  Millionen  Einwohnern,  worunter  400000 
Deutsche).  Französische  Revanchesucht  erbaute  hier  ein  riesiges 
System  von  Sperrfestungen  und  verstärkt  auch  Metz  noch;  deutscher 
Unternehmungsgeist  dagegen  schuf  aus  dem  Nichts  das  gewaltige 
Industriegebiet  nördlich  von  Metz,  das  zur  Verhüttung  seiner  Minette- 
erze  meist  auf  Saarkohle  angewiesen  ist.  Allzunahe  liegen  die  beiden 
Großstädte  Metz  und  Nancy  und  verdanken  der  ehemaligen  politischen 
Grenze  ihre  Entwicklung  (vgl.  Halle — Leipzig).  Auch  das  Luxemburger 
Hügelland,  das  im  Süden  große  Eisenindustrie  hat,  ist  geographisch  nur 
ein  Teil  Lothringens  und  teilt  mit  diesem  seine  politische  Geschichte. 
Der  große  Promenadengürtel  um  die  Stadt  Luxemburg  lehrt,  daß  es  einst 
die  größte  deutsche  Grenzfestung  war. 

Die  ehemalige  deutsche  Grenzmark  an  den  Mündungen  von  Rhein 
und  Maas  waren  die  Vereinigten  Niederlande,  die  heute  die  Staaten  Belgien 
und  Holland  bilden,  deren  gemeinsame  Provinzbenennungen 
(Brabant,  Limburg)  auf  die  ehemalige  politische  Zusammengehörigkeit 
hinweisen. 

Belgien  läßt  sich  unschwer  in  drei  natürliche  Landschaften  gliedern. 
Im  Süden  der  dünnbevölkerte  Ardenner  Wald  (7500  km',  400000  Ein- 
wohner), dessen  Badeort  Spaa  an  Deutschlands  schwerste  Tage  erinnert. 
Zu  beiden  Seiten  von  Maas  und  Sambre  mit  ihrem  Reichtum  an  Kohle 
und  Eisen  (Verbindung  der  Ruhrkohlenlager  mit  denen  Aachens  und 
Nordfrankreichs)  der  mittelbelgische  Industriebezirk  (7000  km-,  2,5  Milli- 
onen Einwohner)  mit  Lüttich  (450),  Charleroi  (250),  Verviers  und  der 
Kohlenstadt  Mons.  Nördlich  davon  das  gartenartig  angebaute  Nieder- 
Belgien,  dessen  Hügelland  Brabant  Wallonen,  dessen  Flachland  Flamen 
bewohnen  (15000  km'^  beinahe  5  Millionen  Einwohner).  Die  Grenze 
ist  leicht  an  den  Ortsnamen  erkennbar  (Waterloo  und  Belle  Alliance!). 
Neben  Ackerbau  blüht  noch  heute  die  aus  dem  Mittelalter  stammende 
Textilindustrie,  die  sich  entwickelte,  als  Flandern  der  Mittelpunkt  des 
europäischen  Handels  war,  die  Wege  von  Frankreich  nach  dem  nord- 
deutschen Flachlande,  von  England   nach   dem   Festlande  beherrschend. 


Die  Westmarken.  85 


Brüssel  (800)  ist  der  Mittelpunkt  der  Wallonen,  Antwerpen  (450)  und 
Gent  (220)  sind  die  des  Flamenlandes.  Die  Küste  mit  ihren  Sanddünen 
ist  ein  Mittelpunkt  internationalen  Badelebens. 

Erst  1830  trennte  sich  das  immer  mehr  französischem  Einfluß  ver- 
fallende Belgien  (Brüssel  ist  Klein -Paris)  von  Holland,  nachdem  schon 
vorher  Ludwig  der  XIV.  in  seinen  Raubkriegen  Französisch- Flan- 
dern für  Frankreich  erobert  hatte. 

Dieses  ist  dank  seiner  Lage  und  seiner  Kohlenschätze  das  größte  In- 
duistriegebiet  Frankreichs  geworden.  Seine  unter  Vauban  stark  befestigten 
Städte  wurden  seit  1871  vernachlässigt,  weil  Frankreich  sich  auf  die  Forts 
von  Antwerpen,  Lüttich  und  Namur  verließ. 

Der  Norden  hat  Textilindustrie  (Lille— Roubaix^Rodebeke  =  Rothen- 
bach),  im  Süden  um  Lens  und  Valenciennes  Kohlenbergbau;  Calais  und 
Dünkirchen  vermitteln  die  Ausfuhr  ufid  sind  wichtige  Fährhäfen  nach 
England.  Das  Gebiet  ernährte  auf  12  500  km-  beinahe  3  Millionen  Ein- 
wohner und  hat  im  Kriege  wohl  mehr  gelitten,  als  irgendein  anderer 
Teil  der  Erde. 

Nur  durch  frühzeitige  Inangriffnahme  gewaltiger  Deichbauten  ver- 
hinderten es  die  Holländer,  daß  ihr  Land  in  ähnlicher  Weise  von  Sturm- 
fluten zerrissen  wurde,  wie  große  Teile  der  deutschen  Nordseeküste  im 
Mittelalter.  Mit  Recht  ist  ihr  Wahlspruch  »Dens  mare,  Batavus  (vgl. 
Batavia)  litora  fecit«,  denn  ohne  menschliche  Arbeit  würde  das  Meer  die 
8000  km-  überschwemmt  haben,  die,  von  zahlreichen  Flußarmen  durch- 
strömt, tiefer  als  der  Meeresspiegel  liegen  (hier  erinnert  derVaal  an  Transvaal). 

Schon  im  Mittelalter  blühte  im  Lande,  das  die  Mündungen  von  Rhein, 
Maas  und  Scheide  beherrschte,  der  Handel,  und  frühzeitig  erwarb  sich 
der  Holländer  auch  ein  Kolonialreich,  dessen  Hauptbestandteile  er  erfolg- 
reich gegen  England  verteidigte  0-  Dazu  kommt  Textilindustrie,  wenn  auch 
nicht  in  dem  Umfange,  wie  in  Belgien.  Infolge  des  regenreichen  Klimas 
ist  der  Gartenbau  hoch  entwickelt,  und  auf  üppigsten  Wiesen  weiden 
gewaltige  Viehherden  (Käsebereitung).  Weniger  eignet  sich  das  Klima 
zum  Anbau  von  Getreide,  das  eingeführt  werden  muß.  In  großem  Um- 
fange werden  die  Moore  erschlossen,  auch  die  Trockenlegung  der  Zuider- 
see  wird  begonnen.  Amsterdam  (670),  im  Mittelalter  eine  der  größten 
europäischen  Städte  (Nordseekanal),  droht  von  Rotterdam  (520)  über- 
flügelt zu  werden.  Haag  (370)  ist  die  Landeshauptstadt,  Utrecht  (150) 
wichtige  Universität,  Haarlem  Mittelpunkt  des  Gartenbaus.  Daneben  zahl- 
reiche industrielle  Mittelstädte,  von  denen  neuerdings  Maastricht  durch  die 
Kohlenfunde  seiner  Umgebung  bekannt  geworden  ist.  So  ernährt  das 
Land  auf  33000  km-  6  Millionen  Menschen,  und  die  Dichte  ist  mit  180 
außerordentlich  hoch. 


^)  Aber  nur  darum,   weil  England  durch  die  Annexion  dieses  Gebietes  in 
Konflikte  mit  anderen  Völkern  geraten  würde  (vgl.  den  Kongostaat). 


XI.  Osteuropa. 

Allgemeines. 

Osteuropa  entbehrt  im  Westen  einer  natürlichen  Grenze  und  geht 
allmählich  in  das  norddeutsche  Flachland  über.  Im  Südwesten  reicht 
es  bis  an  die  Karpathen  und  umfaßt  somit  auch  die  Rumänische 
Tiefebene.  Weiterhin  bilden  das  Schwarze  Meer  und  der  Kaukasus 
eine  natürliche  Begrenzung,  während  eine  solche  im  Osten  durch  den 
Ural  gegeben  wird.  Zwischen  ihnen  klafft  eine  breite  Lücke,  durch  die  im 
Mittelalter  die  Mongolen  eindrangen.  Eigentlich  müßte  man  die  Kaspischen 
Steppen  schon  zu  Asien  rechnen.  Aber  da  aus  wirtschaftlichen  Gründen 
der  Unterlauf  der  Wolga  nicht  von  ihrem  Oberlauf  getrennt  werden  kann, 
zählen  wir  dieses  Gebiet  wirtschaftlich  noch  zu  Osteuropa  und  begrenzen 
es  östlich  mit  den  Mugodscharbergen  (südliche  Fortsetzung  des  Ural),  süd- 
lich durch  die  Seenplatte,  die  sich  von  diesen  Höhen  bis  zur  Cäsarewitsch- 
bucht  zieht,  im  Norden  ist  das  Eismeer  wieder  eine  natürliche  Grenze, 
im  Nordwesten  der  Tornea  Elf. 

In  diesem  Umfange  umfaßt  Osteuropa  5,8  Millionen  km-.  Dieses  riesige 
Gebiet  ist  meist  flachwelliges  Hügelland  (Osteuropäische  Tafel),  im  Norden 
überschüttet  von  den  seenreichen  Moränenböden  der  eiszeitlichen  Ver- 
gletscherung, die  sehr  an  den  Baltischen  Höhenrücken  erinnern  und  in  den 
Waldaihöhen  gipfeln.  Südlich  der  Linie  Krakau,  Lemberg,  Kasan  und 
Ufa  finden  wir  fruchtbaren,  zu  Schwarzerde  verwitterten  Lößboden,  der 
die  größten  Kornkammern  Europas  trägt.  Bei  Moskau  und  im  Donez- 
gebiet  sind  reiche  Kohlenlager,  stellenweise  mit  Eisenerzen  verknüpft. 
Außer  der  Großräumigkeit  leidet  die  Erschließung  des  Landes  dadurch, 
daß  die  Flüsse  im  Norden  lange  Zeit  vereist  sind,  im  Süden  in  kaiion- 
artigen  Tälern  sich  zahlreiche  Wasserfälle  entwickeln.  Der  größte  Fluß,  die 
Wolga,  ist  zwar  weithin  schiffbar,  mündet  aber  in  ein  Binnenmeer,  während 
die  Ostseeflüsse  nur  das  westliche  Randgebiet  entwässern.  Die  buchten- 
reiche Ostseeküste  ist  durch  Untertauchen  hügeligen  (Schären)  Landes 
mit  Binnenseen  (Rigaischer  Busen,  vgl.  Ladogasee)  entstanden.  Ähnlich 
bildete  sich  die  Schwarzmeerküste,  deren  Häfen  (Limane)  durch  Sand- 
barren vom  Meere  abgeschnitten  werden,  ungeeignet  für  den  modernen 
Verkehr  (Lage  von  Odessa!). 

Von  den  Randgebirgen  ist  der  an  die  deutschen  Mittelgebirge  erinnernde, 
dicht  bewaldete  U  r al  durch  seinen  Reichtum  an  Eisen,  Gold,  Silber  und  Platin 
das  wichtigste.  Er  setzt  sich  nach  Norden  im  vereisten  Nowaja  Semlja  fort. 

Der  ungleich  höhere  Kaukasus  ist  dagegen  ein  junges  Hochgebirge, 
dessen  höchste,  vom  Hauptkamm  abliegenden  Gipfel  Vulkane  (Elbrus  und 
Kasbek)  sind.  Im  Westen  ist  das  Gebirge  dicht  bewaldet  und  reich  an 
Gletschern,  im  Osten  erstickt  es  im  eigenen  Schutt.  Westlich  setzt  sich 
der  Kaukasus  in  der  dachartigen  Kalkscholle  der  Krim  (Jaila  Dagh),  dem 
Balkan  und  den  Karpathen  fort,  ebenfalls  jugendlichen,  erzarmen  Gebirgen. 
Den  Nordrand  dieses  Gebirgsgürtels  begleitet  die  Zone  der  Erdöllager, 
die  bei  Baku,  der  Halbinsel  Kertsch,  in  Rumänien  und  Mittelgalizien  am 
ergiebigsten  ist.  Erdöl  ist  von  wesentlicher  Bedeutung  als  Heizmaterial  in 
diesen  holz-  und  kohlenarmen  Ländern. 


Alloemeines. 


87 


Sibirien 


Bei  der  Großräumigkeit  des  Landes  erscheint  der  Einfluß  des  Klimas 
auf  die  Pflanzendecke  deutlicher  als  in  einem  anderen  Teile  Europas. 
Die  Niederschläge  sind  am  höchsten  im  Westen  und  nehmen  nach  Osten, 
Süden  und  Norden  zu  ab.  Der  Süden  ist  das  Gebiet  der  trockenen, 
heißen   Sommer,  so 

daß  auf  der  Linie  Ki-  .^Golfsfrom  ^r 
schinew  Samara  die 
Temperatur  einen  gan- 
zen Monat  lang  nicht 
mehr  unter  20"^  fällt. 
Am  Rande  des  Eis- 
meeres dehnt  sich  die 
Tundra  aus.  Ganz 
Finnland  und  Rußland 
bis  zur  Linie,  die  vom 
Ladogasee  bis  zum  Süd- 
rande des  Uralgebirges 
reicht,  bilden  das  Ge- 
biet der  Nadelwäl- 
der, die  sich  östlich 
weit  nach  Sibirien  er- 
strecken, nur  durch  die 
Hochgebirgsregion 
des  Uralkammes 
unterbrochen.  Bis  zur 
Linie  Lemberg — Kasan 
reicht  die  Zone  der  ge- 
mischten europäi- 
schen Wälder,  die  heute  bis  auf  den  Urwald  von  Bjelowsjesk,  das 
sumpfige  Waldgebiet  der  Rokitnosümpfe  und  die  Waldaihöhen  stark  mit 
Ackerland  durchsetzt  ist.  Auch  nördlich  der  Linie  Twer — Reval  über- 
wiegt noch  der  Wald,  viel  von  Mooren 
unterbrochen.  Den  Südosten  Ost- 
europas bildet  die  Steppe,  in  die  bis 
zur  Linie  Kischinew — Saratow  noch 
zahlreiche,  namentlich  die  Flüsse^) 
galerieartig  begleitende  Waldinseln 
eingestreut  sind.  Erst  südlich  dieser 
Übergangs-  oder  Vorsteppe 
dehnt  sich  die  eigentliche  Gras- 
steppe aus,  das  Krimgebirge  ist  be- 
waldet.    Bis  zu   den   Erghenihügeln         NeueTalsfücke  nach  Einbruch  d.Pontus 

reichen    die    Pontischen,    vielfach  24.  Die  Flüsse  Südrußlands. 


Waragerlln 
GlazidleSepn       5ilPi  Grenzmarken 

-:  Der  Zwischensaum 
( Pencks„Zwi3chpneuropd  1 

23.  Osteuropa. 


i/iiiii  Kohlen  VErze 
—  Eisenbahnen 


•Hduptkamme 
^Waldwirfsdiaft 

■  Tundra 

■  Wus^p^s^pppe 
Grdssteppe 
5teppe  m  Wdldinseln 


*)  Wahrscheinlich  floß  früher  die  Donau  durch  die  Manytschsenke  zum 
Kaspischen  Meer,  mit  ihr  parallel  zahlreiche  andere  Flüsse.  Erst  beim  Ein- 
bruch des  Schwarzen  Meeres  wurde  der  Gebirgswall  zertrümmert  und  neue, 
nach  Südwesten  gerichtete  Flüsse  zapften  die  alten,  südöstlich  gerichteten  an 
(Dnjepr,  Don  und  Donez). 


88  XI.  Osteuropa. 

in  Ackerland  umgewandelten  Steppen.  Östlich  in  ihrem  Regenschatten 
liegen  die  Kaspischen  Steppen,  die  zwischen  Wolga  und  Uralfluß 
in  Salzsteppen  mit  wüstenartigem  Charakter  übergehen.  Der  Süd- 
abhang der  Krim  und  die  Schwarzmeerküste  südlich  des  Kaukasus  tragen, 
geschützt  von  Nordwinden,  schon  Mittelmeerflora  mit  Ölbäumen, 
Zypressen  und  Rhododendren.  Hier  liegen  in  der  russischen  Riviera 
wichtige  Kurorte,  wie  Livadia,  Jalta  und  Gagry  (letzteres  merkwürdiger- 
weise in  keinem  Schulatlas  zu  finden!),  das  russische  Monte  Carlo. 

Die  Bevölkerung  Osteuropas  war  vor  dem  Kriege  auf  160  Millionen 
zu  schätzen.  Etwa  die  Hälfte  davon  sind  Großrussen,  die  stark  mit 
mongolisch -finnischem  Blute  durchsetzt  sind;  sagte  doch  Napoleon  I. 
»Kratze  am  Russen,  und  es  kommt  der  Tatar  zum  Vorschein«.  Sie  siedeln 
besonders  in  der  Mitte  des  Landes,  haben  sich  aber  auch  weit  nach 
Sibirien  und  Kaukasien  verbreitet.  Nahe  verwandt  mit  ihnen  sind  die 
Weißrussen  (8  Millionen)  und  die  Kleinrussen,  Ruthenen  oder  Ukrainer 
(30  Millionen),  die  in  den  Flußgebieten  des  Dnjepr,  Dnjester  und 
Donez  siedeln. 

Die  Rokitnosümpfe  trennen  die  Russen  von  den  Polen  (14  Millionen), 
die  vielfache  Beziehungen  zu  Westeuropa  haben.  An  der  Ostseeküste 
und  im  Stromgebiete  der  Düna  siedeln  die  Letten  (4  Millionen)  und 
Finnen  (3  Millionen),  die  mit  den  Esten  (500000)  verwandt  sind.  Die 
Lappen,  Samojeden  und  Sirjänen  (1  Million)  leben  zumeist  in  der 
Tundra  und  am  Nordrande  des  Waldgebietes,  in  den  südöstlichen  Steppen 
die  Kalmücken,  Kirgisen  und  Baschkiren  (16  Millionen).  Sie  stellen 
auch  die  Kosaken  und  sind  vielfach  schon  in  den  Russen  aufgegangen. 
Die  Zahl  der  Rumänen  Osteuropas  kann  man  auf  etwa  9  Millionen 
schätzen. 

Die  Geschichte. 

Nach  einer  langen  Zeit  innerer  Streitigkeiten  und  lokaler  Kämpfe  ent- 
wickelte sich  im  Ackerbaugebiete  Mittelrußlands  um  1500  das  russische 
Großfürstentum  zu  einem  großen  Staatsgebilde,  im  Süden  begrenzt  durch 
mongolische  Chanate,  im  Westen  durch  Polen — Littauen  und  die  schwe- 
dischen Ostseekolonien.  Unter  Iwan  dem  Schrecklichen  wurden  auch 
viele  Deutsche  ins  Land  gezogen.  Zuerst  dehnte  sich  das  Land  in  der 
Richtung  des  geringsten  Widerstandes  nach  Osten  aus,  wo  schon  1648 
der  Stille  Ozean  (Ochotsk)  erreicht  wurde.  Unter  Peter  dem  Großen 
wurde  die  Ostsee  erreicht  und  St.  Petersburg  (1703)  gegründet,  unter  der 
Zarin  Katharina  (Jekaterinenburg,  Jekaterinoslaw,  Jekaterinodar)  das 
Schwarze  Meer  und  hier  1795  Odessa  gegründet.  Bei  den  Teilungen 
Polens  erwarb  sich  Rußland  ausgedehnte,  wenn  auch  nicht  dicht  be- 
völkerte Teile.  Das  Ziel,  die  eisfreie  See  zu  erreichen,  beherrschte  von 
nun  an  die  russische  Politik.  Der  Krimkrieg  und  der  Russisch-Japanische 
Krieg  wurden  dadurch  verursacht,  nachdem  England  geschickt  die  Aus- 
dehnungsbestrcbungen  von  den  Grenzen  Indiens  ferngehalten  hat.  Nach 
Niederwerfung  der   kleinen   Nachbarstaaten   wurde   Rußland  die  größte 


Die  westlichen  Marken.  89 


Landmacht  der  Erde.  Das  europäische  Rußland  umfaßte  85  Prozent  der 
Fläche  Osteuropas,  130  000  km-  kamen  auf  Kongreßpolen,  370000  auf 
Finnland,  100000  auf  Galizien  und  die  Bukowina,  1 15000  auf  Rumänien 
und  der  Rest  auf  Ziskaukasien. 

Die  westlichen  Marken. 

Vom  Standpunkt  des  Geographen  ist  es  notwendig,  die  westlichen 
Randlandschaften  als  westliche  Marken  vom  Kern  zu  trennen,  dazu 
das  transuralische  Erzgebiet  um  Katharinenburg  als  Uralische  Mark 
und  das  untere  Wolgagebiet  mit  dem  Uralfluß  und  dem  Terekgebiet  als 
Kaspische  Mark  abzuscheiden,  sowie  endlich  Rumänien  und  Bessarabien 
als  Rumänische  Mark.  Dabei  liegt  es  in  der  Natur  dieser  Übergangs- 
gebiete, daß  wir  sie  zum  Teil  schon  bei  Mitteleuropa  behandelten. 

Das  Kerngebiet  gliedern  wir  in  die  nördliche  Waldzone  bis  zur 
Linie  Petersburg,  Oberlauf  der  Wolga  bis  Kasan  und  Knie  des  Uralflusses 
beiOrsk,  die  mittlere  Ackerbau  zonebiz  zur  Linie  Kischinew — Charkow — 
Samara  und  die  südliche  Steppenzone,  deren  Teilung  in  Pontische  und 
Kaspische  Steppen  wir  schon  erwähnten. 

Die  westlichen  Marken  beginnen  mit  der  Finnischen  Mark 
(370000  km^  mit  3,5  Millionen  Einwohnern).  Der  größte  Teil  des  Landes 
(57  Prozent)  ist  bewaldet,  ein  Drittel  ist  Ödland,  nur  2  Prozent  Acker- 
boden. Die  Hauptsiedlungen  Helsingfors  (190),  Abo,  Tammersfors  und 
Wiborg  (je  50000)  haben  großen  Holzhandel  und  Holzindustrie,  deren 
Kraft  die  großen  Wasserfälle  liefern.  Unter  den  Bewohnern  sind  400000 
Schweden. 

Südlich  des  Finnischen  Meerbusens  umfaßt  die  Lettische  Mark  den 
größten  Teil  der  Stromgebiete  der  Düna  und  Memel  und  wurde  wie  die 
Polnisch-Galizische  Mark  (220000  km-  mit  22  Millionen  Ein- 
wohnern) schon  bei  Mitteleuropa  besprochen. 

Eine  eigenartige  Erscheinung  dieser  breiten  Grenzsäume  zwischen 
zwei  ganz  verschiedenartigen  Kulturgebieten  Ist  das  Durchsetzen  der 
Städte  mit  einer  zahlreichen  (bis  75  Prozent  steigenden!)  jüdischen  Be- 
völkerung, die  meist  den  Handel  in  ihren  Händen  hat.  Ein  Vergleich 
mit  den  Erscheinungen,  die  in  der  Chemie  häufig  an  der  Grenze  zweier 
Flüssigkeiten  auftreten,  liegt  nahe. 

Die  Westmarken  werden  abgeschlossen  durch  die  RumänischeMark 
(160000  km-,  10  Millionen  Einwohner),  deren  Bewohner  ein  Misch volk 
der  Römer  mit  den  Daziern  sind.  Sie  wird  zumeist  von  üppigstem 
Ackerland  (in  Rumänien  50  Prozent)  eingenommen,  dessen  Ertragfähig- 
keit (Weizen  und  Mais)  noch  erheblich  gesteigert  werden  kann.  Dazu 
kommen  die  wichtigen  Erdöllager.  Die  Hauptsiedlungen  sind  Bukarest, 
Jassi  und  das  bessarabische  Kischinew,  die  Haupthäfen  Galatz  (für  die 
Moldau)  und  Braila  (für  die  Walachei)  mit  großen  Hafenanlagen.  Im 
Verkehr  wurden  sie  allerdings  durch  das  aufblühende  Konstanza,  den 
Hauptort  der  Dobrudscha  (vgl.  Dinarische  Halbinsel),  überflügelt.  Zum 
Königreich  Rumänien  gehört  bis  auf  weiteres  auch  Siebenbürgen,  das 
geographisch  einen  Teil  des  ungarischen  Kessels  bildet  (vgl.  Kap.  X). 


90  XI.  Osteuropa. 

Das  Kerngebiet. 

Das  russische  Kerngebiet  (»Großrußland«)  umfaßt  3,7  Millionen  km- 
mit  annähernd  100  Millionen  Einwohnern. 

Am  dünnsten  sitzt  die  Bevölkerung  im  Waldgebiet  (2,2  Millionen  km- 
mit  15  Millionen  Einwohnern),  dessen  größte  Siedlung,  Archangelsk,  sich 
im  Weltkriege  vorübergehend  zu  dem  wichtigsten  Hafen  Rußlands  ent- 
wickelte. Durch  eine  Eisenbahn  steht  es  mit  Moskau  in  Verbindung. 
Eine  neue  Bahnlinie  (Murmanbahn)  führt  zur  Murmanküste  mit  ihren 
eisfreien  Häfen,  die  in  Zukuft  wichtiger  werden  dürften,  da  Archangelsk 
vier  Monate  vereist  ist.  Im  Erzgebiet  des  Ural  blühen  Ufa  und  Perm 
durch  Bergbau.  Schon  an  der  Grenze  des  Waldgebietes  liegt  St.  Peters- 
burg, Rußlands  frühere  Hauptstadt  und  größte  Fabrikstadt,  deren  Ver- 
sorgung mit  Kraft  durch  die  finnischen  Wasserfälle  erfolgen  soll ;  nach 
Riga  ist  es  der  größte  russische  Ostseehafen.  Vor  ihm  liegt  die  Insel- 
festung Kronstadt. 

Im  Ackerbaugebiet  (l  Million  km^,  70  Millionen  Einwohner)  steigt 
die  Dichte  auf  70.  Zwischen  der  alten  Zarenstadt  Moskau  (2  Millionen 
Einwohner)  und  der  Wolga  hat  sich  ein  großes  Industriegebiet  mit  Baum- 
wollspinnereien (die  Wolle  kommt  aus  Turkestan)  und  Maschinenfabriken 
entwickelt.  In  der  Umgebung  Tulas  finden  wir,  begünstigt  durch  Kohlen- 
lager und  Eisenerze,  Maschinenindustrie  und  Leinwandspinnerei.  Die  alte 
Messestadt  Nishnij  Nowgorod  hat  viel  von  ihrer  Bedeutung  eingebüßt  und 
ist  von  Kasan  überflügelt,  in  dessen  Umgebung  Wollindustrie  blüht.  Bei 
Samara  verzweigen  sich  die  Bahnen  nach  Sibirien  und  Turkestan.  Während 
im  Norden  des  Ackerbaugebietes  besonders  Roggen  und  Gerste  angebaut 
werden,  finden  wir  im  Südwesten  Weizen  und  Zuckerrüben.  In  diesem 
als  Ukraine  bezeichneten  Gebiet  steigt  die  Dichte  auf  über  80;  Kiew 
und  Charkow  sind  die  wichtigsten  Siedlungen,  Poltawa  ist  geschichtlich 
bekannt  (Karl  XII.). 

Obwohl  die  Ukrainer  nach  neueren  Untersuchungen  mehr  mit  den 
Südslawen  als  mit  Großrussen  verwandt  sein  sollen,  verbinden  doch  zu 
viele  gemeinsame  Beziehungen  beide  durch  keinerlei  natürliche 
Grenzen  geschiedenen  Völker  (ein  Vergleich  mit  den  Nieder-  und  Ober- 
deutschen liegt  nahe).  Auf  eine  längere  politische  Trennung  ist  deshalb 
kaum  zu  rechnen.  Der  größte  Teil  der  Ukrainer  siedelt  (stark  mit  Groß- 
russen durchsetzt,  die  namentlich  die  Beamtenschaft  in  den  Städten  bilden) 
im  Steppengebiet. 

Das  Steppengebiet  ernährt  auf  600000  km-  über  22  Millionen  Ein- 
wohner, und  der  Ackerbau  dehnt  sich  mehr  und  mehr  aus.  Dazu  ist  auch 
die  Viehzucht  in  den  Grassteppen  weit  verbreitet  und  liefert  gewaltige 
Wollmengen.  Im  Inneren  ist  jekaterinoslaw  eine  bedeutende  Fabrikstadt 
(Getreidemühlen  an  den  Dnjeprschnellen),  im  Donezgebiet  entwickelt  sich 
in  stark  anwachsenden  Städten,  die  durch  ein  dichtes  Bahnnetz  verknüpft 
sind,  im  Anschluß  an  Kohle  und  Erz  eine  großartige  Eisenindustrie.  Doch 
i.st  der  Abbau  der  Kohlen  noch  gering,  da  Holz  (von  Norden  herunter- 
geflößt) und  Erdöl  billigeres  Brennmaterial  liefern.  An  der  Küste  ist  Odessa 
(Hafen  des  Weizengebietes)  der  größte  russische  Hafen  mit  großen  künst- 


östliche  Marken.  91 


liehen  Molen  geworden.  Cherson  ein  zweiter  anfblühender  Getreidehafen, 
Nikolajew  und  Sebastopol  (Krimkrieg)  Kriegshäfen.  Die  Erzeugnisse  des 
Donezgebietes  führt  nebst  Getreide  das  stark  wachsende  Rostow  aus, 
dessen  Bedeutung  nach  Ausführung  des  Don-Wolga-Kanales  noch  steigen 
wird.  Jekaterinodar  ist  der  Mittelpunkt  des  ziskaukasischen  Weizengebietes 
mit  dem  Hafen  Noworossijsk.  Wladikawkas  beherrscht  (beim  Namen  vgl. 
Wladiwostok)  den  wichtigsten  Kaukasusübergang,  die  Grusinische  Straße, 
deren  Untertunnelung  geplant  ist. 

Östliche  Marken. 

Die  Kaspische  Mark  ist  ein  Übergangsgebiet  zwischen  Europa  und 
Asien,  in  dem  auf  400000  km^noch  nicht  10  Millionen  Einwohner  leben. 
Der  Mittelpunkt  der  Wolgafischerei  (Störfang,  Kaviar)  ist  Astrachan  mit 
völlig  mohammedanischem  Charakter;  Orenburg  ist  der  Stapelplatz  eines 
Weizengebietes. 

Jenseits  des  Ural  dehnt  sich  die  Uralische  Mark  (200000  km-  mit 
2  Millionen  Einwohnern),  die  wirtschaftlich  noch  zu  Europa  gehört.  Hier 
ist  der  Bergbauort  Katharinenburg  die  Hauptstadt,  die  den  niedrigsten 
Uralübergang  beherrscht.  An  der  Sibirischen  Bahn  blüht  Tscheljabinsk 
durch  Getreidehandel  auf. 

Wirtschaftlicher  Überblick. 

Das  europäische  Rußland  hat  die  ausgedehntesten  Wälder  Europas 
(39%);  das  Ödland  (Moore,  Wüsten  und  Tundren)  umfaßt  ig'^/o.  Wiesen 
und  Weiden  IS^/o,  das  Ackerland,  das  im  Zeitraum  von  1894 — 1913 
um  50  Vo  zunahm,  etwa  26^0  (1892),  heute  wahrscheinlich  beinahe  40°/o. 
Nicht  nur  der  Ackerbau,  sondern  auch  die  Viehzucht  und  Industrie  sind 
einer  gewaltigen  Steigerung  fähig.  Erschwert  wird  diese  durch  die  Groß- 
räumigkeit des  Landes,  den  Charakter  der  Wasserstraßen  und  das  noch 
nicht  genügend  ausgebaute  Bahnnetz,  dessen  Güterwagenmenge  unzu- 
reichend ist.  Viel  muß  man  sich  von  dem  Ausbau  der  Wasserstraßen 
versprechen.  Von  den  Außenländern  ist  Sibirien  namentlich  durch 
Getreideanbau  und  Bergbau  von  großer  Zukunftsbedeutung  und  kann 
sicher  für  Europa  bei  Ausbau  der  Verkehrslinien  im  Verein  mit  Süd- 
rußland (Donauweg!)  Nordamerika  ersetzen.  In  Turkestan  ist  der  Baum- 
wollanbau (Ferghana)  wichtig. 

Rußland,  Mitteleuropa,  die  Balkanstaaten  und  die  Türkei  sind  imstande, 
sich  zu  einem  geschlossenen  Wirtschaftsgebiet  zu  entwickeln,  das  sich 
fast  unabhängig  von  dem  angloamerikanischen  und  dem  japanisch- 
ostasiatischen  machen  kann  und  vielleicht  auch  einmal  wird  —  falls  die 
augenblicklichen  chaotischen  Zustände,  die  dem  Lande  bisher  40  Millionen 
Einwohner  kosteten,  ihr  Ende  finden. 


XII.  Südeuropa. 


Südeuropa  umfaßt  den  europäischen  Anteil  der  Mittelmeerländer, 
für  die  besonders  die  Hartlaubgewächse  bezeichnend  sind.  Sein  im 
Norden  noch  regenreiches  Klima  wird  nach  Süden  zu  immer  trockener  und 
nimmt  teilweise  nordafrikanischen  Charakter  an,  so  daß  der  Araber  sich  hier 
längere  Zeit  halten  konnte  (Südspanien,  Sizilien).  Zwischen  den  plumpen 
Formen  der  Pyrenäenhalbinsel  und  der  zierlichen  Struktur  des  Balkans 
hält  Italien  die  Mitte;  auch  ungefähr  in  der  Mitte  des  Mittelmeergebietes 
gelegen,  wurde  es  seine  Vormacht,  während  der  Balkan  an  seiner  völkischen 
Zerrissenheit  und  die  Pyrenäenhalbinsel  an  der  Trockenheit  des  inneren 
Tafellandes  krankt,  das  die  seetüchtigen  Randgebiete  politisch  beherrscht. 

Die  Pyrenäenhalbinsel. 

Die  Pyrenäenhalbinsel  umfaßt  587000  km-  mit  24,5  Millionen 
Einwohnern.  Ihre  Umrisse  sind  im  allgemeinen  plump,  und  nur  im  Norden 
ist  die  Küste  reicher  gegliedert  und  weist  namentlich  in  Galizien  zahlreiche 
tiefe  Buchten  auf.  Das  Kartenbild  beherrscht  die  große  Hochtafel  des 
Inneren  mit  ihren  vielfach  kafionartig  eingegrabenen  verkehrsfeindlichen 
Tälern  (Verlauf  der  Eisenbahnen!).  Das  Kastilische  Scheidegebirge,  eine 
Zone  von  Mittelgebirgen  mit  Moränenseen,  scheidet  die  beiden  Land- 
schaften Kastilien,  die  vielfach  trockene  Grassteppen  tragen. 

Aufbau. 

Das  unwirtliche  Pyrenäengebirge  (Maladetta,  Mont  Perdu)  bildet 
mit  seinen  wenigen  hochgelegenen  Pässen  eine  gute  Grenze  gegen  Frank- 
reich und  ist  reich  an  Moränenseen  und  Zirkustälern.  Auch  in  der  Eiszeit 
trug  das  gletscherarme  Gebirge  keine  bis  ins  Vorland  dringenden  Gletscher, 
so  daß  die  den  Alpen  eigenen  Randseen  fehlen.  Im  Westen  setzen  sich 
die  Pyrenäen  im  Kantabrischen  Berglande  mit  seinen  reichen 
Eisenerzen  (Bilbaol)  fort.  Im  zwischenliegenden  Basken  lande  wird  das 
Gebirgsland  niedriger,  so  daß  hier  Leitlinien  für  den  Verkehr  von  Frank- 
reich nach  Kastilien  entstehen. 

Das  rings  von  Gebirgen  umrahmte  Ebrobecken  ist  durchaus  verkehrs- 
feindlich und  zugleich  arm  an  Niederschlägen,  so  daß  auch  die  Landwirt- 
schaft nur  eine  geringe  Rolle  spielt.  Von  Kastilien  scheidet  es  ein  als 
Iberisches  Scheidegebirge  zusammengefaßtes  Hügelland. 

Das  Hochland  von  Kastilien  dacht  sich  westwärts  in  das  Hügelland  von 
Portugal  ab,  das  reicher  an  Niederschlägen  ist  und  viel  Wald  (nament- 
lich Korkeichen)  trägt.  Die  großen  Flüsse  haben  auch  mehrere  Schwemm- 
ebenen geschaffen,  von  denen  das  Tajotiefland  die  ausgedehnteste  ist. 

Nach  Süden  fällt  das  Kastilische  Hochland  mit  einem  bewaldeten  Steil- 
rande (Sierra  Morena)  gegen  das  Andalusische  Tiefland  ab.  Der  Ge- 
birgsrand  ist  reich  an  Erzen  (Kupferminen  von  Rio  Tinto,  Quecksilber 
von  Almaden)  und  findet  seine  westliche  Fortsetzung  im  Hügellande  der 
Algarve.  Die  Andalusische  Ebene  ist  vom  Guadalquivir  und  seinen  Neben- 


Klima  und  Wirtschaft. 


93 


J- Agrumina 


flüssen  aufgeschüttet.  Von  ihnen  sind  die  südhchsten  am  wasserreichsten, 
da  sie  das  bis  in  den  Sommer  mit  Schnee  bedeckte  Hochgebirge  der 
Sierra  Nevada  entwässern,  in  der  die  Halbinsel  ihre  höchsten  Erhebungen 
erreicht  (3480  m  in  Mulhacen). 

Die  Sierra  Nevada  ist  der  höchste  Teil  eines  als  Bätische  Kordilliere 
bezeichneten  Kettengebirges,  das  ostwärts  bis  auf  die  höchsten  Kämme 
(Balearen  und  Pityusen)  unter  das  Mittelmeer  gesunken  ist. 

Klima  und  Wirtschaft. 
Die  Halbinsel  liegt  fast  ganz  im  Bereiche  des  Mittelmeerklimas 
mit  seinen  geringen,  meist  auf  den  Sommer  beschränkten  Niederschlägen. 
Nur  das  Kantabrische  Bergland  hat  Regen  zu  allen  Jahreszeiten  und  er- 
innert mit  seinen  üppigen  Wiesen  und  Wäldern  (Kastanien-  und  Nuß- 
bäume) an  Mitteleuropa. 
So  finden  wir  hier  auch 
ausgedehnte  Rindvieh- 
zucht, während  in  der 
übrigen  Halbinsel  Zie- 
gen und  Schafe  über- 
wiegen. Es  sind  die 
westlichen  Teile  am 
regenreichsten,  nach 
Osten  nimmt  die  Höhe 
der  Niederschläge  ab. 
Das  reicher  bewal- 
dete Portugal  steht 
hier  dem  mit  Gras- 
steppen und  Weizen- 
feldern bedeckten  Kasti- 
lien  gegenüber,  in  dem 
nur  die  höheren  Gebirge  noch  Waldinseln  tragen,  die  aber  durch  die  Jahr- 
hunderte alte  Kultur  vielfach  stark  gelichtet  sind.  Am  geringsten  sind 
die  Niederschläge  im  Ebrobecken  und  an  der  Ostküste  vom  Kap  Gata 
bis  zur  Ebromündung,  wo  jedoch  eine  üppige  Kultur  einsetzt,  so- 
bald für  hinreichende  Berieselung  gesorgt  wird.  So  dehnen  sich  zwi- 
schen trockenen  Grasflächen  die  üppigen  Berieselungsoasen  der  Huertas 
(hortus),  in  denen  Granaten,  Apfelsinen,  Wein,  Rosinen,  Orangen  und 
Zitronen  reifen.  In  Elche  finden  wir  sogar  die  Dattelpalme.  In  Kata- 
lonien überwiegen  Weingärten  und  Olivenhaine;  im  reich  benetzten, 
subtropisch  warmen  Andalusien  gedeiht  neben  dem  Reis,  der  auch 
in  Portugal  und  im  Ebrotale  angebaut  wird,  sogar  das  Zuckerrohr.  An 
der  portugiesischen  Küste  reichen  die  Agrumina  (Orange  und  Zitrone) 
bis  zur  Dueromündung;  auch  der  Weinbau  ist  hier  weit  verbreitet.  Die 
feurigsten  Weinsorten  gedeihen  auf  den  Hügeln  Südandalusiens  und  am 
Südabhange  der  Sierra  Nevada,  geschützt  vor  kalten  Nordwinden  (Jerez 
und  Malaga).  Von  der  Gesamtfläche  entfallen  18,5Vo  auf  Wald,  34 "/o 
auf  Ackerland,  21  "/o  auf  Wiesen  und  Weiden,  der  Rest  auf  Ödland; 
20000  km-  sind  mit  Wein  bebaut. 


X%  Korkeichen 
'.'*:'  Wald  u  Wiesen 
X     Bergbau 

'''i.'    Gutes  Kulturland 


Wein 

HÖdlandl  Acker  u:sw  |Wiese|  Wald 


25.  Pyrenäenhalbinsel. 


94  XII.  Südeuropa. 


Bevölkerung. 
Während  im  Altertum  die  Iberer  das  Innere  der  Halbinsel  besiedelten, 
waren  die  warmen  Küsten  das  Kolonialgebiet  der  Phöniker,  Karthager 
und  Griechen,  woran  die  Namen  Oades  (Cadix),  Malaga  (Malakos  = 
mild;  früher  Malaca),  Karthagena  (Karthago  nova),  Kap  Gata,  Sagunt 
(Zakynthos),  Barcelona  (Barkas),  Mahon  (Mago)  und  Ballearen  (Schleuderer- 
inseln) gemahnen.  Später  wurde  das  Land  von  den  Römern  unterworfen 
und  nahm  von  ihnen  Kultur  und  in  weitgehendem  Maße  auch  die  Sprache  an. 
Die  Namen  Merida  (Emerita  Augusta),  Porto  (Portus  Cale),  Leon  (Legio), 
Lugo  (Lucus),  Pamplona  (Pampaelo),  Valencia,  Estremadura  (extremadura) 
und  Zaragoza  erinnern  hieran.  Im  Mittelalter  überfluteten  nach  der  van- 
dalischen  Invasion  (Andalusien)  die  Araber  die  Halbinsel  und  hielten 
den  halbafrikanischen  trockenwarmen  Südosten  lange  in  ihrem  Besitz,  so 
daß  im  Südspanier  heute  noch  viel  maurisches  Blut  rollt.  Neben  wunder- 
vollen Bauten  lebt  diese  Zeit  in  den  Namen  Guadiana,  Guadalquivir, 
Quadalasiar  (WadisO  sind  die  oft  austrocknenden  Flüsse  Arabiens  und  Nord- 
afrikas), Granada  (Granatapfelstadt),  Mulhacen  (Berg  des  Mulay  Hassan), 
Gibraltar  (Gebel  al  Tarik),  Sierra  de  Guadelupe,  Alkazar  und  anderen  fort. 

Politische  Entwicklung. 

Die  Christen  hielten  sich  nur  im  regenreichen  Nordwesten,  sich  in  ihren 
Kastellen  verteidigend,  so  daß  ihr  Land  treffend  Kastilien  genannt  wurde. 
Schon  frühzeitig  finden  wir  die  Dreiteilung  in  Portugal  (schiffbarer  Unter- 
lauf von  Tajo  und  Duero  mit  regenreicher  Westküste),  Kastilien  (rauhe 
Hochfläche  des  Inneren)  und  einem  stark  mit  französischem  Blut  durch- 
setzten Nordosten  (Ebrobecken  mit  Aragonien  und  der  Katalonischen  Küste). 
Später  dehnt  sich  Portugal  bis  zur  Algarve  aus,  Kastilien  über  das  Kolonial- 
land Neu-Kastilien  bis  zur  Mittelmeerküste.  Wirtschaftlich  kommt 
noch  heute  diese  Dreiteilung  in  den  Städten  Madrid,  Lissabon 
und  Barcelona  zum  Ausdruck,  die  weit  die  anderen  Siedlungen  über- 
ragen. Nach  Entdeckung  der  Neuen  Welt  wurden  Spanien  und  Portugal 
große  Kolonial  Völker.  Spanisches  und  portugiesisches  Wesen  kennzeichnen 
noch  heute  den  Bewohner  des  Lateinischen  Amerikas.  Aber  Portugal, 
das  an  sich  arme  Mutterland,  war  nicht  imstande,  auch  bis  in  die  Neuzeit 
sein  ganzes  Kolonialreich  zu  halten,  und  geriet  inuiier  mehr  in  englische 
Abhängigkeit,  während  Spanien  daran  krankte,  daß  der  seefremde  kontinen- 
tale Kastilier,  der  sich  nicht  zum  Kolonisator  eignete,  die  herrschende  Rolle 
spielte.  Katalonien  gehört  zwar  seit  Jahrhunderten  zu  Spanien,  aber  hin 
und  wieder  regt  sich  der  Unabhängigkeitsgeist.  Seit  1704  sitzt  der  Eng- 
länder in  Gibraltar,  dem  »Pfahl  im  Fleische  Spaniens«. 

Die  große  Verbreitung  der  spanischen  und  portugiesischen 
Sprache  erklärt  sich  aus  der  Ausdehnung  der  ehemaligen  Kolonialgebiete, 
besonders  in  Süd-  und  Mittelamerika,  wo  50  bzw.  25  Millionen  Spanisch 
oder  Portugiesisch  sprechen,  und  Spaniens  Bedeutung  hat  durch  den 
Weltkrieg  derart  gewonnen,  daß  z.  B.  Madrid  zu  einer  Millionenstadt  ge- 
worden sein  soll. 

')  Qua       Wadi,  Valladolid  =  Stadt  des  Wali. 


Binnenlandschaften.  95 


Wir  gliedern  die  Halbinsel  am  besten  in  die  Binnenlandschaften 
und  die  Randgebiete. 

Binnenlandschaften. 

Binnenlandschaften  sind  die  beiden  Kastilien  mit  ihren  Grassteppen 
(MatTcha,  Espartogras)  und  die  Ebrosenke  (Aragonien)  mit  stellenweise 
wüstenartiger  Landschaft.  Auf  360000  km-  siedeln  hier  nur  8  Millionen, 
gegen  7,6  Millionen  1870  (D.  =  23). 

Das  städtische  Leben  beherrscht  Madrid,  der  natürliche  Mittelpunkt 
der  Halbinsel,  ihr  wichtigster  Eisenbahnknoten  und  als  Hauptstadt  Spaniens 
auch  dessen  größte  Stadt  (650),  die  keine  größere  Siedlung  neben  sich  in 
Neu-Kastilien  aufkommen  ließ.  Die  größte  Stadt  Altkastiliens  ist  Valladolid, 
als  Verkehrspunkt  hinter  dem  Eisenbahnknoten  Medina  del  Campo  zurück- 
stehend. Burgos  beherrscht  die  Wege  nach  Nordosten,  Santander  (Lücke 
des  oberen  Ebro)  den  Seeverkehr.  Im  Ebrobecken  finden  wir  vielfach 
künstliche  Bewässerung,  alle  Siedlungen  überragt  Zaragoza  (llO),  dessen 
Bedeutung  nach  Untertunnelung  der  Pyrenäen  sehr  steigen  wird. 

Randlandschaften. 

Die  Rändlandschaften  umfassen  nur  225  000  km-,  enthalten  aber  mehr 
als  15  Millionen  Einwohner  (D.  =  68!). 

Wald,  Wiesenwirtschaft  und  Erzbergbau  kennzeichnen  das  Gal  i  zisch - 
Kantabrische  Bergland.  Im  Baskenlande  liegen  Bilbao  (lOO)  und 
St.  Sebastian,  zu  Neukastilien  gehört  Santander,  in  Asturien  sind  Oviedo  und 
Gijon,  in  Galizien  neben  dem  Wallfahrtsorte  Santiago  de  Compostella  die 
Kriegshäfen  Coruna,  Ferol  und  das  aufblühende  Vigo  die  wichtigsten 
Siedlungen. 

In  Portugal  siedelt  die  Bevölkerung  besonders  dicht  (90  auf  1  km-); 
die  Häfen  Lissabon  (500)  mit  seinem  großen  Durchgangshandel  und  der 
Weinhafen  Porto  beherrschen  das  Wirtschaftsleben. 

Andalusien  umfaßt  neben  üppigst  angebautem  Tiefland  (Tiefebene 
15000  km-,  davon  2000  Sumpf,  Moore  usw.)  auch  Grassteppen  und  viel 
Ödland,  so  daß  die  Dichte  nur  43  beträgt  (bei  beinahe  2  Mill.  Einw.). 

Sevilla  (170)  ist  die  wichtigste  Hafen-  und  Industriestadt  (Tabakfabriken), 
das  aufstrebende  Huelva  der  Hafen  der  Rio-Tinto  (Tintenfluß) -Minen, 
Cordoba  und  Jerez  die  wichtigsten  Siedlungen  des  Inneren.  Ihr  enges  Straßen- 
netz mutet  durchaus  arabisch  an.  Wie  Cordoba  hat  aber  auch  die  ehe- 
mals bedeutende  Hafenstadt  Cadix  (mit  Nebenhäfen  120000  Einw.)  viel 
von  der  alten  Größe  eingebüßt,  während  an  der  Grenze  des  Gibraltar- 
bezirkes La  Linea  (Grenzlinienstadt)  aufblüht. 

Granada,  Murcia  und  Valencia  bilden  die  Agrumenküste  (3,6  Mill. 
Einw.,  D.  =  60),  deren  Siedlungen  meist  in  ausgedehnten  Bewässerungs- 
oasen liegen.  Am  größten  ist  Valencia  (250)  als  Mittel meerhafen  Kastiliens, 
bedeutungsvoll  sind  auch  Malaga  (150),  die  große  Oase  Murcia,  der 
Kriegshafen  Karthagena,  die  alte  Maurenresidenz  Granada,  die  Bergbau- 
stadt Lorca  und  die  Weinhäfen  Alicante  und  Almeria. 

Katalonien  (20000  km^  mit  1,8  Mill.  Einw.)  ist  mit  seiner  fleißigen 
Bevölkerung  das  gewerbreichste  Land  der  Halbinsel.  Die  Industrie  (Baum- 
wollspinnereien, Seidenweberei   und  Korkindustrie)  blüht  namentlich  in 


96  XIl.  Südeuropa. 


Barcelona  (650),  welches  als  erste  Fabrikstadt  der  Halbinsel  Madrid  zu 
überflügeln  droht,  während  das  im  Altertum  blühende  Tarragona  zurück- 
geblieben ist. 

Auf  den  Balearen  (5000  km^  mit  330000  Einw.)  ist  das  arabisch 
enge  Palma  die  wichtigste  Siedlung.  Von  der  Ausfuhr  Portugals  (131  Mill.  M.) 
entfiel  der  größte  Teil  auf  Wein  (35*'/o),  neben  dem  auch  Kork  (13%) 
von  Bedeutung  war.  Erheblich  größer  war  mit  805  Millionen  die  spanische 
Ausfuhr,  in  der  (in  Mill.  kg)  Eisenerze  (8600),  Kupfererze  (1100)  und 
Früchte  die  Hauptrolle  spielten.  In  der  zukünftigen  Entwicklung  des  Landes 
wird  bei  der  Kohlenarmut  die  Ausnutzung  der  Wasserkräfte  (5  Millionen 
Pferdekräfte  gegen  1,43  in  Deutschland)  eine  große  Bedeutung  haben. 
Bisher  sind  erst  t°lo  ausgenutzt.  Auch  Südfruchtanbau  und  Landwirtschaft 
sind  bei  größerer  Berieselung  großer  Entwicklung  fähig;  man  denke  an 
das  kalifornische  Vorbild. 

Die  Apenninenhalbinsel. 

Obwohl  die  Apenninenhalbinsel  an  Fläche  nur  drei  Fünftel  der 
Balkanhalbinsel  und  sogar  nur  die  Hälfte  der  Pyrenäenhalbinsel  einnimmt, 
zeigt  sie  mit  ihren  35  Millionen  Einwohnern  die  sonst  nirgends  im  Mittel- 
meergebiet erreichte  Durchschnittsdichte  von  120  gegen  42  und  45  auf 
den  beiden  anderen  Halbinseln. 

Lage  und  Aufbau. 

Für  diese  Vorrangstellung  sind  einmal  die  Lage  innerhalb  des  Mittel - 
meergebietes,  sodann  aber  auch  das  Relief  und  die  Verteilung  der 
Tiefebenen  maßgebend. 

Das  Mittelmeer  nähert  sich  zu  beiden  Seiten  der  Halbinsel  im  Adria- 
tischen  Meer  und  der  Tyrrhenis  am  meisten  dem  großen  mittel-  und  nord- 
europäischen Wirtschaftsgebiet,  das  über  Genua  und  Venedig — Triest 
seine  Schätze  mit  denen  des  Orients  austauschen  kann.  Sodann  nimmt 
Italien  eine  Zentralstellung  innerhalb  des  Mittelmeers  ein,  dessen  wichtigste 
Schiffahrtswege  sich  bei  Malta  und  Messina  verknüpfen.  Vier  Zehntel 
seiner  Fläche  (gegen  33*^/0  auf  der  Balkan-  und  20 "/o  auf  der  Pyrenäen- 
halbinsel) sind  Tiefland.  Allein  50000  km^  mit  mehr  als  11  Millionen 
Bewohnern  entfallen  auf  die  Poebene,  zu  der  sich  kein  Gegenstück  im 
übrigen  Südeuropa  findet.  Die  Tiefebenen  der  Pyrenäenhalbinsel  sind 
nur  Anhängsel  an  das  Kastilische  Hochland;  die  Senken  der  Balkan- 
halbinsel liegen  vielfach  kesselartig  fern  von  der  See,  durch  unwegsame 
Gebirge  voneinander  getrennt. 

Die  italienischen  Schwemmländer  (alle  im  Altertum  wichtiges 
Kulturland)  liegen  zwar  zu  verschiedenen  Seiten  des  Apen- 
nin, aber  dieser  ist  meist  schmal  und  wird  von  vielen  Senken  als  Leit- 
linien für  den  Verkehr  durchzogen.  Zudem  reihen  sie  sich  perlschnurartig 
entlang  der  Adria  und  dem  Tyrrhenischen  Meere,  nur  durch  leicht  über- 
schreitbare niedrige  und  fruchtbare  Hügelländer  getrennt. 

Im.  Norden  bilden  die  Alpen  einen  leicht  zu  verteidigenden  Grenzwall. 
Die  eiszeitlichen  Gletscher  hobelten  nicht  nur  die  zahlreichen  Pässe  aus, 
auf  denen  sich  schon  im  Mittelalter  ein  reger  Verkehr  entfaltete,  sondern 
ihre  Moränenwälle  dämmten  am  Gebirgsrande  auch  die  großen  Seen  ab, 


26.  Apenninenhalbinsel. 


97 


die  nicht  nur  durch  ihren  Fischreichtum  eine  zahlreiche  Bevölkerung  ernähren 
(Pesciera  =  Fischerstadt),  sondern  auch  regen  Fremdenverkehr  begünstigten, 
und  als  natürliche  Talsperren  die  in  den  letzten  Jahren  so  gewaltig  ge- 
steigerte elektrische  Industrie  Norditaliens  bedingen.  Dazu  bietet  das  Gebirge 
neben  Wald  üppige  Matten  mit  ausgedehnter  Viehwirtschaft.  An  den  Seen 
reift,  vor  Nordwind  geschützt,  die  Zitrone,  und  in  den  Vorbergen  bilden 
Edelkastanien  und  Maulbeerbäume  (Seidenindustrie)  ausgedehnte  Wälder. 
Südlich  der  Alpen  dehnt  sich  die  Poebene,  entstanden  durch  frucht- 
bare Aufschüttungen  der  großen  Flüsse.  Daß  die  Flußanschwemmungen 
das  schon  heute  sehr  flache  nördliche  Adriatische  Meer  immer  mehr 
versanden,  lehrt  die  Ver- 

Gotthard 
Simplon 

MfCenis  "" 


Brenner 


Ponfafel 
Tri  est 


Ni  z2a 


lllll|l6ro5S-Jndusfrie 
Landwirfschaft 

©Vulkane 
Zugangswege 
■  ..erlöshe'JtaliGner 
&l^):  Jrredenta 


landung  der  Häfen  Adria, 
Aquileja  und  Ravenna. 
Nur  durch  Ableiten  der 
unteren  Brenta  wurde  die 
Lagune  von  Venedig  vor 
ähnlichem  Schicksal  be- 
wahrt. Am  Nordrande 
der  Ebene  bilden  die  Mo- 
ränen der  Eiszeitgletscher 
große  Hügelwälle  und 
umkränzen  nicht  nur  den 
Gardasee,  sondern  sind 
auch  bei  Ivrea,  am  Lan- 
gen see  und  am  Ausgange 
des  Tagliamentotales  zu 
erkennen.  Bis  auf  den 
sumpfigen  Küstenstreifen 
und  die  Schotterbetten 
der  Flüsse  ist  das  Land 
überaus  fruchtbar.  Es  ge- 
deihen bei  gartenartigem 
Anbau  Weizen,  Reis  und 
Mais,  und  über  den  Fel- 
dern schlingt  sich  noch 

die  Weinrebe  von  Baum  zu  Baum.  Aus  der  Tiefebene  erheben  sich  die 
Vulkanruinen  der  Euganeen  und  Bericiberge  mit  Schwefelquellen  und 
ausgedehnten  Weingärten. 

Am  Col  di  Tenda  (besser  würde  man  die  tiefe  Bochettascharte  nehmen) 
gehen  die  Alpen  in  den  Apennin  über,  der  bis  zum  windspaltenden 
Spartiventokap  die  Halbinsel  durchzieht.  Im  Nordapennin,  der  zumeist 
aus  Tonen  besteht  (tuskische  Töpferei,  Fayence,  Terrakotta),  sind  noch  die 
Falten  erkennbar,  im  Südapennin  überwiegen  plumpe  steile,  meist  aus  Kalk 
bestehende  Bergklötze,  die  auf  ihren  Hochflächen  große  Eichenhaine  tragen 
(Rila  und  Aspromonte),  während  ihre  kahlen  Hänge  von  schutterfüllten 
Schluchten  (Torrenten  oder  Fiumaren)  zerschnitten  sind.  Das  Gebirge 
gipfelt  im  Kalkklotz  den  Gran  Sasso  (Zugspitzenhöhe);  die  gangbarsten 
Scharten  bilden   die  Renosenke  (Bologna)  und   die   von   der  Via  Appia 

Olbridit,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  7 


26.  Apenninenhalbinsel. 


98  XII.  Südeuropa. 


benutzte  Ofantosenke.  Auch  die  Basentosenke  mit  Potenza  ist  von 
Bedeutung  für  den  Verkehr. 

Im  Osten  lagern  sich  dem  Gebirge  die  hohe  Kalkscholle  des  Gargano 
und  die  apulische  Kreidetafel  (Kap  Leuka)  vor,  untereinander  und  mit  dem 
Apennin  durch  die  Schwemmebene  des  Ofanto  verbunden.  Das  ist  A  p  u  1  i  e  n, 
welches  im  Regenschatten  des  Apennin  gelegen,  den  trockensten  Teil  Ita- 
liens bildet,  mit  großen  sommerlichen  Sandstürmen  (Schlacht  bei  Cannä). 

Ähnlich  wie  die  Karpathen  ist  der  Apenninenbogen  auf  der  west- 
lichen inneren  Seite  stark  zertrümmert  und  bis  auf  wenige  Ketten 
(Toskanische  Falten,  Sabinerberge),  die  aus  Marmoren  bestehen  (Ketten 
von  Carrara)  und  erzhaltig  sind  (Elba,  Mt.  Argentario),  in  die  Tiefe 
gesunken.  Auch  Elba,  Giglio,  die  Pontinischen  Inseln  und  Capri^)  sind 
Reststücke  derartig  zertrümmerter  Ketten,  dem  Bakonywald  und  kleinen 
Karpathen  vergleichbar.  Gewaltig  ist  der  Vulkanismus  entwickelt.  Er  baut 
ganze  Hügelländer  auf,  wie  den  Amiataberg,  das  Latische  Hügelland  mit 
den  Kraterseen  des  Bolsena-  und  Brachianosees,  das  kraterreiche  Albaner- 
gebirge, den  Vesuv  und  die  Phlegreischen  Felder.  Auch  die  Liparischen 
Inseln  sind  Vulkane,  deren  Höhe  im  Stromboli  auf  mehr  als  3000  m  steigt, 
wenn  wir  den  unter  das  Meer  getauchten  Sockel  mitrechnen.  Durch  die 
Schwemmebenen  des  Arno,  Tiber  und  Volturno  werden  auch  diese  Er- 
hebungen untereinander  und  mit  dem  Apennin  verschweißt. 

Die  Fortsetzung  des  Apenninengebirges  bilden  die  nördlichen  Rand- 
gebirge Siziliens,  deren  westliche  bis  auf  die  höchsten  Gipfel  (Ägatische 
Inseln)  unter  das  Meer  getauchten  Kämme  sich  westwärts  in  untermeeri- 
schen  Bänken  verfolgen  lassen  und  im  Kap  Blanko  in  den  Atlas  übergehen. 
Südsizilien  bildet  ein  aus  Tonen  bestehendes  fruchtbares  Hügelland  mit 
vulkanischen  Ergüssen  (Ätna  und  Schwefelvulkane  zwischen  Caltagirone 
und  Modica),  das  ehemals  durch  Landbrücken  mit  Afrika  in  Zusammen- 
hang stand.    Reste  dieser  sind  die  Inseln  Pantellaria  und  Malta. 

Die  Insel  Sardinien  wird  meist  von  rauhen  erzreichen  (Gennargentu) 
Gebirgen  erfüllt,  die  nur  im  Süden  durch  die  fruchtbare  Senke  des  Campi- 
dano  unterbrochen  werden  und  noch  dichte  Wälder  tragen, 

Klima  und  Pflanzendecke. 
Das  Klima  der  Poebene  ähnelt  mit  184  regenlosen  Tagen  noch  dem 
Mitteleuropas;  nach  Süden  bildet  sich  immer  mehr  das  regenarme  Mittel - 
meerklima  aus,  so  daß  die  Zahl  der  regenlosen  Tage  in  Florenz  auf  220, 
in  Rom  auf  250,  in  Palermo  auf  260,  in  Malta  auf  beinahe  300  steigt.  Dem- 
entsprechend finden  wir  nur  in  Norditalien  Wiesen,  in  Mittel-  und  Süditalien 
hingegen  mitGras  bedeckte  Weideflächen.  Siegehen  vielfach  in  Ödland  über, 
das  in  Süditalien  und  in  den  Gebirgen,  die  durch  die  lange  Kultur  ihre 
Wälder  zumeist  verloren  haben,  in  erschreckendem  Umfange  vorherrscht. 
Verheerend  wirken  deshalb  die  Erdbeben  auf  den  nicht  durch  Vegetation  ge- 
festigten Böden.  In  Mittel-  und  Süditalien  tritt  die  Rinderzucht  hinter  der 
Haltung  von  Schafen  und  Ziegen  (Capri,  Caprera)  zurück.  Der  Wald,  der 
noch  zur  Römerzeit  dichter  war,  ist  heute  auf  1 6  "/o  heruntergegangen,  wo- 


1)   Die  berühmte  Blaue   Grotte   ist  eine   unter  das   Meer  getauchte   Höhle 
im  Kalkgebirge. 


Apenninenhalbinsel.  99 


von  aber  nur  IC/o  eigentlicher  Hochwald  sind.  Der  Rest  sind  Macchien, 
Gestrüppe  aus  Wacholder,  Ginster  und  Oleander.  Charakterbäume  Italiens 
sind  die  Pinien  und  Zypressen,  große  Bestände  bilden  die  Edelkastanien 
(in  Ligurien  1 8  "/o  der  Fläche)  und  die  Olivenhaine,  das  Wahrzeichen  Apuliens. 

Das  Kulturland  umfaßt  40  %,  wovon  15000  km-  künstlich  berieselt 
werden,  namentlich  in  Apulien,  dessen  gewaltige  Wasserleitung  ihr 
Wasser  aus  den  westlichen  Ketten  des  Apennin  bezieht.  Außer  in  der 
Poebene  finden  wir  starken  Weizenanbau  namentlich  an  der  Ost- 
küste und  auf  Sizilien,  der  Kornkammer  Roms  und  dem  heißen  Kampf- 
boden zwischen  Rom  und  Karthago.  Die  großen  Schwemmländer  sind 
dagegen  gartenartig  angebaut  und  erzeugen  Mais,  Reis,  Granaten,  Feigen, 
Mandeln  und  Südfrüchte.  Der  Gartenanbau  erstreckt  sich  auch  auf  große 
Teile  des  Hügellandes,  wo  vor  allem  Wein  erzeugt  wird,  der  nicht 
weniger  als  40000  km-  (=  Schlesien !)  bedeckt.  Aufwiesen  und  Weiden  fallen 
25  "/o,  auf  das  Ödland  13  ^'/o-    Hoch  entwickelt  ist  der  Fischfang. 

Bei  der  Armut  des  Landes  an  Kohlen  ist  die  Wasserkraft  sehr  wichtig; 
in  Süditalien  wird  sie  in  steigendem  Maße  durch  Talsperren  gewonnen, 
die  zugleich  zur  Berieselung  dienen.  Doch  leidet  die  Besiedlung  mancher 
Tiefebenen  durch  die  Malaria,  an  deren  Bekämpfung  mit  Erfolg  gearbeitet 
wurde.  Die  Wasserkräfte  Italiens  schätzt  man  auf  5,5  Millionen  Pferde- 
kräfte (davon  drei  Viertel  am  Alpenrande),  von  denen  noch  nicht  eine 
Million  ausgenutzt  ist.  Daran  erkennen  wir  die  Entwicklungsmöglich- 
keiten  der  lombardisch -venetischen  Industrie   und   derjenigen  Piemonts. 

Bevölkerung. 

Im  Altertum  siedelten  im  Norden  der  Halbinsel  (Semigallia)  die  Gallier, 
in  der  Mitte  die  italischen  Stämme,  im  Süden  die  Griechen  (Magna  Graecia, 
Palermo  =  Panormus,  Katania=  Katanaio,  Kap  Leuka,  Neapolis). 

Nach  dem  Untergang  des  Römerreichs  zerfiel  die  Halbinsel  im  Mittel- 
alter in  zahllose  Einzelstaaten  und  Stadtrepubliken,  um  erst  in  jüngster 
Zeit  wieder  (zumeist  jedoch  durch  die  Siege  der  Deutschen  und  Franzosen 
gegen  die  Österreicher)  geeint  zu  werden.  Die  zahlreichen  Einwanderungen 
und  Mischungen  drücken  auch  dem  Italiener  der  Einzellandschaften  seinen 
Charakter  auf,  wobei  der  arbeitsame,  mit  germanisch-gallischem  Blut  ver- 
mischte Norditaliener  von  dem  zu  Müßiggang  neigenden,  mit  griechisch- 
arabischem Blut  vermischten  Süditaliener  kontrastiert.  Nicht  mit  Unrecht  sagt 
man,  daß  wohl  Italien  fertig  sei,  noch  nicht  aber  der  Italiener.  Ein  Hemmnis 
für  die  schnelle  Weiterentwicklung  ist  die  große  Unbildung  des  Volkes.  Die 
Analphabeten  betragen  37%;  ihre  Zahl  fällt  in  Norditalien  auf  207o,  um  in 
Kalabrien  bis  auf  70°/o  anzusteigen!  Die  übervölkerte  Halbinsel  wies  eine 
erschreckend  große  Auswanderung  auf,  so  daß  es  erst  einmal  nötig  gewesen 
wäre,  innere  Reformen  vorzunehmen,  anstatt  die  »unerlösten«  Brüder  zu 
befreien  (Irredenta),  deren  geringe  Zahl  sich  in  Österreich  auf  750000,  in 
Frankreich  auf  500000,  in  der  Schweiz  auf  300000  belief  (1911). 

Wirtschaftsleben. 
Italien  führte  in  großem  Umfange  Seide  (275  Millionen  Mark),  Früchte 
(160  Millionen  Mark),  Käse,  Hanf,  Häute,  Wein,  Olivenöl  und  Schwefel 
aus,  um   dafür  Industrieprodukte,   Baumwolle  und  Kohlen  einzuführen. 


100  XII.  Südeuropa. 


Unter  Ausnutzung  der  Wasserkräfte  war  die  Industrie  vor  allem  in  der 
Poebene  in  großem  Aufschwung  begriffen  und  wurde  1911  auf  1,6  Milli- 
onen Pferdekräfte  geschätzt,  von  denen  63  Prozent  auf  Norditalien, 
19  ^!o  auf  Mittelitalien  und  nur  18  *^/o  auf  Süditalien  und  die  Inseln 
entfielen.  Das  Eisenbahnnetz  ist  mit  Ausnahme  der  Poebene  nur  gering 
entwickelt,  da  die  langgestreckten  Küsten,  die  im  Weltkriege  zur  Achilles- 
ferse des  Landes  wurden,  den  Küstenverkehr  begünstigen. 

Die  vorhandenen  Kolonien  (meist  Wüsten  und  Steppen)  sind  eigentlich 
nur  Schöpfungen  des  Prestigegedankens  und  genügten  keineswegs  den 
Bedürfnissen  des  Landes,  das  seine  Waren  fast  ausschließlich  aus  dem 
Auslande  bezog  und  seinen  Bevölkerungsüberschuß,  abgesehen  Saison- 
arbeitern, in  den  Vereinigten  Staaten  und  Argentinien  absetzte. 

Norditalien. 

Der  Schwerpunkt  des  Landes  liegt  in  Norditalien  (Piemont,  Lom- 
bardei, Emilia,  Venetien  und  Ligurien),  welches  71  000  km-  mit  15,5  Milli- 
onen Einwohnern  umfaßt.  Von  diesen  siedeln  beinahe  1 1  Millionen  in 
der  Poebene,  deren  Nordrand  sich  mehr  und  mehr  zu  einem  Industrie- 
gebiet (Maschinenfabriken,  Baumwollspinnereien  und  Seidenindustrie)  ent- 
wickelt. Die  großen  Eisenbahnknoten  Mailand  und  Turin,  die  mit  Umgebung 
750000  bzw.  480000  Einwohner  zählen,  sind  die  größten  Fabrikstädte 
des  Landes,  Genua  dazu  nach  Ausbau  der  Simplon-,  Mont  Cenis-  und 
Gotthardbahn  der  größte  Hafen  des  Landes  (mit  Umgebung  450000 
Einwohner),  in  dessen  Vororten  die  gewaltige  Eisenindustrie  und  der 
Schiffbau  den  sonst  herrschenden  Fremdenverkehr  der  gegen  Nordwinde 
geschützten  Riviera  mit  ihren  Winterkurorten  (San  Remo)  und  tropisch 
üppigen  Gärten  verdrängen.  Genuas  stolze  Schwesterstadt  Venedig  ist 
seit  der  Eröffnung  des  Suezkanals  in  eine  Sackgasse  geraten  und  infolge 
des  Wettbewerbes  von  Triest  und  Fiume  eine  stille  Stadt  mit  160  000  Ein- 
wohnern geworden,  die  sich  lange  ausschließlich  vom  Fremdenverkehr 
nährte  und  erst  in  jüngster  Zeit  durch  Anlage  großer  Arsenale  industrielles 
Leben  erhielt.  In  der  Städtereihe  an  der  Via-Emilia  ist  Bologna  ein 
großer  Eisenbahnknoten  geworden;  auch  Verona  ist  ein  wichtiger  Ver- 
kehrspunkt (Brennerbahn)  und  zugleich  die  größte  italienische  Lager- 
festung. Daneben  sind  der  Kriegshafen  Spezia,  Padua,  die  Fabrikstadt 
Brescia  und  die  Festung  Alessandria  (nach  Papst  Alexander  genannt)  von 
Bedeutung,  während  zahlreiche  andere,  heute  bis  auf  die  industriellen 
Städte  am  Alpenrande  meist  stille,  Siedlungen  geschichtlichen  Ruf  haben. 
Der  Weltkrieg  hat  Italien  im  Norden  die  ersehnte  Abrundung  seiner 
Grenzen  bis  zum  Alpenkamm  gebracht  —  der  kleineren  Schweiz  gegen- 
über kommt  eine  solche  kaum  in  Betracht,  obwohl  das  Tessintal  wirt- 
schaftlich zu  Italien  gehört  —  und  vor  allem  den  festungsartig  ausgebauten 
Keil  des  Trentino,  der  drohend  gegen  die  Ebene  vorsprang,  beseitigt. 

Diese  Abrundungen,  die  Italien  eine  große  Erweiterung  seines  Wald- 
bestandes brachten,  beseitigten  zwar  die  400000  Seelen  starke  italienische 
>'Irredenta«,  schufen  dafür  aber  eine  deutsche  von  beinahe  300000.  Aber 
Italien  beherrscht  so  in  Trient  und  Bozen  die  Täler  der  Etsch  und  des  Eisack, 
in  Brixen  mit  der  Franzensfeste  den  Brenner  und  das  Pustertal.  Auch  gegen 


Apenninenhalbinse!.  101 


Nordosten  schob  es  über  Görz  seine  Grenze  auf  die  Kalkhöhen  des  Karst. 
Zusammen  gewann  es  etwa  25000  km-  mit  1,5  Millionen  Einwohnern, 
darunter  die  Häfen  Triest  und  Pola. 

Mitteli  tauen. 
Mittelitalien  (Toskana,  Marken,  Umbrien,  Latium  und  Abruzzen)  hat 
72000  km-  mit  7,5  Millionen  Bewohnern.  Die  Gartenstadt  Florenz  (mit 
Umgebung  375000  Einw.)  ist  die  größte  Siedlung  und  eine  blühende 
Fabrikstadt  (Seidenindustrie).  An  Stelle  des  versandeten  Pisa  ist  Livorno 
getreten,  auch  Ancona  ist  eine  bedeutende  Hafenstadt.  Die  übrigen  Sied- 
lungen liegen  vielfach  (Siena  und  Orvieto)  vom  modernen  Verkehr  entlegen 
auf  steilen  Kalkfelsen  und  haben  wundervolle  mittelalterliche  Städtebilder  be- 
wahrt. Für  den  Verkehr  wichtig  ist  Pistoja(Pistor),  der  Wächter  der  Renosenke. 
Eine  Sonderstellung  nimmt  das  inmitten  der  öden  Kampagna  gelegene 
Rom  ein,  das  als  Hauptstadt  Italiens  wieder  500000  Einw.  erreicht  hat. 

Süditalien. 

Süd  Italien  (Campanien,  Apulien,  Basilicata  und  Calabrien)  mit 
60000  km-  und  7,5  Millionen  Einwohnern  hat  seine  Schwerpunkte  in 
Campanien  und  Apulien.  In  der  dichtbevölkerten  Campanischen  Ebene 
siedeln  auf  2500  km-  über  1,5  Millionen  Einw.,  davon  etwa  860000  in 
der  Umgebung  Neapels,  das  aber  wohl  in  kurzem  seine  Stellung  als  größte 
Stadt  der  Halbinsel  an  Mailand  abgeben  dürfte.  Im  städtereichen  Apulien, 
dessen  Bevölkerung  sich  in  großen  Siedlungen  (Brunnen  im  Kalkgebiet  mit 
tiefstehendem  Grundwasser)  zusammendrängt,  ist  Bari  die  jüngste  Großstadt 
der  Halbinsel,  neben  ihm  von  Bedeutung  der  Kriegshafen  Tarent  und  Brindisi 
als  Überfahrtshafen  nach  Griechenland.  Die  Beherrscherin  der  Straße  von 
Messina,  das  durch  Erdbeben  viel  zerstörte  Reggio,  ist  heute  nur  eineMittelstadt. 

Inselitalien. 

Die  fruchtbare  Insel  Sizilien  ist  dicht  bevölkert  (3,7  Millionen  Ein- 
wohnerauf 25  700  km-,  D.=:140).  Zur  Griechenzeit  war  das  nach  Osten 
schauende  Syrakus  die  größte  Stadt  der  Insel  und  eine  Weltstadt.  Heute  ist 
Palermo,  Italiens  Küste  gegenüber,  die  wichtigste  Siedlung  (mit  Umgebung 
380000  Einw.).  Der  Handel  des  durch  Erdbeben  oft  zerstörten  Messina 
ging  zum  Teil  auf  das  aufblühende  Katania  über.  Marsala  und  Trapani  sind 
durch  ihren  feurigen  Wein  bekannt,  Girgenti  (das  alte  Akragas)  als  Haupt- 
hafen der  Schwefelbezirke  von  Caltanisetta  und  Caltagirone  mit  ihren  warmen 
(Calidus)  Quellen.  Auf  die  das  Kap  Passero  oft  umtosenden  Stürme  weist 
das  Inselchen  Correnti  hin  (vgl.  Kap  Corrientes).  Die  englische  Zwing- 
burg La  Valetta  liegt  auf  Malta,  der  Honiginsel  (Melita)  des  Altertums. 

Die  rauhe  Insel  Sardinien,  deren  Nadelwälder  an  Mitteleuropa  erinnern, 
ist  nur  dünn  bevölkert  (850000  Einw.  auf  24000  km'-).  Die  meisten  Sied- 
lungen der  Insel,  deren  Bewohner  sich  von  Fischfang  (Sardinen  und 
Sardellen)  nähren,  liegen  in  der  Campidanosenke  und  sind  nur  Mittel- 
städte.  Cagliari  hat  60000,  Sassari  45000  Einwohner. 

Geographisch  zu  Italien  gehört  die  gebirgige  Insel  Korsika  (8700  km'^ 
mit  290000  Einw.),  die  im  Inneren  stark  bewaldet  ist,  während  sich  an 
der  Küste  Kulturland  und  ausgedehnter  Weinbau  findet.  Die  Bewohner 
sind  Italiener,  die  Hauptsiedlungen  Bastia  und  Ajaccio  kleine  Mittelstädte. 


102  XII.  Südeuropa. 


Wohl  weniger  aus  eigenem  Antrieb,  als  aufgestachelt  von  England,  das 
zu  gleicher  Zeit  sein  Gold  und  seine  Hetzpresse  arbeiten  ließ  und  der 
meerumgebenen,  auf  Einfuhr  angewiesenen  Halbinsel  mit  Beschießung  der 
Küsten  und  Blockade  drohte,  trat  Italien  in  den  Weltkrieg  ein.  In  diesem 
opferte  es  neben  dem  größten  Teil  seines  Nationalvermögens  über  drei- 
viertel Millionen  Männer,  um  sich  Gebiete  zu  erwerben,  die  es  auch  fried- 
lich erhalten  hätte  und  die  zudem  nur  neue  Reibungsflächen  mit  dem 
unruhigen  jugoslawischen  Nachbar  schaffen.  Auch  bei  der  Aufteilung  der 
Kolonien  ging  es  leer  aus,  so  daß  es  seinen  Menschenüberschuß  auch 
weiterhin  ins  Ausland  abgeben  muß,  wo  namentlich  in  Südbrasilien  und 
Argentinien  das  Italienertum  eine  bedeutende  Rolle  spielt.  Noch  mehr  ist 
es  aber  auf  Deutschland  (Austauschhandel!)  angewiesen.  Mit  ihm  sucht 
es  jetzt  schon  wieder  gute  Beziehungen  anzuknüpfen,  während  das  Interesse 
für  die  »lateinische  Schwester«  schnell  erkaltet  ist. 

Die  Dinarische  Halbinsel  (Balkanhalbinsel). 

Während  die  Apenninen-  und  Pyrenäenhalbinsel  ihren  Namen  mit  Recht 
führen,  ist  dies  bei  der  Balkanhalbinsel  nicht  der  Fall.  Mitten  durch 
Bulgarien  streichend,  bildet  der  Balkan  keine  Völkergrenze  wie  die  Pyrenäen, 
erst  weiter  im  Norden  scheidet  die  Donau  Bulgarien  von  Rumänien.  Er 
ist  auch  weder  das  höchste  der  Gebirge  der  Halbinsel,  noch  durchzieht 
er  sie  als  Rückgrat  derselben,  wie  der  Apennin.  Als  solches  ist  vielmehr 
der  langgestreckte  Gebirgszug  anzusehen,  der  in  Bosnien  mit  den  Dina- 
rischen Alpen  beginnt  und  sich  bis  zum  Kap  Matapan  erstreckt,  an  Aus- 
dehnung mit  1100  km  Länge  und  200  km  Breite  den  Alpen  nicht  nach- 
stehend. Viel  richtiger  würde  man  nach  diesem  Gebirgszug  den  Namen 
Dinarische  Halbinsel  anwenden,  falls  man  es  nicht  vorzieht,  von  einer 
Südosteuropäischen  Halbinsel  zu  sprechen  (Th.  Fischer). 

Grenzen. 

Die  natürliche  Nordgrenze  der  Halbinsel  folgt  der  Donau-Savelinie  und 
ist  weiterhin  gut  durch  das  Kulpatal  (Eisenbahn  nach  Fiume)  gegeben. 

In  diesem  Umfange  umfaßt  die  Halbinsel  Dalmatien,  Bosnien,  das  süd- 
kroatische Bergland,  die  europäische  Türkei  und  das  Gebiet  der  Balkan- 
staaten einschließlich  der  Dobrudscha.  Diese  Länder  haben  auf  einer 
Fläche  von  486000  km-  eine  Einwohnerzahl  von  schätzungsweise 
20  Millionen.    Die  Dichte  mag  zur  Zeit  etwa  40  betragen. 

Die  Halbinsel  wendet  ihr  Antlitz  dem  Osten  zu,  und  wird  nach 
Westen  durch  das  Dinarische  Gebirge  abgesperrt.  Das  ist  wichtig  für  das 
Verständnis  der  geschichtlichen  Entwicklung,  sowie  die  Nordgrenze  der 
Agrumina,  die  sich  im  W  unter  dem  Schutz  des  Gebirges  weit  nach  N 
vorschiebt,  während  sie  im  O  unter  dem  Einfluß  kalter  kontinentaler  Winde 
weiter  nach  S  gedrängt  wird. 

Aufbau  und  Einzelland  sc  haften. 
Wir  gliedern  die  Halbinsel  am  besten  in  folgende  natürliche  Landschaften: 

1.  Dinarisches  Gebirgsland    185000  km-  nnt  6  Mill.  E.   Dichte  ca.  35 

2.  Griechenland  mit  Kreta      73000  km"  mit  3  Mill.  E.  Dichte  ca.  40 

3.  Östliche  Halbinsel  235  000  km'  mit  1 1  Mill.  E.  Dichte  ca.  47 


Dinarische  Halbinsel. 


103 


Das  Dinarische  Gebirgsland  beginnt  im  NW  mit  dem  nur  1500  m 
hohen  Kapellagebirge,  erhebt  sich  unter  dem  42.  Breitenkreise  im  Schar — 
Dagh  bis  zu  2700  m  Höhe  und  erreicht  unter  dem  41.  Breitenkreise  die 
stattliche  Breite  von  250  km  (Leipzig — Prag).  Um  300  m  höher  als  der 
Schar — Dagh  ist  der  Olymp,  der  ebenfalls  Moränenseen  aufweist.  Deutlich 
erkennt  der  Schüler  aus  den  Karten,  daß  wir  es  mit  einem  Falten- 
gebirge zu  tun  haben,  dessen  Ketten  annähernd  parallel  zu  denen  des 
Apennin  streichen,  von  ihnen  durch  das  grabenartige  Adriatische  Meer 
getrennt.    Im  O  erniedrigen  sich  die  Falten  zum  zumeist  mit  Laubwald 


- —  Hauptfaltpn 

l---;-'l  Kesselbrüche 

Wege 

Dinarische  Halb 
insel. 


o^Agruminagrenze 
Griechen 


C^^^^ 


bedeckten  serbischen 
Hügelland,  im  W 
sind  sie  dichter  ge- 
drängt. Ihre  westwärts 
unter  die  Adria  ge- 
tauchten Kämme  bil- 
den die  langgestreck- 
tenDalmatinischen 
Inseln  mit  zahlrei- 
chen ertrunkenen 
Flußtälern,  die  prächtige  Häfen  abgeben  (Bucht  von  Cattaro).  Das  Gebirge 
ist  in  Bosnien  noch  zur  Hälfte  bewaldet,  weiter  südlich  nimmt  die  Bewaldung, 
die  mit  dem  vorwiegenden  Nadelholz  einen  durchaus  mitteleuropäischen  Ein- 
druck macht,  mit  zunehmender  Trockenheit  ab  und  beschränkt  sich  nur  auf 
die  höchsten  Kämme  des  DurmitorO,  Schar-Dagh  und  der  Albanischen  Alpen, 
so  daß  mitRecht  Montenegro  das  Land  der  Schwarzen  Berge  (Cernagora) 
heißt.  Meist  sind  die  Gebirge  jedoch  waldlos,  und  endlos  weit  dehnen 
sich  die  zerrissenen  Kalkberge  aus,  weiß  schimmernd  wie  die  Wellen 
einer  erstarrten  See.  Nach  ihnen  trägt  wohl  Albanien  —  das  weiße  Land 
(vgl.  Alpen,  blanche)  —  seinen  Namen.    Die  Häfen  der  dalmatinischen 


')  Durmitor=  Donnerer,  wegen  der  häufigen  Steinschläge. 


104  XII.  Südeuropa. 


Küste  waren  im  Mittelalter  wichtig  als  Kolonistenstädte  der  Republik 
Venedig;  über  sie  ging  ein  großer  Teil  des  Orienthandels.  Heute  sind 
sie  unbedeutend,  da  der  Küste  bis  vor  kurzen  ein  auch  politisch  zu  ihr 
gehöriges  Hinterland  fehlte.  Von  den  Städten  ist  die  wichtigste  Fiume 
(50000  Einw.),  Ungarns  früherer  Hafen,  mit  Triest  wetteifernd,  an  der  Stelle 
gelegen,  wo  das  Gebirge  sich  am  meisten  verengt.  In  Bosnien  folgt 
die  wichtigste  das  Gebirge  durchquerende  Straße  den  Tälern  der  Bosna 
und  Narenta;  in  der  Nähe  der  beide  trennenden  Wasserscheide  mußte  sich 
naturgemäß  Serajewo  (50000)  entwickeln.  Um  das  Narentatal  finden 
wir  die  Herzegowina  mit  Mostar,  zu  beiden  Seiten  des  Zetatales  Mon- 
tenegro, ein  abgeschlossenes  Land,  dessen  natürlicher  Hafen  Kattaro  ist. 

Südlich  von  Montenegro  verändert  sich  die  Landschaft.  Das  Gebirge 
verbreitert  sich  und  wird  dadurch  unzugänglicher,  die  Täler  werden  enger, 
zugleich  ist  die  Küste  versandet  und  hafenlos.  Mehrfach  brechen  Tief- 
schollen  zwischen  den  Gebirgsketten  ein  und  bilden  fruchtbare  Becken, 
die  häufig  von  einem  See  erfüllt  sind.  In  diesen  Becken  drängt  sich  die 
Bevölkerung  zusammen,  hier  liegen  die  größten  Siedlungen,  wie  Prisrend, 
Bitolia,  Skutari  und  Janina.  Da  aber  schroffe  Gebirge  die  Becken  trennen, 
ist  der  Verkehr  gering.  Es  konnte  sich  kein  geschlossenes  Staatsgebilde 
entwickeln,  sondern  die  Bevölkerung  bildete  kleine,  sich  häufig  befehdende 
Stämme.  Hier  siedelten  im  Altertum  die  kriegslustigen  Epiroten  (Pyrrhus) 
und  Illyrier,  ihre  Nachfolger  sind  wahrscheinlich  die  Albanesen. 

Weiter  südwärts  wird  die  Zersplitterung  noch  größer.  Zahlreiche  ein- 
gebrochene Schollen  bilden  fruchtbare  Tiefebenen.  Zugleich  aber  ist  das 
Land  stärker  vom  Meer  überflutet,  so  daß  die  randlichen  der  Tiefschollen 
in  tief  eingreifende  Buchten  verwandelt  sind,  aber  auch  die  binnenwärts 
gelegenen  mehrfach  in  Berührung  mit  der  See  treten.  Ganze  Gebirgs- 
ketten sind  unter  die  See  getaucht;  nur  ihre  Gipfel  überragen  als  Inseln 
das  Meer.  Inmitten  fruchtbarer  Tiefebenen  mit  Pinien,  Zypressenhainen, 
reichen  Pflanzungen  und  Olivengärten  ragen  steile  Kalkberge  auf  und 
tragen  eine  Burg  mit  Tempeln  und  Heiligtümern.  Am  Fuße  der  Berge 
siedeln  sich  die  Bürger  an  und  bilden  eine  Stadt,  der  im  Altertum  oft  die 
ganze  kleine  Tiefebene  Untertan  war,  in  der  sich  die  Bevölkerung  zusammen- 
drängte. Rings  um  die  Ebene  ragen  schroff  steile  äußerst  dünn  besiedelte 
weiße  Kalkgebirge  auf,  oft  reich  an  Marmor  und  Erz  (Laurion).  Derzerrissenen 
Oberflächengestalt  entspricht  die  politische  Zerrissenheit  des  Griechentums, 
die  aber  durch  den  steten  Wettbewerb  eine  so  blühende  Kultur  ermög- 
lichte, daß  das  zumeist  zur  Siedlung  wenig  geeignete  Land  die  Bewohner 
zwang,  den  Bevölkerungsüberschuß  in  »Kolonien«  unterzubringen. 

Während  sich  vor  Albanien  die  unendliche  insellose  See  ausbreitet,  erblickt 
der  Grieche  vor  seinen  Küsten  überall  zahlreiche  Inseln.  Bald  lockten 
diese  den  Bewohner  auf  die  See;  es  entstand  eine  Schiffahrt,  die  anfangs 
sich  nur  auf  das  Gebiet  der  inselreichen  See  beschränkte.  Im  W  war 
Korfu  wohl  lange  Zeit  das  Endziel  der  Schiffahrt  und  damit  des  Handels. 
Nicht  umsonst  finden  wir  hier  schon  in  homerischer  Zeit  die  handel- 
treibenden Phaeaken  und  heute  die  dritte  griechische  Hafenstadt  mit 
30000  Einwohnern.  Viel  mehr  aber  öffnet  sich  Griechenland  nach  O, 
wo   mehrere  Inselschwärme   die  natürliche  Brücke  herüber  nach  Klein- 


Dinarische  Halbinsel.  105 


asien  schlagen.  Ein  südlicher  Inselkranz  führt  von  Kythera  über  Kreta 
und  Rhodus  nach  Karien,  wo  das  dorische  Halikarnaß  erblühte.  Viel 
wichtiger  noch  ist  der  nördliche,  der  Attika  durch  die  Kykladen  und  süd- 
lichen Sporaden  mit  den  Südküsten  Kleinasiens  verbindet.  Hier  entwickelte 
sich  auf  europäischer  Seite  Athen  als  Brückenkopf,  auf  asiatischer  die 
blühenden  ionischen  Städte,  vor  allem  Milet  und  Ephesus.  Wichtiger 
als  Athen  war  im  Altertum  für  den  eigentlich  griechischen  Verkehr  Korinth, 
wo  Land-  und  Wasserweg  sich  kreuzten.  Heute  ist  die  Stadt  unbedeutend, 
da  sie  für  das  Zeitalter  des  Fernverkehrs  zu  sehr  landeinwärts  liegt  und 
der  Kanal  den  erhofften  Verkehr  nicht  gebracht  hat.  Ihr  Handel  ist  im 
Osten  an  Athen  übergegangen,  im  Westen  an  das  mehr  nach  dem  offenen 
Meere  zu  gelegene  Patras,  den  Hauptausfuhrhafen  für  Wein  und 
Korinthen.  Die  größte  Stadt  Griechenlands  ist  heute  Athen,  das  mit  dem 
Piräus  beinahe  300000  Einwohner  zählt.  Als  wichtiger  Hafen  für  das 
getreidespendende  Thessalien  beginnt  sich  jetzt  Volo  zu  entwickeln, 
am  gleichnamigen  rings  durch  Berge  vor  Winden  geschützten  Golf 
gelegen,  in  dem  sich  der  alten  griechischen  Sage  nach  die  Griechenflotte 
sammelte,  um  gegen  Troja  zu  kämpfen.  Wichtig  auf  den  Inseln  ist  nament- 
lich das  inmitten  der  Kykladen  (Kreisinseln)  gelegene  Hermupolis,  nach 
Hermes,  dem  Gott  des  Handels,  treffend  genannt.  Es  ist  selbstverständlich,  daß 
ein  Land  wie  Griechenland  einen  Bacchus,  einen  Erderschütterer  Poseidon 
und  einen  Hephaistos  unter  seinen  Göttern  haben  mußte,  auch,  daß  der 
Grieche  als  Göttersitz  sich  den  bis  weit  in  den  Sommer  hinein  schnee- 
bedeckten Olymp  (2985  m)  dachte.  Das  heutige  Verbreitungsgebiet  des 
Griechentums  deckt  sich  beinahe  mit  dem  der  altgriechischen  Kolonisation. 
Östlich  der  Wardar-Morawa- Senke  beginnt  ein  Gebiet,  das  man  am 
besten  als  Rumelien  bezeichnen  könnte.  Die  Täler  von  Wardar  und 
Morawa  verbreitern  sich  flußabwärts  zu  weiten  Niederungen,  die  beide 
Ausgangspunkte  für  Staatenbildung  wurden.  In  der  am  Ägäischen  Meer 
gelegenen  Wardarsenke  blühte  schon  im  Altertum  Mazedonien,  die 
mehr  landeinwärts  gelegene  Morawasenke  wurde  zum  Kernlande  Serbiens. 
Beide  Täler  benutzt  ein  wichtiger  Straßenzug,  der  bei  Belgrad  (90000 
Einwohner)  die  Donau  überschreitet  und  bei  Saloniki,  dem  alten  Thessa- 
lonich (Thermä  =  warme  Quellen,  die  einer  Randspalte  der  Wardarsenke 
entspringen!),  die  See  erreicht.  Auf  der  Wasserscheide  entwickelte  sich 
Üsküb,  von  dem  aus  wichtige,  aus  politischen  Gründen  noch  nicht  von 
Bahnen  durchzogene  Senken  (Amselfeld!)  durch  das  Sandschakgebiet 
Bosnien  zustreben.  Den  Kern  Rumeliens  bilden  die  unregelmäßig  begrenzte 
Hochscholle  das  Rhodopegebirges  und  das  Faltengebirge  des  Balkan. 
Das  dicht  bewaldete  rosehreiche  (Namen!)  Rhodopegebirge  mit  seinen 
Wäldern,  üppigen  Wiesen  und  Moränenseen  erinnert  vielfach  an  mittel- 
europäische Landschaften  und  gipfelt  im  Rila-Dagh  mit  2930  m.  Der 
bewaldete  Balkan  mit  seinen  breiten  von  Weiden  bedeckten  Kämmen  ohne 
deutliche  Gipfelbildung  erreicht  die  größte  Höhe  im  Imurukstal  mit 
2375  m.  Den  Balkan  queren  zwei  wichtige  Straßen.  Die  östliche  ver- 
bindet durch  den  Schipkapaß  Kasanlik  (größte  Rosenölverarbeitung)  mit 
Tirnowa  und  Rustschuk  (40000).  Tirnowa  war  lange  Zeit  (bis  1393) 
Hauptstadt  des  alten  bulgarischen  Reiches,  das  sich  auf  der  mit  frucht- 


106  XII.  Südeuropa. 


barem  Lößboden  bekleideten  Hochfläche  zwischen  Donau  und  Balkan 
entwickelte  mit  Warna  (40000)  als  Hafen  (Mündung  eines  durch  eine 
Nehrung  versandeten  untergetauchten  Flußtales).  Die  natürliche  Fort- 
setzung dieses  Gebietes  ist  die  hügelige  Dobrudscha  mit  dem  auf- 
blühenden Konstanza  (vgl.  Osteuropa). 

Wichtiger  ist  die  westliche  Straße,  die  durch  das  Iskertal  führt,  so 
Sofia  mit  der  Walachei  verbindend.  Das  Becken  von  Sofia  durchquert 
zugleich  die  den  Tälern  der  Nischawa  und  Maritza  folgende  Orientbahn, 
während  bequeme  Übergänge  durch  das  Strumatal  den  Weg  zum  Ägä- 
ischen  Meere  öffnen.  Dank  dieser  Lage  wurde  Sofia  als  Hauptstadt  Bul- 
gariens aus  einem  schmutzigen  Städtchen  mit  25000  Einwohnern  (1871) 
eine  mitteleuropäische  Sauberkeit  zeigende  Großstadt  von  110000 
Einwohnern.  Zwischen  den  bewaldeten  Bergen  des  Rhodopegebirges, 
des  Balkan  und  des  Istandschagebirges  sind  zwei  fruchtbare  Tiefschollen 
eingebrochen,  die  beide  von  der  Maritza  durchströmt  werden.  In  der 
südlichen  lag  im  Altertum  das  getreidereiche  Thrazien  (heute  vielfach 
mit  Grassteppen  bedeckt),  während  das  obere  Maritzagebiet  heute  das 
bulgarische  Ostrumelien  bildet.  Bei  Nisch  verläßt  die  Orientbahn 
die  Morawasenke  und  strebt  über  Philippopel  und  Adrianopel,  den 
Hauptorten  der  genannten  Senken,  Konstantinopel  zu,  welches  bis  jetzt  (!) 
den  Handel  Thraziens  derart  beherrschte,  daß  an  der  Maritzamündung 
eine  größere  Stadt  schon   im  Altertum  nicht  mehr  aufkommen  konnte. 

Politische  Entwicklung. 

Bosporus  und  Dardanellen  bilden  flußartig  gewundene,  stellenweise 
weniger  als  1  km  breite  Meerengen.  Sie  stellen  nichts  anderes  als  einen  unter 
das  Wasser  getauchten  Fluß  dar,  der  ehemals  das  Schwarze  Meer  entwässerte. 
Zwischen  beiden  brach  injüngsterZeitdieTiefschoIledesMarmarameeresein. 

Am  östlichen  Ufer  des  Bosporus  entwickelte  sich  Byzanz  an  der  Stelle, 
wo  nicht  nur  der  Landweg  bequem  von  Asien  nach  Europa  übergehen 
konnte,  sondern  zugleich  ein  unter  Wasser  getauchtes  Nebental  — 
das  Goldene  Hörn  —  der  verbesserten  Schiffahrt  einen  guten  Hafen 
gewährte.  Bis  weit  ins  Mittelalter  hinein  hielt  sich  in  der  inzwischen  in 
Konstantinopel  umgetauften  Stadt  der  letzte  Überrest  des  Oströmischen 
Reiches  —  daher  der  Name  Rumelien  »Rumili«  =  Klein-Rom!  — .  Im  Jahre 
1453  wurde  hier  der  Halbmond  aufgepflanzt  und  die  Stadt  die  Haupt- 
stadt des  Türkischen  Reiches.  Dazu  in  außergewöhnlichem  Sinne  durch  den 
weitreichenden  Verkehr  begünstigt,  ist  Konstantinopel  heute  mit  P/i  Mili. 
Einwohnern  die  größte  Stadt  der  Halbinsel  geworden.  Auf  europäischer 
Seite  endet  die  Orientbahn,  auf  asiatischer  beginnt  bei  Haidar-Pascha  (dem 
alten  Chalkedon)  die  Bagdadbahn.  Unter  den  Einwohnern  der  Stadt  ist 
ein  gutes  Viertel  Griechen.    Sie  treiben  ausgedehnten  HandeP). 

Trotz  der  hohen  Kultur  des  griechischen  Altertums  wurde  die  Halbinsel 
von  den  Römern  schnell  unterworfen,  da  politisch  eine  große  Uneinigkeit 
herrschte.   Nach  dem  allmählichen  Sinken  Ostroms  finden  wir  hier  nach  der 


')  Daß  man  sich  diesen  nicht  übertrieben  i^roW  vorstellen  darf,  zeigt  die  Tat- 
sache, daß  auf  einen  Griechen  80  M.  jährlicher  Handelswert  kommen,  gegen- 
über 340  M.  auf  einen  Deutschen,  640  M.(!)  auf  einen  Engländer  (1913). 


Dinarische  Halbinsel.  107 


Völkerwanderung  ein  buntes  Gemisch  slawischer  und  zum  Teil  mongolischer 
Völkerstämme.  Sie  wurden  ebenfalls  wieder  wegen  ihrer  Uneinigkeit  in  ver- 
hältnismäßig kurzer  Zeit  von  den  Türken  unterworfen,  deren  Reich  sich  von 
1 359— 1 483  schnell  über  die  ganze  Halbinsel  ausdehnte.  Aber  die  Türken  ver- 
standen es  nicht,  das  Land  zu  kolonisieren  und  mit  Stammesgenossen  zu  durch- 
setzen (vgl. dagegen  die  römische  Kolonisation!),  zudem  übten  sie  einen  un- 
erträglichen Steuerdruck  aus.  So  begann  seit  1699  der  ständige  Rückgang  des 
Türkischen  Reiches  in  Europa,  vor  dessen  Schlußakt  wir  vor  kurzem  standen. 

Bewohner. 

Von  den  20  Mill.  Einwohnern  der  Halbinsel,  die  durch  den  Weltkrieg 
stark  entvölkert  wurde,  sind  vielleicht  nur  IV2  Millionen  reine  Türken. 
An  ersterstelle  stehen  5^/4  Mill.  Bulgaren,  so  daß  wir  das  Bestreben  der 
Bulgaren,  sich  bis  an  die  See  auszudehnen,  verstehen.  Von  den  4 Vi  Mill. 
Griechen  wohnte  ebenfalls  ein  großer  Teil  (über  1  ^l-i  Mill.)  früher  in  der 
europäischen  Türkei,  namentlich  im  Wilajet  Janina.  Daher  das  Bestreben  der 
Griechen,  die  Grenzen  nordwärts  vorzuschieben  und  zulgeich  Kreta  und  die 
asiatischen  Inseln  zu  okkupieren.  Von  den  5  Mill.  Serben  wohnten  über  2  Mill. 
außerhalb  Serbiens,  namentlich  in  Bosnien,  Montenegro  und  dem  Sandschak, 
so  daß  Serbien  hofft,  ein  Groß-Serbien  zu  schaffen,  das  sich  bis  an  die  See 
einschließlich  der  Inseln  ausdehnt.  Dazu  kommen  etwa  1  Va  Mill.  Albanesen. 

An  Hand  der  Völkerkarten  muß  dem  Schüler  gezeigt  werden,  daß  für 
die  Türkei  ein  Verlust  des  europäischen  Besitzes  eine  Gesundung  bedeuten 
wird,  da  sich  der  Staat  dann  viel  mehr  der  Ordnung  der  asiatischen  Ver- 
hältnisse annehmen  kann.  Das  Hauptbollwerk  der  Türkei  sind  die  gebirgs- 
umrahmten  Hochländer  Kleinasiens.  Hier  wohnen  9  Mill.  Einwohner,  die 
fast  rein  türkisch  sind,  mit  Ausnahme  der  vielleicht  1^2  Mill.  Griechen 
an  der  westlichen,  regenreichen  ägäischen  Küste. 

Klima  und  Wirtschaft. 

Die  Küsten  der  Halbinsel  und  der  größte  Teil  Griechenlands  stehen 
noch  unter  dem  Einfluß  des  Mittelmeerklimas.  Neben  Wäldern  von  Pinien, 
Ölbaumhainen  und  immergrünen  Laubhölzern  überwiegen  Macchien  (vgl. 
Italien).  Vielfach  werden  auch  Maulbeerbäume  angebaut.  Sehr  verbreitet  sind 
die  Weingärten  namentlich  im  Peloponnes  (Korinthen)  und  auf  den  Inseln. 

Das  Innere  macht  mit  seinen  Laubwäldern  einen  mitteleuropäischen  Ein- 
druck, der  sich  in  den  Gebirgen  mit  ihren  Nadelwäldern  und  Wiesen  noch 
steigert.  In  den  Senken  ist  der  Weinbau  verbreitet,  dazu  Anbau  von  Rosen, 
Maulbeerbäumen  (Seidenindustrie)  und  Tabak. 

Der  Getreideanbau  beschränkt  sich  auch  meist  auf  die  Senken  und  ist 
in  Nordbulgarien  und  der  Dobrudscha  weit  verbreitet. 

Zahlenmäßige  Angaben  über  diese  Anbauverhältnisse  lassen  sich  jedoch 
nicht  machen.  Man  kann  den  Waldbestand  auf  100000  km-  schätzen; 
am  waldreichsten  ist  Bosnien  (50%),  am  waldärmsten  Griechenland  (9°/o). 
Das  Ödland  mag  ein  Drittel  betragen  und  steigt  in  Griechenland  (ver- 
karstetes Kalkgebirge)  auf  35  %i.  Das  Kulturland  kann  auf  20  "/o  geschätzt 
werden,  so  daß  der  Rest  auf  Wiesen  und  Grasweiden  fällt.  Dementsprechend 
überwiegt  die  Haltung  von  Schafen  und  Ziegen;  nur  Bulgarien  hatte  größere 
Bestände  an  Rindvieh  und  mit  85 ''/o  die  ausgedehntesten  Ackergebiete  der 


108 


Xll.  Südeuropa. 


Halbinsel.  Vor  dem  Kriege  führte  Bulgarien  zumeist  Weizen  und  Mais  aus, 
Griechenland  Korinthen,  die  Türkei  Tabak  und  Serbien  Weizen,  Mais  und 
Schweinefleisch.  Doch  kann  die  Produktion  in  Zukunft  stark  gehoben 
werden,  vor  allem  auch  der  Bergbau,  der  im  Osten  der  Halbinsel  (der  kalk- 
reiche Westen  kommt  kaum  in  Betracht)  bei  dem  Überwiegen  kristalliner 
Gesteine  große  Zukunftsaussichten  hat.  Hand  in  Hand  hiermit  muß  auch 
die  Ausnutzung  der  Wasserkräfte  bei  dem  Mangel  an  Kohlen  gehen,  sowie 
der  Ausbau  der  Verkehrslinien.  Dann  aber  kann  die  Halbinsel  als  Mittler 
des  Verkehrs  zwischen  Mitteleuropa  und  dem  Orient  wieder  einer  großen 
Zukunft  entgegengehen. 

Politische  Neuordnung. 

Die  letzten  Friedensschlüsse,  namentlich  der  »Porzellanfrieden  von 
Sevres«,  haben  den  Weltkrieg  nicht  beendet  und  auch  auf  dem  Balkan 
nur  an  Stelle  alter  Irre- 
denten  neue  geschaffen, 
so  daß  jetzt  Bulgaren  und 
Türken  die  Unzufriede- 
nen sind.  Gerade  Jugo- 
slawien zeigt  zahlreiche 
religiöse  und  völkische 
Differenzierungen  (Ka- 
tholiken —  Orthodoxe  — 
Mohammedaner,  Monte- 
negriner —  Serben  — 
Kroaten).  Das  ist  keine 
Garantie  für  einen  zu  fes- 
ten politischen  Halt,wobei 
seine  westlichen  Grenzen 
überall  Reibungsflächen 
mit  Italien  aufweisen. 

Jugoslawien  ist  mit 
260000  km-  der  größte 
Balkanstaat,  dessen  Ein- 
wohnerzahl heute  noch 
nicht    zwei     Drittel    der 

früheren  12  Millionen  betragen  düiite,  von  der  die  Serben  etwa  die  Hälfte, 
die  Kroaten  ein  Viertel  ausmachen,  in  weitem  Abstände  würde  als 
zweiter  Staat  Griechenland  folgen  (150000  km-  mit  6  Mill.  Einwohnern), 
das  allerdings  durch  den  Krieg  nicht  in  dem  Maße  in  Mitleidenschaft 
gezogen  wurde,  wie  sein  nördlicher  Nachbar,  aber  in  Mazedonien  und 
Thrazien  erhebliche  fremde  Volkssplitter  verdauen  muß.  Bulgarien  mit 
80000  km-  und  3,5  Millionen  Einwohnern  wird,  der  Ägäisküste  beraubt, 
kein  allzu  großer  Friedensfaktor  sein,  und  Albanien  dürfte  auch  weiterhin, 
trotz  seiner  geringen  Größe  (26000  km'-  800000  Einwohner),  ein  bro- 
delnder Hexenkessel  bleiben.  Ebenso  ungewiß  ist  die  Zukunft  Konstanti- 
nopels, dessen  Schicksal  von  dem  Rußlands  abhängt. 


NeueJrredenfen 
'::'::':.  Magyaren 
*+■'  Albanesen 
?^/'Osmanen 
^S  Bulgaren 


28.  Vöikerkarte  des  Balkan. 


XIII.  Das  atlantische  Europa. 


Südeuropa  hat  seine  ehemalige  geschichthche  Rolle  längst  ausgespielt 
und  sie  nach  dem  Verschieben  des  wirtschaftlichen  Schwerpunktes 
an  die  Staaten  Europas  abgegeben,  die  ich  nach  ihrer  Lage  als  atlantisches 
Europa  bezeichnen  möchte.  Wir  beginnen  ihre  Betrachtung  mit  Frankreich^). 

Frankreich. 

Grenzen  und  Küsten. 

Schon  ein  kurzer  Blick  auf  die  Karte  zeigt,  daß  Frankreich  außer- 
gewöhnlich günstige  natürliche  Grenzen  aufweist,  die  im  W  und  S  mehr 
durch  die  See,  im  O  mehr  durch  Gebirge  gegeben  sind.  Letztere  sind 
jedoch  mehrfach  durch  größere,  meist  durch  Festungen  geschützte  Senken 
getrennt.  Zwischen  Vogesen  und  Schweizer  Jura  liegt  die  Burgundische 
Pforte.  Durch  sie  drang  Ariovist  (Caesarlektüre)  nach  Gallien,  später 
bot  sie  den  Burgunden  (Nibelungensage)  ein  bequemes  Einfallstor  nach  S; 
heute  schützt  Beifort  als  mächtiges  Bollwerk.  Weiter  nördlich  gelangt 
man  durch  das  Moseltal  von  den  Lothringischen  Hochflächen  bequem 
nach  Deutschland.  Diese  heute  treffend  als  »Loch  von  Luxem- 
burg« bezeichnete  Stelle  hat  eine  große  geschichtliche  Bedeutung,  die 
aus  den  Namen  Trier  (Augusta  Trevirorum),  Metz,  Toul  (Tullum),  Verdun 
(Virodunum),  Chalons,  Nancy  (Nanzig)  und  Luxemburg  erheUt.  Trier 
mit  seinen  überreichen  Altertumsfunden  war  zugleich  im  späten  Altertum 
ein  Hauptstapelplatz  auf  der  Straße  von  Marseille  über  das  heutige  Burgund 
nach  England.  Für  die  Hauptstadt  des  linksrheinischen  Germanien  war 
es  außerdem  geeigneter  als  die  häufig  von  Germanen  bedrohten  Städte 
an  der  Rheinlinie  (fast  alle  römischen  Städte  liegen  am  Westufer  des 
Rheins,  am  Ostufer  nur  junge  Fabrikstädte  wie  Düsseldorf,  Duisburg 
und  Mannheim). 

Noch  weiter  im  N  sollte  eigentlich  das  aus  weißgrauer  Kreide  (Kap  Griz 
Nez  =  graue  Nase;  vgl.  Kap  di  Leuka,  Leukas,  Flamborough  Head,  Folke- 
stone  =  Falkenstein,  Albanien  und  Kap  Blanco)  aufgebaute  Hügelland 
von  Artois  (Völkergrenze  zwischen  Romanen  und  Germanen)  die  fran- 
zösische Grenze  bilden.  Frankreich  dehnte  sich  hier  jedoch  frühzeitig 
in  das  germanische  Flachland  aus,  dessen  bis  nach  Jütland  reichende, 
mehrfach  in  Inseln  aufgelöste  Dünenküste  (Dünkirchen  mit  seinem  deutschen 
Namen)  hier  beginnt. 

Steilwandige  Kreideküsten  reichen  bis  über  die  Seinemündung  nach  SW; 
es  folgt  die  durch  Überschwemmung  eines  flachwelligen  Hügellandes  ent- 
standene Küste  der  Normandie  und  Bretagne,  an  der  jeder  Hafen  einem 
vom  Meere  überfluteten  Flußtale  entspricht.  (Hier  muß  der  Schüler  darauf 
aufmerksam  gemacht  werden,  daß  der  weiche  Kreidefelsen  ganz  andere 
Küsten  —  glatter!  —  als  das  harte  Urgestein  bedingt.)  Im  Altertum 
wohnten  hier  die  durch  die  Küste  zur  Schiffahrt  erzogenen  Veneter  (durch 
Caesar  bekannt;  vgl.  auch  Vannes  und  die  griechische  unter  ähnlichen 
geographischen  Verhältnissen  entstandene  Schiffahrt);   im  Mittelalter  er- 

^)  Nach  meinem  gleichnamigen  Aufsatz  in  den  Naturw.  Monatsheften. 
VIIL  Band.  1915. 


110  XIll.  Das  atlantische  Europa. 

oberten  von  N  her  die  Briten  (Bretagne)  und  Normannen  (Gudrunsage!) 
das  Land,  das  später  auch  lange  Zeit  enghscher  Besitz  (Jungfrau  von 
Orleans)  war.  Im  Altertum  hieß  die  Landschaft  Armorica  (ar  =  an,  more 
=  mare).  Heute  fahren  die  Fischerflotten  der  Bretonen  weit  über  die  See 
bis  nach  Island  (Pierre  Lotis  Islandfischer)  und  den  Neufundlandbänken. 
Die  Felsküsten  reichen  südlich  noch  über  die  Loire  bis  zu  den  Felsen- 
städten Rochefort  und  La  Rochelle  (Hugenotten). 

Südlich  der  Garonne  lag  vor  Jahrtausenden  eine  buchtenreiche  Küste,  die 
(vgl.  die  hinterpommersche  Ostseeküste!)  durch  das  Meer  begradigt  wurde. 
Ein  langer  Dünenwall  trennt  die  letzten  Ausläufer  der  ehemaligen  Buchten 
(Strandseen!)  vom  offenen  Meere  (vgl.  Haffe,  Lagunen  und  Nehrungen). 

Die  Mittel meerküste  weist  zwei  ganz  verschiedene  Formen  auf.  Im  O 
ist  ein  untergetauchtes  Hügelland  (vgl.  Bretagne)  in  eine  hafen-  und  insel- 
reiche Küste  verwandelt.  Der  Schutt,  den  die  schnellfließende  Rhone 
(kelt.  rho  =  fließen,  vgl.  griech.  rheo)  aus  den  Alpen  bringt,  wird  durch 
eine  Meeresströmung  nach  W  getrieben  und  baut  hier  die  Sandküste  des 
Languedoc  auf.  So  ist  die  alte  Römerstadt  Narbonne  (vgl.  Milet,  Ephesus, 
Ravenna  und  Adria)  versandet,  und  die  Haupthäfen  liegen  östlich  der 
Rhonemündung,  ihr  zunächst  das  uralte  Massilia,  am  weitesten  ins  Meer 
vorspringend  der  Kriegshafen  Toulon.  Daß  auch  die  Rhone  früher  für 
die  Schiffahrt  wichtiger  war,  zeigt  die  Stadt  Ades,  bedeutend  genug  im 
früheren  Mittelalter,  um  dem  Königreich  Arelat  den  Namen  zu  geben. 

Aufbau  und  Einzellandschaften. 

Den  Mittelpunkt  Frankreichs  bildet  die  große  Hochfläche  der  Auvergne 
(Arverni  mit  Gergovia),  eine  gewaltige,  dem  Rheinischen  Schiefergebirge 
vergleichbare  Hochscholle,  die  von  zahlreichen  erloschenen  Vulkan- 
bergen  überragt  wird.  Während  sich  die  Auvergne  nach  W  und  N  all- 
mählich abdacht,  fällt  sie  mit  dem  Steilabfall  der  Cevennen  (vgl.  Sierra 
Morena)  und  der  weinreichen  Cöte  d'Or  (Goldküste,  Burgunderwein) 
gegen  die  Tiefebenen  der  Rhone  und  Saöne  ab.  Die  Hochflächen  be- 
stehen an  vielen  Stellen  aus  an  Feuersteinen  (Steinwaffen)  reichem  Kalk, 
(Gausses  vgl.  calcaire  ^  calcis),  in  den  sich  dann  steilwandige  enge  Täler 
eingegraben  haben,  reich  an  Höhlen  (Schwäbischer  Jura,  Nebelhöhle). 
Hier  siedelte  der  Urmensch  im  Dordognetal  (die  meisten  Epochen  der 
Steinzeit  haben  französische  Namen!)  und  verzierte  die  Höhlen  mit 
Malereien;  von  steilen  Felsen  trieb  er  das  Wild  herab,  so  daß  riesige 
Knochenhaufen  die  Talflanken  bedecken. 

Die  vulkanische  Natur  der  Gegend  äußert  sich  auch  in  zahlreichen 
Badeorten  (warme  Quellen).  Kleine  Steinkohlenbecken  geben  Anlaß  zu 
einiger  Industrie  (St.  Etienne,  das  Lyon  mit  Kohlen  versorgt,  und  das 
französische  Essen  Le  Creusot  mit  den  weltberühmten  Werken  von 
Schneider),  die  Wolle  der  auf  den  grasigen  Hochflächen  weidenden  Schafe 
verarbeitet  Limoges  (Lcmovices),  während  Pcrigord  (Bertrand  de  Born) 
durch  Trüffeln  bekamit  ist. 

Der  Ackerbau  (Roggen  und  Gerste)  tritt  bei  dem  rauhen  Klima,  das 
Wiesen  und  Weiden  bedingt,  hinter  der  Viehzucht  zurück,  so  daß  auf 
71  000  km-  nur  4,2  Mill.  Einwohner  siedeln  (D-  60).    Die  größte  Stadt 


Aufbau  und  Einzellandschaften. 


11 


'"^Felskusf? 
-■IW'iese 
g  Kohle 


Q  Vulkane 


ist  das  industrielle  St.  Etienne  in  dicht  bewohnter  Umgebung  mit  großen 
Waffenfabriken.  Industriell  sind  auch  Limoges  und  Clermont.  Die  übrigen 
Siedlungen  sind  nur  kleine  Mittelstädte,  wie  auch  Le  Creuzot. 

Die  welligen  Beckenlandschaften,  in  welche  die  Auvergne  im  Westen 
und  Norden  übergeht,  bezeichnen  wir  am  besten  nach  den  Hauptflüssen 
als  Garonnebecken  (Aquitanien),  Loirebecken  und  Seinebecken, 
wobei  wir  letzterem  die  Übergangslandschaften  Flandern  und  Loth- 
ringen zurechnen. 

Das  im  Norden  regenreiche  Klima  wird  im  Süden  immer  regenärmer, 
und  namentlich  ist  die  sommerliche  Trockenheit  dort  ausgeprägter 
(Weinbau!);  so  führt  von  den 
Flüssen  die  Seine  noch  am  regel- 
mäßigsten Wasser,  während  Loire 
und  Garonne  (z.  T.  infolge  der 
großen  Waldverwüstungen)  stark 
versandet  und  daher  verkehrsarm 
sind.  Zugleich  bedingt  es  das  nach 
Süden  zu  immer  erschlaffende!- 
wirkende  Klima,  daß  die  Bewohner 
im  Norden  (Seinebecken)  am  rüh- 
rigsten sind,  im  Süden  dagegen 
immer  mehr  zum  Müßiggange 
neigen. 

Vom    Seinebecken    aus   ent- 
wickelte sich  als  Francien  (Franken - 
land)  der   französische  Staat.     Er 
umfaßte  bald  alle  westlichen  Tief- 
ebenen,  die  nur  durch   geringe  Wasserscheiden  getrennt  sind; 
das  alte  Lutetia  (Seineinsel!)  wurde  als  Paris  Hauptstadt  des  Landes  (viele 
Städte  in  Frankreich  sind  nach  alten  Völkern  genannt,  so:  Paris  =  Parisii, 
Rennes  =  Redones,  Nantes  =  Namnetes  usw.O- 

Im  Osten  des  Seinebeckens  halten  aus  Kalkfelsen  bestehende,  mit  Weiden 
(vgl.  Brie,  durch  Käse  bekannt,  im  Südosten  von  Paris)  bedeckte  Hügel- 
länder den  Regen  von  der  weinreichen  Champagne  (vgl.  Campanien  und 
Campagna)  ab.  Flandern  treibt  Kohlenbergbau  und  Baumwollindustrie, 
Lothringen  blüht  neuerdings  durch  riesigen  Bergbau  (Minetteerze!)  auf. 

Das  Seinebecken  mit  seinen  vorzüglichen  Weizenböden  zähltauf  8 1 000  km- 
9,5  Millionen  Einwohner,  so  daß  die  Dichte  auf  115  steigt.  Die  Entwick- 
lung der  größeren  Siedlungen  wird  stark  durch  Groß-Paris  beeinflußt,  daß 
mit  4V4  Millionen  Einwohnern  die  Hälfte  des  gesamten  Bevölkerungs- 
zuwachses Frankreichs  seit  1871  (3,5  Millionen)  aufsaugte.  Die  zweite 
Stadt  ist  Ronen  mit  Baumwollindustrie,  über  100000  Einwohner  zählten 
auch  Havre  (mit  großem  Kaffeehandel)  und  das  stille  Reims;  größere 
Mittelstädte  waren  auch  Amiens,  St.  Quentin,  Troyes  und  der  Fährhafen 
Boulogne.  Die  Siedlungen  Flanderns  und  Lothringens  besprachen  wir 
schon  bei  Mitteleuropa. 


evennenrano 


29.  Frankreich. 


*)  Vgl.  Orleans  die  Aureliansstadt. 


112  XIII.  Das  atlantische  Europa. 

Die  steilen  Hauteurs  de  la  Gätine  begrenzen  das  verkehrsarme,  durcii 
die  Nähevon  Paris  in  seinerEntwicklungge  hemmte  Loirebecken 
im  Süden.  Zwischen  ihnen  und  den  Ausläufern  der  Auvergne  dehnt  sich 
eine  breite  Ebene  aus,  die  im  Jahre  732  den  Arabern  als  Einfallstor  diente 
(Poitiers!).  Die  sich  südlich  an  diese  Höhen  anschließende  felsige  Küsten- 
iandschaft  (vgl.  oben)  ist  infolge  des  Einflusses  der  regenreichen  Seewinde 
von  üppigen  Weiden  bedeckt. 

Im  Osten  überwiegen  Ackerbau  und  Weinland,  im  regenreichen  Westen 
Wiesen  mit  Viehzucht.  Die  Industrie  ist  gering  und  das  Gebiet  wirt- 
schaftlich ganz  von  Paris  abhängig.  Auf  105000  km"-  siedeln  4,2  Mill. 
Einwohner,  so  daß  die  Dichte  nur  40  beträgt.  Der  Haupthafen  ist  Nantes 
mit  dem  Vorhafen  St.  Nazaire.  Die  Loirestädte  sind  stille  Siedlungen,  da 
der  versandete  Fluß  so  gut  wie  verkehrslos  ist  und  nur  verträumte  Städt- 
chen und  Schlösser  von  alter  Bedeutung  zeugen.  Tours,  Angers,  Le  Mans 
und  Orleans  sind  die  wichtigsten  Mittelstädte  mit  einiger  Textilindustrie. 

Südlich  des  46.  Breitenkreises  setzt  in  mächtigem  Umfange  der  Weinbau 
ein,  dem  Schüler  sofort  verständlich  an  den  Namen  Bordeaux,  Cognac, 
Medoc  und  Pauillac.  An  der  Küste  auf  Wiesenflächen  Viehzucht,  im 
Inneren  Anbau  von  Wein  und  Getreide. 

Die  das  Garonnebecken  im  Süden  begrenzenden  Pyrenäen  sind  ein 
waldarmes,  wildes  Gebirge  (vgl.  Namen  wie  Maladetta  und  Mont  Perdu!),  i 
reich  an  aus  der  Eiszeit  stammenden  Zirkustälern  und  Seen  (Zirkus  von 
Gavarnie  vgl.  mit  den  Schneegruben,  den  Hochseen  der  Alpen,  Skandi- 
naviens, Norddeutschlands  usw.). 

Auf  93000  km-  siedeln  4,9  Millionen  Einwohner  (D  =  55),  davon 
330000  und  150000  in  den  Großstädten  Bordeaux  und  Toulouse,  von 
dem  der  Kanal  du  Midi  zum  Mittelmeer  führt.  Alle  übrigen  Siedlungen 
sind  stille  Mittelstädte  mit  Ausnahme  des  aufblühenden  industriellen  Pau 
und  der  Hafenstadt  Bayonne  mit  Grenzverkehr  nach  Spanien  und  einem 
berühmten  Badestrand  mit  dem  Weltbade  Biarritz. 

Ausgedehnte  Wiesen  und  Heiden  bedecken  infolge  des  regenreichen 
Klimas  (vgl.  Irland,  Schottland,  deutsche  Nordseeküste,  Lüneburger  Heide) 
die  Hügelländer  Bretagne  und  Normandie.  Der  Mensch  der  Vorzeit 
erbaute  aus  mächtigen  Steinblöcken  die  Dolmen  (vgl.  Stonehenge  in  Süd- 
england). Handelshäfen  von  großer  Bedeutung  fehlen  (armes  Hinterland), 
dafür  liegen  an  exponierter  Stelle  die  Kriegshäfen  Brest,  Cherbourg  und 
Lorient  (vgl.  Toulon!),  der  ehemalige  Hafen  für  den  Orient. 

Auf  64000  km-  siedeln  4,8  Millionen  Einwohner,  und  die  dichtbesiedelte 
Küste  mit  ihren  zahlreichen  Fischerstädten  steigert  die  Dichte  auf  75  (an 
der  Küste  über  1 20,  im  Inneren  50).  Neben  den  Kriegshäfen  Brest  (1 1 0000) 
und  Lorient,  das  die  Indienflotten  (Namen!)  ausrüstet,  blüht  Rennes  (SOOOO) 
durch  Wollindustrie.  Große  Aussicht  hat  der  Abbau  der  Eisenerze  der 
Normandie,  die  an  Menge  die  lothringischen  noch  übertreffen  sollen. 

,Da  Aqiiitanien  und  Nordspanien  dieselben  Bodenprodukte  haben,  ist 
wegen  der  geringen  Verkehrsspannung  (vgl.  dagegen  die  Alpen)  der  Handel 
unbedeutend,  zudem  über  die  niedrige  Wasserscheide  zwischen  Garonne 
und  Aude  (Lage  von  Toulouse,  dem  alten  Tolosa)  ein  bequemer  Weg 
zum  Mittelmeer  führt.    (Aus  demselben  Grunde  ist  die  Verkehrsspannung 


Aufbau  und  Einzellandschaften.  1 13 

zwischen  Südfrankreich  und  der  Poebene  gering,  so  daß  der  1869  voll- 
endete Mont-Cenis -Tunnel  der  einzige  Verkehrsweg  zwischen  beiden 
Ländern  geblieben  ist,  während  eine  stetig  wachsende  Zahl  von  Tunnel- 
bauten dem  stark  wachsenden  Verkehr  zwischen  Italien  und  Mitteleuropa 
gerecht  zu  werden  sucht. 

Noch  viel  mehr  als  in  Aquitanien  neigen  die  Bewohner  zum  Müßig- 
gang und  zu  Träumerei.  Diese  Eigenschaften  verstärken  sich  im  Südosten. 
An  Stelle  der  Langue  d'oui  tritt  hier  die  Langue  d'oc;  lange  Zeit  blühte 
die  durch  die  Troubadours  bekannte,  heute  wieder  in  Aufnahme  kom- 
mende Provengalische  Sprache.  Prächtige  Schilderungen  von  Land  und 
Leuten  entwirft  Daudet  in  seinem  Tartarin. 

Dieses  mediterrane  Frankreich  umfaßt  die  gewaUigen,  auf  beiden 
Seiten  von  Gebirgen  begrenzten  grabenartigen  Senken  (vgl.  Oberrheinische 
Tiefebene)  der  Rhone  und  Saöne,  von  denen  die  Auvergne  die  kühlen, 
regenreichen  Westwinde,  die  Alpen  die  kalten  Nordwinde  abhalten.  An 
diesen  milden  Küsten  reifen  in  üppiger  Fülle  Südfrüchte,  der  Duft  aro- 
matischer, prächtig  blühender  Sträucher  (Parfümindustrie)  erfüllt  die  Luft, 
vom  Maulbeerbaum  nährt  sich  die  Raupe  des  Seidenspinners. 

Ähnlich  wie  an  der  milden  Südküste  der  Krim  (Sebastopol,  Feodosia  = 
Theodosia,  vgl.  Iphigenie)  siedelten  hier  frühzeitig  Griechen.  Die  Phokaeer 
(Horaz'  Epoden  16  Vers  17)  gründeten  das  durch  Pytheas  bekannte  Mas- 
silia  (Marseille);  weitere  Griechensiedlungen  sind  Agde  (Agathe),  Antibes 
(Antipolis),  Nizza  (Nicaea)  und  Monako  (Monoikos  vgl.  Athos!).  Später 
erbauten  die  Römer  den  Kriegshafen  Telo  Marti us  (Toulon),  andere  Römer- 
städte sind  Nemausus  (von  kelt.  nemetus  =  Hain,  das  heutige  Nimes), 
Baeterrae  (Bezieres)  und  Aquae  Sextiae  (Aix;  vgl.  Aachen).  Zum  Haupt- 
ort der  Provincia  (Provence)  entwickelte  sich  das  mit  Aquitanien  Handel 
treibende  Narbo  Martius  (Narbonne);  das  Rhonetal  schützte  Valencia  (heute 
Valence  von  valeo;  vgl.  Valentia  in  Spanien),  an  der  Stelle  gelegen,  wo 
auf  kurze  Strecke  Alpen  und  Auvergne  sich  einander  nähern,  um  weiter 
nördlich  zu  einer  zweiten  Tiefebene  auseinanderzutreten. 

Der  Hauptfluß  dieser  ist  die  Rhone,  die  sich  bei  Lyon  (Lugdunum)  mit 
der  langsam  schleichenden  Saöne  vereinigt.  Letztere  beschreibt  schon 
Caesar  (bellum  gallicum  1,  12)  als  »incredibili  lenitate«  dahinfließend,  tref- 
fend nannte  sie  der  Kelte  sauxona,  d.  h.  die  Träge.  Bis  in  die  Nähe  von 
Lyon  reichte  im  Eiszeitalter  der  mächtige,  den  Genfer  See  aushobelnde 
Rhonegletscher  (vgl.  Dombes),  die  weißgraue  Isere  heißt  mit  Recht  der 
Eisfluß  (vgl.  Isar,  Eisack). 

Fehlt  zwar  dieser  Tiefebene  der  Reichtum  an  Südfrüchten,  so  reift  doch 
an  den  Hängen  der  randlichen  Gebirge  der  feurige  Burgunder  (goldrot 
leuchtet  im  Herbst  die  weinreiche  Cöte  d'Or),  und  die  arbeitsameren  Be- 
wohner treiben  viel  Industrie.  Lyon  ist  heute  die  größte  Fabrikstadt  Frank- 
reichs und  die  zweitgrößte  Stadt  des  Landes  geworden  (Seidenindustrie), 
Beifort  blüht  als  Konkurrenz  zu  Mülhausen  durch  Baumwoll-  und  Seiden- 
spinnereien auf. 

Mehrere  Senken  verbinden  Burgund  mit  dem  westlichen  Frankreich, 
Durch  die  Festungen  Epinal,  Dijon,  Chalons  und  Langres  geschützt,  bilden 
sie  eine  wichtige  Verteidigungslinie  gegen  Deutschland  hinter  der  leichter 

Olbridit,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  8 


114  XIII.  Das  atlantische  Europa. 

zugänglichen  Pforte  von  Burgund.  Durch  die  südhchste  dieser  Senken 
versuchten  die  Helvetier  bei  Bibracte  (Biberstadt)  nach  Westen  vorzu- 
dringen; zur  Römerzeit  blühte  Augustodunum  (dunum  =  town  =  zaun)  als 
eine  der  größten  Städte  Galhens  den  Verkehr  zwischen  der  Provincia  und 
dem  Nordwesten  vermittelnd  (heute  das  unbedeutende  Autun). 

Die  in  der  Oberflächengestaltung  so  deutlich  ausgeprägte  Sonder- 
stellung des  Rhone-Saöne-Gebietes  kommt  auch  in  seiner  geschichtlichen 
Entwicklung  zum  Ausdruck,  indem  sich  hier  während  des  Mittelalters  am 
längsten  die  selbständigen  Königreiche  Burgund  und  Arelat  hielten  und 
heute  sich  neben  Paris  die  einzigen  Halbmillionenstädte  Frankreichs  ent- 
wickeln konnten. 

Das  Rhone-Saöne-Gebiet  wird  auf  110000  km-  von  7,8  Millionen  Ein- 
wohnern besiedelt.  Am  dichtesten  ist  die  Umgebung  von  Lyon  be- 
völkert, am  dünnsten  das  Rhonedelta. 

Mit  550000  Einwohnern  ist  Marseille  die  größte  Siedlung  der  Provence 
und  der  größte  Seehafen  Frankreichs  mit  lebhaftem  Verkehr  nach  Algerien 
und  dem  Orient.  Toulon  ist  der  wichtigste  Kriegshafen  des  Landes,  in 
Nimes,  Montpellier  und  Bezieres  blüht  die  Wollindustrie.  Alais  ist  durch 
Kohlenbergbau  wichtig.  Die  bedeutendste  Siedlung  an  der  Riviera  ist  das 
schon  von  Italienern  bewohnte  Nizza. 

Als  wichtiger  Verkehrsknotenpunkt  ist  Lyon  die  größte  Stadt  Burgunds 
und  die  zweite  Stadt  Frankreichs  mit  großer  Seidenindustrie  geworden. 
Dijon  vermittelt  den  Verkehr  zum  Seinegebiet,  Besanqon  ist  eine  wichtige 
Festung  und  Chalon  sur  Säone  blüht  durch  die  Stahlindustrie  als  Ableger 
des  benachbarten  Creusot. 

Politischer  Ausblick. 

Frankreich  ist  mit  50  "/o  der  an  Ackerland  reichste  Staat  Europas 
mit  großem  Weizenanbau,  1 1  *^/o  sind  Wiesen  und  Weideland,  nur  15  "/q 
Wald.  Die  Weingärten  bedecken  15000  km-.  Die  randliche  Lage 
der  großen  Kohlen-  und  Erzgebiete  des  Landes  hat  sich  im  Welt- 
kriege als  verhängnisvoll  gezeigt.  Durch  Ausnutzung  der  Wasserfälle 
suchte  es  sich  weniger  abhängig  von  Kohle  zu  machen,  und  in  den  Alpen- 
tälern entstanden  gewaltige  Industrien,  die  900000  Pferdekräfte  (l5"/o 
der  verfügbaren  Zahl)  ausnutzen.  Noch  vor  hundert  Jahren  war  Frank- 
reich das  reichste  und  industriellste  Land  Europas.  Aus  dieser  Zeit  stammt 
auch  das  großartig  ausgebaute  Kanalnetz,  das  allerdings  den  heutigen 
Anforderungen  nicht  mehr  genügt.  Von  der  erwerbstätigen  Bevölkerung 
sind  43  *^/o  in  der  Landwirtschaft  tätig,  32  "/o  in  der  Industrie,  bei  der 
die  Fein-  und  Luxusindustrie  überwiegt  (Parfüme,  Seidenwaren,  Auto- 
mobile, Schmuckgegenstände). 

Nach  der  Entdeckung  der  Neuen  Welt  nutzten  zuerst  Spanien  und 
Portugal  ihre  günstige  Lage  aus  und  wurden  zu  großen  Kolonialmächten. 
Später  wurde  Frankreich  dank  seiner  Lage  an  zwei  wichtigen  Meeren 
auf  lange  Zeit  die  größte  Handels-  und  Kolonialmacht  Europas,  die 
namentlich  in  Indien  (^Rcstkolonien«,  vgl.  auch  Portugal!)  und  Nord- 
Amerika  (daran  erinnern  Namen  wie:  New  Orleans,  Saint  Paul,  La  Crosse, 
Montreal,  Saint  Louis,  Baton  Rouge,  Kap  Sable  usw.)  einen  großen  zu- 


Politischer  Ausblick.  1  1  5 


sammenhängenden  Kolonialbesitz  besaß,  der  (Anordnung  der  Namen!) 
vom  Mississippital  über  das  Seengebiet  zum  Lorenzstrom  reichte. 

Nach  Verlust  dieser  Kolonien  (Restkolonien  die  hiseln  St.  Pierre  und 
Miquelon  als  Stützpunkte  der  Fischerei  auf  den  Neufundlandbänken)  hat 
sich  Frankreich  —  namentlich  seit  1871  —  ein  großes  Kolonialreich  in 
Afrika  geschaffen.  Trotzdem  ist  es  keine  Kolonialmacht  im  eigentlichen 
Sinne.  Infolge  des  Zurücktretens  von  Kohlen  und  Eisen  im  Mutterlande  ist 
die  Großindustrie  (vgl.  mit  Deutschland  und  England)  klein  geblieben  und 
bedarf  nicht  so  sehr  eines  großen  Absatzmarktes.  Aus  demselben  Grunde 
ist  es  in  größerem  Maße  ein  Ackerbauland  geblieben,  das  in  seinem  Fleisch- 
und  Getreidebedarf  nicht  so  sehr  vom  Auslande  abhängig  ist,  wie  die 
meisten  übrigen  west-  und  mitteleuropäischen  Staaten.  Endlich  aber 
fehlt  es  dem  Lande  an  einem  Bevölkerungszuwachs,  der  die  Erwerbung 
von  Siedlungskolonien  nötig  macht. 

So  entsprang  das  riesige  französische  Kolonialreich  weniger  der  Not- 
wendigkeit, Siedlungskolonien,  tropische  Kolonien  für  die  Beschaffung 
von    kolonialen    Rohprodukten    und  Absatzländer   für  Industrieprodukte 
zu  erwerben,  sondern  wuchs  aus  dem  unglückseligen  Revanchegedanken 
heraus,  das  Land  durch  scheinbar  glänzende  äußere  Politik  über  innere 
Leerheiten   und  Mißhelligkeiten  hinwegzutäuschen.     Daher  der  geringe 
Erfolg  der  französischen  Kolonialpolitik;  trotz  des  glänzenden  Äußeren 
und  der  aufgewandten  Riesenkapitalien.  Anstatt  im  Lande  eine  Industrie  zu 
gründen,  wanderten  Milliarden  nach  Rußland,  um  dieses  gegen  Deutschland 
mobil  zu  machen.    So  spielte  Frankreich  in  den  letzten  Jahren  eine  Rolle,  die 
ihm  in  Wirklichkeit  nicht  zukam,  die  kläglich  erkauft  ist  durch  die  Ver- 
schleuderung des  Nationalvermögens  an  Rußland,  dessen  Millionen  Frank- 
reich seine  eigene   nicht  ausreichende  Bevölkerungszahl  ersetzen  sollten. 
Denn  seit   1872  wuchs  das   festländische   Frankreich    nur  noch  von 
36,1  Mill.  auf  39,3  Mill.  (Deutschland  in  derselben  Zeit  von  40  auf  66 
Mill.,  trotz  der  3  Mill.  Auswanderer!),  nachdem   die  vierzig  Jahre  von 
1831  bis  1876  ihm  noch  einen  Zuwachs  von  5,5  Mill.  gebracht  hatten. 
Fast  zwei  Drittel  des  Zuwachses  entfallen  dabei  auf  Groß -Paris,  das  in 
beängstigendem  Umfange  die  Landesbevölkerung  in  sich  sammelt.  Außer- 
halb Paris  ist  sogar  in  Großstädten  die  Zunahme  minimal,  ja  mehrfach 
in  den  letzten  Jahrzehnten  ist  zeitweise  eine  Abnahme  festgestellt  (Bordeaux, 
Lyon,  Roubaix),  während  die  Kleinstädte  sich  mehr  und  mehr  entvölkern. 
Dementsprechend  machen  die  meisten  Städte  einen  stillen  toten  Ein- 
druck, wodurch  sich  aber  —  namentlich   im  Süden  —  wundervolle  alte 
StädtebilderO  mit  mittelalterlichem  Mauerkranz  (Carcasonne)  bis  in  unsere 
Zeit  gerettet  haben.    Bei  dieser  Gelegenheit  kann  bei  reiferen  Schülern 
ein  Kapitel  über  französische  Baukunst  eingeflochten  werden,  wobei  nament- 
lich die  wunderbare  Gotik  (Reichtum  des  Landes  an  leicht  behaubaren 
Steinen)  mit  ihren  südlichen  Einschlägen  Erwähnung  finden  muß. 

Ein  Land  mit  stillstehender  Bevölkerung  gleicht  einem  barometrischen 
Tief  und  muß  von  allen  Seiten  Bevölkerungsströme  aus  stärker  wachsenden 
Gebieten  anziehen. 


^)  Dazu  kommen  die  zahlreichen  römischen  Amphitheater  und  Aquädukte. 


1 16  XIII.  Das  atlantische  Europa. 

Schob  im  Mittelalter  das  französische  Volkstum  seine  Grenze  ostwärts 
gegen  das  durch  innere  Unruhen  geschwächte  Deutschland  zeitweise  bis 
an  den  Rhein,  so  ist  in  Zukunft  bei  natürlichem  Lauf  der  Dinge  die  um- 
gekehrte Bewegung  eine  Naturnotwendigkeit.  Wie  im  Süden  die  Italiener 
mehr  und  mehr  in  Nizza  und  Savoyen  die  Bevölkerung  durchsetzen,  wird 
im  Norden  das  Deutschtum  nach  Westen  fluten,  bis  zu  den  natürlichen 
Grenzen  zwischen  Frankreich  und  Deutschland,  die  durch  die  Sichel- 
berge, die  Argonnen  und  die  Höhen  von  Artois  bedingt  werden.  So  ge- 
hören 31000  km-  der  Fläche  Frankreichs  mit  4,2  Millionen  Einwohnern 
eigentlich  zu  Mitteleuropa,  und  zwar  zum  Rhein-Maas-Gebiet,  dessen  Eisen- 
und  Kohlenreichtum  sie  teilen. 

Es  ist  die  Tragik  in  der  augenblicklichen  Lage  Europas,  daß  die  Fran- 
zosen, deren  Zahl  von  beinahe  40  Mill.  (1911)  auf  nicht  ganz  36  Mill. 
zurückgegangen  sein  dürfte^),  die  anscheinend  jährlich  um  400000  Seelen 
abnehmen  und  ihr  riesiges,  noch  um  Kamerun  und  Togo  vergrößertes 
Kolonialreich  nicht  wirtschaftlich  zu  erschließen  vermögen,  sondern  es 
nur  als  Auffüllmaterial  ihrer  schwarzen  Armee  benutzen,  mit  ihrem 
wahnsinnigen  Haß  den  Westen  Europas  zurzeit  beherrschen  und  nicht  zur 
Ruhe  kommen  lassen.  Daß  aber  auch  die  augenblickliche  englische  Regierung 
diese  Kulturfrevel  duldet,  ist  bei  der  derzeitigen  Lage  Englands  in  Asien 
und  Afrika  eine  Kurzsichtigkeit,  die  sich  einmal  schwer  rächen  dürfte. 

Die  Britischen  Inseln. 

Großbritannien  umfaßt  315000  km-,  von  denen  ein  gutes  Drittel 
auf  das  Gebirgsland,  die  Trümmer  eines  alten  erzreichen  Faltengebirges, 
der  Rest  auf  Hügelland  und  Flachland  entfällt.  Schwemmebenen  finden 
wir  nur  in  der  Umgebung  des  Wash  und  am  unteren  Trent.  Das  Gebirgs- 
land ist  über  Südengland  und  Irland  unregelmäßig  zerstreut,  bildet  aber 
in  Wales,  Nordengland  (Penninisches  Gebirge)  und  Schottland  große  zu- 
sammenhängende Hochflächen  mit  tief  eingeschnittenen  Tälern  und  ver- 
einzelten Kuppen,  die  bis  ins  Frühjahr  verschneit  sind  (Ben  Nevis  und 
Snowdon),  obwohl  sie  an  Höhe  den  Brocken  nur  wenig  übertreffen.  Bei 
dem  kühlen,  regenreichen  Klima  ist  der  größte  Teil  des  Gebirgslandes  von 
Mooren  (Dartmoor  und  Exmoor  in  Cornwallis)  und  Heiden  bedeckt,  die 
19*^/0  der  Gesamtfläche  der  Inseln  einnehmen,  in  Schottland  sogar  bei- 
nahe die  Hälfte.  Zahlreiche  Moränenseen  stammen  aus  der  Eiszeit,  in  der 
fast  das  gesamte  Inselgebiet  vergletschert  war. 

Erst  nach  der  Eiszeit  wurden  die  Britischen  Inseln  durch 
große  Landsenkungen  von  dem  Kontinent  getrennt  (die  Nordsee 
ist  die  überflutete  Fortsetzung  des  norddeutschen  Flachlandes),  wobei  die 
Überfülle  guter  und  tiefer  Häfen  (untergetauchte  Flußtäler)  entstand,  die 


')  Aus  dem  gewaltigen  Anwachsen  vieler  Städte  während  der  Kriegszeit 
(Marseille  wuchs  auf  950000,  Lyon  750000,  Bordeaux  450000,  Toulouse  210000, 
Brest  190000)  dürfen  wir  keinen  Fehlschluß  ziehen,  da  dieses  zum  Teil  durch 
Flüchtlinge  aus  dem  besetzten  Norden,  zum  Teil  durch  die  Kriegsindustrie  und 
den  Ausbau  der  Häfen  für  das  Landen  der  nichtfranzösischen  Hilfsheere  zu 
erklären  ist  und  nur  vorübergehend  sein  wird. 


Klima  und  Pflanzendecke. 


117 


von  größter  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der  Fischerei  und  des  Handels 
wurde.  Während  aber  in  den  aus  harten  Gesteinen  bestehenden  westlichen 
Teilen  die  Häfen  erhalten  blieben,  wurden  die  Küsten  des  Ostens,  die  meist  aus 
weicher  Kreide  bestehen,  begradigt  (vgl.  Hinterpommern)  und  bilden  kilo- 
meterlange, aus  weißer  Kreide  bestehende  Steilränder,  die  noch  heute  ständig 
abbröckeln  (Flamborough-Head,  Folkestone,  Wight).    Die  größeren  Flüsse 


Wald 


,    1                    ll 
l  *    Wiese    ■ 

1            und' 

°    Parklapd . 

■.'  i_  ■' 
■  .o/ 
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.••,■<.■.. 

1 

Klima  und  Pflanzendecke. 

Das  überaus  regenreiche  KHma  bedingt  die  üppigen  Wiesenf  lächep, 
die  fast  52%  der  Fläche  bedecken  und  für  die  englische  Parklandschaft 
bezeichnend  sind.  Bei  dem  Vorherrschen  des  Großgrundbesitzes  über- 
wiegt die  Zucht  von 
edlen  Pferderassen, 
während  der  Bestand 
an  Hornvieh  trotz 
der  weit  ausgedehn- 
teren Wiesenfläche 
nur  die  Hälfte  des 
deutschen  beträgt. 
Die  Heideflächen 
der  Gebirge  (die 
Highlands)  beher- 
bergen aber  einen 
den  deutschen  um 
das  Doppelte  über- 
treffenden Bestand 
an  Schafen  und  Zie- 
gen (vgl.  Lüne- 
burger Heide), 
der  die  große  Woll- 
industrie bedingt.  Überaus  milde  ist  die  Küste  des  Südwestens,  vor 
allem  in  Cornwallis,  wo  sogar  Palmen  im  Freien  gedeihen  (Torquay). 

Nur  4  Prozent  des  Landes  werden  von  Wald  (zumeist  Parks  der  Herren- 
sitze) bedeckt,  der  hainartig  auftritt,  ohne  größere  Bestände  zu  bilden,  und 
während  des  Weltkrieges  zur  Hälfte  gerodet  wurde,  um  Grubenholz 
zu  schaffen. 

Nur  ein  Viertel  der  Fläche  war  bis  zum  Kriege  Ackerland.  Da  jedoch 
die  an  sich  guten  Böden  des  Flach-  und  Hügellandes  wegen  der  übergroßen 
Regenmenge  (vgl.  die  Marschen)  als  Getreideland  ausscheiden,  so  gewinnt 
nur  östlich  der  Linie  Hull-Portsmouth  der  Ackerbau  größere  Bedeutung. 
Mit  Mooren  sind  25000  km-  bedeckt,  davon  10000  in  Irland. 

Geschichtlicher  Überblick  und  Wirtschaftsleben. 

Schon  im  Altertum  besuchten  phönikische  Seefahrer  die  erzreichen  Küsten 

von  Cornwallis.  Mit  Cäsars  Landung  begann  die  Eroberung  des  Landes 

durch  die  Römer,  die  ihre  Kastra  (Manchester,  Worcester,  Chester  u.a.) 

und  Kolonien  (Lincoln  vgl.  Köln)  jedoch  nur  im  Südosten  anlegten,  Wales 


W/M  t^oor  u.»is\d9  ^^-   SfeilküsfefMeisrKreidel 
',.".,  Wiese  0    Kohlenlager 

•■■■:•■  Ackerbau  ■■■■'"■■  Schichfsfufen 

30.  Britische  Inseln. 


1  18  XIII.  Das  atlantische  Europa. 

mieden  und  gegen  Schottland  den  Pictenwall  mit  Newcastle  errichteten. 
In  diesen  Teilen  und  Irland  hielt  sich  die  keltische  Urbevölkerung  mit  ihren 
eigenartigen  Namen. 

Das  Mittelalter  bringt  die  germanische  Ein  Wanderung.  Im  Norden 
wandern  Norweger  ein  (firth  =  fjord),  im  Süden  Angelsachsen  (Norfolk, 
Suffolk,  Essex,  Sussex,  wich  =  vicus,  town  =  zäun,  borough  =  bürg,  ham 
=  heim).  Es  enwickelt  sich  die  wundervolle  normannische  Gotik,  besonders 
zur  Zeit  des  Hauses  Anjou  (Angers),  wo  England  in  Beziehungen  zu  Frank- 
reich (Bretagne)  tritt.  Nach  Niederschlagung  langwieriger  innerer  Aufstände 
kräftigt  sich  das  Land  unter  der  jungfräulichen  Königin  Elisabeth,  macht 
sich  nach  Besiegung  der  spanischen  (1588  Armada)  und  holländischen 
(1653)  Flotten  zur  Herrin  der  See,  um  1798  (Abukir)  und  1809  (Trafalgar) 
auch  den  letzten  Nebenbuhler,  Frankreich,  zu  verdrängen. 

Die  erste  Hälfte  des  1  9.  Jahrhunderts  ist  für  England  eine  Zeit 
riesiger  industrieller  Entwicklung,  da  es,  nicht  gestört  durch  die 
Kämpfe  des  festländischen  Europas,  seine  Insellage  gut  ausnutzt.  Sie  be- 
ginnt mit  der  Erfindung  der  Dampfmaschine  und  wird  durch  den  Reich- 
tum an  Kohlen  und  Eisen  stark  gefördert. 

Namentlich  zu  beiden  Seiten  des  Penninischen  Gebirges  in  Süd-Wales, 
in  der  schottischen  Senke  und  dem  Kohlenbecken  des  Tyne  entstehen 
riesige  Industriegebiete.  Das  nach  Amerika  zu  gelegene  Lancashire  ver- 
spinnt besonders  Baumwolle  (Manchester),  der  Osten  Schafwolle  und 
Flachs  (Yorkshire,  Leicester,  Leeds,  Nottingham),  die  Stahlindustrie  hat  ihre 
Hauptsitze  in  der  Umgebung  von  Birmingham  und  Sheffield,  während 
Stoke  sich  ein  Monopol  für  Töpfereiwaren  (The  Potteries)  erwirbt.  Ge- 
waltigen Schiffbau  betreiben  die  den  holzreichen  Ländern  Nordeuropas 
gegenüberliegenden  Kohlengebiete  der  Nordseeküste  (Hartlepool,  New- 
castle und  Sunderland);  kanadisches  Holz  bedingt  den  Schiffbau  von 
Glasgow  und  Belfast,  während  sich  Süd -Wales  besonders  auf  Kohlen- 
export wirft,  wodurch  die  Cardiffkohle  Weltruf  bekommt.  Groß  ist  aber 
auch  in  den  übrigen  Küstenstädten  die  Industrie,  vor  allem  in  Groß-London, 
dem  Herz  des  britischen  Imperiums. 

Im  Jahre  1870  betrug  Englands  Handel  11  Milliarden  (5  in  Frankreich 
und  der  Union,  3,7  in  Deutschland).  Es  förderte  60  7o  der  auf  der  Erde 
gewonnenen  Kohlen,  48 "/o  des  gesamten  Roheisens  und  verarbeitete  50°/o 
der  Baumwolle. 

Die  letzten  vier  Jahrzehnte  haben  das  Bild  gewaltig  ver- 
schoben. Englands  Handel  wuchs  zwar  auf  25  Milliarden  an,  aber 
Deutschland  und  die  Union  sind  ihm  mit  18  bzw.  14  Milliarden  bedenklich 
nahegerückt.  Sein  Anteil  an  der  Kohlenförderung  fiel  auf  26 "/o;  über- 
flügelt von  der  Union  und  beinahe  erreicht  von  Deutschland,  wäre  der 
relative  Rückgang  noch  größer  gewesen,  weim  seine  Lager  nicht  so  un- 
gewöhnlich günstig  für  den  Transport  lägen.  Gewaltig  ist  dagegen  seine 
Roheisenförderung  (U  Mill.  kg)  von  Deutschland  (15)  und  der  Union 
(27)  überflügelt,  so  daß  sein  Anteil  auf  16"/o  sank.  Auch  im  Baumwoll- 
verbrauch wurde  es  von  der  Union  überflügelt,  und  sein  in  London  zen- 
tralisiertes Eisenbahnnetz  ist  kleiner  als  das  amerikanische,  russische  und 


Geschichtlicher  Überblick  und  Wirtschaftsleben. 


deutsche,  überragt  jedoch  noch  die  anderen  europäischen  Staaten  durch 
die  Zahl  der  Güterwagen  (800000  gegen  600000  in  Deutschland).  Einzig- 
artig war  dagegen  bis  zum  Weltkriege  seine  Stellung  im  Schiffbau,  der 
Hochseefischerei  und  dem  Kabelverkehr,  besaß  es  doch  250000  von  den 
480000  km  Kabellänge!  Trotzdem  die  britische  Flagge  mehr  und  mehr 
von  der  deutschen  eingeholt  wurde,  überragte  doch  der  Verkehr  der  eng- 
lischen Häfen  bei  weitem  den  der  deutschen  und  belief  sich  auf  135 
(gegen  45)  Millionen.  Dem  deutschen  Hamburg  (mit  Vorhäfen  31,3  Mil- 
lionen Tonnen  und  einem  Zuwachs  von  80  "/o  von  1902 — 1912)  standen 
die  Riesenhäfen  London  (38-f  24«/o),  Liverpool  (28  +  50ö/o),  Cardiff 
(23  +  2-2%)  und  die  Tynehäfen  (22  +  31%)  mit  ihrer  allerdings  ge- 
ringeren Steigerung  gegenüber.  Im  Jahre  1911  finden  wir  44 "/o  der 
Erwerbstätigen  in  der  Industrie,  23*^/o  im  Handel  und  nur  12^/o  in  der 
Landwirtschaft,  denn  die  Industriealisierung  des  Landes  bedingt  ein  starkes 
Abströmen  der  landwirtschaftlichen  Bevölkerung  in  die  Städte  0,  ein  Zu- 
rückgehen der  Landwirtschaft  und  damit  die  Notwendigkeit,  Fleisch  und 
Getreide  aus  dem  Auslande  einzuführen.  Zugleich  verlangt  die  Industrie 
eine  Einfuhr  von  Rohmaterialien  gegen  Ausfuhr  von  industriellen  Er- 
zeugnissen. Von  immer  größerem  Umfange  werden  auch  tropische  Pro- 
dukte (Reis,  Bananen,  Palmkerne,  Zucker,  Tee,  Kaffee,  Kakao)  zur  Er- 
nährung herangezogen,  so  daß  England  in  ganz  anderem  Umfange  als 
andere  Staaten  auf  die  Kolonien  angewiesen  ist. 

Die  wichtigste  Kolonie  ist  nach  dem  Abfall  Nordamerikas  Indien  ge- 
worden, welches  zwei  Drittel  der  Einwohnerzahl  des  Imperiums  umfaßt. 
Den  Seeweg  nach  Indien  zu  sichern,  gilt  als  höchstes  Ziel  englischer 
Politik.  Gibraltar  wird  1704  besetzt  und  damit  der  Zugang  zum  Mittel- 
meer, 1800  Malta,  1832  Aden,  1878  Cypern  und  1898  Ägypten  mit 
dem  Suezkanal,  den  Bismarck  treffend  das  »Genick  der  Welt«   nannte. 

Das  Abdrängen  Rußlands  von  Konstantinopel,  das  den  Krimkrieg  zur 
Folge  hatte,  das  Wegdrängen  Frankreichs  vom  oberen  Nil  (Faschoda  1898) 
und  endlich  das  Absperren  Deutschlands  vom  Persischen  Golf  sind  nur 
Episoden  in  dem  Bestreben,  einen  geschlossenen  Landring  um  den  Indi- 
schen Ozean  zur  Sicherung  Indiens,  des  edelsten  »Diamanten  in  der 
englischen  Krone«  zu  schaffen,  wobei  auch  der  russische  Einfluß  aus  Süd- 
persien verdrängt  werden  mußte. 

Aber  auch  die  afrikanischen  Kolonien"-)  und  die  Inseln  des  Indischen 
Ozeans  sind  ursprünglich  nur  Etappenorte  für  den  Weg  nach  Indien,  die 
erst  später  zu  größeren  Pflanzungskolonien  ausgebaut  wurden.  Daneben 
sind  Kanada,  Australien  und  Südafrika  wichtige  Siedlungskolonien, 
die  das  Mutterland  mit  Getreide,  Fleisch  und  Gold  versorgen  und  auch 
im  Weltkriege  ein  wichtiges  Truppenkontingent  stellten. 

Wir  gliedern  das  Land  in  die  großen  Industriegebiete,  das  südöst- 
liche Flachland,  die  Gebirgslandschaften  und  Irland. 


0  Von  100  Engländern  wohnen  60  in  Städten  mit  mehr  als  30000  Einw. 
(34  in  Deutschland!). 

-)  Man  beachte  bei  Afrika  die  Teilung  in  einen  englischen  Osten  und 
einen  französischen  Nordwesten  (Vergleich  mit  der  spanisch -portugiesischen 
Demarkationslinie). 


120  XIII.  Das  atlantische  Europa. 

Einzellandschaften. 

Die  größte  Industriestadt  des  Landes  ist  London,  das  Herz  des  eng- 
lischen Weltreiches  und  im  Mittelpunkt  der  Landhalbkugel  gelegen  (Zufall?). 
Mit  seiner  Umgebung  umfaßt  es  1800  km"-  mit  7  400000  Einw.  und  war 
bis  vor  kurzem  die  größte  Stadt  der  Erde  (1916  von  New  York  über- 
flügelt). Die  Haupthäfen  sind  die  weltberühmten  Docks,  die  neueren  Vor- 
häfen ziehen  sich  themseabwärts  bis  Erith,  Gravesend  und  Southend. 

Ein  zweites  wichtiges  Industriegebiet  liegt  in  Süd-Wales,  die  Graf- 
schaften Glamorgan  und  Monmouth  umfassend,  die  fast  ausschließlich 
Kohlenbergbau  betreiben  und  auf  3500  km-  1,5  Millionen  Menschen 
(Dichte  440  auf  das  Quadratkilometer)  ernähren.  Cardiff  ist  der  größte 
Steinkohlenhafen  der  Erde,  Swansea  besitzt  großartige  Kupferhütten.  Mittel- 
punkt des  Bergbaus  ist  Rhondda. 

Tag  und  Nacht  liegt  eine  dunkle  Rauchwolke  über  dem  mittelenglischen 
Industriegebiet,  dem  »Blak  country«  mit  seinen  entsetzlich  mono- 
tonen Ziegelsteinhäusern,  die  sich  kastenartig  aneinanderreihen  und  nur 
in  den  Zentren  der  größeren  Städte  für  wenige  öffentliche  Gebäude  Platz 
lassen.  Auf  25100  km-  siedeln  hier  über  13  Millionen,  die  Dichte  steigt 
auf  500,  und  25  Städte  zählen  mehr  als  100000  Einwohner. 

Das  Zentrum  der  englischen  Eisen-  und  Maschinenindustrie  befindet 
sich  in  Birmingham  (l  080000  Einwohner),  in  dessen  Umgebung  weitere 
500000  Menschen  siedeln.  Nottingham  und  Leicester  sind  Hauptsitze 
der  Seidenindustrie  und  Garnweberei,  Stoke  der  Töpferei. 

Lancashire  ist  der  Sitz  riesiger  Baumwollspinnerei,  die  ihren  Mittel- 
punkt in  Manchester-Salford  (1  Million,  mit  Umgebung  über  2  Millionen) 
hat,  das  durch  einen  Seekanal  mit  Liverpool-Birkenhead  (l  100000)  ver- 
bunden ist,  dessen  Docks  sich  in  10  km  Länge  an  den  Ufern  des  Mersey 
ausdehnen.  Außer  diesen  Riesenstädten  zählen  wir  neun  weitere  Groß- 
städte in  der  Grafschaft.  Am  Ostabhange  des  Penninischen  Gebirges 
siedelt  über  1  Million  in  der  Umgebung  von  Leeds  (500)  und  Bradford, 
den  Mittelpunkten  des  Textilgewerbes,  während  Sheffield  (600)  durch 
Stahlindustrie  weltbekannt  ist. 

Ein  weiteres  Industriegebiet  (Tynegebict)  erstreckt  sich  zwischen  den 
Flüssen  Tyne  und  Tees  (2400  km"'  mit  2  Mill.  Einw.,  Dichte  840).  Die 
Vororte  von  Newcastle  (750000  Einw.)  ziehen  sich  flußabwärts  bis  zur 
See  und  sind  Sitze  eines  gewaltigen  Schiffbaues  (Armstrong)  und  riesiger 
Steinkohlenförderung.  Sunderland  und  Hartlepool  sind  ebenfalls  Mittel- 
punkte des  Schiffbaues,  während  Middlesborough  große  Hochöfen  besitzt. 

Die  mittelschottische  Senke  hat  11000  km"-  mit  3,3  Mill.  Einw. 
(D.  =  300).  Zentrum  des  Kohlenbergbaus  und  des  Schiffbaus  ist  Glas- 
gow (1  Mill.  Einw.),  während  das  wundervoll  gelegene  Edinburg  (420) 
der  Hauptsitz  der  Behcirden  ist,  daneben  aber  Eisenindustrie  und  Fischerei 
(Vorstadt  Leitli)  treibt.  Am  Firth  of  Fortli  finden  wir  auch  den  neuen 
Kriegsliafen  Rosyth,  den  ersten  zielbewußt  gegen  Deutschland  orientierten 
Kriegshafcn,  während  die  übrigen  älteren  Frankreich  gegenüber  an  der 
Kanalküste  liegen !  Insgesamt  entfallen  auf  diese  Industriegebiete  44000  km'-' 
niit  27  Millionen  Einwohnern,  d.  h.  14'7o  i-icr  Fläche,  aber  60 "/o  der 
Einwohnerzahl  des  Königreichs. 


Einzellandschaften.  121 


Das  südöstliche  Flachland  (78000  km-  mit  10  Miil.Einw.,D.--  130) 
ist  zumeist  eine  liebliche  Park-  und  Wiesenlandschaft  von  sanften  Hügeln  0 
(Downs,  Cotswold  Hills,  York  Wolds)  durchzogen.  Die  Ackerfläche 
steigt  in  den  östlichsten  Grafschaften  auf  mehr  als  50  "/o,  besonders  aus 
gedehnt  ist  das  Ackerland  in  dem  entwässerten  Sumpfgebiet  im  Süden 
des  Wash.  Zahlreiche  Burgen  und  wundervolle  Kirchen  geben  den 
kleineren  Siedlungen  manch  prächtiges  Städtebild  (Windsor,  Salisbury, 
Canterbury),  doch   dehnt  sich  auch  hier  die  Industrie  immer  mehr  aus. 

Die  Südküste  mit  ihren  weißen  Kreidefelsen  und  großen  Rasenflächen 
ist  der  Sitz  eines  großartig  entwickelten  Badelebens,  vor  allem  in  dem 
Weltbade  Brighton  (173000)  und  auf  der  Insel  Wight.  Portsmouth 
(265000)  ist  der  erste  englische  Kriegshafen,  Southampton  (119000)  ein 
wichtiger  Handelshafen. 

Auch  die  Ostküste  ist  reich  an  Badeorten,  an  deren  Spitze  der 
Fischereihafen  Great-Jarmouth  steht.  Dover,  Harwich  und  Ipswich  sind 
wichtige  Fährhäfen  nach  dem  Kontinent,  Chatham  ist  der  dritte  englische 
Kriegshafen  mit  großen  Arsenalen.  Hüll  vermittelt  den  skandinavischen 
Verkehr  (Holzeinfuhr)  mit  seinem  Vorhafen  Grimsby  (Fischerei).  An  der 
Westküste  blüht  Bristol  durch  Verkehr  mit  Amerika. 

Im  Inneren  ist  das  stille  Norwich  die  größte  Siedlung.  Von  Bedeutung 
sind  auch  die  Universitäten  Oxford  und  Cambridge,  der  Badeort  Bath  und 
die  alte  Bischofstadt  York. 

An  der  hafenreichen  Küste  zahlreiche  Fischereihäfen,  dazu  an  der  Kanal- 
küste viele  Winterkurorte  (englische  Riviera),  so  daß  bei  12000  km^  und 
1,2  Millionen  Einwohnern  die  Dichte  auf  100  steigt.  Die  wichtigste 
Siedlung  ist  der  Kriegshafen  Plymouth;  vom  Kap  Landsend  gehen  wichtige 
Kabellinien  aus. 

Das  Walliser  Bergland  ist  meist  mit  Moor  und  Heide  bedeckt,  nur 
in  den  geschützten  Tälern  finden  wir  parkartigen  Wald.  Auf  21000  km- 
siedeln  1,2  Millionen  Einwohner,  am  dichtesten  an  der  hafenreichen  Küste, 
die  auf  der  Nordseite  auch  zahlreiche  Badeorte  (Bangor)  aufweist.  Zwei 
gewaltige  Brücken  verbinden  Wales  mit  Anglesey,  von  dessen  Haupthafen 
Holyhead  der  Trajekt  nach  Dublin  führt. 

Das  nordenglisch-schottische  Bergland  umfaßt  das  Penninische 
Gebirge,  das  Cumberlandgebirge  mit  seinen  lieblichen  Seen,  die  Cheviot- 
berge, das  südschottische  Bergland,  die  Grampians  und  nördlich  des 
Caledonischen  Kanales  die  nordschottischen  Hochlande,  große,  meist  mit 
Moor  und  Heide  und  Schafweiden  bedeckte  Hochflächen  mit  tief  ein- 
geschnittenen Tälern  und  reizvollen  Moränenseen,  den  »Lochs«.  Auf 
80000  km-  siedeln  nur  2,1  Millionen  (D.  -  26),  vor  allem  in  den  kleinen 
Tiefebenen  des  Tweed,  Eden  und  dem  gegen  Westwinde  geschützten 
Hügelland,  im  Osten  der  Grampians,  wo  das  Ackerland  auf  40%  steigt 
und  der  Flachsanbau  Leinwandindustrie  (Dundee)  bedingt.  Zumeist  ernährt 
sich  die  Bevölkerung  von  Fischfang,  den  die  zahlreichen  Häfen  begünstigen, 
und  Schiffbau   (Aberdeen   und   Barrow).     Die  größten  Siedlungen  sind 


^)  Diese  Hügel  sind  Ränder  einer  nach  SW  abfallenden  Sandsteintafel  und 
kehren  ihren  Steilrand  gegen  NO  (vgl.  Süddeutscher  Jura), 


122  XIII.  Das  atlantische  Europa. 


Dundee,  Aberdeen,  Barrow  und  der  Eisenbahnknoten  Carlisle.  Inverneß 
ist  ein  Mittelpunkt  des  Fremdenverkehrs.  Zum  schottischen  Berglande 
gehören  auch  dieHebriden,  die  Orkneyinseln  und  Shetlandinseln 
mit  ihren  wundervollen  Häfen,  an  denen  zahlreiche  Fischerstädtchen 
liegen.  Auf  Orkney  liegt  der  im  Weltkriege  bekanntgewordene  Hafen 
von  Kirkwall  und  die  dem  Jadebusen  an  Größe  gleichende  Bucht  von 
Scapa  Flow,  die  Englands  Hochseeflotte  beherbergte  und  das  Grab  der 
deutschen  wurde. 

'Irland,  die  grüne  Insel,  ist  ein  Tiefland,  aus  dem  sich  zahlreiche  Hügel- 
züge erheben.  Das  namentlich  im  Westen  an  Niederschlägen  überreiche 
Land  ist  meist  mit  Moor  (IO^/q!)  und  Wiesen  bedeckt.  Nur  3  7o  der 
Fläche  sind  Wald;  der  Ackerbau  leidet  im  Westen  unter  den  starken 
Niederschlägen,  steigt  jedoch  im  Nordosten  auf  mehr  als  30  /q  (viel 
Flachs  und  Kartoffeln,  Leinwandindustrie  in  Belfast  und  Londonderry). 
Das  fruchtbare  Land  mit  seinen  zahllosen  Häfen  ist  der  natürliche  Ver- 
mittler des  Verkehrs  zwischen  Europa  und  Nordamerika  und  umfaßte  auf 
84000  km-  1840  über  8  Millionen  Einwohner  (30°/,,  der  Britischen 
Inseln).  Dublin,  Belfast,  Cork  und  Limerick  gehörten  zu  den  größten 
Städten  Europas  mit  blühendem  Handel.  Seitdem  hat  England  das  Volk 
systematisch  unterdrückt  und  den  Handel  über  englische  Häfen  geleitet, 
ja  während  der  Hungersnöte  noch  Getreide,  Kartoffeln  und  Fleisch  nach 
England  ausgeführt.  So  ist  die  Bevölkerung  des  Landes  auf  4,4  Millionen 
zurückgegangen,  und  von  den  Städten  weisen  neben  dem  langsam  wachsenden 
Dublin  nur  Belfast  (Leinwandindustrie  und  Schiffbau)  und  Londonderry 
als  Ausleger  des  schottischen  Industriebezirkes  ein  größeres 
Wachstum  auf.  Großstädte  sind  Dublin  und  Belfast,  während  Cork  in 
den  letzten  vierzig  Jahren  von  114000  auf  77  000  Einwohner  zurück- 
ging. Bis  auf  Ulster  mit  starker  englisch-schottischer  Einwanderung  (Ulster- 
frage) ist  die  Bevölkerung  katholisch.  Daß  Irland  heute  in  hellen  Flammen 
steht,  ist  typisch  für  die  Phrase  von  der  >  Selbstbestimmung«  der  Völker. 


Skandinavien. 

Unter  Skandinavien  verstehen  wir  die  drei  nordischen  Königreiche 
Schweden,  Norwegen  und  Dänemark  mit  810000  km-,  aber  nur  11  Mill. 
Einwohnern.  Das  Rückgrat  Skandinaviens  bildet  das  gewaltige  Hochgebirge 
der  Skandinavischen  Alpen,  welches  sich  vom  Kap  Lindenäs  bis  zum  Nord- 
kap erstreckt  und  gegen  den  Atlantischen  Ozean  steil  abfällt,  sich  dagegen 
allmählich  nach  der  Ostsee  zu  abdacht.  Im  Gegensatz  zu  den  Alpen  fehlen 
(wie  in  den  schottischen  Gebirgen,  deren  Fortsetzung  es  ist)  langgestreckte 
parallele  Kämme  und  zwischen  den  steilen,  im  Westen  als  Fjorde  unter 
das  Meer  getauchten  Tälern  mit  ihrem  durch  die  Warmwasserheizung  des 
Golfstroms  überaus  milden  Klima  finden  wir  bis  in  den  Hochsommer  mit 
Schnee  bedeckte  Hochflächen  (Fjclds).  Diese  werden  nur  vereinzelt  von 
höheren  Gipfeln  überragt,  in  denen  die  Halbinsel  nn't  2500  m  ihre  größten 
Erhebungen  erreicht. 


Allgemeiner  Überblick. 


123 


Allgemeiner  Überblick. 
Die  Skandinavischen  Alpen  umfassen  380000  km-,  von  denen  über 
300000  auf  Ödland  entfallen,  während  Waldbestände  sich  nur  in  den 
tieferen,  geschützten  Tälern  finden  (in  Norwegen,  das  fast  ausschließlich 
im  Gebirge  lieg-t,  sind  707o  Ödland,  22<';oWald,  7%  Wiese  und  Weide 
und  nur  0,8%  Ackerland),  im  südnorwegischen  Gebirgsland  finden 
wir  noch  größere  Wälder,  in  den  Tälern  noch  ausgedehnte  Wiesenwirtschaft 
und  einigen  Ackerbau.  In  großem  Umfange  werden  die  Kräfte  der  großen 
Wasserfälle  (1911  von 
7,5  Millionen  127o)aus- 
genutzt  (Norgesalpeter). 
In  J  ö  t  u  n  h  e  i  m  (Riesen- 
land), dem  Gebiete  zwi- 
schen Sognefjord  und 
dem  oberen  Glomtal, 
liegen  die  größten  Firn- 
felder Europas  und  die 
höchsten  Gipfel  der 
Halbinsel,  vor  allem  die 
Schneepyramide  des 
Glittertind  (Glitzerzin- 
ne). Nördlich  desTrond- 
jemfjords  beginnt  das 
Nordland.  Wald  und 
Wiese  treten  zurück, 
und  die  von  den  Eis- 
feldern der  Hochflächen 
(den  Bräen^^Brei)  sich 
herabsenkenden  Glet- 
scherzungen münden 
nördlich     des     Polar - 


Eiche 


Skandinavien. 


kreises  in  die  mit  weißlichem  Gletscherwasser  angefüllten  Fjorde.  Der 
größte  Teil  der  Bevölkerung  nährt  sich  von  gewaltigem  Fischfang,  im  Inneren 
siedeln  die  Lappen  mit  ihren  Renntierherden  und  Finnen  (zusammen  60  000). 

Die  östliche  Abdachung  des  Hochgebirges  bildet  das  schwedische  Nord- 
land mit  150000  km'\  Unermeßlich  dehnen  sich  die  riesigen  Nadelholz- 
und  Birkenwälder,  und  die  an  Wasserfällen  überreichen  Flüsse  sind  von 
kilometerlangen  Holzflößen  bedeckt.  Wirtschaftlich  bedeutungsvoll  sind 
die  unerschöpflichen  Eisenerzlager,  vor  allem  der  Erzberg  von  Gellivare. 

Der  wirtschaftliche  Schwerpunkt  der  Halbinsel  liegt  in  Mittelskandi- 
navien, welches  die  schwedischen  Landschaften  Gotland,  Swealand  und 
Smaland,  sowie  das  südnorwegische  Hügelland  um  Kristiania  umfaßt 
(210000  km-,  davon  HVo  Ackerland),  zumeist  Felsgebiet,  von  den  Eiszeit- 
gletschern abgeschliffen,  aber  in  den  Senken  der  Seen  auch  von  Sand-  und 
Tonböden  überdeckt.  An  den  Küsten  überragen  die  zahllosen  Fels- 
kuppen als  Schären  das  Wasser.  Im  Norden  überwiegt  Nadelwald,  die 
Landschaft  Smaland  erinnert  mit  ihren  eingestreuten  Laubholzbeständen 
schon  an  Mitteleuropa;  in  der  Umgebung  der  Seen  Ackerland,  dazu  viel 


124  XIII.  Das  atlantische  Europa. 

Viehzucht.  Von  den  gewaltigen  Wasserkräften  Schwedens  (6,8  MilHonen 
Pferdestärken)  sind  1 3  %  ausgenutzt,  vor  allem  die  Trollhättafälle.  Vor  allem 
ist  die  aufblühende  mittelschwedische  Eisenindustrie  (Örebro 
und  Eskilstuna)  bei  dem  Mangel  des  Landes  an  Kohlen  in  Zukunft  mehr 
auf  die  Wasserkraft  angewiesen;  sogar  die  Versorgung  Dänemarks  mit 
schwedischer  Elektrizität  ist  geplant.  Gewaltig  ist  auch  die  Holzausfuhr, 
vor  allem  in  der  Umgebung  des  Kristianiafjords. 

Flache  mit  Weizen  und  Zuckerrüben  angebaute  fruchtbare  Ackerländer 
mit  Buchenwäldern  kennzeichnen  Schonen  (15000  km-),  dessen  Land- 
schaft an  Dänemark  und  den  Baltischen  Höhenrücken  erinnert.  Lediglich 
durch  die  rot  angestrichenen  Holzhäuser  (in  Schweden  und  Norwegen 
überwiegt  das  Holzhaus  bis  auf  die  Zentren  der  großen  Städte  Stockholm, 
Gotenburg,  Kristiania,  Malmö,  Bergen  und  Norköping)  mit  ihrem  Stroh- 
dach zeigt  es  sich  als  schwedisches  Land. 

Die  Dänischen  Inseln  mit  Jütland  sind  mit  ihren  aufgeschütteten 
Moränenböden  die  natürliche  Fortsetzung  Schönens  und  von  ihm  erst 
nach  der  Eiszeit  durch  Meeresüberflutungen  getrennt,  wodurch  der  Sund 
und  die  Belte  (untergetauchte  Flußtäler,  vgl.  Bosporus)  entstanden  und 
aus  den  Tälern  Förden  wurden.  Die  Inseln  und  Ostjütland  weisen  neben 
viel  Ackerland  (43%)  und  Wiesen  wundervolle  Buchenwälder  (8%)  auf. 
Der  Westen  Jütlands  ist  dagegen  eine  mit  Heiden  bedeckte  Sandebene, 
durch  einen  großen  Dünenwall  gegen  die  Nordsee  begrenzt.  Die  gewaltige 
dänische  Viehzucht  versorgt  vor  allem  England  und  Deutschland  mit  Fleisch, 
Butter  und  Käse. 

Skandinavien  bildete  unter  Knut  dem  Großen  ein  mächtiges  Reich, 
das  sogar  den  Osten  der  Britischen  Inseln  als  Kolonialland  umfaßte.  In 
der  späteren,  in  den  Einzelheiten  sehr  verwickelten,  Geschichte  halten  die 
am  Atlantischen  Ozean  gelegenen  Teile  (Norwegen  und  Dänemark)  zu- 
sammen, während  das  ostwärts  orientierte  Schweden  sich  zeitweise  bis 
Finnland  und  den  russischen  Ostseeprovinzen  ausdehnte  als  »Ostseemacht«. 
Viel  gekämpft  wurde  um  Schönens  Ackerböden  (nordisches  Sizilien). 

Erst  vor  hundert  Jahren  trennten  sich  Norwegen  und  Dänemark,  die 
noch  heute  sprachlich  eng  verwandt  sind,  und  bis  1905  waren  Schweden 
und  Norwegen  durch  Personalunion  vereint,  die  aber  den  verschieden- 
artigen Interessen  wenig  entsprach.  Lange  Zeit  drohte  der  nordskandi- 
navischen Küste  (vgl.  die  langen  >  Fühlhörner  «,  die  Finnland  nach  Westen 
schiebt)  die  russische  Gefahr,  da  Rußland  eine  größere  eisfreie  Küste 
brauchte.    Diese  kann  zur  Zeit  aber  als  überwunden  betrachtet  werden. 

Wie  aus  den  vorhergehenden  Zeilen  ersichtlich,  ist  Norwegen  das 
Land  des  Fischfangs  und  des  Handels,  Schweden  das  der  Holz- 
ausfuhr und  Eisenindustrie;  in  Dänemark  überwiegen  Acker- 
bau und  Viehzucht.  Wichtig  wird  in  Zukunft  der  für  Seeschiffe  er- 
weiterte Götakanal  (zwischen  Gotenburg  und  Stockholm)  werden,  der 
durch  Einrichtung  von  Fähren  zu  einem  Verkehrswege  zwischen  England 
(Huli)  und  Finnland  ausgebaut  werden  soll,  um  so  den  Sund  und  Kaiser- 
Wilhelm -Kanal  zu  meiden.  Ähnliche  Zwecke  verfolgt  die  Ofotenbahn 
(Narwik  —  Luiea),  die  ursprünglich  nur  für  die  Erzausfuhr  gebaut  war 
während   für  touristische  Zwecke  die  großartige  Bergensbahn  zwischen 


Dänemark.  125 

Bergen  und  Kristiania  erbaut  wurde.  Hand  in  Hand  mit  dem  Ausbau  der 
Eisenbahnen  ist  deren  Elektrisierung  geplant,  um  sich  auch  hier  von  der 
Kohle  unabhängig  zu  machen,  von  der  nur  Schweden  südlich  des  Kullen 
einige  kleine  Lager  besitzt. 

Dänemark. 

In  Dänemark  siedelt  die  Bevölkerung  am  dichtesten  (2,8  Millionen 
auf  39000  km-,  D.  =  70).  Kopenhagen  spielt  in  Nordeuropa  die  Rolle 
Konstantinopels,  wenn  wir  an  Stelle  von  Pontus  und  Mittelmeer  Ostsee 
und  Nordsee  setzen.  Nicht  als  Hauptstadt  Dänemarks,  sondern  als  Be- 
herrscherin des  Ostsee- Eingangs  wuchs  die  Stadt  auf  700000  Einwohner 
an  und  zeigt  in  ihren  riesigen  Palästen,  daß  sie  einst  Beherrscherin  eines 
Großstaates  war.  Auf  Fünen  ist  auch  Odense  von  Bedeutung,  auf  Jüt- 
land  Aarhus,  Aalborg  und  das  bis  zum  Beginne  des  Weltkrieges  schnell 
aufstrebende  Esbjerg,  dessen  gewaltige  Anlagen  unter  englischem  Ein- 
flüsse entstanden. 

Schweden  und  N]orwegen. 

Die  größten  Siedlungen  Schönens  (15000  km-  mit  900000  Ein- 
wohnern, D.  =  60)  sind  Malmö  und  Helsingborg.  Dampffähren  verbinden 
beide  mit  Dänemark;  von  Trelleborg  führt  eine  Eisenbahnfähre  nach 
Saßnitz  (D-Züge  von  Berlin  nach  Stockholm!). 

Mittelskandinavien  beherbergt  auf  210000  km^  den  größten  Teil 
der  skandinavischen  Bevölkerung  (5,5  Millionen  Einwohner,  D.  =  26).  Die 
größte  Siedlung  ist  Stockholm,  von  der  die  Aalandsinseln  die  natürliche 
Brücke  nach  Finnland  schlagen.  Die  wundervoll  gelegene  Stadt  (nordisches 
Venedig)  ist  auch  im  Äußeren  die  vornehmste  Stadt  Skandinaviens  und 
mit  den  Villenstädten  der  Umgebung  steigt  ihre  Einwohnerzahl  auf  560000. 
Wichtiger  als  Hafenstadt  ist  das  industrielle  Gotenburg,  das  seinen  elek- 
trischen Strom  von  den  Trollhättafällen  bezieht.  Mit  seinen  großen  Werften 
beherrscht  es  den  Eingang  zum  Götakanal,  an  dessen  Ausgange  wir  die 
große  Fabrikstadt  Norrköping  (Baumwollindustrie)  finden.  Wichtig  sind 
neben  zahlreichen  aufblühenden  Handels-  und  Industriestädten  die  alte 
Hauptstadt  Upsala  und  die  Eisenstädte  Örebro  und  Eskilstuna. 

Mittelpunkt  des  norwegischen  Ackerlandes  ist  Kristiania  in  wunder- 
voller Lage,  aber  arm  an  alten  Bauten  und  Privathäusern,  da  der  Auf- 
schwung der  Stadt  erst  seit  1814  erfolgte. 

Nordskandinavien  umfaßt  auf  530000  km-  nur  2,5  Millionen  Ein- 
wohner (D.  =  4),  die  am  dichtesten  im  südnorwegischen  Gebirgslande 
siedeln,  wo  die  Dichte  auf  8  steigt.  Zu  Fischfang  und  Holzhandel  gesellt 
sich  Schiffbau  und  elektrische  Industrie.  Die  größten  Siedlungen  sind 
Bergen,  die  größte  Handels-  und  Fabrikstadt  Norwegens,  1800  sogar  an 
Einwohnerzahl  die  erste  Stadt,  und  Stavanger.  Wichtige  Verkehrswege 
durch  das  Gebirge  beherrscht  Trondjem,  die  alte  Hauptstadt  Norwegens. 
Die  Nordlandshäfen  treiben  ausschließlich  Fischfang  bis  auf  Narwik,  den 
Winterhafen  für  die  schwedischen  Erzgebiete.  Die  aufblühenden  Häfen 
des  schwedischen  Nordlandes  mit  ihrem  Schach brettstadtplan  ernähren  sich 
von  Fischfang  und  Holzausfuhr,  vor  allem  Gefle  mit  großen  Sägemühlen 
und  Zelluloseindustrie. 


126  XIII.  Das  atlantische  Europa. 

Zu  Skandinavien  gehören  auch  Island  und  Spitzbergen.  Island 
(105  000  km-)  ist  eine  ausgedehnte  Lavatafel  mit  tiefeingeschnittenen 
Fjorden,  zahlreichen  Vulkanen  und  warmen  Quellen,  die  bis  2100  m  auf- 
ragt. Etwa  16000  km'-  sind  von  großen  Eisfeldern  bedeckt  (allein  8800  km- 
umfaßt  der  gewaltige  schildförmige  Eiskuchen  des  Vatnajökull),  ebensoviel 
die  Lavawijsten.  Etwa  10000  km"-  nehmen  die  gewaltigen  Sandebenen 
am  Rande  der  Gletscher  ein,  die  ein  Bild  von  der  Entstehung  der  großen 
Sandflächen  Norddeutschlands  geben.  Die  gewaltigen  Wasserkräfte  der 
Insel,  die  denen  Deutschlands  gleichkommen, —  allein  400000  P.S.  hat  der 
Dettifoss  —  mögen  in  Zukunft  einmal  von  Bedeutung  werden.  Die  QOOOO 
evangelischen  Bewohner  nähren  sich  von  Viehzucht  (800000  Schafe  und 
50000  Pferde)  und  Fischfang,  da  ein  ausgedehntes  Schelfgebiet  die  Insel 
umgibt.  Reykjavik  (Rauch-Nebelbucht)  blüht  durch  Fremdenverkehr  auf. 
Gewaltige  Eisdecken,  überragt  von  steilen  alpinen  Bergen  (bis  1700  m 
hoch),  erfüllen  den  größten  Teil  Spitzbergens  (70000  km'-),  das  durch 
Senkung  in  zahlreiche  Einzelinseln  aufgelöst  ist  und  ebenfalls  unter  dem 
Einfluß  des  Golfstroms  steht.  Um  den  Besitz  des  Landes  fanden  infolge 
der  reichen  Kohlenlager  lebhafte  Debatten  statt,  bis  es  Norwegen  als  Be- 
lohnung für  seine  England  geleisteten  Dienste  erhielt. 

Auf  dem  großen  Spitzbergenschelf  (300000  km'-),  der  nach  floristischen 
Anzeichen  früher  mit  Grönland  und  dem  Franz-Josephs-Land,  einem  zer- 
trümmerten Faltengebirgsrest,  zusammenhing,  liegt,  fast  immer  in  Nebel 
gehüllt,  die  Bäreninsel  mit  ihren  Vogelbrutstätten  und  Phosphatlagern. 

Auch  die  Färör  —  Schafsinseln  —  mit  Weidewirtschaft  und  Fischfang 
rechne  ich  zu  Skandinavien.  Dagegen  dürfte  es  sich  erst  in  Zukunft 
entscheiden,  ob  Finnland  mit  seinen  von  Schweden  kolonisierten  Küsten 
sich  dem  skandinavischen  oder  russischen  Wirtschaftsblock  anschließen 
wird.  Im  Weltkriege  ist  die  Stellung  Skandinaviens  durchaus  geographisch 
bedingt  gewesen.  Norwegen  mit  seinen  langen  Küsten,  seinem  starken 
Fischfang  und  seiner  Handelsflotte  war  im  Kriege  wie  Portugal  ein  Ver- 
bündeter Englands.  Schweden  hielt  sich  schon  wegen  seiner  günstigen 
Ernährungsverhältnisse  selbständiger,  und  Deutschland  dankt  ihm  für 
manches  Liebeswerk,  wie  der  Schweiz.  Dänemark  pendelte,  und  erst  der 
sadistische  Versailler  Frieden  schuf  auch  hier  mit  dem  Abstimmungsgebiete 
von  Schleswig  Unfrieden,  Verstimmung  und  eine  deutsche  Irredenta. 

In  welcher  Weise  Skandinaviens  Wohlstand  durch  den  Krieg  zunahm, 
zeigen  nachfolgende  Zahlen  des  Goldbestandes  der  Neutralen  im  Jahre 
1918  (1914  in  Klammern)  in  Millionen  Mark: 

Schweden  ...  323  (119)  Schweiz  ....     338  (144) 

Norwegen  ...   137     (59)  Holland  ....   1172  (273) 

Dänemark  ...  221     (92)  Spanien    ....   1818  (434) 

Dazu  kam  der  großzügige  Ausbau  des  Bahnnetzes  und  der  elektrischen 
Kraftwerke,  vor  allem  in  Südnorwegen  und  Nordschweden,  so  daß  Skan- 
dinavien in  Zukunft  eine  ausschlaggebende  Rolle  im  Wirtschaftsleben 
Europas  spielen  dürfte.  Die  starke  Elektrisierung  ist  vor  allem  der  Papier- 
industrie und  der  Eisenindustrie  zugute  gekommen,  so  daß  Schweden 
sein  Erz  jetzt  zum  Teil  im  Lande  selbst  zu  verhütten  vermag  und  selbst 
Kopenhagen  mit  Elektrizität  versorgt. 


XIV.  Asien. 


Einteilung. 

Den  Kern  des  Erdteils  bildet  ein  gewaltiges  gebirgsumrahmtes  Hoch- 
land, dessen  Ecken  von  der  Pamirhochfläche,  der  Jünnanhochfläche 
und  dem  Witimplateau  gebildet  werden;  in  der  Form  einem  Dreieck 
ähnlich,  wird  es  als  Hochasien  bezeichnet. 


v.AfrlkdnischemTyp 
^=^  Junge  Falten 
^^^^  Bewaldete  RandgebirgG 

im  W. Hochasiens 
••••  VulKdnlinien 
//  SommerMonsun 


Gebipte 
.  jugendlicher 
Uberflufung 


Kulfurgebiete  mit 
diVhterßevölkerung 

32.  Der  Bau  Asiens. 


Daran  schließt  sich  nach  Norden  ein  hügeliges  Tafelland,  weiterhin  in 
die  flachen  Tundren  und  das  Sibirisch -Turanische  Tiefland  übergehend. 
Das  ist  Nordasien. 

Vorderasien  —  auch  der  asiatische  Orient  genannt  —  umfallt  das 
Anatolisch-Iranische  Gebirgsland  mit  der  Arabischen  Tafel,  die,  früher  ein 
Teil  Afrikas,  erst  in  diluvialer  Zeit  durch  den  Grabenbruch  des  Roten 
Meeres  von  diesem  getrennt  und  durch  die  Aufschüttungen  von  Euphrat 
und  Tigris  dem  Rumpf  Asiens  angegliedert  wurde. 

Dasselbe  gilt  auch  von  der  Tafel  des  Dekhan,  die  mit  den  Tiefländern 
des  Indus  und  Ganges-Brahmaputra  als  Vorderindien  bezeichnet  wird. 


128 


XIV.  Asien. 


Die  im  Quellgebiet  des  Irawadi,  Mekhong  und  Jangtse  eng  zusammen- 
gedrängten Falten  quellen  südwärts  auseinander  und  schließen  ausgedehnte 
Ebenen  und  Hügelländer  ein,  die  weiter  südlich  intensiv  zersplitterten 
und,  von  flachen  Meeren  überflutet  (Karte!),  erst  während  der  Eiszeit  als 
Inseln  abgegliedert  wurden,  wobei  das  Gesamtgebiet  mit  einem  durch 
Vulkane  bezeichneten  Bruchrand  gegen  die  abgesunkenen  ozeanischen 
Becken  abfällt.  Das  ist  Hinterindien,  dessen  Inselgebiet  auch  als  Indo- 
nesien bezeichnet  wird,  während  das  Festland  treffend  nach  seiner 
Bevölkerung  Indochina  genannt  werden  kann. 

33.  Die  Landschaften  Asiens. 


Nafürliche  « 

örenze  zu  Europa  .*' 


LÖSS  Winde 


=  :  Tundra      illlll  Wdid 

■—  Waldgebirge  inSfeppen 

"»"Steppen       'Wushen 

^^'^  Hulfurflarhen  vereinzplf  aber  die  Landschaff  beherrschend 

Gebiete  intensiver  Kultur  (Dichte  100  u.mehr) 
••••  Gefreidegrenze        —  Sibinscheßahn  u.Turkestanbahn 

Beckeneinbrüche,  vielfach  von  Schwemmland  angefüht,  sind  eingesenkt 
zwischen  bogenartig  angeordnete  Schollengebirge,  die  mit  einer  vulkan- 
gekrönten Gebirgsgiriande,  die  vielfach  in  Inselbögen  aufgelöst  ist,  gegen 
den  Ozean  abfallen.  Das  kennzeichnet  Ostasien,  dessen  Bau  auch  den 
Ostrand  Sibiriens  beherrscht  (Stanowoigebirge  und  Kamtschatka). 

Indien  und  Ostasien  werden  treffend  als  Monsunasien  bezeichnet,  da 
sie  der  Überwehung  mit  diesen  Winden  ihre  Sommerregen  und  ihre  hohe 
Kultur  verdanken,  so  daß  hier  auf  einem  Drittel  der  Fläche  beinahe 


Hochasien.  129 

neun  Zehntel  der  Einwohner  Asiens  wohnen.  Auch  der  Löß  Chinas 
ist  ein  Geschenk  der  Monsune,  die  im  Winter  in  umgekehrter  Richtung 
wehen  und  durch  Gebirge  von  Indien  und  Südchina  abgehaUen  werden. 

Nur  in  Monsunasien  finden  wir  intensiv  dichte  Kultur,  deren  Felder, 
Gärten  und  Plantagen  die  ursprünghche  Pflanzendecke  vielfach  völlig  ver- 
drängt haben  bis  auf  steile  Gebirge  und  sumpfige  Flußufer  und  Küsten. 

Ein  zweites  Drittel  umfaßt  die  Steppenzone  Turans,  Hochasiens  und 
Vorderasiens,  es  sei  als  Trockenasien  bezeichnet.  Kulturländer  treten 
nur  vereinzelt  auf  (Oasenkultur)  und  haben  nur  an  den  Mittelmeerküsten 
und  am  Nordrande  der  Kirgisensteppe  größeren  Einfluß  auf  die  Landschaft. 

Ausgedehnte  Waldgebiete,  in  Tundren  übergehend,  kennzeichnen  Nord- 
asien, das  wirtschaftlich  als  Arktisches  Asien  bezeichnet  sei.  Kultur- 
streifen finden  wir  nur  an  der  Sibirischen  Bahn  und  ihren  Zweiglinien. 

Monsunasien  ist  das  Gebiet  der  indischen  und  ostasiatischen  Kultur  und 
ernährt  auf  16  Millionen  km-  850  Millionen  Menschen  (Dichte  im  Durch- 
schnitt 53).  Trockenasien,  das  Gebiet  der  unsteten  mongolischen  Reiter- 
völker und  des  Islam,  zählt  auf  ebenfalls  16  Millionen  km-  nur  42  Millionen 
Einwohner,  so  daß  die  Dichte  noch  nicht  drei  beträgt  und  nur  an  der  West- 
küste Kleinasiens,  im  Libanongebiet  und  in  Ferghana  auf  50  steigt.  Das  Ark- 
tische Asien,  das  Gebiet  des  Russentums,  zähltauf  1 3  Mill.  km-  nur  1 0  Millionen 
Menschen  (darunter  nur  700000  Eingeborene),  und  nur  am  Rande  der 
Steppe  wird  im  westsibirischen  Ackerbaugebiet  die  Dichte  von  1 0  erreicht. 

Hochasien. 

Den  mauerartigen  Südrand  Hochasiens  bildet  der  gewaltige  Himalaya 
(hiems!),  dessen  Südrand  bis  3800  m  Höhe  dichten  Wald  trägt,  von  der 
Regenfülle  der  Monsune  überschüttet.  Da  die  Schneegrenze  bei  4600  m 
beginnt,  ragen  die  Gipfel  noch  4300  m  (700  in  den  Alpen!)  über  dieselbe 
und  geben  die  bekannten  großartigen  Landschaftsbilder.  Im  Norden  ver- 
sinkt das  Gebirge  unter  seinem  eigenen  Schutt,  wie  der  Transhimalaya, 
dessen  regenreichere  Westketten  das  stark  vergletscherte  Karakorumgebirge 
bilden.  Ein  Gebiet  ungeheurer  Öde  und  Trockenheit  ist  auch  die  Pamir- 
hochfläche, ein  schuttüberdecktes  Hochland,  von  Schneegebirgen  überragt. 
Dichtgedrängte,  im  eigenen  Schutt  erstickende  Ketten,  bis  in  den  Sommer 
mit  Schnee  bedeckt,  und  dazwischen  grasarme,  nur  von  Jack  belebte  Geröll- 
steppen mit  eingelagerten  Salzseen  kennzeichnen  Tibet.  Östlich  tauchen 
die  Ketten  aus  dem  Schutt,  und  in  ihren  tief  eingeschnittenen  Längstälern 
fließen  Saluen,  Mekhong  und  Jangtse.  Triefender  subtropischer  Regen- 
wald hüllt  die  tieferen  Teile  ein,  während  die  eisgepanzerten  Bergriesen 
bis  über  7000  m  aufzuragen  scheinen.  Das  ist  der  Jünling,  das  Wolken- 
gebirge der  Chinesen,  dem  südlich  die  durchschnittlich  2000  m  hohe 
stark  verkarstete  Kalkhochfläche  von  Jünnan  (wolkiger  Süden)  vorgelagert 
ist,  der  Südostpfeiler  Hochasiens  mit  starker  Waldbedeckung,  die  Heimat 
des  Zimtstrauches  (Kwei-Kweitschu). 

Nördlich  von  Jünnan  bildet  der  Rand  Hochasiens  ein  vielfach  treppen- 
artig abgestuftes  Bergland,  vom  Monsun  überweht,  mit  Regen wald  be- 
kleidet und  unterbrochen  durch  das  tiefe  Tal  des  Weiho,  durch  das  aus 
Hochasien  der  Chinese  vordrang.     Deutlicher  wird    der  Rand  erst  im 

Ulbricht,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  9 


130  XIV.  Asien. 

Chingan,  dem  aufgewölbten  Rand  der  Mongolei,  der  bis  zum  Amur 
reicht  So  erstrecken  sich  am  Süd-  und  Ostrande  Hochasiens  Übergangs- 
landschaften, die  morphologisch  zu  Hochasien,  klimatisch  und  wirtschaft- 
lich aber  zu  Monsunasien  gehören.  Von  ihnen  bilden  Kaschmir,  Bhutan 
und  Nepal  (Schneeland),  durch  die  Taraisenke  von  Hindostan  getrennt, 
mit  400000  km"-  und  7  Millionen  Einwohnern  das  Glacis  Indiens  gegen 
Norden.  Die  ostasiatischen  Randlandschaften  umfassen  1,2  Millionen  km- 
mit  etwa  30  Millionen  Menschen,  die  zum  großen  Teil  in  Lößhöhlen  leben. 

Der  Nordostrand  Hochasiens  reicht  von  der  Pamirhochfläche  bis  zum 
Witimplateau.  Kennzeichnend  für  seinen  Aufbau  ist  die  kulissenartige 
Anordnung  der  meist  ostwestlich  streichenden  Gebirge,  zwischen  denen 
ausgedehnte,  im  Süden  von  Steppen  bedeckte  Senken  (Dsungarei  mit 
den  Tälern  des  Irtysch  und  Ili)  liegen,  die  den  auswandernden  Mongolen 
den  Weg  wiesen.  Über  diese  Steppen  ragen  die  Gebirge  des  Tianschan, 
Tarbagatai  und  Altai.  Erst  in  etwa  2000  m  Höhe  beginnt  in  diesen  der 
Wald,  der  in  den  beiden  letzteren  beinahe  bis  auf  die  höchsten  Kämme 
(3500  m  hoch)  reicht,  während  sich  im  Tianschan  über  dem  Waldsaum 
eine  Hochgebirgswelt  mit  großartiger,  erst  jüngst  entdeckter  Vergletscherung 
ausdehnt,  so  daß  die  bis  7300  m  hohen  Gipfel  alpine  Bilder  gewähren, 
die  sich  auch  in  der  Bogdo-Ola-Gruppe  finden. 

Um  den  Baikalsee  liegen  das  Sajanische  undjablonoigebirge  mit  ihrem  ge- 
waltigen, noch  kaum  geschürften  Erzreichtum,  bis  auf  die  höchsten  Kämme  mit 
ihren  Hoch  wiesen  schon  ganz  eine  Teilzone  des  südsibirischen  Waldgebietes, 
aber  bis  auf  Transbaikalien  mit  seinen  Bergwerksstädten  (600000  km-  mit 
1  Million  Menschen),  welche  die  Sibirische  Bahn  erschließt,  fast  unbevölkert 

Zwischen  dem  schuttbedeckten,  mehrfach  vergletscherten  Kwenlun 
mit  seinen  langgestreckten,  von  breiten  Senken  getrennten  Ketten  und 
dem  östlichen  Tianschan  liegt  der  Kesselbruch  des  Tarimbeckens  durch- 
schnittlich 5000  m  in  die  Umgebung  eingesenkt.  Hier  erstreckt  sich  die 
furchtbare  Taklamakan-Wüste,  die  immer  mehr  gegen  die  randlichen,  um 
die  Flüsse  sich  ausdehnenden  Oasen  vordringt. 

Den  übrigen  Teil  Hochasiens  nimmt  die  Hochfläche  der  Mongolei  ein, 
die  zahlreiche  Ketten  als  Reste  stark  erniedrigter  Faltengebirge  überragen. 
Steppenflächen  umrahmen  Sandwüsten  (Schamo  =  Sandmeer),  aus  denen 
die  Wintermonsune  den  Lößstaub  (Karte)  blasen. 

Tibet,  die  Mongolei  und  das  als  Ostturkestan  bezeichnete  Tarimbecken 
bilden  einen  Teil  des  Chinesischen  Reiches,  sind  aber  in  Wirklichkeit  völlig 
unabhängig.  Auf  6200000  km-  wohnen  nicht  ganz  6  Millionen,  so  daß 
die  Volksdichte  noch  nicht  1  beträgt.  Die  Bewohner  sind  meist  mongolische 
Nomadenstämme,  die  hier  das  Wildpferd  züchteten  und  mit  ihren  Reiter- 
horden das  Umland  überschwemmten  (Schutz  die  chinesische  Mauer). 
Neben  Schafen  und  Ziegen  ist  das  wichtigste  Kulturtier  das  zweihöckerige 
Kamel.  Zwei  große,  heute  verödete  (Seeverkehr,  Sibirische  Bahn;  vgl. 
die  Sahara)  Karawanenstraßen  durchziehen  die  Steppen  von  Kaigan  nach 
Kiachta  (Teestraße)  und  von  Singan  nach  Jarkand,  der  einzigen  Großstadt 
Zentralasiens.  In  immer  größerem  Umfange  überfluten  chinesische  Siedler 
die  große  Mauer,  die  heute  nicht  mehr  eine  völkische  Grenze  ist.  Eigen- 
artig sind  Tibets  Klosterstädte. 


Ostasien.  131 

Die  Turkvölker,  die  auch  die  westliche  Mongolei  und  das  Tarimbecken 
besiedeln,  sind  die  Hauptbewohner  Tu  ran  s,  das  wirtschaftlich  und  physio- 
graphisch  nur  die  westliche  Fortsetzung  Hochasiens  ist.  Große  Sandwüsten 
bedecken  beinahe  die  Hälfte  der  Fläche,  umrahmt  von  Grassteppen.  Von 
den  schneebedeckten  Gebirgen  werden  Amu  und  Syr-Darja  gespeist,  längs 
deren  sich  ausgedehnte  staatenbildende  (Chiwa  und  Buchara)  Rieseloasen 
erstrecken,  die  auch  das  Serafschantal  begleiten.  Die  Transkaspische  Bahn 
(strategische  Zweiglinie  von  Merv  nach  Herat!)  und  die  Turkestanbahn 
erschließen  das  Land,  sich  bei  Taschkent  verknüpfend,  das  im  Gegensatz 
zu  den  orientalischen  Städten  Samarkant  und  Buchara  mit  ihren  Basaren 
einen  russischen  Eindruck  macht.  Eine  vierte  Großstadt  ist  Kokand,  der 
Hauptort  des  städtereichen  Baumwollgebietes  von  Ferghana,  wo  die  Dichte, 
die  sonst  (auf  3,8  Mill.  km-  12  Mill.)  nur  4  beträgt,  über  50  steigt.  No- 
madisch leben  Turkmenen  und  Kirgisen  (etwa  75 "'o  der  Volksmenge), 
in  den  Städten  die  Sarten,  zu  denen  noch  über  100000  Russen  kommen 
(in  Taschkent  allein  60000).  Die  Sarten  scheinen  die  mit  den  Türken 
vermischten  Reste  ehemaliger  Indogermanen  zu  sein. 

Die  Schwelle  der  Kirgisensteppe  trennt  Turan  von  Sibirien,  dessen 
Fläche  zumeist  mit  Nadelwald  (Pelztiere)  bedeckt  ist  und  dessen  wirt- 
schaftliche Entwicklung  darunter  leidet,  daß  die  lange  vereisten  Flüsse  in 
das  bis  in  den  Sommer  mit  Treibeis  bedeckte  Eismeer  münden.  Auf 
11  Mill.  km-  lebten  bei  Kriegsanfang  9  Millionen  Einwohner.  Die  Be- 
völkerung verdreifachte  sich  seit  1870  und  soll  während  der  Revolution 
durch  Zuwanderung  noch  bedeutend  gestiegen  sein,  so  daß  die  Sibirische 
Bahn  für  den  Verkehr  längst  nicht  mehr  ausreicht  und  Parallelbahnen  im 
Bau  sind,  um  die  großen  Getreidegebiete  um  Omsk  und  Tomsk  zu  er- 
schließen. In  diesen  steigt  die  Dichte  auf  5,  und  noch  Millionen  von  Ein- 
wanderern haben  Platz.  Im  Gegensatz  zum  Süden  Westsibiriens  steht  der 
Norden,  in  dessen  von  Sümpfen  durchsetzten  Wäldern  die  Dichte  unter 
1  sinkt.  Dasselbe  gilt  für  Ostsibirien,  dessen  Hauptstadt  Irkutsk  die  größte 
Stadt  Sibiriens  war  (120000  Einw.). 

Ostasien. 

Politisch  zu  Sibirien  gehört  das  Amurgebiet,  das  schon  zu  Ostasien 
gerechnet  werden  muß.  —  Verbinden  wir  den  westlichsten  Punkt  des 
Ochotskischen  Meeres  mit  der  Stelle,  wo  Irawadi  und  Mekhong  sich  am 
meisten  nähern,  so  liegt  östlich  dieser  Linie  Östasien,  sich  terrassenförmig 
zum  Stillen  Ozean  abdachend;  ein  Land,  erfüllt  von  wirren,  zumeist  von  SW 
nach  NO  streichenden  langgestreckten  Gebirgsketten,  die  vielfach  durch  Ein- 
sinken großer  Kesselbrüche  als  Inseln  vom  Festlande  abgetrennt  sind.  Gegen 
den  Stillen  Ozean  grenzt  es  mit  einer  bogenförmig  verlaufenden, 
vulkanbesetzten  Bruchlinie,  die  von  den  Kurilen  bis  Formosa  reicht. 

Im  Sommer  überschüttet  der  Südost-Monsun  das  Gebiet  mit  einer  ge- 
waltigen Regenfülle,  die  sich  im  S  mit  hohen  Wärmemengen  paart.  Im 
Winter  bildet  der  Tsinlingschan  eine  wichtige  Grenze.  Im  N  desselben  weht 
ungehindert  der  kalte  Nordwest-Monsun  über  Nordchina,  die  Mandschurei 
und  das  Amurgebiet,  während  er  vom  S  die  Kältewellen  abhält,  so  das 
subtropisch  warme  Klima  Südchinas  bedingend.    Dafür  fehlt  diesem  aber 


132 


XIV.  Asien. 


auch  wieder  der  von  den  kalten  Winden  als  Löß^)  aus  Hochasien  ge- 
wehte Steppenstaub,  der  die  Kornkammern  Nordchinas  und  der  Mandschurei 
bedingt.  Nehmen  wir  dazu  die  gewaltigen  Reichtümer  der  nordchinesi- 
schen Gebirge  an  Kohlen,  Eisen  und  anderen  Metallen,  sowie  den  Fisch- 
reichtum der  umliegenden  Meere  mit  ihren  inselreichen  Küsten  und  zahl- 
losen Buchten ,  nicht  zuletzt  die  große  Fülle  der  von  den  hohen,  z.  T.  schnee- 
bedeckten Gebirgen  gespeisten  Flüsse,  so  sind  die  Grundbedingungen  für 
die  Entwicklung  hoher  Kultur  gegeben,  die  jedoch  bei  der  Entlegen- 
heit Ostasiens  vom  Brennpunkte  der  westlichen  Kulturen  der 
Gefahr  einer  gewissen  Vereinseitigung,  von  der  sich  in  jüngster  Zeit  nur 
Japan  frei  machte,  nicht  entgehen  konnte. 

Von  selbst  ergeben  sich  als  natürliche  Einzellandschaften  Südchina, 
Nordchina,  die  Mandschurei,  das  Amurgebiet  und  die  heute  das  Japanische 
Reich  bildenden  Inseln,  zu  denen 


das  mit  insularem  Klima  ausgestat- 
tete Korea  gerechnet  werden  kann. 

Südchina  (2  Mill.  km-,  150 
Mill.  Einw.,  Dichte  75)  ist  über- 
wiegend ein  Gebirgsland,  dessen 
ehemaliger  Waldreichtum  jedoch 
infolge  der  intensiven,  auf  terras- 
sierten  Hängen  erfolgenden  Gar- 
tenkultur zumeist  verschwunden 
ist.  In  hohem  Umfange  ist  die 
dichte  Bevölkerung  auf  Fischfang 
angewiesen,  die  Küsten,  besonders 
um  Futschou,  sind  die  besten  ^ 
Teedistrikte  der  Erde  (Teeküste!); 
der  Sikiang  mit  der  Millionenstadt 
Kanton  im  fruchtbaren  Schwemm- 
lande der  Mündung  die  wichtigste  Verkehrsader,  deren  Ausgang  das  eng- 
lische Honkong  beherrscht.  Den  fruchtbarsten  Teil  Südchinas  bildet  das 
hügelige  Gartenland  des  Roten  Beckens  von  Szetschuan,  das  als  Einbruchs- 
becken in  seiner  Entstehung  mit  der  Ungarischen  Ebene  vergleichbar  ist 
und  allein  50  Millionen  ernälirt. 

Nordchina  (2  Mill.  km-,  180  Mill.  Einw.,  Dichte  90)  besteht  aus 
einem  gebirgigen,  an  Kohle  und  Eisen  reichen  Westen,  dem  östlich  die 
Große  Ebene  (500000  km-)  vorgelagert  ist;  sie  entstand  durch  die  Flüsse 
Jangtsekiang  und  Hoangho,  die  aber  durch  ihre  Hochwasser  auch  ver- 
derbend wirken  und  in  der  flachen  Ebene  ihr  Bett  häufig  wechseln.  Aus 
dieser  ragt  die  Halbinsel  Schantung,  eine  landfest  gewordene  Insel,  reich 
an  Eisen  und  Kohle  und  ein  Ziel  japanischer  Politik,  nachdem  deutsche 
Kulturarbeit  das  Land  vorbildlich  erschlossen  hatte.  Die  Große  Ebene 
ist  das  am  dichtesten  bevölkerte  Gebiet  der  Erde  mit  130  Millionen  Ein- 
wohnern. Den  wärmeren  Süden  entwässert  der  Jangtsekiang,  in  dessen 
Gebiet  besonders  Reis,  Tee  und  Baumwolle  angebaut  werden.    Bis  Hankou 


34.  Löl)  und  Wüste  in  China. 


')  Daher  ist  Gelb  die  Nationalfarbe  Chinas! 


Ostasien.  133 

ist  er  für  Seeschiffe  fahrbar.  Dieses  entwickelte  sich  als  natürlicher  Mittel- 
punkt Chinas  mit  seinen  Schwesterstädten  zur  zweiten  Stadt  Ostasiens, 
während  an  der  Mündung  Schanghai  (wegen  der  Verschlammungsgefahr 
an  einem  Nebenflusse  gelegen  —  vgl.  Marseille,  Para  — )  Mittelpunkt 
des  Europäertums  ist.  Der  Fluttrichter  reicht  bis  Nanking,  in  dessen 
Nähe  der  wegen  der  häufigen  Stürme  (vgl.  Athos)  und  der  Versandungs- 
gefahr der  Küsten  erbaute,  heute  verfallende  und  durch  Eisenbahnen  er- 
setzte Kaiserkanal  den  Fluß  kreuzt. 

Dicht  angebaut  ist  auch  das  Weihotal  mit  der  alten  Kaiserstadt  Singan, 
dem  Ursitz  chinesischer  Kultur.  Der  Norden  der  Großen  Ebene  hat  als 
Mittelpunkte  Peking  (Randlage  aus  dynastischen  Gründen  erklärbar!)  und 
Tientsin,  und  baut  besonders  Weizen  und  Gerste.  Als  Schutz  gegen  die 
nördlichen  Reiterhorden  der  Mongolen  wurde  die  große  Mauer  (vgl. 
Limes  und  andere  Römerwälle)  errichtet,  über  die  jetzt  die  immer  dichter 
werdende  Bevölkerung  hinwegflutet  und  sich  besonders  der  Mandschurei 
zuwendet.  Ihre  gewaltigen,  von  Liauho  und  Sungari  entwässerten,  noch 
wenig  bevölkerten  Ebenen  sind  ein  wichtiges  Siedlungsland  der  Zukunft, 
das  Japan  zu  durchdringen  beginnt.  (Die  Dichte  beträgt  erst  13  bei 
13  Millionen  Menschen.) 

Das  Amurgebiet  (mit  dem  Küstenland)  endlich  ist  ein  kaltes,  meist 
mit  Nadelwald  bedecktes  eisenreiches,  nur  dünn  von  russischen  Kolonisten 
besiedeltes  Hügelland,  von  dessen  Hafen  Wladiwostok  Rußland  einst  Ost- 
asien zu  erobern  hoffte  (Dichte  nur  1  bei  1  Million  Einwohnern). 

Die  Japanischen  Inseln  erinnern  in  vielen  Einzelheiten  an  Süd- 
china; infolge  der  nördlichen  meerumgebenen  Lage  verschwindet  aus  der 
Vegetation  der  tropische  Einschlag,  und  Schwarzkieferwälder  geben  im  Verein 
mit  Obstgärten  und  schmucken  Holzhäuschen  (Erdbebengefahr  am  ostasiati- 
schen Randbruch)  japanischer  LandschaftihrGepräge.  Weitüberragt  das  Land 
der  Silberkegel  des  Fudschijama.    Zahllose  Fischerboote  beleben  die  See. 

Japan  ist  heute  industriell  und  politisch  die  unbedingte  Vormacht  in 
Ostasien.  Das  dichtbevölkerte,  oft  bis  auf  die  Berghöhen  angebaute  Land 
mit  seinen  kleinen  Schwemmebenen  ist  kaum  imstande,  die  Bevölkerung 
zu  ernähren,  deren  Eigenschaften  wahrscheinlich  durch  die  Vermischung 
mit  den  Aino  erklärbar  sind,  deren  Reste  noch  heute  auf  Jesso  leben. 

In  der  Nähe  der  Hauptstadt  Tokio,  die  sich  in  der  größten  Schwemm- 
ebene des  Landes  befindet,  entwickelte  sich  Yokohama  als  Haupthafen, 
in  der  Nähe  der  alten  Residenz  Kioto  erwuchs  Osaka  zur  größten  japa- 
nischen Fabrikstadt  und  Kobe  zu  dessen  Handelshafen,  während  das  süd- 
lich gelegene  Nagasaki,  von  dem  die  Erschließung  Japans  ausging,  infolge 
seiner  Randlage  zurückgeblieben  ist,  da  in  der  nördlich  von  ihm  ge- 
legenen Sasebobucht,  die  Koreastraße  beherrschend,  des  Landes  größter 
Kriegshafen  entstand. 

Erst  allmählich  erwacht,  von  japanischen  Kolonisten  dicht  besiedelt, 
Korea  aus  seinem  Dornröschenschlaf;  auch  das  an  Edelmetallen  reiche 
Sachalin  und  Formosa  nehmen  große  Scharen  japanischer  Auswanderer 
auf,  während  in  Tsingtau  und  Port  Arthur  Japaner  den  Handel  Schantungs 
und  der  Mandschurei  beherrschen.  Auf  670000  km^'  Fläche  hat  das 
Japanische  Reich  75  Millionen  Einwohner,  so  daß  die  Dichte  110  beträgt. 


134  XIV.  Asien. 

Die  jahrtausendelange  Geschichte  Ostasiens  ist  zumeist  nur  von 
lokaler  Bedeutung.  Dunkelfarbige,  im  Innern  Südchinas  als  Reste  vor- 
handene Urvölker  wurden  von  mongolischen  Einwanderern  verdrängt, 
die  sich  in  dem  riesigen  Gebiet  aber  so  vielseitig  anpaßten,  daß  man  von 
einem  chinesischen  Volk  ebensowenig  reden  darf,  wie  von  einem  »euro- 
päischen«. Zeiten  großer  Blüte  wechseln  mit  solchen  starken  Zerfalls, 
friedliche  mit  Bürgerkriegen,  denen  Millionen  von  Menschen  zum  Opfer 
fielen  (Taiping-  und  Boxeraufstand)^). 

Als  erste  europäische  Macht  pochte  Portugal  an  Ostasiens  Tore  und 
besetzte  Makao,  später  »pachteten«  Engländer,  Deutsche  und  Russen. 
Flottenstützpunkte,  um  zumeist  dem  Japaner  zu  weichen,  der  die  von 
Europäern  durch  Eisenbahnbauten  und  Fabrikanlagen  eingeleitete  Durch- 
dringung Chinas  erfolgreich  als  lachender  Erbe  fortsetzt. 

»Concordia  parvae  res  crescunt,  discordia  maximae  dilabuntur.«  Das 
Fiasko  der  europäischen  Politik  in  Ostasien  sollte  der  weißen  Rasse  ein 
warnendes  Beispiel  sein! 

Ostasien  zerfällt  in  vier  natürliche  Wirtschaftsgebiete:  Südchina  ein- 
schließlich des  Jangtsetales,  Nordchina  mit  der  Mandschurei,  das  Amur- 
gebiet mit  dem  Küstengebirge  und  die  Inseln  mit  Korea. 

Südchina  ist  das  Gebiet  der  Seidenraupenzucht,  des  Teeanbaues;  in 
den  Tälern,  vor  allem  des  Jangtse,  werden  auch  Reis  und  Baumwolle 
angebaut.  Die  großen  Steinkohlenlager,  deren  Fläche  man  auf  über 
100000  km^  schätzt  (das  Ruhrbecken  umfaßt  etwa  2000  km''!)  werden 
kaum  abgebaut.  Im  letzten  Jahre  soll  die  Baumwollindustrie  im  Jangtse- 
tal  einen  großen  Aufschwung  genommen  haben. 

Nordchina  und  die  Mandschurei  sind  vor  allem  Gebiete  des  Getreide- 
anbaus, seine  ebenfalls  auf  über  100000  km-  zu  schätzenden  Kohlenlager 
wurden  bisher  nur  in  Schantung  abgebaut,  und  der  Aufschwung  dieses 
kleinen  Gebietes  zeigt  die  gewaltigen  Zukunftsaussichten,  die  wir  in  China 
noch  zu  erwarten  haben,  wenn  das  Millionenvolk  erst  mal  aus  seiner 
Lethargie  erwacht  und  sich  nicht  darauf  beschränkt,  von  der  Hand  in 
den  Mund  zu  leben. 

Große  Zukunftsaussichten  bietet  vor  allem  die  bisher  nur  dünn  be- 
siedelte Mandschurei  mit  ihren  Deutschland  an  Größe  übertreffenden  Löß- 
flächen, während  das  Amurgebiet  für  die  Holzwirtschaft  noch  eine  große 
Rolle  spielen  wird,  daneben  aber  in  den  Niederungen  noch  Hundert- 
tausende von  Siedlern  ernähren  kann. 

Das  noch  mäßig  (70  auf  das  Quadratkilometer)  besiedelte  Korea  wird 
als  Reislieferant  für  Japan  von  immer  größerer  Bedeutung,  Formosa  als 
Lieferant  für  Seide  und  Kohlen,  Sachalin  als  solcher  für  Erze. 


1)  Die  Einseitijfkeit  -  und  in  gewisser  Beziehung  F^ückständigkeit  -  der 
ostasiatischen  Kultur  zeigt  sich  nicht  nur  in  der  pittoresken  Kunst  und  der 
Religion,  sondern  auch  in  der  Primitivheit  von  Schrift  und  Sprache.  Mit  Hilfe 
weniger  Silben  kann  man  eine  Fülle  von  geographischen  Namen  erklären. 
(Pe=-Nord;  si--Süd;  tung  =  Ost;  hwai  =  S*e;  ho  -  flu (5;  kiang  =  strom; 
fu  =  Stadt  ;king=  Hauptstadt  ;schan  =  gebirge).  Sogar  dialektische  Abweichungen 
erkennen  wir  auf  manchen  Schulatlauten.  In  Südchina  wird  ho  zu  hu  — 
Hunan         und  pe  zu  pei  —  Hupei. 


Hinterindien.  135 


Die  eigentlichen  Japanischen  Inseln  werden  sich  wohl  immer  mehr  zu 
einer  Industrieprovinz  Ostasiens  entwickeln,  England  vergleichbar,  wobei 
sich  schon  jetzt  eine  große  Umschichtung  der  Bevölkerung  zugunsten 
der  Städte  vollzieht. 

Welche  Zukunft  diese  Industrialisierung  Japans  haben  wird,  hängt  nicht 
zum  wenigsten  damit  zusammen,  inwieweit  es  die  Millionen  Chinas  als 
Abnehmer  sich  erhalten  wird.  Ein  Erwachen  Chinas  kann  für  Japan  große 
wirtschaftliche  Nachteile  bringen,  da  es  ihm  nicht  nur  den  chinesischen 
Markt  raubt,  sondern  es  auch  im  hinterindischen  und  indonesischen  be- 
drohen dürfte.  Nicht  zum  wenigsten  werden  diese  Fragen  von  der  Stellung 
und  den  Lohnforderungen  der  Arbeiterschaft  abhängen,  die  in  Japan  schon 
jetzt  sich  europäisch  zu  organisieren  beginnt.  Wahrscheinlich  wird  auch 
Hinterindien  östlich  der  Malakkahalbinsel  immer  mehr  unter  chinesisch-japa- 
nischen Einfluß  geraten,  was  in  dieser  Schnittfläche  zwischen  japanischem, 
englischem  und  amerikanischem  Imperialismus  wohl  kaum  sich  friedlich 
vollziehen  dürfte.  Dabei  ist  noch  unklar,  ob  Holland  hierbei  den  »Tertius 
gaudens«,  oder  den  nach  dem  Rezept  Griechenlands  vergewaltigten  Neu- 
tralen spielen  wird. 

Hinterindien. 

Die  großen  zentralasiatischen  Falten  wenden  sich  östlich  des  Q5.  Längen- 
grades nach  Süden  um  und  quellen  auseinander,  große,  meist  von  Schwemm- 
land erfüllte  Senkungsfelder  einschließend.  Während  die  Gebirge  mit  dichtem 
Walde  bedeckt  sind,  erfüllen  die  binnen  wärts  gelegenen  Teile  der  dazwischen- 
liegenden Landschaften  lichte  Savannen.  Die  fruchtbaren  Tiefländer  des 
Irawadi  (Birma),  Menam  (Slam),  Mekhong  (Kambodscha  und  Kochinchina) 
und  der  Songka  (Tonking)  bedeckt  dichter  Regenwald,  soweit  sie  nicht  in 
Reisfelder  umgewandelt  sind.  Die  Halbinsel  Malakka  liefert  unerschöpfliche 
Zinnerze  und  ist  in  großem  Umfange  mit  Plantagen  bedeckt,  die  nament- 
lich Tee,  Kaffee  und  Gummi  liefern. 

So  umfaßt  Hinterindien  2  Mill.  km-  mit  40  Mill.  Einwohnern,  die 
sich  in  Anamiten,  Siamesen,  Birmanen  und  Schau  (d.h.  Bergstämme)  gliedern 
und  nahe  verwandt  mit  den  Chinesen  sind.  In  den  südlichen  Teilen  Malakkas 
siedeln  auch  Malaien;  etwa  15  Millionen  chinesische  Einwanderer  sitzen 
als  Arbeiter  und  Träger  (Kulis)  in  den  größeren  Siedlungen  und  Plantagen, 
Urvölkerreste  im  Inneren. 

Zu  England  gehören  Birma  mit  dem  Reishafen  Rangun,  während 
Maulmein  das  Teakholz  ausführt.  An  der  Küste  Arakan  wird  aus  Reis  der 
Arrak  gewonnen.  Wichtig  sind  die  Straits  Settlements  (Straßennieder- 
lassungen) mit  Singapore  und  Penang. 

Frankreich  besitzt  in  Tonking,  Anam,  Kambodscha  und  Kochin- 
china ein  Reservoir  für  die  »schwarze  Armee«  und  wichtige  Reisländer. 

Zwischen  beiden  liegt  der  auf  dem  Papier  schon  aufgeteilte  Pufferstaat 
Slam  mit  seiner  gewaltigen  Reisausfuhr.  Wie  ein  Rückgrat  durchzieht 
das  Gebirge  von  Malakka  mit  dem  sich  anschließenden  Bergland  von 
Tenasserim  (ich  nenne  beide  im  Unterricht  kurz  das  Malaiische  Gebirge) 
die  Halbinsel  und  teilt  sie  in  zwei  Teile,  deren  östlicher  sein  Antlitz  Ost- 
asien zuwendet.  Vielleicht  wird  in  Zukunft  diese  Linie  eine  wichtige  Rolle 
als  Scheidewand  zwischen  östlicher  und  westlicher  Kultur  spielen. 


136  XIV.  Asien. 

Im  Gegensatz  zu  dem  übervölkerten  Vorderindien  und  China 
führt  Hinterindien  große  Reismengen  aus  (Birma  443  Mill.  Mk., 
Französisch-Indien  95  Mill.,  Siam  1 09  Mill.),  dazu  kommt  in  Birma  eine  Erdöl- 
ausfuhr von  1  OMill.Doppelzentnern.  Malakkaliefertneben  Zinn  (250  Mill.Mk.) 
namentlichNutzhölzer  und  durch  Plantagenbau  gewonnenen  Kautschuk.  Die 
Hauptbedeutung  Hinterindiens  wird  wohl  aber  auch  in  Zukunft  darin  liegen, 
daß  es  Siedlungsland  für  die  übervölkerten  Nachbarländer  bietet  und  diese 

mit  Reis  versorgt. 

Indonesien. 

In  eine  große,  mit  wirr  angeordneten  Gebirgen  bedeckte  Landmasse 
brechen  tiefe  Becken  ein  (Südchinesisches  Meer,  Sulusee,  Bandasee,  Celebes- 
see  und  Sundasee);  an  zwei  von  Vulkanen  gekrönten  Bruchlinien 
grenzt  sie  gegen  die  Senkungsfelder  des  Indischen  und  Stillen  Ozeans,  in 
jüngerer  Zeit  überflutet  das  Meer  das  Land  und  verwandelt  es  in  ein  reich 
gegliedertes  Inselgebiet.  So  kann  man  kurz  Indonesien  oder  Indo- 
australien  kennzeichnen,  das  ostwärts  bis  zu  den  Inseln  reicht,  die  schon 
dem  australischen  Kontinentalblock  aufsitzen. 

Kettengebirge,  Schollenbergländer,  Vulkane  und  Schwemmländer  sind 
die  Elemente,  aus  denen  sich  in  mannigfaltigem  Wechsel  die  einzelnen 
Inseln  zusammensetzen.  Dies  kann  im  Unterricht  erarbeitet  werden  und 
regt  zu  Vergleichen  an.  Der  höchste  Berg  ist  bezeichnenderweise  ein  Vulkan 
(Rindschani  auf  Lombok,  3800  m).  Das  Klima  ist  sehr  regenreich,  doch 
schwankt  die  Verteilung  der  Niederschläge  ungemein. 

Ausgedehnte  Urwälder  bedecken  den  größten  Teil  der  Inseln  und  gehen 
in  den  höheren  Gebirgen  (namentlich  in  Java,  Borneo,  Sumatra,  Celebes 
und  den  Philippinen)  in  Graslandschaften  über.  Auf  den  östlichen  Inseln 
sind  auch  Grasländer  in  den  tieferen  Gebieten  häufig.  Der  Anteil  des 
Kulturlandes  ist  außer  auf  Java  gering. 

Die  Bevölkerung  des  Inselgebietes  sind  die  seefahrenden  Malaien,  eine 
Mischrasse  zwischen  Chinesen  und  dunkelfarbigen  Eingeborenenstämmen, 
die  als  Negrito  in  dem  noch  unerschlossenen  Inneren  der  größeren  Inseln 
leben.  Auf  ehemalige  untergegangene  Kultur  weisen  die  Ruinenstädte 
Kambodschas  hin.  Nach  Java  sind  in  den  letzten  Jahrzehnten  viel  Chinesen 
eingewandert.  Die  Gesamtbevölkerung  beträgt  50  Millionen  auf  2  Mill.  km"-, 
wovon  30  Mill.  allein  auf  Java  entfallen,  das  auch  die  Mehrzahl  der  Siedlungen 
und  ein  ausgedehntes  Eisenbahnnetz  besitzt.  Im  frühen  Mittelalter  waren  die 
Inseln  das  >  Gewürzland  <  der  Portugiesen  und  Spanier.  Das  Hauptbollwerk 
der  Spanier  waren  die  nach  Philipp  benannten  Philippinen  (1898  an  Amerika 
abgetreten);  eine  portugiesische  Restkolonie  ist  das  östliche  Timor. 

Im  Jahre  1610  legten  die  Holländer  durch  Gründung  Batavias  (Bataver!) 
den  Grund  zu  ihrem  großen  hinterindischen  Kolonialreich.  England 
besetzte  1819  Singapore  als  Etappe  nach  Ostasien  und  hat  auch  auf  Nord- 
Borneo  Fuß  gefaßt. 

Hauptausfuhrartikel  ist  Zucker,  von  dem  Java  13,  die  Philippinen 
15  Millionen  Doppelzentner  erzeugen.  Dazu  kommen  in  geringerem  Um- 
fange Gewürze,  Tee,  Kaffee  und  Tabak.  Als  wichtiges  Erdölland  gewinnt 
Sumatra  schon  jetzt  15  Millionen  Doppelzentner.  Unbedeutend  ist  der 
Zinnbergbau  auf  Banka,  der  Fortsetzung  des  Malaiischen  Gebirges. 


Vorderindien.  137 


Wenn  wir  bedenken,  daß  schon  heute  allein  30  Millionen  Menschen 
auf  Java  leben,  ermessen  wir  erst,  welche  Bedeutung  die  fruchtbaren  Tief- 
länder der  großen  Inseln  Sumatra  und  Java,  sowie  die  Grasländer  der 
übrigen  in  Zukunft  einmal  haben  werden.  Im  Anschluß  an  Hinterindien 
können  auch  die  Wanderungen  der  Malaien  in  ihrer  Abhängigkeit 
von  den  Strömungen  der  umliegenden  Meere  behandelt  werden. 

Vorderindien. 

Eine  große  Hochscholle  mit  aufgebogenen  Rändern  ist  schiefgestellt 
(Flüsse  fließen  nach  Osten!)  und  durch  die  Schwemmländer  des  Ganges, 
Bramaputra  und  Indus  mit  dem  Rumpf  Asiens  verbunden.  Daraus  ergibt 
sich  eine  Dreiteilung  Vorderindiens  in  das  Dekhan,  Hindostan  und 
das  Industiefland.  Eine  kleinere  Scholle  bildet  das  von  Schwemmländern 
umgebene  Gebirgsland  der  Insel  Ceylon,  während  die  ehemalige  Insel 
Kathiawar  durch  das  Tiefland  von  Gudscherat  dem  Festlande  angegliedert 
ist.  Große,  fruchtbare  Schwemmländer  kennzeichnen  die  Koromandel- 
küste  mit  ihren  versandeten  Häfen,  während  die  Malabarküste  durch 
die  dicht  an  das  Meer  tretenden  Westghats  (ghat  vgl.  gatter)  gebildet 
wird,  deren  Vorberge  stellenweise  als  Felsinseln  (Salsette  und  Elephanta, 
Bedeutung  von  Bombay)  das  Meer  überragen.  Am  stärksten  sind  die 
Niederschläge  in  den  Westghats,  dem  Gangesdelta  und  dem  Südabhang 
des  Himalaya,  wo  wir  üppigsten  Regenwald  finden. 

Ungehindert  tragen  die  regenschwangeren  Monsune  die  Niederschläge 
auch  über  das  Gangesgebiet,  während  vom  Indusgebiet  die  Höhen  von 
Kathiawar  und  die  Ausläufer  des  Dekhan  den  Regen  abhalten.  So  dehnt 
sich  hier  die  Wüste  Thar  (aridus  =  dürr)  aus,  und  das  Pendschabgebiet 
leidet  beim  Ausbleiben  der  Monsune  an  Hungersnot  und  Mißernten.  Ein 
Gebiet  geringeren  Regenreichtums  bildet  auch  das  gebirgsumrahmte  Innere 
des  Dekhan  mit  seinen  lichten  Wäldern  und  Grassteppen,  die  sich  aber 
wiederum  zum  Anbau  von  Weizen  und  Baumwolle  eignen,  während  die 
regenreichen  Tiefebenen  zumeist  Reis  (daneben  Zucker)  und  Mohn  (Opium) 
erzeugen.  Nicht  unwichtig  ist  auch  der  Anbau  von  Hirse  und  Tee 
(Ceylon,  südliche  Westghats,  Höhen  von  Orissa,  Assam,  Sikkim  und 
Quellgebiet  des  Ganges).  Eine  wichtige  Spinnstoffpflanze  ist  die  Jute, 
die  in  Bengalen  angebaut  und  namentlich  in  Kalkutta  und  Umgebung 
verarbeitet  wird.  Die  ehemalige  Goldgewinnung  (Maisur)  ist  stark  zurück- 
gegangen. Viele  kleinere  Kohlenlager  (Industrie  von  Bengalen!)  werden 
im  Bergland  von  Orissa  abgebaut.  Das  Hauptmohngebiet  (Opium)  ist 
das  Bergland  von  Malva,  wo  vielleicht  auch  die  Baumwolle  heimisch  ist 
(sie  gehört  zur  Familie  der  Malvaceen!).  Infolge  der  deutschen  Farbstoff- 
industrie ist  der  einstige  Indigoanbau  stark  zurückgegangen.  —  Die  ehe- 
malige Urbevölkerung  (vgl.  Negrito  und  Aino)  sitzt  besonders  zerstreut  in 
den  Westghats,  dem  Arawalligebirge  und  dem  Nilgirigebirge,  sowie  in  den 
Gebirgen  Ceylons.  Auf  dem  Festlande  wird  sie  Kolaren,  auf  Ceylon  Weda 
genannt  und  mag  an  3  Mill.  Köpfe  betragen.  Den  Südosten  des  Dekhan 
und  Ceylon  besiedeln  die  dunkelfarbigen  Dravida  und  Singalesen  (65  Mill.). 

Die  Arier  selbst  (aristoi  =  beste)  drangen  aus  dem  Pamir  vor  4000  Jahren 
in  Indien  ein  und  sind  unter  dem  Treibhausklima  und  durch  Vermischung 


138  XIV.  Asien. 

mit  den  Drawida  vielfach  erschlafft  (Kastengeist).  Regsamer  als  die  Hindu 
(220  Millionen)  sind  die  Mohammedaner  (65  Millionen),  die  namentlich 
im  trockenen  Indusgebiet  siedeln,  aber  auch  im  Gangesgebiet  bis  Delhi, 
Agra  und  Allahabad  (!)  reichen. 

An  die  Zeit  der  Mongolenherrschaft  erinnern  neben  Rassenmischungen 
vor  allem  die  großen  Moscheen  des  Nordwestens.  Überhaupt  ist  Indien 
reich  an  prächtigen  Bauten,  da  bunte  Sandsteine  in  großen  Mengen  vor- 
handen sind  (vgl.  dagegen  Mesopotamien  mit  seinen  Tonziegelbauten!). 
Auch  auf  die  prächtigen  Verwaltungsbauten  der  Engländer  kann  hingewiesen 
werden.  Wegen  des  ungesunden  Klimas  wohnen  die  Europäer  im  heißen 
Sommer  in  den  Vorbergen  des  Himalaya  (Dardschiling  und  Simla);  auch 
aus  diesem  Grunde  wurde  die  Regierung  von  Kalkutta  nach  Delhi  verlegt. 

Nur  die  Gegensätze  zwischen  Mohammedanern  und  den  durch  den 
Kastengeist  entarteten  Hindus  (man  erinnere  an  Gallien  zur  Zeit  Cäsars) 
machen  es  verständlich,  wie  es  England  gelingen  konnte,  ein  so  gewaltiges 
Land  mit  wenigen  Europäern  zu  beherrschen.  Dabei  darf  nicht  die  ge- 
schickte Behandlung  der  einheimischen  Fürsten  übersehen  werden,  die 
meist  in  England  erzogen  werden  und  großes  Einkommen  beziehen. 

Vorderindien  zählt  auf  3  Vi  Millionen  km-  300  Millionen  Einwohner, 
von  denen  das  durch  die  sumpfige  Tarairegion  (Dschungel  mit  Tigern, 
vgl.  oberbayrische  Moore  am  Alpenrand)  vom  Himalaya  getrennte  Tiefland 
von  Bengalen  (Reis,  Jute,  Hirse,  Mohn  und  im  äußersten  Nordwesten  bei 
Agra  und  Delhi  auch  Weizen)  allein  140  Millionen  (Dichte  170,  12  Groß- 
städte) ernährt  und  als  „Garten  Indiens"  bezeichnet  wird.  Haupthafen  ist 
das  industrielle  Kalkutta. 

Das  Industiefland  hat  20  Millionen  Einwohner,  die  zumeist  im  Pan- 
dschab(RieselkulturmitDattelpalmen,Weizen,  Hirse  und  Baumwolle)  siedeln. 
Hauptweizenhafen  ist  das  aufstrebende  Karatschi. 

Bombay  ist  der  Ausfuhrhafen  für  das  Tiefland  von  Gudscharat  (an  Stelle 
des  versandeten  Surat),  welches  besonders  Reis  und  Baumwolle  anbaut 
und  10  Millionen  Menschen  ernährt. 

Im  Dekhan  (130  Mill.  Einw.)  ist  die  sandige  Koromandelküste  (Madras) 
am  dichtesten  bevölkert  und  baut  Reis  und  Indigo,  dazu  Baumwolle.  Im 
trockenen  Inneren  (Baumwolle,  Hirse  und  Weizen)  liegen  große  Ein- 
geborenenstaaten (Haiderabad  und  Meissur),  die  in  den  Grasländern  Vieh- 
wirtschaft (Wolle)  treiben. 

Ceylon  baut  zumeist  Tee  und  Kautschuk  an,  im  Nordosten  (Adams- 
brüche) weltberühmte  Perlfischerei.  Colombos  Bedeutung  liegt  in  der  Gabe- 
lung der  Verkehrswege  nach  Kalkutta,  Ostasien  und  Australien,  sein  Name 
erinnert  an  die  ehemalige  portugiesische  Herrschaft,  wie  Point  de  Galle 
an  die  französische.  Für  die  Kabellinien  wichtig  sind  die  durch  die 
»Emden«  bekanntgewordenen  Keelinginseln. 

Bei  der  Wichtigkeit  Indiens  muß  unbedingt  ein  knapper  Abriß  der 
Geschichte  gegeben  werden,  die  auch  die  portugiesisch  -  französischen 
Restkolonien  erklärt. 

Gewaltig  ist  der  Handel  Indiens,  dem  60000  km  Eisenbahn  zur  Ver- 
fügung stehen.  Allein  an  Tee  werden  für  322  Mill.  Mk.  ausgeführt  (davon 
144  aus  Ceylon,  gegen  58  aus  China!),  für  241  Mill.  Weizen,  dazu  Baum- 


Vorderasien.  139 


wolle  (386),  Jute  (311),  Häute  und  Felle  (223)  und  Opium  (153).  Wie  gewaltig 
die  Jute-  und  Baumwollindustrie  ist,  sehen  wir  daran,  daß  ihre  Erzeugnisse 
mit  312  bzw.  190  Mill.  Mk.  an  der  Ausfuhr  beteiligl  sind.  Nur  die  Indigo- 
erzeugung geht  zurück;  auch  einer  der  Gründe,  die  zum  Weltkriege  führten. 

Was  Indien  für  England  bedeutet,  haben  wir  schon  früher  gesehen. 
Mit  indischen  Truppen  führte  es  die  Kämpfe  gegen  die  Buren  und  im 
Weltkriege  gegen  die  Türkei  (Ägypten,  Dardanellen  und  Mesopotamien), 
so  daß  die  indischen  Truppen  allein  bis  März  1917  beinahe  500000  Mann 
(darunter  180000  Tote!)  verloren. 

An  einigen  Namen  kann  dem  Schüler  gezeigt  werden,  wie  sprach- 
verwandt das  Indische  (Sanskrit!)  mit  anderen  indogermanischen  Sprachen 
ist  Oamna  =  amnis,  patan-bad  =  potamos  [vgl.  Padang],  pur  =  bürg, 
nepal  =  nipal  =  Schneeland,  himalaya  von  hiems,  Aravalli  =  Arierwall, 
Maharadscha  =  magnus  rex). 

Das  indische  Glacis  im  Westen  abzurunden  und  zum  Schutze  des  Suez- 
kanals —  des  Genickes  des  englischen  Weltreichs  —  mit  Ägypten  zu 
verbinden,  war  einer  der  Zwecke,  aus  denen  England  in  den  Weltkrieg 
eingriff  und  damit  den  Wirrwarr  von  Fragen  aufrollte,  die  wir  in  die 
»Vorderasiatische  Frage«  zusammenfassen. 

Vorderasien. 

Vorderasien,  auch  der  asiatische  Orient  genannt,  beginnt  im  Westea 
mit  den  dichtbewaldeten,  regenreichen  Randgebirgen  Kleinasiens,  zwischen 
denen  fruchtbare  Flußtäler  sich  zur  Ägäis  entwässern.  Das  Innere  erfüllt 
eine  von  Vulkanen  überragte  trockene  Salzsteppe  (Halys  =  Salzfluß),  von 
Grasländern  umrahmt,  die  sich  zur  Viehzucht  (Angoraziegen)  eignen. 

Östlich  nähern  sich  die  Randgebirge  und  bilden  den  von  hohen  Vul- 
kanen überragten  Gebirgsknoten  Armeniens  und  Kurdistans  mit  durch 
Lavaströme  abgedämmten  Seen,  fruchtbar  nur  in  den  tiefen  Tälern,  vor 
allem  der  Kura,  um  das  sich  Georgien  entwickelte. 

Die  in  Armenien  zusammengedrängten  Gebirge  gehen  östlich  aus- 
einander und  umrahmen,  nur  noch  spärlich  bewaldet,  die  Hochfläche  des 
Iran,  in  dessen  von  Salzwüsten  und  Steppen  bedecktem  Inneren  sie  im 
eigenen  Schutt  ersticken.  Nur  vereinzelt  sind  sie  von  städtebildenden  Oasen 
durchsetzt,  die  vom  Gebirge  strömende,  später  versiegende  Flüsse  bilden. 
Seine  natürliche  Ostgrenze  findet  Iran  im  Pamirplateau. 

Von  Armeniens  Gebirgen  fließen  Euphrat  und  Tigris  nach  Süden  und 
haben  im  Verein  mit  ihren  von  Kurdistan  herabkommenden  Nebenflüssen 
den  Norden  des  Persischen  Golfs  zugeschüttet.  So  entstand  das  Schwemm- 
land von  Mesopotamien,  im  Altertum  und  Mittelalter  eine  von  8  Millionen 
bevölkerte  Kornkammer,  heute,  nach  Zerfall  der  Berieselungskanäle,  auf 
den  siebenten  Teil  der  ehemaligen  Volkszahl  gesunken,  an  den  Rändern 
von  Wüstensand  überweht.  Doch  kann  eine  neue  Blüte  kommen,  wenn 
die  Kanalpläne  ausgeführt  werden  —  die  England  mit  Hilfe  von  Millionen 
Arbeitern  aus  Indien  durchzuführen  hofft  —  und  dazu  die  am  Gebirgs- 
rande  vorkommenden  Erdöllager  erschlossen  werden. 

Schon  der  Norden  Mesopotamiens  (das  alte  Assyrien)  gehört  zu  dem 
flachen  Süden  Vorderasiens,  der  Arabischen  Tafel,  deren  aufgewölbte,  regen- 


140  XIV.  Asien. 

reiche  Ränder  als  Oman,  Hedschas  und  Jemen  mit  ihrem  Kultur-  und  Wald- 
land im  Gegensatz  zu  den  Grassteppen  und  Sand  wüsten  des  Inneren  stehen. 

Besonders  regenreich  ist  der  durch  den  Jordangraben  abgetrennte,  als 
Libanon  aufgewölbte  Westrand  mit  seinen  reichen  Wäldern  und  zu  Be- 
wässerungsoasen (Damaskus)  umgewandelten  Tälern. 

Die,  Zweiteilung  in  einen  gefalteten  Norden  und  einen  tafelförmigen 
Süden  spiegelt  sich  im  völkischen  Aufbau  Vorderasiens  wider. 

Der  gleichförmig  gebaute  Süden  (auf  1,3  Mill.  km^'  2,5  Mill.  Einw.) 
ist  bis  auf  die  schmale  Zone  zwischen  Jordangraben  und  Mittelmeer  nur 
von  arabischen  Stämmen  bewohnt  und  entwickelte  in  engem  Anschluß 
an  die  Landesnatur  die  Religion  des  Islams,  deren  Grundzüge  Fatalismus 
und  Fanatismus  sind,  ersterer  bedingt  durch  die  häufigen  Mißernten 
(Trockenheit,  Heuschreckensch wärme),  letzterer  durch  die  Temperatur- 
gegensätze, wozu  infolge  der  Tageshitze  angelernte  Trägheit  kommt. 

Bunter  ist  das  Völkerbild  im  Faltenland  des  Nordens  (3,3  Mill.  km-  mit 
30  Mill.  Einw.).  Da  finden  wir  im  Inneren  Kleinasiens  als  Rest  der  mongo- 
lischen Invasion  (vgl.  mit  Magyaren!)  den  Osmanen,  umrahmt  an  den  regen- 
reichen Küsten  von  griechischem  Siedlungsland.  In  Armenien  teilen  sich 
Armenier  und  Kurden,  dazu  eine  wahre  Rumpelkammer  kleiner  Völkchen  in 
den  Tälern  bis  zum  Kaukasus  hin  (vgl.  Restvölker  in  den  Alpen!),  im  Iran 
endlich  die  verschiedenen  Stämme  der  Perser,  Afghanen  und  Beludschen. 

Im  Altertum  und  Mittelalter  blühten  Vorderasiens  Siedlungen  infolge 
der  großen  Handelsstraßen,  die  den  Handel  zwischen  Europa  und  Indien 
vermittelten.  Der  Sieg  des  Osmanentums  sperrte  diese  Wege  und  leitete 
das  Zeitalter  der  Entdeckungen  ein,  so  verödeten  die  Handelsstraßen  vor 
allem  nach  dem  Durchstoß  des  Suezkanals,  und  besonders  Iran  ist  reich 
an  verfallenden  Städten,  da  England  aus  politischen  Gründen  auch  Af- 
ghanistan, über  das  der  kürzeste  Weg  von  Europa  nach  Indien  führt,  ver- 
riegelte, getreu  der  Glacispolitik. 

Und  doch  hat  auch  Vorderasien  eine  Zukunft,  wenn  die  politischen 
Verhältnisse  sich  beruhigen  und  die  Bewässerungsanlagen  erneuert  werden. 
Das  lehrt  schon  der  lokale  Aufschwung  von  Häfen,  wie  Beirut  und  Smyrna. 

Bis  zum  Ende  des  Weltkrieges  war  etwa  die  Hälfte  des  Landes  im 
Besitz  der  Türkei,  deren  ungünstige  politische  Lage  nicht  nur  durch  den 
Gegensatz  zwischen  Osmanen,  Arabern  und  Armeniern,  sondern  vor  allem 
durch  die  schwer  zu  verteidigenden,  beide  Seiten  Arabiens  umfassenden 
Fühlhörner  des  Hedschas  und  Mesopotamiens  bedingt  war.  Mitten  im 
Ausbau  der  zu  ihrer  Verteidigung  von  Kleinasien  aus  gebauten  Bahnen, 
die  sich  bei  Aleppo  verknoten,  wurde  das  Land  durch  den  Krieg  über- 
rascht, den  England  folgerichtig  führte,  durch  Aufreizung  der  Araber  diese 
beiden  Verkehrswege  abschneidend,  welche  die  Landbrücke  von  Indien 
nach  Ägypten  bedrohten.  Aber  noch  wissen  wir  nicht,  ob  es  seines  Länder- 
raubes wirklich  froh  werden  wird,  da  das  Freiheitsgefühl  der  Araber  sich 
mit  dem  englischen  Imperialismus  ebensowenig  abfinden  wird,  wie  mit 
dem  ihnen  vorgespiegelten  Deutschlands. 

Hier  erhebt  sich  das  Problem  des  Islams,  das  nicht  nur  Vorderasien, 
sondern  auch  den  ganzen  Norden  Afrikas  berührt,  wo  die  zweite  Hälfte 
des  Orients  liegt. 


XV.  Afrika. 


überblick. 

Den  größten  Teil  von  Afrika  bildet  eine  gewaltige,  wenig  gegliederte 
Großscholle.  Im  Süden  wird  sie  durch  das  Kapländische  Ge- 
birge (Überrest  eines  im  Mesozoikum  gefalteten  Gebirgsgürtels,  dessen 
Fortsetzung  wir  im  Indischen  und  Atlantischen  Ozean  zu  suchen  haben) 
begrenzt,  im  Norden  durch  die  Ketten  des  Atlasgebirges,  die  eigentlich 
zu  den  südeuropäischen  Gebirgen  gehören  und  Afrika  in  ähnlicher  Weise 
angegliedert  sind,  wie  das  Gebirgsland  von  Oman  der  arabischen  Scholle. 

Die  Grabenbrüche 
des  westlichen  Vorder- 
asiens und  des  Roten 
Meeres  durchziehen  wei- 
ter südlich  auch  Afrika 
und  sind  vielfach  von 
langgestreckten  Seen  (Ru- 
dolfsee, Njassasee,  Tan- 
ganjikasee  usw.)  einge- 
nommen, während  der 
Viktoriasee  nur  die  Über- 
flutung der  tiefsten  Teile 
einer  großen  Mulde  ist 
(vgl.  Tschadsee  mit  sei- 
nen Inseln!).  Abessinien 
zeigt  sich  als  eine  hoch- 
liegende, zumeist  aus 
Sandstein  bestehende,  mit 
vulkanischen  Laven  über- 
deckte Scholle,  die  dem 
Roten  Meere  ihren  Steil- 
rand zuwendet  (vgl.  mit 
Jemen,  Schwarzwald,  Vogesen  und  Cevennen).  Das  ganze  Gebiet  ist  gekenn- 
zeichnet durch  seinen  Vulkanreichtum,  so  daß  wir  es  als  Ostafrika 
von  dem  übrigen  Erdteil  trennen  müssen.  Außerhalb  Ostafrikas  finden  wir 
nur  noch  im  Kamerunberglande  und  dem  Manemgubaberglande  deutliche 
Spuren  ausgedehnter  vulkanischer  Tätigkeit.  Neuerdings  wollen  französische 
Forscher  auch  im  Tibestigebiet  erloschene  Vulkane  entdeckt  haben. 

Von  den  afrikanischen  Inseln  ist  Madagaskar  nur  eine  losgelöste 
Scholle  Afrikas  (vgl.  Ceylon),  während  die  Kanaren  den  Atlas  fortsetzen 
(vgl.  Balearen).  Die  übrigen  Inseln  sind  meist  vulkanischer  Natur  (man 
beachte  die  Linie  Annobom,  St.  Thome,  Fernando  Po,  Kamerungebirge) 
mit  vielfach  angesetzten  Korallenriffen.  Die  ostafrikanischen  Küsteninseln 
(Sansibar,  Pemba,  Mafia)  sind  Reste  eines  die  Küste  begleitenden  Korallen- 
riffes; an  der  westafrikanischen  Küste  hat  das  kalte  Tiefen wasser  die 
Bildung  eines  Gegenstückes  zu  ihnen  verhindert. 


^■•/ Wüsfen 
'"■»'Savannen 
V  V  Sfeppen 
lllllllRegenwdId 
l!li5onsHg?rWcild 

Palmen 
■^  IntensiveKulfur 
^^'■Vpm^lzpl^  Kulturland 
-— Grenzen  dlcindschaffen 
weiss  Wüsfensteppen 
— »Strömungen 


35.  Die  Landschaften  Afrikas. 


142  XV.  Afrika. 

An  der  ostafrikanischen  Küste  finden  wir  bis  zur  Rovumamündung 
arabische  Namen,  weiter  südh'ch  stellen  sich  vielfach  portugiesische  ein, 
die  sich  auch  über  die  ganze  Westküste  bis  zum  Atlasgebiet  erstrecken. 
Man  behandelt  im  Zusammenhang  hiermit  die  Kaps  am  besten  im  An- 
schluß an  die  Umseglung  Afrikas  durch  die  portugiesischen  Seefahrer. 
Die  in  Betracht  kommenden  Namen  sind  folgende:  Kap  Nun  (=  non, 
man  wagte  es  erst  1436  zu  umsegeln!),  Kap  Bojador  (bojar  =  umsegeln, 
vgl.  boje),  Kap  Blanco  (weiße  Kreidefelsen),  Kap  Verde  (viridus  =  grün), 
Kap  Palmas,  Fernando  Po  (König  Ferdinand),  Kap  Lopez  (spanischer 
Feldherr),  Kap  Negro,  Kap  Frio  (frigidus  =  kalt,  Walfischbai  und  kalte 
Strömung!),  Angra  Pequena,  Kap  Agulhas  (Nadelkap),  Port  Natal  (dies 
natalis  =  Weihnacht),  Delagoabai,  Kap  Corrientes  (currere  =  stark  gegen 
die  Küste  laufende  Strömung),  Kap  Delgado  (Spitzes  Kap),  Kap  Ambre 
(Ambra,  Pottwal).  Weiter  nördlich  hatten  die  Araber  schon  die  Küsten 
besiedelt  und  ihr  die  Namen  gegeben.  Die  Portugiesen  segelten  mit 
den  Monsunwinden  von  Melinde  (nördlich  Mombas)  nach  Vorderindien. 
Auf  umgekehrtem  Wege  besiedelten  die  Inder  die  afrikanische  Ostküste. 

Eine  derartige  Konzentration  ist  für  den  Unterricht  sehr  anregend, 
zumal  wenn  man  auch  die  Richtung  der  Meeresströmungen  feststellen 
läßt  (Landzungen!). 

Sehen  wir  von  der  europäischen  Einwanderung  ab,  so  lassen  sich 
in  Afrika  drei  Bevölkerungswellen  unterscheiden. 

Im  Süden  siedeln  die  als  Koikoin  zusammengefaßten  Hottentotten 
und  Buschmänner,  und  zwar  in  den  unfruchtbaren  Sand-  und  Steppen- 
landschaften des  Westens,  während  sie  aus  dem  fruchtbaren  Osten  durch 
die  Kaffern  und  Betschuanen  verdrängt  wurden. 

Diese  gehören  zur  zweiten  Welle  der  Neger,  welche  die  ältere  Be- 
völkerungsschicht der  Pygmäen  (Zwergvölker)  in  die  entlegensten  Wald- 
gebiete zurückgedrängt  hat.  Südlich  des  fünften  Breitenkreises  (nörd- 
licher Breite)  finden  sich  die  Bantuneger,  weiter  nördlich  die  Sudanneger, 
die  sich  nur  schwer  von  den  ersteren  körperlich  abgrenzen  lassen,  wohl 
aber  in  der  Sprache  wesentliche  Unterschiede  aufweisen.  Die  Bantu- 
neger sind  Heiden,  die  Sudanneger  haben  zumeist  den  Islam  an- 
genommen, dessen  Südgrenze  auffallend  mit  der  Nordgrenze  der  tropischen 
Urwälder  übereinstimmt,  und  siedeln  vielfach  in  Stadtdörfern. 

Die  dritte  Völkerwelle  sind  die  ebenfalls  von  Norden  her  eingewanderten 
Hamiten  und  Semiten  (letztere  werden  vielfach  auch  Berber  =  Barbaren 
genannt),  die  sich  im  Westen  bis  an  den  Niger  vorgeschoben  haben, 
im  Osten  (Niltal  und  Küstenschiffahrt)  sogar  über  den  Äquator  reichen 
(Massai).  Nur  in  der  Mitte  verhindert  die  Lybische  Wüste  ihre  Aus- 
breitung, so  daß  hier  die  Sudanneger  (Tibbu)  bis  ans  Bergland  von 
Tibesti  reichen.  Sprachlich  sind  Hamiten  und  Semiten  gut  zu  unter- 
scheiden, körperlich  sind  die  Unterschiede  vielfach  undeutlich;  erstere 
sind  in  größerem  Umfange  mit  Negern  gemischt.  Die  Gesamtbevölkerung 
des  Erdteils  wird  auf  140  Millionen  geschätzt,  von  denen  etwa  90  Millionen 
Neger,  48  Millionen  Hamiten-Semiten  und  noch  nicht  2  Millionen  Europäer 
sind,  da  die  zahlreichen  Wasserfälle  der  großen  Flüsse  im  Unterlaufe 
die  Erschließung  des  Erdteiles  sehr  erschwerten. 


Die  Atlasländer.  143 


Bei  der  Einteilung  Afrikas  in  natürliche  Landschaften  spielt  bei  der 
geringen  Entwicklung  der  Bodenplastik  (dagegen  Asien  und  Europa!) 
die  Pflanzendecke  eine  große  Rolle. 

Die  Atlasländer. 
Die  nördlichste  Landschaft  sind  die  Atlasländer  (700000  km-  mit 
13,5  Mill.  Einw.,  D.=  19),  die  Südfrüchte,  Datteln  (Sfax),  Wein,  Getreide, 
Eisenerz  und  Phosphate  erzeugen.  Dazu  ist  die  Viehzucht  hoch  entwickelt. 
Als  Getreideland  hat  Westmarokko  eine  große  Bedeutung,  dabei  ist  der 
hohe  Atlas  reich  an  Eisenerzen.  Bewaldet  ist  ein  Zehntel  der  Fläche,  und 
das  Kulturland,  auf  das  in  Marokko  und  Algerien  nur  ein  Viertel  der  Fläche 
entfällt,  steigt  in  Tunis  auf  die  Hälfte  an.  Das  Eisenbahnnetz  ist  gut  aus- 
gebaut und  der  Handel  stark  entwickelt,  Handelshäfen  sind  vor  allem  Kasa- 
blanka,  Oran,  Algier,  Tunis  und  Sfax,  die  mit  ihren  Europäervierteln  (Algier) 
stark  von  den  rein  arabischen  Städten  des  Inneren  kontrastieren. 

Die  Sahara. 
Die  Sahara  umfaßt  8  Millionen  km-  mit  etwa  1,5  Mill.  Einwohnern  und 
reicht  ungefähr  bis  zum  1 5.  Breitenkreis.  Zwischen  Sand-  und  Felswüsten  aus- 
gedehnte Wüstensteppen,  auf  einigen  Höhen  sogar  lichte  Wälder  (Hoggar), 
Haine  von  Dattelpalmen  in  den  Oasen,  deren  Städte  (vgl.  Hochasien!)  infolge 
der  Umschaltung  des  Weltverkehrs  veröden.  Die  wichtigsten  Karawanen- 
straßen führten  von  Gabes  und  Tripolis  nach  dem  Nigerknie  bei  Timbuktu 
und  zum  Tschadsee.  Die  geplante  Transsaharabahn  hat  nur  strategische 
Bedeutung. 

Der  Sudan. 

Den  Sudan  bilden  die  Grasländer  und  Savannen,  die  einen  reichen 
Ackerbau  und  Viehzucht  gestatten;  nur  an  der  Guineaküste  lagert  sich  ein 
Urwaldstreifen  mit  Plantagenwirtschaft  an.  So  ist  die  Bevölkerung  für 
afrikanische  Verhältnisse  außerordentlich  dicht  (über  50  Millionen  auf 
4,5  Mill.  km-).  Sie  besteht  meist  aus  zum  Islam  sich  bekennenden  Neger- 
stämmen, die  sich  zu  ständig  wechselnden  Staaten  (Haussa,  Fellata) 
zusammenschließen.  Viele  große  Städte.  Bis  zur  Besitzergreifung  durch 
die  Europäer  haben  die  ständigen  Reibereien  der  Stämme  einen  stärkeren 
Aufschwung  verhindert.  Da  die  Flüsse  mit  Ausnahme  des  Senegal  und  Niger 
nicht  schiffbar  sind,  ist  zur  Erschließung  des  Landes  ein  großes  Eisenbahn- 
netz im  Bau,  dessen  Ausgangspunkte  die  Haupthäfen  der  verschiedenen 
Kolonien  an  der  Guineaküste  sind.  Diese  bestehen  aus  einem  mit  Urwald 
bedeckten  Küstenstreifen  (Ölpalmen,  tropische  Produkte,  Kautschuk,  Kakao 
[Goldküste  52  Mill.  kg]  und  Baumwolle)  und  dem  sogenannten  »Hinter- 
land« mit  dichterer  Besiedelung.  Liberia  wurde  1822  durch  freigelassene 
nordamerikanische  Neger  gegründet;  an  sie  erinnert  auch  Freetown,  der 
Hauptort  der  Sierra  Leone.  Wichtig  ist  es,  daß  am  mittleren  Niger  durch 
Berieselung  noch  etwa  200000  km-  der  Kultur  gewonnen  werden  können. 

Das  Nilgebiet. 
Als  Nilgebiet  bezeichnen  wir  Ägypten  und  den  angloägyptischen  Sudan 
mit  15  Millionen  Einwohnern  auf  3  Millionen  km-. 


144  XV.  Afrika. 

Ägypten  reicht  südlich  so  weit,  als  der  Nil  ununterbrochen  schiffbar  ist, 
also  bis  zum  ersten  Katarakt  südlich  Assuan.  Von  seiner  Fläche  (994  000  km"-) 
entfallen  28  000  km-  auf  das  wüstenumrahmte  Kulturland  des  Nil  (1 1  600 
Niltal,  16100  Delta).  Auf  dieser  Fläche  (=  Provinz  Posen)  wohnten  1910 
gegen  1 1  Millionen  Menschen  (Dichte  beinahe  400!),  gegen  5,5  Mill.  1870. 

Im  Altertum  war  Ägypten  ein  reiches  Getreideland  und  als  solches  eine 
wichtige  römische  Kolonie.  Neuerdings  ist  die  Getreideerzeugung  ganz 
zugunsten  der  Baumwolle  eingeschränkt^-  Zur  Regelung  der  Bewässerung 
(es  fällt  fast  kein  Regen!)  diente  im  Altertum  der  Mörissee  (jetzt  Birket  el 
Kerun  in  der  Fajumoase),  heute  die  große  Stauanlage  bei  Assuan,  eine 
weitere  ist  bei  Chartunl  im  Bau.  Der  Bodenertrag  soll  jedoch  nachgelassen 
haben,  da  die  Staudämme  den  fruchtbaren  Nilschlamm  zurückhalten.  Ein 
dichtes  Eisenbahnnetz  durchzieht  das  Land,  das  durch  den  Bau  des  Suez- 
kanales,  des  »Genickes  der  Welt  <,  auch  in  den  Brennpunkt  des  Weltverkehrs 
rückte.  Als  Glacis  gegen  die  Türkei  benutzte  England  die  Sinaiwüste, 
die  ihre  schützende  Rolle  namentlich  zu  Anfang  des  Weltkrieges  gut  er- 
füllt hat. 

Bis  Berber  heißt  das  wüstenbedeckte  Gebiet  zu  beiden  Seiten  des 
Nil  Nubien,  erst  südlich  des  15.  Breitenkreises  beginnt  die  Graslandschaft 
des  ägyptischen  Sudans,  der  im  Westen  bis  zur  Wasserscheide  gegen 
den  Schari,  im  Süden  bis  zur  Nordgrenze  der  äquatorialen  Urwälder,  im 
Osten  bis  zum  Hochlande  von  Abessinien  reicht.  Die  Schiffbarkeit  des 
Nil  wird  durch  Grasbarren  sehr  erschwert.  Das  an  Wild  (Bahr  el  Ghasal 
=  Gazellenfluß)  reiche  Gebiet  ist  ein  Eldorado  für  Sportsleute.  Der  Mahdi- 
aufstand  hat  den  größten  Teil  der  Bevölkerung  (heute  4  Mill.  auf  2  Mill.  km'-) 
hin  weggerafft,  doch  setzt  ein  neuer  Aufschwung  ein.  Als  Hauptausfuhr- 
hafen entwickelt  sich  an  Stelle  des  zurückgehenden  Suakin  Port  Sudan, 
das  mit  Berber  durch  eine  Bahn  verbunden  ist.  Weitere  Bahnen  sind  teils 
vollendet,  teils  im  Bau  begriffen. 

Äquatorialafrika. 

Äquatorialafrika  umfaßt  die  Flußgebiete  des  Kongo,  Sanaga  und 
Ogowe  und  bedeckt  4  Mill.  km-  mit  etwa  25  Mill.  Einwohnern.  Zumeist  ist 
es  von  Urwald  bedeckt;  im  Inneren  begleitet  derselbe  als  Galeriewald  die 
Flußufer,  dazwischen  Graslandschaften.  Ausfuhrgegenstände  sind  nament- 
lich Kautschuk  (Kongostaat  33  Mill.  Mk.,  Kamerun  und  Togo  21  Mill.  Mk., 
Französisch-Kongo  23  Mill.  Mk.,  gegen  350  Mill.  Mk.  im  tropischen  Süd- 
amerika!), Elfenbein  und  Hölzer.  Die  Kautschukgewinnung  hat  im  Kongo- 
gebiet durch  Raubbau  sehr  gelitten,  die  Ausfuhr  wird  durch  die  Strom- 
schnellen des  unteren  Kongo  erschwert,  dazu  lastet  wie  eine  Geißel  die 
Schlafkrankheit  auf  dem  ganzen  tropischen  Afrika.  Der  Feind  aller  Kultur 
ist  die  Tsetsefliege.  Wo  sie  vorkommt,  kann  keine  Rinderzucht  getrieben 
werden  und  deshalb  keine  Pflugkultur.  Daher  fehlt  der  Dung  als  Förderer 
einer  rationellen  Landwirtschaft,  und  an  deren  Stelle  tritt  der  Hackbau, 
der  um  das  Vielfache  langsamer  arbeitet! 


')   Da   das  Getreide   von   englischen  Kolonien   auf  englischen  Schiffen  ein- 
geführt wird,  hat  England  Ägypten  völlig  in  seiner  Hand! 


Ostafrika.  145 

Dies  muß  unbedingt  bei  der  Besprechung  des  tropischen  Afrikas  erwähnt 
werden;  die  großen  Trägerkaravvanen  werden  erst  jetzt  verständlich. 

Die  Kamerun  vorgelagerten  Insehi  sind  Sitz  eines  großen  Kakaoanbaues 
(St.  Thome  36  Milhonen  kg,  Fernando  Po  3,5  Milhonen  kg)  und  zeigen, 
welche  Zukunftsaussichten  nach  Überwindung  der  genannten  Schwierig- 
keiten im  tropischen  Afrika  ruhen.  Der  heute  über  die  Kongomündung 
(Eisenbahnen  zur  Umgehung  der  Stromschnellen)  geleitete  Handel  nahm 
bis  vor  einigen  Jahrzehnten  seinen  Weg  vom  Tanganjikasee  nach  Sansibar, 
dessen  Bedeutung  sich  seitdem  wesentlich  verringert  hat.  Große  Zukunfts- 
aussichten hat  das  Katangagebiet  mit  seinen  reichen  Kupferlagern. 

Ostafrika. 

Ostafrika  umfaßt  4,1  Millionen  km-  mit  19  Millionen  Einwohnern. 
Am  dichtesten  siedelt  die  Bevölkerung  (10  auf  1  km'-)  auf  dem  wald-  und 
weidereichen  Hochland  von  Abessinien,  das  von  England,  Frankreich 
und  Italien  umworben  wird.  Der  italienische  Einfluß  ist  seit  der  Nieder- 
lage von  Adua  (18Q6)  sehr  gesunken.  Während  die  Somalihalbinsel 
von  Grassteppen  und  Savannen  bedeckt  ist,  stellt  sich  südlich  der  Dschuba- 
mündung  tropischer  Urwald  ein,  der  in  etwa  200  km  breitem  Streifen 
die  Küste  bis  zur  Limpopomündung  begleitet.  Im  Hinterlande,  dem  so- 
genannten „Seengebiet",  überwiegen  Grasländer,  über  die  sich  die  höheren 
Berge  als  Waldinseln  erheben.  Viele  Vulkane  ragen  bis  über  die  Schnee- 
grenze und  bilden  die  höchsten  Erhebungen  des  Erdteils.  Die  lang- 
gestreckten abflußlosen  Senken  sind  regenlos  und  weisen  größere  Salz- 
seen auf  (Natronsee). 

So  finden  wir  an  der  urwaldbedeckten,  regenreichen  Küste  ausgedehnte 
Plantagenwirtschaft  (Baumwolle,  Sisalhanf,  Kokospalmen,  Zuckerrohr, 
Tabak),  im  Inneren  (auch  Seengebiet  genannt)  Ackerbau  und  Viehzucht. 
Zur  Erschließung  des  Gebietes  dienen  vor  allem  die  Ugandabahn  (Mom- 
bas),  die  Tangabahn,  die  deutsch-ostafrikanische  Mittellandbahn  (Dares- 
salam)  und  der  Schire-Sambesi-Weg  (Quelimane),  der  einen  großen  Teil 
von  Mozambique  und  das  ebenfalls  zu  Ostafrika  zu  rechnende  britische 
Njassaland  erschließt. 

Ostafrika  besaß  zu  Beginn  des  Weltkrieges  2800  km  Eisenbahnen. 
Der  Handel,  den  an  der  Küste  zumeist  Inder  vermitteln,  war  auf  etwa 
1 80  Millionen  Mark  zu  schätzen ;  die  Plantagenwirtschaft  an  der  Küste  war  in 
großem  Aufschwung  begriffen,  und  auch  der  Bergbau  im  Inneren,  dessen 
Klima  größere  europäische  Besiedelung  zuläßt,  war  schon  recht  bedeutend. 

Südafrika. 

Das  gesamte  Gebiet,  das  südlich  der  Wasserscheide  zwischen  dem 
Kongo  und  seinen  Nebenflüssen  einerseits,  dem  Quanza  und  Sambesi 
anderseits  liegt,  nennen  wir  Südafrika. 

Es  bildet  ein  von  randlichen  Gebirgen  umrahmtes  Becken  von  4,6  Mil- 
lionen km'-,  das  im  Inneren  abflußlos  ist  und  randlich  von  zahlreichen 

Olb  rieht,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  10 


146  XV.  Afrika. 

Flüssen  entwässert  wird,  von  denen  jedoch  nur  der  untere  Sambesi  für 
die  Schiffahrt  in  Betracht  kommt. 

Bis  zur  Linie  Mossamedes,  Buluwayo,  Durban  reichen  als  verkleinertes 
Gegenstück  zum  Sudan  lichte  Wälder  und  Savannen  der  Subtropenzone, 
die  sich  zur  Viehzucht  eignen  und  wohl  eine  dichtere  europäische  Be- 
völkerung ernähren  könnten. 

Weiter  südlich  wird  das  Aussehen  des  Landes  einmal  durch  die  vor- 
herrschenden Südostpassate,  sodann  durch  die  beiden  verschiedenartigen 
Meeresströmungen  bedingt,  den  kalten  Benguellastrom  im  Westen  und 
den  warmen  Nadelkapstrom  im  Osten.  Die  warme  Ostküste  wird  von 
regenreichen  Winden  überschüttet,  die  Randgebirge  sind  dicht  bewaldet, 
bis  zur  Limpopomündung  reicht  der  tropische  Regenwald,  bis  Port  Elisa- 
beth die  Palmen.  Westlich  des  20.  Längenkreises  wird  der  Wald  spärlicher, 
bei  Kapstadt  starker  Weinbau.  Nach  Nordwesten  nimmt  die  Trockenheit 
zu.  Zuerst  (Oranje-  und  Vaalgebiet)  finden  wir  Grassteppen  mit  Vieh- 
zucht, weiter  östlich  die  Wüstensteppen  der  Kalahari,  an  der  Westküste 
endlich  die  Stein-  und  Sandwüsten,  die  sich  mit  ihren  Sanddünen  von 
der  Oranjemündung  bis  südlich  Mossamedes  erstrecken.  Erst  an  der 
Kunenemündung  treffen  wir  wieder  auf  Palmen. 

Von  größter  Bedeutung  sind  die  Goldlager  (Witwatersrand)  und  Dia- 
mantenfelder des  Inneren,  die  in  krankhafter  Weise  die  arbeitende  Be- 
völkerung anziehen.  So  entfielen  im  englischen  Südafrika  von  der  Gesamt- 
ausfuhr (vor  dem  Kriege  1360  Millionen  Mark)  768  auf  Gold,  246  auf 
Diamanten,  117  auf  Wolle,  deren  Ertrag  auf  65  000  Tonnen  geschätzt 
wird,  60  auf  Straußenfedern  und  60  auf  sonstige  tierische  Erzeugnisse. 
Auch  Kohlen  (28,4  Millionen)  und  Kupfer  (9  Millionen)  wurden  aus- 
geführt, und  das  Eisenbahnnetz  betrug  bei  Kriegsausbruch  13  300  km. 
Deutsch-Südwest  war  ebenfalls  in  lebhaftem  Aufschwung  begriffen,  das 
Eisenbahnnetz  auf  2100  km  angewachsen,  der  Viehbestand  recht  beträcht- 
lich, und  die  Ausfuhr  betrug  40  Millionen  Mark  (Diamanten,  Kupfer  und 
Blei).   Gering  war  die  Entwicklung  der  portugiesischen  Kolonien. 

Zweifellos  hat  Südafrika  eine  große  Zukunft,  zumal  da  es  ausgedehntes 
Siedlungsland  für  Europäer  aufweist  (unter  12  Millionen  Einwohnern 
1  300000  Europäer,  gegen  900000  in  den  Atlasländern,  1 10000  in  Ägypten 
und  noch  nicht  10000  im  übrigen  Afrika),  etwa  die  Hälfte  des  auf  der 
Erde  gewonnenen  Goldes  erzeugt  und  die  großen  Wasserfälle  (Viktoria- 
fall des  Sambesi)  im  Verein  mit  kleineren  Kohlenlagern  einer  Industrie 
förderlich  sind.  Aber  nicht  mit  Unrecht  sagt  Dove:  »Erst  wenn  Gold  und 
Diamanten  in  den  Hintergrund  getreten  sind,  werden  die  Bewohner  Süd- 
afrikas in  den  immer  aufs  neue  sich  darbietenden  Erzeugnissen  der  Vieh- 
zucht und  der  Bodenkultur  Gegenstände  des  Handels  erkennen,  die  ihrer 
Heimat  größeren  Segen  bringen,  als  die  unterirdischen  Schätze,  die  nur 
einige  wenige  glücklich  zu  machen  vermögen.«  ich  füge  hinzu:  Ist  es  ein 
günstiges  Zeichen,  wenn  Hafenstädte  wie  Kapstadt  und  Durban  an  Be- 
völkerung verlieren,  um  das  Heer  der  Goldgrubenarbeiter  aufzufüllen, 
wenn  die  Goldstädte  Johannesburg  und  Pretoria  in  immer  größerem  Um- 
fange die  Bevölkerung  an  sich  reißen  und  ein  immer  größeres  Heer 
Unzufriedener  sich  hier  ansammelt? 


Die  Inseln.  147 

Die  Inseln. 

Die  westafrikanischen  Inseln  Madeira,  die  Kanaren  und  die  Kap- 
verden sind  gleich  den  schon  genannten  Guineainseln  vulkanischer 
Natur.  Las  Palmas  und  Funchal  sind  wichtige  Häfen,  Funchal  zudem 
eine  Gesundheitstation  für  Lungenleidende.  Ascension  und  St.  Helena 
waren  früher  wichtige  Etappen  zwischen  Gibraltar  und  dem  Kap,  auch 
heute  sind  sie  noch  von  Bedeutung  für  die  englischen  Kabel. 

Von  den  ostafrikanischen  Inseln  ist  die  größte  Madagaskar,  im 
Osten  in  dichten  Regenwald  gehüllt  und  im  Westen  von  lichten  Savannen 
bedeckt,  wodurch  sich  die  Zweiteilung  der  Einwohner  (Howas  und  Saka- 
laven)  erklärt.  Die  Ausfuhr  erstreckt  sich  besonders  auf  Kautschuk  und 
Häute,  dazu  Hölzer,  und  ist  für  3  Millionen  Einwohner  gering  (46  Mil- 
lionen Mark),  was  an  der  Unfähigkeit  der  Franzosen  liegt,  den  schlech- 
testen Kolonisatoren  unter  den  Hauptkulturvölkern. 

Das  unruhige  Relief  des  Meerbodens  östlich  von  Madagaskar  erstreckt 
sich  bis  zu  den  Tschagosinseln  und  zeigt,  daß  hier  der  Rest  eines  zer- 
brechenden Festlandes  vorliegt,  dessen  letztes  Überbleibsel  die  Seychellen 
und  Maskarenen  mit  ihren  Vulkanen  und  Korallenbauten  sind.  Von 
den  zahlreichen  Inseln  sind  Reunion  und  Mauritius  wichtige  Etappen- 
stationen mit  großer  Zuckererzeugung. 

Die  Erschließung  Afrikas. 

Jetzt  erst  gebe  man  die  politische  Gestaltung  Afrikas,  und  zwar  am 
besten  in  Gestalt  eines  geschichtlichen  (Namen!)  Abrisses,  wobei  es  mehr 
auf  Herausarbeitung  der  Zusammenhänge,  als  auf  eine  Fülle 
von  Einzelheiten  ankommt. 

Im  Zeitalter  der  Entdeckungen  war  die  afrikanische  Küste  vom 
Kap  Bojador  bis  zum  Kap  Guardafui  portugiesisches  Interessengebiet, 
ebenfalls  Madagaskar  (Diego  Suarez)  und  die  Maskarenen  (Rodriguez). 
Um  das  Jahr  1600  ist  das  Kapland  in  niederländischem  Besitz  (Kapstadt, 
Kap  der  Guten  Hoffnung,  Oranjefluß  nach  Wilhelm  v.  Oranien  und  die 
vielen  niederdeutschen  Namen  im  Kapland),  Mauritius  (1598 — 1710)  eine 
holländische  Etappe  nach  Indien.  Die  Engländer  besetzten  Tanger,  Gambia, 
die  Goldküste  und  St.  Helena,  Frankreich  die  Senegalmündung  (St.  Louis), 
Madagaskar  (Ft.  Dauphin)  und  Reunion  als  Etappen  zu  seinem  indischen 
Besitz.  Portugals  Interessengebiet  schmilzt  im  Westen  auf  die  heutige 
Grenze  zusammen,  umfaßt  aber  im  Osten  noch  die  Sansibarküste  bis 
Melinde.  Madeira  und  die  Kap -Verden  sind  wichtige  Etappenpunkte 
nach  Brasilien. 

Um  das  Jahr  1790  ist  die  Lage  eine  ähnliche.  Frankreich  hat 
auch  Mauritius  und  die  Seychellen  besetzt.  England  anstatt  Tanger  Gi- 
braltar und  die  Sierra  Leone  erworben. 

In  den  folgenden  Jahrzehnten  baut  es  zielbewußt  die  Etappen  des 
Seeweges  nach  Indien  aus,  das  Frankreich,  durch  die  Napoleonischen 
Kriege  auf  dem  Festlande  gebunden,  aufgegeben  hat.  Es  erobert  das  Kap- 
land (die  niederländischen  Bauern  wandern  nach  Norden  aus  und  gründen 
den  Oranjefreistaat  und  Transvaal  —  Vaal  heißt  der  Südarm  des  Nieder- 

10* 


148  XV.  Afrika. 

rheins  —  Natal,  die  heutigen  westafrikanischen  Stützpunkte  (noch  ohne 
größeres  Hinterland),  Mauritius,  die  Seychellen  und  Lakkadiven  und  setzt 
sich  am  Eingange  des  Roten  Meeres  fest.  Frankreich  hat  Algier  (1830) 
und  Tunis  (1882)  erobert,  dazu  Madagaskar  (1896)  und  Stützpunkte  an 
der  Guineaküste. 

In  den  letzten  Jahrzehnten  bauen  namentlich  England  und  Frank- 
reich ihren  afrikanischen  Besitz  aus  und  runden  ihn  großzügig  ab,  wäh- 
rend Deutschland  und  Italien  mit  räumlich  getrennten  Kolonien,  denen 
insbesondere  große  Flüsse  fehlen,  vorliebnehmen  mußten. 

Frankreich  schafft  sich  in  Nordafrika  ein  gewaltiges  (mehr  an  Fläche, 
als  an  Wert)  Kolonialreich,  mit  dem  Hauptgesichtspunkt,  aus  ihm  ein 
»Schwarzes  Heer«  zu  rekrutieren.  Sein  Ziel,  ein  mittelafrikanisches  Ko- 
lonialreich vom  Senegal  bis  zum  Roten  Meer  zu  schaffen,  vereitelte  Eng- 
land durch  Besetzung  von  Faschoda  (1898),  wodurch  Dschibuti  und 
Obok  ein  Torso  blieben,  während  das  englische  Kolonialreich  nach  Be- 
setzung Ägyptens  (Suezkanal)  und  des  ägyptischen  Sudans  vom  Indischen 
Ozean  bis  zum  Mittelmeer  reicht. 

Nur  dadurch,  daß  England  den  Franzosen  freie  Hand  in  Marokko  läßt 
und  zugleich  in  die  Abrundung  des  französischen  westafrikanischen  Besitzes 
einwilligt  (die  übrigen  westafrikanischen  europäischen  Kolonien  sind  nur 
Inseln  im  französischen  Gebiet!),  wird  der  drohende  Krieg  vermieden. 
Etwa  ein  Jahrzehnt  vorher  übergaben  die  europäischen  Großmächte  dem 
belgischen  König  Leopold  das  Kongogebiet  (1885),  über  dessen  Auf- 
teilung sie  sich  nicht  einigen  konnten. 

Besonders  zielbewußt  geht  England  in  Südafrika  vor  und  treibt  unter 
Cecil  Rhodes  (Rhodesia!)  einen  Keil  in  das  portugiesische  Kolonialreich 
und  unterbindet  dessen  Lebensader,  den  Sambesi,  seine  Grenzen  bis 
Katanga  und  dem  Seengebiet  vorschiebend.  So  mußte  Portugal  seinen 
noch  1896  geplanten  Zusammenschluß  seiner  afrikanischen  Kolonien  end- 
gültig aufgeben. 

Der  Weltkrieg  ist  uns  in  seinem  Ausgange  bekannt.  Er  beendet  den 
Ausbau  des  indischen  Dominiums  und  rundet  Frankreichs  Kolonialreich 
durch  den  größten  Teil  von  Togo  und  Kamerun  ab.  Gegen  diese 
flagrante  Verletzung  des  Versailler  Vertrages  hat  die  deutsche 
Regierun;^:  allerdings  schon  protestiert.  —  Auch  die  portugiesischen 
Kolonien  sinken  zu  englischen  Interessengebieten  herab,  die  der  englischen 
Ausbeutung  völlig  offenstehen. 

England  und  Frankreich  erreichten  dies  nur  durch  eine  der  größten 
und  wenig  rühmliciien  Verletzungen  des  Völkerrechtes,  nämlich  den  Bruch 
der  Kongoaktc!  Aber  dadurch  ist  auch  der  Neger  hellhörig  geworden, 
und  neben  einer  mohammedanischen  Gefahr  tauchen  die  ersten  An- 
deutungen einer  Negerbewegung  am  politischen  Himmel  auf. 


XVI.  Australien. 


überblick. 

Den  größten  Teil  des  Australkontinentes  bildet  ein  Tafelland,  wie 
die  übrigen  Großschollen  der  Südhalbkugel  reich  an  Gold.  An  es 
schmiegt  sich  im  Osten  das  Gebirge  der  Australalpen,  mit  Gold  und 
Steinkohlen,  sich  nach  Süden  in  Tasmanien  fortsetzend.  Auf  dem 
australischen  Kontinentalsockel  erhebt  sich  auch  Neuguinea,  der  Rest 
eines  langgestreckten  alpinen  Faltengebirges,  in  dem  der  Erdteil  seine 
größten  Höhen  erreicht.  Neuguinea  ist  nur  ein  Teil  eines  großen  Systems 
von  Faltengebirgen,  dem  auch  die  großen  Melanesischen  Inseln,  das  Fidschi- 
gebiet, Neukaledonien,  die  Tongainseln  und  die  Neuseelandgruppe  an- 
gehören.   Wie  die  Karten  der  Meerestiefen  zeigen,  handelt  es  sich  um 


•...//., 


C^  Kessel  u  Graben 

Alter  fpsHandsrand 

/i       /       —  L)ntermeeri5cheLeiHinien 

^  /         =  FüKenland 

/  '^////,  Schollenland 

/  ••••  VulKanlinien 

(0^^  Alpen  Z.Vergleich 


36.  Der  Bau  Australiens. 


ein  großes  Faltengebirgsbündel,  das  in  Fortsetzung  der  Gebirgs- 
trümmer  der  Sundainseln  anfangs  ostwestlich  streicht,  um  später  nach 
Süden  umzubiegen,  wobei  der  größte  Teil  der  Falten  unter  den  Meeres- 
spiegel gesunken  ist  und  große  Kesselbrüche  —  den  Becken  des  Mittel- 
meeres vergleichbar  —  sich  zwischen  die  Gebirge  eingesenkt  haben,  noch 
heute  im  untermeerischen  Relief  deutlich  erkennbar.  Reichtümer  an  Gold 
(Neuguinea),  Nickel  (Neukaledonien)  und  Gold  und  Kohle  (Neuseeland) 
zeigen  die  nahen  Beziehungen  dieses  Gebirges  zu  den  Australalpen, 
wobei  die  Linie  Neuguinea,  Neukaledonien,  Neuseeland  eine  Fortsetzung 
des  zinnreichen  Malakka-Banka-Zuges  zu  sein  scheint. 

Nur  durch  langgestreckte  parallele  Gruppen  von  Koralleninseln  an- 
gedeutet ist  ein  zweites  Gebirgsbündel,  das  weiter  nach  Osten  streicht, 
lockerer  gebaut  ist  und  als  mikronesisch-polynesische  Falten  be- 
zeichnet sei.  Einen  dritten  selbständigen,  an  tätigen  Vulkanen  reichen 
Faltenzug  bildet  die  Hawaigruppe,  an  Länge  die  Alpen  um  ein  Doppeltes 
übertreffend. 


150  XVI.  Australien. 


Der  Norden  des  Australkontinentes  liegt  wie  Melanesien  und  der  größte 
Teil  Mikro-  und  Polynesiens  im  Gebiete  der  tropischen  Steigungsregen 
und  ist  bis  auf  die  den  alpinen  Matten  entsprechenden  Savannen  des 
inneren  Neuguineagebirges  in  dichten  Regenwald  gehüllt,  der  erst  zum 
kleinsten  Teile  Kulturland  gewichen  ist.  Auf  diesem  entspringen  mehrere 
wasserreiche  Flüsse,  von  denen  der  Flyfluß  die  größte  Schwemmebene 
des  Erdteils  aufgeschüttet  hat.  Die  kleinen  Inseln  sind  fast  ausschließlich 
mit  Kokospalmen  bewachsen,  dazu  kommen  im  südlichen  Gebiet  auch 
Brotfruchtbäume. 

Der  größte  Teil  des  Australkontinentes  steht  unter  dem  Einfluß  des 
Südostmonsuns,  der  die  Australalpen  mit  einer  Regenfülle  überschüttet, 
die  üppige  Wälder  bedingt  (vgl.  die  analogen  Verhältnisse  in  Südafrika 
und  Südamerika),  während  er  von  der  Australtafel  durch  Gebirge  ab- 
gehalten wird,  so  daß  hier  von  Grasländern  (Schafzucht)  umrahmte  Sand- 
wüsten überwiegen.  Die  Windrichtung  bedingt  auch  an  der  Westküste 
das  Aufsteigen  kalten  Tiefenwassers,  so  daß  hier  ein  Gegenstück  zu  den 
Korallenriffen  des  Ostens  fehlt. 

Den  südlichsten  Teil  des  Australkontinentes  überwehen  im  Südwinter 
die  regenspendenden  Westwinde.  Hier  bildet  der  Eukalyptuswald  ein 
Gegenstück  zu  den  Hartlaubgewächsen  des  Mittelmeergebietes,  auch  sind 
diese  Landschaften  zugleich  sehr  geeignet  für  den  Anbau  von  Obst,  Süd- 
früchten und  Getreide.  Das  ganze  Jahr  im  Bereiche  dieser  West- 
winde liegt  Neuseeland  mit  seinen  regentriefenden  Wäldern  (Farn- 
bäume), Schneefeldern  und  an  die  Eiszeit  gemahnenden  Seen  und  Fjorden 
an  der  Westseite  (vgl.  Chile),  während  im  Osten  Grasländer  ausgedehnte 
Viehzucht  bedingen  (vgl.  Patagonien  und  Südargentinien). 

Zahlreiche  Namen  erinnern  an  die  durch  Engländer  und  Holländer 
(Neu -Holland  —  alter  Namen  für  den  Australkontinent,  Van  Diemens- 
land —  heute  Tasmanien,  Neuseeland  usw.)  erfolgte  Entdeckung  des  Erd- 
teils, der  lange  Zeit  wegen  seiner  Entlegenheit  nur  Sträflingskolonien 
beherbergte,  bis  Goldfunde  eine  größere  Verdichtung  der  Bevölkerung 
erzeugten.  Nach  Versiegen  der  Goldadern  ging  die  Bevölkerung  zum 
Ackerbau  und  der  Viehzucht  über,  wozu  im  Westen  neue  Goldfelder 
entdeckt  wurden.  Hauptgebiet  der  Schafzucht  sind  die  Grasländer  um 
den  Murrey  und  Darling,  den  einzigen  größeren  Flüssen  des  Erdteiles. 

Staaten  und  Kolonien. 
Australien  bildet  heute  einen  Staatenbund,  dessen  ältere  Oststaaten  in 
ihren  Namen  (Neusüdwales,  Queensland,  Victoria)  die  Herkunft  der 
Besiedler  verraten,  während  die  durch  die  jüngeren  Goldfunde  auf- 
strebenden Weststaaten  eine  sehr  nüchterne,  an  Amerika  gemahnende 
Namengebung  aufweisen.  Ebenfalls  an  Amerika  erinnert  auch  die 
Zentralisation  der  Bevölkerung  in  einigen  Riesenstädten  (bei  5  Millionen 
Einv/ohnern  zwei  Städte  von  750000  Einwohnern,  zwei  weitere  von  je 
200  000  und  eine  von  150000!).  Auch  Neuseeland  weist  schon  drei 
Groljstädte  auf,  während  das  tropische  Australien  und  die  Inselgebiete 
städtearm  sind.   Als  einzige  Stadt  im  Inselgebiet  ist  Honolulu  ein  wichtiger 


Staaten  und  Kolonien.  151 


Ausfuhrhafen  für  Zucker.  Die  wichtigste  Nutzpflanze  der  Inselflur  ist 
die  Kokospalme,  zu  der  sich  südlich  des  Äquators  der  Brotfruchtbaum 
gesellt.  Auch  werden  Phosphate  ausgeführt  und  die  Produkte  der  Plan- 
tagen, namentlich  aus  Samoa,  den  Fidschi  Inseln  (Kakao)  und  Hawai. 

Die  Erhaltung  der  eingeborenen  Bevölkerung  steht  im  umgekehrten 
Verhältnis  zur  Besiedelungsdichte  der  Europäer.  Auf  dem  Australkontinent 
und  auf  Neuseeland  sind  die  Eingeborenen  fast  ganz  verschwunden, 
während  sie  im  übrigen  Inselaustralien  die  Mehrzahl  der  Bevölkerung 
bilden.  Den  wenig  kultivierten  Stämmen  Melanesiens  stehen  hier  die 
sympathischen  Polynesier  gegenüber,  bei  deren  Verbreitung  (Ausleger- 
boote) die  Meeresströmungen  keine  geringe  Rolle  spielen.  Letztere  be- 
dingten auch  die  Besiedelung  Neuseelands  durch  die  Maori  von  Melanesien 
aus.  Infolge  der  Entlegenheit  Australiens  ist  die  Einwanderung  von 
Europa  her  geringer  gewesen  als  bei  anderen  Ländern  mit  ähnlichen 
Verhältnissen  (Südafrika  und  Südamerika).  Von  einigen  französisch- 
holländischen Kolonialansätzen  abgesehen,  ist  es  nach  Verdrängung  der 
Spanier  (Marianen  =  Maria  und  Karolinen  =  Kaiser  Karl)  und  Deutschen 
fast  ganz  im  Besitze  Englands.  Aber  schon  tasten  sich  Amerikaner  und 
Japaner  heran,  und  für  letztere  ist  das  menschenarme,  klimatisch  günstige 
Australfestland  ein  ideales  Siedlungsland.  Eine  Fülle  von  Reibungsstoff 
für  die  Zukunft,  zumal  da  das  Proletariat  der  Großstädte  des  Austral- 
kontinentes  starke  bolschewistische  Neigungen  zeigt,  von  denen  wir  nur 
wegen  der  Entlegenheit  und  der  englischen  Zensur  so  wenig  erfahren. 


XVII.  Amerika. 


Überblick. 

Das  Rückgrat  Amerikas  bildet  ein  Faltengebirgsbündel,  das  im  Norden 
als  Felsengebirge,  im  Süden  als  Anden  bezeichnet  wird.  Deutlich 
erkennen  wir  mehrere  parallele  Zug»,  deren  westlichste  —  vgl. Ostasien!  — 
zahlreiche  Vulkane  tragen  —  daher  der  Name  Kordilleren,  d.  h.  Perl- 
schnurgebirge —  während  die  dazwischenliegenden  Längstäler  vielfach 
unter  das  Meer  getaucht  sind  (Golf  von  Kalifornien).  Die  in  Alaska 
und  Kanada  dichtgedrängten  Ketten  quellen  südlich  auseinander,  große 
wasserarme  Beckenlandschaften  einschließend.  In  Mexiko  scharen  sich 
die  Falten  wieder,  sind  aber  im  Inneren  vom  eigenen  Schutt  verhüllt 
bis  auf  die  höchsten,  als  schmale  Leisten  aufragenden  Kämme.  Die 
wieder  auseinanderquellenden  Falten  umrahmen  die  Kesselbrüche  des 
Karibischen  Meeres  als  Mittelamerika  und  Antillengebirge,  um  sich  in 
Kolumbien  und  Peru  wieder  zu  scharen.  Im  Berglande  von  Bolivien 
wird  das  Gefüge  nochmals  lockerer  —  die  Wüstenhochfläche  mit  dem 
Titikakasee  entspricht  dem  Großen  Becken  mit  dem  Salzsee  —  und 
noch  weiter  südlich  lösen  sich  die  östlichen  Ketten  in  ähnlicher  Weise 
ab,  wie  der  Schweizer  Jura  von  den  Alpen,  die  argentinischen  Sierren 
bildend.  Enger  geschart  sind  wieder  die  chilenischen  Anden,  die  sich 
über  die  Falklandinseln  nach  Antarktika  fortsetzen. 

Bis  auf  den  Aleutenzug  mit  14  tätigen  Vulkanen  ist  das  Felsen- 
gebirge mit  Ausnahme  der  kalifornischen  Vulkane  vulkanarm,  doch  sind 
gewaltige  Lavadecken  —  besonders  um  den  Kolumbiafluß  —  und 
Geiser  die  letzten  Ausklänge  eines  erlöschenden  Vulkanismus,  der  das 
Gebirge  auch  mit  der  Fülle  von  Gold,  Silber  und  Kupfer  imprägnierte. 
Über  50  Vulkane  finden  wir  in  den  mittelamerikanischen  Kordilleren, 
zu  denen  auch  der  Süden  Mexikos  gehört,  etwa  ein  Dutzend  im  Antillen- 
zug und  zwei  Dutzend  in  den  Ketten  von  Ekuador  und  Südkolumbien. 
Über  30  Vulkane  liegen  endlich  in  Süd-Peru  und  Bolivien,  deren  Silber- 
erze hiermit  —  vgl.  Mexiko  —  in  engem  Zusammenhang  stehen;  nach 
einer  1000  km  langen  Lücke  ein  letztes  Gebiet  mit  30  Vulkanen  im 
mittleren  Chile. 

Bis  in  die  Breite  von  Valparaiso  sind  die  Kordilleren  auf  2500  km 
Länge  mit  Ausschluß  der  höchsten  Kämme  in  dichten  Nadelwald  ge- 
hüllt. Es  folgt  eine  beinahe  3000  km  lange  Strecke  mit  wüstenartigem 
Charakter,  wo  nur  die  östlichen,  gegen  die  Amazonasebene  abfallenden 
Ketten  tropischen  Urwald  tragen.  Etwa  vom  Äquator  nordwärts  bis 
zum  nördlichen  Wendekreis  ist  das  ganze  Gebirge  in  dichten  Regen- 
wald gehüllt.  Bis  zur  Kolumbiamündung  tragen  nur  die  Randketten 
Waid,  gegen  die  Wüstenbecken  des  Inneren  kontrastierend.  Im  kolum- 
bisch-alaskischen  Gebirge  finden  wir  als  Gegenstück  zu  den  chilenischen 
mit  Ausschluß  der  hohen  Kämme  wieder  dichten  Nadelwald,  der  ein 
großes  Holzreservoir  der  Zukunft  bildet. 


Besiedeliing  und  Geschichte.  153 

In  Nordamerika  lehnt  sich  östlich  an  das  Felsengebirge  die  Hoch- 
fläche der  Prärien,  die  sich  nach  Südosten  zur  Mississippiniederung, 
nach  Nordosten  zum  arktischen  Hügellande  abdacht,  wobei  die 
erstere  sich  zur  Golfküste  erweitert.  Die  Wasserscheide  zwischen  beiden 
liegt  auf  dem  ausgedehnten,  mit  Moränenschutt  und  glazialen  Rinnen- 
seen bedeckten  Hügelland,  das  sich  ostwärts  im  Lorenzstrom  entwässert, 
dessen  Tal  die  Tiefenfurche  zwischen  Labrador  und  den  Appalachen 
bildet.  Diese  sind  ein  stark  erniedrigtes  erzreiches,  an  Höhe  und  Länge 
dem  Ural  vergleichbares,  im  Norden  stark  zertrümmertes  altes  Falten- 
gebirge, dem  im  Osten  die  Piedmonthochfläche  angelagert  ist,  über  deren 
Rand  —  Wasserfälle!  —  die  Flüsse  die  atlantische  Küste  erreichen. 
Die  mit  glazialen  Rinnenseen  bedeckte  Hudsonsenke  ist  die  wichtigste 
vom  Eriekanal  und  vielen  Eisenbahnen  benutzte  Tiefenlinie  innerhalb 
der  Appalachen,  das  Tor  der  Vereinigten  Staaten,  an  dessen  Ausgang 
New  York  die  größte  Stadt  der  Erde  wurde.  Langgestreckte  dünen- 
bedeckte Nehrungsküsten  umkränzen  die  atlantischen  Küsten  südlich  des 
Kap  Hatteras,  während  nördlich  meist  eine  hafenreiche  Felsküste  über- 
wiegt, der  Long  Island  als  Rest  eines  eiszeitlichen  Moränenwalles  vor- 
gelagert ist. 

Mittelamerika  gliedert  sich  naturgemäß  in  die  Inseln  und  das  Fest- 
landgebiet (zwischen  Tehuantepec  und  Panama),  wobei  die  Inseln  von 
Vulkanen  überdeckte  Trümmer  von  Faltengebirgen  sind,  nördlich  deren 
wir  in  Florida,  Jukatan  und  Kuba  Reste  einer  Flachtafel  erkennen,  zu 
der  auch  die  Bahama-Inseln  gehörten. 

Das  östliche  Südamerika  wird  von  den  großen  Hochflächen  von  Guayana 
und  Brasilien  beherrscht.  Letzteres  fällt  terrassenartig  gegen  den  Atlantik, 
allmählich  gegen  die  Tiefländer  des  Amazonas  und  La  Plata  ab,  zu- 
geschwemmten ehemaligen  Meeresbusen.  Gegenüber  dem  sandigen 
Norden  (Gran  Chaco)  ist  die  Mitte  der  La-Plata-Landschaften  (Pampas)  mit 
ihrem  Lößboden  überaus  fruchtbar,  der  Süden  (Patagonien)  ein  ödes  Geröll- 
gebiet mit  Moränenseen  am  Gebirgsrande.  Ein  verkleinertes  Amazonas- 
becken bildet  das  Orinokotiefland. 

Besiedelung  und  Geschichte. 

Vor  der  Entdeckung  war  Amerika  bis  auf  die  trockenen  Hochlande  von 
Mexiko  und  Peru-Bolivien  (Berieselungskultur  bedingte  auch  hier  Staaten- 
bildung!) sehr  dünn  bevölkert.  Von  Mittelamerika,  das  Kolumbus  infolge 
eines  Irrtums  Westindien  nannte,  erfolgte  die  europäische  Kolonisation,  die 
noch  heute  an  den  Ortsnamen  erkennbar  ist.  Ganz  Südamerika  mit  Aus- 
nahm.e  Brasiliens  und  Nordamerika  bis  zur  Linie  Kap  Mendozino-Florida  sind 
spanisches  Kolonisationsgebiet  und  die  Namen  entweder  aus  Spanien 
entlehnt  (Santiago,  Kordoba,  Sierra  Nevada  usw.),  oder  an  die  Natur  an- 
knüpfend (Llano  Estacado,  Rio  Grande,  Colorado,  Nevada,  Valparaiso, 
Florida),  endlich  an  geschichtliche  Vorgänge  (San  Franzisko,  Vera  Cruz, 
Bolivien,  Bolivar,  Rosario,  Salvador,  Columbia,  Concepcion). 

Portugiesisch  ist  der  größte  Teil  Brasiliens  (Sao  anstatt  San,  Rio  de  Janeiro, 
Recife,  Belem  [Vorstadt  von  Lissabon],  Santareno,  Caravellas,  Sao  Paulo, 
Natal,  Kap  Frio,  Porto  Alegre). 


154 


XVII.  Amerika. 


Nördlich  der  Januar-Isotherme  von  10°  fehlen  die  spanisch-portugiesischen 
Namen  (man  beachte,  daß  Spanien  die  Trockenräume  [Kastilien!]  bevor- 
zugt, Portugal  die  regenreiche  Küste),  und  wir  finden  die  der  jüngeren 
französisch-englischen  Besiedelung,  wobei  Namen  wie  Virginia,  Elisabeth, 
Georgia  und  Carolina  auf  die  Zeit  der  Kolonisation  hinweisen. 

Während  die  Engländer  das  Gebiet  zwischen  Appalachen  und  Atlantischer 
Küste  besiedelten  (New York,  Boston,  Richmond,  Norfolk,  Cumberland, 
Rochester,  Portsmouth  u.  a.),  das  zur  Zeit  der  Entdeckung  ein  großer  Ur- 
wald war  (Vermont,  Pennsylvanien),  erschlossen  die  Franzosen  die  Strom- 
gebiete des  Mississippi,  Ohio  und  St.  Lorenz  (New  Orleans,  Baton  Rouge, 
Wansville,  Louisville,  St.  Louis,  La  Crosse,  St.  Paul,  Montreal  u.a.).  Das 
Gebiet  wurde  zumeist  unter  der  Herrschaft  Ludwigs  XIV.  (Namen!) 
erworben,  später  aber  bis  auf  die  Inseln 
St.  Pierre  und  Miquelon,  die  Stützpunkte 
der  Seefischerei  auf  den  Neufundlandbänken, 
an  England  abgetreten.  Mehrere  Namen  in 
der  Umgebung  von  New  York,  das  früher 
Neu-Amsterdam  hieß,  weisen  darauf  hin, 
daß  auch  die  Holländer  kurze  Zeit  an  der 
Hudsonmündung  saßen  (Yonkers,  Haarlem- 
river,  Oranje,  Hoboken). 

Im  Unabhängigkeitskriege  (1776 — 1783) 
machten  sich  die  Neuenglandstaaten  als  Ver- 
einigte Staaten  selbständig  und  nannten  ihre 
neue  Hauptstadt  Washington.  Schon  zur 
Gründungszeit  reichte  ihr  Gebiet  im  Westen 
bis  zum  Mississippi,  1803  kam  das  westliche 
Mississippibecken  hinzu,  später  Florida  und 
die  südlichen  Felsengebirgsstaaten ,  welche 
Mexiko  abtreten  mußte  (Neu -Mexiko),  als  37.  Zur  Namenkunde  Amerikas, 
die  Union  diesesan  Einwohnerzahl  überholte. 

In  jahrelangen  Aufständen  macht  sich  auch  das  spanisch-portugiesische 
Kolonialgebiet  frei  und  bildet  die  Republiken  des  Lateinischen  Amerikas  0, 
so  daß  heute  nur  noch  Kanada  (das  erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  wirt- 
schaftlich von  Bedeutung  wurde),  einige  Inseln  Mittelamerikas  und 
Guayana  europäischer  Besitz  sind,  während  Alaska,  Kuba  und  Portoriko 
schon  von  der  Union  erworben  wurden,  die  auch  Mittelamerika  durchdringt. 

Ein  wichtiges  Bevölkerungselement  sind  außer  Indianern  und  Weißen 
auch  die  Neger,  die  in  Haiti  und  der  Dominikanischen  Republik  eigene 
Staaten  bilden. 

In  außerordendlichem  Umfange  haben  sich  daneben  die  Mischrassen  der 
Zambos,  Mestizen  und  Mulatten  entwickelt,  denen  der  größte  Teil  der 
mittel-  und  südamerikanischen  Bevölkerung  angehört.  Auch  die  Kreolen 
sind  meist  Mischlinge. 


*)  ihre  ständigen  Revolutionen,  besonders  in  den  zuerst  besiedelten  Kor- 
dillerenstaaten, scheinen  nur  eine  Folgeerscheinung  der  unruhigen  ersten  Aben- 
teurerbesiedler,  so  daß  ich  von  Konquistadorenstaaten  (Mexiko  bis  Bo- 
livien) sprechen  möchte. 


Das  atlantische  Gebiet.  155 


Während  im  Verkehr  Südamerikas  die  Flüsse  eine  große  Rolle  spielen, 
stehen  in  Nordamerika  die  Eisenbahnen  im  Vordergrunde,  und  der  Ver- 
kehr auf  den  großen  Strömen,  die  immer  mehr  versanden,  nahm  sogar 
ab.  Eine  Ausnahme  macht  nur  das  Gebiet  der  großen  Seen  mit  seinem 
gewaltigen  Binnenverkehr,  durch  den  neuerdings  kanalisierten  Lorenz- 
strom und  den  Eriekanal  mit  dem  Meere  in  Verbindung  stehend  (See- 
häfen New  York  und  Montreal).  Beide  Wasserwege  sind  die  Hauptschlag- 
adern der  Neuen  Welt  und  das  um  sie  liegende  atlantische  Amerika  die 
großartigste  Industrielandschaft  der  Erde. 


Das  atlantische  Gebiet. 

Das  atlantische  Gebiet  umfaßt  die  Appalachen  nördlich  des  Potamac 
einschließlich  der  ihre  Fortsetzung  bildenden  Insel  Neufundland,  sowie 
die  Küstenebene  bis  Baltimore  im  Süden. 

Das  heute  noch  dicht  bewaldete  Gebirge  ist  reich  an  Eisenerzen  und 
Kohlen,  die  Küste  außerordentlich  gegliedert,  die  Flüsse  reich  an  Wasser- 
fällen und  Stromschnellen. 

Der  Süden  bildet  als  »Neuenglandstaaten  «  den  Kern  der  Union;  auf 
360000  km^  siedeln  22  Millionen  Einwohner  (Zuwachs  —  seit  1871  = 
130"/o)  und  die  Dichte  ist  mit  55  für  Amerika  ungewöhnlich  hoch. 
Unter  den  25  Großstädten  sind  die  drei  Millionenstädte  Groß-New  York, 
Philadelphia  und  Boston,  Baltimore  ist  Halbmillionenstadt.  Diesen  Riesen- 
städten gegenüber  steht  die  Beamtenstadt  Washington  an  Einwohnerzahl 
weit  zurück.  In  Pennsylvanien  herrscht  Eisenindustrie  und  Kohlenbergbau 
vor,  in  New  York  Maschinenbau  und  elektrische  Großindustrie,  in  Massa- 
chusetts Textilindustrie. 

Während  des  Krieges  ist  New  York  mit  beinahe  8  Millionen  Einwohnern 
die  größte  Stadt  der  Erde  geworden.  Sein  Hafen  ist  unvergleichlich,  zu- 
dem laufen  in  ihm  die  wichtigsten  Eisenbahnlinien  0  der  Union  zusammen; 
auch  endet  hier  der  Eriekanal,  der  seit  1905  erweitert  wird,  so  daß 
ihn  Schiffe  von  2000  Tonnen  befahren  können.  So  ist  es  die  größte 
Fabrikstadt  der  Erde  geworden  und  vermittelt  den  größten  Teil  des  Über- 
seehandels der  Union. 

Viel  geringer  ist  die  Entwicklung  des  kanadischen  Anteils  gewesen, 
indem  auf  240000  km'  nur  1,2  Mill.  Einw.  (Zuwachs  =  30  "^/o)  woh- 
nen. Die  Dichte  beträgt  5,  und  die  Hauptsiedlungen  Halifax  und  St.  Johns 
sind  Mittelstädte  geblieben.  Nicht  gering  sind  aber  die  Zukunftsaussichten 
einzuschätzen;  neben  großen  Flächen,  die  dem  Ackerbau  und  der  Vieh- 
wirtschaft erschlossen  werden  können,  weist  die  Insel  Kap  Breton  große 
Kohlenlager  auf,  und  Neufundland  ist  überreich  an  Eisenerzen. 

1)  An  dieser  Stelle  gibt  man  an  Hand  einer  Skizze  einen  Überblick  über 
das  Netz  der  Eisenbahnen,  deren  Hauptstränge  die  Pazifikbahnen  sind.  Wir 
bemerken,  daß  die  Bahnen  sich  im  Privatbesitz  befinden  und  die  ehemals 
blühende  Binnenschiffahrt  zumeist  erdrosselt  haben. 


156  XVII.  Amerika. 


Das  Seengebiet. 

Westlich  der  Appalachen  erstreckt  sich  das  Seengebiet.  Es  umfaßt  in 
Kanada  den  Nordsaum  der  Seen  und  die  Gebiete  des  Ottawa-  und  Lorenz- 
stromes, in  der  Union  die  Flußgebiete  des  Ohio  und  des  Mississippi 
oberhalb  der  Ohiomündung.  Als  Westgrenze  kann  man  ungefähr  den 
95.  Längengrad  annehmen. 

Nördlich  der  Seen  überwiegt  der  Nadelwald  mit  der  Weimutskiefer, 
südlich  dehnen  sich  an  Stelle  der  ehemaligen  Laubwälder  (Lederstrumpf!) 
die  riesigen,  heute  durch  Raubbau  allerdings  vielfach  erschöpften  Korn- 
kammern der  Union  auf  den  fetten  Moränen-  und  Lößböden  aus.  Dazu  ist 
das  Gebiet  reich  an  Eisen  und  Kupfererzen  (Oberer  See),  Kohlen  und  Erdöl. 

In  Südkanada  siedeln  auf  800000  km-  über  5Millionen  Einwohner,  das 
Wachstum  (Zuwachs  =  70°,  o)  hat  sich  in  den  letzten  Jahren  gewaltig  ge- 
steigert. Montreal,  Toronto  und  Ottawa  sind  Großstädte,  namentlich  hat 
Montreal  (700)  an  Stelle  des  zurückgebliebenen  Quebeck  den  Handel  des 
Landes  zentralisiert  und  ist  Endpunkt  der  Seeschiffahrt  auf  dem  Lorenz- 
strom und  der  gegebene  Naturhafen  des  Seengebietes.  Eine  große 
Schwäche  gegenüber  New  York  besteht  darin,  daß  der  Strom  fast  fünf 
Monate  zufriert. 

Im  amerikanischen  Seengebiet  siedeln  auf  1,2  Mill.  km-  17  Mill, 
(Zuwachs  =  140),  so  daß  die  Dichte  14  beträgt.  Gürtelartig  legen  sich 
die  Getreidegebiete  um  die  noch  heute  mit  Urwald  bedeckten  Staaten 
Michigan  und  Wisconsin.  Nördlich  des  40.  Breitengrades  wird  Weizen 
gebaut,  südlich  zumeist  Mais,  die  Grundlage  für  großartige  Schweine- 
zucht, dazu  Tabak. 

Der  Brennpunkt  für  Handel  und  Verkehr  ist  die  Dreimillionenstadt  Chi- 
kago,  der  größte  Eisenbahnknoten  der  Union  mit  gewaltigen  Schlachthöfen. 
Pittsburg  (800)  ist  der  Mittelpunkl  der  Stahlindustrie,  die  sich  neuerdings 
dem  für  den  Verkehr  günstiger  gelegenen  Cleveland  (700)  zuwendet.  An 
den  Seen  liegen  Buffalo  (500),  Detroit  (600)  und  Milwaukee  (500),  das 
Zentrum  der  Deutschamerikaner,  am  Ohio  Cincinnati  (500)  und  Louisville. 
Große  Getreidemühlen  besitzt  die  an  den  Mississippifällen  gelegene  Doppel- 
stadt St.  Paul -Minneapolis  (650),  deren  Hafen  das  aufstrebende  Duluth 
ist,  in  der  Nähe  der  an  Kupfer  überreichen  Halbinsel  Keweenaw.  Der 
nächst  Chikago  wichtigste  Eisenbahnknoten  ist  St.  Louis  (850),  das  bei 
richtigem  Ausbau  der  Wasserstraßen  vielleicht  die  größte  Stadt  der  Neuen 
Welt  geworden  wäre. 

Das  Plantagengebiet. 

Südlich  des  Seengebietes  dehnt  sich  das  Plantagengebiet  aus,  welches 
die  feuchtwannen  Niederungen  der  Golfküste  und  der  atlantischen  Küsten- 
ebene umfaßt.  Zwischen  beide  schieben  sich  die  dichtbewaldeten  Süd- 
ketten der  Appalachen  mit  zahlreichen  Sommerfrischen  und  großen  Eisenerz- 
lagern (Birmingham).  In  Florida  üppiger  subtropischer  Urwald.  Das 
Wirtschaftsleben  wird  von  der  Baumwolle  beherrscht,  dazu  kommt  Anbau 
von    Mais,   Zuckerrohr,  Bataten    und   Tabak   (Virginia).      Während    des 


Die  Prärien.  157 

Sezessionskrieges  (1861  —  1865)  bildete  das  Gebiet  die  Konföderierten 
Staaten,  die  auch  eigene  Briefmarken  0  ausgaben.  Auf  1,5  Mill.  km^  siedeln 
22  Millionen  (Zuwachs  =  145),  davon  über  ein  Drittel  Neger. 

Die  wichtigsten  Häfen  sind  New  Orleans  (400),  Galveston,  Savannah 
und  Norfolk.  Die  Fallinienstädte  (vor  allem  Richmond)  sind  Sitze  der 
Baumwollspinnerei,  Birmingham  blüht  neuerdings  durch  Eisenindustrie 
auf,  während  am  Südrande  der  Appalachen  Atlanta  ein  wichtiger  Eisenbahn- 
knoten und  Handelsplatz  ist.  Die  Ostküste  Floridas  mit  ihren  Winterkur- 
orten ist  die  amerikanische  Riviera,  nach  Kalifornien  das  wichtigste  Obst- 
land der  Union. 

Die  Prärien. 

Nach  Westen  zu  werden  die  Wälder  immer  lichter  und  gehen  endlich 
in  die  Prärien  über,  die  sich  vom  Rio  Grande  bis  zum  Athabaska  er- 
strecken, westlich  durch  das  Felsengebirge  begrenzt. 

In  den  östlichen  Niederprärien  sind  große  Flächen  der  Grassteppen 
in  Ackerland  verwandelt,  daneben  ausgedehnte  Viehweiden.  Doch  leidet 
der  Ackerbau  unter  vielfach  einsetzenden  Dürren,  wenn  die  vom  Golf 
kommenden  Regen  ausbleiben. 

Die  westlichen  Hochprärien  weisen  zwischen  Grassteppen  vielfach 
schon  wüstenhafte  Gebiete  auf,  so  den  Llano  Estacado,  die  Mauvaises 
Terres  und  Bad  Lands.  Inselartig  überragen  die  Umgebung  die  Black 
Hills  mit  ihren  dunklen  Waldungen.  Die  südlichen  Prärien  bedecken 
2,2  Millionen  km-  mit  14  Millionen  Einwohnern  (Zuwachs  =  300 "/o)-  Die 
Hauptsiedlungen  liegen  am  Ostrande  und  sind  durch  Getreide-  und 
Viehhandel  wichtig,  wie  Dalles,  Kansas  und  Omaha.  Am  Rande  des 
Felsengebirges  verhüttet  der  Eisenbahnknoten  Denver  die  Erze  des  Berg- 
landes von  Colorado.  Gewaltig  ist  der  Aufschwung  namentlich  in  Okla- 
homa, dem  ehemaligen  Indianerterritorium,  welches  erst  seit  zwei  Jahr- 
zehnten der  Ansiedelung  durch   Europäer  erschlossen  ist. 

Die  kanadischen  Prärien  (l  Million  km^')  waren  1870  noch  so 
gut  wie  bevölkerungslos,  wuchsen  aber  durch  riesige  Einwanderung  im 
letzten  Jahrzehnt  auf  1,3  Millionen  an.  Mittelpunkt  des  gewaltigen  Weizen- 
anbaues ist  Winnipeg,  von  dem  aus  nach  Westen  zahlreiche  Eisenbahnen 
ausgehen.  Die  Getreideausfuhr,  die  über  den  Oberen  See  (Port  Arthur) 
erfolgt,  soll  in  Zukunft  nach  York  an  der  Hudsonbai  gelenkt  werden, 
wohin  eine  Eisenbahn  im  Bau  ist. 

Das  arktische  Amerika. 
Das  arktische  Nordamerika  wird  im  Westen  vom  Mackenzie,  im 
Osten  von  den  Flüssen  entwässert,  die  der  Hudsonbai  zustreben.  Im 
Süden  riesige  Nadelholzwälder  (Gegenstück  zu  Sibirien),  im  Norden 
Tundren.  Auf  der  gewaltigen  Fläche  von  über  7  Millionen  km-  leben 
nur    40000  Einwohner,    die    sich    mit    Holzflößerei    und    Pelztierfang 


•)  Man  vergesse  überhaupt  nicht,  die  zahlreichen  Beziehungen  zwischen 
Erdkunde  und  den  Bildern  auf  den  Briefmarken  außer  acht  zu  lassen.  So 
mancher  Junge  hat  sein  Interesse  für  Erdkunde  auf  dem  Umweg  über  das 
Briefmarkenalbum  bekommen. 


158  XVU.  Amerika. 


beschäftigen.   Neuerdings  kommt  auch  der  Fischfang  auf.    Die  Stelle  der 
Städte  vertreten  die  Stationen  der  Hudsonkompagnie. 

Ein  Drittel  Nordamerikas  gehört  dem  Felsengebirge  an. 

Das  Felsengebirgsgebiet. 

Das  Gebiet  ist  in  Alaska  und  Britisch-Kolumbien  dicht  bewaldet 
und  reich  an  Kohlen  und  Edelmetallen  (Yukon!).  Auf  2,5  Mill.  km- 
wohnen  nur  600000  Einwohner  (Zuwachs  600  "/o),  die  zumeist  im  Tale  des 
Fraserflusses  siedeln,  wo  auch  Getreide  angebaut  wird.  Hier  liegt  Van- 
couver,  der  Endpunkt  der  südkanadischen  Pazifikbahn,  während  Prince 
Rupert,  der  Endpunkt  der  nördlichen  Grand  Trunk- Pacific,  zur  Zeit 
nur  aus  wenigen  Holzhäusern  besteht.  Große  Kohlenlager  sind  für  die 
Zukunft  des  Gebietes  wichtig. 

Im  Gebiete  der  Vereinigten  Staaten  beschränkt  sich  der  Wald  (1,2 
Millionen  km-)  nur  auf  die  pazifische  Küste  (vor  allem  Washington) 
und  die  höheren  Gebirge,  die  in  den  Staaten  Montana  und  Kolorado 
reich  an  Eisen  und  Kupfer  sind.  Die  großen  Becken  im  Inneren  werden 
von  Grassteppen  und  Wüsten  (1,5  Millionen  km-)  eingenommen,  nur 
im  Gebiet  des  Columbiaflusses  hat  der  regenspendende  Seewind  Zu- 
gang, so  daß  wir  hier  große  Ackerländer  finden. 

Durch  Bewässerungskultur  wird  neuerdings  viel  Land  urbar  ge- 
macht mit  Anbau  von  Obst,  Getreide  und  Zuckerrüben.  Am  dichtesten 
siedelt  die  Bevölkerung  im  Tieflande  von  Kalifornien,  der  Umgebung 
von  Los  Angeles,  der  Senke  zwischen  dem  Unterlauf  des  Columbia- 
flusses und  der  Pugetbai  und  dem  Columbiatal. 

Auf  2,7  Millionen  km-  wohnen  6,5  Millionen  (Zuwachs 600%).  In  Mon- 
tana und  Kolorado  viele  Bergwerksstädte,  vor  allem  Butte  mit  seinen 
Kupferhütten.  Spokane  ist  Mittelpunkt  eines  reichen  Ackerbaugebietes, 
die  in  gartenartiger  Umgebung  gelegene  Salzseestadt  Hauptort  der  Mor- 
monen. Die  Haupteisenbahnen  enden  in  Seattle  (400),  dem  gewaltig 
aufstrebenden  Hafen  für  die  nördlichen,  erzreichen  Felsengebirgsstaaten, 
zugleich  mit  großer  Holzausfuhr,  Portland,  San  Franzisko-Oakland  (800) 
und  Los  Angeles  (600).  Von  diesen  ist  San  Franzisko  Haupthafen  für 
Kalifornien  mit  seinem  riesigen  Obst-  und  Getreideanbau;  Los  Angeles, 
zugleich  Mittelpunkt  eines  großen  Erdölgebietes,  liegt  in  einer  gartenartig 
angebauten  Umgebung  mit  großer  Ausfuhr  von  Obst-  und  Südfrüchten. 

Landschaftlich  weit  bekannt  sind  die  großen  Täler  am  Westrande  der 
Sierra  Newada  (Yosemitetal),  der  Nationalpark  am  oberen  Yellowstone 
(Gelbstein)  mit  seinen  heißen  Quellen  und  Sinterterrassen  und  die  tiefe 
Kanonschlucht  des  Kolorado.  Ein  wundervoller  Schmuck  der  westlichen 
an  Wasserfällen  (Kaskadengebirge)  reichen  Ketten  mit  ihren  hohen  Nadel- 
hölzern sind  die  Silberkegel  der  erloschenen  Vulkane,  während  die  Berge 
der  östlichen  Ketten  vielfach  im  eigenen  Schutt  ersticken  und  unschein- 
barer sind.  Wundervolle  Landschaftsbilder  zeigen  die  kanadischen  Kor- 
dilleren mit  ihren  großen  Nadelwäldern  —  meist  riesige  Douglas- 
fichten — ,  Moränenseen  und  Gletschern  an  die  Alpen  erinnernd,  nur 
unendlich  viel  einsamer. 


Wirtschaftsleben  des  Angelsächsischen  Amerikas. 


159 


Wirtschaftsleben  des  Angelsächsischen  Amerikas. 

Die  Vereinigten  Staaten  —  treffend  Dollarika  genannt  —  und  Kanada 
bilden  das  Angelsächsische  Amerika  und  stehen  weit  über  dem 
übrigen  Lateinischen  Amerika.  Fallen  doch  auf  die  Union  allein 
20  **;  0  der  Fläche,  aber  über  die  Hälfte  der  Einwohnerzahl  der  Neuen 
Welt.  Während  des  Weltkrieges  baute  Wilson  ihre  Vormachtstellung  —  aller- 
dings unter  der  Maske  heuchlerischer  Neutralität,  bar  jeder  moralischen 
Größe  —  gewaltig  aus,  während  Europa  sich  zerfleischte,  so  daß  sie 
1919  von  der  Weltproduktion    52  Vo   an  Kohle,  70  »/o  an  Stahl,  75  an 


Pr.Ruppprt- 


S.  Franz 


S.Angeles 


k.Tdmp. 
r\'Qrcc. 


Wasserweg? 

—  Hciupfbdhnpn 
•-^  Häfen  m.Grö55e 

d.Schiffverkehrs 

—  NdHirlichpürenzen 
.r;-LÖss    N^'  Weg  er 
nhpnsivcBcTieselungskulfur 


i- 


38.  Wirtschaftsleben  der  Union. 


Mais,  66  an  Erdöl,  ein  Drittel  des  Silbers,  ein  Fünftel  des  Goldes,  ein 
Viertel  des  Weizens  und  85  °/o  der  Automobile  erzeugte  und  auch  ihr 
Schiffbau  —  vor  allem  an  der  Delawaremündung  —  einen  ungeheuren 
Aufschwung  nahm. 

Der  ehemals  etwa  ein  Drittel  der  Union  bedeckende  Waldbestand  ist 
durch  Raubbau  (riesige  Papiererzeugung)  auf  25°/o  zurückgegangen, 
die  Wälder  umfassen  zwar  noch  beinahe  2  Millionen  km-,  sind  aber 
forstwirtschaftlich  noch  wenig  erschlossen. 

Im  Anbau  von  Nutzpflanzen  lassen  sich  drei  Zonen  unterscheiden. 
Nördlich  des  45.  Grades  überwiegen  Weizen    und  Hafer,  bis  zum  38. 


160  XVII.  Amerika. 


Weizen  und  iWais,  noch  südlicher  Baumwolle,  Tabak,  Zuckerrohr,  Bataten 
und  Mais.  Zuckerrüben  werden  neuerdings  in  großem  Umfange  in  den 
Felsengebirgsstaaten  angebaut.  Die  Hauptobstgebiete  sind  Kalifornien 
und  Florida.  Seit  1840,  wo  die  Besiedlung  den  Mississippi  überschritt, 
ist  die  Union  eine  der  größten  Kornkammern  der  Erde  mit  etwa 
1,7  Millionen  km-  Ackerland,  von  dem  200000  allein  auf  Weizen  ent- 
fallen. An  Baumwolle  erzeugen  die  warmen  Golfstaaten  über  die 
Hälfte  der  Welterzeugung.  Die  jähen  Wetterwechsel  und  Wirbelstürme 
richten  jedoch  viel  Unheil  an,  befördern  aber  auch  die  Auslese  hoch- 
gradiger Nutzpflanzen.  Vielfach  aber  sind  infolge  Raubbaues  die  Böden 
erschöpft  und  stark  auf  die  deutschen  Kalisalze  angewiesen,  durch  deren 
Ausfall  im  Weltkriege  die  Getreideerzeugung  stark  zurückging.  Zu  ge- 
waltigen Schätzen  an  Eisenerzen,  Edelerzen,  Erdöl  und  Kohlen  (die 
Kohlenfelder  bedecken  800000  km-!)  kommt  als  weiße  Kohle  die  Kraft 
der  Wasserfälle,  der   Grundstein    der   gewaltigen   elektrischen  Industrie. 

Im  Verkehrsleben  spielen  die  Eisenbahnen  eine  große  Rolle;  ihre 
Länge  wuchs  seit  1870  von  80000  auf  430000  km  an.  Daneben  ist 
aber  der  Ausbau  von  Landstraßen  ganz  rückständig  und  die  Wasserwege 
vernachlässigt.  Zu  den  Eisenbahnen  kommen  60000  km  elektrischer 
Straßenbahnen,  deren  Netz  sich  von  den  Städten  weit  in  die  Umgebung 
schiebt.  Dies  ist  die  Folge  der  riesigen  Ausdehnung  der  schachbrett- 
artig angelegten  Städte  mit  ihrer  vielfach  sehr  lockeren  Bauweise  und 
der  Trennung  von  Wohn-  und  Geschäftsvierteln. 

Etwa  20  ''/o  der  Gesamtfläche  entfallen  auf  unkultiviertes  Ödland 
(Wüsten,  Salzsteppen  und  Hochgebirge)  annähernd  32 Vo  auf  Grasländer 
von  verschiedener  Güte.  Sie  sind  die  Hauptgebiete  der  gewaltigen  Vieh- 
zucht, welche  die  deutsche  um  das  Dreifache,  die  russische  und  argen- 
tinische um  das  Doppelte  übertrifft,  während  der  Pferdebestand  (21  Mill. 
gegen  4,5  in  Deutschland)  nur  dem  russischen  nachsteht. 

Vor  dem  Weltkriege  entfielen  22%  des  Gesamtausfuhrwertes  auf 
Baumwolle,  4Vi,<'/o  auf  Maschinen,  2'/5  auf  Erdöl,  4Vj  auf  Kupfer,  etwa 
ebensoviel  auf  Fleisch  und  tierische  Produkte,  beinahe  ö^/o  auf  Getreide. 
Während  des  Krieges  haben  sich  die  Verhältnisse  völlig  umgestaltet,  und 
in  Zukunft  wird  man  mit  einer  verringerten  Ausfuhr  von  Getreide, 
aber  einer  verstärkten  von  Kohlen  und  Edelmetallen  zu  rechnen  haben. 
Dazu  baut  die  Union  ihre  Handelsflotte,  die  schon  einmal  (1860)  der 
englischen  beinahe  gleich  war,  großzügigst  aus^). 

Die  Entwicklung  Kanadas  war  lange  Zeit  durch  diejenige  der  Union 
gehemmt  und  hat  erst  seit  1900  ein  schnelleres  Tempo  angenommen. 
Unter  den  Einwanderern  befanden  sich  neben  Europäern  auch  viele 
Landwirte  aus  den  benachbarten  Vereinigten  Staaten.  Von  der  Ausfuhr 
fallen  30  "U  auf  Weizen  und  Weizenmehl,  etwa  6  %  auf  Käse.  In  Zu- 
kunft  dürfte   neben  Steinkohlen    und    Eisenerzen   namentlich   Holz   aus- 

')  Mit  dem  Erfolge,  daß  die  Tonnage  der  amerikanischen  Handelsflotte  von 
1914  bis  1920  von  4,3  Mill.  Tonnen  auf  über  14  Millionen  stieg  und  heute 
27"/o  der  Gesamttonnage  ausmacht  (9,4  "/o  1914).  In  derselben  Zeit  ging  der 
Anteil  der  englischen  von  45  auf  37^0  zurück! 


Das  Lateinische  Amerika.  161 

geführt  werden,  da  auch  den  Getreideböden  des  südUchen  Kanadas  das 
deutsche  Kalisalz  für  einige  Jahre  fehlt. 

Das  Angelsächsische  Amerika  steht  unbedingt  im  Wirtschaftsleben  der 
Neuen  Welt  weit  voran,  auf  es  fallen  allein  63  Vo  des  Gesamthandels 
des  Erdteiles  (51  %  auf  die  Union,   12  "lo  auf  Kanada. 

Die  verschiedenen  Einwanderer  sind  durch  die  Landesnatur  zu  einer 
auch  einheitlich  fühlenden,  vielfach  indianerhafte  Züge  —  Körperbau, 
Lynchjustiz  —  tragenden  Bevölkerung  zusammengeschmolzen,  von  der 
nur  die  Neger  kontrastieren,  deren  Emanzipation  infolge  der  Ereignisse 
des  Weltkrieges  bedenkliche  Fortschritte  macht. 


Das  Lateinische  Amerika. 

Gegenwärtig  macht  das  Lateinische  Amerika  gewaltige  Anstrengungen, 
sich  von  der  Bevormundung  durch  die  Union  zu  befreien.  Nicht  nur 
haben  Argentinien,  Brasilien  und  Chile  den  ABC-Bund  gegründet,  sondern 
auch  die  Staaten  des  mittelamerikanischen  Festlandes  haben  sich  politisch 
zu  kraftvollerem  Zusammenarbeiten  geeinigt,  so  daß  vor  allem  wir 
Deutschen  auf  diesen  Teil  Amerikas  besonderes  Augenmerk  richten  müssen, 
da  hier  vielfach  deutschfreundliche  Strömungen  vorhanden  sind. 


Mexiko. 

Wir  beginnen  mit  Mexiko,  welches  1,8  Millionen  km^  mit  14  Mil- 
lionen Einwohnern  (Zuwachs  nur  lO'^lo)  umfaßt. 

Im  Innern  dehnen  sich  Steppen  und  Salzwüsten  aus,  und  die  Berge 
ersticken  im  eigenen  Schutt,  der  sie  bis  auf  die  höchsten  Kämme  verhüllt. 
Der  Reichtum  des  Gebietes  an  Silbererzen,  Gold,  Kupfer  und  Blei  hängt 
mit  der  vulkanischen  Tätigkeit  zusammen,  die  am  Südrande  der  Hoch- 
fläche große,  zum  Teil  schneebedeckte  Vulkane  aufgebaut  hat. 

Während  wir  im  Inneren  nur  in  der  Umgebung  der  Flüsse  Ackerland 
(Weizen  und  Mais)  finden  und  sonst  Grassteppen  mit  Agaven  und  Kakteen 
das  Bild  beherrschen,  sind  die  Abdachungen  zu  den  Ozeanen  reich  an 
Niederschlägen,  und  die  dichten  subtropischen  Urwälder  machen  immer 
mehr  großen  Pflanzungen  Platz,  in  denen  Baumwolle,  Südfrüchte,  Kaffee, 
Tabak  und  Zuckerrohr  angebaut  werden,  wozu  in  den  Urwäldern  des 
Südens  viel  Gummi  gewonnen  wird. 

Die  meisten  Siedlungen  liegen  auf  der  gesunden  Hochfläche  des  Inneren, 
vor  allem  die  Hauptstadt  Mexiko  (600)  und  die  Bergwerkstädte  Puebla, 
Guadalajara,  St.  Louis,  Zacatecas  und  Monterey.  Der  wichtigste  Hafen  an 
der  fieberschwangeren  atlantischen  Küste  ist  Vera  Cruz,  das  den  größten 
Teil  des  überseeischen  Handels  vermittelt.  An  der  pazifischen  Küste  fehlen 
größere  Häfen.  Der  Aufschwung  des  auch  an  Erdöl  reichen  Landes, 
welches  namentlich  Silber  (ein  Drittel  der  Ausfuhr),  Gold,  Kupfer,  Kaffee, 
Felle,  Agavenfasern  und  Gummi  ausführt,  leidet  durch  die  endlosen  inneren 
Unruhen. 

Olbridit,  Der  erdkundliche  Lehrstoff.  11 


162  XVII.  Amerika. 


Mittelamerika. 

Südlich  des  Isthmus  von  Tehuantepec,  den  eine  wichtige  Eisenbahn- 
linie quert,  beginnt  Mittelamerika.  Zahlreiche  hohe  Vulkane  begleiten 
die  Küste  des  Stillen  Ozeans;  zwischen  die  Waldgebirge  des  Westens  und 
den  Golf  von  Mexiko  schieben  sich  die  großen  Flachländer  von  Jukatan 
und  der  Moskitoküste,  die  zumeist  aus  Schwemmland  bestehen.  Der  herr- 
schende Wind  ist  der  Nordostpassat.  Er  überschüttet  die  atlantische  Seite 
mit  einer  Regenfülle,  die  das  ganze  Gebiet  in  dichten  fieberschwangeren, 
an  Edelhölzern  reichen  Regenwald  hüllt  und  die  sumpfigen  Küsten  außer- 
ordentlich ungesund  macht,  so  daß  sich  die  Bevölkerung  auf  der 
pazifischen  Seite  zusammendrängt,  wo  auch  die  größten  Städte 
liegen,  die  Mittelpunkte  der  großen  Kaffeeplantagen. 

Auf  700000  km-  wohnen  6,5  Millionen  Einwohner,  meist  Mischlinge, 
daneben  1,4  Millionen  Indianer  und  100000  Neger.  In  den  Urwäldern 
von  Jukatan  die  Ruinenbauten  der  rätselhaften  Maya.  Die  wichtigsten  Sied- 
lungen sind  Guatemala,  San  Salvador,  Leon  und  Panama.  Fast  zwei  Drittel 
der  Ausfuhr  entfallen  auf  Kaffee  (Kaffeestaaten),  daneben  sind  Edelmetalle 
und  Bananen  wichtig.  Der  im  Weltkrieg  vollendete  Panamakanal  scheint 
wirtschaftlich  nicht  die  erwartete  Bedeutung  zu  erlangen;  für  die  Kriegs- 
flotte der  Union  ist  er  hingegen  außerordentlich  wichtig.  Der  lange 
geplante  Nikaraguakanal  wird  vielleicht  nach  der  staatlichen  Vereinheit- 
lichung Mittelamerikas  in  Angriff  genommen  werden. 

Westindien. 

Dichter  ist  die  Bevölkerung  auf  den  mittelamerikanischen  Inseln, 
wo  8,5  Millionen  auf  340000  km-  siedeln.  In  der  Bevölkerung  über- 
wiegen ebenfalls  Mischlinge  neben  den  spanischen  Kreolen,  auf  Haiti  über 
1  Million  Neger.  Fast  die  Hälfte  der  Ausfuhr  der  Inseln  entfällt  auf  Zucker, 
der  namentlich  auf  Kuba,  Portoriko,  Jamaika  und  Trinidad  angebaut  wird. 
Kuba  baut  außerdem  Tabak  an,  Haiti  Kaffee  und  die  Dominikanische 
Republik  Kakao.  Die  größte  Siedlung  ist  Havanna  (400),  neben  dem  nur 
noch  Port  au  Prince  Großstadt  ist.  Große  Urwälder  können  noch  in 
Plantagenland  umgewandelt  werden;  vielfach  wird  durch  Erdbeben  großer 
Schaden  angerichtet.  Am  geringsten  ist  der  Aufschwung  in  den  Neger- 
republiken Haitis  mit  ihren  ständigen  Unruhen^). 

Die  Andenstaaten. 

Die  Gebirge  Mittelamerikas  setzen  sich  fast  lückenlos  in  den  südameri- 
kanischen Kordilleren  fort,  die  bis  zum  Golf  von  Guayaquil  in  dichten 
Regenwald  gehüllt  sind,  während  südlich  bis  Santiago  ein  mit  Kakteen 
und  strauchartigen  Kompositen  (Pinea)  bewachsenes  Trockengebiet  sich 
ausdehnt,  über  das  sich  die  Silberkegel  der  hohen  Vulkane  (Nevados  ge- 
nannt) erheben.  In  der  Salpeterwüste  der  Atakama. erreicht  die  Trocken- 
heit ihr  Maximum. 


•)  Dieses  und  Nikaragua    hatte  die  Union  während  der  Wirren  des  Welt- 
krieges militärisch  besetzt. 


Guayana  und  das  Orinokobecken.  163 

Chile  dagegen  erinnert  mit  seinen  immergrünen  Laubwäldern,  Weizen- 
feldern und  Obsthainen  an  Südeuropa.  Noch  weiter  südlicher  wird  das 
Gebirge,  dessen  Gipfel  ausgedehnte  Gletscher  tragen,  auf  der  pazifischen 
Seite  von  Nadelholzwäldern  (Araukarien)  bedeckt,  während  sich  auf  der 
patagonischen  Seite  große  Geröll  wüsten  einstellen. 

Der  Reichtum  des  Gebietes  an  Edelerzen  steigert  sich  namentlich  im 
Silberlande  Bolivien  und  hängt  eng  mit  dem  gewaltigen  Vulkanismus 
zusammen. 

Das  venezolanische  Kordillerengebiet  führt  zumeist  Kaffee  aus,  daneben 
Kakao;  Kolumbien,  dessen  Bevölkerung  besonders  im  Magdalenental  siedelt, 
Kaffee,  Gold  und  Bananen;  Ekuador  Kakao  und  Nüsse;  das  alte  Inkaland 
Peru  Mineralien,  Baumwolle  und  Zucker;  Bolivien  Edelmetalle  und  Chile 
neben  Salpeter  (vier  Fünftel  der  Ausfuhr)  Kupfer  und  Wolle.  In  diesen 
bis  auf  Chile  ständig  revolutionären  Konquistadorenstaaten  ist  die 
größte  Siedlung  Santiago  de  Chile  (400),  daneben  sind  Valparaiso,  Lima 
und  Bogota  Großstädte,  Quito,  Caracas,  Medellin,  Maracaibo,  La  Paz, 
Concepcion  und  Guayaquil  große  Mittelstädte. 

Das  gesamte  Andengebiet  umfaßt  4,6  Millionen  km"-  mit  16  Millionen 
Einwohnern.  Auf  die  Blüte  der  Inkazeit  und  die  kurze  Periode  der  spa- 
nischen Silbersucher  folgte  eine  Zeit  langen  Verfalles,  von  dem  sich  das 
Gebiet  jedoch  wieder  erholt  hat.  Der  größte  Teil  der  Bevölkerung  besteht 
aus  Indianern,  Kreolen  und  Mischlingen,  im  aufstrebenden  Chile  auch 
viele  Italiener  und  Deutsche.  Das  im  starken  Ausbau  begriffene  Eisenbahn- 
netz weist  großartige  Hochgebirgsbahnen  auf,  deren  wichtigste  zwischen 
Santiago  und  Mendoza  die  Kordilleren  durchquert. 

Guayana  und  das  Orinokobecken. 

Das  goldreiche  Bergland  von  Guayana  ist  im  Inneren  mit  Baum- 
savannen bedeckt,  an  der  Küste  Regen wald  (1,4  Mill.  km^'  mit  1,3  Mill. 
Einwohnern).  Der  zu  Venezuela  gehörende  Anteil  ist  noch  ganz  uner- 
schlossen,  im  europäischen  Kolonialland  ausgedehnter  Plantagenbau,  der 
in  Britisch-Guayana  am  höchsten  entwickelt  ist.  Neben  tropischen  Pro- 
dukten wird  besonders  Zucker  ausgeführt. 

Ebenfalls  so  gut  wie  unerschlossen  ist  das  Orinokogebiet(300  000  km  ^ 
mit  800000  Einwohnern),  das  an  der  Küste  dichten  Urwald,  im  Hinter- 
lande die  Grassteppen  der  Llanos  aufweist  und  Gummi  und  Häute  ausführt. 

Amazonien. 

Das  gewaltige  Tiefland  des  Amazonen  Stromes  ist  ein  fast  geschlos- 
sener Urwald  (Selvas),  von  großen,  wasserreichen  Flüssen  durchströmt. 
Amazonien  gehört  zumeist  zu  Brasilien,  im  Westen  auch  zu  Kolumbien, 
Ekuador,  Peru  und  Bolivien.  Fast  neun  Zehntel  der  gewaltigen  Gummi- 
ausfuhr, die  infolge  der  raubbauartigen  Gewinnung  neuerdings  vom  Plan- 
tagengebiet des  südlichen  Asien  überflügelt  ist,  fallen  auf  Brasilien.  Die 
Einwohnerzahl  (2  Millionen  auf  4,9  Millionen  km-)  ist  gering,  die  Haupt- 
orte Para  (Belem)  und  Manaos. 

11* 


164  XVII.  Amerika. 


Das  Hochland  von  Brasilien. 

Tropischer  Regenwald  umkränzt  in  schmalem  Gürtel  die  Küsten  der 
Brasilischen  Masse.  Nördlich  des  10.  Breitenkreises  herrscht  der  Caa- 
tinga  genannte  Trockenwald  vor,  der  sich  entlang  der  Flüsse  auch  weit 
nach  Süden  erstreckt;  südlich  des  Wendekreises  reichen  Araukarien wälder 
beinahe  bis  an  das  La  Platagebiet.  Das  Innere  des  Hochlandes  erfüllen 
die  Campos  mit  ihren  hohen  Gräsern,  nördlich  des  La  Plata  finden  wir 
eine  an  die  Pampas  erinnernde,  mit  Gräsern  bedeckte  Distelsteppe,  die  sich 
längs  der  Küste  bis  Porto  Alegre  erstreckt.  Die  Schiffbarkeit  der  großen 
Flüsse  wird  durch  Stromschnellen  sehr  beeinträchtigt,  deren  Wasserkräfte 
in  steigendem  Umfange  ausgenutzt  werden,  ein  großes  Eisenbahnnetz  ist 
im  Ausbau. 

Auf  4,9  Mill.  km-  siedeln  22  Mill.  Einwohner  (Zuwachs  =  100  "/o). 
Haupterzeugnisse  sind  Kaffee  (zwei  Drittel  der  Ausfuhr!),  Baumwolle 
(neuerdings  im  Lande  versponnen),  Tabak,  Tee  und  Kakao 0-  Südbrasilien 
führt  auch  Leder  und  Felle  aus,  das  äußerst  viehreiche  Uruguay  dazu 
Wolle  und  Fleisch  (Fleischextraktwerke  in  Fray  Bentos).  Die  größte  Sied- 
lung ist  die  Millionenstadt  Rio  de  Janeiro,  der  Hauptkaffeehafen  Santos. 
Großstädte  sind  Recife,  Bahia,  S.  Paulo  (500),  Porto  Alegre  und  Monte- 
video (400). 

Die  La  Platastaaten. 

Den  Rest  Südamerikas  umfaßt  das  La  Platagebiet.  Im  Norden  über- 
wiegen Flußanschwemmungen,  in  der  Mitte  (zwischen  La  Plata  und  Colo- 
rado) fruchtbarer  Lößlehm,  im  Süden  Moränensande  und  Kiese  des  großen 
Inlandeises,  das  zur  Eiszeit  Patagonien  überdeckte.  Dazwischen  inselartig 
Trümmer  alter  Gebirge.  Die  südbrasilischen  Araukarienwälder  finden  sich 
auch  im  Flußgebiet  des  Parana  und  Paraguay,  die  weit  hinauf  schiffbar 
sind.  Der  Gran-Chaco  ist  eine  mit  Wachspalmen  bedeckte  Grassavanne, 
östlich  dessen  sich  die  Urwälder  des  Ostfußes  der  Kordilleren  bis  zum 
30.  Breitenkreise  erstrecken.  Weiter  südlich  vorwiegend  Steppe,  die  im 
Osten  als  Grassteppe  (Pampas)  ausgebildet  ist  und  nach  Westen  zu  in 
wüstenartige  Strauchsteppen  übergeht.  In  Patagonien  zwischen  Geröll- 
wüsten einige  Sträucher.  Die  Siedlungen  am  Kordillerenrande  liegen  in 
Bewässerungsoasen  mit  Anbau  von  Obst  und  Südfrüchten. 

Politisch  gehört  das  lößreiche  Gebiet  zu  Paraguay  und  Argentinien, 
auf  beinahe  3  Mill.  km"  leben  8  Mill.  Einw.  (Zuwachs  =  300  7o),  die  Ein- 
wanderung war  gerade  im  letzten  Jahrzehnt  in  Argentinien  außerordentlich 
groß.  Am  dichtesten  siedelt  die  Bevölkerung  in  der  Ackerzone  zwischen 
Buenos  Aires  (mit  1,8  Mill.  Einw.,  der  größten  Stadt  Südamerikas  und 
Mittelpunkt  eines  großen  Eisenbahnnetzes)  und  dem  aufstrebenden  Bahia 
Bianca.  Mittelpunkt  des  großen  Viehzuchtgebietes  istCordoba,  Rosario  der 
Hauptausfuhrhafen  für  tierische  Produkte  und  Getreide. 


*)  Es  sei  nochmals  ausdrücklich  betont,  daß  bei  den  Einwohnerzahlen  der 
Zuwachs  gleichmäßig  seit  1871  berechnet  ist,  während  bei  dem  Handel  die 
letzten  Zahlen  vor  dem  Kriege  (meist  1912  und  1913)  angegeben  wurden. 
Zeigen  doch  die  seither  bekannt  gewordenen  jüngeren  Zahlen  noch  zu  sehr 
die  Nachwirkungen  des  Krieges. 


Die  Arktischen  Inseln.  165 


Über  150000  km^  der  Fläche  Argentiniens  sind  Ackerland  (davon 
100000  km-  Weizen  und  Mais).  Fast  die  Hälfte  der  Ausfuhr  fällt  auf 
Weizen  und  Mais,  je  ein  Zehntel  auf  Häute,  Fleisch  und  Wolle.  Gewaltige 
Flächen  können  aber  hier,  wie  im  Inneren  Brasiliens,  dem  Ackerbau  und 
der  Viehzucht  erschlossen  werden.  Jahrzehntelange  Unruhen  erschwerten 
die  Entwicklung  Paraguays,  das  besonders  Holz,  Häute  und  Tabak  ausführt. 

Von  den  Haupthäfen  des  Lateinischen  Amerika  liegt  die  Mehrzahl  auf  der 
atlantischen  Seite,  die  beinahe  80  Vo  des  Verkehrs  vermittelt.  Auf  der  pazi- 
fischen Seite  folgen  auf  Valparaiso  die  Salpeterhäfen  Antofagasta  und  Iquique. 

Skrupellos  versuchte  die  Union  immer  mehr  das  Lateinische  Amerika 
wirtschaftlich  zu  durchdringen,  um  so  die  ihm  fehlenden  tropischen 
Rohprodukte  billig  zu  beziehen  (Imperialismus  und  Monroedoktrin!). 

Im  Weltkriege  stellte  sich  die  Mehrzahl  der  süd-  und  mittelamerikanischen 
Staaten  auf  die  Seite  der  Entente;  einmal  um  auf  diese  Weise  ihre  Roh- 
produkte (vor  allem  Kaffee  und  Gummi)  loszuwerden,  daneben  aber  lockte 
auch,  abgesehen  vom  wirtschaftlichen  Druck,  der  Verkauf  des  in  den  Häfen 
internierten  großen  deutschen  Schiffsraums.  Bemerkenswert  ist,  daß  die 
Stimmung  zuerst  in  dem  ehemals  portugiesischen  Brasilien  umschlug, 
während  Mexiko,  das  am  meisten  spanisches  Blut  in  seiner  Bevölkerung 
hat,  die  Neutralität  am  besten  wahrte.  Im  Laufe  der  nächsten  Jahrzehnte 
wird  aber  die  Mehrzahl  der  amerikanischen  Staaten  die  Handelsbeziehungen 
mit  den  Mittelmächten  schon  aus  dem  Grunde  wieder  aufnehmen  müssen, 
weil  sie  einen  großen  Teil  ihrer  Erzeugnisse  allein  in  den  Ländern  der 
Entente  gar  nicht  absetzen  kann. 

Die  Arktischen  Inseln. 

Polwärts  flutet  das  Meer  über  den  nordamerikanischen  Kontinentalsockel 
und  bildet  die  arktischen  Inseln,  die  schon  kleine  Inlandeisdecken  tragen. 
Der  grabenartige  Einbruch  der  Baffinbai  und  Davisstraße  trennt  sie  von 
Grönland.  Sein  Inneres  nehmen  wahrscheinlich  von  einzelnen  Kuppen 
überragte  Hochflächen  ein,  den  norwegischen  Fjelds  vergleichbar;  es  ist 
aber  völlig  unter  einer  Inlandeisdecke  vergraben.  Eisfrei  sind  nur  die  Rand- 
gebiete, deren  tief  eingeschnittene  Täler  das  Meer  überflutet  hat.  Hier  endet 
auch  das  Inlandeis  in  langen  Gletscherzungen.  Die  kalbenden  Gletscher- 
enden führt  der  Labradorstrom  als  Eisberge  weit  nach  Süden,  wo  sie  eine 
stete  Gefahr  für  die  Schiffahrt  sind  (Untergang  der  Titanic).  Die  Eisberge 
schmelzen  im  Golfstrom,  und  ihr  Schutt  bildet  die  Neufundlandbank  und 
östlich  der  Küste  von  Neuschottland  die  Sable (Sand) -Insel. 

Während  die  arktischen  Inseln  völlig  unbewohnt  sind,  siedeln  unter 
dänischem  Schutz  an  Grönlands  Südwestküste  14000  Eskimos,  die  sich 
von  Fischfang  nähren. 

Die  Fläche  von  Arktika  beträgt  2,4  Mill.  km^,  dürfte  sich  aber  durch 
Landentdeckungen  im  Nordwesten  noch  erheblich  steigern. 

Antarktika. 

Die  südamerikanischen  Kordilleren  setzen  sich  in  den  Falklandinseln, 
Südgeorgien,  den  Sandwichinseln  und  den  südlichen  Orkneyinseln  fort, 


166  Schlußbetrachtunsf. 


noch  weiter  südlich  in  den  Gebirgen  des  Grahamlandes,  dessen  westliche 
Ketten  nur  noch  als  Inseln  das  Meer  überragen.  Die  neuesten  Forschungen 
machen  es  wahrscheinlich,  daß  auch  die  Gebirge  des  Viktorialandes  mit 
ihren  hohen  Vulkanen  (Erebus  und  Terror)  zu  diesem  Gebirgszug  gehören. 
Er  bildet  dann  den  steilen  Rand  eines  gewaltigen,  ganz  von  Inlandeis  über- 
deckten Kontinentes  Antarktika,  der  im  übrigen  eine  wenig  gegliederte 
Hochfläche  dem  Australkontinent  vergleichbar  ist;  seine  Größe  kann  man 
auf  mindestens  12  Mill.  km-  berechnen.  In  früheren  Zeiten  wies  Antarktika 
einen  reichen  Pflanzenwuchs  auf  und  hing  mit  Südamerika  und  Australien  zu- 
sammen. Auch  Zusammenhänge  mit  Südafrika  scheinen  bestanden  zu  haben. 

Während  aber.  Arktika  hoch  Amerika  zugerechnet  werden  kann,  bildet 
Antarktika  einen  selbständigen  Erdteil,  zu  dem  wir  auch  die  meist  un- 
bewohnten Inselgruppen  des  südlichen  Indischen  und  Stillen  Ozeans  rechnen 
können.  Die  in  ihm  durch  die  neuesten  Forschungen  festgestellten  föhn- 
artigen, vom  Eise  herabwehenden  Winde  haben  auch  klärend  auf  das  Problem 
der  Entstehung  des  Lößes  eingewirkt,  der  gürtelartig  die  Ränder  der  ehe- 
maligen Inlandeisdecken  Europas,  Nordamerikas  und  Patagoniens  umkränzt. 


Schlugbetrachtung. 

Bis  auf  die  arktischen  Länder  ist  der  größte  Teil  der  Erde  in  das  Wirt- 
schaftsleben  des  Menschen  einbezogen,  und  auch  in  ihnen  beginnt, 
er  die  eisfreien  Teile  zu  besiedeln  und  zu  erschließen. 

Bildete  er  anfangs  Sippen,  dann  Stämme,  später  Nationen,  so  erkennen 
wir  heute  immer  klarer  den  Trieb,  sich  zu  großen  Wirtschaftsgebieten  — 
Staaten  höherer  Ordnung  —  zusammenzuschließen. 

Die  großen  Wirtschaftsgebiete. 

Das  größte  derselben  ist  das  anglofranzösische  mit  Portugal  und 
Belgien  als  Vasallenstaaten.  Neben  den  Mutterländern  umfaßt  es  das  Indische 
Imperium  (einschließlich  Australiens),  fast  ganz  Afrika,  den  größten  Teil 
Vorderasiens  und  Kanada,  von  kleineren  Restkolonien  abgesehen.  Seine 
Fläche  beträgt  etwa  50  Mill.  km-  —  von  den  Polargebieten  abgerechnet 
37  "/o  der  Erdoberfläche  mit  590  Mill.  Einwohnern  (35  °/o),  die  einen  Handels- 
umsatz von  über  40%  des  Welthandels  aufweisen. 

Ein  zweites  Wirtschaftsgebiet  bildet  sich  im  Anschluß  an  die  Vereinigten 
Staaten  aus,  besonders  diese  und  Mittelamerika  umfassend,  wozu  das  immer 
mehr  von  der  Union  durchdrungene  Südamerika  und  die  Philippinen  mit 
Hawai  als  Etappe  kommen.  Ohne  Kanada,  das  sich  ihm  wolil  einmal  an- 
schließen wird,  umfaßt  dieses  Panamerika  etwa  33  Mill.  km- (25" «)  mit 
beinahe  200  Mill.  Einwohnern  (12''/o)  und  einem  Handelsumsatz  von  etwa 
30  Milliarden  (ITVo).  im  Weltkriege  ist  es  sehr  gestärkt  worden,  da  von 
ihm  nur  die  Union  im  letzten  Kriegsjahre  wirklich  in  den  Krieg  aktiv  hinein- 
gezogen wurde.  Doch  machen  sich  auch  wieder  Bestrebungen  Südamerikas 
(ABC-Staaten)  bemerkbar,  selbständiger  vorzugehen,  so  daß  eine  Zwei- 
teilung im  Bereiche  der  Möglichkeit  liegt. 


Die  Splitter  der  Neutralen.  167 


Ein  drittes  Wirtschaftsgebiet  beginnt  sich  unter  japanischem  Einflüsse  zu 
entwickeln  und  sei  als  ostasiatisches  bezeichnet.  Es  umfaßt  nicht  nur 
China,  die  Mandschurei  und  das  russische  Küstengebiet,  sondern  auch 
Mikronesien  und  sucht  sich  über  Hinterindien  auszudehnen,  wo  namentlich 
Holländisch-hidien  noch  eine  schwere  Stellung  haben  wird.  Man  kann  es 
auf  etwa  13  Mill.  km-  (10%)  mit  400  Mill.  Einwohnern  (25%),  aber  eintm 
Handel  von  nur  6  Milliarden  (3,5  %)  schätzen,  dem  jedoch  ein  großer  Auf- 
schwung bevorsteht,  wenn  China  aus  seiner  Lethargie  erwacht. 

Die  Splitter  der  Neutralen. 

Außerhalb  dieser  großen  Wirtschaftsgebiete,  die  zusammen  beinahe 
dreiviertel  der  Ökumene,  beinahe  ebensoviel  ihrer  Einwohnerzahl  und 
65%  des  Welthandels  umfassen,  krankt  die  Welt  an  Zersplitterung. 
Weder  die  europäischen  »Neutralen«  —  dieser  Ausdruck  ist  auch  heute 
trotz  des  Völkerbundes  noch  sachgemäß!  —  bilden  eine  geschlossene  Ein- 
heit, noch  das  übrige  »balkanisierte«  Europa,  und  der  Traum  öines  deutsch- 
russischen Wirtschaftsblockes  dürfte  nicht  so  bald  zur  Wirklichkeit  werden. 

Die  Reibungsflächen. 

Zwischen  diesen  Wirtschaftszonen  liegen  naturgemäß  ausgedehnte 
Reibungsflächen.  Eine  solche  ersten  Grades  ist  der  Orient,  den  der 
russische  Bolschewismus  mit  seinen  Ideen  zu  durchtränken  sucht;  eine 
zweite  Hinterindien,  das  Kampfgebiet  zwischen  englischem  und  japanischem 
Handel,  wobei  letzterer  auch  schon  in  Vorderindien  einzudringen  sucht. 
Reibungsflächen  zwischen  ostasiatischem  und  panamerikanischem  Imperia- 
lismus bestehen  endlich  auch  in  den  Philippinen,  Teilen  Chinas  (Jangtsetal) 
und  Mikronesien.  Erwähnt  wurde  bereits,  daß  Südamerika  den  Versuch 
macht,  auf  eigene  Hand  mit  Europa  Handel  zu  treiben,  um  so  namentlich 
seine  Getreideernten,  Fleischvorräte,  Felle,  Häute,  Baumwolle  und  Wolle 
loszuwerden. 

Auch  wir  Deutschen  sind  augenblicklich  nur  Körner  zwischen  diesen 
Mühlsteinen  der  Weltpolitik  und  würden  einer  beinahe  verzweifelten  Zu- 
kunft entgegengehen,  wenn  nicht  die  großen  Reibungsflächen  zeigten, 
daß  die  Aufteilung  der  Erde  noch  nicht  endgültig  vollzogen  ist, 
sondern  unter  Umständen  noch  Überraschungen  bevorstehen. 

Erziehen  wir  aber  unsere  Jugend  weniger  zu  einem  Glauben  an  solche, 
als  zu  gediegener,  selbstloser  Arbeit  —  war  doch  »Pflichterfüllung,  die 
keiner  sieht«,  nach  Bismarck  das  Geheimnis  deutscher  Kraft  — ,  dann 
werden  wir  die  schwere  Übergangszeit  noch  am  besten  überstehen. 


VERLAG   VON    FERDINAND    HIRT   IN   BRESLAU 
Rüsewald,  Oberlehrer  Dr.  K. 

Praktische  Erdkunde 

Übungen  und  Beobachtungen. 
Mit  82  Abbildungen  und  Kartenskizzen.  1914.  Geh.  3  M.,  geb.  3.50  M. 

Die  „Pädagogische  Warte"  schreibt  1914  in  Heft  20: 

„. . .  Bietet  Lehrern  und  Schülern  trefflidie  Anregungen  und  Winke,  erdkundlidie  Aufgaben  durdi 
praktische  Übungen,  Beobaditungen  und  Versudie  im  Sinne  der  Arbeitsschule  zu  lösen.  Da  es  sich 
dabei  naturgemäß  hauptsächlich  um  Fragen  der  Heimatkunde  handelt,  so  wäre  der  Titel  „Praktische 
Heimatkunde"  vielleicht  vorzuziehen  gewesen." 

Kerp,  Schulrat  und  Kreisschulrat  H. 

Führer  bei  dem  Unterricht  in  der  Heimatkunde 

Mit  etwa  10  Zeichnungen  und  Skizzen. 
6.  Auflage.    1921.   In  Vorbereitung.   Etwa  145  S.   Kartoniert  etwa  6  M. 

Lerche,  Oberlehrer  O. 

Heimatkunde  für  Grojßstadtschulen 

Kurze  Methodik  für  das  dritte  Schuljahr. 

Mit  20  Abbildungen.    IV  und  48  S.    1914.    Preis  kartoniert  1  M. 

Die  „Monatssdirift  für  höhere  Schulen",  XV,  Jahrgang,  schreibt  auf  S.  214: 

^ Sie  will   das  Verständnis  für  die  Gesamtheit  großstädtischer  Hochkultur  pflegen,  will 

die  geographischen  Grundzüge  der  Stadt  und  ihrer  Umgebung  verdeutlichen,  die  Fähigkeit  eines 
Ziireditfindens  mit  Hilfe  eines  Planes  erzeugen  und  vornehmlich  das  Gefühl  der  Zugehörigkeit  zu 
einem  großen  Ganzen,  das  stolze  Bewußtsein  der  Bodenständigkeit  wachrufen,  durch  das  die  Han- 
seaten ebenso  wie  die  Athener  sich  als  ein  Adelsvolk  gegenüber  den  Barbaren  fühlten;  sie  will 
somit  das  Höchste  erreichen,  den  Heimatsinn,  den  Bürgersinn,  die  wichtigen  Grundlagen  völkischen 
Selbstgefühls " 

Reinhard,  Prof.  Dr.  R. 

Die  Welt  nach  dem  Friedensschluß 

Ein  geographisch-wirtschaftspolitischer  Überblick. 
2.neubearb.Aufi.  48S.mit  19  Kartenskizzen  u.graph.  Darstellung.  1920.  Geh.2M. 

Das  Heft  gibt  in  drei  Hauptkapiteln  —  Deutschland,  Europa,  Die  außereuropäische 
Well  —  einen  knappen  Überblick  über  die  durch  den  Krieg  herbeigeführten  geographischen  Ver- 
änderungen. Es  zeigt  die  Folgen  von  Versailles  in  ihrer  geographisch-politischen  und  wirtschaftlichen 
Bedeutung  für  das  deutsche  Volk  und  die  weltpolitische  Stellung  Englands,  der  Union  und  Japans. 

Reinhard,  Prof.  Dr.  R. 

Weltwirtschaftliche  und  Politische  Erdkunde 

in  ausgewählten  Kapiteln. 

Mit  50  Kartenskizzen  u.graph.  Darstell.  2.durchges.Aun.  1921.  1408.  Kart. 4,50 M. 

Die  bekannte  Zeitschrift  „Wc  It  wi  r  tscii  af  t  "  1919,  Heft  11,  urteilt  darüber  wie  folgt:  „.  ...  In 
knappster  I'orm  wird  eine  große  l-üllc  wertvollsten  Wissens  dargeboten,  und  klar  durchdachte,  vortreffliche 
Skizzen  beleben  den  Text.  Die  Auswahl  und  Anordnung  des  Stoffes,  der  Guß  des  gedanklichen  Inhalts 
in  die  knappste,  immer  ansprechende  I-orm  kann  als  schledilhin  meisterhalt  bezeichnet  werden..." 


Zu  den  angekündigten  Preisen  tritt  ein  Teuerungszuschlag  des  Verlags 
(Januar  1921:  100  Prozent). 


Günther,  Kirstein  &  Wendler  in  Leipzig. 


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