KONRAD OLBRICHT
DER
ERDKUNDLICHE
LEHRSTOFF
IN NEUZEITLICHER AUFFASSUNG
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FERDINAND HIRTIN BRESLAU
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DER ERDKUNDLICHE LEHRSTOFF
IN NEUZEITLICHER AUFFASSUNG
UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG
DER KONZENTRATION, DER KAUSALEN ZUSAMMENHÄNGE
UND DES ARBEITSUNTERRICHTS
EIN HANDBUCH FÜR UNTERRICHT UND STUDIUM
VON
DE KONRAD OLBRICHT
STUDIENRAT AM ELISABETH- GYMNASIUM IN BRESLAU,
MITARBEITER AN DER E. v. SEYDLITZ'SCHEN GEOGRAPHIE
MIT 38 KARTENSKIZZEN UND DIAGRAMMEN
564146
FERDINAND HIRT IN BRESLAU / 1921
KÖNIGSPLATZ 1
Meiner lieben Frau
Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1921 by Ferdinand Hirt, Breslau
Vorwort.
In der Einleitung iiabe ich die Gesichtspunkte, aus denen heraus das
vorliegende Buch auf Grund einer zehnjährigen Unterrichtserfahrung
geschrieben ist, eingehend entwickelt. Den Verlagsbuchhandlungen von
B. G.Teubner, Quelle & Meyer und Justus Perthes danke ich für das Ent-
gegenkommen, mit dem sie mir den Abdruck größerer Teile von Aufsätzen,
die ich in den in ihrem Verlag erschienenen Zeitschriften veröffentlichte,
gestatteten. Die ständige Benutzung der Breslauer Bibliotheken, sowie
der Handbüchereien der Universitätsinstitute ermöglichte auch die Berück-
sichtigung der jüngsten Literatur.
Besonders danke ich Herrn Professor Dr. Reinhard für die zahlreichen
Ratschläge und Verbesserungsvorschläge bei Durchsicht der Korrekturen.
Ich denke mir die vorliegende Arbeit nicht nur als Hilfsmittel für
den Lehrer der Erdkunde — auch der Leser der trefflichen Wagner-
schen Methodik wird in ihr eine ganze Reihe neuer Gesichtspunkte und
Ergänzungen finden — , sondern gleicherweise als Einführungsbuch für
Studierende. Auch der Geschichtslehrer wird aus ihm manches
zur Gestaltung seines Unterrichts entnehmen können. Da ich endlich die
Ergebnisse langjähriger, noch nicht druckfertig vorliegender eigener Spezial-
arbeiten eingeflochten habe, wird auch der Fachgeograph sicher ihm
Neues herauslesen.
Liebe und Freude am Unterricht zu wecken, ist aber der Hauptzweck
meiner Arbeit; sind doch beide die Gärungserreger, unter deren Mitwirkung
Lehrer und Schüler imstande sind, ihr Bestes herzugeben und zum Aufbau der
Heimat beizutragen, die nicht zum wenigsten durch unsere Weltfremdheit
— trotz der vielen Fremdsprachen an den Schulen! — zusammenbrach.
Wenn Konrad Haenisch sagt: »Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der
Schule der Zukunft, daß die ganze Erziehung und der ganze Unterricht in
weit höherem Maße als bisher fest hineinverankert werde in den Mutter-
boden, den Wurzelboden unseres Volkstums«, dann wird er — und zwar
möglichst bald — dafür sorgen müssen, daß der Erdkundeunterricht auch
auf der Oberstufe aller höheren Lehranstalten Einzug hält und von Fach-
leuten im engsten Anschluß an die in der Heimat zu erkennenden Er-
scheinungen gegeben wird.
Wie ein roter Faden zieht sich die Überzeugung durch meine Aus-
führungen, daß die Erdkunde nur an Hand des Atlasses — »Landkarten
sind ein Turngerät für den Geist« (Fox) — erarbeitet werden soll, um so
die dieser Wissenschaft eigenen Denkprozesse — die Kerschensteiner an-
scheinend in seinen sonst so vorzüglichen Ausführungen übersehen hat
— richtig zum Entfalten zu bringen.
Daß auch die preußische Unterrichtsverwaltung, dem Vorbilde der an deren
deutschen Staaten folgend, der Erdkunde möglichst bald den ihr gebührenden
Platz im Lehrplan auch der oberen Klassen zuweist, ist wohl der Wunsch
4 Vorwort.
aller Erdkundelehrer, die ihr Fach wirklich mit Lust und Liebe unterrichten
und auf Grund eigener Studien wissen, welche Bildungswerte es enthält.
Sagt doch mit Recht unser Hindenburg — der es wohl wirklich mit dem
Deutschtum ernst meint — in seinen Lebenserinnerungen: Ich wünschte
auf die Gefahr hin, für einen Böotier gehalten zu werden, daß in den Schulen
auf Kosten von Latein und Griechisch die lebenden Sprachen, unsere Ge-
schichte, Deutsch, Erdkunde und Turnen mehr in den Vordergrund gestellt
werden. Muß denn das, was im dunkelen Mittelalter das einzige war, an das
sich die Bildung anklammern konnte, auch noch heute in erster Linie stehen ?«
Dankbar gedenke ich des Kuratoriums des Vereins alter Elisabetaner,
das mir mehrfach größere Summen für Wanderungen und Studienreisen mit
reiferen Schülern zur Verfügung stellte. Manches, was wir auf diesen Reisen
sahen und zeichneten, fand Niederschlag in den nachfolgenden Zeilen.
Eine starke Berücksichtigung des Weltkriegs ergab sich von selbst, da
ich der Ansicht bin, daß Weltkrieg, Weltwirtschaft und Entwicklung der
Menschheit so eng zusammenhängen, daß der Geograph hieraus nicht nur
vieles lernen kann, sondern auch Wesentliches besser zu erklären vermag
als mancher Historiker, für den die Erde nicht der Lebensraum ist, aus
dem heraus sich die Menschheit entwickelte, sondern nur die Schaubühne,
auf die sie gestellt wurde.
Und da wir nun einmal die Schüler zu Menschen erziehen müssen, welche
die Welt so sehen, wie sie ist, und nicht so, wie sie uns Utopisten aller
Parteien gern malen möchten, so müssen wir auch im Unterricht immer
wieder darauf hinweisen, daß die letzten Friedensschlüsse — seit Brest-
Litowsk! — den Krieg nicht beendet haben und durch die Art ihrer Aus-
führung zeigen, daß Frankreich Deutschland, England das Deutschtum im
Auslande um jeden Preis vernichten wollen und dies auch unzweifelhaft
tun würden, wenn sie mit ihm allein auf der Welt wären.
Aber die überall glimmenden Funken zeigen, daß der Weltfrieden noch
nicht da ist, fürs erste nicht kommen wird und auch nie eintreten kann,
wenn er auf der Vergewaltigung einzelner Völker beruht.
Damit komme ich nochmalszum. »Ceterumcenseo« meiner Ausführungen:
Eine Schule, die Schüler erziehen will, die ausgestattet mit Wirklich-
keitssinn und harmonischer allgemeiner Bildung ins Leben
treten, ist ohne einen gediegenen Erdkunde Unterricht ein Torso,
ich bin sogar überzeugt davon, daß wir nie in diesen Weltkrieg eingetreten
wären, wenn unsere damals leitenden Kreise als Folge eines richtigen
Erdkundeunterrichts die Welt so eingeschätzt hätten, wie sie wirklich ist.
Mein Buch ist auch insofern ein Kriegskind, als es infolge der un-
geheuerlich gesteigerten Papierpreise von seinem ursprünglichen Umfange
stark zusammengestrichen werden mußte und, abgesehen von dem ge-
drungenen Stil, vieles in Stichworten und Klammern ausgesprochen wurde.
Darauf bitte ich diejenigen Leser, die in bezug auf den Stil anspruchsvoll
sind, Rücksicht zu nehmen.
Breslau, im Januar 1021. Konrad Olbricht.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Vorwort 3
Enleitung 7
I. Die Erdkugel 12
II. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen 14
III. Die Ozeanischen Becken 27
IV. Die Lufthülle 31
V. Die Pflanzendecke 36
VI. Die Tierwelt 39
VII. Der Mensch 45
VIII. Aufgaben der Länderkunde 62
IX. Europa im allgemeinen 64
X. Mitteleuropa 65
XI. Osteuropa 86
XII. Südeuropa 92
XIII. Das atlantische Europa 109
XIV. Asien 127
XV. Afrika 141
XVI. Australien 149
XVII. Amerika 152
Die Geographie ist eine assoziierende Wissenschaft,
die mancherlei Verbindungen unter verschiedenen Wissens-
zweigen schafft, die sonst ohne jeden inneren Zu-
sammenhang bleiben müßten. (Herbart)
Geographie auf wirklidie Weise anschaulich gemacht,
ist von der NaturgesdiiJhte und Historie der Völker un-
abtrennbar and gewährt zu beiden die richtige Grund-
lage. (Herder)
Einleitung.
Wie Herbart und Herder, beide mit wirklich humanistischer Denk-
weise — sofern man unter Humanismus Einheitlichkeit und
harmonische Abklärung im Denken, nicht etwa enzyklopädi-
sc hesAn sammeln von Kenntnissen ohneje de innere Verbindung
versteht — , über den Wert und die Bedeutung der Erdkunde denken,
zeigt das meinem Büchlein vorangesetzte Kennwort.
Endlich nun scheint sich nach dem mutigen, erfolgreichen Vorgehen
Sachsens und Bayerns auch bei uns in Preußen die Erdkunde den Platz
an der Sonne zu erobern, den sie längst verdiente und den man ihr, zu
lange ängstlich beim »guten bewährten Alten« verharrend, so lange vor-
enthalten hat, bis daß man endlich auch ihre Bedeutung erkannte. Jeder
weitblickende, einsichtige Pädagoge sieht in ihr nicht einen unberechtigten
Eindringling in die Oberstufe, sondern er begrüßt sie mit Freuden als
ein Fach, das dank seiner konzentrierenden Fähigkeiten eher
zu verbinden und zu versöhnen, als zu trennen berufen ist.
Mein größstes Bestreben ist es, in folgenden Zeilen die Kausal-
zusammenhänge, die erst Wesen und Kern einer Wissenschaft aus-
machen, auch für die Zwecke des erdkundlichen Unterrichtes schärfer
herauszuarbeiten.
Es kommt weniger auf Wortwissen (bei uns noch heute vielfach für
»Bildung« gehalten), sondern vielmehr darauf an, das Wissen anzuwenden
und gedanklich zu verarbeiten.
Vielwisserei erzeugt keine Vernunft (Heraklit), nicht in der Kennt-
nis des Gewordenen, sondern in der des Werdens liegt die Vernunft
(darin der Vorzug des auf der Entwicklungslehre aufgebauten Natur-
kundeunterrichtes!). Ein jedes Schaffen muß ein Ziel haben, ein jedes
Denken einen Zweck. Und wie oft werden nicht nach Kerschensteiner
Erkenntnisse mit Kenntnissen verwechselt! Erst wenn allgemein
die »Topographie«, die vielfach auch heute noch die »Seele« und das
»Ziel« d^s Erdkundeunterrichtes ist, auf eine ähnliche Stellung beschränkt
wird, wie im (modernen!) Sprachunterricht die Vokabeln und Phrasen,
oder in der Mathematik die Formeln und Lehrsätze, erst dann haben wir
ihren Zweck richtig erkannt, wobei wir naturgemäß nicht verhehlen,
wie wichtig eine Kenntnis der nötigsten Topographie für das
Gelingen des Erdkundeunterrichtes und das Herausarbeiten
der Leitlinien überhaupt ist. Nie aber werde sie zum Selbstzweck.
Hettner sagt einmal: »Die Heimatkunde hat nicht so sehr die Aufgabe,
eine rein topographische Kenntnis der Umgebung zu vermitteln, wie sie
Droschkenkutscher und Austräger gebrauchen, als vielmehr eine aus der
unmittelbaren Anschauung gewonnene Einführung in die Grundbegriffe
8 Einleitung.
der Erdkunde und Hand in Hand damit eine Anleitung zu geographischer
Betrachtungsweise zu erarbeiten.« Darin hegt, daß die Heimatkunde nicht
nur an den Anfang, sondern auch an das Ende der Schulzeit gehört, daß
sie nicht erlernt, sondern erwandert sein soll, was am besten erreicht
wird, wenn in der allgemeinen Erdkunde der Oberstufe immer auf
die in der Heimat erkennbaren Erscheinungen Bezug genommen wird.
Schon hierin liegt, daß nur ein Fachgeograph mit tüchtigen geologischen
Kenntnissen auf der Oberstufe unterrichten darf!
Wie aber muß der Erdkundeunterricht gestaltet werden, daß er zu einem
wirklichen Erziehungsmittel wird — Kerschensteiner, der selbst offenbar
einen sehr schlechten Erdkundeunterricht genossen hat, streitet ihm der-
artig bildende Werte ab! — , anstatt den Schüler derartig mit einer Fülle von
Einzeldingen zu belasten, so daß er den Wald vor Bäumen nicht mehr sieht?
Wie unendlich vieles im Erdkundeunterricht — und erst in der Ge-
schichte!— von Stunde zu Stunde Erlerntes ist dem Schüler schon nach
kurzer Zeit wieder entfallen, weil es in zusammenhanglosen Einzelnamen
ohne lebendigen Hintergrund bestand, und weil jede Einordnung in
ein System fehlte, in dem jede Einzelheit aus notwendigen Gründen
ihren Platz hat, wobei jeder entbehrliche geistige Ballast abgelehnt
werden muß.
Mehr als ein anderes Fach eignet sich die Erdkunde zu einer
fachlichen Konzentration und verdient es, in den Mittelpunkt des
Unterrichtes gestellt zu werden. Es ist überaus anziehend, den zahlreichen
Anknüpfungspunkten zu den Nachbarfächern nachzugehen, wobei wir
sehen werden, daß eine Fülle von interessanten Beziehungen bisher gar
nicht richtig ausgewertet wurde. Was ich hiervon gebracht habe, ist in
jahrelangem Unterricht von mir ausgeprobt und immer wieder von neuem
auf seine Verwendbarkeit durchgearbeitet worden.
Gerade uns Deutschen, denen das mit praktischem Sinn verbindende
Herren menschentum der Engländer fehlt — der Ideologe denkt, der Krämer
handelt, das ist die Tragik in der Weltgeschichte! — , ist ein eingehender
Erdkundeunterricht doppelt nötig.
Aber dazu genügt es nicht, den Erdkundeunterriclit auch auf der Ober-
stufe einzuführen, wo der Schüler erst anfängt, stärker ein selbständiges
Urteilen zu entwickeln. Es muß auch im Lernstoff eine Reform ein-
setzen und alles Überflüssige und Entbehrliche schwinden, um Zeit für
das Erarbeiten der Zusammenhänge zu gewinnen. Wie oft be-
dauert ein Lehrer, zu diesem Erarbeiten der Zusammenhänge nicht zu
kommen, weil er sonst das Pensum nicht bewältigen könnte. Weg also
mit allen Kenntnissen, die nur von heute auf morgen gelernt, später aber
verfliegen und das Gedächtnis ganz unnötig belasten. Natürlich muß auch
der Lehrer Selbstzucht üben, was er um so leichter kann, je höher und
unabhängiger er über dem Stoffmaterial seiner Wissenschaft steht.
In der Länderkunde habe ich angedeutet, was ich persönlich für wesent-
lich halte. Sie ist etwa mit der Lektüre in den Sprachen vergleichbar, und
ihr Wesen besteht in dem Anknüpfen von Berührungspunkten,
Einleitung. 9
das naturgemäß ein großes Sachwissen des Lehrers voraussetzt, dem es
ein leichtes sein muß, von einem bestimmten Lande zu verwandten Er-
scheinungen in anderen Ländern und Erdteilen überspringen zu können.
Aus ihr erarbeiten wir auch die allgemeine Erdkunde, etwa der Gramma-
tik vergleichbar, wobei das Hauptgewicht auf eine möglichst eingehende
Ausnutzung der Atlaskarten zu legen ist und nur Dinge gebracht werden,
die der Schüler aus zur Verfügung stehenden Karten und Bildern — oder
aus Beobachtungen bei Ausflügen — wirklich ersehen kann. Dabei ist es
m. E. nicht unumgänglich notwendig, daß eine Schülergeneration etwa
alle Kapitel der allgemeinen Erdkunde gleichmäßig beherrscht, sondern
es muß dem Fachlehrer — wie in der Lektüre der Sprachen — eine gewisse
Freiheit gelassen werden. Erst dann erziehen wir — Qualitäts- und Quan-
titätsarbeit leistend — nicht nur enzyklopädisches Wissen, das von selbst
zur Oberflächlichkeit führt. Es ist also vorzuziehen, nur wenige ausgewählte
Kapitel zu behandeln, diese aber gründlich und durch eigene Beobach-
tungen gestützt; so leisten wir wirklich brauchbare Schularbeit.
Geologie auf der Unterstufe zu treiben, halte ich für bedenk-
lich, auch auf der Mittelstufe besteht die Gefahr, daß dem Schüler bloße
»Schlagworte« haften bleiben, keine Erkenntnisse. Daher auf beiden Stufen
nur allgemeinere Fragen (Faltengebirge, Vulkane, Schwemmländer) und
erst auf der Oberstufe auch Formationsnamen und verwickeitere Vorgänge.
Vieles kann man schon im Anfangsunterricht ohne gelehrte Worte bringen,
etwa in der Art, wie ich es in dem Kapitel über Mitteleuropa zu zeigen
versucht habe.
Dieses an Stelle von Deutschland zu behandeln, halte ich schon aus
geschichtlichen Gründen für praktisch, aber auch, um, wo irgend möglich,
an Stelle politischer Einheiten — deren Seifenblasennatur uns gerade die
heutige Zeit zeigt — natürliche Landschaften zu setzen. Schon durch die
Erarbeitung der Grenzen derselben und der dabei vielfach sich heraus-
stellenden Übergangslandschaften wird ein gutes Stück Denkarbeit geleistet.
Das Gebiet der Ortsnamen habe ich mehrfach gestreift und würde
mich freuen, wenn auf dem von mir angebahnten Wege ein besserer
Kenner weiterarbeiten würde.
Zahlen sind erst dann von Wert, wenn sie zeitlich und räumlich ver-
glichen werden. Man lasse nur die notwendigsten (Erdteile, Deutschland,
Heimatstaat) lernen und lasse viel graphisch vergleichen. Eine gute Übung,
die den Wirklichkeitssinn der Schüler sehr anregt, ist das Schätzen. An
der Wand hängt etwa die politische Karte Asiens, auf der auch Deutsch-
land zu sehen ist, sowie etwa der Rhein, oder die Oder, deren Zahlen-
werte der Schüler kennt. Wie groß sind Afghanistan, Persien . . . ., wie
lang der Hoangho, oder Ganges? Jeder Schüler arbeitet für sich, schätzt
und schreibt die Zahlen ins Diarium. Welche Freude, wenn dann der
Lehrer die richtigen vorliest und die Übereinstimmung groß ist!
Bei den Einwohnerzahlen der Städte gebe man möglichst das Wachs-
tum — etwa gleichmäßig seit 1871 — in "/o eingeklammert und lasse als
Hausaufgabe auf Grund der Angaben des Atlas und des Lehrbuches die
10 Einleitung.
Großstadtdichte einiger Staaten ausrechnen, also feststellen, auf wieviel
Quadratkilometer eine Großstadt kommt. Daß sich bei diesen Berech-
nungen die Dichte Chinas (100 000 km') als kleiner herausstellt als die
Spaniens und nur den zehnten Teil der Deutschlands (11000) beträgt,
diejenige Indiens ungefähr der russischen gleicht (170000), dürfte auch
manchem Fachmann unbekannt sein. Wie auch, daß man die Vereinigten
Staaten nur mit ganz Europa, ihre Einzellandschaften mit den europäischen
Einzelstaaten vergleichen darf, um nicht zu Trugschlüssen zu kommen.
Die graphische Darstellung leitet zum Kartenzeichnen über, einem
der Schmerzenskinder des Erdkundelehrers. Kopien schon vorhandener
Atlaskarten zu entwerfen ist Zeit- und Materialverschwendung, trägt nicht
immer — da mechanisch gearbeitet — zur Einprägung des Lernstoffes bei,
erfordert auch zu wenig Denkarbeit und macht nur guten Zeichnern
wirklich Freude. Besser ist es, die Schüler solche Dinge zeichnen zu
lassen, die wirkliche Denkarbeit beanspruchen und zugleich kausale Zu-
sammenhänge erkennen lassen, oder zu Vergleichen Veranlassung geben.
Zeichne Deutschlands Rinnenseen! Die Verbreitung der Siedlungen
in den Alpenländern! Wo liegen die Alpenseen? Die Hauptlinien des nord-
amerikanischen Eisenbahnnetzes! Wo finden wir in Afrika Wasserfälle?
Wie liegen die Vulkane Hinterindiens? Wie liegen die Kohlen- und Eisenerz-
lager Europas zum Meer? Welchen Einfluß haben die Meeresströmungen
auf die Verbreitung der Malaien? Zeichne die Lage der Palmen-
grenze in Europa! Die Lage der Baumgrenze! Welche Namen Ostelbiens
sind aus anderen Landschaften Deutschlands entlehnt? Wo finden wir in
Europa Dünenküsten? An welchen Namen erkennen wir noch heute die
ehemalige Ausdehnung des Römerreiches in Europa? Was besagen die
Ortsnamen Nordamerikas? Griechische Namen in Südeuropa! Das sind
nur einige Beispiele, die zeigen sollen, daß die Zeichnungen zugleich an
Verstandesfragen anknüpfen können. Viel Freude macht es den Schülern,
auf einer selbstgezeichneten Erdkarte die wichtigsten Produkte der Einzel-
länder (Einführung in Zeichengebung) einzutragen, was gut im Unterricht
geschehen kann. Auch lasse man Profile zeichnen.
Das Gradnetzzeichnen wird am besten an den mathematischen
oder Zeichenunterricht angeschlossen, das Entwerfen von Routenaufnahmen
— und ihr Ausarbeiten zu Hause — läßt sich im Anschluß an Turnmärsche
leicht bewerkstelligen (Kompaß und Stoppuhr!). Das Feststellen der Schwer-
punkte- von Ländern und Erdteilen läßt sich gut an den Physikunterricht
anschließen (Umrisse aus Pappe ausschneiden) und im Erdkundeunterricht
auswerten (Lage der Hauptstädte zu den Schwerpunkten).
Aber auch der Unterricht ist eine Kunst und kein Handwerk,
und die Fragekunst spielt bei der Neugestaltung des Erdkundeunterrichtes
die Hauptrolle. Weniger Sachfragen, die bloß das Gedächtnis üben, son-
dern Verstandesfragen, bei denen die Kenntnisse der durch die Frage
zu erarbeitenden Erkenntnis nachgeordnet sind und nicht Selbst-
zweck, sondern nur Mittel zum Zweck. Gerade die hohe Konzentrations-
fähigkeit der Erdkunde gestattet Fragereihen, bei deren Beantwortung wir
in dem Schüler Denkprozesse auslösen, welche erst zu wirklicher huma-
Einleitung. 1 1
nistischer, die Zusammenhänge erfassender Denkweise erziehen. Diese aber
ist mehr wert, als die zusammenhanglose Sammlung von Kenntnissen,
die uns das Konversationslexikon besser gibt.
Hier bedeutet aber Konzentration nicht nur Verknüpfung
verschiedener Lehrstoffe zu einem harmonischen Ganzen, son-
dern auch zugleich unter Weglassung — »Kunst ist Weglassen«,
sagt Liebermann — alles überflüssigen Ballastes das Herausheben
der großen Zusammenhänge.
Sie vernachlässigen, wäre eine Sünde am Wesen und Geist der Erd-
kunde. Wollen wir doch unsere Schüler zu mehr erziehen, als zu Reflex-
automaten, für die eine Abschlußprüfung Zweck und einziges Ziel des
Schulunterrichtes ist.
Gar mancher Lehrer mag beim Durchlesen der folgenden Zeilen denken,
ob nicht zahlreiche Darlegungen für den Schüler zu hoch sind. Man be-
achte aber, was man schon von einem Tertianer alles in griechischer, oder
von einem Quartaner in lateinischer Grammatik verlangt. Das ist wahrhaftig
nicht wenig, sondern oft recht viel; manchmal — oder häufig? — freilich
keine Erkenntnis, sondern nur bloße Kenntnis, die von dem Schüler mehr
mechanisch erlernt, als geistig verdaut wirdO- Und kann nicht nur der
Lehrer erfolgreich unterrichten, der kein Sklave des Lehrbuchs ist, sondern
den gesamten Lehrstoff übersieht? Einige Leitlinien durch diese zum Teil
schon dem Fachmann unübersehbare Fülle zu legen, ist ebenfalls der Zweck
der folgenden Zeilen. Wie weit der Lehrer sie auch unterrichtlich benutzt,
hängt nicht nur von seiner persönlichen Ansicht, sondern nicht zum wenig-
sten von der Aufnahmefähigkeit seiner Schüler ab. Zeigen wir auch hier
etwas Wagemut!
') Nach dem Urteil von zahlreichen Lehrern der alten Sprachen.
Die Erdkugel.
Gestalt und Größe.
Die Erde ist ein infolge ihrer Umdrehung an den Polen abgeplattetes
Rotationsellipsoid'). Sie besteht aus einer äußeren Gesteinshülle
und einem metallischen Kern, die beide allmählich ineinander übergehen.
Die Schale wird zum größtenTeil aus Kieselsäureverbindungen aufgebaut, wo-
zu auch Verbindungen der Leichtmetalle Kalium, Kalzium, Natrium, nament-
lich aber desAluminiums und Magnesiums treten, und zwar überwiegen erstere
in den äußeren Schichten (Sal), letztere in den Tiefen (Sima). Das spezifische
Gewicht des Sal berechnet man auf 2,5—2,7, dasjenige des Sima auf 3-4.
Der Erdkern.
Der Erdkern wird von Sueß als Nife bezeichnet (Ni = Nickel, Fe =
Eisen), um das Vorherrschen dieser beiden Metalle auszudrücken. Man
kann aber annehmen, daß in den zentralen Teilen die schwereren Metalle,
vor allem die Edelmetalle Gold, Silber und Platin, vorherrschen, die infolge
ihrer größeren Schwere in
viel geringerem Umfange ^
in den Gesteinsmantel '^
eingedrungen sind. Mit
Hilfe der Drehwage be-
rechnet man das Eigen-
gewicht der Gesamterde
auf 5,6 (Physikunterricht).
Wichtige Aufschlüsse
über die mutmaßliche Zu-
sammensetzung und An-
ordnung der Schichten
im Erdinneren verdanken
wir der Erdbebenfor-
schung, deren Wellen-
diagramme den Erdkörper
wie mit Röntgenstrah-
len durchleuchten.
Auch wissen wir aus
den neueren Gezeiten-
messungen, daß der Erdkern starrer als Stahl ist, aber über seineTempcratur und
seine sonstige physikalische Beschaffenheit sind wir noch völlig im unklaren.
') Den Umfang berechnete zuerst Eratosthenes mit der Basis Memphis —
Syene nach der Proportion u : b -- 360 : z (Mathematik 1 1 b). Genauere Ergebnisse
erzielten die Gradmessiingen, die zugleich die Abplattung erwiesen (gleichen
Bögen auf der Erde entsprechen nicht gleiche Grade am Himmelsgewölbe).
Inhalt und Oberfläche lassen sich in der Stereometrie errechnen, die Beweise
für die Kugelgestalt und Drehung (Foucaultscher l^endelversuch und Abplattung)
bietet der Physikunterricht. Hier errechnen wir auch das spezifische Gewicht
des Gesteinsmantels, erkennen die Anordnung der Erdschichten nach dem
spezifischen Gewicht (Lufthülle, Wasserhülle, Gesteinshülle und Metallkern),
was zu Betrachtungen über den Erdkern führt (Magnetismus und Nordlichter).
1. ers^(? Vorläufer
(gehen durch die Nife)
- 2. zweite Vorläufer
3. Haupfweilen
1. Erdbebenwellen und ihre Beeinflussung durch
die Nife.
Die Gesteinshülle. 13
Die Gesteinshülle bezeichnet man als Lithosphäre und schätzt ihre
Dicke auf etwa 1400 km. In sie eingebettet liegen die Mägmaherde, deren
Laven die Vulkane aufbauen. Auf Grund der Zunahme der Wärme in Bohr-
löchern und Bergwerken kann man berechnen, daß in etwa 60 km Tiefe
die Gesteine der Erdhülle plastisch sein müssen. Möglicherweise umgibt
in dieser Tiefe eine plastisch-flüssige Zone den festen Erdkern; aber
über die physikalisch-chemische Bedingtheit dieser Zone hat unsere For-
schung bisher keine Antwort gegeben.
Die Gesteinshülle.
Die oberste Hülle der Lithosphäre, die das Forschungsbereich der Geo-
logie bildet, ist verbogen. In tiefen, vielfach von Bruchspalten umgebenen
Mulden sammelt sich das Meer, die Aufwölbungen bilden die Festländer,
oder besser Kontinentalblöcke. Das fließende Wasser erniedrigt die
Festländer, und die Flüsse führen den Schutt ins Meer, wo sich die
Sedimentgesteine (von »sedeo« = ich setze mich ab; Gegensatz dazu
die vulkanischen oder Eruptivgesteine — »erumpo« = ich breche aus) bilden,
die sich vielfach in großen, langgestreckten Mulden (Geosyn kl inalen) ab-
setzten, dann in die tieferen plastischen Teile der Lithosphäre gerieten und
hier zu kristallinen Schiefern (metamorphe Sedimente) umkristallisierten. An
vielen Stellen der Erde aber wurden diese Geosynklinalen zu hohen
Gebirgen aufgefaltet, die nach ihrer Verebnung durch die Erosion mehr-
fach als Schollengebirge nochmals über die Umgebung gehoben wurden.
Die Gründe, welche die Gebirgsbildung verursachen, sind
uns noch unbekannt. Neuerdings neigt man dazu, die Gebirgsbildung
mit Massenverschiebungen der größeren Erdtiefen in Beziehung
zu setzen. Im Unterricht ist es nicht nur statthaft, sondern auch empfehlens-
wert, die Erscheinungen der Erdoberfläche mit den Runzeln eines
Apfels und dem Zerbrechen einer Eisdecke über einem Teiche in Schollen
zu vergleichen. Auch muß unbedingt auf die lineare Anordnung der
Faltengebirge und die merkwürdige Zuspitzung der Kontinente nach
Süden hingewiesen werden. Hier verbirgt sich ein noch unbekanntes
Gesetz, das heute das Antlitz der Erde beherrscht und vielleicht auch
schon in früheren Zeiten beherrscht hat, da sich die Gründe für eine
gewisse Permanenz der Kontinente und Ozeane mehren. Man ist
immer mehr geneigt anzunehmen, daß bestimmte Teile der Erdoberfläche
ständig Hebungsgebiete sind, während andere sich stetig senken. Zwischen
beiden liegen in breiten Zonen die Gebiete, die bald vom Meere über-
flutet werden, bald wieder Festländer bilden (Tetraedertheorie). Hier ent-
steht die Mehrzahl der Sedimente, die nach Lebewelt und Beschaffenheit
des Materials nur Bildungen flacher Meere sein können.
Über das Alter der Erde haben wir nur Mutmaßungen. Während man
früher verhältnismäßig geringe Zeitlängen annahm, machen die Unter-
suchungen des Radiumgehaltes verschiedener Eruptivgesteine größere
Zeiträume wahrscheinlich; während früher 100000 Jahre als unglaublich
erschienen, liegen heute 600 Millionen Jahre im Bereiche des Möglichen
(Untersuchungen der pleochroitischen Höfe).
14 II. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen.
Die Einteilung der Erdkunde.
Die Abbildung der Erde erfolgt durch den Globus und die Land-
karten und entwickelt sich mehr und mehr zu der selbständigen Wissen-
schaft der Kartographie^.
Mit der Gestaltung der Oberflächenformen der Erde und ihrer
Bedingtheit durch aus dem Erdinneren stammende (endogene oder tek-
tonische) und von außen her wirkende (exogene) Kräfte beschäftigt sich die
Morphologie. Das Meer behandelt die Meereskunde, die Lufthülle die
Meteorologie, das vegetative Leben Tier- und Pflanzengeographie
und den Menschen die Anthropogeographie und Völkerkunde (Ethno-
logie). Alle diese Wissenschaften liefern die Grundsteine zu der wissen-
schaftlichen Erdbeschreibung der Länderkunde, dem Endziel jeder
geographischen Forschung.
Diese sieht — wie Schlüter mit Recht bemerkt — alles unter dem
Gesichtswinkel des Begriffs der Landschaft. Nur derjenige, der
zu einer derartigen Betrachtungsweise fähig ist, ist wirklich ein Geograph,
und wirkliche Erdkunde ist ebensowenig bloße Kompilation, wie etwa die
Philosophie, sondern in ihrer Arbeitsweise dieser nahe verwandt. Das
räumliche Nebeneinander der verschiedenen Dinge auf der
Erde zu beschreiben und in ihrem inneren Zusammenhang zu
erklären, das ist das Wesen der Geographie, der Philosophie
der Landschaft.
II. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen.
Kontinentalsockel.
Nicht die Küstenlinie bildet die Grenze zwischen den Kontinental-
schollen und den ozeanischen Becken, sondern erst jenseits der
200-m-Tiefenlinie beginnt der steile Abfall zur Tiefsee, so daß die Flach-
meere als randliche, zeitlich wechselnde Überflutungen
der Kontinentalschollen angesehen werden müssen. Da diese als
Schelfe bezeichneten Flachmeere als Laichgebiete zahlreicher Fische eine
große biologische Bedeutung haben, ist ihre Behandlung im Erdkunde-
unterricht unbedingt nötig und kann gut im Anschluß an die Naturkunde
erfolgen oder durch sie vertieft werden.
Ziehen wir also diese Flachmeere zum Kontinentalgebiet, so bildet dieses
eine einzige zusanunenhängendc Fläche, und die Becken des Mittelmeeres
sowie der indoaustralischen Randmeere erscheinen wie die mittelamerika-
nischen Meere in ihrer wahren Natur: als lokale Einbrüche in die Kontinental-
region. Sie finden ihr Gegenstück auch inmitten der Festländer (Ungarisches
Becken, Tarimbeckcn).
•) In der Schule fehlt es an Zeit, eingehend Kartographie zu treiben und Grad-
netze zu entwerfen. Dankenswert ist jedoch eine Behandlung der Projektions-
arten im geometrischen Zeichnen der Realanstalten. Dringenderwünscht
ist die Beteiligung erdkundlich vorgebildeter Lehrer bei den Jugendübungen
und Wandenmgen vor allem der Oberklassen (Kompaßablesen, Kartenzeichnen
mit Kompaß und Schrittzählen, Bestimnumg der Sonnenhöhe usw.). Auch im
Trigonometrieunterricht kann viel praktische Erdkunde getrieben werden.
Faltengebirge. 1 5
Im Bereiche des nördlichen fünfzigsten Parallels, sowie des zwanzigsten,
hundertvierzigsten und dreihundertdreißigsten Längenkreises erstrecken
sich besonders die Festlandsmassen, für die ein Hauptmerkmal das Zu-
spitzen nach Süden ist, was nicht nur für die großen Kontinente, sondern
auch für Einzellandschaften (Indien, Grönland) gilt; laufen doch fast
alle Halbinseln nach Süden aus! Dieses zweifellos vorhandene Bildungs-
gesetz der Erde sucht die Tetraedertheorie zu erklären. Sie nimmt an,
daß die Erde bei stärkererVolumenverringerung infolge der Abkühlung
die Oberfläche beizubehalten versucht und die Gestalt eines sphärischen
Tetraeders erhält, dessen Ecken und Kanten die Landmassen bilden, während
die Flächen von den Ozeanen eingenommen werden. Als Spitze sieht sie
das antarktische Festland an, als gegenüberliegende Ecken die aus Ur-
gesteinen aufgebauten alten Landmassen des arktischen Amerika (Lauren-
tischer Schild), des nördlichen Europa (Fennoskandischer Schild) und
Sibiriens nördlich des Baikal (Angaraschild). Die Kanten fallen mit den
ebengenannten Linien größter Landanhäufung zusammen, von denen die
meridional verlaufenden auch die Hauptvulkangebiete der Erde (Bruch-
linien!) und große Grabenbrüche enthalten; die Flächen mit den vier Haupt-
ozeanen, von denen das Eismeer den Nordpol umlagert und durch unter-
seeische Erhebungen von den übrigen abgeschlossen wird, die nach Süden
an Fläche zunehmen. Auch die eigenartige, ebenfalls an Vulkanen reiche
Zone der Kesselbrüche, welche die Südkontinente vom Norden abtrennt
und in Gestalt eines größten Kreises die Erde umzieht, dürfte mit diesem
Gestaltungsprinzip zusammenhängen, für das die Tetraedertheorie einen
möglichen Weg der Erklärung gibt, der sich im Unterricht der Ober-
stufe als sehr anregend erweist.
Faltengebirge.
Von dem Formenschatz der Kontinente, an dessen Herausmodellierung
die endogenen (Faltungen, Aufwölbungen, Kesselbrüche, Vulkane) und
exogenen (feinere Modellierung der Kleinformen durch das fließende
Wasser, Wind und Gletschereis) Kräfte gleichmäßig arbeiten, fallen zuerst
die Falten- oder Kettengebirge ins Auge.
Ein Hauptzug, reich an Vulkanen, umgibt in wechselnder Breite, vielfach
geschwungenen Girlanden gleichend, das Becken des Großen Ozeans, ein
zweiter, an Vulkanen ärmerer, läßt sich von den Atlasländern und der
Pyrenäenhalbinsel aus in wechselnder Breite durch den Süden der Alten
Welt bis nach Neuseeland hin verfolgen und enthält vor allem die Hoch-
gebirge Südeuropas und Südasiens. Vielfach ist der Zusammenhang durch
jüngere Einbrüche verdeckt (Lücke zwischen Alpen und Karpathen), wobei
aber häufig Reststücke (kleine Karpathen, Kreta) stehengeblietDen sind. Viel-
fach sind nur die höchsten Kämme landfest geblieben, während die Täler
vom Meere überflutet wurden (Dalmatinische Inseln, Euböa, Sumatra, Java,
Melanesien). In einem weit höheren Stadium der Senkung bezeichnen nur
Schwärme von Koralleninseln die Richtung der ehemaligen Falten, deren
großartigen Aufbau das Netz der Tiefseelotungen in immer größerem Um-
fange enthüHt (Polynesien).
16 II. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen.
Faltengebirge entstehen durch Auffaltung (Erdbeben!) der großen, mit
Sedimenten angefüllten Geosynklinalen, wobei sich zwischen den Falten-
girlanden häufig ortsfremde ungefaltete Massen einschieben (Kastilien,
Sardinien und Korsika).
Der innere Kern eines jeden Faltengebirges, dessen Kompliziertheit sich
bis zu den noch heute ungeklärten Überschiebungsdecken steigern kann —
diese fallen schon aus dem Lehrstoff der Schule heraus — , besteht aus
aufgedrungenen Tiefengesteinen (Zentralgranite), die vielfach während der
Faltung erstarrten und geschiefert wurden (Gneise) und die benachbarten
Sedimente zu den an Mineralien und Erzen reichen kristallinen Schiefern
umformten. Um diesen Kern lagern sich die unveränderten Sedimente.
Bei jungen Gebirgen (Teile der Anden, Atlas) überwiegen diese Sedimente,
aus denen bei der infolge des Alters verstärkten Abtragung in immer
-^Ecken nach der
Tpfraederlehre "=■ Fal|-(?ngebirgi? — Brcit-en kreis
■v:;. Zone d. Kesselbrüche ^Grabenbrüche grössterLandhäufung
2. Faltengebirge.
größerem Umfange die kristallinen Kerne (Wurzeln der Gebirge!) mit ihrem
Erzreichtum herausgeschält werden (nordeuropäische Gebirge, Alpen
und Ural).
Am besten zeigen den Aufbau eines Faltengebirges die Alpen mit ihren
harten kristallinen Kernen (Zentralgruppen mit Gletschern), die beiderseits
durch weiche Schieferzonen (Längstäler, die heute von verschiedenen
Flüssen benutzt werden ') von den randlichen Sedimentzonen (Kalkalpen)
getrennt werden. Im Süden erweitert sich die Po-Ebene auf Kosten der
einbrechenden Alpen, und vulkanische Magmen steigen auf (Euganeen,
Monte Berici). Noch großartiger zeigt sich dies Zusammenbrechen des
inneren Bogens bei den Karpathen, deren Magmenergüsse als Unga-
risches Erzgebirge für das Wirtschaftsleben so wichtig sind.
') Gegenstück: Qiiertäler.
Schollengebirge.
17
Schollengebirge.
Im Laufe der Zeit können Faltengebirge völlig eingeebnet werden
(ständiges Verbreitern der Täler!) und erscheinen als flachwellige Ebenen
(Fastebenen), aus denen nur härtere Gesteinszüge (Quarzitrücken des Huns-
rück und Taunus, Ketten der Appalachen) und Einzelberge als Härtlinge
(Brocken, Zobten) ragen.
Solche eingeebneten Fal- . J^ r- A
tengebirge können dann
neu aufgewölbt werden
undvielfach durch Bruch-
linien begrenzt (Thermal-
spalten!), als Horste wie-
der über die Umgebung
gehoben werden, wobei
sich die Flüsse von neuem
einschneiden. Das sind
die vielfach an Erzen
reichen Schollengebirge, deren Richtung häufig (Sudeten, Böhmer Wald,
Ural, Appalachen) die Erstreckung der ehemaligen Falten ersehen läßt
und bei denen nicht selten die alten Einebnungsflächen (Fastebenen) noch
im Landschaftsbilde zu erkennen sind (Schiefergebirge, Erzgebirge, Harz,
Skandinavische Alpen, Auvergne). Solche Schollengebirge brauchen nicht
rings von Bruchlinien umgeben zu sein, sondern können auch durch
3. Landschaft mit Bruchrand, Abtragungsfläche über
ehemaligem Faltengebirge (A) von Härtungen (H).
4. Landschaft mit verschiedenen Schichtstufen und Zeugenbergen (zu Seite 18).
Schiefstellung von Schollen entstehen (Erzgebirge, Schwarzwald, Vogesen,
Skandinavische Alpen), wobei der durch die Bruchlinie bezeichnete Steil-
abfall die Wasserscheide trägt. Fast alle Schollengebirge stellen sich als
verebnete und dann wieder gehobene und in verschiedenem Umfange
durch das fließende Wasser wieder zerschnittene Faltengebirge heraus
(epirogenetische Bewegungen).
0 1 b r i dl f , Der erdkundlidie Lehrstoff. 2
18
11. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen.
Schichtstufengebirge.
An die Schollengebirge schließt sich ein weiterer Gebirgstypus an, der
ain besten vom Schwäbisch-Fränkischen Jura vertreten wird und schon von
Tertianern erarbeitet werden kann, wenn als Gegenstück etwa ein Schol-
lengebirge wie das Erzgebirge betrachtet wird.
Das wird schon dem ^
Schüler klar, daß der zer- w u 5'^
läppte, ganz unregelmä-
ßig verlaufende Rand des
Juragebirges mit den vor-
gelagerten Einzelbergen
(Hohenstaufen , Hohen- '; ,
zollern, Hohenneuffen) •. ' .. ".
unmöglich einem Bruch- '•'•/'
rande entspricht, sondern
aus^ einer ausgedehnten
Gesteinstafel durch das
Wasser herausmodelliert sein muß, wobei die vorlagernden Einzelberge
die ehemalige weitere Ausdehnung dieser Tafel beweisen (Zeugenberge!).
Ebenso läßt sich durch die Schüler erarbeiten, daß bei fortschreitender Ab-
tragung von dem Gebirge nur noch einzelne Tafelberge überbleiben, die
schließlich auch verschwinden.
Solche Gebirge werden als Erosions- oder Schichtstufengebirge
(im Unterricht spreche ich von Erosionsrand und Bruchrand — lappig,
geradlinig!) bezeichnet. Sie finden sich vor allern in der süddeutschen
Stufenlandschaft, im Pariser Becken (Argonnen) und Südostengland (Downs)
J
5. Inselberglandschaft in Afrika (nach Stieler).
6. Zertalte Inselberglandschaft bei Rio de Janeiro (nach Sievers).
Alte Landoberfläche vor der jüngeren Zertalung. J ^ Inselberge.
und führen über zu den Tafelbergen (Sargdeckel berge), für die wir im
Eibsandsteingebirge und der Heuscheuer gute Beispiele haben. Tafel-
berge finden sich aber auch im inneren Australiens und m Sudamerika
(Guayanahochfläche). Mit ihnen eine gewisse Ähnlichkeit haben die meist
aus härteren Graniten zwischen weicheren kristallinen Schiefern bestehenden
und als Härtlinge aufzufassenden In sei berge, die im Sudan und in Sud-
amerika stellenweise auch in Hinterindien und Australien ganze Insel-
gebirg'slandschaften bilden, bei deren Herausarbeitung auch die Ab-
tragung durch Wind eine Rolle spielt.
Qrabenbrüche.
19
Grabenbrüche.
Im Anschluß an die Bruchlinien der Schollengebirge behandelt man
am besten die Grabenbrüche (bestes Beispiel die Oberrheinische Ebene
mit ihren randlichen Horsten), die besonders in Afrika in großem Umfange
auftreten (Gebiet der ostafrikanischen Gräben und ihrer Seen).
Die vielfach als Gräben bezeichneten ozeanischen Gräben, die an
den Rändern der Ozeane, besonders am Rande des Großen Ozeans,
auftreten, scheinen dagegen keine »echten«, durch Bruchlinien begrenzten
Gräben zu sein, sondern langen Mulden zwischen werdenden Falten-
gebirgen zu entsprechen.
Ich weise noch darauf hin, daß vielfach die Gesteinszusammensetzung —
Kalksteine sind meist weiß! — auch an den Namen der Gebirge erkannt
werden kann (Albanien, Leukas, Kap Gris Nez, Argentario, Gennargentu usw.).
D (Speziairall von 4j
7. Entwicklung der Vulkane.
A: Rezenter Vulkan mit Spalten (Erzgänge!) von Nebenkegeln.
B: Zerschnittener diluvialer Vulkan (Chimborasso).
C: Tertiäre Vulkanruine (Basallkuppe!).
D: Vulkan mit Explosionskaldera und jüngerem Kegel
(Typ des Vesuvs mit Monte Somma).
Vulkanismus.
Zu den anregendsten, im Anschluß an die Nebenkarten des Atlas erfolg-
reichst zu erarbeitenden Fragen des Erdkundeunterrichtes gehört der
Vulkanismus, über dessen Verbreitung schon einiges gesagt wurde.
Auf der Landkarte treten uns Vulkane meist als einzelstehende, rund-
liche Berge entgegen, die sich vielfach zu langen Schwärmen (Vulkan-
linien!) anordnen.
Ohne Schwierigkeiten erkennen auf guten Atlaskarten die Schüler die
Vulkane (bes. Vulkanlinien) in Zentralfrankreich, auf Java, in den Anden,
im Bereiche der ostafrikanischen Gräben, in Hinterindien. Sie ersehen,
daß Vulkanlinien häufig Bruchspalten am Rande der Kontinentalschollen
(Sumatra-Java-Linie, ostasiatischer Randbruch auf den A u ß e n r a n d der Inseln
2*
20 II. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen.
beschränkt — nicht auf Sachahn! — ) entsprechen, was auch für die Mehr-
zahl der amerikanischen Vulkane gilt. Auch auf den Zusammenhang zwischen
versunkenen Vulkanen und Korallenriffen sei hier schon hingewiesen.
Der Schüler findet aber auch die Vulkane in Südeuropa und in Deutsch-
land, hier namentlich den Kaiserstuhl, den Vogelsberg und die Rhön. Auf
den Nebenkarten könnten jedoch die landschaftlich so außerordentlich
wirkungsvollen Vulkane des Hegau (Hohentwiel) noch besser heraus-
gearbeitet werden. Kreisrunde Seen sind ebenfalls vulkanischen Ur-
sprungs (durch Explosion gebildete Trichter) und werden Mare genannt.
Solche Mare zeigen die Karten in Mittelitalien und im Albaner Gebirge,
wogegen die Mare der Eifel recht stiefmütterlich bedacht sind.
Durch vulkanische Deckenergüsse entstanden Island (hier auch
Vulkankegel), das Hochland von Abessinien (hier überdeckte die Lava ein
hochgehobenes Tafelland) und der Hauran. Auf der schönen Kaukasus-
karte erkennt der Schüler auch den vulkanischen Charakter des Elbrus und
Kasbek, die isoliert, getrennt vom Hauptkamm (vgl. dagegen die Alpenberge)
aufragen. Die kleinasia- -._
tischen Vulkane finden ,-• ,|,„^^ "\ .--'" '"•.
wir auf der Karte der Bai- / /'"^^ ""'^Y \ / ' ' ' .',
kanhalbinsel, die armeni- '; PN (•) | ; c>''""'''% ;/ . * ' *
sehen um Eriwan. Daß aus • - ^<\-^ >• .■^'' / ; ' * ^^,uu**
dem Meere aufragende '-^^^mw^,/ > * . * ^^ '' \
Vulkane in Wirklichkeit ""■ '" \ * •/ ^'""
• I 1 •• u • j -„^ j iliiiiiiiAlre Wälle • Neue K^a^e^ '. «t «
viel hoher smd, zeigt der •,* •
Stromboli, der sich bei- " . * • * • .'
nahe 3000m über seinen ---..?.----''
Sockel erhebt; aber nur • Nebenkrater
das oberste Drittel ragt g ^^^^^^^ ^^^^^ ^,^^ ^^^^^^, j^^^^
als Insel über das Meer.
Einzelheiten des Vulkanismus lassen sich an Hand der Nebenkarten
(Rom und Albaner Gebirge und Golf von Neapel und Ätna) erarbeiten
(dazu Bild des Vesuv und Ätna). Da erkennen die Schüler, daß eine
ältere vulkanische Tätigkeit zuerst große, kreisförmige Kraterwälle
schuf, die teilweise zerstört wurden, ehe eine jüngere Tätigkeit
die kleineren Krater und Mare (Mt. Cavo, Albaner See, Nemisee, Vesuv-
gipfel) schuf. Die Römer nannten den alten, nur 1130 m hohen Wall
Monte Somma (summa!), weil damals der heutige höhere Krater (Pompeji!)
noch nicht bestand. Beim Ätna erkennen wir deutlich die aufgesetzten
Nebenkrater, sowie Reste des alten Kraterwalles (serra del Solfizio), der hier
zumeist von dem größeren, jüngeren Vulkan überschüttet wurde. Auch
beim Kilimandscharo (Schirakamm) und auf Teneriffa erkennen wir die
alten Krater. Der Lehrer kann diese Verhältnisse durch einige Strich-
zeichnungen erläutern und auch die Entstehung der durch Schluchten
zerrissenen diluvialen Vulkane (Chimborasso, Kilimandscharo) und der
tertiären Vulkanruinen (Basaltkuppen Mitteldeutschlands) erläutern, hierbei
bemerkend, daß die tafelförmigen Basaltberge (Rhön und Erzgebirge) Reste
alter Lavadecken sind. Auf der Oberstufe ziehe man den sogenannten
Vulkanismus des Mondes mit heran (Physik der Oberprima!) und
Großschollen. 21
erwähne die an Diamanten reichen Vulkanröhren des Blaugrundes in Süd-
afrika. — Ebenfalls im Anschluß an den Vulkanismus behandele man die
Erdbeben (Versuch: Holzklötze mit aufgebauten Gegenständen, die gegen-
einander verschoben werden!) ebenso die Geysire (Physik) und warmen
Quellen mit ihren Sinterterrassen (Kurorte!). Auch die Entstehung der
Schwefellager und Erzgänge gehört hierher.
Großschollen.
Wohl der größte Teil der Erdoberfläche wird von durch Großformen
wenig gegliederten Hochflächen eingenommen, die mehrfach mit Bruch-
rändern gegen die Umgebung grenzen, vielfach wie gewaltige Schilde sich
allmählich aufwölben und im Bereiche des Nördlichen Eismeeres unter
das Wasser tauchen, so daß nur die Höhen als Abgliederungsinseln
landfest bleiben. Diese meist von ausgedehnten Abtragungsflächen —
vielfach mit Resten aufgelagerter Sedimenttafeln (Rußland!) — bedeckten
Formen nenne ich Großschollen (Gegensatz: Schollengebirge!).
Die größte derselben bildet Afrika mit Ausnahme der Atlasländer und
der Grabenlandschaft des Ostens. Wie flache Schüsseln sind in sie die
Becken des Kongo, Schari, des oberen Nil und des Sambesi eingesenkt.
Wo diese Flüsse den aufgewölbten Rand der Scholle verlassen, finden
wir Stromschnellen und Wasserfälle, die noch heute dem Erschließen des
»Dunklen Erdteils« recht große Schwierigkeiten bereiten. In der trockenen
Sahara bilden ähnliche abflußlose Schüsseln die großen Sandwüsten der
Libyschen Wüste und der Igidiwüste. Vielfach überragen Inselberge
und schroffe Bergländer von verschiedenster Ausdehnung die Hochscholle
(Tibesti, Tasili, Hoggar, Kamerungebige usw.). Die südlichste, ebenfalls
wieder im Wüstengürtel gelegene Schüssel beherbergt die Kalahari mit
ihren Sandflächen.
Schon hier kann darauf hingewiesen werden, daß die höheren Teile der
Trocken gebiete von Felswüsten, die Senken von Sandwüsten ein-
genommen werden, wobei letztere aus dem Material aufgebaut sind, das der
Wind und die vereinzelten Regengüsse aus den Hochflächen abtragen.
(Jede ausgetrocknete Pfütze, in die von der höheren Umgebung der
Sand und Schlamm hineingetragen werden, ist eine Wüste im kleinen!)
Die afrikanische Großscholle setzt sich jenseits des Roten Meeres in der
Arabischen Scholle fort, deren Ränder mehrfach aufgewölbt sind. Noch
schöner treten uns diese als Ghats bei der Indischen Scholle, dem
Dekhan entgegen, die zugleich durch die der Abdachung folgenden Flüsse
reicher gegliedert ist. Madagaskar ist eine kleinere, durch Täler zer-
schnittene Hochscholle, die, schiefgestellt, von Osten nach Westen sich
abdacht. Auch im größten Teile Australiens (mit Ausnahme der Ketten-
gebirge im Osten) sehen wir eine Großscholle mit zwei großen Boden-
flächen. Die östliche wird vom Stromsystem des Murray entwässert, die
westliche ist von großen Sandwüsten verschüttet, über die sich inselartig
einige Bergmassive erheben (vgl. Afrika).
In Südamerika finden wir die Guayanascholle und die Brasilische
Scholle. Erstere zeigt deutlich die Schildform und einige aufgesetzte
22 II. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen.
Gebirgszüge, letztere erhebt sich langsam von der Tiefebene des Amazonas
und Parana aus und fällt treppenartig (Staffelbruch) gegen den Atlantischen
Ozean ab. Deutlich erkennen wir in der Anordnung der Flüsse
(Wasserfälle am Rande!) die Schiefstellung der im Osten am meisten
gehobenen Scholle (vgl. Vorderindien).
Eine Großscholle, allerdings mit Inlandeis bedeckt, bildet den größten
Teil der Antarktis.
Auf der nördlichen Halbkugel finden wir die Sibirisch-Russische
Großscholle (getrennt durch den Ural) und die Kanadische Scholle,
die sich allmählich aus den Niederungen des Lorenzstromes, des Missis-
sippi und des Mackenzie erhebt (auch Kanadischer Schild genannt).
Die Sibirische Scholle dacht sich von den Randgebirgen Zentral-
asiens nach Norden ab und taucht dann unter das Eismeer, über das ihre
höheren Teile als Inseln ragen. Ein ähnliches gilt für die Russische
Scholle, deren aufgewölbter Westrand das Skandinavische Hoch-
gebirge ist, und für die Kanadische Scholle. Ostsee, Karisches Meer,
Weißes Meer und Hudsonbai sind die wichtigsten der flachen Über-
flutungsmeere, und erst viel weiter nördlich senken sich die Schollen
mit der 200- m -Tiefenlinie zum Eismeerbecken ab. Ein im Wasser
schwimmendes flaches Brett mit unebener Oberfläche, das durch Schief-
stellung (Belastung durch ein Gewicht!) an einer Seite vom Wasser über-
spült wird, erläutert dieses Verhalten am anschaulichsten.
An der unteren Grenze der Großschollen steht das Kastilische Hoch-
land, das den Übergang zu den intensiver zersplitterten Schollen-
landschaften vermittelt. Auch Grönland kann als vom Inlandeis über-
deckte Großscholle betrachtet werden.
Wir wenden uns nunmehr den Formen der Erdoberfläche zu, die haupt-
sächlich von exogenen Kräften geschaffen worden sind und heute noch
gestaltet werden, als da sind Regen, Wind und Gletschereis. Ihnen kann
man die Korallenbauten als durch organogene Kräfte bedingt anschließen.
Formenschatz des Landes.
Der größte Teil der Oberflächenformen der Erde ist durch die Arbeit
des fließenden Wassers im Anschluß an Härteunterschiede der Gesteine
herausmodelliert (Erosionsformen !). Im Gegensatz zu den steilwandigen,
allmählich sich abböschenden Tälern des fließenden Wassers schafft das
Eis Trogtäler, die häufig von Seen ausgefüllt sind (Zeichen ehemaliger
Vergletscherung). Über diese vom Eise abgeschliffenen Formen ragen
die steilwandigen, durch den Frost geschaffenen Hochgebirgsformen',
denen man auch die Gletschernischen der Kare (Schneegruben) zurechnen
muß (Strichzeichnungen an der Tafel im Anschluß an Bilder!).
Ein Kennzeichen von Flüssen, die in Ebenen fließen, ist die Mäander-
bildung, die wir bei dem kleinen Maßstabe unserer Atlaskarten meist
nur auf Nebenkarten deutlich erkennen (Mississippimündung, Oberrhein,
Donau). Bei einer gewissen Reife des Mäanders wird derselbe abgeschnitten
und bleibt als Altwasser liegen (Donau bei Wien). Am besten läßt dies die
Karte des Deutschen Reiches 1 : 100000 erkennen, von denen wohl jede
Anstalt einige charakteristische Blätter in ihrer Sammlung hat (Heimatkunde!).
Formenschatz des Landes. 23
Sind die Mäander eines Flusses tief in eine Hochfläche eingesenkt, so
ist diese durch jugendliche Hebung des Landes entstanden (Moseltal).
Schneidet sich ein Fluß in eine Hochfläche ein, so entsteht ein Kanontal
mit steilen Wänden. Bekannt hierdurch ist der Koloradofluß, doch bilden
auch Duero, Tajo, der obere Doubs und die südrussischen Flüsse solche
steilwandigen Täler, die durch Schraffierung auf den Karten leicht deut-
licher zum Ausdruck gebracht werden könnten. Die Verkehrsfeindlich-
keit der Kanons erkennt der Schüler daran, daß die Eisenbahnen sie ver-
meiden. Terrassen erzählen von einer unregelmäßig erfolgenden Ver-
tiefung des Tales (Erosionsterrassen), oder von einer zeitweisen Zuschüttung
derselben (Aufschüttungsterrassen). Letztere finden wir vor allem im
Bereiche der deutschen Mittelgebirge, wo sie entstanden, als während der
Eiszeit das nordische Inlandeis die Unterläufe absperrte und im Ober-
laufe große Schuttmassen angehäuft wurden.
Werden in abflußlosen Gebieten Gebirge abgetragen, so füllt der
Schutt allmählich die Täler auf und hüllt ganze Landstrecken bis auf die
höchsten Kämme in diese Schuttmassen ein, die meist Ebenen bilden,
deren Senken von Salzseen und Sandwüsten eingenommen werden. Solche
Landschaften des Trockenklimas (aride Formen)nenneichVerschüttungs-
hochflächen (Iran, Teile der Mongolei, Pamirhochfläche, Mexiko, Ana-
tolien, Tibet, Bolivien).
Dies leitet zur Oberflächengestaltung der Wüsten über (Fels-
wüsten, Steinwüsten, Sandwüsten) mit ihren Inselbergen, Pilzfelsen, Salz-
seen und Sanddünen. Vielfach ist der Verlauf der Dünen durch die regel-
mäßig wehenden Winde (Wüste Thar, Australien, Sahara), die Monsune
und Passate bedingt (schöne und wissenschaftlich wenig ausgenutzte Karten
im Stieler und Andree!)
Tritt in Tälern der Wüsten das Grundwasser in die Nähe der Ober-
fläche, so bilden sich die Oasen, deren Entstehung noch strittig ist
(Einbruchskessel oder Reste verschütteter Täler).
Fossile, d. h. mit Vegetation überwachsene Wüsten dehnten sich am
Rande des nordeuropäischen Inlandeises aus und bildeten die ausgedehnten
Dünenlandschaften Norddeutschlands (Niederlausitz, Netzetal); einer bei
feuchterem Klima von Wasser überschwemmten Dünenlandschaft verdankt
der Tschadsee (jede Insel ist eine Düne!) seine Entstehung.
Bei ihrem Transport zerkleinern die Flüsse allmählich das mitgeführte
Gesteinsmaterial, vertiefen durch die ständige Reibung der Gesteinsblöcke
gegen die Ufer ihr Bett, zerreiben den Schutt immer mehr (Felsblöcke,
Kies, Sand und Schlamm) und häufen ihn endlich im Unterlaufe an, so
daß hier Anschwemmungsländer entstehen, die zumeist von größter
Wichtigkeit für die Siedlung des Menschen sind. In welchem Umfange
die Meeresteile, in die große Flüsse münden, verflacht werden, zeigen
Mississippi, Amazonenstrom, Euphrat utid Tigris, Ganges und Bramaputra,
Jangtse und Hoangho, Sambesi, La Plata, Rhone, Donau und namentlich
der Po. Interessant ist die Beeinflussung der Flüsse durch ihre Nebenflüsse.
Sind die Nebenflüsse auf beiden Seiten von gleicher Wassermenge, so
fließt der Hauptstrom inmitten der Tiefebene (Donaulauf in Ungarn, Loire,
Seine, Ebro usw.). Empfängt der Fluß jedoch von einer Seite (etwa einem
24
II. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen.
Hochgebirge) die wasserreicheren Nebenflüsse, so wird er von ihnen nach
der entgegengesetzten Seite verdrängt (Donau in Süddeutschland, oberer
Po, Ganges, Murray, Guadalquivir und untere Donau). Anderseits erkennen
wir, wie die Nebenflüsse im Unterlauf häufig abgeschleppt werden und
dem Hauptstrom parallel fließen (Po, Ganges, Amazonenstrom).
Vielfach zeigen die Flüsse Deltamündungen, wobei mehrfach durch
jüngere Senkungen das Delta unter das Wasser getaucht und in Inseln auf-
gelöst wird (Newa, Dwina, Petschora, Wolga, sibirische Flüsse, Mackenzie).
Münden Flüsse in ein Meer mit großem Gegensatz von Ebbe und Flut,
so erhalten wir die wirtschaftlich wichtige Schlauch- oder Trichter-
mündung (Nordseeflüsse, Seine, Garonne, Loire, englische Flüsse, Hudson
und St. Lorenz).
'Häufig entsteht an der Flußmündung eine Barre (Barranquilla am
Magdalenenstrom). Wird das Mündungsgebiet gehoben, legt sich die
Barre als Damm vor sie und dämmt einen See ab; so entsteht der Li man.
Wächst ein Delta in ein Meer mit einer starken Küstenströmung, so
wird seinem Wachstum ein Halt gesetzt, wenn die abtransportierende
Kraft der Meeresströmung
größer als die aufschüttende
Kraft des Flusses ist. Das
Delta wird hierbei meerwärts
durch einen Sanddünen -
kränz abgeschlossen (Nil-
delta) oder fehlt (Kongo!).
Beim Mississippi scheint ein
solches abgestorbenes Delta
vor kurzem neubelebt zu sein,
auch beim Po weisen Dünen-
züge auf Unterbrechungen
der Deltabildung hin.
Durch Schwemmländer wieder an die Kontinente angegliederte ehemalige
Inseln nennt man Angliederungshalbinseln (Schantung, Kathiavar,
Monte Gargano), deren Werden man an Ceylon und Bangka erkennt.
Viele Häfen des Altertums sind durch Anschwemmungen unbrauchbar
geworden und versandet. Saloniki droht das Schicksal, welches Venedig
durch Ablenkung der Brenta abgewandt hat.
Bei starker Senkung werden Täler in Meeresstraßen verwandelt, deren
Gestalt und Verlauf häufig noch das ehemalige Tal erkennen läßt (Bosporus,
Dardanellen, Großer und Kleiner Belt, Cattarobucht, Chesepeakebai).
Seen können auf mannigfaltige Weise entstehen. Einmal durch Aus-
füllung von Grabenbrüchen wie die ostafrikanischen Seen (tektonische Seen),
oder als Erfüllungen von ehemaligen Kratern (Mare) und Abdämmung von
Tälern durch Lavaströme wie bei 'den Seen Armeniens (vulkanische Seen).
Die Eiszeit schuf langgestreckte Rinnenseen (glaziale Seen). Durch Über-
flutung kontinentaler Hohlformen entstehen Überflutungsseen mit meist
unregelmäßigen Umrissen (Tschadsee, tibetanische Seen, Seen der Wüsten).
Vielfach bilden sie sich auch beim Aufstau der Nebentäler durch An-
schwemmungen wasserreicher Hauptstrinne (Seen des Jangtsetales). Ab-
Q. Mississippidelta.
Die Küsten. 25
gliederungsseen sind durch Strandwälle abgegliederte Teile des Meeres
(Haffe, Lagunen).
Daß unsere Flußtäler nicht Erdspalten sind, sondern das Werk fließenden
Wassers, zeigen die Regenrinnen, die nach starken Regengüssen sich
fast überall beobachten lassen. Auf solche Kleinformen muß das
Auge des Schülers möglichst frühzeitig eingestellt werden.
Sandbänke und selbst Terrassen lassen sich hierbei vielfach gut erkennen.
Die Küsten.
Flutet das Meer über das Land, so entsteht eine reich gegliederte Küste,
deren Charakter je nach der Art des überfluteten Landes wechselt (Senkungs-
küste oder Rias). Die Täler bilden dann Buchten, während Hügel als Inseln
aufragen (südchinesische Küste); werden Seen überflutet, so entstehen
Förden und Fjorde. Bemerkenswert ist es, daß namentlich die polwärts
des 40. Breitenkreises gelegenen Küsten durchgehend durch Überflutung
reich gegliedert sind.
An der Südinsel Neuseelands und Tasmanien zeigen das schon unsere
AtJaskarten. Im Westen Nordamerikas beginnt diese Küstenform vom
47. Breitenkreise an, im Osten schon vom 35. Die südamerikanische Küste
ist südlich des 42. Grades stark gegliedert, die spanische nordwärts vom
fi/^' ^S\ f""^^^* Dunen
^/ _>Wind
10. Deutsche Ostseeküste.
42. Grade an. Die britischen Inseln zeigen fast durchweg derartige Küsten-
formen, ebfenso Frankreich, Skandinavien und Dalmatien. In Südafrika fehlen
sie, da es nicht genügend weit polwärts reicht. In den niederen Breiten
finden wir im Bereich der Mittelmeere (Ägäisches Meer, Karibisches Meer,
indoaustralische Meere) vielfach Senkungsküsten.
Aber an den Senkungsküsten beginnt die Brandung zu arbeiten, indem
sie die Vorsprünge abschleift und die Buchten zuschwemmt. Je weicher das
Material ist, das die Küsten aufbaut, um so schneller gelingt die Begradigung.
Die Felsküsten der Bretagne, der Normandie, von Cornwallis, Wales,
Schottland und Irland heben sich auf den Karten durch ihre reiche
Gliederung gut von den aus weichen Gesteinen bestehenden be-
gradigten Küsten des übrigen England und Nordfrankreich ab. Auch an
der Ostseeküste ist dieser Gegensatz erkennbar, und ein Vergleich mit der
geologischen Karte lehrreich.
Ein prächtiges Beispiel der Abhängigkeit vom Winde sind die
norddeutschen Küsten. Durch weiches diluviales Material begrenzt,
haben sie ihre unregelmäßigen Formen nur an solchen Stellen bewahrt,
wo der Wind die Wellen vom Ufer abtreibt, oder wegen geringer Aus-
26 II. Die Kontinentalschollen und ihre Oberflächenformen.
dehnung der Wasserflächen die Wellenkraft sich nicht ungehindert ent-
wickeln kann (Belt-See, Teile der Kieler und Lübecker Bucht, Meeresteile
östlich von Rügen und der Greifswalder Bodden).
An allen anderen Teilen der Küste ist diese begradigt. Das von ehemals
vorhandenen Halbinseln abgetragene Material legt sich als sandiger, mit
Dünen besetzter Streifen vor die Küste, und die innersten Teile der ehe-
maligen Buchten bilden durch Sandflächen (auch Usedom und Wollin sind
so angelegt) vom Meer getrennte Binnenseen (Ausgleichküste). Biegt die
Küste um, so wächst unter dem Einfluß der Westwinde (und der durch sie
erzeugten Küstenströmung!) der Sandstreifen in das tiefe Wasser und bildet
eine Halbinsel, die schließlich bis zum entgegengesetzten Ufer einer Bucht
sich verlängern und diese als Nehrung abschließen kann. Das abgedämmte
Wasser, das sich dann am östlichen jüngsten Teil der Nehrung einen
Ausweg sucht, nennen wir Haff. Münden Flüsse in dieses, so wird es
allmählich ausgefüllt, und es entsteht fruchtbarer Marschenboden (Weichsel-
delta, von der Ostsee durch eine sandige Nehrung getrennt). Werden Haff
und Nehrung unter den Meeresspiegel gesenkt, so bleiben die hohen Dünen
der Nehrung als Inseln stehen, während die höheren Teile der ehemaligen
Haffe die Marschen bilden. Das während der Ebbe trockengelegte Gebiet
wird Watt (man kann es durchwaten) genannt. Eine solche Senkungs-
küste finden wir an der Nordsee. Der sie begleitende Dünenkranz beginnt
bei Dünkirchen und ist nur noch in Holland und Jütland in größerem Um-
fange erhalten, in ersterem Lande durch die jahrhundertelange Arbeit des
Menschen, ohne die ein großer Teil des Landes schon Meeresboden wäre
(Dens Marc, Batavus litora fecit).
Schön erkennen wir solche Ausgleichküsten (Strandseen!) auch süd-
lich der Garonne (Les Landes), in Nordapulien, zu beiden Seiten der Po-
mündung (Haff = Lagune — lacus — ; Nehrung^ Lido — litus), in großen
Teilen der amerikanischen Golf- und atlantischen Küste; endlich an der
Küste der Provence. Hier wird der von der Rhone ins Meer geführte
Schutt durch eine Küstenströmung nach Westen geführt, so daß im Osten
der Handelshafen Marseille liegt. Umgekehrt liegt Alexandrien im Westen
der Nilmündung, da eine ähnliche Strömung den Schlamm und Sand nach
Osten führt (Versandung der phönikischen Häfen; durch Vorgebirge
geschützt Haifa und Beirut!). Auch die Lage von Tarragona, Barcelona und
Livorno wird erst so dem Schüler verständlich. In vielen Fällen erkennt
man die Küstenströmung an der Richtung der sandigen Landzungen (sie
geben die Richtung der Strömung an!) und an den Stellen, wo Nehrungen
durch Flüsse unterbrochen werden (afrikanische Küsten, Walfischbai, süd-
brasilische Küste).
Eine gehobene Küste erkennt man meist an Strandlinien, wofür
sich überall im Freien nach Regengüssen kleine Modelle
finden. Ich erwähnte schon, daß man auch die Ausdehnung von Binnen-
seen während der Fluvialzeit an ihnen ersieht. Wie weit die Entstehung
der Schelfs auf die anschwemmende Arbeit der Flüsse zurückzuführen
ist, läßt sich naturgemäß nicht immer genau entscheiden. Sicher liegen
Aufschüttungsschelfs in folgenden Meeresteilen vor: Gelbes Meer, Teil
des Ostchinesischen Meeres, Golf von Tonking, Mündungen von irrabadi,
Morphologie als Praktikum. 27
Ganges, Narbada, Senegal, Gambia, Sambesi, Nil, Amazonenstrom, Golf
von Lion, nördliches Schwarzes Meer, Adriatisches Meer nnd Persischer
Golf. (Beweis: Plötzliche Verbreiterung des Schelfs!) Die Neufund-
landbankentstand durch Schmelzen der Eisberge im warmen Golfstrom.
Vorbedingungen für die Entstehung von' Korallenriffen (Biologie-
unterricht!) sind: Gleichmäßige Wassertemperatur von mehr als 20 Grad,
Küste ohne Brandungswellen, kein Brackwasser (Flußmündungen!), lang-
same Senkung, kein kaltes Tiefenwasser (vgl. nächstes Kapitel). Man lasse
nun die Schüler die Koralleninseln selbst suchen und ihr Fehlen an großen
Teilen der tropischen Küsten begründen (dazu Verbreitungsskizzen an der
Tafel, einige Strichzeichnungen).
Morphologie als Praktikum.
Den morphologischen Unterricht denke ich mir also als eine Art Prak-
tikum, in dem möglichst nur der Atlas und Abbildungen benutzt werden
und es auf »Vollständigkeit« gar nicht ankommt. Stets aber soll auf
Spaziergängen auf Kleinformen geachtet werden, die Modelle zu den
Großformen liefern. Aus der schon jetzt für den Fachmann beinahe un-
übersehbaren Fülle habe ich das herausgegriffen, was meines Erachtens
sich im Unterricht am besten erarbeiten läßt, und bin mir der Unvoll-
ständigkeit dieser Zeilen, die aber wohl manchen zu neuer Betrachtungs-
weise anregen werden, wohl bewußt.
III. Die ozeanischen Becken.
Aus der Erwägung, daß beinahe drei Viertel der Erdoberfläche auf das
Weltmeer entfallen und zahlreiche Formen des Landes sich auch unter
demselben fortsetzen, erkennen wir, daß auch die »Meereskunde« ein-
gehend behandelt werden muß. Vorteilhaft ist dabei, daß zahlreiche
Einzelheiten in Nachbarfächern erarbeitet werden können.
Der zoologische Unterricht behandelt die Meerestiere und Korallenbauten,
die Wärmelehre die Temperaturverteilung im Meere und die Meeres-
strömungen, die Chemie die Zusammensetzung des Meerwassers und seine
Ausscheidungen. Die Elektrizitätslehre knüpft bei der Besprechung der
Kabel an Tiefenmessungen an; dies führt zu den wissenschaftlichen For-
schungsreisen (Challenger, Valdiviaexpedition). Empfehlenswert ist eine
größere Berücksichtigung der Meerestiefen auch auf den Schulwand-
karten, um die Beziehungen zwischen den Erdteilen und umliegenden
Meeren, ohne die z. B. Australiens Natur und Entstehung unverständlich
bleibt, besser herausarbeiten zu können^).
Gliederung der Meere.
Gliedern wir die Meere nach ihrer räumlichen Verteilung, so unterscheiden
wir die eigentlichen Ozeane und die Nebenmeere, die entweder Über-
flutungen der Kontinentalblöcke (Nordsee), oder Einbrüche in diese
^) Ausgezeichnet eignen sich hierzu die physikalischen Karten von Haack
und Groll.
28 HI. Die ozeanischen Becken.
(Schwarzes Meer) sind. Wir teilen die Nebenmeere in Randmeere und
Mittelmeere, zwischen denen es namentlich in Indonesien zahlreiche
Übergänge gibt. Daß die Mittelmeere eine in Form eines größten Kreises
angeordnete Zone von Kesselbrüchen darstellen, wurde schon erwähnt.
Treffend spricht Rohrmann von einem »Verkehrsäquator«, dessen weiterer
Ausbau durch den Suezkanal und den Panamakanal erfolgte.
Gliedern wir die Meere nach der Tiefe, so unterscheiden wir die flachen
Schelfe von den eigentlichen Tiefenbecken, die große, flache Wannen
mit steilgestellten Rändern darstellen und durchschnittlich 4000 m tief
sind. In sie erscheinen lokal die größten Tiefen meist als langgesfreckte
Tiefseegräben eingesenkt. Diese liegen zumeist am Rande der Ozeane
und sind mit den Zonen der Faltengebirge verknüpft, mit denen sie
genetisch im Zusammenhang zu stehen scheinen.
Die Schelfe.
Bei den Schelfen unterscheiden wir Aufschüttungsschelfe und Über-
ftutungsschelfe; erstere können sowohl durch Flußanschwemmung, wie
durch die Arbeit von Riffkorallen — Bahamainseln, Malediven — ent-
standen sein. Aufschüttungsschelfe liegen meist an der Mündung großer
Ströme — man verfolge den Verlauf der 200-m-Linie zur Küste! — , wo
sie nur dann fehlen, wenn Strömungen den Schutt wegführen, wie an der
Kongomündung. Die aus den Ozeanbecken aufragenden Inseln sind meist
vulkanischer Natur, wenn sie vereinzelt stehen. Langgestreckte Inselketten
sind als Reste untergetauchter — oder erst entstehender? — Faltengebirge
anzusehen, die natürlich auch Vulkane tragen können (Hawaizug).
Durch schmelzende Eisberge entstand die Neufundlandbank; an der
Stelle, wo die beiden durch den Kanal und die Shetlandstraße in die
Nordsee eindringenden Strömungen zusammentreffen, wurde die Dogger-
bank aufgebaut.
Die biologische Bedeutung der Schelfe für den Fischfang erklärt sich
daraus, daß sie Laichgebiete der Hochseefische sind und als die einzigen durch-
lichteten Teile des Meeres auch die Mehrzahl der Bodentiere beherbergen.
Daß die auffallend gleiche Tiefe der Ozeane auf gleichartige
Entstehung hinweist, bemerkte zuerst Alfred Wegener. Auch kann erwähnt
werden, daß den Großen Ozean fast allseitig Kettengebirge und Vulkan-
reihen umgeben (Pazifischer Typ), während den Atlantischen und Indischen
Ozean meist Großschollen umrahmen und ihre Küsten die Kettengebirge
(Atlas, Kantabrisches Gebirge, Appalachen, Südafrikanisches Gebirge) meist
quer abschneiden (Altantischcr Typus).
Meeresboden und Sedimente.
Die Zuschüttung der Ozeane erfolgt von den Küsten aus, wo die
Flüsse Schlamm und Sand ablagern. Die Mächtigkeit dieser Ablagerungen
nimmt naturgemäß von den Küsten aus ab. An steilen Felsküsten wird
das abbröckelnde Gestein von der Brandung zu einem groben Kies zer-
rieben, der durch Strömungen auch entlang der Küste verschleppt wird.
Salzablagerungen finden heute nur an Binnenseen statt. Im kleinen
Wärnieverteilung im Ozean. 29
wird dieser Prozeß in warmen Klimaten (z. B. Mittelmeer) nachgemacht,
indem man das Meerwasser in Teiche leitet und verdunsten läßt (Salinae!).
Während Sand und Schlamm in der Nähe der Küste abgelagert werden,
transportieren die Meeresströmungen die feinsten Teilchen in die Hochsee,
wo sie dann allmählich zu Boden sinken, vermengt mit durch Winde ver-
frachtetem Vulkanstaub und den Panzerschalen von Globigerinen, Ptero-
poden, Diatomeen und Radiolarien. Es bedeckt der Globigerinenschlamm
(kalkhaltig!) die ozeanischen Tiefen etwa von 3000 m ab, während wir in
den Tiefen über 5000 m meist den kalkfreien roten Tiefseeton auf aus-
gedehnten Flächen finden. Er ist bezeichnenderweise am meisten im
Pazifik und seinen geringen Zuflüssen verbreitet, am wenigsten im Atlantik,
in den große Ströme münden. Im Bereiche der Schmelzwässer (kalbende
Eisberge, deren Schutt zu Boden sinkt!) der polaren Inlandeisdecken stellen
sich wieder gröbere tonigsandige Ablagerungen ein. Je geringer die
Bewegung des Wassers ist, um so feinkörniger wird also das
Sediment. An den Küsten sind sandige Ablagerungen die Regel, oft werden
sie unter Mitwirkung des Windes zu hohen Dünen aufgeweht. In den
durch Dünen vom offenen Wasser abgeschlossenen Haffen sammeln sich
infolge des ruhigen Wassers feine, als Schlick bezeichnete Tone an. So
entstand in früherer Zeit der Marschboden der Nordseeküste, der heute
nach Durchbrechung der Nehrungen wieder zerstört wird.
Die Lehre von den Sedimenten behandelt man am besten im bio-
logischen Unterricht; in dem Naturkundeunterricht der Tertia wird
ihr vorgearbeitet bei Betrachtung der Gehäuse bauenden Protozoen (Glo-
bigerinen und Radiolarien; Haeckel, Challenger!). Aber auch bei
Besprechungen vieler mariner Tiere (Korallen, Oktopoden, Muscheln!) muß
unbedingt auf den Meeresboden hingewiesen werden, dessen Beschaffenheit
von größter Bedeutung für Lebensweise und Bau derselben ist. Hat man
neben einer Gesteinssammlung die Fraasschen Tafeln der geologischen
Zeitalter zur Hand, so kann in Konzentration mit dem mineralogischen
Unterricht eine propädeutische Geologie behandelt werden (Bedeutung
der Muscheln und Kopffüßler als Leitversteinerungen, Entstehung der
Versteinerungen !)
Wärmeverteilung im Ozean.
Die Lehre von der Verteilung der Wärme im Ozean kann im An-
schluß an den Physikunterricht erarbeitet werden, wobei namentlich das
kalte Tiefenwasser, das Auftriebwasser und die Lehre von Ebbe und
Flut behandelt werden. Zum Verständnis des folgenden Abschnitts über
die Lebewelt sei mitgeteilt, daß sich in der vertikalen Temperaturanordnung
der Ozeane mit Ausnahme der polaren Meere überall eine Dreiteilung
zeigt (Näheres bei Supan S. 341 ff.). Eine Oberschicht weist starke
Temperaturabnahme auf und ist etwa 200 m mächtig. Die Temperatur
sinkt hier am Äquator von durchschnittlich 28** auf 14°. Es folgt eine
800 m mächtige Mittelschicht, in der die Temperatur auf 4 — 6° sinkt,
und endlich eine mehrere tausend Meter mächtige Unterschicht mit sehr
langsamer Abnahme, so daß bei 4000 m Tiefe durchschnittlich 1 — l""
30 III. Die ozeanischen Becken.
erreicht werden. Die kalten Boden wässer (unter 1") der südlichen
Ozeane werden allgemein von den schmelzenden Eiswässern des Süd-
polarkontinents hergeleitet, wogegen die arktischen Meere untermeerische
Rücken von den übrigen Ozeanbecken trennen und den Ausgleich des
Bodenwassers verhindern. Von größter geographischer Bedeutung ist
die 20*'-Isotherme des Meereswassers, da unter ihr keine Bauten von
Riffkorallen mehr vorkommen. Sie muß unbedingt auch in jede tier-
geographische Karte eingezeichnet werden.
Die Strömungen. ,
Der Golfstrom, der Kuro-Shiwo und die West winddrift der süd-
lichen Halbkugel sind durch die darüber wehenden westlichen Winde be-
dingt (gezwungene Strömungen). Die beiden ersteren sind von unendlicher
Bedeutung, da sie das warme tropische Wasser bis in hohe Breiten bringen
und dort als »Warmwasserheizung« wirken. Was wäre Europas Kultur
ohne den Golfstrom? Als Ausgleich entstehen neue Strömungen (auch
als freie, d. h. vom Wind unabhängige bezeichnet), wie der Kanarische Strom,
der Kalifornische Strom, der Nord -Äquatorialstrom und andere. Die
kreisförmigen Strömungswirbel, die sich nur auf von Land umgrenzten
Ozeanen entwickeln (vgl. dagegen das Südliche Eismeer!), behandle man
auf Grund der Karte. Es kommt hier weniger auf Vollständigkeit an, als
auf das geographisch Wichtige. Die Fahrt des Kolumbus, der Seeverkehr
zwischen Ostafrika und Indien, die Besiedlung Madagaskars durch Malaien
und endlich die Besiedlung Neuseelands und der Südseeinseln (bei letz-
teren auch die Pflanzenwelt) sind überhaupt erst durch Hinzuziehung der
Meeresströmungen zu erklären. Daß der Schüler ihre Richtung oft aus
der Anordnung der Landzungen erkennt, erwähnte ich schon im vorigen
Kapitel. Bewegt sich eine Meeresströmung vom Lande ab, so steigt das kalte
Tiefen wasser auf (Nebelbildung!) und wirkt abkühlend. Liegen solche
Küsten an tropischen Meeren, fehlen Korallenbauten (Westküsten von
Südamerika und Afrika).
Die Farbe des Meerwassers hängt in großem Umfange von der
Verunreinigung durch mitgeführte Schwebestoffe ab. Das reine Wasser
ist tiefblau und auf die an Plankton (warum?) armen ruhigen Gebiete
außerhalb der Strömungen beschränkt. Blau ist also die Farbe der Wüsten
des Meeres. Innerhalb der Strömungen wechselt die Farbe je nach der
Menge der mitgeführten Sedimente von Blaugrün über Schilfgrün bis Gelb.
Letztere Farbe finden wir besonders an den Mündungen der großen Flüsse.
Sie kann sich auf ganze Meeresteile übertragen (Gelbes Meer). Im Durch-
schnitt dringen die letzten Lichtstrahlen bis etwa 400 m tief in das Wasser.
Diese dünne, belichtete Oberschicht bildet das Wohngebiet der Wasser-
pflanzen (Tange, Algen) und der zahlreichen von ihnen sich ernährenden
Planktontiere. Darunter liegt die dunkle, tierarme Tiefseeregion (Leucht-
organe), über deren Aufbau wir dank der großen Expeditionen der letzten
Jahre immer klarer sehen.
IV. Die Lufthülle.
sookm
Bedeutung der Lufthülle.
Die Lufthülle hat für die Erde eine doppelte Bedeutung. Einmal er-
möglicht sie infolge ihres Gehaltes an Sauerstoff und Kohlensäure
^inen wichtigen Teil des Stoffwechsels der Lebewesen (Assimilation und
Atmung), sodann sammelt sie wie das Glasdach eines Treibhauses
die Sonnenwärme und macht erst dadurch
die Erde für viele Lebewesen bewohnbar.
Die Behandlung der Atmosphäre wird ein-
geleitet durch die Physik in Obertertia und
Sekunda. Hier werden Barometer und Ther-
mometer, die Abnahme des Luftdruckes und
die Luftbewegung infolge verschiedener Er-
wärmung behandelt, das Wesen der Konden-
sation des Wasserdampfes und der Registrier-
ballon besprochen. Im Anschluß an die
Elektrizitätslehre findet dann auch eine Be-
handlung der elektrischen Erscheinungen
(Gewitter, Nordlichter) statt, so daß der eigent-
liche Erdkundeunterricht in Obersekunda auf
diesem Material erfolgreich aufbauen kann,
wenn die kollegiale Konzentration
richtig durchgeführt wird.
Nach den jüngsten Forschungen erstreckt
sich die Atmosphäre bis in die gewaltigen
Höhen von 500 km.
Die unterste, etwa 12 km dicke Schicht
ist die Troposphäre, auf die infolge des
Gehaltes an Sauerstoff allein das Leben be-
schränkt ist. Sie ist der Schauplatz der
Wolkenbildung und der als Winde bekannten
Strömungen und reicht bis zu der Umkehr-
schicht, deren geringe, über die ganze Erde
nachweisbare Temperaturerhöhung durch die
totale Reflexion ultraroter Lichtstrahlen erklärt
wird.
Bis zu 70 km Höhe reicht die meist aus Stickstoff bestehende Strato-
sphäre, deren Bestandteile wir aus der Beobachtung der Sternschnuppen
(daher ihre Wichtigkeit!) kennen. Bis etwa 250 km folgt eine aus Wasser-
stoff bestehende Hülle, in der sich neben Sternschnuppen die tieferen
Nordlichter (Geißlersche Röhren!) finden. Zuletzt folgt eine Schicht mit
Geokoronium, die durch die Beobachtung der höheren bandenförmigen
Nordlichter bis auf 500 km Höhe bekannt ist.
Für den Erdkundeunterricht kommt also besonders die Troposphäre
in Betracht, weil sich in ihr das Leben und die es bedingenden Luft-
strömungen abspielen.
Geokoronium
25ckm
Wasserstoff
/ /Sl'ern3x;hXupp6n
Draperien
MQtQore
10
JJ
VVolken hülle
n. Die Lufthülle.
32
IV. Die Lufthülle.
wwwwww /
Bewegungen in der Lufthülle.
Ist ein Weltkörper von einer Lufthülle umgeben, so eilt diese infolge
größerer Beweglichkeit bei der Drehung dem festen Kern voraus, und
es entstehen parallel dem Äquator angeordnete Strömungen, die sich
bei der Erde auf die gemäßigte Zone beschränken, aber bei Jupiter und
Saturn die ganze Lufthülle beherrschen. Das sind die planetarischen
Winde (auf der Erde als Westdrift bezeichnet), die nur der Rotation ihre^
Entstehung verdanken. In sie schieben sich die als Maxima und Minima"
bezeichneten Wirbel (Vergleich: die Wirbel eines Flusses!), die auf be-
stimmten Bahnen wandern und von größter Bedeutung für unser ab-
wechslungsreiches Klima sind, das ohne sie nur Westwinde aufwiese.
Naturgemäß ist die Zone der planetarischen Winde auf der wasserreichen
Südhalbkugel besser ausgebildet als auf der NordhalbkugelJ mit ihrem
reichen Wechsel von Wasser und Land.
Ein zweites Windsystem bildet sich zu beiden Seiten des Äquators in-
folge der stärkeren Erwärmung dieses Gebietes aus.
Die zu beiden Seiten
des Äquators erwärmte .^^^^or~"^'"t^>><rWesfdrifr
Luft steigt infolge ihres
geringeren Gewichtes
in die Höhe und gibt
die enthaltende Feuch-
tigkeit als Regen ab
(Steigungsregen der
Tropen, auf der Erd-
oberfläche die wind-
stillen Zonen der Kal-
men). Zum Ausgleich
strömen von beiden
Seiten Luftmassen her-
bei, die auf der Nord-
halbkugel (Beharrungsvermögen) nach rechts, auf der Südhalbkugel nach
links abgelenkt werden; das sind die breiten Zonen der Passate, wichtig
für die Entstehung vieler Meeresströmungen. Die über dem Äquator
aufsteigenden Strömungen fließen dann polwärts als Antipassate ab
und sinken im Bereiche der Wendekreise wieder auf die Erdoberfläche
herab, um von neuem durch die Passate verfrachtet zu werden. Wo diese
Winde herabsinken, liegen die windstillen Zonen der Roß breiten mit
ihrem Trockenklima. Das sind die Zonen der klimatischen Wüsten,
die sich in zwei breiten, die Wendekreise umsäumenden Gürteln um die
Erde ziehen (Wendekreiswüsten!). Von ihnen unterschieden sind andere
Wüsten, die durch die Gliederung der Landoberflächcnformen bedingt
sind und meist zwischen den Regen abhaltenden Faltengebirgen liegen
(Wüsten Nordamerikas und Zentralasiens). Das sind Becken wüsten,
die ganz anderen Faktoren ihre Entstehung verdanken.
Eine weitere Komplikation wird durch die Schiefstellung der Erd-
achse bedingt. Mit dem wechselnden Stande der Sonne wandern die
Passate, und es finden sich auf beiden Halbkugeln Gebiete, die bald in der
'^^Rossbreifen
12. Schema der Klimazonen.
Die Klimazonen. 33
Westdrift liegen und ihre Regenzeit haben, bald dem Gürtel der absteigen-
den Antipassate (Trockenzeit) angehören. Da dieses Klimagebiet besonders in
den Mittelmeerländern ausgeprägt ist, spricht man von einem Mittelmeer-
klima (Winterregen). Es findet sich auch in entsprechenden Breiten an
den Westseiten der anderen Erdteile, so in Kalifornien, Chile, dem Kap-
land und Westaustralien. Nach der Charakterpflanze bezeichnet es Köppin
treffend als Weinklima. Entsprechend seiner Übergangsstellung
werden die Sommer nach Süden zu immer regenärmer, wie folgende
Werte des Anteils der Sommer- und Frühjahrsregen (in7o) zeigen: Poebene
51, Florenz 41, Rom 33, Neapel 31, Palermo 30, Malta 18. In Malta
sind schon 6 Monate ohne jeden Niederschlag. Die Entwicklung des
Mittelmeerklimas eignet sich gut zu immanenter Wiederholung in Unter-
sekunda bei Behandlung Südeuropas.
Ein besonders wichtiges Windsystem sind die Monsune.
Im Sommer wird die Luft über Hochasien erwärmt und steigt in die
Höhe. Zum Ausgleich strömt von den benachbarten Meeren die Luft ins
Land und bringt üppigste Regenfälle. Im Winter fließt die erkaltete Luft
von Hochasien ab; es entstehen trockene, seewärts gerichtete kalte Winde.
Halbjährlich wechselnde Monsune sind auch von eminenter Bedeutung für
den Seeverkehr zwischen Vorderindien und Ostafrika (Fahrt des Vasco de
Gama). In Nordchina kennzeichnen die Landmonsune den Winter, auch in
Südchina kommen bis Kanton große Temperaturstürze vor, während sie von
Indien durch die hohen Gebirge abgehalten werden. Überhaupt kann auf die
Bedeutung ostwestlich streichender Gebirge alsSchutz gegen kalte
Nordwinde vielfach hingewiesen werden (Südküste der Krim, Riviera, Rhein-
gau, südspanische Küste, Provence). Im Gebiete der Westdrift sind wiederum
nordsüdlich verlaufende Gebirgszüge nicht unwichtig, da sie regenreiche von
regenarmen Gebieten trennen. Besonders gut zeigen das die Erghenihügel in
Südrußland, in abgeschwächtem Maße der Ural, viele der deutschen Mittel-
gebirge, die Gebirge der britischen Inseln und das norwegische Hochland,
das von Schweden zugleich die vom Golfstrom stammende Wärme abhält.
Im Anschluß an die Monsunwinde, die in kleinerem Umfange auch
auf den übrigen Kontinenten während der heißen Sommermonate auf-
treten, sei auf die an jeder Küste bekannten Land- und Seewinde
hingewiesen, sowie auf Bora und Föhn.
Die Klimazonen.
Die verschiedene Erwärmung der Erdoberfläche kommt in den Klima-
zonen zum Ausdruck, von denen üblicherweise die Tropenzone, die
gemäßigten Zonen und die kalten Zonen unterschieden werden, die durch
die Wendekreise und Polarkreise voneinander abgegrenzt werden.
Aber diese rein mathematischen Linien decken sich jedoch keineswegs
mit irgendwelchen Grenzlinien der Tier- und Pflanzenverbreitung, oder
mit irgendwelchen klimatischen Kurven und sollten nun endlich als
Grenzlinien fallen gelassen werden. Ich gebe hier die Einteilung
wieder, die ich meist im Anschluß an den botanischen Unterricht der
Untersekunda aufstelle, und die auch im Wirtschaftsleben der Erde am
besten zum Ausdruck kommt.
0 1 b r i dl t , Der erdkundliche Lehrstoff. 3
34 IV. Die Lufthülle.
Geringe Temperaturschwankungen (weniger als 5 Grad) und große
Regenmengen (mehr als 1500 cm) an den Küsten kennzeichnen die Tropen-
zone, die in eine zentrale (Regen wälder) und äußere (Grasländer und
Savannen) Region zerfällt. Gummibäume, Ölpalmen, Kaffee, Kakao, Ge-
würze und Bananen sind ihre wichtigsten Leitpflanzen, während Reis,
Zuckerrohr und Baumwolle auch in die Subtropen reichen. Eine Abart
der Tropenzone ist die regenreiche Monsunzone mit der Teepflanze
(Teeklima). Große Trockengebiete mit der Dattelpalme in Asien und
Nordafrika, den Kakteen in Amerika und den Grasbäumen in AustraUen
sind Kennzeichen der Subtropenzonen, die poJwärts bis zur Palmen-
grenze reichen. Baumwolle, Reis und Zuckerrohr sind in ihnen wich-
tige Nutzpflanzen.
Die Zone der Hartlaubgewächse (in Australien durch den Euka-
lyptuswald vertreten) ist ein Übergangsgebiet zur gemäßigten Zone, die
das Haupt\'erbreitungsgebiet unserer Brotgetreide ist und in zwei Gürtel
zerfällt, welche die Sommerisotherme von 20° voneinander trennt. Äquator-
wärts liegt die Weizenzone mit Weizen, Mais, Weinbau, Südfrüchten
und üppiger Obstkultur, polwärts die Roggen zone mit Gerste, Hafer und
Kartoffeln bis zur Getreidegrenze reichend. Aber auch die Hülsenfrüchte,
die Futterkräuter und die Zuckerrübe (man erinnere an die Kontinentalsperre,
die das Monopol des Rohrzuckers brach!) sind wichtige Nutzpflanzen der
gemäßigten Zone, in deren wärmeren Teilen der Laubwaid überwiegt.
Jenseits der Getreidegrenze beginnt die Polarzone, äquatoru'ärts ein-
geleitet durch den breiten Gürtel der Nadel- und Birkenwälder, der schon
das Landschaftsbild der polaren Teile der Roggenzone beherrscht. Erst
jenseits dieser Nadelwaldzone mit ihrem riesigen Reichtum an Pelz-
tieren setzt die Tundrazone mit ihren Renntieren ein, mit der das Leben
gegen die Eis- und Schneefelder der Pole hin erstirbt^).
Von diesen liegt heute das größte in der Antarktis, deren riesiges Inland-
eis abkühlend auf die angrenzenden Meere und damit auch auf die Süd-
kontinente wirkt (Verlauf der Isothermen!) und gewissermaßen ein Über-
bleibsel der Eiszeit ist. In dieser lagen abgesehen von der stärkeren Ver-
gletscherung der Gebirge auch über Nordamerika und Nordeuropa zwei
riesige Inlandeisdecken.
Die Eiszeit.
Das sind Fragen, die im Unterricht schon darum behandelt werden
müssen, weil sie sich leicht aus den Atlaskarten erarbeiten lassen.
Wie ein solches Eis wirkt, erkennen wir am besten an Grönland, dessen
Gletscher gewaltige Schuttmassen ins Meer führen und auf den abbrechen-
den Eisbergen nach Süden verfrachten. Das Schmelzen der ersten in Grön-
land kalbenden Eisberge wirkt auch auf den Golfstrom und die von
ihm berührten Länder abkühlend; hierdurch erklärt man neuerdings
die Eisheiligen!
') An Fläche bedecken auf den Festländern: die Tropenzone 26 Millionen km^
(18%), die Subtropen 37 Millionen (25%), Weizenzone 37,5 (25 »/o), Roggenzone
13, Nadelwaldzonc 10 (7'',o) und die Polarzone 22 (15%).
Die Eiszeit.
35
Die Gletscher formen die Trogtäler. Diese Aushobelung der Täler
durch Gletscher zeigt neben Grönland auch das Alpengebiet. Schmilzt
ein solcher Alpengletscher ab, bleibt eine langgestreckte, oft am Rande von
Moränenschutt abgedämmte Wanne übrig, in der das Wasser einen See
bildet. Rinnenseen im Gebirge sind also die Zungenbecken ehe-
maliger Gletscher. Leicht kann jetzt der Lehrer mit der Klasse ein Bild
von der Vergletscherung der Alpen im Eiszeitalter rekonstruieren , wobei
es keiner Erklärung bedarf, warum in den Nordalpen die Gletscher einst
viel weiter ins Vorland fluteten als im Süden. Die meisten Schulatlanten
zeigen schon jetzt brauchbare Karten der die Seen umrahmenden Moränen-
wälle, die vor allem am Gardasee erkennbar sind.
Ähnlich kann im Unterricht die Ausdehnung der großen Inlandeismassen
Nordeuropas und Nordamerikas, die Vergletscherung des Schwarzwalds,
des Riesengebirges
und der Karpathen, ir \fisrancl
des Felsengebirges,
der südchilenischen
Anden und der Neu-
seelandalpen aus den
Nebenkarten (Reich-
tum an Rinnenseen!)
erarbeitet werden,
wobei auch auf den
Fjordreichtum der
Küsten in Gebieten
ehemaliger eiszeit-
licher Vergletsche-
rung hingewiesen
werden muß 0-
Hierbei muß ins-
besondere verwiesen
werden auf den Gegensatz zwischen dem vom Eise kahlgescheuerten
Abtragungsgebiet mit seinen Rundhöckern — an den Küsten als
Schären unter das Wasser getaucht — und den zum Ackerbau wenig ge-
eigneten Fels- und Geröllgebieten im Gegensatz zu dem Aufschüttungs-
gebiet mit seinen fruchtbaren Lehmböden. Diese weichen nur im Ge-
biete der Urstromtäler und den den Moränenwällen vorgelagerten Sand-
flächen weniger fruchtbaren, mit Heide oder Kiefernwald bedeckten Flächen.
Gürtelartig umlagert die meisten ehemaligen Inlandeisdecken der Löß
(Pampaslehm), ein überaus fruchtbarer Boden, der sich besonders zum
Anbau von Zuckerrüben eignet und während der Eiszeit durch die von
den Eisdecken herabwehenden Winde aufgeschüttet wurde; dies wird
noch heute in Grönland und Antarktika beobachtet. Außerdem bilden
sich heute Löße auch in den Randzonen der Wüsten.
RinnensGGn der
AblTiagungszone
13. Nordeuropäisches Vereisungsgebiet.
^) Diese Senkungserscheinungen hängen offenbar mit dem Druck der
gewaltigen Inlandeismassen zusammen, nach deren Abschmelzen wieder
ein Aufsteigen des entlasteten Landes erfolgte (gehobene Strandlinien in Skan-
dinavien, Nordamerika und Antarktika).
36 V. Die Pflanzendecke.
Die im Eiszeitalter vergletscherten Gebirge weisen eigenartige Land-
schaftsformen auf (steile Felswände, tiefe, oft von Seen erfüllte Kessel und
Becken), die man Hochgebirgsformen nennt (Schneegruben des Riesen-
gebirges), im Gegensatz zu den viel sanfteren Mittelgebirgsformen.
Die aus heute noch vergletscherten Gebirgen abfließenden Flüsse haben durch
den Gletscherschlamm eine milchweiße Trübung (lsar= Isere, Eisack), die
später grünlich wird (Rhein, Donau). Bei dieser Gelegenheit sei überhaupt
die Flußfarbe erwähnt. Aus Rotsandsteinböden fließende Flüsse sind meist
rötlich (Roter Main, Colorado), Lößflüsse sind gelblich (Hwangho = Gelber
Fluß), Moor- und Urwaldgebiete entwässernde Flüsse weisen dunkle Farben
auf (Schwarze Elster, Schwarzwasser, Rio Negro). Die in Wüstengebieten
fließenden Flüsse liegen große Teile des Jahres trocken und münden meist
in Salzseen (Wadis). Ist der Blick des Schülers hierfür geschärft, so erkennt
er leicht die Grenzen der großen Trockengebiete der Erde, wobei auch
die Salzseen Erwähnung finden können.
V. Die Pflanzendecke.
Mit Ausnahme der eisbedeckten Polarländer, der Hochgebirge und der
Wüsten spielt beim Landschaftsbild der Erde neben den Oberflächen-
formen das Pflanzenkleid eine entscheidende Rolle. Wir können dabei
mehrere große pflanzengeographische Gebiete unterscheiden, die in engem
Zusammenhang mit den natürlichen Klimazonen stehen.
Die Pflanzengebiete.
Das Nordische Gebiet umfaßt die Festländer der Nordhalbkugel bis
zur Palmengrenze äquatorwärts. In der Tundra (Moossteppe) überwiegen
Moose, Flechten und Gräser, dazwischen Zwergbirken und zahlreiche
Beeren (Heidelbeergestrüpp).
Südlich schließt sich ein ausgedehntes Waldgebiet ^) an, das an-
fangs neben Birken nur Nadelhölzer, südlich der Eichengrenze aber auch
Laubhölzer enthält und vielfach durch den Menschen in eine > Kultur-
steppe« verwandelt wurde. Den Wäldern sind ausgedehnte Wiesen ein-
gestreut, die im westlichen Europa oft Moor- und Heidegebieten weichen.
In Ostasien und dem östlichen Nordamerika reicht dieses Wald-
gebiet am weitesten nach Süden und verändert sich wesentlich. Nörd-
lich der großen Seen überwiegen in Nordamerika noch Nadelhölzer, hier
besonders durch die Weimutskiefer vertreten, weiter südlich stellt sich
eine Fülle von Laubbäumen ein, gegen die Europa ärmlich ist. Neben der
Hikorywalnuß finden wir zahlreiche Eichen, Lorbeerbäume, den Essig-
-baum, die Magnolie, den Tulpenbaum und an der Küste in großen Ur-
wäldern die Sumpfzypresse. Der Herbstwald strahlt in einem Farben-
gemisch von Hellgelb bis Zinnoberrot, dem sogenannten Indianersommer.
Ähnlich mannigfaltig ist der ostasiatische Wald, in dem wir neben
dem Tulpenbaum auch den Gingko finden. Maulbccr- und Kampferbäume
sind hier heimisch, auch Aprikose, Apfelsine (Chinaapfel) und Teestrauch.
•) Man erinnere auch an die Bedeutung der Forstwirtschaft.
Die Pflanzenffebiete. 37
In beiden Gebieten handelt es sich um die Reste des einst über die
ganzen Nordkontinente verbreiteten tertiären Waldes, der sich
in größerem Umfange erhalten konnte, weil ihm die Möglichkeit geboten
war, in der Eiszeit nach Süden zurückzuweichen, während in Europa die
langen, ostwestlich verlaufenden, im Eiszeitalter vergletscherten Ketten-
gebirge und die Becken des Mittelmeeres dies verhinderten. Noch in den
Braunkohlenlagern finden wir aber typisch amerikanisch-ostasiatische Arten,
vor allem Sumpfzypressen und Mammutbäume.
Das innerasiatische Pfanzengebiet reicht in Europa bis weit nach
Südrußlands Steppen. Seine Pflanzen (Federgras, Beifuß, Gänsefuß, Königs-
kerze u. a.) sind der sommerlichen Trockenheit angepaßt, oder überstehen
diese durch Knollen- und Zwiebelbildung (Tulpen und Hyazinthen).
Im Frühling wachsen diese Pflanzen schnell, um die kurze Vegetations-
zeit auszunutzen, so daß sie sogar in reicher benetzten Gebieten die lang-
samer wachsenden Holzgewächse ersticken und so keinen Baumwuchs auf-
kommen lassen. Kennzeichnend fürTurkestan sind die Saxaulsträucher.
Ölbäume und Korkeichen, der Maulbeerbaum und die echte Kastanie
sind neben den aus hartlaubigen Myrten, Lorbeer, Buchsbaum und Ginster
bestehenden Gestrüppen der Macchien Leitpflanzen des Mittelmeer-
gebietes, das als Kulturpflanzen den Weinstock und die Südfrüchte besitzt.
Die Nadelhölzer sind durch Pinie und Zypresse vertreten. Weit verbreitet
ist die Zwergpalme. Durch Ausscheidung ätherischer Öle (Parfümindustrie
Südfrankreichs) schützen sich namentlich Thymian, Lavendel, Rosmarin und
wohlriechende Rosen gegen Austrocknung. Auch die aus Amerika ein-
geführten Kakteen und Agaven sind vielfach Charakterpflanzen des
Gebietes geworden.
Ein Gegenstück zum Mittelmeergebiet ist das neuerdings durch riesigen
Obstanbau aufblühende Kalifornien mit den seltsamen Mammutbäumen.
An das Mittelmeergebiet schließt sich die Region der Sahara, Arabiens
und Südpersiens an, deren Charakterbaum die Dattelpalme ist, das Symbol
des Orients.
Das Tropengebiet gliedert sich in die äquatorialen Urwälder (Regen-
wälder), die subtropischenlichten Waldgebiete mit einzelstehenden Baum-
gruppen (Savannen), die Grasländer (Llanos, Kampos) und die tropischen
Trockengebiete (Mexiko).
Neben einer Fülle von Laubhölzern, wichtigen Farbhölzern, Lianen und
Epiphyten (Vanille und Orchideen) liefern die Urwälder die Gummibäume
und Ölpalmen. Eine Fülle von Kultur- und Gewürzpflanzen ist über das
ganze Tropengebiet verbreitet. Die subtropischen Grasländer sind besonders
reich an Palmen, neben denen aber auch Lilien (Drachenbaum), die Kakteen
und Wolfsmilchgewächse (Mexiko und Indien) baumbildend auftreten.
Im Austral kontinent bildet der Eukalyptusbaum lichte Wälder. Hier
finden wir auch die merkwürdigenGrasbäume, viele Akazien und Kasuarinen.
Neuseeland ist bekannt durch Baumfarne und die Kaurifichte, das
nichttropische Südamerika durch die Araukarie (Zimmertanne) und den
Fieberrindenbaum.
Ungewöhnlich reich an Blütenpflanzen (Immortellen, Erikazeen, Gera-
nien usw.) ist Südafrika, in dessen Wüsten die merkwürdige Welwitschie
38 V. Die Pflanzendecke.
wächst. Die vielen Beziehungen, die es zu Australien und Südamerika auf-
weist, machen es wahrscheinlich, daß hier nur die Reste der Pflanzendecke
eines gewaltigen Südkontinentes fortdauern, dessen größter Teil heute unter
dem Südpolareise vergraben Hegt.
Ein Pflanzengebiet für sich sind die Hochgebirge, eigentlich eine Ab-
art der Tundra. Die außerordentlich große Verbreitung mancher Hoch-
gebirgspflanzen, die heute ganz isoliert und an weit voneinander getrennten
Gebieten vorkommen, ist nur dadurch erklärlich, daß im Eiszeitalter
zwischen den einzelnen Gebieten breite Verbindungen bestanden. Fast
jedes Hochgebirge hat beim Abbrechen dieser Verbindungen seine Pflanzen-
decke spezialisiert und umgeformt, wobei für die tropischen Gebirge
Amerikas und die afrikanischen Vulkane z. B. besonders die baumartigen
Korbblütler und Baldriangewächse bezeichnend sind.
Verbreitung der Pflanzenvereine.
Leider fehlt es in der Schule an Zeit zu einer eingehenden Behand-
lung der Pflanzengeographie. Ich pflege im Anschluß an die nach
den natürlichen Klimazonen erfolgende Besprechung der wichtigsten
Kulturpflanzen einige pflanzengeographische Erörterungen zu bringen.
Immer stelle ich das wirtschaftlich Wichtige in den Vordergrund und
gebe die Verbreitung der großen, natürlichen Pflanzengemeinschaften
(Wald, Baumsteppe — Savanne — Steppe, Ödland und Kulturland) über
die einzelnen Erdteile, da sich in ihr nicht nur die Kulturhöhe, sondern
auch die Siedlungsmöglichkeit widerspiegelt. Eine Wandkarte hierüber
existiert leider noch nicht 0. Nach Supan gilt folgende Verteilung
(Prozente eingeklammert):
Steppe und
Wald
Kulturland
Savanne
Ödland
Europa. . . .
3 (30)
4,4 (44)
0,6 ( 6)
2 (20)
Asien
13 (29)
9 (20)
9,2 (21)
1 3 (29)
Afrika ....
9 (30)
5,3 (18)
8,5 (29)
7 (24)
Nordamerika
9 (38)
3,5 (14)
4 (17)
7,5 (31)
Südamerika .
8 (45)
3,8 (21)
4 (22)
2(11)
Australien . .
1,3(13)
1 (11)
3,4 (38)
3,3 (37)
Zusammen "/o 30 20 23 27
Von einer Übervölkerung der Erde kann also bei einem Fünftel
Kulturland noch nicht die Rede sein, wenn die künstliche Bewässerung,
die neuerdings in den Trockengebieten Amerikas (Kalifornien!) und
Australiens wahre Wunder wirkt, weiter ausgebaut wird und die Land-
wirtschaft auch außerhalb Deutschlands sich inmier mehr die Erfahrungen
der Wissenschaft zu eigen macht.
') Mit Zugrundelegung der Gradnetzkarten von J. F^erthes habe ich für das
Breslauer Elisabethgyinnasium zwei farbige Wandkarten der Tier- und Pfianzen-
geographie gezeichnet. Hierbei lehnte ich mich einmal an die pflanzengeo-
graphischen Karten in Meyers physikalischem Handatlas, sodann an eine von
mir entworfene Zonenkarte der Tiergeograph ie, von der die den beiden
folgenden Kapitehi beigefügten Skizzen ein Auszug sind. Die Ausführung der
Karten erfolgte unter Beihilfe einiger Primaner.
VI, Die Tierwelt.
W^r leben unbedingt im Zeitalter der Säuger, die allerdings vom
Menschen schon stark eingeengt, vielfach ausgerottet und mannig-
faltig umgeformt (Haustiere) wurden. Seit dem Beginn der Tertiärzeit ver-
drängen sie die Reptilien und fallen heute im Landschaftsbilde so auf, daß
sie für dieses von größter Bedeutung sind. Es ist daher selbstverständlich,
daß ich in den folgenden Zeilen das Hauptgewicht auf die Säugetiere
lege und die übrigen Tiere nur insoweit heranziehe, als sie die Land-
schaft beeinflussen.
Ungefähr im Bereich des nördlichen Wendekreises durchzieht die Erde
als eine der wichtigsten tiergeographischen Linien die nördlichste Ver-
breitungsgrenze der Zahnarmen, welche die breiten, ausgedehnten
Nordkontinente Eurasien und Nordamerika von den schmäleren Süd-
kontinenten Afrika, Indoaustralien und Südamerika scheidet.
Eine zweite, beinahe noch wichtigere Linie trennt den Australkontinent
mit den Melanesischen Inseln vom Sundaarchipel. Ganz isoliert als der Rest
eines mesozoischen Festlandes steht endlich der Neuseelandarchipel, der
die altertümliche Brückeneidechse, aber kein einziges Säugetier beherbergt.
Die Urerde.
Das australische Gebiet wird von Kloakentieren und einer großen
Fülle von verschiedenartigst differenzierten Beuteltieren (Känguruh, Beutel-
wolf, Beutelratte, Beutelhund) bewohnt, die sich hier erhalten konnten, da
dieser Erdteil spätestens seit der mittleren Tertiärzeit durch breite Wasser-
straßen von Asien getrennt war, die ein Herüberwandern jüngerer
Formen bis auf fliegende Hunde und durch Treibholz angetriebene
Mäuse verhinderten.
Die Grassteppen bevölkert der straußähnliche Emu, ein Verwandter
des erst in historischer Zeit in Neuseeland ausgerotteten Moas, die Wälder
bunte Krontauben, Kakadus und Loris, dazu Eis- und Webervögel. In
den Flüssen ist bemerkenswerterweise das indische Leistenkrokodil hei-
misch, auf Neu-Guinea finden sich die prachtvollen Paradiesvögel. Die
weite Verbreitung von Schlangen über die australischen Inseln weist auf
das Vorhandensein ausgedehnter mesozoischer Landbrücken hin. Australien
ist die Notogäa der Tiergeographen; während m. E. der Name Ur-
erde passender ist.
Die Alterde.
Das transsaharische Afrika, Indien mit Indonesien sowie Süd-
und Mittelamerika bilden die Alterde, das Verbreitungsgebiet
der Zahnarmen, zu denen eine Fülle anderer älterer Säugetiertypen kommt.
Am altertümlichsten ist der Charakter Südamerikas, der Neogäa, das
offenbar lange Zeit eine Insel bildete und die Besiedlung mit
jüngeren, höheren Formen unmöglich machte.
Neben Faultieren und Gürteltieren finden wir hier nicht nur die Ameisen-
fresser, sondern auch kleine Beuteltiere sowie das altertümliche Wasser-
schwein und den Tapir. Die Urwälder beherbergen Brüllaffen, Greif-
schwanzaffen und eine Fülle bunter Papageien, Kolibris, Tagfalter und
40 VI. Die Tierwelt.
Eidechsen, die Flüsse die Alligatoren, die Steppen den straußähnlichen
Nandu. Jüngeres Aussehen zeigt das Andengebiet, in das von Norden
her in geologisch junger Zeit Lamas, Bären, Hirsche, Silberlöwe und
Jaguar eingewandert sind.
Südlich des Himalaja erstreckt sich Indien, bestehend aus Vorderindien,
Hinterindien und Indonesien, noch ganz im Bereich der Alterde (Schuppen-
tiere) liegend. Indonesien ist der Rest einer großen Südosthalbinsel Asiens,
die erst im Diluvium endgültig vom Festlande getrennt wurde und deren
Inselgruppen eine mannigfaltige, noch heute kaum zu entwirrende Ge-
schichte durchliefen. Am frühesten abgetrennt wurden offenbar die Phi-
lippinen und kleinen Sundainseln, denen Elefant, Nashorn Krokodil und
die Großkatzen (Tiger, Leopard, Panther) des übrigen Indiens fehlen,
nicht dagegen seine Riesenschlangen.
Im einzelnen erscheint der Südosten mit seinen Flattermakis, Zwerg-
hirschen (Tragneiden) und vor allem durch den Tapir altertümlicher alsVorder-
indien, dessen Südende (Nilgirigebiet und Ceylon) jedoch mit seinen Halb-
affen und Spitzhörnchen wieder mehr an die Malaiische Halbinsel erinnert.
Das hinterindische Gebiet beherbergt auch Gibbon und Orang-Utan,
während die übrigen Affen über ganz Indien verbreitet sind. Außerdem
lieferte Indien zahlreiche Kulturtiere (Zeburind, Argusfasan, Bankivahuhn).
Den letzten Teil der Alterde bildet das transsaharische Afrika — auch
Äthiopien genannt, mit seinen Schuppentieren.
Am altertümlichsten erscheint hier Madagaskar, ein Museum alttertiärer
Formen (Halbaffen, Fledermäuse, Borstenigel, Zibetkatzen und Nager),
die ursprünglich die ganze Alterde bevölkerten.
Borstenigel, Otterspitzmäuse und Goldmulle geben auch dem inneren
Südafrika einen altertümlichen Anstrich.
Die afrikanischen Flüsse beherbergen die Krokodile, die Wälder Riesen-
schlangen, Nilpferde, Elefanten, Traguliden und das Okapi neben zahl-
losen Hundsaffen, dem Gorilla und dem Schimpansen; dazu Grünpapageien
und den Graupapagei. In den Steppen der Strauß als Rest der großen
Laufvögel der Südhalbkugel, sowie die ebenfalls noch altertümliche Giraffe,
Zu diesen alten Formen kommen zahlreiche jüngere, vor allem Groß-
katzen (Panther, Leopard, Löwe) und Huftiere. Die letzteren sind vor
allem durch die Antilopen vertreten, von deren Arten über neun Zehntel
nur in Afrika vorkommen, dazu Tigerpferde, Flußschweine und einige
Wildstiere (Kapbüffel).
Nicht nur dies stärkere Überschwemmen mit jüngeren Formen trotz
der breiten Grenzzone der Sahara, sondern auch das Fehlen der Beutel-
tiere und Tapire zeigt, daß von allen Teilen der Alterde das äthiopische
Gebiet dem Entwicklungsherd der jüngeren Säuger offenbar am nächsten
gelegen hat, so daß hierdurch die Nordgrenze der Zahnarmen am meisten
nach Süden verschoben wurde.
Die Neuerde.
Als äußersten Vorposten dieser jüngeren Säuger der Neuerde möchte
ich die Füchse ansehen, deren Südgrenze ungefähr mit der Nordgrenze
der Zahnarmen zusammenfällt und im Somalilande beinahe den fünften
Die Neiierde.
41
nördlichen Parallel erreicht. Dies ist wahrscheinlich durch die treffliche
nordsüdliche Wanderstraße des Niitales bedingt, längs deren auch die
Hamiten am weitesten nach Süden vordrangen. Die südlichste Zone der
Neuerde reicht nördlich etwa bis zur Südgrenze des Edelhirsches und der
mit ihm verwandten Formen. Am altertümlichsten ist ihr Charakter in
Ostasien, das durch Hochasien und seine Gebirgsumrahmung offen-
bar vom Entwicklungsherde der jüngeren Formen, der mehr im Nord-
westen zu suchen ist, abgetrennt wird. Nicht nur die Schuppentiere reichen
hier bis an den Jangtse, sondern in den letzten Waldgebieten, die als
Zufluchtsoasen die hier so dicht siedelnde Menschheit übrigließ, finden
O BeuH(?r u. Zahnarme " — Nordgrenze derAlferde
• BeuHer allein * ++ PrimiNvG Jnsekl-GnFrGsser
® BeuHer U-Kloakenliere
14. Versuch einer Zonenkarte der Tierwelt.
wir Zwerghirsche wie das Moschustier und Wasserreh als altertümliche
Formen im Verein mit zahlreichen Schlankaffen und dem Waschbärhund.
Dazu kommen als junge Formen Hasen, Wildschweine, Wölfe und Füchse.
Von den Vögeln seien namentlich die prachtvollen Fasanen erwähnt.
Jugendlicher erscheint der Charakter Japans und Koreas, wo sich infolge
des kühleren Gebirgsklimas ein abgewandelter Edelhirsch (Sikahirsch) er-
halten hat, der während der Eiszeit auf heute abgebrochenen Landbrücken
überwanderte. Dasselbe müssen wir für die Philippinen mit ihren Vor-
hirscharten annehmen.
Nordwestlich schließt sich eine zumeist mit Wüsten und Steppen be-
deckte Zone an, die in breitem Streifen über Saharabien und das Vorder-
asiatische Gebirgsland bis zur Mongolei, Turan und den süd-
russischen Steppen reicht. Nach den Charaktertieren kann man hier
von einer Zone der Schafe und Ziegen sprechen. Saharabien besitzt außer-
42 VI. Die Tierwelt.
dem Gazellen, Schakale, Hyänen, den Strauß, Paviane, Spring- und Sand-
mäuse und den Löwen, Turan ist die Heimat der Kamele (das einhöckerige
Dromedar ist eine erst in geschichtlicher Zeit nach Vorderasien und Afrika
eingeführte Kulturform). Auch finden wir Pferde (Wildpferde), Pfeifhasen,
Murmeltiere, wozu Wildschafe, Antilopen und den Tiger.
Die Gebirgswälder der Umrahmung besiedeln der Maralhirsch, Rehe
und Braunbären, die namentlich im gebirgsreichen Vorderasien überwiegen.
Dieses ist in vieler Beziehung (Löwe und Tiger kommen zusammen vor)
ein Übergangsgebiet, das nicht nur den Säugern, sondern offenbar
später auch dem Menschen als Wanderweg zwischen den Wüsten diente
(Verbreitung der Indoeuropäer).
Tiergeographisch eine Provinz Saharabiens sind die europäischen Mittel-
meerländer, die zwar in geschichtlicher Zeit den Löwen verloren, dafür
aber heute noch reich an Schafen, Ziegen sind und als Wildtiere den
Mufflon, das Stachelschwein und den Braunbär aufweisen. Dazu kommen
der Damhirsch und die Wölfe, die das im Eiszeitalter eingebrochene
Mittelmeerbecken nicht mehr zu überschreiten vermochten.
Ein merkwürdiges Gemisch nördlicher und südlicher neuerdlicher Formen
zeigt Nordamerika südlich des 45. Parallels, das landschaftlich in den
trockenen Westen (Prärien, Felsengebirgsbecken nebst bewaldeten Gebirgs-
umrahmungen) und den noch zur Zeit der Entdeckung einen einzigen
Urwald bildenden Osten zerfällt. Der amerikanische Braunbär (Baribal),
zahlreiche Wölfe, der Virginische Hirsch, Bison, Puma, Jaguar und die Gabel-
gemsen sind unzweifelhaft junge Formen, zu denen sich in den Steppen
Weißfußmäuse und Präriehunde, an den Flußufern der Biber gesellen.
Das Charaktertier unter den Vögeln ist der Truthahn; infolge der warmen
Sommer sind im östlichen Waldgebiet südliche Formen wie Kolibris und
Sittiche bis an den 40. Parallel verbreitet. Dazu kommt eine merkwürdige
Unterschicht alter Formen, wie das Baumstachelschwein, das Stinktier, die
Waschbären und die Klapperschlange. Am altertümlichsten erscheint der
Südosten, wo die Wölfe fehlen und Kaimane und Beutelratten (Opossum)
an die Urerde erinnern. Ähnlich alte Formen weisen die Großen Antillen
in den insektivoren primitiven Schlitzrüßlem auf, was an das frühere Vor-
handensein eines heute meist im Meere versunkenen Insellandes gemahnt,
in dem diese alten Formen sich isoliert erhalten konnten, um später die
Nachbargebiete zu besiedeln. Daß der Kaiman an Krokodile Ostasiens
erinnert — vgl. Magnolien usw.! — , ist kein Beweis für das Vorhanden-
sein ehemaliger Landbrücken zwischen beiden Gebieten, sondern dafür,
daß von einem weiter nördlich gelegenen gemeinsamen Entwicklungs-
herd beide Faunengebicte südwärts verschoben wurden. Dieser Herd ist
wahrscheinlich die nördliche Zone der Neuerde; sie umfaßt alle Land-
massen, die etwa nördlich der Südgrenze der Großhirsche liegen.
Die Nordzone der Neuerde umfaßt als Milieu drei Florengürtel:
Die Laubwaldzone der mittleren gemäßigten Zone mit den ein-
gesprengten Wiesen, Heiden und Mooren, den n()rdlich sich anschließenden
Nadel Waldgürtel und die Moossteppen der Tundren mit ihrem Süd-
saum von Birkenwald.
Ursachen der Tierverbreitung. 43
Hierbei kennzeichnet die Laubwaldzone vor allem der Edelhirsch (in
Amerika Wapiti), wozu Rehe, der Braunbär, Wölfe (daraus Haushund vom
Menschen gezogeh), Füchse, Kleinraubtiere, Hase, Biber, Eichhörnchen,
Hamster und die Fülle lieblicher Singvögel kommen. In den Flüssen leben
Lachse, Karpfenarten und Hechte, die sich gleichmäßig von Europa bis
Amerika erstrecken. Im Nadelwaldgebiet bleiben die meisten dieser Formen,
wenn auch an Zahl verarmend, und die Pelztiere (Fischotter, Hermelin
usw.) sind ein wichtiger Erwerbszweig der Bevölkerung. Die Hirsche
weichen dem Elche und weiter nördlich dem Renntier, dem Charaktertier
der Tundren. Zu ihm gesellt sich im arktischen Amerika der Moschus-
ochse, der noch im Eiszeitalter auch Nordeuropa bewohnte. Die Nahrungs-
armut des Landes, lebhaft kontrastierend zum Fischreichtum der an-
grenzenden Meere, veranlaßt das Zusammendrängen der Tierwelt an den
Küsten, was in gleichem Maße von Säugern mit ihrem rrieist weißen Pelz-
kleide (Lemming, Polarfuchs, Eisbär, Schneehase), wie von Vögeln
(Lummen, Enten, Gänsen, Möwen — Vogelinseln!) gilt. Lebt schon der
Eisbär amphibisch, so sind Formen wie Walrosse, Robben, Seehunde und
Wale in steigendem Umfange durch ständige Anpassung zu richtigen
fischförmigen Wassertieren geworden und haben sich, angereizt durch
kalte Strömungen, während des Eiszeitalters sogar bis über die südliche
Zone verbreitet. Heute sind sie wieder durch die breite Lücke der warmen
Tropenmeere von ihren nördlichen Verwandten getrennt. Wie stark kon-
trastieren nicht an den Südspitzen Amerikas, Afrikas und Australiens die
neuerdlichen Seehunde von den altertümlichen Pinguinen!
Ursachen der Tierverbreitung.
Schon in der Schilderung der Pflanzengeographie kam zum Ausdruck, daß
die Nordhalbkugel mit ihren Landmassen offenbar ein Entwicklungszentrum
— besser Entwicklungsgürtel — höherer Formen ist, die ältere allmählich
südwäiis verschieben, wobei dann mit der Zeit gewaltige Lücken entstehen,
wie das Schulbeispiel der Tapire zeigt. Hierbei sind die Formen der Ur-
erde alttertiär und sogar mesozoisch, die der Alterde meist mitteltertiär,
die der südlichen Neuerde Jungtertiär und die der nördlichen meist eis-
zeitlich. Eine wichtige Stütze dieser »Verschiebungstheorie« ist der Um-
stand, daß in den tertiären und mesozoischen Ablagerungen Europas und
Nordamerikas zahlreiche Formen »fossil« vorkommen, die heute noch in
der Ur- und Alterde leben. Den Ursachen der Entwicklung nachzugehen,
fällt schon aus dem Forschungsbereich des Geographen heraus.
Es mag aber noch erwähnt werden, daß — wie schon zwischen den
vorstehenden Zeilen zu lesen — die Tiere stark dem Wohnraum in
Körperbau und Hautfarbe angepaßt sind. Die Waldformen zerfallen in
Boden- und Kletterformen mit naturgemäß zahllosen Übergängen.
Ihre Farben sind meist bunt, oder grün (Papageien), oder gefleckt (Panther,
Leopard usw.), oder auch dunkel, wie der Waldesschatten (Elefanten, Nil-
pferde). Steppentiere sind entweder gestreift, wie Gras und Dschungel
(Zebras, Tiger), oder gefleckt, wie die Bäume, unter denen sie weiden
(Giraffe), endlich mattbraun wie der Boden (Antilopen). Bei Wüstentieren
wird die Farbe intensiver gelb (Löwe). Die weiße Farbe der Polartiere
44 VI. Die Tierwelt.
wurde schon eru'ähnt, und es sei abschließend nur bemerkt, daß die
Meeressäuger nach Art der Fische oben dunkel und unten hell gefärbt sind.
Es war nicht meine Absicht, in diesen Zeilen mehr als eine skizzen-
hafte Andeutung der kausalen, noch zu schreibenden Tiergeographie zu
geben, einem der dankbarsten Gebiete, das nicht nur im Schüler neue Er-
kenntnisse anstatt bloßen Lernstoffs erweckt, sondern auch Geographie
und Biologie ineinander zu einem harmonischen Gesamtbilde verwebt.
Daß eine eingehendere kausale Tiergeographie neben dem großen, deut-
lich erkennbaren Nordsüddrängen der Lebewelt auch die Bedeutung lokaler
Zentren zweiten Grades, die ebenfalls zeitweise zu Entwicklungsherden
neuer Formen werden können — vgl. die Stellung Hochasiens für die
Entwicklung und Ausstrahlung der Mongolen, die Afrikas für die Anti-
lopen, die Südamerikas für die Zahnarmen und die Australiens für die
Beutler — , eingehender würdigen muß, liegt auf der Hand. Nochmals sei
ausdrücklich betont, daß wir wohl die Wanderungen der Lebewelt
kennen, noch nicht aber ihre Ursachen; denn die Simrothsche
Pendulationstheorie mit ihren vielfach bestechenden Ergebnissen setzt
Polschwankungen in einem Umfange voraus, der den neuesten Forschungen
der Geologie direkt widerspicht.
Die Tiere des Meeres.
Da die Meere der Erde miteinander in engsterVerbindung stehen, sind
hier Untergebiete noch schwieriger abzugrenzen als auf den Festländern.
Allgemein unterscheidet man die Tierwelt der Strand- und Küsten-
zone, der Hochsee und der durch Lichtmangel gekeimzeichneten Tief see.
in der Hochsee trennt man die selbsttätig sich bewegenden Tiere als
Nepton von den durch Strömungen getriebenen Tieren, dem Plankton,
das wiederum ersteren zur Nahrung dient und im Gebiete der Meeres-
strömungen sich häuft, während die strömungslosen Teile der Hochsee
arm an Lebewesen sind, den Wüsten der Festländer vergleichbar. Die
Bodentiere bilden das Benthos.
Vielfach nimmt man an, daß die Tiefseetiere von der Flachsee her ein-
gewandert sind. Vielleicht wurde von ihr aus sogar auch erst das Süß-
wasser besiedelt, das gerade den altertümlichen Fischen (Störe, Lungen-
atmer u.a.) einen Zufluchtsort bietet.
Für erdkundliche Zwecke konuuen nur die Meerestiere in Betracht,
die wirtschaftlich von Bedeutung sind. Diese müssen dann aber auch in
ihrer Verbreitung kurz charakterisiert werden.
Außer den schon genannten Tieren beherbergen die arktischen Meere
den Grönlandwal, die äquatorialen den Potwal und die Delphine. Die
Schelfe der Nordkontinente sind in der gemäßigten Zone die wichtigsten
Gebiete des Fischfangs (Hering und Kabeljau), die Flachsee der warmen
Meere beherbergt besonders Schwänune, Korallen und Perlmuscheln, dazu
die für die Volksernährung so wichtigen niederen Meerestiere (frutti de
mare), Seewalzen (Trepang in Ostasien) und Schildkröten.
Durch Erschließung der afrikanischen und südamerikanischen Schelfe
dürfte der Ertrag der Hochseefischerei nach fachmännischen Schätzungen
noch verdoppelt werden können.
Rückblick. 45
Rückblick.
Wie wir sahen, läßt sich also schon jetzt eine Gesetzmäßigkeit in
der Entwicklung und Verbreitung der Tierwelt erkennen, an der infolge
ihrer hohen, das kausale Denkvermögen steigernden erzieherischen Werte
der Unterricht nicht vorübergehen darf.
Bei der Pflanzenwelt liegen die Verhältnisse insofern schwieriger, als
neben den Nordkontinenten auch auf dem antarktischen Kontinent Ent-
wicklungszentren von hochspezialisierten Formen gelegen haben, deren
Ausläufer wir in Südamerika, dem Kaplande und Australien finden. Baum-
farne und altertümliche Nadelhölzer sind jedoch ein Charakteristikum der
Alterde, und die auf der Neuerde entstandene Hochgebirgsflora ist während
der Eiszeit auch weit über die Hochgebirge der Alterde ausgebreitet worden.
Auf jeden Fall hat die Neuerde mit ihren ausgedehnten, zumeist in der
klimatisch wechselvollen gemäßigten Zone gelegenen Landmassen art-
bildender gewirkt, als die Alterde mit ihren durch weite Ozeane getrennten
Landmassen, deren meist gleichmäßig warmes Klima ein Verharren
altertümlicher Tierformen begünstigte. Auch der Mensch kann
wohl nur innerhalb der Neuerde, und zwar in Eurasien entstanden sein,
was schon seme Verbreitung anzeigt.
VII. Der Mensch.
Ausbreitung und Rassen.
Als jüngstes Lebewesen erscheint nach Abschluß der Tertiärzeit der Mensch.
. Auf der Neuerde finden wir die höchststehenden Rassen der Mon-
golen und Europäer (gelbe und weiße Rasse). Um letztere lagern sich
äquatorwärts in breiter Zone die Semiten (brünette Rasse). Die Alterde
ist der Sitz der Neger und Drawida (schwarze Rasse), zwischen denen,
in einsame Gebiete verdrängt, Reste einer älteren, z. T. kleinwüchsigen
Menschheit hindurchschimmern (Negrito, Wedda, afrikanische Pygmäen,
Papua). Auf den Südspitzen der Alten Welt und im äußersten Osten Asiens
(Jesso, Sachalin) sitzen die ältesten (protomorphen)Urrassen der Australier,
Buschmänner, Hottentotten und Ainu.
So ordnet sich die Menschheit zu großen Wellen an, die sich kon-
zentrisch um Mitteleuropa lagern und in ihrer Verbreitung offenbar ähn-
lichen Gesetzen folgen wie die Säugetiere. Durch ausgedehnte Wanderungen
wurde dies Bild erheblich verwischt. Seit der Entdeckung der Neuen Welt
besiedelt der Europäer nicht nur die gemäßigten Zonen der Neuen Welt,
sondern auch Südafrika und Australien. Zugleich überschwemmt er mit
•Negerarbeitern das tropische Amerika (Mischrassen der Mulatten, Mestizen
und Zambos). In noch älterer Zeit besiedelten Mongolenstämme Hinter-
indien und Indoaustralien und erzeugen durch Vermischung mit Ein-
geborenen die Malaien, denen die seegewandten Polynesier verwandt
zu sein scheinen. Etwas jünger ist das Eindringen der Europäer (Arier)
über Vorderasien nach Indien, wo sie, durch das Klima erschlafft und
durch Vermischung mit den Drawida umgewandelt, die Hindu bilden,
von denen nur wenige Teile (Brahmanen, Kastenwesen) den Charakter
reiner bewahrt haben.
46
VII. Der Mensch.
weisse Rasse Gelbe Rasse
lII.Schich^ ■■:;::• blonde Haare lillll Kurzkopf i. verschied. Grede
••• blaueAugen — Mongolenfalfe am Auge
H. Schichf Z^ Neger u.Dravida — ^ Malaienwanderungen
I.öchichl- •Prol'omorphe Rassen (ohneTöpfereij
15. Rassenkarte.
Wohl schon in vorgeschichtliche Zeit fällt die Überschwemmung der
Neuen Welt von Asien aus mit den in verschiedenem Grade mongolen-
ähnlichen Indianern, deren Bau uns noch so manches Rätsel aufgibt.
Gewaltig müssen die Völkerwanderungen der vorgeschichtlichen Zeit
gewesen sein, deren Dunkel sich erst allmählich zu hellen beginnt.
Der Mensch der Eiszeit.
Es ist das einwandfreie Ergebnis der jüngsten Forschungen,
daß die ältesten Spuren des Menschen in Europa — vor allem
in Frankreich und Mitteleuropa — auftreten, während sie in den
übrigen Erdteilen erst nach der Eiszeit erscheinen.
Zumeist verknüpft mit eiszeitlichen Kiesen und Lößen finden wir in
Frankreich und Mitteleuropa in Ablagerungen, deren Alter wir sicher auf
mehr als 100000 Jahre schätzen müssen, den plumpen Neanderthal-
menschen, der teilweise die Rasseneigentümlichkeiten der Neger, Europäer
und Mongolen in sich vereinte und sich rohe Faustkeile schlug (Alt-
paläolithikum). Noch älter ist der Heidclbergmensch mit seinem
durchaus tierischen Unterkiefer, vielleicht der Träger der eolithischen
Kultur, die im Anfange des Eiszeitalters die Menschwerdung einleitet.
In den letzten Stadien der Eiszeit erscheint, anscheinend während der
letzten Zwischeneiszeit im ncirdlichen Europa entstanden, der grazilere,
dem Australier ähnelnde Aurignacmensch , der Anfertiger zierlicher
Klingen (Klingenkultur). In seinem Kulturbcsitz finden wir aus Knochen
angefertigte Wurfspeerspitzen (Fernkampf), in den von ihm bewohnten
Die jüngere Steinzeit. 47
Höhlen Wandreliefs und Höhlenmalereien (Jungpaläolithikum), die be-
weisen, daß er nicht nur Mammut und Renntier jagte, sondern auch einen
Totenkult besaß und zeltartige Wohnstätten baute. Nach den jüngsten
zuverlässigen Schätzungen muß dieser Jungpaläolithiker in der Zeit von
30000 bis 10000 vor Christus in Europa gelebt haben, meist am Rande
des Inlandeises der letzten großen Eiszeit. Funde in Nordamerika machen
es wahrscheinlich, daß er noch im Eiszeitalter zur Zeit der Lößbildung
mit Mammut, Ren und Moschusochse über die isländisch-grönländische
Landbrücke nach Nordamerika wanderte, dort aber bald ausstarb.
Mit dem Ausklingen des Eiszeitalters beginnt infolge starker Vermehrung
eine gewaltige Auswanderung, welche die Faustkeil- und Klingenkultur
weit über die Alte Welt verbreitet bis nach Südafrika, Australien und den
japanischen Inseln. Wann diese Völkerwellen die Südspitzen der Alten
Welt erreicht haben, wissen wir nicht. Doch zeigt die Kultur der Australier,
Wedda, Ainu und Buschmänner- Hottentotten, der die Töpferei
fehlt, mit dem Mangel an Haustieren und den reichen Höhlenmalereien
— die wir bezeichnenderweise durch ganz Afrika verfolgen können — ,
daß hier die letzten Jungpaläolithiker leben, die allerdings dem Aussterben
entgegengehen und durch das Milieu körperlich stark umgeformt wurden.
Etwas jünger als diese älteste Welle der noch heute lebenden Mensch-
heit erscheinen die Melanesier, deren Kultur in zahlreichen Einzelheiten
der mesolithischen (Küchenabfallhaufen) gleicht, die wir in Europa in der
älteren Nacheiszeit finden. Daß auch in Afrika diese Welle einmal vertreten
war, zeigt die Übereinstimmung des Bogens der Melanesier mit dem
südlicher Negerstämme.
Die jüngere Steinzeit.
Der größere Teil der jüngeren Nacheiszeit — etwa 6000 bis 2000 vor
Christus — wird von dem Neolithikum eingenommen, der Zeit der Pfahl-
bauten, der Töpferei, Weberei und der geglätteten Steinwerkzeuge.
In ihr scheinen sich auf der Erde gewaltige Völkerverschiebungen, Um-
formungen durch Anpassung an neue Wohngebiete und Vermischungen
vollzogen zu haben.
Bis auf spätere Entlehnungen durchaus neolithisch ist die Kultur
der Neger und Drawida, der zweiten Welle der Menschheit. Sie besitzt
hochentwickelte Töpferei, Webindustrie, Bogen und Pfeil als Waffen, aller-
dings anstatt Pflugkultur den primitiveren Hackbau. Meist finden wir den
Zusammenschluß zu Stämmen - im Gegensatz zu den Sippen der Urvölker.
Wahrscheinlich in Anpassung an die hochasiatischen, erst
nach Zähmung von Renntieren (Pferde!) bewohnbar werdenden Step-
pen entsteht jetzt der Mongole, der von Hochasien wellenartig — Ver-
breitung der Kurzköpfe! — die Umgebung überschwemmt. Noch im
Steinzeitalter aus Asien übergewanderte, durch Anpassung an das land-
schaftlich so gegensatzreiche Amerika nachgedunkelte Mongolen sind wahr-
scheinlich die Amerikaner, die vor der Entdeckung des Erdteils noch ganz
in der Steinzeit lebten. Das südliche Europa bewohnt eine brünette Rasse,
den Norden die I ndogermanen. In der Tropenzone entstehen als An-
passungstypen die Neger und Drawida, letztere nur der Rest einer dunkel-
48 VII. Der Mensch.
häutigen Urbevölkerung, die gegen Ende der jüngeren Steinzeit noch ganz
Indien und Ostasien besiedelte (Restvölker bis Afghanistan und Südchina).
In der jüngeren Steinzeit macht die menschliche Kultur gewaltige Fort-
schritte. In immer höherem Maße werden Haustiere gezähmt — vor allem
Rinder, Pferde und Kamele anstatt der dem mesolithischen Menschen be-
kannten Hunde und Schweine — , Gräser zu Getreide veredelt, Hackfrüchte
und Obstsorten gezüchtet (Funde in den Pfahlbauten) und der Pflug
erfunden.
Hiermit beginnt eine viel intensivere Art des Ackerbaues, als bei
dem primitiveren Hackbau. Nicht mehr die Frau (Forschungen von E. Hahn)
bearbeitet das Land, sondern der Mann muß jetzt den schweren Pflug führen.
Gegen Ende des Neolithikums beginnt der Mensch in immer dichteren
Scharen die Tiefländer des Nil, Euphrat und Tigris, sowie die Streifen an
Zentralasiens Strömen zu besiedeln. Aber erst der Bau und die Instand-
haltung von künstlichen Kanälen macht diese meist regenlosen
Gebiete, deren Flüsse ihre Wasserfülle von den regenreichen Quellgebieten
beziehen, bewohnbar. So entsteht hier notgedrungen ein Zusammen-
arbeiten größerer Volksmengen. Die Berieselungskultur zwingt
die Stämme, sich zu Staaten zusammenzuschließen. Städtebau, Gesetz-
gebung, Pflugkultur und Schrift sind nur weitere Folgerungen, sowie be-
sonders das Schmelzen der Metalle.
Die Metallzeit.
So bilden sich in diesen Gebieten, vor allem in Ägypten, Babylonien und
Assur, die ersten Staaten (vergleiche die Hochlandstaaten der Azteken und
Peruaner), deren Blüte wieder benachbarte Nomadenvölker anlockt. Dazu
beginnt von Norden aus gegen Ende des Neolithikums eine gewaltige
indogermanische Wanderung, deren Wellen bis nach Nordafrika
(Megalithkultur) schlagen und über Vorderasien und Turan sich bis nach
Nordindien (Arier) verfolgen lassen. Auch Mongolenwanderungen
setzen jetzt ein, die nicht nur Vorderasien überschwemmen, sondern auch
durch die Lücke des Weihotales nach China und dem übrigen Ostasien
hinüberschlagen.
Der Brennpunkt aller dieser Bewegungen ist der Orient, dessen
Kultur, befruchtet durch zahlreiche Völkermischung, sich mächtig ent-
wickelt. Ihre Wellen schlagen auch über Südeuropa, wo Etrurien, Troja
und Mykene aufblühen und namentlich Phönizien und Kreta (vgl. Gotland
und Visby!) große Stapelplätze werden.
Später verschiebt sich der kulturelle Schwerpunkt weiter nach
Westen. Neue indogermanische Wanderungen bedingen frisches Blut
(Hellenen und Italiker), und die griechisch-römische Kultur tritt
das Erbe der orientalischen Völker an, sie auch politisch beherrschend
(Alcxanderrcich, römisches Imperium, Hellenismus).
Eine jüngere Germanenwanderung — Völkerwanderung — leitet das
Mittelalter ein. Unter ihren Schlägen zerbricht allmählich das römische
Weltreich, und teilweise auf seinen Trümmern entstehen neue Nationen.
Die Kultur verschiebt sich nordwärts, und das westliche Europa
wird jetzt die Hauptschaubühne der mittelalterlichen Geschichte.
Die Metallzeit. 49
Eine Nachblüte erlebt aber der Orient in dem Araberreiche, und die
Wellen der arabischen Kultur schlagen bis nach Spanien (Kordoba), hier
mit der fränkischen zusammenstoßend.
Nicht zum wenigsten blüht der arabisch-persische Orient unter dem Ein-
fluß der großen Handelsstraßen auf, die ihn durchqueren, und das
Abendland mit dem tropischen Indien, den Gewürzinseln Hinterindiens
und dem Seidenlande China verbinden.
Vor allem vermitteln Genua, Venedig und Portugal diesen Handel,
dessen Schätze über die flandrischen Städte und über Lübeck bis England
und Skandinavien gelangen.
Auch Hochasien sendet während des Mittelalters ständig neue Völker-
wellen aus, die Osteuropa völlig tatarisieren (Goldene Horde), ihre letzten
Wellen bis nach Mitteleuropa und dem Balkan schicken, die Randländer
Chinas überfluten (chinesische Mauer) und sogar nach Indien dringen
(Reich des Großmogul).
Die weltgeschichtlich wichtigste dieser Wellen überschwemmt mit den
Turkvölkern Vorderasien. Das hier stellenweise arabische Kulturelemente
aufsaugende Türkenreich (die Türken haben arabische Schriftzeichen!)
sperrt die Landwege die das Abendland mit Indien verbinden,
und das Suchen des Seeweges nach Indien leitet das Zeitalter der
Entdeckungen, der Kolonisation und damit die Neuzeit ein, in welcher
der Europäer seinen Eroberungszug über die ganze Erde antritt, und auch
die Neue Welt, die bisher sich langsam und abgeschlossen entwickelt
hatte, in die Schaubühne der Weltgeschichte einzieht.
In größtem Umfange wird hierdurch die Ökumene (das von Menschen
besiedelte Gebiet) erweitert und umgewandelt und polwärts bis zu den
Getreidegrenzen vorgeschoben, innerhalb deren nur noch die Wüsten und
tropischen Urwälder dichterer Besiedelung entbehren. Im größten Teile
der gemäßigten Zone verwandelt der Ackerbau das Land in eine Kultur-
steppe, in der vielfach nur noch die Gebirge die ursprüngliche Walddecke
tragen. Stellenweise finden wir sogar den Gartenbau (China und Japan);
dazu werden gewaltige Flächen durch künstliche Bewässerung erschlossen.
Die für den Urmenschen charakteristische Fischerei und Jagd Wirt-
schaft finden wir nur noch im dichten Tropenwalde oder polwärts der
Getreidegrenze, die Vi eh Wirtschaft in den Grasländern der Subtropen.
Aber auch der tropische Hackbau weicht immer mehr den großen, von
Europäern beaufsichtigten Pflanzungen (Plantagenkultur).
Die Erfindung von Eisenbahn und Dampfschiff verkürzt nicht nur
die Entfernungen auf der Erde, sondern gestattet auch eine rationellere
Verarbeitung der Naturschätze (Eisen- und Textilindustrie, Dampfpflug-
kultur), wozu die Kunst der Ärzte immer mehr Seuchen zu bekämpfen lernt.
Alles dies bedingt eine ständig schneller werdende Zunahme der Be-
völkerung der Erde und das Verstärken des dem Menschen angeborenen
Häufungstriebes(Großstädte),Esistwohlmehralsein Zufall, daßgeradein den
Breiten, in denen sich anscheinend die Menschwerdung im Eiszeitalter voll-
zog, heute auch diemenschliche Kultur und die Städtebildung ihr Maximum
erreichen. Deutlich zeigen sich so die Optimalen (Karte) der menschlichen
Kultur, auf denen auch die Mehrzahl der Millionenstädte liegt.
0 1 b r i ch t , Der erdkundliche Lehrstoff. 4
50 VII. Der Mensch.
Der Welthandel.
Im Jahre 1750 wohnten auf der Erde etwa 750 MilHonen Menschen,
1800 und 900 MüHonen, 1850 über 1200 und zu Beginn des Weltkrieges
beinahe 1700 Millionen. In derselben Zeit wuchs aber der Welthandel
von einer Milliarde Mark auf 17 (1850) und 147 Milliarden! Dies ist
die Folge der immer weitergehenden Arbeitsteilung. War früher
jeder Staat ein selbständiges Wirtschaftsgebiet (Selbstversorger), so lehrt
der verfeinerte Betrieb den Anbau auf Vv^enige gut gedeihende Pflanzen
zu beschränken. Hinzu kommt die immer schärfer werdende Scheidung
von Industrie- und Ackerbaustaaten, die über die Haus- und Großindustrie
zur Schwerindustrie führt, wie sie besonders Deutschland, England, Belgien,
die Schweiz und Teile der Union aufweisen, die wir mit Recht als Länder
der »Hochkultur« den Vollkulturgebieten (Frankreich^ Skandinavien,
Norditalien) gegenüberstellen. Die Zonen, in denen die Hausindustrie über-
wiegt, (übrige Kulturländer) bezeichnen wir als Altkultur. Im Gegensatz zu
dieser Staaten kultur, welche die weiße und gelbe Rasse kennzeichnet,
steht dann die Stammeskultur (Hackbau, Sammelwirtschaft, Fischfang)
der Indianer, der schwarzen Rasse und der Polarvölker. Der immer stärker
werdende Wettbewerb der Großstaaten, das Drängen Rußlands
zur offenen See, die Revanchesucht Frankreichs, das zugleich
fürchtete, allmählich seine Rolle als Großmacht auszuspielen, und die Angst
Englands, seine Vormachtstellung als größte Flottenmacht zu verlieren,
häuften im Verein mit deutscher Schaukelpolitik eine Menge von Zünd-
stoff an. Dieser mußte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Explosion
kommen, zumal damals die steigende deutsche Handelskurve mit der eng-
lischen zusammenprallte (causae belli). Daß dies aber gerade im Jahre 1914
geschah, war, wie Georg Wegener mit Recht bemerkt, mehr oder weniger
ein Zufall (casus belli).
Der Weltkrieg.
Eine unendliche Fülle von wirtschaftlichen und moralischen Werten
hat dieser Krieg zerstört. Durch das Hinzuziehen gelber, brauner und
schwarzer Truppen haben Frankreich und England ein Verbrechen an
der weißen Rasse begangen und ihr moralisches Prestige vernichtet, so
daß hierdurch und durch den Gewaltfrieden von Versailles überall neue
Feuerbrände auf den Ruinen der Alten Welt auflodern, anstatt dieser endlich
den ersehnten Frieden zu geben.
Hierauf immer wieder hinzuweisen, ist eine Pflicht der deutschen Lehrer.
Denn nie kann Deutschland eine geachtete Stellung in der Welt
einnehmen, wenn es aus Liebedienerei vor dem Ausland zu den
ständigen Anklagen, daß es der Anstifter des Weltkrieges sei,
schweigt. Hiermit predigen wir keinen Revanchekrieg, sondern
gegenüber feindlicher Heuchelei und Zerstörungssucht nur den entschlos-
senen Kampf um Recht und Gerechtigkeit, um Freiheit und Selbstbestimmung.
»Es ist die Mission der Deutschen, die Ideenretorte der
Menschheit zu sein.« Dies Wort eines Franzosen zeigt uns den Weg,
der uns wieder nach oben führen wird durch die wallenden, düsteren
Nebel der Gegenwart.
Die Kolonialreiche. 51
Die Kolonialreiche.
Die große Bedeutung, welche die Kolonien der europäischen Völker
spielen, macht auch im Unterricht eine zusammenhängende histo-
risch-wirtschaftspolitische Darstellung notwendig.
Erst seit dem Zeitalter der Entdeckungen können wir von übersee-
ischen Kolonisationsbestrebungen reden. Mit der Entdeckung der
Neuen Welt gibt das Mittelmeer seine Bedeutung an den Atlantischen
Ozean ab, und auch die Ostsee verliert ihre Wichtigkeit. Zuerst nutzen die
am meisten westwärts gelegenen Länder Spanien und Portugal ihre
günstige Lage aus und erwerben sich große Kolonialreiche. Da beide
Länder aber arm an Bevölkerung sind, handelt es sich weniger um tief-
greifende innere Kolonisation (mit Ausnahme von Mittelamerika und den
Silberländern Südamerikas), sondern um Schaffung großer »Interessen-
sphären«. Dies führt so weit, daß im Jahre 1 474 durch päpstlichen Schieds-
vertrag die Welt durch die »Demarkationslinie« in eine spanische und
portugiesische Hälfte geteilt wurde. Spanien bekam die Philippinen, die
Südseeinseln und ganz Amerika mit Ausnahme Brasiliens zugesprochen,
Portugal letzteres, sowie ganz Afrika und Indien. Zugleich beherrschte
es durch Besetzung von Ormus und Maskat den Ausgangspunkt wichtiger
Handelswege nach Europa.
Aus Seeraub und Schmuggelhandel nach den spanischen
Kolonien erwuchs Englands Macht, die zum ersten Male nach Ver-
nichtung der Armada (1588) von Bedeutung wird. Im Jahre 1600 wird
die ostindische Kompagnie begründet, nachdem einige Jahre vorher
als erster Stützpunkt in Amerika Virginien, genannt nach der Königin
Elisabet, besetzt wurde. Es beginnt das Zeitalter des Ausbaues des eng-
lischen Weltreiches (Imperialismus), beherrscht durch Kriege mit Holland
und Frankreich, die gleichzeitig als Kolonialvölker auftreten.
Sehen wir von Rußland ab, dessen riesiges, schon damals 10,5 Mill. qkm
umfassendes nordasiatisches Gebiet derart mit dem Mutterlande zusammen-
hängt, daß es nicht als Kolonialgebiet bezeichnet werden kann, so ist Spanien
mit 6 Mill. qkm das größte Kolonialland (Philippinen, Mexiko und Süd-
amerika); ihm nicht weit nach steht Portugal mit 4,5 Mill. qkm (Brasilien
und Afrika). Frankreich besitzt das große, aber menschenarme Lorenz-
und Mississippibecken ^ (2,5 Mill. qkm), außerdem Handelsstützpunkte in
Vorderindien und St. Louis (Senegal), Ft. Dauphin (Madagaskar) und die
Insel Reunion als Etappenpunkte nach Indien. Holländisch ist der größte
Teil der hinterindischen Inseln mit Kolombo, Mauritius, dem Kaplande,
Olinde (Brasilien) und Tobago als Etappenpunkten, sowie Neu-Amsterdam
(heute New York) mit zusammen 1,1 Mill. qkm. Englisch sind Neu-Fund-
land, das Randgebiet der Hudsonbai und die heutigen Neu-Englandstaaten
(zusammen 800000 qkm). Politisch und geschichtlich wichtiger sind
Gambia, Goldküste, St. Helena, Bombay, Madras und Hugli als Keime
des großen Kolonialreichs mit Indien als Mittelpunkt. In großen See-
kriegen (1651 — 1674) wird durch die von Crom well geschaffene Flotte
*) Hier finden wir auch heute noch französische Namen, wie New Orleans,
St. Louis usw.
4*
52 VII. Der Mensch.
Holland besiegt; bald beginnt ( 1 688 — 1815) auch die Bekämpfung Frank-
reichs unter der Losung »Aufrechterhaltung des europäischen Gleich-
gewichts«. Die Loslösung der Vereinigten Staaten (1776 — 1 783) ist zwar für
England ein harter Schlag, der aber durch die Besetzung von Kanada, des
Mississippibeckens(bis 1 783) und durch den Verzicht Frankreichsauf Vorder-
indien wieder gutgemacht wird. Im Jahre 1788 setzt sich England auch
in Australien fest (Sydney). So ist bis zum Jahre 1790 das englische Ko-
lonialgebiet auf 5,5 Mill. qkm angewachsen, zumeist auf Kosten des in
Kontinental kriege verwickelten Frankreichs, dessen Kolonialfläche auf
150000 qkm zurückgeht. Das holländische Gebiet (Erschließung Indo-
nesiens) ist inzwischen auf 2,2 Mill. qkm angewachsen, ebenso durch Er-
forschung Amerikas das spanische und portugiesische auf 10 Mill. bzw.
8 Mill. qkm. Aber Holland besitzt noch Kolombo und das Kapland (bis
1806), Frankreich die Seychellen, Mauritius und Reunion als Etappen-
wege nach Indien.
Am 18. Juni 1815 fiel bei Belle Alliance die eigentliche Entscheidung
zwischen Frankreich und England, und von nun an wird in England der
Gedanke der Weltbeherrschung (Imperialismus!) etwas Selbstverständ-
liches und Vorderindien derMittelpunkt des riesigen Kolonialreichs. Kapland,
Kanada und Australien werden die wichtigsten Siedlungskolonien als
Ersatz für das verlorene Amerika. Als Etappenpunkte werden nicht nur
bis auf einige französisch bleibende Teile die Inseln des Indischen und
Atlantischen Ozeans besetzt, sondern auch Malta, Aden und Gibraltar;
eine Perlschnur von Stützpunkten schließt sich um Afrika. Schon im
Jahre 1870 ist England das größte Kolonialland der Erde mit
21 Mill. qkm, das selbst Rußland, welches inzwischen Turkestan und das
Amurgebiet mit Wladiwostok besetzte und sein Gebiet auf 16,5 Mill. qkm
erhöhte, überragt. Das holländische Kolonialreich hat die heutige Aus-
dehnung (1,8 Mill. qkm) erreicht (Verlust des Kaplandes!). Spanien und
Portugal sind nach Loslösung der amerikanischen Gebiete auf 410000
bzw. 1,9 Mill. qkm heruntergegangen. Frankreich hat durch Besetzung
von Algerien (1830), Guayana und Senegambien ein Kolonialgebiet
von 600000 qkm erworben. Die letzten Jahrzehnte bringen (namentlich
in Afrika) die Ab run düng des englischen Kolonial reiches, dessen
Lebensnerv seit Eröffnung des Suezkanals (1869) auf die Linie
Gibraltar — Ägypten — Aden übergeht. Frankreich erwirbt sich nicht
nur in Hinterindien (1884) großes Kolonialgebiet, sondern rundet auch
seinen afrikanischen Besitz (beginnend 1878 mit der Erwerbung von Tunis^
wodurch es Italien dem »Dreibund« in die Arme trieb) erheblich ab.
Es tat dies mit ausdrücklicher Bewilligung Deutschlands, damit es nicht
immer auf das »Vogesenloch starre«. Aber im allgemeinen verstand es
Frankreich nicht, seine kolonialen und kontinentalen Interessen (Revanche-
politik) richtig zu vereinigen. Es verzichtet aus Furcht, die gegen Deutsch-
land verwendbaren Kräfte zu schwächen, auf eine Intervention in
Ägypten (1881) und weicht im Jahre 1899 (Faschoda) endgültig vom
Indischen Ozean, der hiermit ein englisches Meer wurde. Dafür und für
den Verzicht auf Ägypten bekam es allerdings schon damals Marokko
zugesprochen.
Die Kolonialreiche.
53
Gefährlich drohte für England eine Zeitlang Rußland^ zu
werden, das sich durch seine Festsetzung in Turkestan Indien
bedenklich genähert hatte. Doch brachte der Krieg mit Japan eine
große Schwächung des Riesenreiches mit sich, und geniale englische Staats-
kunst lockte russische Wünsche und Ausdehnungsbestrebungen unter dem
Deckmantel des »Panslawismus« in die Richtung Konstantinopel — Balkan.
Als letztes Land erscheint um das Jahr 1884 Deutschland in der
Reihe derKolonialvölker.SeinVorgehen hängt mitdem Aufschwünge unseres
Vaterlandes seit dem Kriege 1870 und 7 1 zusammen. Spät traten wir auf den
= Übrige Kolonien • früheranderen Sfaafen gehörig
Alter — Neuer Jndienweg
16. Das englische Imperium.
Plan. Die aus dem ehemals spanisch -portugiesischen Kolonialbesitz er-
wachsenen Republiken waren von den Mächten als selbständige Staaten
anerkannt, und Afrikas wichtigste Punkte (namentlich die großen Ströme)
waren anderweitig besetzt, nachdem der Kongostaat »provisorisch«
Belgien zugesprochen war, da England und Frankreich sich nicht einigen
konnten. So fehlten unseren Kolonien nicht nur die Verbindung unter-
einander, sondern auch natürliche Verkehrswege, wie sie große
Flüsse darstellen, sowie endlich Etappenpunkte, welche Heimat und
Kolonien verbinden. Das Hauptgewicht legte Deutschland auf Afrika.
Von der bewaldeten, ungesunden Küste ausgehend, suchten wir uns mög-
lichst viel Fläche im gesunderen, dichter bevölkerten »Hinterlande« zu
sichern (dies tritt namentlich bei Togo und Kamerun gut in den Grenzen
hervor), wobei es mehrfach zu Auseinandersetzungen mit Frankreich und
0 Englands raffinierte Diplomatie erkannte dies sofort nach dem Sturz
Bismarcks und wußte Deutschland zu veranlassen, seinen Vertrag mit Ruß-
land zu lösen, womit die Schaukelpolitik der Wilhelminischen Ära begann,
die, verstärkt durch eine ungeschickte Diplomatie, uns mit der ganzen Welt
verfeindete.
54 VII. Der Mensch.
England kam. In Südwestafrika erwarben wir gutes Siedlungsland,
dessen Entwicklung (Diamanten!) auch der Hereroauf stand nicht hemmen
konnte. Eifrig wurde im letzten Jahrzehnt der Bau von Wegen und Eisen-
bahnen betrieben, auch Abrundungsbestrebungen machten sich be-
merkbar. Diese hingen mit der Marokkofrage zusammen, doch scheinen
auch Verhandlungen mit England zwecks Aufteilung des portugiesischen
Kolonialbesitzes geschwebt zu haben. Ein zweites aufblühendes Kolonial-
gebiet erwarben wir uns im Stillen Ozean.
Der Weltkrieg hat uns den Verlust unserer Kolonien gebracht, die
zwischen England und Frankreich (als »Mandatare des Völkerbundes«)
aufgeteilt wurden, dazu schuf sich England die Landbrücke zwischen
Indien und Ägypten über Südpersien und Arabien, wobei ihm Mesopo-
tamien als eines der größten Baumwolländer der Zukunft zufiel (Dominium
maris Jndici).
Eine Tabelle möge die Entwicklung der Kolonien erläutern:
Wachstum des Kolonialbesitzes (Mill. km^):
1600
1790
1870
1905
1914
1920
England
0,8
5,5
21,0
28,8
34,0
ca. 40
Frankreich
2,5
0,15
0,6
7,0
10,6
ca. 12
Rußland
10,5
12,0
16,5
16,8
16,9
16,9?
Deutschland
—
—
—
2,6
2,9
—
Portugal
4,5
8,0
1,9
2,2
2,1
2,1
Holland
1,1
2,2
1,8
2,0
2,1
2,1
Spanien
6,0
10,0
0,4
1,0
0,5
0,5
Das britische Kolonialreich hat heute über 400 Millionen Einwohner,
das russische (1914) 33, das französische annähernd 60 — Schwarze
Armee! — , das holländische 40, das belgische 15, das portugiesische bei-
nahe 10, Äußerlich steht England fester da als je und auf dem
Gipfel seiner Macht. Aber auch hier scheint die Entwicklung dafür zu
sorgen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Der Versuch
Englands, auch durch Raub der deutschen Seekabel den deutschen Kauf-
mann zu erdrosseln, hat zu einer gewaltigen Weiterentwicklung der Funken-
telegraphie geführt, in der namentlich Deutschland und Amerika mit Erfolg
bemüht sind, sich von der Londoner Weltzensur frei zu machen.
Politische Geographie.
Aus der großen Fülle der politischen Geographie seien in folgenden
Zeilen nur einige wenige wichtige Gesichtspunkte herausgegriffen, wo-
bei ich besondersauf Wegeners »Geographische Ursachen des Weltkrieges«
und Supans »Leitlinien der allgemeinen politischen Geographie« hinweise.
Auch die Ergebnisse eigener Arbeiten sind schon eingeflochten.
Staaten und Grenzen, 55
Staaten und Grenzen.
Wir können Großstaaten, Mittelstaaten und Kleinstaaten unter-
scheiden. Politisch bedeutungsvoll sind Pufferstaaten (Belgien, Luxem-
burg, Schweiz, Persien usw.), die vielfach absichtlich geschaffen wurden
(Belgien, Rheinbund). Wichtig sind für die politische Erdkunde die Grenzen.
Die ideale Grenze für jeden Staat ist die Kreislinie, von der die wirk-
lichen Grenzen naturgemäß stark abweichen. Wichtiger als die politische
Grenze mit ihren vielen Krümmungen ist im Kriegsfall die aus ihrer
Abrundung entstandene strategische Grenze (Verlauf der öster-
reichisch-italienischen Front). Als Grenzfaktor bezeichnet man die Zahl,
die angibt, um wieviel die strategische Grenze die ideale übertrifft. Be-
sonders ungünstig war diese Zahl für Deutschland, die Türkei und Öster-
reich-Ungarn, günstiger für Frankreich. Ein Land mit ausgedehnter See-
grenze steht in kontinentalen Kriegen günstig da, braucht aber zur Ver-
teidigung eine große Flotte. Es kann auch leichter Handel treiben, ist
aber nicht mehr Herr über seine Lage, wenn im Kriegsfall größere See-
mächte nicht nur seine Küstenstädte angreifen, sondern auch seinen Handel
blockieren (Italien, Griechenland, Norwegen, Portugal).
Im einzelnen unterscheiden wir natürliche und künstliche Grenzen.
Natürliche Grenzen sind vor allem das Meer und Gebirge, doch über-
wiegen bei den meisten Staaten künstliche Grenzen. Die Römer schützten
diese durch Grenzwälle (Limes, Hadrianswall, Trajanswälle in der Do-
brudscha), die Chinesen durch die große Mauer. Eine ähnliche Schutz-
vorrichtung ist die moderne Front mit ihren Schützengräben.
Flüsse sind immer Verkehrsadern natürlicher Landschaften und
daher nur Grenzen bei primitiven und in Entwicklung begriffenen poli-
tischen Gebilden (Rhein- und Donaugrenze des Römerreiches, Donau-
grenze der unentwickelten Balkan Staaten, Rheingrenze des napoleonischen
Frankreichs). Wirkliche Grenzen sind sie nur, wenn sie zugleich Nationali-
täten scheiden (untere Donau) ^).
Als Verdichtungspunkte der Bevölkerung sind die Siedlungen
in ihrer Lage vielfach von geographischen Faktoren abhängig.
Die Hafenstädte.
Die Küstenstädte liegen mit Vorliebe an der Mündung größerer
Flüsse, deren Gebiet sie wirtschaftlich beherrschen. Vielfach finden wir
sie am Ende des Fluttrichters (Hamburg, Bremen, London, Bordeaux,
Nantes) m'it einem zur See hingeschobenen Vorhafen (Cuxhaven, Graves-
end, Bremerhaven, St. Nazaire), der dann zumeist den Passagierverkehr
vermittelt, während der Frachtverkehr möglichst tief ins Land einzudringen
sucht. Bei großen, schlammreichen Strömen mit mehreren Mündungsarmen
liegt der Mündungshafen vielfach an einem Seitenarm, der weniger der
Versandungsgefahr ausgesetzt ist (Karatschi, Kalkutta, Schanghai, Rangun,
*) Einen Überblick gab ich in dem Aufsatz: Über Grenzen und ihre Ver-
änderungen« (Geogr. Anzeiger 1915 Augustheft), der auch Zahlenangaben ent-
hält. Man lasse die Schüler der Oberstufe, welche die Kreisrechnung beherrschen,
als Hausaufgabe (mit Messungen auf der Karte verbunden!) einige Grenzfaktoren
ausrechnen, sowie den Anteil der See an der Grenzlinie!
56 VII. Der Mensch.
Para, Kanton, Saigon, Marseille, Venedig, Livorno und Cadix). Auch Häfen
wie Barcelona, Malaga, Saloniki, Smyrna und Alexandria liegen aus dem-
selben Grunde abseits der Flußmündungen. Viele ehemals blühende Häfen,
wie Adria, Ravenna, Tarragona, Narbonne, Milet, Ephesus und Halikarnaß,
sind durch Versandung unbrauchbar geworden, wie auch die meisten
Häfen des alten Phönikiens.
Zahlreiche Häfen (Genua, Venedig, Triest, Tarent, Petersburg und
Wladiwostok) finden wir am Ende tiefer Meerbusen. Sie sinken in ihrer
Bedeutung, wenn diese zu Nebenmeeren werden (Venedig, Tarent, Korinth).
Vielfach sind infolge Fehlens geeigneter Flüsse Städte durch geschicht-
liche Faktoren wichtige Häfen geworden und stehen nur durch Eisen-
bahnen mit ihrem Hinterlande in Verbindung (Konstanza, Bombay, Port
Sudan, Beirut, Sydney, Rio, Pernambuko). Auch New York vermittelt als
Ausgangspunkt der großen amerikanischen Eisenbahnlinien einen großen
Teil des Handels, der eigentlich New Orleans zukäme (Versandung des
Mississippi) und Memel wurde durch Libau überholt.
Calais, Dover, Boulogne, Dünkirchen, Brindisi und Durazzo kann man
treffend als Übergangs- oder Fährhäfen bezeichnen. Konstantinopel
und Kopenhagen beherrschen die Ausgänge wichtiger Nebenmeere, die
zugleich von wichtigen Straßen des Landverkehrs (Eisenbahnfähren) ge-
kreuzt werden.
Eine besondere Rolle spielen Aden, Hongkong, Kapstadt, Gibraltar,
Kolombo und Singapore, als Hauptetappenorte des britischen Kolonial-
reiches glänzend gewählt.
Bei Kriegshäfen lassen sich zwei Fälle unterscheiden. Einmal liegen sie
an tiefen, gegen Versandung geschützten Buchten (Kiel, Wilhelmshaven,
Spezia, Pola, Portsmouth, Tarent, Kronstadt, Reval), bevorzugen dann
aber auch wieder Halbinseln, die weit in ein verkehrsreiches Meer hinein-
ragen (Ferrol, Coruna, Brest, Cherbourg, Plymouth, Toulon, Helder, Port
Arthur, Biserta und Singapore).
Bei den Handelshäfen neigt der sich steigernde Verkehr dazu, einige
wenige Riesenhäfen auf Kosten benachbarter zu vergrößern (New York,
London, Hamburg), also gewissermaßen einen Auslesevorgang zu treffen.
Hennig zählte 1910 21 Welthäfen auf, von denen allein acht auf das
britische Imperium fielen. Nach demselben Verfasser fielen 1908 beinahe
vier Fünftel des Weltverkehrs auf den Atlantischen Ozean, nur 20 Prozent
auf den Stillen Ozean und sechs auf den Indischen. Nach Erdteilen be-
rechnet fielen auf Europa 53, Amerika 18, Asien 17, Afrika 7 und Austra-
lien 5 Prozent
Die Lage der Binne.nstädite,
Die Binnenstädte liegen zumeist an den Flüssen. Bevorzugt werden
Stellen, wo größere Nebenflüsse münden, in Gebirgstälern solche, wo Neben-
tälcr münden und von denen Paßstraßen ausgehen (Städte Südtirols, Inns-
bruck). Früher waren Furten wichtig (Frankfurt, Schweinfurt, Oxford),
dazu aber auch Stellen, an denen der Fluß sich in zahlreiche Arme mit
Inseln auflöst. Beliebt sind Außenseiten von Flußkrümmungen, die weniger
der Versandung ausgesetzt sind (Köln, Düsseldorf, Ruhrort, Wien, Dresden),
Das Wachstum der Städte. 57
bei breiten Tälern auch die Ufer, die der Fluß unterspült (Hamburg, Ofen-
Pest). Bei verwilderten Flüssen liegen die Städte oft erst in einer größeren
Entfernung vom Strom (Straßburg, viele Weichselstädte usw.).
Einschnitte zwischen Gebirgen und Stellen, an denen aus Gebirgspässen
kommende Straßen einen Fluß kreuzen oder die See erreichen, sind eben-
falls von Siedlungen bevorzugt (Osnabrück, Minden, Bonn, Mainz, Frank-
furt, Wien, Bologna, Florenz, Turin, Mailand, Straßburg, Verona, Santander,
Malaga). Liegen Senken an Grenzen, so können größere Siedlungen fehlen
(Mährische Senke, Eisernes Tor) oder Zwillingsstädte auftreten (Mülhausen
und Beifort). Zwillingsstädte finden wir auch sonst an Grenzen (Frankfurt-
Offenbach, Gibraltar-La Linea, St. Sebastian-Bayonne, Kiachta-Maimatschin,
Mannheim-Ludwigshafen, Leipzig-Halle). Auch Wasserfälle wirken vielfach
städtebildend (Industrie und Umschlagverkehr). Beispiele sind St. Paul,
Jekaterinoslaw, Spokane, Niagara Falls, Rochester N.-J., Fallinienstädte.
Neuerdings wird jedoch die gewonnene elektrische Energie weit weggeleitet.
In einigen Fällen sind Doppelstädte aus den Religionskämpfen des Mittel-
alters zu erklären (Nürnberg-Fürth, Köln-Mülheim).
Städte, die nach geschichtlichen Persönlichkeiten genannt sind, lassen
vielfach noch die Zeit ihrer Gründung erkennen (Wilhelmshaven, Ludwigs-
hafen, Karlsruhe, Franzensbad, Franzensfeste, Nikolajew, St. Petersburg,
Jekaterinenburg, Jekaterinoslaw, Victoria, Sydney, Adrianopel, Charleston,
St. Louis, Port Elizabet, Barcelona, Mahou, Zaragoza = Cäsarea Augusta,
Orleans = Aureliansstadt), Kolonialstädte auch das kolonisierende Land
(Sagunt = Zakynthos, Carthagena, Agde = Agathe, Nizza = Nicaea, Monako
= Monoikos, Antibes= Antipolis, Messina = Messenierstadt, die Griechen-
städte Süditaliens, die Römerstädte außerhalb Italiens, die Städte der Neuen
Welt). Eine Fülle von Belehrung liegt in den Ortsnamen, an die mit
gleichem Erfolge der geschichtliche und sprachliche Unterricht anknüpfen
können und müssen!^)
Neben geographischen Ursachen sind aber auch geschichtliche,
vor allem der Ausbau der Straßen und Eisenbahnen von Einfluß auf die
Weiterentwicklung besonders solcher Siedlungen, die größere natürliche
Verkehrswege entbehren (Halle, Leipzig, Nürnberg, Mailand, Moskau,
München). Als Knotenpunkte des Landverkehrs überflügelten Stuttgart
Eßlingen, Frankfurt Mainz, Eine besondere Rolle spielen die Oasen-
städte Asiens und Nordafrikas.
Das Wachstum der Städte.
In jeder Stadt unterscheiden wir den meist rundlichen Kern und die
neueren Stadtteile, die in vielen Fällen weit über die Stadtgrenzen wachsen
und Eingemeindungen nötig machen. Neuerdings wachsen aber auch im Um-
kreis der Städte (teuere Bodenpreise im Stadtkern) zahlreiche Dörfer durch
Anlage von Fabriken, Villenkolonien und Verschiebebahnhöfen stark an und
bilden das wirtschaftliche Weichbild der Stadt, das wir mit berücksich-
tigen müssen, um die wirkliche Bedeutung der Siedlungen erfassen zu
können, Namen wie Groß-Berlin, Groß-London usw. sind so erklärlich.
1) Vgl. hierzu die feinsinnige Studie von Prof. Dr. Karl Olbrich über »die
Konzentrationsmöglichkeiten usw.« (Breslau 1913, Trewendt Grannier).
58 VII. Der Mensch.
Alle geographischen Arbeiten sollten sich endlich daran gewöhnen, bei
den Einvvohnerangaben immer die mit den Städten zusammengewachsenen
Vororte einzurechnen und zum Vergleich etwa das Wachstum der letzten
40 Jahre in Prozent beizusetzen (da wir erst hieran die Bedeutung und die
Entwicklungsmöglichkeiten von Siedlungen erkennen), oder die Einwohner-
zahl, etwa von 1871, dahinter einzuklammern 0.
Das Wachstum und die Entwicklung der Heimatstadt muß jede Schule
ihren Schülern an Hand verschieden alter Pläne vorführen können, und
die Erklärung der Straßennamen gibt manchmal bedeutsame Auf-
schlüsse. Überhaupt empfiehlt es sich, bei siedlungsgeographischen Fragen
17. Städtebildung 1910 (Zahlen im Text).
möglichst viel an die Heimatstadt und benachbarte Siedlungen anzuknüpfen
und hierbei auch auf das architektonische Aussehen der Städte hinzuweisen,
was wiederum Anknüpfungspunkte zu der Kunstgeschichte bietet.
Bei solcher Behandlungsweise erscheint die Siedlungskunde von über-
raschender Reichhaltigkeit und Anwendungsfähigkeit und erweckt dazu in
hohem Grade Liebe und Verständnis für die Heimat, damit nicht wenig
zur Volksgesundung beitragend.
Städte als Kultur'messer.
Das Jahr 1914 bezeichnet zweifellos einen der Wendepunkte geschicht-
licher Entwicklung, indem der Welthandel eine ungeahnte Höhe erreicht
hatte und auch die Industrialisierung in dem starken Anwachsen der Städte
ihren beredten Ausdruck fand. Gerade in der Städtcbildung kommt der
eigenartige Häufungstrieb des menschlichen Geschlechtes am besten zum
Ausdruck, so daß wir in ihr einen wichtigen Gradmesser für die Vervoll-
kommnung der Kultur erblicken können. Es liegt nahe, dies auch zahlen-
gemäß und kartographisch zum Ausdruck zu bringen.
*) Dies Prinzip wird jetzt in den neuen Ausgaben des Seydiitz durchgeführt.
Städte als Kulturmesser. 59
Berechnen wir den Prozentsatz, den die Städte von mehr als 30000 Ein-
wohnern an der Gesamtbevölkerung der Einzelländer ausmachen, und
nehmen wir als Fixpunkt das Jahr 1910, in dem die letzte allgemeine Volks-
zählung in größeren Gebieten der Erde stattfand, so erhalten wir folgendes
Bild (vgl. Karte), wenn wir den Prozentsatz der Stadtbevölkerung Stadt-
faktor nennen 0.
Fast städtelos (von Handelsemporien wie Singapur, Bangkok, Para,
Palembang usw. abgesehen) sind das tropische Indonesien, das tropische
Afrika und das Innere Südamerikas, Zonen, die wir als Gebiet der
Stammeskultur bezeichnen können, wo der Europäer nur inselartig
in den großen Plantagen siedelt. Städteinseln bilden hier die Insel Java
(1,7 °/o) und die »Stadtdörfer« des Sudan, über deren Größe sichere Zahlen
fehlen (schätzungsweise 4°lo der Bevölkerung wohnen in diesen »Städten«).
Auch in Vorderindien steigt der Stadtfaktor nur auf 3,5 °/o (Ceylon mit
seinen Hafenstädten Q^/o), was durchaus dem kulturellen Bilde der von
wenigen Europäern ausgepreßten, wenig kultivierten Eingeborenenbevölke-
rung entspricht. Im tropischen Amerika finden wir jedoch an den Küsten
höher entwickelte Gebiete mit durchschnittlich 7%, die in den gesunden
Hochlandsgebieten von Mexiko und Südbrasilien auf 9 und sogar H^/o
steigen. Eine ähnliche Höhe zeigen die Philippinen mit S^/e.
Erst jenseits der Tropen zone, wo die Temperaturschwankungen
größer werden und anreizend auf die Arbeitskraft wirken, setzt in größerem
Umfange die Städtebildung ein. Fast der ganze Orient hat einen Stadt-
faktor von etwa lO^'/o, der als Altkultur bezeichnet sei, da er seit Jahr-
hunderten sich auf derselben Höhe zu halten scheint. Die stärkere Arbeits-
lust äußert sich in der hochentwickelten Hausindustrie, die auch für
China (9 %) und Korea bezeichnend ist, während das industrielle Japan es
auf 16"^/o bringt, was auch in seiner Großindustrie zum Ausdruck kommt.
Im ganzen Süden der Vereinigten Staaten mit seiner eigenartigen Ver-
mischung von Plantagenkultur und Großindustrie finden wir ebenfalls
10^12 °/o, ähnliche Zahlen weist Südosteuropa (Ungarn, Balkanstaaten) auf.
Nur auf 8,5 °/o bringt es Osteuropa (einschließlich Galizien, aber ohne Finn-
land, die Ostseeprovinzen und Polen!). Mit seiner eigenartigen Mischung
eines tiefstehenden Bauernstandes, der in großen, verkommenen Dörfern
siedelt, und mit inselartig eingesprengter Großindustrie, erinnert es an Indien.
Als Vollkulturgebiete bezeichnen wir die Landstriche, in denen die
Großindustrie sich in größerem Umfange einstellt und der Stadtfaktor
auf mehr als 1 5 °/o steigt. Solche Gebiete sind der ganze Westen Europas
(Österreich 23, Italien 16, Dänemark 28, Skandinavien 20, Polen 19,
baltisches Gebiet 28, Spanien und Portugal 15, Frankreich 23), das Amur-
gebiet mit der Insel Jesso (27 °/o), das Seengebiet der Vereinigten Staaten
und Kanada (23 »/o), Chile (26 "/o), Transvaal (29°/o), Queensland (28^/0)
und die Schweiz (200/0).
Am höchsten stehen die Gebiete mit überwiegender Schwerindustrie
(Eisen und Kohle), die ich als Hochkultur bezeichnet habe.
^) Die folgenden Zeilen sind ein Auszug aus einer größeren noch nicht
druckfertig vorliegenden Abhandlung.
60
VII. Der Mensch.
In Europa sind das England (51 "/o, Irland hat trotz seiner günstigen
Lagenur21°/o), Deutschland (35 «/o), Belgien (30 »/o) und Holland (36 ^/o),
in Amerika die Pazifischen Staaten (41 "/o) und das Neuenglandgebiet, wo
die Stadtkultur mit 6 P/o ihren Höhepunkt erreicht.
Merkwürdig ist auch der hohe Stadtfaktor im La Platagebiet (33 "/o), im
Süden des Australkontinentes (45%) und in Neuseeland 30*^/0, in denen
sich der Häufungstrieb der Mutterländer vererbt zu haben scheint (diese
Gebiete haben Großindustrie, aber keine Schwerindustrie!).
Vom anthropologisch rassenkundlichen Standpunkt ist beachtenswert, daß
im Durchschnitt der Stadtfaktor der Mongolen 8"/o ist, der Slawen 10%
(Tschechen allein 12'*/o), der Romanen 2\°lo, der Germanen 40''/o (um
1800 hatten die Slawen 5^/0, Romanen 13 und Germanen 15, ein deut-
licher Fingerzeig für die kulturellen Unterschiede in der Entwicklungs-
fähigkeit!) beträgt. Aus diesen Zahlen ergibt sich auch der Verlauf der
Optimalen, deren Bedeutung ich schon würdigte. Man vergesse aber
nicht, daß in diesen Zahlen nur die äußere Seite der Kultur — bzw.
die Zivilisation? — zum Ausdruck kommt.
"■^^KonlinpnfdlkurvG
N 60
50 40 30 20 10 0 10 20 30 40 5
18. Kurve der Großstädte; jedes mm eine Großstadt.
Die Großstädte.
Daß die Großstädte hauptsächlich eine Erscheinung der gemäßigten Zone
sind, zeigt die abgebildete Kurve, in der jedes Millimeter einer Großstadt ent-
spricht und zum Vergleich die Flächenkurve der Landmassen (Kontinental-
kurve) eingezeichnet ist. Innerhalb der Wendekreise finden wir eine Groß-
stadthäufung nur in Monsunasien mit seinem abwechslungsreichen Klima.
Als höhere Stufe der Großstädte erscheinen die Millionenstädte, von
denen nur Kalkutta (l 225 000 Einwohner), Rio de Janeiro (1 000000) und
Bombay (980000) innerhalb der Wendekreise liegen (1910), außerhalb
Rückblick. 61
hingegen London (6500000), New York (6200000), Paris (4 100000),
Berlin (3 500 000), Chicago (2 400 000), Tokio (2 200 000), Wien (2 030 000),
Petersburg (1900 000), Philadelphia (1 700 000), Moskau (1 600 000),
Hankau (l 500000), Buenos Aires (1 500000), Osaka (1 200000), Konstanti-
nopel (1200 000), Boston (l 100 000), Hamburg (1 100 000), Liverpool
(1050000) und Budapest, Birmingham, Manchester, Warschau, Glasgow,
Siangtau und Singan (je 1000000).
Als Weltstädte bezeichnet man die Städte mit mehr als zwei Millionen
Einwohnern. Sie liegen bemerkenswerterweise alle auf der nördlichen
Optimale oder in ihrer Nähe (alle Zahlen für 1 Q 1 0 einschließlich der Vororte!).
Die während des Weltkrieges stattgefundenen Veränderungen
lassen sich noch nicht statistisch greifen. Die europäischen
Millionenstädte scheinen mit Ausnahme von Wien (1840000), Moskau
und Petersburg (1000000 bzw. 600000) ungefähr ihre Einwohnerzahl
behalten zu haben, während Madrid die Million erreicht haben soll. Die
amerikanischen Städte sind dagegen stark gewachsen. New York ist die
größte Stadt der Erde geworden (7 500000), auch Chicago scheint auf
3000000, Buenos Aires auf 1900000, Rio de Janeiro auf 1200000 an-
gewachsen zu sein. Eine gewaltige Entwicklung setzt in China ein, wo
Hankau auf 2000000, Schanghai auf 1000000 angewachsen ist.
Rückblick.
Aber auch Europa wird dank der bevorzugten Stellung, die es in
der Entwicklung der Lebewelt einnimmt, die Rückschläge, die es
durch den Weltkrieg und die ihm folgenden Zeiten des Niederganges er-
litten hat und noch erleiden wird, ebenso überwinden, wie die Zeit der
Völkerwanderung, der mongolischen mittelalterlichen Heimsuchungen und
des Dreißigjährigen Krieges.
Die Gefahr einer Übervölkerung der Erde scheint noch nicht
vorhanden und nicht Ursache des Weltkrieges gewesen zu sein, wenn wir
erwägen, daß gewaltige Landflächen der künstlichen Bewässerung 0 noch
harren und selbst in Ländern wie Rußland der Ertrag des Ackerbaues noch
nicht die Hälfte des deutschen betrug. Aus diesem Grunde sind auch Be-
trachtungen über das »Altern« der Menschheit heute noch bodenlose
Spekulationen, wenngleich der Weltkrieg und seine Folgezeit gelehrt hat,
daß Völker wie das französische zweifellos ihrem Niedergang entgegen-
gehen, der durch noch so starke Negerarmeen nicht aufgehalten werden
kann. Aber das ist noch kein »Untergang des Abendlandes«.
0 Durch sie werden nicht nur Ackerflächen, sondern auch Weideland er-
schlossen, das wiederum eine Steigerung der Viehzahl ermöglicht.
VIII. Aufgaben der Länderkunde.
Wesen und Inhalt.
Im Gegensatz zur allgemeinen Geographie beschäftigt sich die Länder-
kunde mit der Beschreibung der einzelnen Landschaften.
Verstand man hierunter früher ein mechanisches Zusammentragen von
allgemeinen Ortsangaben, topographischen Verhältnissen, statistischen An-
gaben mit eingestreuten geschichtlichen Notizen und einer Aufzählung
sogenannter Merkwürdigkeiten, so hat sich die moderne Länderkunde
weit über diese primitive Stufe erhoben. Sie ist kausal geworden, das
heißt, sie versucht das wirtschaftliche und staatliche Leben eines Landes
durch seine Oberflächenformen, sein Klima und die dadurch bedingten
Erscheinungen der Biosphäre (Pflanzenwelt, Tierwelt und Mensch) zu be-
gründen. Schon um nicht Kenntnisse, sondern Erkentnisse zu vermittteln,
muß unbedingt auf die Gesetzmäßigkeit in der Anordnung der
Oberflächenformen und auf ihre Entstehung hingewiesen werden, was
aber — wie ich in den folgenden Kapiteln zu zeigen versuchen werde —
fast ohne jeden geologischen Aufwand geschehen kann. Man könnte die
Stellung der Geologie im erdkundlichen Unterricht etwa mit der der
Sprachgeschichte im sprachlichen vergleichen. Wichtiger als die Geologie
ist die Morphologie, d. h. die Beschreibung der Formen, da diese maß-
gebend für Klima und Lebewelt sind.
Jede Länderkunde beginntmiteinerBeschreibung der Oberflächen-
formen, die aber nie in eine mechanische Topographie ausarten darf,
da sie dann keinerlei Bildungswerte vermittelt. Es folgen das
Klima mit seinem Einfluß auf die Pflanzendecke und die Besied-
lung, sowie ein Überblick über das Wirtschaftsleben. Die politischen
Verhältnisse werden bei der Besiedlung entwickelt, können aber auch
in einen kurzen geschichtlichen Abriß verwoben werden. Von diesem
bei einer länderkundlichen Betrachtung üblichen Schema soll man sich
aber freimachen, wenn es dadurch gelingt, die großen Zusammenhänge
besser und anschaulicher herauszuarbeiten. Von dieser Freiheit habe ich
in den folgenden Abschnitten vielfach Gebrauch gemacht.
Die gegebenen Einheiten für die Betrachtung sind naturgemäß die
großen Erdteile Europa — Asien (Eurasien), Australien, Afrika, Amerika
mit Grönland und die Antarktika. Diese Erdteile gliedert man dann in
natürliche Unterabteilungen, in deren Namen entweder die Lage (Süd-
europa, Ostasien, Zentralasien), oder Klima, Oberflächenbau und Pflanzen-
decke (Äquatorial -Afrika, Kordillierenländer), endlich aber auch wirt-
schaftliche Eigenart (Plantagengebiet, Präriengebiet, Sudan) zum Ausdruck
kommen. Diese Unterabteilungen der großen (Kontinentalblöcke!) Erd-
teile als künstliche, selbständige Erdteile mit Namen wie Mongolia,
Nigritia, Andina, Kordillieria aufzufassen, halte ich für überflüssig und
bei der Unschönheit der Namcngebung auch im Interesse des Sprach-
gefühles der Schüler nicht einmal für wünschenswert')-
') Banse in seiner sonst inhaltreichen Länderkunde,
Stoffeinteilung. 63
Stoffeinteilung.
Üblicherweise wird die Länderkunde in drei aufeinanderfolgenden
Kursen behandelt. Deren erster umfaßt Deutschland; im zweiten folgt
Europa, im dritten, viel zu kurzen (wie sollen z. B. auf dem Gymnasium
bei einer Wochenstunde — noch 1920! — alle außereuropäischen Erdteile
auch nur einigermaßen erschöpfend behandelt werden, wenn dazu der
Lehrplan die Betrachtung der deutschen Kolonien verlangt?) Außereuropa.
Für viel richtiger würde ich es halten, Deutschland mit Mitteleuropa im
ersten Kursus zu behandeln, das übrige Europa nebst einem Überblick
der kolonialen Entwicklung im zweiten Kursus, die außereuropäischen
Erdteile im dritten Kursus. In den höheren Schulen müßten dann diese
Kurse in den Klassen Illa, IIb und IIa vertieft werden, während die Prima
als Abschluß »Einige Kapitel aus der allgemeinen Erdkunde« zu behandeln
hätte, die dann sowohl an den geschichtlichen (Kolonien- und Staaten-
kunde, Weltverkehr), als auch an den chemischen (Wirtschaftsgeographie
mit »Warenkunde«, Vulkanismus, Gebirgsbildung), den physikalischen
(Erde als Weltkörper, Klimazonen, Wind und Wetter) und endlich an
den biologischen Unterricht (Kausale Pflanzen- und Tiergeographie,
Menschenrassen, Weltmeere) anknüpfen könnten. Ja nicht aber versuche
man den Schülern das ganze Riesengebiet der allgemeinen Erdkunde
»enzyklopädisch« vor Augen zu führen. Eine solche Darstellung könnte
nur oberflächlich sein, vielmehr beherzige man das schöne Wort Goethes:
»Eins recht wissen und können, gibt höhere Bildung
als Halbheit in Hundertfältigem.«
Die Erdteile bespricht man am besten in der Reihenfolge Asien, Australien,
Afrika, Amerika und Antarktika. Wie man innerhalb dieser die Einzel-
landschaften folgen läßt, ist lediglich eine Frage der Persönlichkeit; nur
bei Asien empfiehlt es sich, die Randlandschaften erst an die Behandlung
Zentralasiens anzuschließen. Das Material an Zahlen und Namen
(Memorierstoff!) beschränke man nach Möglichkeit; noch manche Schul-
geographien verlangen zu viel. Kürzung des Stoffes und innerliche
Durchdringung sei die Losung. Denn wir wollen kein Kennen, sondern
Können, kein Wortwissen, sondern Sachwissen. Nie lasse man die großen
Assoziationsmöglichkeiten gerade der Erdkunde außer acht und knüpfe
durch Vergleiche immer an schon bekannte Dinge (immanente Wieder-
holung), oder benachbarte Fächer (kollegiale Konzentration) an. Da Zahlen
nur durch Vergleiche und Veranschaulichungen Wert bekommen,
lasse man die Schüler lieber Diagramme und Vergleiche (z. B. der Kohlen-
förderung) zeichnen, anstatt sie mechanisch Bekanntes kopieren zu lassen ;
dabei erstrebe man eine möglichste »Gleichzeitigkeit« des Zahlenmaterials.
Derartige im gleichen Maßstabe gehaltene Diagramme und einige Skizzen
wirtschaftsgeographischer Verhältnisse sind mehrfach in den Text ein-
gestreut. Im Unterricht empfiehlt es sich, diese farbig anlegen zu lassen.
IX. Europa im allgemeinen.
Überblick.
Europa ist zwar der Fläche nach der zweitkleinste Erdteil, steht aber
kulturell hoch über den anderen, deren Länder zum größten Teile im
Besitz europäischer Mächte sind. Einem nach Westen spitz zulaufenden
Dreieck vergleichbar, schiebt es sich zwischen den Atlantischen Ozean
und das Mittelmeer, nur im Osten in Asien übergehend. Aber auch hier
bilden Ural, Kaspisches Meer und Kaukasus Grenzen von nicht zu ver-
kennender Deutlichkeit, so daß die Versuche, Rußland Asien zuzuweisen,
überaus gekünstelt erscheinen. Beachtenswert ist jedoch der von Supan
gemachte Vorschlag, Europa als Halbinsel Asiens (Eurasien) aufzufassen
und es zu diesem in ein ähnliches Verhältnis zu setzen, wie Indien und
Ostasien. Das Wort »Europäische Halbinsel« gibt diese Auffassung wieder;
ebenso der Name »Atlantisches Asien«.
Unschwer läßt sich Europa in einen von Faltengebirgen durchzogenen
Süden, einen Osten mit überwiegendem Tafelland und einen Westen
gliedern, der zumeist aus Schollenländern besteht, zwischen die mehrfach
das Meer gedrungen ist. Klimatisch kommt diese Dreiteilung ebenfalls
zum Ausdruck, indem im Osten gegensatzreiches Kontinentalklima vor-
herrscht, im Süden das sommertrockene Mittelmeerklima, im Westen das
durch den Einfluß des Golfstroms gemilderte Seeklima mit kühlen Sommern,
aber warmen Wintern. Völkisch ist Osteuropa das Gebiet der Slawen,
Südeuropa die Heimat der Romanen, während in Westeuropa der Germane
siedelt. Aber im einzelnen finden wir zahlreiche Abweichungen, und
durch die im Westen noch vorhandene keltische Urbevölkerung und die
aus Osten tief eingedrungenen Mongolen (Finnen, Lappen, Magyaren) wird
das Bild noch bunter, zudem diese drei Landschaften sich nicht scharf
gegeneinander abheben, sondern allmählich ineinander übergehen, so daß
man mit Recht die Mitte des Erdteils als Mitteleuropa ausscheidet.
Gliederung.
So gliedern wir Europa in Mitteleuropa, Südeuropa, Osteuropa
und Westeuropa, welches ich lieber als Atlantisches Europa be-
zeichnen möchte, um seine Beeinflussung durch dieses Meer anzudeuten.
Aber auch die zu Nord- und Ostsee sich entwässernden Teile Mitteleuropas
zeigen diese Abhängigkeit vom Atlantischen Ozean, während das Donau-
gebiet schon nach Osten schaut. Nicht zuletzt beruht auf diesen geo-
graphischen Ursachen die politische Zweiteilung Mitteleuropas in das
mehr auf den Seehandel angewiesene Deutschland und das kontinental
dem Orient zugewandte Österreich -Ungarn. Auch wurzelt es in geo-
graphischen Ursachen, daß ein breiter Gürtel von Übergangslandschaften
mit wechsclrcicher politischer Gestaltung Mitteleuropa umlagert, wobei
je nach dem Kräfteverhältnis, das zwischen Mitteleuropa und seinen Nachbar-
staaten herrscht, auch die politische Zugehörigkeit dieser neuerdings treffend
als »Grenzmarken« bezeichneten Übergangslandschaften wechselt.
Im Altertum lag der wirtschaftliche Schwerpunkt Europas im Mittelmeer-
gebiet, das seine höchste Blüte im Römerreiche erlebte, dessen Umrisse
Allgemeines.
65
sich noch heute in der Verbreitung der romanischen Völker widerspiegeln.
Im Osten sind sie zwar durch jüngere slawische Wanderungen verwischt,
aber in Namen wie Rumelien, Hadrianopolis (Adrianopel) und Konstanti-
nopel, welche die Lücke zwischen dem geschlossenen Verbreitungsgebiet
der Romanen und den Rumänen ausfüllen, leben sie fort.
Heute hat sich der Schwerpunkt Europas zweifellos nach Nordwesten
verschoben, während der Osten durch seine Großräumigkeit und die
mangelnde Berührung mit der See gekennzeichnet ist. War das europäische
Wirtschaftsleben vor dem Weltkriege zumeist durch die Großmächte
beherrscht, so sind als Folgeerscheinung desselben die »Neutralen« zu
großer Blüte gelangt und gleichen Ruhepunkten zwischen schwankendem
Boden, der besonders unruhig im halbasiatischen Osten ist. Dieser macht
jetzt ähnliche Zustände durch wie zur Zeit der Tatarenherrschaft.
X. Mitteleuropa.
Allgemeines.
Eine 1,65 Millionen km- große Ländermasse, im Westen begrenzt
durch die Artoishöhen, die Argonnen, die Sichelberge und den
Schweizer Jura gegen das Kerngebiet Frankreichs. Die Südgrenze folgt
der Sprachgrenze zwi-
schen Deutschen und Ita-
lienern, die sich im Wes-
ten teilweise mit dem
Alpenkamm, im Osten
mit den Berggruppen der
Ortleralpen, der Marmo-
lata, den Karawanken und
Karnischen Alpen deckt.
Weiterhin scheidet sie in
der Draulinie Deutsche
und Magyaren gegen die
Südslawen undfindetihre
Fortsetzung in dem Kar-
pathenkamm, dem sie et-
wa bis Czernowitz folgt,
um von hier in gerader
Linie über die Rokitno-
sümpfe und den Urwald
von Bialowics bis an den
Peipussee zu verlaufen. Das ist eine im Gelände wenig hervortretende
Linie, die aber völkisch hochbedeutsam ist, da sie die großrussische, grie-
chisch-orthodoxe Welt westlich begrenzt (die große Scheide der Karte!).
Innerhalb dieser Grenzen wohnen 165 Millionen Menschen, von denen
etwa 75 Millionen Deutsche (einschließlich der Schweizer, aber ohne die
10 Millionen Holländer und Flamen), 15 Millionen Polen, 10 Millionen
Ulbricht, Der erdkundliche Lehrstoff. 5
'i" Nadelwald
Die grosse Scheide!
19. Die Städtedichte Europas.
66 X. Mitteleuropa.
Mag>'aren sind, während der Rest auf Slawen, Rumänen und Franzosen
fällt. Mitteleuropa ist also das Bollwerk des Deutschtums, von dem aus
schon in vorgeschichtlichen Zeiten das Germanentum seine Wanderungen
angetreten hat, um alte morsche Rassen zu verjüngen. Obwohl heute
nur sein Kerngebiet wirklich deutsch ist, zeigen auch die übrigen Teile
Mitteleuropas mehr oder weniger Einflüsse deutscher Kultur vom Flamen-
strand bei Dünkirchen bis zu den Burgen Siebenbürgens und der deut-
schen Hochschule in Czernowitz, vom Schweizerland bis an die estnische
Felsküste, auf der Burg und Dom von Reval thronen. Politisch jedoch hat
Deutschland Mitteleuropa nie ganz zu erfüllen vermocht; den Osten über-
fluteten nach dem Abzüge der Germanen während der Völkerwanderung
die Slawen bis an die Posensche Seenplatte, der Westen wurde allmählich
romanisiert, den böhmischen Kessel besiedelten die Tschechen, und in
Ungarns Pußten blieben die letzten Reste der mittelalterlichen Mongolen-
invasion in den Magyaren zurück, während um das Siebenbürger Deutsch-
tum die Rumänen sich ausbreiteten.
Ungünstige Verhältnisse verhinderten aber auch die politische Einigung
des Deutschtums. Die Dreiheit: norddeutsches Flachland mit Entwässerung
zu Ost- und Nordsee, mitteldeutsches Bergland mit seinen zahlreichen,
durch Gebirge abgetrennten Senken und Alpenvorland (oberdeutsch-öster-
reichische Hochebene) von der Donau nach Südost entwässert, zeichnet
der geschichtlichen Entwicklung die Leitlinien vor, wobei nur das Rhein-
tal als einigendes Element wirkt. Der Flachlandstaat Preußen
und Bayern-Österreich sind die Pole deutscher Geschichte; zwischen
ihnen pendelt Mitteldeutschlands Kleinstaaterei, ein getreues Abbild der
Oberflächenformen. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß das Rhein-
gebiet in Zeiten politischer Schwäche unter den Einfluß des Franzosen-
tums geriet und als Pufferstaaten hier kleinere Grenzgebiete abbröckelten,
die Ratzel treffend mit den herabgestürzten Zinnen einer mittelalterlichen
Burg vergleicht. Österreich umgekehrt wies der Donauweg nach Ungarn,
dessen Getreideernten ihm eine willkommene Gabe waren, und so ent-
stand hier die Österreich-ungarische Monarchie — treffend Donaumonarchie
genannt — , in der Deutsche und Magyaren kleinere Völker beherrschten,
während Bayern zwar durch den Main Verbindung zum übrigen Deutsch-
land hat, aber noch immer ein Herd separatistischer Züge blieb.
Ausgezeichnet durch eine Überfülle an Eisenerzen, Kohle und sonstigen
Bodenschätzen, zentral gelegen ein Brennpunkt des europäischen Verkehrs,
entwickelte sich Mitteleuropa zu der großen wirtschaftlichen Höhe der
Vorkriegszeit unter der Führung des Deutschtums. Drei starke Großmächte,
Deutschland, die Donaumonarchie und Rußland, hielten die unruhigen
kleineren Völker im Zaume, vor allem den Polen.
Der Weltkrieg hat dieses Gleichgewicht gestört und das
Wirtschaftsleben zertrümmert. Der Oberste Rat schuf zwar den
Tschechen und Idolen ihre lang ersehnten > Nationalstaaten «, rundete diese
aber überall durch fremde Nationalitäten ab und verhinderte trotz der
Parole des Selbstbestimmungsrechtes der Völker vor allem den Anschluß
Österreichs an die Reichsdeutschen. Es umfaßt der neuzubegründende
Polenstaat unter 30 Millionen über 15 Millionen Nichtpolen, Tschechien
Das Alpengebiet.
67
üpufsche unfer Fremdherrschaft
0?ufsche freiwillig losgelbst
Jrredenfen nirhtdeutscher
Sfamme
II Deufschinseln
o Dputschp
Kulfursföttpn
imOsfen
unter 12 Millionen ebenfalls beinahe die Hälfte, da die Slowaken schon
jetzt wirtschaftlich wieder zu Ungarn streben. Dazu kommen die gewalt-
sam von Ungarn abgelösten Teile der Magyaren um Theresiopel und
in Siebenbürgen.
So bildet augenblicklich der nicht reichsdeutsche Osten Mitteleuropas
ein Gebiet von etwa 70 Millionen Menschen, von denen annähernd
30 Irredentisten sind, die, vom eigenen Volkstum losgelöst, dieses doch
nicht vergessen werden. Verhältnisse, die denen des Balkans gleichen,
sind damit erreicht^). Polen und Tschechien, die Staaten von »Entente-
Gnaden«, sind am reichsten an volks-
fremden Splittern und halten diese nur
mit Unterstützung der Entente fest. Was
aber, wenn diese Unterstützung einmal
ausbleiben sollte? Werden dann nicht
die auf der Karte schraffierten Gebiete
zu lodernden Feuerbränden werden,
wenn eine wirkliche »Freiheit« er-
wächst? Deutschland wird wieder
hochkommen, das lehrt nicht nur die
Geschichte, sondern auch die Vorge-
schichte und die Verbreitung des Men-
schentums über die Erde. Erscheint
da doch Mitteleuropa und vor allem
seine nördliche Hälfte als das große
geheimnisvolle Zentrum, in dem nicht
nur die Menschheit entstand, sondern
auch die höheren Rassen und Kulturen, um das sich, wellenartig sich ab-
stufend, immer tiefere Menschheitsstufen legen bis herab zu den primitivsten
Kulturen Australiens und Südafrikas. Unendlich befruchtend hat immer
deutscher Fleiß und deutsches Wissen gewirkt von dem Reformationswerk
Luthers bis zu den Wundern der chemischen Großindustrie der Gegenwart.
Mitteleuropa in weiterem Umfange ist also kein politischer, sondern
ein geographischer Begriff. Innerhalb seiner weitgesteckten Grenzen
können wir ein Mitteleuropa in engerem Sinne abgrenzen, ein Gebiet, in
dem das Deutschtum noch heute das Landschaftsbild und das
Aussehen der Städte beherrscht, auch da, wo es politisch anderen Völ-
kern Untertan wurde. Dieses engere Mitteleuropa umfaßt das Deutsche
Reich in seinem ehemaligen Umfange, das Böhmerland mit der March-
senke und das deutsche Alpenland einschließlich der Schweiz und ist im
Südosten durch die Alpen-Karpathenlinie gut begrenzt. Was jenseits dieser
Gebiete hegt, sei als Grenzmarken bezeichnet, abgesehen von Ungarns
Kesselland.
Das Alpengebiet.
Es ist nicht schwer, Mitteleuropa in natürliche Landschaften einzuteilen.
Als erste finden wir das Alpengebiet, zu zwei Fünftel bewaldet, zu
einem Drittel von Grasmatten eingenommen, während sich der Rest
20. Die Balkanisierung Mitteleuropas
durch den Frieden von Versailles.
*) Darum spreche ich von einer Balkanisierung Mitteleuropas.
68 X. Mitteleuropa.
gleichmäßig auf Hochgebirge und Kulturland verteilt. Die westlichen
Alpen sind politisch an die Schweiz angeschlossen, zu der ihre Täler
sich öffnen (24000 km- mit 1 V4 Millionen Einwohnern, die sich dank
der Seen und der prächtigen Gebirge zumeist von Fremdenindustrie
nähren), während der Osten Deutsch-Österreich bildet, dessen Alpen-
anteil etwa 50000 km- mit 2 Millionen Einwohnern umfaßt. Hier be-
herrschen die Täler das politische Bild; jedes wird zum Kern eines Kron-
landes, so das Inntal zu Tirol, das Murtal zur Steiermark, das Salzachtal
zu Salzburg und das Drautal zu Kärnten. Die bequem zugänglichen
Pässe des Arlbergs und Brenners erweitern dann Tirol um südlich und
östlich gelegene Talgebiete (Südtirol und Vorarlberg). Neben Wald- und
Vi eh Wirtschaft sind gerade die österreichischen Alpen reich an Eisenerzen,
die eine große Industrie bedingen, während die durch die Flußtäler an
Bayern (vgl. Schweiz) angeschlossenen nördlichen Randzonen der Kalk-
alpen auch einen großen Salzreichtum besitzen. Als einzige Großstadt
entwickelte sich Graz (190000 Einwohner).
Die deutschen Mittelgebirge.
Zwischen den Alpen und dem Flachlande erstrecken sich die deutschen
Mittelgebirge, zumeist flachlagernde Sandstein- und Kalktafeln, die nur
in dem schmalen Streifen zwischen dem Teutoburger Wald und dem nörd-
lichen Harzvorlande gefaltet sind. Im Main-Neckargebiet sind sie zu Schicht-
stufengebirgen herausmodelliert und auch sonst durch eine intensive Zer-
talung, die vor allem im Anschluß an den Grabenbruch der Oberrhein-
ebene erfolgte, reich gegliedert. Einen schönen Schmuck bilden die tertiären
Vulkanruinen, deren Basaltkuppen namentlich die Oberlausitz zieren. Ganz
vulkanischer Natur sind das Siebengebirge, der Kaiserstuhl, Rhön und
Vogelsberg.
Aus dieser jüngeren Decke — meist mesozoischen Alters — ragen,
vergleichbar den Inseln des Mittelmeeres, ältere Gebirgstrümmer, bald als
Schollen (Harz, Thüringer Wald), bald als Aufwölbungen (Randgebirge
Böhmens). Sie bestehen aus stark gefalteten kristallinen Schichten und
Schiefern und werden von Granitstöcken durchsetzt, deren Randsäume reich
an Edelerzen und Mineralien sind (Erzgebirge, Oberharz). Sie sind als
Trümmer eines alten Faltengebirges aufzufassen, dessen Falten zu aus-
gedehnten, von Härtungen überragten Fastebenen verebnet wurden. Schön
finden wir diese im Harz, Schiefergebirge und Erzgebirge erhalten, viel-
fach (Schwarzwald, Vogesen) durch Zertalung wieder stark zerschnitten.
Diese alten Gebirgshorste sind vielfach verknüpft mit Steinkohlenlagern,
die bald nur kleine beckenförmige Einlagerungen zwischen den Falten dar-
stellen (Saargebiet, Sachsen, Waidenburg, Böhmen), bald ihnen in breiten
Randgürtcln angelagert sind (Aachen, Ruhrgebiet, Oberschlesien). Mit dem
tertiären Vulkanismus hängen auch die zahlreichen Eisenerzlager und Heil-
quellen zusammen, die vielfach an langen Bruchlinien — Südrand des
Erzgebirges — auftreten. Da auf weiten Flächen fruchtbare Lößdecken
aufgeschüttet wurden, sind alle Bedingungen für eine starke Bevölkerungs-
verdichtung gegeben, zumal sich auch häufig Salzlager finden. Die kristallinen
Gebirge liefern das Material zur Glasindustrie (Schwarzwald, Thüringer
Das Alpenvorland.
69
Wald, Erzgebirge, Riesengebirge) und die Schiefergebirge (Rheinisches
Schiefergebirge, Harz, Frankenwald, Gesenke) gutes Baumaterial. Die Sand-
steinböden (Odenwald, Hardt, Hessische Gebirge) sind meist mit Wald
bedeckt, die Kalkgebirge tragen an den Hängen üppigen Laubwald (Jura-
gebirge), auf den Hochflächen Grasweiden. Auch sind sie reich an Höhlen,
die schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt waren.
'^AUe Rumpfgebirge
"^ Bruchlinien ^- Eisenerz
•^Sfeinkohle > (erbohrh
4^ Flachlagerung m.Schichtsfufen
O TerMäre Vulkanruinen
Oünenküsfen
Moränenwälle d. Eiszeit
Marschen lil Braunkohlenbe^ngbau
LÖSS n * Kaliwerke
21. Der Bau Mitteleuropas.
Das Alpenvorland.
Nördlich ist den Alpen das Alpenvorland vorgelagert, eine große, sich
nach 'Osten abdachende Hochebene, im Süden überschüttet von den
Moränenwällen der Eiszeitgletscher, zwischen denen zahlreiche Seen liegen.
Der Westen wird von Rhein und Aare entwässert und ist zu einem welligen
Hügelland, dem Schweizer Mittelland, zerschnitten, einem reich be-
völkerten Gebiet (auf 13000 km- beinahe 2 Millionen Menschen) mit
reicher Landwirtschaft und blühender Industrie, die vier Städte zu Groß-
städten werden ließ, an der Spitze das industrielle Zürich (230).
Rauher infolge der hohen Lage (+500 m) ist das Klima der Schwäbisch-
Bayrischen Hochebene, die mit großen Mooren und ausgedehnten
Wäldern (53000 km- mit 4^4 Millionen Einwohnern), Bayerns Kernland ist.
70 X. Mitteleuropa.
Die ehemals blühenden Donaustädte (vor allem Ulm, Regensburg und Passau)
wurden im Zeitalter der Eisenbahnen von München (660) und Augsburg
(1 68) mit ihrer Großindustrie überflügelt. In der Oberpfalz um Amberg eine
aussichtsvolle Eisenindustrie in dem sonst an Bodenschätzen armen Gebiet')-
Das österreichische Donaugebiet umfaßt bis an die enge Donau-
schlucht zwischen Wiener und Böhmer Wald den Osten der oberdeutschen
Hochebene und erweitert sich unterhalb derselben zum Wiener Becken.
Daher die politische Trennung in Ober- und Niederösterreich mit Linz und
Wien. Beide Gebiete umfassen das fruchtbare, lößbedeckte Donautal und
die umliegenden Waldgebirge (30000 km^ mit 4 Va Millionen Einwohnern).
Fast die Hälfte der Einwohnerzahl fällt auf Wien, das, die Völkerpforte
zwischen Alpen und Karpathen beherrschend, als Hauptstadt eines
50-Millionenstaates auf über 2 Millionen Einwohner anwuchs und nun
als Hauptstadt eines Kleinstaates von nur 6 Mill. Einw. sicher sinken wird
(1920 nur noch 1850000 Einw.).
Das südwestliche Deutschland.
Die Senke des Ries, das Altmühltal und die Bayreuther Senke öffnen den
Weg vom Donaugebiet zu den Beckenlandschaften des Main und Neckar,
die, von Franken und Schwaben bewohnt, auch als Süddeutsches Stufen -
land bezeichnet werden. Das Wirtschaftsleben des meist landwirtschaft-
lichen Gebietes, in dessen tiefen Tälern schon die Rebe gedeiht (40000 knr,
4,4 Mill. Einw.) beherrschen Nürnberg (465), Stuttgart (455) und die alte
Bischofsstadt Würzburg. Im Mittelalter verteilte sich die Bevölkerung auf
eine große Zahl kleiner Reichsstädte, die heute, vom modernen Leben wenig
verändert, einen schönen Reiz dieser Landschaften bilden. Die südwest-
liche Fortsetzung der Kalktafel des Schwäbischen Jura wurde noch von
der Alpenfaltung mit ergriffen und zu den Ketten des Schweizer Jura
aufgefaltet, dessen Landschaft Wälder und Viehweiden beherrschen. Die
Siedlungen sind durch Uhrenindustrie weit bekannt. Die Sprachgrenze —
an den Namen kenntlich — folgt dem südöstlichen Hauptkamm mit
seinen steilen Kalkfelsen (Weißenstein!).
Main und Neckar öffnen ihreTäler zur tief gelegenen Oberrheinischen
Tiefebene. Geschützt ist sie von Waldgebirgen, deren höchste Gipfel noch
Moränenseen umrahmen. Sie ist im Frühling ein einziger blühender Garten,
reich an Getreide, Obst und Wein, nur an den Stellen dürftiger, wo der
West durch die Zaberner Pforte seine Stürme sendet und die Über-
schwemmungen des Rheins wirksam sind.
Der Rhein, bis Speier ein ungestümer Alpenfluß und eine brauchbare
politische Grenze, war erst unterhalb gezähmt und duldet Städte an seinen
Ufern, die politisch einheitlich sind (Kurpfalz, Hessen). Infolge des Durch-
gangsverkehrs drei Städtereihen, je eine am Gcbirgsrande an den Stellen,
wo Seitentäler münden, eine dritte am Rheinstrom, oder in seiner Nähe.
Wo durch die Zaberner Senke und den Kraichgau führend ein Querweg
die Rheinebene kreuzt, finden wir Straßburg (222) und Karlsruhe (185),
im Süden beherrscht die Baumwollstadt Mülhausen (131) die Burgunden-
*) Die einfi^ekiainnierleii Zahlen be/eichnen immer die Wirtschaftsgebiete der
Großstädte (1919).
Mitteldeutschland. 71
pforte, an der Neckarmündung die Industriestadt Mannheim -Ludwigs-
hafen (500) mit ihren riesigen Hafenanlagen und chemischen Fabriken,
an der Mainmündung die alte Kaiserstadt Mainz (145), die jedoch vom
benachbarten Frankfurt (775) überflügelt wurde. Dieses beherrscht nicht
nur die Verkehrswege nach Norddeutschland, sondern kann diese auch
infolge seiner Zugehörigkeit zu Preußen als großer Eisenbahnknoten besser
ausnutzen und wurde so mit der industriellen Umgebung zur Metropole
und größten Siedlung Süddeutschlands. Erst in den letzten Jahrzehnten
wurde der Rhein auch oberhalb Speiers reguliert und der Schiffahrt bis
Straßburg der Weg geöffnet.
Mitteldeutschland.
Die ebengenannten Verkehrswege führen durch die Hessensenke, die
nördlich in das Weserbergland übergeht, ein dünnbevölkertes, meist mit Wald
bedecktes Bergland, dessen nordsüdlich streichende Senken dem Durch-
gangsverkehr als Leitlinien dienen 0- Wo von diesem Nordsüdwege das
Eder- und Lahntal einen Weg nach Südwest weisen, entwickelte sich die
alte Kurfürstenstadt Kassel (178) heute zu einer blühenden Fabrikstadt, an
einer Senke, die den Teutoburger Wald durchquert, die Leinenstadt Biele-
feld (223), Osnabrück mit seiner Eisenindustrie da, wo der Verkehrsweg
Köln — Hamburg die letzten Gebirgsausläufer schneidet und die zwischen
diesen gelegene Senke sich nach Nordwest öffnet. Die Bevölkerungsdichte
des Gesamtgebietes beträgt nur 1 10, gegen 170 im Gebiet des Oberrheins.
Westlich vom Hessenlande liegt das Rheinische Schiefergebirge,
eine dünnbevölkerte Hochfläche, überragt von bewaldeten, an Eisenerzen
reichen Gebirgsgruppen, die in ihrer Richtung ein altes abgetragenes
Faltengebirge erkennen lassen. Hineingesenkt in diese Hochfläche sind die
gewundenen Täler des Rheins und seiner Nebenflüsse, umrahmt von Reb-
hügeln. Die größte Dichte erreicht die Bevölkerung (4,2 Millionen auf
34000 km-) in den Tälern, sowie in den Kohlengebieten der Wurm (Aachen)
und Saar (Saargebiet), Koblenz beherrscht die Verkehrswege, Trier den
Ausgang der Moselsenke nach Westen. Hoch entwickelt ist infolge der
zahlreichen Vulkane mit ihren Laven und Aschen vor allem die Stein-
industrie, während im Siegerlande Eisen verhüttet wird.
Nördlich an das Schiefergebirge schließt sich das großartigste
Industriegebiet Europas, das Ruhrgebiet. Der Süden (das Sauer-
land) liegi noch im Gebirge und treibt Eisenindustrie (meist Feinindustrie
— Solingen — 140), und Textilverarbeitung (Elberfeld 485), die
Bonner Bucht, in der Köln (800) zur Metropole des deutschen Westens
wurde, hat Braunkohlenbergbau und Maschinenindustrie. Der eigentliche
Schwerpunkt der Industrie liegt in dem Kohlengebiet zwischen Ruhr und
Lippe. Hier ist der Sitz der Schwerindustrie (Essen — 550), deren Rhein-
häfen Duisburg (810) und Düsseldorf (550) sind. Westlich vom Rhein
Textilindustrie, die sich bis an die holländische Grenze schiebt, wo zwischen
üppigem Ackerland und Viehweiden zahlreiche Schlote qualmen. Zentren
0 Man beachte den Vorzug (Städtereichtum), den der breite Grabenbruch
des Leinetals vor dem engen, gewundenen verkehrsarmen Wesertal genießt.
72 X. Mitteleuropa.
sind hier für Baumwolle München-Gladbach (192) mit Umgebung, für
Seide Krefeld (175). Das Ganze bildet eine einheitliche Industrieprovinz,
die auf 5500 km- beinahe 6,5 Millionen Einwohner aufweist!
Östlich des Hessenlandes stoßen wir auf Thüringen-Sachsen, das
Dreieck im Norden begrenzt von der Linie Harz— Lausitzer Gebirge, im Süden
vom Thüringer-, Frankenwald und Erzgebirge, die im Fichtelgebirge zu-
sammenstoßen. Im Westen hebt es sich gegen das Eichsfeld. Als Kern
Mitteleuropas ist es ein Durchgangsland für den Verkehr und Wande-
rungen, daher die Leipziger Tieflandsbucht überreich an Schlachtfeldern.
Zwischen bewaldeten Gebirgen liegen fruchtbare Senken (die Goldene Aue)
und erklären als Mittelpunkte der Staatenbildung die politische Buntheit Thü-
ringens, das nun endlich einen Einheitsstaat bilden wird, während östlich
der Saalelinie großzügigere Formen schon längst die Einheit Sachsens
bedingten. Schätze an Braunkohlen, Kupferschiefer (Mansfeld) und Salz
finden wir im Norden, Kohlenlager und Erze im Erzgebirge und seiner
nördlichen Abdachung, fruchtbaren Lößboden nicht nur in der Leipziger
Bucht, sondern auch in den Tälern Thüringens. So erklärt sich ungefähr
die politische Dreiteilung. Thüringen, das »grüne Herz Deutschlands«,
blüht besonders durch Landwirtschaft, die in Erfurts Umgebung zum
Gartenbau wird; der preußische Norden und Anhalt sind Gebiete für
Getreidebau und Zuckerrübenkultur, Sachsen dagegen mit seiner kärg-
lichen Landwirtschaft wurde zum Industriestaat, begünstigt durch die er-
wähnten Bodenschätze und den Fleiß der Bewohner, der sich besonders
in der Hausindustrie des Erzgebirges zeigt, die ein gewisses Spiegelbild
im Thüringer Wald findet (Spielwarenindustrie). Aber auch in die ehemals
rein landwirtschaftlichen Gebiete zieht immer mehr die Industrie, so daß
in Thüringen— Sachsen auf 37000 km" beinahe 8,5 Millionen Einwohner
leben und die Dichte im W auf 140, im O sogar auf 320 steigt.
Fächerförmig strahlen die Straßen, den Flüssen folgend, von Leipzig (7 10)
und Halle (200) aus, die zusammen fast eine Million Einwohner zählen und
beide Brennpunkte des Eisenbahnverkehrs sind. Außer ihnen wuchs in Thü-
ringen neben zahlreichenMittelstädten Erfurt( 1 35)zurGroßstadtan, in Sachsen
das malerische Dresden (685) als Beherrscherin des Elbtales mit Feinindustrie
(Schokolade, Zigaretten), Chemnitz (410) mit seinen riesigen Maschinen-
fabriken, die Leinenstadt Plauen (105) und die Kohlenstadt Zwickau (108).
Das Eibsandsteingebirge mit seinen tafelartigen Zeugenbergen leitet über
zu den Sudeten, deren deutscher Anteil auf etwa 6000 km" annähernd
800000 Einwohner zählt. Sie siedeln besonders in den Senken zwischen
den Gebirgen; das Waldhufendorf zeigt uns, daß hier noch zu An-
fang des Mittelalters ein einsames Waldgebirge lag. Auch in den Sudeten
lassen sich gewisse Zentren der Bevölkerungsverdichtung erkennen. Das
fruchtbare Hügelland der Oberlausitz mit seinem Lößboden und Braun-
kohlenlagern wies dem Verkehr gute Leitlinien. Durch ihn entstanden
die ^Seciisstädte«, vor allem Görlitz, Bautzen und Zittau. Im Hirschberger
Kessel blühen die Pensionopolis Hirschberg am Fuße des Riesengebirges
mit seinen Moränenseen und Sommerfrischen, in der Glatzer Senke zahl-
reiche bekannte Badeorte. Auch die Groliindustrie hat im Waldenburger
Ländchen infolge des dortigen Steinkohlenreichtums Fuß gefaßt.
Das Norddeutsche Flachland. 73
Der gjößere Teil der Sudeten gehört schon zum Böhmerlande,
einem fruchtbaren lößbedeckten Kessel, rings umgeben von Waldgebirgen,
die der Deutsche erschlossen hat, während im Innern Tschechen wohnen.
Leider gelang es dem Deutschtum nicht, durch seine Kolonisation den
Ring um die Tschechen zu schließen. Hier sind auf den Mährischen Höhen
Brunn (180) und Iglau deutsche Inseln geblieben, östlich deren dieTschechen,
jenseits der March in die verwandten Slowaken übergehend, sich bis an
die Donau bei Preßburg erstrecken und im Nordosten auch die Mährische
Pforte mit ihren Steinkohlenlagern besiedeln.
Das ist die Tschechoslowakei, die (ohne das ungarische Erzgebirge)
auf 80000 km- beinahe 10 Millionen Einwohner zählt. Von ihnen sind
zwei Fünftel Deutsche, die sich nach dem Zusammenschluß mit ihren
Volksgenossen sehnen. Eine auf die Dauer schwer verdauliche Irredenta!
Im innern Kessel treiben die Tschechen meist Ackerbau und Vieh-
zucht und haben Prag (600) bis auf seine steinernen Zeugen längst des
deutschen Charakters beraubt. Die Deutschen nähren sich im Böhmer
Wald von Holz- und Glasindustrie. Im Egerland mit seinen weltberühm-
ten Badeorten blüht der Braunkohlenbergbau mit Aussig als Hafen, im
Sudetenlande die Textilindustrie (Reichenberg). Ein Zankapfel zwischen
Polen und Tschechen ist der Städtekomplex um Ostrau (120), wo Öster-
reichs größte Waffenschmiede (Skodawerke) blühte, deren Filiale wir
in Pilsen finden, auch dort im Anschluß an Steinkohlenlager.
Das Norddeutsche Flachland.
Den Norden Mitteleuropas nimmt das Norddeutsche Flachland
ein, nach Osten sich verbreiternd und durch die Elbe-Saale-Linie in zwei
wichtige Teile geschieden, von denen der unter dem Einfluß des regen-
spendenden Meeres wiesenreiche Westen hauptsächlich Viehzucht (Klein-
bauern), der kontinentalere Osten mit seinen heißen Sommern mehr Acker-
bau (Großgrundbesitz) treibt.
Westelbien besteht aus mehreren, »Geest« genannten, durch breite
Täler getrennten Landschaften. Diese weisen vielfach ausgedehnte Moore auf
und sind auf weiten Flächen von Heidekraut bedeckt, wie in der hügeligen
Lüneburger Heide, welche die Fortsetzung des Fläming bildet. In ihr
entstand auf den Wilseder Höhen nach dem Vorbilde der amerikanischen
Nationalparke der erste deutsche Naturschutzpark. An den Küsten ziehen
sich die wiesenreichen Marschen hin, die auch weit in die großen Täler
hineinreichen. Südlich der Linie Hannover — Magdeburg liegt ein frucht-
bares Lößgebiet mit unterlagerndem Reichtum von Braunkohlen und Salz.
Ostelbien zerfällt in den Baltischen Höhenrücken, das Gebiet
der großen Urstromtäler mit dem südlichen Höhenrücken und in
das schlesische Lößgebiet.
Das Flachland dringt in der Bonner und Leipziger Bucht weit in die
Mittelgebirge ein; da jedoch beide in ihrem wirtschaftlichen Leben schon
zu den Mittelgebirgen gehören, rechnen wir die Leipziger Bucht (ein-
schließlich des Regierungsbezirkes Merseburg westlich der Elbe, aber
ohne Anhalt) zum sächsisch -thüringischen Gebiet, die Bonner Bucht
/4 X. Mitteleuropa.
bis zur Linie Wesel — Geldern zum niederrheinischen Industriebezirk,
der auch das Münsterland südlich der Lippe umfaßt.
Die Oberflächenformen des Flachlandes sind das Werk der Eiszeit-
gletscher. Sie schufen geschwungene Moränenwälle, davorgelagerte
breite, sandige, vielfach vermoorte Urstromtäler, mit.E)ünen und Kiefern-
wald bedeckte Sandtlächen und wellige Moränenlandschaften, deren Lehm-
böden sich zum Ackerbau vorzüglich eignen, oder Laubwald tragen und
deren langgestreckte Rinnenseen die Bewegungsrichtung der ehemaligen
Gletscher angeben. Am Südrande des Flachlandes dehnt sich die Löß-
zone (entstanden durch Staubwinde, die vom Eise herabwehten, dem Föhn
vergleichbar) mit ihrem hochentwickelten Ackerbau (Zuckerrüben).
Im Norden geben Ost- und Nordsee dem Flachlande natürliche Grenzen.
Von den norddeutschen Küsten zeigen nur noch die Ostseeküste
von Schleswig-Holstein und die vorpommersche Küste mit ihren Buchten
(ertrunkene Seen!) und Inseln (abgeschnürte Hügel) die Formen des all-
mählich vom Wasser überfluteten Landes. Die übrigen sind durch die
Arbeit der von den Nordwestwinden gegen die Küsten geschleuderten
Wellen begradigt. In Mecklenburg und Hinterpommern wurden die ehe-
maligen Buchten zu Strandseen abgedämmt und durch einen sandigen
Dünenstrand von der See abgeschnitten. In Ost- und Westpreußen legt
sich der Dünenw^all als Nehrung (Heia ist eine werdende Nehrung) vor
die Küste, von ihr durch Haffe getrennt, die allmählich von den Flüssen
zugeschwemmt werden (das Weichseldelta gehörte früher zum Frischen
Haff, das Memeldelta zum Kurischen). Heute sind die Wanderdünen
der Nehrungen meist durch Kiefernwald festgelegt. An der Nordsee-
küste wurde der ehemalige Dünenwall durch das Meer zerrissen und in
eine Inselreihe aufgelöst, während die in verlandeten Haffen entstandenen
fruchtbaren Marschböden (Schlick) als Watten zur Flutzeit vom Meere
überspült werden. Die weißen Stranddünen sind von größter wirt-
schaftlicher Bedeutung für das Badeleben an Ost- und Nordsee. Auch
das Helgoländer Badeleben spielte sich nicht auf dem Felseiland ab, sondern
auf der benachbarten -Düne'<. Die deutsche Küste ist verhältnismäßig
arm an Häfen (namentlich an solchen für tiefgehende Schiffe) und infolge-
dessen auch die Seefischerei längst nicht in dem Umfange entwickelt, wie
an den buchtenreichen Felsküsten Norwegens, Englands, Frankreichs und
Italiens. Dafür ist aber die Unzugänglichkeit der versandeten Küsten von
größter Bedeutung im Weltkriege gewesen.
Westelbien.
Westelbien ist ein altgermanisches Siedlungsland. Im Nordwesten mit
seinen Wiesen, Mooren und Heiden überwiegt der Einzelhof in der
Marsch das Straßendorf, weiter südlich das Haufendorf. Ein Kranz von
Siedlungen hat sich an den Flußmündungen entwickelt, wobei die Haupt-
siedlung an dem Ende des Fluttrichters liegt (Hamburg, Bremen), fluß-
abwärts ein jüngerer Vorhafen für die modernen Riesenschiffe (Cuxhaven,
Bremerhaven). In Schleswig-Holstein, das wir wegen seines Klimas und
der Wirtschaftsformen noch zu Westelbien rechnen, ist besonders die
Ostelbien. 75
buchtenreiche Ostseeküste städtereich; wo diese Küste Mitteldeutschland
am nächsten liegt — der Osten war damals noch zumeist slawisch — ,
wurde Lübeck (123) für lange Zeit die Ostseekönigin.
Beinahe die Hälfte der Einwohnerzahl aller deutschen Häfen entfällt
auf Groß-Hamburg (1400), das als zweite Fabrikstadt Deutschlands Bremen
(370) weit überflügelt hat. Bremerhaven (105) ist Hauptsitz der See-
fischerei, Kiel (221) und Wilhelmshaven (früher 105) Kriegshäfen.
Abgesehen von Münster (1 12), der Beherrscherin der Münsterschen
Tieflandsbucht, finden wir ein zweites Städtegebiet in dem schon er-
wähnten Lößgebiet am Nordrande des Mittelgebirges. An dessen Enden
wuchsen Hannover (423) und Magdeburg (322) zu großen Industrie-
städten und Eisenbahnknotenpunkten an, die übrigen Städte weit über-
flügelnd, von denen nur Braunschweig (l 50) eine kleinere Großstadt wurde.
So ist Westelbien trotz der einsamen Moor- und Heidegebiete dicht
bevölkert und ernährt auf 85000 km- etwa 9 Millionen (D. HO).
Ostelbien.
Ostelbien ist altes Germanenland, in das erst nach Christus die Slawen
bis an die Elblinie einwanderten. Im frühen Mittelalter erfolgte dann
die Wiedereroberung durch Deutsche, die zumeist friedlich vor si-ch
ging und sich vor allem an der Küste und im südlichen Lößgebiet weit
nach Osten schob, in der Mitte dagegen in der waldigen Zone der Seen
Westposens haltmachte. Aber auch dem von Polen bewohnten Gebiet
drückte die jahrhundertelange deutsche Herrschaft ihren Stempel auf, der
sich sowohl in Bauten als auch in der Anlage des Straßennetzes kund-
gibt; es herrschte dort eben deutsche Ordnung. Während in Westelbien
sich noch zahlreiche Splitter der mittelalterlichen Kleinstaaterei finden, ist
Ostelbien bis auf Mecklenburg politisch geeint. Neben geschicht-
lichen Gründen dürfte das Netz der Urstromtäler, das Ver-
kehrswegen und Kanälen Leitlinien wies, hierbei mitgespielt
haben. Preußens Königen hat Ostelbien viel zu verdanken, besonders
Friedrich dem Großen. Dieser holte Flamen in das entvölkerte Land
(Fläming), die in der Niederlausitz eine blühende Tuchindustrie be-
gründeten, und besiedelte vor allem die großen Moorgebiete des Netzetales.
Das Gebiet des Baltischen Landrückens ist ein dünnbevölkertes Bauern-
land (Dichte 57). Wo die Täler der Oder, Weichsel und des Pregel Breschen
in diesen schlagen, entwickelten sich die großen Hafenstädte Stettin (287),
Danzig (221) und Königsberg (263), letzteres schon im Ordensland mit
seinen wundervollen, festungsartigen Backsteinbauwerken, die im Verein
mit malerischen See- und Hügellandschaften namentlich dem Masuren-
land einen eignen Charakter geben.
In der sandigen Zone der Urstromtäler spielen die Städte eine größere
Rolle, da Eisenbahnen und Kanäle gut entwickelt sind (Dichte 65). Eine
Insel in ihm bildet das industrielle Groß-Berlin (mit ihm steigt die Dichte
dieser Zone auf 115!), der größte Eisenbahnknoten Mitteleuropas und
seine größte Fabrikstadt (3900). Seine Spinnenarme nach allen Seiten aus-
sendend, verhindert es das Aufkommen einer Großstadt in seiner Um-
gebung. Der Hohenzollernkanal hat es jüngst zu einem Großhafen gemacht.
76 X. Mitteleuropa.
Unter dem Einfluß Berlins blieben auch die Tuchstädte der Lausitz
von mittlerer Größe, und erst weit im Osten konnten Posen (170) und
Bromberg (100) die Großstadtgrenze überschreiten. Von größter Zukunfts-
bedeutung ist am Südrand des Flachlandes der Braunkohlenstreifen zwischen
Bitterfeld und Spremberg, innerhalb dessen sich stellenweise eine Groß-
industrie zu entwickeln beginnt, die schon Berlin mit Elektrizität versorgt.
Am dichtesten siedelt die Bevölkerung im Lößgebiet Schlesiens, wo
der Großgrundbesitz 0 einen riesigen Anbau von Getreide und Zuckerrüben
gestattet und Bodenschätze aller Art, vor allem die Kohlen und Erze Ober-
schlesiens, verdichtend wirken.
In der Mitte dieses Gebietes wuchs Breslau (600) weit über die zahl-
reichen Mittelstädte zu einer Halbmillionenstadt an und dürfte, wenn
wieder ruhigere Verhältnisse eintreten, infolge seiner zentralen Lage inner-
halb Mitteleuropas noch sehr wichtig werden, in Oberschlesien finden
wir vier weitere Großstädte [Königshütte (240), Beuthen (155), Kattowitz
(190) und Hindenburg (150)] mit gewaltiger Industrie, die infolge der
weiten, südlichen Ausdehnung der noch wenig erschlossenen Kohlenflöze
eine große Zukunft hat.
Das Deutsche Reich. /
Der bisher betrachtete Teil Mitteleuropas war im wesentlichen das Gebiet
des Deutschen Reiches, über das einige allgemeine Bemerkungen folgen
sollen. Daß ich hierbei die ehemaligen Reichsgrenzen beibehalte, wird
mir niemand verdenken, dem Kultur über Augenblickspolitik steht; an-
statt von einem »ehemaligen Deutschen Reich« spreche man lieber von
einem Gebiet deutscher kultureller Durchdringung. Für dieses fällt die
Ostgrenze mit der »Neupolens« und Kongreßpolens zusammen. Sie trennt
saubere deutsche Dörfer mit einem dichten Eisenbahnnetz von schmutzigen
Slawendörfern, zwischen denen namentlich das Fehlen deutscher Land-
straßen mit ihren Obstbaumreihen auffällt.
Deutschland hatte 1871 41 Millionen, vor dem Weltkriege beinahe
68 Millionen Einwohner; die Zahl der Großstädte stieg in derselben Zeit
von 16 auf 47. Die Bevölkerung ist bis auf geringe Teile deutsch. Im
Osten siedelten 3,5 Millionen Polen und 300000 Masuren und Kassuben
in Oberschlesien, Posen und der Kassubei (Danzig ehemaliger Hafen
Polens!). Eine wichtige Grenze zwischen Polen und Deutschen bildet
auch heute noch das Waldgebiet zwischen der Oder und unteren Warthe.
Neuerdings war die Zahl der polnischen Arbeiter auch im Ruhrgebiet
stark gewachsen. In Lothringen leben 200000 Franzosen, in Schleswig
140000 Dänen und im Spreewalde als Volksinsel (vgl. Tschechen und
Magyaren) 100000 Wenden. Von der Bevölkerung waren 62 '*/o Prote-
stanten und 36^/0 Katholiken. Juden finden sich über das ganze Reich
*) In Ostelbien entfallen auf den Großgrundbesitz 43 "/o der Fläche, in
Westelbien nur 5Vo, im Rlieingebict und in Siiddeutscliland gar nur 3! Ein
gewisser Umfang desselben ist unbedingt n()tig, um die großen hidustrie-
bezirke richtig ernähren zu können; aber einsichtige Agrarpolitiker haben er-
wiesen, daß auch ein Großgrundbesitz, der 10- IS^/o umfaßt, dazu imstande ist.
Das deutsche Siedlungswesen. 77
zerstreut, namentlich in den Städten, vor allem in Breslau, Posen, Frank-
furt und Berlin.
Das Gebiet der katholischen Konfession deckt sich vielfach mit den
alten Bistümern Köln, Würzburg, Münster und Posen. Fast ausschließlich
katholisch ist auch das Alpenvorland, das Gebiet um den oberen Rhein
und Oberschlesien. Protestantische Inseln bilden hier die ehemals freien
Städte in Württemberg und Ansbach-Bayreuth.
Das deutsche Siedlungswesen.
Zur Römerzeit war der Rhein eine wichtige Grenze der lateinischen
Kultur. An seinem Westufer entstanden die bekannten Römerstädte
Colonia (Köln), Bonna (Bonn), Confluentes (Koblenz) und andere,
während am Ostufer des Rheins fast nur jüngere Städte liegen (Düssel-
dorf, Karlsruhe). Auch die Donau war eine wichtige Grenze (Regina
castra = Regensburg, Castra Batava = Passau). Zwischen beiden Flüssen
wurde der Limes als Grenzmauer erbaut; nach ihm heißt der Taunus
(Zaungebirge), auch Vicus Aurelii (Öhringen vgl. Orleans) und Aquileia
(Aalen) erinnern an ihn.
Aber auch die Endungen der Ortsnamen lassen eine Gesetzmäßigkeit
in der Verbreitung erkennen, die ihre Lage schneller einprägt. In
Hannover und Schwaben überwiegen die Namen auf ingen (in Bayern
ing), im Gebiete der Oberrheinischen Ebene diejenigen auf heim, in der
Magdeburger Börde die auf leben (dänisch lew); im Schiefergebirge finden
wir die Endung scheidt, in Mitteldeutschland hausen, im Spessart, dem
Odenwald und Vogelsberg mit Rhön die Endung bach. Im Südwesten
häufen sich die Endungen hofen und weiler^); letztere wird in der Schweiz
zu wil, in Frankreich zu ville. Aus ingen wird in Belgien inghem, aus
heim hem und em in England ham. Im ehemals römischen Gebiet treffen
wir vereinzelt auch die Endung ach (ache = aquae, bach).
Bei der Besiedlung des Ostens breiten sich die deutschen Namen als
Decke über die slawischen; vielfach können wir die Herkunft der Siedler
noch erkennen (Frankenstein, Frankfurt a. O., Osterode i. O. usw., Fläming,
Preuß. Holland u. a.). Im Gebiete des Deutschordens sind die Namen oft
mit den Vorsilben Deutsch und Marien verbunden (Marienburg, Frauen-
burg, Marienwerder, Deutsch Eylau usw.).
Während zur römischen Zeit nur die lößbedeckten Niederungen dichter
besiedelt waren, drangen die Siedler in der Folge auch in die Waldgebiete
ein, deren planmäßige Erschließung aber erst später (nach 800) erfolgte.
Aus dieser Zeit stamm.en die Endungen rode, roth, rath, schlag, hau, grün,
hain und ähnliche, die Siedlungsform ist das Waldhufendorf.
Westlich des Limes lag lange Zeit römisches Kulturgebiet, was wir an
den Namen Bernkastei, Kastei, Trier, Augsburg (Augusta), Zabern (Tabernae),
Bingen (Bingium) und anderen erkennen; aber auch die Endung weiler
0 Weiler sind meist auf Waldlichtungen angelegte Gehöftgruppen. Die
Ortsnamen auf ingen weisen auf den Stamm der Langobarden hin, deren
Wanderung von der Lüneburger Heide (Bardowilk) über Schwaben nach der
Lombardei so verfolgt werden kann.
TS
X. Mitteleuropa.
ist dem Römischen (villa) entlehnt und findet sich nur im Südwesten
(vgl. Eltville bei Biebrich wie die Endung ville in Nordfrankreich), wo
auch markt (aus mercatus) entstand. An römische Fähren (trajektus) er-
innern Utrecht und Dortrecht.
Bis 1100 war die durch Burgen (Magdeburg, Hamburg, Harburg,
Merseburg, Naumburg, Altenburg) geschützte Linie, die sich von Lübeck
über die mittlere Elbe zur Saale zog. Ostgrenze des Deutschtums. Westlich
entwickelte sich aus dem Einzelhof, der noch heute im Nordwesten
herrscht, das Haufendorf 0- Jenseits dieser Linie begann das slawische Ge-
biet mit dem Rundling im Grenzsaum und dem langgestreckten Straßen-
dorf, noch heute kenntlich an den dem Deutschen fremden Endungen
witz, itz, titz, grad und grod, grot (vgl. Garten) tow, ow, in, die sich noch
heute in Rußland finden (Naugard = Neugarten = Nowgorod, Beigard ^
Belgrad, Wollin = Wolhynien, Pommern = Po Mare = am Meere). Diese
Straßendörfer baute der
••" Rundling? (Alfer Grenzsaum)
oo Haufendorf ursprünglich
oo Haufendorf Eroberungsgebief
-'- Einzelhof \\\\ Waldhufendorf
w Weiler Uli Marschendorf
ra Kolonisahongebief
geschlossendeufsdi
= Oasselbe m slavischen
Enklaven
-I-51üvisches Reihendorf
°3° Magyarische Dorfstadfe
'N^^-^cr.'. _ , ^-«.^ •• DeufscheStadte im
^~-^J^ ^i:--'-^ j:^ ^^ ~^~t:A Slavengebief
DerRahmen Ungarns
'Nahirgrenzen ^^^*^/ .^-J^^^ — ^i^ grosseScheide
— Völkische Grenzen
22. Grenzen und Siedlungen Mitteleuropas.
Deutsche als Reihen-
dorf (im Walde das
Waldhufendorf) aus,
während in den Mooren
und auf den Deichen an
den Marschen die lang-
gestreckten Marschen-
dörfer und Moorkolo-
nien entstanden.
Die deutsche Kolo-
nisation besiedelte ge-
schlossen das ostelbi-
sche Flachland bis zur
Linie Lauenburg (Hin-
terpommern) — Görlitz
und schob sich noch
fühlerartig über dieselbe ostwärts nach Schlesien und dem Ordens-
land. Wie gleichlautende Ortsnamen (Neuzelle, Naumburg, Landeshut,
Frankfurt a. O., Freiburg, Reichenbach) zeigen, wurden Schlesien und
Südbrandenburg besonders von Mitteldeutschen besiedelt, ebenso ein Teil
Masurens (Löbau und Osterode!).
Als Verdichtungspunkte der Siedlung entstanden die Städte,
die vielfach als Burgen (Endung bürg) begründet wurden, in West- und
Süddeutschland ist der Grundriß der Städte bis auf Neugründungen wie
Mannheim und Karlsruhe unregelmäßig, im deutschen Osten überwiegt
das Schachbrett der planmäßig angelegten Kolonistenstadt mit dem »Ring«
als Marktplatz, in rheinischen Städten schimmert vielfach das viereckige
Römerlager im Straßennetz hindurch, sonst oft auch ältere Stadtgrenzen
in ringförmigen Straßenzügen, die aufgraben und wall enden. Breite Prome-
naden bezeichnen heute die Grenze zwischen den Stadtkernen und den
1) dorf = dorp = torpe = turba, d. ii. Ansammlung.
Politisches und wirtschaftliches Leben. 79
Stadtteilen, die im wesentlichen in den letzten 50 Jahren entstanden 0- hi
dem letzten Jahrzehnt entsteht um die größeren Städte aus ehemals
rein ländlichen Orten (Verteuerung der Bodenpreise in den Städten) ein
wirtschaftliches Weichbild mit Fabriken und Villenkolonien und bildet
mit der eigentlichen Stadt zusammen die wirtschaftliche Stadt.
Das Aussehen der Städte ist viel vom Material (z. B. Schieferbauten!)
abhängig. Im Flachlande überwiegt der Backsteinstil, im Osten wird der
spitze Turmhelm durch die Renaissancekuppel ersetzt (Rathäuser in Danzig
und Breslau). Besonders reizvoll sind die Fachwerkbauten im Bereiche
oder in der Nähe der mitteldeutschen Waldgebirge (Hildesheim Goslar u. a.).
Burgartig erscheinen die Bauten im Gebiete des Deutschordens. Ein »roter
Hauch« liegt über der Landschaft und den Siedlungen des Buntsandstein-
gebietes. Ein weiteres Eingehen hierauf erfolgt am besten in der Heimat-
kunde.
Politisches und wirtschaftliches Leben.
Die politische Gestaltung Deutschlands bespricht man im An-
schluß an eine kurze geschichttiche Entwicklung-). Im Erdkundeunterricht
gilt es zu zeigen, daß natürliche Landschaften sich vielfach mit geschicht-
lichen decken. Im Flachlande und dem ebenfalls großräumigen Alpen-
vorlande entwickelten sich die großen Staaten Preußen und Bayern, im Mittel-
gebirge ist auch heute noch die Kleinstaaterei am besten erhalten ; vielfach
ist sie aber nicht durch geographische, sondern geschichttich-dynastische
Ursachen zu erklären (Gegensatz zwischen Ernestinern und Albertinern !) ^).
Auch die Verteilung der Parteien kann man im erdkundlichen
Unterricht streifen, da sich in ihr auch das Wirtschaftsleben Deutschlands
widerspiegelt. So deckt sich die Sozialdemokratie mit der Großindustrie,
die Konservativen finden wir im Bereiche des Großgrundbesitzes, der
Kleinbauer wählt überwiegend fortschrittlich und nationalliberal, der
Katholik Zentrum oder polnisch.
Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr ein Industrie-
staat, was wohl, z. T. mangels politischer Sicherungen, auch sein Verhängnis
wurde. Wichtig für die Entwicklung der Industrie ist der Ausbau der
Wasserstraßen und Eisenbahnen gewesen.
Die größte deutsche Wasserstraße ist der bis Straßburg ausgebaute
Rhein, der auch im Sommer, durch alpines Gletscherwasser
gespeist, über eine genügende Wassermenge verfügt. Duisburg, Düssel-
dorf und Mannheim sind die wichtigsten Stapelpunkte des Großverkehrs.
1) Man leite die Schüler an, die Verbreitung der Ortsnamen und die Ent-
wicklung der Städte selbst aus Plänen herauszusuchen.
-) Hierbei kann darauf hingewiesen werden, daß Namen wie Mark Branden-
burg, Altmark, Neumark, Uckermark, Krain (Ukraine), Steiermark u. a. auf
ehemalige Grenzlandschaften hinweisen, die das alte Deutsche Reich gegen
die Slawen schützen sollten.
^) Bei Betrachtung der natürlichen Landschaften weise man immer auf die
territoriale Gestaltung hin, während das umgekehrte Verfahren Vivisektion ist.
80 X. Mitteleuropa.
Frankfurts Osthafen wächst seit Inangriffnahme der Mainkanahsation. Auch
der Bau des Main-Donaukanales wird jetzt in Angriff genommen, während
die Pläne für den Ausbau der Mosel und Saar sich durch die politische
Lage verbieten.
Gering entwickelt ist die Weserschiffahrt, auf der Elbe werden
besonders die böhmischen Braunkohlen verfrachtet. Noch mehr als hier
leidet in der sommerlichen Zwischenzeit die Schiffahrt auf Oder und
Weichsel. Am Ausbau der Oder wird rüstig gearbeitet, derjenige der
versandeten Weichsel kann erst nach Klärung der polnischen Frage er-
folgen, ist dann aber durchaus nötig und wird Danzig die ehemalige Be-
deutung wiedergeben.
Auf der Donau beginnt die regelmäßige Schiffahrt bei Regens-
burg. Nach dem Ausbau der Kanalverbindungen zum Main, Rhein, Elbe
und Oder dürfte sich der bishervernachlässigte Donauverkehr gewaltig heben.
Das ausgedehnte ostdeutsche Kanalsystem hat für den Groß-
verkehr eine größere Bedeutung als das veraltete französische und der
bayrische Ludwigkanal. Die Erfahrungen des Krieges haben gelehrt, wie
nötig ein Ausbau und eine Verbindung mit den westdeutschen Wasser-
straßen in Zukunft ist. Wichtige Ansätze dazu sind schon im Dortmund-
Ems- Kanal, dem Mittellandkanal, dem Elbe -Trave- Kanal, dem Kaiser-
Wilhelm-Kanal und dem Großschiffahrtsweg Berlin — Stettin (Hohenzollern-
kanal) gemacht. Auch die Fortführung des Mittellandkanals von Hannover
durch die reiche Magdeburger Börde mit Stichkanälen nach Halle und
Leipzig ist beschlossen. Mehr wie bisher wird dadurch die Elbe ihre
zentrale Stellung im deutschen Flußnetz ausnützen können, zumal da ihr
Gebiet reich an Bodenschätzen (Salz, Braunkohle) ist.
Der Ausbau des deutschen Eisenbahnnetzes erfolgte zumeist völlig
unabhängig von den bestehenden Flüssen, da die Richtung des Verkehrs
vielfach nicht den Flußläufen folgt (Elbe und Donau). Die meisten deutschen
Hauptstrecken sind zweigleisig ausgebaut, viele sogar schon viergleisig
(Duisburg — Hannover). Hauptbrennpunkte des Eisenbahnnetzes waren
Berlin (123), Köln (90), Leipzig (83), Halle und Düsseldorf (81), Duis-
burg (80), Hannover (82), Frankfurt (77), München (68), Hamburg (66),
Magdeburg (59), Breslau (52), Koblenz (50), Nürnberg und Stuttgart (48)')-
im Gebiete der Mittelgebirge finden wir vielfach Tunnelanlagen; besonders
großartig ist die Schwarzwaldbahn Offenbach— Villingen mit ihren Tunnels
und Kehren. Nur an wenigen Strecken fanden wir den elektrischen Betrieb
(Königszelt— Lauban, Halle— Bitterfcld, Berlin— Zossen), da dieser in Kriegs-
zeiten zu großen Gefahren (Zerstören der Zentralen durch Flieger usw.)
ausgesetzt ist. Ein Blick auf eine Eisenbahnkarte zeigt uns, daß das Netz
der Eisenbahnen (mit Ausnahme des Nordostens) nicht so zentralisiert
ist wie in Frankreich, und Berlin längst nicht in dem Maße das Wirt-
schaftsleben beherrscht (vgl. das Aufblühen der Messen), wie etwa Paris
und London.
>) Die eingeklainmerten Zahlen geben die Zahl der täglich ausfahrenden
Schnellzüge (im letzten Friedensjahr!) als Verkehrsmaß wieder. Groß ist auch
der Verkehr in F^remen (47), Essen (55), Oberhausen (46), Dortmund (50)
Hagen (62), Dresden (45), Kassel (40) und Stettin (38).
Die Ostmarken. 81
Ergänzt werden die Eisenbahnen in den großen Industriebezirken durch
ein ausgedehntes Netz elektrischer Straßenbahnen, die hier auch den Ver-
kehr von Ort zu Ort bewältigen.
Von den deutschen Häfen stehen Hamburg und Bremen obenan, in
zweiter Reihe folgen Königsberg, Danzig, Stettin, Kiel, Lübeck und Emden.
Ein großer Teil des westdeutschen Verkehrs geht über Rotterdam und Ant-
werpen. Besonders dem Personenverkehr dienen die Vorhäfen Cuxhaven
und Bremerhaven. Die Kriegshäfen Kiel und Wilhelmshaven liegen fern
von Flüssen an vor Versandung geschützten Buchten. Die genannten
Hafenstädte, vor allem Hamburg, sind zugleich Sitz des deutschen Schiff-
baues, der in letzter Zeit einen großen Aufschwung genommen hatte.
Die Ostmarken.
Östlich der ehemaligen Reichsgrenzen beginnt ein Gebiet mit derartig
verworrenen und durchaus ungesicherten politischen Verhältnissen , daß
der Ausdruck »balkanisiertes Mitteleuropa« dafür durchaus zutreffend ist.
Kann man doch schätzen, daß von den annähernd 50 Millionen Einwohnern
dieses Gebietes beinahe die Hälfte durch die Grenzen des Versailler
»Friedens« Ländern zugeteilt ist, in denen sie kulturell vergewaltigt wird.
Wir beginnen mit der Betrachtung der Fortsetzung des Baltischen Land-
rückens, die wie Nordostdeutschland altes, an Burgen und Kirchen reiches
Ordensland ist und als »Baltische Mark« bezeichnetsei. Auf 95000 km^
wohnten hier vor dem Weltkriege beinahe 3 Millionen Einwohner, die prote-
stantischen Letten und Esten. Durch Ansiedlung zahlreicher Deutscher war ein
wichtiges Bollwerk des Deutschtums geschaffen (Ortsnamen). Neben Wald-
wirtschaft und Viehzucht viel Ackerbau. Die Hauptstadt ist die alte Hanse-
stadt Riga mit großer Industrie (heute 150000, früher 550000 Einw.!);
auch Libau und Reval sind wichtige Häfen und Festungen, Dorpat Sitz
einer Universität, Dünaburg und Narva (Wasserfälle) Fabrikstädte.
Südlich schließt sich die Litauische Mark an, meist von katholischen
Litauern, daneben Weißrussen und Polen bewohnt. Sie umfaßt 120000 km^
mit 6 Millionen Einwohnern und ist die hügelige, seenreiche Fortsetzung
Masurens mit viel Wald ; daneben Ackerbau und Viehzucht. Neben der
Hauptstadt Wilna sind die Fabrikstadt Bjalistok und die Festungen Kowno
und Grodno von Bedeutung. Die Hafenstadt ist das deutsche Memel.
Russisch-Polen oder »Kongreßpolen« ist die natürliche Fort-
setzung des Gebietes der Urstromtäler und weist außerhalb der sandigen
Flußtäler auch ausgedehnte, für Ackerbau geeignete Lehm- und Lößböden
auf, dazwischen auch große Wälder, namentlich in der Lysa-Gora. Bei
Tschenstochau Eisenerzlager, weiter südlich die Fortsetzung der ober-
schlesischen Steinkohlen. Polen war vor dem Kriege die wichtigste Industrie-
provinz Rußlands, mit einem gut ausgebauten Eisenbahnnetz und einer hohen
Bevölkerungsdichte (100, gegen 20 im gesamten Rußland!)
Warschau ist neben dem Sitze der Behörden eine starke Festung und
die größte Industriestadt des Landes (Baumwollspinnereien, Eisenindustrie,
Maschinenfabriken); es hatte 1 250000 Einwohner, die zweite Stadt Lodz,
das polnische Manchester, mit riesigen Baumwollspinnereien 600000.
Olbridil, Der erdkundliche Lehrstoff. 6
82 X. Mitteleuropa.
In Lublin undTschenstochau (je 90000) blühte ebenfalls die Textilindustrie,
die auch hier zumeist in deutscher Hand war. Sosnowitz (100 000) ist der
Hauptort des Dombrowabeckens mit großen Kohlenbergwerken. Der
Brückenkopf Terespol (Theresia) der Grenzfestung Brest-Litowsk (Litauisch
Brest) erinnert an die ehemalige österreichische Herrschaft. Die groß-
polnische Republik zählt nach den jüngsten Friedensschlüssen auf
400000 km- etwa 30 Millionen Einwohner. Da von diesen beinahe die
Hälfte Nichtpolen sind, ist in Anbetracht der polnischen Unduldsamkeit
und kulturpolitischen Unfähigkeit wenig Aussicht für eine gedeihliche
Zukunftsentwicklung.
Nur durch künstliche geschichtliche Grenzen von Polen getrennt
(Teilungen Polens) ist die Galizische Mark (80000 km^, 8 Mill. Einw.).
Ihr Flachlandanteil ist die Fortsetzung der schlesischen Lößzone; etwa ein
Drittel der Fläche gehört den Karpathen an und ist dicht bewaldet, wobei
in den Vorbergen Buchen vorherrschen (Bukowina). Am Karpathenrande
finden wir Erdöllager, an der Dreikaiserecke Steinkohlen, bei Wielicka
Steinsalz, so wie bei Halics, das dem Lande den Namen gab. Zwischen den
Gebirgswäldern dehnen sich Wiesen aus. Im Flachland wird neben Ge-
treide viel Flachs (Leinwandindustrie) angebaut.
So ist das Land, reich an Industrie und Landwirtschaft, sehr dicht
bevölkert (auf 90000 km- beinahe 9 Mill. Einwohner). Im Weichselgebiete
wohnen Polen (Hauptort Krakau mit 150000 Einw.), im Djnestergebiet
Ruthenen (Lemberg 210000 Einw.), um den Pruth Rumänen (Czernowitz
90 000 Einw.). Die wichtige Festung Przemysl beherrscht die Wasserscheide
und den Duklapaß. Südlich der bewaldeten Karpathenmauer, die in der
Tatra mit ihren Moränenseen über die Baumgrenze ragt, liegt Ungarn.
Ungarn.
Ein Kerngebiet von etwa 100000 km- umfaßt die lößbedeckte Unga-
rische Ebene mit ihren meist in Weizen- und Maisfelder umgewandelten
Pußten. Hier erhielt sich bis auf die eingestreuten Gebirgsinseln (wie
Bakony = Buchenwald), wo Deutsche siedeln, als Rest der mittelalterlichen
Mongoleninvasion das Reitervolk der Magyaren. Es siedelt mit seinen
riesigen Dörfern gleichenden »Städten« so weit, wie die Ebene reicht.
Die umliegenden Waldgebirge dagegen sind von Rumänen, Deutschen,
Ruthenen und Slowaken bewohnt. Von ihnen ist das Ungarische Erz-
gebirge ein Land alter deutscher Bergwerkstädte, das Liptauer Gebirge
(Liptauer Käse!) reich an Wiesen, das Kesselland Siebenbürgen eine mittel-
alterliche Hochburg deutscher Kultur, deren mauerumgebene Städte ebenso-
gut in Süddeutschland liegen könnten. Der Karpathen wall umfaßte dieses
bunte Völkergemisch zu einer politischen Einheit mit 210000 km- und
beinahe 15 Millionen Einwohnern. Er hat seine staatsbildende Kraft vier
Jahrhunderte hindurch bewährt und wird wohl auch in Zukunft wieder
eine ähnliche Rolle spielen, da die Völker, die innerhalb desselben liegen,
wirtschaftlich aufeinander angewiesen sind. Als einzige wirkliche Groß-*
Stadt entwickelte sich Budapest zur Millionenstadt, da es nicht nur zentral
gelegen ist, sondern, am Ausgange der engen Donauschlucht gelegen, alle
Istrisch-Slowenische Mark. 83
Straßen sammelt, die nach Südosten fächerförmig von ihm ausstrahlen.
Der Lage nach ist es ein verkleinertes Abbild von Wien.
Der Donauweg verbindet Ungarn mit Österreich, der Wechselaustausch
von Landwirtschafts- und Industrieprodukten (auch Kohlen) hatte beide
Länder zur Donaumonarchie zusammengefaßt, von der schon Bismarck
sagte: »Wenn Österreich-Ungarn nicht bestände, müßte man es geradezu
erfinden! «
Istrisch-Slowenische Mark.
Es liegt in der Natur geographischer Grenzen, daß sie nicht immer
leicht zu ziehen sind, sondern häufig auch nach geschichtlich -wirtschaft-
lichen Beziehungen abgewandelt werden.
Ein geradezu klassisches Beispiel für solche infolge der Unzulänglichkeit
genauer Grenzziehung entstehende Übergangsgebiete sind das Nordende
des Dinarischen Gebirges nördlich der Kulpalinie sowie das kroatisch-
slawonische Hügelland.
Der größte Teil von Kroatien-Slawonien (38000 km- mit 2 Mill.
Einw.) ist noch ein Teil der Ungarischen Ebene, und die in ihm aufragenden,
mit Weinbergen bedeckten Hügel kontrastieren durchaus von den südlich
der Save beginnenden bosnisch-serbischen Waldgebirgen. Die Bevölkerung
steht zwar durchaus im Gegensatz zu den Magyaren, aber auch von den
östlichen Serben kontrastiert sie durch ihr römisch-katholisches Bekenntnis.
Der Aufschwung Agrams war nicht zum wenigsten durch die Lage
zwischen der Ungarischen Ebene und seinen Adriahäfen bedingt.
Das obere Savetal erweitert sich zu dem fruchtbaren Kessel von Laibach.
Diesen umgeben rings Hügelländer, die jedoch eine deutlich erkennbare
Tiefenlinie zwischen den hochragenden Julischen Alpen und dem steil-
wandigen Nordende der Dinariden, dem Kapellagebirge (= Ziegen-
gebirge) bilden.
Unterirdische Flüsse (Höhlen) und eine an Einsenkungen reiche, einem
versteinerten Meer nicht unähnliche Oberfläche bezeichnen diese Karstland-
schaften, deren von tiefen Tälern zerrissene und von Viehweiden bedeckte
Hochflächen, im Westen unter die Adria getaucht, die wundervollen Häfen
Istriens bilden. Den größten Teil des 15 000 km- großen Gebietes be-
wohnen Slowenen, die über die Hälfte der 1 200000 Bewohner ausmachen ;
dazu kommen an den Küsten beinahe 300000 Italiener, die sich von Fisch-
fang und Handel nähren. Durch großartige Eisenbahnbauten mit dem nord-
östlichen Hinterlande verbunden, wurde Triest Österreichs größter Handels-
hafen, Pola der Stützpunkt seiner Kriegsflotte und Fiume — an der Stelle
gelegen, wo die Ungarische Ebene sich am meisten der Adria nähert und
die Kulpasenke einen bequemen Übergang gestattet — Ungarns auf-
blühender Handelshafen.
Nicht wirtschaftliche, sondern imperialistische Gründe haben diese
Küsten Italien zuerteilt, das sich hier einen leicht zu verteidigenden Grenz-
wall gegen das benachbarte Südslawenreich suchte. Triest aber ist, des
Hinterlandes beraubt, eine tote Stadt und zur Verarmung verurteilt. So
ist auch hier eine durchaus unklare politische Lage geschaffen, und viel
84 X. Mitteleuropa.
Zündstoff für die Zukunft liegt noch aufgespeichert. Wir Geographen helfen
uns für unsere Zwecke am besten durch die Aufstellung einer Istrisch-
Slowenischen Mark, um so die Übergangsstellung dieser Landschaft
anzudeuten. Aus wirtschaftsgeographischen Gründen ziehen wir sie zu
Mitteleuropa, dessen Adriazugang sie beherrscht (Adriatische Mark).
Die Westmarken.
Die gleichen Problemstellungen finden wir westlich der Grenzen
Deutschlands, wo große Flächen des mittelalterlichen Deutschen Reiches
als Pufferstaaten dem Deutschtum verlorengegangen sind und Frank-
reichs Trikolore wieder für eine Zeit auf Straßburgs Münsterspitze weht.
Hier liegt zwischen Argonnen, Sichelbergen, dem Vogesenkamm, der
Wasserscheide zwischen Saar und Mosel sowie dem Südrande des Ar-
denner Waldes ein fruchtbares, an Eisenerzen reiches, von Maas und Mosel
durchströmtes Hügelland, das als Lothringen eine Westmark Mittel-
europas ist (40000 km- mit 2,8 Millionen Einwohnern, worunter 400000
Deutsche). Französische Revanchesucht erbaute hier ein riesiges
System von Sperrfestungen und verstärkt auch Metz noch; deutscher
Unternehmungsgeist dagegen schuf aus dem Nichts das gewaltige
Industriegebiet nördlich von Metz, das zur Verhüttung seiner Minette-
erze meist auf Saarkohle angewiesen ist. Allzunahe liegen die beiden
Großstädte Metz und Nancy und verdanken der ehemaligen politischen
Grenze ihre Entwicklung (vgl. Halle — Leipzig). Auch das Luxemburger
Hügelland, das im Süden große Eisenindustrie hat, ist geographisch nur
ein Teil Lothringens und teilt mit diesem seine politische Geschichte.
Der große Promenadengürtel um die Stadt Luxemburg lehrt, daß es einst
die größte deutsche Grenzfestung war.
Die ehemalige deutsche Grenzmark an den Mündungen von Rhein
und Maas waren die Vereinigten Niederlande, die heute die Staaten Belgien
und Holland bilden, deren gemeinsame Provinzbenennungen
(Brabant, Limburg) auf die ehemalige politische Zusammengehörigkeit
hinweisen.
Belgien läßt sich unschwer in drei natürliche Landschaften gliedern.
Im Süden der dünnbevölkerte Ardenner Wald (7500 km', 400000 Ein-
wohner), dessen Badeort Spaa an Deutschlands schwerste Tage erinnert.
Zu beiden Seiten von Maas und Sambre mit ihrem Reichtum an Kohle
und Eisen (Verbindung der Ruhrkohlenlager mit denen Aachens und
Nordfrankreichs) der mittelbelgische Industriebezirk (7000 km-, 2,5 Milli-
onen Einwohner) mit Lüttich (450), Charleroi (250), Verviers und der
Kohlenstadt Mons. Nördlich davon das gartenartig angebaute Nieder-
Belgien, dessen Hügelland Brabant Wallonen, dessen Flachland Flamen
bewohnen (15000 km'^ beinahe 5 Millionen Einwohner). Die Grenze
ist leicht an den Ortsnamen erkennbar (Waterloo und Belle Alliance!).
Neben Ackerbau blüht noch heute die aus dem Mittelalter stammende
Textilindustrie, die sich entwickelte, als Flandern der Mittelpunkt des
europäischen Handels war, die Wege von Frankreich nach dem nord-
deutschen Flachlande, von England nach dem Festlande beherrschend.
Die Westmarken. 85
Brüssel (800) ist der Mittelpunkt der Wallonen, Antwerpen (450) und
Gent (220) sind die des Flamenlandes. Die Küste mit ihren Sanddünen
ist ein Mittelpunkt internationalen Badelebens.
Erst 1830 trennte sich das immer mehr französischem Einfluß ver-
fallende Belgien (Brüssel ist Klein -Paris) von Holland, nachdem schon
vorher Ludwig der XIV. in seinen Raubkriegen Französisch- Flan-
dern für Frankreich erobert hatte.
Dieses ist dank seiner Lage und seiner Kohlenschätze das größte In-
duistriegebiet Frankreichs geworden. Seine unter Vauban stark befestigten
Städte wurden seit 1871 vernachlässigt, weil Frankreich sich auf die Forts
von Antwerpen, Lüttich und Namur verließ.
Der Norden hat Textilindustrie (Lille— Roubaix^Rodebeke = Rothen-
bach), im Süden um Lens und Valenciennes Kohlenbergbau; Calais und
Dünkirchen vermitteln die Ausfuhr ufid sind wichtige Fährhäfen nach
England. Das Gebiet ernährte auf 12 500 km- beinahe 3 Millionen Ein-
wohner und hat im Kriege wohl mehr gelitten, als irgendein anderer
Teil der Erde.
Nur durch frühzeitige Inangriffnahme gewaltiger Deichbauten ver-
hinderten es die Holländer, daß ihr Land in ähnlicher Weise von Sturm-
fluten zerrissen wurde, wie große Teile der deutschen Nordseeküste im
Mittelalter. Mit Recht ist ihr Wahlspruch »Dens mare, Batavus (vgl.
Batavia) litora fecit«, denn ohne menschliche Arbeit würde das Meer die
8000 km- überschwemmt haben, die, von zahlreichen Flußarmen durch-
strömt, tiefer als der Meeresspiegel liegen (hier erinnert derVaal an Transvaal).
Schon im Mittelalter blühte im Lande, das die Mündungen von Rhein,
Maas und Scheide beherrschte, der Handel, und frühzeitig erwarb sich
der Holländer auch ein Kolonialreich, dessen Hauptbestandteile er erfolg-
reich gegen England verteidigte 0- Dazu kommt Textilindustrie, wenn auch
nicht in dem Umfange, wie in Belgien. Infolge des regenreichen Klimas
ist der Gartenbau hoch entwickelt, und auf üppigsten Wiesen weiden
gewaltige Viehherden (Käsebereitung). Weniger eignet sich das Klima
zum Anbau von Getreide, das eingeführt werden muß. In großem Um-
fange werden die Moore erschlossen, auch die Trockenlegung der Zuider-
see wird begonnen. Amsterdam (670), im Mittelalter eine der größten
europäischen Städte (Nordseekanal), droht von Rotterdam (520) über-
flügelt zu werden. Haag (370) ist die Landeshauptstadt, Utrecht (150)
wichtige Universität, Haarlem Mittelpunkt des Gartenbaus. Daneben zahl-
reiche industrielle Mittelstädte, von denen neuerdings Maastricht durch die
Kohlenfunde seiner Umgebung bekannt geworden ist. So ernährt das
Land auf 33000 km- 6 Millionen Menschen, und die Dichte ist mit 180
außerordentlich hoch.
^) Aber nur darum, weil England durch die Annexion dieses Gebietes in
Konflikte mit anderen Völkern geraten würde (vgl. den Kongostaat).
XI. Osteuropa.
Allgemeines.
Osteuropa entbehrt im Westen einer natürlichen Grenze und geht
allmählich in das norddeutsche Flachland über. Im Südwesten reicht
es bis an die Karpathen und umfaßt somit auch die Rumänische
Tiefebene. Weiterhin bilden das Schwarze Meer und der Kaukasus
eine natürliche Begrenzung, während eine solche im Osten durch den
Ural gegeben wird. Zwischen ihnen klafft eine breite Lücke, durch die im
Mittelalter die Mongolen eindrangen. Eigentlich müßte man die Kaspischen
Steppen schon zu Asien rechnen. Aber da aus wirtschaftlichen Gründen
der Unterlauf der Wolga nicht von ihrem Oberlauf getrennt werden kann,
zählen wir dieses Gebiet wirtschaftlich noch zu Osteuropa und begrenzen
es östlich mit den Mugodscharbergen (südliche Fortsetzung des Ural), süd-
lich durch die Seenplatte, die sich von diesen Höhen bis zur Cäsarewitsch-
bucht zieht, im Norden ist das Eismeer wieder eine natürliche Grenze,
im Nordwesten der Tornea Elf.
In diesem Umfange umfaßt Osteuropa 5,8 Millionen km-. Dieses riesige
Gebiet ist meist flachwelliges Hügelland (Osteuropäische Tafel), im Norden
überschüttet von den seenreichen Moränenböden der eiszeitlichen Ver-
gletscherung, die sehr an den Baltischen Höhenrücken erinnern und in den
Waldaihöhen gipfeln. Südlich der Linie Krakau, Lemberg, Kasan und
Ufa finden wir fruchtbaren, zu Schwarzerde verwitterten Lößboden, der
die größten Kornkammern Europas trägt. Bei Moskau und im Donez-
gebiet sind reiche Kohlenlager, stellenweise mit Eisenerzen verknüpft.
Außer der Großräumigkeit leidet die Erschließung des Landes dadurch,
daß die Flüsse im Norden lange Zeit vereist sind, im Süden in kaiion-
artigen Tälern sich zahlreiche Wasserfälle entwickeln. Der größte Fluß, die
Wolga, ist zwar weithin schiffbar, mündet aber in ein Binnenmeer, während
die Ostseeflüsse nur das westliche Randgebiet entwässern. Die buchten-
reiche Ostseeküste ist durch Untertauchen hügeligen (Schären) Landes
mit Binnenseen (Rigaischer Busen, vgl. Ladogasee) entstanden. Ähnlich
bildete sich die Schwarzmeerküste, deren Häfen (Limane) durch Sand-
barren vom Meere abgeschnitten werden, ungeeignet für den modernen
Verkehr (Lage von Odessa!).
Von den Randgebirgen ist der an die deutschen Mittelgebirge erinnernde,
dicht bewaldete U r al durch seinen Reichtum an Eisen, Gold, Silber und Platin
das wichtigste. Er setzt sich nach Norden im vereisten Nowaja Semlja fort.
Der ungleich höhere Kaukasus ist dagegen ein junges Hochgebirge,
dessen höchste, vom Hauptkamm abliegenden Gipfel Vulkane (Elbrus und
Kasbek) sind. Im Westen ist das Gebirge dicht bewaldet und reich an
Gletschern, im Osten erstickt es im eigenen Schutt. Westlich setzt sich
der Kaukasus in der dachartigen Kalkscholle der Krim (Jaila Dagh), dem
Balkan und den Karpathen fort, ebenfalls jugendlichen, erzarmen Gebirgen.
Den Nordrand dieses Gebirgsgürtels begleitet die Zone der Erdöllager,
die bei Baku, der Halbinsel Kertsch, in Rumänien und Mittelgalizien am
ergiebigsten ist. Erdöl ist von wesentlicher Bedeutung als Heizmaterial in
diesen holz- und kohlenarmen Ländern.
Alloemeines.
87
Sibirien
Bei der Großräumigkeit des Landes erscheint der Einfluß des Klimas
auf die Pflanzendecke deutlicher als in einem anderen Teile Europas.
Die Niederschläge sind am höchsten im Westen und nehmen nach Osten,
Süden und Norden zu ab. Der Süden ist das Gebiet der trockenen,
heißen Sommer, so
daß auf der Linie Ki- .^Golfsfrom ^r
schinew Samara die
Temperatur einen gan-
zen Monat lang nicht
mehr unter 20"^ fällt.
Am Rande des Eis-
meeres dehnt sich die
Tundra aus. Ganz
Finnland und Rußland
bis zur Linie, die vom
Ladogasee bis zum Süd-
rande des Uralgebirges
reicht, bilden das Ge-
biet der Nadelwäl-
der, die sich östlich
weit nach Sibirien er-
strecken, nur durch die
Hochgebirgsregion
des Uralkammes
unterbrochen. Bis zur
Linie Lemberg — Kasan
reicht die Zone der ge-
mischten europäi-
schen Wälder, die heute bis auf den Urwald von Bjelowsjesk, das
sumpfige Waldgebiet der Rokitnosümpfe und die Waldaihöhen stark mit
Ackerland durchsetzt ist. Auch nördlich der Linie Twer — Reval über-
wiegt noch der Wald, viel von Mooren
unterbrochen. Den Südosten Ost-
europas bildet die Steppe, in die bis
zur Linie Kischinew — Saratow noch
zahlreiche, namentlich die Flüsse^)
galerieartig begleitende Waldinseln
eingestreut sind. Erst südlich dieser
Übergangs- oder Vorsteppe
dehnt sich die eigentliche Gras-
steppe aus, das Krimgebirge ist be-
waldet. Bis zu den Erghenihügeln NeueTalsfücke nach Einbruch d.Pontus
reichen die Pontischen, vielfach 24. Die Flüsse Südrußlands.
Waragerlln
GlazidleSepn 5ilPi Grenzmarken
-: Der Zwischensaum
( Pencks„Zwi3chpneuropd 1
23. Osteuropa.
i/iiiii Kohlen VErze
— Eisenbahnen
•Hduptkamme
^Waldwirfsdiaft
■ Tundra
■ Wus^p^s^pppe
Grdssteppe
5teppe m Wdldinseln
*) Wahrscheinlich floß früher die Donau durch die Manytschsenke zum
Kaspischen Meer, mit ihr parallel zahlreiche andere Flüsse. Erst beim Ein-
bruch des Schwarzen Meeres wurde der Gebirgswall zertrümmert und neue,
nach Südwesten gerichtete Flüsse zapften die alten, südöstlich gerichteten an
(Dnjepr, Don und Donez).
88 XI. Osteuropa.
in Ackerland umgewandelten Steppen. Östlich in ihrem Regenschatten
liegen die Kaspischen Steppen, die zwischen Wolga und Uralfluß
in Salzsteppen mit wüstenartigem Charakter übergehen. Der Süd-
abhang der Krim und die Schwarzmeerküste südlich des Kaukasus tragen,
geschützt von Nordwinden, schon Mittelmeerflora mit Ölbäumen,
Zypressen und Rhododendren. Hier liegen in der russischen Riviera
wichtige Kurorte, wie Livadia, Jalta und Gagry (letzteres merkwürdiger-
weise in keinem Schulatlas zu finden!), das russische Monte Carlo.
Die Bevölkerung Osteuropas war vor dem Kriege auf 160 Millionen
zu schätzen. Etwa die Hälfte davon sind Großrussen, die stark mit
mongolisch -finnischem Blute durchsetzt sind; sagte doch Napoleon I.
»Kratze am Russen, und es kommt der Tatar zum Vorschein«. Sie siedeln
besonders in der Mitte des Landes, haben sich aber auch weit nach
Sibirien und Kaukasien verbreitet. Nahe verwandt mit ihnen sind die
Weißrussen (8 Millionen) und die Kleinrussen, Ruthenen oder Ukrainer
(30 Millionen), die in den Flußgebieten des Dnjepr, Dnjester und
Donez siedeln.
Die Rokitnosümpfe trennen die Russen von den Polen (14 Millionen),
die vielfache Beziehungen zu Westeuropa haben. An der Ostseeküste
und im Stromgebiete der Düna siedeln die Letten (4 Millionen) und
Finnen (3 Millionen), die mit den Esten (500000) verwandt sind. Die
Lappen, Samojeden und Sirjänen (1 Million) leben zumeist in der
Tundra und am Nordrande des Waldgebietes, in den südöstlichen Steppen
die Kalmücken, Kirgisen und Baschkiren (16 Millionen). Sie stellen
auch die Kosaken und sind vielfach schon in den Russen aufgegangen.
Die Zahl der Rumänen Osteuropas kann man auf etwa 9 Millionen
schätzen.
Die Geschichte.
Nach einer langen Zeit innerer Streitigkeiten und lokaler Kämpfe ent-
wickelte sich im Ackerbaugebiete Mittelrußlands um 1500 das russische
Großfürstentum zu einem großen Staatsgebilde, im Süden begrenzt durch
mongolische Chanate, im Westen durch Polen — Littauen und die schwe-
dischen Ostseekolonien. Unter Iwan dem Schrecklichen wurden auch
viele Deutsche ins Land gezogen. Zuerst dehnte sich das Land in der
Richtung des geringsten Widerstandes nach Osten aus, wo schon 1648
der Stille Ozean (Ochotsk) erreicht wurde. Unter Peter dem Großen
wurde die Ostsee erreicht und St. Petersburg (1703) gegründet, unter der
Zarin Katharina (Jekaterinenburg, Jekaterinoslaw, Jekaterinodar) das
Schwarze Meer und hier 1795 Odessa gegründet. Bei den Teilungen
Polens erwarb sich Rußland ausgedehnte, wenn auch nicht dicht be-
völkerte Teile. Das Ziel, die eisfreie See zu erreichen, beherrschte von
nun an die russische Politik. Der Krimkrieg und der Russisch-Japanische
Krieg wurden dadurch verursacht, nachdem England geschickt die Aus-
dehnungsbestrcbungen von den Grenzen Indiens ferngehalten hat. Nach
Niederwerfung der kleinen Nachbarstaaten wurde Rußland die größte
Die westlichen Marken. 89
Landmacht der Erde. Das europäische Rußland umfaßte 85 Prozent der
Fläche Osteuropas, 130 000 km- kamen auf Kongreßpolen, 370000 auf
Finnland, 100000 auf Galizien und die Bukowina, 1 15000 auf Rumänien
und der Rest auf Ziskaukasien.
Die westlichen Marken.
Vom Standpunkt des Geographen ist es notwendig, die westlichen
Randlandschaften als westliche Marken vom Kern zu trennen, dazu
das transuralische Erzgebiet um Katharinenburg als Uralische Mark
und das untere Wolgagebiet mit dem Uralfluß und dem Terekgebiet als
Kaspische Mark abzuscheiden, sowie endlich Rumänien und Bessarabien
als Rumänische Mark. Dabei liegt es in der Natur dieser Übergangs-
gebiete, daß wir sie zum Teil schon bei Mitteleuropa behandelten.
Das Kerngebiet gliedern wir in die nördliche Waldzone bis zur
Linie Petersburg, Oberlauf der Wolga bis Kasan und Knie des Uralflusses
beiOrsk, die mittlere Ackerbau zonebiz zur Linie Kischinew — Charkow —
Samara und die südliche Steppenzone, deren Teilung in Pontische und
Kaspische Steppen wir schon erwähnten.
Die westlichen Marken beginnen mit der Finnischen Mark
(370000 km^ mit 3,5 Millionen Einwohnern). Der größte Teil des Landes
(57 Prozent) ist bewaldet, ein Drittel ist Ödland, nur 2 Prozent Acker-
boden. Die Hauptsiedlungen Helsingfors (190), Abo, Tammersfors und
Wiborg (je 50000) haben großen Holzhandel und Holzindustrie, deren
Kraft die großen Wasserfälle liefern. Unter den Bewohnern sind 400000
Schweden.
Südlich des Finnischen Meerbusens umfaßt die Lettische Mark den
größten Teil der Stromgebiete der Düna und Memel und wurde wie die
Polnisch-Galizische Mark (220000 km- mit 22 Millionen Ein-
wohnern) schon bei Mitteleuropa besprochen.
Eine eigenartige Erscheinung dieser breiten Grenzsäume zwischen
zwei ganz verschiedenartigen Kulturgebieten Ist das Durchsetzen der
Städte mit einer zahlreichen (bis 75 Prozent steigenden!) jüdischen Be-
völkerung, die meist den Handel in ihren Händen hat. Ein Vergleich
mit den Erscheinungen, die in der Chemie häufig an der Grenze zweier
Flüssigkeiten auftreten, liegt nahe.
Die Westmarken werden abgeschlossen durch die RumänischeMark
(160000 km-, 10 Millionen Einwohner), deren Bewohner ein Misch volk
der Römer mit den Daziern sind. Sie wird zumeist von üppigstem
Ackerland (in Rumänien 50 Prozent) eingenommen, dessen Ertragfähig-
keit (Weizen und Mais) noch erheblich gesteigert werden kann. Dazu
kommen die wichtigen Erdöllager. Die Hauptsiedlungen sind Bukarest,
Jassi und das bessarabische Kischinew, die Haupthäfen Galatz (für die
Moldau) und Braila (für die Walachei) mit großen Hafenanlagen. Im
Verkehr wurden sie allerdings durch das aufblühende Konstanza, den
Hauptort der Dobrudscha (vgl. Dinarische Halbinsel), überflügelt. Zum
Königreich Rumänien gehört bis auf weiteres auch Siebenbürgen, das
geographisch einen Teil des ungarischen Kessels bildet (vgl. Kap. X).
90 XI. Osteuropa.
Das Kerngebiet.
Das russische Kerngebiet (»Großrußland«) umfaßt 3,7 Millionen km-
mit annähernd 100 Millionen Einwohnern.
Am dünnsten sitzt die Bevölkerung im Waldgebiet (2,2 Millionen km-
mit 15 Millionen Einwohnern), dessen größte Siedlung, Archangelsk, sich
im Weltkriege vorübergehend zu dem wichtigsten Hafen Rußlands ent-
wickelte. Durch eine Eisenbahn steht es mit Moskau in Verbindung.
Eine neue Bahnlinie (Murmanbahn) führt zur Murmanküste mit ihren
eisfreien Häfen, die in Zukuft wichtiger werden dürften, da Archangelsk
vier Monate vereist ist. Im Erzgebiet des Ural blühen Ufa und Perm
durch Bergbau. Schon an der Grenze des Waldgebietes liegt St. Peters-
burg, Rußlands frühere Hauptstadt und größte Fabrikstadt, deren Ver-
sorgung mit Kraft durch die finnischen Wasserfälle erfolgen soll ; nach
Riga ist es der größte russische Ostseehafen. Vor ihm liegt die Insel-
festung Kronstadt.
Im Ackerbaugebiet (l Million km^, 70 Millionen Einwohner) steigt
die Dichte auf 70. Zwischen der alten Zarenstadt Moskau (2 Millionen
Einwohner) und der Wolga hat sich ein großes Industriegebiet mit Baum-
wollspinnereien (die Wolle kommt aus Turkestan) und Maschinenfabriken
entwickelt. In der Umgebung Tulas finden wir, begünstigt durch Kohlen-
lager und Eisenerze, Maschinenindustrie und Leinwandspinnerei. Die alte
Messestadt Nishnij Nowgorod hat viel von ihrer Bedeutung eingebüßt und
ist von Kasan überflügelt, in dessen Umgebung Wollindustrie blüht. Bei
Samara verzweigen sich die Bahnen nach Sibirien und Turkestan. Während
im Norden des Ackerbaugebietes besonders Roggen und Gerste angebaut
werden, finden wir im Südwesten Weizen und Zuckerrüben. In diesem
als Ukraine bezeichneten Gebiet steigt die Dichte auf über 80; Kiew
und Charkow sind die wichtigsten Siedlungen, Poltawa ist geschichtlich
bekannt (Karl XII.).
Obwohl die Ukrainer nach neueren Untersuchungen mehr mit den
Südslawen als mit Großrussen verwandt sein sollen, verbinden doch zu
viele gemeinsame Beziehungen beide durch keinerlei natürliche
Grenzen geschiedenen Völker (ein Vergleich mit den Nieder- und Ober-
deutschen liegt nahe). Auf eine längere politische Trennung ist deshalb
kaum zu rechnen. Der größte Teil der Ukrainer siedelt (stark mit Groß-
russen durchsetzt, die namentlich die Beamtenschaft in den Städten bilden)
im Steppengebiet.
Das Steppengebiet ernährt auf 600000 km- über 22 Millionen Ein-
wohner, und der Ackerbau dehnt sich mehr und mehr aus. Dazu ist auch
die Viehzucht in den Grassteppen weit verbreitet und liefert gewaltige
Wollmengen. Im Inneren ist jekaterinoslaw eine bedeutende Fabrikstadt
(Getreidemühlen an den Dnjeprschnellen), im Donezgebiet entwickelt sich
in stark anwachsenden Städten, die durch ein dichtes Bahnnetz verknüpft
sind, im Anschluß an Kohle und Erz eine großartige Eisenindustrie. Doch
i.st der Abbau der Kohlen noch gering, da Holz (von Norden herunter-
geflößt) und Erdöl billigeres Brennmaterial liefern. An der Küste ist Odessa
(Hafen des Weizengebietes) der größte russische Hafen mit großen künst-
östliche Marken. 91
liehen Molen geworden. Cherson ein zweiter anfblühender Getreidehafen,
Nikolajew und Sebastopol (Krimkrieg) Kriegshäfen. Die Erzeugnisse des
Donezgebietes führt nebst Getreide das stark wachsende Rostow aus,
dessen Bedeutung nach Ausführung des Don-Wolga-Kanales noch steigen
wird. Jekaterinodar ist der Mittelpunkt des ziskaukasischen Weizengebietes
mit dem Hafen Noworossijsk. Wladikawkas beherrscht (beim Namen vgl.
Wladiwostok) den wichtigsten Kaukasusübergang, die Grusinische Straße,
deren Untertunnelung geplant ist.
Östliche Marken.
Die Kaspische Mark ist ein Übergangsgebiet zwischen Europa und
Asien, in dem auf 400000 km^noch nicht 10 Millionen Einwohner leben.
Der Mittelpunkt der Wolgafischerei (Störfang, Kaviar) ist Astrachan mit
völlig mohammedanischem Charakter; Orenburg ist der Stapelplatz eines
Weizengebietes.
Jenseits des Ural dehnt sich die Uralische Mark (200000 km- mit
2 Millionen Einwohnern), die wirtschaftlich noch zu Europa gehört. Hier
ist der Bergbauort Katharinenburg die Hauptstadt, die den niedrigsten
Uralübergang beherrscht. An der Sibirischen Bahn blüht Tscheljabinsk
durch Getreidehandel auf.
Wirtschaftlicher Überblick.
Das europäische Rußland hat die ausgedehntesten Wälder Europas
(39%); das Ödland (Moore, Wüsten und Tundren) umfaßt ig'^/o. Wiesen
und Weiden IS^/o, das Ackerland, das im Zeitraum von 1894 — 1913
um 50 Vo zunahm, etwa 26^0 (1892), heute wahrscheinlich beinahe 40°/o.
Nicht nur der Ackerbau, sondern auch die Viehzucht und Industrie sind
einer gewaltigen Steigerung fähig. Erschwert wird diese durch die Groß-
räumigkeit des Landes, den Charakter der Wasserstraßen und das noch
nicht genügend ausgebaute Bahnnetz, dessen Güterwagenmenge unzu-
reichend ist. Viel muß man sich von dem Ausbau der Wasserstraßen
versprechen. Von den Außenländern ist Sibirien namentlich durch
Getreideanbau und Bergbau von großer Zukunftsbedeutung und kann
sicher für Europa bei Ausbau der Verkehrslinien im Verein mit Süd-
rußland (Donauweg!) Nordamerika ersetzen. In Turkestan ist der Baum-
wollanbau (Ferghana) wichtig.
Rußland, Mitteleuropa, die Balkanstaaten und die Türkei sind imstande,
sich zu einem geschlossenen Wirtschaftsgebiet zu entwickeln, das sich
fast unabhängig von dem angloamerikanischen und dem japanisch-
ostasiatischen machen kann und vielleicht auch einmal wird — falls die
augenblicklichen chaotischen Zustände, die dem Lande bisher 40 Millionen
Einwohner kosteten, ihr Ende finden.
XII. Südeuropa.
Südeuropa umfaßt den europäischen Anteil der Mittelmeerländer,
für die besonders die Hartlaubgewächse bezeichnend sind. Sein im
Norden noch regenreiches Klima wird nach Süden zu immer trockener und
nimmt teilweise nordafrikanischen Charakter an, so daß der Araber sich hier
längere Zeit halten konnte (Südspanien, Sizilien). Zwischen den plumpen
Formen der Pyrenäenhalbinsel und der zierlichen Struktur des Balkans
hält Italien die Mitte; auch ungefähr in der Mitte des Mittelmeergebietes
gelegen, wurde es seine Vormacht, während der Balkan an seiner völkischen
Zerrissenheit und die Pyrenäenhalbinsel an der Trockenheit des inneren
Tafellandes krankt, das die seetüchtigen Randgebiete politisch beherrscht.
Die Pyrenäenhalbinsel.
Die Pyrenäenhalbinsel umfaßt 587000 km- mit 24,5 Millionen
Einwohnern. Ihre Umrisse sind im allgemeinen plump, und nur im Norden
ist die Küste reicher gegliedert und weist namentlich in Galizien zahlreiche
tiefe Buchten auf. Das Kartenbild beherrscht die große Hochtafel des
Inneren mit ihren vielfach kafionartig eingegrabenen verkehrsfeindlichen
Tälern (Verlauf der Eisenbahnen!). Das Kastilische Scheidegebirge, eine
Zone von Mittelgebirgen mit Moränenseen, scheidet die beiden Land-
schaften Kastilien, die vielfach trockene Grassteppen tragen.
Aufbau.
Das unwirtliche Pyrenäengebirge (Maladetta, Mont Perdu) bildet
mit seinen wenigen hochgelegenen Pässen eine gute Grenze gegen Frank-
reich und ist reich an Moränenseen und Zirkustälern. Auch in der Eiszeit
trug das gletscherarme Gebirge keine bis ins Vorland dringenden Gletscher,
so daß die den Alpen eigenen Randseen fehlen. Im Westen setzen sich
die Pyrenäen im Kantabrischen Berglande mit seinen reichen
Eisenerzen (Bilbaol) fort. Im zwischenliegenden Basken lande wird das
Gebirgsland niedriger, so daß hier Leitlinien für den Verkehr von Frank-
reich nach Kastilien entstehen.
Das rings von Gebirgen umrahmte Ebrobecken ist durchaus verkehrs-
feindlich und zugleich arm an Niederschlägen, so daß auch die Landwirt-
schaft nur eine geringe Rolle spielt. Von Kastilien scheidet es ein als
Iberisches Scheidegebirge zusammengefaßtes Hügelland.
Das Hochland von Kastilien dacht sich westwärts in das Hügelland von
Portugal ab, das reicher an Niederschlägen ist und viel Wald (nament-
lich Korkeichen) trägt. Die großen Flüsse haben auch mehrere Schwemm-
ebenen geschaffen, von denen das Tajotiefland die ausgedehnteste ist.
Nach Süden fällt das Kastilische Hochland mit einem bewaldeten Steil-
rande (Sierra Morena) gegen das Andalusische Tiefland ab. Der Ge-
birgsrand ist reich an Erzen (Kupferminen von Rio Tinto, Quecksilber
von Almaden) und findet seine westliche Fortsetzung im Hügellande der
Algarve. Die Andalusische Ebene ist vom Guadalquivir und seinen Neben-
Klima und Wirtschaft.
93
J- Agrumina
flüssen aufgeschüttet. Von ihnen sind die südhchsten am wasserreichsten,
da sie das bis in den Sommer mit Schnee bedeckte Hochgebirge der
Sierra Nevada entwässern, in der die Halbinsel ihre höchsten Erhebungen
erreicht (3480 m in Mulhacen).
Die Sierra Nevada ist der höchste Teil eines als Bätische Kordilliere
bezeichneten Kettengebirges, das ostwärts bis auf die höchsten Kämme
(Balearen und Pityusen) unter das Mittelmeer gesunken ist.
Klima und Wirtschaft.
Die Halbinsel liegt fast ganz im Bereiche des Mittelmeerklimas
mit seinen geringen, meist auf den Sommer beschränkten Niederschlägen.
Nur das Kantabrische Bergland hat Regen zu allen Jahreszeiten und er-
innert mit seinen üppigen Wiesen und Wäldern (Kastanien- und Nuß-
bäume) an Mitteleuropa.
So finden wir hier auch
ausgedehnte Rindvieh-
zucht, während in der
übrigen Halbinsel Zie-
gen und Schafe über-
wiegen. Es sind die
westlichen Teile am
regenreichsten, nach
Osten nimmt die Höhe
der Niederschläge ab.
Das reicher bewal-
dete Portugal steht
hier dem mit Gras-
steppen und Weizen-
feldern bedeckten Kasti-
lien gegenüber, in dem
nur die höheren Gebirge noch Waldinseln tragen, die aber durch die Jahr-
hunderte alte Kultur vielfach stark gelichtet sind. Am geringsten sind
die Niederschläge im Ebrobecken und an der Ostküste vom Kap Gata
bis zur Ebromündung, wo jedoch eine üppige Kultur einsetzt, so-
bald für hinreichende Berieselung gesorgt wird. So dehnen sich zwi-
schen trockenen Grasflächen die üppigen Berieselungsoasen der Huertas
(hortus), in denen Granaten, Apfelsinen, Wein, Rosinen, Orangen und
Zitronen reifen. In Elche finden wir sogar die Dattelpalme. In Kata-
lonien überwiegen Weingärten und Olivenhaine; im reich benetzten,
subtropisch warmen Andalusien gedeiht neben dem Reis, der auch
in Portugal und im Ebrotale angebaut wird, sogar das Zuckerrohr. An
der portugiesischen Küste reichen die Agrumina (Orange und Zitrone)
bis zur Dueromündung; auch der Weinbau ist hier weit verbreitet. Die
feurigsten Weinsorten gedeihen auf den Hügeln Südandalusiens und am
Südabhange der Sierra Nevada, geschützt vor kalten Nordwinden (Jerez
und Malaga). Von der Gesamtfläche entfallen 18,5Vo auf Wald, 34 "/o
auf Ackerland, 21 "/o auf Wiesen und Weiden, der Rest auf Ödland;
20000 km- sind mit Wein bebaut.
X% Korkeichen
'.'*:' Wald u Wiesen
X Bergbau
'''i.' Gutes Kulturland
Wein
HÖdlandl Acker u:sw |Wiese| Wald
25. Pyrenäenhalbinsel.
94 XII. Südeuropa.
Bevölkerung.
Während im Altertum die Iberer das Innere der Halbinsel besiedelten,
waren die warmen Küsten das Kolonialgebiet der Phöniker, Karthager
und Griechen, woran die Namen Oades (Cadix), Malaga (Malakos =
mild; früher Malaca), Karthagena (Karthago nova), Kap Gata, Sagunt
(Zakynthos), Barcelona (Barkas), Mahon (Mago) und Ballearen (Schleuderer-
inseln) gemahnen. Später wurde das Land von den Römern unterworfen
und nahm von ihnen Kultur und in weitgehendem Maße auch die Sprache an.
Die Namen Merida (Emerita Augusta), Porto (Portus Cale), Leon (Legio),
Lugo (Lucus), Pamplona (Pampaelo), Valencia, Estremadura (extremadura)
und Zaragoza erinnern hieran. Im Mittelalter überfluteten nach der van-
dalischen Invasion (Andalusien) die Araber die Halbinsel und hielten
den halbafrikanischen trockenwarmen Südosten lange in ihrem Besitz, so
daß im Südspanier heute noch viel maurisches Blut rollt. Neben wunder-
vollen Bauten lebt diese Zeit in den Namen Guadiana, Guadalquivir,
Quadalasiar (WadisO sind die oft austrocknenden Flüsse Arabiens und Nord-
afrikas), Granada (Granatapfelstadt), Mulhacen (Berg des Mulay Hassan),
Gibraltar (Gebel al Tarik), Sierra de Guadelupe, Alkazar und anderen fort.
Politische Entwicklung.
Die Christen hielten sich nur im regenreichen Nordwesten, sich in ihren
Kastellen verteidigend, so daß ihr Land treffend Kastilien genannt wurde.
Schon frühzeitig finden wir die Dreiteilung in Portugal (schiffbarer Unter-
lauf von Tajo und Duero mit regenreicher Westküste), Kastilien (rauhe
Hochfläche des Inneren) und einem stark mit französischem Blut durch-
setzten Nordosten (Ebrobecken mit Aragonien und der Katalonischen Küste).
Später dehnt sich Portugal bis zur Algarve aus, Kastilien über das Kolonial-
land Neu-Kastilien bis zur Mittelmeerküste. Wirtschaftlich kommt
noch heute diese Dreiteilung in den Städten Madrid, Lissabon
und Barcelona zum Ausdruck, die weit die anderen Siedlungen über-
ragen. Nach Entdeckung der Neuen Welt wurden Spanien und Portugal
große Kolonial Völker. Spanisches und portugiesisches Wesen kennzeichnen
noch heute den Bewohner des Lateinischen Amerikas. Aber Portugal,
das an sich arme Mutterland, war nicht imstande, auch bis in die Neuzeit
sein ganzes Kolonialreich zu halten, und geriet inuiier mehr in englische
Abhängigkeit, während Spanien daran krankte, daß der seefremde kontinen-
tale Kastilier, der sich nicht zum Kolonisator eignete, die herrschende Rolle
spielte. Katalonien gehört zwar seit Jahrhunderten zu Spanien, aber hin
und wieder regt sich der Unabhängigkeitsgeist. Seit 1704 sitzt der Eng-
länder in Gibraltar, dem »Pfahl im Fleische Spaniens«.
Die große Verbreitung der spanischen und portugiesischen
Sprache erklärt sich aus der Ausdehnung der ehemaligen Kolonialgebiete,
besonders in Süd- und Mittelamerika, wo 50 bzw. 25 Millionen Spanisch
oder Portugiesisch sprechen, und Spaniens Bedeutung hat durch den
Weltkrieg derart gewonnen, daß z. B. Madrid zu einer Millionenstadt ge-
worden sein soll.
') Qua Wadi, Valladolid = Stadt des Wali.
Binnenlandschaften. 95
Wir gliedern die Halbinsel am besten in die Binnenlandschaften
und die Randgebiete.
Binnenlandschaften.
Binnenlandschaften sind die beiden Kastilien mit ihren Grassteppen
(MatTcha, Espartogras) und die Ebrosenke (Aragonien) mit stellenweise
wüstenartiger Landschaft. Auf 360000 km- siedeln hier nur 8 Millionen,
gegen 7,6 Millionen 1870 (D. = 23).
Das städtische Leben beherrscht Madrid, der natürliche Mittelpunkt
der Halbinsel, ihr wichtigster Eisenbahnknoten und als Hauptstadt Spaniens
auch dessen größte Stadt (650), die keine größere Siedlung neben sich in
Neu-Kastilien aufkommen ließ. Die größte Stadt Altkastiliens ist Valladolid,
als Verkehrspunkt hinter dem Eisenbahnknoten Medina del Campo zurück-
stehend. Burgos beherrscht die Wege nach Nordosten, Santander (Lücke
des oberen Ebro) den Seeverkehr. Im Ebrobecken finden wir vielfach
künstliche Bewässerung, alle Siedlungen überragt Zaragoza (llO), dessen
Bedeutung nach Untertunnelung der Pyrenäen sehr steigen wird.
Randlandschaften.
Die Rändlandschaften umfassen nur 225 000 km-, enthalten aber mehr
als 15 Millionen Einwohner (D. = 68!).
Wald, Wiesenwirtschaft und Erzbergbau kennzeichnen das Gal i zisch -
Kantabrische Bergland. Im Baskenlande liegen Bilbao (lOO) und
St. Sebastian, zu Neukastilien gehört Santander, in Asturien sind Oviedo und
Gijon, in Galizien neben dem Wallfahrtsorte Santiago de Compostella die
Kriegshäfen Coruna, Ferol und das aufblühende Vigo die wichtigsten
Siedlungen.
In Portugal siedelt die Bevölkerung besonders dicht (90 auf 1 km-);
die Häfen Lissabon (500) mit seinem großen Durchgangshandel und der
Weinhafen Porto beherrschen das Wirtschaftsleben.
Andalusien umfaßt neben üppigst angebautem Tiefland (Tiefebene
15000 km-, davon 2000 Sumpf, Moore usw.) auch Grassteppen und viel
Ödland, so daß die Dichte nur 43 beträgt (bei beinahe 2 Mill. Einw.).
Sevilla (170) ist die wichtigste Hafen- und Industriestadt (Tabakfabriken),
das aufstrebende Huelva der Hafen der Rio-Tinto (Tintenfluß) -Minen,
Cordoba und Jerez die wichtigsten Siedlungen des Inneren. Ihr enges Straßen-
netz mutet durchaus arabisch an. Wie Cordoba hat aber auch die ehe-
mals bedeutende Hafenstadt Cadix (mit Nebenhäfen 120000 Einw.) viel
von der alten Größe eingebüßt, während an der Grenze des Gibraltar-
bezirkes La Linea (Grenzlinienstadt) aufblüht.
Granada, Murcia und Valencia bilden die Agrumenküste (3,6 Mill.
Einw., D. = 60), deren Siedlungen meist in ausgedehnten Bewässerungs-
oasen liegen. Am größten ist Valencia (250) als Mittel meerhafen Kastiliens,
bedeutungsvoll sind auch Malaga (150), die große Oase Murcia, der
Kriegshafen Karthagena, die alte Maurenresidenz Granada, die Bergbau-
stadt Lorca und die Weinhäfen Alicante und Almeria.
Katalonien (20000 km^ mit 1,8 Mill. Einw.) ist mit seiner fleißigen
Bevölkerung das gewerbreichste Land der Halbinsel. Die Industrie (Baum-
wollspinnereien, Seidenweberei und Korkindustrie) blüht namentlich in
96 XIl. Südeuropa.
Barcelona (650), welches als erste Fabrikstadt der Halbinsel Madrid zu
überflügeln droht, während das im Altertum blühende Tarragona zurück-
geblieben ist.
Auf den Balearen (5000 km^ mit 330000 Einw.) ist das arabisch
enge Palma die wichtigste Siedlung. Von der Ausfuhr Portugals (131 Mill. M.)
entfiel der größte Teil auf Wein (35*'/o), neben dem auch Kork (13%)
von Bedeutung war. Erheblich größer war mit 805 Millionen die spanische
Ausfuhr, in der (in Mill. kg) Eisenerze (8600), Kupfererze (1100) und
Früchte die Hauptrolle spielten. In der zukünftigen Entwicklung des Landes
wird bei der Kohlenarmut die Ausnutzung der Wasserkräfte (5 Millionen
Pferdekräfte gegen 1,43 in Deutschland) eine große Bedeutung haben.
Bisher sind erst t°lo ausgenutzt. Auch Südfruchtanbau und Landwirtschaft
sind bei größerer Berieselung großer Entwicklung fähig; man denke an
das kalifornische Vorbild.
Die Apenninenhalbinsel.
Obwohl die Apenninenhalbinsel an Fläche nur drei Fünftel der
Balkanhalbinsel und sogar nur die Hälfte der Pyrenäenhalbinsel einnimmt,
zeigt sie mit ihren 35 Millionen Einwohnern die sonst nirgends im Mittel-
meergebiet erreichte Durchschnittsdichte von 120 gegen 42 und 45 auf
den beiden anderen Halbinseln.
Lage und Aufbau.
Für diese Vorrangstellung sind einmal die Lage innerhalb des Mittel -
meergebietes, sodann aber auch das Relief und die Verteilung der
Tiefebenen maßgebend.
Das Mittelmeer nähert sich zu beiden Seiten der Halbinsel im Adria-
tischen Meer und der Tyrrhenis am meisten dem großen mittel- und nord-
europäischen Wirtschaftsgebiet, das über Genua und Venedig — Triest
seine Schätze mit denen des Orients austauschen kann. Sodann nimmt
Italien eine Zentralstellung innerhalb des Mittelmeers ein, dessen wichtigste
Schiffahrtswege sich bei Malta und Messina verknüpfen. Vier Zehntel
seiner Fläche (gegen 33*^/0 auf der Balkan- und 20 "/o auf der Pyrenäen-
halbinsel) sind Tiefland. Allein 50000 km^ mit mehr als 11 Millionen
Bewohnern entfallen auf die Poebene, zu der sich kein Gegenstück im
übrigen Südeuropa findet. Die Tiefebenen der Pyrenäenhalbinsel sind
nur Anhängsel an das Kastilische Hochland; die Senken der Balkan-
halbinsel liegen vielfach kesselartig fern von der See, durch unwegsame
Gebirge voneinander getrennt.
Die italienischen Schwemmländer (alle im Altertum wichtiges
Kulturland) liegen zwar zu verschiedenen Seiten des Apen-
nin, aber dieser ist meist schmal und wird von vielen Senken als Leit-
linien für den Verkehr durchzogen. Zudem reihen sie sich perlschnurartig
entlang der Adria und dem Tyrrhenischen Meere, nur durch leicht über-
schreitbare niedrige und fruchtbare Hügelländer getrennt.
Im. Norden bilden die Alpen einen leicht zu verteidigenden Grenzwall.
Die eiszeitlichen Gletscher hobelten nicht nur die zahlreichen Pässe aus,
auf denen sich schon im Mittelalter ein reger Verkehr entfaltete, sondern
ihre Moränenwälle dämmten am Gebirgsrande auch die großen Seen ab,
26. Apenninenhalbinsel.
97
die nicht nur durch ihren Fischreichtum eine zahlreiche Bevölkerung ernähren
(Pesciera = Fischerstadt), sondern auch regen Fremdenverkehr begünstigten,
und als natürliche Talsperren die in den letzten Jahren so gewaltig ge-
steigerte elektrische Industrie Norditaliens bedingen. Dazu bietet das Gebirge
neben Wald üppige Matten mit ausgedehnter Viehwirtschaft. An den Seen
reift, vor Nordwind geschützt, die Zitrone, und in den Vorbergen bilden
Edelkastanien und Maulbeerbäume (Seidenindustrie) ausgedehnte Wälder.
Südlich der Alpen dehnt sich die Poebene, entstanden durch frucht-
bare Aufschüttungen der großen Flüsse. Daß die Flußanschwemmungen
das schon heute sehr flache nördliche Adriatische Meer immer mehr
versanden, lehrt die Ver-
Gotthard
Simplon
MfCenis ""
Brenner
Ponfafel
Tri est
Ni z2a
lllll|l6ro5S-Jndusfrie
Landwirfschaft
©Vulkane
Zugangswege
■ ..erlöshe'JtaliGner
&l^): Jrredenta
landung der Häfen Adria,
Aquileja und Ravenna.
Nur durch Ableiten der
unteren Brenta wurde die
Lagune von Venedig vor
ähnlichem Schicksal be-
wahrt. Am Nordrande
der Ebene bilden die Mo-
ränen der Eiszeitgletscher
große Hügelwälle und
umkränzen nicht nur den
Gardasee, sondern sind
auch bei Ivrea, am Lan-
gen see und am Ausgange
des Tagliamentotales zu
erkennen. Bis auf den
sumpfigen Küstenstreifen
und die Schotterbetten
der Flüsse ist das Land
überaus fruchtbar. Es ge-
deihen bei gartenartigem
Anbau Weizen, Reis und
Mais, und über den Fel-
dern schlingt sich noch
die Weinrebe von Baum zu Baum. Aus der Tiefebene erheben sich die
Vulkanruinen der Euganeen und Bericiberge mit Schwefelquellen und
ausgedehnten Weingärten.
Am Col di Tenda (besser würde man die tiefe Bochettascharte nehmen)
gehen die Alpen in den Apennin über, der bis zum windspaltenden
Spartiventokap die Halbinsel durchzieht. Im Nordapennin, der zumeist
aus Tonen besteht (tuskische Töpferei, Fayence, Terrakotta), sind noch die
Falten erkennbar, im Südapennin überwiegen plumpe steile, meist aus Kalk
bestehende Bergklötze, die auf ihren Hochflächen große Eichenhaine tragen
(Rila und Aspromonte), während ihre kahlen Hänge von schutterfüllten
Schluchten (Torrenten oder Fiumaren) zerschnitten sind. Das Gebirge
gipfelt im Kalkklotz den Gran Sasso (Zugspitzenhöhe); die gangbarsten
Scharten bilden die Renosenke (Bologna) und die von der Via Appia
Olbridit, Der erdkundliche Lehrstoff. 7
26. Apenninenhalbinsel.
98 XII. Südeuropa.
benutzte Ofantosenke. Auch die Basentosenke mit Potenza ist von
Bedeutung für den Verkehr.
Im Osten lagern sich dem Gebirge die hohe Kalkscholle des Gargano
und die apulische Kreidetafel (Kap Leuka) vor, untereinander und mit dem
Apennin durch die Schwemmebene des Ofanto verbunden. Das ist A p u 1 i e n,
welches im Regenschatten des Apennin gelegen, den trockensten Teil Ita-
liens bildet, mit großen sommerlichen Sandstürmen (Schlacht bei Cannä).
Ähnlich wie die Karpathen ist der Apenninenbogen auf der west-
lichen inneren Seite stark zertrümmert und bis auf wenige Ketten
(Toskanische Falten, Sabinerberge), die aus Marmoren bestehen (Ketten
von Carrara) und erzhaltig sind (Elba, Mt. Argentario), in die Tiefe
gesunken. Auch Elba, Giglio, die Pontinischen Inseln und Capri^) sind
Reststücke derartig zertrümmerter Ketten, dem Bakonywald und kleinen
Karpathen vergleichbar. Gewaltig ist der Vulkanismus entwickelt. Er baut
ganze Hügelländer auf, wie den Amiataberg, das Latische Hügelland mit
den Kraterseen des Bolsena- und Brachianosees, das kraterreiche Albaner-
gebirge, den Vesuv und die Phlegreischen Felder. Auch die Liparischen
Inseln sind Vulkane, deren Höhe im Stromboli auf mehr als 3000 m steigt,
wenn wir den unter das Meer getauchten Sockel mitrechnen. Durch die
Schwemmebenen des Arno, Tiber und Volturno werden auch diese Er-
hebungen untereinander und mit dem Apennin verschweißt.
Die Fortsetzung des Apenninengebirges bilden die nördlichen Rand-
gebirge Siziliens, deren westliche bis auf die höchsten Gipfel (Ägatische
Inseln) unter das Meer getauchten Kämme sich westwärts in untermeeri-
schen Bänken verfolgen lassen und im Kap Blanko in den Atlas übergehen.
Südsizilien bildet ein aus Tonen bestehendes fruchtbares Hügelland mit
vulkanischen Ergüssen (Ätna und Schwefelvulkane zwischen Caltagirone
und Modica), das ehemals durch Landbrücken mit Afrika in Zusammen-
hang stand. Reste dieser sind die Inseln Pantellaria und Malta.
Die Insel Sardinien wird meist von rauhen erzreichen (Gennargentu)
Gebirgen erfüllt, die nur im Süden durch die fruchtbare Senke des Campi-
dano unterbrochen werden und noch dichte Wälder tragen,
Klima und Pflanzendecke.
Das Klima der Poebene ähnelt mit 184 regenlosen Tagen noch dem
Mitteleuropas; nach Süden bildet sich immer mehr das regenarme Mittel -
meerklima aus, so daß die Zahl der regenlosen Tage in Florenz auf 220,
in Rom auf 250, in Palermo auf 260, in Malta auf beinahe 300 steigt. Dem-
entsprechend finden wir nur in Norditalien Wiesen, in Mittel- und Süditalien
hingegen mitGras bedeckte Weideflächen. Siegehen vielfach in Ödland über,
das in Süditalien und in den Gebirgen, die durch die lange Kultur ihre
Wälder zumeist verloren haben, in erschreckendem Umfange vorherrscht.
Verheerend wirken deshalb die Erdbeben auf den nicht durch Vegetation ge-
festigten Böden. In Mittel- und Süditalien tritt die Rinderzucht hinter der
Haltung von Schafen und Ziegen (Capri, Caprera) zurück. Der Wald, der
noch zur Römerzeit dichter war, ist heute auf 1 6 "/o heruntergegangen, wo-
1) Die berühmte Blaue Grotte ist eine unter das Meer getauchte Höhle
im Kalkgebirge.
Apenninenhalbinsel. 99
von aber nur IC/o eigentlicher Hochwald sind. Der Rest sind Macchien,
Gestrüppe aus Wacholder, Ginster und Oleander. Charakterbäume Italiens
sind die Pinien und Zypressen, große Bestände bilden die Edelkastanien
(in Ligurien 1 8 "/o der Fläche) und die Olivenhaine, das Wahrzeichen Apuliens.
Das Kulturland umfaßt 40 %, wovon 15000 km- künstlich berieselt
werden, namentlich in Apulien, dessen gewaltige Wasserleitung ihr
Wasser aus den westlichen Ketten des Apennin bezieht. Außer in der
Poebene finden wir starken Weizenanbau namentlich an der Ost-
küste und auf Sizilien, der Kornkammer Roms und dem heißen Kampf-
boden zwischen Rom und Karthago. Die großen Schwemmländer sind
dagegen gartenartig angebaut und erzeugen Mais, Reis, Granaten, Feigen,
Mandeln und Südfrüchte. Der Gartenanbau erstreckt sich auch auf große
Teile des Hügellandes, wo vor allem Wein erzeugt wird, der nicht
weniger als 40000 km- (= Schlesien !) bedeckt. Aufwiesen und Weiden fallen
25 "/o, auf das Ödland 13 ^'/o- Hoch entwickelt ist der Fischfang.
Bei der Armut des Landes an Kohlen ist die Wasserkraft sehr wichtig;
in Süditalien wird sie in steigendem Maße durch Talsperren gewonnen,
die zugleich zur Berieselung dienen. Doch leidet die Besiedlung mancher
Tiefebenen durch die Malaria, an deren Bekämpfung mit Erfolg gearbeitet
wurde. Die Wasserkräfte Italiens schätzt man auf 5,5 Millionen Pferde-
kräfte (davon drei Viertel am Alpenrande), von denen noch nicht eine
Million ausgenutzt ist. Daran erkennen wir die Entwicklungsmöglich-
keiten der lombardisch -venetischen Industrie und derjenigen Piemonts.
Bevölkerung.
Im Altertum siedelten im Norden der Halbinsel (Semigallia) die Gallier,
in der Mitte die italischen Stämme, im Süden die Griechen (Magna Graecia,
Palermo = Panormus, Katania= Katanaio, Kap Leuka, Neapolis).
Nach dem Untergang des Römerreichs zerfiel die Halbinsel im Mittel-
alter in zahllose Einzelstaaten und Stadtrepubliken, um erst in jüngster
Zeit wieder (zumeist jedoch durch die Siege der Deutschen und Franzosen
gegen die Österreicher) geeint zu werden. Die zahlreichen Einwanderungen
und Mischungen drücken auch dem Italiener der Einzellandschaften seinen
Charakter auf, wobei der arbeitsame, mit germanisch-gallischem Blut ver-
mischte Norditaliener von dem zu Müßiggang neigenden, mit griechisch-
arabischem Blut vermischten Süditaliener kontrastiert. Nicht mit Unrecht sagt
man, daß wohl Italien fertig sei, noch nicht aber der Italiener. Ein Hemmnis
für die schnelle Weiterentwicklung ist die große Unbildung des Volkes. Die
Analphabeten betragen 37%; ihre Zahl fällt in Norditalien auf 207o, um in
Kalabrien bis auf 70°/o anzusteigen! Die übervölkerte Halbinsel wies eine
erschreckend große Auswanderung auf, so daß es erst einmal nötig gewesen
wäre, innere Reformen vorzunehmen, anstatt die »unerlösten« Brüder zu
befreien (Irredenta), deren geringe Zahl sich in Österreich auf 750000, in
Frankreich auf 500000, in der Schweiz auf 300000 belief (1911).
Wirtschaftsleben.
Italien führte in großem Umfange Seide (275 Millionen Mark), Früchte
(160 Millionen Mark), Käse, Hanf, Häute, Wein, Olivenöl und Schwefel
aus, um dafür Industrieprodukte, Baumwolle und Kohlen einzuführen.
100 XII. Südeuropa.
Unter Ausnutzung der Wasserkräfte war die Industrie vor allem in der
Poebene in großem Aufschwung begriffen und wurde 1911 auf 1,6 Milli-
onen Pferdekräfte geschätzt, von denen 63 Prozent auf Norditalien,
19 ^!o auf Mittelitalien und nur 18 *^/o auf Süditalien und die Inseln
entfielen. Das Eisenbahnnetz ist mit Ausnahme der Poebene nur gering
entwickelt, da die langgestreckten Küsten, die im Weltkriege zur Achilles-
ferse des Landes wurden, den Küstenverkehr begünstigen.
Die vorhandenen Kolonien (meist Wüsten und Steppen) sind eigentlich
nur Schöpfungen des Prestigegedankens und genügten keineswegs den
Bedürfnissen des Landes, das seine Waren fast ausschließlich aus dem
Auslande bezog und seinen Bevölkerungsüberschuß, abgesehen Saison-
arbeitern, in den Vereinigten Staaten und Argentinien absetzte.
Norditalien.
Der Schwerpunkt des Landes liegt in Norditalien (Piemont, Lom-
bardei, Emilia, Venetien und Ligurien), welches 71 000 km- mit 15,5 Milli-
onen Einwohnern umfaßt. Von diesen siedeln beinahe 1 1 Millionen in
der Poebene, deren Nordrand sich mehr und mehr zu einem Industrie-
gebiet (Maschinenfabriken, Baumwollspinnereien und Seidenindustrie) ent-
wickelt. Die großen Eisenbahnknoten Mailand und Turin, die mit Umgebung
750000 bzw. 480000 Einwohner zählen, sind die größten Fabrikstädte
des Landes, Genua dazu nach Ausbau der Simplon-, Mont Cenis- und
Gotthardbahn der größte Hafen des Landes (mit Umgebung 450000
Einwohner), in dessen Vororten die gewaltige Eisenindustrie und der
Schiffbau den sonst herrschenden Fremdenverkehr der gegen Nordwinde
geschützten Riviera mit ihren Winterkurorten (San Remo) und tropisch
üppigen Gärten verdrängen. Genuas stolze Schwesterstadt Venedig ist
seit der Eröffnung des Suezkanals in eine Sackgasse geraten und infolge
des Wettbewerbes von Triest und Fiume eine stille Stadt mit 160 000 Ein-
wohnern geworden, die sich lange ausschließlich vom Fremdenverkehr
nährte und erst in jüngster Zeit durch Anlage großer Arsenale industrielles
Leben erhielt. In der Städtereihe an der Via-Emilia ist Bologna ein
großer Eisenbahnknoten geworden; auch Verona ist ein wichtiger Ver-
kehrspunkt (Brennerbahn) und zugleich die größte italienische Lager-
festung. Daneben sind der Kriegshafen Spezia, Padua, die Fabrikstadt
Brescia und die Festung Alessandria (nach Papst Alexander genannt) von
Bedeutung, während zahlreiche andere, heute bis auf die industriellen
Städte am Alpenrande meist stille, Siedlungen geschichtlichen Ruf haben.
Der Weltkrieg hat Italien im Norden die ersehnte Abrundung seiner
Grenzen bis zum Alpenkamm gebracht — der kleineren Schweiz gegen-
über kommt eine solche kaum in Betracht, obwohl das Tessintal wirt-
schaftlich zu Italien gehört — und vor allem den festungsartig ausgebauten
Keil des Trentino, der drohend gegen die Ebene vorsprang, beseitigt.
Diese Abrundungen, die Italien eine große Erweiterung seines Wald-
bestandes brachten, beseitigten zwar die 400000 Seelen starke italienische
>'Irredenta«, schufen dafür aber eine deutsche von beinahe 300000. Aber
Italien beherrscht so in Trient und Bozen die Täler der Etsch und des Eisack,
in Brixen mit der Franzensfeste den Brenner und das Pustertal. Auch gegen
Apenninenhalbinse!. 101
Nordosten schob es über Görz seine Grenze auf die Kalkhöhen des Karst.
Zusammen gewann es etwa 25000 km- mit 1,5 Millionen Einwohnern,
darunter die Häfen Triest und Pola.
Mitteli tauen.
Mittelitalien (Toskana, Marken, Umbrien, Latium und Abruzzen) hat
72000 km- mit 7,5 Millionen Bewohnern. Die Gartenstadt Florenz (mit
Umgebung 375000 Einw.) ist die größte Siedlung und eine blühende
Fabrikstadt (Seidenindustrie). An Stelle des versandeten Pisa ist Livorno
getreten, auch Ancona ist eine bedeutende Hafenstadt. Die übrigen Sied-
lungen liegen vielfach (Siena und Orvieto) vom modernen Verkehr entlegen
auf steilen Kalkfelsen und haben wundervolle mittelalterliche Städtebilder be-
wahrt. Für den Verkehr wichtig ist Pistoja(Pistor), der Wächter der Renosenke.
Eine Sonderstellung nimmt das inmitten der öden Kampagna gelegene
Rom ein, das als Hauptstadt Italiens wieder 500000 Einw. erreicht hat.
Süditalien.
Süd Italien (Campanien, Apulien, Basilicata und Calabrien) mit
60000 km- und 7,5 Millionen Einwohnern hat seine Schwerpunkte in
Campanien und Apulien. In der dichtbevölkerten Campanischen Ebene
siedeln auf 2500 km- über 1,5 Millionen Einw., davon etwa 860000 in
der Umgebung Neapels, das aber wohl in kurzem seine Stellung als größte
Stadt der Halbinsel an Mailand abgeben dürfte. Im städtereichen Apulien,
dessen Bevölkerung sich in großen Siedlungen (Brunnen im Kalkgebiet mit
tiefstehendem Grundwasser) zusammendrängt, ist Bari die jüngste Großstadt
der Halbinsel, neben ihm von Bedeutung der Kriegshafen Tarent und Brindisi
als Überfahrtshafen nach Griechenland. Die Beherrscherin der Straße von
Messina, das durch Erdbeben viel zerstörte Reggio, ist heute nur eineMittelstadt.
Inselitalien.
Die fruchtbare Insel Sizilien ist dicht bevölkert (3,7 Millionen Ein-
wohnerauf 25 700 km-, D.=:140). Zur Griechenzeit war das nach Osten
schauende Syrakus die größte Stadt der Insel und eine Weltstadt. Heute ist
Palermo, Italiens Küste gegenüber, die wichtigste Siedlung (mit Umgebung
380000 Einw.). Der Handel des durch Erdbeben oft zerstörten Messina
ging zum Teil auf das aufblühende Katania über. Marsala und Trapani sind
durch ihren feurigen Wein bekannt, Girgenti (das alte Akragas) als Haupt-
hafen der Schwefelbezirke von Caltanisetta und Caltagirone mit ihren warmen
(Calidus) Quellen. Auf die das Kap Passero oft umtosenden Stürme weist
das Inselchen Correnti hin (vgl. Kap Corrientes). Die englische Zwing-
burg La Valetta liegt auf Malta, der Honiginsel (Melita) des Altertums.
Die rauhe Insel Sardinien, deren Nadelwälder an Mitteleuropa erinnern,
ist nur dünn bevölkert (850000 Einw. auf 24000 km'-). Die meisten Sied-
lungen der Insel, deren Bewohner sich von Fischfang (Sardinen und
Sardellen) nähren, liegen in der Campidanosenke und sind nur Mittel-
städte. Cagliari hat 60000, Sassari 45000 Einwohner.
Geographisch zu Italien gehört die gebirgige Insel Korsika (8700 km'^
mit 290000 Einw.), die im Inneren stark bewaldet ist, während sich an
der Küste Kulturland und ausgedehnter Weinbau findet. Die Bewohner
sind Italiener, die Hauptsiedlungen Bastia und Ajaccio kleine Mittelstädte.
102 XII. Südeuropa.
Wohl weniger aus eigenem Antrieb, als aufgestachelt von England, das
zu gleicher Zeit sein Gold und seine Hetzpresse arbeiten ließ und der
meerumgebenen, auf Einfuhr angewiesenen Halbinsel mit Beschießung der
Küsten und Blockade drohte, trat Italien in den Weltkrieg ein. In diesem
opferte es neben dem größten Teil seines Nationalvermögens über drei-
viertel Millionen Männer, um sich Gebiete zu erwerben, die es auch fried-
lich erhalten hätte und die zudem nur neue Reibungsflächen mit dem
unruhigen jugoslawischen Nachbar schaffen. Auch bei der Aufteilung der
Kolonien ging es leer aus, so daß es seinen Menschenüberschuß auch
weiterhin ins Ausland abgeben muß, wo namentlich in Südbrasilien und
Argentinien das Italienertum eine bedeutende Rolle spielt. Noch mehr ist
es aber auf Deutschland (Austauschhandel!) angewiesen. Mit ihm sucht
es jetzt schon wieder gute Beziehungen anzuknüpfen, während das Interesse
für die »lateinische Schwester« schnell erkaltet ist.
Die Dinarische Halbinsel (Balkanhalbinsel).
Während die Apenninen- und Pyrenäenhalbinsel ihren Namen mit Recht
führen, ist dies bei der Balkanhalbinsel nicht der Fall. Mitten durch
Bulgarien streichend, bildet der Balkan keine Völkergrenze wie die Pyrenäen,
erst weiter im Norden scheidet die Donau Bulgarien von Rumänien. Er
ist auch weder das höchste der Gebirge der Halbinsel, noch durchzieht
er sie als Rückgrat derselben, wie der Apennin. Als solches ist vielmehr
der langgestreckte Gebirgszug anzusehen, der in Bosnien mit den Dina-
rischen Alpen beginnt und sich bis zum Kap Matapan erstreckt, an Aus-
dehnung mit 1100 km Länge und 200 km Breite den Alpen nicht nach-
stehend. Viel richtiger würde man nach diesem Gebirgszug den Namen
Dinarische Halbinsel anwenden, falls man es nicht vorzieht, von einer
Südosteuropäischen Halbinsel zu sprechen (Th. Fischer).
Grenzen.
Die natürliche Nordgrenze der Halbinsel folgt der Donau-Savelinie und
ist weiterhin gut durch das Kulpatal (Eisenbahn nach Fiume) gegeben.
In diesem Umfange umfaßt die Halbinsel Dalmatien, Bosnien, das süd-
kroatische Bergland, die europäische Türkei und das Gebiet der Balkan-
staaten einschließlich der Dobrudscha. Diese Länder haben auf einer
Fläche von 486000 km- eine Einwohnerzahl von schätzungsweise
20 Millionen. Die Dichte mag zur Zeit etwa 40 betragen.
Die Halbinsel wendet ihr Antlitz dem Osten zu, und wird nach
Westen durch das Dinarische Gebirge abgesperrt. Das ist wichtig für das
Verständnis der geschichtlichen Entwicklung, sowie die Nordgrenze der
Agrumina, die sich im W unter dem Schutz des Gebirges weit nach N
vorschiebt, während sie im O unter dem Einfluß kalter kontinentaler Winde
weiter nach S gedrängt wird.
Aufbau und Einzelland sc haften.
Wir gliedern die Halbinsel am besten in folgende natürliche Landschaften:
1. Dinarisches Gebirgsland 185000 km- nnt 6 Mill. E. Dichte ca. 35
2. Griechenland mit Kreta 73000 km" mit 3 Mill. E. Dichte ca. 40
3. Östliche Halbinsel 235 000 km' mit 1 1 Mill. E. Dichte ca. 47
Dinarische Halbinsel.
103
Das Dinarische Gebirgsland beginnt im NW mit dem nur 1500 m
hohen Kapellagebirge, erhebt sich unter dem 42. Breitenkreise im Schar —
Dagh bis zu 2700 m Höhe und erreicht unter dem 41. Breitenkreise die
stattliche Breite von 250 km (Leipzig — Prag). Um 300 m höher als der
Schar — Dagh ist der Olymp, der ebenfalls Moränenseen aufweist. Deutlich
erkennt der Schüler aus den Karten, daß wir es mit einem Falten-
gebirge zu tun haben, dessen Ketten annähernd parallel zu denen des
Apennin streichen, von ihnen durch das grabenartige Adriatische Meer
getrennt. Im O erniedrigen sich die Falten zum zumeist mit Laubwald
- — Hauptfaltpn
l---;-'l Kesselbrüche
Wege
Dinarische Halb
insel.
o^Agruminagrenze
Griechen
C^^^^
bedeckten serbischen
Hügelland, im W
sind sie dichter ge-
drängt. Ihre westwärts
unter die Adria ge-
tauchten Kämme bil-
den die langgestreck-
tenDalmatinischen
Inseln mit zahlrei-
chen ertrunkenen
Flußtälern, die prächtige Häfen abgeben (Bucht von Cattaro). Das Gebirge
ist in Bosnien noch zur Hälfte bewaldet, weiter südlich nimmt die Bewaldung,
die mit dem vorwiegenden Nadelholz einen durchaus mitteleuropäischen Ein-
druck macht, mit zunehmender Trockenheit ab und beschränkt sich nur auf
die höchsten Kämme des DurmitorO, Schar-Dagh und der Albanischen Alpen,
so daß mitRecht Montenegro das Land der Schwarzen Berge (Cernagora)
heißt. Meist sind die Gebirge jedoch waldlos, und endlos weit dehnen
sich die zerrissenen Kalkberge aus, weiß schimmernd wie die Wellen
einer erstarrten See. Nach ihnen trägt wohl Albanien — das weiße Land
(vgl. Alpen, blanche) — seinen Namen. Die Häfen der dalmatinischen
') Durmitor= Donnerer, wegen der häufigen Steinschläge.
104 XII. Südeuropa.
Küste waren im Mittelalter wichtig als Kolonistenstädte der Republik
Venedig; über sie ging ein großer Teil des Orienthandels. Heute sind
sie unbedeutend, da der Küste bis vor kurzen ein auch politisch zu ihr
gehöriges Hinterland fehlte. Von den Städten ist die wichtigste Fiume
(50000 Einw.), Ungarns früherer Hafen, mit Triest wetteifernd, an der Stelle
gelegen, wo das Gebirge sich am meisten verengt. In Bosnien folgt
die wichtigste das Gebirge durchquerende Straße den Tälern der Bosna
und Narenta; in der Nähe der beide trennenden Wasserscheide mußte sich
naturgemäß Serajewo (50000) entwickeln. Um das Narentatal finden
wir die Herzegowina mit Mostar, zu beiden Seiten des Zetatales Mon-
tenegro, ein abgeschlossenes Land, dessen natürlicher Hafen Kattaro ist.
Südlich von Montenegro verändert sich die Landschaft. Das Gebirge
verbreitert sich und wird dadurch unzugänglicher, die Täler werden enger,
zugleich ist die Küste versandet und hafenlos. Mehrfach brechen Tief-
schollen zwischen den Gebirgsketten ein und bilden fruchtbare Becken,
die häufig von einem See erfüllt sind. In diesen Becken drängt sich die
Bevölkerung zusammen, hier liegen die größten Siedlungen, wie Prisrend,
Bitolia, Skutari und Janina. Da aber schroffe Gebirge die Becken trennen,
ist der Verkehr gering. Es konnte sich kein geschlossenes Staatsgebilde
entwickeln, sondern die Bevölkerung bildete kleine, sich häufig befehdende
Stämme. Hier siedelten im Altertum die kriegslustigen Epiroten (Pyrrhus)
und Illyrier, ihre Nachfolger sind wahrscheinlich die Albanesen.
Weiter südwärts wird die Zersplitterung noch größer. Zahlreiche ein-
gebrochene Schollen bilden fruchtbare Tiefebenen. Zugleich aber ist das
Land stärker vom Meer überflutet, so daß die randlichen der Tiefschollen
in tief eingreifende Buchten verwandelt sind, aber auch die binnenwärts
gelegenen mehrfach in Berührung mit der See treten. Ganze Gebirgs-
ketten sind unter die See getaucht; nur ihre Gipfel überragen als Inseln
das Meer. Inmitten fruchtbarer Tiefebenen mit Pinien, Zypressenhainen,
reichen Pflanzungen und Olivengärten ragen steile Kalkberge auf und
tragen eine Burg mit Tempeln und Heiligtümern. Am Fuße der Berge
siedeln sich die Bürger an und bilden eine Stadt, der im Altertum oft die
ganze kleine Tiefebene Untertan war, in der sich die Bevölkerung zusammen-
drängte. Rings um die Ebene ragen schroff steile äußerst dünn besiedelte
weiße Kalkgebirge auf, oft reich an Marmor und Erz (Laurion). Derzerrissenen
Oberflächengestalt entspricht die politische Zerrissenheit des Griechentums,
die aber durch den steten Wettbewerb eine so blühende Kultur ermög-
lichte, daß das zumeist zur Siedlung wenig geeignete Land die Bewohner
zwang, den Bevölkerungsüberschuß in »Kolonien« unterzubringen.
Während sich vor Albanien die unendliche insellose See ausbreitet, erblickt
der Grieche vor seinen Küsten überall zahlreiche Inseln. Bald lockten
diese den Bewohner auf die See; es entstand eine Schiffahrt, die anfangs
sich nur auf das Gebiet der inselreichen See beschränkte. Im W war
Korfu wohl lange Zeit das Endziel der Schiffahrt und damit des Handels.
Nicht umsonst finden wir hier schon in homerischer Zeit die handel-
treibenden Phaeaken und heute die dritte griechische Hafenstadt mit
30000 Einwohnern. Viel mehr aber öffnet sich Griechenland nach O,
wo mehrere Inselschwärme die natürliche Brücke herüber nach Klein-
Dinarische Halbinsel. 105
asien schlagen. Ein südlicher Inselkranz führt von Kythera über Kreta
und Rhodus nach Karien, wo das dorische Halikarnaß erblühte. Viel
wichtiger noch ist der nördliche, der Attika durch die Kykladen und süd-
lichen Sporaden mit den Südküsten Kleinasiens verbindet. Hier entwickelte
sich auf europäischer Seite Athen als Brückenkopf, auf asiatischer die
blühenden ionischen Städte, vor allem Milet und Ephesus. Wichtiger
als Athen war im Altertum für den eigentlich griechischen Verkehr Korinth,
wo Land- und Wasserweg sich kreuzten. Heute ist die Stadt unbedeutend,
da sie für das Zeitalter des Fernverkehrs zu sehr landeinwärts liegt und
der Kanal den erhofften Verkehr nicht gebracht hat. Ihr Handel ist im
Osten an Athen übergegangen, im Westen an das mehr nach dem offenen
Meere zu gelegene Patras, den Hauptausfuhrhafen für Wein und
Korinthen. Die größte Stadt Griechenlands ist heute Athen, das mit dem
Piräus beinahe 300000 Einwohner zählt. Als wichtiger Hafen für das
getreidespendende Thessalien beginnt sich jetzt Volo zu entwickeln,
am gleichnamigen rings durch Berge vor Winden geschützten Golf
gelegen, in dem sich der alten griechischen Sage nach die Griechenflotte
sammelte, um gegen Troja zu kämpfen. Wichtig auf den Inseln ist nament-
lich das inmitten der Kykladen (Kreisinseln) gelegene Hermupolis, nach
Hermes, dem Gott des Handels, treffend genannt. Es ist selbstverständlich, daß
ein Land wie Griechenland einen Bacchus, einen Erderschütterer Poseidon
und einen Hephaistos unter seinen Göttern haben mußte, auch, daß der
Grieche als Göttersitz sich den bis weit in den Sommer hinein schnee-
bedeckten Olymp (2985 m) dachte. Das heutige Verbreitungsgebiet des
Griechentums deckt sich beinahe mit dem der altgriechischen Kolonisation.
Östlich der Wardar-Morawa- Senke beginnt ein Gebiet, das man am
besten als Rumelien bezeichnen könnte. Die Täler von Wardar und
Morawa verbreitern sich flußabwärts zu weiten Niederungen, die beide
Ausgangspunkte für Staatenbildung wurden. In der am Ägäischen Meer
gelegenen Wardarsenke blühte schon im Altertum Mazedonien, die
mehr landeinwärts gelegene Morawasenke wurde zum Kernlande Serbiens.
Beide Täler benutzt ein wichtiger Straßenzug, der bei Belgrad (90000
Einwohner) die Donau überschreitet und bei Saloniki, dem alten Thessa-
lonich (Thermä = warme Quellen, die einer Randspalte der Wardarsenke
entspringen!), die See erreicht. Auf der Wasserscheide entwickelte sich
Üsküb, von dem aus wichtige, aus politischen Gründen noch nicht von
Bahnen durchzogene Senken (Amselfeld!) durch das Sandschakgebiet
Bosnien zustreben. Den Kern Rumeliens bilden die unregelmäßig begrenzte
Hochscholle das Rhodopegebirges und das Faltengebirge des Balkan.
Das dicht bewaldete rosehreiche (Namen!) Rhodopegebirge mit seinen
Wäldern, üppigen Wiesen und Moränenseen erinnert vielfach an mittel-
europäische Landschaften und gipfelt im Rila-Dagh mit 2930 m. Der
bewaldete Balkan mit seinen breiten von Weiden bedeckten Kämmen ohne
deutliche Gipfelbildung erreicht die größte Höhe im Imurukstal mit
2375 m. Den Balkan queren zwei wichtige Straßen. Die östliche ver-
bindet durch den Schipkapaß Kasanlik (größte Rosenölverarbeitung) mit
Tirnowa und Rustschuk (40000). Tirnowa war lange Zeit (bis 1393)
Hauptstadt des alten bulgarischen Reiches, das sich auf der mit frucht-
106 XII. Südeuropa.
barem Lößboden bekleideten Hochfläche zwischen Donau und Balkan
entwickelte mit Warna (40000) als Hafen (Mündung eines durch eine
Nehrung versandeten untergetauchten Flußtales). Die natürliche Fort-
setzung dieses Gebietes ist die hügelige Dobrudscha mit dem auf-
blühenden Konstanza (vgl. Osteuropa).
Wichtiger ist die westliche Straße, die durch das Iskertal führt, so
Sofia mit der Walachei verbindend. Das Becken von Sofia durchquert
zugleich die den Tälern der Nischawa und Maritza folgende Orientbahn,
während bequeme Übergänge durch das Strumatal den Weg zum Ägä-
ischen Meere öffnen. Dank dieser Lage wurde Sofia als Hauptstadt Bul-
gariens aus einem schmutzigen Städtchen mit 25000 Einwohnern (1871)
eine mitteleuropäische Sauberkeit zeigende Großstadt von 110000
Einwohnern. Zwischen den bewaldeten Bergen des Rhodopegebirges,
des Balkan und des Istandschagebirges sind zwei fruchtbare Tiefschollen
eingebrochen, die beide von der Maritza durchströmt werden. In der
südlichen lag im Altertum das getreidereiche Thrazien (heute vielfach
mit Grassteppen bedeckt), während das obere Maritzagebiet heute das
bulgarische Ostrumelien bildet. Bei Nisch verläßt die Orientbahn
die Morawasenke und strebt über Philippopel und Adrianopel, den
Hauptorten der genannten Senken, Konstantinopel zu, welches bis jetzt (!)
den Handel Thraziens derart beherrschte, daß an der Maritzamündung
eine größere Stadt schon im Altertum nicht mehr aufkommen konnte.
Politische Entwicklung.
Bosporus und Dardanellen bilden flußartig gewundene, stellenweise
weniger als 1 km breite Meerengen. Sie stellen nichts anderes als einen unter
das Wasser getauchten Fluß dar, der ehemals das Schwarze Meer entwässerte.
Zwischen beiden brach injüngsterZeitdieTiefschoIledesMarmarameeresein.
Am östlichen Ufer des Bosporus entwickelte sich Byzanz an der Stelle,
wo nicht nur der Landweg bequem von Asien nach Europa übergehen
konnte, sondern zugleich ein unter Wasser getauchtes Nebental —
das Goldene Hörn — der verbesserten Schiffahrt einen guten Hafen
gewährte. Bis weit ins Mittelalter hinein hielt sich in der inzwischen in
Konstantinopel umgetauften Stadt der letzte Überrest des Oströmischen
Reiches — daher der Name Rumelien »Rumili« = Klein-Rom! — . Im Jahre
1453 wurde hier der Halbmond aufgepflanzt und die Stadt die Haupt-
stadt des Türkischen Reiches. Dazu in außergewöhnlichem Sinne durch den
weitreichenden Verkehr begünstigt, ist Konstantinopel heute mit P/i Mili.
Einwohnern die größte Stadt der Halbinsel geworden. Auf europäischer
Seite endet die Orientbahn, auf asiatischer beginnt bei Haidar-Pascha (dem
alten Chalkedon) die Bagdadbahn. Unter den Einwohnern der Stadt ist
ein gutes Viertel Griechen. Sie treiben ausgedehnten HandeP).
Trotz der hohen Kultur des griechischen Altertums wurde die Halbinsel
von den Römern schnell unterworfen, da politisch eine große Uneinigkeit
herrschte. Nach dem allmählichen Sinken Ostroms finden wir hier nach der
') Daß man sich diesen nicht übertrieben i^roW vorstellen darf, zeigt die Tat-
sache, daß auf einen Griechen 80 M. jährlicher Handelswert kommen, gegen-
über 340 M. auf einen Deutschen, 640 M.(!) auf einen Engländer (1913).
Dinarische Halbinsel. 107
Völkerwanderung ein buntes Gemisch slawischer und zum Teil mongolischer
Völkerstämme. Sie wurden ebenfalls wieder wegen ihrer Uneinigkeit in ver-
hältnismäßig kurzer Zeit von den Türken unterworfen, deren Reich sich von
1 359— 1 483 schnell über die ganze Halbinsel ausdehnte. Aber die Türken ver-
standen es nicht, das Land zu kolonisieren und mit Stammesgenossen zu durch-
setzen (vgl. dagegen die römische Kolonisation!), zudem übten sie einen un-
erträglichen Steuerdruck aus. So begann seit 1699 der ständige Rückgang des
Türkischen Reiches in Europa, vor dessen Schlußakt wir vor kurzem standen.
Bewohner.
Von den 20 Mill. Einwohnern der Halbinsel, die durch den Weltkrieg
stark entvölkert wurde, sind vielleicht nur IV2 Millionen reine Türken.
An ersterstelle stehen 5^/4 Mill. Bulgaren, so daß wir das Bestreben der
Bulgaren, sich bis an die See auszudehnen, verstehen. Von den 4 Vi Mill.
Griechen wohnte ebenfalls ein großer Teil (über 1 ^l-i Mill.) früher in der
europäischen Türkei, namentlich im Wilajet Janina. Daher das Bestreben der
Griechen, die Grenzen nordwärts vorzuschieben und zulgeich Kreta und die
asiatischen Inseln zu okkupieren. Von den 5 Mill. Serben wohnten über 2 Mill.
außerhalb Serbiens, namentlich in Bosnien, Montenegro und dem Sandschak,
so daß Serbien hofft, ein Groß-Serbien zu schaffen, das sich bis an die See
einschließlich der Inseln ausdehnt. Dazu kommen etwa 1 Va Mill. Albanesen.
An Hand der Völkerkarten muß dem Schüler gezeigt werden, daß für
die Türkei ein Verlust des europäischen Besitzes eine Gesundung bedeuten
wird, da sich der Staat dann viel mehr der Ordnung der asiatischen Ver-
hältnisse annehmen kann. Das Hauptbollwerk der Türkei sind die gebirgs-
umrahmten Hochländer Kleinasiens. Hier wohnen 9 Mill. Einwohner, die
fast rein türkisch sind, mit Ausnahme der vielleicht 1^2 Mill. Griechen
an der westlichen, regenreichen ägäischen Küste.
Klima und Wirtschaft.
Die Küsten der Halbinsel und der größte Teil Griechenlands stehen
noch unter dem Einfluß des Mittelmeerklimas. Neben Wäldern von Pinien,
Ölbaumhainen und immergrünen Laubhölzern überwiegen Macchien (vgl.
Italien). Vielfach werden auch Maulbeerbäume angebaut. Sehr verbreitet sind
die Weingärten namentlich im Peloponnes (Korinthen) und auf den Inseln.
Das Innere macht mit seinen Laubwäldern einen mitteleuropäischen Ein-
druck, der sich in den Gebirgen mit ihren Nadelwäldern und Wiesen noch
steigert. In den Senken ist der Weinbau verbreitet, dazu Anbau von Rosen,
Maulbeerbäumen (Seidenindustrie) und Tabak.
Der Getreideanbau beschränkt sich auch meist auf die Senken und ist
in Nordbulgarien und der Dobrudscha weit verbreitet.
Zahlenmäßige Angaben über diese Anbauverhältnisse lassen sich jedoch
nicht machen. Man kann den Waldbestand auf 100000 km- schätzen;
am waldreichsten ist Bosnien (50%), am waldärmsten Griechenland (9°/o).
Das Ödland mag ein Drittel betragen und steigt in Griechenland (ver-
karstetes Kalkgebirge) auf 35 %i. Das Kulturland kann auf 20 "/o geschätzt
werden, so daß der Rest auf Wiesen und Grasweiden fällt. Dementsprechend
überwiegt die Haltung von Schafen und Ziegen; nur Bulgarien hatte größere
Bestände an Rindvieh und mit 85 ''/o die ausgedehntesten Ackergebiete der
108
Xll. Südeuropa.
Halbinsel. Vor dem Kriege führte Bulgarien zumeist Weizen und Mais aus,
Griechenland Korinthen, die Türkei Tabak und Serbien Weizen, Mais und
Schweinefleisch. Doch kann die Produktion in Zukunft stark gehoben
werden, vor allem auch der Bergbau, der im Osten der Halbinsel (der kalk-
reiche Westen kommt kaum in Betracht) bei dem Überwiegen kristalliner
Gesteine große Zukunftsaussichten hat. Hand in Hand hiermit muß auch
die Ausnutzung der Wasserkräfte bei dem Mangel an Kohlen gehen, sowie
der Ausbau der Verkehrslinien. Dann aber kann die Halbinsel als Mittler
des Verkehrs zwischen Mitteleuropa und dem Orient wieder einer großen
Zukunft entgegengehen.
Politische Neuordnung.
Die letzten Friedensschlüsse, namentlich der »Porzellanfrieden von
Sevres«, haben den Weltkrieg nicht beendet und auch auf dem Balkan
nur an Stelle alter Irre-
denten neue geschaffen,
so daß jetzt Bulgaren und
Türken die Unzufriede-
nen sind. Gerade Jugo-
slawien zeigt zahlreiche
religiöse und völkische
Differenzierungen (Ka-
tholiken — Orthodoxe —
Mohammedaner, Monte-
negriner — Serben —
Kroaten). Das ist keine
Garantie für einen zu fes-
ten politischen Halt,wobei
seine westlichen Grenzen
überall Reibungsflächen
mit Italien aufweisen.
Jugoslawien ist mit
260000 km- der größte
Balkanstaat, dessen Ein-
wohnerzahl heute noch
nicht zwei Drittel der
früheren 12 Millionen betragen düiite, von der die Serben etwa die Hälfte,
die Kroaten ein Viertel ausmachen, in weitem Abstände würde als
zweiter Staat Griechenland folgen (150000 km- mit 6 Mill. Einwohnern),
das allerdings durch den Krieg nicht in dem Maße in Mitleidenschaft
gezogen wurde, wie sein nördlicher Nachbar, aber in Mazedonien und
Thrazien erhebliche fremde Volkssplitter verdauen muß. Bulgarien mit
80000 km- und 3,5 Millionen Einwohnern wird, der Ägäisküste beraubt,
kein allzu großer Friedensfaktor sein, und Albanien dürfte auch weiterhin,
trotz seiner geringen Größe (26000 km'- 800000 Einwohner), ein bro-
delnder Hexenkessel bleiben. Ebenso ungewiß ist die Zukunft Konstanti-
nopels, dessen Schicksal von dem Rußlands abhängt.
NeueJrredenfen
'::'::':. Magyaren
*+■' Albanesen
?^/'Osmanen
^S Bulgaren
28. Vöikerkarte des Balkan.
XIII. Das atlantische Europa.
Südeuropa hat seine ehemalige geschichthche Rolle längst ausgespielt
und sie nach dem Verschieben des wirtschaftlichen Schwerpunktes
an die Staaten Europas abgegeben, die ich nach ihrer Lage als atlantisches
Europa bezeichnen möchte. Wir beginnen ihre Betrachtung mit Frankreich^).
Frankreich.
Grenzen und Küsten.
Schon ein kurzer Blick auf die Karte zeigt, daß Frankreich außer-
gewöhnlich günstige natürliche Grenzen aufweist, die im W und S mehr
durch die See, im O mehr durch Gebirge gegeben sind. Letztere sind
jedoch mehrfach durch größere, meist durch Festungen geschützte Senken
getrennt. Zwischen Vogesen und Schweizer Jura liegt die Burgundische
Pforte. Durch sie drang Ariovist (Caesarlektüre) nach Gallien, später
bot sie den Burgunden (Nibelungensage) ein bequemes Einfallstor nach S;
heute schützt Beifort als mächtiges Bollwerk. Weiter nördlich gelangt
man durch das Moseltal von den Lothringischen Hochflächen bequem
nach Deutschland. Diese heute treffend als »Loch von Luxem-
burg« bezeichnete Stelle hat eine große geschichtliche Bedeutung, die
aus den Namen Trier (Augusta Trevirorum), Metz, Toul (Tullum), Verdun
(Virodunum), Chalons, Nancy (Nanzig) und Luxemburg erheUt. Trier
mit seinen überreichen Altertumsfunden war zugleich im späten Altertum
ein Hauptstapelplatz auf der Straße von Marseille über das heutige Burgund
nach England. Für die Hauptstadt des linksrheinischen Germanien war
es außerdem geeigneter als die häufig von Germanen bedrohten Städte
an der Rheinlinie (fast alle römischen Städte liegen am Westufer des
Rheins, am Ostufer nur junge Fabrikstädte wie Düsseldorf, Duisburg
und Mannheim).
Noch weiter im N sollte eigentlich das aus weißgrauer Kreide (Kap Griz
Nez = graue Nase; vgl. Kap di Leuka, Leukas, Flamborough Head, Folke-
stone = Falkenstein, Albanien und Kap Blanco) aufgebaute Hügelland
von Artois (Völkergrenze zwischen Romanen und Germanen) die fran-
zösische Grenze bilden. Frankreich dehnte sich hier jedoch frühzeitig
in das germanische Flachland aus, dessen bis nach Jütland reichende,
mehrfach in Inseln aufgelöste Dünenküste (Dünkirchen mit seinem deutschen
Namen) hier beginnt.
Steilwandige Kreideküsten reichen bis über die Seinemündung nach SW;
es folgt die durch Überschwemmung eines flachwelligen Hügellandes ent-
standene Küste der Normandie und Bretagne, an der jeder Hafen einem
vom Meere überfluteten Flußtale entspricht. (Hier muß der Schüler darauf
aufmerksam gemacht werden, daß der weiche Kreidefelsen ganz andere
Küsten — glatter! — als das harte Urgestein bedingt.) Im Altertum
wohnten hier die durch die Küste zur Schiffahrt erzogenen Veneter (durch
Caesar bekannt; vgl. auch Vannes und die griechische unter ähnlichen
geographischen Verhältnissen entstandene Schiffahrt); im Mittelalter er-
^) Nach meinem gleichnamigen Aufsatz in den Naturw. Monatsheften.
VIIL Band. 1915.
110 XIll. Das atlantische Europa.
oberten von N her die Briten (Bretagne) und Normannen (Gudrunsage!)
das Land, das später auch lange Zeit enghscher Besitz (Jungfrau von
Orleans) war. Im Altertum hieß die Landschaft Armorica (ar = an, more
= mare). Heute fahren die Fischerflotten der Bretonen weit über die See
bis nach Island (Pierre Lotis Islandfischer) und den Neufundlandbänken.
Die Felsküsten reichen südlich noch über die Loire bis zu den Felsen-
städten Rochefort und La Rochelle (Hugenotten).
Südlich der Garonne lag vor Jahrtausenden eine buchtenreiche Küste, die
(vgl. die hinterpommersche Ostseeküste!) durch das Meer begradigt wurde.
Ein langer Dünenwall trennt die letzten Ausläufer der ehemaligen Buchten
(Strandseen!) vom offenen Meere (vgl. Haffe, Lagunen und Nehrungen).
Die Mittel meerküste weist zwei ganz verschiedene Formen auf. Im O
ist ein untergetauchtes Hügelland (vgl. Bretagne) in eine hafen- und insel-
reiche Küste verwandelt. Der Schutt, den die schnellfließende Rhone
(kelt. rho = fließen, vgl. griech. rheo) aus den Alpen bringt, wird durch
eine Meeresströmung nach W getrieben und baut hier die Sandküste des
Languedoc auf. So ist die alte Römerstadt Narbonne (vgl. Milet, Ephesus,
Ravenna und Adria) versandet, und die Haupthäfen liegen östlich der
Rhonemündung, ihr zunächst das uralte Massilia, am weitesten ins Meer
vorspringend der Kriegshafen Toulon. Daß auch die Rhone früher für
die Schiffahrt wichtiger war, zeigt die Stadt Ades, bedeutend genug im
früheren Mittelalter, um dem Königreich Arelat den Namen zu geben.
Aufbau und Einzellandschaften.
Den Mittelpunkt Frankreichs bildet die große Hochfläche der Auvergne
(Arverni mit Gergovia), eine gewaltige, dem Rheinischen Schiefergebirge
vergleichbare Hochscholle, die von zahlreichen erloschenen Vulkan-
bergen überragt wird. Während sich die Auvergne nach W und N all-
mählich abdacht, fällt sie mit dem Steilabfall der Cevennen (vgl. Sierra
Morena) und der weinreichen Cöte d'Or (Goldküste, Burgunderwein)
gegen die Tiefebenen der Rhone und Saöne ab. Die Hochflächen be-
stehen an vielen Stellen aus an Feuersteinen (Steinwaffen) reichem Kalk,
(Gausses vgl. calcaire ^ calcis), in den sich dann steilwandige enge Täler
eingegraben haben, reich an Höhlen (Schwäbischer Jura, Nebelhöhle).
Hier siedelte der Urmensch im Dordognetal (die meisten Epochen der
Steinzeit haben französische Namen!) und verzierte die Höhlen mit
Malereien; von steilen Felsen trieb er das Wild herab, so daß riesige
Knochenhaufen die Talflanken bedecken.
Die vulkanische Natur der Gegend äußert sich auch in zahlreichen
Badeorten (warme Quellen). Kleine Steinkohlenbecken geben Anlaß zu
einiger Industrie (St. Etienne, das Lyon mit Kohlen versorgt, und das
französische Essen Le Creusot mit den weltberühmten Werken von
Schneider), die Wolle der auf den grasigen Hochflächen weidenden Schafe
verarbeitet Limoges (Lcmovices), während Pcrigord (Bertrand de Born)
durch Trüffeln bekamit ist.
Der Ackerbau (Roggen und Gerste) tritt bei dem rauhen Klima, das
Wiesen und Weiden bedingt, hinter der Viehzucht zurück, so daß auf
71 000 km- nur 4,2 Mill. Einwohner siedeln (D- 60). Die größte Stadt
Aufbau und Einzellandschaften.
11
'"^Felskusf?
-■IW'iese
g Kohle
Q Vulkane
ist das industrielle St. Etienne in dicht bewohnter Umgebung mit großen
Waffenfabriken. Industriell sind auch Limoges und Clermont. Die übrigen
Siedlungen sind nur kleine Mittelstädte, wie auch Le Creuzot.
Die welligen Beckenlandschaften, in welche die Auvergne im Westen
und Norden übergeht, bezeichnen wir am besten nach den Hauptflüssen
als Garonnebecken (Aquitanien), Loirebecken und Seinebecken,
wobei wir letzterem die Übergangslandschaften Flandern und Loth-
ringen zurechnen.
Das im Norden regenreiche Klima wird im Süden immer regenärmer,
und namentlich ist die sommerliche Trockenheit dort ausgeprägter
(Weinbau!); so führt von den
Flüssen die Seine noch am regel-
mäßigsten Wasser, während Loire
und Garonne (z. T. infolge der
großen Waldverwüstungen) stark
versandet und daher verkehrsarm
sind. Zugleich bedingt es das nach
Süden zu immer erschlaffende!-
wirkende Klima, daß die Bewohner
im Norden (Seinebecken) am rüh-
rigsten sind, im Süden dagegen
immer mehr zum Müßiggange
neigen.
Vom Seinebecken aus ent-
wickelte sich als Francien (Franken -
land) der französische Staat. Er
umfaßte bald alle westlichen Tief-
ebenen, die nur durch geringe Wasserscheiden getrennt sind;
das alte Lutetia (Seineinsel!) wurde als Paris Hauptstadt des Landes (viele
Städte in Frankreich sind nach alten Völkern genannt, so: Paris = Parisii,
Rennes = Redones, Nantes = Namnetes usw.O-
Im Osten des Seinebeckens halten aus Kalkfelsen bestehende, mit Weiden
(vgl. Brie, durch Käse bekannt, im Südosten von Paris) bedeckte Hügel-
länder den Regen von der weinreichen Champagne (vgl. Campanien und
Campagna) ab. Flandern treibt Kohlenbergbau und Baumwollindustrie,
Lothringen blüht neuerdings durch riesigen Bergbau (Minetteerze!) auf.
Das Seinebecken mit seinen vorzüglichen Weizenböden zähltauf 8 1 000 km-
9,5 Millionen Einwohner, so daß die Dichte auf 115 steigt. Die Entwick-
lung der größeren Siedlungen wird stark durch Groß-Paris beeinflußt, daß
mit 4V4 Millionen Einwohnern die Hälfte des gesamten Bevölkerungs-
zuwachses Frankreichs seit 1871 (3,5 Millionen) aufsaugte. Die zweite
Stadt ist Ronen mit Baumwollindustrie, über 100000 Einwohner zählten
auch Havre (mit großem Kaffeehandel) und das stille Reims; größere
Mittelstädte waren auch Amiens, St. Quentin, Troyes und der Fährhafen
Boulogne. Die Siedlungen Flanderns und Lothringens besprachen wir
schon bei Mitteleuropa.
evennenrano
29. Frankreich.
*) Vgl. Orleans die Aureliansstadt.
112 XIII. Das atlantische Europa.
Die steilen Hauteurs de la Gätine begrenzen das verkehrsarme, durcii
die Nähevon Paris in seinerEntwicklungge hemmte Loirebecken
im Süden. Zwischen ihnen und den Ausläufern der Auvergne dehnt sich
eine breite Ebene aus, die im Jahre 732 den Arabern als Einfallstor diente
(Poitiers!). Die sich südlich an diese Höhen anschließende felsige Küsten-
iandschaft (vgl. oben) ist infolge des Einflusses der regenreichen Seewinde
von üppigen Weiden bedeckt.
Im Osten überwiegen Ackerbau und Weinland, im regenreichen Westen
Wiesen mit Viehzucht. Die Industrie ist gering und das Gebiet wirt-
schaftlich ganz von Paris abhängig. Auf 105000 km"- siedeln 4,2 Mill.
Einwohner, so daß die Dichte nur 40 beträgt. Der Haupthafen ist Nantes
mit dem Vorhafen St. Nazaire. Die Loirestädte sind stille Siedlungen, da
der versandete Fluß so gut wie verkehrslos ist und nur verträumte Städt-
chen und Schlösser von alter Bedeutung zeugen. Tours, Angers, Le Mans
und Orleans sind die wichtigsten Mittelstädte mit einiger Textilindustrie.
Südlich des 46. Breitenkreises setzt in mächtigem Umfange der Weinbau
ein, dem Schüler sofort verständlich an den Namen Bordeaux, Cognac,
Medoc und Pauillac. An der Küste auf Wiesenflächen Viehzucht, im
Inneren Anbau von Wein und Getreide.
Die das Garonnebecken im Süden begrenzenden Pyrenäen sind ein
waldarmes, wildes Gebirge (vgl. Namen wie Maladetta und Mont Perdu!), i
reich an aus der Eiszeit stammenden Zirkustälern und Seen (Zirkus von
Gavarnie vgl. mit den Schneegruben, den Hochseen der Alpen, Skandi-
naviens, Norddeutschlands usw.).
Auf 93000 km- siedeln 4,9 Millionen Einwohner (D = 55), davon
330000 und 150000 in den Großstädten Bordeaux und Toulouse, von
dem der Kanal du Midi zum Mittelmeer führt. Alle übrigen Siedlungen
sind stille Mittelstädte mit Ausnahme des aufblühenden industriellen Pau
und der Hafenstadt Bayonne mit Grenzverkehr nach Spanien und einem
berühmten Badestrand mit dem Weltbade Biarritz.
Ausgedehnte Wiesen und Heiden bedecken infolge des regenreichen
Klimas (vgl. Irland, Schottland, deutsche Nordseeküste, Lüneburger Heide)
die Hügelländer Bretagne und Normandie. Der Mensch der Vorzeit
erbaute aus mächtigen Steinblöcken die Dolmen (vgl. Stonehenge in Süd-
england). Handelshäfen von großer Bedeutung fehlen (armes Hinterland),
dafür liegen an exponierter Stelle die Kriegshäfen Brest, Cherbourg und
Lorient (vgl. Toulon!), der ehemalige Hafen für den Orient.
Auf 64000 km- siedeln 4,8 Millionen Einwohner, und die dichtbesiedelte
Küste mit ihren zahlreichen Fischerstädten steigert die Dichte auf 75 (an
der Küste über 1 20, im Inneren 50). Neben den Kriegshäfen Brest (1 1 0000)
und Lorient, das die Indienflotten (Namen!) ausrüstet, blüht Rennes (SOOOO)
durch Wollindustrie. Große Aussicht hat der Abbau der Eisenerze der
Normandie, die an Menge die lothringischen noch übertreffen sollen.
,Da Aqiiitanien und Nordspanien dieselben Bodenprodukte haben, ist
wegen der geringen Verkehrsspannung (vgl. dagegen die Alpen) der Handel
unbedeutend, zudem über die niedrige Wasserscheide zwischen Garonne
und Aude (Lage von Toulouse, dem alten Tolosa) ein bequemer Weg
zum Mittelmeer führt. (Aus demselben Grunde ist die Verkehrsspannung
Aufbau und Einzellandschaften. 1 13
zwischen Südfrankreich und der Poebene gering, so daß der 1869 voll-
endete Mont-Cenis -Tunnel der einzige Verkehrsweg zwischen beiden
Ländern geblieben ist, während eine stetig wachsende Zahl von Tunnel-
bauten dem stark wachsenden Verkehr zwischen Italien und Mitteleuropa
gerecht zu werden sucht.
Noch viel mehr als in Aquitanien neigen die Bewohner zum Müßig-
gang und zu Träumerei. Diese Eigenschaften verstärken sich im Südosten.
An Stelle der Langue d'oui tritt hier die Langue d'oc; lange Zeit blühte
die durch die Troubadours bekannte, heute wieder in Aufnahme kom-
mende Provengalische Sprache. Prächtige Schilderungen von Land und
Leuten entwirft Daudet in seinem Tartarin.
Dieses mediterrane Frankreich umfaßt die gewaUigen, auf beiden
Seiten von Gebirgen begrenzten grabenartigen Senken (vgl. Oberrheinische
Tiefebene) der Rhone und Saöne, von denen die Auvergne die kühlen,
regenreichen Westwinde, die Alpen die kalten Nordwinde abhalten. An
diesen milden Küsten reifen in üppiger Fülle Südfrüchte, der Duft aro-
matischer, prächtig blühender Sträucher (Parfümindustrie) erfüllt die Luft,
vom Maulbeerbaum nährt sich die Raupe des Seidenspinners.
Ähnlich wie an der milden Südküste der Krim (Sebastopol, Feodosia =
Theodosia, vgl. Iphigenie) siedelten hier frühzeitig Griechen. Die Phokaeer
(Horaz' Epoden 16 Vers 17) gründeten das durch Pytheas bekannte Mas-
silia (Marseille); weitere Griechensiedlungen sind Agde (Agathe), Antibes
(Antipolis), Nizza (Nicaea) und Monako (Monoikos vgl. Athos!). Später
erbauten die Römer den Kriegshafen Telo Marti us (Toulon), andere Römer-
städte sind Nemausus (von kelt. nemetus = Hain, das heutige Nimes),
Baeterrae (Bezieres) und Aquae Sextiae (Aix; vgl. Aachen). Zum Haupt-
ort der Provincia (Provence) entwickelte sich das mit Aquitanien Handel
treibende Narbo Martius (Narbonne); das Rhonetal schützte Valencia (heute
Valence von valeo; vgl. Valentia in Spanien), an der Stelle gelegen, wo
auf kurze Strecke Alpen und Auvergne sich einander nähern, um weiter
nördlich zu einer zweiten Tiefebene auseinanderzutreten.
Der Hauptfluß dieser ist die Rhone, die sich bei Lyon (Lugdunum) mit
der langsam schleichenden Saöne vereinigt. Letztere beschreibt schon
Caesar (bellum gallicum 1, 12) als »incredibili lenitate« dahinfließend, tref-
fend nannte sie der Kelte sauxona, d. h. die Träge. Bis in die Nähe von
Lyon reichte im Eiszeitalter der mächtige, den Genfer See aushobelnde
Rhonegletscher (vgl. Dombes), die weißgraue Isere heißt mit Recht der
Eisfluß (vgl. Isar, Eisack).
Fehlt zwar dieser Tiefebene der Reichtum an Südfrüchten, so reift doch
an den Hängen der randlichen Gebirge der feurige Burgunder (goldrot
leuchtet im Herbst die weinreiche Cöte d'Or), und die arbeitsameren Be-
wohner treiben viel Industrie. Lyon ist heute die größte Fabrikstadt Frank-
reichs und die zweitgrößte Stadt des Landes geworden (Seidenindustrie),
Beifort blüht als Konkurrenz zu Mülhausen durch Baumwoll- und Seiden-
spinnereien auf.
Mehrere Senken verbinden Burgund mit dem westlichen Frankreich,
Durch die Festungen Epinal, Dijon, Chalons und Langres geschützt, bilden
sie eine wichtige Verteidigungslinie gegen Deutschland hinter der leichter
Olbridit, Der erdkundliche Lehrstoff. 8
114 XIII. Das atlantische Europa.
zugänglichen Pforte von Burgund. Durch die südhchste dieser Senken
versuchten die Helvetier bei Bibracte (Biberstadt) nach Westen vorzu-
dringen; zur Römerzeit blühte Augustodunum (dunum = town = zaun) als
eine der größten Städte Galhens den Verkehr zwischen der Provincia und
dem Nordwesten vermittelnd (heute das unbedeutende Autun).
Die in der Oberflächengestaltung so deutlich ausgeprägte Sonder-
stellung des Rhone-Saöne-Gebietes kommt auch in seiner geschichtlichen
Entwicklung zum Ausdruck, indem sich hier während des Mittelalters am
längsten die selbständigen Königreiche Burgund und Arelat hielten und
heute sich neben Paris die einzigen Halbmillionenstädte Frankreichs ent-
wickeln konnten.
Das Rhone-Saöne-Gebiet wird auf 110000 km- von 7,8 Millionen Ein-
wohnern besiedelt. Am dichtesten ist die Umgebung von Lyon be-
völkert, am dünnsten das Rhonedelta.
Mit 550000 Einwohnern ist Marseille die größte Siedlung der Provence
und der größte Seehafen Frankreichs mit lebhaftem Verkehr nach Algerien
und dem Orient. Toulon ist der wichtigste Kriegshafen des Landes, in
Nimes, Montpellier und Bezieres blüht die Wollindustrie. Alais ist durch
Kohlenbergbau wichtig. Die bedeutendste Siedlung an der Riviera ist das
schon von Italienern bewohnte Nizza.
Als wichtiger Verkehrsknotenpunkt ist Lyon die größte Stadt Burgunds
und die zweite Stadt Frankreichs mit großer Seidenindustrie geworden.
Dijon vermittelt den Verkehr zum Seinegebiet, Besanqon ist eine wichtige
Festung und Chalon sur Säone blüht durch die Stahlindustrie als Ableger
des benachbarten Creusot.
Politischer Ausblick.
Frankreich ist mit 50 "/o der an Ackerland reichste Staat Europas
mit großem Weizenanbau, 1 1 *^/o sind Wiesen und Weideland, nur 15 "/q
Wald. Die Weingärten bedecken 15000 km-. Die randliche Lage
der großen Kohlen- und Erzgebiete des Landes hat sich im Welt-
kriege als verhängnisvoll gezeigt. Durch Ausnutzung der Wasserfälle
suchte es sich weniger abhängig von Kohle zu machen, und in den Alpen-
tälern entstanden gewaltige Industrien, die 900000 Pferdekräfte (l5"/o
der verfügbaren Zahl) ausnutzen. Noch vor hundert Jahren war Frank-
reich das reichste und industriellste Land Europas. Aus dieser Zeit stammt
auch das großartig ausgebaute Kanalnetz, das allerdings den heutigen
Anforderungen nicht mehr genügt. Von der erwerbstätigen Bevölkerung
sind 43 *^/o in der Landwirtschaft tätig, 32 "/o in der Industrie, bei der
die Fein- und Luxusindustrie überwiegt (Parfüme, Seidenwaren, Auto-
mobile, Schmuckgegenstände).
Nach der Entdeckung der Neuen Welt nutzten zuerst Spanien und
Portugal ihre günstige Lage aus und wurden zu großen Kolonialmächten.
Später wurde Frankreich dank seiner Lage an zwei wichtigen Meeren
auf lange Zeit die größte Handels- und Kolonialmacht Europas, die
namentlich in Indien (^Rcstkolonien«, vgl. auch Portugal!) und Nord-
Amerika (daran erinnern Namen wie: New Orleans, Saint Paul, La Crosse,
Montreal, Saint Louis, Baton Rouge, Kap Sable usw.) einen großen zu-
Politischer Ausblick. 1 1 5
sammenhängenden Kolonialbesitz besaß, der (Anordnung der Namen!)
vom Mississippital über das Seengebiet zum Lorenzstrom reichte.
Nach Verlust dieser Kolonien (Restkolonien die hiseln St. Pierre und
Miquelon als Stützpunkte der Fischerei auf den Neufundlandbänken) hat
sich Frankreich — namentlich seit 1871 — ein großes Kolonialreich in
Afrika geschaffen. Trotzdem ist es keine Kolonialmacht im eigentlichen
Sinne. Infolge des Zurücktretens von Kohlen und Eisen im Mutterlande ist
die Großindustrie (vgl. mit Deutschland und England) klein geblieben und
bedarf nicht so sehr eines großen Absatzmarktes. Aus demselben Grunde
ist es in größerem Maße ein Ackerbauland geblieben, das in seinem Fleisch-
und Getreidebedarf nicht so sehr vom Auslande abhängig ist, wie die
meisten übrigen west- und mitteleuropäischen Staaten. Endlich aber
fehlt es dem Lande an einem Bevölkerungszuwachs, der die Erwerbung
von Siedlungskolonien nötig macht.
So entsprang das riesige französische Kolonialreich weniger der Not-
wendigkeit, Siedlungskolonien, tropische Kolonien für die Beschaffung
von kolonialen Rohprodukten und Absatzländer für Industrieprodukte
zu erwerben, sondern wuchs aus dem unglückseligen Revanchegedanken
heraus, das Land durch scheinbar glänzende äußere Politik über innere
Leerheiten und Mißhelligkeiten hinwegzutäuschen. Daher der geringe
Erfolg der französischen Kolonialpolitik; trotz des glänzenden Äußeren
und der aufgewandten Riesenkapitalien. Anstatt im Lande eine Industrie zu
gründen, wanderten Milliarden nach Rußland, um dieses gegen Deutschland
mobil zu machen. So spielte Frankreich in den letzten Jahren eine Rolle, die
ihm in Wirklichkeit nicht zukam, die kläglich erkauft ist durch die Ver-
schleuderung des Nationalvermögens an Rußland, dessen Millionen Frank-
reich seine eigene nicht ausreichende Bevölkerungszahl ersetzen sollten.
Denn seit 1872 wuchs das festländische Frankreich nur noch von
36,1 Mill. auf 39,3 Mill. (Deutschland in derselben Zeit von 40 auf 66
Mill., trotz der 3 Mill. Auswanderer!), nachdem die vierzig Jahre von
1831 bis 1876 ihm noch einen Zuwachs von 5,5 Mill. gebracht hatten.
Fast zwei Drittel des Zuwachses entfallen dabei auf Groß -Paris, das in
beängstigendem Umfange die Landesbevölkerung in sich sammelt. Außer-
halb Paris ist sogar in Großstädten die Zunahme minimal, ja mehrfach
in den letzten Jahrzehnten ist zeitweise eine Abnahme festgestellt (Bordeaux,
Lyon, Roubaix), während die Kleinstädte sich mehr und mehr entvölkern.
Dementsprechend machen die meisten Städte einen stillen toten Ein-
druck, wodurch sich aber — namentlich im Süden — wundervolle alte
StädtebilderO mit mittelalterlichem Mauerkranz (Carcasonne) bis in unsere
Zeit gerettet haben. Bei dieser Gelegenheit kann bei reiferen Schülern
ein Kapitel über französische Baukunst eingeflochten werden, wobei nament-
lich die wunderbare Gotik (Reichtum des Landes an leicht behaubaren
Steinen) mit ihren südlichen Einschlägen Erwähnung finden muß.
Ein Land mit stillstehender Bevölkerung gleicht einem barometrischen
Tief und muß von allen Seiten Bevölkerungsströme aus stärker wachsenden
Gebieten anziehen.
^) Dazu kommen die zahlreichen römischen Amphitheater und Aquädukte.
1 16 XIII. Das atlantische Europa.
Schob im Mittelalter das französische Volkstum seine Grenze ostwärts
gegen das durch innere Unruhen geschwächte Deutschland zeitweise bis
an den Rhein, so ist in Zukunft bei natürlichem Lauf der Dinge die um-
gekehrte Bewegung eine Naturnotwendigkeit. Wie im Süden die Italiener
mehr und mehr in Nizza und Savoyen die Bevölkerung durchsetzen, wird
im Norden das Deutschtum nach Westen fluten, bis zu den natürlichen
Grenzen zwischen Frankreich und Deutschland, die durch die Sichel-
berge, die Argonnen und die Höhen von Artois bedingt werden. So ge-
hören 31000 km- der Fläche Frankreichs mit 4,2 Millionen Einwohnern
eigentlich zu Mitteleuropa, und zwar zum Rhein-Maas-Gebiet, dessen Eisen-
und Kohlenreichtum sie teilen.
Es ist die Tragik in der augenblicklichen Lage Europas, daß die Fran-
zosen, deren Zahl von beinahe 40 Mill. (1911) auf nicht ganz 36 Mill.
zurückgegangen sein dürfte^), die anscheinend jährlich um 400000 Seelen
abnehmen und ihr riesiges, noch um Kamerun und Togo vergrößertes
Kolonialreich nicht wirtschaftlich zu erschließen vermögen, sondern es
nur als Auffüllmaterial ihrer schwarzen Armee benutzen, mit ihrem
wahnsinnigen Haß den Westen Europas zurzeit beherrschen und nicht zur
Ruhe kommen lassen. Daß aber auch die augenblickliche englische Regierung
diese Kulturfrevel duldet, ist bei der derzeitigen Lage Englands in Asien
und Afrika eine Kurzsichtigkeit, die sich einmal schwer rächen dürfte.
Die Britischen Inseln.
Großbritannien umfaßt 315000 km-, von denen ein gutes Drittel
auf das Gebirgsland, die Trümmer eines alten erzreichen Faltengebirges,
der Rest auf Hügelland und Flachland entfällt. Schwemmebenen finden
wir nur in der Umgebung des Wash und am unteren Trent. Das Gebirgs-
land ist über Südengland und Irland unregelmäßig zerstreut, bildet aber
in Wales, Nordengland (Penninisches Gebirge) und Schottland große zu-
sammenhängende Hochflächen mit tief eingeschnittenen Tälern und ver-
einzelten Kuppen, die bis ins Frühjahr verschneit sind (Ben Nevis und
Snowdon), obwohl sie an Höhe den Brocken nur wenig übertreffen. Bei
dem kühlen, regenreichen Klima ist der größte Teil des Gebirgslandes von
Mooren (Dartmoor und Exmoor in Cornwallis) und Heiden bedeckt, die
19*^/0 der Gesamtfläche der Inseln einnehmen, in Schottland sogar bei-
nahe die Hälfte. Zahlreiche Moränenseen stammen aus der Eiszeit, in der
fast das gesamte Inselgebiet vergletschert war.
Erst nach der Eiszeit wurden die Britischen Inseln durch
große Landsenkungen von dem Kontinent getrennt (die Nordsee
ist die überflutete Fortsetzung des norddeutschen Flachlandes), wobei die
Überfülle guter und tiefer Häfen (untergetauchte Flußtäler) entstand, die
') Aus dem gewaltigen Anwachsen vieler Städte während der Kriegszeit
(Marseille wuchs auf 950000, Lyon 750000, Bordeaux 450000, Toulouse 210000,
Brest 190000) dürfen wir keinen Fehlschluß ziehen, da dieses zum Teil durch
Flüchtlinge aus dem besetzten Norden, zum Teil durch die Kriegsindustrie und
den Ausbau der Häfen für das Landen der nichtfranzösischen Hilfsheere zu
erklären ist und nur vorübergehend sein wird.
Klima und Pflanzendecke.
117
von größter Bedeutung für die Entwicklung der Fischerei und des Handels
wurde. Während aber in den aus harten Gesteinen bestehenden westlichen
Teilen die Häfen erhalten blieben, wurden die Küsten des Ostens, die meist aus
weicher Kreide bestehen, begradigt (vgl. Hinterpommern) und bilden kilo-
meterlange, aus weißer Kreide bestehende Steilränder, die noch heute ständig
abbröckeln (Flamborough-Head, Folkestone, Wight). Die größeren Flüsse
Wald
, 1 ll
l * Wiese ■
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° Parklapd .
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Klima und Pflanzendecke.
Das überaus regenreiche KHma bedingt die üppigen Wiesenf lächep,
die fast 52% der Fläche bedecken und für die englische Parklandschaft
bezeichnend sind. Bei dem Vorherrschen des Großgrundbesitzes über-
wiegt die Zucht von
edlen Pferderassen,
während der Bestand
an Hornvieh trotz
der weit ausgedehn-
teren Wiesenfläche
nur die Hälfte des
deutschen beträgt.
Die Heideflächen
der Gebirge (die
Highlands) beher-
bergen aber einen
den deutschen um
das Doppelte über-
treffenden Bestand
an Schafen und Zie-
gen (vgl. Lüne-
burger Heide),
der die große Woll-
industrie bedingt. Überaus milde ist die Küste des Südwestens, vor
allem in Cornwallis, wo sogar Palmen im Freien gedeihen (Torquay).
Nur 4 Prozent des Landes werden von Wald (zumeist Parks der Herren-
sitze) bedeckt, der hainartig auftritt, ohne größere Bestände zu bilden, und
während des Weltkrieges zur Hälfte gerodet wurde, um Grubenholz
zu schaffen.
Nur ein Viertel der Fläche war bis zum Kriege Ackerland. Da jedoch
die an sich guten Böden des Flach- und Hügellandes wegen der übergroßen
Regenmenge (vgl. die Marschen) als Getreideland ausscheiden, so gewinnt
nur östlich der Linie Hull-Portsmouth der Ackerbau größere Bedeutung.
Mit Mooren sind 25000 km- bedeckt, davon 10000 in Irland.
Geschichtlicher Überblick und Wirtschaftsleben.
Schon im Altertum besuchten phönikische Seefahrer die erzreichen Küsten
von Cornwallis. Mit Cäsars Landung begann die Eroberung des Landes
durch die Römer, die ihre Kastra (Manchester, Worcester, Chester u.a.)
und Kolonien (Lincoln vgl. Köln) jedoch nur im Südosten anlegten, Wales
W/M t^oor u.»is\d9 ^^- SfeilküsfefMeisrKreidel
',."., Wiese 0 Kohlenlager
•■■■:•■ Ackerbau ■■■■'"■■ Schichfsfufen
30. Britische Inseln.
1 18 XIII. Das atlantische Europa.
mieden und gegen Schottland den Pictenwall mit Newcastle errichteten.
In diesen Teilen und Irland hielt sich die keltische Urbevölkerung mit ihren
eigenartigen Namen.
Das Mittelalter bringt die germanische Ein Wanderung. Im Norden
wandern Norweger ein (firth = fjord), im Süden Angelsachsen (Norfolk,
Suffolk, Essex, Sussex, wich = vicus, town = zäun, borough = bürg, ham
= heim). Es enwickelt sich die wundervolle normannische Gotik, besonders
zur Zeit des Hauses Anjou (Angers), wo England in Beziehungen zu Frank-
reich (Bretagne) tritt. Nach Niederschlagung langwieriger innerer Aufstände
kräftigt sich das Land unter der jungfräulichen Königin Elisabeth, macht
sich nach Besiegung der spanischen (1588 Armada) und holländischen
(1653) Flotten zur Herrin der See, um 1798 (Abukir) und 1809 (Trafalgar)
auch den letzten Nebenbuhler, Frankreich, zu verdrängen.
Die erste Hälfte des 1 9. Jahrhunderts ist für England eine Zeit
riesiger industrieller Entwicklung, da es, nicht gestört durch die
Kämpfe des festländischen Europas, seine Insellage gut ausnutzt. Sie be-
ginnt mit der Erfindung der Dampfmaschine und wird durch den Reich-
tum an Kohlen und Eisen stark gefördert.
Namentlich zu beiden Seiten des Penninischen Gebirges in Süd-Wales,
in der schottischen Senke und dem Kohlenbecken des Tyne entstehen
riesige Industriegebiete. Das nach Amerika zu gelegene Lancashire ver-
spinnt besonders Baumwolle (Manchester), der Osten Schafwolle und
Flachs (Yorkshire, Leicester, Leeds, Nottingham), die Stahlindustrie hat ihre
Hauptsitze in der Umgebung von Birmingham und Sheffield, während
Stoke sich ein Monopol für Töpfereiwaren (The Potteries) erwirbt. Ge-
waltigen Schiffbau betreiben die den holzreichen Ländern Nordeuropas
gegenüberliegenden Kohlengebiete der Nordseeküste (Hartlepool, New-
castle und Sunderland); kanadisches Holz bedingt den Schiffbau von
Glasgow und Belfast, während sich Süd -Wales besonders auf Kohlen-
export wirft, wodurch die Cardiffkohle Weltruf bekommt. Groß ist aber
auch in den übrigen Küstenstädten die Industrie, vor allem in Groß-London,
dem Herz des britischen Imperiums.
Im Jahre 1870 betrug Englands Handel 11 Milliarden (5 in Frankreich
und der Union, 3,7 in Deutschland). Es förderte 60 7o der auf der Erde
gewonnenen Kohlen, 48 "/o des gesamten Roheisens und verarbeitete 50°/o
der Baumwolle.
Die letzten vier Jahrzehnte haben das Bild gewaltig ver-
schoben. Englands Handel wuchs zwar auf 25 Milliarden an, aber
Deutschland und die Union sind ihm mit 18 bzw. 14 Milliarden bedenklich
nahegerückt. Sein Anteil an der Kohlenförderung fiel auf 26 "/o; über-
flügelt von der Union und beinahe erreicht von Deutschland, wäre der
relative Rückgang noch größer gewesen, weim seine Lager nicht so un-
gewöhnlich günstig für den Transport lägen. Gewaltig ist dagegen seine
Roheisenförderung (U Mill. kg) von Deutschland (15) und der Union
(27) überflügelt, so daß sein Anteil auf 16"/o sank. Auch im Baumwoll-
verbrauch wurde es von der Union überflügelt, und sein in London zen-
tralisiertes Eisenbahnnetz ist kleiner als das amerikanische, russische und
Geschichtlicher Überblick und Wirtschaftsleben.
deutsche, überragt jedoch noch die anderen europäischen Staaten durch
die Zahl der Güterwagen (800000 gegen 600000 in Deutschland). Einzig-
artig war dagegen bis zum Weltkriege seine Stellung im Schiffbau, der
Hochseefischerei und dem Kabelverkehr, besaß es doch 250000 von den
480000 km Kabellänge! Trotzdem die britische Flagge mehr und mehr
von der deutschen eingeholt wurde, überragte doch der Verkehr der eng-
lischen Häfen bei weitem den der deutschen und belief sich auf 135
(gegen 45) Millionen. Dem deutschen Hamburg (mit Vorhäfen 31,3 Mil-
lionen Tonnen und einem Zuwachs von 80 "/o von 1902 — 1912) standen
die Riesenhäfen London (38-f 24«/o), Liverpool (28 + 50ö/o), Cardiff
(23 + 2-2%) und die Tynehäfen (22 + 31%) mit ihrer allerdings ge-
ringeren Steigerung gegenüber. Im Jahre 1911 finden wir 44 "/o der
Erwerbstätigen in der Industrie, 23*^/o im Handel und nur 12^/o in der
Landwirtschaft, denn die Industriealisierung des Landes bedingt ein starkes
Abströmen der landwirtschaftlichen Bevölkerung in die Städte 0, ein Zu-
rückgehen der Landwirtschaft und damit die Notwendigkeit, Fleisch und
Getreide aus dem Auslande einzuführen. Zugleich verlangt die Industrie
eine Einfuhr von Rohmaterialien gegen Ausfuhr von industriellen Er-
zeugnissen. Von immer größerem Umfange werden auch tropische Pro-
dukte (Reis, Bananen, Palmkerne, Zucker, Tee, Kaffee, Kakao) zur Er-
nährung herangezogen, so daß England in ganz anderem Umfange als
andere Staaten auf die Kolonien angewiesen ist.
Die wichtigste Kolonie ist nach dem Abfall Nordamerikas Indien ge-
worden, welches zwei Drittel der Einwohnerzahl des Imperiums umfaßt.
Den Seeweg nach Indien zu sichern, gilt als höchstes Ziel englischer
Politik. Gibraltar wird 1704 besetzt und damit der Zugang zum Mittel-
meer, 1800 Malta, 1832 Aden, 1878 Cypern und 1898 Ägypten mit
dem Suezkanal, den Bismarck treffend das »Genick der Welt« nannte.
Das Abdrängen Rußlands von Konstantinopel, das den Krimkrieg zur
Folge hatte, das Wegdrängen Frankreichs vom oberen Nil (Faschoda 1898)
und endlich das Absperren Deutschlands vom Persischen Golf sind nur
Episoden in dem Bestreben, einen geschlossenen Landring um den Indi-
schen Ozean zur Sicherung Indiens, des edelsten »Diamanten in der
englischen Krone« zu schaffen, wobei auch der russische Einfluß aus Süd-
persien verdrängt werden mußte.
Aber auch die afrikanischen Kolonien"-) und die Inseln des Indischen
Ozeans sind ursprünglich nur Etappenorte für den Weg nach Indien, die
erst später zu größeren Pflanzungskolonien ausgebaut wurden. Daneben
sind Kanada, Australien und Südafrika wichtige Siedlungskolonien,
die das Mutterland mit Getreide, Fleisch und Gold versorgen und auch
im Weltkriege ein wichtiges Truppenkontingent stellten.
Wir gliedern das Land in die großen Industriegebiete, das südöst-
liche Flachland, die Gebirgslandschaften und Irland.
0 Von 100 Engländern wohnen 60 in Städten mit mehr als 30000 Einw.
(34 in Deutschland!).
-) Man beachte bei Afrika die Teilung in einen englischen Osten und
einen französischen Nordwesten (Vergleich mit der spanisch -portugiesischen
Demarkationslinie).
120 XIII. Das atlantische Europa.
Einzellandschaften.
Die größte Industriestadt des Landes ist London, das Herz des eng-
lischen Weltreiches und im Mittelpunkt der Landhalbkugel gelegen (Zufall?).
Mit seiner Umgebung umfaßt es 1800 km"- mit 7 400000 Einw. und war
bis vor kurzem die größte Stadt der Erde (1916 von New York über-
flügelt). Die Haupthäfen sind die weltberühmten Docks, die neueren Vor-
häfen ziehen sich themseabwärts bis Erith, Gravesend und Southend.
Ein zweites wichtiges Industriegebiet liegt in Süd-Wales, die Graf-
schaften Glamorgan und Monmouth umfassend, die fast ausschließlich
Kohlenbergbau betreiben und auf 3500 km- 1,5 Millionen Menschen
(Dichte 440 auf das Quadratkilometer) ernähren. Cardiff ist der größte
Steinkohlenhafen der Erde, Swansea besitzt großartige Kupferhütten. Mittel-
punkt des Bergbaus ist Rhondda.
Tag und Nacht liegt eine dunkle Rauchwolke über dem mittelenglischen
Industriegebiet, dem »Blak country« mit seinen entsetzlich mono-
tonen Ziegelsteinhäusern, die sich kastenartig aneinanderreihen und nur
in den Zentren der größeren Städte für wenige öffentliche Gebäude Platz
lassen. Auf 25100 km- siedeln hier über 13 Millionen, die Dichte steigt
auf 500, und 25 Städte zählen mehr als 100000 Einwohner.
Das Zentrum der englischen Eisen- und Maschinenindustrie befindet
sich in Birmingham (l 080000 Einwohner), in dessen Umgebung weitere
500000 Menschen siedeln. Nottingham und Leicester sind Hauptsitze
der Seidenindustrie und Garnweberei, Stoke der Töpferei.
Lancashire ist der Sitz riesiger Baumwollspinnerei, die ihren Mittel-
punkt in Manchester-Salford (1 Million, mit Umgebung über 2 Millionen)
hat, das durch einen Seekanal mit Liverpool-Birkenhead (l 100000) ver-
bunden ist, dessen Docks sich in 10 km Länge an den Ufern des Mersey
ausdehnen. Außer diesen Riesenstädten zählen wir neun weitere Groß-
städte in der Grafschaft. Am Ostabhange des Penninischen Gebirges
siedelt über 1 Million in der Umgebung von Leeds (500) und Bradford,
den Mittelpunkten des Textilgewerbes, während Sheffield (600) durch
Stahlindustrie weltbekannt ist.
Ein weiteres Industriegebiet (Tynegebict) erstreckt sich zwischen den
Flüssen Tyne und Tees (2400 km"' mit 2 Mill. Einw., Dichte 840). Die
Vororte von Newcastle (750000 Einw.) ziehen sich flußabwärts bis zur
See und sind Sitze eines gewaltigen Schiffbaues (Armstrong) und riesiger
Steinkohlenförderung. Sunderland und Hartlepool sind ebenfalls Mittel-
punkte des Schiffbaues, während Middlesborough große Hochöfen besitzt.
Die mittelschottische Senke hat 11000 km"- mit 3,3 Mill. Einw.
(D. = 300). Zentrum des Kohlenbergbaus und des Schiffbaus ist Glas-
gow (1 Mill. Einw.), während das wundervoll gelegene Edinburg (420)
der Hauptsitz der Behcirden ist, daneben aber Eisenindustrie und Fischerei
(Vorstadt Leitli) treibt. Am Firth of Fortli finden wir auch den neuen
Kriegsliafen Rosyth, den ersten zielbewußt gegen Deutschland orientierten
Kriegshafcn, während die übrigen älteren Frankreich gegenüber an der
Kanalküste liegen ! Insgesamt entfallen auf diese Industriegebiete 44000 km'-'
niit 27 Millionen Einwohnern, d. h. 14'7o i-icr Fläche, aber 60 "/o der
Einwohnerzahl des Königreichs.
Einzellandschaften. 121
Das südöstliche Flachland (78000 km- mit 10 Miil.Einw.,D.-- 130)
ist zumeist eine liebliche Park- und Wiesenlandschaft von sanften Hügeln 0
(Downs, Cotswold Hills, York Wolds) durchzogen. Die Ackerfläche
steigt in den östlichsten Grafschaften auf mehr als 50 "/o, besonders aus
gedehnt ist das Ackerland in dem entwässerten Sumpfgebiet im Süden
des Wash. Zahlreiche Burgen und wundervolle Kirchen geben den
kleineren Siedlungen manch prächtiges Städtebild (Windsor, Salisbury,
Canterbury), doch dehnt sich auch hier die Industrie immer mehr aus.
Die Südküste mit ihren weißen Kreidefelsen und großen Rasenflächen
ist der Sitz eines großartig entwickelten Badelebens, vor allem in dem
Weltbade Brighton (173000) und auf der Insel Wight. Portsmouth
(265000) ist der erste englische Kriegshafen, Southampton (119000) ein
wichtiger Handelshafen.
Auch die Ostküste ist reich an Badeorten, an deren Spitze der
Fischereihafen Great-Jarmouth steht. Dover, Harwich und Ipswich sind
wichtige Fährhäfen nach dem Kontinent, Chatham ist der dritte englische
Kriegshafen mit großen Arsenalen. Hüll vermittelt den skandinavischen
Verkehr (Holzeinfuhr) mit seinem Vorhafen Grimsby (Fischerei). An der
Westküste blüht Bristol durch Verkehr mit Amerika.
Im Inneren ist das stille Norwich die größte Siedlung. Von Bedeutung
sind auch die Universitäten Oxford und Cambridge, der Badeort Bath und
die alte Bischofstadt York.
An der hafenreichen Küste zahlreiche Fischereihäfen, dazu an der Kanal-
küste viele Winterkurorte (englische Riviera), so daß bei 12000 km^ und
1,2 Millionen Einwohnern die Dichte auf 100 steigt. Die wichtigste
Siedlung ist der Kriegshafen Plymouth; vom Kap Landsend gehen wichtige
Kabellinien aus.
Das Walliser Bergland ist meist mit Moor und Heide bedeckt, nur
in den geschützten Tälern finden wir parkartigen Wald. Auf 21000 km-
siedeln 1,2 Millionen Einwohner, am dichtesten an der hafenreichen Küste,
die auf der Nordseite auch zahlreiche Badeorte (Bangor) aufweist. Zwei
gewaltige Brücken verbinden Wales mit Anglesey, von dessen Haupthafen
Holyhead der Trajekt nach Dublin führt.
Das nordenglisch-schottische Bergland umfaßt das Penninische
Gebirge, das Cumberlandgebirge mit seinen lieblichen Seen, die Cheviot-
berge, das südschottische Bergland, die Grampians und nördlich des
Caledonischen Kanales die nordschottischen Hochlande, große, meist mit
Moor und Heide und Schafweiden bedeckte Hochflächen mit tief ein-
geschnittenen Tälern und reizvollen Moränenseen, den »Lochs«. Auf
80000 km- siedeln nur 2,1 Millionen (D. - 26), vor allem in den kleinen
Tiefebenen des Tweed, Eden und dem gegen Westwinde geschützten
Hügelland, im Osten der Grampians, wo das Ackerland auf 40% steigt
und der Flachsanbau Leinwandindustrie (Dundee) bedingt. Zumeist ernährt
sich die Bevölkerung von Fischfang, den die zahlreichen Häfen begünstigen,
und Schiffbau (Aberdeen und Barrow). Die größten Siedlungen sind
^) Diese Hügel sind Ränder einer nach SW abfallenden Sandsteintafel und
kehren ihren Steilrand gegen NO (vgl. Süddeutscher Jura),
122 XIII. Das atlantische Europa.
Dundee, Aberdeen, Barrow und der Eisenbahnknoten Carlisle. Inverneß
ist ein Mittelpunkt des Fremdenverkehrs. Zum schottischen Berglande
gehören auch dieHebriden, die Orkneyinseln und Shetlandinseln
mit ihren wundervollen Häfen, an denen zahlreiche Fischerstädtchen
liegen. Auf Orkney liegt der im Weltkriege bekanntgewordene Hafen
von Kirkwall und die dem Jadebusen an Größe gleichende Bucht von
Scapa Flow, die Englands Hochseeflotte beherbergte und das Grab der
deutschen wurde.
'Irland, die grüne Insel, ist ein Tiefland, aus dem sich zahlreiche Hügel-
züge erheben. Das namentlich im Westen an Niederschlägen überreiche
Land ist meist mit Moor (IO^/q!) und Wiesen bedeckt. Nur 3 7o der
Fläche sind Wald; der Ackerbau leidet im Westen unter den starken
Niederschlägen, steigt jedoch im Nordosten auf mehr als 30 /q (viel
Flachs und Kartoffeln, Leinwandindustrie in Belfast und Londonderry).
Das fruchtbare Land mit seinen zahllosen Häfen ist der natürliche Ver-
mittler des Verkehrs zwischen Europa und Nordamerika und umfaßte auf
84000 km- 1840 über 8 Millionen Einwohner (30°/,, der Britischen
Inseln). Dublin, Belfast, Cork und Limerick gehörten zu den größten
Städten Europas mit blühendem Handel. Seitdem hat England das Volk
systematisch unterdrückt und den Handel über englische Häfen geleitet,
ja während der Hungersnöte noch Getreide, Kartoffeln und Fleisch nach
England ausgeführt. So ist die Bevölkerung des Landes auf 4,4 Millionen
zurückgegangen, und von den Städten weisen neben dem langsam wachsenden
Dublin nur Belfast (Leinwandindustrie und Schiffbau) und Londonderry
als Ausleger des schottischen Industriebezirkes ein größeres
Wachstum auf. Großstädte sind Dublin und Belfast, während Cork in
den letzten vierzig Jahren von 114000 auf 77 000 Einwohner zurück-
ging. Bis auf Ulster mit starker englisch-schottischer Einwanderung (Ulster-
frage) ist die Bevölkerung katholisch. Daß Irland heute in hellen Flammen
steht, ist typisch für die Phrase von der > Selbstbestimmung« der Völker.
Skandinavien.
Unter Skandinavien verstehen wir die drei nordischen Königreiche
Schweden, Norwegen und Dänemark mit 810000 km-, aber nur 11 Mill.
Einwohnern. Das Rückgrat Skandinaviens bildet das gewaltige Hochgebirge
der Skandinavischen Alpen, welches sich vom Kap Lindenäs bis zum Nord-
kap erstreckt und gegen den Atlantischen Ozean steil abfällt, sich dagegen
allmählich nach der Ostsee zu abdacht. Im Gegensatz zu den Alpen fehlen
(wie in den schottischen Gebirgen, deren Fortsetzung es ist) langgestreckte
parallele Kämme und zwischen den steilen, im Westen als Fjorde unter
das Meer getauchten Tälern mit ihrem durch die Warmwasserheizung des
Golfstroms überaus milden Klima finden wir bis in den Hochsommer mit
Schnee bedeckte Hochflächen (Fjclds). Diese werden nur vereinzelt von
höheren Gipfeln überragt, in denen die Halbinsel nn't 2500 m ihre größten
Erhebungen erreicht.
Allgemeiner Überblick.
123
Allgemeiner Überblick.
Die Skandinavischen Alpen umfassen 380000 km-, von denen über
300000 auf Ödland entfallen, während Waldbestände sich nur in den
tieferen, geschützten Tälern finden (in Norwegen, das fast ausschließlich
im Gebirge lieg-t, sind 707o Ödland, 22<';oWald, 7% Wiese und Weide
und nur 0,8% Ackerland), im südnorwegischen Gebirgsland finden
wir noch größere Wälder, in den Tälern noch ausgedehnte Wiesenwirtschaft
und einigen Ackerbau. In großem Umfange werden die Kräfte der großen
Wasserfälle (1911 von
7,5 Millionen 127o)aus-
genutzt (Norgesalpeter).
In J ö t u n h e i m (Riesen-
land), dem Gebiete zwi-
schen Sognefjord und
dem oberen Glomtal,
liegen die größten Firn-
felder Europas und die
höchsten Gipfel der
Halbinsel, vor allem die
Schneepyramide des
Glittertind (Glitzerzin-
ne). Nördlich desTrond-
jemfjords beginnt das
Nordland. Wald und
Wiese treten zurück,
und die von den Eis-
feldern der Hochflächen
(den Bräen^^Brei) sich
herabsenkenden Glet-
scherzungen münden
nördlich des Polar -
Eiche
Skandinavien.
kreises in die mit weißlichem Gletscherwasser angefüllten Fjorde. Der
größte Teil der Bevölkerung nährt sich von gewaltigem Fischfang, im Inneren
siedeln die Lappen mit ihren Renntierherden und Finnen (zusammen 60 000).
Die östliche Abdachung des Hochgebirges bildet das schwedische Nord-
land mit 150000 km'\ Unermeßlich dehnen sich die riesigen Nadelholz-
und Birkenwälder, und die an Wasserfällen überreichen Flüsse sind von
kilometerlangen Holzflößen bedeckt. Wirtschaftlich bedeutungsvoll sind
die unerschöpflichen Eisenerzlager, vor allem der Erzberg von Gellivare.
Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Halbinsel liegt in Mittelskandi-
navien, welches die schwedischen Landschaften Gotland, Swealand und
Smaland, sowie das südnorwegische Hügelland um Kristiania umfaßt
(210000 km-, davon HVo Ackerland), zumeist Felsgebiet, von den Eiszeit-
gletschern abgeschliffen, aber in den Senken der Seen auch von Sand- und
Tonböden überdeckt. An den Küsten überragen die zahllosen Fels-
kuppen als Schären das Wasser. Im Norden überwiegt Nadelwald, die
Landschaft Smaland erinnert mit ihren eingestreuten Laubholzbeständen
schon an Mitteleuropa; in der Umgebung der Seen Ackerland, dazu viel
124 XIII. Das atlantische Europa.
Viehzucht. Von den gewaltigen Wasserkräften Schwedens (6,8 MilHonen
Pferdestärken) sind 1 3 % ausgenutzt, vor allem die Trollhättafälle. Vor allem
ist die aufblühende mittelschwedische Eisenindustrie (Örebro
und Eskilstuna) bei dem Mangel des Landes an Kohlen in Zukunft mehr
auf die Wasserkraft angewiesen; sogar die Versorgung Dänemarks mit
schwedischer Elektrizität ist geplant. Gewaltig ist auch die Holzausfuhr,
vor allem in der Umgebung des Kristianiafjords.
Flache mit Weizen und Zuckerrüben angebaute fruchtbare Ackerländer
mit Buchenwäldern kennzeichnen Schonen (15000 km-), dessen Land-
schaft an Dänemark und den Baltischen Höhenrücken erinnert. Lediglich
durch die rot angestrichenen Holzhäuser (in Schweden und Norwegen
überwiegt das Holzhaus bis auf die Zentren der großen Städte Stockholm,
Gotenburg, Kristiania, Malmö, Bergen und Norköping) mit ihrem Stroh-
dach zeigt es sich als schwedisches Land.
Die Dänischen Inseln mit Jütland sind mit ihren aufgeschütteten
Moränenböden die natürliche Fortsetzung Schönens und von ihm erst
nach der Eiszeit durch Meeresüberflutungen getrennt, wodurch der Sund
und die Belte (untergetauchte Flußtäler, vgl. Bosporus) entstanden und
aus den Tälern Förden wurden. Die Inseln und Ostjütland weisen neben
viel Ackerland (43%) und Wiesen wundervolle Buchenwälder (8%) auf.
Der Westen Jütlands ist dagegen eine mit Heiden bedeckte Sandebene,
durch einen großen Dünenwall gegen die Nordsee begrenzt. Die gewaltige
dänische Viehzucht versorgt vor allem England und Deutschland mit Fleisch,
Butter und Käse.
Skandinavien bildete unter Knut dem Großen ein mächtiges Reich,
das sogar den Osten der Britischen Inseln als Kolonialland umfaßte. In
der späteren, in den Einzelheiten sehr verwickelten, Geschichte halten die
am Atlantischen Ozean gelegenen Teile (Norwegen und Dänemark) zu-
sammen, während das ostwärts orientierte Schweden sich zeitweise bis
Finnland und den russischen Ostseeprovinzen ausdehnte als »Ostseemacht«.
Viel gekämpft wurde um Schönens Ackerböden (nordisches Sizilien).
Erst vor hundert Jahren trennten sich Norwegen und Dänemark, die
noch heute sprachlich eng verwandt sind, und bis 1905 waren Schweden
und Norwegen durch Personalunion vereint, die aber den verschieden-
artigen Interessen wenig entsprach. Lange Zeit drohte der nordskandi-
navischen Küste (vgl. die langen > Fühlhörner «, die Finnland nach Westen
schiebt) die russische Gefahr, da Rußland eine größere eisfreie Küste
brauchte. Diese kann zur Zeit aber als überwunden betrachtet werden.
Wie aus den vorhergehenden Zeilen ersichtlich, ist Norwegen das
Land des Fischfangs und des Handels, Schweden das der Holz-
ausfuhr und Eisenindustrie; in Dänemark überwiegen Acker-
bau und Viehzucht. Wichtig wird in Zukunft der für Seeschiffe er-
weiterte Götakanal (zwischen Gotenburg und Stockholm) werden, der
durch Einrichtung von Fähren zu einem Verkehrswege zwischen England
(Huli) und Finnland ausgebaut werden soll, um so den Sund und Kaiser-
Wilhelm -Kanal zu meiden. Ähnliche Zwecke verfolgt die Ofotenbahn
(Narwik — Luiea), die ursprünglich nur für die Erzausfuhr gebaut war
während für touristische Zwecke die großartige Bergensbahn zwischen
Dänemark. 125
Bergen und Kristiania erbaut wurde. Hand in Hand mit dem Ausbau der
Eisenbahnen ist deren Elektrisierung geplant, um sich auch hier von der
Kohle unabhängig zu machen, von der nur Schweden südlich des Kullen
einige kleine Lager besitzt.
Dänemark.
In Dänemark siedelt die Bevölkerung am dichtesten (2,8 Millionen
auf 39000 km-, D. = 70). Kopenhagen spielt in Nordeuropa die Rolle
Konstantinopels, wenn wir an Stelle von Pontus und Mittelmeer Ostsee
und Nordsee setzen. Nicht als Hauptstadt Dänemarks, sondern als Be-
herrscherin des Ostsee- Eingangs wuchs die Stadt auf 700000 Einwohner
an und zeigt in ihren riesigen Palästen, daß sie einst Beherrscherin eines
Großstaates war. Auf Fünen ist auch Odense von Bedeutung, auf Jüt-
land Aarhus, Aalborg und das bis zum Beginne des Weltkrieges schnell
aufstrebende Esbjerg, dessen gewaltige Anlagen unter englischem Ein-
flüsse entstanden.
Schweden und N]orwegen.
Die größten Siedlungen Schönens (15000 km- mit 900000 Ein-
wohnern, D. = 60) sind Malmö und Helsingborg. Dampffähren verbinden
beide mit Dänemark; von Trelleborg führt eine Eisenbahnfähre nach
Saßnitz (D-Züge von Berlin nach Stockholm!).
Mittelskandinavien beherbergt auf 210000 km^ den größten Teil
der skandinavischen Bevölkerung (5,5 Millionen Einwohner, D. = 26). Die
größte Siedlung ist Stockholm, von der die Aalandsinseln die natürliche
Brücke nach Finnland schlagen. Die wundervoll gelegene Stadt (nordisches
Venedig) ist auch im Äußeren die vornehmste Stadt Skandinaviens und
mit den Villenstädten der Umgebung steigt ihre Einwohnerzahl auf 560000.
Wichtiger als Hafenstadt ist das industrielle Gotenburg, das seinen elek-
trischen Strom von den Trollhättafällen bezieht. Mit seinen großen Werften
beherrscht es den Eingang zum Götakanal, an dessen Ausgange wir die
große Fabrikstadt Norrköping (Baumwollindustrie) finden. Wichtig sind
neben zahlreichen aufblühenden Handels- und Industriestädten die alte
Hauptstadt Upsala und die Eisenstädte Örebro und Eskilstuna.
Mittelpunkt des norwegischen Ackerlandes ist Kristiania in wunder-
voller Lage, aber arm an alten Bauten und Privathäusern, da der Auf-
schwung der Stadt erst seit 1814 erfolgte.
Nordskandinavien umfaßt auf 530000 km- nur 2,5 Millionen Ein-
wohner (D. = 4), die am dichtesten im südnorwegischen Gebirgslande
siedeln, wo die Dichte auf 8 steigt. Zu Fischfang und Holzhandel gesellt
sich Schiffbau und elektrische Industrie. Die größten Siedlungen sind
Bergen, die größte Handels- und Fabrikstadt Norwegens, 1800 sogar an
Einwohnerzahl die erste Stadt, und Stavanger. Wichtige Verkehrswege
durch das Gebirge beherrscht Trondjem, die alte Hauptstadt Norwegens.
Die Nordlandshäfen treiben ausschließlich Fischfang bis auf Narwik, den
Winterhafen für die schwedischen Erzgebiete. Die aufblühenden Häfen
des schwedischen Nordlandes mit ihrem Schach brettstadtplan ernähren sich
von Fischfang und Holzausfuhr, vor allem Gefle mit großen Sägemühlen
und Zelluloseindustrie.
126 XIII. Das atlantische Europa.
Zu Skandinavien gehören auch Island und Spitzbergen. Island
(105 000 km-) ist eine ausgedehnte Lavatafel mit tiefeingeschnittenen
Fjorden, zahlreichen Vulkanen und warmen Quellen, die bis 2100 m auf-
ragt. Etwa 16000 km'- sind von großen Eisfeldern bedeckt (allein 8800 km-
umfaßt der gewaltige schildförmige Eiskuchen des Vatnajökull), ebensoviel
die Lavawijsten. Etwa 10000 km"- nehmen die gewaltigen Sandebenen
am Rande der Gletscher ein, die ein Bild von der Entstehung der großen
Sandflächen Norddeutschlands geben. Die gewaltigen Wasserkräfte der
Insel, die denen Deutschlands gleichkommen, — allein 400000 P.S. hat der
Dettifoss — mögen in Zukunft einmal von Bedeutung werden. Die QOOOO
evangelischen Bewohner nähren sich von Viehzucht (800000 Schafe und
50000 Pferde) und Fischfang, da ein ausgedehntes Schelfgebiet die Insel
umgibt. Reykjavik (Rauch-Nebelbucht) blüht durch Fremdenverkehr auf.
Gewaltige Eisdecken, überragt von steilen alpinen Bergen (bis 1700 m
hoch), erfüllen den größten Teil Spitzbergens (70000 km'-), das durch
Senkung in zahlreiche Einzelinseln aufgelöst ist und ebenfalls unter dem
Einfluß des Golfstroms steht. Um den Besitz des Landes fanden infolge
der reichen Kohlenlager lebhafte Debatten statt, bis es Norwegen als Be-
lohnung für seine England geleisteten Dienste erhielt.
Auf dem großen Spitzbergenschelf (300000 km'-), der nach floristischen
Anzeichen früher mit Grönland und dem Franz-Josephs-Land, einem zer-
trümmerten Faltengebirgsrest, zusammenhing, liegt, fast immer in Nebel
gehüllt, die Bäreninsel mit ihren Vogelbrutstätten und Phosphatlagern.
Auch die Färör — Schafsinseln — mit Weidewirtschaft und Fischfang
rechne ich zu Skandinavien. Dagegen dürfte es sich erst in Zukunft
entscheiden, ob Finnland mit seinen von Schweden kolonisierten Küsten
sich dem skandinavischen oder russischen Wirtschaftsblock anschließen
wird. Im Weltkriege ist die Stellung Skandinaviens durchaus geographisch
bedingt gewesen. Norwegen mit seinen langen Küsten, seinem starken
Fischfang und seiner Handelsflotte war im Kriege wie Portugal ein Ver-
bündeter Englands. Schweden hielt sich schon wegen seiner günstigen
Ernährungsverhältnisse selbständiger, und Deutschland dankt ihm für
manches Liebeswerk, wie der Schweiz. Dänemark pendelte, und erst der
sadistische Versailler Frieden schuf auch hier mit dem Abstimmungsgebiete
von Schleswig Unfrieden, Verstimmung und eine deutsche Irredenta.
In welcher Weise Skandinaviens Wohlstand durch den Krieg zunahm,
zeigen nachfolgende Zahlen des Goldbestandes der Neutralen im Jahre
1918 (1914 in Klammern) in Millionen Mark:
Schweden ... 323 (119) Schweiz .... 338 (144)
Norwegen ... 137 (59) Holland .... 1172 (273)
Dänemark ... 221 (92) Spanien .... 1818 (434)
Dazu kam der großzügige Ausbau des Bahnnetzes und der elektrischen
Kraftwerke, vor allem in Südnorwegen und Nordschweden, so daß Skan-
dinavien in Zukunft eine ausschlaggebende Rolle im Wirtschaftsleben
Europas spielen dürfte. Die starke Elektrisierung ist vor allem der Papier-
industrie und der Eisenindustrie zugute gekommen, so daß Schweden
sein Erz jetzt zum Teil im Lande selbst zu verhütten vermag und selbst
Kopenhagen mit Elektrizität versorgt.
XIV. Asien.
Einteilung.
Den Kern des Erdteils bildet ein gewaltiges gebirgsumrahmtes Hoch-
land, dessen Ecken von der Pamirhochfläche, der Jünnanhochfläche
und dem Witimplateau gebildet werden; in der Form einem Dreieck
ähnlich, wird es als Hochasien bezeichnet.
v.AfrlkdnischemTyp
^=^ Junge Falten
^^^^ Bewaldete RandgebirgG
im W. Hochasiens
•••• VulKdnlinien
// SommerMonsun
Gebipte
. jugendlicher
Uberflufung
Kulfurgebiete mit
diVhterßevölkerung
32. Der Bau Asiens.
Daran schließt sich nach Norden ein hügeliges Tafelland, weiterhin in
die flachen Tundren und das Sibirisch -Turanische Tiefland übergehend.
Das ist Nordasien.
Vorderasien — auch der asiatische Orient genannt — umfallt das
Anatolisch-Iranische Gebirgsland mit der Arabischen Tafel, die, früher ein
Teil Afrikas, erst in diluvialer Zeit durch den Grabenbruch des Roten
Meeres von diesem getrennt und durch die Aufschüttungen von Euphrat
und Tigris dem Rumpf Asiens angegliedert wurde.
Dasselbe gilt auch von der Tafel des Dekhan, die mit den Tiefländern
des Indus und Ganges-Brahmaputra als Vorderindien bezeichnet wird.
128
XIV. Asien.
Die im Quellgebiet des Irawadi, Mekhong und Jangtse eng zusammen-
gedrängten Falten quellen südwärts auseinander und schließen ausgedehnte
Ebenen und Hügelländer ein, die weiter südlich intensiv zersplitterten
und, von flachen Meeren überflutet (Karte!), erst während der Eiszeit als
Inseln abgegliedert wurden, wobei das Gesamtgebiet mit einem durch
Vulkane bezeichneten Bruchrand gegen die abgesunkenen ozeanischen
Becken abfällt. Das ist Hinterindien, dessen Inselgebiet auch als Indo-
nesien bezeichnet wird, während das Festland treffend nach seiner
Bevölkerung Indochina genannt werden kann.
33. Die Landschaften Asiens.
Nafürliche «
örenze zu Europa .*'
LÖSS Winde
= : Tundra illlll Wdid
■— Waldgebirge inSfeppen
"»"Steppen 'Wushen
^^'^ Hulfurflarhen vereinzplf aber die Landschaff beherrschend
Gebiete intensiver Kultur (Dichte 100 u.mehr)
•••• Gefreidegrenze — Sibinscheßahn u.Turkestanbahn
Beckeneinbrüche, vielfach von Schwemmland angefüht, sind eingesenkt
zwischen bogenartig angeordnete Schollengebirge, die mit einer vulkan-
gekrönten Gebirgsgiriande, die vielfach in Inselbögen aufgelöst ist, gegen
den Ozean abfallen. Das kennzeichnet Ostasien, dessen Bau auch den
Ostrand Sibiriens beherrscht (Stanowoigebirge und Kamtschatka).
Indien und Ostasien werden treffend als Monsunasien bezeichnet, da
sie der Überwehung mit diesen Winden ihre Sommerregen und ihre hohe
Kultur verdanken, so daß hier auf einem Drittel der Fläche beinahe
Hochasien. 129
neun Zehntel der Einwohner Asiens wohnen. Auch der Löß Chinas
ist ein Geschenk der Monsune, die im Winter in umgekehrter Richtung
wehen und durch Gebirge von Indien und Südchina abgehaUen werden.
Nur in Monsunasien finden wir intensiv dichte Kultur, deren Felder,
Gärten und Plantagen die ursprünghche Pflanzendecke vielfach völlig ver-
drängt haben bis auf steile Gebirge und sumpfige Flußufer und Küsten.
Ein zweites Drittel umfaßt die Steppenzone Turans, Hochasiens und
Vorderasiens, es sei als Trockenasien bezeichnet. Kulturländer treten
nur vereinzelt auf (Oasenkultur) und haben nur an den Mittelmeerküsten
und am Nordrande der Kirgisensteppe größeren Einfluß auf die Landschaft.
Ausgedehnte Waldgebiete, in Tundren übergehend, kennzeichnen Nord-
asien, das wirtschaftlich als Arktisches Asien bezeichnet sei. Kultur-
streifen finden wir nur an der Sibirischen Bahn und ihren Zweiglinien.
Monsunasien ist das Gebiet der indischen und ostasiatischen Kultur und
ernährt auf 16 Millionen km- 850 Millionen Menschen (Dichte im Durch-
schnitt 53). Trockenasien, das Gebiet der unsteten mongolischen Reiter-
völker und des Islam, zählt auf ebenfalls 16 Millionen km- nur 42 Millionen
Einwohner, so daß die Dichte noch nicht drei beträgt und nur an der West-
küste Kleinasiens, im Libanongebiet und in Ferghana auf 50 steigt. Das Ark-
tische Asien, das Gebiet des Russentums, zähltauf 1 3 Mill. km- nur 1 0 Millionen
Menschen (darunter nur 700000 Eingeborene), und nur am Rande der
Steppe wird im westsibirischen Ackerbaugebiet die Dichte von 1 0 erreicht.
Hochasien.
Den mauerartigen Südrand Hochasiens bildet der gewaltige Himalaya
(hiems!), dessen Südrand bis 3800 m Höhe dichten Wald trägt, von der
Regenfülle der Monsune überschüttet. Da die Schneegrenze bei 4600 m
beginnt, ragen die Gipfel noch 4300 m (700 in den Alpen!) über dieselbe
und geben die bekannten großartigen Landschaftsbilder. Im Norden ver-
sinkt das Gebirge unter seinem eigenen Schutt, wie der Transhimalaya,
dessen regenreichere Westketten das stark vergletscherte Karakorumgebirge
bilden. Ein Gebiet ungeheurer Öde und Trockenheit ist auch die Pamir-
hochfläche, ein schuttüberdecktes Hochland, von Schneegebirgen überragt.
Dichtgedrängte, im eigenen Schutt erstickende Ketten, bis in den Sommer
mit Schnee bedeckt, und dazwischen grasarme, nur von Jack belebte Geröll-
steppen mit eingelagerten Salzseen kennzeichnen Tibet. Östlich tauchen
die Ketten aus dem Schutt, und in ihren tief eingeschnittenen Längstälern
fließen Saluen, Mekhong und Jangtse. Triefender subtropischer Regen-
wald hüllt die tieferen Teile ein, während die eisgepanzerten Bergriesen
bis über 7000 m aufzuragen scheinen. Das ist der Jünling, das Wolken-
gebirge der Chinesen, dem südlich die durchschnittlich 2000 m hohe
stark verkarstete Kalkhochfläche von Jünnan (wolkiger Süden) vorgelagert
ist, der Südostpfeiler Hochasiens mit starker Waldbedeckung, die Heimat
des Zimtstrauches (Kwei-Kweitschu).
Nördlich von Jünnan bildet der Rand Hochasiens ein vielfach treppen-
artig abgestuftes Bergland, vom Monsun überweht, mit Regen wald be-
kleidet und unterbrochen durch das tiefe Tal des Weiho, durch das aus
Hochasien der Chinese vordrang. Deutlicher wird der Rand erst im
Ulbricht, Der erdkundliche Lehrstoff. 9
130 XIV. Asien.
Chingan, dem aufgewölbten Rand der Mongolei, der bis zum Amur
reicht So erstrecken sich am Süd- und Ostrande Hochasiens Übergangs-
landschaften, die morphologisch zu Hochasien, klimatisch und wirtschaft-
lich aber zu Monsunasien gehören. Von ihnen bilden Kaschmir, Bhutan
und Nepal (Schneeland), durch die Taraisenke von Hindostan getrennt,
mit 400000 km"- und 7 Millionen Einwohnern das Glacis Indiens gegen
Norden. Die ostasiatischen Randlandschaften umfassen 1,2 Millionen km-
mit etwa 30 Millionen Menschen, die zum großen Teil in Lößhöhlen leben.
Der Nordostrand Hochasiens reicht von der Pamirhochfläche bis zum
Witimplateau. Kennzeichnend für seinen Aufbau ist die kulissenartige
Anordnung der meist ostwestlich streichenden Gebirge, zwischen denen
ausgedehnte, im Süden von Steppen bedeckte Senken (Dsungarei mit
den Tälern des Irtysch und Ili) liegen, die den auswandernden Mongolen
den Weg wiesen. Über diese Steppen ragen die Gebirge des Tianschan,
Tarbagatai und Altai. Erst in etwa 2000 m Höhe beginnt in diesen der
Wald, der in den beiden letzteren beinahe bis auf die höchsten Kämme
(3500 m hoch) reicht, während sich im Tianschan über dem Waldsaum
eine Hochgebirgswelt mit großartiger, erst jüngst entdeckter Vergletscherung
ausdehnt, so daß die bis 7300 m hohen Gipfel alpine Bilder gewähren,
die sich auch in der Bogdo-Ola-Gruppe finden.
Um den Baikalsee liegen das Sajanische undjablonoigebirge mit ihrem ge-
waltigen, noch kaum geschürften Erzreichtum, bis auf die höchsten Kämme mit
ihren Hoch wiesen schon ganz eine Teilzone des südsibirischen Waldgebietes,
aber bis auf Transbaikalien mit seinen Bergwerksstädten (600000 km- mit
1 Million Menschen), welche die Sibirische Bahn erschließt, fast unbevölkert
Zwischen dem schuttbedeckten, mehrfach vergletscherten Kwenlun
mit seinen langgestreckten, von breiten Senken getrennten Ketten und
dem östlichen Tianschan liegt der Kesselbruch des Tarimbeckens durch-
schnittlich 5000 m in die Umgebung eingesenkt. Hier erstreckt sich die
furchtbare Taklamakan-Wüste, die immer mehr gegen die randlichen, um
die Flüsse sich ausdehnenden Oasen vordringt.
Den übrigen Teil Hochasiens nimmt die Hochfläche der Mongolei ein,
die zahlreiche Ketten als Reste stark erniedrigter Faltengebirge überragen.
Steppenflächen umrahmen Sandwüsten (Schamo = Sandmeer), aus denen
die Wintermonsune den Lößstaub (Karte) blasen.
Tibet, die Mongolei und das als Ostturkestan bezeichnete Tarimbecken
bilden einen Teil des Chinesischen Reiches, sind aber in Wirklichkeit völlig
unabhängig. Auf 6200000 km- wohnen nicht ganz 6 Millionen, so daß
die Volksdichte noch nicht 1 beträgt. Die Bewohner sind meist mongolische
Nomadenstämme, die hier das Wildpferd züchteten und mit ihren Reiter-
horden das Umland überschwemmten (Schutz die chinesische Mauer).
Neben Schafen und Ziegen ist das wichtigste Kulturtier das zweihöckerige
Kamel. Zwei große, heute verödete (Seeverkehr, Sibirische Bahn; vgl.
die Sahara) Karawanenstraßen durchziehen die Steppen von Kaigan nach
Kiachta (Teestraße) und von Singan nach Jarkand, der einzigen Großstadt
Zentralasiens. In immer größerem Umfange überfluten chinesische Siedler
die große Mauer, die heute nicht mehr eine völkische Grenze ist. Eigen-
artig sind Tibets Klosterstädte.
Ostasien. 131
Die Turkvölker, die auch die westliche Mongolei und das Tarimbecken
besiedeln, sind die Hauptbewohner Tu ran s, das wirtschaftlich und physio-
graphisch nur die westliche Fortsetzung Hochasiens ist. Große Sandwüsten
bedecken beinahe die Hälfte der Fläche, umrahmt von Grassteppen. Von
den schneebedeckten Gebirgen werden Amu und Syr-Darja gespeist, längs
deren sich ausgedehnte staatenbildende (Chiwa und Buchara) Rieseloasen
erstrecken, die auch das Serafschantal begleiten. Die Transkaspische Bahn
(strategische Zweiglinie von Merv nach Herat!) und die Turkestanbahn
erschließen das Land, sich bei Taschkent verknüpfend, das im Gegensatz
zu den orientalischen Städten Samarkant und Buchara mit ihren Basaren
einen russischen Eindruck macht. Eine vierte Großstadt ist Kokand, der
Hauptort des städtereichen Baumwollgebietes von Ferghana, wo die Dichte,
die sonst (auf 3,8 Mill. km- 12 Mill.) nur 4 beträgt, über 50 steigt. No-
madisch leben Turkmenen und Kirgisen (etwa 75 "'o der Volksmenge),
in den Städten die Sarten, zu denen noch über 100000 Russen kommen
(in Taschkent allein 60000). Die Sarten scheinen die mit den Türken
vermischten Reste ehemaliger Indogermanen zu sein.
Die Schwelle der Kirgisensteppe trennt Turan von Sibirien, dessen
Fläche zumeist mit Nadelwald (Pelztiere) bedeckt ist und dessen wirt-
schaftliche Entwicklung darunter leidet, daß die lange vereisten Flüsse in
das bis in den Sommer mit Treibeis bedeckte Eismeer münden. Auf
11 Mill. km- lebten bei Kriegsanfang 9 Millionen Einwohner. Die Be-
völkerung verdreifachte sich seit 1870 und soll während der Revolution
durch Zuwanderung noch bedeutend gestiegen sein, so daß die Sibirische
Bahn für den Verkehr längst nicht mehr ausreicht und Parallelbahnen im
Bau sind, um die großen Getreidegebiete um Omsk und Tomsk zu er-
schließen. In diesen steigt die Dichte auf 5, und noch Millionen von Ein-
wanderern haben Platz. Im Gegensatz zum Süden Westsibiriens steht der
Norden, in dessen von Sümpfen durchsetzten Wäldern die Dichte unter
1 sinkt. Dasselbe gilt für Ostsibirien, dessen Hauptstadt Irkutsk die größte
Stadt Sibiriens war (120000 Einw.).
Ostasien.
Politisch zu Sibirien gehört das Amurgebiet, das schon zu Ostasien
gerechnet werden muß. — Verbinden wir den westlichsten Punkt des
Ochotskischen Meeres mit der Stelle, wo Irawadi und Mekhong sich am
meisten nähern, so liegt östlich dieser Linie Östasien, sich terrassenförmig
zum Stillen Ozean abdachend; ein Land, erfüllt von wirren, zumeist von SW
nach NO streichenden langgestreckten Gebirgsketten, die vielfach durch Ein-
sinken großer Kesselbrüche als Inseln vom Festlande abgetrennt sind. Gegen
den Stillen Ozean grenzt es mit einer bogenförmig verlaufenden,
vulkanbesetzten Bruchlinie, die von den Kurilen bis Formosa reicht.
Im Sommer überschüttet der Südost-Monsun das Gebiet mit einer ge-
waltigen Regenfülle, die sich im S mit hohen Wärmemengen paart. Im
Winter bildet der Tsinlingschan eine wichtige Grenze. Im N desselben weht
ungehindert der kalte Nordwest-Monsun über Nordchina, die Mandschurei
und das Amurgebiet, während er vom S die Kältewellen abhält, so das
subtropisch warme Klima Südchinas bedingend. Dafür fehlt diesem aber
132
XIV. Asien.
auch wieder der von den kalten Winden als Löß^) aus Hochasien ge-
wehte Steppenstaub, der die Kornkammern Nordchinas und der Mandschurei
bedingt. Nehmen wir dazu die gewaltigen Reichtümer der nordchinesi-
schen Gebirge an Kohlen, Eisen und anderen Metallen, sowie den Fisch-
reichtum der umliegenden Meere mit ihren inselreichen Küsten und zahl-
losen Buchten , nicht zuletzt die große Fülle der von den hohen, z. T. schnee-
bedeckten Gebirgen gespeisten Flüsse, so sind die Grundbedingungen für
die Entwicklung hoher Kultur gegeben, die jedoch bei der Entlegen-
heit Ostasiens vom Brennpunkte der westlichen Kulturen der
Gefahr einer gewissen Vereinseitigung, von der sich in jüngster Zeit nur
Japan frei machte, nicht entgehen konnte.
Von selbst ergeben sich als natürliche Einzellandschaften Südchina,
Nordchina, die Mandschurei, das Amurgebiet und die heute das Japanische
Reich bildenden Inseln, zu denen
das mit insularem Klima ausgestat-
tete Korea gerechnet werden kann.
Südchina (2 Mill. km-, 150
Mill. Einw., Dichte 75) ist über-
wiegend ein Gebirgsland, dessen
ehemaliger Waldreichtum jedoch
infolge der intensiven, auf terras-
sierten Hängen erfolgenden Gar-
tenkultur zumeist verschwunden
ist. In hohem Umfange ist die
dichte Bevölkerung auf Fischfang
angewiesen, die Küsten, besonders
um Futschou, sind die besten ^
Teedistrikte der Erde (Teeküste!);
der Sikiang mit der Millionenstadt
Kanton im fruchtbaren Schwemm-
lande der Mündung die wichtigste Verkehrsader, deren Ausgang das eng-
lische Honkong beherrscht. Den fruchtbarsten Teil Südchinas bildet das
hügelige Gartenland des Roten Beckens von Szetschuan, das als Einbruchs-
becken in seiner Entstehung mit der Ungarischen Ebene vergleichbar ist
und allein 50 Millionen ernälirt.
Nordchina (2 Mill. km-, 180 Mill. Einw., Dichte 90) besteht aus
einem gebirgigen, an Kohle und Eisen reichen Westen, dem östlich die
Große Ebene (500000 km-) vorgelagert ist; sie entstand durch die Flüsse
Jangtsekiang und Hoangho, die aber durch ihre Hochwasser auch ver-
derbend wirken und in der flachen Ebene ihr Bett häufig wechseln. Aus
dieser ragt die Halbinsel Schantung, eine landfest gewordene Insel, reich
an Eisen und Kohle und ein Ziel japanischer Politik, nachdem deutsche
Kulturarbeit das Land vorbildlich erschlossen hatte. Die Große Ebene
ist das am dichtesten bevölkerte Gebiet der Erde mit 130 Millionen Ein-
wohnern. Den wärmeren Süden entwässert der Jangtsekiang, in dessen
Gebiet besonders Reis, Tee und Baumwolle angebaut werden. Bis Hankou
34. Löl) und Wüste in China.
') Daher ist Gelb die Nationalfarbe Chinas!
Ostasien. 133
ist er für Seeschiffe fahrbar. Dieses entwickelte sich als natürlicher Mittel-
punkt Chinas mit seinen Schwesterstädten zur zweiten Stadt Ostasiens,
während an der Mündung Schanghai (wegen der Verschlammungsgefahr
an einem Nebenflusse gelegen — vgl. Marseille, Para — ) Mittelpunkt
des Europäertums ist. Der Fluttrichter reicht bis Nanking, in dessen
Nähe der wegen der häufigen Stürme (vgl. Athos) und der Versandungs-
gefahr der Küsten erbaute, heute verfallende und durch Eisenbahnen er-
setzte Kaiserkanal den Fluß kreuzt.
Dicht angebaut ist auch das Weihotal mit der alten Kaiserstadt Singan,
dem Ursitz chinesischer Kultur. Der Norden der Großen Ebene hat als
Mittelpunkte Peking (Randlage aus dynastischen Gründen erklärbar!) und
Tientsin, und baut besonders Weizen und Gerste. Als Schutz gegen die
nördlichen Reiterhorden der Mongolen wurde die große Mauer (vgl.
Limes und andere Römerwälle) errichtet, über die jetzt die immer dichter
werdende Bevölkerung hinwegflutet und sich besonders der Mandschurei
zuwendet. Ihre gewaltigen, von Liauho und Sungari entwässerten, noch
wenig bevölkerten Ebenen sind ein wichtiges Siedlungsland der Zukunft,
das Japan zu durchdringen beginnt. (Die Dichte beträgt erst 13 bei
13 Millionen Menschen.)
Das Amurgebiet (mit dem Küstenland) endlich ist ein kaltes, meist
mit Nadelwald bedecktes eisenreiches, nur dünn von russischen Kolonisten
besiedeltes Hügelland, von dessen Hafen Wladiwostok Rußland einst Ost-
asien zu erobern hoffte (Dichte nur 1 bei 1 Million Einwohnern).
Die Japanischen Inseln erinnern in vielen Einzelheiten an Süd-
china; infolge der nördlichen meerumgebenen Lage verschwindet aus der
Vegetation der tropische Einschlag, und Schwarzkieferwälder geben im Verein
mit Obstgärten und schmucken Holzhäuschen (Erdbebengefahr am ostasiati-
schen Randbruch) japanischer LandschaftihrGepräge. Weitüberragt das Land
der Silberkegel des Fudschijama. Zahllose Fischerboote beleben die See.
Japan ist heute industriell und politisch die unbedingte Vormacht in
Ostasien. Das dichtbevölkerte, oft bis auf die Berghöhen angebaute Land
mit seinen kleinen Schwemmebenen ist kaum imstande, die Bevölkerung
zu ernähren, deren Eigenschaften wahrscheinlich durch die Vermischung
mit den Aino erklärbar sind, deren Reste noch heute auf Jesso leben.
In der Nähe der Hauptstadt Tokio, die sich in der größten Schwemm-
ebene des Landes befindet, entwickelte sich Yokohama als Haupthafen,
in der Nähe der alten Residenz Kioto erwuchs Osaka zur größten japa-
nischen Fabrikstadt und Kobe zu dessen Handelshafen, während das süd-
lich gelegene Nagasaki, von dem die Erschließung Japans ausging, infolge
seiner Randlage zurückgeblieben ist, da in der nördlich von ihm ge-
legenen Sasebobucht, die Koreastraße beherrschend, des Landes größter
Kriegshafen entstand.
Erst allmählich erwacht, von japanischen Kolonisten dicht besiedelt,
Korea aus seinem Dornröschenschlaf; auch das an Edelmetallen reiche
Sachalin und Formosa nehmen große Scharen japanischer Auswanderer
auf, während in Tsingtau und Port Arthur Japaner den Handel Schantungs
und der Mandschurei beherrschen. Auf 670000 km^' Fläche hat das
Japanische Reich 75 Millionen Einwohner, so daß die Dichte 110 beträgt.
134 XIV. Asien.
Die jahrtausendelange Geschichte Ostasiens ist zumeist nur von
lokaler Bedeutung. Dunkelfarbige, im Innern Südchinas als Reste vor-
handene Urvölker wurden von mongolischen Einwanderern verdrängt,
die sich in dem riesigen Gebiet aber so vielseitig anpaßten, daß man von
einem chinesischen Volk ebensowenig reden darf, wie von einem »euro-
päischen«. Zeiten großer Blüte wechseln mit solchen starken Zerfalls,
friedliche mit Bürgerkriegen, denen Millionen von Menschen zum Opfer
fielen (Taiping- und Boxeraufstand)^).
Als erste europäische Macht pochte Portugal an Ostasiens Tore und
besetzte Makao, später »pachteten« Engländer, Deutsche und Russen.
Flottenstützpunkte, um zumeist dem Japaner zu weichen, der die von
Europäern durch Eisenbahnbauten und Fabrikanlagen eingeleitete Durch-
dringung Chinas erfolgreich als lachender Erbe fortsetzt.
»Concordia parvae res crescunt, discordia maximae dilabuntur.« Das
Fiasko der europäischen Politik in Ostasien sollte der weißen Rasse ein
warnendes Beispiel sein!
Ostasien zerfällt in vier natürliche Wirtschaftsgebiete: Südchina ein-
schließlich des Jangtsetales, Nordchina mit der Mandschurei, das Amur-
gebiet mit dem Küstengebirge und die Inseln mit Korea.
Südchina ist das Gebiet der Seidenraupenzucht, des Teeanbaues; in
den Tälern, vor allem des Jangtse, werden auch Reis und Baumwolle
angebaut. Die großen Steinkohlenlager, deren Fläche man auf über
100000 km^ schätzt (das Ruhrbecken umfaßt etwa 2000 km''!) werden
kaum abgebaut. Im letzten Jahre soll die Baumwollindustrie im Jangtse-
tal einen großen Aufschwung genommen haben.
Nordchina und die Mandschurei sind vor allem Gebiete des Getreide-
anbaus, seine ebenfalls auf über 100000 km- zu schätzenden Kohlenlager
wurden bisher nur in Schantung abgebaut, und der Aufschwung dieses
kleinen Gebietes zeigt die gewaltigen Zukunftsaussichten, die wir in China
noch zu erwarten haben, wenn das Millionenvolk erst mal aus seiner
Lethargie erwacht und sich nicht darauf beschränkt, von der Hand in
den Mund zu leben.
Große Zukunftsaussichten bietet vor allem die bisher nur dünn be-
siedelte Mandschurei mit ihren Deutschland an Größe übertreffenden Löß-
flächen, während das Amurgebiet für die Holzwirtschaft noch eine große
Rolle spielen wird, daneben aber in den Niederungen noch Hundert-
tausende von Siedlern ernähren kann.
Das noch mäßig (70 auf das Quadratkilometer) besiedelte Korea wird
als Reislieferant für Japan von immer größerer Bedeutung, Formosa als
Lieferant für Seide und Kohlen, Sachalin als solcher für Erze.
1) Die Einseitijfkeit - und in gewisser Beziehung F^ückständigkeit - der
ostasiatischen Kultur zeigt sich nicht nur in der pittoresken Kunst und der
Religion, sondern auch in der Primitivheit von Schrift und Sprache. Mit Hilfe
weniger Silben kann man eine Fülle von geographischen Namen erklären.
(Pe=-Nord; si--Süd; tung = Ost; hwai = S*e; ho - flu (5; kiang = strom;
fu = Stadt ;king= Hauptstadt ;schan = gebirge). Sogar dialektische Abweichungen
erkennen wir auf manchen Schulatlauten. In Südchina wird ho zu hu —
Hunan und pe zu pei — Hupei.
Hinterindien. 135
Die eigentlichen Japanischen Inseln werden sich wohl immer mehr zu
einer Industrieprovinz Ostasiens entwickeln, England vergleichbar, wobei
sich schon jetzt eine große Umschichtung der Bevölkerung zugunsten
der Städte vollzieht.
Welche Zukunft diese Industrialisierung Japans haben wird, hängt nicht
zum wenigsten damit zusammen, inwieweit es die Millionen Chinas als
Abnehmer sich erhalten wird. Ein Erwachen Chinas kann für Japan große
wirtschaftliche Nachteile bringen, da es ihm nicht nur den chinesischen
Markt raubt, sondern es auch im hinterindischen und indonesischen be-
drohen dürfte. Nicht zum wenigsten werden diese Fragen von der Stellung
und den Lohnforderungen der Arbeiterschaft abhängen, die in Japan schon
jetzt sich europäisch zu organisieren beginnt. Wahrscheinlich wird auch
Hinterindien östlich der Malakkahalbinsel immer mehr unter chinesisch-japa-
nischen Einfluß geraten, was in dieser Schnittfläche zwischen japanischem,
englischem und amerikanischem Imperialismus wohl kaum sich friedlich
vollziehen dürfte. Dabei ist noch unklar, ob Holland hierbei den »Tertius
gaudens«, oder den nach dem Rezept Griechenlands vergewaltigten Neu-
tralen spielen wird.
Hinterindien.
Die großen zentralasiatischen Falten wenden sich östlich des Q5. Längen-
grades nach Süden um und quellen auseinander, große, meist von Schwemm-
land erfüllte Senkungsfelder einschließend. Während die Gebirge mit dichtem
Walde bedeckt sind, erfüllen die binnen wärts gelegenen Teile der dazwischen-
liegenden Landschaften lichte Savannen. Die fruchtbaren Tiefländer des
Irawadi (Birma), Menam (Slam), Mekhong (Kambodscha und Kochinchina)
und der Songka (Tonking) bedeckt dichter Regenwald, soweit sie nicht in
Reisfelder umgewandelt sind. Die Halbinsel Malakka liefert unerschöpfliche
Zinnerze und ist in großem Umfange mit Plantagen bedeckt, die nament-
lich Tee, Kaffee und Gummi liefern.
So umfaßt Hinterindien 2 Mill. km- mit 40 Mill. Einwohnern, die
sich in Anamiten, Siamesen, Birmanen und Schau (d.h. Bergstämme) gliedern
und nahe verwandt mit den Chinesen sind. In den südlichen Teilen Malakkas
siedeln auch Malaien; etwa 15 Millionen chinesische Einwanderer sitzen
als Arbeiter und Träger (Kulis) in den größeren Siedlungen und Plantagen,
Urvölkerreste im Inneren.
Zu England gehören Birma mit dem Reishafen Rangun, während
Maulmein das Teakholz ausführt. An der Küste Arakan wird aus Reis der
Arrak gewonnen. Wichtig sind die Straits Settlements (Straßennieder-
lassungen) mit Singapore und Penang.
Frankreich besitzt in Tonking, Anam, Kambodscha und Kochin-
china ein Reservoir für die »schwarze Armee« und wichtige Reisländer.
Zwischen beiden liegt der auf dem Papier schon aufgeteilte Pufferstaat
Slam mit seiner gewaltigen Reisausfuhr. Wie ein Rückgrat durchzieht
das Gebirge von Malakka mit dem sich anschließenden Bergland von
Tenasserim (ich nenne beide im Unterricht kurz das Malaiische Gebirge)
die Halbinsel und teilt sie in zwei Teile, deren östlicher sein Antlitz Ost-
asien zuwendet. Vielleicht wird in Zukunft diese Linie eine wichtige Rolle
als Scheidewand zwischen östlicher und westlicher Kultur spielen.
136 XIV. Asien.
Im Gegensatz zu dem übervölkerten Vorderindien und China
führt Hinterindien große Reismengen aus (Birma 443 Mill. Mk.,
Französisch-Indien 95 Mill., Siam 1 09 Mill.), dazu kommt in Birma eine Erdöl-
ausfuhr von 1 OMill.Doppelzentnern. Malakkaliefertneben Zinn (250 Mill.Mk.)
namentlichNutzhölzer und durch Plantagenbau gewonnenen Kautschuk. Die
Hauptbedeutung Hinterindiens wird wohl aber auch in Zukunft darin liegen,
daß es Siedlungsland für die übervölkerten Nachbarländer bietet und diese
mit Reis versorgt.
Indonesien.
In eine große, mit wirr angeordneten Gebirgen bedeckte Landmasse
brechen tiefe Becken ein (Südchinesisches Meer, Sulusee, Bandasee, Celebes-
see und Sundasee); an zwei von Vulkanen gekrönten Bruchlinien
grenzt sie gegen die Senkungsfelder des Indischen und Stillen Ozeans, in
jüngerer Zeit überflutet das Meer das Land und verwandelt es in ein reich
gegliedertes Inselgebiet. So kann man kurz Indonesien oder Indo-
australien kennzeichnen, das ostwärts bis zu den Inseln reicht, die schon
dem australischen Kontinentalblock aufsitzen.
Kettengebirge, Schollenbergländer, Vulkane und Schwemmländer sind
die Elemente, aus denen sich in mannigfaltigem Wechsel die einzelnen
Inseln zusammensetzen. Dies kann im Unterricht erarbeitet werden und
regt zu Vergleichen an. Der höchste Berg ist bezeichnenderweise ein Vulkan
(Rindschani auf Lombok, 3800 m). Das Klima ist sehr regenreich, doch
schwankt die Verteilung der Niederschläge ungemein.
Ausgedehnte Urwälder bedecken den größten Teil der Inseln und gehen
in den höheren Gebirgen (namentlich in Java, Borneo, Sumatra, Celebes
und den Philippinen) in Graslandschaften über. Auf den östlichen Inseln
sind auch Grasländer in den tieferen Gebieten häufig. Der Anteil des
Kulturlandes ist außer auf Java gering.
Die Bevölkerung des Inselgebietes sind die seefahrenden Malaien, eine
Mischrasse zwischen Chinesen und dunkelfarbigen Eingeborenenstämmen,
die als Negrito in dem noch unerschlossenen Inneren der größeren Inseln
leben. Auf ehemalige untergegangene Kultur weisen die Ruinenstädte
Kambodschas hin. Nach Java sind in den letzten Jahrzehnten viel Chinesen
eingewandert. Die Gesamtbevölkerung beträgt 50 Millionen auf 2 Mill. km"-,
wovon 30 Mill. allein auf Java entfallen, das auch die Mehrzahl der Siedlungen
und ein ausgedehntes Eisenbahnnetz besitzt. Im frühen Mittelalter waren die
Inseln das > Gewürzland < der Portugiesen und Spanier. Das Hauptbollwerk
der Spanier waren die nach Philipp benannten Philippinen (1898 an Amerika
abgetreten); eine portugiesische Restkolonie ist das östliche Timor.
Im Jahre 1610 legten die Holländer durch Gründung Batavias (Bataver!)
den Grund zu ihrem großen hinterindischen Kolonialreich. England
besetzte 1819 Singapore als Etappe nach Ostasien und hat auch auf Nord-
Borneo Fuß gefaßt.
Hauptausfuhrartikel ist Zucker, von dem Java 13, die Philippinen
15 Millionen Doppelzentner erzeugen. Dazu kommen in geringerem Um-
fange Gewürze, Tee, Kaffee und Tabak. Als wichtiges Erdölland gewinnt
Sumatra schon jetzt 15 Millionen Doppelzentner. Unbedeutend ist der
Zinnbergbau auf Banka, der Fortsetzung des Malaiischen Gebirges.
Vorderindien. 137
Wenn wir bedenken, daß schon heute allein 30 Millionen Menschen
auf Java leben, ermessen wir erst, welche Bedeutung die fruchtbaren Tief-
länder der großen Inseln Sumatra und Java, sowie die Grasländer der
übrigen in Zukunft einmal haben werden. Im Anschluß an Hinterindien
können auch die Wanderungen der Malaien in ihrer Abhängigkeit
von den Strömungen der umliegenden Meere behandelt werden.
Vorderindien.
Eine große Hochscholle mit aufgebogenen Rändern ist schiefgestellt
(Flüsse fließen nach Osten!) und durch die Schwemmländer des Ganges,
Bramaputra und Indus mit dem Rumpf Asiens verbunden. Daraus ergibt
sich eine Dreiteilung Vorderindiens in das Dekhan, Hindostan und
das Industiefland. Eine kleinere Scholle bildet das von Schwemmländern
umgebene Gebirgsland der Insel Ceylon, während die ehemalige Insel
Kathiawar durch das Tiefland von Gudscherat dem Festlande angegliedert
ist. Große, fruchtbare Schwemmländer kennzeichnen die Koromandel-
küste mit ihren versandeten Häfen, während die Malabarküste durch
die dicht an das Meer tretenden Westghats (ghat vgl. gatter) gebildet
wird, deren Vorberge stellenweise als Felsinseln (Salsette und Elephanta,
Bedeutung von Bombay) das Meer überragen. Am stärksten sind die
Niederschläge in den Westghats, dem Gangesdelta und dem Südabhang
des Himalaya, wo wir üppigsten Regenwald finden.
Ungehindert tragen die regenschwangeren Monsune die Niederschläge
auch über das Gangesgebiet, während vom Indusgebiet die Höhen von
Kathiawar und die Ausläufer des Dekhan den Regen abhalten. So dehnt
sich hier die Wüste Thar (aridus = dürr) aus, und das Pendschabgebiet
leidet beim Ausbleiben der Monsune an Hungersnot und Mißernten. Ein
Gebiet geringeren Regenreichtums bildet auch das gebirgsumrahmte Innere
des Dekhan mit seinen lichten Wäldern und Grassteppen, die sich aber
wiederum zum Anbau von Weizen und Baumwolle eignen, während die
regenreichen Tiefebenen zumeist Reis (daneben Zucker) und Mohn (Opium)
erzeugen. Nicht unwichtig ist auch der Anbau von Hirse und Tee
(Ceylon, südliche Westghats, Höhen von Orissa, Assam, Sikkim und
Quellgebiet des Ganges). Eine wichtige Spinnstoffpflanze ist die Jute,
die in Bengalen angebaut und namentlich in Kalkutta und Umgebung
verarbeitet wird. Die ehemalige Goldgewinnung (Maisur) ist stark zurück-
gegangen. Viele kleinere Kohlenlager (Industrie von Bengalen!) werden
im Bergland von Orissa abgebaut. Das Hauptmohngebiet (Opium) ist
das Bergland von Malva, wo vielleicht auch die Baumwolle heimisch ist
(sie gehört zur Familie der Malvaceen!). Infolge der deutschen Farbstoff-
industrie ist der einstige Indigoanbau stark zurückgegangen. — Die ehe-
malige Urbevölkerung (vgl. Negrito und Aino) sitzt besonders zerstreut in
den Westghats, dem Arawalligebirge und dem Nilgirigebirge, sowie in den
Gebirgen Ceylons. Auf dem Festlande wird sie Kolaren, auf Ceylon Weda
genannt und mag an 3 Mill. Köpfe betragen. Den Südosten des Dekhan
und Ceylon besiedeln die dunkelfarbigen Dravida und Singalesen (65 Mill.).
Die Arier selbst (aristoi = beste) drangen aus dem Pamir vor 4000 Jahren
in Indien ein und sind unter dem Treibhausklima und durch Vermischung
138 XIV. Asien.
mit den Drawida vielfach erschlafft (Kastengeist). Regsamer als die Hindu
(220 Millionen) sind die Mohammedaner (65 Millionen), die namentlich
im trockenen Indusgebiet siedeln, aber auch im Gangesgebiet bis Delhi,
Agra und Allahabad (!) reichen.
An die Zeit der Mongolenherrschaft erinnern neben Rassenmischungen
vor allem die großen Moscheen des Nordwestens. Überhaupt ist Indien
reich an prächtigen Bauten, da bunte Sandsteine in großen Mengen vor-
handen sind (vgl. dagegen Mesopotamien mit seinen Tonziegelbauten!).
Auch auf die prächtigen Verwaltungsbauten der Engländer kann hingewiesen
werden. Wegen des ungesunden Klimas wohnen die Europäer im heißen
Sommer in den Vorbergen des Himalaya (Dardschiling und Simla); auch
aus diesem Grunde wurde die Regierung von Kalkutta nach Delhi verlegt.
Nur die Gegensätze zwischen Mohammedanern und den durch den
Kastengeist entarteten Hindus (man erinnere an Gallien zur Zeit Cäsars)
machen es verständlich, wie es England gelingen konnte, ein so gewaltiges
Land mit wenigen Europäern zu beherrschen. Dabei darf nicht die ge-
schickte Behandlung der einheimischen Fürsten übersehen werden, die
meist in England erzogen werden und großes Einkommen beziehen.
Vorderindien zählt auf 3 Vi Millionen km- 300 Millionen Einwohner,
von denen das durch die sumpfige Tarairegion (Dschungel mit Tigern,
vgl. oberbayrische Moore am Alpenrand) vom Himalaya getrennte Tiefland
von Bengalen (Reis, Jute, Hirse, Mohn und im äußersten Nordwesten bei
Agra und Delhi auch Weizen) allein 140 Millionen (Dichte 170, 12 Groß-
städte) ernährt und als „Garten Indiens" bezeichnet wird. Haupthafen ist
das industrielle Kalkutta.
Das Industiefland hat 20 Millionen Einwohner, die zumeist im Pan-
dschab(RieselkulturmitDattelpalmen,Weizen, Hirse und Baumwolle) siedeln.
Hauptweizenhafen ist das aufstrebende Karatschi.
Bombay ist der Ausfuhrhafen für das Tiefland von Gudscharat (an Stelle
des versandeten Surat), welches besonders Reis und Baumwolle anbaut
und 10 Millionen Menschen ernährt.
Im Dekhan (130 Mill. Einw.) ist die sandige Koromandelküste (Madras)
am dichtesten bevölkert und baut Reis und Indigo, dazu Baumwolle. Im
trockenen Inneren (Baumwolle, Hirse und Weizen) liegen große Ein-
geborenenstaaten (Haiderabad und Meissur), die in den Grasländern Vieh-
wirtschaft (Wolle) treiben.
Ceylon baut zumeist Tee und Kautschuk an, im Nordosten (Adams-
brüche) weltberühmte Perlfischerei. Colombos Bedeutung liegt in der Gabe-
lung der Verkehrswege nach Kalkutta, Ostasien und Australien, sein Name
erinnert an die ehemalige portugiesische Herrschaft, wie Point de Galle
an die französische. Für die Kabellinien wichtig sind die durch die
»Emden« bekanntgewordenen Keelinginseln.
Bei der Wichtigkeit Indiens muß unbedingt ein knapper Abriß der
Geschichte gegeben werden, die auch die portugiesisch - französischen
Restkolonien erklärt.
Gewaltig ist der Handel Indiens, dem 60000 km Eisenbahn zur Ver-
fügung stehen. Allein an Tee werden für 322 Mill. Mk. ausgeführt (davon
144 aus Ceylon, gegen 58 aus China!), für 241 Mill. Weizen, dazu Baum-
Vorderasien. 139
wolle (386), Jute (311), Häute und Felle (223) und Opium (153). Wie gewaltig
die Jute- und Baumwollindustrie ist, sehen wir daran, daß ihre Erzeugnisse
mit 312 bzw. 190 Mill. Mk. an der Ausfuhr beteiligl sind. Nur die Indigo-
erzeugung geht zurück; auch einer der Gründe, die zum Weltkriege führten.
Was Indien für England bedeutet, haben wir schon früher gesehen.
Mit indischen Truppen führte es die Kämpfe gegen die Buren und im
Weltkriege gegen die Türkei (Ägypten, Dardanellen und Mesopotamien),
so daß die indischen Truppen allein bis März 1917 beinahe 500000 Mann
(darunter 180000 Tote!) verloren.
An einigen Namen kann dem Schüler gezeigt werden, wie sprach-
verwandt das Indische (Sanskrit!) mit anderen indogermanischen Sprachen
ist Oamna = amnis, patan-bad = potamos [vgl. Padang], pur = bürg,
nepal = nipal = Schneeland, himalaya von hiems, Aravalli = Arierwall,
Maharadscha = magnus rex).
Das indische Glacis im Westen abzurunden und zum Schutze des Suez-
kanals — des Genickes des englischen Weltreichs — mit Ägypten zu
verbinden, war einer der Zwecke, aus denen England in den Weltkrieg
eingriff und damit den Wirrwarr von Fragen aufrollte, die wir in die
»Vorderasiatische Frage« zusammenfassen.
Vorderasien.
Vorderasien, auch der asiatische Orient genannt, beginnt im Westea
mit den dichtbewaldeten, regenreichen Randgebirgen Kleinasiens, zwischen
denen fruchtbare Flußtäler sich zur Ägäis entwässern. Das Innere erfüllt
eine von Vulkanen überragte trockene Salzsteppe (Halys = Salzfluß), von
Grasländern umrahmt, die sich zur Viehzucht (Angoraziegen) eignen.
Östlich nähern sich die Randgebirge und bilden den von hohen Vul-
kanen überragten Gebirgsknoten Armeniens und Kurdistans mit durch
Lavaströme abgedämmten Seen, fruchtbar nur in den tiefen Tälern, vor
allem der Kura, um das sich Georgien entwickelte.
Die in Armenien zusammengedrängten Gebirge gehen östlich aus-
einander und umrahmen, nur noch spärlich bewaldet, die Hochfläche des
Iran, in dessen von Salzwüsten und Steppen bedecktem Inneren sie im
eigenen Schutt ersticken. Nur vereinzelt sind sie von städtebildenden Oasen
durchsetzt, die vom Gebirge strömende, später versiegende Flüsse bilden.
Seine natürliche Ostgrenze findet Iran im Pamirplateau.
Von Armeniens Gebirgen fließen Euphrat und Tigris nach Süden und
haben im Verein mit ihren von Kurdistan herabkommenden Nebenflüssen
den Norden des Persischen Golfs zugeschüttet. So entstand das Schwemm-
land von Mesopotamien, im Altertum und Mittelalter eine von 8 Millionen
bevölkerte Kornkammer, heute, nach Zerfall der Berieselungskanäle, auf
den siebenten Teil der ehemaligen Volkszahl gesunken, an den Rändern
von Wüstensand überweht. Doch kann eine neue Blüte kommen, wenn
die Kanalpläne ausgeführt werden — die England mit Hilfe von Millionen
Arbeitern aus Indien durchzuführen hofft — und dazu die am Gebirgs-
rande vorkommenden Erdöllager erschlossen werden.
Schon der Norden Mesopotamiens (das alte Assyrien) gehört zu dem
flachen Süden Vorderasiens, der Arabischen Tafel, deren aufgewölbte, regen-
140 XIV. Asien.
reiche Ränder als Oman, Hedschas und Jemen mit ihrem Kultur- und Wald-
land im Gegensatz zu den Grassteppen und Sand wüsten des Inneren stehen.
Besonders regenreich ist der durch den Jordangraben abgetrennte, als
Libanon aufgewölbte Westrand mit seinen reichen Wäldern und zu Be-
wässerungsoasen (Damaskus) umgewandelten Tälern.
Die, Zweiteilung in einen gefalteten Norden und einen tafelförmigen
Süden spiegelt sich im völkischen Aufbau Vorderasiens wider.
Der gleichförmig gebaute Süden (auf 1,3 Mill. km^' 2,5 Mill. Einw.)
ist bis auf die schmale Zone zwischen Jordangraben und Mittelmeer nur
von arabischen Stämmen bewohnt und entwickelte in engem Anschluß
an die Landesnatur die Religion des Islams, deren Grundzüge Fatalismus
und Fanatismus sind, ersterer bedingt durch die häufigen Mißernten
(Trockenheit, Heuschreckensch wärme), letzterer durch die Temperatur-
gegensätze, wozu infolge der Tageshitze angelernte Trägheit kommt.
Bunter ist das Völkerbild im Faltenland des Nordens (3,3 Mill. km- mit
30 Mill. Einw.). Da finden wir im Inneren Kleinasiens als Rest der mongo-
lischen Invasion (vgl. mit Magyaren!) den Osmanen, umrahmt an den regen-
reichen Küsten von griechischem Siedlungsland. In Armenien teilen sich
Armenier und Kurden, dazu eine wahre Rumpelkammer kleiner Völkchen in
den Tälern bis zum Kaukasus hin (vgl. Restvölker in den Alpen!), im Iran
endlich die verschiedenen Stämme der Perser, Afghanen und Beludschen.
Im Altertum und Mittelalter blühten Vorderasiens Siedlungen infolge
der großen Handelsstraßen, die den Handel zwischen Europa und Indien
vermittelten. Der Sieg des Osmanentums sperrte diese Wege und leitete
das Zeitalter der Entdeckungen ein, so verödeten die Handelsstraßen vor
allem nach dem Durchstoß des Suezkanals, und besonders Iran ist reich
an verfallenden Städten, da England aus politischen Gründen auch Af-
ghanistan, über das der kürzeste Weg von Europa nach Indien führt, ver-
riegelte, getreu der Glacispolitik.
Und doch hat auch Vorderasien eine Zukunft, wenn die politischen
Verhältnisse sich beruhigen und die Bewässerungsanlagen erneuert werden.
Das lehrt schon der lokale Aufschwung von Häfen, wie Beirut und Smyrna.
Bis zum Ende des Weltkrieges war etwa die Hälfte des Landes im
Besitz der Türkei, deren ungünstige politische Lage nicht nur durch den
Gegensatz zwischen Osmanen, Arabern und Armeniern, sondern vor allem
durch die schwer zu verteidigenden, beide Seiten Arabiens umfassenden
Fühlhörner des Hedschas und Mesopotamiens bedingt war. Mitten im
Ausbau der zu ihrer Verteidigung von Kleinasien aus gebauten Bahnen,
die sich bei Aleppo verknoten, wurde das Land durch den Krieg über-
rascht, den England folgerichtig führte, durch Aufreizung der Araber diese
beiden Verkehrswege abschneidend, welche die Landbrücke von Indien
nach Ägypten bedrohten. Aber noch wissen wir nicht, ob es seines Länder-
raubes wirklich froh werden wird, da das Freiheitsgefühl der Araber sich
mit dem englischen Imperialismus ebensowenig abfinden wird, wie mit
dem ihnen vorgespiegelten Deutschlands.
Hier erhebt sich das Problem des Islams, das nicht nur Vorderasien,
sondern auch den ganzen Norden Afrikas berührt, wo die zweite Hälfte
des Orients liegt.
XV. Afrika.
überblick.
Den größten Teil von Afrika bildet eine gewaltige, wenig gegliederte
Großscholle. Im Süden wird sie durch das Kapländische Ge-
birge (Überrest eines im Mesozoikum gefalteten Gebirgsgürtels, dessen
Fortsetzung wir im Indischen und Atlantischen Ozean zu suchen haben)
begrenzt, im Norden durch die Ketten des Atlasgebirges, die eigentlich
zu den südeuropäischen Gebirgen gehören und Afrika in ähnlicher Weise
angegliedert sind, wie das Gebirgsland von Oman der arabischen Scholle.
Die Grabenbrüche
des westlichen Vorder-
asiens und des Roten
Meeres durchziehen wei-
ter südlich auch Afrika
und sind vielfach von
langgestreckten Seen (Ru-
dolfsee, Njassasee, Tan-
ganjikasee usw.) einge-
nommen, während der
Viktoriasee nur die Über-
flutung der tiefsten Teile
einer großen Mulde ist
(vgl. Tschadsee mit sei-
nen Inseln!). Abessinien
zeigt sich als eine hoch-
liegende, zumeist aus
Sandstein bestehende, mit
vulkanischen Laven über-
deckte Scholle, die dem
Roten Meere ihren Steil-
rand zuwendet (vgl. mit
Jemen, Schwarzwald, Vogesen und Cevennen). Das ganze Gebiet ist gekenn-
zeichnet durch seinen Vulkanreichtum, so daß wir es als Ostafrika
von dem übrigen Erdteil trennen müssen. Außerhalb Ostafrikas finden wir
nur noch im Kamerunberglande und dem Manemgubaberglande deutliche
Spuren ausgedehnter vulkanischer Tätigkeit. Neuerdings wollen französische
Forscher auch im Tibestigebiet erloschene Vulkane entdeckt haben.
Von den afrikanischen Inseln ist Madagaskar nur eine losgelöste
Scholle Afrikas (vgl. Ceylon), während die Kanaren den Atlas fortsetzen
(vgl. Balearen). Die übrigen Inseln sind meist vulkanischer Natur (man
beachte die Linie Annobom, St. Thome, Fernando Po, Kamerungebirge)
mit vielfach angesetzten Korallenriffen. Die ostafrikanischen Küsteninseln
(Sansibar, Pemba, Mafia) sind Reste eines die Küste begleitenden Korallen-
riffes; an der westafrikanischen Küste hat das kalte Tiefen wasser die
Bildung eines Gegenstückes zu ihnen verhindert.
^■•/ Wüsfen
'"■»'Savannen
V V Sfeppen
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l!li5onsHg?rWcild
Palmen
■^ IntensiveKulfur
^^'■Vpm^lzpl^ Kulturland
-— Grenzen dlcindschaffen
weiss Wüsfensteppen
— »Strömungen
35. Die Landschaften Afrikas.
142 XV. Afrika.
An der ostafrikanischen Küste finden wir bis zur Rovumamündung
arabische Namen, weiter südh'ch stellen sich vielfach portugiesische ein,
die sich auch über die ganze Westküste bis zum Atlasgebiet erstrecken.
Man behandelt im Zusammenhang hiermit die Kaps am besten im An-
schluß an die Umseglung Afrikas durch die portugiesischen Seefahrer.
Die in Betracht kommenden Namen sind folgende: Kap Nun (= non,
man wagte es erst 1436 zu umsegeln!), Kap Bojador (bojar = umsegeln,
vgl. boje), Kap Blanco (weiße Kreidefelsen), Kap Verde (viridus = grün),
Kap Palmas, Fernando Po (König Ferdinand), Kap Lopez (spanischer
Feldherr), Kap Negro, Kap Frio (frigidus = kalt, Walfischbai und kalte
Strömung!), Angra Pequena, Kap Agulhas (Nadelkap), Port Natal (dies
natalis = Weihnacht), Delagoabai, Kap Corrientes (currere = stark gegen
die Küste laufende Strömung), Kap Delgado (Spitzes Kap), Kap Ambre
(Ambra, Pottwal). Weiter nördlich hatten die Araber schon die Küsten
besiedelt und ihr die Namen gegeben. Die Portugiesen segelten mit
den Monsunwinden von Melinde (nördlich Mombas) nach Vorderindien.
Auf umgekehrtem Wege besiedelten die Inder die afrikanische Ostküste.
Eine derartige Konzentration ist für den Unterricht sehr anregend,
zumal wenn man auch die Richtung der Meeresströmungen feststellen
läßt (Landzungen!).
Sehen wir von der europäischen Einwanderung ab, so lassen sich
in Afrika drei Bevölkerungswellen unterscheiden.
Im Süden siedeln die als Koikoin zusammengefaßten Hottentotten
und Buschmänner, und zwar in den unfruchtbaren Sand- und Steppen-
landschaften des Westens, während sie aus dem fruchtbaren Osten durch
die Kaffern und Betschuanen verdrängt wurden.
Diese gehören zur zweiten Welle der Neger, welche die ältere Be-
völkerungsschicht der Pygmäen (Zwergvölker) in die entlegensten Wald-
gebiete zurückgedrängt hat. Südlich des fünften Breitenkreises (nörd-
licher Breite) finden sich die Bantuneger, weiter nördlich die Sudanneger,
die sich nur schwer von den ersteren körperlich abgrenzen lassen, wohl
aber in der Sprache wesentliche Unterschiede aufweisen. Die Bantu-
neger sind Heiden, die Sudanneger haben zumeist den Islam an-
genommen, dessen Südgrenze auffallend mit der Nordgrenze der tropischen
Urwälder übereinstimmt, und siedeln vielfach in Stadtdörfern.
Die dritte Völkerwelle sind die ebenfalls von Norden her eingewanderten
Hamiten und Semiten (letztere werden vielfach auch Berber = Barbaren
genannt), die sich im Westen bis an den Niger vorgeschoben haben,
im Osten (Niltal und Küstenschiffahrt) sogar über den Äquator reichen
(Massai). Nur in der Mitte verhindert die Lybische Wüste ihre Aus-
breitung, so daß hier die Sudanneger (Tibbu) bis ans Bergland von
Tibesti reichen. Sprachlich sind Hamiten und Semiten gut zu unter-
scheiden, körperlich sind die Unterschiede vielfach undeutlich; erstere
sind in größerem Umfange mit Negern gemischt. Die Gesamtbevölkerung
des Erdteils wird auf 140 Millionen geschätzt, von denen etwa 90 Millionen
Neger, 48 Millionen Hamiten-Semiten und noch nicht 2 Millionen Europäer
sind, da die zahlreichen Wasserfälle der großen Flüsse im Unterlaufe
die Erschließung des Erdteiles sehr erschwerten.
Die Atlasländer. 143
Bei der Einteilung Afrikas in natürliche Landschaften spielt bei der
geringen Entwicklung der Bodenplastik (dagegen Asien und Europa!)
die Pflanzendecke eine große Rolle.
Die Atlasländer.
Die nördlichste Landschaft sind die Atlasländer (700000 km- mit
13,5 Mill. Einw., D.= 19), die Südfrüchte, Datteln (Sfax), Wein, Getreide,
Eisenerz und Phosphate erzeugen. Dazu ist die Viehzucht hoch entwickelt.
Als Getreideland hat Westmarokko eine große Bedeutung, dabei ist der
hohe Atlas reich an Eisenerzen. Bewaldet ist ein Zehntel der Fläche, und
das Kulturland, auf das in Marokko und Algerien nur ein Viertel der Fläche
entfällt, steigt in Tunis auf die Hälfte an. Das Eisenbahnnetz ist gut aus-
gebaut und der Handel stark entwickelt, Handelshäfen sind vor allem Kasa-
blanka, Oran, Algier, Tunis und Sfax, die mit ihren Europäervierteln (Algier)
stark von den rein arabischen Städten des Inneren kontrastieren.
Die Sahara.
Die Sahara umfaßt 8 Millionen km- mit etwa 1,5 Mill. Einwohnern und
reicht ungefähr bis zum 1 5. Breitenkreis. Zwischen Sand- und Felswüsten aus-
gedehnte Wüstensteppen, auf einigen Höhen sogar lichte Wälder (Hoggar),
Haine von Dattelpalmen in den Oasen, deren Städte (vgl. Hochasien!) infolge
der Umschaltung des Weltverkehrs veröden. Die wichtigsten Karawanen-
straßen führten von Gabes und Tripolis nach dem Nigerknie bei Timbuktu
und zum Tschadsee. Die geplante Transsaharabahn hat nur strategische
Bedeutung.
Der Sudan.
Den Sudan bilden die Grasländer und Savannen, die einen reichen
Ackerbau und Viehzucht gestatten; nur an der Guineaküste lagert sich ein
Urwaldstreifen mit Plantagenwirtschaft an. So ist die Bevölkerung für
afrikanische Verhältnisse außerordentlich dicht (über 50 Millionen auf
4,5 Mill. km-). Sie besteht meist aus zum Islam sich bekennenden Neger-
stämmen, die sich zu ständig wechselnden Staaten (Haussa, Fellata)
zusammenschließen. Viele große Städte. Bis zur Besitzergreifung durch
die Europäer haben die ständigen Reibereien der Stämme einen stärkeren
Aufschwung verhindert. Da die Flüsse mit Ausnahme des Senegal und Niger
nicht schiffbar sind, ist zur Erschließung des Landes ein großes Eisenbahn-
netz im Bau, dessen Ausgangspunkte die Haupthäfen der verschiedenen
Kolonien an der Guineaküste sind. Diese bestehen aus einem mit Urwald
bedeckten Küstenstreifen (Ölpalmen, tropische Produkte, Kautschuk, Kakao
[Goldküste 52 Mill. kg] und Baumwolle) und dem sogenannten »Hinter-
land« mit dichterer Besiedelung. Liberia wurde 1822 durch freigelassene
nordamerikanische Neger gegründet; an sie erinnert auch Freetown, der
Hauptort der Sierra Leone. Wichtig ist es, daß am mittleren Niger durch
Berieselung noch etwa 200000 km- der Kultur gewonnen werden können.
Das Nilgebiet.
Als Nilgebiet bezeichnen wir Ägypten und den angloägyptischen Sudan
mit 15 Millionen Einwohnern auf 3 Millionen km-.
144 XV. Afrika.
Ägypten reicht südlich so weit, als der Nil ununterbrochen schiffbar ist,
also bis zum ersten Katarakt südlich Assuan. Von seiner Fläche (994 000 km"-)
entfallen 28 000 km- auf das wüstenumrahmte Kulturland des Nil (1 1 600
Niltal, 16100 Delta). Auf dieser Fläche (= Provinz Posen) wohnten 1910
gegen 1 1 Millionen Menschen (Dichte beinahe 400!), gegen 5,5 Mill. 1870.
Im Altertum war Ägypten ein reiches Getreideland und als solches eine
wichtige römische Kolonie. Neuerdings ist die Getreideerzeugung ganz
zugunsten der Baumwolle eingeschränkt^- Zur Regelung der Bewässerung
(es fällt fast kein Regen!) diente im Altertum der Mörissee (jetzt Birket el
Kerun in der Fajumoase), heute die große Stauanlage bei Assuan, eine
weitere ist bei Chartunl im Bau. Der Bodenertrag soll jedoch nachgelassen
haben, da die Staudämme den fruchtbaren Nilschlamm zurückhalten. Ein
dichtes Eisenbahnnetz durchzieht das Land, das durch den Bau des Suez-
kanales, des »Genickes der Welt <, auch in den Brennpunkt des Weltverkehrs
rückte. Als Glacis gegen die Türkei benutzte England die Sinaiwüste,
die ihre schützende Rolle namentlich zu Anfang des Weltkrieges gut er-
füllt hat.
Bis Berber heißt das wüstenbedeckte Gebiet zu beiden Seiten des
Nil Nubien, erst südlich des 15. Breitenkreises beginnt die Graslandschaft
des ägyptischen Sudans, der im Westen bis zur Wasserscheide gegen
den Schari, im Süden bis zur Nordgrenze der äquatorialen Urwälder, im
Osten bis zum Hochlande von Abessinien reicht. Die Schiffbarkeit des
Nil wird durch Grasbarren sehr erschwert. Das an Wild (Bahr el Ghasal
= Gazellenfluß) reiche Gebiet ist ein Eldorado für Sportsleute. Der Mahdi-
aufstand hat den größten Teil der Bevölkerung (heute 4 Mill. auf 2 Mill. km'-)
hin weggerafft, doch setzt ein neuer Aufschwung ein. Als Hauptausfuhr-
hafen entwickelt sich an Stelle des zurückgehenden Suakin Port Sudan,
das mit Berber durch eine Bahn verbunden ist. Weitere Bahnen sind teils
vollendet, teils im Bau begriffen.
Äquatorialafrika.
Äquatorialafrika umfaßt die Flußgebiete des Kongo, Sanaga und
Ogowe und bedeckt 4 Mill. km- mit etwa 25 Mill. Einwohnern. Zumeist ist
es von Urwald bedeckt; im Inneren begleitet derselbe als Galeriewald die
Flußufer, dazwischen Graslandschaften. Ausfuhrgegenstände sind nament-
lich Kautschuk (Kongostaat 33 Mill. Mk., Kamerun und Togo 21 Mill. Mk.,
Französisch-Kongo 23 Mill. Mk., gegen 350 Mill. Mk. im tropischen Süd-
amerika!), Elfenbein und Hölzer. Die Kautschukgewinnung hat im Kongo-
gebiet durch Raubbau sehr gelitten, die Ausfuhr wird durch die Strom-
schnellen des unteren Kongo erschwert, dazu lastet wie eine Geißel die
Schlafkrankheit auf dem ganzen tropischen Afrika. Der Feind aller Kultur
ist die Tsetsefliege. Wo sie vorkommt, kann keine Rinderzucht getrieben
werden und deshalb keine Pflugkultur. Daher fehlt der Dung als Förderer
einer rationellen Landwirtschaft, und an deren Stelle tritt der Hackbau,
der um das Vielfache langsamer arbeitet!
') Da das Getreide von englischen Kolonien auf englischen Schiffen ein-
geführt wird, hat England Ägypten völlig in seiner Hand!
Ostafrika. 145
Dies muß unbedingt bei der Besprechung des tropischen Afrikas erwähnt
werden; die großen Trägerkaravvanen werden erst jetzt verständlich.
Die Kamerun vorgelagerten Insehi sind Sitz eines großen Kakaoanbaues
(St. Thome 36 Milhonen kg, Fernando Po 3,5 Milhonen kg) und zeigen,
welche Zukunftsaussichten nach Überwindung der genannten Schwierig-
keiten im tropischen Afrika ruhen. Der heute über die Kongomündung
(Eisenbahnen zur Umgehung der Stromschnellen) geleitete Handel nahm
bis vor einigen Jahrzehnten seinen Weg vom Tanganjikasee nach Sansibar,
dessen Bedeutung sich seitdem wesentlich verringert hat. Große Zukunfts-
aussichten hat das Katangagebiet mit seinen reichen Kupferlagern.
Ostafrika.
Ostafrika umfaßt 4,1 Millionen km- mit 19 Millionen Einwohnern.
Am dichtesten siedelt die Bevölkerung (10 auf 1 km'-) auf dem wald- und
weidereichen Hochland von Abessinien, das von England, Frankreich
und Italien umworben wird. Der italienische Einfluß ist seit der Nieder-
lage von Adua (18Q6) sehr gesunken. Während die Somalihalbinsel
von Grassteppen und Savannen bedeckt ist, stellt sich südlich der Dschuba-
mündung tropischer Urwald ein, der in etwa 200 km breitem Streifen
die Küste bis zur Limpopomündung begleitet. Im Hinterlande, dem so-
genannten „Seengebiet", überwiegen Grasländer, über die sich die höheren
Berge als Waldinseln erheben. Viele Vulkane ragen bis über die Schnee-
grenze und bilden die höchsten Erhebungen des Erdteils. Die lang-
gestreckten abflußlosen Senken sind regenlos und weisen größere Salz-
seen auf (Natronsee).
So finden wir an der urwaldbedeckten, regenreichen Küste ausgedehnte
Plantagenwirtschaft (Baumwolle, Sisalhanf, Kokospalmen, Zuckerrohr,
Tabak), im Inneren (auch Seengebiet genannt) Ackerbau und Viehzucht.
Zur Erschließung des Gebietes dienen vor allem die Ugandabahn (Mom-
bas), die Tangabahn, die deutsch-ostafrikanische Mittellandbahn (Dares-
salam) und der Schire-Sambesi-Weg (Quelimane), der einen großen Teil
von Mozambique und das ebenfalls zu Ostafrika zu rechnende britische
Njassaland erschließt.
Ostafrika besaß zu Beginn des Weltkrieges 2800 km Eisenbahnen.
Der Handel, den an der Küste zumeist Inder vermitteln, war auf etwa
1 80 Millionen Mark zu schätzen ; die Plantagenwirtschaft an der Küste war in
großem Aufschwung begriffen, und auch der Bergbau im Inneren, dessen
Klima größere europäische Besiedelung zuläßt, war schon recht bedeutend.
Südafrika.
Das gesamte Gebiet, das südlich der Wasserscheide zwischen dem
Kongo und seinen Nebenflüssen einerseits, dem Quanza und Sambesi
anderseits liegt, nennen wir Südafrika.
Es bildet ein von randlichen Gebirgen umrahmtes Becken von 4,6 Mil-
lionen km'-, das im Inneren abflußlos ist und randlich von zahlreichen
Olb rieht, Der erdkundliche Lehrstoff. 10
146 XV. Afrika.
Flüssen entwässert wird, von denen jedoch nur der untere Sambesi für
die Schiffahrt in Betracht kommt.
Bis zur Linie Mossamedes, Buluwayo, Durban reichen als verkleinertes
Gegenstück zum Sudan lichte Wälder und Savannen der Subtropenzone,
die sich zur Viehzucht eignen und wohl eine dichtere europäische Be-
völkerung ernähren könnten.
Weiter südlich wird das Aussehen des Landes einmal durch die vor-
herrschenden Südostpassate, sodann durch die beiden verschiedenartigen
Meeresströmungen bedingt, den kalten Benguellastrom im Westen und
den warmen Nadelkapstrom im Osten. Die warme Ostküste wird von
regenreichen Winden überschüttet, die Randgebirge sind dicht bewaldet,
bis zur Limpopomündung reicht der tropische Regenwald, bis Port Elisa-
beth die Palmen. Westlich des 20. Längenkreises wird der Wald spärlicher,
bei Kapstadt starker Weinbau. Nach Nordwesten nimmt die Trockenheit
zu. Zuerst (Oranje- und Vaalgebiet) finden wir Grassteppen mit Vieh-
zucht, weiter östlich die Wüstensteppen der Kalahari, an der Westküste
endlich die Stein- und Sandwüsten, die sich mit ihren Sanddünen von
der Oranjemündung bis südlich Mossamedes erstrecken. Erst an der
Kunenemündung treffen wir wieder auf Palmen.
Von größter Bedeutung sind die Goldlager (Witwatersrand) und Dia-
mantenfelder des Inneren, die in krankhafter Weise die arbeitende Be-
völkerung anziehen. So entfielen im englischen Südafrika von der Gesamt-
ausfuhr (vor dem Kriege 1360 Millionen Mark) 768 auf Gold, 246 auf
Diamanten, 117 auf Wolle, deren Ertrag auf 65 000 Tonnen geschätzt
wird, 60 auf Straußenfedern und 60 auf sonstige tierische Erzeugnisse.
Auch Kohlen (28,4 Millionen) und Kupfer (9 Millionen) wurden aus-
geführt, und das Eisenbahnnetz betrug bei Kriegsausbruch 13 300 km.
Deutsch-Südwest war ebenfalls in lebhaftem Aufschwung begriffen, das
Eisenbahnnetz auf 2100 km angewachsen, der Viehbestand recht beträcht-
lich, und die Ausfuhr betrug 40 Millionen Mark (Diamanten, Kupfer und
Blei). Gering war die Entwicklung der portugiesischen Kolonien.
Zweifellos hat Südafrika eine große Zukunft, zumal da es ausgedehntes
Siedlungsland für Europäer aufweist (unter 12 Millionen Einwohnern
1 300000 Europäer, gegen 900000 in den Atlasländern, 1 10000 in Ägypten
und noch nicht 10000 im übrigen Afrika), etwa die Hälfte des auf der
Erde gewonnenen Goldes erzeugt und die großen Wasserfälle (Viktoria-
fall des Sambesi) im Verein mit kleineren Kohlenlagern einer Industrie
förderlich sind. Aber nicht mit Unrecht sagt Dove: »Erst wenn Gold und
Diamanten in den Hintergrund getreten sind, werden die Bewohner Süd-
afrikas in den immer aufs neue sich darbietenden Erzeugnissen der Vieh-
zucht und der Bodenkultur Gegenstände des Handels erkennen, die ihrer
Heimat größeren Segen bringen, als die unterirdischen Schätze, die nur
einige wenige glücklich zu machen vermögen.« ich füge hinzu: Ist es ein
günstiges Zeichen, wenn Hafenstädte wie Kapstadt und Durban an Be-
völkerung verlieren, um das Heer der Goldgrubenarbeiter aufzufüllen,
wenn die Goldstädte Johannesburg und Pretoria in immer größerem Um-
fange die Bevölkerung an sich reißen und ein immer größeres Heer
Unzufriedener sich hier ansammelt?
Die Inseln. 147
Die Inseln.
Die westafrikanischen Inseln Madeira, die Kanaren und die Kap-
verden sind gleich den schon genannten Guineainseln vulkanischer
Natur. Las Palmas und Funchal sind wichtige Häfen, Funchal zudem
eine Gesundheitstation für Lungenleidende. Ascension und St. Helena
waren früher wichtige Etappen zwischen Gibraltar und dem Kap, auch
heute sind sie noch von Bedeutung für die englischen Kabel.
Von den ostafrikanischen Inseln ist die größte Madagaskar, im
Osten in dichten Regenwald gehüllt und im Westen von lichten Savannen
bedeckt, wodurch sich die Zweiteilung der Einwohner (Howas und Saka-
laven) erklärt. Die Ausfuhr erstreckt sich besonders auf Kautschuk und
Häute, dazu Hölzer, und ist für 3 Millionen Einwohner gering (46 Mil-
lionen Mark), was an der Unfähigkeit der Franzosen liegt, den schlech-
testen Kolonisatoren unter den Hauptkulturvölkern.
Das unruhige Relief des Meerbodens östlich von Madagaskar erstreckt
sich bis zu den Tschagosinseln und zeigt, daß hier der Rest eines zer-
brechenden Festlandes vorliegt, dessen letztes Überbleibsel die Seychellen
und Maskarenen mit ihren Vulkanen und Korallenbauten sind. Von
den zahlreichen Inseln sind Reunion und Mauritius wichtige Etappen-
stationen mit großer Zuckererzeugung.
Die Erschließung Afrikas.
Jetzt erst gebe man die politische Gestaltung Afrikas, und zwar am
besten in Gestalt eines geschichtlichen (Namen!) Abrisses, wobei es mehr
auf Herausarbeitung der Zusammenhänge, als auf eine Fülle
von Einzelheiten ankommt.
Im Zeitalter der Entdeckungen war die afrikanische Küste vom
Kap Bojador bis zum Kap Guardafui portugiesisches Interessengebiet,
ebenfalls Madagaskar (Diego Suarez) und die Maskarenen (Rodriguez).
Um das Jahr 1600 ist das Kapland in niederländischem Besitz (Kapstadt,
Kap der Guten Hoffnung, Oranjefluß nach Wilhelm v. Oranien und die
vielen niederdeutschen Namen im Kapland), Mauritius (1598 — 1710) eine
holländische Etappe nach Indien. Die Engländer besetzten Tanger, Gambia,
die Goldküste und St. Helena, Frankreich die Senegalmündung (St. Louis),
Madagaskar (Ft. Dauphin) und Reunion als Etappen zu seinem indischen
Besitz. Portugals Interessengebiet schmilzt im Westen auf die heutige
Grenze zusammen, umfaßt aber im Osten noch die Sansibarküste bis
Melinde. Madeira und die Kap -Verden sind wichtige Etappenpunkte
nach Brasilien.
Um das Jahr 1790 ist die Lage eine ähnliche. Frankreich hat
auch Mauritius und die Seychellen besetzt. England anstatt Tanger Gi-
braltar und die Sierra Leone erworben.
In den folgenden Jahrzehnten baut es zielbewußt die Etappen des
Seeweges nach Indien aus, das Frankreich, durch die Napoleonischen
Kriege auf dem Festlande gebunden, aufgegeben hat. Es erobert das Kap-
land (die niederländischen Bauern wandern nach Norden aus und gründen
den Oranjefreistaat und Transvaal — Vaal heißt der Südarm des Nieder-
10*
148 XV. Afrika.
rheins — Natal, die heutigen westafrikanischen Stützpunkte (noch ohne
größeres Hinterland), Mauritius, die Seychellen und Lakkadiven und setzt
sich am Eingange des Roten Meeres fest. Frankreich hat Algier (1830)
und Tunis (1882) erobert, dazu Madagaskar (1896) und Stützpunkte an
der Guineaküste.
In den letzten Jahrzehnten bauen namentlich England und Frank-
reich ihren afrikanischen Besitz aus und runden ihn großzügig ab, wäh-
rend Deutschland und Italien mit räumlich getrennten Kolonien, denen
insbesondere große Flüsse fehlen, vorliebnehmen mußten.
Frankreich schafft sich in Nordafrika ein gewaltiges (mehr an Fläche,
als an Wert) Kolonialreich, mit dem Hauptgesichtspunkt, aus ihm ein
»Schwarzes Heer« zu rekrutieren. Sein Ziel, ein mittelafrikanisches Ko-
lonialreich vom Senegal bis zum Roten Meer zu schaffen, vereitelte Eng-
land durch Besetzung von Faschoda (1898), wodurch Dschibuti und
Obok ein Torso blieben, während das englische Kolonialreich nach Be-
setzung Ägyptens (Suezkanal) und des ägyptischen Sudans vom Indischen
Ozean bis zum Mittelmeer reicht.
Nur dadurch, daß England den Franzosen freie Hand in Marokko läßt
und zugleich in die Abrundung des französischen westafrikanischen Besitzes
einwilligt (die übrigen westafrikanischen europäischen Kolonien sind nur
Inseln im französischen Gebiet!), wird der drohende Krieg vermieden.
Etwa ein Jahrzehnt vorher übergaben die europäischen Großmächte dem
belgischen König Leopold das Kongogebiet (1885), über dessen Auf-
teilung sie sich nicht einigen konnten.
Besonders zielbewußt geht England in Südafrika vor und treibt unter
Cecil Rhodes (Rhodesia!) einen Keil in das portugiesische Kolonialreich
und unterbindet dessen Lebensader, den Sambesi, seine Grenzen bis
Katanga und dem Seengebiet vorschiebend. So mußte Portugal seinen
noch 1896 geplanten Zusammenschluß seiner afrikanischen Kolonien end-
gültig aufgeben.
Der Weltkrieg ist uns in seinem Ausgange bekannt. Er beendet den
Ausbau des indischen Dominiums und rundet Frankreichs Kolonialreich
durch den größten Teil von Togo und Kamerun ab. Gegen diese
flagrante Verletzung des Versailler Vertrages hat die deutsche
Regierun;^: allerdings schon protestiert. — Auch die portugiesischen
Kolonien sinken zu englischen Interessengebieten herab, die der englischen
Ausbeutung völlig offenstehen.
England und Frankreich erreichten dies nur durch eine der größten
und wenig rühmliciien Verletzungen des Völkerrechtes, nämlich den Bruch
der Kongoaktc! Aber dadurch ist auch der Neger hellhörig geworden,
und neben einer mohammedanischen Gefahr tauchen die ersten An-
deutungen einer Negerbewegung am politischen Himmel auf.
XVI. Australien.
überblick.
Den größten Teil des Australkontinentes bildet ein Tafelland, wie
die übrigen Großschollen der Südhalbkugel reich an Gold. An es
schmiegt sich im Osten das Gebirge der Australalpen, mit Gold und
Steinkohlen, sich nach Süden in Tasmanien fortsetzend. Auf dem
australischen Kontinentalsockel erhebt sich auch Neuguinea, der Rest
eines langgestreckten alpinen Faltengebirges, in dem der Erdteil seine
größten Höhen erreicht. Neuguinea ist nur ein Teil eines großen Systems
von Faltengebirgen, dem auch die großen Melanesischen Inseln, das Fidschi-
gebiet, Neukaledonien, die Tongainseln und die Neuseelandgruppe an-
gehören. Wie die Karten der Meerestiefen zeigen, handelt es sich um
•...//.,
C^ Kessel u Graben
Alter fpsHandsrand
/i / — L)ntermeeri5cheLeiHinien
^ / = FüKenland
/ '^////, Schollenland
/ •••• VulKanlinien
(0^^ Alpen Z.Vergleich
36. Der Bau Australiens.
ein großes Faltengebirgsbündel, das in Fortsetzung der Gebirgs-
trümmer der Sundainseln anfangs ostwestlich streicht, um später nach
Süden umzubiegen, wobei der größte Teil der Falten unter den Meeres-
spiegel gesunken ist und große Kesselbrüche — den Becken des Mittel-
meeres vergleichbar — sich zwischen die Gebirge eingesenkt haben, noch
heute im untermeerischen Relief deutlich erkennbar. Reichtümer an Gold
(Neuguinea), Nickel (Neukaledonien) und Gold und Kohle (Neuseeland)
zeigen die nahen Beziehungen dieses Gebirges zu den Australalpen,
wobei die Linie Neuguinea, Neukaledonien, Neuseeland eine Fortsetzung
des zinnreichen Malakka-Banka-Zuges zu sein scheint.
Nur durch langgestreckte parallele Gruppen von Koralleninseln an-
gedeutet ist ein zweites Gebirgsbündel, das weiter nach Osten streicht,
lockerer gebaut ist und als mikronesisch-polynesische Falten be-
zeichnet sei. Einen dritten selbständigen, an tätigen Vulkanen reichen
Faltenzug bildet die Hawaigruppe, an Länge die Alpen um ein Doppeltes
übertreffend.
150 XVI. Australien.
Der Norden des Australkontinentes liegt wie Melanesien und der größte
Teil Mikro- und Polynesiens im Gebiete der tropischen Steigungsregen
und ist bis auf die den alpinen Matten entsprechenden Savannen des
inneren Neuguineagebirges in dichten Regenwald gehüllt, der erst zum
kleinsten Teile Kulturland gewichen ist. Auf diesem entspringen mehrere
wasserreiche Flüsse, von denen der Flyfluß die größte Schwemmebene
des Erdteils aufgeschüttet hat. Die kleinen Inseln sind fast ausschließlich
mit Kokospalmen bewachsen, dazu kommen im südlichen Gebiet auch
Brotfruchtbäume.
Der größte Teil des Australkontinentes steht unter dem Einfluß des
Südostmonsuns, der die Australalpen mit einer Regenfülle überschüttet,
die üppige Wälder bedingt (vgl. die analogen Verhältnisse in Südafrika
und Südamerika), während er von der Australtafel durch Gebirge ab-
gehalten wird, so daß hier von Grasländern (Schafzucht) umrahmte Sand-
wüsten überwiegen. Die Windrichtung bedingt auch an der Westküste
das Aufsteigen kalten Tiefenwassers, so daß hier ein Gegenstück zu den
Korallenriffen des Ostens fehlt.
Den südlichsten Teil des Australkontinentes überwehen im Südwinter
die regenspendenden Westwinde. Hier bildet der Eukalyptuswald ein
Gegenstück zu den Hartlaubgewächsen des Mittelmeergebietes, auch sind
diese Landschaften zugleich sehr geeignet für den Anbau von Obst, Süd-
früchten und Getreide. Das ganze Jahr im Bereiche dieser West-
winde liegt Neuseeland mit seinen regentriefenden Wäldern (Farn-
bäume), Schneefeldern und an die Eiszeit gemahnenden Seen und Fjorden
an der Westseite (vgl. Chile), während im Osten Grasländer ausgedehnte
Viehzucht bedingen (vgl. Patagonien und Südargentinien).
Zahlreiche Namen erinnern an die durch Engländer und Holländer
(Neu -Holland — alter Namen für den Australkontinent, Van Diemens-
land — heute Tasmanien, Neuseeland usw.) erfolgte Entdeckung des Erd-
teils, der lange Zeit wegen seiner Entlegenheit nur Sträflingskolonien
beherbergte, bis Goldfunde eine größere Verdichtung der Bevölkerung
erzeugten. Nach Versiegen der Goldadern ging die Bevölkerung zum
Ackerbau und der Viehzucht über, wozu im Westen neue Goldfelder
entdeckt wurden. Hauptgebiet der Schafzucht sind die Grasländer um
den Murrey und Darling, den einzigen größeren Flüssen des Erdteiles.
Staaten und Kolonien.
Australien bildet heute einen Staatenbund, dessen ältere Oststaaten in
ihren Namen (Neusüdwales, Queensland, Victoria) die Herkunft der
Besiedler verraten, während die durch die jüngeren Goldfunde auf-
strebenden Weststaaten eine sehr nüchterne, an Amerika gemahnende
Namengebung aufweisen. Ebenfalls an Amerika erinnert auch die
Zentralisation der Bevölkerung in einigen Riesenstädten (bei 5 Millionen
Einv/ohnern zwei Städte von 750000 Einwohnern, zwei weitere von je
200 000 und eine von 150000!). Auch Neuseeland weist schon drei
Groljstädte auf, während das tropische Australien und die Inselgebiete
städtearm sind. Als einzige Stadt im Inselgebiet ist Honolulu ein wichtiger
Staaten und Kolonien. 151
Ausfuhrhafen für Zucker. Die wichtigste Nutzpflanze der Inselflur ist
die Kokospalme, zu der sich südlich des Äquators der Brotfruchtbaum
gesellt. Auch werden Phosphate ausgeführt und die Produkte der Plan-
tagen, namentlich aus Samoa, den Fidschi Inseln (Kakao) und Hawai.
Die Erhaltung der eingeborenen Bevölkerung steht im umgekehrten
Verhältnis zur Besiedelungsdichte der Europäer. Auf dem Australkontinent
und auf Neuseeland sind die Eingeborenen fast ganz verschwunden,
während sie im übrigen Inselaustralien die Mehrzahl der Bevölkerung
bilden. Den wenig kultivierten Stämmen Melanesiens stehen hier die
sympathischen Polynesier gegenüber, bei deren Verbreitung (Ausleger-
boote) die Meeresströmungen keine geringe Rolle spielen. Letztere be-
dingten auch die Besiedelung Neuseelands durch die Maori von Melanesien
aus. Infolge der Entlegenheit Australiens ist die Einwanderung von
Europa her geringer gewesen als bei anderen Ländern mit ähnlichen
Verhältnissen (Südafrika und Südamerika). Von einigen französisch-
holländischen Kolonialansätzen abgesehen, ist es nach Verdrängung der
Spanier (Marianen = Maria und Karolinen = Kaiser Karl) und Deutschen
fast ganz im Besitze Englands. Aber schon tasten sich Amerikaner und
Japaner heran, und für letztere ist das menschenarme, klimatisch günstige
Australfestland ein ideales Siedlungsland. Eine Fülle von Reibungsstoff
für die Zukunft, zumal da das Proletariat der Großstädte des Austral-
kontinentes starke bolschewistische Neigungen zeigt, von denen wir nur
wegen der Entlegenheit und der englischen Zensur so wenig erfahren.
XVII. Amerika.
Überblick.
Das Rückgrat Amerikas bildet ein Faltengebirgsbündel, das im Norden
als Felsengebirge, im Süden als Anden bezeichnet wird. Deutlich
erkennen wir mehrere parallele Zug», deren westlichste — vgl. Ostasien! —
zahlreiche Vulkane tragen — daher der Name Kordilleren, d. h. Perl-
schnurgebirge — während die dazwischenliegenden Längstäler vielfach
unter das Meer getaucht sind (Golf von Kalifornien). Die in Alaska
und Kanada dichtgedrängten Ketten quellen südlich auseinander, große
wasserarme Beckenlandschaften einschließend. In Mexiko scharen sich
die Falten wieder, sind aber im Inneren vom eigenen Schutt verhüllt
bis auf die höchsten, als schmale Leisten aufragenden Kämme. Die
wieder auseinanderquellenden Falten umrahmen die Kesselbrüche des
Karibischen Meeres als Mittelamerika und Antillengebirge, um sich in
Kolumbien und Peru wieder zu scharen. Im Berglande von Bolivien
wird das Gefüge nochmals lockerer — die Wüstenhochfläche mit dem
Titikakasee entspricht dem Großen Becken mit dem Salzsee — und
noch weiter südlich lösen sich die östlichen Ketten in ähnlicher Weise
ab, wie der Schweizer Jura von den Alpen, die argentinischen Sierren
bildend. Enger geschart sind wieder die chilenischen Anden, die sich
über die Falklandinseln nach Antarktika fortsetzen.
Bis auf den Aleutenzug mit 14 tätigen Vulkanen ist das Felsen-
gebirge mit Ausnahme der kalifornischen Vulkane vulkanarm, doch sind
gewaltige Lavadecken — besonders um den Kolumbiafluß — und
Geiser die letzten Ausklänge eines erlöschenden Vulkanismus, der das
Gebirge auch mit der Fülle von Gold, Silber und Kupfer imprägnierte.
Über 50 Vulkane finden wir in den mittelamerikanischen Kordilleren,
zu denen auch der Süden Mexikos gehört, etwa ein Dutzend im Antillen-
zug und zwei Dutzend in den Ketten von Ekuador und Südkolumbien.
Über 30 Vulkane liegen endlich in Süd-Peru und Bolivien, deren Silber-
erze hiermit — vgl. Mexiko — in engem Zusammenhang stehen; nach
einer 1000 km langen Lücke ein letztes Gebiet mit 30 Vulkanen im
mittleren Chile.
Bis in die Breite von Valparaiso sind die Kordilleren auf 2500 km
Länge mit Ausschluß der höchsten Kämme in dichten Nadelwald ge-
hüllt. Es folgt eine beinahe 3000 km lange Strecke mit wüstenartigem
Charakter, wo nur die östlichen, gegen die Amazonasebene abfallenden
Ketten tropischen Urwald tragen. Etwa vom Äquator nordwärts bis
zum nördlichen Wendekreis ist das ganze Gebirge in dichten Regen-
wald gehüllt. Bis zur Kolumbiamündung tragen nur die Randketten
Waid, gegen die Wüstenbecken des Inneren kontrastierend. Im kolum-
bisch-alaskischen Gebirge finden wir als Gegenstück zu den chilenischen
mit Ausschluß der hohen Kämme wieder dichten Nadelwald, der ein
großes Holzreservoir der Zukunft bildet.
Besiedeliing und Geschichte. 153
In Nordamerika lehnt sich östlich an das Felsengebirge die Hoch-
fläche der Prärien, die sich nach Südosten zur Mississippiniederung,
nach Nordosten zum arktischen Hügellande abdacht, wobei die
erstere sich zur Golfküste erweitert. Die Wasserscheide zwischen beiden
liegt auf dem ausgedehnten, mit Moränenschutt und glazialen Rinnen-
seen bedeckten Hügelland, das sich ostwärts im Lorenzstrom entwässert,
dessen Tal die Tiefenfurche zwischen Labrador und den Appalachen
bildet. Diese sind ein stark erniedrigtes erzreiches, an Höhe und Länge
dem Ural vergleichbares, im Norden stark zertrümmertes altes Falten-
gebirge, dem im Osten die Piedmonthochfläche angelagert ist, über deren
Rand — Wasserfälle! — die Flüsse die atlantische Küste erreichen.
Die mit glazialen Rinnenseen bedeckte Hudsonsenke ist die wichtigste
vom Eriekanal und vielen Eisenbahnen benutzte Tiefenlinie innerhalb
der Appalachen, das Tor der Vereinigten Staaten, an dessen Ausgang
New York die größte Stadt der Erde wurde. Langgestreckte dünen-
bedeckte Nehrungsküsten umkränzen die atlantischen Küsten südlich des
Kap Hatteras, während nördlich meist eine hafenreiche Felsküste über-
wiegt, der Long Island als Rest eines eiszeitlichen Moränenwalles vor-
gelagert ist.
Mittelamerika gliedert sich naturgemäß in die Inseln und das Fest-
landgebiet (zwischen Tehuantepec und Panama), wobei die Inseln von
Vulkanen überdeckte Trümmer von Faltengebirgen sind, nördlich deren
wir in Florida, Jukatan und Kuba Reste einer Flachtafel erkennen, zu
der auch die Bahama-Inseln gehörten.
Das östliche Südamerika wird von den großen Hochflächen von Guayana
und Brasilien beherrscht. Letzteres fällt terrassenartig gegen den Atlantik,
allmählich gegen die Tiefländer des Amazonas und La Plata ab, zu-
geschwemmten ehemaligen Meeresbusen. Gegenüber dem sandigen
Norden (Gran Chaco) ist die Mitte der La-Plata-Landschaften (Pampas) mit
ihrem Lößboden überaus fruchtbar, der Süden (Patagonien) ein ödes Geröll-
gebiet mit Moränenseen am Gebirgsrande. Ein verkleinertes Amazonas-
becken bildet das Orinokotiefland.
Besiedelung und Geschichte.
Vor der Entdeckung war Amerika bis auf die trockenen Hochlande von
Mexiko und Peru-Bolivien (Berieselungskultur bedingte auch hier Staaten-
bildung!) sehr dünn bevölkert. Von Mittelamerika, das Kolumbus infolge
eines Irrtums Westindien nannte, erfolgte die europäische Kolonisation, die
noch heute an den Ortsnamen erkennbar ist. Ganz Südamerika mit Aus-
nahm.e Brasiliens und Nordamerika bis zur Linie Kap Mendozino-Florida sind
spanisches Kolonisationsgebiet und die Namen entweder aus Spanien
entlehnt (Santiago, Kordoba, Sierra Nevada usw.), oder an die Natur an-
knüpfend (Llano Estacado, Rio Grande, Colorado, Nevada, Valparaiso,
Florida), endlich an geschichtliche Vorgänge (San Franzisko, Vera Cruz,
Bolivien, Bolivar, Rosario, Salvador, Columbia, Concepcion).
Portugiesisch ist der größte Teil Brasiliens (Sao anstatt San, Rio de Janeiro,
Recife, Belem [Vorstadt von Lissabon], Santareno, Caravellas, Sao Paulo,
Natal, Kap Frio, Porto Alegre).
154
XVII. Amerika.
Nördlich der Januar-Isotherme von 10° fehlen die spanisch-portugiesischen
Namen (man beachte, daß Spanien die Trockenräume [Kastilien!] bevor-
zugt, Portugal die regenreiche Küste), und wir finden die der jüngeren
französisch-englischen Besiedelung, wobei Namen wie Virginia, Elisabeth,
Georgia und Carolina auf die Zeit der Kolonisation hinweisen.
Während die Engländer das Gebiet zwischen Appalachen und Atlantischer
Küste besiedelten (New York, Boston, Richmond, Norfolk, Cumberland,
Rochester, Portsmouth u. a.), das zur Zeit der Entdeckung ein großer Ur-
wald war (Vermont, Pennsylvanien), erschlossen die Franzosen die Strom-
gebiete des Mississippi, Ohio und St. Lorenz (New Orleans, Baton Rouge,
Wansville, Louisville, St. Louis, La Crosse, St. Paul, Montreal u.a.). Das
Gebiet wurde zumeist unter der Herrschaft Ludwigs XIV. (Namen!)
erworben, später aber bis auf die Inseln
St. Pierre und Miquelon, die Stützpunkte
der Seefischerei auf den Neufundlandbänken,
an England abgetreten. Mehrere Namen in
der Umgebung von New York, das früher
Neu-Amsterdam hieß, weisen darauf hin,
daß auch die Holländer kurze Zeit an der
Hudsonmündung saßen (Yonkers, Haarlem-
river, Oranje, Hoboken).
Im Unabhängigkeitskriege (1776 — 1783)
machten sich die Neuenglandstaaten als Ver-
einigte Staaten selbständig und nannten ihre
neue Hauptstadt Washington. Schon zur
Gründungszeit reichte ihr Gebiet im Westen
bis zum Mississippi, 1803 kam das westliche
Mississippibecken hinzu, später Florida und
die südlichen Felsengebirgsstaaten , welche
Mexiko abtreten mußte (Neu -Mexiko), als 37. Zur Namenkunde Amerikas,
die Union diesesan Einwohnerzahl überholte.
In jahrelangen Aufständen macht sich auch das spanisch-portugiesische
Kolonialgebiet frei und bildet die Republiken des Lateinischen Amerikas 0,
so daß heute nur noch Kanada (das erst in den letzten Jahrzehnten wirt-
schaftlich von Bedeutung wurde), einige Inseln Mittelamerikas und
Guayana europäischer Besitz sind, während Alaska, Kuba und Portoriko
schon von der Union erworben wurden, die auch Mittelamerika durchdringt.
Ein wichtiges Bevölkerungselement sind außer Indianern und Weißen
auch die Neger, die in Haiti und der Dominikanischen Republik eigene
Staaten bilden.
In außerordendlichem Umfange haben sich daneben die Mischrassen der
Zambos, Mestizen und Mulatten entwickelt, denen der größte Teil der
mittel- und südamerikanischen Bevölkerung angehört. Auch die Kreolen
sind meist Mischlinge.
*) ihre ständigen Revolutionen, besonders in den zuerst besiedelten Kor-
dillerenstaaten, scheinen nur eine Folgeerscheinung der unruhigen ersten Aben-
teurerbesiedler, so daß ich von Konquistadorenstaaten (Mexiko bis Bo-
livien) sprechen möchte.
Das atlantische Gebiet. 155
Während im Verkehr Südamerikas die Flüsse eine große Rolle spielen,
stehen in Nordamerika die Eisenbahnen im Vordergrunde, und der Ver-
kehr auf den großen Strömen, die immer mehr versanden, nahm sogar
ab. Eine Ausnahme macht nur das Gebiet der großen Seen mit seinem
gewaltigen Binnenverkehr, durch den neuerdings kanalisierten Lorenz-
strom und den Eriekanal mit dem Meere in Verbindung stehend (See-
häfen New York und Montreal). Beide Wasserwege sind die Hauptschlag-
adern der Neuen Welt und das um sie liegende atlantische Amerika die
großartigste Industrielandschaft der Erde.
Das atlantische Gebiet.
Das atlantische Gebiet umfaßt die Appalachen nördlich des Potamac
einschließlich der ihre Fortsetzung bildenden Insel Neufundland, sowie
die Küstenebene bis Baltimore im Süden.
Das heute noch dicht bewaldete Gebirge ist reich an Eisenerzen und
Kohlen, die Küste außerordentlich gegliedert, die Flüsse reich an Wasser-
fällen und Stromschnellen.
Der Süden bildet als »Neuenglandstaaten « den Kern der Union; auf
360000 km^ siedeln 22 Millionen Einwohner (Zuwachs — seit 1871 =
130"/o) und die Dichte ist mit 55 für Amerika ungewöhnlich hoch.
Unter den 25 Großstädten sind die drei Millionenstädte Groß-New York,
Philadelphia und Boston, Baltimore ist Halbmillionenstadt. Diesen Riesen-
städten gegenüber steht die Beamtenstadt Washington an Einwohnerzahl
weit zurück. In Pennsylvanien herrscht Eisenindustrie und Kohlenbergbau
vor, in New York Maschinenbau und elektrische Großindustrie, in Massa-
chusetts Textilindustrie.
Während des Krieges ist New York mit beinahe 8 Millionen Einwohnern
die größte Stadt der Erde geworden. Sein Hafen ist unvergleichlich, zu-
dem laufen in ihm die wichtigsten Eisenbahnlinien 0 der Union zusammen;
auch endet hier der Eriekanal, der seit 1905 erweitert wird, so daß
ihn Schiffe von 2000 Tonnen befahren können. So ist es die größte
Fabrikstadt der Erde geworden und vermittelt den größten Teil des Über-
seehandels der Union.
Viel geringer ist die Entwicklung des kanadischen Anteils gewesen,
indem auf 240000 km' nur 1,2 Mill. Einw. (Zuwachs = 30 "^/o) woh-
nen. Die Dichte beträgt 5, und die Hauptsiedlungen Halifax und St. Johns
sind Mittelstädte geblieben. Nicht gering sind aber die Zukunftsaussichten
einzuschätzen; neben großen Flächen, die dem Ackerbau und der Vieh-
wirtschaft erschlossen werden können, weist die Insel Kap Breton große
Kohlenlager auf, und Neufundland ist überreich an Eisenerzen.
1) An dieser Stelle gibt man an Hand einer Skizze einen Überblick über
das Netz der Eisenbahnen, deren Hauptstränge die Pazifikbahnen sind. Wir
bemerken, daß die Bahnen sich im Privatbesitz befinden und die ehemals
blühende Binnenschiffahrt zumeist erdrosselt haben.
156 XVII. Amerika.
Das Seengebiet.
Westlich der Appalachen erstreckt sich das Seengebiet. Es umfaßt in
Kanada den Nordsaum der Seen und die Gebiete des Ottawa- und Lorenz-
stromes, in der Union die Flußgebiete des Ohio und des Mississippi
oberhalb der Ohiomündung. Als Westgrenze kann man ungefähr den
95. Längengrad annehmen.
Nördlich der Seen überwiegt der Nadelwald mit der Weimutskiefer,
südlich dehnen sich an Stelle der ehemaligen Laubwälder (Lederstrumpf!)
die riesigen, heute durch Raubbau allerdings vielfach erschöpften Korn-
kammern der Union auf den fetten Moränen- und Lößböden aus. Dazu ist
das Gebiet reich an Eisen und Kupfererzen (Oberer See), Kohlen und Erdöl.
In Südkanada siedeln auf 800000 km- über 5Millionen Einwohner, das
Wachstum (Zuwachs = 70°, o) hat sich in den letzten Jahren gewaltig ge-
steigert. Montreal, Toronto und Ottawa sind Großstädte, namentlich hat
Montreal (700) an Stelle des zurückgebliebenen Quebeck den Handel des
Landes zentralisiert und ist Endpunkt der Seeschiffahrt auf dem Lorenz-
strom und der gegebene Naturhafen des Seengebietes. Eine große
Schwäche gegenüber New York besteht darin, daß der Strom fast fünf
Monate zufriert.
Im amerikanischen Seengebiet siedeln auf 1,2 Mill. km- 17 Mill,
(Zuwachs = 140), so daß die Dichte 14 beträgt. Gürtelartig legen sich
die Getreidegebiete um die noch heute mit Urwald bedeckten Staaten
Michigan und Wisconsin. Nördlich des 40. Breitengrades wird Weizen
gebaut, südlich zumeist Mais, die Grundlage für großartige Schweine-
zucht, dazu Tabak.
Der Brennpunkt für Handel und Verkehr ist die Dreimillionenstadt Chi-
kago, der größte Eisenbahnknoten der Union mit gewaltigen Schlachthöfen.
Pittsburg (800) ist der Mittelpunkl der Stahlindustrie, die sich neuerdings
dem für den Verkehr günstiger gelegenen Cleveland (700) zuwendet. An
den Seen liegen Buffalo (500), Detroit (600) und Milwaukee (500), das
Zentrum der Deutschamerikaner, am Ohio Cincinnati (500) und Louisville.
Große Getreidemühlen besitzt die an den Mississippifällen gelegene Doppel-
stadt St. Paul -Minneapolis (650), deren Hafen das aufstrebende Duluth
ist, in der Nähe der an Kupfer überreichen Halbinsel Keweenaw. Der
nächst Chikago wichtigste Eisenbahnknoten ist St. Louis (850), das bei
richtigem Ausbau der Wasserstraßen vielleicht die größte Stadt der Neuen
Welt geworden wäre.
Das Plantagengebiet.
Südlich des Seengebietes dehnt sich das Plantagengebiet aus, welches
die feuchtwannen Niederungen der Golfküste und der atlantischen Küsten-
ebene umfaßt. Zwischen beide schieben sich die dichtbewaldeten Süd-
ketten der Appalachen mit zahlreichen Sommerfrischen und großen Eisenerz-
lagern (Birmingham). In Florida üppiger subtropischer Urwald. Das
Wirtschaftsleben wird von der Baumwolle beherrscht, dazu kommt Anbau
von Mais, Zuckerrohr, Bataten und Tabak (Virginia). Während des
Die Prärien. 157
Sezessionskrieges (1861 — 1865) bildete das Gebiet die Konföderierten
Staaten, die auch eigene Briefmarken 0 ausgaben. Auf 1,5 Mill. km^ siedeln
22 Millionen (Zuwachs = 145), davon über ein Drittel Neger.
Die wichtigsten Häfen sind New Orleans (400), Galveston, Savannah
und Norfolk. Die Fallinienstädte (vor allem Richmond) sind Sitze der
Baumwollspinnerei, Birmingham blüht neuerdings durch Eisenindustrie
auf, während am Südrande der Appalachen Atlanta ein wichtiger Eisenbahn-
knoten und Handelsplatz ist. Die Ostküste Floridas mit ihren Winterkur-
orten ist die amerikanische Riviera, nach Kalifornien das wichtigste Obst-
land der Union.
Die Prärien.
Nach Westen zu werden die Wälder immer lichter und gehen endlich
in die Prärien über, die sich vom Rio Grande bis zum Athabaska er-
strecken, westlich durch das Felsengebirge begrenzt.
In den östlichen Niederprärien sind große Flächen der Grassteppen
in Ackerland verwandelt, daneben ausgedehnte Viehweiden. Doch leidet
der Ackerbau unter vielfach einsetzenden Dürren, wenn die vom Golf
kommenden Regen ausbleiben.
Die westlichen Hochprärien weisen zwischen Grassteppen vielfach
schon wüstenhafte Gebiete auf, so den Llano Estacado, die Mauvaises
Terres und Bad Lands. Inselartig überragen die Umgebung die Black
Hills mit ihren dunklen Waldungen. Die südlichen Prärien bedecken
2,2 Millionen km- mit 14 Millionen Einwohnern (Zuwachs = 300 "/o)- Die
Hauptsiedlungen liegen am Ostrande und sind durch Getreide- und
Viehhandel wichtig, wie Dalles, Kansas und Omaha. Am Rande des
Felsengebirges verhüttet der Eisenbahnknoten Denver die Erze des Berg-
landes von Colorado. Gewaltig ist der Aufschwung namentlich in Okla-
homa, dem ehemaligen Indianerterritorium, welches erst seit zwei Jahr-
zehnten der Ansiedelung durch Europäer erschlossen ist.
Die kanadischen Prärien (l Million km^') waren 1870 noch so
gut wie bevölkerungslos, wuchsen aber durch riesige Einwanderung im
letzten Jahrzehnt auf 1,3 Millionen an. Mittelpunkt des gewaltigen Weizen-
anbaues ist Winnipeg, von dem aus nach Westen zahlreiche Eisenbahnen
ausgehen. Die Getreideausfuhr, die über den Oberen See (Port Arthur)
erfolgt, soll in Zukunft nach York an der Hudsonbai gelenkt werden,
wohin eine Eisenbahn im Bau ist.
Das arktische Amerika.
Das arktische Nordamerika wird im Westen vom Mackenzie, im
Osten von den Flüssen entwässert, die der Hudsonbai zustreben. Im
Süden riesige Nadelholzwälder (Gegenstück zu Sibirien), im Norden
Tundren. Auf der gewaltigen Fläche von über 7 Millionen km- leben
nur 40000 Einwohner, die sich mit Holzflößerei und Pelztierfang
•) Man vergesse überhaupt nicht, die zahlreichen Beziehungen zwischen
Erdkunde und den Bildern auf den Briefmarken außer acht zu lassen. So
mancher Junge hat sein Interesse für Erdkunde auf dem Umweg über das
Briefmarkenalbum bekommen.
158 XVU. Amerika.
beschäftigen. Neuerdings kommt auch der Fischfang auf. Die Stelle der
Städte vertreten die Stationen der Hudsonkompagnie.
Ein Drittel Nordamerikas gehört dem Felsengebirge an.
Das Felsengebirgsgebiet.
Das Gebiet ist in Alaska und Britisch-Kolumbien dicht bewaldet
und reich an Kohlen und Edelmetallen (Yukon!). Auf 2,5 Mill. km-
wohnen nur 600000 Einwohner (Zuwachs 600 "/o), die zumeist im Tale des
Fraserflusses siedeln, wo auch Getreide angebaut wird. Hier liegt Van-
couver, der Endpunkt der südkanadischen Pazifikbahn, während Prince
Rupert, der Endpunkt der nördlichen Grand Trunk- Pacific, zur Zeit
nur aus wenigen Holzhäusern besteht. Große Kohlenlager sind für die
Zukunft des Gebietes wichtig.
Im Gebiete der Vereinigten Staaten beschränkt sich der Wald (1,2
Millionen km-) nur auf die pazifische Küste (vor allem Washington)
und die höheren Gebirge, die in den Staaten Montana und Kolorado
reich an Eisen und Kupfer sind. Die großen Becken im Inneren werden
von Grassteppen und Wüsten (1,5 Millionen km-) eingenommen, nur
im Gebiet des Columbiaflusses hat der regenspendende Seewind Zu-
gang, so daß wir hier große Ackerländer finden.
Durch Bewässerungskultur wird neuerdings viel Land urbar ge-
macht mit Anbau von Obst, Getreide und Zuckerrüben. Am dichtesten
siedelt die Bevölkerung im Tieflande von Kalifornien, der Umgebung
von Los Angeles, der Senke zwischen dem Unterlauf des Columbia-
flusses und der Pugetbai und dem Columbiatal.
Auf 2,7 Millionen km- wohnen 6,5 Millionen (Zuwachs 600%). In Mon-
tana und Kolorado viele Bergwerksstädte, vor allem Butte mit seinen
Kupferhütten. Spokane ist Mittelpunkt eines reichen Ackerbaugebietes,
die in gartenartiger Umgebung gelegene Salzseestadt Hauptort der Mor-
monen. Die Haupteisenbahnen enden in Seattle (400), dem gewaltig
aufstrebenden Hafen für die nördlichen, erzreichen Felsengebirgsstaaten,
zugleich mit großer Holzausfuhr, Portland, San Franzisko-Oakland (800)
und Los Angeles (600). Von diesen ist San Franzisko Haupthafen für
Kalifornien mit seinem riesigen Obst- und Getreideanbau; Los Angeles,
zugleich Mittelpunkt eines großen Erdölgebietes, liegt in einer gartenartig
angebauten Umgebung mit großer Ausfuhr von Obst- und Südfrüchten.
Landschaftlich weit bekannt sind die großen Täler am Westrande der
Sierra Newada (Yosemitetal), der Nationalpark am oberen Yellowstone
(Gelbstein) mit seinen heißen Quellen und Sinterterrassen und die tiefe
Kanonschlucht des Kolorado. Ein wundervoller Schmuck der westlichen
an Wasserfällen (Kaskadengebirge) reichen Ketten mit ihren hohen Nadel-
hölzern sind die Silberkegel der erloschenen Vulkane, während die Berge
der östlichen Ketten vielfach im eigenen Schutt ersticken und unschein-
barer sind. Wundervolle Landschaftsbilder zeigen die kanadischen Kor-
dilleren mit ihren großen Nadelwäldern — meist riesige Douglas-
fichten — , Moränenseen und Gletschern an die Alpen erinnernd, nur
unendlich viel einsamer.
Wirtschaftsleben des Angelsächsischen Amerikas.
159
Wirtschaftsleben des Angelsächsischen Amerikas.
Die Vereinigten Staaten — treffend Dollarika genannt — und Kanada
bilden das Angelsächsische Amerika und stehen weit über dem
übrigen Lateinischen Amerika. Fallen doch auf die Union allein
20 **; 0 der Fläche, aber über die Hälfte der Einwohnerzahl der Neuen
Welt. Während des Weltkrieges baute Wilson ihre Vormachtstellung — aller-
dings unter der Maske heuchlerischer Neutralität, bar jeder moralischen
Größe — gewaltig aus, während Europa sich zerfleischte, so daß sie
1919 von der Weltproduktion 52 Vo an Kohle, 70 »/o an Stahl, 75 an
Pr.Ruppprt-
S. Franz
S.Angeles
k.Tdmp.
r\'Qrcc.
Wasserweg?
— Hciupfbdhnpn
•-^ Häfen m.Grö55e
d.Schiffverkehrs
— NdHirlichpürenzen
.r;-LÖss N^' Weg er
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i-
38. Wirtschaftsleben der Union.
Mais, 66 an Erdöl, ein Drittel des Silbers, ein Fünftel des Goldes, ein
Viertel des Weizens und 85 °/o der Automobile erzeugte und auch ihr
Schiffbau — vor allem an der Delawaremündung — einen ungeheuren
Aufschwung nahm.
Der ehemals etwa ein Drittel der Union bedeckende Waldbestand ist
durch Raubbau (riesige Papiererzeugung) auf 25°/o zurückgegangen,
die Wälder umfassen zwar noch beinahe 2 Millionen km-, sind aber
forstwirtschaftlich noch wenig erschlossen.
Im Anbau von Nutzpflanzen lassen sich drei Zonen unterscheiden.
Nördlich des 45. Grades überwiegen Weizen und Hafer, bis zum 38.
160 XVII. Amerika.
Weizen und iWais, noch südlicher Baumwolle, Tabak, Zuckerrohr, Bataten
und Mais. Zuckerrüben werden neuerdings in großem Umfange in den
Felsengebirgsstaaten angebaut. Die Hauptobstgebiete sind Kalifornien
und Florida. Seit 1840, wo die Besiedlung den Mississippi überschritt,
ist die Union eine der größten Kornkammern der Erde mit etwa
1,7 Millionen km- Ackerland, von dem 200000 allein auf Weizen ent-
fallen. An Baumwolle erzeugen die warmen Golfstaaten über die
Hälfte der Welterzeugung. Die jähen Wetterwechsel und Wirbelstürme
richten jedoch viel Unheil an, befördern aber auch die Auslese hoch-
gradiger Nutzpflanzen. Vielfach aber sind infolge Raubbaues die Böden
erschöpft und stark auf die deutschen Kalisalze angewiesen, durch deren
Ausfall im Weltkriege die Getreideerzeugung stark zurückging. Zu ge-
waltigen Schätzen an Eisenerzen, Edelerzen, Erdöl und Kohlen (die
Kohlenfelder bedecken 800000 km-!) kommt als weiße Kohle die Kraft
der Wasserfälle, der Grundstein der gewaltigen elektrischen Industrie.
Im Verkehrsleben spielen die Eisenbahnen eine große Rolle; ihre
Länge wuchs seit 1870 von 80000 auf 430000 km an. Daneben ist
aber der Ausbau von Landstraßen ganz rückständig und die Wasserwege
vernachlässigt. Zu den Eisenbahnen kommen 60000 km elektrischer
Straßenbahnen, deren Netz sich von den Städten weit in die Umgebung
schiebt. Dies ist die Folge der riesigen Ausdehnung der schachbrett-
artig angelegten Städte mit ihrer vielfach sehr lockeren Bauweise und
der Trennung von Wohn- und Geschäftsvierteln.
Etwa 20 ''/o der Gesamtfläche entfallen auf unkultiviertes Ödland
(Wüsten, Salzsteppen und Hochgebirge) annähernd 32 Vo auf Grasländer
von verschiedener Güte. Sie sind die Hauptgebiete der gewaltigen Vieh-
zucht, welche die deutsche um das Dreifache, die russische und argen-
tinische um das Doppelte übertrifft, während der Pferdebestand (21 Mill.
gegen 4,5 in Deutschland) nur dem russischen nachsteht.
Vor dem Weltkriege entfielen 22% des Gesamtausfuhrwertes auf
Baumwolle, 4Vi,<'/o auf Maschinen, 2'/5 auf Erdöl, 4Vj auf Kupfer, etwa
ebensoviel auf Fleisch und tierische Produkte, beinahe ö^/o auf Getreide.
Während des Krieges haben sich die Verhältnisse völlig umgestaltet, und
in Zukunft wird man mit einer verringerten Ausfuhr von Getreide,
aber einer verstärkten von Kohlen und Edelmetallen zu rechnen haben.
Dazu baut die Union ihre Handelsflotte, die schon einmal (1860) der
englischen beinahe gleich war, großzügigst aus^).
Die Entwicklung Kanadas war lange Zeit durch diejenige der Union
gehemmt und hat erst seit 1900 ein schnelleres Tempo angenommen.
Unter den Einwanderern befanden sich neben Europäern auch viele
Landwirte aus den benachbarten Vereinigten Staaten. Von der Ausfuhr
fallen 30 "U auf Weizen und Weizenmehl, etwa 6 % auf Käse. In Zu-
kunft dürfte neben Steinkohlen und Eisenerzen namentlich Holz aus-
') Mit dem Erfolge, daß die Tonnage der amerikanischen Handelsflotte von
1914 bis 1920 von 4,3 Mill. Tonnen auf über 14 Millionen stieg und heute
27"/o der Gesamttonnage ausmacht (9,4 "/o 1914). In derselben Zeit ging der
Anteil der englischen von 45 auf 37^0 zurück!
Das Lateinische Amerika. 161
geführt werden, da auch den Getreideböden des südUchen Kanadas das
deutsche Kalisalz für einige Jahre fehlt.
Das Angelsächsische Amerika steht unbedingt im Wirtschaftsleben der
Neuen Welt weit voran, auf es fallen allein 63 Vo des Gesamthandels
des Erdteiles (51 % auf die Union, 12 "lo auf Kanada.
Die verschiedenen Einwanderer sind durch die Landesnatur zu einer
auch einheitlich fühlenden, vielfach indianerhafte Züge — Körperbau,
Lynchjustiz — tragenden Bevölkerung zusammengeschmolzen, von der
nur die Neger kontrastieren, deren Emanzipation infolge der Ereignisse
des Weltkrieges bedenkliche Fortschritte macht.
Das Lateinische Amerika.
Gegenwärtig macht das Lateinische Amerika gewaltige Anstrengungen,
sich von der Bevormundung durch die Union zu befreien. Nicht nur
haben Argentinien, Brasilien und Chile den ABC-Bund gegründet, sondern
auch die Staaten des mittelamerikanischen Festlandes haben sich politisch
zu kraftvollerem Zusammenarbeiten geeinigt, so daß vor allem wir
Deutschen auf diesen Teil Amerikas besonderes Augenmerk richten müssen,
da hier vielfach deutschfreundliche Strömungen vorhanden sind.
Mexiko.
Wir beginnen mit Mexiko, welches 1,8 Millionen km^ mit 14 Mil-
lionen Einwohnern (Zuwachs nur lO'^lo) umfaßt.
Im Innern dehnen sich Steppen und Salzwüsten aus, und die Berge
ersticken im eigenen Schutt, der sie bis auf die höchsten Kämme verhüllt.
Der Reichtum des Gebietes an Silbererzen, Gold, Kupfer und Blei hängt
mit der vulkanischen Tätigkeit zusammen, die am Südrande der Hoch-
fläche große, zum Teil schneebedeckte Vulkane aufgebaut hat.
Während wir im Inneren nur in der Umgebung der Flüsse Ackerland
(Weizen und Mais) finden und sonst Grassteppen mit Agaven und Kakteen
das Bild beherrschen, sind die Abdachungen zu den Ozeanen reich an
Niederschlägen, und die dichten subtropischen Urwälder machen immer
mehr großen Pflanzungen Platz, in denen Baumwolle, Südfrüchte, Kaffee,
Tabak und Zuckerrohr angebaut werden, wozu in den Urwäldern des
Südens viel Gummi gewonnen wird.
Die meisten Siedlungen liegen auf der gesunden Hochfläche des Inneren,
vor allem die Hauptstadt Mexiko (600) und die Bergwerkstädte Puebla,
Guadalajara, St. Louis, Zacatecas und Monterey. Der wichtigste Hafen an
der fieberschwangeren atlantischen Küste ist Vera Cruz, das den größten
Teil des überseeischen Handels vermittelt. An der pazifischen Küste fehlen
größere Häfen. Der Aufschwung des auch an Erdöl reichen Landes,
welches namentlich Silber (ein Drittel der Ausfuhr), Gold, Kupfer, Kaffee,
Felle, Agavenfasern und Gummi ausführt, leidet durch die endlosen inneren
Unruhen.
Olbridit, Der erdkundliche Lehrstoff. 11
162 XVII. Amerika.
Mittelamerika.
Südlich des Isthmus von Tehuantepec, den eine wichtige Eisenbahn-
linie quert, beginnt Mittelamerika. Zahlreiche hohe Vulkane begleiten
die Küste des Stillen Ozeans; zwischen die Waldgebirge des Westens und
den Golf von Mexiko schieben sich die großen Flachländer von Jukatan
und der Moskitoküste, die zumeist aus Schwemmland bestehen. Der herr-
schende Wind ist der Nordostpassat. Er überschüttet die atlantische Seite
mit einer Regenfülle, die das ganze Gebiet in dichten fieberschwangeren,
an Edelhölzern reichen Regenwald hüllt und die sumpfigen Küsten außer-
ordentlich ungesund macht, so daß sich die Bevölkerung auf der
pazifischen Seite zusammendrängt, wo auch die größten Städte
liegen, die Mittelpunkte der großen Kaffeeplantagen.
Auf 700000 km- wohnen 6,5 Millionen Einwohner, meist Mischlinge,
daneben 1,4 Millionen Indianer und 100000 Neger. In den Urwäldern
von Jukatan die Ruinenbauten der rätselhaften Maya. Die wichtigsten Sied-
lungen sind Guatemala, San Salvador, Leon und Panama. Fast zwei Drittel
der Ausfuhr entfallen auf Kaffee (Kaffeestaaten), daneben sind Edelmetalle
und Bananen wichtig. Der im Weltkrieg vollendete Panamakanal scheint
wirtschaftlich nicht die erwartete Bedeutung zu erlangen; für die Kriegs-
flotte der Union ist er hingegen außerordentlich wichtig. Der lange
geplante Nikaraguakanal wird vielleicht nach der staatlichen Vereinheit-
lichung Mittelamerikas in Angriff genommen werden.
Westindien.
Dichter ist die Bevölkerung auf den mittelamerikanischen Inseln,
wo 8,5 Millionen auf 340000 km- siedeln. In der Bevölkerung über-
wiegen ebenfalls Mischlinge neben den spanischen Kreolen, auf Haiti über
1 Million Neger. Fast die Hälfte der Ausfuhr der Inseln entfällt auf Zucker,
der namentlich auf Kuba, Portoriko, Jamaika und Trinidad angebaut wird.
Kuba baut außerdem Tabak an, Haiti Kaffee und die Dominikanische
Republik Kakao. Die größte Siedlung ist Havanna (400), neben dem nur
noch Port au Prince Großstadt ist. Große Urwälder können noch in
Plantagenland umgewandelt werden; vielfach wird durch Erdbeben großer
Schaden angerichtet. Am geringsten ist der Aufschwung in den Neger-
republiken Haitis mit ihren ständigen Unruhen^).
Die Andenstaaten.
Die Gebirge Mittelamerikas setzen sich fast lückenlos in den südameri-
kanischen Kordilleren fort, die bis zum Golf von Guayaquil in dichten
Regenwald gehüllt sind, während südlich bis Santiago ein mit Kakteen
und strauchartigen Kompositen (Pinea) bewachsenes Trockengebiet sich
ausdehnt, über das sich die Silberkegel der hohen Vulkane (Nevados ge-
nannt) erheben. In der Salpeterwüste der Atakama. erreicht die Trocken-
heit ihr Maximum.
•) Dieses und Nikaragua hatte die Union während der Wirren des Welt-
krieges militärisch besetzt.
Guayana und das Orinokobecken. 163
Chile dagegen erinnert mit seinen immergrünen Laubwäldern, Weizen-
feldern und Obsthainen an Südeuropa. Noch weiter südlicher wird das
Gebirge, dessen Gipfel ausgedehnte Gletscher tragen, auf der pazifischen
Seite von Nadelholzwäldern (Araukarien) bedeckt, während sich auf der
patagonischen Seite große Geröll wüsten einstellen.
Der Reichtum des Gebietes an Edelerzen steigert sich namentlich im
Silberlande Bolivien und hängt eng mit dem gewaltigen Vulkanismus
zusammen.
Das venezolanische Kordillerengebiet führt zumeist Kaffee aus, daneben
Kakao; Kolumbien, dessen Bevölkerung besonders im Magdalenental siedelt,
Kaffee, Gold und Bananen; Ekuador Kakao und Nüsse; das alte Inkaland
Peru Mineralien, Baumwolle und Zucker; Bolivien Edelmetalle und Chile
neben Salpeter (vier Fünftel der Ausfuhr) Kupfer und Wolle. In diesen
bis auf Chile ständig revolutionären Konquistadorenstaaten ist die
größte Siedlung Santiago de Chile (400), daneben sind Valparaiso, Lima
und Bogota Großstädte, Quito, Caracas, Medellin, Maracaibo, La Paz,
Concepcion und Guayaquil große Mittelstädte.
Das gesamte Andengebiet umfaßt 4,6 Millionen km"- mit 16 Millionen
Einwohnern. Auf die Blüte der Inkazeit und die kurze Periode der spa-
nischen Silbersucher folgte eine Zeit langen Verfalles, von dem sich das
Gebiet jedoch wieder erholt hat. Der größte Teil der Bevölkerung besteht
aus Indianern, Kreolen und Mischlingen, im aufstrebenden Chile auch
viele Italiener und Deutsche. Das im starken Ausbau begriffene Eisenbahn-
netz weist großartige Hochgebirgsbahnen auf, deren wichtigste zwischen
Santiago und Mendoza die Kordilleren durchquert.
Guayana und das Orinokobecken.
Das goldreiche Bergland von Guayana ist im Inneren mit Baum-
savannen bedeckt, an der Küste Regen wald (1,4 Mill. km^' mit 1,3 Mill.
Einwohnern). Der zu Venezuela gehörende Anteil ist noch ganz uner-
schlossen, im europäischen Kolonialland ausgedehnter Plantagenbau, der
in Britisch-Guayana am höchsten entwickelt ist. Neben tropischen Pro-
dukten wird besonders Zucker ausgeführt.
Ebenfalls so gut wie unerschlossen ist das Orinokogebiet(300 000 km ^
mit 800000 Einwohnern), das an der Küste dichten Urwald, im Hinter-
lande die Grassteppen der Llanos aufweist und Gummi und Häute ausführt.
Amazonien.
Das gewaltige Tiefland des Amazonen Stromes ist ein fast geschlos-
sener Urwald (Selvas), von großen, wasserreichen Flüssen durchströmt.
Amazonien gehört zumeist zu Brasilien, im Westen auch zu Kolumbien,
Ekuador, Peru und Bolivien. Fast neun Zehntel der gewaltigen Gummi-
ausfuhr, die infolge der raubbauartigen Gewinnung neuerdings vom Plan-
tagengebiet des südlichen Asien überflügelt ist, fallen auf Brasilien. Die
Einwohnerzahl (2 Millionen auf 4,9 Millionen km-) ist gering, die Haupt-
orte Para (Belem) und Manaos.
11*
164 XVII. Amerika.
Das Hochland von Brasilien.
Tropischer Regenwald umkränzt in schmalem Gürtel die Küsten der
Brasilischen Masse. Nördlich des 10. Breitenkreises herrscht der Caa-
tinga genannte Trockenwald vor, der sich entlang der Flüsse auch weit
nach Süden erstreckt; südlich des Wendekreises reichen Araukarien wälder
beinahe bis an das La Platagebiet. Das Innere des Hochlandes erfüllen
die Campos mit ihren hohen Gräsern, nördlich des La Plata finden wir
eine an die Pampas erinnernde, mit Gräsern bedeckte Distelsteppe, die sich
längs der Küste bis Porto Alegre erstreckt. Die Schiffbarkeit der großen
Flüsse wird durch Stromschnellen sehr beeinträchtigt, deren Wasserkräfte
in steigendem Umfange ausgenutzt werden, ein großes Eisenbahnnetz ist
im Ausbau.
Auf 4,9 Mill. km- siedeln 22 Mill. Einwohner (Zuwachs = 100 "/o).
Haupterzeugnisse sind Kaffee (zwei Drittel der Ausfuhr!), Baumwolle
(neuerdings im Lande versponnen), Tabak, Tee und Kakao 0- Südbrasilien
führt auch Leder und Felle aus, das äußerst viehreiche Uruguay dazu
Wolle und Fleisch (Fleischextraktwerke in Fray Bentos). Die größte Sied-
lung ist die Millionenstadt Rio de Janeiro, der Hauptkaffeehafen Santos.
Großstädte sind Recife, Bahia, S. Paulo (500), Porto Alegre und Monte-
video (400).
Die La Platastaaten.
Den Rest Südamerikas umfaßt das La Platagebiet. Im Norden über-
wiegen Flußanschwemmungen, in der Mitte (zwischen La Plata und Colo-
rado) fruchtbarer Lößlehm, im Süden Moränensande und Kiese des großen
Inlandeises, das zur Eiszeit Patagonien überdeckte. Dazwischen inselartig
Trümmer alter Gebirge. Die südbrasilischen Araukarienwälder finden sich
auch im Flußgebiet des Parana und Paraguay, die weit hinauf schiffbar
sind. Der Gran-Chaco ist eine mit Wachspalmen bedeckte Grassavanne,
östlich dessen sich die Urwälder des Ostfußes der Kordilleren bis zum
30. Breitenkreise erstrecken. Weiter südlich vorwiegend Steppe, die im
Osten als Grassteppe (Pampas) ausgebildet ist und nach Westen zu in
wüstenartige Strauchsteppen übergeht. In Patagonien zwischen Geröll-
wüsten einige Sträucher. Die Siedlungen am Kordillerenrande liegen in
Bewässerungsoasen mit Anbau von Obst und Südfrüchten.
Politisch gehört das lößreiche Gebiet zu Paraguay und Argentinien,
auf beinahe 3 Mill. km" leben 8 Mill. Einw. (Zuwachs = 300 7o), die Ein-
wanderung war gerade im letzten Jahrzehnt in Argentinien außerordentlich
groß. Am dichtesten siedelt die Bevölkerung in der Ackerzone zwischen
Buenos Aires (mit 1,8 Mill. Einw., der größten Stadt Südamerikas und
Mittelpunkt eines großen Eisenbahnnetzes) und dem aufstrebenden Bahia
Bianca. Mittelpunkt des großen Viehzuchtgebietes istCordoba, Rosario der
Hauptausfuhrhafen für tierische Produkte und Getreide.
*) Es sei nochmals ausdrücklich betont, daß bei den Einwohnerzahlen der
Zuwachs gleichmäßig seit 1871 berechnet ist, während bei dem Handel die
letzten Zahlen vor dem Kriege (meist 1912 und 1913) angegeben wurden.
Zeigen doch die seither bekannt gewordenen jüngeren Zahlen noch zu sehr
die Nachwirkungen des Krieges.
Die Arktischen Inseln. 165
Über 150000 km^ der Fläche Argentiniens sind Ackerland (davon
100000 km- Weizen und Mais). Fast die Hälfte der Ausfuhr fällt auf
Weizen und Mais, je ein Zehntel auf Häute, Fleisch und Wolle. Gewaltige
Flächen können aber hier, wie im Inneren Brasiliens, dem Ackerbau und
der Viehzucht erschlossen werden. Jahrzehntelange Unruhen erschwerten
die Entwicklung Paraguays, das besonders Holz, Häute und Tabak ausführt.
Von den Haupthäfen des Lateinischen Amerika liegt die Mehrzahl auf der
atlantischen Seite, die beinahe 80 Vo des Verkehrs vermittelt. Auf der pazi-
fischen Seite folgen auf Valparaiso die Salpeterhäfen Antofagasta und Iquique.
Skrupellos versuchte die Union immer mehr das Lateinische Amerika
wirtschaftlich zu durchdringen, um so die ihm fehlenden tropischen
Rohprodukte billig zu beziehen (Imperialismus und Monroedoktrin!).
Im Weltkriege stellte sich die Mehrzahl der süd- und mittelamerikanischen
Staaten auf die Seite der Entente; einmal um auf diese Weise ihre Roh-
produkte (vor allem Kaffee und Gummi) loszuwerden, daneben aber lockte
auch, abgesehen vom wirtschaftlichen Druck, der Verkauf des in den Häfen
internierten großen deutschen Schiffsraums. Bemerkenswert ist, daß die
Stimmung zuerst in dem ehemals portugiesischen Brasilien umschlug,
während Mexiko, das am meisten spanisches Blut in seiner Bevölkerung
hat, die Neutralität am besten wahrte. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte
wird aber die Mehrzahl der amerikanischen Staaten die Handelsbeziehungen
mit den Mittelmächten schon aus dem Grunde wieder aufnehmen müssen,
weil sie einen großen Teil ihrer Erzeugnisse allein in den Ländern der
Entente gar nicht absetzen kann.
Die Arktischen Inseln.
Polwärts flutet das Meer über den nordamerikanischen Kontinentalsockel
und bildet die arktischen Inseln, die schon kleine Inlandeisdecken tragen.
Der grabenartige Einbruch der Baffinbai und Davisstraße trennt sie von
Grönland. Sein Inneres nehmen wahrscheinlich von einzelnen Kuppen
überragte Hochflächen ein, den norwegischen Fjelds vergleichbar; es ist
aber völlig unter einer Inlandeisdecke vergraben. Eisfrei sind nur die Rand-
gebiete, deren tief eingeschnittene Täler das Meer überflutet hat. Hier endet
auch das Inlandeis in langen Gletscherzungen. Die kalbenden Gletscher-
enden führt der Labradorstrom als Eisberge weit nach Süden, wo sie eine
stete Gefahr für die Schiffahrt sind (Untergang der Titanic). Die Eisberge
schmelzen im Golfstrom, und ihr Schutt bildet die Neufundlandbank und
östlich der Küste von Neuschottland die Sable (Sand) -Insel.
Während die arktischen Inseln völlig unbewohnt sind, siedeln unter
dänischem Schutz an Grönlands Südwestküste 14000 Eskimos, die sich
von Fischfang nähren.
Die Fläche von Arktika beträgt 2,4 Mill. km^, dürfte sich aber durch
Landentdeckungen im Nordwesten noch erheblich steigern.
Antarktika.
Die südamerikanischen Kordilleren setzen sich in den Falklandinseln,
Südgeorgien, den Sandwichinseln und den südlichen Orkneyinseln fort,
166 Schlußbetrachtunsf.
noch weiter südlich in den Gebirgen des Grahamlandes, dessen westliche
Ketten nur noch als Inseln das Meer überragen. Die neuesten Forschungen
machen es wahrscheinlich, daß auch die Gebirge des Viktorialandes mit
ihren hohen Vulkanen (Erebus und Terror) zu diesem Gebirgszug gehören.
Er bildet dann den steilen Rand eines gewaltigen, ganz von Inlandeis über-
deckten Kontinentes Antarktika, der im übrigen eine wenig gegliederte
Hochfläche dem Australkontinent vergleichbar ist; seine Größe kann man
auf mindestens 12 Mill. km- berechnen. In früheren Zeiten wies Antarktika
einen reichen Pflanzenwuchs auf und hing mit Südamerika und Australien zu-
sammen. Auch Zusammenhänge mit Südafrika scheinen bestanden zu haben.
Während aber. Arktika hoch Amerika zugerechnet werden kann, bildet
Antarktika einen selbständigen Erdteil, zu dem wir auch die meist un-
bewohnten Inselgruppen des südlichen Indischen und Stillen Ozeans rechnen
können. Die in ihm durch die neuesten Forschungen festgestellten föhn-
artigen, vom Eise herabwehenden Winde haben auch klärend auf das Problem
der Entstehung des Lößes eingewirkt, der gürtelartig die Ränder der ehe-
maligen Inlandeisdecken Europas, Nordamerikas und Patagoniens umkränzt.
Schlugbetrachtung.
Bis auf die arktischen Länder ist der größte Teil der Erde in das Wirt-
schaftsleben des Menschen einbezogen, und auch in ihnen beginnt,
er die eisfreien Teile zu besiedeln und zu erschließen.
Bildete er anfangs Sippen, dann Stämme, später Nationen, so erkennen
wir heute immer klarer den Trieb, sich zu großen Wirtschaftsgebieten —
Staaten höherer Ordnung — zusammenzuschließen.
Die großen Wirtschaftsgebiete.
Das größte derselben ist das anglofranzösische mit Portugal und
Belgien als Vasallenstaaten. Neben den Mutterländern umfaßt es das Indische
Imperium (einschließlich Australiens), fast ganz Afrika, den größten Teil
Vorderasiens und Kanada, von kleineren Restkolonien abgesehen. Seine
Fläche beträgt etwa 50 Mill. km- — von den Polargebieten abgerechnet
37 "/o der Erdoberfläche mit 590 Mill. Einwohnern (35 °/o), die einen Handels-
umsatz von über 40% des Welthandels aufweisen.
Ein zweites Wirtschaftsgebiet bildet sich im Anschluß an die Vereinigten
Staaten aus, besonders diese und Mittelamerika umfassend, wozu das immer
mehr von der Union durchdrungene Südamerika und die Philippinen mit
Hawai als Etappe kommen. Ohne Kanada, das sich ihm wolil einmal an-
schließen wird, umfaßt dieses Panamerika etwa 33 Mill. km- (25" «) mit
beinahe 200 Mill. Einwohnern (12''/o) und einem Handelsumsatz von etwa
30 Milliarden (ITVo). im Weltkriege ist es sehr gestärkt worden, da von
ihm nur die Union im letzten Kriegsjahre wirklich in den Krieg aktiv hinein-
gezogen wurde. Doch machen sich auch wieder Bestrebungen Südamerikas
(ABC-Staaten) bemerkbar, selbständiger vorzugehen, so daß eine Zwei-
teilung im Bereiche der Möglichkeit liegt.
Die Splitter der Neutralen. 167
Ein drittes Wirtschaftsgebiet beginnt sich unter japanischem Einflüsse zu
entwickeln und sei als ostasiatisches bezeichnet. Es umfaßt nicht nur
China, die Mandschurei und das russische Küstengebiet, sondern auch
Mikronesien und sucht sich über Hinterindien auszudehnen, wo namentlich
Holländisch-hidien noch eine schwere Stellung haben wird. Man kann es
auf etwa 13 Mill. km- (10%) mit 400 Mill. Einwohnern (25%), aber eintm
Handel von nur 6 Milliarden (3,5 %) schätzen, dem jedoch ein großer Auf-
schwung bevorsteht, wenn China aus seiner Lethargie erwacht.
Die Splitter der Neutralen.
Außerhalb dieser großen Wirtschaftsgebiete, die zusammen beinahe
dreiviertel der Ökumene, beinahe ebensoviel ihrer Einwohnerzahl und
65% des Welthandels umfassen, krankt die Welt an Zersplitterung.
Weder die europäischen »Neutralen« — dieser Ausdruck ist auch heute
trotz des Völkerbundes noch sachgemäß! — bilden eine geschlossene Ein-
heit, noch das übrige »balkanisierte« Europa, und der Traum öines deutsch-
russischen Wirtschaftsblockes dürfte nicht so bald zur Wirklichkeit werden.
Die Reibungsflächen.
Zwischen diesen Wirtschaftszonen liegen naturgemäß ausgedehnte
Reibungsflächen. Eine solche ersten Grades ist der Orient, den der
russische Bolschewismus mit seinen Ideen zu durchtränken sucht; eine
zweite Hinterindien, das Kampfgebiet zwischen englischem und japanischem
Handel, wobei letzterer auch schon in Vorderindien einzudringen sucht.
Reibungsflächen zwischen ostasiatischem und panamerikanischem Imperia-
lismus bestehen endlich auch in den Philippinen, Teilen Chinas (Jangtsetal)
und Mikronesien. Erwähnt wurde bereits, daß Südamerika den Versuch
macht, auf eigene Hand mit Europa Handel zu treiben, um so namentlich
seine Getreideernten, Fleischvorräte, Felle, Häute, Baumwolle und Wolle
loszuwerden.
Auch wir Deutschen sind augenblicklich nur Körner zwischen diesen
Mühlsteinen der Weltpolitik und würden einer beinahe verzweifelten Zu-
kunft entgegengehen, wenn nicht die großen Reibungsflächen zeigten,
daß die Aufteilung der Erde noch nicht endgültig vollzogen ist,
sondern unter Umständen noch Überraschungen bevorstehen.
Erziehen wir aber unsere Jugend weniger zu einem Glauben an solche,
als zu gediegener, selbstloser Arbeit — war doch »Pflichterfüllung, die
keiner sieht«, nach Bismarck das Geheimnis deutscher Kraft — , dann
werden wir die schwere Übergangszeit noch am besten überstehen.
VERLAG VON FERDINAND HIRT IN BRESLAU
Rüsewald, Oberlehrer Dr. K.
Praktische Erdkunde
Übungen und Beobachtungen.
Mit 82 Abbildungen und Kartenskizzen. 1914. Geh. 3 M., geb. 3.50 M.
Die „Pädagogische Warte" schreibt 1914 in Heft 20:
„. . . Bietet Lehrern und Schülern trefflidie Anregungen und Winke, erdkundlidie Aufgaben durdi
praktische Übungen, Beobaditungen und Versudie im Sinne der Arbeitsschule zu lösen. Da es sich
dabei naturgemäß hauptsächlich um Fragen der Heimatkunde handelt, so wäre der Titel „Praktische
Heimatkunde" vielleicht vorzuziehen gewesen."
Kerp, Schulrat und Kreisschulrat H.
Führer bei dem Unterricht in der Heimatkunde
Mit etwa 10 Zeichnungen und Skizzen.
6. Auflage. 1921. In Vorbereitung. Etwa 145 S. Kartoniert etwa 6 M.
Lerche, Oberlehrer O.
Heimatkunde für Grojßstadtschulen
Kurze Methodik für das dritte Schuljahr.
Mit 20 Abbildungen. IV und 48 S. 1914. Preis kartoniert 1 M.
Die „Monatssdirift für höhere Schulen", XV, Jahrgang, schreibt auf S. 214:
^ Sie will das Verständnis für die Gesamtheit großstädtischer Hochkultur pflegen, will
die geographischen Grundzüge der Stadt und ihrer Umgebung verdeutlichen, die Fähigkeit eines
Ziireditfindens mit Hilfe eines Planes erzeugen und vornehmlich das Gefühl der Zugehörigkeit zu
einem großen Ganzen, das stolze Bewußtsein der Bodenständigkeit wachrufen, durch das die Han-
seaten ebenso wie die Athener sich als ein Adelsvolk gegenüber den Barbaren fühlten; sie will
somit das Höchste erreichen, den Heimatsinn, den Bürgersinn, die wichtigen Grundlagen völkischen
Selbstgefühls "
Reinhard, Prof. Dr. R.
Die Welt nach dem Friedensschluß
Ein geographisch-wirtschaftspolitischer Überblick.
2.neubearb.Aufi. 48S.mit 19 Kartenskizzen u.graph. Darstellung. 1920. Geh.2M.
Das Heft gibt in drei Hauptkapiteln — Deutschland, Europa, Die außereuropäische
Well — einen knappen Überblick über die durch den Krieg herbeigeführten geographischen Ver-
änderungen. Es zeigt die Folgen von Versailles in ihrer geographisch-politischen und wirtschaftlichen
Bedeutung für das deutsche Volk und die weltpolitische Stellung Englands, der Union und Japans.
Reinhard, Prof. Dr. R.
Weltwirtschaftliche und Politische Erdkunde
in ausgewählten Kapiteln.
Mit 50 Kartenskizzen u.graph. Darstell. 2.durchges.Aun. 1921. 1408. Kart. 4,50 M.
Die bekannte Zeitschrift „Wc It wi r tscii af t " 1919, Heft 11, urteilt darüber wie folgt: „. ... In
knappster I'orm wird eine große l-üllc wertvollsten Wissens dargeboten, und klar durchdachte, vortreffliche
Skizzen beleben den Text. Die Auswahl und Anordnung des Stoffes, der Guß des gedanklichen Inhalts
in die knappste, immer ansprechende I-orm kann als schledilhin meisterhalt bezeichnet werden..."
Zu den angekündigten Preisen tritt ein Teuerungszuschlag des Verlags
(Januar 1921: 100 Prozent).
Günther, Kirstein & Wendler in Leipzig.
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