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Full text of "Der evangelische Kirchengesang und sein Verhältniss zur Kunst des Tonsatzes"

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V 


£>er 


[*    JUN  X  l  1909 


unb 


fein  äSevfydltntfj 


.fünft  t>c6  £onfage6, 


bargeftellt 


@arf  Hon  SBtttterfelfc* 


(Srfter  Sljeil: 

Der  eoangettfd)e  Ätrcfyengefang  im  erfim  3af)rf)unberte  ber  Äirdjenocrbcfferung. 


Srucf  unb  ?8ertag  von  SSreitfopf  unb  Härtel. 


i§  . 


Digitized  by  the  Internet  Archive 
in  2015 


https://archive.org/details/derevangelischek01wint 


©einer  ßonigadjen  SDtajeftdt 


jUmigc  Hott  fyteuftm, 


meinem  allergnäbigften  Könige  unt>  ^errn. 


Mertmr  flauet)  tigfier  ©rofjm&tytigjto  Äönicj, 
^Uergrtdbigfter  $onicj  unt>  £err! 


(Stm  Ä*  3Äajeflät  wage  ich  bie  folgende  fünfte  unb  firchengefchichtliche  ©arftellung 
in  ttefftet  (Shtfürcht  allerunterthänigft  ju  itbeneidjen* 

'  @te  ift  nicht  allein  eine  %md)t  oon  3)iuf  eftunben  neben  meiner  eigentlichen  2Beruf6= 
thätigfeit  im  ©ienfte  @ro*  Äönigt,  SRajejMtj  ich  barf  fte  roof)l  aug  einer  früheren,  berufe 
mäßigen  ^ätigfeit  hervorgegangen  nennen,  3116  mir  in  früheren  Sauren  bie  obere  Leitung 
beö  9J?ufifmefenS  in  ©Rieften  ant-ertraut  mar,  fanb  tdt>  bort,  noch  ungeorbnet  unb  menig 
benufet,  fo  bebeutenbe  2>enrUiahle  ber  £onfunft  früherer  Sa^r^unberte,  fo  reiche  Cuellen 
namentlich  für  bie  ©efchichte  beS  ÄirchengefangeS  feit  ber  Deformation,  far)c,  fct)on  burch 
i^re  Drbnung  unb  ßnfnmmenflcttung  allein,  mich  fo  vielfach  belehrt  unb  geförbert,  baf  ber 
SBunfd)  in  mir  entfielen  muffte,  eine  »otlftänbige  Überficht  biefeg  bebeutfamen  S^geS  ber 
Äunfigefchichte  ju  gemimten,  auch  im  übrigen  3)eutfd)lanb  ben  Cuellen  ferner  nachju= 
f orfchen,  unb  burch  eine  ihm  eigenbS  gemibmete  2>arftetlung  nach  bem  9)faaf?e  ber  mir 
r-erliehenen  Gräfte,  fetber  einen  Beitrag  für  baß  Söerf  einer  allgemeinen  (Befrachte  ber 
Xonfunft  ju  liefern,  bie  nur  burch  grünbliche  ^orfdmngen  auf  ihren  einzelnen  Gebieten  ftd) 
allgemach  auferbauen  fann. 

©tefe,  tn  einem  £au»ttheile  nunmehr  »ollenbete  SarfteHung  @tt\  Äöntgl.  3tfajeftdt 
etgenbS  mibmen  p  bürfen,  mar  mein  innigfter  Söunfch,  <§ro*  ÄontgL  Stfajeftät  ©nabe  hat 
ihn  mir  gemährt  «schon  ber  ©egenftanb,  ber  3nhalt  biefer  ©arjMung,  merben  meinen 
SBunfch  rechtfertigen,  2)enn  c3  war  Sßteufen,  mo  bie  heilige  Sonfunft  in  ber  e»ange= 
lifchen  Äirche  am  Ochluffe  beö  fechjehnten  Sahrfmnbertö  ihre  höchfte  Slüthe  erreichte  5 


Sßteufjert,  won  bcm  unfet  gcmeinfames,  theuree  SBatcrlanb  je£t  fernen  Tanten  führt.  2Ubred)t 
bcr  ältere  wen  Sßranbenburg,  Greußens  erfter  <£jer$og,  wie  er  jebeö  cble  Streben  bes  menfct)= 
ltd)cn  ©eiftcö  pflegte  unb  förberte,  war  and)  einer  von  ben  frül)eften  ©önnern  biefer  Äunftj 
unter  bcr  üormnnbftf)aftttd)en  Regierung  9J?arfgraf  ©eorg  ^riebrid)ö  t-on  95ranbenburg= 
9lnsbacl)  mud)ö  fte  gebeihltd)  empor  burd)  ben  eblen  9Äetjier,  mit  bem  ber  te£te  2lbfd)nttt 
beö  jwetten  Sucres  ft'd)  befd)äfttgt.  $tefer  mar  in  feinen  legten  £ebcnöjahren  ju  Berlin 
am  ^ofe  beö  @hurfürften  3oI)ann  ©tgtömunb  iljättgj  uor  nunmehr  eben  $meihunbert  Sahren 
mar  es  feinem  treuften  unb  auögejeictjnetften,  bantale  fd)on  greifen  Schüler  geftattet,  eine 
erneute  SfaSgabe  ber  r>oqüglid)ften  SBevfe  feines  3ftetfter6,  met)r  alö  breiig  3al)re  nach 
beffen  $tnf$etben,  bcm  großen  6t)urfürften  griebrid)  Sötl^ettn  ju  überreichen.  @ö  mol)nt 
in  btefen  Seifen  eine  eigentümliche  Äraft  unb  i'ebenöfrtfche,  bie  fte,  auf  il)rem  ©ebiete, 
benen  ber  gleichzeitigen  großen  9Jieifter  3talicn6  ooltf  ommen  gleid)ftcllt.  5öar  es  mir  nun 
oergbnnt,  in  einem  engeren  Greife  fte  mieber  in  baß  £eben  p  rufen  unb  ihre  Äraft  ju  erpro; 
ben,  fo  glaubte  ich  eö  wagen  bürfen,  eine  §lugmal)t  berfetben  (£m.  Äbnigl.  9J?ajcftät, 
bem  erlaubten  äbfommlfage  bes  großen  Surften,  bcr  fid)  einft  baran  erfreute  unb  erbaute, 
nach  yr»ei  3al)rhunbcrten  ehrfurd)töt>oll  mieber  t>or$utegen.  2)enn  fxe  gehören  bem  23ater= 
lanbe  an,  fte  beengen  auf  baö  SSoUgültigfte,  baß,  auch  unter  meniger  günftigen  äußeren 
SBerbältnifien,  es  hinter  Italien  nicht  jutrürfblteb  in  einer  Äunfl,  bie  eben  bamalö  einen  hohen 
Sluffcbroung  nahm,  unb  baß  eö  bcr  cMitgelifchen  Ätrchc  nid)t  an  bem  frifchen  Sebenstrtebe 
gebrach,  burd)  ben  eblc  Stachen  bee  ©eifteö  gejeitigt  werben. 


2>ie  wafyre  .£eimatf)  folget  SBerfe  ift  bie  Äircfje  j  erft  wenn  jte  eö  tf)nen  hiebet 
geworben  ijt,  werben  wir  eine  f)eilige  Sonhmft  beft^en.  66  gebricht  ung  nicf)t  an  9J?eiftern 
augben  letjwergangenen  brei3af>rf)unberten,bie  für  immer  in  ifyr  l)etmtfct)  p  fe»n  »erbienen, 
es  mangelt  ber  (Begenwart  nicfjt  an  begabten,  burcf)  beren  (Schöpfungen  eine  heilige  £on= 
fnnft  neulebenbig  entfielen  fann,  wenn  fte  eine  heilige  (Stätte,  eine  äd)te  Söofmung  gcfunben 
bat,  welche  ber  Äunft  nicht  allein  eine  Ijeilfame  <Scf)ranfe  sieht,  fonbern  ihr  erft  bie  rccbte 
2Beif)e,  bie  wefentlidje  (Beftaltung  gewährt  2öie  bieg  in  bem  erften  3abrf>unberte  ber 
&ircf)cnr>erbefferung  gefchef)en  feo,  in  welchem  Serhältniffe  bie  Sonfttnft  bem  bamals 
tebenben  (Sefc^ledjte  überhaupt,  unb  t-ornehmlicf)  $u  ber  neu  erftehenben  et>angelifcf)en  Äircbe 
geftanben  habe,  welchen  wefentlichen  Ginflufj  bie  tf)ätige  S^eilnafyme  ber  ©emeine  an  bem 
©ottesbicnfte  auf  ihre  Gntwicflung  geübt  —  alles  biefeg  f)abe  tcf)  in  ben  fotgenben  flattern 
barpitcllen  üerfucht.  (Sie  haben  ihren  3wecf  erreicht,  wenn  eg  ihnen  gelang,  ben  lebenbigen 
3ufammenf)ang  ber  (Gegenwart  mit  ir)rer  Sßor^eit  wieber  ju  erneuern,  unb  jener  einen  gaben 
SU  gewähren,  an  bem,  wag  fie  l)erftellenb  unb  bilbenb  erretten  mochte,  fidjer  wieberuin 
fortgeleitet  werben  fann,  2)enn  eg  fehlt  ung  nicht  an  ehrenwerten  Sßerfucben  würbiger 
©eiftlid)er,  bie  Xonfunft  auf  rechte  SSeife,  nicht  alg  eitlen  $runf  unb  »ergänglicben 
<Sd)mucr",  fonbern  in  ihrer  wahrhaft  erbauenben  Äraft  in  ber  Äirdje  wieber  heimifcf)  ;u 
machen.  lochte  es  @w,  ÄönigL  Sftajeftät  gefallen,  tiefen  SBejlrebungen  jene  l>ulbreicf)e 
Slufmerffamfeit  ju  fdjenfen,  bie  überall,  wohin  fie  fich  wenbet,  nur  6ebeif>en  unb  (Seegen 
»erbreitet!  2)?öcbte  eg  möglich  werben,  im  3)Üttefyunfte  ber  ^auptftabt,  Slllen  pgängticb, 


(Stwas  tu  btefetn  «Sinne  ÜÄujkcfyfiftee  Ijtttjttfiellen,  an  baö,  wenn  et  fitf)  bewährte,  auef) 
erobere,  gleichartige  SScflrebungen  fid)  lehnen  würben!  @ö  ift  wol)t  nid)t  btoö  eine  jugenb= 
lHfy=ooretltge  £ofnung,  ba$  eine  neue  Äunftbtütfye  in  t)öd)ftein  ©inne  auf  btefent  Sßege 
entfielen ,  eine  frifcfye  Äraft  fid)  entwtefefa  tonne,  bie  an  bem  SSeflcn  genährt  waö  bie 
SSotjett  unö  bietet,  einer  wahren  ^eünatt)  in  ber  Ätrd)e  fid)  erfreuenb,  nid)t  mehr  in 
roterem  llmberfafyren  ^tct>  mtjjloe  jerfpttttern  würbe,  wie  es  bie  ©egenwart  tetber  felbft 
an  bervorragenben  latenten  erlebt  f)at. 

3n  ttefftet  (Sbrfurcftt  erfterbe  id) 


Berlin,  ben  ;Ucn  Setober  1842. 


a(leruntertl)anigfter 
»on  Söinterfelb. 


Rottete. 


(Sin  jefeeS  SBcif  mufj  atteä  (Sinjelne  in  it)m  an  feiner  ©teile  feurcf;  fict;  felbjt 
rechtfertigen,  aß  Sfjeit  bei  größeren  ©anjen,  feem  e§  angehört.  25esr)aI6  fann  eS  auct;  feie 
2lbftct>t  fetefer  SSorrefee  nicf>t  feijn,  eine  fotcfye  Diect)tfertigung  ju  üerfucfyen,  unfe  mit  if)r  feie 
©eneigtfjeit  feeä  SeferS  in  Slnfpruct;  §u  nefmten.  ©ie  roünfct;t  nur  mit  feemfel£>en  über  (Sin= 
jelneS  fxcf>  ju  v-erflänfeigcn,  roa3  im  Saufe  feer  ©arftelumg  nict;t  root)t  befprocf;en  roerfeen 
fonnte,  rceit  feiefe  eine  anfeere  Stiftung  §u  nehmen  t)atte. 

2)ie  Saaten,  üon  feenen  eine  funfTgefct;icfctIicr;e  3)arftettung  tjanfeett,  finfe  feie  Serfe 
feer  Äunft,  über  feie  fie  berietet.  @Iücf lieber  al§  alle  anfeeren  2)arfteltungen  fotct;er  2lrt 
finfe  feie  über  ein  beftimmteg  ©ebiet  feer  Sonfunfl  fict;  öerbreitenfeen.  3t)nen  ifr  es  üergönnt, 
feie  Sfjaten,  »on  feenen  fie  erjagten,  unmittelbar,  in  Dotier  Urfprünglicf;feit,  roenn  auct;  nicf>t 
öor  feaö  Dt)r,  feoct)  üor  feag  2tuge  feeä  Seferä  ju  lebenfeiger  2tnfct;auuug  §u  bringen.  2)er 
@efct;ict;tfcf;reiber,  feer  feiefeä  üerfäumte,  r)dtte  roefeer  feine  glücflicfje  «Stellung,  noct;  feaS  Sßefen 
feiner  Stufgabe  erfannt;  ja,  mau  roürfee  argroöfmen  feürfen,  er  berichte  nic$t  über  lebenfeig 
2tngefct)aute3  unfe  innertief;  (Srfat)rene3,  fonfeern  er$är)Ie  nur  9tnfeeren  na$,  trage  ir)re  23erict)te 
jufammen,  ftette  fie  $urect;t. 

©ünfiige  ^ertjeittniffe,  unfe  t>ietjd'f)rige ,  feuret;  fie  erleichterte  gorfdmngen  festen 
feen  ißerfaffer  feiefer  Blätter  altgemact)  in  feen  33efi§  fee3  S3eften,  \v>a3  feit  feem  beginne 
feer  Jlircr/enserbefferung  auf  feem  ©ebiete  feel  et>angelifcf;ett  <Sirct;engefange3  erroucf;3.  (58 
gelang  ir)m  §ugleict;,  einen  JlreiS  um  fict)  ju  berfammeln,  feuret;  feen  er  es  roiefeer  in 
fea§  Seben  ju  rufen  »ermoetnt.  (Sr  erfennt  es  mit  2)anfe  gegen  ©ort,  feafj  er  grofie 
greufee  unfe  (Srquicfung ,  ja,  roat)rt)afte  (Srbauung  feafeuret;  genoffen  f)at.  2)afs  er  aber 
auct;  feana$  trachten  mufjte,  es  ju  begreifen,  ju  feurcf;feringen,  als  einjelne  2t)at  eine!  grofjen, 
gemeinfamen  Sebeng  es  im  Sufanunentjange  mit  feemfetben  §u  erfennen,  unfe  feann  enfeticr) 
feaS  (Mannte  feurcf;  feie  <Scf>rift  fefi§ur)alten;  atteä  feiefeä  ift  mit  feer  ganjen  Dichtung  feine! 
(Strebend  $u  genau  öerbunfeen,  als  feafj  es  f)ätte  anfeerl  fe^n  tonnen. 

2BaS  feer  dinjetne  fammett,  feaä  fott  er  nict)t  al3  tofeten  <ö<f;a£  ankaufen,  fonfeern 
nufcbar  machen ;  roas  er  erfannt  Ijat,  fott  er  nic^t  in  fict;  tierf<f;liefjen,  fonfeern  alz  <©aamen= 

t.  SBintttfelb,  Ux  «sangtf.  <5$oral3tfang.  * 


forn  augfheucn,  in  t»cv  ,§ofnung,  ba§  eS  gru<$t  bringen  »erbe.  3to  biefer  Überzeugung  erfcheint 
bie  gegenwärtige  nmftgefchid)tlid)e  2)arftcllung  ,  unb  bie  if)r  beigegebene  «Sammlung.  SDiefe 
jumaljl  ijt  bcfttmmt,  eine  Icbcnbige  9Infd)auung  ju  gemähten  »on  ber  (Snmncflung  beg  mehiftum 
migen  geistlichen  Sicbergcfangeg  in  ber  coangelifd^en  Jtirche.  (Sie  mufjte  bat/er  in  ihrem  jeijt 
crfc^einenbcn  elften,  über  bas  16rc  ^a^^unbevt  fiel)  »erbreitenben  $f)eile,  fo  biel  alö  möglich, 
alle  gorinen  beg  .$onfa£eg  ju  umfaffen  fud>cn,  bie  auf  jenem  ©ebiete  im  Saufe  biefeg  %tit-- 
raunteg  hervortraten.  @g  burftc  feine  berfelbcn  uernacf)läfjtgt  werben,  bie  in  irgenb  einer  3trt 
auf  Selbftänbigleit  2tnfpruch  fyatte,  benn  in  einer  folgen  fyiegelre  ftd)  notr)wenbig  eine  ber 
mannigfachen  Stnucgiidihmgcn  jener  mctfmüibigen  3eit  ®ne  jebe  biefer  gönnen  gelangte 
freiliefe,  nicht  fdwn  bamalg  ju  genügenber  9Iugbilbung  unb  33oIlenbung,  manche  üielmef)r, 
anfeheinenb  vcniachläffigt,  muchg  fpätcv  erft  ju  bem  jenigen  heran,  mag  fte  ber  Äuuft  werben 
feilte.  So  ergiefet  eg  fiel;  beim  oon  felbfl,  bafj  unter  ben  in  unfern  Seifpielfammlung  ctfd)ei= 
nenben  manche  nur  beftimmt  fetyn  tonnten,  eine  befonbere  Stufe  ber  Äunfteittmirflung  barjm 
{teilen,  ja,  WofeI  nur  einen  Äeint,  aug  Welchem  erft  geraume  3ctt  nachher  eine  bebeutfame  33tüthe 
ftd>  entfaltete.  S5ennodj  mar  ber  SSerfaffer  bemüht,  feine-  Sammlung  fo  nt  orbnen,  bafj  bie 
3fte6,r$al)[  ber  bargebotenen  Sä§e  geeignet  feint  tonne,  einen  wirtlichen  Jtunftgcnufi,  ja,  wag 
beffer  ijt,  mar)rf;afre  Erbauung  51t  gewähren.  (5r  b,at  bag  nur  3)?erfwürbige  fyarfam,  bag  Sdmne 
unb  93ollenbetc  in  reicher  gülle  ju  geben  ftd)  angelegen  femi  laffen.  üDenn  b  a  8  tonnte  feine 
2tbftd)t  nicht  fer/n,  eine  Spenge  oon  allerr)aub  Seltenheiten  altcrtlnhnelnb  jufammenjuraffen. 
5)ie  Seltenheit  hörte  ja  unmittelbar  auf  mit  ber  burd)  it)n  herbeigeführten  allgemeinen  3ugäng^ 
lichfeit,  ber  »orübergef)enbe  9ieij  beg  2lbmeid)cnben  unb  Seitfamen  erfchöbfte  fid;  fealb;  ohne 
inneren,  Wefcutlid>en  3nfammenhang  biefer  SBerfe,  ohne  einen  tieferen  Suq,  ber  ju  ihnen 
bauemb  hinntleiten  fähig  mar,  mürbe  mau  ihnen  balb  feinen  23Iid  ferner  gegönnt  haben.  23ei 
benen  unter  ihnen,  bie  nur  eine  befonbere  Stufe  ber  Äunftcntmitflung,  einen  .Keim  für  fpätere 
(Entfaltung  barftctlten,  tonnte  ein  3«g  fold)er  2trt  nur  in  ber  Seiehrung  fid>  grünben,  bie  aug 
ihnen  ju  fdmbfcn  mar  über  bag  SBer^alrtii^  ber  5lbftcf;t  beg  Äünftlcrg  nt  bem  (Srfolge;  bei  ben 
ißollenbeten  bitvfte  bie  bauembe  greube  an  bem  Äunftmerfe  alg  folchem  mit  @ewif?r)eit  ermattet 
werben,  fobalb  man  nur  erft  fiefe,  befreunbet  haben  merbe  mit  ben,  juerft  Dielleicf)t  befrembenben 
Abweichungen  ihrer  formen,  fev;  eg  öon  benen  ber  (Srfcheimmgen  bei  Sagcg,  fer;  eg  öon  benjc= 
nigen  Schöbfungen  ber  SSor^eit,  melche  ber  ©egenmart  bi8  je|t  allgemad)  naher  getreten  maren. 

9fun  ifi  eine  gemiffe  a3ollftanbigfeit  bei  ben  formen  beg  ^onfa^cä  mohl  nod)  ju 
erreichen,  faum  aber  bei  ben  SKel  obieen.  5JJicht,  ba§  fte  unbebingt  auf  er  ben  ©renjen  ber 
EKöglichfeit  läge.  Stellt  man  fid)  aber  emmat)!  eine  fold)e  Aufgabe  innerhalb  eineö  befiimmten 
3eirraumeö,  fo  folgt  barauö  unmittelbar,  baf  eine  jebe,  felbft  üorübergehenb  unb  örtlich  nur, 
irgenbmie  in  ber  Äird)e  gültig  geroefene  SDJelobie  aufjunehmen,  ja,  auch  nnbebeutenbjte 
Stbmeichung  bei  einer  einjelnen  nid;t  ju  überfehen  fet).  23eler)rcnb,  erfprteplich ,  möchte  eine 
3ufammenftellung  folcher  9Irt  fer;n,  nur  nid;t  ^»affent)  alö  33eigabc  ju  einer  funjtgefchichtlichen 
2)ar{tel(ung.    Norbert  man  boch  nirgenb  üon  ber  @efchid)te,  auch  )D0  fie  fecn  engfien  Äreig  ftch 


gebogen  bat,  bajj  fte  innerhalb  beffelben  ein  jebeä  Sreigmfj  ofme  Ausnahme  aufgeteilte  unb 
beivaftve!  Die  SoüftäiuMgfeit,  feie  fte  511  erftrebett  bat,  famt  nur  eine  bedingte  ferm;  nur 
basjenige  gebort  tu  ibren  $krcid),  an  beut  ein  innerer,  geiftiger  3»fn»inienbang  bargetegt  tu  erben 
fann,  burd)  ben  es  aU  (ShtjeTneS  m-rftäublicb  toirb,  uub  fo  eine  gortlettung  in  biefem  (Sinne 
möglich  ma^tj  toettn  freilief)  ber  @efdncb, tfebreiber  ftets  ben  6, öderen  Kul)m  Serbien«!  tuirb,  bem 
cS  gelingt,  ein  bebetttfames  33ilb  aus  ber  reiebjten  ^ülle  bes  (Sinjelnen  51t  geftalten!  Die 
Jßollftänbigfeit,  bie  ber  Jöerfaffet  fjier  jtt  erreichen  fud)te,  ging  baf;in,  alles  bas,  tuoburef)  bie 
3Mobic  fid)  gehaltet,  jebe  fird>Iid)e  Jenart,  jebe  rf)tytf;mifd)e  @igentfn"tmltd)feit,  nid)t  in  ein$el= 
neu,  fonbem  vielen  Ratten  jur  2(nfd)auung  ju  bringen;  feiner  ber  Duellen  uorüberjugeljen,  auS 
betten  unfer  J?ird)engefang  fcfyopfte,  aus  äffen  früheren  3«f)tfyunberten,  bereu  ©rjeugniffe  er  ftd) 
aneignete,  bergfeieben  beran$ubringen,  wo  er  umbilbete,  bie  Utnbilbung  neben  bas  Umgebilbete 
ju  ftefleu,  entlüde  aber  auö  beut  ganjen  Greife  fird)ttd)er,  £itmaf)I  fejtlid)er  SSeranlaffungen,  benen 
Siebet  tuie  9)iefobicen  if)r  (Sntftefjen  uerbanften,  erlefene  SSeijbtele  in  einen  Dollen  Jtranj  §11 
fiepten,  bamit  burd)  fte  ein  frifd)es,  lebenbiges  93itb  früberer  fird)Ud)er  Staube,  fo  tueit  fte  tu 
ber  Sonfunjt  ftd)  abriegeln,  geiuäfnt  tu  erbe.  (Sin  frtfebes,  lebenbiges  33ilt> ,  aber  attdi  ein 
getreueö,  eines,  bas  neben  ben  33orjügen  ber  Sottftänbigfeit  unb  9lnfd)aulid)feit,  aud)  ben  ber 
Buöerlfiffigfeii  befuge.  Darüber  giebt  tnbef  bie  Anjeige  ber  Elueflen,  auö  betten  ttnfere 
93eifpicle  gefdjöpft  tuurben,  für  ftd)  «Hein  nod)  niebt  binreid)enbe  @etual)r.  Denn  bie  Üftefujafjl 
tiefer  33cifpielc  rtu)rt  aus  einer  3«t  f)er,  bie,  einem  alten  @ebraud)e  jufolge,  Sontuetfe  in  toev 
Art  tuie  fte  burd)  bie  Ausführung  vor  bas  ®ef)ör  gebracht  roerben  feilten,  nid) t  vollftänbig 
auneidmete;  bie  in  bieten  gatten  bie  3cid)en  Dorausgefe^ter  <5cf)ärfung  unb  drniebriguug  ein$el= 
net  Jone  luegliefj,  bie  richtige  Deutung  unb  Ausführung  aber  ben  (Saugern  anheimgab.  Diefcu 
verlieb  ntünflid)c  Seine  tut»  SKntoeifung,  oft  burd)  ben  Sonfe^er  felbjt,  ober  boef)  (Solche,  bie 
von  iljm  geleitete  Aufführungen  angehört  batten,  bafür  bie  nötige  a3cfab,igung.  2Btr  (Spätere 
fönnen  uns  nur  an  basjenige  galten,  tua3  in  fpärlid)cr,  fcbriftüd)er  Überlieferung  uns  an  3Sor= 
fcbjiften  barüber  aufbehalten  ift,  unb  biefe  ftnb  fetnestuegs  für  alle  %&ftt  genügenb.  Dennod) 
ftnb  üftanebe  ber  Auflebt,  ba£  man  ftd)  unbebingt  an  fte  ju  galten,  unb  nid)t  barüber  Zittaus; 
jugefjen  habe;  Aubere  glauben  bann  erjt  bas  Ked)te  jtt  treffen,  tuenn  fte  verlangen,  bafj  überall 
nur  bas  Aufgejetdmete,  uub  ttid)t  3Keb,r  ober  SBinber,  bie  Kegel  fer?n  bürfe  für  bie  Ausführung. 
Seber  bie  eine  nod)  bie  anbete  biefer  Anftd)ten  fann  aber  als  rtd)tig  gelten.  Die  letzte  bebarf 
faunt  einer  SSiberlegung ;  fd)on  baburd)  löf't  fte  ftd)  in  ftd)  felber  auf,  bafj  Kegeln  für  bie 
(S'rgän$ung  bes  Aufge$etd)neren,  aU  eine  J^atfacbe,  überaH  nur  öorfjant>eu  luaren,  bie 
4Jcotfnucnbigfeit  einer  (Srgdnjung  bamit  aber  fteb,  ausgefprod)en  finbet.  5lud)  ber  erften  fann 
jeboeb  in  ber  Aügemcinbeit,  toie  fte  ausgefprod)en  tuirb,  nic^t  beigeffimmt  tuerben.  3"  ttner 
btlbungsfräftigen  Seit  —  unb  mebj  »ieüeid)t  als  jebe  onbere  öerbient  bie  erfie  J&älfte  bes 
löten  ^«brhunberts  biefen  Kanten  —  fann  eine  Kegel  für  fünftlerifd)es  Silben  unb  Datftetfen 
faunt  für  bie  Dauer  ftd)  geltenb  mad)en.  ©ie  fprtd)t  nur  au§,  tuas  man  bis  baf)in  als  @efe§ 
bes  ©ilcens  erfannt  f>abe,  fte  jeiebnet  bie  ©renjen,  innerhalb  bereu  mit  Serouptfe^n  gebilbet 


morbcn  f«?;  aber  burcr)  ben  gortfc^vttt  ber  .Runjt  felbft,  burd)  bie  innere  (Sid)crr/eit,  mit  melcber 
ber  Jlunftbegabte,  bem  in  iljm  unbemußt  lebenben  ®cfe|c  zufolge,  fdjaft  nnb  bilber,  merben 
biefe  ©reujen  bafb  burcr)brocf)en,  cS  totefe  jene  (Menntniß  fdmcll  übermacf)fen,  nnb  roas  jte 
augfpraef),  crfcfyeint  bann  für  ben  21ugcnblid  ^öcf;ftenö,  roo  fte  e3  tr)at,  alä  allgemein  gültig. 
$)af)er  in  allen  3cfan  fcifi  bie  .Klage,  baß  ber  ©eniuS  bie  ^egel  beriefe,  ein  33ortmtrf,  ber  im 
beginnenden  16ten  3ar)rf;unberte  3>o§quin  be§  $re§  et»cn  fo  getroffen  f)at,  alö  33eetf)oöen  um 
breifntnbert  3af)re  fpätev.  33etrad)ten  mir  baS  gortroac^fen  ber  Äitnfi  mit  2lufmcrffamfeit  unb 
Siebe ,  fo  merben  mir  in  ifmt  ofmfefjlbar  bie  geheime  33eranlaffung  erlernten,  meiere,  bie 
2lu3nar)me  öon  bem  bisherigen  ©efclje  bebiugenb,  in  if/r  sugleici)  ba§  ^erüortreten  eines 
f)  öfteren  yerfünbet.  ^n  unferem  $alle  freiließ  tritt  ber  21nforberung  eineS  folgen  aufmerf= 
[amen,  licbeooll  prüfenden  ä3etrad)tenö  unb  ^orfcfycnö,  eine  eigeutf)ümlicf;e  Sdjroicrigfcit  entgegen. 
SBoran  follcn  mir  benn,  roirb  man  ermiebern,  jeneg  gortmac^fen  erfennen,  wenn  eine  feltfame 
©rille  bas"  «Ritnfhucrf  ntc^t  unmittelbar  fet/on  fo  aufjeidmete,  mie  es  junt  ©ef;ör  gebracht  merben 
follte?  mag  anberä  fann  unl  bei  ber  Sluöfüljrung  leiten,  aU  eben  bie  Oiegeln,  meiere  jene  Bei* 
für  biefelbe  feftftellte?  einer  trügcrifd)en  .Seitung  mürben  mir  uns  Eingeben,  meun  mir  neben 
ifmen  bie  Stnfprüc^e  ber  ©egenmart  geltenb  machten  auf  eine  %tit,  für  bie  fte  feine  ©ültigfcit 
befugen  fönnen!  3$  r>err;ef)le  mir  biefe  <Sd)mierigfeit  nicf;t,  allein  burd)  ba§  ftrenge  gehalten 
an  jenen  Stegein  mirb  fie  feineömcgs'  gelmben,  man  geratfj  baburef)  felbft  jumeilen  in  anfd)cinenb 
unlösbare  Q3ermirrung.         null  miä)  beutlid;er  barüber  erfldren. 

2)ie  Regeln,  meld;e  für  ©ct)ärfuug  ober  drniebrigung  einzelner  $önc  bei  bem  Vortrage 
ftet)  üorgefebrieben  finben,  unb  öermöge  bereu  mir  beufelben  bie  S8erfe£ung0jeid;en  be§  Dobbeln 
freujeg  ober  be3  b  ju  33eroollftänbigung  ber  91uf jeidmung  beizufügen  f)citten,  finb  folgenbe : 

1.  (Sin  öollcr  (Schluß  crf)eifd/t  bie  (?rf)ör)uug  ber  ftebenten  (Stufe  ber  biatonifd)en  Seiter 
um  einen  ^albton. 

2.  £)ie  übermäßige  Duarte  (ber  SritonuS)  unb  bie  berminberte  (falfdje)  Cluinte  finb 
ju  öermeiben;  too  fie  burcr)  bie  91usfür)rung ,  jtreng  nad)  ber  33orfd)rift  be§  Slufgejetdnteten, 
entftänben,  fjat  man  ben  Zon,  ber  fte  barftellen  mürbe,  um  einen  .^albton  ju  crf)öf)en  ober  ju 
emiebrigen,  bamit  ba§  reine  ©erij&Itntf  ber  £Utintc  unb  Ouarte  erhalten  merbe. 

3.  Sobalb  bie  fed;fte  Stufe  ber  biatonifd)en  Seiter  (a,  meun  mir  biefclbe  mit  C 
beginnen,  <1,  roenn  mit  F  unter  3Sorjeid)nung  eineö  1>)  nur  bie  folgenbe  über  ftd)  f)at,  unb  üon 
it)r  auä  nicf)t  meiter  auf*/  fonbern  abmdrtä  fortfd;reitct,  fo  iji  biefe  leiste  um  einen  ^atbton  ju 
emiebrigen ;  man  r)at  alöoann  nid)t  h  ober  e,  fonbem  b  unb  es  ju  fingen. 

4.  SDic  in  bie  £)cta»e  fd;reitettbe  Serte  ift  atlejeit  eine  große,  unb  muß,  mo  fie,  ber 
- 3tufjeicbnung  infolge,  eine  fo!d;e  nid;t  fe^n  mürbe,  um  einen  Jpalbton  gefd)ärft  merben.  — 

2>cr)  f)ab(  mid)  bei  21nfüfnung  biefer  33orfd;riften  ber  StuSbrücfe  nid)t  bebient,  meldte  alte 
Ser)rbüd)er  gebrauchen ;  fte  mürben  einer  ©tffeirung  unb  21uSeinanberfe§ung  bebürfen,  bie  ben 
Umfang  überfd;rittc,  ber  biefem  ißormorte  Dergönut  fei;n  fann.  ©einig,  baß  ifn*  (Sinn  in  bie 
»orangeljenben  Sßorte  treu  niebergelegt  ift.    ßben  fo  f;abe  icf;  in  ber  5)arjtelluiig  felbjr  fein 


S3cbenfen  getragen,  ^Bezeichnungen  anjuroenben,  t>ie,  toenn  aud)  erfr  neuerer,  felbft  neuefter  ßtit 
angehörenb,  bag  a3e$cid)nete  bod)  mit  SScjltmmt^eit  unb  (Schärfe  augbrüden,  toobet  man  beim 
freilief)  an  basjenige  nid)t  §it  benfeit  hat,  toag  bie  neueften  Sefngebdube  bannt  in  3ufammenhang 
bringen. 

2)ie  angegebenen  Siegeln  ftnb  nun  für  ben  gröfieften  SEfjeü  ber  aug  ber  elften  £älfte  beg 
16ten  3aljtt)tmbertö  ^erai^renben  £onfä|e  augreid)enb.  2Bo  ein  3roeifel  entfter)en  tonnte,  toirb 
felbft  bamalö  febon  ein  93erfct$iingg$eid)cn  f)in  unb  toieber  beigefügt.  @egen  bag  @nbe  biefeg 
3eitraumeg  gefd)ief)t  bieg  fd)on  ^äuftgev,  aber  beer)  nid)t  mit  völliger  golgered)tigfett.  £)ft 
läßt  ber  (Seiner  biefeg  Seiten  ba  toeg,  too  bte  ^Befolgung  jener  alteren  Regeln  unferem  £)r)re 
mißfällige  SSerbdltntffe  herbeiführen  toürbe.  (5inb  tote  nun  in  fotd)em  ^alle  leicht  entf^loffen, 
ung  an  bag  2lufge$eid)nete  ju  galten,  fo  begegnet  ung  an  anberer  ©teile  toieberum  ein  Mangel, 
ben  toir  nad)  jenen  ÜBorf Triften  notfnuenbtg  ergangen  müßten,  ober  an  einer  brüten  ftnbeu  toir 
bureb  ein  (M)öbungg  =  ober  (Srniebriguuggjeid)en,  bag  nicht  eigentlich  ben£on,  cor  bem  eg 
jter)t,  fonbent  bte  9? e gel,  bie  auf  benfelben  2tntoenbung  finben  toürbe,  betrtft,  bie  2lnbeutung 
gegeben,  bafi  ftc  Ijter  auggefd)loffen  bleibe,  bafi  bag  beigefügte  3eid)en  bagjenige  tilge  unb 
abtoef/re,  bas  or)ne  feine  ^Beifügung  anjutoenben  getoefen  toäre.  (Sg  ift  flar:  im  Allgemeinen 
hält  man  bie  Oteget  nod)  für  binbenb,  besr)alb  beutet  man  ir)re  2lugfd)liefhmg  augbrüdlid)  an, 
toie  man  bag  nact;  ir)r  Überflüfftge  in  ber  Aufzeichnung  gern  unterläßt  5  aber  man  ger)ord)t  aud) 
tuor)l  unbetoufjt  einem  r)ör)eren,  aug  frtfeber  ^unftenttoicflung  bet'öorgehenben  @efc§e,  man 
jeiebnet  bag  nad)  tr)m  @efct)affene  auf,  nüe  eg  auggefür)rt  toerben  fotl,  ar)nt  aber  babei  nicht, 
baf?  bie  alte  Siegel  bie  Augfüf/renben  verteilen,  bie  2lbftd)t  beg  ©e|erg  oeretteln  tonne.  2)aju 
fommen  nun  noch  bie  nicht  feltencn  gdlle,  bafi  eine  Erhöhung  ober  Erniebrtgung  eineg  £oncg 
nad)  einer  jener  alten  33orfd)riften ,  einer  anbem  jufolge,  toieber  bie  eineg  jtoetten,  ja,  eineg 
brüten  unb  felbft  mehrer  noch  nach  ft<h  Stehen  müfte,  unb  toir  öon  bem  urf^rün glichen  £one 
eineg  folgen  «Sa^eg  ung  enblich  fo  toeit  öerfd)lagen  ftnbeu  roürbcu,  bafi  ohne  getoaltfame  Söfung 
bie  Otudfeljt  ung  unmöglich  fiele,  (Sin  Seber,  ber  ftd)  mit  Sontoerfen  aug  biefem  ßütxautat 
bcfd)äftigt,  unb  bem  eg  babei  gelingt,  einen  Äretg  §u  bereu  2)arftellung  um  ftd)  ju  »erfammeln, 
fühlt  batjer,  toenn  er  nicht  einem  trügerifchen,  burd)  moberne  2lnfd)auungen  unb  Anforbcrungen 
leid)t  mißleiteten  @efür)le  ftd)  überlaffett,  unb  baburch  ©efar)r  laufen  tottl,  bag  ©c^rdge  jener 
dlterett3eit  anjutaften  unb  511  ücrrotfd)en —  er  fühlt  ftd)  gebrungen,  feinen  Erfahrungen  jufolge, 
ftd)  einen  Eanon  51t  bilben,  nad)  roeld)em  er  bag  Aufgezeichnete  ergänzt,  unb  aller  3^ei^eu= 
tigfeit  für  bie  (Sänger  begegnet.  Aud)  id)  fyabe  feit  fahren  eine  9iid)tfd)nur  biefer  Art 
angetoenbet,  id)  bin  nad)  ihr  bei  Aufzeichnung  ber  mitgeteilten  33eifptele  »erfahren,  habe  iubefj, 
ba  id)  fte,  toenn  aud)  erprobt,  bod)  nid)t  für  untrüglid)  geben  möd)te,  mid)  an  bte  llrfd)rift  fietg 
in  fo  roeit  gehalten,  bafi  id)  bte  üon  mir  ergänzten  3Serfe|unggjeid)en  nid)t  neben,  fonbern 
über  bte  Söne  fe|te,  bie  baoon  betroffen  toerben,  mit  bem  SSorber)alte  aber,  baf,  tr>o  aud)  bie 
Urfd)rift  —  toie  eg  tr>or)l  üorfommt  —  auf  gleiche  3trt  »erfährt,  bieg  atlejeit  augbrüdlid) 
benterft  ift.    So  barf  benn  ber  fünftige  gorfd)er  überzeugt  fei)n,  ba§  er  bie  Urfd)rift  ohne  alle 


QSerönberung  erhält  r  unb  in  ben  (Staub  gefegt  bleibt,  beö  Herausgebers  Deutung  fctber 
;u  prüfen. 

(SS  ftnb  nun  jene  allgemeinen  Regeln,  wie  id)  ftc  aus  bcn  Jhtnftwerfen  felbft  abgeleitet 
unb  befolgt  l)abc,  folgenbe : 

1.  55er  Seitton  (baS  semitonium  modi)  war,  nadjbem  bie  SBic^tigfeit  nnb  Uncnt= 
bebrlicbfcit  ber  großen  $erj  für  bie  Harmonie  einmal)!  erfannt  morben,  bureb  ein,  in  ir/r  ftd) 
offenbarcnbcS  Scaturgefe|  ber  Jtrangentwicflung  geboten.  3>n  ber  erfreu  9lbtr)ei!ung  beS  erften 
3töf<$mttel  oon  bem  folgenben  SBerfe  wirb  man  bie  nähere  23egrünbuug  biefeS  SlusfmucbeS 
finben.  Sei  ben  Sd)!ufjfä!Ien  ber  einzelnen  SOielobiejeilen  geift!id)er  Sieber  wirb  ber  Seitton 
baber  in  ber  OJcgcI  oermutf/ct,  nnb  ift  als  notfjwenbige  (Srgänjung,  fomof)!  ber  3Mobie  felbft, 
alä  ben  Q3egleitfttmmen  beigefügt  5  mir  ba  ausgenommen,  wo  bie  eigentümliche  ^armonifirung 
eineS  SonfatjicS  ein  2!nbereS  gebot,  inbem  ftc  auf  cht  ©efefc  anberer  3trt  hinbeutetc. 

2.  Stüter  ber  (Ergänzung  beS  SeittonS  wirb  eine  jebe  anbere  burd)  bie  4Jtotf)Wcnbigf'eit 
auSgefd)Ioffen,  bic  SMobie  felbft  unangetaftet  ju  ermatten.  (Sine  inbibibuefle  Deutung  berfeiben 
oureb  einen  Sonmeifter  imrb,  Wo  fie  nid;t  auSbrücfltch  angezeigt  ijl,  nirgenb  oermutf)et. 

3.  dagegen  gilt  bie  allgemeine  Scrmutfntng,  baf?  bic  2!nweubung  nid;t  oorgefcf>rie= 
bener  ScrfetmngSjetchen  nur  biatonifd)e  SSerij&ttniffe  einführen  bürfe.  (Sie  unterbleibt  alfo 
in  allen  fallen,  wo  ein  anbere 3  burd)  fie  entfielen  mürbe 5  benn  eS  mufj  üorauSgefe£t  werben, 
baf?  ber  $onfc£er  fie  alSbann  auSbrüdlid)  werbe  oorgefd)rieben  t)aben. 

4.  3Me  be^eicb.ncnben  5Berhä!tniffc  ber  firchlichen  Tonarten,  jumaljl  beS  5pb,n)gifcbcn, 
l>iiroI«bifd)en,  2)orifchcn,  berufen  auf  bem  @cfe£e  ber  Dctaocngattung,  öon  bem  ebenfalls, 
voie  oon  bem  ber  ÄlangcntwicfTung,  an  bem  bei  1.  angeführten  Drte  bie  Siebe  tft.  3MefeS 
@efe$ ,  in  beffen  (Entfaltung  augenfebeinüd)  bie  Jtunftübung  (jumal)!  ber  fpdtercn  Hälfte)  beS 
Kitcn  ^ahrf/unbcrtS  begriffen  ift,  wirb  felbft  gegen  jene  älteren  $orfd)riftcn  aufrecht  erhalten, 
ba  biefe  ju  einer  S^t  ergingen,  mo  ber  2lnfd)auung  b,armonifd;en  (SntfaltenS  nod)  nid)t  bie 
53afm  gebrochen  mar. 

5.  ©er  SritonuS  —  bie  übermäßige  Oatartc  —  ift  ein  biatonifd) eS ,  nicht  ein 
cbromatifd)cS  Scrfjaltnif?.  Seine  notr)wenbige  33ebcutung  für  bie  33ef>anblung  ber  Harmonie 
bat  er  allgemach  entivirfelt,  unb  fd)on  im  Saufe  ber  legten  £ä!fte  beS  löten  Sal)rf)unbertS  b,at 
triefe  (Snttoidfong  begonnen.  S)ie  alte  5Borfd)rift,  baß  er  ocrnüeben  werben  müffe,  hat  bal)er 
nur  bebingte,  nicht  allgemeine  ©ültigfeit.  2öo  er  im  melobifd)en  gortfd)ritte  ber 
einzelnen  Stimmen  entfielen  mürbe,  tjat  man,  aueb,  in  jenem  fpätcren  Staunte,  if)n  burd) 
Mnwenbung  eines  23erfci3ungS$eichcnS  ju  tilgen.  23ilbct  er  ftd)  im  b,  armonifd) en  3nfammen= 
flange,  wenn  man  bie  für  bic  Ü)iclobie  gegebenen  älteren  Siegeln  befolgte,  unb  ümen  ju  gel)or= 
d>en  ein  aScrfcgungs^eichen  einführen  müßte,  fo  unterbleibt  biefe  (Einführung,  benn  bie  £Bor= 
febrift,  baß  man  ibn  ju  oermeiben  l)abe,  überwäcbft  jene  Siegeln.  .ftann  er  aber  nur  bind) 
s2tnwenbung  eines  nid;t  biatonifd}en  $>erfjä[tniffcS  öermieben  werben  —  etwa  einer  Dermin« 
certen  Duarte,  übermäßigen  $rime  u.  bgl.  —  fo  ftel)t  ib,r  bie  höhere  33orfcb.rift  entgegen, 


Dafj  ofme  auSbrütflicbe  SSqctc^nimg  ein  folc^eg  nicht  »ermutbet  merbe.  Unbedingt  aber  mufi 
fte  aufgegeben  toerben,  menu  fxc  §ngleicf>  ein  be$eicbnenbe3  ^erbälmifi  ber  Tonart  tilgen 
unirce,  renn  beffen  2lnfrecbtbaltimg  gebt  einer  jeben  anbern  3>orfcbrift  voran.  2)iefe  übermäcbft 
ttlfo  fwcfj  bie  Sfntvenbbarfcit  ber  britten  nnb  bieteten  unter  ben  angegebenen  älteren  Regeln.  9tucb 
biefe  fmb  von  nur  bebingter  ©ültigfcit;  gewöhnlich  fommeu  fte  gleichzeitig,  bie  eine  in  ber 
Cberftimme,  fcie  anbere  im  SBktffc  in  grage,  unb  mo  ber  gatt  ber  britten  niebt  austrürflicb  vor= 
Ijanben  ift,  bat  mau  bie  vierte  in  2tntoenbung  $u  bringen.  3m  Saufe  einer  aMobiejeüe,  wo 
t)ie  Dritte  niebt  ftreng  pa$t,  menbe  id>  auch  bie  inerte  nid)t  an,  }umar)l  menn  ber  folgenbe  Schluß 
fall  bei  3e^e  bamtt  niebt  in  Übereinftimmung  fleht :  ja,  felbft  niebt  am  Scbluffe  einer  Seile, 
lvcnn  lex  Anfang  ber  folgenben  an  fte  foitfni'mft,  unb  ibr  3ufantmeubang  bureb  bie  Sefolguna, 
jener  Siegeln  gelöf't,  überhaupt  aber  ein  roefentlic^eä  $er$dltmfj  ber  ©runbtonart  babureb  einge= 
büjjt  murre,  üöelege  ui  tiefem  S8erf<u)ren  geben  baS  75jte  unb  97fie  ©eifmel.  Jpier  habe  icb 
bie  urfprüngliite  >Huf$eicbnung  aufredn  erhalten,  unb  feine  (?rgän$ung  für  nötfug  erachtet ;  aud^ 
^nt  fcie  (Srfabrung  von  ber  eigentümlich  großartigen  äöirfung  ber  «Iparmonieenfolgen,  mie  fte 
fner  erfebeinen,  mich  überzeugt.  2)ie  $reue  ber  2ütf$eidmung,  fo  mie  meine  2)eutung  ber 
mitgetbeiltcn  getfttic&en  ©efänge  glaube  id>  biemit  gerechtfertigt  ju  baben.  SJian  mirb  einige 
gätte  fbtben,  mo  einzelne  Ocfänge  in  einer  anbern  Sonhöfje  alä  ber  in  ber  Urfd)rift  ihnen  eignem 
ben  aufgebet d;nd  finc.  Sie  fommen  feiten  vor,  ftnb  aber  ftetl  burd)  bie  verfemten  <3cf>TüffeI  in 
reu  alten  Staufen  gerechtfertigt,  bureb  belebe  gcmöb^nlicb  bie  £onhör)e  angebeutet  mürbe,  in  ber 
ber  ©efang  ausgeführt  morben  mdre  —  unb  nun  mirflid)  auljufübren  fei)  —  menn  ben  ein$el= 
nen  Stimmen  tie  ibnen  berfbmmlicb  jufontmenben  Scbluffe!  vorge$eicbnet  ftdnben.  S)urd}  biefe 
fogenannten  öcrfegfen  Scblüffel  moflten  bie  alten  Steiftet  bem  9tuge  bie  urfprünglicbe  Tonart 
anbeuten,  jebem  2)ii?jverfiänbniffe  f;ierin  vorbeugeub,  mdbrenb  boeb  ber  (Sänger  jugleicb  erfennen 
füllte,  mie  er  bei  ber  2lußfübtung  ;u  Verfahren  t)ar>e.  2)iefe  motlte  ich  mn  m  einzelnen  gäüen 
burch  roirf liebe  3>erfe§ung  erleichtern*),  t)at)e  jeboch  immer  bie  urfmatngliche  2tuf$eicbnung  mie 
bie  angeroenbeten  3>erfe§ungs5eichen  babei  angebetttet,  fo  ba§  auch  fy?x  bem  Urfprünglicben 
nirgent)  ttt  nabe  getreten,  unb  bie  bifarifebe  3reue  nicht  verfemt  ift. 

5)ie  (S'igentbümlicbfeit  be3  rhvthmifcben  23auc$  einzelner  ©efänge  habe  ich  bei  ben,  bem 
Serte  eingebrueften  einstimmigen  53eifpielen  ftets  burch  33eifhiche  angebeutet  5  bei  ben  mehrfrinu 
migen,  einfach  gefegten,  glaubte  ich  burch  SSeglaffung  aller  Sartabtheihmg,  ober  burch  geilem 
meifes  Qlbtheilcn  fte  am  erften  beutlich  511  machen ;  fun  unb  mieber  (f.  Seiibiel  93.  95)  ftnb  in 
ber  Dberftimme  bie  rb^tbmifeben  ©lieber  bezeichnet.  33ei  ben  tunftltchet,  vielfrimmiger  gefegten 
©efängen  mar  bergleichen  meift  nicht  thunlich;  verfuchsmeife  ift  eä  bei  9cro.  137  gefct>et)en. 

2öaä  bie,  einjelnen  5onfä|en  unterlegten  Sieber  bereift,  fo  mirb  man  jumeilen,  obgleich 
feiten,  Stbänberungen,  felbft  Umarbeitungen  ihrer  urfprünglichen  3!erte  antreffen,  auch 


*)    <S.  j.  93.  SÄto.  69.  76.  132.  136.  141.  145.  149  zc.  ber  üftuüt&eilagen. 


früheren  2Mobieen  oiel  freitet-  entftonbene  Sieber  angeeignet  ftnben.  2tu3  welchen  ©rünben 
biefeä  gefödjen  fei?,  ergiebt  ftcf;  au8  bein  Suche  fclbft  an  ben  betreffenben  Orten.  @ö  gefchahe 
nirgenb  ofnte  £tnweifung  auf  ba§  SSefannte,  Uvfprüngltc^c,  noer)  ofme  baö  Unbefanntere  in 
feiner  anfänglichen  ©eftalt  fcotlftänbig  mitjuthctlen,  unb  baburä)  bie  hifwrifchc  breite  üollftänbig 
ju  matten.  Sliict)  r)a!3c  ict)  e§  nicht  anberS  gethan,  aU  bei  Sonfäfcen  felbfiänbigen  Jtunftwertheg, 
um  fte  ju  Einführung  in  SSereine  für  ältere  geifllid;e  Sonfunft  gefc^iefter  ju  machen,  unb  ir)re 
neue  Belebung  baburch  $u  ftchern,  bi3  fte  in  bie  .Kirche,  ihre  eigentliche  .Ipeimatr),  wieber  eingeben 
tonnen.  (Einige  alte  üDietobicen,  namentlich  bie  »on  592id;aet  *J3rätorius  mit  neuen,  für  ben 
eoangelifchen  firchengefang  :paffenben  Siebern  eingeführten,  ftnb  ihren  urfyrünglichen  wieber 
jurüefgegeben,  um  bereit  93erhältnijü  §u  ihnen  anfehaulich  ju  machen;  man  wirb  hierin  feinen 
©runb  jum  Säbel  finben  tonnen. 

©üblich  war  nur  ber  eüangelifche  ^irchengefang  ©egenftanb  biefer  35ar|telluug,  eä 
lag  außerhalb  ihrer  ©renken,  auch  n°ch  *>ie  gw'tpflansung  be3  geiftlicheu  SiebergefangeS  in  ber 
fatholifchen  Kirche  ju  betrachten.  S)er  ©efangbücher  in  fatr)oItfd;em  (Sinne  ift  bat)er  nur 
gebaut  worben,  wo  bie  2)arftettung  cineä  ^Berichtes  über  fte  ju  ihrer  ßrgänjung  beburfte.  Sflan 
wirb  alfo  hier  allein  über  ben  ßtnfluf!  bc§  fatholifchen  auf  ba§  ($DangeItfc£>e  eine  3)?ittheilung 
ftnben,  unb  nicht  über  bie  OJücfnnrfung  biefeä  Ickten  auf  jenes.  (Sbeu  fo  rmnbelt  tä  fich  f)in 
allein  um  ben  beutfch^eüangelifchen  Jtirchengefang.  35er  böhmifche,  ^  ftang öf i fche, 
ftnb  mit  ihm  in  lebenbigeä  33erhältnifj  getreten,  nicht  be3  (Empfangend  atiein,  fonberu  auch  ^ 
@eben§,  fte  burften  baljer  nicht  übergangen  werben.  5)er  englifche,  ^otlänbtfc^e,  fcanbinaüifche, 
hat  ju  bem  beutfehen  nur  empfangenb,  nicht  gebenb,  fich  verhalten;  wa§  er  an  Urfyrünglichem 
enthält,  wirb  jwar  gewifi  ber  näheren  ^Betrachtung  Werth  feint,  unb  eine  befonbere  gorfcfmng 
unb  2)arftcttung  lohnen,  nur  wäre  fte  hier  nicht  an  ihrer  ©teile  gewefen.  9lu§erbcm  hielt  ber 
iBerfaffer  e3  für  unnötfng,  unb  auch  ber  2Mrbe  beö  @egenftanbc3  nicht  für  angemeffen ,  nur 
anberweit  barüber  3)iitgetheilte0 ,  ohne  eigene  2tnfchauung,  jufammenjutragen.  ©ollte  biefe 
ihm  einfl  gewährt  feint,  fo  wirb  er  baä  Erfahrene  unb  ©efchaute  nicht  gurücfr)alten.  2)a3  über 
t>en  italienifchen  5Bfaltcr  nach  eigener  $orfcf)ung  ^Berichtete  tonnte  bei  Gelegenheit  beS  calt>i= 
nifchen  Si irebengefangeä  eine  angemeffene  (Stelle  finben. 


3  tt  1)  <t  l  i  €  t>  e  r  §  e  t  cf)  tu 


€  r  ft  s  s    0  u  d). 

©er  eöangeltfcfye  JUrcfyengefang  in  ber  erften  £älfte  beä  16ten  3af)rf)tmbert§. 

Sinleitung   Seite  i 

Srfter  tfbfcr/nitt.    Sie  Sluellen  be$  euangcltfdjen  Äircfjcngefangeg   «  8 

I.    Situtgifcfye  ©efdnge  ber  alten  Ätrcfye   »  8 

II.    ©er  23olf$gefang   •  40 

III.    3tttere  in  bcn  et-angelifcfyen  Äirdjengefang  aufgenommene  Sttelobieen 

beutfdjct  geifiltcfyer  Siebet   «  98 

Sroeitet  2£bfd>nttt.    ©ie  älteften,  urfprünglid)  geijilidjjen  Siebrceifen  aus  bem  etfien  Safjr» 

jcbenb  ber  £ird)ent>erbefjerang.    1517 — 1527   *  123 

©rittet  2Tbfd>nitt.    2utf)er  all  ©dnger  geiftlicfyer  SBeifen  für  bie  ettangelifdje  Äirdje   »  143 

SSierter  21b  fdjnitt.    ©ie  ©e|et  geiftlicfyet  Siebroeifen  feit  bem  SSeginne  ber  jiitcf)em>erbef[e= 

rang  bis  um  bie  Sflirte  bee)  16ten  3af}rb.unbettS   «  163 

SobanneS  SQSatter                                   ©eite  163   SBolf  Jpein^   »  198 

£ubn>ig  ©enfl                                         •    168   Sobanneg  ©tafjl   „  200 

tfrnolb  Don  23rucr                                    «    185   S£boma&  ©toller   /,  201 

^einrieb.  gincE                                       «    186   ©eorg  gorfter   «  202 

©eorg  Sfcba»                                          »    187   ©tepban  SUafju   .  203 

SKarttn  Xgrtcota                                          189   SSogetyuber   «  204 

SBattbafar  SRefünariuS                                 »    191    £ulbreictj  SSretet   «  204 

SBenebict  SuciS                                       «    194   Sobann  Sßctnmann   •  204 

©trt  Stetrtd)                                          «    196   SJirgiliuS  £auct   »  204 

2upu$£ellintf                                         *    197   Sobann  Äugelmann   «  205 

Smeites  öitri). 

©er  eoangelifdje  Äircfyengefang  in  ber  jnmten  ^älfte  bcS  16ten  SafytfjunbertS. 

Einleitung   •  222 

©rfter  tfbfcfynttt.    ©ie  ^falmliebet  ber  Ciatoinifren  unb  tf>rc  ©ingroeifen   •  228 

©oubitncl   *  256 

eiaubtn  Ie  Seune   "  257 

©antuet  SOlarfdjall   "  260 


XVIII 


3n>eiter  2Ibfd)tiitt.   25er  Äircfyengefang  bet  mdfjrifcfyen  Stüter  

dritter  2tbfd>nitt-    Sie  fird)lid)en  SKelobieenbücfyer  beö  16ten  3«f)tr;unbert$  

23ierter  2tbfdbnitt.    25ie  ©efcer  früherer  geifttidjer  gtebroeifen  um  bie  streite  £nlfte  beä 
16ten  3af>rl)uribertS  :  

gjJattbiaS  le  SJiaijrre   (Seite  338   £ieront)mu6  sprä'toriuS  


(Seite  265 
*  302 


338 


3acob  SMlanb  

©aUuS  ©realer  

Ceonbarb  ©djröter.. 
£>am'b  SBolfenfkin.. 
©tegmunb  £cmmel.. 

8uca6  Cftanbcr  

Samuel  SKarfdjall ... 

©ctb  (SaloifiuS  

aSartbolomä'ug  @efe 


339   3acob  f  ratoriuS  

341  £>amb  ©cb,eibemann.. 

341   3oad)tm  Sedier  

343  £anS  Seo  £a£ler  

344  ©ottfjarb  Gnjtbrä'uS. 
346  tfnbreag  3Jafeltu6  

351  3Ketd)ior  SSulptuS  

352  mfyael  ^ratoriuS.... 
359 


gunfter  7t b fd> ni tt.    ©dnger  unb  ©e^er  neuer  Äirdjenrceifen  in  bet  legten  Jpdlfte  beö  16ten 

3ai)ti)unbertö  

Sttcolauö  Hertmann  

Soadjim  »on  SSurgf    

SltcolauS  ©elneccer  

Antonio  ©canbelli  

Sodann  ©teuerlem  


©ed)jler  H b fdjnitt.   Sofjanneö  (Sccarb  

©d)  lujjroort  


368 
370 
371 
372 
372 
376 
378 
378 
380 


393 
393 
397 
404 
412 
413 
418 

433 
498 
504 


35cr  etmngdMdje  &ird>cno,cfang  in  fcer  erfreu  ^älfrc  bce  fec&je&nten  3<tf)t&unbert8. 


(Stnlettuttg* 

@§  bat  von  jeher  an  (Solchen  nid}t  gemangelt,  tie  bet  Äirchenverbefjerung  ©chulb  gaben,  ftc 
habe,  bie  Einheit  ter  allgemeinen  Ätrcb,e  auftbfent,  aud)  ba§  Abweif  en  ber  heiligen  Aunft  »erantafst. 
Anbere  ft'nb  eitrig  bemübt  gewefen,  tiefe  Anflage  abjuwebren.  SKan  hat  tf>r  entgegnet:  auch  ofme  bie 
jUrcbenvcrbefferung  babe  fcbon  ber  naturgemäße  Sntroicflungegang  ber  bilbenben  Äunft,  bie  um  bie  erfte 
£älfte  be£  fccbjcbnten  3abrbunberts>  in  ibrer  bbcbfien  33lütbe  geftanben,  bcren  SSerfall  herbeiführen  müffen; 
eS  fei  nicht  einmabl  gegrünbet,  tag  bie  Aircbenüerbefferung  ifyn  habe  befcbleunigen  helfen,  benn  jene  Äünjle 
bätten  bei  Svangelifcben  wie  Altgläubigen  auch,  fpätcr  noch  einer  nabrnfjaften  Scachblütbe  genoffen. 

2Sir  la)]en  babingejtellt  ferm,  mit  wie  meiern  ©lücfe  man  tiefe  53ertbeibigung  burchgefüfnt  habe; 
bie  gegenwärtige  iSarfteüung  wirb  baoon  nicht  berührt.  "Und)  fte  freilich  tritt  jenen  Anfdmlbigungen  ent= 
gegen,  aber  in  ganj  anberem  Sinne.  «Sie  wagt  tie  ^Behauptung :  tie  heilige  Sonfunfi  habe,  eben  burch  bie 
Äirchenr-erbefferung  einen  neuen  Auffchmung  erhalten,  ter  eine  folgenreiche  (Sntwicflung,  eine  h»he/  eigen* 
tbümliche  33lütbe  berfelben  herbeigeführt  habe.  @6  bebürfe  feiner  S>ertheibigung  jeneS  2ßeltereigniffe3  gegen 
eine  auf  tiefem  Äunftgebiete  gruntlofe  Anfcbulbigung,  man  habe  nur  ju  rühmen,  freutig  unt  tanfbar  ju 
berountern.  babe  feinen  SebenSfeim  erfticft,  fontern  fcblummernte  erwecft,  ja,  fcheinbar  abgeworbene 
neu  belebt.  Seicht  ein  ßertrennen  unt  Auflbfen  türfe  ihm  vorgeworfen  werten:  habe  es>  toch  ©egenüber* 
ftehenteS  tauemt  »erbunten,  lange  ©etrenntes»  innerlich  üereinigt! 

©ine  fübne  ^Behauptung  vielleicht,  aber  gewißlich  eine  wahre !  2Ba£  wir  ter  .Rirchenverbefferung 
nachrühmen,  gelang  ihr  in  bem  cvangelifcben  jUrchengefange.  liefen  hat  fte,  als  geiftltchen  S3olf$gefang, 
erft  gefchaffen ;  benn  vor  ihr  beftant  ein  folcher  nur  in  einjelnen,  fpärlichen  .Keimen,  in  jerfrreuten  S3lüthen. 
@r  ift  ter  ©egenftant  tiefer  £>arftellung ,  in  feinem  SBerbältniffe  ju  ter  itunft ;  turch  tiefe  Raffung  jf,m 
Aufgabe  betingt  fich  nothwentig  ihre  ganje  ©eftalt.  (Sie  wirb  nicht  eine  blof  e  Crrjählung  te§jenigen  fenn 
türfen ,  wa$  feit  ten  f irchlichen  ^Bewegungen  um  ten  Anbeginn  be§  16ten  SabrbunbertS  fich  J"9etragen 
habe  mit  bem  geiftlicben  ©efange,  wie  er  au£  einem  »olBtbümlichen  SSebürfniffe  hervorgegangen  fei,  waS 
entlich  tie  fich  neu  geftaltenbe  Airche  für  ihn,  fdmljenb  unt  fbrternt  gethan,  wie  er  allgemach  fich  a"3= 

s.  SBinterfttS,  ker  t?<mgtl.  ö^cralan'.njg.  1 


gebreitet  habe,  greilid)  wirb  eine  folebe  drjdblung  ihr  nicht  fehlen  bürfen,  allein  biefe  wirb  weber  ttjren 
Äembilben,  nod?  tyx  woran juflellen  fepn,  wie  man  e§  erwarten  möd)te.  Sat>on  tjanbelt  e§  ftch  b>r  oor 
Jfllem,  welche  bie  »orbanbenen  aber  fd)lummernbcn  ScbenSfcime  gemefen,  bie  auf  bem  ©ebiete  ber  Sonfunft 
bureb  bie  jlirebenoerbefferung  gemedt,  welche  bie  anfdjeincnb  abgeworbenen,  bie  buvd)  fte  neu  belebt  worben; 
e$  gilt  ju  jetgen ,  was»  e3  bod)  fei,  jcnc$>  ©egenüberftebenbe,  jenes  lange  ©etrennte,  ba$  fte  bauernb 
innerlich  vereinigt  habe!  33or  Willem  alfo  werben  wir  barjittegen  haben,  wa3  fte,  in  biefem  ©tnne,  uorgefun= 
ben,  welcher  2lrt  e£  gewefen,  wie  e§  Quelle  unb  ©runblage  beö  »on  ihr  gefebaffenen  geiftlidben  ©efangeä 
habe  werben  tonnen,  unb  wirtlich  geworben  fei. 

©ie  fanb  aber  einen  tbeiB  uralten,  tbeilg  bod)  althergebrachten  Äird)engefang  »or,  ein  nur  nod) 
gortgeübteS,  ntdjt  lebenbig  mehr  gortcrjcugenbcS ;  einen  ©efang  in  frember,  bem  58olfe  umm-ftanblicber 
Sprache,  in  Sötten,  bie,  wie  e§  fct)ien,  in  ihrer  aitertbümlicbcn  gaffung  nidjt  mehr  üernebmlid)  ju  ihm 
reben  tonnten,  tym  bat  fte  bie©runbformen  bebeutungs>t>oller.£)annoniecn,  einen  neuen  ßebenSquell,  ent* 
beeft,  ben  eine  auf  nabmbafter  #öbe  bamabS  fd)on  ftebenbe  ©cfjfunft  für  ftcb  allein  nod)  nidbt  hatte  eröfnen 
fbnnen.  3n  biefen  uerjüngten  gönnen  ift  er  wieber  fortjeugenb  geworben,  bat  ein  neueS  Seben  entfaltet! 
©ie  bat  ihn  bem  83olf§gefange,  einem  fremben,  fd)cinbar  in  febroffer  Trennung  gegenüberftebenben  ©ebiete, 
vermählt;  burd)  fte  enblidb  ift,  wa£  wir  al§  wcfentlicb  getrennt  faum  mel)r  benf'en  fbnnen,  bie  Sbätigfeit 
be3  ©ängerS  unb  ©eueres,  eine  bamaB  in  ber  Sbat  gefd)iebcne,  fruchtbar  »ereinigt  worben. 

Siefe3  lefjte  ift  für  bie  ©cfammtbett  unferer  SarfteEung,  wie  beren  gortgang  jeigen  wirb,  eines 
ber  wiebtigften  Skrbältniffe,  e6  jiebt  fid)  bin  burd)  fte  ohne  Aufhören,  e§  ift  ber  gaben,  an  bem  fte  fich  fort= 
leitet.  2Btr  füllen  un3  beSbalb  gebrungen,  babei  äunäcbft  ju  verweilen,  unS  bcutlidjer  barüber  ju  erflären. 

©larean  in  feinem  bekannten  SBcrfe  über  bie  12  Tonarten,  fiellt  gegen  ba§  Cntbe  von  beffen  2tem 
Bud)e,  ju  Anbeginn  beS  38flcn  JpauptftücfS,  eine  grage  auf,  beren  Snhalt  einen  2id)tftrabl  bringen  läfit  in 
ba§  SBefen  ber  Sonfunft  feiner  Sage  unb  feiner  SSorjcit,  ber  ben  SÖSeg  ben  wir  ju  burd)wanbeln  unterneb= 
men,  aud)  un3  erhellen  wirb.  »£>ft  boren  wir  unfere  3eit  barüber  {treiten,<v  fagt  er,  »wer  bod)  ben  Vorrang 
verbiene:  wer  eine  2Beife  erft'nbet,  bie  aller  ©emütb  bewegt,  fid)  feiner  bemeiftert,  unb  alfo  bem  ©ebäcbtniffe 
ftcb  einprägt,  bap  fte  un§  bcfd)leid)t,  oft,  wenn  wir  nid)t  an  fie  benfen,  fo,  baß  wir  aBbann,  wie  au3  bem 
©d)lafe  erwad)t,  in  fie  ausbrechen?  ober,  wer  einer  folgen  üffieife  brei  ©timmen  gefeilt,  ober  mchje,  bie 
fie  »er()errlid)en  bureb  Nachahmungen ,  Aufweichungen,  burch  mannichfad)  abgeftufteS  SKaa^?  SSeibeä, 
—  fahrt  er  bann  fort,  —  ifi  eine  angeborne  ©abe,  bie  ber  Scbve,  welche  fte  nimmer  »erleihen  fann,  ftcb 
entjieht;  S3eibe6  fann  wohl  einmal  Bereinigt  fe»;n,  aber  feiten  werben  wir  in  bem  ©  an  g  er,  bem@rfmber  ber 
SBeife  (phoaascus),  auch  bem  ©efccr  (syraphonetes)  begegnen,  ber  biefe  funfireieb  ju  fchmücfen  v>erfieht. 
sJlun  tffc  aber  bie  (Sntfcheibung  fchwer,  welcher  biefer  beiben,  gewöhnlich  getrennten  ©aben,  bie  ^)alme  ge= 
bühre.  Älter  ift  bie  ©abe  be§  ©dngerS,  benn  e§  war  eine  3eit,  wo  man  noch  feine  aSielfh'mmigfeit 
fatmte,  unb  bennoeb  an  bem  ©efange  ftcb  ergbfcte;  in  jeber  S!Biffenfd)aft  unb  Äunjt  pflegt  man  »or  20Ien 
bie  erjten  ©rfinber  ju  ehren;  ber  ©an g er  alfo  wirb  e3  feon,  ben  wir  am  bbcbfien  ju  fd)d^en  haben,  unb 
jumabl  ber  heilige.  Senn  ift  auch  ber  einfache  firchlidjc  ©efang  nicht  fo  reich  <*n  gönnen,  ober  auch  SSer« 
fcbnbrfelungen,  wie  ber  weltliche,  fo  ftnb  bod)  feine  Sonarten,  wenn  fte  finnig  unterfebieben  werben,  fein 
bbcbfter  ©ehmuef,  unb  eö  giebt  nichts,  ba3  gleich  ihm  baä  ©emütb  für  Anbacht  erhöbe!  2)er  ©efcer,  fei 
er  auch  funfireicher  al»  ber  ©dnger,  folgt  biefem  erfi  nach,  er  fügt  erft  ^ufammen,  waS  jener  juoor  erfunben. 
Sie  greube,  bie  beä  ©ängerS  ©abe  oerbreitet,  ber  ©enu^,  ben  fie  gewahrt,  iji  allgemeiner,  benn  oiel 


Wehre  wiffen  fte  511  fd^a^en ,  ja,  felbjt  unter  ben  (Belehrten  ft'nb  SBenige,  welche  bte  funjrreicbe  S3erbin= 
bung  won  vier  ober  mehren  (Stimmen  wahrhaft  ju  würbigen  »erflehen ;  loben  fte  boeb  ba§  ©ebbrte  oft  nur 
beSbalb,  um  nicht  ungelebrt  ju  erfebeinen!  SBie  febwer  wirb  e§  aber  auch,  einen  fold)en  mebrfthntnigcn 
©efang  rein  unb  angemeffen  »orjutragen,  wie  oft  verbinbert  Un!unbe  unb  übler  2Bitle  ben  2(uSfübrenben, 
auch  ba<?  33ejk  biefer  %rt,  ganj  feiner  würbig,  ben  £örern  entgegenjubringen!  Stögen  alfo  wir,  bie  33er* 
ebrer  biefer  Äunft  be§  ©af3e3,  um  ibre3  größeren  SieicbtbumS ,  ihrer  jtlangfütle,  ibrer  funjfooüen  33er = 
webungen  willen,  bennoeb  ben  ©änger  nid)t  jurüdftcllcn  gegen  ben  ©e(ser,  SSeibe  vielmehr  in  gleichen 
(Sbrcn  unb  SBürben  halten.« 

©larean,  beffen  Siebe  wir,  halb  wörtlich,  balb  jufammenbrängenb  mtttbciltcn,  weil  wir  manches 
unferem  3wecfe  grembe  baran  auSjufcbeiben  fanben,  fchrteb  fo  ju  einer  Seit,  wo  in  ber  Shat  ©änger 
unb  ©e|er  in  bem  angegebenen  ©inne  noch  gefchieben  waren.  Diefe  Trennung,  fo  auffallenb  fte  unferer 
3eit  erfebeinen  mag,  welche  33eibe3,  ben  melobifcben  unb  barmonifeben  ^heit  be§  ©efangeS  nur  al§  mit 
einanber  entftanben  ju  benfen  gewohnt  ijt,  — ■  biefe  Trennung  war  boeb  in  bem  SSefen  unb  bem  S3ilbung6- 
gange  ber  Sonfunft  wohlbegrünbet.  Denn  bte©e^funjl,  bie  Äunft  mehre  ©timmen  ju  einem  wohtlautenben 
©anjen  ju  vereinigen,  mußte  eine  bebeutenb  jüngere  fepn,  aB  bie  bc§  ©rfmbcnS  einer  ©ingweife.  Diefe, 
ein  Srjeugnifj  beö  unbewußten,  bem  SJIenfd^en  eingepflanzten  ÄunfttriebcS,  fchafft  jwar  nach  eben  ben 
allgemeinen  ©efe^en,  welchen  auch  jene  gehorcht;  <dlein  jene  wirb  bann  erjl  möglich,  wenn  biefe  ©efe^e 
allgemach  in  ba§  £3ewuf3tfein  getreten,  wenn  fte  burcbfd)aut  worben  ftnb,  wenn  bicKunftmtttel,  ihnen  jufolge, 
mit  2Babl  unb  Überzeugung  angewenbet  werben,  ©ie  ift  baber  nothwenbig  fpäteren  UrfprungS ;  aber  bann 
et ft ,  wenn  SBeibe  in  freiem  ©Raffen  einanber  wieberum  vermählt  ftnb,  ifi  bie  Äunji  in  ihrer  ganzen  gülle 
vorbanben. 

9tun  war  aber  auch  bie  Seit,  au§  ber  ©lareanS  SBorte  herrühren,  einefolcbe,  in  ber  jene  33er= 
einigung  beiber  Scicbtungen  tonfünftlerifcher  SShätigfeit  mit  ftegretebem  Erfolge  ftcb  anbahnte.  Daß  e$ 
gefcheben,  rühmen  wir  bem  evangelifcben  Äird;engefange  nach,  ber  gracht  ber  Ätrcbenverbefferung.  (Sr  jeigt 
un§,  wie  im  Anbeginn  bie  entfehiebene  Trennung  be§  ©ängetS  unb  be3  ©e£er§,  fo  gegen  ba§  (Snbe 
beS  fecbjebnten  SabrbunbertS  bereu  SSerfchmeljung ;  an  ihm,  bem  ßrjeugniffe  frommer  33egeif}erung ,  reifte 
auch  bie  Sonfunft  ju  ihrer  SSolIenbung.  Sn  boüüelter  Sfüdftcbt  baber  ift  bie  nähere  ^Betrachtung  feine§ 
dmcorfeimenS ,  Entwirf elnS ,  Aufblühens ,  belehrenb  unb  erfreulich ,  eine  würbige  Aufgabe  für  ben  gorfeber 
auf  bem  ©ebiete  ber  Äunftgefchicbte.  SBaren  bie  (Srjeugniffe  ber  jlunft  beä  ©ängerS,  bie  .^ervorbringungen 
be§  unbewußten  .Kuntrtrtebeg ,  für  ben  ©e£er,  ben  mit  2Bal)l  unb  Slbftcbt  ßufammenfügenben,  anfangs 
eben  nur  eine  SSeranlaffung,  feine  neue  Äunjl  baran  ju  üben,  unb  fuebte  unb  fehlte  er  an  ihnen  jumeiji 
nur  bie  ©elegenbeit  fmnretcber  Darlegung  berfclben;  fo  fanb  er  ftd)  nunmehr  in  einer  ganj  neuen  ©tellung 
ju  biefen  feinen  Aufgaben.  Die  neuen  geglichen  ©efdnge  in  ber  9Jhttterf»rad)e  brachten  ihm  volfSmäßige 
9JMobieen  entgegen,  benn  fte  waren  heilige  SSolBlieber,  für  ben  ftrebtteben  ©emeinegefang  beftimmt;  feine 
Äunjt  follte  biefen  ftd)  anfcbließen,  in  ihnen  follte  fte  nun  erft  red)t  heimifch  werben  in  ber  Äird)e.  Da  galt 
eS  nun,  bie  ©e^funft  bem  allgemeinen  SSerfiänbniffe  näher  ju  bringen,  ben  ©eijl  ber  in  jenen  SEÖeifen 
fchlummerte  burd)  biefe  Äunft  ju  erweefen,  jeben  ihrer  ©d)ritte  feiner  »ollen  SScbeutung  nach  jur  ^nfchauung 
ju  bringen,  ihnen,  unb  babureb  bem  ©änger  wahrhaft  näher  ju  treten,  bie  urfprünglicbe  Einheit  ber  Äunfi 
beffelben  unb  ber  be§  £onfe£er§  lebenbig  ju  empfinben ,  ju  erfennen ,  unb  beibe  enblicb  fchoöferifch  ju 
vereinigen. 

1* 


3ene  jtunjt  beS  Sc^erg  aber  war  um  ben  33eginn  ber  ©laubenSreinigung ,  wenn  aud)  nicht  eine 
neue  —  benn  jweil)unbert  %al)re  juoor  fd)on  fef>cn  wir  fie  mit  einiger  33ebeutung  auftreten  —  bod)  eine  in 
ihrer  tfuSbilbung  rafd)  fortfd)rcitenbe,  ttjren  greunben  bafyer  jietö  9ceueS  entgegenbringenbe.  Sn  einem 
funftrcid)cn  unb  funflliebcnben  ^f^^unbcrte ,  wie  ba§  beginnenbe  fechgefmte,  mufjte  man,  fd>on  tfjrer  fmn= 
reichen  Strebfamfeit  wegen,  fie  befonbers?  hochachten,  fie  mufjte  ju  ftets>  wacbjenber  (Sfyre  gelangen.  fonnte 
nicht  fehlen,  ba{?  man,  roie  e$  wirf  lief)  gcfchal),  über  fie  ber  einfacheren  S£f)ätigfeit  beS  Sang  er 3  oergafj, 
be§  ©rfinberS  ber  Singwctfen,  bie  bem  reichen  unb  mannid)fad)en  ©ewebe  be3  Selker  3  aß  @infd)lag 
bienten.  ©larean,  wenn  er  aud)  23eibcn  gleiche  Qttye  unb  2Bürbe  beigemeffen  haben  wiU,  fanb  fid)  be§t?alb 
üeranlafjt,  boch  vorzüglich  auf  ©crechtigfeit  gegen  ben  Sdnger  jubringen.  OTein  ba$>  Sd)icffal  be§  83er= 
geffenwerbenö  b,at  bennod)  jumeifl  bie  früheren  «Sanger  unferer  Jtirchenwetfcn  getroffen ;  mit  einiger  Sicher: 
t>ett  nur  bürfen  wir  Sutfjer  als  Urheber  einzelner  unter  ihnen  nennen.  £>ie  tarnen  ber  Seiner  bagegen,  bie 
jene  SBeifen  burd)  begleitenbe  Stimmen  fchmücften,  einfach/er,  ober  fünftlid)er,  nad)  bamalS  üblicher  Zxt, 
fmben  wir  in  getftlid)en  Smgbüchcrn  jeberjeit  forgfdltig  genannt,  unb  baburd)  ift  bei  SSielen  ber  leicht 
erfldrlid)e  3>vrtf)um  entftanben,  fie  aud)  für  beren  Sänger  ju  galten.  2Bir  ftnb  jebod)  in  ben  meiften  gdUen 
auf  er  Stanbe,  über  biefe  Ickten  fixere  9cad)rid)t  ju  geben ;  big  gegen  ba§  le^te  Viertel  be3  lCten  3abj= 
hunbertS  vermögen  wir  nur  bie  Quelle,  unb  bie  ungefähre  Seit  be3  GnitftehenS  ber  SÜMobieen  ju  beftimmen. 
Siefe  Quellen  aber  ftnb  febj  t>erfd)iebener  %xt,  unb  mannichfad)  ba§  SSerhdltnifj  bcS  neuen  beutfd)en  geifb 
liefen  ©efangeS  ju  ihnen.  Senn  nid}t  eine  fd)affenbe  S^ätigfcit  allein  tritt  hervor  bei  feinem  entfielen, 
aud)  eine  mannichfad)  aneignenbe,  wenn  freitid)  niemals  of)ne  fd)b»ferifd)c§  Umbiiben  unb"#uSgejtalten. 
SQSieberum  alfo  werben  wir  jurüefgewiefen  auf  baSjenige,  wa§  bie  Äirchetwcrbefferung  in  biefer  9fid)tung 
ihrer  SBiiffamfctt  alö  fd)on  S3orf)anbene§  fid)  gegenüber  fanb.  3undd)ft  nahm  fie  mit  9?ed)t  für  fid)  in 
tfnfprud),  wa§  an  volfSmdfj igen  SBeifen  gei(tlid)er  beutfd)er  ßieber  au§  früherer  Seit  bereits  im  geben  war. 
SEBeniger  an  ben  SSeifen  fanb  fie  hier  umjugeftalten,  ale>  an  ben  Siebern  felbft,  fofern  biefe  baSjenige  nod)  an 
fid)  trugen,  wa§  bie  gereinigte  2el)re,  in  Übereinfiimmung  mit  ber  allgemeinen  frommen  Überzeugung,  aß 
3rrtf)um  ober  SKifbraud)  ju  berampfen  hatte.  Umgcf'ehrt  (teilte  ba§  SSerhdltnif  fid)  bar  bei  bem,  au3  bem 
uralten  lateintfehen  Äirdjengefange^erüberjune^menben.  3Benn  aud)  eine  Übertragung  in  bie  SKutterfprachc, 
fo  war  bod)  eine  Umgcftaltung  ber  ßieber  felbft  faum  irgenb  vonnötl)en;  beren  mehrf)unbertjdl)rige  SSeifen 
jebod)  erforberten  eine  ^Bearbeitung,  um  fie,  wenn  aud)  mit  S3ewal)rung  il)rc§  altfird)lid)en  ©eprdgeg,  bod) 
volfSmdfjiger,  eingänglid)er  ju  mad)en,  fie,  in  ihrem  rfjpt^mifdjen  33aue  jumal)l,  ben  gangbaren  SBeifen  in 
ber  S01utterfprad)e  meb,r  ju  näbern.  SBurbe  enblid)  bie  beliebte,  allgemein  anfprcd)enbe  9)?elobie  eine§  welt- 
lichen 2tebe§  f)inübergenommen  in  ben  Äircl)engefang,  fo  war  S3eibe§  üorbanben,  eine  ganj  neue  Sd)6pfung 
in  bem  if)r  unterlegten,  geiftlid)en  Siebe,  in  ib,r  felbft  aber  eine  Umbilbung.  Senn  einer  fold)en  beburfte  fie 
in  vielen  gäüen ,  wenn  aud)  nid)t  jeberjeit,  fofern  irgenb  etwas  in  tt?r  noct)  »erpof  en  f onnte  gegen  f ird)lid)en 
ernjt,  unb  bie  SBürbe  be§  ^eiligtl)um§  in  ba§  man  fie  aufnahm. 

Ttüe  biefe  9?id)tungen  ber  Ä^dtigfeit  bei  ber  ©rünbung  unfcreS  evangelifdb,en  Äird)engefangcS 
werben  wir  in  ben  folgenben  äMdttern  ndb,er  ju  betrad)ten  l)aben.  SBir  beginnen  mit  ber  an  eignen  ben, 
wie  fie  hervortritt  im  Sammeln,  im  Sid)ten,  im  Umbiiben,  unb  geben  fort  fobann  ju  ber  eigentlich 
fd)öpferifd)en,  wo  benn  freilich,  wie  fd>on  angebeutet  worben,  wenige  Warnen  ber  ©rfinber  fonnen 
genannt  werben  für  biejenigen,  bie  in  funftgcfd)id)tltd)en  Darfietlungcn  jundchjt  nach  biefen  ju  fragen 
gewohnt  ftnb.  Unter  ben  Seffern  jebod)  weiben  wir  achtbare,  ja,  bie  au§ge^eid)netften  ÄünfHer  be? 


  5  - 


beginnenden  fed)$ebnten  SabrbunbertS  ju  nennen,  unb  über  fie  ju  berichten  haben,  ©in  jweiter  2(bfcbnitt 
unfere»  58erid)tc§  wirb  fobann  bie  leljte  #älfte  jeneS  jJritraumS  umfaf[en  mit  Grinfcblufj  ber  erfien  3af)re  be§ 
folgenben  fiebjet>nten  3abrbunbert$ ;  jene  ffilütbejeit  unfereä  .RircbengefangcS ,  wo  bie  2Beifen  ber  alteren 
geiftlicben  Sieber  in  mebrftimmigcm  ©efange  ihr  innere^  SScfen,  ihre  83ebeutung ,  nunmebr  entfalten,  wo 
ihre  ©runbformen,  bie  jUrcbentöne,  burd)  bie  Harmonie  verklärt,  in  aller  SBürbe  unb  .Kraft  fid)  offen; 
baren ,  roo  bie  beb""  klänge  uralter,  d)riftlicr)er  S3egeijterung,  b.  eilig  unb  geheimnisvoll,  bod)  bemütb,  ig  unb 
liebenb,  ftd)  fjerablaffen  ju  einem  fpäteren  ©efd)led)te,  bie  volBmäfjige  gorm  nicht  verfchmäbenb,  um  ihm 
naber  ju  treten,  unb  eben  in  ibr  nun  ibje  ganje,  reiche  2eben6fülle  auSbaucfyen;  roo,  burd;  fte  befruchtet, 
ein  neuer  ©eift  ftd)  regt  unb  erwacht  in  ben  urfprünglicb  volfSmäfHgcn  Sbnen,  burd)  ben  fte,  geläutert, 
erneut,  geheiligt,  fubn  ftd)  flellen  bürfen  neben  jene.  £a3  früher  ahnungsvoll,  faft  ohne  £3erouf3tfein 
feineS  reichen  Inhalts  (Srfunbene,  burd)  bie  Sorgfalt  vieler  9cadgebomen  ©epflegte  unb  allgemach;  ©e= 
jeitigte,  blühet  nun  auf  unter  ben  .Ipänben  eineS  großen  SDieijterS  jener  3eit.  3n  ber  unfrigen  ift  er  faft  ver= 
geffen,  nur  von  einzelnen  gorfchern  wirb  er  mit  9vubm  nebenher  genannt  al§  ber  (Schüler  etne6  ber  grbfj eften 
Sonfunftler  beö  feebjehnten  ^abrbunbertS,  feine  SBerfe  hat,  feit  lange  her,  .Keiner  mehr  gekannt,  ©r, 
wenn  auch  nicht  juerft,  bod)  in  tiefjler  33ebeutung,  vereint  nunmehr  33etbe3  in  ftd) ,  ben  Sänger,  ©rftnber, 
unb  ben  Sefcer;  in  biefem  Sinne  bürfen  mir  ihn  als  bie  .Krone  jenes!  3eitraum§  bezeichnen ,  tenfelben  nach 
ihm  nennen.  @3  iftÜjobanneS  (Sccarb,  ber  3ögling  be3  £rlanbu§  CaffuS,  Shüringer  von  ©eburt, 
in  ber  .£>auptftabt  ^)reu^en§  einheimifdb  um  bie  3eit  feiner  gröfj eften  .Kraft  unb  Fruchtbarkeit.  (Sine  neue 
©efangfd)ule  blüht  bort  auf  unter  ihm,  in  ber  mir  fväterbin  nicht  ben  Sänger  allein  unb  ben  Selker, 
fonbern  auch  ben  dichter  felbft,  vereint  antreffen  werben.  Um  biefelbe  Seit  aber  beginnt  jener  merkwürdige 
Umfchroung  in  ber  Sonkunft,  burch  ben  fte  eine  neue  ©runblage  erhielt,  neue  SJerbältniffe,  ein  neueS  3iel; 
eine  [Richtung,  bie  von  ben  alten  fachlichen  ©runbformen  binwegleitet,  unb  wie  fte  bem  2utsbrude  ber 
mannichfaltigen  ^Bewegungen  bcj>  menfcblid)en  ©emütbcS  mit  glüdlichem  ©rfolge  jugemanbt  ift,  unb  über 
biefem  Streben  einen  Sieicbtbum  neuer  Littel  gewinnt,  ba§  innerfte  SBefen  ber  .Kurrft  heiligen  ©efangeS 
erfchüttert.  konnte  man  ba3  ©epräge  ber  vorangehenben  beiben  Venoben  baran  erFennen,  bafi  auch  ba§ 
2Beltlicbe  burd)  bie  volle  .Kraft  begeifterter  kirchlicher  Frömmigkeit  geheiligt  mürbe,  fo  barf  man  von  biefer 
britten  etngejtefyen,  bafj  bem  ^eiligen  allgemach  eine  weltliche  gärbung  geliehen  würbe.  OTein  nach,  unb  nach 
nur  bahnt  biefe  neue  Drbnung  ber  £inge  ftcb  an,  wie  benn  überhaupt  eine  jebe  gefd)id)tlid)e  (Snfroidlung, 
gleid)  bem  Neimen  unb  gortwaebfen  in  ber  9catur,  nicht  ben  neuen  3uftanb  fchroff  hinftellt  neben  ben 
vorigen.  33i§  über  bieSSftitte  bes>  fiebjehnten  Safyrbunbert»  f)inaujv  in  ber  frübeften  3eit  biefer  britten  9>eriobe, 
erfreuen  wir  unS  noch  einer  fchbnen  S3lütbe  ber  ßieberbiebtung,  ber  ©rfinbung  neuer  2Beifen;  mochte  boeb 
SKancber  wohl  fte  eine  höhere  nennen,  weil  nunmehr  bie  f ch  bpf erif  ch e  Shätigfeit  faft  allein  obwaltet,  bie 
aneignenbe  jurüdgebrängt  ift,  bie  alte  Trennung  be§  SängerS  unb  Selkers  faft  ganj  aufgehört  ju  haben 
fcheint.  Allein  mit  bem  lebenbtgen  ©efüble  ber  Äirchentonart  erlifcht  unvermerkt  ba§  alte,  kirchliche  ©epräge 
ber  geiftlicben  Sieberweifen;  länger  noch  erhält  ftd)  ihr  kräftiger  bebeutungSvoller  3?hpthmu§,  bis  ein  gleid)- 
förmiger,  wcd)fellofer  §ortfd)ritt,  angeblid)  bem  fird)lid)en  ©rnfte  allein  angemeffen,  bie  Stelle  ber  früheren 
9Kannid)faltigfeit  einnimmt,  unb  enbltd)  felbft  bie  ben  erften  beiben  3eiträumen  angehörenben  SBeifen  biefer 
neuen  gorm  ftd)  fügen,  eine  Umbilbung  erleiben  müffen.  2Bie  nun  biefe,  gleid)  ben  fpäter  erfunbenen,  ba§ 
urfprüngliche,  firchlid)=volBmägige©epräge  einbüßen,  gewinnt,  fibnen  gegenüber,  ba§  Äirdjenlieb  mehr 
ba§  ©epräge  be§  Tfnbachtliebeä;  unb  e§  ift  nicht  ohne  SSebeutung,  bap,  wie  btefeS  überhaupt  mcl)r  bie 


  6   

cinfame  35etrad)tung ,  t>ic  l)äuSlid>e  ©tille  in  Anfprud)  nimmt,  über  ben  engeren  ÄreiS  ber  gamilte  vorauf 
feljt,  nun  aud)  bie  auf  bie  Jtircbe,  bie  ©emeine,  binbeutenbe,  urfprüngliche  SSteljiimmigf  eit  geijilicher 
giebermeifen  jurüdtritt,  baf?  bie  öt«s  unb  mebrftimmtgen  9JMobieenbüd)er  immer  fettencr  merben,  unb  bie 
nur  jroeiftimmigen,  neben  ber  SDcelobte  ben  bezifferten  SBaf?  allein  gebenben,  überl)anb  nehmen,  ©o  tritt  nun 
ein  SSerbältnifj  ein,  bemjenigen  entgegengefe^t,  baS  mir  im  ^Beginn  ber  ©rünbung  be§  neuen  .Kircben= 
mcfcnS  bei  beffen  gcifUtcben  ©efange  wahrnahmen,  ©teilte  in  feinen  a3ejief>ungen  jur  SEonfunft  bie  ©abe 
bc§  ©ef<er§  bamal»  ftd)  bar  al»  bie  bei  weitem  überwiegende,  fo  tritt  fte  jefet  jurücf,  ja  faum  bürften  mir 
eine  ©pur  berfetben  noch  erlernten  in  ber  oft  völlig  vernad)läfiigten  gübrung  ber  ©runbfiimme,  unb  ber  über 
fte  gefegten  fpärlidien  Anbeutung  ber  Jparmonieenfotge.  £>ocb  nehmen  mir  biefeS  3urücftreten  meiji  nur  bei 
ben  Grrftnbern  neuer  SBeifen  wahr;  biefe  legen  auf  beren  barmonifd)e  SDurcbbilbung  gegen  baS  Ghtbe  biefeS 
britten  3eitraum3  fajt  gar  feinen  2Bertb  mehr,  obmol)l  fte  nun  bie  von  ihnen  gefangenen  Sftelobieen  mit  ifjrer 
mcbrfiimmtgcn  Entfaltung  zugleich  ju  benfen,  unb  il)re  »olle  S5cbcutung  baburd)  ju  offenbaren  ftd)  befähigt 
fallen,  ©o  befielt  benn  bie  urfprüngliche  Trennung  beS  ©ängerä  unb  ©efcerS  fort,  e§  erhält  fid)  eine 
eigentbümlid)e  Jtunft  bicfeS  legten,  neben  ber  ©abe  jenes,  unb  erjeugt,  eben  auf  bem  ©ebiete  unferc§ 
GiboralgefangcS,  eine  in  berScfcbicbte  bcrSonhtnft  in  bicferArt  fonfi  nicht  mieber  vorfommenbeGrrfcbeinung. 
33om  Anbeginn  mar  bie  geiftlidbe  Siebmeife,  bie  neugefebaffene  mie  bie  entlehnte,  ber  ©egenftanb,  bie 
Aufgabe  gemefen  für  eine,  ibr  allgemad)  näher  tretenbe,  il)r  lieferet  £>erfltänbnif?  erringenbe,  e§  immer  mehr 
ju  lebenbiger  Anfchauung  bringenbe  jfunft,  bie  be§  ©eljserä.  £>iefe,  juerft  ein  einzelner  3weig  ber  gefammten 
Sonfunft,  wirfte  aber  jugleid),  je  länger  je  mel)r,  ju  beren  gortbilbung  im  Allgemeinen,  an  ibr  gelangte 
biefelbc  mefentlid)  erji  fid?  felber  jum  33cwufitfcm,  unb  reifte  fo  ihrer  SSollenbung  entgegen,  ©inenotb: 
wenbige  Sremumg  be£  ©e£erS  unb  bes>  ©ängerS  mar  mit  bem  Auggange  beS  fecbjebnten  SabrbttnbertS, 
gefebmeige  benn  mit  bem  ^Beginne  unferer  britten  9)ertobe,  nid)t  mebr  vorhanben.  Allein  e§  mar  eine  83er* 
anlaffung  juvücfgeblicben  für  ihr  Sortbeftefyen,  tbeiB  in  ihrer  bissigen,  fo  langen  Sauer,  mein-  aber  noch, 
in  bem  bamalS  eintretenben  Umfcbmunge  ber  Sonfunjl.  Die  bttreb  ibn  angebahnte  S3eränberung  ibrer 
©runblage,  bie  ^Bereicherung  il)rer  Littel,  vor  Allem  bie  völlige  (Erneuerung  ber  Jtunft  bee>  ©e^er§,  reijte 
unb  befabigte  bie  Späteren,  in  ganj  anberem  ©inne  al3  bisher,  ihre  Aufgabe,  ben  älteren  fircbjicben  Sieb» 
meifen  gegenüber,  5U  lofen.  £>aburcb  aber  geminnt  bie  nunmehr  folgenbe,  vierte  ^Periobe  unferer  gcfd)idbt= 
lieben  Darjlellung,  zeigt  fte  un§  auch  ben  SSerfall  fd)öpfcrifcber  Sbätigfett  im  Grrftnben  neuer  geiftlid)er 
SJJclobieen,  unb  beren  barmonifd)cr  ^Belebung  burd)  it)re  Urb eb er,  boeb  eine  SBcbeutung,  welche  fte  fonjt 
nicht  haben  mürbe.  2>a$  fircblicbe  ©epräge  ifl  hier  allgemad)  verfebwunben  in  ber  großen  Anzahl  neuer 
geiftlicber  2ßeifen,  bie  ju  @nbe  bes>  17tcn,  ju  Anfange  beS  hSten  3ar;rbunbert§,  in  ber  fogenannten  pieti- 
jlifcben  3eit,  fdjnell  unb  reid)licb,  entfielen ;  mir  tonnen  fte  nid)t  beffer  bejeiebnen,  aB  inbem  mir  fte 
galante  nennen,  ein  Au3brucf,  beffen  jene  Seit  mit  SSorliebe  ftd)  bebient,  menn  fte  bie  SErefltdjf eit  unb 
3icrlid)feit  beö  teueren  b,erüorb.ebcn  mill  gegen  ba§  fogenannte  Altfränf  ifd)e  il)rer  Vorgänger,  baä  fte, 
unb  mit  ihm  ben  alten  Gboratgcfang,  nur  mit  ©eringfdjäbung  anjufeben  pflegt,  ©o  freilich,  nicht  eben  jene 
^)ietiften,  bie  vb  jum  grofjen  Sf)eilc  mit  ber  grbmmigfeit  grünbltcb  unb  t)er§Iid>  meinten,  fte  in  ihrem  Sehen 
unb  äöirfen  oft  mit  eigener  Aufopferung  betätigten,  unb  v>on  benen  mir  2ieber  bcftfccn,  in  melcben  jumabl 
innere  ©eelenjuftantc  mit  2ßärme  unb  Sicfe  ftd)  auSfprcd)en :  fte  mürben  ein  folcbeS  Urt()eil  mit  S3emu^tfein 
gemip  nicht  gefallt  haben.  Allein  bie  Sonfünftler  jener  3eit  unb  ihre  4pbrer  laffen  fieb  auf  folebe  Art  »er= 
nehmen;  bie  neuen  zierlicheren  ^o^me"  verbrängen  bie  großartigen  unb  mächtigen  ber  S^or^eit,  unb  meil 


  7 


man  jenen  gemäß  nun  auch  emvfanb,  mürben  ft'e  unbewußt  ju  ber  (Sprache,  in  ber  baS  innere  fi'dt)  fünbcte. 
Allein  menn  aud)  bie  mciften  Sonfünftler  biefeS  SeitraumS  ben  @l)oral  bei  ihren  größeren,  ber  tf)eatrali= 
fd)en  gorm,  beren  ft'e  ftd?  rühmen,  immer  mehr  genäherten  geiftlidjen  £onbid)tungcn  nur  leid)tftnnig  unb 
oberflädilid)  bcbanbeln,  unb  im  £?rgclfpiele  allein,  als  ©runblage  fünftlid)er  Ausführungen,  ttjn  einer 
größeren  Sh'tdftcbt  würbigen,  fo  bod)  nid)t  ein  heroorragenber  9Jletjier  jener  Sage,  ben  mir  eben  hier  mit 
S5emunberung  unb  Grfn-furd)t  ju  nennen  haben,  3ohannSebafttan33ad).  2Bie  er  im  £rgelfpiele  alle 
feine  Vorgänger,  alle  Sftitlcbenbe  Übertrift,  unb  biefeS  burd)  neue,  mannid)fa(tige  SScrfnüpfungen  bcS  ßl)0= 
raleS  mit  bem  reidiften  (Stimmengewebe  bethätigt,  baS,  von  ihm  febeinbar  unabhängig,  burd)  ihn  bennod) 
erft  bebeutfam  wirb,  unb  feine  S3ebeutfamfeit  wieberum  einbrtnglid)  fycrüorhcbt;  wie  er  barin  feitbem  nicht 
wieber  erreicht  ift;  fo  jeigt  er  auch  in  vierftimmiger  S3el)anblung  älterer  Choräle  auS  allen  jenen,  juvor 
befchriebenen  ^erioben,  feien  ft'e  nun  entlehnte  ober  neu  erfunbene,  einen  feltenen  (Sinn  für  bie  (5igcntl)üm= 
lichfeit  ber  Seiten  in  benen  fie  entftanben,  für  bie  fird)lid)en  ©runbformen  nach  benen  ft'e  ftd)  bilbeten. 
Dabei  aber  trägt  biefe  S3el)anblung,  befonberS  in  ber  melobifchen  gührung,  burchauS  baS  ©epräge  feiner 
3eit  unb  feiner  eigentümlichen  tonfünftlcrtfchen  3fid)tung.  dx  weiß  ftd)  beS  reichen  Erwerbes  feiner  Seit  an 
neuen  Äunjtmitteln  bafür  in  ganjer  Sülle  ju  bebienen,  felbft  ba,  wo  wir  glauben  fotlten,  tiefer  muffe  ben 
älteren  Äirchenmelobiccn  wiberftreben ;  benn  ju  unferer  Ü.bcrrafchung  fel;en  wir  ft'e  eben  burd)  biefen  auf  bie 
frembefte,  unb  bod)  ft'nngcmäßefte  SBeife  belebt.  .Kann  er  fte  auch  n'^t/  S'c'$  (Eccarb,  ju  Stiftern  f  trd?= 
lid)er  Äunjt  geftalten,  fo  weiß  er  an  ihnen  bod)  fein  tonf  ünjtlertfcheS  Vermögen  glänjenb  unb 
tieffmnig  ju  offenbaren.  Daneben  ift  er  aud)  Erfinbcr  neuer  geiftlid)er  SOMobieen,  freilid)  in  ber  galanten 
Art  feiner  3eit,  bie  aud)  in  biefem  würbig=ernftcn  Spanne  ftd)  nid)t  ju  verläugnen  vermag,  ©cfänge,  bie,  weil 
beS  volfSmäßigen  SoneS  entbehrenb,  geiftlid)e  Arien  ju  nennen  ft'nb,  eher  als  Choräle,  unb  bie,  wenn 
aud)  in  9JZelobieenbüd)crn  anzutreffen,  faum  längere  ober  weitere  Verbreitung  gefunben  haben  bürften.  9Jlit 
btefem  außerorbentlid)cn  9J2cijter,  ber  wieberum  ben  Sänger  unb  <Sefcer  in  ftd)  vereint,  beibe  aber,  aud) 
bei  unläugbarer  SRäl)e,  bennod)  in  weiter  Entfernung,  in  entfd)icbcner  Trennung  jeigt,  fd)licßen  wir  unfere 
Darftellung,  jene  furje  Seit  beS  (ünrftehenS  neuer,  im  ©egenfa^e  gegen  bie  feinigen  wieberum  völlig  fd)mucf= 
lofer  geiftticher  SBeifen,  nur  im  Vorübergehen  betrad)tenb,  in  ber  viele  SDteifter,  jum  £l)cil  auS  feiner 
<Sd)ule,  an  ©cllertS  bamalS  allgemein  verehrten  Äird)enliebern  wetteifernb  ftd)  verfud)ten. 

Snbem  wir  aber  biefen  .Kreislauf  einer,  burd)  bie  Äird)enverbeffcrung  gefd)affenen,  heiligen  .Kunft 
eigenthümlid)er  Art  burd)  fafi  brei  Siit)rt)"nt>erte  verfolgen,  werben  wir  babei  eben  fo  wenig  il)reS5cjiel)ungen 
ju  bem  ©efammtgebiete  ber  Sonfunft  auS  bem  Auge  laffen  bürfen,  aß  tf>r  Verhältniß  ju  ber  jebeSmaligen 
©eftalt  ber  £ird)e  in  ber  fte  heimifd)  war,  beren  ©eift  unb  inneres  Seben  burd)  ft'e  auf  befonbere  SEBeife  ftd) 
auSfpricht.  (So  wirb  unfere  Darfteilung,  gelingt  cS  ihr  nur  einigermaßen  ihre  Aufgabe  $u  lofen,  eine  fünfte 
gefd)id)tlid)e  fowol)l  als  fird)engefd)id)tlid)e  ju  nennen  fenn. 


Sie  Ouellen  i> eö  etxingeltfcfyen  Ätrctjengefangcö, 


I.  Siturgtfd) e  ©efänge  ber  alten  Äird)e. 

£>urd)  ben  heiligen  ©efang  ber  alten  .Kirche,  an  ben  bie  im  IGten  3<»hrbunberte  neu  erjtebenbe, 
einen  geglichen  S3olf§gefang  fd)affenbe,  ftd)  lehnte,  erhielt  biefer  ba§  ©epräge,  bie  33emäbrung ,  aBein 
fird)  lieber,  ©te  melobifcfyen  ©runbformen  jeneS  alten  JUrd)engefange3 ,  in  benen  jugleid)  bie  Äeime 
eigentümlicher  £armonieen  fd)lummerten,  nahm  bie  gereinigte  Äircfye  jur@runblage  ihrer  neuen  ©d)bpfum 
gen,  fte  entlehnte  r>on  ihm,  allein  allejeit  fd?bpferifd?  auSgeftaltenb  unb  umbilbenb.  ©3  gefd?ar>  in  allge= 
meinem  ©inne;  benn  bie  ältejten  ©runbformen  be§  ^eiligen  ©efangcS,  bie  Äird)  entbne,  gelangten 
nun  in  ber  gebrungenen,  üolfSmäf? igen  ©ejklt  be£  neuen  heiligen  2iebe§  erfl  ju  lebenbiger  2lnfcbauung ; 
jene  3eit  frommer  SSegcijlerung,  empfänglich  mie  fte  mar  unb  genugfam  vorbereitet  für  neue  ©ebbpfungen 
ber  Sonfunft,  beburfte  cor  Willem  auf  bem  ©ebiete  ber  ^eiligen  nur  eines  belebenben  £aud)c3 ,  um  frifebe 
S5lütl)en  be§  ©eijteS  $u  seifigen.  2lber  aud)  in  befonberem  ©inne;  benn  inbem  nad)  jenen  formen 
fd)on  früher  ©ebilbeteS  binübergenommen  mürbe,  fdjmolj  man  eö  boeb  um,  juroeift  in  bie  rbptbmifd) 
ebenmäßige,  in  ftd)  mebr  übercinfh'mmenbe  ©ejtalt  be3  58oIf§liebe§,  um  eö,  aud)  bei  treuem  ^Beibehalten 
feiner  bejeiebnenben  ©runbjüge,  bem  allgemeinen  Skrftänbniffe  näber  ju  bringen. 

2Bie  biefe§  gefdjatje,  mollen  mir  nunmehr  näber  betrachten.  £)amit  aber  biefe  ^Betrachtung  eine 
fruebtbare  merbe,  ftnb  mir  genbtbigt,  einige  S3emcrfungcn  bier  üorangef)en  ju  laffen  über  ben  SBilbungSgang 
ber  SEonfunft  bis  ju  ben  3eitcn  ber  Äircbenoerbefferung.  SBecbfeln  merben  mir  tobet,  mie  es>  eben  erforberlicb 
fepn  mirb,  mit  gefd)icbtlid}er  (Srjäblung  unb  allgemeiner  S5etrad)tung.  2Bir  merben  ju  jeigen  baben ,  auf 
melcber  ©runblage  biefe  Äunft  bis  babin  ftd)  auferbaut  batte,  meld)e  Sieranlaffungen  worbanben  maren  ju 
ibrer  2luSbef)nung  unb  (Srmciterung ;  ba§  Grntfteben  jener  ©runbformen  merben  mir  anfcbaulid)  511  macben 
haben,  menn  mir  auch  nicht  einen  jeben  gortfd)ritt  ihrer  Chttmidlung  nacbjumeifen  »ermbgen.  £aben  mir 
bann  fpäter  im  Fortgänge  unferer  Unterfud)ungen  über  baSjenige  im  ßinjelnen  ju  berichten,  mas>  ein  jeber 
ber  juüor  bezeichneten  3eiträume  bem  allgemacb  anmaebfenben  <£d)atje  unfere§  et>angelifd)cn  Jtird)engefange3 
f)injubrad)te,  fo  mirb  bann  ber  eigentümliche  2Bcrtb  einer  jeben  foleben  ©abe,  fei  fte  nun  eine  ^Belebung, 
Sortbilbung,  Skrflärung  bes  febon  SSorbattbenen  gemefen,  ober  eine  neue  (Schöpfung,  erft  red)t  flar  merben, 
unb,  fomeit  bie§  überall  bei  2Berfen  ber  SEonfunft  möglich  ifl,  merben  mir  mit  SZBorten  auSjubruden  ocr= 
mögen,  morin  er  befiele. 

2lUer  ©efang  beruht  unläugbar  auf  einem  JBebürfniffe  bcö  Söienfcbcn,  burd)  SEbne,  bie  er,  mit 
£bbe  unb  SEiefe  mecbfelnb,  in  feiner  Äeble  bilbet,  baö  lleben  feineS  Innern  ju  offenbaren.  Jener  2Bed)fel 


-  9  


t>ee«  Robert  unb  liefen  aber,  Durch,  ben  ber  ©efang  fid)  barftettt,  fann  nur  alSbann  watjr^aft  geftaltenb 
werben,  wenn  er  ein  üerbältnißmäfHger,  ein  auf  biefem  2Sege  erft  lebenbtg  geglieberter  ijt.  £on= 
üerfjdttniffe  alfo  bilbet  ber  9Jienfd),  fobalb  er  ju  fingen  beginnt;  ba3  ©efefc,  nad)  welchem  er  fte 
febaft,  ijt  ein  feiner  9Zatur  inwobnenbeS,  ba§  feine  Salbungen  regelt,  aud)  ohne  bafj  er  beffelben  babei  fid) 
beutlid)  bewußt  wirb,  nod)  batwn  9ied)enfd)aft  ju  geben  uermag. 

dürfen  wir  nun  btefes  ©efelj,  begrünbet  wie  e§  ift  burd)  bie  t>or)c  ©rufe,  bie  ber  SEftenfd)  in  ber 
sJbtur  einnimmt,  ein  befonbereS,  ihm  etgentf)ümliche3  nennen;  fo  ift  er  bod)  wieberum  burd)  feinen 
3ufammenbang  mit  ber  gefammten  9catur  auch  allgemeinen  ©efe^en  unterworfen  in  feinem  33tlben 
unb  treiben.  Diefe  werben  fid)  geltertb  machen  je  nad)  ber  33efd)affenf)eit  ber  natürlichen  £>inge,  bie  er  in 
ben  ÄreiS  feiner  Shätigfeit  hineinsieht:  er  wirb  burd)  biefe  allgemeinen  ©efe^e  eine  33  eftimmung,  eine 
33et*cbränfung  fetneS  S3ilben§  erfahren,  unb  wie  er  burd)  biefelben  balb  fid)  geforbert  ftef)t,  halt 
gehemmt,  wirb  er  fieb  veranlagt  ft'nben,  fte  erfennen,  in  ben  SSegriff  aufnehmen  ju  lernen,  ©o  wirb 
allgemad)  aud)  bas>  in  ihm  waltenbe,  befonbere  ©efe£  ihm  in  ba§  33ewufstfein  treten;  er  wirb  erfin= 
ben,  inbem  er  finbet,  burd)  lebenbige  2tnfd)auung  wirb  er  bie  Söurjel  immer  wachfenber  Qjr= 
Fcnntnifi  gewinnen. 

2fuf  biefem  SBege  ber  (Stftnbung  fefjen  mir  ben  9ftenfd)en,  inbem  er,  gefangfdb,  ig,  gefang- 
bebürftig,  gefangübenb,  toner jeugenben  Äbrpem  in  ber  Statur  nad)fpürt,  bie  »erfd)loffenen 
.Stange  ihnen  entlodt,  fte  feinem  ©efange  anfchlte^t,  bie  33  erf)ältniffe  feiner  Sorte,  ba§  ©eftaltenbe 
allen  ©efangeS,  nad)  ihnen  regelt.  Deshalb  finb  mir  aud)  berechtigt,  bie  9laturgefe^e,  benen  jufolge  bie 
Älangerjeugung  burd)  jene  Äorper  erfolgt,  als  allgemeine  ©efe^e  menfeb  liehen  ©e fanget  ju 
betrachten;  unter  bem  notbwenbtgen  33orbef)alte  freilich,,  baß  fte  burd)  bie  eigentümlichen  SSebingungen  ber 
befonberen  9Zatur  be§  9Kenfd)en  ihre  nähere  £3effimmung  unb  2lbgrenjung  erhalten  werben. 

3weierlei  flangerjeugenben  Äorpem  nun  haben  biejenigen  SSblfer  fid)  angefd)loffen,  »on  benen 
mir  unfere  Sonfunft  herleiten,  unb  beibe  bilben  aud)  gegenwärtig  nod)  beren  gefammte  ©vunblage,  e§  fei 
in  ^Begleitung  be3  ©efangeS,  ober  2lu3bilbung  freien  SEonfpieB.  CrS  ift  bie  ©aite  unb  bie  pfeife.  25er 
forperlid)e  Umfang,  bie  IMde,  entfd)eibet  bei  ber  einen,  ber  Umfang  ber  umfd)loffenen,  fd)mingenben  Suft* 
faule  bei  ber  anbern,  fo  wie  bie  Sange  bei  beiben,  über  bie  Jg>6£>e  unb  Siefe  ibre§  ÄlangeS  an  fid),  bei 
©runbtoneö;  verhältnismäßige  SSerfürjung  ober  SSerldngerung  burd)  oerfchjebene  Littel  läßt  wechfelnbe 
Sotmcrbälmiffe  burd)  beibe  hervorgehen,  ©o  war  e§  benn  baSSängenmaaß,  unb  in  ihm  bie  3ahJ/ 
burch  welche  ber  Sftenfd)  am  früheren  bie  £om>erf)ältniffe  feineS  ©cfange§  orbnete,  inbem  er  auf  bem  2Bege 
teinmathcmatifd)erßonftruftion  bem  ©ebeimniffe  ber  jtlangerjeugung  näher  ju  treten  ftrebte. 

2Btr  bähen  alle  Urfad)e  ju  glauben,  baß  ba§  Sonfyftem  ber  ©riechen  auf  biefem  Söege  au 6= 
fd)ließenb  fid)  gehaltet  hohe,  benn  feine  23erf)ä[tniffe  ftnb  burd)  bie  fortgefe^te  Sbeilung  be3  flingenben 
Äbrpcrö  nach  ^»dlften  unb  burch  Skrgleicbung  *>on  » i  er  auf  fold)e  SfBetfe  gefunbenen  ^heilen  mit  beren 
brei  barjujtellen.  ©o  entjtanb  ben  ©riechen  eine  golge  »erfnüpfter  theiß,  unb  tf)eih3  getrennter  Setra-- 
chorbe,  oon  benen  jebeS  einzelne  in  ihrem  biatonifd)en  Älanggefd)lechte  burch  et  SEont-erhältniffe 
ferner  gegliebert  war :  burch  bie  jwei  weiteren,  einanber  gleichen,  be§  ©anjtoneS,  unb  ba§  ben= 
felben  tooranpehenbe,  engere  beä  J&alb ton eS.  innerhalb  ber  burd)  £etrad)orbe  oon  fold)er  ©lieberung 
bargefteüten  Sonrethe  enrftanben  ihnen  ferner  il)re  fiebert  £>ctaüengattungen  (Sonarten),  jenad)bem  bie 
einzelnen,  unter  bem  SJerhältniffe  ber  £ctat>e  befaßten  fiebert  Äldnge  al§2InfangSpunfte  unb  ©runb= 

«.  SDintetfelt,  ter  tBemgtl  Göctalgcfang.  2 


  10   


{länge  ber  3feibe  gefefjt  würben,  unb  auf  tiefe  %xt  beren  £onr>erf)ältntffe  in  ftebenfad)  üerfd)iebener  golge 
erfcbeinen  liefen. 

9Kan  tjattc  auf  tiefem  SBege  ben  flingenbcn  .Körpern  ein  ©efefc  t>orgefd)rieben,  welchem 
fclgcnb,  fte  allerbingä  eine  9?eibe  unter  ftd)  ftreng  üerbälrnißmäßiger  .Klänge  erzeugten:  ja  man  war  felbft 
bem,  in  ihnen  waltenbe'n  ©efe^e  ber  Älangentwicflung  burd)  bie  DarjMlung  ber  £>ctawe,  ber 
Cuinte  unb  Hu  arte  näher  getreten,  olme  e3  jebod)  ju  burd)  bringen.  £b  bie  Sonfunft  ber  ©rieben 
innerhalb  biefer,  burd)  il)r  Sonftiflem  gegebenen  ©renjen  mit  gret'beit  unb  "tfnmutf)  ftd>  bewegt  fyabe? 
fonnen  mir,  bei  bem  gänzlichen  Söerluffe  aller  bebeutenberen  £>entmaf)le  berfelben,  au3  eigener  2(nfchauung 
nid)t  mehr  ernennen  lernen.  2Birb  e3  burd)  SSertcbre  ber  3eitgenoffen  un§  vielfach,  verfiebert,  ja,  fehlt  e3  ber 
©egenwart  an  «Solchen  nicht,  bie  bei  ber  reiferen  unb  feineren  Güntwidlung  ber£otmerl)ältniffe  in  bem  cbro= 
matifeben  unb  enharmonifeben  jtlanggcfcblcd)te  ber  ©riechen,  iljrcr  Sontunft  fogar  einen  SSorjug  vom  ber 
unfrigen  einräumen  mochten;  fo  fei  c§  vergönnt  biefen  SSorjug  in  3weifel  $u  fteücn,  ba  ibr,  bei  aller 
feineren  melobifcben  2tbfd)attung,  beer;  bie  Harmonie  in  unferem  Sinne  fehlte,  unb  fehlen  mußte, 
»eil  bie  #nfd)auung  be3  in  bem  Staturgcfefje  ber  Sonentwidlung  bargeftellten  £>reiftang§  ibr 
mangelte,  ber  auf  bem  gemälzten  2Bcge  matl)ematifd)er  (Sonftruftion  nicht  ju  ft'nben  mar. 

SSiele  werben  geneigt  femt,  biefen  Langel  ju  läugnen.  Denn  e§  wirb  une>  ferner,  einen  Sufianb 
ju  benfen,  wo  baSjenige,  beffen  mir  un§  jefjt  mit  2cid)tigfcit,  faft  unbewußt,  bebienen,  baö  als  ein  ange= 
borneS  SBerfjeug  ober  .Kunfrmittet  un§  erfd)eint,  noch  nicht  »orbanben  war:  womit  ee>  nahe  genug 
jufammenbängt,  einen  folgen  3ufianb,  jumal)l  bei  einem  bochgebilbeten  SSolfc  wie  bie  ©riechen,  überall  in 
2£brebe  ju  nehmen.  £>ie  Serj  in  ibren  beiben  formen,  bargeftellt  jwar  in  bem  Sonfuflem  ber  ©riechen, 
boeb  n i cht  in  SSerbältniffen  um  bie  33ilbung  be§  £)reiflang§  ju  geflattert  —  bie  £etj  erfchetnt  un3  fo  uner- 
läßlich, um  felbft  melobifcb  nur  einem  jeben  ©efange  fein  eigcntbümltcheij  ©epräge  ju  geben,  baß  ee>  un§ 
unmöglich  fällt,  einen  foleben,  wo  fie  nicht  in  bie f er  £inftcbt  aud)  ba§ SSeftimmenbe  fci;n  fotlte,  un§  t>orju= 
ftellen.  2öir  werben  inbeß  burd)  bie  ganje  33efcbaffenbeit  be3  gried)ifcben  S>;ftems>  ju  ber  Annahme  biefeS, 
wenn  aud)  un§  unbegreiflichen  SCRangelS  gezwungen. 

.Konnte  nun  ben  ©ricd)cn  ifyt  Sonfyftem  einen  gleichzeitigen  ©efang  mebrer  Stimmen  nur  in 
ben  S3erbältniffen  be§  @inflange§  ber  betaue,  £luarte  unb  £luinte  geftatten ;  fo  ft'nben  wir  eine  gleich  robe, 
unferem  SDbre  wibrige  Harmonie,  bei  bem  2lrifd)licßen  an  jenes?  Snftem,  aud)  ben  2(bcnblänbern  im  jef)n: 
ten  Sabrbunberte  d)ri(rlid)er  3eitred)nung  eigen,  £ucbalb  begleitet  ben  Äird)engefang  mit  jenen,  im 
Sinne  ber  ©ried)en  allein  al§  SBoblflänge  erfd)einenben  Sonüerl)äItniffen ,  unb  erfl  feit  bem  13 ten 
Sab,  rfjunberte  traten  bei  granco,  bem  aud)  um  3citmaaß  unb  Sattgew id)t  fo  oerbienten  SKeifter,  beibe 
Serjen,  bie  große  unb  bie  f  leine  in  bie  Steckte  ein,  welche  fte  feitbem  ftegreid)  behauptet  baben. 

£>ie  allgemad)  gewonnene  'Änfd)auung  üon  ber  banrtonifcfyen  Jßebeutfamfeit  jumal)t  ber  großen 
Serj  ifl  üon  ungemeiner  2Btd)ttgfeit  für  bie  ©efcbid)te  ber  Sonfunft,  fofern  burd)  fte  baö  ©efefc  ber 
.  Älangentwidlung  lebenbiger  in  ba§  S5ewußtfein  trat.  @f)f  »ir  biefeS  wieberum  näber  in  baö  tfuge 
faffen,  ifl  e§  erforberlid) ,  einige  Sbatfacfyen  t,cr  ©cfd)id)te  jtwor  nod)  in  ©rwägung  ju  jieben. 

Sftad)  bem  3eugniffe  eineg  gelehrten  gorfd)er§,  ber  ben  alten  heiligen  ©efang  ber  rbmifd)en  Äird)e 
eorjüglid)  ju  bem  ©egenilanbe  feiner  Unterfud)ungen  gemacht  t)at*),  iji  biefer  ©efang  (gewöhnlich  ber 


')  Baini. 


1 1 


gregorianifcbe  nach  bem  Zapfte  genannt,  ber  bie  treflicbftcn  Scnfmale  beffctben  fammelte,  ftcbtete  unb 
orbnete)  in  ben  älteften  3eiten  d>rtfiltd>er  3eitrecbnung  cntffanbcn,  unb  tjat  felbfi  nod)  burd)  baS  12te  3abr= 
bunbert  bin  geblüht,  fofern  er  auch  bamalS  im  SSBacbfen  begriffen  gewefen  ijt.  Sßom  13ten  3abrhun= 
berte  ab  reebnet  er  bagegen  feinen  Verfall. 

2K8  ältefte  unb  treflicbjte  Senf  male  biefeS  üircbengefangeS  nennt  er  bie  £r;mnen.  Sbre  ©efang= 
weifen  ftnb  ibm  tfjetlö  äd)t  a I tgriecb tf cb e,  von  beibnifeben  ©efängen  auf  bie  neuen,  in  d>rifittd>em 
Sinne  gebiebteten  übertragene,  tbeilS  im  4ten  unb  5tcn  3abrbunberte  jenen  älteren  naebgebilbete: 
ßrjeugniffe  alfo,  ober  minbejtenS  SJ? a d) f  lange  ber  Sonfunjt  beS  grieebifeben  AltertbumS. 

3Qir  laffen  eS  tabingcftcllt,  ob  feine  SSerft'cberung  riebtig  fei,  tafj  in  biefen  alten  heiligen  ©efängen 
alle  fiebert  £ctat>engattungen  ber  grieebifeben  SEonfunft  Cunb  beren  in  gleicber  3<thl  »orbanbene  Abarten, 
ton  benen  fpäter  bie  Siebe  feprt  wirt)  fieb  r-orfinten.  Senn  wir  vermögen  niebt,  fte  ju  prüfen,  roeil  unS 
nicht  ein  fo  reicher  SSeftfo  von  Huellen  gewährt  ijt,  als  ibm.  ©0  roeit  wir  bie  ©efangSweifen  ber  .Ipwmnen 
intefj  au$  lauteren  Quellen  Fennen  —  unb  SBaini  jufolge  hotte  bis  gegen  ben  Ausgang  beS  fecbjcbnten 
^abrbunbertS  bin  e^en  biefer^beil  beS  römtfeben  ÄtrcbengefangeS  am  meiften  fieb  unoerfälfebt 
erhalten  —  tfjt  eS  breierlet,  waS  an  ihnen  für  unferen  gegenwärtigen  3»ed  unS  jumeift  merfroürbig 
ijt.  Äeine  tiefer  ©efangSweifen  jeigt  ben  Unterhalbton,  alS  ba,  wo  er  ber  £>ctaoengattung 
jufolge,  am  Scbluffe  erfcheinen  mufj ;  er  mangelt  überall,  wo  er  bureb  fte  niebt  gegeben  würbe.  Sie  £>cta= 
»engattung  ("ober  SSonartj  war  baber  eine  jlrenge,  ohne  Ausnahme  befolgte  ©efangSregel.  Stellt 
ferner  bie  £ctavengattung  (unferem  Sinne  jufolge)  eine  harte  Tonart  bar:  fo  wirb  bie  grofje  SSerj 
bennoch  von  bem  ©runbton e  auS  im  unmittelbaren  AuffteigenniemalS  berührt,  wenn  eS  aud)  t>or= 
fommt,  baf?  »on  ihr  auS  ju  bem  ©runbtone  unmittelbar  berabgeftiegen  wirb.  SBo  bie  grofje  SEerj  aud) 
im  Aufzeigen  fieb  jeigt,  ba  erfebeint  fte  boch  niemals  ju  bem  ©runbtone  beS  ©efangeS  in  biefeS  83er= 
bältni§  gejlellt.  3m  febrittweifen  Aufzeigen  ju  ber  Quarte  unb  £luinte  beS  ©runbtoneS  wirb  fte  häufig 
überförungen.  Softer  entlieh  erfebeint  in  weisen  Tonarten  bie  fleine  £erj,  felbft  febon  im 
erfien  ^Beginne  ber  SJielobie,  unmittelbar  in  biefem  ihrem  S3erhaltntffe  ju  bem  ©runbtone. 

granco,  bei  welcbem  b  e  i  b  e  Serjen ,  unb  jumabl  bie  große  baS  SSürgerrecbt  in  ber  SEonfunfi 
gewannen,  lehrte  um  bie  erfte  £älfte  beS  13ten  SabrbunbertS.  Um  ben  Anfang  teS  folgenben 3tfbrbuntertS 
febon  hatte  feine  Schule  ftcb  weit  verbreitet,  eine  mebrftimmige,  in  bamaligem  Sinne  fünfilicbe  ^Begleitung 
alter  geiftlicber  SBeifen  burd)  bie  Äircbenfänger  war  übltdb  geworben,  unb  I;atte  SSeifall  gewonnen,  aber 
nicht  bie  JBitligung,  fonbern  entfdiietenen  2Biberftanb  ber  Äird}enhäupter  gefunben.  Um  1322  eifert  $>apft 
3ohanne5  XXII.  in  einer  SScrorbnung :  de  vita  et  honestate  clericorum  über  bie  Ausartungen,  welche 
bureb  bie  Anbänger  einer  neuen  Schule  eingeführt  worben.  dr  wirft  ihnen  »or,  baß  fte  bie  ©runblage 
ntdnfennen,  auf  ber  fte  ihre  Songebäube  aufführen,  baß  fte  bie  Sonarten,  namentlich  beren  Auffcbwung 
unb  Abfall  im  ©efange,  nicht  vevfteben,  unb  will  eS  entlich  nur  geftatten,  baft  an  hohen  gefttagen  juweilen 
SBoblflängewie  eine  £ctat>e,  Sluarte,  £luinte  ober  tergleichen  Sonoerbältnifj  gehört  werbe,  baS  mit  ber 
SCftelobie  in  Übereinftimmung  fei.  Sie  Serjen  unb  Sechsten  werben  alS  folche  erlaubte  Sonüerbältniffe 
nid)t  auSbrüdlicb  genannt,  wir  ftnb  alfo  auch  nicht  berechtigt,  gegen  ben  »örtlichen  Snbalt  tiefer 
S3erorbnung,  unb  gegen  bie  ältere  Anficht,  »elcbe  fte  nicht  ju  ben  SBo  hl f  längen  jäblt,  fte  babin  unbe= 
bingt  ju  rechnen.  Aber  auch  bei  Anwenbung  ber  t? erftatteten  2Bof)tflänge  wirb  immer  alS  unerläßliche  f8t-- 
bingung  geftcllt:  ba§  ber  beilige  ©cfang  felbjt,  bie  ©r  unb  weife,  unangetaftet  bleibe. 

2* 


JCuS  btefen  Bfyatfatyen  (im  3ufammenl)ange  mit  bem  ju»or  ©efagten)  galten  »«  uns  berechtigt 
nadijtcbcnbc  Folgerungen  ju  jieben. 

Sie  Sonfunjr  bcr  teueren ,  bie  aud)  äußerlich  jumeiji  bcm  auf  ft'e  vererbten  Sebrgebäube  ber 
©riechen  ftch  anfebloß,  mar  in  ben  elften  jebn  3«brbunberten  cfyriftlicber  3citrecbnung  nod)  ju  feiner  anberen 
barmonifeben  Begleitung  getieften,  aB  ft'e  ber  gricd)ifcbcn  Sonfunfi  »ergbnnt  fct>n  fonnte.  Allein  um 
fruebtbar  fann  biefer  Seitraum  bcS^alb  ntcftt  beiden.  Senn  ein  eigentl)ümlid)er,  in  ftd)  ftreng  georbneter, 
menn  im  Anbeginn  aud)  nur  auf  einnimmt  gen  Vortrag  bcred)neter  jtird)  engefang  ging  in  ibm 
fteruor.  Sie  .Kirche,  in  beren  ©ebooße  biefer  fettige  ©cfang  entftanben  unb  gepflegt  morben  mar,  mad)te, 
mie  über  bie  JRemfyett  tf>rex*  2  e  I)  r  e ,  fo  aud)-über  bie  feinige,  mit  gleichem  ßifer. 

(Sein  IcbcnbigeS  gortm  ad)  fen,  —  al§  rein  melobifd)er  ©efang  —  bort  um  biefelbe  3ett  auf, 
mo  man  aud)  eine  Umbilbung  beffclben  (im  ©inne  ber  .Kirche  eine  beffen  Svcinbeit  antaftenbc  QnU 
jlellung)  ju  fürchten  hatte.  Sief«  Verfall,  biefe  ©ntftellung  traten  um  biefelbe  3eit  ein,  mo  aud) 
bie  groß e  Serj  al§  SBoblflang  cnblid)  ftd)  geltenb  mad)te. 

2113  33  ejeicbnenbcS  ber  Sonart  ft'nben  mir  in  ben  bebeutenbjlcn  ©rjeugniffen  jenes?  alten  iltr= 
cbengefangeS  bie  große  Serj  nicht  angemertbet,  obgleich,  unter  ben  £)ctaoengattungen  jener  Seit  beren  brei 
ft'nb,  bie  mir  al§  tyaxte  Tonarten  im  ©ume  unferer  Seit  anfpreeften  bürfen.  Sagegen  mirb  in  benjenigen, 
bie  urte>  al§  meid)c  Tonarten  evfd)einen  unb  beren  bie  Sftcftrjabl  (4)  ift,  bie  t leine  SEerj  jum  öfteren  al£ 
beren  eigentümliches  Äennjctdjen  gcbraud)t. 

hierin  glauben  mir  bie  Sbätigfcit  eines>,  im  inneren  bee>  SJlenfcften  maltenben,  ber  rein 
matbematifd)en  Älangerjeugung  miberftrebenben,  befonberen  ©efe^es»  mabrjttncbmen.  Senn  übte 
er  ein  Sonoerftältniß,  ba§  jufolgc  jener  matl)cmatifd)cn  SonbilbungSmcife  al6  SBoftlflang  nid)t  bargejteUt 
mar,  auf  eine  SBeife  unb  unter  S5ebingungcn,  mo  e§  nur  al§  SBoblf  lang  bejeiebnenb  fepn  fonnte,  fo 
mar  er  genötigt,  t>on  bem  früher  gefunbenen,  für  ibn  bemmenben,  unb  nid)t  ferner  feböpferifeben 
©efefje  abjumeieben,  unb  einem  anberen,  menn  aud)  nur  innerlich  geabnten,  ju  folgen:  auf  biefem  SBege 
aber  ein  anbereS,  als  ba§,  auf  bem  früheren  if)tn  geläufig  gemorbene  Sonücrbältniß  barjuftellen. 
$atte  er  nun  tiefet  neue  SBerftältniß ,  im  Anbeginn  nur  alö  mclotifcbe§,  menn  aud)  mit  entfernter 
2lftnung  feiner  ftarmonifd)en  SSebeutfamfctt,  gefunben;  fo  mürbe  ibm  bamit  allgemad)  aud)  beffen  ©r= 
gänjung,  bie  große  Serj,  al§  Sßoftlflang,  unb  mit  biefer  überhaupt  erft  bie  wolle  ftarmonifebe 
35ebeutfamfeit  ber  Serjen  gemährt. 

Senn  bie  große  S£crj  ift  junäd)ft  ein  barm onifd)  es>,  mie  bie  f  leine  junäcftfl  ein  melobü 
fcfteS  SEomjerbältniß ;  bie  mal)re  SSebeutfamfeit  ber  Harmonie  rul)te  in  biefer  nur  abnungäüoll,  unb  »er- 
fd)loffen,  in  jener  erft  ücrmocbte  ft'e  üollfommcn  ftd)  ju  entfalten.  SDiocftte  bcr  SDienfd)  aud),  oermbge  be§  in 
ibm  lebenben,  befonb  er  en  ©efefceS  biefe  ju  erft  erfennen;  erft  oon  ba  an,  mo  btefeS  befonbere  mit 
einem  allgemeineren  ^Jcaturgefe^e  ber  Älangcntwid'lung  »erfcbmolj,  mürbe  aueb  ba£  rechte  Söefen  be§ 
©rfannten  ibm  offenbar. 

Siefeö  allgemeine  9?aturgefefc  nun  ift  fein  anbercS,  als  bie  fogenannte  u'rfprüngltcbe  SEom 
leiter  ber  ©aite  unb  pfeife:  bargeftellt,  —  um  e§  furj  ju  fagen  —  in  ber  £)ctaue  ibrer  ©runbtbne,  in 
ber  Sbeilung  uon  beren  Sctawe  burd)  bie  £luinte  unb  £luarte,  in  ber  Teilung  ber  £luinte  über 
biefer  Soppcloctaoe  burd)  bie  große  unb  f  leine  SSerj.  3n  biefen  bureb  fecbs&längc  gebilbeten  fünf  So n-- 
rerbättniffen,  »erben,  b^rmonifd)  bebeutfam,  nur  bie  beiben  bcr  £luintc  unb  großen  Serj 


  13   

vernommen,  burch  brei  £  länge  bargejiellt;  baber  benn  auch,  bas  Sufammentönenbe,  fetner  mannich  fachen 
(Elemente  ungeachtet,  mit  Siecht  nur  £>reifl ang  genannt,  unb  ben  nur  erg änj enb en  SSerfjdltntffen  ber 
£L  u  a  r  t  e  unb  f  l  e  i  n  e n  Z e r  j  junädbft  nur  m  e  l  o  b  i  f  cb  e  33ebeutfamf eit  bcigemeffen  wirb.  Sarum  r)at  ber 
üftenfcb  eben  biefe  bei  ben  am  erften  erfannt;  jenes,  aß  Siegel  ber  am  frübcften  uon  ihm  georbneten 
SSomxrbältniffe,  biefe§,  im  gortfcbritte  berSOcelobiebilbung  5  fei  e§  nun,  baß  melobtfchejBerbältniffe  i()m 
besbalb  eher  jur tfnfcbauung  gelangen  mußten,  weil,  fcbon  wegen  be3  3 eitle ben 3  berSone,  bieSJielobte, 
ber  &onwecbfel,  ber  äußeren  ©rfcbeinung  nach ,  bem  ßufammenf lange,  ber  Harmonie,  notbwenbig  vor* 
anging,  fo  innig  auch  beibe  »erfnüpft,  wefentlich  unb  urfürünglicbmit  einanber,  unb  ein  %  ftnb : 
fei  eS,  baß  ein  in  ihm  lebenbes?  ©efe£  bie  Selbjiänbigfeit  be£  Verborgenem  ihm  fogar  früher  enthüllte. 

3n  biefem  5caturgefe|e  ber  urfprüng liefen  Tonleiter  ber  Saite  unb  pfeife,  ba§  je|t  bei 
ber  gewonnenen  tfnfcbauung  ber  großen  Serj  aß  wefentlich  barmonifd)en  SonoerbältniffeS  unb  bei 
ber  barauf  gegrünbeten  gleichzeitigen  33ermü»fung  mehrer  «Stimmen  ftcb  gelt  enb  machte,  wenn  e3 
auch  noch  nicht  obllig  erfannt  worben  war,  ftnben  mir  bie  Quarte  unb  bie  groffe  Serj  nachbarlich 
bei  einanber  aß  (Srjeugniffe  be§  ©runbtoneS.  S3eibe,  ba3  eine  in  feiner  melobifcben,  ba3  anbere  in  feiner 
barmonifeben  2Birf  famfett  unmittelbar  einanber  gefeilt,  führten  nunmehr  auf  eine  neue^nfebauung, 
welche  bie,  in  bem  Sinne  ber  itirebe  bisher  bewahrte  9? ein h ei t  be§  ÄircbengefangcS ,  —  bie  in  feinen 
@rjeugniffen  unberänbert,  ftreng  feftgehaltene  Siegel  ber  £)ctat>engattung  —  antaftete  unb  fein 
gortwachfen  hörnte.  (SS  ift  bie  2lrtfcbauung  bon  ber  Ucotbroenbigfeit  be§  Unterhalbtoneä  (semi- 
tooii  modi). 

25er  ©runbton,  nachbem  er  in  feiner  £beroctat>e  nur  feine  gefchärfte,  ihm  wollig  werfcbmeljenbe 
2öieberholung  erjeugt  hat,  ftrebt  »on  biefer  ju  beren  £luinte,  aß  feinem  erften,  felbftdnbigen  (Srjeugniffe 
hinauf,  unb  von  biefer  roieberum  burch,  bie  Quarte  in  feine  ihm  abermals  »erfchmeljenbe  Soppeloctawe;  in 
biefem  Sinne  aber  in  fieb  felbft  jurücf.  £>aher  bie  melobifche  33ebeutfamfeit  ber  £> ber qu arte, 
ober  ihrer  Umfebrung,  ber  Unter  quin  te,  aß  SSaßclaufel,  aß  Sdjlußcabenj,  w  0 1 1  c  r  SSonfall. 

23eibe  einzelne  .Klänge  nun,  melcbe  biefen  SEonfall  barff  eilen,  werben,  als?  felbftänbige  ©runb; 
f  länge  betrachtet,  unb  in  biefer  ©igenfebaft  ihre  urfyrüngltcbe  Sonfolge,  foweit  fte  barmonifdb  bebeutfam 
ift,  enfwirfelnb,  mß  eine  golge  jweier  harten  £>reif  länge  barjMen,  unb  biefe  mirb  mß  aß  bie  urfyrüng= 
lichfte,  naturgemäß efie  harmonifd)e  ^Begleitung  eines  wollen  SonfcbluffeS  erfcheinen  müffen.  £ie 
große  £er$  aber  (ba§  33  ej  ei  ebnen  be  biefer  25reif  länge)  auf  ber  Unterquarte,  ober  wa3  bem  gleiche 
gilt,  ber£?berquinte  bee> ©runbtoneS,  bilbet  eben  beffen  große£>berfe»time,  ober  feinen  Unterhalb: 
ton.  6r  mar  ba$  näcbjle,  unmittelbarjle  Csrgebniß  neuer  SQMobiebilbungcn,  nachbem  man  bie  große 
S&rg  in  ben  jlreß  ber  harmonifchen  SSerfnüpfungen  aufgenommen  hatte;  unb  eS  ift  nicht  ju  bezweifeln, 
baß  bie  Äirdjenfänger,  melche  nach  ben  Siegeln  ber  burch  Sranco  unb  fpdter  SEJcarch etto  won  $Pabua  allgemacb 
weitet  fortgebilbeten  neuen  Schule  harmonifchen  ©efangeS,  bie  alten  jtirebenweifen  mit  vier  bi§  fünf  l)armo= 
nifd)  begleitenben  Stimmen  febmüdten,  bei  bem  auffteigenben  Schluß  fall  berfelben  nach  bem 
©runbtone  h'n,  »on  einem  inneren,  nunmehr  möglicbermeife  erft  ermaebten,  unb  auf  bem  einfachen 
sJlaturgefe£e  ber  Älangentmicflung  berubmben  ©cfühle  geleitet,  bie  f  leine  Tberfeptime  ober  große  Unter  - 
fecunbe,  in  bie  große  Sberfectime  ober  f leine  Unterfecunbe  werben  berwanbelt  haben.  Samit  war 
offenbar  ba§  bisher  ftreng  waltenbe  ©efe^  ber  £> etat» engattung  »erlebt,  ber  f  eufche  QTuffchwung  ber 
Tonart,  wie  $)a»ft  3ohanneö  ft'd)  auöbrücft,  »ernannt,  beren  SBefen  angetaftet,  ber  heilige  ©efang  ent= 


  14  

jtellt,  ba3  Einfchreitcn  ber  Äird)e  nothwenbig  geworben.  Darum  tjl  aud)  bic  große  £erj  in  ber  oft  be- 
fvrodicncn  Serorbnung  jenes  ^apfteS  nicht  auSbrüdlid)  genannt,  weber  aß  verbotene^,  noch,  erlaub* 
te§  SEonverhältniß.  £>enn  war  fie  auch,  in  ber  £l)at  ba3  S3eranlaffenbe  ber  gerügten  Entflellung,  fo 
fam  e3  bod)  nicht  in  ihr  unmittelbar  jur  2lnfd)auung,  fonbern  nur  in  ben  veränberten  (Schlußfällen, 
bie  eine  mclobifd)c  S5ejieb,ung  barfrellten,  beren  nothwenbiger  3ufammenf)ang  mit  ber  großen  SEerj  man 
noch  nid)t  er!annt  hatte.  £a§  Oberhaupt  ber  Äird)e  erlaubte  ft'e  md)t,  weit  man  jenen  ßufammenhang 
vielleicht  entfernt  ahnete,  e3  verbot  fienid)t,  weit  fie  an  anberen  Orten  unb  am  (Schluffe  ber  ©efänge 
ohne  Schaben  für  bie  ©runbmclobie  gebraucht  werben  fonnte:  e§  begnügte  fid)  au§jufpred)en,  baß  anbere 
5£onverf)ältniffe  als  Ocrave,  Ouarte  unb  Ouinte  nur  bann  anjuwenben  feven,  wenn  fie  mit  ber  Gelobte 
bes  £ird)engefanges>  in  Übereinftimmung  feven  unb  beren  Sieinfjeit  nicht  antafteten. 

95iit  biefer  neuen  2lnfd)auung  be§  U  n  t  c  r  h  a  l  b  t  o  n  e  §  hing  e§  nun  genau  jufammen ,  baß ,  bei 
ber  burd)  biefclbe  bewirften  Erfd)ütterung  ber  bisherigen  ©runbregel  be§  ©efangeS ,  ber  Octavengattung, 
auch  ba§  lebenbige  Sortwacbfen  be3  mclobifd)en  Äird)cngefange$>  in  biefem  (Sinne  aufhörte,  unb  berfelbe 
allgemad)  abwelfte.  T)mn  ein  neuee>  auf  bie  Harmonie  gegrünbeteg  ©efefj  ber  Sftelobiebilbung  mußte 
nunmehr  hervorgehen,  e§  mußte  ein£>urchgang§jeitraum  in  berfclben  eintreten,  eine  ©ährung,  beren 
9}ieberfd)lag  oft  woI)l  trübe  unb  ungenießbar  fid)  barflcllen  mochte.  I^icfe  Epoche  ber  ßerfe^ung  unb  2luf= 
löfung  mußte  aber  um  fo  langer  bauern,  al§  ba§  jtrenge,  hemmenbe  ©ebot  ber  Jtirche,  obgleich  e§  baneben 
auch  wahren  Mißbrauchen  eine  heilfame  <Sd)ranfe  jog,  bennod)  bamit  jugleid)  bie  .Seime  neuer  Entfaltung 
für  eine  SBeile  jurüdl)ielt.  £>av)tx  evft  in  ber  Sföitte  be3  vierjehnten  Sö^unbertä  nahmhafte  SEonfe^er, 
unb  erft  in  ber  testen  Hälfte  be§  16ten  bie  volle,  frifche  Entwicklung  beffen,  wa§  nicht  länger  unter  einem 
jwingenben  ©efefje,  roie  es>  ba§  alte,  mathematifd)e  jumeiji  geroefen,  fonbern  aut>  einem  fd)öpfe= 
rifch  belebenben,  wie  ba§  neue  fich  bewahrte,  in  reicher  bracht  hervorblühte. 

4?ter  aber  bemährte  ee>  fid)  auch  mieberum  auf  treffliche  SBcife,  baß,  wie  bie  Statur  feinen  Sebent 
feint  vergeben  läßt,  fo  auch  auf  bem  ©ebiete  ber  Äunjl,  ber  SSegeiftigung  ber  Statur,  ber  33erft'nntid)ung  be£ 
Überfinnlichen ,  nid)t§  verloren  geht,  wa§  ein  wahrhaftesten  in  fid)  hatte,  <So  baS  unter  bem  alten 
©efe^e  in  einfeitiger  S3ollenbung  ©ebilbete;  ihm  ffanb  eine  neue,  fchbnere  SSerflärung  burd)  bie  Spax-- 
monie  bevor,  wie  fie  ja  aud)  bem  alten  ©efefce  ber  Octavengattung  fclber  ju  Sfjeil  werben  follte,  bem 
nicht  bie2lufhebung,  fonbern  bie  Erfüllung  in  feinem  ganjen  Umfange  bevorfranb.  2>r  alte  heilige 
©efang  ruhte  auf  bem  früheren  ©efefje  mathematifchcr  Eonftruftion,  allein  baS  allgemeine  Staturgefe^ 
ber  harmonifchen  Älangerjeugung,  baS  befonbere,  in  ber  menfd)tid)en  Statur,  bem  menfd)li= 
d)en  ©eifte  lebenbe,  blieben  beöfjalb  nicht  unwirffam  nod)  unbefugt,  wenn  ft'e  aud)  jurüdtraten  unb  fid) 
verhüllten.  £>arum  aud)  war  jener  alte  Äird)engcfang  ber  Entfaltung,  ber  Sßelebung  im  höheren  Sinne 
fähig  unb  zugänglich,  nur  baß  er  von  feiner  jtrengen,  alten  Selbfiänbigfeit  etwas  aufopfern  mußte.  Allein 
nid)t  eine  Entftellung,  nicht  eine  Ausartung  ober  Entweihung  erheifd)te  biefeS  Opfer;  fonbern  bie  waf)r= 
hafte  Offenbarung  feineS  innerjten  SSBefenö,  baö  man  nun  inniger  jtetsj  unb  liebevoller  erfannte,  immer 
jarter  fdionte,  war  burd)  baffelbe  erft  möglid).  3rt  biefem  (Sinne  ijt  ba§  alte  ©efelj  ber  Sctavengattung  auf 
einerneuen,  höheren  (Stufe  in  ben  Äird)  entönen  ber  legten  £ätfte  be§  16ten  SabrhunbertS  wieberum 
eine  belebenbe  9?egel,  unb  bie  Schöpfungen  ber  treflichffen  SDJeifrer  biefe§  3eitraumö  ft'nb  feine  höchfte  95lüthe 
geworben:  eine  S5tüthc,  bie,  wenn  fie  un§  aud)  im  3ufammenhange  ber  ©efammtentwidlung  ber  £onhmjt, 
welche  barin  noch  nicht  in  ihrer  g a n j e n  gülle  erfchien ,  als  ein  £)urd) gang Svunft  erfcheinen  muß, 


bocb  in  ihrem  innerjten  SBefen,  in  ihrer  eigentbümlicben  SSollenbung  angefd?aut,  einen  bauernben  SBertt) 
t>at  für  alle  Seiten ,  unb  eine  9Jeibe  von  .Eunf!fcbö»fungen  barftellt,  benen  gegenüber  auch  baS  4?errlich|le 
ber  fväteren  3eit  nicht  alS  ein  b t> er eä  erfebeint. —  Über  bie  Äirchentone  nun  haben  wir  bereite 
früher  bei  bem  ^Berichte  über  baS  ßeben  unb  SßBtrfen  cincS  großen  SonmeifterS  auS  bem  lOten  3al)rl)unberte 
ausführlich  gehantelt.  SaS  SBefcntlicbe  waS  barüber  ju  fagen  ift,  läßt  vielleicht  in  bie  folgenbe,  gebrängte 
Sarftellung  ft'cb  jufammenfaffen. 

SBenn  roir  von  bem  9?aturgefe£e  ber  urfvrünglicben  Älangentroi cf lung  ausgeben,  bem 
9ieubelebenben  für  baS  alte  ®efe£  ber  £)ctavengattung ;  fo  erfd)einen  als  £au»ttonarten,  bie  auf  bie 
33ejtanbtbeile  beS  harten  Sreif  langes,  —  ben  ©runbton,  feine  Quinte,  feine  große  Cberterj  — 
gegrünbeten:  bie  ionifcfye  alfo,  bie  mirolvbifche,  bie  phrvgifcbe,  ober  bie  erjle,  fünfte, 
b ritte  £>ctavcngattung,  roenn  roir  von  C,  bem  vorauSgefefcten  ©runbf  lange,  aufwärts  ju  jäfylen  beginnen. 
Sie  »brvgifche  S?etr>e  aber,  betrachten  wir  ihren  ©runbton  als  felbftänbigen  ©runbflang,  beutet  in 
ihrer  Grigenfcbaft  als  Dctavengattung  nicht  ferner  hinauf  ju  einer  mit  beffen  £)berquinte  beginnenben, 
neuen  ©attung  biefer  %xt.  Senn  bie  fiebente  £)ctavengattung,  welche  mit  bem  £one  H  beginnen 
würbe,  —  war  fte  überall  in  bem  alten  Äird?engefange  heimifcb,  waS  wir  nicht  jugeben,  noch  heftreiten 
mögen  —  fann,  feit  baS  neue  ©efefj  barmonifcher  Entfaltung  Jjerrfcr^t ,  als  Sonart  nicht  gelten,  weil 
ein  nothwenbiger  33ejfanbthetl  beS  Sreif langes ,  bie  reine  Satinte,  ihr  mangelt. 

Ser  ^^rtjgifdje  ©runbton  weift  f>ienad>  ntdjt  langer  als  Erzeuger  aufwärts,  fonbem 
nur  als  Erzeugter  abwärts,  auf  feine  Unterquinte,  (A  ).  Stefer  ©runbflang,  ber  ©runbton  ber  6ten 
£ctavengattung  (beS 'tfolifcben)  bilbet  nunmehr,  mit  benen  beS  »brugifchen  unb  ionifchen  verglichen,  ben 
weichen  Sreiflang,  in  welchem  wieberum  eine  nahe,  naturgemäße  23erwanbtfcbaft  breier  Äircbentbne 
fid)  barftellt. 

Sn  bereifte  biefer  4,  auf  folchem  Sßege  gefunbenen  SEonarten:  ber  ionifchen,  mirolnbifchen, 
»hrngifeben,  äolifchen  fleht  bie  bor if che  (bie  2te  £>ctavengattung).  3hr  ©runbton  liegt  um  eine  lüuinte 
aufwärts  von  bem  mirolnbifchen,  um  ein  gleiches  SBerhältniß  abwärts  von  bem  äolifchen.  Sie  quin= 
ten  weife  33ejief)ung  ber  SEonarten  geht  hernach  von  ber  ionifchen  jur  »hrvgifchen  aufwärts  (C.  G.  D. 
A.  E,)  unb  ifl  hiermit  befcbloffen. 

Sie  vierte  mit  F  beginnenbe  Sctavengattung  ftnben  wir  fdwn  in  ber  Seit  beS  alten,  jumeijl 
melobifcben  ÄirchengefangeS  feiten  rein  bargejrellt,  weil  ihr  bie  reine  Sluarte  mangelte,  nach  welcher  bie 
ältere  3eit  ihr  gefammteS  SEonfoftem  regelte.  Siefe  £ctavengattung  —  bie  Ivbifcbe  SEonart,  wie  wir  fte 
genannt  finben  —  würbe  bureb  Umwanblung  beS  ihr  eigenen  SE r i t o n u S  in  bie  Huarte,  ber  ionifchen 
genähert  unb  verfchmolj  berfelben  faft  gänjlicb  um  bie  Seit  barmonifeber  Entfaltung. 

günf  Sctavengattungen  treten  unS  fonacb  als  h<*rmonifch  entwitflungSfäbjge  Zon- 
arten  (£  ird)  ent  o  ne)  entgegen,  von  benen  bie  er  fte  unbjweite,  (wenn  wir  fte  nach  ihrer  quin= 
tenw ei fen  SBejiehung  orbnen)  harte  Tonarten  ftnb  (bie  ionifche  unb  mirolvbifche),  bie  übrigen 
brei  aber  weiche  (bie  b orifebe,  äolifdje,  vhrvgifche).  Sie  betten  harten  unterfcheiben  fid),  in 
melobifcber  SJücfftcbt  befragtet,  burd)  bie  ber  erften  eignenbe  große,  bie  ber  jweiten  angehörenbe  f  leine 
Seßtime:  bie  weichen  babureb,  baß  ber  britten  (borifch en)  bie  große,  ber  vierten  (äolifchen)  bie 
f  leine  (Sechst*  eigentümlich  ift,  ber  fünften  (»hr» gifchen)  aber  auch  bie  f leine  ©ecunbe  neben  ber 
fleinen  (Sechste. 


— -  16   


tiefem  allem  jitfolge  finben  wir  in  ben  33erwanbtfd)aften  ber  Atrcbentbne  folgende  eigene 
tbümlidie  3üge. 

2fUe  Tonarten  leiben  eine  3ürüdb  ejtef^ung  —  fie  gewahren  bie  SiJlbglicbf eit ,  ihren  ©runbton 
in  S5ejug  auf  bie  ©runbtbne  aller  übrigen  als  ein  (SrjeugteS  ju  benfen  —  mit  Ausnahme  ber  tont= 
feben.  2flle  ferner  laffen  eine  SSorwärtSbejtebung  ju,  — fte  erlauben,  tt>re  ©runbtbne  als  Q£x-- 
j  e  u  g  e  r  ju  benfen ,  —  bis  auf  bie  »  b  r  9  g  i  f ch  e. 

Die  ionifebe  Sonart  ift  alfo  eine  wefentlicb  aufwärts*,  bie  ^ I) rt? 9 1 f d) e  eine  nortjwenbig 
rucfvDart§  =  flrebenbe,  unb  baburd)  öor  allen  übrigen  ausgezeichnet,  ©inb  beibe  in  ber  Sticbtung  ibreS 
©trebenS  bienad)  wollig  entgegengefc^t,  fo  boeb  wieberum  dl)nlid}  in  bem  3iele  beffelben;  nur  baß  bort 
(bei  bem  ^onifeben)  baS  e rft  (Srjrrebte(baS^iirolubifd)e)  eine  harte,  baS  nächtf  ©efuebte  OPbrngifcbe)  eine 
weiche  SEonartift;  l)  t  e r  (bei  bem  $>bn)gifd)en)  bagegen  eS  fiep  umgefel)rt  üerftalt,  inbem  junäcbft  baS 
weiche 'Üolifd)e,  bann  baS  b arte  Sonifcbc  gcfudjt  wirb.  "tfbnltd)  nur,  unb  nicht  g  l  e  i  d)  nennen  wir  fie 
im  3iele  ibreS  Strebend  um  beSwillen,  weil  baS  Srfrrebte,  wenn  aud)  in  einem  .Kennzeichen  (ber  großen 
unb  fleinen  Scrjj  übereinftimmenb,  in  feiner  fonftigen  ©lieberung  bod)  ein  33erfd)icbencS  ift.  2(lle  übrigen 
Tonarten  finb  in  gleichem  Sftaafk  auf  -  unb  abwärtSftrebenbe ,  unb  baburd)  einanber  gleich,*,  üerfd)ieben 
jebod)  in  bem  Biete  ibreS  ©trebenS,  unb  in  ihrem  eigenen  S3erbältniffe  ju  bemfelben.  DaS  Süiiroli)  bifd)e 
frrebt  aufwärts  nad)  einer  weichen,  abwärts  nach  einer  harten  Sonart,  eben  fo  baS  Dorifcbe;  beibe  finb 
alfo  in  ber  3ficbtung  tt)ve§  ©trebenS  glctd),  in  beffen  3iel  ähnlich,  weil  fie  nur  tbeilweife  Übereinftinv 
menbeS,  unb  fonft  abwetd)enb  ©eglicberteS  erftreben.  ©ie  unterfcheiben  ft'ch  aber  burd)  ihr  SSerbältnifj  ju 
ihrem  ähnlichen  3ielc,  benn  baS  9Jiiroh)bifd)e  ift  eine  harte,  baS  Dorifcbe  eine  weid)e  Sonart.  DaS  Ho- 
lifd)c  cnblicb  hat  in  feinem  '#uf=  unb  2lbwärtSfirebcn  ein  ähnliches  3iel,  eine  weiche,  jeboch  hier  unb 
bort  anbcrS  geglieberte  Sonart,  unb  ift  barin  üon  allen  übrigen  unterfchieben,  wie  eS  auch  baburd)  oon 
ihnen  völlig  abweicht,  bafü  eS,  als  weiche  Sonart,  auch  in  bem  SSerbältniffe  ber  '#bnlid)feit  fleht  ju 
bem  in  beiberlei  Siicbtung  »on  ihm  (Srftrebten. 

2llle  Äird)ent6ne  ftnb  bienad)  oon  einanber  eigentümlich  t>erfcb  ieben.  ©ie  finb  eS  als 
£) ctaüengattun g en  in  ihrer  melobifd)en  ©lieberung,  fie  ftnb  eS  in  ben  ©egenftänben  ihrer  barmo= 
nifd)cn  Schiebungen,  unb  burd)  ihr  SBerbältnifi  ju  benfelben;  ja,  felbft  auS  einer  jeben  fd)einbaren  Über= 
einftimmung  einerfcitS  tritt  »on  ber  anberen  ©eite  ber  entfebiebenfte  ©egenfa^  heraus,  ©eben  wir  fte  als 
SBerfjeuge  an,  mit  benen,  ober  richtiger  üielleicht,  alSSveicbe,  ©ebiete,  in  benen  ber  Sonmcifier 
fchaft,  fo  ftefjt  er  ihnen  nicht  unbebingt  als  beftimmenb,  f> evrf dt? ent>  gegenüber,  er  wirb  vielmehr 
oor^ugSweife  burd)  fie  beftimmt,  fobalb  er  in  baS  eine  ober  baS  anbere  ftch  begtebt,  baS  eine  ober  anbere, 
bem  SBcfen  fetner  Aufgabe  zufolge,  ergreift.  ©cgenftänblicbfeit  (Sbjeftimtät)  alfo  fonnen  wir  als 
ihren  @l)arafter  im  S>erl)ältniffe  gegen  unfere  mobernen  Tonarten  bezeichnen.  Denn  unfere  neue  Sonfunft 
hat,  bis  auf  bie  weiche  unb  harte  SEonreibe,  welche  fie  auf  höheren  unb  tieferen  Älangfrufen  überein= 
fiimmenb  wieberholt,  alle  alteren  £onreit)cn  gänjlid)  ausgeglichen  unb  einer  jeben  bie SDZbglid)f eit  gleicher 
Schiebungen  ju  allen  anberen  gewährt.  Durch  Äunftübung  unb  ßer)re  hat  fte  allgemach  gezeigt,  wie 
aud)  baS  ©ntfcrntefie  auf  lcid)te  2ßeife  in  ä>erbinbung  gebracht  werben  fbnne,  wie  auf  jeber  gewählten 
SEonbbbe  man  biefelben  Schiebungen  wieberfinbe.  Die  ältere  Sonfunji  brachte  bem  Sonmeijler  eigene 
thümlid)  georbnete  ©ebiete  manntd)fad)  wechfelnbcr  S3chiel)imgen  entgegen,  unter  benen  er  nach  feiner  2Cuf- 
gabe  ju  wählen  hatte,  bann  aber  burd)  bie  getroffene  SBahl  aud)  fich  beftimmt  fanb,  unb  begrenzt:  bie 


  17   


neuere  bietet  ihm  ben  gefcbmeibigjien  Stoff  für  feine  ©Übungen,  unb  ihm  gegenüber  tjt  er  bei  freiefier 
2Baf)l  aud)  allein  ber  ffieftimmenbe  unb  33  egr  en  jenbe.  SDbjeftiio,  1 1>  p  t  f  ct> ,  ifi  ^ienacb,  baS 
©epräge  bcr  älteren;  fubjeftiü,  fenttmental,  baS  ber  neueren  SEonfunji. 

2>iefeS  objeftioe  ©epräge  ber  älteren  SEonfunft  eignete  berfelben  burch,  it)re  £)ctat<engattungen 
aUerbingS  fcbon  in  ihren  »or^ugSmeife  melobifcben  Schöpfungen  auS  früherer  3cit/  fcor  bem  Crrmacben 
barmonifcber  Entfaltung,  bod)  mehr  in  ftrenger,  fiarrer  ©ebunbenhett.  Sie  neue,  hatmonifche 
^Belebung  berfelben  bat  nun  biefe  gelb f't,  ofme  it)r  2Sef  en  anjutafien.  £»ie  gewonnene  2lnfchauung  bcS 
Unterhalb  tonS  bat  nur  bie  ©runbtbne,  als  folcbe,  in  ben  wollen  SEonfcblüffen  beftimmter  ausgeprägt, 
btc  Nüttel  beS  Überganges  einer  Sonart  in  bie  anbere  erleichtert,  ol)ne  ben  einer  jeben  Sctaüengattung 
cigentbümlichen  SEonoerbältnijTen  ihre  urfprünglicbe  SSebcutung  ju  entziehen,  ja,  biefe  tjt  erjt  jefet  recht  cin= 
bringlicb  hervorgetreten.  £urcb  bie  Einführung  bcS  UnterbalbtonS  ftnb  nun  brei,  um  einen  ^>albton  erhöhte 
.Klänge  in  ben  ÄreiS  ber  übrigen  eingetreten ,  fis,  eis,  gis,  für  baS  9Jltrolwbifcbe,  £)orifcbe,  'Üotifcbe;  baS 
^)b,n)gifcbe  bebarf  etneS  folchen.£ülfStoneS  nicht;  ja,  eS  »erfdbmäfyt  ir>n,  benn  ber  Langel  beS  UnterbalbtonS 
geb.  ort  ju  feinen  eigentümlichen  Äennjeicben.  £>iefe  neuen  Älänge  gewähren  aber  noch  ein  3metteS ;  benn 
mie  ber  o o  1 1 e  SEonfaU  naturgemäß  mit  einem  harten  Sreif lange  fchlicfjt,  fo  erhält  burch  fie  jeber  »on 
ben  ©runbtbnen  ber  brei  meieben  £cta»engattungen  ju  biefem  3roecfe  auch  bie  jufällige  große  SEerj. 
Selten  nur  ftnben  mir  bei  ben  Sonmeijtern  beS  16ten  SahrbunbertS  eine  Tlbmetcbung  t>on  ber  Äegel  allge= 
meiner  2lnmenbung  harter  £>reiflänge  bei  ben  SEonfchlüffcn ;  meid)  e  fommen  ba  nur  auSnahmSmeife  »or, 

—  immer  jeboch  nur  bei  mittleren,  nid)t  Enb=£onfd)lüffen —  reo  irgenb  eine  harmonifebe  Eigenthüm; 
[ichfeit  ber  SEonart  in  ihren  2luSmeid)ungen  burch  biefeS  SKittel  allein,  unb  eben  nur  bei  bem  SEonfalle  felbfl, 
unb  nicht  fchon  bei  ben  »orbereitenben  gortfdmtten  ju  bemfelben  barjujtellen  mar.  £)enn  in  biefem  legten 
Salle  mirb  auch  ba  ber  harte  25reiflang  jumeift  angemenbet. 

9Zun  merben  aber  aud)  an  bem  Enbe  ber  ©efänge  bie  halben  Sonfchlüffe  ben  »ollen  oft  t>or= 
gejogen,  ber  Unterhalbton  mirb  alfo  bort  nicht  einmahl  unbebingt  angemenbet.  ©inen  halben  Sonfchlujj 
fbnnen  mir,  genau  genommen,  als  einen  umgekehrten  öolten  betrachten.  £)enn  ruht  bei  ihm  auch  ber 
fcbjießenbe  3ufammenflang  auf  bem  ©runbtone  beS  burd)  ihn  geenbeten  ©efangeS,  fo  gel)t  ihm  bod)  ber 
Sreiflang  feiner  Unter;  ftatt  £>berbominante  »oran;  baS  gewöhnliche,  bei  ben  »ollen  Tonfällen 
erfcheinenbe  Sßerhältniß  tft  baher  gemecbjelt,  ber  fd)liefjenbe  £)reiflang  ermeeft  baS  ©efühl  eines  auf  ber  £>o-- 
minante  gebilbeten,  unb  mit  bemfelben  jugleicb  baS  ber  lebhaften  Swüdmeifung  auf  bie  näcbjroermanbte 
SEonart,  beren  £reiflang  ber  unmittelbar  ihm  »ofangehenbe  barftellt.  £ier  nun,  bei  ben  halben  5Eon= 
fchlüffcn,  fehen  mir,  eben  biefer  3urüdmeifung  megen,  in  ber  harmonifchen  Entfaltung  beS  'tfolifeben 
unb  ^brpgifcben  ben  »Orienten  Sreiflang  nicht  als  einen  harten,  —  mie  baS  ©efefj  ber  urfprünglichen 
Älangenrmidlung  ihn  erheifchen  mürbe  —  fonbern  als  einen  meinen  —  mie  baS  ©efe£  ber  £>ctaüem 
gattung,  ber  eigenthümlichen  ©lieberung  ber  SEonart,  ihn  forbert.  S3ei  bem  Sorifchen  bagegen  mürbe 
ber  harte  Sreiflang  »or  bem  ©d)luffe  au§  gleicher  3?ücfftd>t  anjumenben  gemefen  fer^n,  mir  fünben  eS  aber 
hier  anberS  bei  ben  großen  SDceiftern  be3  16ten  3ahrhunbcrtS.  Surd)  einen  leiterfremben  Son  (b),  bie 
f  leine  Sechste  beS  borifchen  ©runbtoneS,  führen  fie  einen  meinen  £reiflang  ein  »or  bem  borifchen  SEon-- 
fchluffe,  unb  biefer  erfcheint  bemnach  jurüdmeifenb  nur  in  fofern,  als  ber  ©runbton  beS  »Orienten  Srei= 
f langes  ber  mirolpbifche  ijt,  aufmärtSbeutenb  bagegen,  fofern  bie  f leine  Sechste  beS  borifchen  ©runbtoneS 

—  baS  S5ejeichnenbe  ber  feebfien  Sctaoengattung,  ober  äolifchen  Sonart  —  einen  meichen  2)reiflang  auf 

r.  Sßinterfetb,  in  Mangel.  S^oralgefang.  3 


  18  

biefem  ©runbtone  t>er  garten  mirolpbifchen  Sonart  »er  bem  ©bluffe  fd>afft,  unb  fo  in  boppclter  9?ücfftd)t 
auf  ba§  Äoltftye  Eingeliefert  vütrb,  tton  befjen  ©runbtone  ber  Dorifche  ber  ©rjeuger  ift.  Saburd)  wirb  ju= 
gleich  ein  boppclter  Übelftanb  üermieben:  baS  ju  febjoffe  SScrwifchen  be3  ©eprageä  ber  borifd)en  SEonart 
aB  einer  weid)en,  wenn  jwei  l)arte  Sreif lange  am  ©djluffe  einanber  folgten,  unb  bie  Übcreinfiimmnng  be§ 
ionifc^en,  miroh)btfd)en,  borifd)en,  falben  SEonfd)luffe3 ,  meiere  babet  unabwenbbar  eingetreten  wäre. 
23ei  bem  erften  S3licf  freilich,  erfd)einen  nun  wieberum  ber  borifd)e,  äolifche,  pl)n?gifcb,e  l)albe  ©d)luffaU 
übcreinjttmmenb.  2CUein  ber  borifd)e  unb  dolifcfye  unterfd)eiben  ftdt>  baburd),  baß  jener  burd)  einen  leiten 
fremben,  biefer  burd)  einen  leitereigenen  SEon  erfolgt;  ba§  $)hn)gtfd)e  enbltd)  l)at  nod)<einen,  ihm  allein 
eigentümlichen  ©chluß,  bei  bem  e§  bie  legten  beiben  .Klange  feiner  auf--  unb  abfteigenben  9feif)e  aB  Unter= 
unb£)berfiimme  uerbinbenb,  nach  einem  weichen,  t>on  ben  erften  beiben  klangen  begrenzten  ©reif  lange,  fd)rttt- 
weife  auf=  unb  abfteigenb,  ju  einem  garten  auf  bem  ©runbtone  geleitet  wirb ,  unb  mit  il)m  enbet.  Sie 
Übereinftimmung  bc§  ionifdjen  unb  mirofybifchen  falben  SEonfd)luffc§  enblid)  gleid)t  ftd)  au3  burd)  bie  furj 
üor  bem  legten  vernommene,  leitereigene  flcine  ©eptime.  ©o  gel)en  l)ier  überall  ba3  ©efe£  ber  £)ctat>en- 
gattung  unb  bas>  ber  urfprünglid)en  Älangenrroicflung,  ba£  melobifd)e  unb  l)armonifd)e,  Spani*  in  4?anb 
neben  einanber,  unb  aud)  eine  jebe  Abweichung  unb  '2lu§nal)mc  bewahrt  ftd)  allejeit  aB  eine  gefefelidje. 

Sener  leiterfrembe,  ben  falben  ©d)lufj  bee>  £)orifd)en  cinführenbe -IpülfSton,  b,  ift  jebod)  nid)t 
ein  bloS  willführlid)  unb  ju  biefem  alleinigen  Swecfe  eingeführter.  ©r  beruht  vielmehr  auf  ber  altt)erge= 
brachten  Darfiellung  ber  biatonifchen  Steide  burd)  SEetrad)orbe,  unb  auf  einem,  neben  bem  britten,  getrennten 
Setrachorbe,  an  basü  jroeite  gefnüpften,  »erbunbenen ,  in  welchem  er  ftatt  be§  SEoneS  h  erfebeint.  2Cuf  il)n 
grünbet  fid)  ba§  fogenannte  roeid)c  SEonfpftem  be§  Mittelalters,  burd)  wcld)e§  ba§  urfprünglid)e,  ober 
harte,  —  bei  2lnwenbung  jenes  abrocid)enben  JllangeS  —  um  eine  Quarte  t)bl)er,  eine  £luinte  tiefer,  bar* 
geftellt  rourbe.  £>araus>  ergiebt  ftd)  unmittelbar,  baß  burd)  SSerwanblung  beS  bem  l)arten  ©pfteme  eigen= 
tb,ümlid)en  h  in  b  jebe  ©ctaoengattung  beffelben  ba§  ©epräge  ber  eine  Gutnte  aufwärts  oon  if)r  gelegenen 
erhielt,  ©o  baS  Mirolpbifche  be§  S)orifd)en,  ba§  £>orifd)e  bcS  'Üolifd)en,  baS  'tfolifche  beS  ^)b,ri)gifd)en. 
(Sine  bergleid)en  üerwanbelnbe  Mobulatton,  roeldje  nid)t  eine  frembe  SEonreihe  auffud)te,  fonbern  bie 
urfprünglid)e  verdnberte,  ift  nid)t  minber  ein  ber  SEonfunft  beS  16ten  3ahrf)unbcrt§  in  if>ren  Äirchentbnen 
ßigentl)ümlid)e§.  SBie  aber  biefe  SEonfunft  alle  £>ctat>engattungen  in  bem  garten  wie  roeid)en  ©pfteme  bar- 
juftcllen  »ermod)te,  unb  wirklich  barftctlte,  fo  beburfte  fte  in  biefem  legten,  wegen  be§  falben  borifd)en  SEon= 
fd)luffe§  in  bem  Tonumfänge  von  G  mit  ber  f leinen  SEerj,  ein  gteid)e§  Tonüerl)ältniß  über  ber  Unterquinte 
biefe§  borifd)en  ©runbflange§.  ©o  würbe  al§  jweiter  ^)ülf§ton  aud)  ber  Älang  es  eingeführt  unb  »bllig 
regelrecht  unb  im  genauften  3ufammenl)angc  bilben  ftd)  fo  bie  fämmtlid)en  ^ülfStbne  beiber  ©t)fteme,  über 
welche  wir  bie  altere  SEonfunft  nid)t  hti^ugftreben  fehen  in  ihren  Äird)entbncn,  fo  lange  fte  überhaupt  in 
beren  ©renjen  blieb. 

'tfuf  biefem  2Bege  geftalteten  ftd)  in  naturgemäfier  (Sntwicflung  bem@ängerwie  bem  ©efeer 
bie  ©runbformen,  unb  bie  gefammte  Unterlage  ihrer  Äunft.  Scne  blieben  bem  SBefen  nad)  bie  bisherigen, 
allein  baö  58erhältniß  jwifchen  9lothwenbigfett  unb  %n'ti)tit  ftellte  burd)  lebenbige  Entfaltung  ftd)  naher  in 
ba§  £id)t,  ba§  ©efe^  t)brte  auf  eine  firenge,  binbenbe  ©d)ranfe  ju  fepn,  e§  würbe  eine  reid)  unb  mannid)-- 
fad)  belebenbe  Äraft.  2)iefe  bagegen,  ba§  Mittel  mit  bem  bie  Äunft  fd)uf,  ihre  ©runblage,  gewann  augen^ 
fcheinlid)  an  2luöbel)nung  unb  geftigfeit,  an  wcfcnttid)em,  innerem  3ufammenl)ange,  unb  war  burd) 
wiüführlid)e  ©ebote  unb  Verbote  fo  leid)t  nicht  mehr  ju  erfchüttern.  9lun  war  eS  aber  ba§  glücflichjte  3u= 


  19  


fammcntreffen,  baS  tiefe  Sicherung  ber  ©runblage  ber  SSonfunfi,  unb  bie  fortfcfyreitenbe  tfuSbilbung  ihrer 
©runbformen,  in  eine  Seit  allgemeiner,  frommer  33egeifterung  fallen  lief,  bie  eben  in  biefer  Äunft  baS 
Littel  ihrer  Offenbarung  fuebte,  unb  fte  baju  nunmebr  aueb  tüchtig  finben  fonnte.  daS  Sieffte,  Snnerfte, 
waS  bie  ©emütber  bamalS  bewegte,  würbe  laut  in  ber  einfachen,  üolfSmäfjigen,  gebrungenen  ^orm  beS 
CiebeS ;  bie  ©abe  beS@ängerS  würbe  bureb  btefeS  nid)t  minber  in2lnfprud)  genommen  als  bie  beSSefcerS, 
unb  fo  gelangte  bie  innere  Einheit  beiber  9iid)tuttgen  allgemad)  jur  2lnfd)auung.  3n  ben  entlehnten ,  in  ben 
nach  beren  SKufier  neugefebaffenen  SBcifcn  geiftlicber  ßieber  fanb  ber  ©e^er  ftd)  aufgeforbert,  aber  auch  mebr 
befabigt  als  jutwr,  bie  ©runbformen  beS  ©efangeS  nacb  i£)rer  (5igentf)ümlicbfeit  ju  erfennen,  unb  fte  ftd) 
lebenbig  anzueignen.  Seine  Äunft  prägte  biefe  nur  um  fo  fd)drfer  unb  etnbrtngltcbcr  auS,  je  beftimmter,  in 
je  näberer  gegenfeitiger  33e$tebung,  bie  bejeid)nenben  SJiobulationen  jeber  Sonart  in  bem  befebränfteren  Um= 
fange  biefer  SRelobieen  beroortraten.  SSttit  ben  emfacbften  Mitteln ,  wie  bie  SSolfSmäfh'gfett  fte  erbeifd)te, 
fuebte  er  nun  bie  SEftelobie  oon  innen  heraus  ju  üerflären,  ftatt  fte,  wie  bisher,  äußerlich,  in  breiter  2lu3fül)r5 
liebfeit,  ju  umbauen  unb  aufjupufjen,  moebte  biefeS  aud)  nod)  fo  fcbmucfooE  unb  funftreieb  gefebeben  fetm. 

die  Äunft,  ibrem  naturgemäßen  GntrwidlungSgange  jufolge,  hatte  ftd)  umjubilben,  ju  erneuen 
gefacht;  $um  vollen  SSewußtfetn  gelangte  biefeS  ©treben  in  einer  Seit,  beren  allgemeine  9fid)tung  überall 
bamtt  jufammentraf.  SSie  eS  gefebabe,  l)aben  wir  in  allgemeinen  Umriffcn  bisher  l)injujeid)nen  gefud)t,  bie 
roir  fpdter  mel)r  auszuführen  unb  ju  beleben  fjoffen.  ©S  liegt  unS  nunmebr  jundd)ft  ob,  $u  jeigen,  wie  ber 
neue  geiftlid)e  ©efang,  ber  unter  biefen  ^Bewegungen  in  baS  Sehen  trat,  mit  demjenigen  gemaltet  fjabe,  baS 
aus  ber  alten  Äircbe  auf  il)n  forterbte. 

darunter  »erftel)en  mir  inbef?  nid)t  dasjenige,  waS,  auS  Gehrung  für  ein  ebrwürbigeS  2llter= 
tbum,  auS  ©emobnbeit,  ober  fonft  einer  ähnlichen  9?üdftd)t,  nur  beibehalten  mürbe,  ffatt  eS,  lebenbig 
fortbilbenb,  ju  ergreifen,  denn  biefeS  ftef)t  in  ber  £l)at  nur  neben  unferem  Äird)engefange,  wenn 
aud)  in  bebeutungSooller  ©egeneinanberftellung ;  war  eS  aud)  »on  Ungehörigem  gefdubert  unb  in  alter 
Söürbe  bergeftetlt,  bennod)  fann  eS  in  feiner  anberen  SBebeutung,  als  biefer  befd)rdnften ,  ibm  angeboren. 
Söir  reben  vielmehr  von  bemjenigen,  baS  er  wahrhaft  in  ftd)  bineingebilbet,  beffen  belebenbe  (Sinwirfung  er 
babei  vielfach,  erfahren  Ijat,  beffen  volle  S5ebeutung  erft  in  ibm  erfd)ienen  ift.  diefeS  hat  er  eben  auS  bem 
dlteften  @d)a^e  ber  Äird)e,  ihren  ^vmnen,  jumeift  entnommen,  beren  ju  gebenfen  wir  bereits  juöor 
S3eranlaffung  fanben,  unb  ju  benen  wir  nunmehr  jurüdf ehren. 

(53  würbe  über  bie  SSerhdltniffe  unferer  darftellung  hinausgehen  beißen,  wollten  wir  über  baS 
'Ultcr  biefer  ©efdnge,  ihre  (Sntftebung,  ihr  allmdl)ligeS  3lnwad)fen  bis  jum  2ütSgange  beS  12ten  Sabrbun* 
bertS,  ihr  §3erbältntß  ju  bem  ©otteSbienfte  um  ben  33eginn  beS  16ten,  hier  eine  genaue,  in  baS  ©injelne 
gebenbe  Unterfud)ung  anftellen.  @S  genügt  unS  hier,  mit  SEreue,  unb  fo  weit  ber  ©egenftanb  eS  erheifd)t, 
aud)  mit  2uiSfüf)rüd)feit  ju  berichten,  wo,  unb  in  welcher  ©eftalt  bie  SJMobieen  ber  £»mnen  feit  bem  S3e= 
ginne  ber  Äircbenverbefferung  unS  juerft  in  unferem  beutfd)en  Äird)engefange  begegnen.  SBeil  aber  bie  eigene 
#nfd)auung  h'^  unbebingt  entfd)eibet,  werben  wir  bei  unferem  S5erid)te  biejenigen  alteren  (Sammlungen 
geiftlicber  2ieber  corlduftg  übergehen,  bie  unS  nur  burd)  S5efd)reibung  befannt  ftnb. 

3wei  ßieber--  unb  9Jlelobieenbüd)er  nun  ftnb  unS  jundchft  üon  2Bid)tigfeit,  bie  in  bem  erften 
Sab^fhfnb  ber  Äird)emjerbefferung,  beibe  halb  nad)  einanber  erfd)ienen,  baS  ©efangbud)  Johann  SBalterS 
um  1524,  unb  baS  S5reSlauer  »on  1525.  3eneS,  unter  SutherS  2lugen,  feiner  Seitung,  mit  feiner,  eigenbS 
für  baffelbe  beftimmten  Sorrebe  herausgegeben;  biefeS,  einer  3?eibe,  jum  Zt)til  fd)on  ein  Saht"  früher 

3* 


  20   


obneÜutberSSKitwiffen  erfd)tenener  gctftltdber  @ingbüd)er  firj>  anfd>lie^enb,  in  wctcfje  betriebfame  Druder  bie 
bis  babin  einjeln  befannt  geworbenen  ßieber  be3  9ieformators>,  feiner  ©enoffen,  ober  anberer  ©leicbgefmnter 
^ufammenrafften.  2Bir  begnügen  un§  bier  mit  biefcr  flüdjtigen'Jtnbeutung,  ba  wir  einen  ausführlichen  33erid)t 
über  bteSCßelobieenbücber  be§  16. 3af)rf).  un3  vorbehalten  muffen.  33etbe  S3üd)er  bringen  un3  brei  verbeutfd)te 
.£>«mnen  mit  ibren  alten  ©ingroeifen :  SBalter  in  vier  =  unb  mebrfHmmtgcr  Ausführung,  baS  83re3lauer 
©cfangbud)  einfad),  ebne  alle  Begleitung  *,  aud)  begreift  eS  auf  er  ihnen  nod)  einen  vierten,  eine  Übertragung 
beS  in  ber  SeibenSjeit  üblid)en:  Pange  lingua  gloriosi  corporis  myslerium,  (SKein'  3ung'  errling'  unb 
frobltcb  fing'),  ber  jebod)  nid)t  gleid)  jenen  anbern  brei  in  ber  evangetifcben  Äird)e  fid)  allgemein  verbreitet 
unb  bauernb  erhalten  bat,  aud)  fd)on  an  ber  ©renje  beS  fortroacbfenben  Äird)engefange§  in  älterem  ©inne 
ftebt.  3>ene  brei  beiben  gemeinfd)aftlid)e  Jppmnen  ftnb  nun  folgenbe:  ber  für  bie  2lbvent3$eit  beftimmte 
Veni  redemptor  gentium  (9cun  tarn  ber  Reiben  #eilanb),  al§  beffen  Urbeber  man  ben  l)eil.  2lmbroftu3 
nennt,  bie  3eit  feiner  Grntftcbung  alfo  in  bae>  4te  ^«brbunbcrt  fe^t*);  ber  2Bcibnacbt§bbmm,3  A  solis 
ortus  cardine  (ßbviffum  mir  follen  loben  fd)on)  ben  ßoeliuS  ©ebuliuS  um  bie  erfte  Jg>dlfte  beS  5ten  %al)X'~ 
bunbertä  bid)tete**);  unb  ber  4?nmnu§  beS  ^ftngfifefteS :  Veni  creator  spiritus  (Äomm  ©Ott  ©d)bvfer  bei5 
liger  ©eul),  ben  eine  alte,  aber  unjuwerldf ige  @age  Gart  bem  ©rofien,  alfo  ber  legten  ^dlfte  beS  achten 
3abrbunbertö  beimißt***).  SSSte  frühe  bie  ©ingweifen  biefer  ^»nmnen,  beren  ©evrägc  augenfd)einlid)  auf 
ein  botjeö  ^lltevtbum  binmeif't,  in  älteren  £»mnarien  vorkommen,  ift  mit  58eftimmtl)eit  nid)t  ju  fagen,  bod) 
bürften  fie  ifjven  für  ben  ftrcbltcbert  ©efang  bcftimmten  ©cbid)ten  gleid)jeitig  anzunehmen  fetjn. 

Diefe  SOWobieen  erfd)einen  in  bem  33ree>tauer  ©efangbud)e  inSgefammt  in  volfSmäfnger  Umge= 
(Haltung.  9cur  bie  bes>  Veni  redemptor  bat  in  ber  erften,  britten  unb  vierten  Seite,  furj  vor  beren  ©d)luf3= 
fallen,  jmei  fürjere,  auf  einer  ©vlbe  ju  verbinbenbe  S£bne;  bie  ber  anbern  beiben  $t)mnen  weifen  jeber©»lbe 
mit  SSefeitigung  aller  Dehnungen  nur  einen  Son  an.  SSei  bem  Veni  redemptor  unb  A  solis  ortus  cardine 
mar  tbrer  <Scblu^fdUe  wegen,  bort  beS  abfteigenben  doltfcben,  bter  beS  vf)ri)gifd)en,  ber  ben  Unterl)albton  au3= 
fehltest,  biefer  nicht  anjumenben;  in  bem  Veni  creator  ift  jmar  bie  grofjellnterfecunbe  vorbem©d)luf?=  unb 
©runbtonc,  ol)ne  (Erhöhung  aufgezeichnet,  boch  hat  man  bei  bem  Siortrage  bamalS  obneßweifel  bie  t  leine 
angeroenbet.  Denn  man  vermieb  nod) ,  ben  Untcrhalbton  burd)  ein  (Erhöhungszeichen  vorjufd)reiben,  vteU 
teid)t  weil,  beS  früheren  tird)lid)cn  ginfvrud)S  wegen,  bie  erften  ©efcer  ihn  burd)  bie  ©cbrift  anjubeuten 
unterliefen,  bamit  fcheinbar  bem  Vorwurfe  ber  ©ntjMung  ju  begegnen,  unb  nur  bie  ©änger  anwiefen,  fid) 
feiner  als  nothwenbiger  2luSfd)müdung  beS  SBortragS  ju  bebienen.  Qmau§  mag  fobann  aügemad)  bie  ©e= 
wohnheit  einer  bem  Vortrage  nicht  burd)auS  übereinftimmenben  SEonfcbrift  fid)  gebilbet  haben,  von  ber  man 
um  vieles  fväter,  als  ihre  Skranlaffung  aufgehört  hatte,  erjl  jurüdfam. 

TlnberS  verhält  eS  fid)  mit  ben  SJcelobieen  biefer  .Ipnmnen  in  SBalterS  ©efangbud)e.  DaS  Veni  re- 
demptor unb  A  solis  ortus  cardine  erfdjeinen  bort  in  einem  fünfftimmigen,  baS  Veni  creator  in  einem 
vierftimmigen  Sonfafje.  Die  SOietobie  beS  erften  zeigt  fid)  in  einem  jweijlimmigen  ßanon  in  ber  SDberquinte 
jwifchen  bem  Alt  unb  Senor,  nicht  allein  mit  ben  ihr  urfprüngltd)cn  ©wlbenbermungen,  fonbcrn  nod) 
vielen  anbern,  beS  ©d)mudeS,  aud)  wohl  ber  Durchführung  wegen,  hinzugefügten.  Die  2Beife  be§  jwciten 
ftnben  wir  im  Senor,  in  ihrer  unveränberten  altertbümticben  ©ejlalt,  von  ben  übrigen,  begleitenben 

')  SrcSlauer  ©efangbud)  9tro.  II.   SBaltcr  Stro.  20. 


  21   


umgeben;  bie  beS  legten  anfangt  im  SEenor,  fobann  in  ber  £berftimme,  mit  AuSfcbmüdungen,  g(eid)  benen 
ber  SÄelobte  beS  Veui  redemplor.  Alle  übrigen  Stimmen  bewegen  fidj  um  unb  gegen  ben  £auptgefang  mit 
mannigfachen  auS  ihm  entlehnten,  nachabmenben  SSenbuugen.  Qkx  tritt  uns  bie  Äunft  beS  SeljerS 
entgegen  im  älteften  Sinne,  bie  baS  v>on  bem  Sänger  ©efcbaffcne  nur  als  rohen,  ber  AuSfcbmütfung  be= 
bürftigen  Stoff  betrachtet,  unb  nicht  nach  Einigung  mit  jenem  ftrebt.  Aud)  ift  eS  augenfcbeinlicb,  bafj  jene 
Art  eine  geiftlicbe  Singweife  in  fünftlicb/er  canoniuher  Nachahmung  einzuführen,  ber  Feinheit  berfelben 
Eintrag  tbat,  weil  fte  jumeift  Abänberungen  unb  3ufä(je  erf)eifct>te  um  eine  folcbe  £urcbfubrung  nur  möglich 
ju  machen,  wie  eS  benn  nicht  minber  ju  Sage  liegt,  baß  eine  lebenbige  gortbilbung  im  Sinne  ber  ©runb= 
formen  beS  alten  JiirchengcfangeS,  unb  ber  r»on  ber  ©egenwart  an  benfelben  gesellten  gorterung  ber  SSolfS* 
mäßigfeit  babei  auSgefd)loffen  blieb,  unb  nur  eine  Umbilbung  ftattfanb  für  einen  fremben,  wtUfübrlicb 
geftellten  3wecf.  Nun  erfcbeint  aber  auch  bie  SKelobie  beS  Veni  redemptor  nicht  etwa  berrfcbenb  unb  über 
alle  Stimmen  h'nauStbnenb  in  ber  t> b d>flen  berfelben,  fonbern  in  jroei  SJiittelftimmen,  rwn  ben  übrigen 
oerbecft  unb  »erbunfelt,  unb  wenn  auch  ihre  erften  SSenbungen  burch  bie  nach  einanber  erfolgcnben  Gin* 
tritte  tiefer  anbern  Stimmen,  bie  hier  im  ^Beginn  mmbejienS  benfelben  ftd)  treu  anfchliepen,  bem  3uf)orer 
beutlid)  eingeprägt  werben,  fo  boch  nicht  mehr  im  ferneren  SSerlaufe,  wo  nur  ein  tioUrcnenbeS ,  vielleicht 
prächtige^  3ufammenflingen  »ernommen  roirb,  aber  ohne  ben  gortfehrtft  ber  £auptmelobie  mit  Crinbringltch= 
feit  beroorjubeben.  SSBeniger  fchon  tritt  biefeS  ©ebrechen  henwr  bei  bem  £r;mnuS:  A  solis  ortus  cardine. 
Seine  SDJelobie  liegt  in  ber  Senorftimme  in  unüeränberter,  alterthümlicher  ©eftalt  unb  bie  übrigen  »ter 
Stimmen  entlehnen  ihre,  frei  bagegen  ausgeführten  Nachahmungen,  auS  berfelben;  fte  roirb  alfo  in  ihrem 
gortfehritte  beutlicher.  Aber  auch  ß«  liegt  in  einer  9)£ittelftimme,  ein  ©ebrauch,  ben  mir  mit  wenigen  AuS= 
nahmen  —  nur  jweien  bei  Sßalter*)  —  in  jener  3ett  allgemein  finben.  SScfrcmben  fann  eS  unS  nicht,  wenn 
wir  erwägen,  bajj  bie  älteften  Sefeer  bie  Äirchenweifen,  in  bem  Tonumfänge  wie  fie  biefelbcn  aufgezeichnet 
fanben,  mit  bagegen  gefegten  begleitenben  Stimmen  ju  fchmücfen  pflegten,  baf?  beren  Auf$cidmung  aber 
für  männliche,  alfo  mittlere  Stimmen,  gefchah,  bie  ber  ©etlichen,  benen  ihre  Ausführung  bei  bem 
©otteSbienfte  oblag,  tiefer  bis  gegen  baS  (Snbe  beS  löten  3al)rbunbertS  beibehaltene  ©ebrauch  beerte 
aber  bie  lebenbige,  allgemein  faßliche,  h^rmonifche  Entfaltung.  Senn  nur  eine  »ollenbetcre  Äunft  als  bie 
bamalige,  bie  eben  nur  bie  erften  Schritte  jum  3iele  gethan  hatte,  wäre  im  Stanbe  gewefen,  bie  auf  folche 
SZSeife  eingeführte  SSKelobie  uor  33erbunflung  ju  fidjem ;  eine  jtunft,  bie  fdwn  befeffen  hätte,  waS  bie  jener 
Sage  erft  fuchte,  unb  nur  allgemach,  finben  fonnte.  Am  oortheilbafteften  enblid)  tritt  baS  Veni  creator  auf, 
benn  feine  9)ielobie  herrfd)t  jumeift  in  ber  £berftimme,  unb  wenn  auch  Anfangs  im  Senor  eingeführt,  wirb 
fie  boch  in  ihrem  Beginne  burch  bie  Nachahmungen  in  ben  einzelnen  Stimmen  beutlichcr,  einbringlicher, 
unb  ber  erfte  ©cblujjfall  in  ber  Eberquarte,  bie  eigenthümlid)  mirotybifche  SJiobulation,  tritt  mit  üoEer  S3c= 
ftimmtheit  unb  Äraft  heraus. 

2>ie  »erfchiebene  SSehanblung  ber  in  beibe  Sammlungen  aufgenommenen  2Seifen  alter  latetntfdjer 
£t)mnen  rechtfertigt  fich  burch  ben  Stanbpunft  beiber.  £>aS  S5rcSlauer  ©efangbud)  fpricht  fchon  auf  feinem 
Sitelblatte  ben  SSBunfd)  auS,  baf?  man  bei  feinen  Siebern  unb  ähnlichen ,,  bie  jungen  3ugenb"  aufer,iehen  möge, 
—  baS  eben  auS  ber  Äinbheitheranwachfcnbe©efchlecht — ,  in  ben  SDielobieen  alfo  forberte  eS  vor  Allem  t>olfS= 
mäßige  Einfachheit.  £aS  SBalterfdje  war  wohl  auch  ber  3ugenb  gewibmet,  bod)  ber  funftfinnigen,  fünft* 


")  £a$  nad^cr  ju  betrac^tenbe  Veni  creator,  unb :  Äomm  fjeitiger  (Setfr,  £errc  ©ott  :c.  (9Jro.  2.) 


—  22 


übenben,  erwacbfenen,  um  fite  für  fd)mudt>ollen  ©efang  geiftlid)er  Sieber  ju  gewinnen,  bie  ernjte  Zon 
fünft  baburd)  ju  beforbern ,  unb  bie  eri)6bte  Siebe  ju  berfelbert  jugleid)  für  bie  'Ausbreitung  ber  gereinigten 
Sefyre  wirFfam  ju  machen,  ©agt  bod)  5Jutf)er  felbjt  in  feiner  58orrebe  ju  biefem  ©efangbuebe:  ba  bie  3ugenb 
in  ber  SCRuftca  unb  anberen  rechten  fünften  erjogen  werben  muffe ,  fo  fei  eS  ibr9cotl),  baß  fte  ber  33ubl; 
lieber  unb  fleifd)lid)en  ©efdnge  loS  werbe,  unb  an  beren  Statt  etwas  beilfamcS  lerne,  unb  alfo  baS  ©ute 
mit  Suft  eingebe,  wie  ben  Sungen  gebübre.  £>ie  Äunft  aber  folle  burd)  baS  (Süangetium  nicht  ju  S3oben 
gefcblagen  werben,  fonbern  bem  bienen,  ber  fte  gegeben  unb  gefebaffen  b«be.  Tin  beiben  33üd)ern  erfennen 
wir  auf  baS  beutlidbfte  bie  a>erl)dltniffc  unb  bieS3efd)affenl)eit  unfereS  eoangelifcbenßboratgefangeS  innerbalb 
ber  erjten  jebn  Safcre  feines  S3eginnenS.  gür  jefct  freiließ  nur  in  einer  beftimmten  einjelnen  9f  id)tung ,  bem 
(Streben  nad)  Erneuerung  beS  ©efangeS  ber  alten  .Eird)e ;  allein  eS  tritt  unS  babei  jugleid)  bie  einer  jeben 
3iid)tung  auf  biefem  ©ebtete  gemeinfame  £l)ätigfcit  beS  ©dngerS  unb  beS  ©e^erS  entgegen.  Unb  wollten 
wir  annebmen,  baß  bie  jenes  erfien  nur  ba  als  wefentlicb  üorbanben  gelten  Fonne,  wo  ganj  neue 
SSJeifen  burd)  fic  gcfd)affen  werben,  fo  bürfen  wir  bod)  jenes  Umbiiben,  baS  lebenbige  Überfein  —  um 
eS  fo  auSjubrücFen  —  auS  ber  Sonfpracbe  einer  altersgrauen  3eit  in  bie  lebenbige  ber  ©egenwart,  einer 
wahrhaft  neuen  ©ebbpfung  Dergleichen,  jumabl  wenn  wir  feben,  auf  wie  »erfebiebenem  SBege  man 
bemübt  war  in  ben  ©inn  jener  alten  Söcclobieen  einzubringen,  ben  redten  Äern  berfelben  unter  bemjenigen 
ju  entbeden,  waS  nur  alS  jufdlliger,  ber  SSolFSmdßtgFeit  wtberftrebenber  ©d)mud  erfebien.  £>urcb  SBergleu 
d)ung  unferer  beiben  SOZclobieenbücber  mit  anberen  fpdter  erfebienenen,  wirb  unS  btefeS  anfebaulieber 
werben.  SSir  wdblen  baS  um  1535  bei  Sofepb  Älug  in  Wittenberg  erfd)ienene  geijtlichc  ©efangbud),  unb 
wbinben  bamit  bie  vorläufige  ^Betrachtung  einer,  um  1544,  bei  ©eorg  3?bau  bafclbfi  berauSgeFommenen 
©ammlung  üon  123  t>ter  =  bis  fecbSftimmigen  Siebern  vfür  bie  gemeinen  Schulen-,  um  baran  baS  allgemacb 
bejtimmter  fid)  cntwidelnbc  SSerbdltniß  beS  ©e^erS  ju  bem  ©dnger  ju  erFennen.  Sene  frübere  ©amm= 
lung  bietet,  außer  ben  brei,  bereits  erwdbnten  £hmnen,  unS  noeb  ben,  wabrfdbeinlicb  bem  8ten  3abrb"nbert 
Angehörigen :  Christe,  qui  lux  es  et  dies  (Sbrifte  ber  bu  bijt  Sag  unb  2id>0  unb  ben,  gewbbnlicb  bem  beil. 
AmbroftuS  jugefd)riebenen,  allein  wobl  erft  im  5ten  3abrhunberte  entjtanbenen  Sobgefang:  Te  Deum  lau- 
damus  (£err  ©Ott  bid)  loben  wir)  —  wenn  wir  biefen,  feiner  gewbbnlicben  33ejcid)nung  jufolge,  ben 
^)t)mnen  beireebnen  wollen,  obgleich  in  ber  Urfpracbe  ibm  ein  beftimmteS  SJJiaaß  fefjtt ,  unb  in  ber  beutfeben 
Übertragung  nur  je  jwei  unb  jwei  gleicbe  gereimte  3cilm  neben  einanber  jtel)en.  Siefen  legten  entbalten  aud> 
bie  Sieber  oon  1544  (iJZro.  122,  123.),  wogegen  ibnen  ber  erjte  feblt.  @S  finb  aber  jundebft  nicht  biefc 
neuaufgenommenen  ©ingweifen,  bie  unfere  AufmerFfamFeit  auf  fid)  rid)ten,  fonbern  eS  ifi  bie  »on  bem  febon 
juüor  betrachteten  £r;mnuS:  Veni  creator,  bie  fid)  l)ier  in  »erdnberter  ©eftalt  jeigt*). 

Sie  mirolpbifcbe  SBeife  biefeS  ^rnnuS")  weid)t  (ber  Statur  ibrer  ©runbtonart  jufolge)  jundcbjt 
nad)  ber  £berquarte  auS,  fobann  nad)  ber  £berquinte,  alfo  bem  ndcbft  üerwanbten  3onifd)en  unb  Sorifcben, 

•)  Kol.  Ii.  1535.  SKrc  28.  1544. 


")  Urmclobic  (bei  2.  SoffiuS). 


23 


unb  ftnbet  ihren  Sfücfweg  in  ben  ©rtmbton  burch  eine  abermalige  "Diobulation  nach  bev  Cberquarte.  liefen 
Sonwecbfel  finben  wir  in  ben  bciben  Sammlungen  »cm  1524  unb  1525  beibehalten,  boch  weichen  in  bem 
Sreflauer  ©efangbuche  bie  melobifchen  SBenbungen,  burch  welche  bie  SJiobulation  bei  bcn  Schlufjfällen  ber 
einjelnen  3eilen  ftd>  barfiellt  (wenn  auch  nicht  bie  Übergänge  felbfrj ,  t>on  ber  Urgewalt  ber  SDielobie  etwas" 
ab.  3>nn  es  waren,  ber  rfmtbmifchen  ©ebrängtheit  wegen,  mehre  Snlbcnbebnungen  ausjufcheiben,  unb 
baburcb  mürbe  entweber  eine  abmeicbenbe  Scbtufswenbung  bebingt,  roenn  nicht  wefentlichere,  mehr  eigen; 
thümliche  3üge  ber  Sftelobie  aufgeopfert  werben  follten:  ober  man  fanb  einen  melobifchen  gortfcbritt  in  ber 
?0titte  ber  Seile,  in  welchem  ebenfalls  ber  fpätere  Scblufjfall  fchon  angebeutet  mürbe,  anmutiger  als  ben, 
ber  ihn  nachmals  wirf  lieh  einleitete,  unb  wdf)tte  oorjugsweife  jenen  erffen.  Ss  war,  wie  wir  es  fchon  juoor 
bezeichneten,  eine  Überf  e£ung  auf  einer  faft  »erflungenen  Sprache  früherer  Seit  in  bie  ferftänbliche  ber 
©egenwart,  eine  Annäherung,  bie  in  gleichem  Sinne,  aber  burch  terfchicbene  SDiittel  gefchehen  fonnte. 
3n  ber  SSafJl  biefer  Nüttel  nun  ift  baf  SSittenberger  ©efangbuch  oon  Sofeph  Älug  abweichenb  »on  bem 
83ref  lauer.  £er  Herausgeber  t>at  ef  hier  für  angemeffen  gehalten,  bafj  ber  erfte  Scblufjfatl  nicht  burch  fcen 
Unterhalbton  bef  Sonifchen,  auffteigenb  gefchehe:  er  hat  ef  üorgejogen,  ber  Urmelobie  ftcb,  genauer 
anfcbliefsenb,  ihn  im  A  bfteigcn  burch  bie  grofje  Tberfecunbe  ju  bilben,  unb  eben  fo  ift  er  in  ber 
^weiten  3eile  bei  ber  Aufweichung  in  baf  Sorifche  oerfahren.  Sn  ber  britten  Seile  bagegen  ift  er  t>on  feinem 
Urbitbe  weiter  abgewichen,  inbem  er  fogar  bie  9Jiobulation  oeränberte;  er  hat  bie  erfte ,  unb  bie  brei  legten 
iJcoten  biefer  Seile  ganj  befeitigt,  unb  »on  ben  auf  biefe  SBeife  beibehaltenen,  ben  acht  Selben  berfelben 
entfprechenben  acht  klangen,  bcn  vierten  an  bie  fechfte  Stelle  oerfefet.  Allerbingf  nur  ein  Auffcheiben,  unb 
ein  geringes  Umftellen,  baf  jebocb  nunmehr  eine  9Kobulation  nach  bem  Sorifcben,  unb  nicht  ferner  in  baf 
3 onif d> c,  jur  golge  gehabt  hat;  eine  ber©runbtonart  angemeffene,  in  einer  mittleren SBcnbung  bieferSeile 
allerbingf  angebeutete,  aber  nicht  mehr  bie  ber  alten  ©efangweife.  Sn  ber  lefeten  Seile  wirb  ebenfalls  wieber 
ber  ScblugfaU  nicht  im  Aufzeigen,  fonbern  abjteigenb  gebilbet.  SBelche  biefer  Überfefjungcn  bie  beffere,  ja 
auch  nur  bie  treuere  fei?  ift  fcbwer  ju  entfcheiben:  wir  würben  juiwr  uns  baruber  }U  oereinigen  haben,  ob 
wir  bem  näheren  Anfcbliepen  an  bie  melobtfche  SBenbung,  ober  an  bie  Aufweichung  ben  fBorjug 
geben  wollten.  £ap  aber  SBeibef  in  33e$ug  auf  rfwthmifche  ©eftaltung  nunmehr  ©egenftanb  ber  Aufmerf* 
famfeit  bef  SEonfünftlerf  würbe,  bafj  hierauf  bie  bei  ber  Umbilbung  bef- Alten  oon  ihm  befolgten  ©runbfäfje 
ftd)  entwickelten,  leuchtet  ein  auf  bem  gegebenen  53eifpiele;  auf  biefem  SBege  mufjte  bie  gefammte  ©runb- 
läge  ber  Sonfunft  allgemach  erweitert  unb  befeftigt  werben,  unb  wir  feben  hierin  auff  neue,  wie  baf  @nt- 
ftehen  unferef  eoangelifchen  .RtrchengefangeS  auch  fcaju  mitgewirft  hat. 

@ine  ähnliche  burchgreifenbe  Abweichung  nehmen  wir  nicht  wahr  an  ben  Umgejtaltungen  ber  Wle- 


SBreeUaucr  ©efangbuef)  (1525). 


ÄlugS  ©cfangbud)  (1535). 

-O- 


®ie  ältere  Umbilbung  biefer  9Mobie  fiefje  Sero.  119  ber  SBeifpieifammtung  in  3ci?.  Sccarb'S  fünfftimmigem, 
bie  fpätere  eben  ba  ?Cro.  97  in  fDcidjaei  3)ratoriuS  üierftimmt'gcm  2eni'a^e. 


—  24   


lobteen  von  ben  anbern  betten  4?mnncn*) :  Veni  redemptor,  A  solis  orlus  cardine.  SBet  tcr  erften  war  bie 
urfprünglichc  2Bcnbung  ber  jweiten  Seile  nad)  ber  Dberqutnte  (in  ba§  ^hrpgifthe)  gletd?  Anfangs  in  eine 
SJiobulation  nad}  ber  f  leinen  Dberterj  (bem  3onifd)en)  »eränbert  morben,  woburd)  unmittelbar  aud)  eine 
abwetd)enbe  mclobifcbe  2Benbung ,  baS  2Cbftetgcn  um  eine  große  Serj ,  »on  ber  £)berquinre  be3  @runbton§ 
nad)  beffen  fleiner  £)berrerj,  herbeigeführt  würbe:  eine  Umwanbtung,  bie  man  balb  überall  annahm, 
unb  baburd)  ba3  ©eprage  biefer  SRelobie  allgemein  fefhMte.  Die  be£  anbern  beiber  Jppmnen  rourbe  mit 
allen  urfprünglid)en  AuSwctdnmgen  beibehalten,  unb  in  Au3fd)eibung  ber  ©nlbenbehnungen  »erfuhr  man 
jumetft  übereinfttmmenb,  fo  bafj  bei  ihr  etmaS  S3ebeittenbc§  nicht  ju  erinnern  ift. 

Dagegen  giebt  biefelbe  in  ber  ©eftalt  rote  fte  in  ben  ©efangen  für  bie  gemeinen  Schulen  erfcheint, 
un§  wieberum  ju  erheblicheren  33etrad)tungen  Einlaß.  SBenn  mir  bereite  hier  auf  ben  mebrftimmigen  Sonfaljs 
eingehen,  obgleich  mir  ben  ©e^ern  gctftltdicr  £iebwctfen  in  biefer  3eit,  eben  wie  ben  SUielobieenbüchern 
bie  in  ihr  erfchienen,  eine  befonbere  ^Betrachtung  vorbehalten;  fo  geflieht  bieg  nur  barum,  bamit  baü> 
SSerfyaftntjj  beg  ©ängerS  unb  ©efjerS  in  jenen  früheren  Sagen  ber  Äirchenoerbeffcrung  im  Allgemeinen  naher 
jur  2lnfd)aititng  gelange,  bannt  man  bie  elften ,  leifen  ©puren  jener  Erneuerung  beutlicher  mahrnehme,  bie 
mir  juüor  rühmten. 

Die  2ieberfammlung  öon  1544  theilt  mit  bem  alteren  2Balterfd)en  ©efangbuche  ben  Übelfianb, 
baß  bei  ben  meiften  l)armonifd)en  33el)anblungen  bie  ÜBielobie  im  SEenor  erfcheint,  obgleich  hier  fchon  bei= 
nahe  ber  jehnte  Sheil  be§  ©anjen  —  12  pon  123  —  fte  in  ber  SDberftimme  geigen,  alfo  ba§  5Bcrt)dltni^ 
ftd)  günftiger  gehaltet  al3  in  jenem,  mo  bie§  unter  38  mehrfrimmigen  beutfd)en  geiftlichen  Siebmeifen  nur 
:,weimahl  ber  gall  ift,  alfo  bei  einem  Stcunjchnthcit  bc§  ©anjen.  Sene  altere  Einführung  ber  Siebweifen 
aber  ift  ein  Übelfianb  ju  nennen,  nicht  allein  wegen  ber  nothwenbigen  SSerbunflung  ber  SOJelobte  burd) 
bie  über  ihr  liegenben,  höheren  ©timmen,  fonbern  aud)  be§balb ,  weit  bem  SBefcn  ber  h<vrmonifcben  Ent= 
faltung  berfetben,  bem  nachbrücf liehen  Aufragen  ber  SQiobulafton,  baburd)  Eintrag  gefchahe.  Der  ©efcer 
jener  3eit,  auf  mannid)fad)e  SEonperbinbungen  bcbad)t,  Permieb  bauftg,  ju  bem  Sone,  mit  bem  bie  £enor= 
ftimme  ben  ©chlufjfall  barftellte,  bie  ihr  unmittelbar  nahe  ©runbfh'mme  ben  Einflang  ober  bie  £)craüe 
nehmen  ju  laffen ,  mie  er  bod)  hätte  tlmn  muffen ,  um  bie  Aufweichung  hervorzuheben ;  ober  wenn  er  ftd) 
baju  genbthigt  fahe,  fud)te  er  vcrmirtelft  ber  oberen  ©timmen  ben  baburch  herbeigeführten  Etnbrud  ber  Ein= 
ftimmigtat  mieberum  ju  vermifchen,  unb  bie  SOiobulation  auf  eine  anbere  S5al)n  ju  leiten,  ©o  ift  e3  na= 
mentlid)  burch  23altt)afar  9?efinariu$>  gefchehen,  ben  ©e^er  berSBeifen:  Äomm  ©Ott,  ©d)öpfer,  hei; 
liger  ©ei|r,  unb:  9hm  fam  ber  Reiben  £eitanb,  9cro.  28.  unb  2  ber  ©efänge  für  bie  gemeinen  ©chulen. 
Der  AuSmetchung  ber  erfren  Seile  jener  erfreu  SCRclobte,  auf  ber  mirolpbifchcn  SEonart  nach  ber  ionifeben, 
legt  SJeftnariue»  nicht  ben  ©runbton  biefer  legten,  C>  im  SBaffe  unter,  fonbern  A,  bie  fletne  Unterterj  biefef 
Sonef :  in  ber  britten  3eile  begleitet  er  jwar  ben  ©chtußton  ber  9Jiclobie,  ü,  burch  feine  tiefere  Dctape  im 
S5affe,  allein  bie  beiben  £)bcrfttmmen  leiten  auf  betben  SEbnen  eine  Aufweichung  nach  G  ein,  bie  ftcb  bann 


')  SRad)  £uc.  CoffiuS  in  ^rätoriuö  £t>mnobia. 


Skeetaua  Gkfangbud). 


  25   


unerwartet  nad)  E  wenbet;  t»te  ©igentbümlid)feit  ber  SSortart  fo  wenig,  al§  feie  ber2fu$weid)ungen  feer  in  tf>r 
gefefeten  SJIclobie  formen  Jenaer;  jur  2tnfd)auung  gelangen.  Sn  ber  SBeife:  9hm  fomm  ber  Reiben  ^eifanb, 
wirb  ber  ©cfylufjwenbung  ber  erfien  Beile,  nad)  bem  ©runbtone  jurüd,  im  33affe  bie  große  Unterterj 
untergelegt:  eine  2(u$weid)ung,  bie  großartig  unb  feierlich  erfd)einen  fbnnte,  würbe  beren  ttuSbrucf  niebt 
babureb  wieberum  gebänwft,  baß  ber  Übergang  ber  ^weiten  3eile  nad)  ber  fleincn  Eberterj  (bem  Sonifcben) 
burd)  Unrcrlcgung  ber  f  leinen  Unterterj,  matt  abfallenb,  in  ben  ©runbton  jurüdgeleitet  wirb,  in  bem  of>ne= 
bicS  bie  beiben  anbern  3eilen  fd)licßen.  3u  bem  v orlefjten  ScblußfaUe  enblid)  muß  bei  Steftnarius?  ber  £enor 
burd)  ben  Scblußton  ber  SOielobte  ben  S3aß  bitten,  benn  bie  ©runbftimme  fteigt  über  tyn  btnauf.  ©egen 
bie  JBebanblungcn  biefer  beiben  SJMobieen  jeid>net  fieb  bie  ber  Söeife  be§  ßiebeä  »ßbriftum  wir  fotlen 
loben  febon  ,  ber  beutfeben  Übertragung  be3  ^>pmnu§:  A  solis  ortus  cardine  (9lro.  4)  »ortf>ettf>aft  au3, 
bie,  weit  in  unferer  Sammlung  mit  feinem  tarnen  bezeichnet,  wofyl  üon  bem  Herausgeber,  ©eorg 
SRfyau,  betrüb""  bürfte,  ber  aueb  al§  Sonfetjer  gerübmt  wirb*).  £icr  finben  wir  bie  SCRelobie  in  tt>rcr 
urfprünglicben  unoeränberten  ©cjtalt,  unb  in  ber  Tberftimme,  beutlid)  beroortretenb.  6§  gefd}icl)t  niebt 
feiten  in  mebrjh'mmigen  ©cfängen  biefer,  unb  ber  um  SBcnigcS  fpätcren  3eit,  baß  pbr99tfd)e  93Zelobieen 
burdi  ben  unterlegten  33aß  al6  dolifebe  erfebeinen;  in  ©oubimebS  öierfftmmigen  franjbftfcben  Pfannen 
finben  wir  e§  fegar  burebgängig,  mit  alleiniger  2luSnabme  bc3  142ficn  9)fa(m§,  ber  einen  regelmäßigen 
pbrpgifdien  <2d)luß  tyat.  S3ei  ber  Jßcbanblung  unferej»  ^pmnuä  wirb  unter  ^croorbebung  einer  jwei= 
ten  ;Jöaiwtbe$iebung  feiner  ©rimbtonart,  beffen  uralte  pbrt)gifd)e  SSeife  als  eine  ionifcfye  in  ibrem 
Scblußfalle  bargeficllt.  2ülerbings  wirb  bierin  nid)t  fowobl  ba6  oolle  ©epräge  ber  Tonart  felbft  auSgebrüdt, 
aß  nur  beftimmter  einjelner  Neigungen  bcrfelben.  Allein  e3  war  bod)  bie  SSKelobie,  bie  burd)  bie  £ar= 
monie  aufgeprägt,  jur  'tfnfdiauung  gelangte ;  e§  waren  bie  barmonifd)cn  $8erf)ältniffe  il)rer  2lu3weicbungen 
unb  bereu  manniebfaebe  2luffaffung,  bie  baraus?  berüorgcfjcnbe  3fbfcr;attung  bc3  3lu&brudö,  fo  wie  beren 
Sufammcnbang  mit  ben  33efonberbctten  ihrer  ©rimbtonart,  an  benen  enblid)  beren  solle  Sigcntl)ümlid)feit, 
if>r  barmonifeber  ©ebalt,  beutlid)  b^f  ortrat.  33etracbten  wir  bie  üorliegcnbe  SQtelobie  genauer,  fo  finben  wir, 
baß  btcfelbc  nad)  einem  unregelmäßigen  Anfange  (burd)  bie  große  Unterfccunbe  ifyreS  ©runbtonS )  junäd)fi 
einen  pbrpgtfcben  <2d)lußfall  jeigt,  fobann  einen  ionifd)en,  in  ber  brüten  3ette  einen  äolifeben,  biä  fte  in  ber 
legten  wieberum  einen  pbrpgifcben  barfkllt.  SSeibcn  pbrngifeben  «Scblußfällcn  nun  ift  f>ter  bie  große  Unter= 
terj  C,  ber  ©runbton  beö  3pm'fd)en,  untergelegt,  unb  wenn  t)iemä)  fd)einbar  aud)  jweimabl  eine  9J?obula= 
tion  nad)  biefer  Sonart  in  unmittelbarer  golge  erfebeint,  fo  jeigt  fte  fid)  bod),  gegen  ben  ©ang  ber  SJlelobie 
gebialten ,  beibe  SOcafile  in  gart)  r>erfd)iebenen  S3erbältniffen.  Überrafcbenb  unb  unerwartet  tritt  fte  ba§  erfre 
SEJlabl  beroor,  ba  fte  un§  ben  Scbtupfatl  al§  eine  wirf  liebe  3lusweicbung  barfiellt,  unb  nid)t,  wie  wir  »orauS-- 
fe^en  burften,  alä  eine  3iüdfcbr  in  ben  ©runbton;  berubigenb  unb  erbebenb  bei  ibrem  jweiten  SSorfommen, 
weil  fte  bie,  febon  in  ber  SOielobie  oorbanbene  2tu5weicbung  nad)brüdlid)  ausprägt;  beibe  SOtable  alfo  aud) 
Don  eigentbümlicber  Jßebeutung.  2>ie  britte,  äolifebe  2tu^weid)ung  wirb  Anfangs  burd)  einen  Srugfd)luß 
nacb  F  aufgebalten,  unb  in  bem  näcbften  Safte  erft  wirflid)  bargeficllt.  £>ie  le^te  enblid)  berul)t  wefentltcb 
ebenfalls  auf  einem  Srugfcbluffe,  inbem  febeinbar  ein  »oller  (£d)luß  nad)  A  auf  E,  al§  Dominante  biefeö 
SoneS,  ju  bem  fortballenben  ©d)lupflange  ber  SDZelobie  eingeleitet,  bann  aber  bem  weieben  Sreiflange  auf 
E  unerwartet  ber  fyaxk  auf  C  angeregt,  unb  burd)  itjrt  bas  ©anje  beenbet  wirb.  2Bir  feben  bierauS,  baf, 


')  <B.  ffieifptet  STCro.  13. 
r.  SBintetfett ,  ttr  erangef.  S^cratgeratig. 


4 


  26   


wo  bie  Gelobte  burd)  tfjre  Stellung  ju  ben  übrigen  (Stimmen  ffd)  afä  fjerrfcfyenb  bewäbrt,  audt;  erfr  eine 
»afjrfjafte  ^armontfd)e  Entfaltung  beginnt;  wie  mir  unS  fpdter  überzeugen  merben,  bafi  jemefyr  biefe  ju 
einer  waf>rf>aften  33lütl)e  reifte,  aud)  baS  einführen  ber  £auptmelobie  in  eine  SKittelftimme,  mit  wenigen, 
feltenen  2tuSnal)tnen ,  allgemad)  ganj  aufborte. 

SSon  bem  wcfentlicbficn  (Sinfluffc  auf  biefen  gortfct>rttt  mar  aber  bie  Äirdjenöerbefferung.  £>em 
(Sinne,  au§  bem  fte  beroorgteng,  fonnte  eS  nid)t  genügen,  bafs  bie  Sonfunft  in  ber  &ird)e  ©egcnftänbe  beS 
©emcinegefange§  überhaupt  nur  bei) anble,  fte  follte  babei  aud)  in  ein  lebenbigereS  33erf)ältnif3  treten  ju 
ber  ©emeine,  il)r  üerftänblid),  eingänglid)  werben;  fte  füllte,  mo  mbglid),  felbft  il)rem  ©efange  ftd)  anfeilte- 
fjen,  rttdjt  länger  als  ein  ©etrennteS  ibm  bloS  gegcnüberftel)en.  SBenn  aber  aud)  Äunjtgefang  neben 
bem  ©emeinegefange  bergebe,  follte  er  bod)  all  beffen  l)bl)ere  S3lütfje  erfcfyetnen.  3>n  Ü)rcn  elften  Siegungen 
nebmen  mir  biefe  geiftige  9fid)tung,  il)r  (Sinmirfen  auf  bie  Äunft,  i)kx  mal)r;  mir  merben  fte,  je  länger  je 
mebr,  fräftig  bevoortreten  unb  l;errfd;enb  merben  fefyen. 

Sie  9JMobie  beS  £wmnuS:  Christe,  qui  lux  (ßbrifte,  ber  bu  bijl  Sag  unb  2id)t)  erfd)eint  in 
ÄlugS  ©efangbuebe  ibrem  SBefen  nad)  unveränbert,  nur  baft  bort  einige  SJMtSmen  auSgefd)ieben  ft'nb. 
4?armonifd)  bebanbelt  ftnben  mir  fte  erft  in  ber  jmeiten  $älfte  beS  3«f?rt;unbcvtä.  £>ie  SBeifc  :  ^err  ©ort 
bid)  loben  mir«  ift  ibrem  33aue  nad)  ber  alten  SJlelobie  beS  Te  Deum  laudamus  übereinftimmenb,  menn 
biefe  aud)  an  einjelnen  (Stellen  bureb  SBenbungcn  unb  Sd)mucf  von  il)r  abmeid)t.  Sic  bcftcl)t  auS  üierjebn 
2lbfd)nitten,  öon  benen  ber  jmette  breimabt,  ber  britte  jweimabl,  ber  fünfte  unb  feebfte  fed)Smabt,  ber 
elfte  breimabt  ju  mieberbolen  ift;  aud)  fttmmen  ber  fiebente,  ad)te  unb  neunte  in  il)rer  legten  £älfte  völlig, 
bie  beiben  legten  aud)  in  bem  <Sd)tufifalle  il)rer  elften  4?älfte  überein.  S)iefe  gorm,  weld)e  fonft  bei  ber  SOZe* 
lobie  feine§  anberen  JpumnuS  oorfommt,  näl)ert  bie  beS  Te  Deum  ben  äbnltd)  geglicberten  formen  ber  Se= 
quenjen.  S3  altf>afar  9?eftnariuS,  ber  fte  in  ben  ©efängen  für  bie  gemeinen  <Sd)ulen  (9Zro.  122;  üier= 
ftimmig  bebanbelt  bat,  fül)rtft'e,  nad)  bamaliger  SBeife,  jumeift  im  Scnore  ein;  bod)  erfd)eint  fte  in  ber 
legten  £älfte  beS  fed)ften,  ftebenten,  neunten,  jebnten,  elften,  unb  im  brannten  3lbfd)nitte  in  ber  £)ber* 
ftimme.  Äeiner  ber  bäufig  vorfommenben  »brwgifcben  Sd)lufjfälie  ift  l)icr  alS  fold)er  bebanbelt:  jumeilen  ift 
benfelben  bie  grofje  Unterterj,  bäuft'ger  bie  £luinte  untergelegt  Sie  ft'nb  bal)er  als  ionifd)e  unb  äolifdje 
bargejtcllt,  mie  benn  bie  3luSmeid)ungen  jmifd)en  biefen  beiben  Sonarten  unb  ber  miroh)bifd)en  med)feln. 

(Srfl  im  %ab.re  1545,  in  bem  von  Valentin  33apft  ju  Seipjig  berauSgegebenen  ©efangbud)e,  bem 
ßutf)er  eine  befonbere  SSorrebe  beigegeben  bat,  worin  er  »biefen  luftigen  £>rucf  beS  SSalttn  33apft«  rüt)mt, 
unb  wünfd)t  »bafj  bamit  bem  römifd)cn  S3apft,  ber  nid)tS  benn  £eulen,  trauern  unb  £eib  in  aller  SBett 
angerid)t  burd)  feine  verbammte,  unträglid)e  unb  leibige  ©efefee,  groß er  2Cbbrud>  unb  Scbaben  gefd)ebe«; 
erft  in  biefer  Sammlung  crfd)eint  ein  fed)fter  £nmnuS  —  ober  ein  ftebenter,  wenn  wir  baS  im  S3reSlauer 
©efangbuebe  t>on  1525  feiner  SDMobie  nad)  unoeränberte  Pange  lingua  (9JIcin'  3ung'  crfling  unb  frbf)Itd> 
fing;  mitred)nen,  baS  aud)  in  33apftS  Sammlung  wieber  aufgenommen  ift.  @S  ift  ber,  wobl  bem  ad)ten 
3abrbunberte  angel)brenbe:  0  lux  beata  Trinitas  (£»er  bu  bift  brei  in  (Sinigfeit).  Seine  alte,  mirotwbifcbe 
SBeife  erfebeint  i)iet  ol)ne  erbeblicbe  S3eränberungen.  SSor  SucaS  Öft'anber,  ben  wir  fpäter  als  benjenigen 
werben  fennen  lernen,  ber  bem  mebrftimmigen,  aber  einfad)  gcbaltenen  ©efange  beS  GboreS  aud)  ben 
ber  ©emeine  ju  Bereinen  txad)kte,  finben  wir  biefe  Sülelobie  nid)t  gefegt,  baS  S3erl)ältnip  beS  SefeerS  ju 
bem  Sänger  um  bie  Seit  tfjrer  2lufnal)me  in  ben  eoangelifd)en  Äird)engefang  ft'nb  wir  alfo  barjulegen  aufier 
Stanbe.  £)er  ^)»mnuS :  Herodes  hosiis  impie  (SSBaS  fürd)ftu  geinb  ^crobeS  fet)r)  ifi  fyex  nid)t  mit^ 


  27   


jurecbncn.  VRcm  fang  ihn  nach  berSEBeife  bc§  fcbon  betrachteten :  „A  solis  ortus  cardine";  mit  feiner 
eigenen  SKelobie  evfdjetnt  er  erjr  nach  ber  Witte  fce§  SabrbunbertS  (15G0)  in  bem  großen  ©trajjburger 
£irchengefangbud)e,  unb  biefe  ijt  meijt  nur  örtlich,  in  ©ebraucb  gefommen. 

9Jleb,r  aU  jene  fteben  £r;mnen=S!JMobieen  ftnben  roir  im  Saufe  be§  16ten  SabrbunbertS  bem  et>an= 
gelit'd)en  Jtircbengcfange  nicht  bauernb  angeeignet,  wenn  auch  örtlich  bie  eine  ober  anbere,  felbft  mit  2Inroen* 
bung  au*  fvembe  fiieber,  jum  SSorfcbein  fommt.  Gnn  befonberer  3roeig  beffelben  freilich,  ber  Äircbengefang 
ber  böbmifcb  >  mährifcben  33rüber,  t)at  beren  roeit  mehre  aufgenommen.  2fufjer  ben  fchon  genannten  erfcbei* 
nen  beren  fteben  anbere  noch  in  bem  SSJWobieenbucfye,  bas>  SDticbael  SBeiffe  um  1531  »jum  jungen  SSun^el« 
bcrauSgab*);  anbere  »ter  in  ber  Umarbeitung  btefeS  ßantionatS  burcb  Sobann  Sporn**) noch  anbere  fünf 
fügt  tiefen  baS  abermabß  überfebene  unb  »ermebrte  Äircb.cngefangbucb  t»on  15G6  bit^u***).  2Bir  fernen 
bort  biefe  SDMobieen  tbeilS  Umbilbungen  ber  ^mnen  gefeilt,  benen  fte  früher  angehörten,  tbeilS  fremben 
Siebern ;  »on  bort  au3  aber  haben  fte  ftd)  nicht  bei  ben  Sutberifcben  eingebürgert,  wenn  auch.  fpäterbin  ein 
S3erbältntfj  gegenfeitigcn  (Jntlebnenä  jtfifchen  beiben  .ftircbengefängen  ftd)  anbahnte,  beffen  roir  jum  £t)dl 
hier  bereits  roerben  ju  geben! en ,  fpäter  jebocb  genauer  baoon  ju  berichten  haben. 

@S  ift  bejeicbnenb  für  bie  SJMobieen  ber  £pmnen,  bafs,  roie  fte  ftropbifcben  ©efängen  ftd)  anfcblie= 
jjen,  aud)  eine  innere  3£brunbung,  mehr  roie  anberen  Äircbengefangen  ihnen  eignet,  bie  fte  bem  ßiebmdpigen 
naher  fteUt,  unb  ju  Umbilbungen  für  ben  fachlichen  ©emeinegefang  üor  jenen  geeignet  macht,  ©iefe 
(Sigenfchaft  theilt  bie  SBeife  be3  tfmbroft'anifcben  SobgefangeS  nid)t  mit  ihnen,  ber,  nicht  metrifcb  roie  fte, 
in  ungebunbener  9iebe  ftd)  beroegt;  nur  in  uneigentlichem  ©inne  führte  er  mit  ihnen  gleiche  SSejeichnung, 
aud;  hat  feine  9Jielobie  niemals  ^ie  »olfSmäfjige  Siebform  erhalten,  roenn  fte  gleich  einige  Umbilbung  erfuhr. 
Sn  biefe  Jorm  ftnb  aber  brei  anbere  lateinifche  ©efänge  gehaltet  roorben,  roelche  bie  fatholifcbe  Äircbe  theil§ 
mit  bem  tarnen  ber  ©equenjen  auSbrüdltcb  bejetcbnet  hat,  ober  bie  burcb  ben  SSau  ihrer  SJJelobieen 
©efangen  tiefer  %vt  boch  fcbon  genähert  ftnb.  £>er  erfle  berfelben  ijt  ber  alte  £{tergefang :  2£lfo  f> eilig  ijt 
ber  Sag,  ber  in  biefer  ©eftalt  fcbon  über  bie  Äirchenoerbefferung  hinaufreicht;  eine  einzelne  <Stroy>r)e, 
einem  ©ebid)te  elegifcben  9Jiaaf]je3  nachgebilbet,  ba3  ben  SSenanttuS  £onoriu3  SlemcntianuS  gortunatu§, 
SBifcbof  ju  9)oitier3  in  ber  legten  £älfte  be§  6ten  ISabrbunbertS  jum  Urheber  hat:  Salve  festa  dies,  toto 
venerabilis  aevo  etc.  2Sir  finben  ihn  häufig  ben  Ruinen  beigejählt,  mit  benen  er  boch  nur  ba§  bejtimmte, 


')  1.  Conditor  alme  syderum  etc.  (®ott  bem  Sßater  fei  2ob  unb  25anf  tc.) 

2.  Lucis  creator  optime  etc.  (ß$  t'ft  je|t  um  bie  S3c6pcrjeit:c.) 

3.  Pange  lingua  gloriosi  etc.  (Sobfing  t>eut  o  ßtjrtftenfycit,  unb  ban!  ©Ott  mit  3nnigfeit  je.) 

4.  Rex  Christe  factor  omnium  etc.  (©Ott  Ijatt'  einen  SBeinbcrg  gebaut:c.) 

5.  Sanctorum  meritis  etc.  (D  Herre  ßfjrift,  ber  bu  ganj  freunbttd)  bift:c.) 

6.  Urbs  beata  Jerusalem  etc.  (Äomm  ^eiliger  ©eift,  rcafjrer  ©Ott,  bcine  ©nab'  ift  un$  fcbr  Sßottyte.) 

7.  Vexilla  Regis  prodeunt  etc.  (Seijt  tjeut  an  wie  ber  fSlcffiaS,  GijriftuS  auf  einem  6fct  fafnc.) 
"")  1.  Ave  maris  Stella  etc.  (©Ott  83atct  gebenebeitic.) 

2.  Beata  nobis  gaudia  etc.  (ßijriftuä  fchüt  aui  in  alle  2Belt:c.) 

3.  Crux  fidelis  etc.  (3fjr  ßfjriften  feijt  an  ben  Äönig  unb  ^»eilanb,  ben  uns  ©Ott  ber  SSater  l)at  gefanbtzc.) 

4.  Investor  rntuli  etc.  (freuet  euch  alle  gleid},  lobet  ©ott  im  Himmelreich  jc.) 

")  1.  Adsunt  festa  jubilaea  etc.  (2>as  Eeben  ßljrifti  unfcreß  Herrn,  laft  uns  preifen  mit  allen  Sfjrnjc.) 

2.  Ex  more  docti  mystico  etc.  (3efuS  warb  balb  nad)  feiner  Sauff,  in  bie  2Büft'  geführt  jum  Mnlauffzc.) 

3.  Jesu  quadragenarie  etc.  (2flS  Gbrtftuä  f)ie  auf  (Srbcn  war,  prebigt  er  ber  jübifd)cn  ©djaarjc.) 

4.  Vita  saoctorum  etc.  (Jperr  (Sijrift,  beS  SebenS  Cuell,  aller  ©nab'  unb  SBaljrljeit  jc.) 

5.  Jesu  dulcis  memoria  etc.  (SCBie  fü^  ift  bein  ©ebäcbtnijj,  Herr  Sefu  ßijriit,  ju  aller  grifhe.) 

4* 


  28  

btcbterifcbe  9Jioof?  tfycilt;  feine  ©ingmeife  ober  beutet  hinüber  ju  ber?$wnt  ber  ©equenjen.  £>iefe  jcicbnet 
ftd)  ou§  burd)  beftimmte  melobtfd)e  2lbfd)mtte,  bie  entmeber  im  ©anjen,  ober  in  einzelnen  il)rer  Steile  mit 
«inonber  wcd)feln.  £>ie  93Zelobte  ber  urfprünglid)en  loteinifd)en  £ud)tung  unfereS  SjlergefangS  bejtetjt  ouS 
jmei  folct)cn  tfbfdljsen,  beren  erfter,  in  jroei  Steile  ftd?  fd)eibenb,  mit  ilmen  hinter  jeber  SBieberljolung  be§ 
jwetten  mecbfcBroeifc  ftd)  bbren  idfjt.  Unfer  bcutfd)e§  ßieb,  bas>  2utber  ju  ben  ölten  jdblt,  t>at  tt>!e 
bie  poetifcbe  gorm  fetne§  UrbilbeS  nid)t  berüdft'd)tigte,  aud)  bie  muftcaltfcbe  in  mir  ganj  allgemeinem  ©inne 
fidb  angeeignet,  bafyer  fmbet  ftd)  feine  SDZelobie  in  werfet)  i ebenen  ©ingebüd)crn  mit  bebeutenben  2lbroeid)utv 
gen.  2lm  frübeften  begegnete  fte  mir  feit  ber  itird)em>evbefferung  in  9ERid)ael  SBeiffenä  gciftlid)en  (befangen, 
um  1531;  jroar  mit  einem  SDfrcrltebe,  ober  nid)t  bem,  bo6  unS  je|t  befd)dftigt.  ߧ  rotrb  bter  eine  fteben= 
jeilige  <Stropr)e  ju  ifjr  gefungen : 

SSater,  bir  fei  Sanf  gefagt, 

bafs  e§  beiner  SSet§f>ett  t)at  besagt, 

burd)  bein'  etngcbornen  ©ofyn 

ber  SBelt  £ülfe  ju  tfjun  zc. 
ber  eine  Einleitung  ju  einer  anfttngenben  SQSeife  vorauf  gebt : 

freuet  euct)  beut  alle  gteid) 

o  it)r  ßf)riftcn  tugenbrcid)  :c. 
Unfcre  9JMobie  bot  in  ibrer  erfien  unb  britten  Seile  gleite  melobifd)e  SBenbungen;  bie  ber  jweiten 
unb  vierten  ft'nb,  bi§  auf  ben  ©cbjufüfall,  einonber  öfmlid),  bie  ber  fünften  benen  ber  jweiten  gteid),  bis  auf 
eine  unbebeutenbe  melobtfcbe  3tu§jierung;  felbftdnbig  erfebeinen  bie  ber  fed)jten  unb  ftebenten  Seile.  2)te 
SEftobulation  fdjwonft  jttufeben  bem  ©runbtone  unb  feiner  großen  Untcrfecunbe,  olfo  jtt>ifd)en  bem  9)brb9i; 
fd)en  unb  £)ortfd)en  auf  fonft  ungeroolmlicbe  SBcife.  Sorifd)  enben  bie  erfte,  brttte,  »ierte  unb  feebfte  ßeile, 
alfo  bie  SSKet)r§ar)lr  »brogifd)  bie  übrigen,  bie  jmeite,  fünfte,  ftebente.  £)iefe3  Übergewtd)t  be3  £)orifd)en, 
jumabt  aud)  bie  SDMobie  mit  beffen  ©runbtone  beginnt,  fyat  oft  SScranlaffung  gegeben,  biefelbe,  roieroobl 
mit  Unredjt,  aB  borifd)  ju  bejeiebnen.  S5ei  ben  mat)rifct)en  33rübem  febetnt  fte  befonberS  beliebt  gemefen 
ju  fewn :  beren  »ermebrteS  Äiret)engefangbuct)  »on  1506  bat  fte  nod>  einem  jroetten  £)fierliebe  üon  jroblf 
Seilen  anbequemt,  beffen  erffe  t»tcr  Seilen  mit  ben  folgenben  wicr  gleid)e  SBetonung  boben: 
£)  wie  lieblid)  ift  biefe  Dfterjeit, 
Unb  fo  fröltet) ,  baf$  ftd)  ber  ntemanb  g'nug  freut  zc. 
Sen  frübeften  mebrftimmtgen  Sonfa^  berfelben  mit  bem  ßiebe:  »2flfo  fettig  tft  ber  Sag«  ftnbe  id) 
1544,  in  ben  123  Siebern  für  bie  gemeinen  ©dmlen  (9lro.  27) :  er  rüt)rt  »on  ßubwig  ©enfl  b«*)* 
unter  ben  fed)§  ©timmen,  au§  benen  ba§  ©anje  ftd)  jufammenmebt,  —  ein  jweiter  ©bpran,  ein  2tlt  unb 
SEenor  —  fütjren  bie  SOZetobie,  in  bem  Tonumfänge  be§  tierfe^ten  ^Ot)rt>gtfcr)en  (ber  Sonart  be§  ©anjen), 
unb  in  beffen  urfprüng(id)er  Seiter.  ©o  rotrb  fte  canonifd)  noebgeobmt  in  ben  SSerbdltniffen  ber  Unterquarte 
unb  Unteroctawe;  flr eng,  in  ber  golge  ber  Sonüerbältnijfe,  frei,  in  ben  Swifcbenrdumen  beS Eintritts  ber 
©timmen,  unb  ben  rbt)tbmifct)en8Sert)öltniffen  ber  Söielobie.  Spiet  bot  fte  nur  fed)ö3eilen,  roie  fonft  gen>bbn= 
lieber  fteben.  S3on  ibnen  fd)liepen  bie  jroeite,  fünfte  unb  feebfte  im  ©runbtone,  bie  anbern  um  einen  £on 
tiefer,  fonft  ftimmen  bie  erfte  unb  britte,  bie  jweite  unb  üierte  melobifd)  überein,  mit  2tuSnobme  be§  bo^ 


*)  SBcifpicl  9lro.  5. 


  29   


rtfchen  ©dilufifalB  tiefer  legten;  bie  fünfte  unb  feebfte  fteben  für  ft'cb  ba.  ^coeb  eine  anbere  "Mbroeicbung 
jeigt  bie  ^reupifebe  Singart  biefeS  2iebe§,  nach  ber  e§  3obann  decarb  in  feinen  9)reufüfd)en  geftliebern 
behanbelte*).  Sr>iex  erfebeint  jebe  3eile  melobifd)  felbftdnbig;  bie  erfte,  jrocite,  fünfte,  ft'ebente,  mit  pb,rn= 
gifebem  ©cblutjfalle,  bie  britte  unb  »ierte  nacb  h,  ber  £bcrquinte  bcS  pbn>gifcben  ©runbtonS  geroenbet,  unb 
bie  borifebe  2lii*rocicbung  allein  auf  bie  feebfte  3etle  jurüdgebrangt.  Sie  Harmonie  aber  gejlaltet  biefe  Sflo* 
bulationen,  einmabl  ionifcb  (am  ©ebluffe  ber  erften  3eite> ,  jroeimabl  d o tt f cb  (in  ber  jroeiten  unb 
fünften),  breimabl  pf>rpgtfd?  (im  Ausgange  ber  britten,  werten,  fiebenten),  unb  bortfeb  (in  ber  feebften). 
@»  leuchtet  ein,  baf  in  biefer  melobifcben  Umbilbung  voie  barmomfeben  SSebanblung,  bie  ©runbtonart  in 
ihren  #auptbe$tebungen  befonberS  fräftig  b ervortritt,  unb  beren  gerügte  unrichtige  2tuffaffung  baburd)  au§= 
gefcbloffen  bleibt.  5Dctd?ael  ^ratoriuS  in  feinem  vnerftimmigen  Sonfafje  über  unfere  ©ingroeife  lägt  ba3 
9)bn>gifcbe  nur  am  Grnbe  be3  ©anjen  erfcheinen,  unb  befjanbelt  bie  übrigen  2Cu§meid)ungen  breimabl  bortfeb, 
jroeimabt  äolifcb,  einmabl  tontfeb ;  £errmann  ©d)ein,  ben  ein  feltfamer  SÖIifioerftanb  bin  unb  roieber  aB 
©änger  biefer  alten  SKelobie  nennt,  unb  feinen  £onfa£  berfelben  al§  befonberS  foftlich  unb  mujterbaft 
greift,  roecbfelt  in  bemfelben  lebiglid)  mit  pbrpgtfcber  unb  bortfeb, er  tfuSroeicbung,  bod)  fo,  bafj  biefe  lefcte 
als  bie  überroiegenbe  erfebeirtt.  Sem  fonft  ebrenroertben  9J2etfter  gebübrt  alfo  roeber  in  ber  einen  noch  ber 
anberen  Sfücfftcbt  ber  ibm  beigelegte  Shzbm.  Sie  bebeutenbe  2lbroeicbung  be§  alten  lateinifeben  SiebeS  unb 
be§  fyäteren  beutfeben  in  bem  S5aue  ihrer  9ftaaf?e,  unb  bie  befonberen  SSerbaltntffe  ber  Urmelobie  ju  jenen, 
bie  ft'cb  auf  biefeö  le^te  nicht  übertragen  liefen,  macben  e§  erklärlich,  baf?  Umbtlbungen  biefer  SDWobie  in 
manniebfachem  ©inne  entfteben  mußten,  bie  eben  nur  bie  allgemetnften  Süge  be»  Urfprünglicben  noch  jeigen. 

©an$  anber§  üerbdlt  e§  ftch  mit  einem  jroeiten  ©efange  ber  alten  Äircbe,  beffen  ©ingroeife  bie 
euangelifche  ftch  aneignete.  Spiex  fe^en  w'lx  °'e  ftropbtfche  gorm  übertragen  auf  eine  SDWobie  blof?  profaifeber 
Seilen,  mit  binburcbflingenbem  9feime,  obne  baf?  aueb  nur  ein  Sonoerbältnifi  berfelben  gednbert  roirb. 
2ßir  meinen  bie  2Beibnachtä=©equenj :  Grates  nunc  omnes ,  bie  geroobnltcb  9cotfer  bem  ©tammler  juge; 
febrieben  roirb ,  ber  ju  ©nbe  beä  9ten  unb  ju  Anfange  be3  lOten  SabrfjunbertS  lebte.  Sie  mirolnbifcbe 
SEonroeife  biefer  Seilen  theilt  ftch  in  jroet  2lbfcbnitte ;  ber  erfte  rourbe,  einer  althergebrachten  ©itte  gemäfj, 
oon  bem  SSorfdnger  breimabl  mit  gebeugten  Änieen  vorgetragen : 

ßaffet  un§  loben  ©ort  ben  4?errn,  ber  burch  feine  ©eburt  un§  erlbfet 
hat  auS  ber  SKacbt  be3  Seufeß  **). 

Sarauf  antwortete  bann  ber  @bor: 

Siefem  jtemt  e§ ,  ba£  wir  mit  ben  Ingeln  aHejeit  fingen ,  Crbre  in  ber  ^)6be !  ***) 

hieran  fehltest  ftch  nun  Söltcbael  SBeiffenS  treffliches  SEBethnachtSItet) :  ßobet  ©Ott  o  lieben 
ßbulten,  bem  roir  in  feinen  geiftlichen  ©efdngen  com  Sabre  1531  begegnen.  3n  biefen  ftnb  jundcbfl  brei 
©tropben  ähnlichen  85aue3  aneinanber  gereiht.  2fuf  jvnei  acbtfplbige  trochdtfehe  Seilen  folgen  beren  jroet 
fünffplbige;  eine  jebnfnlbige,  jambifcb=anapäftifche,  macht  ben  ©efcblufj;  fo  geftaltet  ftch  eine  jebe  biefer 
©fropben.  ©ie  forbern  auf  jum  2obe  beffen,  ber  um  unfertroillen  SQcenfch  geworben,  fte  »erfünben  baS 
#eil,  beffen  roir  babureb  geroürbigt  ftnb ;  baä  in  ben  einfachen  Seilen  be3  alten  lateinifeben  ©efangeS  nur 


•)  SSeifpiet  9<lro.  151. 

*')  Grates  nunc  omnes  reddamus  Domino  Deo ,  qui  sua  natmtate  nos  liberavit  a  diaiolica  potestate. 
*")  Huic  oportet  ut  canamns  cum  angelis  Semper  Gloria  in  excelsis. 


  30   


Angedeutete  entfalten  fte  auf  baS  2iebltd)fte  unb  SBebeutfamfte.  Sft  nun  fo,  waS  urfprimglid)  nur  brei= 
fad)e  2ßiebcrl)olung  bevfelbcn  SBorte  war,  ju  einem  «Rranje  breier,  mit  wad)fenber  SBärme  ft'd>  erf)ebenber 
©tropfen  geworben,  fo  ertönt  bann,  bem  2lbgefange  beS  alten  ßiebeS  fx'd>  anfcbjtefenb,  in  jwei  längeren 
3eilen  —  einer  gwblf  =  unb  neunfwlbigen  —  ber  £ob=  unb  £>anfeSruf,  ju  bem  jene  aufforberten.  ©o  fel)rt 
biefer  2Bed)fel  mermabl  wieber;  nach,  je  brei  «Strogen  unterbrechen  regelmäßig  jroei  längere  Seilen  ben  Sort= 
gang  be§  giebeS,  inbem  fte  baS  ©anje  licbeüoll  »erfetten  unb  beleben*),  ©o  t)at  nun  bie  alrertfjümltcfye 
2Beife  ein  liebf)afte$> ,  »olfSmäfiigeS  ©epräge  gewonnen,  jugletd)  aber  aud)  im  ebelften  ©inne  eine  funfhreidje 
§orm.  3n  biefer  ©eflalt  erfd)eint  fte,  näd)ft  ben  2Bciffefd)en  geiftlicfyen  ©cfängen,  juerft  um  1545,  in  bem 
Anfange  be§  fcfyon  erwähnten  t>on2utl)er  burd)  eine58orrebe  eingeleiteten  S5apftfcl)cn  ©efangbud}e§(5iro.  32). 
3n  beiben  S5üd}ern  ftimmt  il)re  2lufjcid)nung  unter  ftd)  unb  mit  ber  Urmclobie  überein,  ein  einjigeS  £on= 
öerfjältnifj  aufgenommen,  in  welchem  bie  2utl)erifd)e  Sammlung  bem  Urbilbe  treuer  geblieben  ifl.  3£m 
©d)luffe  jener  jwei  längeren  3wifd)enjeilen  nämlid)  bilbet  bie  Aufzeichnung  be§  2Beiffefd)en  ©efangbud)S 
ben  ©djlufjfall,  abfteigenb,  burd)  bie  fleine  Serj  beS  ©runbtonS:  bie  bcS  35a»ftfd)en  fd)lägt  in  beren  ©tatt 
bie  £berquarre  an.  (Sine  weniger  funjtreidje  2lu3geftaltung  —  benn  Umgeftaltung  werben  wir  eS  nid)t 
nennen  bürfen  —  unferer  SJielobie  jeigt  ein  anbereS  alteS  2ieb,  bem  fte  ebenfalls  unoeränbert  ftd)  angepaßt 
finbet,  unb  baS  ftd)  meift  treu  an  bie  SBorte  ifyreS  urfprüngltd)cn  Iiält,  bie  beiben  Abfälle  beS  ©efangeS  aber 
md)t  unterfd)eibet. 

25anffagen  wir  alle  ©ott  unferm  Herren  ßbrifto 

£>er  unS  mit  feinem  SEBort  bat  erleud)tet, 

Unb  unS  erlofet  bat  mit  feinem  Jßlute 

SSon  beS  SeufelS  ©ewalt. 

£)en  follen  wir  aEe 

SDZit  feinen  (Ingeln  loben  mit  ©d)aüe 

©ingen:  $rei§  fei  ©ott  in  ber  £6lje!**) 
Sbgleid)  fte  nun  bereite  in  ber  erjlen  ^älfte  beS  16ten  3abrt)unbert3  bem  e»angeltfd)en  Äirdjen; 
gefange  lebenbig  angehörte,  fo  ifl  fte  bod)  erjl,  fo  weit  meine  gorfd)ung  reid)t,  gegen  ba§  @nbe  ber  legten 
£älfte  beffelben  ju  ber  Äunft  beS  ©efeerS  in  ein  §8erl)ältnif3  getreten:  früher  als  biefem,  bat  fte  bem  2)id)ter 
ü)re  neue  Belebung  ju  »erbanfen.  SSierjlimmig  ftnbe  id)  fte  juerjl  unb  jwar  in  ^Begleitung  bcS  julefjt  mit* 
geseilten  £tebe§,  in  2uca3  £)ftanber£  fünfzig  geiftlid)en  Siebern  unb  ^Pfalmen  (Dürnberg,  1586);  mit 


')   1.  Cobct  ©ott,  o  lieben  Gf)ri{ten,  2.  £cr  ©ofjn  ©ottcS  ifl  nun  tommen, 

©inget  iljm  mit  bem  ^ßfalmiften     ^  Jpat  unfer  glctfd)  angenommen, 

Gin  neu  frött'd)  Cicb  ;  3ft  fjicr  crfdjicncn 

&enn  aus  grofer  Sieb  UnS  su  nerfüfjncn, 

ÜKacb,  t  ©ott  mit  uns  einen  eroigen  grieb !        Unb  eroige  Ätartjeit  ju  cerbienen  ! 
3.  St  ift  fommen  un§  fjcilcn 
Unb  fein  ©ut  mit  un$  §u  tbeiten, 
UnS  ju  entbinben 
5ßon  allen  ©unben, 
SEBie  uns  fein'  Gngct  frölid)  oerlünben. 
•Danffagung  fei  ©ott ,  ber  mit  uns  burd)  feinen  ©olm 
©otdje  SBarmtjcrjigteit  b,at  getfjan !  jc. 
")  6.  baS  JBeifpiel  9tro.  81. 


  31   


tiefem,  aber  auch  bem  SBeiffefcben  Siebe  in  bem  fünften  Steile  ber  beutfehen  ©iont'fcben  9Jlufen  be§  Michael 
^rdtoriuö  *) ,  1607,  alfo  crft  im  Anfange  be3  17ten  SahrfmnbertS.  Der  Sonmeijter  fjat  in  ber  legten 
biefer  Bearbeitungen  bem  Dichter  ftnnreid)  ft'ct)  angefcbloffcn.  Der  erfte  "iLbfafy  ber  SEJWobie  erfcheint  ju  ben 
erjtcn  brei  ©tropfen  in  brcijtimmigen  ©d£cn.  Der  erfte  berfelben  füf>rt  fte  in  ber  £>berjtimme  ein:  nach 
TLxt  einer  fireblicben  Intonation  wirb  »on  biefer  bie  erfte  3eile  angeftimmt,  mit  ben  folgenben  erft  tritt  ba3 
©emebe  ber  anbern  beiben  Stimmen  ein.  Der  Senor  jtimmt  in  ber  jroetten  ©tropbe  bie  erfte  Seife  an,  bod) 
febon  von  ber£ber=  unb  ©runbjtimmc  begleitet :  in  biefe  leiste  tritt,  mit  ber  jmeiten  Seile,  fobann  bie 
SDWobie  ein,  unb  bilbet  bie  ©runblage  be§  ©a£e3.  ber  britten  ©tropbe  gel)t  fte  mieberum  über 
in  bie  £bcrfttmme;  bann  ertönt  in  fünfftimmigem  ©efange,  tt)r  jmeiter  2Cbfa|,  ju  ben  längeren  beiben 
3roifd}enjcilen. 

Die  bxittt  ©equenj,  beren  SJielobie  bie  eüangelifebe  Ätvd>e  ft'd)  aneignete,  gebort  fchon  ber  Seit 
be§  abnebmenben  lateinifdjen  .KtrcbengcfangeS  an.  (53  ift  bie,  in  ber  alten  Äircfye  um  bie  3lbwent§jeit, 
unb  am  gelte  ber  S3erfünbigung  Söiaria'3  früher  gebräuchliche,  in  ben  neuen  fatboltfd)en  ©otteSbienjt  ntd)t 
roieber  aufgenommene:  Mitiit  ad  virginem.  2utl)er  hielt  fte  fel)r  bod),  nannte  fte  eine  moblgeratbene  unb 
febbne,  nicht  fo  grob  —  t>oU  abgbttifcfyer  SSerebrung  —  al$>  anbere,  ber  SEftaria  gcmetf)te  ©efange.  9J2ichaeI 
SBeiffe  gab  juerft  (1531)  von  ihr  eine  beutfd)e  Übertragung  mit  Beibehaltung  ihrer  ©ingmeife: 

2tt§  ber  gütige  ©Ott  »ollenben  wollt'  fein  2Bort 
unb  beibeS  fjat  »on  il)m  Langenberg  aufgenommen  in  feine,  1545,  noch  bei  fiutberS  Sebjeiten,  ju  SKagbes 
bürg  gebrudten  beutfehen  jtirchengefdnge.  Die  ber  SSerbeutfchung  unoerdnbert  angepaßte  SJJelobte  unferer 
©equenj,  bie  man  bem  $ater  2lbdlarb  jujufchretben  pflegt,  geigt  fd)on  ba§  ©eprdge  ber  fpdteren  Seit  in  ber 
fte  entftanb;  benn  bürfen  mir  fte  bem  ©ebtd)te  gleichzeitig  holten,  fo  jtammt  fte  früheftenS  au§  ber  erjten 
£dlfte  be§  12ten  3abrhunbert3.  DaS  ©ebicht  (roie  £uca§  Llofftu§  in  feiner  Psalmodia  eä  mittheilt)  befteht 
au£  elf  fünfteiligen,  jambtfehen  ©trophen,  von  fed)§  ©plben  in  jeber  Seile;  »on  ben  erfien  acht  ©trophen 
merben  immer  ihrer  je  jroei  ju  berfelben  SERelobie  gefungen,  bie  brei  legten  hoben  roieber  eine  eigene  für  ft'd). 
günf  9JMobieenfd}je  alfo,  fdmmtlich  au§  ber  ionifdjen  Sonart,  ftnb  mit  etnanber  uerbunben.  ©ie  haben 
etroaS  grbr)ltd?e§  unb  grifcheS,  mehr  SSolf§=  als  Ätrchenmdpige§,  unb  menn  auch  feine  ber  anbern  überein* 
fommt,  fo  erfd)einen  boch  in  ihnen  ganj  ähnliche  2Benbungen  meijt  nur  in  anberer  golge  unb  3ufammen= 
fefcung,  unb  in  ben  ©chlufifdUen  !ommett  fte  einanber  fet)r  nahe.  (£$  ft'nb  hier  noch  3tnbeutungen  ber  alten 
muftfalifchen  gorm  ber  ©equenjen,  allem  mir  fel)en  biefe  fchon,  von  ber  SSBeife  be3  $BolfSliebe§  berührt, 
ba§  alte,  ftreng  kirchliche  ©eprdge  abkamen.  Sßeiffe  unb  ©Langenberg  hoben  noch  eine  furje  ©chlufjjtropbe 
t>on  brei  Seilen : 

83erfüg'  un3  mit  bir 
2luff  baß  mir  btd>  loben 
SDZbgen  für  unb  für, 

beren  SJMobie  einjelnenSheiten  berSßeifen  für  bie  »orangebenben  ©trophen  entlehnt  ift.  3n  btefer©eftalt  gibt 
SJiichaet  $>rdtoriu6  (1607)**)  im  fünften  Steile  feiner  beutfehen  ©tonifchen  9Jiufen  (9fto.  159)  baS  ©anje 
in  »ierftimmigem  Sonfa^,  inbem  er  jmifchen  bie  einzelnen,  burdb,  ben  ©dngerchor  »orjutragenben  ©trophen 


*)  <S.  baS  SBetfpict  9tro.  84. 

")    =     i        i  :  85. 


bie  eines  anbeten  Siebes*,  einer  Anrufung  an  ©Ott  Skier,  ©olm  unb  heiligen  ©eift  hineinfliegt,  um  S3er= 
fünbtgung  unb  ©ebet,  Äunft  unb  ©emeinegefang  auf  fold}e  Zxt  mit  einanber  ju  verbinben.  Crrfi  um  33ieleS 
fvdter,  gegen  baS  @nbe  beS  17ten  Sflfn'hunbertS  (1640),  ftnben  mir  unfere  Sonmeife  aud)  burd)  Umgejkl= 
hing  bem  ©efange  ber  ©emeine  unmittelbar  angeeignet.  3of)<mneS  ßrüger,  bamalS  Sttuftfbtreftor  an  ber 
SRicolaifircfye  ju  S3crlin  mahlte  auS  ben  fünf  SJMobieen,  meiere  bie  verbeutfehte  ©equenj  ib,m  bot,  bie  2Bem 
bungen,  bie  ihm  bie  anmutl)igficn  fd)iencn,  befeitigte  bie  meifüen  ©plbenbehnungen,  unb  fe^te  auf  biefe 
SBeife  ein  9ceueS  jufammen,  baS  nod)  bi6  auf  unfere  Sage  ju  allen  ©tropfen  beS  feitbem  ebenfalls  über= 
arbeiteten  alten  SicbeS  angemenbet  mirb. 

(Einiger  anbeten  Steter  ber  alten  .Kirche  merben  mir  nur  vorübcrgef)enb  ju  gebenfen  haben,  ba  il)re 
SJlelobieen  nur  beibehalten,  nicht  lebenbig  fortgebilbet  mürben,  menn  aud;  fvdter  bebeutenbe  Sonfe^er  fte 
31t  Aufgaben  i()rcr  ititnft  md()lten.  3>n  ben  um  1542  ju  Wittenberg  burd)  3>ofe»h  Jtlug  mit  Sutl)erS 
SBorrebe  herausgegebenen  JBegrdbnißgefdngen  ftnben  mir  bie  bevrtfd)e  Überfettung  etneS  SSroftgefangeS  am 
©rabe  von  '2uireliuS  sprubentiuS  (Siemens?  auS  bem  4ten  3al)rhunberte:  Jam  moesta  quicsce  querela,  bie 
mit  ben  Söorten  anhebt:  »Spbtt  auf  ju  trauern  unb  flagen.«  Sjl  nun  bie  fd)bne,  einfach  faßliche  9Jielobie 
biefeS  2iebe§  il)tn  gleid^eitig,  mie  eS  mof)l  fd)eint,  ba  fte  feinem Sttaafse  ftd)  genau  anfcfyliefjt,  fo  hatten  mir, 
ba  fte  in  ihrer  baburd)  bebingten  rf)vthmifd)en  QluSgejmltung  aud)  auf  beffen  bcutfd)e  9?ad)bilbung  über= 
tragen  ifl,  an  il)r  vicllcid)t  baS  einzige  33cifvtcl  antifer,  in  ben  evangelifd)en  £ird)engefang  unverdnbert  nod) 
bineintonenber  93taafte.  33iS  gegen  bie  SJZittc  beS  17ten  3al)rhunbertS  nod)  mirb  fte  in  bemfclben  fortgelebt 
haben.  211S  Sohann  ©tobduS  um  1634  ju  £>anjig  mit  Unterjtü^ung  beS  großen  ©)urfürften  griebrtd) 
SBilbelm  von  SBranbcnburg  fein  unb  feines?  Idngj!  verdorbenen  9ttcifterS  ßeccarb  fünfjfimmig  gefegte  geifb 
liebe  Sieber  herausgab,  nal)m  er  in  biefe  Sammlung  auch  einen  £onfa£  beffelben  auf  über  bie  Söeife  biefeS 
Siebes*),  ber  einfach,  mürbtg,  erhaben,  an  bereit  urfvrünglid)e  ©effalt  ftd)  treu  anfd)liefjt,  unb  ben  CrccarbS 
um  1597  juerfr  crfd)tenener  2lnü)etl  an  biefen  ©efdngen  nod)  nicht  enthielt.  £)iefeS  bamalS  überfehene,  ober 
vietlcid)t  nod)  nicht  vorl)anbene  2Bcrfd)en  feines?  SDJeifterS  tl)eilte  alfo  ber  ©d)üler  roobl  mit,  um  ben 
von  ihnen  S5eiben  in  gleid)em  ©twlc  mehrstimmig  gefegten  SSonath  ber  in  ihrer  £eimath  Greußen  ge= 
brdud)lid)en  SJMobiecn  bamit  ju  vervollfidnbigen. 

Gin  ^weiter  ©efang  ber  alten  Äird)c,  beffen  SJMobie  bie  evangelifd)e  nur  beibehielt,  ifl  bie  UntU 
ptjonte  am  83orabcnbe  beS  $PftngftfcfteS :  Veni  sancle  spirilus  reple  luorum  corda  fidelium  elc.  SDian  fingt 
fte  nod)  jeljt  in  vielen  Äird)en  ju  ber  mbrtlid)en  Überfefjung:  Äomm  heiliger  ©eift  erfülle  bie  ^erjentc.  5 
SDiid)ael  23eif[e  legt  (1531)  il)rcr  unverdnberten  ©ingmeife  eine  etmaS  abmeid)enbe  Übertragung  unter: 
»Äomm  heiliger  ©eift,  4?erre  ©Ott,  begab  bein  2ütSermdl)lten  mit  milber  ©ab<:tc.  SOJan  vflegt  fte  mohl, 
bod)  ohne  gehörige  SSegrünbung,  Stöbert  Könige  von  granfreid),  ©of)n  £ugo  (üavetS  jujufchreiben;  in  baS 
elfte  Sahrrmnbert  aber  möchte  fte  nebft  il)rer  SRclobic  muthmaafjlid)  ju  fefjcn  fepn.  (5inc  fel)r  bebeutfame  unb 
funftreidje  ad)tflimmige  Schanblung  btefer  legten  mirb  unS  befd)dftigen,  menn  mir  unter  ben  SSonfefcem 
geijllicbcr  ©eifen  auS  ber  erjten  Sr>äl\te  beS  lOtcn  3al)rl)unbertS  beS  Submig  ©enfl  merben  ju  gebenfen  t)a- 
ben,  eines  von  Suther  bcfonberS  hochgehaltenen  9JieifterS. 

3mei  anbere  bcutfd)e  Äirchcngcfdnge  vflegt  man  enblid)  mol)l  aud)  auf  lateintfd)e  Urbilber  jurüd= 
juführen,  bod)  Idft  ftd)  biefeS  nur  von  ben  Sichtungen,  nicht  aber  ben  ©ingmeifen  jugeben.  Die  ©equenj 


•)  S.  ba«  SBcifpicl  9iro.  139. 


  33   


bes>  ^fmgftfefieö :  Yeni  sancte  spiritus  et  euitte  coelitus  etc.  mag  fretlid)  in  einigen  3ügen  ju  bem 
bekannten,  t>on  Suther  fortgebid)teten  alten  ^»ftngftftebe : 

Äomm  heiliger  ©eift  ^)erre  ©Ott, 

Erfüll'  mit  beiner  ©naben  gut  2C. 
Anregung  gegeben  haben;  tf>re  SDJelobie  hat  inbefi  mit  ber  feinigen  nichts  gemein.   2>od)  ift  jene  mtrflicb, 
auf  ein  anbereä  beutfcheS^fmgjn'ieb  ber  mährifd)en  SSrüber  in  3ofyann  ^)ornö  Sammlung  berÄird)engefänge 
berfelben  übertragen, 

^eiliger  ©eijt,  £erre  ©Ott, 

bu  f)6d)jter  Sröfter  in  ber  Ttott), 

befud)  uns>  mit  beiner  ©nab  ic. 
ba3  jebod)  eine  allgemeine  Verbreitung  nidjt  gefunben  l)at.  So  grünbet  ftct>  aud)  ßutherS,  einem  älteren 
beutfeben  in  ber  erften  Strophe  nad}gebid)tetes>,  unb  bann,%  mie  jeneS  anbere,  felbftänbtg  fortgeführtes»  £teb: 
SOZitten  wir  im  Sehen  finb,  mit  jenem  auf  9totfer§  be3  (Stammlers?  Iateinifd)enä3ergefang :  Äledia  vita 
in  morte  sumus.  3n  feiner  SJlelobie  jeboef)  hat  man9Jiül)e,  bie  altere  nur  in  einigen  fefyr  entfernten  3lnbeutun= 
gen  mieberjuerfennen,  unb  beibe  mbd)tcn  nur  burd)  tf>re  gleiche  Sonart,  bie  pl)n)gifd}e,  einanber  genähert  fenn. 

SBas?  über  bie,  aus?  ber  3eit  bes>  nod)  frifd)  fortmad)fenben  ^eiligen  ©efangeS  ber  alten  £ird)e 
fiammenben,  in  bie  eoangelifd)e  lebenbig  l)ineintbnenben  SQZelobteen  ju  berieten  mar,  haben  mir  in  bie 
t>orangef)enben  35lätter  niebergelegt.  Sie  9JM)rjaf)l  biefer  SBetfen  geborte  jenen  fhrenger  fird)ltd)en  Sonarten 
an,  bie  auf  ben  ©liebern  be§  garten  &reiflang§  ruhen,  ber  pfynjgifcr; en  unb  mirol»bifd)en;  jenen 
JRethen,  beren  2lnfangSpunfte,  ber  eine,  ba£  lefcte  Crrjeugnifi  be§  ©runbflangcS  au§  fid)  barftellt,  bat»  ihm, 
jufammentonenb,  harmontfd)  üerfct)miljt,  bie  grcpeSerj,  e,  ben  pbn;gifd)en  ©runbton;  ber  anbere,  ba§ 
erjle,  felbftänbig  aus>  tf)m  entmidelte,  in  ilm,  aufmärtSbringenb,  mieberum  jurüdjrrebenbe  Sonoerhältnif?, 
bie  £luinte,  g,  ben  mirol»btfd)en,  ber  in  feiner  £berquarte  jugteid)  ben  ©runbflang  mieberum  erzeugt, 
ßebenbig  fpiegelt  bas>  h  teburd)  bebingte  ©eeräge  beiber  9?etf)en  fid)  ab  in  ben  auf  fte  gegrünbeten  SEJMobieen, 
unb  mir  haben  gefefjen,  baf  feine  jener  Umgeftaltungen,  bie  in  ganj  anberem  ©inne  an  ihnen  fortbilbeten, 
ee  »ermifchen  fonnte,  bafj  es>  »ielmehr  fdjärfer  nod)  unb  einbringltd)er  hervortrat  burd)  bie  üolfs>mäfjigen 
gormen,  in  bie  ba§  SSebürfnig  ber  3eit  jene  alten  ©ingmetfen  geftaltete.  iDafj  aber  biefe  be$etd)nenben, 
eigenthümlichen  3üge  ber  alten  fachlichen  Tonarten  in  »olfSmäfj iger  £iebform  ju  lebenbiger  2lnfd)auung 
gelangten,  ja,  felbft  ba,  mo  nicht  einmal  eine  reichere,  rhttfhmifche  2luSgeftaltung  bie  unüeränbert  behaltenen, 
urfprünglichen  SEBenbungen  ber  Sttelobie  in  tonfünjtterifd)em  ©inne  erneuerte,  fonbern  allein  bie  ©tropf)« 
be£  Dichter^,  unb  baS  £ongemicf)t  bie  ©ingmeife  umfehuf,  mie  mir  e§  an  ber  2Setf)nacf)t3fequenä  Grates 
nunc  omnes  burd)  SCRid)ael  SBeifje'S  fymüfyeZ  Sieb:  „Sobet  ©ort  o  lieben  Triften"  gefd)ehen  fahen;  eben 
biefeS  jeigt  auf  ba$  beutlicbfte,  mie  eine  neue  9Kelobieenfd)bpfung  in  fird)lid)em  jugleid)  unb  »olfSmäf?  igem 
©inne  fid)  anbahnte,  beren  frühejie Jteime  mir  fpäter  in  ben SJlelobieen  geiftlid)er  beutfd)er  Sieber  »orber 
&ird)em>erbefferung  näher  betrachten  merben.  2Ba§  an  ©efängen  in  ber  alten  .Kirchenfprache  fett  bem  13ten 
Sahrhunberte,  jumaf)f  feit  bie  Äunft  bes>  Sonfa^eö  fid)  hü  entmideln  begann,  nod)  entffanb,  neigt  in 
feinen  SKelobieen  ftd)  metft  bem  SSolBmäfigen  ju,  mit  allmählichem  6rlofd)en  be3  fird)(id)en  ©eprägeö; 
eine  Neigung,  bie  mir  bereits?  in  ber  ©ingmeife  ber  jule^t  betrachteten  ©equenj  Mitfit  ad  virginem 
mal)rnehmen  fonnten.  £>er  SKebr^abl  nach  finb  biefe  neueren  fird)lid)en  ©efänge  3lb»ent§=  unb 
SßeihnachtSlieber  in  flro»hifd)er  gorm :  fo  baö  Dies  est  laetitiae  (ber  Sag  ber  ijt  fo  freubenreiebj, 

s.  äBinterfett,  btt  erangef.  G^ctatgefang.  5 


  34 


Resonet  in  laudibus,  Puer  natus  in  Bethlehem  (ein  Äinb  geborn  in  33ethlehem),  moju  mir  auä)  ben 
lateinifcb=beutfchen  SSJiifchgefang:  ,,In  dulci  jubilo  *),  nun  finget  unb  fctb  froi)  k."  werben  ju  rechnen  haben. 
SEBir  fi'nben  biefe  in  einem  Anhange  be§  fd)on  ernannten  .£lugfd)en  ©efangbuches?  eingeführt;  anbete  geben 
SDiicfyael  SBeiffe'S  geifrlid)e  ©cfängc  (1531)  mit  neuen  beutfd)en  Siebern;  fo  bie  SBetfe  eines»  SobliebeS 
auf  bie  ^eilige  Jungfrau :  Ave  Hierarchia,  Dei  monarchia  etc.  mit  bem  ibv  angepaßten  'tfboentliebe : 
SEJienfcb,  enf inb  merf '  eben  mae>  ba  fei  bein  Seben ;  bie  be£  ^PafftonSlicbcS :  Patris  sapientia  mit  jmei  Siebern 
gleiten  Inhaltes :  6f)riftu§  mahrer  ©otte§  ©ofm,  unb :  @hrijtu3  ber  unö  feiig  macht;  bie  bee>  'tfuferjtehung3= 
gefangeS:  Surgit  in  hac  die  Christus  Dominus,  mit  einer  9kct)bi(bung  beffelben:  6b,rijtu§  ift  erffanben, 
bat  übermunben.  9cadb  anberen  enthalt  SErtllerS  geiftlicheS  ©ingebud)  (S3re3lau  1555,  1559),  t>on  bem 
fpäter  ju  reben  fer>n  mirb,  unter  ihnen  bie  Sieber  unb  DJMobieen:  Quem  paslores  laudavere*)  unb  Nunc 
angelorum  gloria.  litte  biefe  Sieber  unb  ihre  SDMobieen  haben  fi'd)  allgemach  eingebürgert  in  bie  lutherifdbe 
Äirche.  Wit  3ut>erftd)t  ift  bie  3ett  ber  (üntftchung  feinee»  unter  ihnen  ju  beftimmen,  boch  reicht  mof)l  faum 
etneS  über  ba3  breijelmte  3ab,rl)unbert  hinauf;  mir  bürften  fte  fämmtlid)  in  ben  ßeitraum  jrotfd)en  biefem 
unb  bem  15ten  3ahrf)unberte  ju  fe^en  b^aben.  SSergteidben  mir  ihre  ©ingmeifen  mit  benen  jener  alteren, 
jut>or  befprod)enen,  fo  geigen  fte  un§  ein  bebeutenb  t>erfcr)i  ebnes?  ©epräge.  3unäd)ft  treten  bie  ftrenger 
firc!blid)en  Tonarten  jurüd,  unb  bie  ionifdje,  ben  garten  Sonartcn  unferer  Sonumft  näher  jtebenbe,  geminnt 
bas>  Übergemicbt:  nur  einer  ber  eben  genannten  ©efänge  l)at  eine  93Mobie  prjrpgifdjer  Sonart,  ba$ 
9)afftonsMieb  Patris  sapientia.  £)ie  SSerül)rung  ber  großen  Serj  in  biefem  ihrem  SSerl)ältniffe  ju  bem 
©runbtone  mirb  nicht  länger  wermieben;  fte  mirb  nicht  mel)r  überfprungen,  fonbern  macht  oft  fd)on  ju 
Anfange  ber  93celobicen  mit  großer  (§ntfd)icbenf)eü  ftd)  geltenb.  2Bir  merben  baburd)  auf§  neue  überzeugt, 
baß  biefe  ©ingmeifen  einer  Seit  angeboren  müffen,  mo  ber  mchrjttmmige  S£onfa£  juerfl  mit  einiger  S5ebeutung 
auftrat  unb  ftd}  »erbreitete,  mo  ber  33olf3gcfang  lebenbig  aufzublühen  begann  unb  auf  ben  fircblidjen  eine 
nicht  unerhebliche  Sfüdmirfung  augübte.  £>iefe  mar  inbeß  t>or  ber  Äirdbenoerbefferung  eine  ganj  anbere, 
aß  nach  berfelben;  in  jener  früheren  3eit,  »on  ber  mir  reben,  eine  SSermeltlichung  be3  ^»eiligen, 
fpäter  eine  Heiligung  bes>  2Beltlid)en;  kirchliche!  unb  Zollmäßiges  erfd)ien  ba  erjl  im  inntgften 
dtnflange,  mährenb  jutior  bas>  kirchliche  ©epräge  erlofd)  unb  bem  meltlidjen  t>erfd)molj.  deicht,  baß 
mir  ben  anmutfyig  bemegten,  oft  felbft  hüpfenben,  miegenben  ©chritt  jener  alten  2Beil)nad)t§lieber  bamit 
tabeln  mollten.  £>iefe  erfüllten  eben  barin  ihre  S3e(iimmung,  beöt)al6  nahm  auch  bie  et>angelifcbe  Äirdje, 
lobenb  unb  anerfennenb,  fte  in  ihren  ^eiligen  ©efang  auf.  ©ie  maren  mie  ba£  In  dulci  jubilo,  Resonet 
in  laudibus,  Quem  pastores  laudavere,  Nunc  angelorum  gloria  meifi  kinberlieber,  mit  benen  bie  kleinen 
in  finblicher  greube  theilnahmen  an  bem  gefle  ber  ©eburt  be3  (SrlöferS  5  bei  ben  grübmetten  unb  33es>pern 
ber  2Beihnad)t§jeit  fangen  fte  biefe  neben  bem  auSgeftelften,  gefchmüdten  kripplem,  flatfd)ten  auch  wohl 
baju,  fröhlich  hin  unb  her  fpringenb,  in  bie  ^)änbe.  2tt>er  bie  Siebe  ju  bem  eigentlich  kirchlichen  erlofch 
allgemach  in  biefen  3eiten  firchlicher  SBirren  unb  junchmenber  SSerberbniß  beö  geiftlid)en  ©tanbe§;  eä 
melfte  ab  im  ©efange,  mährenb  bie  S3olfömeifen  frifd),  lebenbig  aufblühten;  e3  beburfte  ber  verjüngten 
SBegetfterung  für  jeneä,  bie  mit  ber  Äirchcnt-crbefferung  mieberfehrte,  um  eine  neue  ©chbpfung  in  fird)lich= 
tjolBthümltchem  ©inne  in  ba3  Seben  ju  rufen.  SBährenb  man  »or  Suther  bie  Feinheit  beä  Äirchcngefangeä 

")   <3.  Stro.  120  ber  SBeifpietfammtung  bie  9J?etobic  bicfcS  Siebes  in  3ot).  Gccarbö  fünfftimmigem  SEonfa^e. 
**)   Sie  SMobteen  biefer  beiben  Cieber  ju  ber  beutfehen  Übertragung :  „ben  bie  Birten  tobten  fcfjre"  unb  ,,£eut 
finb  bie  lieben  ©ngelein"  f.  ?tro.  80  ber  SBeifptetfammlung  in  93c.  ^»rätorius  »ierftimmigem  üonfafce. 


  35   


gegen  bie  bamalS  kräftig  forrwacbfenbe  Äunft  be§  £onfaf,5cS  in  ©dnuj  nehmen  ju  muffen  glaubte,  ofme 
beren  naturgemäße  Grntmicklung  burcb.  frrenge  ©ebote  hemmen  ju  können,  nahm  biefe  einen  anbeten  2Beg. 
©ie  menbete  ft'cb,  ben  Crrjeugniffen  beS  unbewußten  ÄunfttricbeS  im  SSolkSgefange  ju,  ftc  für  tfuSfchmückung 
tf>rer  längeren  banuonifcben  ©ewebe  ju  benu^en:  ft'e  fefete  fogar  alte  feierliche  ©ingmeifen  jurücf  gegen 
belebtere,  meltlicbe,  mäblte  biefe  »orjugSmeife  als  bemegenbe  ©runbgebanken  ihrer  ©äfce,  unb  hielt  SBorte 
geistlichen  Sn^alt^,  ibnen  unterlegt,  für  genügenb,  auch,  ber  tonkünjKerifcben  JBebanblung  getftlicheS  ©epräge 
ju  verleiben,  ©o  entging  man  bem  SSormurfe,  alte  Äirchenmeifen  burd)  ben  Sonfafc,  wie  bie  £ird)enbäupter 
eS  bamalS  anfaf)en,  ju  entfteEen,  inbem  man  jugleidb  ber  inneren  Neigung  folgte,  bie  »on  jenen  üßeifen 
ab  unb  ju  ben  roeltlid) en  Einleitete.  £)iefer  9ftd)tung  auf  baS  Verweltlichen  trat  inbeß  eine  anbere,  eben  um 
jene  3eit,  entgegen,  in  ben  ftd>  mebrenben  beutfdben  geiftlicfyen  Siebern,  beren  ©ingmeifen  unS  baS 
SSormalten  ber  alten  kirchlichen  ©runbformen  als  33e$eid)nenbeS  erfennen  laffen,  mäbrenb  meift  nur  bie 
fh'cpbifcbe  §orm,  weniger  bie  melobifche,  an  baS  SBolkSmäßige  erinnert.  3n  ihnen  fpricfyt  bie  ©efmfucht 
ft'cb  auS  na<$  erneutem  kirchlichen  Seben :  in  beiben  Dichtungen  ermuchfen  bie  Äetme,  auS  benen,  mäbrenb 
ber  alte  Äircbengefang  aEmäblid)  abmelkte,  ein  neuer  ftd)  entmideln  follte,  eine  Chrtmtdelung,  bie  nur  ben 
mannen  §rüblingSbaud)  ber  S3egeifterung  erwartete,  um  in  üppiger  gülle  hervorzubrechen.  « 

2Bie  mir  in  ben  Äircfyengefang  ber  mäbrtfdjen  35rüber  eine  bebeutenb  größere  Hn^aty  »on 
SDielobieen  altkirchlicber  ^bnmnen  aufgenommen  fanben,  als?  in  ben  lutberifchen,  fo  bat  jener  auch,  m'el  mehre 
von  jenen  ©ingmeifen  fpdterer  geiftlid)  er  lateinifcber  Sieber  ftd>  angeeignet,  meift  ofme  aEe  9?üdftd)t  auf  ben 
urfprüngticbcn  Inhalt  biefer  legten.  2Bir  treffen,  biejenigen  ungerechnet,  bie  fdbon  früher  genannt  ftnb  als 
bei  ben  Sutberifchen  eingebürgerte,  in  ben  J.ird)engefdngen  ber  SSrüber  »on  1566  42  folcher  SDMobieen, 
benen  bie  SBorte  neuer,  ibnen  angepaßter  beutfd)er  Sieber  unterlegt,  unb  bie  mit  ben  2tnfangSmorten  —  ober 
aud)  Seilen  —  ibrer  urfprünglicben,  latetnifchen  überfdbrieben  ftnb.  ^chtjefm  berfelben  erfd)einen  bereits  in 
SJiicbael  SBeiffe'S  ßantional  »on  1531,  fünf  anbre  noch,  in  beffen  Umarbeitung  burd)  Johann  Sporn,  bie 
übrigen  neunzehn  bat  bie  fpätere  »erooEfränbigte  Ausgabe  ber  bbbmifcb.  =mdbrifd)en  Äircbengefdnge  üon 
1566  hinzugefügt.  £)ie  Übcrfdjriften  ber  meiften  beuten  auf  unbekannte  Sieber,  »ort  ben  bekannteren  tjt 
bocb  meijt  bie  Seit  ibjeS  (SntftebenS  nicht  mit  ©icb,  erbeit  anjugeben,  unb  baS  frühere  ober  fpätere  ©rf cremen 
ibrer  SDielobteen  in  ben  beutfcb,en  2fuSgaben  ber  bobmifd)  =  mäbrtfchen  Äirdjengefänge  fann  barüber 
augenfcbeinlid)  nichts  entfchetbcn.  (Sine  genauere  Unterfudbung  hierüber  bleibe  Demjenigen  vorbehalten,  ber 
fünftig  eben  mit  biefem  Steige  heiligen  ©efangeS  ftd)  »orjugSmetfe  befd)äftigen  mochte,  ft'e  mürbe  unS  f?ier 
von  unferem  eigentlichen  ©egenjtanbe  ju  meit  ablenken,  jumahl  aEe  biefe  SJMobieen  nur  eine  örtliche,  auf 
eine  bejJimmte  3eit  befchrdnfte  SSebcutung  hatten,  unb  niemals  aEgemeinere  Verbreitung  erhielten.  SSergleichen 
mir  ft'e  aber  mit  einanber  nach  Sonart,  rbntbmifcber  2£uSgejlaltung,  melobifchen  SBenbungen,  fo  bietet  ftd) 
unS  auf  belehrenbe  2Beife  baS  S5ilb  bar  eineS  aEmäblichen  2tbl6fenS  üon  bem  kirchlichen  ©efange,  eineS 
fortfchreitenben  ^»ineinbilbenS  in  bie  ©ejtalt  beS  oolfSmdfjigen,  unb  mir  fbnnten  banach,  jufolge  innerer 
SSKerfmale,  fte  in  eine  9?eibe  jufammenfteEen,  bie  »ieEeicht  nach  künftig  aufjuft'nbenben  äußeren  Seugniffen 
über  ihr  Hilter  ftch  als  richtig  bewahren  bürfte.  Jür  bie  dlteften  unter  ihnen  mürben  unS  biejenigen  gelten, 
melche  mehr  einer  $)falmobie  gleichen,  als  einer  rlmthmifd)  genügenb  auSgebilbeten  SJMobie;  fo  bie  2Beife 
beS SiebeS :  „greut  euch  heut  o  ihr  ßfmften, "  bie  mit  bcnSBorten  „Mortis  encum  gloria'eüberfchrieben  tjt*). 


*)    SStatt  84  ber  Ätrdjcngefongc  »on  1566. 


5' 


  36   


2lnbre  beuten  burd)  il)rcn  58au  im  TfOtgcmeinen  jwar  auf  eine  altere  Seit/  manche  unter  iljnen  jebod)  burd) 
rb»tbmtfd)c,  etgcntf)umltd)e  "tfueigcftaltiing  wieberum  auf  eine  fpätcre.  3u  ir>nen  rechnen  wir  biejenigen, 
benen  nad)  jwei,  feltener  brei  längeren  «Strogen  gleicher  melobifd)er  SSetonung,  eine  britte,  meijl  fürjere, 
von  felbftänbigem  ©efange  folgt;  ©efä|e,  bie  in  biefer  Sufammenfieüung  aud)  aB  «Stollen  unb  2(bgefang 
einer  größeren  ©tropfye  gelten  tonnten,  unb  burd)  bie  wir  an  932td)aet  SBeiffe'S  5Bcil)nad)t§lieb :  „Sobet  ©Ott 
o  lieben  ©jrijlen"  erinnert  werben,  bae>  ber  SBcife  ber©equenj:  „Grales  nunc  ornnes"  auö  bem  10ten3af)r= 
tyunbert  ftd)  anfdhließ  t.  tiefer  2Trt  ijl  bie  SBeife  be3  Siebeä:  „Sie  Seitip  jefct  ganj  freubenreidb"  (851.90) 
überfebrieben  „Hoc  festum  venerantes."  9cad)  jwei  ftebenjeiligen  ©tropfen  unregelmäßigen  S3aue3  folgt 
f)ter  eine  wieberfefyrenbe,  »ierjeilige :  „gür  fold)c  ©nabenjeit  fei  bir,  £err,  Sob  unb  $)reis>."  ©o  aud}  bie 
eine§  Siebes?  über  ben  1  lOten  ^falrn :  „©Ott  ber  fSater  fprad)  ju  (5t>vtflo  meinem  £errn, "  mit  ber  Überfd)rift: 
„Candens  ebur  castitatis."  ©te  jeicfynet  ftd)  baburd)  au§,  baß  ee>  nid)t  bie  Strohe  be§  Sid)ter§  ift, 
weld)e  wicberfel)rt,  fonbern  bie  melobifd)e  Betonung.  Senn  e3  gel)en  jroei  fed)Sjeilige  ©trogen  woran,  unb 
e§  folgt  il)nen  bann  eine  neunjcilige;  bie  brei  erften  Seilen  biefer  legten  jeigen  eine  abweidhenbe,  felbftänbige 
25etonung,  bie  fed)§  legten  wicberf)olen  nur  bie  SDcelobte  ber  jwei  vorangegangenen  ©tropben.  Siefem  S3au 
jufolge  ftellt  bas>  ©anje  ftd)  aud)  bar  als>  jufammengefe^t  aus?  jwei  SÖMobieen  von  je  fed)3  unb  brei  3etlen, 
beren  erftcr,  Anfangs!  nad)  boppelter,  bann  breifad)er  SBieberfyolung,  wieber  bie  jweite  ftd)  einfd)iebt.  Sie 
eine  unb  bie  anbere  DJWobie  biefer  beiben  Sieber  mürben  mir  nun  unter  anbern  gleichartigen,  be£l)alb  für 
alter  l)alten  tonnen,  meil  ein  beftimmt  auSgebilbeter  rfwtf)mifd)er  33au  weniger  bei  il)nen  hervortritt,  unb 
ba3  fird)lid)e  ©epräge  ba§  volBmäßige  überwiegt,  wie  benn  bie  lefcte  unter  ilmen  aud)  in  ber  verfemten 
pf)rngtfd)en  Sonart,  einer  jlrengcr  fird)lid)en ,  ftd)  bemegt.  S5ei  anbem  ftnbet  baS  Umgefefyrte  ftatt, 
unb  fte  bürften  unS  be§b,alb  als!  jüngere  erfd)einen.  ©o  bie  SBeife  be§  2Beif)nad)t3liebeS:  iftf)eut  ein 
frof)lid)  Sag,"  überfd)rieben :  Cum  sanetis  omnibus*).  üftad)  je  jwei  ftebenjeiligen  ©tropfjen  m  frol)tid) 
bewegtem  ©efange  brcitfyeiligen,  5£afte§,  beren  Ic^te  Seile  nur  in  ben  jweitl)etligen,  fwnfoptifd),  übergebt,  folgt 
eine  fünfteilige  ©tropfte,  wieberum  ungraben  SafteS  unb  felbftänbiger  melobifd)cr  2Benbungen ;  nur  bie 
95etonung  ber  legten  Seile  ift  ber  in  ben  vorangebenben  beiben  ftcbcnjeiligen  gleid).  Siefe  beiben  ftnb  ju 
Anfange,  wie  bei  ibrer  SBieberfebr,  il)rem  3nl)alte  nad)  verfünbigenb,  jene  Swifcbenftropbc  aber  lobpreifenb: 

Sob  fei  ©ott  in  Grwigfeit, 

ber  feine  S5arml)erjigfeit 

für  un§  Firmen  nid)t  verfdhleußt  k. 
unb  bie  in  if)r  unb  jenen  melobifd)  gleiche  3eile  bilbet  ein  um  ba§  ©anje  —  eine  größere  ©tropbe  — 
gefd)lungene§,  baffelbe  jufammenbaltenbes!  33anb.  Ser  S5au  btefeS  melobifd)en  ©anjen  berul)t  im 
Allgemeinen  auf  einer  älteren  fird)lid)en  $oxm,  ber  be§  9?efüonforiumä ;  er  jeigt  aber  im  ©injelnen  eine 
volfömäßigere,  bejlimmter  rb,i)tl)mifd)  geglieberte  3lu§gcftaltung,  als  jene  anberen,  äl)nltd)en  ©efänge 
altertf)ümlid)eren  ©evrägeä,  unb  beutet  baburd)  auf  fpäteren  Urfprung.  ©anj  äl)nltd)  verl)ält  e§  ftd)  bei 
einem  Siebe  über  ben  45ften  5)falm:  „SD^ein  ^>erj  tid)t'  ein  feinet  Sieb,  einen  frblid)cn  ©efang,"  mit  ber 
Überfcbrift :  Jam  Christus  ab  inferis  etc.**)  3wei  fed)^eiligen  ©trogen folgt  l)ier  eine  britte,  fünfteilige. 

*)   SB(.  34. 

*")    SBt.  138.    Jam  Christus  ab  inferis  etc.  „ 


A.  erfte  unb  jrccitf,  fcdjgjtttigc  ©tropfe. 


  37   


Scne  erficn  betten  haben  eine  Sflielobie  breitbeiligen  Saftet  ihre  erfte  3ei(e  aufgenommen,  bie  fid),  bie 
■tfbfcbnitte  be»  größeren  ©anjen  anfünbigenb,  in  gerabem  Safte  bewegt  5  bie  je  britte  Seile  tiefer  ©tropfen 
jcigt  erweiterte  Sflwtbmcn.  Sie  ibnen  ftcb  anfcblicfknbe  fürjere  ©tropbe  wirb  $u  einer  2Beife  burcbmeg 
ungcraben  SaftcS  felbftänbig  gefangen,  mit  af)nttd>er  Grrmeitcrung  ber  Sflwtbmen  in  ihrer  britten  unb  ber 
legten  3eile.  3n  gleicher  S5etonung,  aber  mit  ftctS  mecbfelnbem  Chatte  febrt  biefe  fürjere  Strophe  fünfmabl 
mieber,  unb  ibre  $mcifad)e  SBieberbolung,  obne  Stütffebr  jener  jmei  längeren,  befcbliefjt  ba$  ©anje.  Sie 
fräftigften  ©priicbe  be3  <ipfalme$  ftnb  in  ifjr  gefaxt:  „Sieb,  bu  bift  ber  ©djönft'  aUein  k.  3eig  bid>  ber 
2Babrbeit  ju  gut  :c.  Su  blcibjt  bie  ©erecbtigfeit  k.  £bre  Socbter  geb.  hinauf,  unb  »crgifi  beinS  SSaterS 
#au$  ic."  unb  bei  ifjrer  boppelten  SBieberfebr  am  ©dbluffe  bient  fte  ju  einer  Auslegung  bc3  propbetifcben 
Inhalts  oon  bem  Sjorbergebenben:  ,,©0  n>ad)fl  £erre  3efu  ßbrift,  beine  £ircb'  ju  aller  grift."  grcilicb 
beutet  biefe  35efd)reibung  nur  bie  Tlxt  an,  mie  man  um  1531,  roo  mir  biefe  SOZelobie  juerjt  in  SBeiffe'3 
ßantional  ftnben,  biefelbe  auf  ein  neueS,  augenfdjeinttd)  mit  ihrem  urfprünglid)en  in  gar  feiner  SSejiebung 
jtebenbeS  ©ebiebt  angemenbet  habe;  aber  ibre  ganje  2£u3gejtaltung  läßt  bod)  »orauSfe^en,  baß  fte  ju  jenem 
in  einem  ganj  ähnlichen  fBerf)dttniffe  geftanben  haben  werbe,  baß  eine  ältere,  in  fpäterem  ©inne 
umgebilbete  gorm  in  ibr  unS  vorliege,  wie  in  ber  eben  juuor  befproebenen.  dergleichen  35e$ief)ungen 
boren  bei  anberen  SJielobieen,  bie  mir  eben  beSbalb  al§  noch  jüngere  bejeiebnen  möchten,  allmäh= 
lieh  9a"J  auf»  Siefe  jeigen  fid)  tbeilS  in  gerabem,  tbeilS  breitheiligem  Safte,  übllig  nach  2Crt  ber 
SBolfSroeifen  rbvtbmifd)  gegliebert,  gleich  benen  ber  fd)on  angeführten,  in  bie  lutberifcbe  .Kirche  auf= 
genommenen  #boent§=  unb  3Beif)nad)t3gefänge ,  ober  ber  bei  ben  35rübem  »orfommenben  Tfterlieber: 
{Betracht'  mir  beut  ju  tiefer  grift  bie  tfuferftebung  3efu  <5brift  k.  unb :  3efu3  ßbriffuS  leibt'  ben  Sob,  bie 
t>on  ben  lateinifcbcn :  Resurrexit  Dominus  etc.  unb  Resurgenli  Nazareno  (251.  89.91')  berftammen. 
Cr§  ftnb  aber  auch  beren,  bie  ju  bem  33olf3gefange  in  noch  näherer  83ejiebung  flehen,  unb  eine 
(Sigenthümlid)fett  be3  rbhtbmifcben  S3aue§  mit  ihm  tl)eilen,  bie  in  ben  näcbftfolgenben  35lättem,  bie  mir 
ben  S3olf§melobieen  mibmen,  näher  ju  betrachten  fepn  mirb.  ©ie  befiebt  in  bemjenigen,  ma§  mir 
rbhtbmifcben  2Bed)fel  nennen  im  ©egenfa^e  ber  ©pnfope:  einem,  bei  gleichbleibenben  Sonjeicben  unb 
unueränberter  S3cmegung  mechfelnben  Saftgemichte,  nicht  aber  ber  Aufhebung  beS,  einen  ©efang  hinburd) 
gleichmäßig  »ormaltenben  95iaaße»  bureb  Siüdungen,  hinter  benen  biefeS  bennoch  fid)  geltenb  macht,  unb 
alfo  hinburchgefühlt  mirb,  mie  bei  ber  ©rmfope.  Siefer  rhhtbmifcbe  SEBecbfel  erfebeint  bei  einigen  biefer 
©efänge  nur  in  einer  einjelnen  Seile,  mobt  be^halb,  um  ihren  juoor  unb  fpäter  mehrmals?  »orfommenben 
melobifchenSBenbungen  bureb  ben  9tbhtbmu§  2tbwed)§lung  ju  verleihen;  fo  in  ber  fonft  im  geraben Safte  ftd) 
bemegenben  SKetobie  beS  2ftwntliebe§ :  ,,9hm  laßt  un$  ju  biefer  grift"  bie  urfprünglich  bem  lateinifchen : 
Gaudeamus  pariter  eignet  (351.  11.  12.).  S5ei  anbern  ftnben  mir  ihn  Seile  um  3eile,  mie  in  ber 
SEßeife  be§:  Avegratiosa,  bem  ba§  2(büentlieb :  „J£>ocbgclobet  fepft  bu  3efu  Ghrift,  ©otte§  ©ohn"  bei 


p — rt~Q- 
— ö-e— e 

B.  dritte,  fünf- 

jeilige  ©tro? 

  38   


tcn  ffirübern  unterlegt  ijt.  Spiex  nimmt  er  von  ben  neun  Seilen  ber  ©trovhe  bie  jweite,  vierte,  fechte  Seile 
unb  bie  beiben  legten  ein.  #f)nttd)  ftnben  wir  if)n  angewenbet  in  ber  SSHelobie  be3  lateinifchen  Sftarienliebes' : 
Ave  rubens  rosa  virgo  (331.  217),  bie  baS  SSrübergefangbucb,  bem  Siebe  von  ber  Rechtfertigung  aneignete : 
,, ©ort  faf)  $u  fetner  Seit  auf  bie  SKenfchenrmber;''  in  t'fyt  ifi  ihm  eben  fo  bie  jweite,  vierte,  fed>fte  Seile 
5ugewiefen,  von  welcher  er  bann  auf  bie  neunte  unb  lefjte  überfvringt.  Auch,  unter  biefen  bem  SSolfsmäfiigen 
naber  hingeneigten  geiftlicfyen  SJMobteen  feit  bem  13tcn  3<»brbunberte  mochten  wir  an  ber  gewanbteren 
ober  mehr  fd)roerfälIigen  Übertragung  ber  befprocfyenen  rhvthmifchen  ©igcnt^ümlic^feit  bie  altere  »on  ber 
fvätern  vielleicht  unterfcheiben  fbnnen,  wäre  e3  nid)t  mißlich,  barüber  abjufvrechen,  weil  bie  meiften  ihrer 
urfprünglid)en,  lateinifchen  2ieber  uns"  fehlen.  Auch,  h«t  bie  beutfd)e  Anbequemung  oft  ben  SJielobieen  ftd) 
angefchloffen,  inbem  fie  nur  Seilen  unb  «Selben  jaulte,  ohne  biefe  legten  ju  wägen  ober  richtig  ju  betonen, 
fo  bafs  man  ba§  anfängliche  3krf)ältnifi  bcS  SBortcS  unb  ber  ©ingweife  meift  nur  errathen  fann.  Un§ 
follen  biefe  SSctraditungen  l)ier,  wo  bie  genauere  gorfebung  außerhalb  bc§  jtreife§  liegt,  ben  roir  un£ 
vor$eid)ncten,  nur  im  Allgemeinen  ein  S3ilb  bavon  geben,  auf  welche  2Seife  ber  lateinifche  iUrd)cngefang, 
roie  in  feinen  ©efcern  feit  bem  13ten  3«hri)un^erte,  fo  auch  in  feinen  (Sangern,  aUgemach  bem  SSBeltlichen 
ftd)  jugewenbet  habe,  unb  wenn  er  baburch  fein  urfvrünglicheS  ©evräge  auch  einbüßte,  bennoch  bie  lebenbige 
Söerfchmeljung  bcS  Äird)ltd?cn  unb  äSolBthümlichen  anbahnen  geholfen,  bie  wir  ber  Äircbenverbefferung 
nachrühmten. 

Am  hduftgften  finben  roir  bie  eigentümliche  rhntbmifche  Ausgestaltung  ber  SSolfsweifen  bei 
benjentgen  biefer  ÜBcelobiccn  lateinifcher  Äirchenliebcr,  welche  ionifcher  Sonart  finb,  in  bem  Umfange  von 
C  oberF  mit  vorgejetchnetem  I>;  biefen  erfcheint  auch  bas  volfsmäfiige  ©ewanb  urfvrünglid)  fchon  fleibenb, 
man  gewahrt  weniger  ein  Anbequemen.  @s  finb  aber  auch  SSJMobieen  in  Strenger  firchlichen  Sonarten  auf 
ähnliche  Sßeife  befehlen,  nur  baß  bei  ihnen  mehr  ein  SSeftrcben,  bas  jlirchlidje  hineinjubilben  in  bie 
rhnthmifche  Belebtheit  bes  weltlichen  ©efanges,  fid)  funb  giebt,  als  bas  völlige  Aufgehen  bes  einen  in  bie 
anbere.  Unter  ben  borifchen  ©efängen  betrachteten  wir  biefcs  bereits  bei  berSSBeife:  Jam  Christus  ab 
inl'eris;  auch,  tritt  es  hervor  in  bem  SBeihnachtsliebc :  In  natali  Domini  (£31.  43.  138.).  3n  anbern 
©ingweifen  eben  biefer  Sonart  tritt  entweber  bas  ©efühl  von  biefer  nicht  recht  beutlich  hervor,  ober  ihr 
rhnthmifcher  33au  ift  bei  ermangelnber  SSergletcbung  mit  ihren  urfvrünglichen  ßiebem  nicht  beutlid)  ju 
erfennen  unb  ficher  ju  beurtheilen.  (Sine  mirolnbifcr/e  SJMobie  nur,  unb  eine  pf;rt;gifcr)c  jeigen, 
jene,  ben  rrmthmifchen SBechfel,  biefe,  bas  ©egenüberftchen  bes  breitl)eiligen  unb  geraben  Saftes.  3n  jener*), 
bie  in  ber  regelmäßigen  Aufweichung  in  bas  Sontfche  unb  £>ortfchc,  bas  volle  ©evräge  bes  SKirolvbifchen 
barftctlt,  tritt  jeboch  crjl  mit  ber  legten  Seile  ber  rhpthmtfche  SBcchJel  ein,  er  ift  ein  einzelner  3ug  nur,  ber 
ft'e  auszeichnet,  ein  bloßer  Anflang.  £>iefe,  bie  »hrvgifche,  befvrachen  wir  fdwn  unter  benen,  welche 
bie  altfu-d)licbe  Jorm  bes  9?ef»onforiums  tragen:  es  ift  bie  bem  lateinifchen  Cum  sanetis  omnibus  entlehnte, 
auf  bas  2ßeihnacht§tieb  ber  SSrüber :  @s  ift  heut'  ein  frbblid)  Sag  :c.  übertragene.    Betrachten  wir  fie 


*)    Spirilum  sanetum  hodie  misit  etc. 


6f)ri(l  un  .-fer     Sgdl    bid)  mit    bit  =  Itg    lo  =   ben      madjft  ung   ju    tf)eil     bn'n'bc^fte       ©a-- ben 


bal  nserbe     9Bort  bein  ba ; burö)  m ix  bid)  lernen        beube  groß   unb  flein   fc  -  lig :  lieh  er  s  fen  5  nen. 


  39   


naher,  ihrer  ©runbtonart  nach,,  fo  erfenncn  wir,  bafj  baS  pf>rpgtfd?e  ©epräge  ibj  erft  burd)  jene,  if>ren 
längeren  betten  ©tropfyen,  unb  ber  auf  fie  fotgenben  fürjeren,  in  gleichen  metobifcfyen  SBenbungen 
gememfcbaftlidje  ©cbjujjjcile  geliehen  wirb:  bafj  bte  ©tunWonart  ber  Singroctfe  ber  langem  melobifdjen 
©tropbe  bis  gegen  bcn  ScbJujj  i)in  bic  ionifd)c,  bie  ber  furjeren  bic  borifcbe  fdjcint,  unb  bann  erft,  eben 
burcb  biefe  Icfjte  3eile,  in  ba3  ^)bn;gifct>e  binübergeleitet  wirb*),  'tfud)  l)ier  alfo  ift  es  wteberum  ein  einjelner 
3ug,  ber  —  wie  bort  ein  fold)er  ben  uolfStbümlid)en  Unflätig  in  bas,  fonjt  in  fird)lid)em  (Sinne  ©ebilbete 
bineintrug  —  ^  i  er  ba§  uolBmäßig  ©efrattctc  einer  fircblid)en  ©runbform  aneignet. 

£>iefe  ^Betrachtungen  bahnen  un£  ben  2Beg  ju  bem  ©ebiete,  baS  rotr  nunmehr  ju  betreten  gcbenfen, 
weil  wir  auf  ihm  eine  anberc  nid)t  minbcr  ergiebige  £lueüe  unferee»  ev>angelifd)cn  Äird)engefangc§  antreffen 
werben  :  ju  bem  ©ebiete  bes  S3olfsSgefange3.  Unt>erFennbar  neigte  bie  SBeife  bes"  lateinifcfycn  ÄircbenliebeS 
fid)  biefem  ju,  je  näfyer  if)re  ßmtjlefjung  an  bie  3eit  ber  £ird)ent>erbefferung  greifte,  ©ern  öerjidjten  roir 
barauf,  jene  fpateren  Singweifen  iljrem  Alter  nach,  in  eine  9veit>e  jufammenjuflellen,  beren  9Jtd)tigfeit  roir 
üerrreten  mbcbten ;  bie  Unftd)erb, eit  eine»  folcfyen  Unternehmens"  fyaben  roir  gern  eingeftanben,  ba  roir  allein 
auf  ©rünbe  innerer  2Bal)rfd)einlid}!eit  un$  ju  fluten  üermbcfyten.  £>m  SSorwurf  jebocb,  glauben  roir 
abroebren  ju  fonnen,  bafj  jene  ©rünbe  überall  auf  »oreiligen  SSorau§fe|ungen  beruhten.  9JJan  tonnte 
freilich,  geltenb  machten :  bie  9Jctttf)eilung  ber  befyrocfyenen  Singweifen  rüfyre  au£  ben  Seiten  ber  fd)on  fräftig 
fortgefdjrittenen  Äird)en»erbefferung,  ja  felbjt  aus»  ber  legten  ^dlfte  be3  löten  3af)rl)unberts  l;er,  3eiten, 
in  benen  fird)lid)e  unb  »olfsmapige  gönn  fd)on  ju  »erfdjmeljen  begonnen  bitten  in  einen  neuen  Äird)en= 
gefang:  faum  bürfe  man  alfo  üorausfefcen,  baf?  jene  ?D?clobieen  unberührt  geblieben  fepen  »on  biefer 
S3erfcb,mel5ung,  um  fo  weniger,  au?  baS  JUrd)engefangbud)  ber  SSrüber  fie  um?  nid)t  mit  ihren 
urfprünglicfyen,  fonbern  anbequemten  Siebern  mitteile.  So  erheblich,  inbefj  biefer  Einwurf  juerjl  erfd)einen 
mag,  fo  mufj  er  bod)  oor  ber  (Srwägung  fcfywinben,  bajj  oiele  jener  Sieber  eben  nur  ju  beutlid)  bie 
■tfnbequemung  geigen  an  eine  unoeränbert  behaltene  SOWobie,  felbfi  mit  Aufopferung  aller  richtigen 
SBortbetonung,  fo  bafj  alfo  ba§  Sieb  bem  ©efangc  untergeorbnet  geblieben ;  bafj  in  gdllen,  roo  ber  Urtert 
unb  baS  neue,  feiner  SJlelobie  unterlegte  Sieb  oerglidjen  roerben  fonnen,  roir  »on  ber  Sreue  ber  Unterlegung, 
ber  forgfdltigen  (Spaltung  ber  Singwetfe,  un3  ju  überzeugen  im  Stanbe  finb;  baß  enblid),  roo  baS 
urfiprünglicfye  Sieb  mit  feiner  SEBetfe  in  bie  et>angelifd)e  jUrd)e  überging  —  roie  ba§  Resonet  in  laudibus  etc., 
Quem  pastores  laudavere  etc.,  Nunc  augelorum  gloria  etc.  —  roir  biefe  in  allen  geiftlicfyen  Singebüd)ern 
jener  3eit  bem  2Befentlid)en  nach,  unneränbert,  mit  gleichen  uolfst£)ümlid)en,  aud)  burd)  fpätere  Unterlegung 
nid)t  üerrotfd}ten 3ügen  antreffen.  £a3  Sieb:  ,,5ofepl),  lieber Sofepf)  mein,  fyilf  mir  wiegen  mein  Äinbelein" 
—  ber  SDMobie  bes  , .Resonet"  nadjgebidjtct,  —  jene  anbern:  ,,2)en  bie  ^irten  lobten  febre"  unb  ,,^)eut 

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finb  bie  lieben  Engelein,"  äkrbeutfcbungen  bev  beiben  twrber  jule^t  genannten,  »eränbem  auch  nicht  einen 
Zon  bc$  urfprünglicben  ©efangeS,  unb  laffen  un$  auf  eine  gleich  treue  SDlttt^ctlung  ber  ©ingweifen 
fcbliepen,  bie  nur  ber  SBrüberfircbe  eigen  blieben,  unb  in  feinem  größeren  Greife  heimifcb  würben.  2)a§ 
allgemeine  SBtlb  üon  bem  SBacbStbum  unb  ©tnfen  be3  lateinifcben  .ÄircbengefangeS,  ba3  wir  l)injujeid)nen 
ocrfucbten,  wirb  baber  als  ber  2Baf)rbeit  übercinjiimmenb  gelten  fonnen ;  feine  weitere  Ausführung  bürfen 
wir  l)ier  nicfyt  unternehmen. 


IL   25er  SSolf Sgefang. 

Sticht  unbemerft  blkb  un£  ba§  Einwürfen  be3  §3olf3gefange3  auf  ben  au3  bem  alten  geglichen 
©efange  ber  rbmifcbcn  Äircbe  ft'd)  bert-orbilbcnben  neuen  ber  ecangclifcben  ©emeinen,  fonnten  wir  e§  aud) 
nur  in  allgemeinen  3ügcn  nod)  wahrnehmen.  £>ie  ©ingweifen  ber  alten  heiligen  Sieber  au§  ben  erften 
cbriftlicben  ^ahrbunberten  fanben  wir,  ihrem  melobifcben  SBaue  nach,  auf  einer  2(nfcbauung  t>on  bem  Söefen 
unb  inneren  3ufammenhangc  be§  SonretcbeS  gegrünbet,  bie  fich  allgemach,  erweiterte,  erneute,  unb  felbft 
bem  erf Karten  SBiberjtanbe  ber  jlird)e  unb  it)rer  ^aupter  gegenüber,  unter  frifcber  ^Belebung  burch  bie 
Harmonie  —  bie  in  ihrer  JBebeutfamfcit  jletS  mehr  erfannte  lebenbige  SSerfcbmeljung  jufammentönenber 
Stimmen  ju  einem  flingenben  Körper  —  an  fcbbpferifcb  gejlaltenbcr  .Kraft  gewann,  ©o  gelangten  wir 
bin  511  ben  Seiten  ber  nach  fünfzehn  3at)rbunberten  ft'd)  erneuenben  jlirebe,  unb  führten  unSbaSjenigeoorüber, 
wa§  fte  au§  bem  ©cbafje  ber  alten,  grübcreS  unb©pätere§,  ftcb  aneignete,  unb  bem  SSebürfnif  eineS 
©emeinegcfangeS  atwaffenb,  um=  unb  auSbilbete.  Sefet  ift  e§  an  ber  ßeit,  unfern  ©lief  auf  baSjenige  ju 
richten,  wa§  bie  ©emeine,  ba§  SSolf,  bem  Äircfyengefange  hinjubraebte,  für  ben  e§  nunmehr  ju  tl)ätiger 
SJcitwirfung  berufen  war.  Anfange»  freilich  werben  wir  2Benige§  nur  ju  nennen  im  ©tanbe  fepn,  ba$, 
ein  Erjeugnifj  be§  unbewußten,  aber  fräftigen  ÄunfttriebeS  im  ©efange,  ein  burd)  ihn  bereits»  ©eftalteteS, 
gleich  k«en  alten  heiligen  SDielobieen,  entlehnt  unb  in  beren  ©inne  umgcbtlbet  worben  wäre;  aber  bie 
©runbbeftanbt  heile  ber  volf»mäfigen  ©ingweifen  werben  wir,  fd)on  jel^t,  aud;  bie  ©runblage  bilben 
fehen  für  ben  neuen  Äircbengefang,  ja,  wir  fafyen  e§  bereite  an  manchem  33eifyielc.  £>icfe  SBabrnebmung 
wirb  uns  ju  4?ülfe  fommen,  wenn  wir  biejenigen  ©ingweifen,  bie  wir  als  bem  33olfe>gefange  entlehnte 
bezeichnen,  nid)t  burch  ein  auöbrücflichce  3eugnifi  für  biefe  ihre  Entlehnung,  fonbern  nur  burch  eine,  auf 
anbere  Sbatfacben  gegrünbete  ^Beweisführung  al§  folche  barjuftellen  oermbgen. 

©ine  SEbatfacbe  ijt  e§,  für  beren  ^Bewährung  e§  nid)t  erft  neuer  3eugniffe  bebürfen  wirb, 
baf?  feit  bem  allmählichen  Aufblühen  ber  Siieljtimmigfett  bei  bem  jttrebengefange,  beutfebe  unb  belgifcbe 
8Sotf§weifen  als  melobifche  ©runblage  gewählt  würben  für  bie  barmonifebe  SBcbanblung  längerer  liturgifcher 
©efange,  ber  SJceffc,  beä  SSKagntft'cat ;  oft  in  SSerbinbung  mit  ben  alten  ©ingweifen  berfelben,  nicht  feiten 
auch  felbftanbig.  Unwibcrfprecbticb  bewähren  un§  biefeö  eine  93iengc  firchlicher  Sonwerfe  be§  14ten,  jumeift 
aber  be&  löten  3abrl)unbcrtS.  9JZod)te  e3  juweilen  ju  größerer  S5elcbung  be§  gortfchrirteS  ber  »erflochtenen 
©timmen  gefchehen,  öfter  wohl  noch  gefebab  e§,  um  bem  ftet§  mehr  überhanbnehmenben  wettlichen  ©inne 
ju  fd)meid)eln :  ernfte  ©timmen  ber  3eitgenoffen,  bie  wir  nicht  erft  aufrufen  bürfen,  ba  ein  3eber  fte  fennt, 
eifern  bagegen  alS  Entweihung,  alS  SSeflecfung  be§  ^>eiligthum§. 

2)er  Äird)engefang  ber  Eoangelifchen  war  feiner  9catur  unb  83eftimmung  jufolge  ein  \>olUmh- 
ßiger;  er  follte  ©efang  ber  ganjen  ©emeine  fepn,  unb  wie  er  ft'd)  in  ben9J?aafjen  beä  83olf6liebe§  bewegte, 


41  — 


wovon  wir  uns  balD  näher  überzeugen  werben,  beburfte  er  au*  volfsmägiger  Singweifen.  Allein  t>ier 
galt  es"  nicht  bem  weltlichen  Sinne  ju  fcbmeicbeln,  fonbern  ba3  urfprünglid)  -Seitliche  binwegjutfjun,  unb 
waS  ihm  bisher  als  Scbmutf  gebient  unb  äufkre  3ierbe,  für  einen  höheren  ^roed  ju  weifen,  $u  betltgen. 

2Bo  wir  nun  in  ben  ältefien  9Jielobieenbücbern  ber  Grvangclifcben  bie  ben  geiftlid)en  Siebern 
berfelben  angepaßten  Singweifen  nicht  urfunblicr;  auf  ben  alten  lateinifAen  Äircfyengefang  jurücfjufüfjren 
vermögen,  ober  wo  fie  nicht  älteren  beutfchen  ÄircbcnlicCcm  urfprünglicf)  angebörenb  erfcfyeinen ;  wo  wir 
enblicb  feine  SSeranlaffung  haben,  anzunehmen,  bajj  fte  bamalS  mit  ihjen  Siebern  gleichzeitig  neu 
entftanben  ft'nb;  ba  bürfen  wir  faum  anfielen,  fte  aus"  bem  SSolfsgefange  entlehnt  ju  nennen. 
Dringenbcr  noch  für  eine  bergleicfyen  Entlehnung  wirb  bie  Sermuthung  ba  werben,  wo  wir  um  jene 
3eit  biefelbe  Sangmcifc  mehreren  Siebern  von  gleichem  Strophenbaue  angepaßt  ftnben.  Senn  ift  eine 
folche  iDMobie  für  bie  9)iehrjahl  jencrSieber  unbejweifelt  eine  entlehnte,  fo  wirb  fte  eben  fo  wohl  auch,  im 
OTgemeinen  eS  fepn  fönnen  für  aüe  5  jumah.!  eben  bamaß  ber  entgegengefefete  gaU  ber  viel  häufigere  war, 
bafi  für  baffelbe  Sieb  mehrere  SB e i fett  gleichzeitig  entftanben,  wie  bie  älteren  geiftlicfyen  Sieber= 
fammlungen  es  jur  ©enüge  bartfmn.  * 

9cicht  unerhört  alfo  war  bas  Übertragen  be§  weltlichen  ©efangeS  auf  ben  geifrftchen  um  bie  3eit 
ber  Grntjtehung  bes  evangelifebett  jlirchengefanges,  ja,  ber  urfprünglicben  Dichtung  biefeS  legten  zufolge  war 
für  ein  bergleichen  Entlehnen  fogar  eine  innere  9cotbwenbigfeit  vorfyanben.  ^)anb  in  £anb  mit  biefem 
aUerbings  gieng  bas  neue  Schaffen,  ja,  oft  über  baS  unmittelbare  SSebürfnijj  hinauf,  unb  nicht  feiten  in  fo 
überwiegenber  gülle  eben  ba,  wo  man  juvor  ,u  entlehnen  genötbjgt  gewefen  war.  2Bar  aber  "ZlnfangS  eine 
Singweife  mehren  geiftlichen  Siebern  gemeinfam  gewefen;  fann  fte  für  feines"  unter  ihnen  aB  bie  urfprüng= 
liehe  naebgewiefen  werben,  muß  fte  für  alle  aß  entlehnte  gelten;  foüten  wir  ba  nicht  uns  für  berechtigt 
halten  bürfen,  ben  2>olfsgefang  für  bie  Quelle  anzunehmen,  aus"  ber  man  gefchbpft  habe? 

2fUe  tiefe  Grrwägungen  treffen  jufammen  bei  ben  Singweifen  jweier  Sieber,  bie  wir  fcfyon  in  ben 
ältefien  evangelifeben  Sieterfammlungen  antreffen. 

X)ie  erfte  unter  ihnen  ift  bie  besSiebeS:  Gr§  t fl  bas"  $eil  un$  fommen  fyer,  bie  wir  jefjt 
gewöhnlicher  wohl  nach,  bem  viel  fpäteren  Siebe  nennen :  Sei  Sob  unb  (Ihr  bem  bbchften  ©ut.  SSBir  ftnben 
fte  juerft  in  ber  früheften  Sammlung  eoangelifcher  Sieber,  welche  (beren  nur  ad)t  im  ©anjen  begreifenb) 
um  1524  ju  Wittenberg  erfchien.  £)a$  Sieb:  „Grs"  ift  baS  #eil  un£  fommen  her, "  bem  fte  in  biefer 
Sammlung  vorgebrueft  ficht,  ift  bas"  zweite  in  berfelben,  unb  führt  bie  Überfchrift :  „d in  Sieb  vom  ©efefc 
unb  ©lauben,  gewaltiglich  mit  göttlicher  gfchrift  verlegt,  2>.  ^)auli  Speratt;"  unb  ihm  folgt  am  Scbjuffe 
mit  JBejug  barauf  ein  reicher  Äranz  von  Stellen  alten  unb  neuen  SefkmentS,  als  eine  „Anzeigung  auf;  ber 
fdhrift,  worauff  bv§  gefanng  allenthalben  ift  gegrünbt,  barauff  ft'ch  all  unfer  fad)  verlaffen  mag."  2fber 
nicht  hier  allein  in  biefer  Sammlung  ftnben  wir  unfere  Singweife  vorgefchrieben.  iDem  fünften,  fechften  unb 
fiebenten  Siebe  berfelben  ift  fte  ebenfalls  angeeignet,  brei  ^falmliebern ,  bie  auch,  in  unfern  heutigen 
©efangbüchern  nod)  fortleben :  2lch  ©Ott  vom  Gimmel  fieh  barein  (Ps.  XI.  Salvum  me  fac),  Gr3  fpricht 
ber  unweife  9Jvunb  wohl  (Ps  XIII.  Dixit  insipiens.),  2tuS  tiefer  9cotf)  fchrei  id)  ju  bir  (Ps.  130.  De 
profundis.).  gür  biefe  Sieber  ift  fte  abermals  bei  bem  erften  berfelben  unveränbert  abgebrurft,  mit  ber 
Überfchrift :  „Die  brei  nachvolgenben  ffalm  fingt  man  in  biefem  S£l)on,"  ohne  eine  befonbere 
SBemerfung,  wober  fte  entlehnt,  ober  bajj  fte  bem  Siebe:  „Grs  ift  bas"  £eil  un§  fommen  %tt,"  eigentümlich; 
fei,  unb  nach  if)tn  genannt  werte.  Söfit  g  l  e  i  cb  e  m  Sfecbte  f önnen  baber  v  i  e  r  Äirdjenlieber  auf  fte  2lnfprud) 

t.  SBinttrfett,  ttr  trangtt.  G&eralgtfang.  6 


  42   


machen,  ba  unter  folgen  Umjtänben  bie  frühere  ©teile  im  "Kbbrucfe  nichts  entfd)eibet.  Sollte  aber  bennod) 
Sftandxr  auf  biefe  einen  größeren  2Bertb  legen  wollen,  alö  ifyx  I)ienad)  jufommen  bürfte,  fo  finb  bod) 
anbere  ©rünbe  nod)  »orbanben,  biefe  Anficht  ju  entfräften.  Unfere  ©ingroeife  fbmmt  nämlich,  nid)t  minber 
auch  in  bem  83re3lauer  ©ingebud)e  »on  1525  »or,  beffen  roir  in  bem  »orangebenben  2lbfcbnitte  bereite 
gebauten.  2)cr  3<d)t  nad)  iji  fie  bort  bie  britte,  unb  ft'nbet  fich  bem  Siebe  gefeilt:  ,,9ßun  freut  eud) 
lieben  @brijiengmein,"  mit  ber  Überfd)rift:  den  e»angelifcb  Sieb  meld)c3  man  fingt  »ot  ber  ^rebigt. 
liefern  Siebe  erfi  folgt  alS  baS  »ierte  in  ber  S?cil>e  jeneS  anbere,  »om  ©efefj  unb  ©lauben,  „@3  ift  ba3 
£eil,"  hier  nur  burch  bie  wenigen  SBorte  bezeichnet:  6»n  bübfd)  Speb  £).  ©perati,  auff  ben  Sbon  rote 
oben:  9hm  freut  eud).  Sägern  bürfen  mir  Ijicvauä  nid)t  ein  mebreS,  als  bap  biefer  Zon  nicht 
urfprünglid)  mit  ibm  entftanben,  fonbern  ein  entlebnter  mar:  benn  auch  bem  Siebe  geborte  er  nid)t 
eigenbS  an,  mclcbem  er  an  btefem£rte  beigelegt  roirb.  @§  nimmt  baffclbe  in  ber  SB  ittenberger  Sieben 
fammlung  »on  15.24  bie  erfk  ©teile  ein,  unb  tl)m  ift  eine  eigne,  auch  auf  un§  nod)  fortgepflanzte  ©ingmeife 
»orgeorudt,  bie  inbefj  aud)  nid)t  bie  einjige  für  baffelbe  geblieben  ijt.  25enn  5Balter3  ©efangbud)  von 
1524  begleitet  e3  mit  einer  im  ungeraben  Safte  fiel)  bemegenben,  bie  meber  in  feinen  fpäteren  3lu6gaben 
(ben  9cad)brud  ©cbbfferS  »on  1525  aufgenommen),  noch  irgenb  einem  anbern  bebeutenben  9Jcelobieen= 
bud)e  bee>  16ten  3i>brbunbert3  mieber  »orfommt;  bie  ältere  2luSgabe  be§  bei  Sofeph  Älug  ju  SBittenberg 
gebrudten  Sieberbucbc»  (1535)  giebt  e3  mit  einer  ?Dtclobie,  bie  man  fpäter  gewöhnlicher  ben  Sicbcm: 
ift  geroißlieb  an  ber  Seit,"  ober:  „2Bas>fannune>  fommen  an  für  Stoib/'  angeeignet  unb  nach  ihnen  genannt 
bat,  unb  bie  erji  in  einem  fpäteren  Tlbbrude  bei?  genannten  ©efangbud)e§  (»on  1543)  aud)  jene  frühere  au§ 
ben  acht  Siebern  neben  ftdb  bat,  ibr  jebod)  bort,  eben  wie  in  Sklentin  SBapjiS  Sieberbud)e  »on  1545, 
»oranfieht. 

9hm  ift  e§  jwar  richtig,  baß  SBalterS  ©efangbud)  »on  1524  bem  Siebe:  „@3  ift  ba3  £eil  un§ 
fommen  ber"  bie  ©ingmeife  aneignet,  mit  ber  mir  e§  in  jenen  ad)t  Siebern  antrafen,  unb  bafl  mcber  fpäter 
noch  früher  mir  eine  anbere  SÖMobie  ju  bemfelben  angemenbet  ftnben.  Allein  hieraus  bürfte  noch,  nicht 
gefd)loffen  merben  fonnen,  baß  biefelbe  feine  ursprüngliche,  mit  ibm  gleichzeitig  entfianbene  ©efäbrtin 
gemefen  fei;  baS  nur  möchte  barauS  folgen,  baß  eine  entlehnte,  ju»or  nod)  »ier  anbern  Siebern  gleich, 
ihm  beigelegte  ©ingroeife,  julefct  bod)  für  fein  anbereS  Sieb  fo  äwedmäßtg  erfunben  fei,  als  eben  für 
biefeS.  2>enn  ein  jebeS  jener  »ier,  ju»or  auf  fie  mitangemiefenen  Sieber  bat  bei  SBalter  um  SBenigeS 
nachher  feine  eigene,  manches  fpäter  eine  boppclte  unb  breifadje  ©ingroeife,  won  benen  nicht  immer  bie  frühere 
auch  bie  beibehaltene  mar.  SSon  bem  Siebe  „9hm  freut  eud)  lieben  ßhriftengmein"  ift  fd)on  ausführlich 
gerebet.  25a§  9)falmlieb:  ,,Zd)  ©Ott  »om  ^immel  fiel)  barein"  erfebeint  bei  3Balter  mit  einer  befonberen 
©ingroeife  au§  ber  »erfefcten  b  orif  d>en  Sonart;  1537,  in  bem  bei  SBolf  Äbphl  hn  ©traf bürg  gebrudten 
Sieberbuche  tjat  e§  eine  jmeite  auf  ber  mirolobifchen  Sonart,  bie  fid)  »orjugSmeife  in  ©übbeutfcblanb 
verbreitete;  jmei  S^hre  Jut>or,  um  1535,  rcaren  in  ÄlugS  ©efangbuche  il)m  fogar  jmei  beigegeben:  bie 
eine,  bie  in  9corbbeutfd)lanb  jumeift  übliche  auf  ber  hr>pophr»gtfd)cn  Sonart,  »on  ber  feine  ältefte  9Kelobie 
bei  SBalter  »erbrängt,  unb  bann  einem  anberen  ^)falmliebe:  ,,S)er  Sptxx  ift  mein  getreuer  £irt,"  angeeignet 
mürbe,  bie  anbere  eine  »brpgifcbc-,  bie  in  ber  golgejeit  meijt  für  QlnbreaS  Än6»fen§  9)falmlicb  :  ^)ilf  ©Ott, 
mie  gebt  ba§  immer  ju"  angemenbet  morben  ift.  Saä  Sieb:  „@§  f»rid)t  ber  Unmeifcn  SOiunb  mohl"  tritt 
mit  einer  eigenen  SÜMobie  ionifd>er  Sonart  auf,  bie  gemeinhin  Sutber  jugefchrieben  mirb,  unb  neben  ber 
fpäterbin  feine  anbere  auffam.   £>aö  de  promndis  enblid)  (Xuä  tiefer  9cotI)  fd)rei  id)  ju  bir)  begegnet  uns 


  43   


bei  Staltet  mit  einer  pbrpgifcben,  um  1537  bei  -Rbpfjt  mit  einer  (ölclot-ie  tonifd) er  £onart,  jumeilen 
aud)  nach  bem  Üiet-e  genannt:  ,,2Bcr  in  bem  ©cbulj  bes  J^>ed>flen  ift;"  beibe  haben  [ich  neben  einander 
erhalten,  unb  fonnen  auch,  ifjreS  ganj  »erfd)iebenen  Ausbrutfeä  ungead)tet,  al§  gteid)  treflieb  gelten, 
jenaebbem  man  baS  ©efübt  ber  3«f  nirfdmng ,  ober  ba$  bemütbiger  frommer  £ofnung  baS  in  kern 
9>falme  mumaltcnbe  anfielt. 

Grnblid)  bleibt  über  ben  Urfprung  unferer  ©ingroeife  ju  bem  Siebe  ift  ba§  #eit  un§  fommen 
ber"  noch  ein  3mcifel  löfen  übrig;  fie  fönnte  nämlich,  wenn  aud)  mit  33ejug  auf  biefeS  eine 
entlehnte,  boeb  einem  früheren,  ge  ift  Ii  eben  Siebe  angebbrig  fepn.  ($3  rcirb  un§  nämlid)  unter  ben 
beutfdu'n  Äird)cnliebern  älterer  Seit  aud)  ber  rftergefang  genannt, 

greu  bid)  bu  mertbe  ßbrifient)eit, 

©ott  bat  nun  überrounben  ic. 
SBrt  fmben  biefen  in  ben  um  1536  erfebienenen  Siebem  „be3  b  od)  berühmten  ^einrieb  §infen3"  einer 
oierftimmigen  Bearbeitung  unferer  ©tngroeife  gefeilt:  freilich  um  jttjotf  Sabre  fpäter,  al§  fie  unS  juerft 
gebrudt  begegnete,  aber  boeb,  voeil  in  SSerbinbung  mit  einem  urhmblid)  älteren  geiftlid)en  Siebe,  biefem 
oielleicbt  urfprünglid)  angebörenb.  Sagegen  ftreitet  inbefj  bie  2trt  tt>rer  (Sinfübrung  in  bem  33res>lauer 
©ingebuebe  öon  1525.  33ei  jeber  SJielobie  nämlich,  meld)e  baffelbe  mittl)eilt,  pflegt  e§  bie  StebeSroorte, 
benen  fie  urfprünglid)  angebört,  ju  nennen,  biefelbe  ats>  ben  Xon  einee>  fold)en  Stebes>  ju  bezeichnen:  e3 
roürbe  alfo  aud)  unfere  ©ingroeife,  mo  es!  fie  juerft  bem  Siebe:  ,,9lun  freut  euch"  üerbinbet,  roof)l  als 
ben  £on :  ,,§rcu  bieb  bu  voertbe  ßbrifienbeit"  genannt  bähen.  Sie  ftcl)t  aber  bort  obne  eine  fold)e,  ja  obne 
alle  Bezeichnung:  al3  eine  bamalS  vool)l  neue,  balb  gangbar  geworbene,  oielfacb  auf  ba§  r>erfd)iebenfte 
angevoenbetc,  unb  bal)er  v>iclleid)t  namenlos  gebliebene  SDielobte. 

9cid)t  ol)ne  ©runb  bürftc  fie,  biefem  allen  jufolge,  als!  eine,  bem  SBolBgefange  urfprünglid) 
angeborenbe,  au3  it>m  entlehnte,  erfd)einen.  9JJan  fdbette  aber  aud)  biefe  Unterfud)ung,  einen  fo  großen 
Sfaum  fie  bin-  einnehmen  mag,  nid)t  eine  unüerbältnißmäfjige,  ja,  voobl  eine  unerhebliche.  £>enn  ein  nid)t 
unwichtiger  Umftanb  für  bie  Cnirftebung  unb  2fu3bilbung  unferS  eoangelifcben  Äird)engefange§  ift  babei  jur 
'^nfdiauung  gefommen,  ba§  SSerbältnifj  be§  (SntlebnenS  ber  ©ingroeifen  ju  bem  eigenen  Schaffen. 
(Sine  offenbar  entlehnte,  frembe  2ßeife  ftnben  mir  juerft  auf  oier,  bann  nod)  auf  jmei  anbere  Sieber 
angercenbet :  ein  glüdlicber  gunb  erfd)eint  fie  nur  für  ba§  ein e  berfelben,  unb  ihm  »erbleibt  fie :  bei  ben 
anbern  bauert  bae>  S3ebürfnip  einer  ftnngcmäfjeren  Betonung  fort,  unb  biefe  wirb  einem  fogleid)  ju  SEbeil, 
unb  fcblicfjt  alle  anberen,  ähnlichen  8Serfud)e  auS ;  bei  einem  jmeiten  roirb  au3  üieren,  bie  faft  gleichzeitig 
erfcheinen,  bie  eine  im  Horben,  bie  anbere  im  ©üben,  boeb  jene  allgemeiner,  üblich,  bie  britte,  ältefte  aber 
einem  anberen  *Pfatmlicbe  gefeilt,  unb  eben  fo  gefebiebt  es>  mit  ber  werten;  für  ein  britteS  Sieb  treten  jroei 
2Beifen  i)cxx>ox,  unb  bleiben  in  gleichem  Tinnen,  roeil  eine  jebe  t>on  ihnen  eine  beftimmte,  ihrem  Siebe 
eigentümliche  ©efüblSroeife  ausprägt,  unb  für  befonbere  3eitcn  unb  Gelegenheiten,  roo  eben  biefe  bie 
bercortretenbe  ift,  ftd)  »or  ber  anbern  geltenb  macht,  ©obann  üerbient  aud)  jenes  Sieb  $>aul  ©peratS 
fd)on  an  fieb  ein  längeres  SSermeilen,  megen  feiner  grofjen  3Bid)tigfeit  für  bie  Ausbreitung  ber  reineren, 
e»angelifcben  Sehre.  6ben  ben  Angelpunft  berfelben,  ba§  S?erl)ättnif^  beS  ©efe^eö  unb  be§  ©laubenS,  bie 
9?ecbtfcrtigung  burd)  biefen  all  ei  n,  ba§  Serberben  ber  SBerfbeiligfeit,  prägt  eS  einbringlid),  »erftänblid), 
ootfSgemäp  ein,  unb  fd)on  bei  feinem  erften  Srfcbeinen  üermahrt  eS  ftd)  bagegen,  baf?  e§  eine  neue  Scbre 
prebige,  eine  ©rfinbung  beS  20Icnfcbemt»i6eS:  eine  jebe  feiner  ©trophen  belegt  eS,  nad)  ben  SBorten  feines 

6* 


 44 


Anhanges  „gewaltiglid)  auS  göttlicher  «Schrift."  2Bte  »erftänbig  alfo,  ihm  fogleid)  bei  feinem 
erflen  Auftreten  eine  ©ingweife  als  anmuthenben  ©d)mud  mitjugeben,  bie  bereite  im  SJcunbe  beS  33olfeS 
lebte;  wie  fyeilfam,  biefe,  wenn  fte  leichtfmnig=weltlicb,en  2Borten  anbjeng,  bcroon  ju  trennen,  unb  beren 
©ebächtnif  mbglichfr  5U  t>erlöfd)cn,  bamit  fte  für  baS  Grrbauenbe  ganj  gewonnen  werbe?  %a,  »on  biefem 
©eftd)tSpunfte  auS  erfcfjetnt  felbft  if)re  2fmr>enbung  für  r>iele  geijitid)e  Sieber  nid)t  abftd)tSloS :  fte  foüte 
bem  weltlichen  ©ebiete  ganj  entrütft,  eS  foüte  ganj  oergeffen  werben,  bafj  fte  ihm  jemals  angehört  habe! 
©agt  bod)  Suttjer  in  feiner  SSorrebe  ju  bem  SBalterfcfyen  ©efangbuche  oon  1524  auSbrüdlid)  üon  ben  barin 
enthaltenen  Siebern:  „Unb  ftnb  baju  auch,  in  wer  fitmmen  bracht,  nit  auf  anberer  urfad),  benn  baS  id)  gern 
wollte,  bie  jugent,  bie  bod)  fonft  foll  unb  muf  in  ber  SDtuftca  unb  anbern  redeten  fünften  erjogen  werben, 
etwaS  hätte,  bamit  fte  ber  bullieber  unb  flepfcfjttdjen  gefenge  lofj  mürbe,  unb  an  berfclben  jratt  etwaS 
heplfameS  lernete,  unb  alfo  baS  ©ute  mit  luft,  wie  ben  jungen  gepürt,  einginge.  2tud)  baS  ich  nit  ber 
mepnung  bin,  baS  burd)S  (Suangelion  folten  alle  fünft  ju  boben  gefd)lagen  roerben  unb  vergehen,  wie  etliche 
abergepjilichen  fürgeben,  fonbern  ich  mollt  alle  fünfte,  fonbertid)  bieSOiüfica,  gern  fehen 
im  bienft  beS,  ber  fie  geben  unb  gefd>affen  i)at." 

©ine  jwcite  geijHiche  ©ingweife,  bie  auS  bem  SMfSgefange  entlehnt  fet;n  bürfte,  ift  bie  beS 
Sieben :  Ghrijt  unfer  .£>err  jum  ^orban  fam.  freilich  wirb  bei  beren  Nennung  ben  SDceifien 
bie  SEBürbe  unb  ber  Crrnft  biefer  SDcelobte,  welche  fte  ju  einer  urfprünglich  fachlichen  ftempeln  ju  müffen 
fcheinen,  biefer  Behauptung  ftd)  gegenübcrfrellcn  als  innerer  ©runb  gegen  biefelbe.  Mein  umfafte 
bod)  ber  SSolfSgefang  baS  ©efammtgebict  beSSebenS,  unb  foüte  eS  bal)er  aud)  nid)t,  wie  33olfSlieber  ernften 
3nhalB,  fo  aud)S8otfSweifen  würbigen  ©eprägeS  gegeben  haben?  Unfere  SBeife  aber  f)«t  ein  2luSjeid)nenbeS, 
baS  fte  nur  noch  mit  einer  jweiten  theilt  (ber  beS  SiebeS:  25urd)  2lbamS  Sali  ijl  ganj  »erberbt):  einen 
unregelmäßigen,  d 0 1 1 f cr> e n  2ütSgang,  währenb  fte  fonft  in  ber  borifchen  Sonart  ftd)  bewegt:  etwaS  bei 
urfprünglich  geifiltd)en  2Betfen  ©elteneS.  2Btr  treffen  fte  juerfl  in  bem  3Balterfd)en  ©efangbudje  oon  1524 
(an  ber  jwb Iften  ©teile),  jebod)  nicht  bem  genannten  Siebe  gefeilt,  fonbern  bem  ^Pfatmlicbe :  ,,(§S  wollt' 
unS  ©ott  genäbig  fepn"  (Deus  misereatur  nostri  Ps.  67):  ber  Äated)iSmuSgefang,  bem  fte  je|t 
angehört,  war  bamalS  »on  Sutl;er  nod)  nid)t  gebid)tet,  fonbern  erfdjeint  juerft  in  3ofeph  ÄlugS  ©efang- 
bud)  oon  1543  (an  ber  16ten  ©teile)  unb  nunmehr  in  83erbinbung  mit  unferer  ©ingweife,  währenb  jenem 
spfalmlicbe  bort  bie  ^p^rngif  ct>e  Gelobte  angeeignet  ijl,  bie  ihm  feitbem  jietS  blieb,  unb  ihm  fetjon  in  bem 
früheren  2lbbrude  beS  julefet  genannten  ©efangbudjeS,  um  1535,  beigegeben  war,  bamalS  auch  wohl 
auSbrüdlid)  für  baffelbe  erfunben  würbe. 

VRan  wenbete,  wie  wir  fehen,  fjtenadt)  juerjt  eine  bereits  oorhanbene  ©ingweife  an  auf  baS 
9>fatmlieb,  bie  man  fpäter  mit  einer  eigenen  »ertaufd)tc,  bie  ihm  angemeffener  fd)ien;  jene  entlehnte  aber, 
bie  wir  gegenwärtig  betrachten,  mochte  wohl  burd)  it)ren  eigentümlichen  @rnjt,  unb  ihre  leiste,  nach,  einem 
»ollen  ©d)luffe  in  bte  ©runbtonart,  wieber  über  biefelbe  hinouSgeljenbe  ßeile,  für  Suther  ein  Antrieb 
werben,  fein  Äated)iSmuSlieb  von  ber  Saufe  ihr  anjupaffen,  in  welchem  jebe  le^te  Seite  feiner  fteben 
©trophen  mit  befonberem  9cad)brude  eine  ßehre,  einen  Aufruf,  eine  33erf)eifiung  einprägt:  baft  bie  Saufe 
ein  neueS  geben  begrünbe,  bap  ber  ©eift  ber  Säufer,  baf  feiner  ßehre  ju  folgen  fei,  bap  bie  im  ©tauben 
©etauften  beS  £immelreid)eS  23erf)ei^ung  haben.  ©0  erfd)eint  fte  nunmehr  bem  Siebe  »ötlt'g  »erwachsen, 
unb  gleich  wie  mit  ihm  unmittelbar  entfianben,  ba  fte  bod)  urfunbltd)  eine  entlehnte,  unb  weil  ihr 
geiftlicher  Urfprung  nid)t  nachgewiefen  werben  fann,  mit  überwiegenber  2Bahrfcheinlid)feit  auf  ben  a>olfS= 


—  45   


gefang  jurücfjuführenbe  iji.  Saju  fömmt,  baß  ber  Strophenbau  tf>rc§  Siebet ,  wie  wir  fpäter  feiert 
werben,  bem  ä>olf§  liebe  entflammt,  außer  bem  genannten  9)|almliebe  aber,  unb  Sutf)ert>  Siebe  auf  bie 
SJiärfprer  ju  ©rüjjel,  um  bie  erfte$älfte  beS  lCten  SafyrfyunbertS  fein  anbereS  geijiliches  Sieb  »orfyanben  tji, 
baS  benfelben  mit  Ü)tn  feilte. 

ein  wichtiges  3eugniß  für  bie  Sfarfacfye  beS  ßntlefmenS  weltlicher  Siebweifen,  für  ben  Sinn, 
in  bem  eS  gefebahe,  eine  Sbatfadje,  bie  wir  bis  tyefyt  burd)  eine  Schußfolge  allein  alS  roabrfdjeinlid)  barju« 
ftellen  vermochten,  gewäbrt  unS  eine  fdwn  im  3al)ve  1527  ju  Dürnberg  erfd}ienene  Sieberfammlung  unter 
bem  titelt  „Sie  euangelifcb  9Keß,  teutfeb.  2fud)  babei  baS  fyanbbucfylerm  getjilichcr  ©efänge,  als  9)falmcn 
Sieber  unb  Sobgefenge,  fo  am  Sonntag  ober  gevertag  im '#m»t  ber  9£lccß,  bcßgleichen  vor  unb  nach,  ber 
g>rebtg  in  ber  ßljrijilichcn  33erfammlung  im  neuen  Spital  ju  Dürnberg  gefungen  werben."  £ier  ft'nben  wir 
geijtlicfye  Sieber  mtt£inwcifung  auf  bieSDZelobieen  weltlicher,  beren  Snfyalt,  närjer  unb  ferner,  in  gegenfeitiger 
33ejief)ung  fiel)t.  Sie  ßfyrijienheit  wirb  ermahnt  in  einem  Siebe,  ju  erwachen,  unb  ben  füßen  .Klang  beS 
reinen  ©otteSworteS  ju  Bernehmen,  baS  ihr  nun  lauter  gevrebigt  werbe;  eS  gefchtel)t  in  ben  Sönen  einer 
alten  Sageweife:  ,,2Bacb,  auf  mein'S  £erjenS  Schöne."  (Sin  anbereS  Sieb  fragt,  wo  Gsfyrijii 
©ejialt  gewefen,  alS  Svlvejier  burch  ßonfiantinS  ©efdbenf  ©ewalt  befommen  habe  über  9?om;  eS  foQ 
gefungen  werben  in  ber  SBeife  beS  ©efangeS:  Sfofina,  wo  war  bein'  ©ejialt,  bei  .König  ^3arii 
Seben.  ©egen  bie  Anrufung  ber  ^eiligen  wirb  geeifert  in  einem  britten  Siebe,  bem  bie  SDMobie:  (§S  gebt 
ein  frifcher  Sommer  baber  angeeignet  iji.  3n  bergleicbcn  volfSmäßtgen  SEönen  vorgetragen,  erhielt 
baSjenige,  waS  man  bem  Siplfe  an  baS  .Jperj  legen,  womit  man  il)m  beuten  wollte,  waS  ofjnehin  bie 
©emütfyertfUer  bereits  befchäfttgte,  eine  große  (Sinbringlichf'ett,  unb  verbreitete  ftch  mit  unglaublicher  Schnelle. 

SBir  würben  inbeß  burch  bloße  4?inweifungen  biefer  2frt  auf  SSolBwetfen  eben  nur  bie  5E  b  at= 
fache  ihrer  Übertragung  auf  ben  geglichen  ©efang  bewähren  fbnnen,  nicht  aber  eine  lebenbige  Tlxi-- 
febauung  ihreS  ©influffeS  auf  benfelben  gewinnen,  wären  unS  nicht  beren  auS  jener  Seit  mit  ihren 
urfprünglichen  Siebern  aufbehalten.  £ier  nun  fommt,  um  baS  britte  3al)rjef)enb  beS  16ten  3af)rhunbertS, 
ober  baS  jweite  ber  .Kircbenverbefferung,  eine  febä^bare  £lueEe  unferen  SBünfcfyen  entgegen.  GjS  iji  eine,  im 
Sahre  1539  juerji  erfcb,ienene,  fiebjebn  %at)xe  fväter  (um  155G)  mit  bem  fünften  Steile  abgefchloffene  Sammlung 
von  33olfSliebern.  Sie  enthält  beren  jufammen  380 ;  in  ben  vier  erjien  Steilen  vierjiimmige  (mit  2(uSnabme 
etneS  einjigen  achtjiimmigen  im  vierten  Steile),  in  bem  legten  fünfjitmmige,  barunter  nur  eineS  ju  fteben 
unb  eineS  ju  jefm  Stimmen.  £>er  £erauSgeber,  ©eorg  gorfter,  ließ  ben  erjien  St)eil  berfelben  bei 
9>etraiuS  ju  Dürnberg  erfcheinen,  unter  bem  Sitel:  „2uiSjug  guter  alter  unb  neuer  teutfeber  Sieblein,  einer 
rechten  teutfehen  2Crt,  auf  allerfyanb  3njintmenten  jü  gebrauchen,  auSerlefen ;"  eben  bafelbji  im  folgenben 
3af)re  (1540)  ben  jweiten;  eine  neue  Aufgabe  biefer  Sieber  unb  ber  brei  legten  Steile  erfd)ien  bei  Johann 
vorn  SSerg  unb  Ulrich  Sieuber  ebenbafelbji.  Siefe  Sammlung  iji  in  hohem  ©rabe  geeignet,  unS  ein  SBilb 
ton  bem  SBefen  beS  beutfcbenSSolfSgefangeS  um  bie  3ett  beS  beginnenben  16ten  SabjbunbertS  ju  gewähren, 
wie  fte  nicht  minber  eine  Quelle  iji,  auS  ber  wir  ben  Urfprung  vieler  geijilicher  Siebweifen  h^leiten  fbnnen. 
Sn  jeber  SJücfftcht  bab,er  iji  fte  für  ben  ßweef  biefer  Sarfiellung  eineS  längeren  83erweilenS  würbig. 

SBenige  nur  ftnb  bie  Nachrichten,  bie  wir  über  ifyren  Urheber,  ©eorggorjier,  bef%n.  Sebalb 
^»evben  in  ber  3ufcbrtft  feiner  2ibl)anblung  von  ber  Äunji  beS  ©efangeS*)  an  ^)ieron»)muS  S3aumgärtner, 


*)  De  arte  caaendi,  ac  vero  signorum  in  cantibus  usu  libri  duo,  auetore  Sebaldo  Heyden  etc.  .Xorimbergae  apud 
Joh.  Petreium  Anno  salulis  MDXL.  „Georgius  Forsterus,  vir  ut  literarum  et  medicinae  ita  et  Musicae  peritissimus." 


  46   


^atricier  unb  SiatbSberrn  von  Dürnberg,  rühmt  il)tn  nad),  er  fei  in  bev  4?eilfunbe  "»b  Sonhmft  gteid) 
erfahren 5  baf  er  btcfeS  leiste  gewefen,  bezeugt  ntdjt  allein  eine  JBcifieucr  von  34  Sonfdfcen  ju  unferem 
2icccrbud)e,  fonbern  auch  ^Beiträge  ju  gleichzeitigen  (Sammlungen  getftlicher  ©efdngc,  wie  namentlich,  ju  ber 
uon  ©eorg  JRfyau  um  1544  herausgegebenen  für  bie  gemeinen  ©dmlcn.  Doch  bat  er  bie  Sonfunft  faum 
als  ^Broterwerb  getrieben:  wie  er  benn  in  ben  Sufcbriften  ber  fünf  Steile  feiner  Sammlung  an  greunbe 
unb  ©önner,  beren  9JW)re  nennt,  bie,  als  feine  ©enoffen,  ft'e  ohne  eine  folcbe  9füdftd)t  übten,  unb  bamit 
$ugletd)  nebenher  einigen,  wenn  aud)  niebt  vollftdnbigen  "tfuffcbluf?  giebt  über  feine  SebcnSverhdltniffe.  ©o 
erinnert  cr'3obfl  von  S3ranbt,  Hauptmann  ju  SSBalbfaffcn  unb  Pflegern  ju  Siebentem,  ibrer  alten 
Äunbfcbaft  unb  gmmbfdjaft,  wie  ft'e  am  $ofe  bcS  ßl)urfürften  am  3?betn,  ^fal^grafen  ßubwig  ju  .!peibel= 
berg,  unter  beffen  Saugern  aufgewogen,  unb  uon  feinem  Gavetlmciftcr  £aurenttuS  Scmblin,  ,,il)rem 
frommen  9)rdcevtore, "  untcrrid)tct  worben:  wie  ft'e  bann  mit  bcS  ßfntrfürften  S5ruber,  ^Pfaljgraf  SBolfgang, 
«Dbcrften  Äaiferlid)er  ?Qtajejidt,  nad)  granfreid)  gejogen,  in  ©elbern,  33rabant,  vor  Sanbreci  unb  anbern 
SDrten  unter  bcS  £)briftcn  Lieutenant,  ihrem  guten  greunbe  ©ebafttan  SSogclfvcrgcr  ju  Selb  gelegen, 
,,mand)3mal  mit  guten  unb  fkrfcn  3dbncn  bbfjlid)  geffen,  übel  getrunfen,  unb  bart  gelegen,  unb  in 
©umma  jum  bitfern  mal)l  ben  junger  unb  Surft  mit  einem  alten  ßicblcin  gebüffet."  (Sr  preist  feinen 
gratnb,  bafs  er  ,,ber  cblen  SRufic  ein  fonberlicber  Sicbbaber  unb  gbrberer  fei,  unb  fold)S  neben  ^>errn 
©efebaften  unb  'Ämtern  nod)  heutigen  SEageS  mit  bem  ©efeen  beweife,  welchS  bei  anbern  be§  2(belS  ein 
fettjflm  SBtlbbret  unb  fd)ier  ein  ©d)anb  fei)."  (Sin  gleiches  rül)mt  er  von  unb  gegen  ©tevban  3irter, 
beS  (Sburfürften  ©cbcimfd)reibcr,  ebenfalls  einen  Sugenbfreunb,  unb  Dtetrjd)  ©d)war$  von  £afelbad) 
unb  dbermanSborf :  von  allen  biefen  jieren  viele  ©efdnge  feine  Sammlung,  beren  vierter  unb  fünfter 
SEbeil  ben  lefjten  SBeiben,  ber  britte  jenem  Sobfl:  von  S3ranbt  gewibmet  ift,  einem  jeben  unter  frcunblid)cr 
(Erinnerung  an  bie  fct> bnen  3abre  ber  ©enoffcnfcfyaft  ju  .Jpeibelberg.  üjnbem  er  nun  um  ben  ^Beginn  beS 
1556fien  3afyre§,  mit  bem  vierten  unb  fünften  Sbeile  fein  SBerf  für  befd)loffen  erfldrt,  beffen  erften  £l)eil 
er  ft'ebjcl)n  Sabre  juver  ,, allen  2icbl)abern  ber  eblen  SEftuftc"  unter  fmmblid)cm  ©rufte  bargeboten  blatte, 
fvridtt  er  feinen  @ntf$lufj  auS:  baf?,  ,,nad)bcm  er  bisher  mit  teutfd)en  ßieblein  ben  gemeinen  ©dngern 
unb  gemeiner  ©cfeUfchaft  genug  gebienet,  wolle  er  einmabl  auS  bem  ©d)taftrunf  in  bie  &ird)en  geben,  unb 
mit  ber  3eit  hernach  ein  fd)bnen  ZfycU  geiftlicher  Siebleiu  in  £rutf  geben  laffen,  bamit  ber  jlird)en  auch 
gebienet,  unb  bie  SRuficd  auS  bem  ©d)laftrunf  wieber  in  bie  Äircben,  an  ibr  recht  gebübrenb  £?rt,  barin 
ft'e  anfdnglid)  gewefen,  gefül)ret,  unb  baburd)  ber  allmächtige  ©Ott  gelobet  unb  gevreifet  werbe."  2flIeS 
biefeS  beutet  auf  einen  93Zann,  ber  bie  Sontunfi  aB  (Srl)otung  mit  ©leid^geftnnten  gcmcinfd)aftltd)  geübt, 
unb,  gleich  ihnen,  aud)  in  fvdteren  Sahnen,  neben  einem  anberen  SebcnSberufe,  ihr  bie  frühere  Siebe  bewahrt 
habe ;  einen  SDlann,  ber  als  SSielcrfahrener,  in  mannid)fad)en  ficbcnSverbdttniffen  (Sinl)cimifcher,  mit  9Jtdn= 
nern  von  allen  ©tdnben  in  freunbfd)aftlid)emS3erfcl)r©tehcnber  —  wie  benn  aud)  "iiuguftin  ßd  juSSBürjburg 
laut  ber  3ufd)rift  beS  ^weiten  SEheiteS  (1540)  ju  feinen  greunben  unb  ©bnnern  gehörte  —  jumeijt  baSjenige 
fammelte,  baS  in  ben  wecbfclnben  Sagen  feineS  ßebenS  ihn  erheiterte,  beluftigte,  aud)  wol)l  ttbftete  unb 
fidrfte.  Darum  bürfte  eben  biefe  ©ammtung  am  erften  geeignet  erfebeinen,  ein  treues  S3ilb  beS  ßieberge= 
fangeS  um  bie  3ett  ju  geben,  bie  unS  gegenwärtig  bcfd)dftigt. 

3n  welchem  ©tnne  govfter  gefammelt,  f»rid)t  er  in  feinen  3ufd)fiften  wieberholt  au§.  ,,@S  ift 
meine  Meinung  geweft,"  fagt  er,  „allein  fd)led)te,  alte  gute  tcutfd)e  ßieblein  mir  ju  ^>auff  ju  tragen,  fo 
$u  fingen,  unb  allerlei  3»iftrumenten  fehr  tüglid):  t)intana.tftfy  alle  große,  vermeinte  jtunft,  fo  etliche  in 


  47   


fd)lcd)ten  Siebicin,  «triebe*  alle  licberifcbe  "2(rf,  fachen  unb  fürgeben,  fo  bod)  vielmehr  bte  einfältig  Sieblid)feit, 
baS  1)bd$  im  ©efang',  feilt  gefugt  werben;  id)  mein'  aber  nit  bie  ßinfalt  ber  anfangenben  Schüler,  benn 
bte  gar  511  febteebt  ift,  unb  ju  einfaltig."  Unb  an  einer  anberen  Stelle:  ,,(5S  mbdn'  aber  einer  fagen,  waS 
man  an  tiefen  leppifeben  Siebtem  getrudt  fyät?  Dem  wil  id)  alfo  gcantwort  l)abcn,  baS  id)  biefe  Sieblein 
nidit  ben  bapfern,  fonbern  ben  fct>led>ten  fingern,  fo  I;tn  unb  wieber  auff  ben  Schulen  mit  ber  lieben  ©anS 
umb  Martini  unt  2Bcil)nad)ten,  ober  jur  anbern  ßeit  (voie  benn  an  vielen  £rten  ein  alt  ^erfommen;  rote  ft'e 
eS  nennen,  muffen  fyerumb  recorbtren,  Ijab  moll'n  mitteilen.  Denn  folcbcn  Sängern  oftmals  ift  bcrgleicben 
lieblein  eins  ju  fold)er  3eit  viel  mehr,  benn  ein  f  bftlid)S  SoSquinifd),  ober  eineS  anbern  berümbten  ßornponi; 
ften  ftüd,  fürträglicber,  unb  beffer  ju  Stat  fompt;  wie  benn  bie,  fo  baS  gcbraudit,  wohl  wiffen."  £?ffen= 
bar  rebet  er  an  biefer  Stelle  vornehmlich  von  ber  Äunft  beS  SonfefjerS,  bod)  bamit  ift  allerbingS  auch,  bie 
2lrt  ber  ©ebiebte  fclbft  bebingt,  unb  fyinreicfyenb  bejeichnet;  aud)  um  biefe  bat  er  ftd)  SOiühe  gegeben, 
war  aud)  ber  muftcalifd)e  £l)eil  ihm  .£>auptfad)e.  „DaS  aud)  ber  red)t  SEert  nicht  in  allen  lieblein  vor= 
banben,  fan  id)  nit  für,  benn  id)  wol  roeif3,  rote  großen  gleifs  id)  lange  Seit  gehabt,  baS  id)  bie  rechten  Seiet 
ber  lieblein  befommen  mbd)t,  bat  aber  nid)t  fepn  wollen.  Dicweil  wir  aber  nid)t  ber  Sejrt',  fonbern  ber 
@ompofttion  falber,  bie  lieblein  in  SErud  gegeben,  haben  wir  in  bte  lieblein,  barunter  wir  fein'  SEert 
gehabt,  (bamit  ft'e  nid)t  on'  Sert  waren)  anbere  Sert'  gemacht.  SBiewol  wir  aud)  ettid)'  SEert  mit  gleif, 
als  bie  faft  fe£>r  ungerümbt  gewefen,  I)inweggetl)an,  unb  anbere  bafür  gemacht;  wcld)S,  bieweil'S  fein'  SEob-- 
fünb'  ift,  ad)ten  wir,  man  werbS  unS  nit  verargen."  2ßir  bürfen  nid)t  fürd)ten,  bafi  wir  an  ben  hinweg* 
getanen  Serten  einen  erheblichen  SSerluft  erlitten,  fo  wenig  wir  uns»  aud)  eineS  ©ewtnneS  erfreuen  bürften 
an  ben,  bafür  von  unferem  Sammler  gebid)teten.  DcS  „Ungerümbten"  werben  wir  immer  nod)  genug  fin= 
ben  in  unferen  Stebem;  aber  es  ift  bod)  aüejeit  für  bie  eigentf)ümlid)e  SBeife  ber  ©egenwart,  unb  unmittel= 
baren  fßorjeit  beS  Sammlers  fybtfyft  bejeidinenb,  unb  wir  tonnen  if)m  trauen,  baß  er  nur  baSjenige  hinweg* 
getfyan,  waS,  in  feiner  9?üdftd)t  ^InjiehenbcS  bietenb,  eben  nur  ungereimt  war;  wenn  aud)  feine  Dichter* 
gäbe  nid)t  fo  weit  reichte  eS  burd)  SSeffereS  ju  erfe^en.  @r  ift  fonft  nid)t  eben  efcl  311  SBerfe  gegangen. 
Selbjt  3ud)tlofeS  unb  Unflätiges,  fommt  eS  aud)  nid)t  ^auftg  vor,  l)at  er  nid)t  ganj  befeitigt,  ber  berben 
2lrt  feiner  3eit  gemäß,  bie  wir  aud)  hierin  fennen  ju  lernen  ©elcgenhett  haben,  unb  bie  in  unverfälfcbter  ©e= 
ftalt  in  biefen  ^Blättern  vor  unS  liegt. 

2BaS  nun  baS  Hilter  ber  Sieber,  unb  jumahl  ihrer  Singweifen  betriff;  fo  bejeiebnet  ber  4?erauS= 
geber  ben  grbfieften  Sheil  ber  Sieber,  welche  bte  erfien  beiben  Steile  in  ftd)  faffen,  fdjon  um  1539  unb  1540, 
ben  Sahren  ber  früheren  ^eraulgabe,  als  für  ftd)  felbft  lange  3eit  her  jufammengclefene,  unb  jum  £f)eil 
etwaS  alte;  wir  bürfen  fte  baher  wohl  mit  gug  als  minbeftenS  fchon  in  ben  erften  Sohren  beS  IGten  2>abr= 
hunbertS  entftanbene  annehmen.  IBon  mehreren  läßt  fid)  biefeS  urfunblid)  nad)weifen.  gorfter  hat  nament* 
lid)  auS  jwei  Sicberfammlungen  gefd)bpft,  bie  fd)on  ju  Anfange  beS  SabrbunbertS  erfd)ienen  waren;  beibe, 
wie  eS  bamalS  nid)t  feiten  gefd)al)e,  außer  ber  25ejeid)nung  ber  einjelnen  Stimmbüd)er  alS  SEenor,  Difcant, 
SSap  unb  2llt,  ohne  weiteren  Sitel.  Die  eine  „in  ber  faiferlichen  unb  beS  heiligen  reid)S  Stabt  2lugfpurg, 
burd)  (Srhart  .Öglin  getrudt,  unb  volenbt  am  newjehenben  tag  beS  9KonatS  Sulii,  von  ber  gebuft  <5t>rifii, 
unfereS  lieben  ^errn  in  ben  rv  hunbertften  vnb  jwelftem  jare";  bie  anbere  „getrudt  ju  Wlenfy  burd)  $)eter 
Sd)bffern,  unb  volenbt  3lm  erften  Sag  beS  SKer^en  Znno  1513."  2luS  jener  entlehnte  er  unter  anbern 
bie  Sieber:  2Cd>  Sieb  mit  Seib  tc.  9Jiein  ^erj  hat  ftd)  mit  Sieb  verpflid)t  tc.  9£ad)  willen  bein  :c.  5Eröftli= 
d)er  Sieb  tc.  3ud)t  ehr  unb  lob  ihr  wohnet  bei;  auS  biefer  fpäteren:  Unfall  will  ifjunb  t>abm  red)t  tc.  3art 


 48   

fcbbne  grau  jc  SSon  ebler  TLxt  ic.  (Sin  Siblin  fagt  mir  freunblicb,  ju  ic.  unb  mit  beren  SKelobieen  bat 
er  auch  bie  Sonfäfee  berübergenommen,  ber  befferen  Unterlegung  ber  SSBorte  wegen  nur  UnbebeutenbeS  baran 
änbernb,  unb  unS  bie  tarnen  tfjrer  Uvtjeber  nennenb,  bie  in  jenen  alteren  (Sammlungen  jumeift  fehlen. 
Doch  barf  man  jenen  Sonfefjcm  nicht  bie  ©runblage  if?rer  ßompofttion,  bie  SDZelobie  ber  Sieber,  beö^alb 
jufcbreibcn;  benn  l)icr,  wie  fpäter,  um  bie  Seit  ber  SBlütbe  be§  geiftlichen  SiebergefangeS,  waren  ©än= 
ger  unb  ©e^er,  ber  ßrftnber  ber  ©ingwetfe,  unb  ber  Urheber  ihrer  mehr  jrimmig en  ffiearb et= 
tung,  ntdbt  einer;  fonbern  bie  SEonftmftler  nahmen  bie  Aufgaben  für  bie  t>on  innert  als  eine  befonbere 
geübte  Äunft  be§  ©a|e§  au§  ben  vorbanbcnen  Crrjeugniffen  be§  unbewußten  JtunfltriebeS ,  ben  im  SSolfe 
entftanbenen,  in  biefem  Sinne  funftlofen,  aber  feine  (Sigentf)ümlicb,feit  lebenbig  abfpiegelnbcn  SEonweifen. 
Die  Drudjabje  jener  älteren  beiben  Sammlungen  foroobl,  al§  bie  fpäteren  ber  einzelnen  SSbeile  t>on  ber 
gorfterfcben,  beuten  un§  aud)  nicht  fowobl  bie  (Sntjrebimg  ber  Sieber  unb  ihrer  SBeifen  an,  aI3  »ielmebr  ben 
fpäteften  Seitpunft,  wo  33eibe§  entjtanb.  (Einige  Sieber  freilich  weifen  bureb,  ihren  Snbalt  unb  ba§  über 
fte  un§  anberweit  ^Berichtete,  auf  einen  beftimmten  3ettpunft  ihres  @ntj!eben§  hin:  mögen  fte  auch  t>xel- 
leicht  früher  febon  worhanbenen  SBeifen  angepaßt,  unb  biefe  fobann  »on  treflichen  Sonfe^ern  jener  3ett 
mebrftimmig  bearbeitet  worben  ferm,  ober  aud)  wohl  al§  Umbid)tungen  früher  üorhanbener  Sieber  erfch.  einen, 
©o  ba3  Sieb  ©eorgS  t»on  grunbSberg,  ba§  er  nach  bet  Schlacht  von  ^»aüia  gebichtet  haben  foll,  alfo 
nicht  cor  1525,  unb  ba§  wir  im  erften  Steile  unferer  Sammlung*)  in  Subwig  SenfelS  »ierftimmigem 
©a£e  finben.  grunbSberg  ließ,  wie  unS  berichtet  wirb,  wenn  er  mit  ^»auptleuten  ober  anbern  ©äften  frbb= 
lieb  war,  biefeä  Sieb  ftcb  »or  Sifcb  oft  mit  4  Stimmen,  ober  t»on  Snftrumenten  begleitet,  fingen;  feine' erjle 
©tropfe  lautete : 

ÜDlein'  gleiß  unb  5Dlüf>  id)  nie  bab'  gfpart, 
Unb  alljeit  gwart  bem  £erren  mein, 
3um  33eftcn  fepn,  mich  gfehieft  l)ab'  brein, 
©nab',  ©unft  »erhoff, 
Dod)  ©unft  ju  Jpof  üerfebrt  ftcb  oft. 
Dabei  pflag  ber  alte  Ärtcg§f>ett>  auf  bie  le^t  ju  fagen:  Drei  Ding  follen  einen  jeben  oom  Äricg  abfebretfen, 
bie  S3erberbung  unb  Unterbrüdung  ber  armen  unfduilbigen  Seut',  bas>  unorbentlid)  unb  fträflid)  Sehen  ber 
itriegSleut',  unb  bie  Unbanf barfeit  ber  Surften,  bei  benen  bie  Ungetreuen  f)od)  fommen,  unb  reich  werben, 
unb  bie  SSBobwerbienten  unbelohnt  bleiben.  —  @in  anbere§  Sieb  im  jweiten  S£t)etle  ber  Sammlung,  t>on 
SJiattbäuS  ©repter  gefegt,  tterbbbnt  ben  befannten  SBarfüßermbnd)  Shoma§  Säumer  mit  S5ejug  auf 
ba§  9ieligion§gefpräd)  ju  S5aben:  in  biefer  ©eftalt  ift  e§  baher  I;bd>flen§  um  1526  enrftanben  **) : 
S3on  üppiglicfyen  Dingen, 
©o  will  id)$  h^en  an, 
din'  ^benteur'  ju  fingen 
Die  id)  erfahren  ba'n. 
S3on  einer  grauen  Äafjen, 
9iit  fer  im  Sberlanbt ; 


•)  mxo.  105. 
•*)    ©.  Z\).  II.  56. 


  49   


3u  33aben  funbt  ft'e  fdjma^en 

3a  auf  ber  Sifputaljen, 

3ji  w>of>t  befanbt  im  grauen  ©'manbt, 

Sfl  je  ein'  ©cfyanb 

201  9Belt  fann  ft'e  mof)t  fafjen, 

SKurmaun  tfl  fie  genannt. 

(*5  ift  aber,  wie  wir  aus  ,,65  beutfdjen  ßiebern ,  wormalS  im  £rud  nie  aufjgangen"  (9lr.  62)  lernen,  bie 
bei  <Sd)bffer  unb  'tfpiariuS  ju  Strasburg  (olme  £)rudjaf)r)  erfd)ienen  ftnb,  einem  älteren  gleichen  Anfangs 
nacbgebilbet,  baS  bamaB  beliebt  unb  berannt  mar,  unb  ein  luftiges  2(bentf)euer  »on  einer  Sflagb  unb  einem 
^Bauern  beim  Sanje  erjäl)lt. 

SSJiit  33eftimmtf)eit  beutet  auf  bie  9?eformation6jeit  ein  Sieb  im  4ten  Steile,  (9tr.  28)  t>on  ©te- 
pl)an  3trler  gefegt: 

3d)  will  fürmaljr  gut  33äpftifd)  ferm, 

£>eS  SutfyerS  ßef)r'  »erachten, 

9lad)  guten  Sagen  mtll  id)  nur 

Unb  feij!en  ^)frünben  trauten ; 

9<iad)  3in3  unb  9?ent 

©tef)t  mein  Sntent 

SBenn  id)  bie  f)etf 

@o  fonnt'  id)  ftet 

3n  Suft  unb  ^reuben  leben; 

2Bonad)  follt'  id)  fonji  jtreben? 
2>od)  bürfen  mir  nid)t  alle  anberen  ßieber,  in  benen  mir  baS  geben  ber  ©eijtlidjen  gefd)mäf)t  unb 
©ebräudje  ber  alten  Äircfye  »erfpottet  ft'nben,  jener  fpäteren  3eit  angefybrtg  glauben;  mir  bebürfen  baju  be= 
jtimmtercr  ■tfnbcutungen,  meil  @d)tnäf)ung  unb  ©pott  in  biefem  ©inne  ber  ilird)em>erbefferiing  um  §3iele3 
üorauSgieng.  £)antm  fann  aud)  unter  ben  Wielen  SErinf  liebem,  bie  unfere  (Sammlung  enthält,  ein  lateini= 
fd)e§  in  §orm  eineS  9iefponforiumä  füglid)  einer  früheren  3eit  angeboren.  £>er  SErinfenbe  ftef)t  barin  feinen 
3ed>gcfcllen  fajl  gegenüber  mie  ber  ßiturg  bem  ©ängerdjore,  unb  begegnet  ifjrer  2lufforberung  baS  ©las 
big  auf  ben  S5oben  ju  leeren,  bamit  ntd)t3  barin  bleibe,  im  £one  eineS  alten  Ätrd)engefange3,  ben  geleerten 
S5ed)er  nieberfe^enb,  mit  ben  SBorten : 

Hoc  est  in  visceribus  meis ! 

£>a§  f)ab'  id)  nun  im  Serbe ! 
morauf  it)tn  ber  @()or  mit  gellem  Saudjjen  antmortet : 

Prosequamur  laude ! 

gafjren  mir  fort  ju  loben ! 
3n  ben  meijlen  übrigen  S£rtnf liebern  l)errfd)t  unfdjulbiger  ©d)erj,  ber  in  ben  SDZartinSliebern  in 
auSgelaffenen  Subel  übergebt,  fo  bap  bie  Srinfenben  baS  ©acfern  ber  ©änfe,  baS  3mitfd)ern  ber  S36gel 
nad)al)men,  aud)  mofjl  bei  bem  S3ittenben,  rogans,  an  bie  rofje  ©anS  benfen,  unb  if)r  bie  „bratne  ©anS" 
entgegenfefeen.  S)ergleid)en  mar  benn  freilid),  mie  gorfter  ridjtig  bemerft,  nid)t  fomof)l  für  bie  „bapfern" 
al§  bie  fd)lid)ten  ©anger,  bei  beren  Biebern  unb  einem  mobjbefefcten  Sifdje  ber  ehrbare  Bürger  nad) 

c.  SBmterfttb,  ker  «angel.  S^orafgcfang.  7 


  50 


fauren  2Bod)en  am  9!Jcartin$abenbe  auf  feine  SBeife  frofjltd)  fevn  »rollte.   Da§  lofe  unb  müjte  geben  ber 
ganbSfnccbte  nimmt  eine  breite  ©teile  ein  in  unfern  2iebem,  unb  feiten  wirb  babet  auf  bejnmmteSeiteretgniffe 
btngebeutet.    ,,2Bir  jogen  au£  in$  gelb,"  heißt  e§  in  einem  jener  ßanbSfnechBlieber,  ,,ba  fyatf  mir  weber 
©ecfl  noch  ©elb;  mir  fam  vor  fteben  Sob,  ba  hart  mir  meber  Söetn  noch  33rot;"  aber  nun  famen  bie 
golbenen  Sage,  e3  ging  in  ba3  fcf)öne  Sßelfchlanb ;  unb  fo  mirb  benn  im  ©efange  meiter  fortgefahren : 
2Bir  famen  nach  griaul, 
Da  Ijatt'  mir  allefammt  »oll  Sflaul, 
unb  in  ©rmartung  mie  Erinnerung  biefer  Sage  bcS  SBohllebenS  folgen  jeber  ©tropbe  gerabebrechte  SBorte, 
bie  für  guteS  SBelfch  ju  nebmen  uns>  angefonnen  mirb : 
Strampede  mi, 
Alami  presente  al  vostra  Signori.*) 
'tfber  viel  anbere  9Kaf)le  muffen  bie  armen  ganbSfnccfyte  unfere  grau  bitten,  baß  fte  irrnen  eine  marme  ©onne 
befeuere  **) ;  ober  menn  ber  ganbSfnech t  über  gelb  geht  ohne  ben  Pfennig  im  33eutel  unb  vor  ber  SBirtfyin 
£au3  fömmt,  muß  er,  baS  bbfe  .Kraut,  fvottroeife  in  munberltchem  ©emeng  aHert;anb  ilraut  ftch  vorrechnen 
laffen,  unb  ,,bocfenbreite  ffilätter,  bie  fevn  innen  hohl***)".  Dann  mirb  un§  enblicf)  mohl  in  einem 
Guoblibet,  einem  ©emebe  von  allerhanb  abgeriffenen  Sieberanfängen,  unb  ihren,  mie  jufällig,  boch  nicht 
ohne  Äunft  verflochtenen  ©ingmetfen,  ba3  S3ilb  eines»  folchen  ©efellen  vorgeführt,  ber,  ba  ber  falte  SBinter 
vor  bem  4?auf  ift,  nicht  meiß  mo  au3,  bes>  armen  33rüberlein3,  ba£  fragt,  mo  ee>  ftd)  hinfehren  folle,  bae> 
in  2lrmuthei  unb  SSettlerei  ein'  9Jegel  fchreiben  fbnnte,  unb  nun  an  juchtlofe  ©efellen,  ©chlemmer,  feile 
ÄriegSleute  geräth,  ihnen  ftch  anfd)ließt  aB  Änecht,  ,,bem  bie  ©ulben  mohl  tbun,"  enblich  aber  aB  9iaub= 
gefell  bem  9?eifenben  ben  2Beg  vertritt,  ihm  jurufenb : 

Äein  SBort  nicht  fvrich ! 
3d)  hau  m  bify  ein  ßuefen, 
Unb  gieb  bir  einen  ©ttch, !  f ) 
kleben  bem  ßanbSfnechte,  ber,  vergeubenb,  in  ben  Sag  hineinlebt,  unb  barum  oft  ber  Sebenemotbburft 
ermangelt,  geht  eS  bem  armen  S5ettelmbnch,  ber,  eben  mie  jener,  hemniätehenb  fein  ©emerbe  treibt,  nur 
baburch  beffer,  baß  er  auf  bie  SJlilbthätigfeit  angemiefen  ift,  fo  fvarfam  fte  oft  ihm  bie  bürftige  ©abe  bietet, 
um  bie  er  nur  mit  feinem  ©egen  ju  banfen  hat;  in  feltfamen  SBorten  hören  mir  ilm  heifchen :  tt) 
Unb  ba  ich  faß  in  meiner  3ell  unb  fchrieb, 
Da  famen  brei  $)eginen  unb  anbre  heil'gen  2Bib, 
©ie  lafen  mir  vor  ben  fcfmellen  grimmen  Sob ! 
Sch  bin  ein  armer  S3ruber  unb  leib  e§  aB  burch  ©Ott, 
©o  gebt  mir  armen  S5ruber  in  meinen  ©aef  ein  33rot ! 
grifch  unb  feef  tritt  ber  fröhliche  Säger  auf;  allein  mag  er  auch  bulben,  baß  man  ihn  frage,  ob  er 
baö  Sßilb  habe,  ,,bie  fchöne  braune  £inbin,"  bie  er  mit  eifriger  ^achftellung  verfolgt;  mag  er  lächeln, 
menn,  mährenb  er  auSritt  jagen,  baSSUcünchlein  vor  baö£auö  fommt  ju  feiner  ßtebjren ;  fo  fchmtngt  er  boch 
fein  £orn  inö  3ammertbal,  menn  ba§  ebeljte  SBilb,  bie  Siebfte,  von  ihm  fchieb,  unb  ba£  SSBaibmerf  ifl  ihm 
bann  verhaßt.    Der  2Bäcf)ter  läßt  feinen  9?uf  ertönen,  mährenb  Sieb'  bei  ßiebe  meilt,  unb  ermahnt  jum 
©cheiben,  mann  ber  Sag  anbricht :  jmchtloö  unb  milb  mirbt  ber  freche  SIeuter ;  ber  JBauer  maaßt  ftch  an, 

)  II.  20.  *)  V.  37.  -*)  II.  4G.  |)  II.  60.  ft)  •••  22. 


  51 


Das  grimme  !ü$ilD  Des  SBalbe9,  ben  33ären,  aufjufucben,  um  feinen  $)el$  ju  geroinnen,  t)at  er  aber  beffen 
(Signer  gefunden,  unb  märe  er  auch,  ju  breien,  fo  mod)te  er  gern  baoon,  unb  ruft  mit  ben  ©efäbrten  unfere 
liebe  grau  um  JBeijtanb  an : 

%&i  9flarjen,  ©ott6  ÜRutter, 
%&>  mar  mir  bafjetm ! 

©ine  guUc  ter  uerfcbiebenften  £bne  aus  ben  mannid)faltigften  2ebenS»erl)ältniffen  flingt  uns"  entgegen  auS 
biefen  Biebern :  aber  am  »ollften  unb  reid)ften  finb  unter  ifmen  bie  ber  Siebe,  unb,  rote  mir  afynen  mögen, 
fmb  auch  eben  ft'c  c3,  bie  fpäterbjn  für  baö  ^eilige  ßieb  jumeift  in  2üifprucb.  genommen,  für  baffelbe  gemeint 
mürben.  jDft  ift  eS  ber  3)on  ber  Sfomanje,  ber  anflingt  in  ifynen;  eine  erjäf)lenbe  ©tropfe  fütjrt  uns"  ein 
in  ba§  ä>erl)ältni§  ber  2iebenben,  bie  erft  bann  unmittelbar  ju  uns"  reben: 

@3  marb  ein  fd)6ner  Süngling  2£d?  ©Iflein,  fjolber  S5ule 

Über  ein1  breiten  See  SBie  gern  mar'  id)  bei  bir! 

Um  eines"  ÄbnigeS  £od)ter  ©o  fliepen  jroei  tiefe  Sßaffer 

9iad)  Seit»  gefdjab,  il)m  2Bef).  2öob,l  jroifd)en  mir  unb  bir. 

Cba  mir  fmben  un§  unmittelbar,  ofme  alle  Vorbereitung,  werfest  in  bie  9läf)e  ber  Siebenben,  unb  eben  fo 
fdmell  auch  ibr  mieberum  entrüeft: 

25rei  £aub  auf  einer  Sinben 
2Me  blüfyen  alfo  roof)l,  ja,  roob, l ! 
©ie  tt)dt  üiel  taufenb  ©prünge, 
5f)r  ^>erj  mar  freubent>oU, 
3d)  gonnä  bem  SDiepblein  mol)l ! 
Mh  bem  Senjc  erroad)t  bie  liebliche  Neigung  in  bem  Jünglinge: 

SBie  fd)6n  blüfjt  un$  ber  SDfaroe, 
25er  ©ommer  ferbt  babjn, 
9Kir  ift  ein  fc^om  Sungfräulein 
©efaüen  in  mein  ©inn, 
S3ei  if>r  ba  mär  mir  rool)l, 
SSBenn  id)  an  fte  nur  benfe, 
Sföein  £er$  ift  freubenttoü ! 

Tiber  mit  bem  SDiat)  feb,rt  aud)  mof)l  bie  fjerbe  Erinnerung  mieber  an  bie  Sreulofe,  unb  ber  SSerlaffene 
beucbelt  eine  gaffung,  bie  fein  £erj  md)t  fennt,  eine  greube  an  bem  (Srroad)  en  ber  Statur,  bie  es  nid) t  füf)lt : 

(£§  nabt  fid)  gegen  9Jlev>en, 

©rün  roill  id)  mid)  f leiben ; 

25en  liebften  33ulen  ben  id)  r)ab, 

25er  mill  ftd?  t>on  mir  fd)eiben ! 

25a3  fd)aft  allein  it)r  untreu 

manfelmütl)ig  ©inn, 

#ab'  Urlaub,  fahr  bab,  in ! 
5)}ogc  Das  2Jiitgetbeilte  ein  Seugnij?  ablegen  für  ben  reichen  3nf)alt  unferer  ©ammlung,  unb  bie 
Überzeugung  gemäßen,  bajj,  in  bebingter  SSollftanbigfeit  minbeftenä,  mir  bie  £auptrid)tungen  ber  83olfö= 

7* 


  52   

Dichtung  unt>  Dc§  SSolfSgefangeS  um  ben  SSeginn  be§  löten  SahrhunbertS,  jit  grofem  Steile  wohl  auch 
aus  älterer  gortpflanjung,  burch  fte  befifjen!  ^ebenfalls  wirb  eine  nähere  Prüfung  if)re§  3nf)dt$,  »on 
bem  ©tanbpunfte  beS  SEonfünfilerS  auS,  ihre  SBidjttgfeit  auch  für  bie  ffiilbung  beö  JtirchengefangeS  jur 
2l'nfcbauung  bringen,  in  fofern,  mittelbar  unb  unmittelbar,  bieSBolfSweife  eine  Quelle  beffetben  geworben  tft. 

Suchten  wir  nun  biefe  Prüfung  ber  ©ingweifen  unferer  Sieber,  ganj  abgefefjen  t>on  ber  Äunfl  ber 
SEonfefcer,  fofern  fte  ber  beS  ©ängerS  gegenüberfteht,  lebiglicb,  auf  iljre  nächjten  SSeftanbtf^eile,  auf  Älang 
unb  SKaajj,  beren  lefcteS  junächft  unS  wieber  ju  bem  ©trophenbaue  ber  Siebet  Einleitet ;  fo  erfdjeint  biefer 
in  fielen  unter  ihnen  bemjenigen  übereinfiimmenb,  ben  wir  in  fpäteren  geglichen  ©efängen,  oft  fehr  häufig, 
wieberfinben.   SEBir  jeichnen  folgenbe  ©tropfen  au§,  als  bie  mistigeren. 

1)  £)ie  » i  er 5  eilige,  iambifche  ©tropfe  oon  achtfwlbigen  Seilen  männlicher  (Snbung.  ©ie  ijt 
eine,  im  beutfehen  Äirchengefange  beS  Mken  3ahrh"nbertt>  fef)r  oft  oorfommenbe,  wie  mir  beifpielSwetfe  an 
ben  beiben  Siebern  fetjen :  ,,5üom  $immel  hoch  ba  fomm  td>  her,"  unb  ,,2Bo  ©Ott  jum  ^>auf  nicht  giebt 
fein  ©unjt,"  ju  benen  man  in  jebem  SDZelobieenregijter  eine  beträchtliche  2tnjal)l  anberer  aufft'nben  wirb.  £)a£ 
im  Sabrfnmberte  ber  Ätrctjenoerbeff erung  oft  ale>  SofungSwort  ber  ^Protejtirenben  gegen  bie  jtatholifchen 
fernblieb  gerichtete  Sieb:  ,, ßrbatt'  unS  £err  bei  beinern  2Bort"  gehört  ebenfalls  biefem  ©trophenbau  an. 

2)  25ie  fünfteilige  iambifche  ©trophe  »on  ttier  achtfylbigen  männlichen,  unb  einer  »ierfpl= 
bigen  gleichartigen  3eile;  biefe  lefcre  tfi  entmeber  an  baS  @nbe  ber  ©trophe  gejtellt,  ober  nimmt  ben  »Orienten 
>})lafc  in  berfelben  ein.  5n  ber  erjten  ©eftalt  eignet  biefe  ©trophe  bem  alten  2BaUfahrt3=  unb  Sfeifeliebe  beS 
13ten  3abrb"nbert3 :  //S"  ©otteS  tarnen  fahren  mir,"  beffen  ©ingmeife  feit  1524  auf  baS  £atechiömu§= 
lieb  übertragen  mürbe:  2)te3  ft'nb  bie  heifgen  jefmSebot;  auch  ftnb  ihr  bie  Strophen  ber  beiben  Äirchentieber 
beS  löten  SahrfmribertS :  ,,(5rfchienen  ift  ber  herrlich'  Sag;  Ulun  freut  euch  ©otteS  Äinber  all;"  übereuv 
ftimmenb.  Übertragen  mir  bagegen  bie  halbe  3eite  auf  bie  üorlefete  ©teile  ber  ©trophe:  fo  eignet  fte  bem 
Siebe:  ,,©3  ift  auf  @.rb'  fein  fernerer  Seib,"  beffen  ©ingmeife  bem  fpäteren,  geijllichen  Siebe :  „Sch  h<*ö' 
mein'  ©ach  ©Ott  heimgeeilt"  angepaßt  mürbe,  ©eorg  grunbSbergS  Sieb,  beffen  33au  nach  ber  einen  unb 
ber  anbern  beiber  betriebenen  Birten  betrachtet  unb  georbnet  werben  fann,  ift  in  biefer  ©trophe  gebichtet, 
wahrfcheinlich  nach  einer  juoor  gewählten  Gelobte,  bie  alfo  älter  ift  als>  ba§  Sieb  felbft. 

3)  Die  fechö  jeilig  =  achtfplbige,  iambifche,  ebenfalls  burchauS  männliche  ©trophe.  ©ie,  unb 
jumahl  bie  juwor  befd)riebene  merjeilige,  fct>etnen  bei  benS3ergrcihen  jumeift  angewenbet  ju  fein;  beren  jwei, 
welche  9cicolauS  £errmann  in  feinen  £iftorien  t>on  ber  ©ünbfluth  mitteilt ;  bie  Sieber :  S3om  ^immet  hoch 
ba  fomm  ich  her  (in  3oh-  SBalterS  ©efangbuche  »on  1551  in  einer  breijlimmtgen,  won  ber  üblichen  üerfchie= 
benen  SJlelobie  aufgeführt)  unb  83ater  unfer  im  Himmelreich,  eben  ba,  unb  mie  baS  üorige,  mit  ber  Über= 
fchrift:  ,,auf  JSergreihenweife"  ju  ftnben,  bewegen  ft'ch  in  biefen  SKaajjen.  ©echSjeilig,  unb  beS  befchrte= 
benen  SSaueS,  ift  baS  (nachher  geiftlicb,  umgebichtetej  alte  Sieb  bei  Sorjter:  ,,S3on  ebler  %xt,  auch  rein  unb 
jart;"  fo  auch  fipäter  bie  geijtlichen  Sieber  beS  IGten  SahrhunbertS :  ,,^)eut  triumphiret  ©otteS  ©ofm;  UnS 

-  ijt  ein  Äinblein  heut  gebohm." 

eine  zweite  gorm  ber  fechSjeiligen  ©trophe  jeigt  eine  ©lieberung,  nicht  wie  bie  befchriebene,  in 
brei  2tbfd)nitte  ju  jwei  3eilen,  unter  unbebingt  »orherrfchenber  männlicher  Grnbung,  fonbern  in  jwei  brei= 
jeilige,  mit  jumeift  »orwaltenber  weiblicher,  bie  erft  in  ber  ©d)lufj jeile  beiber  burch  eine  männliche  erfefct 
wirb.  3weimahl  werben  in  biefem  ©trophenbau  jwei  ftebenfplbige  iambifche  Seilen  burch  eine  fechSfylbigc 
befchloffen.    Jg)teber  gehört  baö  oftbefprochene  'ÄbföteWHeb  in  gorjterS  ©ammlung:  „Snfprucf  ich  rnug 


  53   


ei*  lallen,"  ipater  (1571;  tut*  ^nauft  geiftli*  umgeti*tet,.  unter  ^Beibehaltung  feiner  2Beife,  tn : 
SBdt  i*  muß  ei*  lallen."    (Srft  im  17ten  Jahrhunterte  bat  man  tiefe  Jcrm  häufiger  angewentet,  in 
wel*er,  unt  oor  Zliem  in  ter  genannten,  auf  uns  lebentig  fortgepflanzten  Singweife,  ter  alte  83olfsten 
webl  mebr,  als  fenjt  irgentwo,  bintur*flingr. 

k)  2>ie  ftebenjeilige  Strophe  ift  jwar  im  weltli*en  gietergefange  tes  beginnentcn  löten 
3ahrbunterts  an  fi*  ni*t  feiten:  3eugni§  geben  baren  tie  beiten  juoor  mitgetheiltcn  grublings  =  unt 
giebeslieter.  2lu*  bei  geiftli*en  gietem  oer  ter  jlir*enoerbefferung  femmt  fte  häufig  oer:  fo  in  ten 
gietern  tes  12tcn  3"hrhunterts :  Jnin  erte  leite  Earen  ein'  ©erte ;  dr  ift  gercaltig  unte  ftarf  5  dbrift  fi* 
iu  fKarterenne  gab  ;  22ür$e  tes  ©altes  u.  f.  w.*j  3n  ter  ©eftalt  jeto*,  tie  feit  1524,  wo  tas  Sieb : 
iftta$.£eil  un$  fommen  I) er"  erfdn'en,  fo  allgemein  beliebt  wurte,  unt  fo  weit  tur*  ten 
ganjen  erangelif*=teurf*en  Üinbengefang  fi*  verbreitete,  finten  wir  fte  nur  feiten  im  SJtinnegefange,  wie 
im  trüberen  SSelfsgefange.  3n  jenem  erf*eint  ite  in  nur  trei  fallen";  unt  meift  in  einzelnen  Srreohen 
ter  gieter  allein  gan,  übereinfrimment  ausgeprägt.  3n  tiefem  gebort  ihr  unter  antem  tas  oon  SSespaftus 
rten  mir  fpäter  werten  fennen  lernen;  geiftli*  umgeti*tete  giet  an: 
,,%&>  SBinter  falr:c." 

fo  wie  tas"  giet:  ,,3ns  wiltpat  bin  ta  fteht  mein  Sinn,"  geiftli*  oeräntert  no*  vor  ter  jtir*enoerbeffe= 
rung  in  ein  Sittliet  an  tie  Jungfrau  SDJaria :  ,X  web  ter  jämmerli*en  iftotb."  9tur  ein  m  a  b,  l  riellei*t 
erf*eint  fie  im  alteren  geiftli*en  ©efange,  in  tem  giete:  ,,greu  ti*  tu  wertbe  ßhriftenbeit. "  ©ewi§  taber 
ift  es  jenes  erfigeta*te  giet  oen  tem  ©lauben  unt  ten  SBerfen,  tas,  einer  an  fi*  angenehmen  Singweife 
angepaßt,  ihr  fo  grojje  ©unft  erwarb.    Um  fo  häufiger  tagegen  femmt: 

ä)  tie  aebtj eilige  iambif*e Strophe  oer,  in  ter  a*t=unt  ftebenfplbige, männli*e  unt  weibliche 
Seilen  regelmäßig  mit  einanter  we*feln.  Sn  ihr  geti*tete  gieter  aller  2frt  bietet  un»  unfere  Sammlung  ; 
tem  Oäger=,  tem  Ü3ä*ter=,  tem  giebes=,  tem  .Klage*,  tem  Spertliete  fant  jene  3eit  fie  glei*  anpaffent, 
unt  fo  waltet  fte  tenn  au*  tort  oer  mit  entf*ietenem  Übergewi*te.  (js  tarf  taher  ni*t  befremten,  ta§ 
fte  im  et?angelif*en  Äir*engefange  halt  bäung  erübeint,  unt  mit  33eteurfamfat :  fo  gehört  ihr  tas  giet  an 
oon  ter  ©rbfünte,  einer  bei  ten  ^roteftanten  eigenthumli*  ausgebilteten  gehre: 

£>urd)  Itams  gall  ift  gan;  oerterbt ; 
fo  jenes'  antere  oon  ter  heiligen  S*rift  im  ©egenfa&e  ;u  ter  Überlieferung : 

£  £erre  ©ort,  tein  göttli*  23ort 

Oft  lang  oertunfelt  blieben ; 

fo  tie  beiten  gieter : 

SEer  ©ort  oertraut,  hat  wohl  gebaut, 

unt : 

23a3  mein  ©ort  will,  tas  gf*eb"  atl,eit; 
oon  tenen  tas  leßte,  wooon  fpäter  ju  reten  fepn  wirt,  einer  altfran,bfif*en  Stngweife  tiefes  Saaßes 
angepaßt  ift.    Tlux  glaube  man  ni*t,  ta§  tie  jefet  gebräuchliche  3Kelotie  jenes?  ,uerft  genannten  gietes  00m 
menf*li*en  SSerterben:  „Turch,  EtamS  gaU"  auf  tie  Singweifen  ter  von  gorjier  mitgetheilten 

*)   4>cfmann:  ©efebtite  beS  Jtir^enliebcS,  pa?.  23.  27.  2«.  29. 

,s)    ©.  Jagens  SRinncitngcr  2b.  I.  2.  197.  Site.  LH.    ,,3d)  tuon  mit  bifen  bingen  nidjt  :c"  ©benb. 

3.  335.  9tro.HI.  „Der  mepe  ift  fumen  gar  wunnefüdb.  iu"  3$.  III.  S.  443.  9iro.  XL VII.  „^ergangen  ift  ber  2Bin-- 
ter  fatr  it." 


  54   


Weber:  „9la<$  SBiUen  Dein,"  ober:  „SZBaä  wirb  e§  bod)  be§  SOBunberS  noch"  jurütfjuführen  fei,  auf  bie 
wir  in  einem  einzelnen  ju  Dürnberg  um  1334  ofjne  2lnjeige  be§  £crau3geber$  erfd)ienenen2tbbrude  beffelben 
bingewiefen  tmben.  @S  hat  eben  nur  ihre  ©trophe  au§  bem  aiolfägefonge  entlehnt,  bie  eS  unter  ben 
fpater  g«jUt$  umgebidtfetenj  gor(terfd)en  Stebern  mit  mehr  nod)  als  jwblf  anberen  theilt,  beren  ©ingweifen 
eben  fo  wenig  benen  jener  beiben  weltlichen  Sieber  gleiten,  aB  feinen  brei  eigenen  au§  ber  urfprünglid)en 
unb  verfemten  borifd)en,  unb  ber  phrpgifchen  Sonart,  mit  beren  jroet  e§  fdjon  um  1524,  unb  mit  einer  britten 
um  1035,  in  ber  erften  £älfte  beS  löten  3«f)rl)unbert§  auftritt,  unb  bie  un§  fpäter  befd}äftigen  werben. 
3cne  Surüdmeifung  auf  weltliche  SSeifen  ju  einer  Seit,  wo  unfer  Sieb  minbejtenS  beren  §n>  et,  u)m  eigene 
hatte,  beutet  nur  barauf,  baß  biefe  nid)t  allgemein  befriebigten,  baß  man  nad)  einer  bem  Inhalte  beö  SiebeS 
gemäßeren  verlangte,  baß  man  fte  in  jenen  ju  ft'nben  hofte.  2US  nun  batb  barauf  eine  SBeife  gefunben 
war,  bie  bem  äserlangen  genügte,  *>erfd)winben  bie  beiben  früheren,  geglichen,  allgemach,  unb  es>  ift  feine 
©pur  uorhanben,  baß  man  in  gciftlichen  Sieberbüchem  nod)  auf  jene  beiben  weltlichen  jurüdgegangen  fei. 
eine  anbere,  faum  minber  beliebte  gorm  ber  achtteiligen  ©tropfe  ifi  biejenige,  bie  fid?  in  regelmäßigem 
2Bed)fel  fiebern  unb  fcd)Sfi)lbiger,  weiblid)er  unb  männlicher  jambifd)er  Seilen  bewegt,  unb  bie  üornehmltd) 
Kit  bem  ^Beginne  be3  17ten  Saln'l)unbert§  eine  wette  Verbreitung  im  e»angelifd)en  j£ird)engefange  gefunben 
Iv.t.  3hr  gehört  bei  gorfter  ba»  fpäter,  mit  ^Beibehaltung  feiner  ©ingweife,  geiftltd)  umgebid)tete  Sieb  an : 
2ld)  ©ott,  wem  foll  icr/S  f lagen, 

unb  ein  jweite§ : 

(Snttaubt  ijt  un$  ber  SSBalbe  tc. 
beffen  ©ingweife  ba3  9Jlorgenlieb :  ,,3d)  banf  bir,  lieber  #erre"  entlehnt  hat. 

2lu3  biefen  jwei  formen  nun  entwideln  ftd)  leid)t,  burd)  einfaches  2tuSfd)eiben  einer  etnjigen 
Seile,  bie  jwei  betiebtejtcn  ber  ftebenjeiltgen  <Stropt)e.  SBirb  au§  ber  juerft  befchriebenen  bie  fechfie  Seile 
entfernt,  fo  tritt  in  bem  legten,  nun  breijeiligen '-ilbfa^e,  eine  oerboppelte  männliche  Seile  einer  weib= 
liehen  ©d)luß$eile  woran,  unb  ee>  erfd)eint  ba§  Sftaaß  bee>  geifilichen  SicbeS  :  „(SS  ijf  ba§  ^>eil  un§  fommen 
her,"  baö  aber  nod)  eine  anbere  Ableitung  au£  einem  längeren,  jufammengefe^teren  ©trophenbaue  gefiattet. 
di  ifi  ber  S3au  ber  alten  weltlichen  ©ingweife,  Jpcrjog  @rnftee>  £on  genannt;  er  ift  breijehnjeilig 
in  jroei  2lbfäfcen,  beren  erficr,  —  eine  »erboppcltc  £>reijaf)l,  —  au§  fed)§  Seilen  befiehl,  ber  jweite,  nad) 
einer  t>erboppelten  3wei=,  unb  einer  einfachen  Dreijahl  gegliebert,  aus>  beren  fteben.  2)iefer  jweite  2lbfa| 
(teilt  ben  £3au  unfereS  Siebeö  bar,  mit  ber  einzigen  Ausnahme,  baß  aud)  bie  le^te  Seile  eine  ad)tfi)lbige, 
männliche,  ift;  unb  feine  ©lieberung  nach  einem  boppelten  ©efefje  giebt  ihm  eine  ©clbftänbigfett,  bie  eine 
Trennung  von  bem  üorangehenben  tfbfafce  leicht  gefiattet.  ©d)eiben  wir  aus?  ber  nach  bem  SBechfel  fteben= 
unb  fed)6ft)lbiger  Seilen  georbneten  achtteiligen  Strophe  enbttd)  bie  fed)fte  Seile  auä  :  fo  bilbet  ftd)  in  ihrem 
^reiten,  nun  breijeiligen  'tfbfafce  eine  »erboppelte  weibliche,  unb  eine  männliche  ©d)lußjeilc,  wie  wir  fte  in 
bem  SDiaaße  be3  fdjon  1524  »orhanbenen  Äirchenliebeö  antreffen:  „£err  Ghrtji  ber  einig  ©Otts  ©ohn." 
SSeiberlei  gormen  ber  fiebenjeiligen  ©trophe  ftnb  baher  ben  befd)riebenen  ber  achtteiligen  nahe  »erwanbt ; 
bod)  fcheint  ihre  Gntwidlung  »or^ugöroeife  bem  Ahd)engefange  anzugehören.  Denn  bie  bei  gorfier  t)or= 
fommenben  gönnen  ber  ftebcnjeiligen  ©trophe,  wenn  fte  aud)  bie  S3ilbung  beö  er  fte n  3lbfafeeS  ber  befpro= 
chenen  beibehalten  —  ben  2Bed)fel  ad)t=  unb  fiebern,  fiebern  unb  fed)öfplbiger,  iambifcher  Seilen  —  gehalten 
bod)  ben  jweiten  2lbfal^  meift  auf  t>erfd)iebene  Tlrt;  entweber  fo,  baß  jebe  feiner  brei  Seilen  eine  anbere 
©plbenjahl  erhält  C8,  4,  7;  8,  9,  6;  8,  7,  0;;  ober  fo,  baß  bie  33erboppelung  nid)t  auf  bie  erften, 


fonbern  bie  legten  beiben  iBetlen  fallt  (8,  6,  6).  (Ein  einiges  5EJlaf>l,  fo  fiel  td)  finben  fonnte,  erfd)eint 
bie  ftebenjeitige  ©trophe  beS  SiebeS:  „£err  ßhrift  ber  einig  ©ottS  ©ofm"  bei  einem  weltlichen,  jener 
ßiebeSflage:  ,,3d)  hört  ein  grewlein  flogen,  fürwahr,  ein  weiblich  S3ilb  ic."  unb  mir  werben  fefjen ,  baß 
aud)  bie  melobifd)en  formen,  mit  benen  ft'e  erfcfyeint,  nicht  ol)ne  (Einfluß  gewefen  ftnb  auf  bie  33ilbung  ber 
©ingweife  jeneS  geijHid)en.   (Enblt'd)  merfen  wir 

6)  nod)  bie  neunj  eilige  ©trophe  an.  «Sie  fommt  in  jtt>tefad)er  ©eftalt  in  gorfterS 
Sammlung  oor.  2)a3  eine  9JZaf)l  nad)  je  jwei  unb  jroei  3eitert  georbnet,  einer  ad)tft)lbigen,  männ= 
liefen,  unb  einer  ftebenfwlbtgen,  weiblichen;  nur  bie  ftebente,  männliche  3eile  ift  üerboppelt,  unb  wte^ 
berholt  ftd)  baf>er  in  ber  »Orienten  achten.  £)iefe  gorm  erfd>etnt  in  unferer  Sammlung  in  ber  ©trophe  ber 
Sieber:  ,,3d)  armeS  SJZenblein  flog'  mid)  fefjr, "  unb:  „AuS  Inertem  2Bel)  flagt  ffd>  ein  £elb;"  fie  ift  für 
baS  ^Pfalmlteb:  „(ES  wollt'  unS  ©Ott  gendbig  fenn"  unb  baS  fpätere  ÄatechiSmuSlieb  :  „ßf^rijl  unfer  £err 
jum  fortan  fam"  angewenbet  worben,  bod)  ntd>t  ol)ne  einige  SSerdnberung.  Denn  in  bem  23aue  beiber 
geijrttd)en  Steber  ift  für  bie  erjien  ad)t  Seilen  ber  regelmäßige  2Bed)fet  t>on  ad)t=  unb  ftebenfylbigen,  einer 
männlichen  unb  weiblichen,  beibehalten,  unb  bie  neunte  erfdjctnt  als  eine  SSerboppelung  ber  achten;  als  eine 
nad)fd)lagenbe,  weibliche  Seile  alfo,  wie  ftd)  bieS  $umaf)l  in  ber  ©ingweife  beS  .Eated)iSmuSliebeS  f)eroor= 
hebt,  wo  fte  nad)  einem  »ollen  ©d)luffe  in  ber  ©runbtonart  (bem  £)orifd)en)  burd)  bie  »orangehenbe  achte 
3eile,  ftch  nach  ber  £>berquinte  (bem  'Üolifchen)  in  unregelmäßigem  @d)lußfalle.hinwenbet.  ^)ier  möge  einer 
entfernten  33ermutf)ung  gebadet  werben,  baß  bie  2Beife  „ßhrift  unfer  #err  jum  Zorbau  fam"  wohl  ber  beS 
ßiebeS  ,,2luS  fyextem  SBeh"  entlehnt  fer>rt  möge.  3n  bem  erjien  Steile  ber  ,,©etftlid)cn  ßteber  unb 
9)falmen"  ßeifentritS  (1567)  ftef)t  eine  getftlid)e  Umbtd)tung  beffelben:  „AuS  hartem  SBeh  flagt  menfd)lid) 
©fchlecht,"  für  welche  jwei  SSKelobieen  »orgefchrieben  ftnb,  beren  erjte  eben  bie  unferS  .SatechiSmuSliebeS, 
bie  jweite  eine  fonft  nicht  wieber  üorfommenbe,  auch  8an8  unt>olfSmäßige  ift.  (ES  fonnte  barauS  gefchloffen 
werben,  jene  erfte  fei  bie,  bem  umgebichteten  ßiebe  gewöhnlich  gewefene,  biefe  lefcte  ein  SSerfuch,  ber 
Umbichtung  eine  eigene  ju  geben.  25ie  t>on  ©tephan  girier  »ierftimmig  gefegte  freilich,  mit  Der  wir  bei 
gorfter  (III.  13.)  baS  umgebid)tete,  weltliche  finben,  ftimmt  feiner  Don  beiben  überein,  bod)  entfeheibet 
biefeS  nicht  unbebingt  gegen  unfere  SSermuthung,  ba  für  beliebte  Sieber  auch  wohl  jwei  SJJelobieen  oorfom= 
men.  ©päter,  in  £DrlanbuS  ßaffuS  „9ieuen  teutfehen  unb  franjöftfd)en  ©efängen  mit  fed)S  ©timmen, 
9Künd)en  1590, "  erfcheint  bie  Umbid)tung  mit  einer  anberen  SÄelobie  auS  ber  phrt)gifd)en  Sonart,  bte  auch 
nachher  wohl  nod)  ju  berfelben  in  fatholifd)en  ®efangbüd)ern  gefunben  wirb.  (ES  ftnb  biefeS  Xfyatfatym, 
bie  biäh«  ju  einem  bejiimmten  (Ergebniffe  über  Urfprung  unb  Hilter  unferer  ©ingweife  nod)  nid)t  geführt 
haben,  beren  Aufzeichnung  inbeß  nid)t  überflüfft'g  erfcheinen  fann  bei  ben  erheblichen  ©rünben,  bie  eine  fo 
bebeutfame  SEJMobie  für  ben  33olfSgefang  in  Ahfprud)  nehmen. 

(Sine  jweite  gorm  ber  neunjeiltgen  ©tropfje  enblid)  ijl  nad)  breimahl  brei  2lbfd^en  georbnet,  beren 
erjle  jwei,  einanber  übereinftimmenbe,  tt)ren  erften  Sheit  bilben,  bem  ftd)  bie  brei  Seilen  be3  legten  anfd)lie= 
ßen.  3m  erften  Steile  wechfeln  eine  ad)t=,  eine  t>ier=,  eine  ft'ebenfnlbige  iambifd)e  3eile  jweimal)l :  jwei 
ad)tfntbige  unb  eine  ftebenfplbige  reihen  ftd)  an  einanber  jum  jweiten  Steile.  2) od)  fann  biefer  le^te  aud) 
alö  funfjeilig  betrachtet  werben,  wenn  nämlich  feine  erften  beiben,  in  ber  SRitte  reimenben,  auch  burd)  bie 
©ingweife  bort  in  biefer  2lrt  abgefd)loffenen  Seilen,  als  einSoppelpaar  merfylbiger  Seilen  angefehen  werben, 
wo  wir  bann  eine  etfjeilige  ©tro^he  erhalten  jtatt  einer  neunjeiligen. 

^)ier  nun  bietet  unö  gorfter  ein  geij!liche§  unb  ein  weltliches  Sieb,  gleichen  Anfanges  „SSJiag  id) 


—  56   


Unglütfnit  n> i b e r fi a t) n,  jebeS  mit  einer  befonberen  ©ingmeife*;.  SaS  erfie  ift  baS,  gemeinhin  ber 
SDfaria,  Äontgin  »ort  Ungarn  unb  Böhmen,  ©cbmefier  ßarlS  beS  fünften,  jugefcbriebene;  mabrfcbeinlid) 
eine  geiftlicbe  Umbicfytung  beS  roeltltdjen,  baS  eine  J£lage  enthalt  über  baS  »erf  ehrte  SBeltmefen,  unb  bie 
geringe  dbre,  bie  ibm  beimobne.  SiefeS  voeltlidje  Sieb  erfdbeint  in  Submig  ©enfelS  t>ierjf immigem 
Xonfafee,  unb  jeigt  in  feiner  £enorfttmme  bie  noch,  je^t  gebräuchliche,  äolifdbe  ©ingmeife  beS  geiftlicben,  bie 
mir  aber  befyalb  allein  noch,  nid)t  biefem,  »on  Sutber  fo  Imch,  gefehlten  SEonmeifter  jufd)reiben  bürfen. 
£>aS  geiftlicbe  bagegen  ift  »on  ß  a  3  p  a  r  B  o  b  e  m  u  3  üterftimmig  gefegt,  unb  feine  ©ingmeife  (auS  ber 
berfefeten  ionifcben  SEonart)  b,at  mit  ber  jefet  üblichen  auch  ntd>t  bie  entferntere  'i£f>nltd)Cett.  GaSpar 
BobemuS  ijt  baber  jebenfallS  n  i  db  t,  mie  man  btSt)er  ohne  ©runb,  ja  ohne  alle  gorfcbung  behauptet,  ber 
Urbeber  biefer  legten,  mag  auch,  bie  urfyrünglicbe,  aber  mit  ber  weltlichen  balb  »ertaufebte  ©ingmeife  beS 
geiftlicben  ibm  angeboren. 

Siefe  bisher  betrachteten  formen  bcS  ©tropbertbaucS  fmb  aber  feincSmegS  bie  einzigen  in  unferer 
Sammlung  üorfommenben.  SBir  mähten  eben  nur  fie  be6f;alb  jum  ©egenfranbe  näberer  Prüfung,  weil 
mir  bie  BerübrungSpunfte  beä  geiftlid)en  unb  meltlidben  ©efangeS  ju  jeigen  unternahmen,  unb  baber  nur 
bei  ben  formen  »ermeilen  burften,  bie  unS  bergleidben  gemäbren.  ©owiel  minbeftenS  ernennen  mir  auS 
ihrer  genaueren  Betrachtung,  baf?  mit  ben  ©tropfen  beS  SßolfSgefangeS  eine  größere  SKanntcbfaltigfett  beS 
rbptbmifAen  Baues  bem  ecangelifchen  Äirchengefange  ju  Sbetl  mürbe,  als  ihm  bie  beS  alten  lateintfdbert 
ju  gemdbren  »ermoebten.  33on  fiebert  £r;mnen ,  beren  9Jlelobieen  auS  biefem  berübergenommen  mürben, 
baben  fccbS,  eben  bie  noch  unter  unS  fortlebenben,  ein  gleichet  9Kaaf?,  baS  oierjeilige,  iambtfcb= 
arcbtlocbtfcfac;  ber  fiebente,  in  einem  anbern  9JZaaf?e  gebichtete,  ift  auS  unferem  Äirchengefange  feit  bem 
Beginne  beS  17ten  3abrhunkert3  »erfchmunben.  £>en  in  ungebunbener  9?ebe  »erfaßten  ©equenjen  mangelt 
eben  be§balb  ein  recht  belebenber  rb\>tbmifcber  gortfehritt :  baf?  eine  oon  ihnen  (Grates  nunc  omnes)  unter 
treuer  Beibehaltung  ihrer  ©ingmeife,  bennoch  in  biefem  ©inne  lebenbig  auSgeftaltet  mürbe,  ift  ein  SSerbienft 
beS  fpdteren,  fein  Sieb  in  ihre  SEbne  bineinbilbenben  Dichterg,  SKicbael  2Beif?,  nicht  ein  ihr  urfprünglicb, 
beimobnenber  SSorjug.  Sie  fpdteren  tateinifeben  Äirchcnlicber  lehnen  ftdb  bereits  an  ben  SSolf'Sgefang, 
tonnen  alfo  t)'m  nicht  in  Betracht  fommen.  2lber  aud)  ber  ©efang,  ber  ftdb  in  biefen  mannichfaltigeren 
9Jlaaf?en  bemegte,  hatte,  oon  bem  ©tanbpunfte  beS  SEonfunftlcrS  angefehen,  innerhalb  feines  im  '#Ugemei= 
nen  nach  ihnen  georbneten  BaueS,  eine  etgentbumltcbe  rbtjtbmifdje  2tu3geftaltung,  bie  ihn  »on  bem  alten 
geiftlicben  erheblich  unterfebetbet.  @3  ift  hier  nicht  ber  £)rt  ju  unterfudjen,  ob  bie  ©ingmeifen  beS  alten, 
latctntfdjcn  JtircbengefangeS  urfprungtieb  manntchfacher,  rl)t;tbmifd)er  ©lieberung  ftdb  erfreuten :  genug,  baß 
mit  bem  Anfange  beS  löten  3abrbunbert3  eine  foldbe  bei  ihrem  Vortrage  nicht  ferner  hervortrat.  3n  mic 
meit  fie  ben  ©ingmeifen  ber  feit  bem  12ten  Sabrbunberte  bis  ju  bem  genannten  Seitpunfte  nach,  unb  nach 
neben  bem  lateinifcben  Äird)engefange  entftanbenen  beutfdben  geiftlichen  Sieber  beijumeffen  fei,  ift 
eine  Jrage,  bie  unS  an  ihrem  £rte  befchdftigen  mirb.  ^ebenfalls  aber  jeigt  ftdb  in  ihnen  niebt,  maS  mir 
jefct  alö  ein,  ben  SSolfSmeifen  (Sigentbümlicbeä  bezeichnen:  ein  Söechfel  beS  ©emid)tS,  fofern  eS 
burd)  baS  angenommene  SUiaaf3  bebingt  mirb.  Siefen  treffen  mir  jumeift  in  allen  ©ingmeifen  roeltlicber 
Steber,  nur  menige  ausgenommen.  SaS  SORaaß,  im  'ifllgemeinen  betrachtet,  erfahrt  babei  feine  tfnberung, 
benn  bie  3eitbauer  feines  einzelnen  SonjeichenS,  alfo  auch  nicht  ihre  »erbdltnifjmdfHg  längere  ober  fürjere, 


')   [.  51.    L  102. 


  57   


in  itjren  gegenfettigen  Beziehungen  ber  tfbftufung ,  ift  irgenb  eine  wechfelnbe.  D er  2Bed) fei  wirb  allein 
in  bem  ©ewich  te  wahrgenommen;  in  ber  bureb,  2luf=  unb  9cieberfd)lag  bebingten  ©lieberung  be§  ©efan= 
ge§,  bie  nun  balb  nach  brei,  balb  nach  jwei  ober  uier  feilen  geregelt  wirb,  ohne  eine  biefergormen  bauernb 
feftjuhalten.  3n  einer  früheren  2tt>hanblung  über  bie  Sffwthmif  ber  alten  Sonmeifter,  einem  S£f)eile  eines 
größeren  SBerfeS,  ifl  von  biefer  Gngenthümlichfeit  alter  weltlicher  ©efänge  fdwn  bie  9vebe  gemefen;  eS  bürfte 
inbef?  nicht  überflüfftg  fenn,  ba  wir  Ärmlich,  e3  in  neueren  Sonwerfen  gar  nicht,  ober  feiten  nur  ft'nben, 
biefe  ©rfd)einung  felbft  aber  für  ben  ©egenftanb  unferer  Darftellung  oon  SBichtigfeit  ift,  nod)  einiget  bar= 
über  anjumerfen,  unb  babei  beflimmten,  erläuternben  33eif»ielen  ftd)  anschließen. 

3m  Allgemeinen  bürfen  mir  rechnen,  ba§  gorfterS  Sammlung  etwa  nur  jum  britten  Steile 
folche  ©ingweifen  enthalte,  in  benen  biefe  §igent[;ümlid)feit  nicht  l)er»ortritt,  unb  bie  einer  befiimmten, 
burchhin  ftch  gleichbleibenben  gorm  beS  &afte3 ,  bem  geraben  ober  ungeraben,  ftd)  anfd)lief?en.  Dod)  ftnb 
unter  biefem  einen  Drittel  roieberum  foldje  9JJeIobieen  enthalten,  in  benen  bie  gleichförmige  Bewegung 
bureb  erweiterte  9flmtf)men  unterbrochen  wirb,  wie  e3  jumabl  in  ben  ©efdngen  gefdjtefjt ,  bei  benen  ber 
ungerabe  Saft  oorwaltet;  unb  e3  !ommen  unter  ben  anberen  jwei  Dritteln  aud)  folebe  SBeifen  t>or, 
bie  nach  einem  rfwtbmifcben  SBecbfel,  wie  mir  ihn  befebrieben,  juleljt  ben  ungeraben  £aft  al§  fefte  gorm 
bauernb  ergreifen.  S3on  biefen  tfuSnabmen  fet>en  mir  ab,  unb  mahlen  au3  ben  erften  jwei  ^fjetlen  unferer 
©ammlung,  bie  vorauSfefclich  bie  älteften  SSKelobieen  enthalten,  beren  jwei,  auö  jebem  S£t)etle  eine,  um 
biefe  (Sigentbümlicbfeit  in  ihrer  ungetrübten  (Srfcbeinung  baran  ju  prüfen,  bie  in  ber  einen  biefer  95Zelobieen 
mit  größerer  SJegelmäßigfeit,  in  ber  anberen  willrubrlicber,  anfebeinenb  regellofer,  aber  boeb  einem 
inneren,  obwohl  verborgenen  ©efefce  gehorchenb,  f>ert>ortritt. 

Die  erfie  nimmt  bie  fieben  unb  funfjigfte  ©teile  im  jweiten  £beile  ein:  ihr  Sieb  ift  ba§  eine§  lodern 
©efellen,  ber  feiner  Sr>abe  auf  ben  Boben  gelangt  ifl: 

2Bo  follich  mich  tjirtf eljren, 

Sd)  armeä  Brüberlein ! 

SBiefollicbmicberneren, 

9J2ein  ©ut  ifl  viel  ju  flein. 

2Cl§  ich  ei"  3Befen  ban 

©o  muß  ich  balb  baüon, 

2Ba3  id)  J)eut  folt  t>er5ef>ren, 

Da3  bab'  ich  fert»  »erthan ! 
Der  Bau  feiner  (Strothe  ift  achtteilig,  iambifch;  fieben  unb  fecbS  ©nlben  wechfeln  in  ber  erften 
unb  jwetten  Seite ,  beren  Betonung  in  ber  britten  unb  vierten,  von  gleichem  9Jlaaße  unb  berfetben  ©nlben= 
jahl,  wieberfehrt:  bie  fünfte  unb  fechfte  Seile  ftnb  beibe  fecbSfnlbtge,  männliche,  unb  bie  legten  beiben 
wieberholen  ben  anfänglichen  SBecbfel  einer  weiblichen  unb  männlichen  (Snbung.  Diefem  ©troßbenbaue 
fcbließt  ber  Sfbnthmuä  ber  Betonung  auf  ba3  ©enauefle  ftd?  an;  er  tjebt  ihn  baburch  hervor,  ba$  bie 
weiblichen  Seilen  allejeit  bem  geraben,  bie  männlichen  bem  ungeraben  Safte  angehören: 


I  Ii 


SBo   foll    id)   mtd)    t)in  ;  fe    ren     id)      ax  ;  mti      SSrtisber  s  lein 
SBic  foll    ich    m'4)    er  :  nc  =  ren     mein   ©ut    ift      oiel  ju  ftein 
SEBtnterfclt,  ber  tuangel.  (S^oratgefang.  8 


  58   


v  vi 


idj     ein      SSSe : fen      fjan      fo      muf    id)     balb    ba   =  »on    mag     id)   fjeut   foll   oer  = 

vn  viii 


je  «  ren    bos    l)ab   id)      ferb   mt  =  tan. 


SMefer  2Bed)fel  bringt  inbefj  feine  ftbrenbe  Sfüdung  l)er»or;  benn  bie  jwei  'tfrten  oon  S^onjetdjen, 
t*ie  in  unferer  ©ingweife  »orfommen,  bleiben  burd)  ben  ganzen  Sauf  berfelben  in  xfjrer  3ettbauer  unb  ifyren 
gegenfeitigen  SSer^altntffen  einanber  oblltg  gleid).  2lud)  bient  bie  bei  ber  ^uf^eicbnung  gewallte  ^bttjeilung 
ber  Sonfcbvift  nur  baju,  bie  "Kxt  beutlid)  ju  machen,  wie  bie  SJMobie,  burd)  ben  ©dnger  vorgetragen, 
bem  £>f)re  eineS  jeben  #brer3  ftd)  barfjellen  wirb;  unb  jener,  aud)  wenn  bei  ber  £onfd)rift  bie  ttnwenbung 
gl  ei  d>  er  SEaftabtbeilung  ju83crbcutlid)ung  be§  SJlaafjeS  »orgejogen  werben  follte,  wirb  bennod)  ftetS  ftd) 
gebrungen  füllen,  ba3  ©  ewid)t  in  jeber  einzelnen  Seile  fo  ju  legen,  wie  e3  juoor  gefd)el)en  ift. 

©o  überftd)tltd)  ber  rf)r;tl)mifd)e  S3au  ber  eben  betrachteten  SSKelobie  ftd)  un£  barlegt,  um  fo 
fd)werer  fd)eint  bei  bem  erften'tfnblide  ba3  ©efefj  ju  entbecfen,  burd)  weld)e§  bie  jweite,  bie  wir  nunmehr 
prüfen,  geregelt  wirb,  ©ie  ift  bie  ein  unb  fecbjigfte  be§  erflen  SEbeilö  in  gorfierS  ©ammlung :  if)r  Sieb 
enthält  eine  ßiebeSflage : 

Entlaubt  ift  unö  ber  SBalbe 

3n  biefem  Sßinter  falt, 

^Beraubet  wirb  id)  balbe, 

SCßein  £ieb  bae>  mad)t  mid)  alt ! 

£>a$  id)  bie  ©d)6n'  muf?  meiben, 

2)ie  mir  gefallen  tfjut, 

S5ringt  mir  man'gfaltig  Reiben, 

SJiadjt  mir  ein'  fd)weren  Wluti). 
©eit  1545*)  (in  S3alentin  SSapfiö  ©efangbud)e)  ft'nben  wir  fte,  ganj  unoerdnbert,  auf  ein  9ftor= 
genlieb  übertragen,  baö  man  bem  Sodann  ÄofjlroS  jujufdjreiben  pflegt,  t»on  beffen  Sebenäumftänben  wir 
©enauereS  nid)t  wiffen : 

3d)  banf  bir  lieber  £erre, 
£)afi  bu  mid)  f>aft  bewahrt, 
Sn  biefer  9cad)t  geferbe, 
£)arin  id)  lag  fo  fyaxt 
SDftt  ginfternifi  umfangen 
2)aju  in  großer  5Rotl> 
S)arauö  id)  bin  entgangen, 
£atfft  bu  mir  £erre  ©Ott!  **) 

•)  3n  SRieberetS  2Cbf)anblung  »on  @infüf)rung  beS  teutfdjen  ©efangeö  ift  §.  33.  (©.  358.  259.)  angemerft,  ba? 
ba6  SHorgentieb :  ,,3d)  banf  blt  lieber  £erre"  mit  £inroeifung  auf  bie  angegebene  rceltlidje  2Beife  bereits  (jmifdjen 
1528—  1538.)  $u  Dürnberg  bei  Äunigunb  £ergottin  mit  3  anberen  cinjcln  gebructt  gcroefen. 

")  0.  baö  SBeifpiet  137. 


£>a§  9Jiaaß  ber  ©tropfe  t>e§  ßtebeS  ift  iambifcb,  acbtjeilig,  in  regelmäßigem  2Bed)fe(  einer  weib= 
liefen,  fieben=,  einer  männlichen  fed)3fnlbigen  3eile:  mir  betrachteten  e§  fd)on  jur>or  bei  Prüfung  ber  auf 
getftlid)e  Steber  übertragenen  Sölaaße  in  gorfterS  Sammlung.  Um  nun  ba§  33erf)ältniß  ber  ©ingweife  ju 
biefem  Sttaaße  recht  ju  erfennen,  erfdjeint  e§  am  jwcdmäßigficn,  bie  erften  üier  ßeilen,  bie  ihren  erften 
"Kbfafc  bitben,  als  jwei  £>oppeljeitcn  ju  betrachten,  unb  fo  aud)  bie  »ier  Seilen  beS  zweiten  SbeilS;  febon  bie 
Betonung  forbert  baju  auf,  »eil,  ben  ©d;luß  einer  jeben  biefer  Doppeljeilen  ausgenommen,  bem  ©efange 
fein  Svubcpunft  gewährt  ift.  ©o  angefcl)en,  gliebert  ft'd?  unS  bie  erfte  Soppeljeile  (nach  einem  Huftafte)  in 
jwei  »/a  Safte,  benen  ein  erweiterter  9?f)»tf)muS  (%)  fich  anfcblteßt,  worauf  nach  abermaligen  jmei  3/2  £af= 
ten  ein  ©ebluß  in  gerabem  Safte  folgt;  eben  fo  bie  gleich  betonte,  jweite  iDoppeljetle.  Sn  ungleicher  rfjptt)= 
mifcher  ©lieberung  unb  Betonung  bagegen  jetgen  ftd>  bie  beiben  Soppeljetlen  beS  ^weiten  SbeileS.  3n  ber 
erften  junädjft  brei  32,  bann  eben  fov-iel  gerabe  Safte  —  benn  fo,  obwohl  gegen  baS  @nbe  frmfopttfeb, 
muffen  fie  unS  erfebetnen;  ber  Saft,  in  welchem  bie  ©d)lußnote  biefer  Seile  unb  ber  Huftaft  ber  folgenben 
enthalten  ift,  muf3  als  beiben  gemeinfehaftlich  gelten.  3n  biefem  ©inn  nun  tritt  unS  in  biefer  nach  5wei 
geraben  (42)  Saften  abermals  ein  erweiterter  9?b»)tbmu§  (•%)  entgegen;  il)m  folgen  jwei  3/2  Safte,  unb 
biefen,  ben  ©chlufjton  eingefchloffen,  jwei  gerabe.  ^ur  bei  einer  ©lieberung  wie  bie  befchriebene,  wirb 
auch  eine  jebe  ©nlbe  beS  2iebeS  fprad)  =  unb  fmngemäß  betont  erfd)einen,  unb  einem  jeben  ©änger  wirb  eS 
unmöglich  fallen  ofme  Begleitung  baS  ©anje  als  eine  Sfeihe  fynfoptifcber  Safte  in  gerabem  SDiaaße  barju= 
ftellen:  ein  jeber  £brer  vielmehr  wirb  eS  fo  auffaffen  wie  eS  juuor  befchrieben,  unb  hier  aufgezeichnet  ift: 


(Snt  * 
S5e 

laubt  ift 
tau  »  bet 

uns  bet 
roirt  id) 

SBat  =  be  gen 
bat  s  be  mein 

bie  5  fem    2Bin          :          ter  falt 
Sieb'  bas  madjt                  mich  alt 

:_0_-  d- 

:  -£-f- 

:_Q__£crp_:; 

£>afj  id)  bie 
T  ■>          -o — Q- 

©djön'  muf 
p|  O 

mei 

i-i    '-'  -  — < 

ben  bie 

mir    ge  =  fal         -         len      tf)ut  bringt 

mir  man'gfal  :  tig   2ei  i  ben  mndjt  mir   ein'   fd)toe  i  ren  9Kutl). 


£>aS  $inaufftreben  in  ben  erften  beiben  £)oppel$eilen,  unb  in  ber  vierten,  bort 
au3  ungerabem,  enger  geglieberten  Safte,  hier  auS  gerabem,  in  einen  erweiterten  breh 
theiligen;  baS  Abfallen  in  beiben,  auS  gleicher  ©lieberung  wie  bie  im  Beginne  ber  SKelobie,  in 
ben  geraben  Saft;  in  ber  britten  2)oppeljcilc  aber,  in  ihren  jwei,  ben  3eilen  beS  ßiebeS  ft'd)  anfd)lie= 
ßenben  Hbthetlungen,  ber  ©egenfafc  beS  ungeraben  in  ber  erften,  beS  geraben  in  ber  ^weiten; 
alles  biefeS  läßt  uns  erfennen,  baß  baS  ©ewicht,  bie  ©eele  aller  rhwtbmtfcben  ©lieberung,  auch  hier  einem, 
wenn  auch  verborgenen  ©efe^e  gehordje,  baS  man  aber  in  ben  neueren  Umbilbungen  biefer  ©ingweife, 
welche  fie  ganj  auf  geraben  Saft  jurütffübrenb ,  bie  urfcrüngltcben  33erf)ältniffe  ihrer  Sonjeichen  aufheben, 
nicht  ferner  wahrnehmen  wirb. 

2Bie  biefe  Befonberheit  ber  Sonweifen  beS  S3olfSgefangeS  übertragen  worben  fei  auf  ben  neuen, 
wolfSmäßigen  Äirchengefang ,  unb  bort  eine  eigenthümltche  HuSgcftaltung  erfahren  habe,  werben  wir  ju 
feiner  Seit  näher  betrachten.  (Srfcbjen  unä  nun  bie  33olfSmeife  oon  ©eiten  if)reS  bichterifchen,  ihreS  ton= 
f ünftlerifchcn  9cht)thmuä  für  biefen  neuen  Äirchengefang  als  baS  Bereichernbe,  ©eftaltenbe;  fo  fr'nben  wir  von 


  60  

einem  anberen  ©eftchtSpunfte  f)er  ben  um  ba§  äeitalter  ber  £irchent>erbefferung ,  —  wenn  nicht  über= 
baupt,  —  rhntbmifcb,  fo  mel  ärmeren,  alten,  lateinifchen  Äirchengefang  voieberum  als  bas>  SSelebenbe, 
Scgeijtigcnbe.  @r  war  e§  von  Seiten  ber  Ä  l  a  n  g  » e  r  h  ä  1 1  n  i  f  f  e ,  unb  ihrer  mannigfachen,  in  ben  T  o  n- 
arten  erfd)einenben  Srbnungen.  Unterwerfen  mir  in  biefer  SBejiermng  bie  bei  gorfter  gefammelten  ©ing= 
weifen  einer  genauen  Prüfung;  fo  fann  ba3  bebeutenbe  Übergewicht  ber  harten  Tonart  in  benfelben  uns 
nicht  entgegen,  unb  namentlich  berjenigen,  bie  unferen  £>urtonen  am  nächsten  fteht,  ber  ionif  chen. 
Unter  380  Siebweifen,  welche  gorjterö  ©ammltmg  enthält,  gehören  243  einer  harten  Tonart  an,  unb 
üon  ihnen  wieberum  38  ber  ionifchen  in  ihrer  urfprünglichen  ©eftalt  (mit  bem  ©runbtone  C)  unb  139  ber 
oerfe^ten  Tonart  biefe§  9camens>,  mit  bem  ©runbtone  F,  unb  ber  »ierten  ©tufe  vorgejeichnetem  b.  2)ie 
übrigen  66  würben  wir,  ben  ©runbtbnen  jufolge,  ber  mtrolnbifchen  §orm  beirechnen  müffen:  ihrer  45 
beruhen  auf  G,  bem  urfprünglichen  ©runbtone  biefer  Tonart,  bie  übrigen  21  auf  C,  ihrem  üerfefcten,  mit 
tfnwenbung  einee>  b  für  bie  ftebente  Tonftufe.  Mein  bie  ©igenthümlichfeit  be3  SERirolnbifchen  als»  jtircf)en= 
tonart  wirb  man,  rein  melobifch  betrachtet,  in  ihnen  faum  wieberftnben ,  wie  fte  auch  nicht  erwartet 
werben  burfte.  ÜJlit  feltenen  Ausnahmen  wirb  man  ferner  bie  große  Terj  (wie  fchon  in  ben  fpäteren 
lateinifchen  Äirchengefängen)  fyer,  auch  melobifch ,  mit  großer  ffiejtimmtheit  hervorgehoben  finben.  ©ehr 
häufig  finb  bie  gälle,  wo  fte  ba§  erjte  Tonoerhältniß  ift,  ba£  ber  Fortgang  ber  SKelobie  barjtellt;  tritt  fte 
nicht  gleich  Anfangs  unmittelbar  hervor,  fo  wirb  fte  boch  in  fchrittweifem  2ütfjieigen  von  bem  ©runbtone 
au§  berührt,  unb  ber  ©efang  verweilt  auf  ihr,  ober  bilbet  mit  ihr  einen  2Ibfchnitt,  fo  baß  ihr  S3erhältnifj 
ju  bem  ©runbtone  auf  baä  Äenntlichfte  hervortritt.  Ober  ber  ©efang  beginnt  mit  bem  Tone,  bem,  feiner 
33e$ief)ung  ju  bem  ©runbtone  jufolge,  ber  Stame  ber  großen  Terj  beigelegt  wirb,  wenn  er  auch  ba, 
wo  er  ftch,  jeigt,  btefes»  SSerhältniß  nicht  unmittelbar  barjtellt;  überfprungen  finben  wir  fte  niemals,  wie  in 
ben  ©efangweifen  ber  Jpwmnen  fo  oft  geflieht.  2Mefe  ©rfcheinung,  für  ftch  genommen,  beruht  freilich 
ber  nothwenbigen  (Sntwicfelung  eines  ©efe^eS  ber  SDlelobiebilbung,  ba3  früheren  nur  unvollfommen  jur 
2tnfchauung  gelangte;  fte  ijt  in  fofern  ein  Sortfehritt,  ber  jebod),  ba  er  nur  eine  gorm  ber  harten  Tonart 
faft  auöfchließenb  hervorbringt,  als?  einfeitiger  ftch  barjtellt.  £>ie  mannigfachere  ©eflaltung  ber 
harten  SEonart  unb  jumahl  in  ihren  SKobulationSoerhältniffen ,  wie  biefelben  auf  bem  Greife  ber  Äir= 
chentone  beruhen,  war  e$  nun,  wa§  ber  alte  Äirchengefang  bem  neueren,  au§  ber  SSolfäweife  jum  großen 
Theile  hervorgebilbeten,  innerlich  bereichernb,  h'njubrachte.  ßben  fo  »erhält  eS  ftch  ober  auch  in  9?ücfftd>t 
ber  weichen  Tonart.  Unter  ben  137  ©ingweifen  unferer  ©ammlung,  bei  benen  bie  t' leine  Terj  vor= 
herrfcht,  ijt  ber  phrngifche,  fo  wohl  urfprüngliche  alS  verfemte  Tonumfang,  ber  auf  E,  oberA,  mit 
einem  ber  jweiten  ©tufe  vorgejetchnetem  b  beruht,  ber  feltenjie:  jenen  finben  wir  nur  neun=,  biefen  nur 
ftebenmahl,  ja  felbjt  ben  urfprünglid)  borifchen,  mit  bem  ©runbtone  D  o  1)  n  e  SSorjeichnung ,  nur  $ehn= 
mahl.  114  ©ingweifen  gehören  htenacb,  tf>et[g  bem  äolifchen,  theilS  bem  tjerfe^ten  borifchen  Tonum- 
fänge (G  mit  b  t>or  ber  britten  ©tufe)  an,  unb  beibe  werben  wir  jumeift  unferen  weichen  Tonarten  über= 
-  einftimmenb  behanbelt  finben.  ©onach  ijt,  bie  Tonart  betreffend  ein  wefentlicher  Unterfchieb  erfennbar  jwi= 
fchen  biefen,  vorauSfe^licb,  in  bem  S3olfe  entjianbenen  unb  gepflegten  Tonweifen,  —  bie  von  ben  SJiuftfern, 
welche  fte  mit  vier=  unb  fünfjtimmigem  Tonfafee  in  bie  Äunji  einführten,  nur  gewählt,  nicht  gefch äffen 
würben,  —  unb  jenen  alten,  auö  bem  lateinifchen  Äird)engefange  entlehnten ;  mannigfaltiger  bewegt  5ei= 
gen  fid)  unS  bie  edlen,  an  &langverf)ältniffen  reicher  bie  lefjten.  2lu$  ber  lebenbigen  SSerfchmeljung  beibet 
erhob  fich  um  bie  erjte  £älfte  be3  löten  Sahrhunbertö  ber  neue,  volfömäßige  Äirchengefang  ber  @»angeli= 


  61   


fcben,  unb  feine  beiben,  in  ihm  organifch  vereinigten  83eftanbtbeile  erfd)einen  für  biefe  neu  beroorgebtlbete 
§orm  in  gleichem  üftaaße  gebenb  unb  empfangenb. 

greilicb  wirb  Denen,  bie  bisher  nicht  ©elegenbeit  bitten,  ben  <5r)oratgefang  in  feiner  SBlütbejeit, 
um  bie  lefjte  .ipälfte  beS  löten,  unb  bie  erften  beiben  ^abrjebenbe  beS  17ten  ^abrbunbertS ,  aue>  eigener 
'tfnfcbauung  fennen  5U  lernen,  eine  fotcbe  ^Behauptung  gewagt  erfcbcinen,  unb  zweifelhaft.  £)enn  biefe 
beiben  SBeflanbtbeile,  bie  wir  als  organifch  in  ibm  vereinigt  nannten,  wirb  er  in  bem  tyoxak  unferer  Sage, 
ja,  aud)  beS  »ergangenen  3abrbunbertS,  über  baS  bie  Jtenntniffe  gewöhnlicher  SDZuftffunbtger  feiten  tjtn= 
ausreichen,  allerbingS  nicht  wahrnehmen,  ©in,  üielleicfyt  woblgeft'nnter,  gewiß  aber  einfeitiger  Eifer  bat 
ibre  ©euren  faft  gänjlicb.  oertilgt,  inbem  er  S3eralteteS  ju  befettigen,  Unziemliches  ju  entfernen  trachtete. 
3u  jenem  geborten  ibm  bie  Äircbentbne ;  wie  er  fte  zu  »erfteben  glaubte,  eine,  auf  »erlebtem  Jperfommen 
berubenbe,  rciUfübrltcfoe  SSefcbränfung  metobifeber  2£uSgejtaltung,  banrtonifeber  Entfaltung:  z"  biefem, 
bie,  einem  jrrengen  ©leicbmaaße  niebt  unterjuorbnenbe,  bem  fircblicben  Ernfle  angeblich  wtberfrrebenbe, 
rbptbmifcbe  9J2annicbfaltigfeit.  ©0  ift  eS  gefommen,  baß  unfer  Eboralgefang  nicht  bie  belebenben  S5e= 
fknbtbeile  beS  früheren  mehr  in  inniger  ^Bereinigung  zeigt,  fonbem  baß  mir,  im  ©egentbeile,  bie  mangel-- 
bafte  Seite  ber  beiben  JCunftgebtete  in  ibm  antreffen ,  auS  benen  er  fieb  bilbete :  bie  rfepthmifche  £>ürftigf  eit 
beS  alten  lateinifeben  JUrcbengefangeS,  bie  befchränfte  3weibeit  ber  melobifcb  =  barmonifchen  ©runbformen 
beS  SSolfSgefangeS.  ©oll  nun  bie  SSerbinbung  bief  er  SSetben  ju  feiner  gegenwärtigen  ©ejklt  bie  bocbjte 
©rufe  barftellen,  bie  er  erftiegen  t)at,  fo  wirb  man  freilich,  feine  Erfcbetnung  gegen  baS  Enbe  beS  16ten 
SabrbunbertS  folgerecht  als  einen  ÜbergangSpunft  bezeichnen  müffen,  in  roelcbem  nur  ein  trübes  ©emifcb 
wiberftrebenber  SSeftanbtbeile  ju  er!ennen  fei.  tiefer  Anficht  entgegenzutreten ,  beren  gehalten  jebe  4pof= 
nung  eines  befferen  3uftanbeS  »erniebten  müßte,  ben  man  gewiß  überall  herbeizuführen  ftrebt,  ift  ein 
4?aupt$iel  ber  gegenwärtigen  £>arfteUung.  Stimmer  roirb  man  ju  beffern  vermögen,  fo  lange  man  niebt 
weiß,  roie  baSjenige  rourbe,  was  man  ju  beffern  trachtet,  fo  lange  man  niebt  auS  feinem  3Tuffeimen, 
SBacbfen,  Entfalten,  SBlüben,  ben  innerften  ffiebtngungen  feines  SBefenS  gemäß,  bie  bem  aufmerffamen, 
geöfneten  2£uge,  ft'cber,  unjroeibeutig,  barin  ftcb  barfteEen,  erfannt  bat,  roiefern  eS  bureb  ftorenbe,  trübenbe 
äußere  Einflüffe  an  bem  rechten  naturgemäßen  ©ebeiben  gebinbert  rourbe,  ob  eS  noeb  frifebe  SebenSfraft 
in  ftch  trage,  ober  enblid)  nur  baS  mwermeiblicbe  ©cbicffal  alles  3rbifcben  erfahren  fcabe  in  feinem  4?inwel= 
fen;  ob  eS  baber  ju  betten,  ob  eS  aufzugeben  fei.  £>bne  eine  folcbe  Jtunbe  werben  aueb  bie  fcbarffinnigjten 
S3erecbnungen  beS  33erftanbeS  nur  trübe  £trngefpinnfte  bleiben,  gefährliche,  »erberblicbe  Seiter  auf  bem 
SBege,  ben  man,  auch  mit  bem  heften  SBiUen  unb  ber  reinften  ©efmnung,  einfehlägt. 

Äann  nun  biefer  2Beg  ber  Teilung  nicht  angetreten  werben,  fo  lange  man  nicht  bie  SSebingungen 
fennt,  unter  benen  baS  ju  4?eilenbe  feine  innere  Scatur  ju  gefunber  Entwicklung  jeitigte,  unb  um  bie 
Urfa<ben  weiß,  bie  eS  einer  »erberbltcben  Äranfbeit  unterwarfen;  fo  ift  anbrerfeitS  auch  nicht  bü  »ergeffen, 
baß  man  ein  ßebenbeS  ju  behanbeln  b,at,  baS  unter  gewaltfamer,  rücfftcbtSlofer  Aufregung  wiberftrebem 
ber  .Kräfte  leicht  untergehen  fann.  9Jian  wirb  ber  ©cbwäcbe  zu  fchonen,  man  wirb  bie  .Kräfte,  an  bie  baS 
gefunbenbe  ßeben  ftd>  lehnen,  auf  bie  eS  ftch  grünben  foll,  allgemach  P  erweefen,  ju  ftärfen,  ju  befefiigen 
haben,  wenn  man  einen  gebeiblicben  3ufianb  herbeiführen  will.  SEBenn  ber  SSerfaffer  biefer  S5lätter  baber 
mit  aller  Offenheit  alä  ©egner  einer  beftehenben  Anficht  ftch  funbgab ,  bie  er  wirffam  ju  befämpfen  trachtet, 
wenn  er  mit  ttoller  Überjeugung  eingefteht,  baß  er  ben  gegenwärtigen  3uflanb  be§  Äirdbengefangeä  für  einen 
franfbaften,  ber  Teilung  bebürftigen  halte,  unb  fonacb  ebenfalls  auf  bie  ©eite  25erer  ftch  flellt,  bie  einen 


  62   


befferert  bcrbeiwünfcbcn 5  fo  will  er  bicfen  freilich,  nicht  auf  ihrem  SBege  herbeiführen,  aber  gewiß lieb 
aud>  nicbt  auf  bem  einer  gewaltfamen  Umwälzung  unb  9lid)tad)tung  beS  ©egenwärtigen,  wobureb,  nur  bie 
foetllofejte  äSmoirrung  herbeigeführt  werben  fbnnre.  dx  will  beiben,  wefentlid)en  SSefianbtbeiten  beS  evan= 
gelifeben  ÄircbcngcfangeS  bei  feiner  ©rneuung  ihr  verfannteS  unb  »erlebtes  Siecht  wieberum  fiebern,  aber 
junädjft  auf  bem  2Bege  grünbltd)er  gorfebung,  neubelebter  Anfcbauung,  barauf  gegrünbeter  ^Belehrung, 
unb  tiefen  wirb  er  im  gortgange  feiner  £>arftellung  unermübet  »erfolgen.  9hm  üerr)cr)ft  er  ftch,  aber  reineS= 
wegeS,  baß  feinen  SorauSfcfjungen  nicht  unerhebliche  Sweifel  entgegengefeljt  werben  fbnnen.  9Kan  wirb 
ibm  einwenben:  baSjenige,  waS  er  eine  Stürbe  beS  jtircbengefangeS  nenne,  habe  in  ber  ©ejtait,  wie  eS 
ibm  aB  fcld)e  erfd)cine,  nur  für  funftmäfjtg  gefcbulte  (Sänger,  niemals  aber  für  bie  ©em eine 
befianben,  bit,  al§  etiangeltfcfye,  boeb  ju  tbätiger  Sbeilnal)me  an  bem  Äircbengcfange  berufen  gewefen. 
9ftögc  biefem  Einwurfe  baS  SBBort  zweier  fird)lidb,en  Sonrunftler  aB  SBibertegung  bienen,  anberer,  bebeu= 
tenber  Stimmen  ui  gefebweigen,  bie  wir  fvätcr  vernehmen  werben.  3  ob«3™  ßccarb  fe^te  um  baS  Sabr 
1597  bie  bamalS  gcbräud)lid)ften  Äircbcnwetfen  auf  S3efet>l  beS  Sölarfgrafen  ©eorg  griebrieb,  junaebft  für 
bie  (Scbloßfircbc  ju  .Königsberg:  £anS  2eo  $aß ler  gab  um  1608  ju  Dürnberg  für  biefe  feine  SSater- 
(labt  ebenfalls  eine  (Sammlung  vierfrtmmiger  ju'rd)enlieber  an  baS  Siebt,  beren  einige  er  fd)on  mebre  Satyrc 
Zuvor  gefeljt,  bie  anbern  aber  ihnen  für  bie  Verausgabe  neu  beigefügt  hatte.  95etbe  arbeiteten  für  ein  Sße- 
bürfntfj  ber  ©emetne;  ber  erfie  fagt  in  feiner  SSorrebe:  „er  babe  gefud}t  bie  in  ber  Äird)c  gebräuchlichen 
Sieber  in  eine  folcbe  Harmoniam  ober  Goncentum  ju  bringen,  baß  ber  ßboral  in  Discantu,  wieeranihm 
felbjt  gehe,  beutlid)  gehört  werben  möchte,  unb  bie  © emeine  benfelben  jugleid)  mit  einftimmen 
unb  fingen  fönne;  mit  ganz  ähnlichen  SBorten  brüdt  ber  anbere  ftd)  auS ;  fein  vierftimmiger  Sonfafj 
ffagt  er)  fei  fo  eingerichtet,  baß  er  in  GEbriftlicben  SSerfammlungen  von  bem  gemeinen  Spanne  neben  bem 
gigural  mitgefungen  werben  fönne,  unb  biefeS  fet)  umdebft  in  ber  jtird)e  unferer  lieben  grauen,  von  ber 
lieben  gemeinen  SSürgerfchaft  mit  fonberer  Anmutbung,  dmfilicbcr  Sufl  unb  @»ffer  gefebeben."  SSeibe 
Scanner  werben  wir  fväter  aB  @old)e  Fennen  lernen,  bie  ben  ßboralfafc  in  voller,  reid)er  Stürbe  jeigen ; 
ber  erftc  in  funftgemäßer  mannichfacher  Ausarbeitung  ber  begteitenben  (Stimmen,  ber  zweite  in  einfad) 
bebeutfamem  <Sa£e,  von  bem  er  eingefrebt:  ,,er  fei  nicht  ber  fubtilen  unb  großen  Äunft  nach,  fonbern 
für  einfältige,  ßbriftlicbe  ^erjen  eingerichtet,  unb  er  fud)e  baburd)  feincSwegeS  große  6l)re,  wie  ftd)  9E)iancber 
vielleicht  bünfen  laffen  werbe."  Sei  tiefen  betten  ausgezeichneten  SJlännern  nun  ftnben  wir,  —  örtliche, 
meift  unbebeutenbe  Abweichungen  ungerechnet,  beren  Urfad)e  unb  ©nrftebung  nicht  hier  ju  beleuchten  ift,  — 
in  ber  ßboralweife,  wie  ber  gemeine  SDZann  in  ft'e  einftimmen  foüte,  eben  jene  beiben  Seftanbtbcile  wieber, 
bie  melobifche  Silbung  nad)  ben  fachlichen,  bie  rb*)tf)mifd)e  nad)  ben  volfSmäßigen  ©runbformen. 
Sbj  Sonfafj  fd)ließt  ftd)  ben  SDMobieen  an,  wie  wir  biefelben  in  ben  zahlreichen  geiftlicben  (Singebüchern 
aufgezeichnet  finben,  bie  feit  bem  Safn-e  1524  in  ©eurfcblanb  erfd)ienen;  unb  wir  werben  faum  vorauSfefeen 
bürfen,  baß  biefe  S3üd)er,  bie  bem  allgemeinen  SBunfdhe,  bem  überall  taut  geworbenen  Sßebürfniffe  ber 
©emeinen  entgegenjufommen  bejiimmt  waren,  bie  ben  Siebern  einfach  beigebrudten  SBcifen  in  einer  ©eftalt 
aufgenommen  haben  würben,  bie  ihre  Ausführung  nur  wenigen  funbigen  (Sängern  möglid)  gemacht,  unb 
eine  höhere  tonfünftlerifcbe  SMlbung  vorauSgefcf^t  hatte,  yiifyt  alfo  behaupte  man  ferner,  f  o  f^be  man 
niemals  fingen  fönnen,  fohabe  man  nicht  gefungen;  benn  unverwerfliche  3eugniffc  überzeugen  unS 
von  bem  ©egentbeil,  unb  baS  Unvermögen  einer  verwöhnten  ©egenwart  fann  hier  nichts  entfd)eibcn. 

SKüffen  wir  nun  zugeben,  bie  ©ejtalt  ber  geiftlichen  ßiebweifen,  wie  bie  einfachen,  bie  mebr= 


  63   


jtimmigen  Singcbüdier  bei  fecbjcbnten  ^ahrhunbertl  ft'e  geben,  fei  bie  ben  ©emcincn,  bem  2>olfe,  geläufige, 
anmutbcnbc  gemefen,  bcr  eoangelifche  .Rirchengefang  jener  3eit  verbiene  aud)  hierin  mit  Stecht  ben  tarnen 
einel  geiftlicbcn  23olf  Igefangel ;  fo  liegt  ber  Sd)luß  fef)r  naf)e:  ba  er  von  meltlid)en  Siebern 
mannicbfacb  geborgt  habe,  ba  in  biefen,  mte  in  ihm,  jener  rbt)tl)mifcbc  SBecbfcl  bei  mclobifdicn  gortfcbrittel 
häufig  »ormalte,  er  aber  um  SSiclel  jünger  fei,  all  ber  beutfche  meltliche  SSolflgefang  unb  bie  gülle  ber 
9ERclobiccn  bcffclbcn;  fo  werbe  er  jene  rfmthmifche  6igentbümlicbfett  eben  von  älteren  S>olflmeifen  entlehnt 
haben.  Wiefel  all  eine  ShatÜ^e  auljufprecben,  trugen  mir  bal)cr  fein  33ebenfen.  Allein  auch  gegen 
btefe ^Behauptung  laffen  fid)  mohl  jmcifclnbe  Stimmen  vernehmen.  9)}an  menbet  ein:  ber  rt)«tt)mifd?e 
SBBedjfel  beute  $u  fcl)r  auf  berechnenbe,  abficbtlicbe  2fulge(kltung  bcr  Singmcifcn,  ftelle  ju  fchr  all  ©rgcbniß 
gemanbter,  funftmäßiger  Crntmidlung  ft'd)  bar ;  er  trage  faum  ba»  ©epräge  jener  Unmittelbarfeit,  bie  bem 
2>olflgefange,  ber  frifcben  ffilütbe  unbewußten  .Kunfrtriebel,  eigne.  2Bo  er  fid)  jeige,  laffe  er  vielmehr  auf 
mebrfrimmige,  funilmäßig  gefegte  ©efänge  fd)ließen,  benen  bie  SOielobie,  menn  aud)  bem  Sftunbe  bei 
SSolfel  abgehorcht,  bod)  nun  rbvtbmifch  feiner  aulgebilbet,  all  Senor  unterlegt  gemefen  fei.  SSon  f)t er 
aul,  in  biefer  it>rer  neuen  ©cjtalt,  mit  jenen  SBorjügen  aulgeftattet,  melche  ft'e  alfo  bem  Sonfe^er 
verbanfe,  fei  fte  bann  in  bie  SJeihe  evangetifcher  ©emeinegefänge  übergegangen.  £iefe  Anficht  fd)ließt 
junäcbft  bie  ^Behauptung  in  ft'd) :  bie  ©emeine,  inbem  fte  von  bem  Sonfe^er  efma!  entgegennahm,  bal  ft'e, 
obgleich,  el  mit  fünjtlerifcber  ^Berechnung  aulgebilbet  mar,  bod)  fogleid)  fid)  aneignen  fonnte,  habe  von  ihm 
ein  jugleid)  volflmäßig  tfulgeftaltetel  empfangen.  £atte  alfo  bcr  Sonfünftler  bamit  ben  SSolflton 
getroffen :  marum  follte  biefer  nicht  auch  in  jener  rfmtbmifchen  Crtgcnthümlicbfeit  ber  SOielobieen  ft'd)  fd)on 
urfprünglich  offenbart  f^ben?  SBarum  eine  boppelte  ©cftalt  bcr  Singmcife  voraulfefjen,  mo  man  ihrer 
nicht  bebarf,  unb  auch  fein  SBeifpiel  einer  folchen  mirb  aufzeigen  fbnnen?  23af)r  tft  el  freilich,  baß  93olf|; 
meifen  mit  ihren  urfprünglichen  Siebern  im  16ten  ^h^hunberte  faft  aulfcbließcnb  in  mel)rjtimmigen 
Singebücbern  unl  begegnen.  2tt>er  fann  el  anberl  fenn?  ber  erften  Jpälfte  jenel  3abrhunbert! 
mürben  bie  Singmeifen,  für  ft'd)  genommen,  faum  jur  .ftunjt  gerechnet,  ber  Sonfafc  nur  fd)ien  baf)in  ju 
gehören.  3ene  galten  für  allgemein  befannt,  el  genügte  bei  Siebern,  beren  Strophen  ben  ihrigen  überein- 
kamen, fte  nur  in  83e$ug  ju  nehmen,  ft'e  ju  fammeln  hatte  man  feine  SBeranlaffung.  £itrd)  bie  mcf)rftim= 
mige  ^Begleitung  beliebter  £onfünftler  mürben  ft'e  erft  in  bal  Äunffgebiet  erhoben,  ber  £erau!gabe  merth- 
Unb  bod)  finbet  gcrjler,  mie  mir  fahen,  ft'd)  nod)  »eranlaßt,  ba  er  ,,bie  vermeintliche  große  iUinft"  bei 
feiner  Sammlung  abfid)tlid)  rjtntanfe^te,  aulführlid)  ju  erflären,  mal  man  babei  gehabt,  all  man  biefe 
fd)led)ten  Sieblein  gebrudt,  unb  baß  ft'e  „ben  einfältigen,  unb  nicht  ben  bapfern  Singern  ju  Siebe" 
erfd)ienen  fegen.  2Bir  fönnten  fd)on  biefer  'Äußerung  unl  hi«  bebienen,  um  ferner  baraul  berjuletten,  baß 
bei  einer  fo  gejtctlten  Aufgabe  um  fo  mehr  nun  aud)  vorauljufefcen  fei,  baß  bie  ^jaupttache,  bie  volflmäßige 
Singmeife,  habe  unangetajlet  bleiben  müffen.  Allein  el  fehlt  aud)  nicht  an  anberen  ©rünben  bafür, 
baß  bem  in  ber  Shat  fo  gemefen.  £er  Sonfafc  ber  erften  £älfte  bei  lCten  3abrhunbertl,  auf  ben  allein 
mir  jurüd^ugehen  haben,  mar  nicht  geeignet,  meber  bie  innere,  harmonifche  SBebeutung,  nod)  bie  rrmthmifebe 
ßigenthümltchfeit  einer  9Jcelobie  ju  entfalten.  £>iefe,  in  eine  9Jtittclfttmme,  ben  Senor,  gelegt,  mar  oon 
ben  meijten  ber  übrigen  Stimmen  überbaut  unb  verbunfelt,  fo  baß  ft'e,  nach  bem  2(ulbrude  tabelnber 
Stimmen  ber  golgejeit,  „fo  eigentlich  nicht  gehört  mürbe."  gorfter,  fo  aulbrüdlich  er  verft'cbert,  er  habe 
„ber  einfältigen  Sieblichfeit,  bem  £öd)jten  im  ©efange"  nachgejtrebt,  i)at  bod)  oon  biefer  tfrt  bei  Sonfafcel 
meber  in  feinen  eigenen  Säfeen  fid)  loljureißen  vermocht,  nod)  beren  von  anberen  SSKeijtern  viele  gegeben, 


  64   


roorin  tiefe  eS  getban.  Surcb,  mebrfHmmige  SBebanblungen  folget  2lrt  Ratten  fünftlertfd)e  Umbil= 
bungen  ber  ©runbmelobieen,  wollten  wir  fie  aud)  »orauSfefcen,  bod)  immer  feine  ^Beliebtheit,  SßolH-- 
mäfjtgfeit  ju  gewinnen  vermocht.  Siefelben  finb  aber  aud)  überall  nid)t  üorauSjufe^en.  Senn  bei 
Sonfäfcen  über  eine  ©runbmelobie,  einen  £enor,  nad)  bem  2lu3brutfe  jener  Seit,  war  biefer  nicht  ber 
©egenftanb  funfhnäfjigcr  ^luSgejraltung,  fcnbern  baS  ©egebene,  gefte,  SBebingenbe*).  SBir  ftnben  wof)l, 
baf?  man  ben  58ebürfniffcn  beS  «Sa^eä  jufolge  baran  änberte,  bocb,  gefd)abe  eS  jumeiji  nur  bei  canonifcfyen 
Sachführungen,  bie  ohne  eine  fold)e  #nbcrung  nid)t  waren  ju  bemirfen  gewefen  ;  ober  waltete  ein  anberer 
©runb  für  fie  ob,  fo  war  fie  für  bie  ©runbmelobie  nid)t  gejtaltenb,  fonbern  entjtetlenb ;  bie  33erbältntffe 
ihrer  ©lieber  mußten  ßwang  leiben  um  ber  Fortbewegung  ber  übrigen  ©timmen  willen,  Eine  betebenbc 
Grinwirfung  bes>  Sonfal^eS  auf  bie  ©runbmelobie  fanb  alfo  nicfyt  jfatt,  gefdjweige  eine  foldje,  bie  berfelben  in 
ben  geijilicben  SSolfSgefang  bdtte  (gingang  uerfd)affen  fbnnen.  Allein  unleugbar  ift  umgefel)rt  bie  Gjinwb 
hing  ber  ©runbmelobie  auf  ben  £onfa£,  baS  Anbahnen  barmonifcber  Entfaltung  auf  biefem  SBege.  9hm 
erft,  in  ber  legten  £älfte  beS  SabrbunbertS,  alS  ber  Choral  ber  Soangelifd)en,  ber  getftltdje  SSolfSgefang, 
auS  fachlichen  unb  oolfSmäfjigen  S3efianbtl)eilen,  ju  welchen  legten  wir  »or  2£Ucm  ben  rlwtbmifd)en  2Bed)fel 
reebnen  bürfen,  fid)  bereite  gebtlbet  l)atte,  ergriff  aud)  bie  bered)nenbe,  bewußte  Äunfiübung  tiefen  legten, 
aB  Littel  ju  ©efialtung  unb  ^Belebung  neuer  £ert>orbringungen.  2|emef;r  «Sänger  unb  ©e£er,  in  früherer 
3eit  entfd)teben  getrennt,  nun  einer  würben,  erfd)cint  aud)  baS  SSerfjdltni^  ber  ©runbmelobie  unb  beS  Son= 
fafceS  al§  ein  gegenfeitigeS,  bie  Einwirf ung  be§  einen  auf  baS  anbere  iji  nid>t  länger  ju  bezweifeln.  2lu3 
biefer  Seit  allerbingS  werben  fid)  aud;  S5eifpiele  aufzeigen  laffen,  wo  in  mebrftimmigem  Sonfa^e  ©ingweifen 
mit  rbptbmtfdjem  2Bed}fel  erfdjeinen,  bie  feiner  juüor  entbehrten,  allein  biefe  bewetfen  burcbauS  nichts  für 
bie  frühere  Seit,  unb  für  ben  Urfprung  jener  befonberen  Eigenfd)aft  älterer  9JMobieen.  Unb  enblid),  gefieben 
wir  uns» :  ba§  S3elebenbe,  Erneuenbe,  ©efialtenbe  ift  in  ber  Äunft  üon  jeher  auS  bem  frifchen  triebe  bee> 
UBilbenS  ht^orgegangen ;  wir  werben  eS  in  ber  SEonfunft  alfo  eher  in  ben  ©ingweifen  ju  fud)en  haben,  bie 
ber  SEtefe  ber  S5ru(i  in  Sieb'  unb  £eib,  in  ©cherj  unb  Grrnji,  auS  bem  geben  fyexatä,  unmittelbar  entquollen, 
al§  in  ber  t-erjtänbigen  ^Berechnung  unb  2lbftd)t  be§  SEonfe|erS. 

Sn  gorfierS  2ieberfammlung  haben  wir  bisher  bie  eigenthümlichen  ä3ejranbtf)ei(e  ber  SSolfSweife 


')  tfnbcrungcn  ber  ©runbmelobie  fommen  in  mcfirftimmigcn  @ä'|en  f)öcbft  feiten  cor.  3<h  merfe  bcifpiclSwcifc 
einige  gä'Ue  berfelben  an: 

1)  ©eorg  SRfjau  oeränbert  bie  lefcte  3eite  ber  SOtetobie  be§  Siebes  „©clobet  feiftu  3efu  etjrift,"  bie  er  in  bie  Ober; 
ftimme  legt,  inbem  er  fie  im  $  Zatt  fingt.  SDicfc  S03ill!üf)r  bei  ©efcerS  i>ai  aber  niemals  ©cltung  im  ©emeine; 
gefange  gewonnen. 

t)  (SS  finben  fi<±>  SSeränberungen,  menn  bie  im  SEenor  eingeführte  SJcelobie  nicht  rein  alg  ©ubjeft  be6  ©a^eS, 
fonbern  auch  a^  SEtjcilnefymcrin  an  bem  ©croebe  ber  au§  tfjir  gcfdjöpften  9cad)at)mungen  erfetjeint.  ©o  bei 
58altt;afar  SRefinariuS  bie  SSMobie  beS  Ciebcö :  ,,(Sf)rift  tag  in  SEobeSbanben ;"  fie  geigt  am  Ausgange  tyrer  einjeU 
nen  Seilen,  bei  ben  ©d)luf fällen,  f leine  SfccliSmen.  3ch  tjabe  inbef  feine  ©pur  gefunben,  bafj  bergleidien  iematS 
in  ben  ©emeinegefang  aufgenommen  toorben.  2i"nfd)aulid)cr  noch  tritt  bicfeS  tytvoot  bei  ben  SEonfä'^en  CupuS  SptU 
linfS  über  bie  SBcifen :  2ln  SBaffcrflüffcn  33abi)lon,  unb :  ©urch  2lbam$  galt  :c. ;  bie  (Sinfchaltungcn  unb  3utt)atcn 
be6  ©c|er«  blieben  hier  gleich  rcirrungSloS  für  ben  Äirctjengefang,  unb  ich  merfe  bieg  bei  ben  folgenben  S5eifpielen 
nicht  erft  befonberö  mieber  an,  ba  cg  übcraU  auf  gleiche  SBcife  ftet)  oerhält. 

3)  ©tepljan  gj?at)u  meliömatifirt  eine  3Beife  (3Bir  glauben  all  an  einen  ©Ott),  bie  fcfjon  urfprünglich  SKcligmen 
enthält. 

4)  Gr  änbert  baran  wegen  fontrapunftifdjer  Durchführungen,  wie  auch  Stomas  ©tolfccr  eS  tt)ut  wegen  canonifchcv 
Nachahmungen,  bei  ber  Slöeife:  (Shrift  ift  erftanben  u. 


  65  

betrachtet,  bie  ber  neue,  eoangelifche  jlirchengefang  fich,  aneignete;  wir  haben  aber  auch,  in  tf>r  fcfyon 
auSgebilbete  Sonweifen  gefunben,  bie  er  nur  entlehnte.  Itud)  in  ber  jweiten  Jpdlfte  be3  16ten  3afjr= 
hunbertS  ift  unfere  «Sammlung  eine  Quelle  geblieben  für  ein  foldjeö  Entlehnen,  wie  ber  gortgang  biefer 
£>arjrellung  jeigen  roirb.  Sötr  bürfen  inbefi  für  jefjt  nod)  nicht  von  ihr  2Cbfd)ieb  nehmen,  ohne  eine§ 
e tflerli  e b e S  ju  gebenfen,  ba§,  war  eS  auch  nicht  eben  au3  ihr  entlehnt  —  benn  e§  erfcbeint  erjl  an 
ber  jwanjigften  ©teile  t'breS  1556  berauSgefommencn  fünften  SEheileS,  unb  bie  geiftltche,  feiner  alten 
Sonweife  angepaßte  Umbichtung  beffelben  ift  fchon  1528  in  bem  »on  £)leariu3  befchriebenen  Erfurter 
(5nd)iribion  ju  finben  —  bod)  un£  »on  ihr  aufbewahrt  iji.  §orfter,  ber  ben  Anfang  ber  ÜDcetobie  biefe§ 
2iebe3  fd)on  in  einem  £luoblibet  bc§  jweiten  £f)ctle3  hatte  hören  laffen  (1540.  9cro.  60),  tf)eilt  e3  fpdter 
»ollftdnbig  mit  in  einem  fünfftimmigcn  SSonfafje  von  Stephen  Sftabu.  liefern  ijt  jebocb  nicht  feine 
SEonweife  allein  ju  ©runbe  gelegt:  ihr  ftnb  vielmehr,  nach  ^rt  jener  Seit,  nod)  jwei  «Strophen  be§  ßtebeS  : 
„25  on  ebler  21  rt"  »erbunben,  fo,  bafj  beffen  Gelobte  einmahl  ben  erjten,  bann  ben  legten  2lbfalj  ber 
langen,  gefünftelten  ©tropfe  unfereä  ßiebeä  begleitet,  währenb  bie  übrigen  brei  Stimmen  au£  biefer 
boppelten  ©runbmelobie  ihre  Begleitung  fcböpfen. 

2lch  hilf  mit  leib  unb  fenlicb,  f  lag 

mein  tag  bab  ich  fein  raff,  fo  faft 

mein  herj  mit  fchmerj  thut  ringen,  fpringen, 

nad)  verlorner  freub. 

SBieroohl  id)  b'forg  e3  fei  um  fünft 

mein  gunji  bie  id)  jm  trag,  bie  mag 

id)  nicht  mit  t d> t  »erlaffen,  h^öfen 

3n  um  lieb  unb  leib. 

Sch  arme  melj  feg  jiefc  mein  ftn 

in  groß  gefabr,  jroar  gar  entbrinbt, 

rint  bief  treu,  neu,  au§  ebler  art, 

hart  war  mir  nie  fo  weh,  geh,  fleh/ 

fchlaf  ober  wach,  gmad)  b«b'  id)  nicht, 

ficht  bid)t,  wie  id)  mid)  iu 

erweden,  erben  fein  genab 

mein  fd)ab  unb  fd)wer  wer  nod)  ein  fd)erj! 

berglieber  gfel  nod)  roieber  fer 

id)  ger  nit  mer  benn  bid)  freunblid) 

ju  truden,  fchmuden  an  mein  brufi, 

alfj  etwan  waS  meinS  t)tx%m$  lujl. 

Diefeä  feltfame,  burd)  jwanjig  3eilen  fcbwerfdUtg  hmburchgewunbene  Sfeimgeflingel  ft'nben  wir 
mit  ber  Uberfcbrtft:  ,,2ld)  fotlf  mit  Seib  ic,  ©eifilid).  2(bam  von  gulba"  in  Sofepb  ÄlugS  ©efangbud) 
(1535;  folgenbermaafjen  umgebid)tet: 

Hdt)  bülff  mich  leib  unb  fenlid)  f  lag, 
SSon  Sag  ju  Sag  follt  ft d>  treultd) 

v.  SBititttfclfc ,  ktt  tsangtl.  <J6orala,cfang.  9 


  G6  

Sftein  £erä  mit  ©cbmerj  befagen,  flogen, 

Der  oerlomen  Seit, 

Sie  idt>  fo  tl)bvig  bab'  uerjert, 

SBefdjtocrt  beib7,  2eib  unb  ©eef  obn'  £eit 

Unb  Stotel  für  ©ott,  bcv  rädjcn,  breiten, 

SSBiD  ber  ©ünber  9ceib. 

Denn  icb  fein'  cf>r  fefyr  febwerlid)  fyan 

Hn  ©d?aam  unb  grunb  »errounbt,  [all]  fhmb 

Unb  funb  gemalt  nad)t  tag  unb  ftunb 

3Jlem  Übeltat;  ©nab'  bat  idj  ba 

Umfunft,  gunft,  fünft,  war  gar  »erlor'n 

3orn  ungmaef),  racb,  fad)  id)  on'  3iel 

SSiel  ju  tierfern,  mebr'n  ungenab 

©ott  bat  reid)lid)  mid)  l)ie  geftraft, 

©d)afft  als  id)  mein'  fein  göttlid)  red)t, 

S3erfd}mecbt  fein'  fned)t,  ber  ft'db,  rerolid) 

SDfa't  jebren  febren  ift  ju  ©ott, 

Denn  er  will  nidjt  be§  ©ünberS  £ob ! 
g?od)  in  33alentin  33a»ft§  ©efangbudje  (1547.  I.  49)  unb  felbft  in  fpdtern,  erfebeint  tiefe  UmbiU 
bung  roieber,  aud)  t)at  fte  ^3rdtoriu§  in  feine  umfaffenbc  Sammlung  geiftlicber  Cteber  (Mus.  Sion.  VII. 
71.)  mit  ber  (bureb  il)n  oierftimmig  aufgefegten)  alten  ©ingroeife  be§  SJIeifterliebcS  aufgenommen.  2fllein 
fcbmerlid)  bat  fte  it-genb  bauernb  SSBurjel  gefaxt,  benn  fünftlid)e  3?eimüerfd)ränfungen,  gebdufte  fpielenbe 
2lnfldnge,  unb  enblid),  trofj  aller  .Künfteleien  bod)  nur  3lrmutl)  ber  §orm  —  ber  jroeite  jmolfjeilige  ©afe 
bat  burdm?eg  acbtfylbige  Reiben,  unb  erfebeint  überlang,  ba  il)m  alle  lebenbige  ©lieberung  unb  ein  fafjlicbeS 
SSerbältnif?  ju  bem  erften  ©afje  fet>lt  —  alles»  biefeS  roiberftrebte  tbeilS  bem  SSolfStone,  unb  ber  jumeift  auf 
ben  3nbalt  geridjtcten  allgemeinen  Neigung,  tf)etl3  trat  feine  äußere  S3lofje  bei  bem  Langel  inneren 
JReicbtbumS  nur  offenbarer  nod)  f;eroojr.  SBir  ftnben  jroar  l)in  unb  roieber  nod)  SOZeifterlieber  unb  ibre 
SSBeifen  in  bie  eoangelifebe  Äirdje  aufgenommen;  im  Allgemeinen  aber  üerfd)mäbte  ber  gefunbe  ©inn  bie 
Übertragung  ber  »erfünftelten  gormen  jener  ©dngerjunft  auf  ben  gciftlid)en  ©emeinegefang.  2(ud)  ift  bie 
©ingroeife  unfereS  2iebe3,  wie  e§  nid)t  anberS  ferm  fonnte,  verworren,  troefen,  unfaßlid),  unb  fte  gerietb 
mit  ibm  balb  in  23ergeffenbeit. 

©teiebjeitig  mit  ben  erften  beiben  Steilen  ber  gorfterfd)en  Sieberfammtung  crfd)ien  ein  geifrlid)e3 
©ingebud)  in  ben  9tteberlanben,  ba§  eine  bebeutenbe  tfnjabl  »on  SSolfSweifen  (152)  un§  aufbewabrt  fyat, 
roetebe  inSgefammt  für  geifttid)en  Siebergefang  entlehnt  finb.  @ö  cntl)dlt  eine  freie  Übertragung  ber  ^Pfalme 
in  flamldnbifcbe  JReime,  unb  neben  il;nen  bie  brei  eüangelifeben  ßobgefdnge:  ber  SDiaria,  beS  3ad)aria$  unb 
©imeon;  jroei  altteftamcntlicbe,  ben  bc§  £i§fia3  unb  ber  brei  Jünglinge  im  geuerofen;  enblicb  ben  2obge= 
fang  be$  tfmbroftuö  unb  tfuguftinuS,  ba3:  „£etr  ©ott  bid)  loben  wir."  Unter  bem  Settel :  Souler  liede- 
kena  ghemaeetter  eeren  Gods  op  alle  die  Psalmen  van  D-avid,  tot  stichtinglie  ende  een  geestelycke 
vennakinghe  van  allen  Christen  menschen  etc.  trat  eö  ju  Antwerpen  an  ba§  2id)t  bei  ©pmon  @orf  1540 
OICCCCCXL)  ju  einer  3ett,  wo  bie  Äircbenüerbeffcrung  in  ben  Sftebcrlanben  bereits  Eingang  unb 


  67  


Verbreitung  gefunben  hatte,  wo  eS  fdjon  nbtbig  geworben  war,  ba§  ßefen  ber  heiligen  Schrift  unb 
heimliche  Verfammlungen  ju  verbieten,  wo  man  namentlich  ju  Antwerpen,  aller  S3efef)Ie  ungeachtet,  bie 
9)rebigten  aufjer  ber  Stabt  nid?:  hatte  abjufiellen  vermocht;  ju  einer  3eit,  wo  bie  wiebertäuferifcben  Unruhen 
ju  fünfter,  beren  Setter  unb  görberer  jumeifl  auS  bem  nbrblicbcn  Steile  ber  Nieberlanbe  fiammten,  eben 
bort,  bei  Verbreitung  ähnlicher  Meinungen  unb  Anflehten,  auch  ähnliche  Aufregungen  veranlagt  Ratten ; 
wo  man  anbererfeiß  von  oben  f)er  gegen  bie  Neuerungen  burcb,  2fnflellung  von  ^nquift'toren  fcbon  einge= 
fchritten,  ja,  bis  jur  SMjiebung  von  SEobeSurtheilen  gegen  reformircnbe  f>riefter  fortgefcbrttten  war.  Safj 
eine  Überfefcung  ber  ^falmen  in  ber  CanbeSfpracbe,  jumabl  eine  für  ben  ©efang  eingerichtete,  bem  gefang= 
liebenben  belgifcben  Solfe  böcbft  willkommen  fevn,  bafj  fte  einem  allgemeinen  23ebürfniffe  entgegenfommen 
mujjte,  wirb  nicht  befremben  fbnnen;  eher  bürfte  eSSßunbcr  nehmen,  unter  SBerbältniffcn  wie  bie  bamaligen, 
fie  mit  einem  Privilegium,  ju83rüjTel  am  löten  September  1539  unter  bem  Namen  ber  Sfegentin  ausgefertigt, 
erfebeinen  ju  feben.  Allein  um  eben  biefe  3eit  würben  bie  erften  breiig  von  Clement  Sfftarot  in  ba§ 
granjofifebe  überfefcten  |>falme  am  £ofe  granj  beS  ©rften  von  granfreieb  mit  großem  SSetfafl  aufgenommen, 
man  pafft  ihnen  bie  9JJelobiecn  von  IJagbweifen,  ja,  von  SEanjliebern  an,  fte  banach  ju  fingen,  felbft 
Katharina  von  9)iebici  trbftetc  ftch  an  ihnen,  mabrenb  ihrer  anfänglich  unfruchtbaren  @he;  fein  üatbolifcber 
trug  83cbenfen,  fich  ihrer  ju  bebienen,  eher,  aß  ba  fie,  funfjehn  ga^l  fpäter,  vereint  mit  bem  .Ratecbßrmß 
unb  ber  Siturgie  ber  reformirten  Äircbe  ju  ©enf,  unb  ben  von  Sheobor  S3eja  fpäter  überfefeten  ^fahrten 
erfebienen.  63  burfte  baher  bie  bamalige  Siegentin  ber  Nieberlanbe,  SDcarta,  verwittwete  Abnigin  von 
Ungarn,  @arß  be3  fünften  Schweiler,  um  fo  weniger  an  unferen  Pfalmtiebern  Anftofi  nehmen,  aß  fte 
felbfi  ber  neuen  2ehre  nicht  abgeneigt  gewefen  fepn,  unb  an  bem  ©cfange  geifilieber  Sieber  gern  ftch  gctrbftet 
haben  foll,  wie  benn  ba3  juvor  fd)on  befprod)ene  Sieb  ,,?Diag  ich  Unglücf  nit  wiberftabn"  gewöhnlich  aß 
baS  ihrige  bejeidmet  wirb.  SOcan  hat  unter  tiefen  Umjtänten  feinc3meg§  ju  ber  33orau<?fekung  feine  3uflucht 
ju  nehmen,  aß  feien  bie  in  tiefer  Sammlung  enthaltenen  Spfalme  beshalb  nur  befannten  SSolBweifen 
angepaßt  worben,  um  hinter  biefe  ben  ©efang  geiftlicber  2icber  ju  verfteefen,  ber  bem  Verbacbte  ber  .Rederei 
unterlegen  babc.  Senn  man  beburfte  einer  foldjcn  Sdmljwehr  nicht;  man  wählte  bie  ben  ^falmliebcrn 
angepaßten  weltlichen  Singweifen  nur,  wie  man  fie  früher  aß  ©runbgebanfen  für  ben  fünftlid)cn  mehr= 
ftimmtgen  £onfafc  ber  93iepgefdnge  ober  93tagniftcat  gewählt  hatte,  aß  einen  anmuthenben  Schmucf,  unb 
tbat  bamit  eben  nichts  anbereS,  aß  man  unter  gleichen  33erbältntffen  auch  i"  Sranfreicb  unb  Seutfcblanb 
febon  gethan  hatte. 

3war  bie  meiften,  boeb  nicht  alle  üieber  biefer  Sammlung  ft'nb  weltlichen  Singweifen  angepaßt. 
Senn  fünf  bavon  finben  wir  ben  3Dcelobicen  lateinifcher,  älterer  unb  neuerer  geifilieber  ©efänge  unterlegt. 
Sie  ßobgefänge  ber  Flavia  unb  bcS  Simeon  follcn  nach  ben  5DMobteen  ber  ^»pmnen:  Conditor  alme 
svderum,  unb  Jesu  salvator  seculi  gefungen  werben;  baS  Te  Deum  nach  ber  bcS  £nmnuS  Chrisle  qui 
lux  es  et  dies  j  ber  H7te  s])falm  nach  cer  tee  ßenedicamus  Domino,  tcr  britte  Abfcbnttt  be»  1 18ten  nach 
ber  2Beife  beS  SiebeS  Dies  est  laetitiae.  Sa  nun  ber  lef>tgebad)tc  ^falrn  in  vier  Abfcbnitte  gctl)eilt,  unb 
jebem  berfelben  eine  eigene  Singweife  beftimmt  ift,  fo  enthält  unfer  Singebucb,  mit  Cjinfcblufj  ber  fedß 
Sobgefänge,  im  ©anjen  159  9)?elobieen;  rechnen  wir  bavon  bie  eben  genannten  fünf,  aus  lateinifebem 
itirebengefange  ftammenben,  ab,  unb  noch  P>&  anbere,  bie  auS  älterem,  beutfeben  entlehnt  ft'nb,  unb  beren 
Üieber  wir  bereiß  in  bem  £3re?lauer  2ieberbucbe  von  1525  ,,veränbert  unb  chriftlich  corrigiret"  finben: 
9Raria  jart,  unb  Sieb  grau  vom  Gimmel  ruf  ich  an;  fo  bleiben  mß,  wie  fchon  erwähnt, 

9* 


  68  

152  9Jielobicen  übrig,  bie  wir  mit  ben  Anfangen  »clttidjer  Stebcr  überfdjrieben  ft'nben.  .Könnte  nun  ein 
3mcifel  barüber  obmaltcn,  ob  biefe  Sieberanfänge  nicht  v-ielleicbt  nur  anbeuten  füllten,  baß  bic  ©efänge, 
über  benen  fie  (leben,  gleichen  ©trop£)enbaueä  fet)cn  mit  ben  baburcb  angebeutetcn  Siebern:  fo  ftreitet  gegen 
biefe  SSorauSfcfcung  bod)  bie  Übcreinftimmung  ber  eben  genannten  latetnifcfyen  unb  beutfcben  Äircbenmeifen, 
mit  ben  SDMobieen  ber  Sieber,  benen  ihre  2(nfang3morte  als  Überfcbrift  bienen,  unb  eine  gleiche  Überem= 
ftimmung  ber  in  gorfierS,  unb  anbeten  Sammlungen  mitgeteilten  Singmeifen  »on  Siebern,  beren  Anfänge 
über  unferen  9)falmen  fielen.  So  ift  bie  SBeife  be3  SiebeS:  2lcb  ©ort  mem  foll  ich  flogen,  bei  gorftcr,  in 
ber  Zfyat  auch  bie  bem  07ften  $>falm  jugefcbricbene  in  ben  Souter  liedekens ;  bie  beö  SiebeS  „3d  feg 
abieu,  roie  mir  fie  eben  ba  finben,  bie  be3  65ften;  fo  tragt  ber  128fte  $)falm  bie  SJcelobie  be3  Siebeö:  „\l 
me  suffit  de  tous  mes  maux,"  mie  eine,  mabrfcbeinlid)  um  1530  ju  $ari3  bei  Pierre  Htttaignant 
erfcbienene  Sammlung  oon  34  meltlicben  ©efängen  fie  mitttjcilt ;  anbere  fennen  mir  als  bie  ©runbmelobieen 
ber  9Jieffen  belgifd)er  9Jceifler,  mie:  D'ou  vient  cela  (^)f.  72),  Languir  me  fault  ($>f.  103)  u.  f.  m.  @3 
barf  allerbingS  nicht  »erfcbmicgen  merbcn,  baß  bei  anbercn  Singmeifen  biefe  Übereinfn'mmung  mit  gleich* 
namigcn  fehlt:  fo  bei  ben,  mit  benfelbcn  Anfangen  von  gorfter  mitgetbeilten :  Het  sou  en  meyskeu  gaen 
om  wyn  (^3f.  92),  Wet  sal  ic  my  geneeren  ick  arme  broederlyn  ($>f.  107).  "Mllein  ee>  ftnb  bagegen 
manche  $)falme  unferer  Sammlung,  menn  auch  mit  gleichen  Sieberanfängen  überfebrieben,  boeb  mit 
»erfebiebenen  Singmeifen  üerfeben,  mie  ber  12te  unb  19te,  ber  73fte  unb95fte,  etma  mo  ein  Sieb  bei 
gleichem  Anfange  unb  übereinftimmenber  Aufgabe  boch  eine  »erfchiebene  2lue>btlbung  erbielt,  melcbe  bie 
9cotbmenbigfeit  einer  anberen  SWelobie  herbeiführte.  £)ber  e§  bat  auch,  ohne  eine  folebe  9cotbmenbigfeit, 
ein  Sieb  einmabl  eine  jmeite,  6rtüd>e  ©eltung  geminnenbe  Singmeife  erhalten,  mie  biefee»  mit  ber,  bem 
92ften  $falm  angepaßten  ber  gall  gemefen  fct>n  mag.  Senn  mir  finben  gorfter§  gleichnamige,  t>on  jener 
perfebiebene  (II.  1.),  ein  jmeiteä  SJcabl  alö  ©runbmelobie  ber  Cöleffe  eineS  9cieberlänber3 ,  Sampfon, 
mieber*).  SBenige  ber  Sieber,  beren  Anfänge  nur  mir  in  ben  Souter  liedekens  erhalten,  treffen  mir  in 
anberen  Sammlungen  beutfeber  unb  franjbftfcber  Sieber  »oltftänbig  an,  e§  ift  baher  meifl  nur  ein  allgemeiner 
Schluß  auf  ben  Inhalt  ber  SOicht-jahl  au3  jenen  Anfangen  un§  »ergbnnt.  Sie  meiften  mögen  banacb 
StebeSlieber  gemefen  fepn ;  anbere  beuten  auf  örtliche,  auch  gefcbicbtlicbe  ^Beziehungen,  al§ :  Madame  la 
regente,  ce  n'est  pas  la  facon  ($)f.  120),  —  Sur  le  pont  d'Avignon  ($)f.  81) ,  Machelen  ghy  zyt  so 
schoonen  prieel  (^)f.  140),  Met  lusten  willen  wy  singhen  en  looven  det  roomsche  ryck  ($)f.  141), 
Wee  will  hooreu  een  nieuwe  liet,  wat  t'Antwerpen  is  geschieht  (auch:  „2Bt)fe  üan  lotteren"  über= 
fchrieben,  $>f.  149),  Te  Munster  Staat  een  steynen  huys  ($>f.  83)  u.  f.  m.  Socb  mag  e§  enbticb  mohl 
einer  eigenbö  hierauf  gerichteten  gorfebung  gelingen,  noch  einen  großen  £beil  jener  alten  Sieber  mieber  ju 
entbeefen,  menn  ihnen  in  ben  ÜJciebertanben  felbft  naher  naebgefpürt  mirb.  Saß  ihre  SJMobtccn  faft  alle 
um  bie  3eit  be£  ßrfcheinenö  unferer  Sammlung  fchon  ©egenfränbe  mehvftimmiger  ^Bearbeitungen  gemefen 
maren,  ift  barauS  ju  fchließen,  baß  fie  bort  in  »erfebiebenen  Scblüffcln  erfebeinen,  jenachbem  fie  bic  hödjfic, 
bie  tieffte,  ober,  mie  jumeift  nach  ^rt  jener  3eit  gefchehen  fepn  mirb,  eine  mittlere  Stelle  in  bem  Sonfafce 
einnahmen. 

S5ei  5öcrgleichung  ber  SKetobieen  ber  Souter  liedekens  mit  benen  be§  gorfrerfeben  SingcbucbeS 
tritt  unö  eine  »olfsthümliche  83erfd)iebenheit  beiber,  jener  belgifchen  unb  tiefer  beutfdjen,  fefort  entgegen. 


•)  Opus  decem  Missarum  etc.  SBt'ttcnbcrg,  SRfjau.  1541.  (5Kro.  3,) 


  69   


2öie  bei  biefen  bic  fyaxte,  fo  ift  bei  jenen  bie  roeicbe  Tonart  bei  weitem  bie  überroiegenbe ;  mit2lu§= 
nat)me  ber  urfvrünglid)  lateinifd)en  unb  beutfcfyen  ©ingroetfen  (teilt  bei  ben  übrigen  152  ba3  SSerbdltntfj 
ftcb  bar  roie  105  ju  47,  unb  biefeS  Übergewicht  jeigt  fid)  nid}t  minber,  ja,  in  noch,  bbberer^üBbebnung,  felbft 
bei  ben  fünf  Tanjroeifen,  bic  unfere  Sammlung  bem  125ften,  127ften,  132ften,  133ften  unb  135ften 
spfalm  angepaßt  bat*)-  Denn  unter  if)nen  geboren  vier  einer  meieren  Tonart  an,  —  eine  bavon  (bie  be3 
127ften)  fogar  ber  pbrPS'f  d>en/  —  roäbrenb.  eine  nur  (bie  be§  132ften)  in  einer  garten  Tonart  gefegt 
ift.  33ei  ben  inneren  SSerbältniffen  ber  roeieben  unb  garten  Tonart,  wie  fie  l)ier  erfebeint,  ift  jebod) 
wieberum  Übereinftimmung  mit  ben  gleiten  bei  gorfter  wabrjunebmen.  $kx  roie  bort  ift  bei  ben  9Jcoll= 
melobieen  ber  pbr»gifcbe  Umfang  ber  feltenfte,  er  fommt  nur  ftebenmabl  vor,  unb  baruntcr  nur  einmal 
in  ber  SSerfegung  nad)  A  mit  b  vor  ber  jroeiten  ©rufe;  häufiger  (41  SöiabO  jeigt  ftd>  ber  urfprüngltd) 
borifebe  (D  obne  §ßorjeicb,nung),  allein  unter  ben  SOielobieen  btefeö  Umfanget  ffnb  ad)t  (bie  be§  5ten, 
6ten,  16ten,  34ften,  38jien,  90ften,  94jien,  120fien  spfalnB),  bei  benen  bie  SSorjetdmung  be3  b  nur  neben 
bem  ©cblüffel  feblt,  unb  bie  feebfte  ©tufe,  roo  fie  im  Fortgänge  ber  SÄelobie  berührt  roirb,  allejeit  bamit 
verfeben  ift;  bei  vielen  anberen,  roo  fie  überall  mangelt,  roirb  fie  bennoer;  buret)  bie  9cotbwenbigfeit  ber 
Söermeibung  be3  TritonuS  erbeifcfyt.  ©o  aueb  bei  ben  42  ©ingweifen  be§  Umfangeä  von  G  mit  b  vor  ber 
britten  Tonftufe.  S3ei  biefen  ftnben  wir  ben  borifeben  ßbarafter  ben  ©efängen  gar  nid)t  aufgeprägt,  roie  er 
bei  benen  be$  Umfanget  von  D  nur  wenigen  auSnabnBweife  eignet.  25 ie  be3  dolifeben  Umfanget  —  e§ 
ftnb  beren  jwblf  in  bem  urfvrünglicben  von  A,  brei  in  bem  verfemten  von  D  mit  b  vor  ber  fecbjten  Ton= 
.ftufe  —  fofern  ft'e  auf  ba§  ^brP9M"^e  ™fy  b'nbeuten,  tragen  eben  fo  niebt  ba3  roefentlicbe  ©evräge  ber 
Tonart,  nacb  ber  mir  fie  benannten.  2Ba3  bie  47  25  ur melobieen  unferer  ©ammlung  angebt,  fo  gebort 
bie  ÜDZebrjabl  bavon  ber  ionifeben  Tonart  an,  25  bem  verfemten,  13  bem  urfvrünglicben  Umfange  berfelben; 
neun  bagegen  nur  ber  mirolvbifcfyen,  ber  urfvrünglicben  fecb§,  ber  verfemten  brei;  obne  baß  in  biefen 
allen  anberS,  aB  nur  in  entfernten  2lnf  längen,  bie  ©igentbümlidbjeit  jener  Äircbentonart  ftcb  barftellte. 
Diefem  3fllem  jufolge  bcwäbrt  e§  ftcb,  aud)  xjxtx,  bafi  ber  33olf3gefang  von  frübe  ber  bie  Neigung  b<*tte, 
bie  fünf  verfegten  Tonleitern  be3  alten  Äird)engefange3,  auf  benen  bie  Äircbentbne  beruben,  auf  eine 
3meibeit  jurücfjufübren,  bie  verfegte  f>arte  unb  roeiebe  Tonleiter;  unb  bafj  er  nur  vereinzelte,  bann  aber  in 
ber  Tbat  bebeutungSvolle  Tlnfldnge  jener  alten  günfbeit  bewabrt. 

9cad)  ibrer  rbntbmifcben  ©ejialtung  betrachtet,  geigen  uns>  bie  Sftelobieen  ber  Souter  liedekens, 
eben  roie  bie  ber  gorfterfeben  ©ammlung,  jene  ßrfebeinung,  bie  roir  aB  rbptbmifcben  Sßecbfel  bezeichneten, 
nur  tritt  fie  f>ier  ntd>t  gletd)  übenviegenb  bervor,  aB  bort.  Unter  ben  ernennten  152  föolfSroeifert  fi'nben 
roir  fie  in  53,  alfo  in  mebr  aB  einem  Drittbeil  be§  ©anjen ;  in  vier  anbern  ift  ber  SBecbfel  be$  geraben 
unb  »ngeraben  Tafte§  in  beftimmter  Abgrenzung  gegenübergeftellt  (9>f.  86,  90,  130,  144;,  fedjS  anbere 

*)    ©cn  tanc|tcn©acb  oon  beefen  3aar. 

$5f.  125.  Sonott  G  mit  oorgescidjnetem  b  oor  ber  britten  (Stufe. 

Sie  naebtegat  bie  fanc  een  liet  u. 
127.  E  ohne  S3orjcicf)nung. 

3 cE  quam  albaer,  tet  roeet  »el  «aar. 
$)f.  132.  C  ohne  SSorjcicbnung. 

£oe  foubte  oreudjt  bebrt). 
<Pf.  133.  D  ohne  S3orjcidjnung. 

Le  berger  et  la  bergere  sonl  ä  l'ombre  d'un  buisson. 
qpf.  135.  ©teiebe  Sonort. 


  70   


eublicb  finb  ganj  im  ungeraten  Safte  gefegt  (*Pf.  2,  3,  6,  48,  99,  106).  ©o  feben  wir  benn  hier  im 
Allgemeinen  baffelbe  Srgcbnif?  benwrgeben,  ba3  bie  Prüfung  ber  gorfterfeben  Siebreeifen  un§  gewährte, 
wenn  wir  baS,  auf  v>olBtl)ümlicf)cr  Eigenheit  berubenbe  S3orwalten  ber  weichen  SEonart  bei  ben 
belgifd)en,  ber  harten  bei  ben  beutfd)cn  aufnehmen. 

Sie  feltfamften  3ufammcnlMungen  begegnen  un3  bei  ber  33ergleichung  be3  Inhaltes  ber  $fal= 
men  unb  ßobgefänge  mit  ben  barüber  gefegten  2ieberanfdngen.  ©o  ifi  ber  2obgefang  be§  4?i3fia§  ju 
fingen  nad)  ber  SBeifc:  Ghy  lustige  amoureuse  geesten;  ber  be§  3ad)aria3  auf  bie  SSKelobie:  Een  out  man 
spraeck  een  jonck  meysken  an.  X)er  23fte  ^Pfalm  (nad)  Sintheilung  ber  S3ulgata,  unb,  ihr  überein* 
jiimmcnb :  Domini  est  terra  überfcfyrieben  ;  nad)  2utber3  Abteilung  ber  24jre,  in  feiner  Übertragung :  £>ie 
Erbe  ift  be»  Spam  unb  wa§  bartnnen  ift)  finbet  fid)  ber  SJietobic  be§  Siebeö  anbequemt:  Een  aerdich 
tronnnelaerken  sonder  ducht;  ber  96fic  (Dominus  regnavit,  exsultet  terra,  nad)  2utbcr  ber  97jfe:  £)er 
Sperr  ift  Äbnig,  befj  freue  fid)  ba3  Erbreich)  foll  geben  nad)  ber  SBeife:  Het  vloech  een  dein  wilt  vogelkyn 
toi  myns  liefs  veynster  in;  ber  86fte  (Fundamenta  ejus  in  montibus,  nad)  2utber  ber  87fte:  ©ie  ift  üefi 
gegrünbet  auf  ben  ^eiligen  Bergen)  wirb  oerroiefen  auf  bieSKelobie:  Een  boerman  had  eenen  dommen 
sin;  ber  lOte  (In  domino  confido  etc.  nad)  2utber  ber  Ute:  Sch  trau  auf  ben  Spmn)  foll  fid)  fd)icfen 
aufbieSbne  be3  2iebe§:  Ick  hoer  die  spiessen  cracken  ;c.  Bei  ber  SS5at;l  biefer  ©ingweifen  ift  oon 
bem  Stielte  ber  weltlichen  2ieber,  benen  fie  entlehnt,  ber  geiftlichen,  auf  bie  fie  übertragen  werben,  gdnjlid) 
abgefeben;  bie  beliebte  DJJelobie  wirb  für  ben  ^eiligen  ©efang  in  2üifprud)  genommen,  ohne  aud)  nur  an 
bie  Erinnerungen  ju  benfen,  weld)e  burd)  fte  aufgerufen  werben  formten.  Unb  in  ber  Sbat :  für  eine  fo 
bewegte,  üon  ber  Scicbtung  auf  geiftlid)e  Erneuerung,  fei  e§  be§  eigenen  Innern,  fei  e£  aller  duneren 
mcnfdilid)en  33erbdttniffe,  fo  gewaltig  burd)brungcne  3eit,  wie  biejenige  war,  in  ber  ©olcbes>  gefd)ahe, 
waren  bergleid)en  Erinnerungen  batb  gdnjlicb  »erlofcben.  £)a§  SQ3eltltd>e  war  in  bem  ©eiftltcben  ttbütg 
aufgegangen,  bie  ©eltfamfcit  ber  S5ejief)itng  befrembete  ntd)t,  weil  überhaupt  an  fein  Skrbdltnif?  be§ 
Entlehnten  ju  bemjenigen  meljr  gebad)t  würbe,  bem  e§  urfprüngtieb  angehörte.  Scafcb  griff  man  in  ben 
reichen  SDielobieeiworratb  l)inein,  bei-  für  bie  2Babl  ju  ©ebote  ftanb,  obgletd)  non  einer  SBabl  l)ier  faum  bie 
9febe  fepn  fann,  wo  in  ben  meiften  gdllen  wohl  nur  bie  Übereinftimmung  ber  ©tropben  bc3  neuen  geiftlicfyen 
unb  be§  alten  weltlichen  2iebe3  ba3  Entfcfyeibenbe  war.  SBie  nun  bem  Belgier,  fo  war  aud)  bem  Seutfcben 
in  feinem  SSaterlanbe  ein  großer  9icid)tbum  Bon  ©ingweifen  jur  £anb;  eine  SSeranlaffung  üon  gremben  ju 
borgen,  war  für  il)n  nid)t  eorhanben,  eö  wirb  un§  alfo  nid)t  auffaEen,  bafj  er  au3  ben  £auptquellen 
unfercr  betgifeben  ©ammlung  nur  feiten  fd)öpfte.  Ratten  früberl)in  noch  Begehungen  ber  entlehnten 
©ingweife  ju  ihrem  urfprünglicben  Siebe  feine  2Bal)l  geleitet  bei  ihrer  geiftlichen  2tnwenbung,  fo  traten 
berglcichen  9fücfftd)ten  boeb  ftetö  mehr  in  ben  ^)tntcrgrunb;  fd)on  burd)  bie  neue,  geiftlicbe  Beftimmung 
allein  erfchien  ihm  aud)  ba§  SBeltlicbe  geheiligt,  ©o  brud'te  ju  Dürnberg  (jwifeben  1528  unb  1538) 
Äuncgunb  ^ergottin  ba§  2ieb:  „lommt  her  ju  mir,  fpriebt  ©ottcS  ©obn, "  im  Son  ,,SBaö  wo  II'  wir 
aber  heben  an"  ju  fingen;  ben  23ften  ?>falm  in  Sacob  ÄlieberS  Bearbeitung:  ,,3d)  wei^,  ber  Sperr 
ber  ift  mein  £irt,"  mit  SSerweifung  auf  bie  SÖZelobte :  „£eut  hebt  fid)  an  ein  Abenttanj;"  ein 
^reislieb  göttlichen  SBorteS  burd)  Erempel  ber  ©d)rtft:  „grewet  euch,  frewet  euch  in  biefer  Seit,  ihr  lieben 
Gbnfien  alle  k."  in  bem  Son,  atfj  man  finget:  ©o  weif  ich  ein  6,  ba§  mich  erfreut,  ba3$piüm= 
lein  auf  prenter  ^>eibe  tc.  ©eorg  2ßad)ter  (jwifd)en  1529  biö  1546)  lief  baä  Sieb :  „£iff  ©Ott 
baf  mir  gelinge  bu  ebler  ©d)öpfer  mein"  beroorgeben,  ju  fingen  auf  „9Kbd)t  ich  *>c<n  ^erjen  fingen 


  71   

mit  £ufi  ein  SageroeiS;  einen  33ergreiben :  ,,2obt  ©Ott  itjr  frommen  ßbriften,"  in  jßruber  9Seit§ 
Sbon;  (Sin  Sieb,  „gemacht  in  einer  gefcntfnuS  burd)  £errn  leiten  £brtlin,  £>elffer  $u  Söeiffenberg" : 
,,Ad)  ©ort  im  l)bd)ften  (\£>immel£)  tf)ron,  bu  liebfter  SSater  mein"  im  Son:  25er  ©d)üttenfam  ber 
t) ctt  ein  Äncdjt,  bem  träten  bie  ©ulben  rool;  ein  Sieb  eben  biefeS  £>id)ter3:  „£>  ©Ott  im 
bödmen  Sbrone,  fd)au  auf  ber  3SKcnfd)en  Äinb,"  eine  Aufmunterung  jum  Danfe  gegen  ©ott  wegen  ber 
£ircbctvoerbeffmmg,  im  £on:  9tu  fd)ürj  biet),  ©reblein,  fd)ürj  bid),  bu  mußt  mit  mir 
bawon.  —  9)1.  3?.  9)Zunjer  gab  um  1556  (obne  Angabe  be£  £)rudort3)  berauS:  günf  neue  fd)bne 
getfjlid)e  ßteber,  oon  ber  3ufunft  be3  £erren  3efu  ßljrifi  am  jüngften  Sage,  beren  brttteS:  „Alle  bie  ifyt 
jefeunb  lebet"  auf  benSEon:  £>ie  ©onne  ift  verblichen  oerroiefen  mar ;  ba§  fünfte:  „Ad)  ©ott  tt)U 
bid)  erbarmen"  auf  bie  SDielobep :  Jrifd)  auf,  ibr  2anb3fned)t  alle.  (Sinige  biefer  2ieber  finb  nod) 
jefet  allgemein  gebräud)lid),  unb  vielleicht  eben  mit  jenen  rocltlid)en  SSeifen,  mag  um  fo  roalnfd)einlid)er  ift, 
ba  jroei  unter  ifynen  —  Äommt  ber  ju  mir,  fprid)t  ©otteä  ©of)n,  unb  Ad)  ©ott  tfyu  bid) 
erbarmen  —  nur  mit  einer  ©ingroeife  üorfommen,  bie  boppelte  be§2iebe§:  £ilf  ©Ott  bafj  mir 
gelinge,  aber  nur  al3  eine  oerfd)iebcne  Umbilbung  berfelben  ©runbmelobte  erfcfyeint. 

Allein  nid)t  immer  fanb  ein  fo  rütffid)tlofe§  (Sntlel)nen  ftatt:  oft  mar  eine  jarte,  innere  S5ejicbung 
worbanben  jtt>ifd)en  bem  alten,  roeltlid)cn,  bem  neuen  geiftlicfyen  Siebe,  bie  ibre  ©ingroeife  mit  einanber 
tl)eilten.  3«>ei  33eif»iele  biefer  Art  treten  um>  entgegen;  ba3  eine  rufen  un3  bie  Souter  liedekens  in  ba3 
©ebdd)tnif3,  auf  bas>  anbere  füfyrt  un3  gorfterä  ßieberfammlung. 

Sn  jenen  roirb  für  ben  128ften  9)falm  (Saepe  expugnaverunt  me :  nad)  2utf)er  ben  129ften : 
©ie  l)aben  mid)  oft  gebrdnget  von  meiner  3ugenb  auf)  bie  SJMobie  eine§  2tebee>liebes>  angeroenbet.  ©ie 
ftebt  mit  bemfelben  in  einer  ©ammlung  von  34  m'erfiimmigen  ©efängen,  roelcfye  ber  S3ud)l)dnblcr  Pierre 
l'Attaignant  ju  *Pari3  ofjne  3abre3jal)l  (mabrfd)einlid)  jmifd)en  1529  unb  1531,  roo  er  db,nlid)e  bruden 
lief?)  Verausgab*),  unb  ifjr  2ieb  lautet  ootlfränbig  alfo: 

II  me  suffit  de  tous  mes  maulx**) 

Puis  qu'ils  m'ont  livre  ä  la  mort 

J'ai  endure  peine  et  travaulx 

Tant  de  douleur  et  desconfort 

Que  fault  il  que  je  face 

Pour  estre  en  vostre  grace 

De  douleur  mon  cueur  est  si  mort 

S'il  ne  voit  vostre  face. 
Auf  biefe  ©ingroeife,  ibre  gebebnten  ©d)lufjfälte  ju  längeren  Seilen,  jumafyl  im  ^weiten  Abfafje 
benufcenb,  unb  baburd)  oon  bem  9Kaaf?e  ber  urfprüngltd)cn  £>id)tung  oft  ftd)  entfernenb,  bat  SOiarfgraf 
Albred)t  ber  jüngere  ju  S5ranbenburg=ßulmbad)  fein  fd)bne§  Sieb  gebid)tet: 
2Ba§  mein  ©ott  roitl,  baä  gfd)eb  alljeit 
dt  wallet  jlrtS  baS  SBefte, 


*)    Treate  et  quatre   chausons  musicales,    a  quatre  parties,  imprimees  a  Paris  par  Pierre  Attaignaot, 
libraire,  demourant  eu  la  rue  de  la  Harpe,  pres  l'Eglise  Saincl  Cosme. 
**)  ©.  SSeifpicl  13S.  a. 


3u  Reifen  ben'  cv  ift  bereit 

Sie  an  ifjn  glauben  tiefte; 

er  bilft  au$  9iotb,  ber  treue  ©Ott, 

Unb  troft't  bie  SBett  ob"'  2ENaa£en, 

2Ber  ©Ott  vertraut,  veft  auf  ibn  baut 

Seit  wirb  er  nicbt  v>erlaffert! 
Seine  Äriecjeöjücje  führten  biefen  famvfluftigen  Surften  um  1544  gegen  granfreid) ;  fvater  mit 
bem  ßburfürften  9Kori£  von  ©acbfen,  mit  3oad)im  von  SSranbenburg,  mit  ^)erjog  ^einrieb  von  33raun= 
febroeig  verbünbet,  von  Äaifer  ßarl  bem  fünften  in  bie  9?eicb§acbt  erflärt,  unb  (einer  ßanbe  beraubt,  mufjte 
er  bei  feinen  früheren  geinben  3uflud?t  fueben.  ©o  fyat  er  roobl  bei  feinem  Aufenthalte  in  granfreid)  bie 
©ingtveife  jeneS  franjbftfcben  Siebes  fennen  gelernt;  mochten  ifym  bod)  beffen  erfte  SSBorte  auf  fein  eigene^ 
©cbidfal  beuten,  auf  ben  Aufgang  feiner  roilben  Äriegeöluft,  unb  ber  ernfte,  fromme  ©inn,  ben  er  bei  fonfi 
rauber,  heftiger,  ju  ©eroalttbaten  geneigter  ©emütb^art  bennoeb.  bewatyrt  baben  foll,  ibm  ben  redeten,  feften 
SEroft  gemäßen  bei  fo  berbem  £ofe.  Sanacb  ermangelt  fein  £ieb  einer  inneren  S3ejiebung  nid)t  ju  ber  für 
baffelbe  entlelmten  ©ingroeife;  unb  baft  er  vvobl  geroäl)lt  %aht,  bat  ber  erfolg  genugfam  gezeigt.  Sie 
ÜRelobie  fanb  allgemeinen  2Cnf  lang,  ja  fte  ift  mit  ibrem  vierftimmigen  Sonfa^e  fajt  unverdnbert  übergegangen 
in  bie  ©ingebücber  beä  ©erb  ßalvift'uä  (1597)  unb  SJlicbael  ^)rdtoriu§;  eine  fünffiimmige  ^Bearbeitung 
berfelben  bureb  Sobann  eccarb,  ber  fte  in  ganj  neuem  ©inne  auffaßte  unb  entfaltete,  bat  un3  beffen  ©cfyüler 
©tobauS  um  1634  mitgeteilt*). 

Sn  bem  erften  Steile  von  gorfterS  frifeben  Sieblein  ft'nben  wir  ein  ßieb,  ba§  er  au3  ber  von 
(Stuart  SDglin  1512  ju  Augsburg  benm3gegebenen  ©ammlung  fd)b»fte,  9JMobie  unb  SEonfafc  beibebaltenb. 
@r  nennt  un§  $>aut  £ofbeimer  als  ben  Urbeber  biefeS  legten ;  bie  anmutbige  SBeife  überragt  beibeö,  ba§ 
SBerf  ber  ©efcerS  tvie  be3  SidjterS,  in  welchem  ein  ßiebenber  ben  frühen  SSerlufl  feiner  ©eliebten  besagt: 


^kl-j.rrr  cf-rf  ."-"-r- 

— — — s=— =-— 4— =J-r— r rO-*-^—. A-A — r^- 

_  j  _|  o  rt-O—- 4-A-e=fA 

-t— -  -Q~°~C 

TL&i  £ieb  mit  2eib,  tvie  f>«jt  bein  33fd)eib 
Äläglicb  in  furj  gefvielt  auf  mid) 
3d)  t)tt  gemeint  roer  ftetS  vereinbt 
Sa§  Sieb  nit  follt  venvanbeln  fid), 
9?u  bat  Unglüd  gebraucht  fein  tüd 
©enommen  bin, 

SKein  ©inn  barüm  betrübt  ijt  bart, 

Wid)  reut  bie  3art  roeiblicber  Art, 

Sie  faft  febbn,  jung,  lieblid)  unb  fromm. 


•)  @.  SBeifpiel  138. 


2öir  reben  f>ter  ntd)t  »on  geijtlidjen  Umbid)tungen  btefeS  Siebet  wie  fte  un§  fpäter  in  Änauft  unb 
SBeSpaft'uS  gcifilicben  ©dangen  begegnen;  fte  würben  un$  f>ter  nur  alf  3eugniffe  bienen  fonnen  für  bie 
grofje  SBclicbtbcit  feiner  9)ielobie.  Siefe  nimmt  unfre  Äufmerffomfeit  fn'er  be&h,alb  in  tfnfprudb,  weil  wir  fte 
Biebern  angeeignet  ftnben,  bie  mit  ihrem  urfprünglicfyen  nid)t  einmal)l  gleicb.cn  Stropbenbau  tbeilen.  3n 
bunbert  cbrifjlicben  ^aufgefangen ,  bie  3ot)aim  Äolcr  ju  Dürnberg  (obne  Beifügung  einer  ^abreSjabJ)  fjer* 
aufgab,  wirb  fte  porgefebrieben  für  baf  Sieb  3obann  grtebrtdjö  bef  ©rofjmütbigen  v>on  Sacbjen  : 

SBie'f  ©ott  gefallt,  gefallt  mir' f  aud) 

Unb  lafj  mieb  gar  ntdjt  irren  ic. 
ein  Sieb,  beffen  acfytjeilige  iambifdie  Strohe  einen  »iermaligen  2Bcd)fel  acb>  unb  ft'cbenfylbiger  Seiten  bar* 
(teilt,  mäbrenb  ibr  urfprüngtid)ef  neunjeilig  ift  v>on  bureb,  gangig  acfytfplbigcn,  iambifd)cn  S3erfen,  bie  nur 
vor  ber  Scblufjjeile*)  bureb;  eine  üierfylbige  £alb$eile  unterbrochen  werben,  gür  bie  2Bal)l  biefer  fronen 
ÜBeife  mar  bienad)  offenbar,  tüte  ibr  anmutiger  ©ang,  fo  eine  innere  SBejicf^ung  baf  ßntfd)eibenbe.  Sn  bem 
felbenSonen,  in  benen  $uv>or  eine  2iebe»flage  erflang,  foüte  nun  bemütbjge,  fromme  Ergebung  laut  werben, 
unb  jene  Sbne  einem  ebleren  ©ebraud)  meinen;  bafj  ber  melobifdje  ©ang  bcrfelben  babureb,  eine  'tfnbenmg 
erleiben  mußte,  mar  eine  9iücffid)t,  meldte  babei  in  ben  £intergrunb  trat.  ScneS  Nürnberger  Sieberbud) 
tfieilt  feine  931elobiecn  mit,  ef  nimmt  auf  fte,  alf  befannte,  nur  SBejug;  mir  miffen  alfo  aud)  nid)t  ju 
fagen ,  in  welcher  #rt  bie  Umbilbung  erfolgte.  Allein  bemerf  enfwerth,  ift  e§ ,  baß  biefe  nid)  t  bie  einzige 
'Aneignung  folcfyer  2irt  blieb,  baf  mir  beren  noeb,  jwei  ftnben,  unb  $war  mieberum  für  Strogen,  bie,  mie 
unter  fid),  fo  von  ber  bef  urfprünglicb,en  Siebef  unfercr  Singmcife  gänjlid)  abwetd)enb  ft'nb.  Sie  werben 
alfo  aud),  weil  ef  an  bem  gewöbnlid)en  4?ülf§mittel  fet^It  fte  ju  erfennen,  bemjenigen  unbemerft  bleiben 
müffen ,  bem  baS  2Befen  ber  entlebnten  ÜSielobie  ft'd)  nid)  t  fefter  eingeprägt  l}at. 

2>iefe  begegnet  unf  junädjft  in  bem  ©efangbucfye  ber  9Jcäl)iifd)en  S3rüber,  in  ber  Aufgabe 
beffelben,  meldje  »on  biefen,  oermebrt  unb  gebeffert,  um  1566  bem  Äatfer  SDiarimilian  bem  3meiten  über* 
geben  würbe,  unter  bem  Sitel:  ,,  jtirct)cngefeng,  barinnen  bie  4?cubtartidel  bes  ßl)rifrlid)en  glaubend  fur£ 
gefaffet  unb  ausgeleget  ftnb  k."  ^)ier  ftnben  mir  unfere  <2ingweife  einem  Siebe  gefeilt:  „25on  ßbjijto, 
bem  einigen  Leittier:" 


Jg>ct  =  lig  unb  jart  ift  dhri  *  fH  äftcnfcfc.bctt,  gar  ebbtet  2frt  ooll  at  =  Ift  ®nab  unb  3Bahr=beit  ; 
benn  ba  «  rin    roobnt  bie  güll'    ber   @ott*hcit,  ift   fcfcjbn  ge « front  mit     hbeb,   fter  Shr  unb  £tar ;  heit. 


6r    ift    ber  Saum  ge  =  pflanjet     an   bem     SBaf ;  fer  =  firom ,     ift  ber  gan  =  jen  (Shrpften  =  heit  Kubm, 


■~!    '    Q  - 

 1  

grünt  con  £ei»  lig  =  feit     unb  ©e^reetptig  s  feit   blüht  in 


tec      gbtt  =  lüd)enaBei6.-heit. 


*)  SRad)  ber  erften  3eite  bei  2fbgejange6,  n?enn  roir  bic  Strophe,  ber  SDcelcbic  folgenb,  abtheiten,  roie  fte  bei  ©eorg 
gorfter  aufgcjeidjnet  ift. 

».  SBintcrfcIb,  tet  eianget.  CS^otalgtfang.  10 


—  n  — 


£>ie  ©tropfe  btefeS  Ctebeä  ift  eine  jebjnjeilige,  in  ben  erflcrt  fed)S  Seilen  iambifcfye,  in  ben  legten 
wer  rrocbaifd)  -  baftnlifdje.  2Bir  fbnnen  fie  freilich,  ju  einer  achtteiligen  umfcfyaffen,  wenn  wir  bie  fünfte 
unb  fed)fte,  bie  ad)te  unb  neunte  ßeile  ju  einer  einzigen  jufammenjiel)en.  2fUetn  eS  ift  flar,  bafj  babureb, 
eine  Übcreinftimmung  mit  ber  urfprünglicben  Strophe  unfercr  SJWobie,  weber  in  ber  3at)l  nod)  Sange  ber 
Seilen  erreicht  wirb,  @S  war  alfo  offenbar  ein  innerer  ©runb  twrbanben,  bureb  ben  man  fieb  gebrungen 
füllte,,  fte  ba  ju  entlegnen,  reo  ihre  äußeren  SSerbältniffe  cS  ju  unterfagen  febienen.  Sbre  anmutfyenbe 
gorm  feilte  bem  würbigften  Inhalte  angeeignet  werben,  ihm  foüte  fte  tterfebmeljen,  ihre  rechte  .Ipeimatb, 
ihre  beiligfte  S5cftimmung  in  ihm  fmben.  £cr  2ütSbrucf  vergänglicher,  irbifdjer  Siebe  follte  ftd)  an  bem= 
jenigen  verflären,  ben  baS  Sieb  ber  33rüber  fo  febbn  bejeiebnet  als 

bie  ewig'  2BetSl)ett, 
ber  Sperre  @l)rift,  ein  ©lanj  beS  33atcrS  Älarfyeit, 
baS  ßbenbilb  gbttlidbcS  SBefcnS, 
©nabreieb  unb  mtlb,  ein  febbner  S5runn  beS  SebenS. 

SSergteicben  wir  nun  bie  ©ingweife,  wie  fte  in  biefer  neuen  SSerbinbung  ftd)  barftellt,  mit  ibjer 
urfprünglid)en  ©eftatt,  fo  überjeugen  wir  unS,  baff  babei  feine  ihrer  wefentlid)cn  SBcnbungen,  tf;rer  2tuS= 
wetd)itngen,  nichts,  waS  irgenb  ihre  Gjigentbümlid)feit  bejetd^net,  verlorengegangen,  bafj  nur  SBenigeS 
von  t£>r  auSgefd)ieben,  fajt  nichts  b,tnjugetb,an  ift.  SBlieb  unS  aber  ihre  urfprünglid)c  SScftimmung  fremb, 
lernten  wir  fte  nur  mit  ihrem  fpäteren  Siebe  fennen;  fo  werben  wir  faum  anbcrS  glauben,  als  bafs  fte  mit 
il)m  jugteieb  entftanb,  fo  innig  erfebeinen  SBort  unb  Xon  hier  ju  einem  ©anjen  verbunben. 

■iftun  ftnben  wir  fte  aber,  jwei  unb  jwanjig  %al)re  fpäter,  um  1588,  in  §ranj  (SlerS  (Sammlung 
getftlicber,  beutfd)cr  Sieber  für  Hamburg,  abermals  einer  neuen  SScftimmung  gewibmet.  (SS  wirb  faum 
ju  entfcfyeiben  fevn,  ob  man  fte  bamalS  von  ben  33rübern,  ob  von  tyrem  weltlichen  Siebe  entlehnte;  in  bem 
einen  wie  bem  anbern  Salle  erfreut  unS  eine  jarte  S5ejiel)ung  beS  (Entlehnten  unb  beS  il)tn  gegenüberftebenben 
Urfprünglicben.  3n  jener  (Sammlung  ift  eS  aber  nicht  ein  n  eueS  geiftlicbeS  Sieb,  für  baS  fte  in  2(nfprucb 
genommen  wirb,  fonbern  ein  älteres,  von  Sutber  felbft  herrübrcnbeS,  jencS  von  ber  (Sb^ifjlicben  Äircbe 
nach  bem  jwblften  ßapitcl  ber  Offenbarung : 

Sie  ift  mir  lieb  bie  wertbe  SEJZagb 

Unb  fann  ihr'  nicht  vergeffen, 

Sob ,  @t)r  unb  3«d)t  von  ihr  man  fagt, 

Sie  l)at  mein  Sr>evö  befeffen ; 

Sd)  bin  iln-  bolb,  unb  wenn  ich  follt 

©rofj  Unglüd  l)an,  ba  liegt  nichts  an 

Sie  will  mid)  beS  ergeben 

Wit  ihrer  Sieb'  unb  Sreu  an  mir, 

Sie  fte  ju  mir  will  fe^en 

Unb  tljun  all'  mein  SSegier. 
SSBtr  f)aben  b,ier  abermals  eine  jclmjeilige,  —  ober  wenn  bie  in  ber  Sttitte  reimenbe  fünfte  unb 
fed)fte  3eile  getrennt  wirb,  eine  jwblfeeilige  —  Strophe;  allein  wie  t>erf ergebenen  S3aueS  von  ber  beS 
SrüberliebeS  !  fo  abweidjenb,  bag  feine  3eile  beS  einen  ber  beS  anbern  an  Sänge,  ja  julefet  nid)t  einmab,! 


  75   

an  ©lieberung  ber  güf? e  übereinfiimmt.  Unb  bod)  fcbmicgt  biefetbe  SDRelobte  bcm  einen  unb  bem  anbern 
ftd)  an ,  gleid)  ungejwungen;  I;ter  aüerbingö  mit  einigen  Erweiterungen ,  bie  tnbejj  auS  ihren  SSenbungen 
felbft  unmittelbar  gefd)bpft,  unb  feine  frembe  Sutyat  ftnb.  ES  war  aber  nicht  einma()l  baS  35ebürfnif?  beS 
EntlehnenS  einer  ©ingweife  für  biefeS  Sieb  SutherS  vwrbanben;  eS  befafj  eine  eigene,  fogar  bem  £>id)ter 
felbjt  jugefebriebene.  Jg)ter  alfo  fonnte  cS  wieberum,  neben  ber  greube  an  ber  lieblichen  Sonweife,  nur 
eine  innere  33e$iebung  fepn,  bie  ju  tt>rer  SBabl  an  bie  ©teile  einer  bereite  »orbanbenen  veranlagte,  ginbe 
man  nun  biefe  in  ber  unverbrüchlichen  Sreue  ber,  bei  Sutber  unter  bem  Silbe  ber  Jungfrau  bargcfieüten 
.Kirche  gegen  bie  ©laubigen,  ber  unerfd)bpflid)en  ©eligfeit,  bie  fte  ihnen  gewährt,  gegenüber  ber  Skrgäng= 
lieb,  feit  irbifd)er  Siebe,  welche  baS  SSolfSlicb  beflagt;  ftnbe  man  fte,  beibe  geift  liehe  Sieber  gegenüber* 
ftellenb,  in  ber  Erinnerung  an  beS  £errn  menfd)licben  Urfprung,  bie,  auf  bie  bebeutungSvolIen  Silber  ber 
Offenbarung  hinbeutenb,  baS  Sieb  SutherS  hervorruft,  wäf)renb  baS  ber  SSrüber  uns  bie  innige  SSereim'gung 
beiber  Naturen,  ber  menfd)lid)en  unb  göttlichen  in  ßhrijto,  unb  beren  erlöfenbe  Äraft  fo  begeifert  preift: 
immer  werben  wir  fte  tief  unb  bebeutungSvoll  ftnben  muffen. 

Tiber  aud)  von  einem  anberen  ©eftd)tSpunfte  auS  bleiben  für  baS  SSerbältniß  beS  geglichen  unb 
weltlichen  ©efangeS  bie  beiben,  eben  befprod)cnen  9JMobieen  unS  wichtig.  SOcan  entlehnte,  wie  wir  faben, 
bem  SSolfSgefange  einzelne  23eftanbtf)ei(e,  allgemeine  Wormeln,  in  feinen  ©tropfen ;  man  entlehnte  i£)tn, 
innerlich,  eigenthümlich ,  burd)  ben  ©efang  in  benfelben  Entfaltetes,  in  bem  rfjtjtfjmtfdhen  2Bed)fel :  man 
borgte  aber  auch  von  ihm  wollig  ausgestaltete  ©efangSformen  in  feinen  SCßelobieen.  ES  blieb  inbefj  nid)t  bei 
einem  bloßen  Tineignen  beS  fd)on  SSorhanbenen;  eS  gefdjahe  auch,  ba$  bie  «Strophe  ftd)  in  bie  SDielobie  f)in- 
cinbtlbcte,  in  fte  aufging,  wie  bei  bem  Siebe:  SBa§  mein  ©ort  will,  baS  gfchel;'  alljeit ;  oberbafs,  um* 
gefehrt,  bie9Relobie  hineinwuchs  in  bie  abweiebenbe  Strophe,  wie  bei  bemJBrüberliebe,  bei  bem  lutbcrifcben. 
2Bar  bei  bem  blofjen  Entlehnen  bie  5öielobie  fajt  nur  ein  fcbbneS  geterfleib,  mit  bem  man  ben  SSürbigeren 
befleiben  wollte,  fo  erfcheint  fte  bagegen,  gumabl  in  bem  legten  ber  von  unS  betrachteten  gälle,  felbjt  als 
ein  verflärteS  Söefen,  bem  bie  Stcbtfunft  baS  würbigere  geiergewanb  gu  leihen  bejtrcbt  tjt,  baS  feine  gange 
Schönheit  erft  erfennen  laffe. 

ES  treten  unS  aber  in  biefer  Seit  auch  noch  onbere  33eweggrünbe  beS  EntlehnenS  entgegen.  3«= 
mahl  gefchieht  bieS  in  einer  ©ammlung  beutfeher,  geiftlicber  Sieber,  bie  in  bebeutenbem  Umfange  weltliche 
©ingweifen  für  bicjtircbe  in  Tlnfprud)  nimmt,  unb  baburd),  bafü  fte,  gleich  ben  Souter  liedekens,  biefclben 
nicht  bloS  in  SSejug  nimmt,  fonbern  fte  in  ©inggeieben  vollftänbig  mittheilt,  unferer  gorfebung  entgegen* 
fommt.  ES  ift  Valentin  SErillerS  von  ©ora,  ?>farrberrn  gu  $)antenau  im  9cimpfd)tfd)en  SBctcbbilbe, 
geiftlicbeS  ©ingebuch.  3d)  fenne  eS  in  gwei  TluSgaben,  1555  unb  1559  bei  GriSpin  ©charffenberg  in 
SSrefjlau  erfebienen,  beibe  im  SBefentlicben  übereinftimmenb.  Sie  ältere  führt  benSitel:  ,,Ein  fcblefich 
©ingebüd)lein  auS  göttlicher  ©chrift,  von  ben  fürnembften  gejten  beS  %axt$,  unb  fonft  von  anbern  gefengen 
unb  Pfannen,  geftellt  auf  üiel  alte  gewönliche  SQZelobeien,  fo  jum  teil  üorf)in  lateinifd),  jum  teil  beutfd), 
mit  geiftlichen  ober  aud)  weltlichen  Seiten  gefungen  feinb  tc."  2)er  fpätcre  Tlbbrud  behnt  biefe  Tluffchrift 
umfiele»  auS;  fte  lautet:  ,,Ein6hri(ilid)eS  ©ingebuch  fürSatjen  unb  ©eierten,  Äinber  unb  2llten,  baheim 
unb  in  Äirchen  ju  fingen ,  mit  einer,  jweien  unb  breien  ©timmen,  t>on  ben  fürnemften  Sejlen  beS  ganjen 
SarcS,  auf  üiel  alte  gewönliche  SJcelobeien,  fo  ben  alten  befannt  unb  bod)  oon  wegen  etlicher  2lbgöttifd)cn 
Herten  ftnb  abgethan,  jum  teil  auch  «nS  reinem  lateinifchen  Eoral  newlid)  jugericht"  tc.  £>iefe3  ©ingebuch 

10* 


—  76   


bat  unS  mehre  weltliche  sDMobicen  aufbewahrt,  bie  eS  gerfrlictjen  Stebcm  anpaßt;  bod)  fd)eint  bie  Unwert* 
bung  berfelben  hier  nidjt  allein  auS  freier  2Babl,  ber  3?id)tung  ber  Seit  gemäß,  gefcbeben  ju  fepn,  fonbcm 
aud)  unter  ßinfluß  befonberer  58erl)ältniffe.  Arider  war,  wie  wir  auS  feiner  Sufdmft  an  feinen  Surften, 
.£>er$og  ©eorg  in  <2d)left'en,  jur  ßiegnif^,  S3rieg,  ic.  unb  auS  feiner  SSorrebe  „an  bcn  G>brifUid)cn  gefer," 
fef)en,  wegen  ber  9feinl)cit  feiner  2el)re  angefochten;  allem  S>ermutl)cn  nad)  batte  man  il)m  vorgeworfen,  ein 
©d)wenFfelber  ju  fcvn.  ßaSpar  von  ©d)wcnffelb,  im  gürftentbum  2icgnifc,  nal)e  ber  Jpauptflabt  bcffelben 
geboren,  bitte  bort,  ja,  bureb  ganj  ©d)leftcn,  viele  2lnl)änger  gefunben.  Sson  bem  Stange  nad)  einer  burd)= 
greifenben  Reinigung  unb  Cwieuung  berÄird)e,  ber  um  bie  crjleJpälfte  bcS  lGtenSabrl)unbert§  alleScmütbcr 
lebbaft  bewegte,  war  aud)  er  lebenbig  ergriffen  worben;  bod)  genügte  if)m  ntd)t,  »aS  burd)  2utber  unb 
beffen  2lnl)ängcr  gefebabe,  cS  festen  il)m,  als  fei  bcS  2(lten  nod)  ju  viel  beibehalten,  alS  fei  für  bie  grünblicbe 
SScffcrung  beS  Innern  nod)  ju  wenig  getban,  als  werbe  bie  fleifd)lid)e  ©id)erl)eit  geförbert  burd)  bie  2frt, 
wie  bie  Sebve  von  ber  S3uße  unb  3ied)tfcrttgung,  von  bem  ©ebrauebe  ber  ©nabenmittet  in  ben  ©aframen* 
ten,  von  bem  geiftlid)en  ©tanbe,  ber  biefe  ju  fpenben,  baS  göttliche  SBort  ju  verfünben  cingefe^t  fei,  gefaßt 
werbe.  @r  fühlte  ftd>  berufen,  burd)  9febe  unb  ©d)rift  feine  2inft'd)ten,  befämpfenb  unb  lebrenb,  barüber 
auSjufprcd)cn,  unb  ba  er  in  feinen  SDieinungen  von  ber  Sebre  2utf)erS,  bie  ©aframente  unb  beren  2öürbe 
betreffenb,  bebeutenb  abwich,  ja  in  fpäterer  Seit  baS  2CugSburgifd)e  SSefenntntß  alS  item  ber  evangclifd)en 
2el)re  anfocht,  unb  alS  allgemein  binbenb  verwarf,  traten  ihm  2utl)er  unb  bie  ©einen,  alS  einem  Ijartndcft' 
gen  Srrlefytöy  einem  verblenbeten,  felbwilligen  ©d)warmgeifte ,  mit  harten  SBorten,  ja  ©d)mäbungcn  unb 
£3eiwünfd)ungcn  heftig  entgegen.  £)ennod)  gewann  er  ba,  wo  er  unmittelbaren,  perfönlicben  Grinfluß  üben 
fonnte,  viele  grettnbe  unb  Nachfolger;  junädjft  in  ©d)leften,  unb,  nad)  feiner  äkrbannung  von  bort,  in 
Augsburg  unb  Ulm,  wo  er  langer  fid)  aufhielt.  £>enn  er  wirb  als  ein  fanfter,  befd)eibener  9ttann  gerühmt, 
voll  ernften  (SiferS  für  baS,  waS  er  alS  SSSabrf>eit  erfannte,  bringenb  vor  2lüem  auf  einen,  bem  ©lauben, 
alS  innerer  Überzeugung,  vollkommen  gemäßen,  äußeren  2ebenSwanbcl,  beffen  33eifpiel  er  burd)  fein  ganjeS 
geben  gegeben  haben  foll;  wie  mochte  er  ba,  obgleich  »on  Äatholifd)en  unb  SJeformirten  nicht  minber  al§ 
ben  2utl)crifd)en  angefochten,  auf  empfängliche  ©emüther  nicht  einwürfen!  Sange  haben  Anhänger  feiner 
Überjeugungen,  vor  2lllem  burch  jtreng  ftttlid)en  SSSanbel  ausgezeichnet,  in  ©d)leften  ft'd)  erhalten,  jumeift 
in  bem  gürjientbum  fitegnifj,  feinem  ©eburtStanbe;  unb  fo  mag  benn  wol)l  auf  bcn  bortigert  ©emeinen 
überhaupt  bamalS  eine  ßeitlang  ber  S>erbad)t  gerul)t  haben,  baß  fie  ju  ben  ©einigen  gehörten.  S3ci  äkten= 
tin  Friller  nun  fd)eint  SSieleS  auch  b'efctl  S>erbact)t  ju  untcrjlüfeen.  3war  fud)t  er  gegen  feinen  gürften 
mit  SBärme  benfclben  abjulcl)nen.  (Sr  fei,  fagt  er,  fonberlid)  beSbalb  aud)  veranlaßt  worben,  ein  ©inge= 
büd)lcin  einzurichten,  weil  —  feine  eigenen  Sßorte  anzuführen  —  „wir  Liener  bcS  2Bort§,  unter  @w. 
gürjil.  ©naben  wobnenbe,  bei  m'elcn  ^)od)»er(tänbtgen  in  58erbad)t  fmb,  al§  wären  wir  irrige  ßehrer,  wcld)§ 
benn  nid)t  allein  un3,  fonbern  aud)  (Sw.  gürjil.  ©naben  Nachgebe  bringen  möd)t.//  Nun  fei  e§ 
feine  ^bffd)t,  fid)  unb  feine  geijtlid)en  SSrüber  be3  2trgwol)n§,  feinen  gürjten  ber  Nachgebe,  al§  leibe, 
ja,  begünjiige  er  fte,  ju  cntlebigcn;  unb  baß  —  fährt  er  fort  — „aW)ie  jebermann  fcl)en  unb  fpüren 
möge,  baß  wir  eine  reine,  untabelid)e,  d)rifilid)e  £el)re  hobeln,  ber  wir  une>  auch  öUe  einträchtig  ju 
hanbeln  ftetä  befliffen  b^ben  unb  nod)  befleißen."  <£r  beginnt  feine  SSorrcbe  mit  bem  ©ejiänbniffe,  baß 
üiel  fd)öne  unb  d)rijllid)e  ©efänge  von  ©elcl)rteren  unb  ©efehieftern  al§  er,  feien  gcbid)tet  worben,  baß 
er  aber  bennod),  auf  vielfältiges  Anregen  etlicher  gutherziger  SCRenfd)en  veranlaßt  worben,  ben  ©d)lefiern, 
feinen  ganbsleuten,  biefen  fleinen  X)ienjt  ber  Verausgabe  cineS  ©ingebud)eS  ju  erzeigen.   3um  äiornel)m= 


  77   


ften  aber,  fagt  er  bann,  bat  mid)  oaurfad)t,  bajj  mir  jur  3eit  metner  ©efänge,  etwa  bei  fechfen,  neben 
anbern  gebrutft,  finb  fürfommen,  fo  mir  aud)  oon  etlid)en  sugemeffcn  morben  finb,  al§  fei  id)  berfclben  aud) 
ein  Siebter  gemefen,  meldte  mid)  bod)  511m  teil  faß  tunfcl  anfeben,  unb  bem  redeten  ßbriftlicbcn  Sinn  t>er- 
beebtig  febeinen."  Zücin  aller  biefer  83crmal)rungcn ,  biefer  ä>crtl)cibigungcn  ungcad)ter,  bleibt  bod)  SHefeS 
auffallenb  an  unfereö  S3erfaffer§  Singebud)e.  2öir  finben  in  ibm,  fo  fiele  ^Bearbeitungen  alter  fird)lid)er 
©efänge  eS  aud)  enthalt,  fein  2icb  Süthen?  ober  ber  ©einen.  Sinb  etwa  bic  'tfnfangsmorte,  ift  f)od)ften§ 
ein  ©efä£  einc§  foleben  Siebe»  aufgenommen,  fo  ift  bod}  ber  übrige  3'bcil  beffclben  umgcbid)tct,  unb  mar 
ein  bcrgleid)en  Sieb  eine  freie  Übertragung  eineS  alteren,  fo  tbeilt  eS  mit  ber  lutberifd)cn  etma  nur  bie  erfte 
3eile,  allcS  "Untere  ift  eine  gan3  abrociebenbe  sJcad)bilbung.  SobaSSieb:  Ssom  £immel  fyoä)  ba 
f  omm  ieb  f>er:  ibm  gel)t  eine  Strophe  voran,  beren  erfte  Beile  mit  ben  SBorten  beginnt:  fam  ein 
©ngel  bell  unb  flar, "  bann  folgt  feine  erfte,  alle»  Übrige  ift  Umbicbtung.  Das"  Sieb:  Äomm,  ©Ott 
Schöpfer,  t)e il'ger  ©eift,  bat  mit  bem  befannten  bicfcS  Anfanges  nur  bie  erfte  Seile  gemein,  baS  Sieb: 
S3erleib  un3  grieben  gndbiglicb,  nur  einen  £l)eil  ber  erften  Strophe.  9cid)t  ohne  SJeranlaffung 
bürfte  man  ein  SBcftrcben  barin  erfennen,  eine  ©lcid)ffcUung,  eine  ©cmcinfd)aft  mit  Sutbcr  auf  unanftöpige 
SSBeife  abjulcbnen.  'Iber  biefeä  Ablehnen  bcl)nt  fieb  aud)  aus"  bis  auf  bie  Singweifen  ber  Sieber.  Die 
SEKelobieen :  Da  3tflt$  <**1  bem  Ärcujc  ftunb;  ©Ott  ber  Spater  wohn'  un§  bei;  SJerleib  uns?  grieben  gnäbig* 
lid);  t>  bu  armer  3"ba§;  Sföag  td)  Uuglüd  nit  mibcrftal)n;  finb  Friller»  Singcbud)e  jwar  mit  ben  noch, 
unter  2utl)er§  luge  erfd)ienenen  ©cfangbücbern  gemein :  aber  bie  lefcte,  wie  wir  fallen,  flammte  au3  bem 
23olfsgefange,  alle  übrigen  waren  fdjon  in  ber  alten  .Kirche  gebräueblid)  gewefen.  9cur  jwei  93Jelobieen,  bie 
man  gewöhnlich,  2utl)er  beijulegcn  pflegt,  finben  mir  fremben  Siebern  norgejeidmet :  bie  ältere,  fd)on  1524 
torbanbene,  bcS  StebcS:  9Jun  freut  euch  lieben  6  f)r  ift  eng  mein,  unb  bie  pl)n>gtfcbc  bes ^falmltebeS : 
Ich  ©ott  üom  Gimmel  fieb  barein;  nur  angebeutet  iji  bie  bes"  gleichartigen  SiebeS :  2Tuö  tiefer  iJcotf) 
febrei  id)  ju  bir.  2Bir  roollen  barauä  tücbt  folgern,  bafj  biefe  SDielobieen,  bei  benen  üutbers  Url)cberfd)aft 
obnebics"  jroeifelbaft  ift,  eben  be$l)alb,  weil  Friller  fie  aufnabm,  als1  niebt  lutl)crifcbe  erfd)cincn  muffen;  ifjre 
lufnabme  fonnte,  aud)  bei  unjmeifelbaftem  Urfprunge,  nod)  einen  befonberen  ©runb  haben.  Sie  geborten 
nämlicb  einem,  bamals  febr  beliebt  geworbenen  Stropl)enbauc,  bem  ftebenjciligcn,  an  unb  für  biefen  mod)te 
unfer  Dichter  anbere,  entfpred)cnbe  unb  gleicb  allgemein  befannte  nid)t  finben.  SBaö  bie  IbcnbmableU 
gefänge  betrifft,  fo  barf  eS  nacb  bem  blöket  ©efagten  nicht  befremben,  feinen  lutberifeben  hier  anzutreffen, 
ja,  nicht  einmabl  bie  oon  2utl)cr  entlehnten  älteren  Singmeifen  fold)cr  ©efänge;  bie  fünfe,  bie  mir  fyiex 
finben,  finb  alle  auf  alte  lateinifche  9)ielobiecn  gebiebtet,  unb  prüfen  mir  il)ren  Inhalt  näber,  fo  nebmen  mir 
tag  SBeftrebcn  wahr,  ben  lutl)crifd)cn  2el)rbcgriff  com  Tlbcnbmable  auf  unanftbfitge  SSBeife  ju  umgeben,  obne 
eine  entgegengefebte  Inftcbt  flar  au»jufprecbcn.  Darum  bat  aud)  mol)l  SOiicbael  ^)rätoriu§,  ber  Sriüerä 
Sammlung,  vornebmlid)  mit  SiucFficht  auf  bie  barin  cntbaltenen  SSolfSmeifcn,  für  feine  Sionifd)en  9)cufcn 
benu£te,  oon  biefen  Siebern  feinen  ©ebraueb  gemaebt,  unb  mir  müffen  imraueifcfjen,  bafj  fie,  auä  ben  an= 
gegebenen  Urfad)en  in  einem  3eitalter,  mo  richtige  2el)re  unb  reiner  ©laube  mit  fo  grojjem  ßifer  geforbert, 
mit  fo  ftrenger  2Bad)famfeit  behütet  mürben,  auf  einen  nur  f leinen  .Kreis?  befchrdnft  geblieben  finb.  §ür  ben 
Urbeber  unfereä  SingebucbeS  aber,  ber  mit  ben  alten  tateinifchen  93Ielobieen,  fofern  fie  nicht  oolfSmäpig 
umjubilbcn  maren,  ober  fd)on  urfprünglid)  baö  ©epräge  ber  Sjolfsmäpigfeit  an  fieb.  trugen,  nicht  ausreichen 
mochte,  aber  mbglichft  üermeiben  wollte,  ju  ben  neu  entftanbenen  93celobieen  beä  eoangclifd^en  Äirchem 
gefanges  feine  3uflud)t  ju  nclmien,  würbe  e3  Sebürfnip,  fieb  bem  83 olf Stiebe  jujuwenben,  v>on  bafjer 


  78   

baS  S3eliebtefte  fowol)l,  alö  für  feinen  3wed  SOaffenbjte  auSjulefen.  2Baä  er  nun  hier,  wenn  aud)  einer  jeit= 
gemäßen  SKtcfytung  folgenb,  bod)  tfyeilweife  nicht  auS  freier  SBahl  getfyan,  waS  wir,  unferem  gegenwärtigen 
©tanbpunfte  jufolge,  waty  nid)t  minber  anftbjjig  finben  würben,  als  baS  Umgeben  wichtiger  Sehtpunfte ; — 
baS  eben  war  eS,  waS  "tfnflang  fanb,  tjter  t>ot  man  il)n  fpäter  ausgebeutet,  unb  er  ift  unS  baburd)  Quelle 
geworben.  £)afj  er  biefe  weltlichen  ©ingweifen  für  ben  jtircfyengefang  bejfimmt  gehabt,  nid)t  etwa 
für  häusliche  Erbauung  allein,  ift  nid)t  nur  auS  bemSitel  feines  33ud)cS  ju  entnehmen,  eS  wirb  t>on  if)tn  aud) 
jum  ©d)luffe  feiner  SSorrebe  auSbrüdlicb,  bemerft.  „Über  baS,  fagt  er,  fyab'  id)  aud)  fonberlidje  befannte 
weltliche  9Jlelobr;en  mit  geiftlid)en  Herten  jugericht  unb  b,injugefe^t ,  ber  man  aud)  etliche  wof)l  in  ber 
Äird)en  fingen  mbd)t;"  waS,  foweit  feine  unmittelbare  SSBirffamfett  reid)te,  unfehlbar  gefd)ef)en  fepn  wirb. 
9cid)t  alle  biefe  weltlichen  Siebermclobteen  finben  ftd)  juerjt  bei  il)tn,  manche  fennen  wir  fd)on  auS  gorfterS 
Sammlung,  ja  auS  nod)  früheren;  fo  waren  bie  ber  Sieber :  Gjin  SSJiepblem  fprad)  mir  frcunblid)  ju  ic, 
3art  fd)bne  grau  k.  fdjon  1513  gebrudt:  fo  ft'nb  jene  anbern:  £rbjtlid)er  Sieb;  5Rad)  Suft  b,ab'  id?  mir 
auSerwäl)lt;  ©o  wünfd)'  id)  jr  ein'  gute  9tad)t;  SSiel  ©lüd  unb  $etl;  SSon  ebler  Art;  S!BaS  wirb  eS  bod) 
beS  SEBunberS  nod)  :c.  bereite  t>on  gorfter  mitgeteilt.  £>urd)  Friller  aber  lernen  wir  ben  Zon  beS  alten 
9Jler;e  fennen,  bie  9cota  beS  alten  unb  neuen  9?ofenfranjeS,  bie  SSBeife  beS  alten  ©pottliebeS : 
„SB  er  Pfennige  hat,  ber  ift  juJRom  ein  guter  SSRann,"  ben  £eräog(§mfteS  Zon,  bie  9J£elo= 
bieen:  AuS  frembenSanben  fommid)  t)  er  —  il)r,  unb  ntd)t  ber  lutb,erifd)en,  ift  bie  Umbid)tung  beS 
ßtebeS :  SSom  £immel  t)od)  ba  fomm  id)  l)er,  angeeignet  —  S3on<£d)war§  ift  mir  ein  jtleib;  2>d) 
weip  ein  S5lümleint)übfd)  unb  fein;  ?ölerE' auf,  merf  auf,  bu  fd)b.ne;  9ßun  Saube,  Sinb= 
lein  Saube;  SD  werter  9Jiunb;  ©o  fd)bn  t>on  Art.  Sie  neun  legten  t)at  SOrätoriuS  wieber  auf= 
genommen,  unb  burd)  feinen  üierftimmigen  ©afj  anncl)mtid)er  gcmad)t,  benn  unfereS  50farrb,erm  jweb  unb 
breiftimmige  ^Bearbeitungen,  womit  er,  feinen  SSorten  zufolge,  „berfelben  etliche  poliert  hat,  weil  fte 
jum  teil  juttor  alfo  gefungen  ftnb"  ift  wenn  aud)  ,,aufS  leid)(t  unb  fd)led)jt"  abftd)ttid)  jugerid)t,  bod)  nad) 
gorfterS  AuSbrud  „gar  ju  einfeltig"  geraden.  SBefonberS  aber  l)aben  wir  ihm  bie  Aufbewahrung  ber 
SSBeife  beS  alten  DjterltebeS  auS  bem  14ten  3af}rl)unberte  ju  banfen : 

£)u  ßenje  gut,  beS  SareS  tcurfte  Quarte, 
bie  ^rätoriuS  wohl  be§t)alb  nid)t  wieber  aufgenommen  hat,  weil  er  jeneS  Sieb  in  feiner  Urgejralt  nid)t 
fannte,  bie  Umbid)tung  SrillerS  aber,  felbjf  um  baS  erfre  Sa&rje&enb  beS  17ten  SafjrhunbertS  nod),  irr; 
gläubig  unb  anjtbfsig  erfd)einen  mochte,  greilid)  bürfte  nichts  ju  erinnern  fepn  gegen  bie  Anforberung : 
im  Senje,  wo  wir  beS  £erren  Auferftehung  feiern,  währenb  ein  neueS  Seben  überall  fid)  rege  in  ber  9ktur ; 
in  bem  neuen  8id)te  beS  ^»angelii,  baS  gleich  belebenb  als  bie  irbifd)e  grül)lingSfonne,  heüer  ju  leuchten, 
fd)byfertfd)er  ju  erwärmen,  begonnen  tyabe,  aud)  aufzublühen  in  6l)ri(lo  unb  ©uteS  ju  bringen,  wie  unfer 
£>id)tcr  fte  in  folgenben  Strophen  auSfprid)t : 

©in  fold)er  Senj  iji  geiftlid)  jeß  erftanben, 
3a  freilich,  ein  glüdfeelig  3ah^ 
@S  fteiget  ߣ>rtftu§  auf  in  unfern  Sanben 
£>er  ijt  bie  rechte  ©onne  flar, 
£)  SDienfchenfinb,  nimb  beut  ju  ^)er^en, 
es  ijt  warlid)  nicht  ju  fd)er^en, 


  79   


£u  l)(tjt  ju  fdjaffen  immerbar : 

dg  ift  ein  gnabcnrcid)e  ßett, 

£>ex  SBtnter  jefj  barnteber  fett, 

£)arumb  bein  mühe  nit  tenger  fpar. 

©ank  willig  jeiget  fid>  bic  erb  im  lenken 

Unb  fewmet  nid)t  bie  redete  Seit, 

2Clfo  muftu  fürwar  aud)  nid)t  faulenden, 

Sie  ©onne  fompt  bir  fonft  ju  weit. 

2Sag  f)ic  ber  Sölenfd)  hoft  unb  begeret, 

£)afü  bag  ßanb  jm  §rud)t  geweret, 

£)ag  »il  bein  ©Ott  aud?  üon  bir  l)an. 

©in  fauler  33aum,  ber  feine  grud)t  oerfaget, 

£>er  ift  nid)tg  benn  beS  gewerg  werbt, 

2Hfo  wirb  aud)  ber  9Rcnfd)  öon  ©Ott  geplaget, 

Unb  auggetilget  oon  ber  @rb, 

2Bo  er  in  G>f)rtfro  nicht  aufplüet, 

©utg  ju  bringen  ftd)  bemühet, 

SEBte  gar  bb§Itd?  wirb  er  beftan. 

£)ie  Tlxt  tfl  an  ben  S3aum  gefegt, 
2Bo  er  fid)  nid)t  im  lenk  ergebt, 
@o  roirb  @r  jl)n  verbrennen  lahn. 
£)ennod)  mochte  eg  fdb, einen,  alg  folle  f)ier  bie  Heiligung  burd)  SBerfe  geprebiget  werben,  ohne 
bie  Rechtfertigung  burd)  ben  ©lauben,  ba  biefer  bod)  ber  alt  einige  ©runb  ber  ©eeligfeit,  unb  mag  nid)t 
in  ihm  gefd)ehe,  ©ünbe  fei;  fo  baft  in  biefem  ©tnne  aud)  bie  beften  SBerfe,  wenn  glaublog  getf)an,  alg  un= 
nüfee,  ja  fd)äblid)e  erfdjeinen  müßten.  £>egl)alb  mod)te  man  bie  ©ttmme  etneg  33crfül)rerg  ju  rubren  mei= 
nen  in  biefen  SBorten,  eineg  Srrgeifteg,  ber  bie  e»angelifd)e  2Baf)rf)eit  wieberum  ju  üerbunfeln  ftrebe,  welche 
ßutfjer  an  bag  ßid)t  gebracht,  @rfldrlid)  alfo  ift  eg,  warum  ^rdtoriug  biefeg  Sieb  unb  feine  ©ingweife 
jurücfgelaffen,  unb  ftd>  an  bie  Crrnbte  gehalten  bat,  weld)e  il)m  bie  geiftlid)  »erwenbeten,  gemeinen  9Kelo= 
bieen  gewahrten.  3n  welchem  3Serf)dltniffe  beren  urfprüngtid)e  Sieber  geftanben  haben  mögen  ju  ben  ihnen 
unterlegten,  ift  nid)t  mefjr  ju  fagen,  ba  wir  meift  nur  bie  Anfange  jener  fennen.  ©od)  fd)einen  bie  neuen 
geiftlid)en  Sieber  f)bd)ften§  an  bie  2fnfanggworte  ber  alten  weltlichen  angefnüpft,  unb  ftd)  bann  nid)t 
ferner  mehr  um  biefelben  gekümmert  ju  haben.  Sag  fd)warje  Äleib  beg  ßeibeg,  beffen  bag  SSolfglieb  er= 
wdhnt,  giebt  ©elegenl)eit  ber  häßlichen  @d)wärje  unb  S3efubelung  ber  ©eete  ju  gebenfen,  beg  entwürbig= 
ten  Sbenbilbeg  ©otteg,  bag  burd)  ßl)riftum  erneuert  werben  foll;  ber  SJcunb  ber  ©eliebten  wirb  ju 
bem  werthen  SJlunbe  beffen,  ber  beg  ©taubeng  rechten  ©runb  »erfünbet ;  bie  trbjllid)c  ßiebegneigung  öer= 
anlaßt  ben  £)td)tcr,  beg  troftlid)en  ©d)mucfeg,  ber  werthen  3ier  ju  gebenfm,  bie  ihm  burd)  ßbrifrum  aug 
©nabe  gegeben  ift.  2lnbere  SJZelobieen  fd)einen  ohne  weitere  33ejief)ung  nur  entlehnte  ju  fepn:  fo  wirb  auf 
bie  beg  ßiebeg:  „9cun  ßaube,  ßinbletn  ßaube"  gefungen:  9hm  lobet  mit  ©efdngen  ben  £erren  ©Ott 
allfampt:  auf  bie  SBetfe:  „3art  fd)öne  grau"  bag  ßieb:  £>  Sftenfd)  nun  febaw,  beben!  bie  traw,  wie  ftd) 
aug  Sieb,  mit  jieter  pb,  bein  ©Ott  ju  bir  tl)ut  lenfen"  unb  fo  ft'nben  wir  eg  bei  auberen  auf  ähnliche  SBeife. 


  80   


ßine  innige,  warme  Übcrjeugung  ift  bem  Dieter  nid)t  abjufprecljen,  aber  t'bm  gebrtd)t  bte  fd)bpferifd)e 
£raft,  bie  ba3  innerlid)  lebhaft  ©efül)lte  auch,  nad)  2lufjen  bin  ju  gehalten  meift,  bie  mabre  £)id)tergabe. 
9?icbt  olfo  bcr  bid)tcrifd)e  SBcrtl)  fetner  Sieber  formte  ^ratotiuS  oeranlaffen,  ft'e  au3  einer  nicbt  unoerfäng= 
liclicn  Sammlung  aufzunehmen,  einer  «Sammlung,  bie  Stielen  um  beSfjalb  nod)  üerbäd)tiger  erfd)einen 
mußte/  »eil  Friller,  wie  erjagt  wirb,  im  Sartre  1573  mit  anberen  Anhängern  ©cbmenffelbS  au§  ©Rieften 
harre  weichen  müjfen.  SBa»  ilm  baju  vermochte,  mar  »or  Ottern  ba3  33eftreben,  burd)  bie  für  ft'e  entlehnten 
weltlichen  ©ingweifcn  bcn  Sftelobiccnfdjafj  ber  eoangelifcben  £trd)e  ju  ioermer)ren,  foweit  ber  3m)alt  ber 
ihnen  angeeigneten  Sieber,  aB  bem  ftreng  lutf)crifd)en  ©inne  unanftbfjig,  beren  2ütfnal)me  juüefj.  2Bte 
allgemein  olfo  bie  9fid)tung  gewefcn,  ba3  2Bcltlid)e  in  biefem  ©inne  in  2Tnfprud)  ju  nehmen  für  ba3  ©eift= 
liebe,  tritt  unter  foldjen  SSer^oltniffen  red)t  flar  in  ba3  2(uge,  bie  baoon  et;cr  hätten  abgalten  fbnnen. 

Sn  anberer  3Trt  alw  Friller  nehmen  jroei  fpätere,  gleid)jeitig  erfd)ienene  geiftlid)eSteberbüd)er  unfere 
tfufmerffamfeit  in  tfnfprud),  weld)e  bie9)tebrjal)l  ibjerSicbcr  auf  weltliche  ©ingwcifen  beziehen.  Sie  in  beiben 
enthaltenen  Sietcr  ftnb  gcijlltdie  Umb  i  d)  tung  en  weltlicher;  bie  ©ingweifen  berfelbert,  welche  bie  £>id)ter 
für  if>re  neuen  ©cfänge  in  '#nf»rud)  nehmen,  bezeichnen  ft'e  nur  burd)  Anführung  ber  erjten  ßetle,  ober 
aud)  nur  bcr  2tnfang§worte  bc3  urfprünglidjen  Siebes».  £)aburd)  beuten  ft'e  an,  baß  33eibes>,  Sieb  unb' 
©ingweife,  bamaB  allbefannt,  meit  verbreitet  mar,  ein  jeber  33eft'fcer  be§  33ud)e§  alfo  nid)t  mebr  beburfte, 
aB  einer  furjen  £inmeifung  biefer  lixt,  'Sinn  ft'nben  mir  aber  bie  meiften  jener  umgebid)teten  Sieber 
unb  ihre  SSJJelobteen  in  gorfterS  ©ammlung  in  ihrer  erften  ©eftalt  mieber,  unb  t-on  benen,  bie  uns  bort 
festen ,  bieten  un£  Friller  unb  fpätcr  9Kid)ael  9)rätortu§  minbeftenS  bie  ©ingmeifen.  ©o  ftnb  mir  in  ben 
©tanb  gefegt,  in  ben  meifren  gaden  baS  §3erf)ältnifi  be§  urfprünglid)en  SiebeS  ju  ber  Umbid)tung,  unb  ber 
©ingmeife  ju  beiben,  beurteilen  ju  fbnnen. 

£)a§  erjte  unferer  Sieberbüd)er  t)at  #etnrid)  Änauft,  ber  9?ed)te  £>oftor  unb  Jtaiferlichen 
gefrbnten  Poeten  jum  S3erfaffer.  @r  mar  ju  Hamburg  geboren,  fam  oon  SBittenberg,  mo  er  ftubirt  bitte, 
nad)  S3erlin,  unb  bcflcibete  bereits  um  1540  bie  ©teile  be§  erften  9?eftor3  bei  bem  bortigen  @bluiifd)en 
©pmnaftum;  baoon  belehrt  une>  bie  Sueignung  feiner,  bem  SEftagifirat  bafelbfi  gemibmeten  Übcrfclmng  oon 
50icland)tl)on§  ©d)rift  über  bie  Unjicrblidbfeit  ber  ©ecle.  9cur  »ier  Sabje,  bis  1544,  blieb  er  in  biefem 
2lmte,  bann  »erlieft  er  bie  Saufbafjn  be§  @rjiel)er§  gänjlid)  unb  oertaufd)te  ft'e  mit  ber  beg  9ied)Bgelcbrten, 
menn  er  aud)  fein  ganjeä  geben  Ijinburd)  in  feinen  5al;lreid)en  ©djriften  bie  Neigung  jum  Sebi'baften  funb 
gab.  ©eine  frülxfte  Sl)ätigfeit  begann  ju  S3erlin  mit  (Stnfüljrung  ber  Äird)enoerbefferung  in  bie  SOiarf 
33ranbcnburg ;  er  fudjte  für  biefelbe  jundd)ft  burd)  Umbid)tung  mettltdjer  Sieber,  mit  S5eiber)altung  ir)rer 
SGBeifen  ju  mtrren;  burd)  Sieber,  beren  btd)tcrifd)er  ÜBertl)  ^>iet  auf  ftd)  berufen  mag.  Denn  nid)t  bie  Sieben 
biebtung  befd)äftigt  un§  ^ier,  fonbern  ber  gei(llid)e  Siebergefang ;  in  welchem  ©inne  er  für  biefen  tl)ätig 
gemefen,  erfahren  mir  burd)  bie  SSorrebe  be§  SBerfeg,  in  welchem  er  fpäter  baö  »on  ibm  Umgebid)tete  ju= 
fammenfteUte.  &§,  erfd)ien  ju  granffurt  am  SCRapn  im  3al)re  1571  mit  Äaiferlid)em  «präilegto.  ©ein 
äitel  lautet:  ,,©affenl)auer,  9ieuter=  unb  S5erg=Sieblein,  c^riftlid),  moraliter  unb  ftttlid)  üeranbert,  bamit 
bie  bbfe  ärgerliche  meiß,  unnüfje  unb  fd)ampare  Sicblcin  auff  ©äffen,  gelbern,  in  £äufcrn  unb  anberSmo 
i"  fingen,  mit  ber  3eit  abgeben  mbd)te,  menn  man  geijllid)e,  gute,  nüfce  Sejrte  unb  SBort  barunter  baben 
fbnnte."  'iH\o  fd)reibt  er  barüber  in  feiner,  am  Sage  ßatt)arinä  be§  Sal)reö  1570  oon  granffurt  am  9Kain 
erlaffcncn  3ueignung  an  9)aul  ©teinmeier,  bortigen  SSürger,  biefem  feinem  ©btmer  unb  greunbe: 


  81   


,,@rbar  unb  namhafter,  infonbers  günfttger  £err  unb  guter  greunb.  3d)  habe  in  metner 
3ugenb  vor  20  fahren  ongcferlid),  etliche  fcbampar  ©affenhawcr  unb  9?cutcrlieblcin  in  einen  geiftlid)en  ober 
moralifcben  unb  firtltdjcrx  Sinn  unb  Sert,  fo  wohl  als  id)  gemocht,  transferiit,  oeränbert  unb  ausgefegt, 
baf;  meine  X>t§cipeln  biefelbigen  unter  bie  Stotel  applictren  unb  fingen  follten,  wenn  fie  ftd?  im  Singen 
üben  wollten,  auf  baf?  fie  ber  ffiublcnterte  abgehen  möchten.  Senn  obwohl  bic  alte  ßompofition  gut,  unb 
mir  fonft  gefällig,  fo  bab'  ich  boch  »on  ben  Söorten  nidus  gehalten,  beroroegen  ich  biefelbigen  Krembert. 
Solcher  aufgefegten  ©efänge  habe  id)  nun  allererft  aufs  neue  wieber  jufainmcngclcfen  unb  aufgerafft,  auch 
fiberfchen,  unb  bin  SBillens  worben,  biefelben  alle  öffentlich  in  Znid  ausgehen  ju  laffen,  fonberlidb  bieroeil 
etliche  gute  Jreunb  folebes  oon  mir  begehrt  unb  v>ielmaf)l  gebeten,  welchen  ich  äittc^t  in  folchem  gatl  nichts 
verfagen  fönnen;  unb  »erhoffe  bemnad),  biefe  ©efänge  follen  bei  ben  frommen  Stubenten  unb  anbern 
guten  @^rtfkn,  alt  unb  jung,  cbel  unb  uncbcl,  grucht  unb  9tu£  febaffen,  ba  allerlei  gute  SOioralien  unb 
d)riftliche  2el)ren  barin  oerfafjt  finb ,  unb  feinem  Stanb  noch  Sfeligion  td)t©  in  benen  juwiber  ober  ju  nahe 
gefein  ift.  —  Unb  ich  mag  bie  alten  Sieblein  wohl  leiben,  t>on  wegen  ihrer  artigen  ßompoft'tion,  unb  bafj 
ich  baraufj  in  meiner  Sugenb  erfi  habe  fingen  gelernt;  wie  eine  eble  Äunft  aber,  alleS,  was  einem  fürfömmt 
fingen  fei,  bas  weif  niemanb,  fonbern  ber  es  t>erfud)t  hat.  Sie  SDiufica  fann  allein  was  weber  ©rammatica, 
Sialectica,  Sihetorica,  noch  einige  anbere  freie  Äunft  in  ber  ganjen  9M)ilofopbia  fann,  nämlich  ben  Scuffel 
»erjagen  unb  austreiben.  Senn  alle  jlunft  fann  ber  Seuffel  auch ,  ausgefdbloffen  bie  einige  SQiuftca,  bie 
fann  er  nit,  benn  er  fann  unb  mag  nit  fingen,  fo  mag  ers  auch  nit  bulben,  noch  leiben,  bafj  man  finget, 
©ott  lobet  mit  Singen,  Orgeln  unb  anbern  3nftrumenten ,  ober  aber,  baf?  man  fonft  mit  ©Ott  unb  in 
(£i)xm,  wo  9)iufki  bei  cinanber  fepn,  frölid)  ift,  babei  mag  unb  will  er  nicht  ferm,  bas  mag  er  nicht  hören. 
Sarum  giebts  auch  bie  (Erfahrung,  bap  man  gar  feiten  beftnbet,  baß  ftd}  Unluft,  .Ipaber,  3anf,  SRorb  ober 
Sobfchlag  in  musicis  conviviis  juträgt;  benn  ber  Seuffel  ift  ein  betrübter,  bitterer,  faurcr  ©eift,  bem  es"  leib 
ift,  baf?  ein  SDienfd)  einige  gute  unb  fröliche  Stunben  haben  foll:  berohalb  er  auch  an  ben  Orten  nicht 
ferjn  will,  ba  man  in  Gbren  mit  ©ott  burch  Littel  ber  SDtufica  frölid)  unb  guter  Singe  ift,  welches  bann 
©Ott  gar  wohl  leiben  fann,  unb  mit  im  Raufen  ift;  benn  ba  ift  gewiß"  fein  Seuffel,  wo  bie  eble  SQhtfica  ift. 
Ufo  wollte  ber  leibige  Satan  bei  bem  Äönige  Saul  nit  fepn  nod)  bleiben,  wenn  Satnb  r>or  t'hm  auf  ber 
£arfen  fchlug,  benn  ba  warb  Saul  frölid),  luftig  unb  freunblich;  fo  "war  Saoib  lieber  Sohn  unb  befter 
SKann,  wenn  er  aber  aufhörte  ju  fd)lagen,  fobalb  würbe  Saul  wieber  traurig,  ba  begunte  er  ju  fpeculiren, 
,u  imaginiren,  practiciren,  mclancholifiren,  bann  fanb  ftd)  ber  böfe,  traurige,  faure  unb  bittere  ©eift  mieDer 
ein,  bliefj  mit  ©ewalt  ju,  bafj  er  in  3orn  erbrennen  follte,  unb  gab  ihm  Argwohn,  SSerbacbt,  4?afj,  9ceib, 
'tfbgunft  unb  anbere  böfe  ©ebanfen  gegen  Saoib  in  ben  Sinn,  bann  wollte  ihn  Saul  fpießen  unb  um» 
bringen,  bann  follte  er  länger  nit  leben.  2dfo  hatte  ber  böfe  ©eift  9ftad)t,  unb  war  fräftig  unb  thätig, 
wann  Saul  feine  SRufia»  mehr  hörte,  unb  ber  leibige  Seuffel  ihn  aufs  mclancholifiren  unb  fpeculiren  wieber 
geführt,  bann  hatte  ber  Satan  fein  ooll  9?egiment,  ba  fonnte  beim  niemanb  mit  Saul  jurecht  fommen, 
fo  war  er  ber  Seuffel  felbft  leibhaftig.  Scrmaafjen  unb  geftalt  geht  es  nod)  je£t  heutige»  SageS  ju,  wo  fein' 
Arbeiten,  bie  liebe  SJiuftca,  ober  fonft  anbre  ehrbare,  jüchtige,  gelehrte  Jreube  unb  Äurjweil,  fonbern  t>iel= 
mehr  fauffen,  freffen,  huretj,  buben,  Sotter»  unb  Soppelfpt'cl  ift,  bamit  hat  ©Ott  feinShun,  er  ift  auch  nicht 
babei,  aber  ber  oerflucbte  Satan  ift  ba,  unb  fäet  feinen  Saamen,  bafj  man  halb  barnacb  neue  3citung  er= 
fahren  mufj,  einer  habe  ben  anbern  gefcblagen,  »erwunbt,  erftod)en  unb  erfeboffen;  biefj  finb  bes  Seuffels 
feine  amusa,  symposia  et  convivia,  feine  ©aftereien  unb  ©efellfd}aftcn ,  ba  er  ©ewalt  unb  ¥Jlaä)t  haben 

».  SBtnterfelfc,  in  trattgef.  G&otatgefang.  11 


  82   


fann  rtroaS  auszurichten ,  ba  ftnbt  man  ihn,  ba  ift  er  gern,  unb  lachet  bann  in  bie  gauft  baju,  wenn  er  e3 
rahm  gebracht  f)at,  bafj  fte  ftd>  bei  ben  paaren  unb  .Köpfen  beginnen  ju  fliegen,  unb  auff  einanber  $u= 
fcbmetfkn,  unb  über  einen  Raufen  liegen;  bas>  ift  feine  Suff,  fein  33egef)r  unb  8BiU,  ba  mag  er  gern  bei 
ferm,  ba  bitft  er  ju,  unb  bläf't  bbf  geuer  an,  bafj  fein  gottlofcr  2BiU  gefd)cbe.  —  SBenn  bie  lieben  ßngel 
fingen,  fc  »erfünbigen  fte  unb  bringen  ben  SKenfcben  auf  ©rben  griebe  unb  2Bol)lgefalIen :  wann  ber  SEeuffel 
gründet  unb  murret,  fo  bringt  er  £aber,  3anf,  Unluft,  SJtorb  unb  £obfd)lag  ju  SBege.  *2llfo  ftnb  aud) 
alle  biejenigen,  weld)e  bie  cble  SJiuft'ca  nicht  leiben  mögen,  unb  ihre  geinbe  fein:  ju  fold)en  Seuten  bat  man 
fid)  wenig  ju  verfemen,  benn  fte  haben  gemeintglid)  eine  tücftfcl)e,  heimliche,  fatumifebe  7(xt  an  fid),  unb  ftnb 
bem  Scuffel  in  ihrem  Beben  unb  SBanbel  nid)t  faft  fefyr  unähnlich.  —  £>erbalbcn  follen  alle  5öienfd)en  bie 
KluMte,  cble,  göttliche  Äunft  ber  SDZuftca  lieb  baben,  treuer  unb  Werth,  balten,  unb  berfelben  ju  ©ottee»  Sob 
unb  &t)xm  ol)n"  Unterlaß  gebraueben,  ungejmeifelt,  wo  bie  SOtuftca  ift,  baift©ott,  wo  ffictnibnifj  unb 
S5itterfeit  ift,  ba  ift  ber  Seuffel  unb  alleS  Unglücf.  ©ingen  bie  lieben  (Sngel  im  Gimmel  ©Ott  ihrem  £erm 
Sob  unb  greube,  fo  will  uns;  nit  weniger  gebühren,  bemfelbigen,  ihrem  unb  unferem  ©otte,  Sob,  Gjl)r  unb 
•Danf  in  allen  ©pracben  unb  3ungen  auf  allerlei  SBeife  unb  ©eftalt,  Choral,  gtgural,  auf  Snflrumenten 
unb  ©aitenfpiel,  öffentlich  in  .Kirchen  unb  Schulen,  bal)eime  in  Käufern,  Sauben  unb  Vellern,  auf  ben 
gelbern  unb  SBaffern,  in  33üfd)en  unb  SBälbem  ju  fingen;  allein,  bafj  man'ö  bort  halte,  wie  ber  grofje 
unb  wahre  fOZciftev  ber  ^falmen,  £)aütb,  baber  er  aud)  ber  spfalmift  genannt  wirb,  leint  unb  fpriebt: 
psallite  sapienter,  pfalliret  unb  finget  bem  Jperrn  weifjltd)  unb  flüglid).  @S  betfit  alles»  pfalliret,  aber 
eö  bat  emen  Untcrfd)ieb,  unb  tft  ba§  eine  weifjltd)  unb  ber  ©cbrtft  gemeffer  gemad)t,  benn  bae>  anbere,  bar= 
um  foll  man  gute  2ld)tung  auf  baffelbige  Söort  be3  spfalmiflen,  sapienter,  weif  lieb,  geben.  —  3d)  hm 
felbft  nit  oiel  fingen,  bas>  befenne  id),  aber  boeb  habe  id)  bie  SDZuftcam  lieb,  unb  halte  bie  Steinen,  bereu  icb 
mdebtig  bin,  unb  meiner  Sreue  befohlen  ftnb,  mit  gleifj  baju,  bafj  fte  aus>  ©runb  reebter  Sttft  fid)  im  @in= 
gen  üben  müffen,  bafj  fte  aber  SSublcnlteber  fingen  follten,  ju  benen  l)abe  id)  nie  ©cfallen  getragen,  unb 
tbue  e»  aud}  noeb  ntd)t.  Serowegen  id)  biefe  ©affenbawerlein  für  üiet  Saren  in  einen  geiffltd)en  ober 
fittlicben  ©inn,  fo  wobl  id)  gemod)t,  tranSferiret,  üeränbert  unb  auelgefefct  t)abe,  bafj  fte  biefelben  unter  ben 
Floren  baben  fingen  müffen,  bieweil  id)  fonberlid)c  Suft  ju  ben  alten  ©tüden  getragen,  unb  beren  ßompo= 
fttion  mir  Wohlgefallen  laffen  tc." 

2Btr  fel)en  au6  bem  3nl)a(te  biefer  3ueignung,  bafj  bie  2(bfid)t  bee>  8Serfaffer§  aEerbingS  oon  lix\-- 
beginn  nid)t  babin  ging,  für  ben  Äird)engefang  unmittelbar  ju  wirfen,  fonbern  jundd)ft  nur  babin, 
ben  gefange^funbigen  unter  feinen  ©d)ülern,  bie  fid)  gern  an  ben  ©ingweifen  alter  Sieber  ergoßen,  ftatt 
ber,  entweber  an  fid)  anftbfjigen,  ^er  bod)  einer  ftrengeren  ©mneSart  wiberftrebenben  SQJorte  berfelben, 
anbere,  belebrenbe,  troftreid)e,  d)rtftlid)en '^nforberungen  gemäßere,  ju  fe^en;  bie  gorm  ber  bisherigen 
(Srgbfcung  bcijubebalten,  il)r  inbep  einen  reineren  3nbalt  ju  geben.  £>aburd)  follte  ber  ©efang  aufboren 
ein  feelenoerberblid)er  ju  fepn,  er  follte,  nad)  ber  angeführten  ä>orfd)rift  be§  ^fatmiflen,  ein  weis  lieber 
unb  flüglid)  er  werben.  3n  ähnlichem  ©inne  »erfuhr  ber  äierfaffer  unfereä  jweiten  £ieberbud)e§,  ^)err= 
mann  ä5eöpafiu§,  ^)rebiger  ju  ©tabe.  2)er  Sitel  feiner,  in  nieberbcutfd)er  ©pvad)e  abgefaßten,  eben= 
fallö  im  3abje  1571  (bei  ^)aul  Änoblaud)  ju  Sübed)  erfd)ienencn  ©ammtung  lautet:  ,,SSl\)t  &)tipite  ©e= 
fenge  unbe  Sebe,  up  allerler)  arbt  3Kclobien  ber  befiten  olben  bübefd)en  Seber.  Wien  framen  6l)rifien  tbo 
nütte,  9cu  erftliE  gemafet,  unbe  in  ben  £>rud  gegeben."  2>ie  3ufd)rift  ift  üom  erften  Sage  be6  erwähnten 
3abre§  1571  an  ^arber  Skfen,  Bürger  ju  glenSburg,  gerichtet,  unb  ber  SSerfaffer  fprid)t  in  feiner  treu» 


83   


berjigen  9)lunbart,  bem  ©inne,  wenn  aud)  nicht  ben  2B orten  nad),  folgenbevgejlalt  gegen  biefen  feinen 
©önner  ftdt>  aus:  Diefe  lieber,  bie  (Sud)  hier  t>or  'Äugen  ftnb,  I)abe  id)  jumeiji  an  geiertagen,  nad)  gebal= 
tener  "Prcbigr  511  meiner  (Srbolung  gemad)t,  um  burd)  biefe  nüfclid)e  Arbeit  bie  unnüfeen  ©ebanfen  ju  bin- 
bern.  Dabei  war  e§  Anfangs  nid)t  meine  Meinung,  fie  im  Drude  herauszugeben,  fonfl  würbe  id)  größeren 
gleiß  barauf  verwenbet  haben.  Daß  e3  aber  nun  bennod)  gefd)eben  ift,  ge()t  folgenbermaaßen  ju.  #13  id) 
biefer  Siebet  ein  gutes  £b  eil  jitfammengebrad)t,  unb  in  einS3üd)lein  »erjeichnet  hatte,  aud)  mit  meiner  lieben 
#auSfrauen  unb  meinen  Äinbern  unterteilen  mid)  baran  erlujtigt,  haben  einige  gottfeelige  ^»erfonen  unter 
meinen  greunben  bav>on  erfahren,  baS  S5üd)lein  bon  mir  begehrt,  unb  einen  3$eil  bar>on  ftd)  abgefchrieben. 
Daneben  hielten  beim  aud)  ctltd)c  unter  ihnen  bei  mir  an,  biefe  Arbeit,  bie  ol;nc3tr>eifeI  Bielen  frommen  &jxi- 
fien  lieb  fewn  werbe,  burd)  ben  Drucf  öffentlich  ju  machen.  Senn  eS  werbe  barauS  ber  Pütjen  erfolgen, 
baß  gottfeelige  ^öuSttötet  ""b  ^öuSmÜtter  mit  ihren  lieben  Äinbern  unb  ihrem  ©cftnbe  biefelbe  gebraud)en, 
ftd)  wabrenb  ber  Arbeit  unb  nad)  gctl)anem  SageSwerf  e  baran  erquiden ,  baS  Jperj  ju  gottfeeligen  ©ebanfen 
erweden,  unb  bamit  bie  fd)änblid)en  S3ul)lcnlicbcr  t-evlaffen  würben.  Snfonberbeit  aber  werbe  man  biefe 
lieber  nun  ju  ben  alten  fd)6nen  9Äelobet)en  fingen,  welche  juoor  ju  leichtfertigen  Biebern  fepen  gemtßbraud)t 
worben.  DiefeS  bat  mid)  bewogen,  fold)cS  33üd)lcin  bem  ehrfamen  $>aul  Änoblod)  (sPawel  Ämtfflod), 
S3ud)binber  in  Bübed,  ju  fenben,  mit  ber  Anfrage:  ob  er  neben  anbern  feinen  Bieberbüd)em,  bie  er  berauS; 
gegeben,  aud)  biefeS  wolle  burd)  ben  Drud  auggehen  laffen.  SBo  id)  benn  jur  Antwort  erhielt,  baß  eS  ihm 
ganj  wohlgefaüe,  jeneS  33üd)lein,  jebod)  für  ftd)  abgefonbert,  ju  bruden:  benn  fd)on  ber  ehrwürbige 
feelige  £err  Doftor  SDßarttnuS  Butber  habe  barauf  gebrungen,  baß  ein  jeber,  ber  etwaS  machen  wolle,  baS 
feinige  für  ftd)  allein  laffe.  Deshalb  ift  biefeS  S3üd)letn  alfo  verfertigt  unb  burd)  ben  Drud  ausgegangen. — 

SBeSbalb  ich  ober  (Sud),  günfttger  unb  geliebter  Jparber,  baffelbe  jugefchrieben  unb  überfenbet, 
ohne  jebod)  (Surer  fonberltcbe  Äunbfd)aft  ju  haben,  will  id)  (Surer  freunblid)en  SJieinung  nicht  bergen.  2£IS 
ich  ndmltd)  gebad)te  mit  biefen  Biebern  einen  greunb  ju  bereden  ,  ber  ein  SBoblgefaüen  an  bergleid)en  hat, 
unb  ber  Sonfunfi  geneigt  ift,  hat  mir  ber  juoor  gerühmte  $)aul  Änoblod),  (Suer  befonberS  guter  greunb, 
oon  (Sud)  üermelbct,  baß  3br  «n  fonberlid)  SSehagen  an  geifttid)en  ©ebid)ten  habt,  unb  (Suer  ©eftnbe  aud) 
mit  ganjem  gleiße  ju  beren  ©ebrauche  anreijet  unb  vermahnet:  baneben  würbe  mir  berid)tet,  baß  3hr  ei" 
löblid)  unb  d)rijilid)  ©erüd)tc  habt  bei  jebermdnniglid)  ber  Unferen,  (Surer  ©ottfeeligfeit  halber,  (Surer 
Danfbarfeit  gegen  (Sure  lieben  (Sltern  unb  SSerwanbten,  unb  baß  5br  aud)  fonfl  einem  3eben  liebet  erzeiget 
unb  beweifet.  3ubem  bin  id)  ein  Diener  göttlichen  SBorteS  in  (Surem  SSaterlanbe,  unb  möchte  nid)t  allein 
unferen  SSürgern,  fonbern  auch  (Suren  lieben  Äinbern  (Sf)ve  unb  ©uteS  erweifen.  Deshalb  bitte  id)  (Sud) 
ganj  freunblid),  biefeS  mein  S5üd)lein  ju  einem  ©efd)enfe  unb  einer  9ceujaf)r3gabe  gütig  t>on  mir  anjunel)= 
men,  unb  eS  (Sud)  Wohlgefallen  ju  laffen.  — 

Die  SSerfaffer  beiber  Sammlungen  hatten,  wie  ihre  im  2lu3juge  mitgeteilten  3ufd)riften  an 
greunbe  unb  ©önner  geigen ,  mit  benfelben  einen  gleichen  3n>ed.  S5eibe  fanben  bie  SSeranlafiung  baju  in 
ihrem  S5erufe,  ihrem  d)rifilid)en  Sinne.  Der  eine,  aß  er  fie  bid)tete,  SSorjieber  einer  gelehrten  (SrjiebungS; 
anftalt,  gebad)te  feinen  ©d)ülern  eine  eblere,  betlfamere  (Srgbfcung  ju  gewähren  al3  bisher,  wenn  fte  an  ber 
Äunft  ftd)  erfreuen  wollten,  bie  aud)  er  »orjüglid)  liebte,  unb  an  fold)en  ©rjeugniffen  berfelben,  bie  il)m 
»or  allen  jufagten.  Der  anbere  fühlte  als  4?au$t>ater,  al§  ©eetforger,  ftd)  baju  gebrungen.  3n  bem  greife 
ber  ©einigen  follten  bie  frohen,  erheitemben  Söne  nid)t  üerjtummen,  allein  fte  follten  ju  feinen  SBorten  er= 
flingen,  bie  bem  £au3wefen  eines  ©eiftlid)en  miSjiemten.  Die  unnü^en  ©ebanfen,  bie  ihm  felber  fommen 

11* 


  84   

möchten,  wenn  er  etwa  in  bet  ©infamfeit  bei  jenen  alten  STCelobenen  audb  ifyrer  ßieber  ftd)  erinnerte,  follten 
oor  ber  9}iübe  oerfcbwinben ,  bie  er  ftd)  gebe,  biefelben  umjugeftolten,  er  wollte  ftd)  gewonnen,  biefer  neuen 
©ejialt  nunmehr  bei  jenen  ©htgweifen  allezeit  allein  ju  gebenfen.  ©em  ergriff  er  bie  ©elegenbeit,  mit  feinen 
Umbicbtntigen  über  ben  Äret§  ber  gamilte  hinaus,  in  ben  größeren  feiner  ©emeine  einzutreten,  ja  burd)  ben 
£>rud  il)re  SBirffamfeit  bi§  auf  ben  ganjen  Umfang  feines  33aterlanbe§  au^ubebnen,  unbefümmert  barum, 
maä  nun  wohl  „bie  Älüglinge  unb  SSKeijter  ©elbflweifc  baju  fagen  mürben,  ba  Säbeln  unb  SSJceiftern  Biel 
33efferctt  aB  er,  wiberfahren  fe»,  ba  Propheten  unb  gottfeclige  Scannet,  ja  ber  ©rlöfer  unb  $eilanb,  »cm 
ftd)  hatten  fagen  laffen  muffen,  wa§  ein  jeber  gewollt  habe;  unb  enblicb  felbft  bie  böcbfle  SJcajefiät,  ber  all* 
mächtige,  einige  ©Ott,  wiewohl  er  alle§  febr  redbt  unb  gut  gemad)t,  bod)  e3  nid)t  habe  fo  einrichten  fbnnen, 
mie  bie  Sabler  e3  baben  wollten." 

Äuf  gleiche  2Beife  mar  ein  jeber  »on  ihnen  in  feinem  Ärcife  tt)dtig,  unb  obgleid)  ber  eine  faum  oon 
bem  anbern  gemußt  baben  mag ,  geben  bod)  bctbe  faft  übereinftimmenb  ju  SBerf  e.  2)aju  eben  ift  gorfierg 
Sieberfammlung  un3  bcbülflid),  biefeS  beutlid)  ju  erfennen;  benn  mir  befüjen  in  ihr  jufammen  fecbS  unb 
breiig  alte  weltliche  Sieber,  welche  itnaufl  unbSSeäpaft'uS  umgebidjtet  haben  unter Beibehaltung  ihrer  ©ing- 
weifett,  bie  »on  allen  in  jenem  S5ud)e  aufbewahrten  gewiß  bie  beliebteren  unb  am  meiften  verbreiteten  gewefen 
ftnb.  33et  Änauft  ftttben  wir  auf  fedbSunbjwanjig,  bei  SSe&pafüts»  auf  ft'ebjebn  bergletd>en  Sttelobieen  bin= 
gewiefen;  ft'eben  baoon  aber  ftnb  beiben  gemetnfd)aftttd),  woburd)  bie  angegebene  3abl  ftd)  ergiebt.  S3e§öa= 
ftuS  bemerft  bei  ben  erfien  fecbSunböierjig  Siebern  feineö  ä5üd)lein3  auSbrüdlicb,  er  habe  bie  alten  ©cfänge, 
auf  bie  er  jttrüdweife,  geijtltd)  »erdnbert,  bod)  alfo,  baß  fie  nicht  allein  ihre  gewöhnlichen  SRelobieen ,  fon= 
bem  auch  meijtentbeitS  ihre  Sßorte  behalten  hätten ;  unb  ba§  Ijat  er  in  ber  SEbat  auf  unerwartete  SBeife  ge= 
leiftet.  <So  wirb  ihm  be§  alten  itriegSbclben  grunbSberg  .Klage  über  bie  SBanbelbarfeit  ber  ^ofgunfi  ju 
bem  Siebe  eine§  bußfertigen  SBerfbeiligen,  ober  9Jiönd)e§ : 

9JJv>n  flwtl)  t>nb  mö»  heD  id  nicht  gfpart 

©eleoet  barbt  im  goben  fdwn 

©er  werfe  m»n,  baruth  allein 

3d  loen  üörwad)t 

©e3  ©eloüen§  fraft  gan£  nicht  betradbt. 

©a$  IHebeölieb: 

9cad)  2uft  hart  ich  mir  auäerwäblt 
©id)  grau,  mein6  ^er(jen6  ein  SErbfterin, 
wirb  umgewanbelt  in  einen  ©efang  jum  greife  ber  biblifd)en  heiligen  ©ebrift: 
9cad)  ßuft  bah  id  m»  utbewätt 
25»,  mmteS  garten  ein  SEröfterin 

unb  jenes  anbere 

3d)  weiß  ein  fein'S  braunS  SQcägbelein 
Spat  mir  mein  £erj  befeffen, 
wirb  ju  einer  S?ebe  ©otteS  be3  SBaterS  »on  Sftaria  ber  heiligen  Sungfrau : 
Sd  weebt  ein  bögtfam  Sdcenbelwn 
£eft  m»  men  £arte  befeten 
Lariam  batf)  Sundfruwelwn 
3d  »il  erer  ntdbt  üörgetben. 


  85   


Sa  c»  fehlt  an  ©pottliebem  nicht  in  proteftantifcbem  ©inne ;  ber  ehrbare  $>rebiger  ju  ©tabe  bat 
nicht  Xtlfblti  genommen,  auch  ein  gemeines  Siebten  feiner  3eit 

£>er  Äuhif  bat  ftch  tobt  gefallen, 
geiftlid)  $u  machen:  ,,oon  bem  töblichen  Salle  bee>  allerheiligften  S3ater3,  beä  romifcben  ^)apfte6" 
£>e  ^)aoeft  tteft  ftcf  tf>o  bobe  gefallen 
SSon  fpnen  bogen  ftole, 
SSnbe  moth  nu  mit  bem  büoel  roatlen 
2Bol  in  bem  oünigen  pole  :c. 
3lnbere  Sieber  feines"  ^Büchlein»  ftnb  biblifcbe,  »on  ihm  in  SSerfe  gebrachte  4?iftorten,  e»angelifcbe 
Sobgefänge,  auch  geiftlicbe  Sieber  2lnberer,  bte  er  nur  in  fein  treuberjigeS  9cieberbeutfch  gebracht  hat.  Sur 
biefe  hat  er,  ben  ©tropben  jufolge,  alte  weltliche  ©ingweifen  gewählt,  ohne  bafi  beren  Sieber,  ben  SBorten 
ober  Inhalte  nach,  in  SSejiebung  fielen  ju  jenen.  @o  oerroeift  er  bei  bem  Sobgefänge  ber  Sftaria  auf  bie 
2Beife  beö  Siebe» :  ^er^lich  thut  mich  erfreun,  bei  bem  Sobliebe  be§  Sacbarias'  auf:  SSor  Seiten  mar  ich  lieb 
unb  Werth,  bei  einem  ©efpräche  übrifti  unb  beä  ©ünbers>  auf  eine  franjoft'fcbe  9JMobie: 
C'est  a  grand  tort  qu'on  dit,  que  le  penser 
oVest  que  langueur  d'une  chos'  incertaine  etc. 
Gnblicb  hat  er  auch  ein  gewöhnliche»  ©prücbwort  feiner  3eit  al§  ©runblage  eines  geiftlichen  Siebes 
genommen,  e£  in  ein  Sieb  üerfafjt,  rote  er  ftch  auSbrücf  t : 

4?efftu  ©elbt,  fo  fum  berübr, 
■Öefftu  nicbt,  blpf  hinber  ber  bor. 
§aft  naher  noch,  hält  fich  itnauft  an  bte  urfprünglicbe  ©eftalt  ber  üon  ihm  umgebicbteten  alten 
Sieber:  oft  ift  es?  nur  ein  einziges"  2Bort  in  jeber  ©tropf)?/  ba§  ihm  genügt,  ihren  ©inn  ju  oeränbern.  £ae> 
oon  Heinrich  ^]aac  gefegte  Sieb : 

Snfbrucf  ich  muft  bich  laffen*) 
wirb  ihm  ju  bem  2lbfchieb3gefange  eines"  ©terbenben: 

£5  SBelt  ich  mufj  bich  laffen, 
be6  Siebenben  Srauer  über  Äranfbeit  feiner  ©eliebten 

Seh  flag'  ben  Sag  unb  alle  ©tunb' 
roanbelt  er  um  in  eine  .Klage  über  ba3  burcb  bie  ©ünbe  oerrounbete  £er$ ;  in  anbern  Siebern  ift  ftatt  bes 
Älaffers,  —  bes"  »erleumberifcben  SetnbeS  unb  ©torers  ber  StebeSfreube  —  gemeinhin  nur  ber  ©atan  ge= 
fe^t :  wie,  wenn  bas"  Sieb 

25er  £unb  mir  cor  bem  Sicht  umbgabt, 
worin  ber  Siebenbe  bie  binterlifiige  Sücfe  etneS  folchen  Stoibers  bef  lagt,  christlich  üeränbert  wirb  ,,auf  ben 
bellifcben  &\mt>,  ber  wie  ein  brüllenber  Sowe  un§  allen  nacbftellet,  fucfyenbe,  welchen  er  möge  üerfcblinben." 
©er  Säger,  ber  oor  bem  £olje  jagt,  unb  „brei  Fräulein,  fein  unb  fiol|"  ftnbet,  trifft  bei  unferem  dichter 
bte  brei  geiftlichen  SEugenben,  Siebe,  ©lauben  unb  Hoffnung;  unb  wo  ber  Siebenbe  bes"  alten  ©ebicbtS  ben 
tarnen  ber  ©eliebten  nicht  ju  nennen  wagt,  fonbern  ftch  begnügt,  auszurufen 


")  @.  bte  SSetfptete  100  unb  100  a,  an  benen  jugleich  bas  S3ett)ältntf  ber  Sftelobte  bes  urfprünglia^en  Siebes  $u 
ber  oon  befien  Umbidjtung  ju  cr!ennen  ift 


  86   


SDlein  einigS  "tf,  ich  bein  beleih, 

ruft  baS  neue  mit  3twerftcbt  auS  : 

©ottS  einiger  «Sohn,  id)  jtetS  bein  bleib. 

§3eSvaftu3  bat  auch,  mehrere  Sieber  auf  befannte  Äircbenweifen  (bie  90Relobieen  ber  gebräucblicbften 
|>falmen  wie  er  fid>  auSbrücft)  neu  gebietet,  fo  wie  itatecbiSmuSgefänge  unb  Sieber  über  bie  vornebmften 
£auptftücfe  be§  dt>rtflüd>en  ©laubenS  ihnen  angepaßt,  auch,,  wie  febon  bemerkt,  Sieber  anberer  frommer 
ßbriften  in  fein  SSücblein  aufgenommen,  „wenn  ft'e  meiftcntbeilS  in  anberen  ©efangbücbern  nicht  ffanben, 
unb  bod)  »oll  guter  ©ebanfen  waren,"  wobei  er  ftcb  nur  begnügt  bat,  fte  in  ba§  9cieberbeutfd)e  ju  über= 
tragen.  2lucb  Änaujl  bat  frembe  geiftltcbe  Sieber  aufgenommen,  er  aber  bat  fte  aud)  überfein,  unb  nad) 
feinem  Sinne  gebeffert :  fo  ,£>an3  Sachs  befannteS  SEroftlicb : 

SBarum  bctrübft  bu  bieb  mein  #erj. 

9tun  tft  eS  wobl  jene  SKifcbung  geroefen  bcS  febon  in  ber  .Kirche  ©ingebürgerten,  unb  beffen,  was 
Anfangs  nur  bie  33eftimmung  hatte,  baS  Grrgofccn  an  bem  urfvrünglicb  ^Seitlichen  burd)  eine,  oft  nur  leidste 
Umroanblung  vor  bem  d)riftlicbett  ©ewiffen  51:  rechtfertigen,  bie  enblid)  ohne  llnterfcbieb  einem  großen 
SEbeile  beg  Inhaltes  beiber  Sammlungen  bie  SEbore  ber  Äird)e  geofnet  hat.  Senn  baf  btefeS  um  ben 
Seginn  beS  17ten3ahrbunbertS  erfolgt  geroefen  fei,  ift  nicht  ju  bezweifeln.  Michael  ^rätoriuS  Samtm 
lung  eigener,  hin  unb  wieber  auch  frember,  geiftlid)er  Sonfäf^e,  weld)e  in  ben  Sohren  1605  bis  1610  unter 
bem  9camen  ber  Sionifchen  Stufen  in  neun  Sbeilen  erfebien,  giebt  unS  bafür  fixere  ©ernähr.  3n 
ihrem  fünften  bis  achten  £beile,  worin  geiftlicbe  Sieber  in  ganj  einfachem,  vierftimmigem  ©afje  vorfommen, 
tbeilt  fte  unS  wobl  ben  gefammten  SSorratb  berjenigen  Siebweifen  mit,  bie  bis  bahin  ©ingang  gefunben 
hatten  in  bie  .Kirche;  unb  hier  ftnben  mir  jweiunbbreißtg  gctftlid)e  Sieber,  bei  bereit  9Kelobeven  jum  SEbeil 
auSbrücflicb  auf  weltlichen  Urfvrung  jurüefgewiefen  wirb,  ober  von  benen  mir  ihn  burd)  SErillerS  unb 
SorfierS  Singebud)  fennen.  Sarunter  ftnb  nun  viele  von  Änaufl  unb  SSeStoaftuS  für  ihre  Umbichtungen 
in  tfnfvrud)  genommene.  Vilich  enthält  9)rätoriuS  ad)ter  SEbeil  bie  S3cmerfung  auf  bem  SEitel,  bafj  bie 
barin  jufammengeftellten  Sieber  „in  jUrcben  unb  Käufern  gcbräud)lid)  feien."  Soch  ftnb  bie,  bem 
häuslichen  ©ebrauefae  bort  geroibmeten  febon  in  bem  SnbaltSvcrjeidmiffe  unter  befonbere  2£bfd>nttte 
gebracht,  unb  mir  treffen  hier  feine  bief er,  auf  weltliche  SJMobieen  gebid)tcten  Sieber  an;  auch 
fennen  mir  eben  bie  in  biefem  achten  SEbeile  jufammengeftellten  Sieber  folcber  Zxt  aud)  anberSber  als  fird)- 
licbe,  auch  wobt  noch  jeljt  gcbräud)lid)e:  5.  33.  £>  2Belt  ich  niufj  bieb  lafjen  —  3cb  f)ab'  mein  Sad)  ©ort 
beimgeftellt ;  mie  benn  auch  <utf  ben  SEon  ,,beS  SKene"  unb  beS  Siebes  ,,9ftaria  jart,"  bie  ftcb  hier  ftnben, 
febon  in  früheren  fird) liehen  Singebüchern  vermiefen  wirb.  Sie  von  Änauft  unb  SSeSvaftuS  angemen- 
beten  weltlichen  SJlelobieen  haben  bei  $)rätoriuS  jum  SEbeil  mit  beren  Siebern,  jum  SEbeil  aud)  mit 
anberen,  nur  beren  SBiaaße  fid)  anfcbließenben,  neuen,  ^Plalj  gefunben.  ©0  hat  ^»rätoriuS  (VII.  230. 
231o  ju  ber  alten  SSolfSweife 

9cacb  grüner  garb'  mein  4?erj  verlangt 
einmabl  eine,  ber  beS  83eSvaftuS  entfvred)enbe  Umbichtungin  bod)beutfd)er  S^unbart 

9cad)  ewger  Jreub  mein  ^>erj  verlangt, 
ein  anbereS  9Jiaf)l  (ebenb.  188)  ein,  ganj  neu  nad)  beren  SKaafje  gebid)teteS  Sieb, 
Anberg  t)aV  id)  ju  g'warten  nicht  k. 


S7 


ba*  eine  ftrenge  Mahnung  enthalt  an  ben  geroiffen  Sob,  unb  ba$  lefcte  ©erid)t,  bem  TOemanb  entrinne. 

So  treffen  wir  bei  ihm  $u  ber  SRelobte  be§  roeltlicben  Siebet : 

Ungnab'  begehr  id)  nicht  oon  ihr 
ein  gei|llicbe§  2ieb,  baS  ftd)  bem  urfprünglid)en  roeber  in  SBorten  noch  Inhalt  anfd)ltefit: 
DieS  ijt  mein  .Klag',  brum  8eib  id)  trag 

Dafj  id)  mein  Sag 

4?ab'  jugebracbt  in  Sünben  ic. 
(VII.  59.)  roäbrenbS>eepaftuö  hier  fogar  erne  boppelte  Umbiditung  verfiidit  bat,  in  beren  einer  bie3uoerficbt 
beö  SünberS  ausgebrochen  roirb,  baß  er  ntd>t  unter  be3  £errn  Ungnabe  roerbe  leben  bürfen,  noch  ihm  feine 
Sünbe  ftreng  roerbe  jugemeffen  roerben,  ba  ßbrtfhtS  beren  fd)on  genug  gebüßt  habe,  che  er,  ber  Sfeuigc, 
noch  bagewefen;  in  ber  anbern  bagegen  ba3  35egebren  nad)  ©otteä  ©nabe  laut  roirb,  unb  bie  $ofnung, 
bafj  ft'e  nicht  werfagt  roerbe,  ba  ber  ©ünber  bereit  fei,  ,,in  Sieb  unb  ßeib  be§  sperren  füfjeS  Sod)  ju  tragen." 

©o  fanb  benn  im  erjten  Sahrbunberte  ber  .Kircbetroerbefferung,  roie  un£  bie  befd)riebenen 
Sammlungen,  bie  befprod)enen  einjelnen  SMätter  jeigen,  eine  nid)t  geringe  2(n$abl  Singroeifen,  bie  oon 
roeltlid)en  Biebern  entlehnt  roaren,  in  ber  eoangeltfcbcn  &ird)e  il)re  4?eimatb;  t>on  »erfcbiebenen  (Seiten  her, 
in  manmd)fad)em  Sinne,  roucb3  ber  33oIf3gefang  in  fte  hinein,  immer  fcftcre  SBurjel  fcblagcnb.  Der 
Grinfhtjj,  ben  er  baburd)  geroinnen  mußte  auf  bie  S3ilbung  ber  in  tbr  neu  enrjtebenben  geiftlicben  Sing^ 
roeifen,  erflärt  ftd)  hieraus  oon  felbjt.  9)iand)e  SSolfSmelobie  erfebien,  um  nad)  furjer  grijt  roieber  ju 
uerfebroinben,  manche  roirb  in  il)r  fortleben,  ohne  baß  roir  beren  Urfprung  mehr  f  ennen ;  auch  jene  werf  lang 
'faum  ohne  eine  Ginroirfung,  roenn  roir  biefe  aud)  nicht  mehr  aufzeigen  roiffen.  Den  Umfang  bee>  bis 
gegen  ben  Anbeginn  beS  17ten  3ahrfntnbertS  auS  bem  SSolfSgefange  in  bie  eoangelifcbe  .Kirche  bauernb 
Eingebürgerten  erfennen  roir  am  ft'cberften  burd)  9)rätoriu§  Sammlerfleiß,  roie  er  benn  aud)  für  bie  örtliche 
Wusbilbung  unb  Umgeftaltung  ber  fircblid}  geroerbenen  9)celobieen  unS  eine  fcbäljbare  Quelle  ift.  SOJit 
großer  ©cnauigfeit  bat  er  auch  geringfügige,  örtltd)e  ^broeidwngen  bei  ben  üon  ihm  mitgeteilten  Üircben= 
melobeiien  aufgejcid)net 5  eine  ©enauigfeit,  bie  il)tn  ber  ©cfcbid)ts>forfcber  ju  banfen  bat,  ber,  roie  bae 
§ort=  unb  Umbiiben  ber  Singroeifen,  fo  aud)  ihre  SSerunftattung  burd)  frembe  33eftanbtbeile  ju  beobachten, 
baburd)  befähigt  roirb.  Äircbenobere  fretlicb  ft'nben  fid)  roobl  geneigt  ft'e  ju  tabeln,  ba  fte,  auf  ©letcbfbr= 
migfeit  beS  Äird)engefange§  bringenb,  ba§  Urfprünglid>e  überall  ju  ft'nben  trad)ten,  unb  in  bem  '■Mbroei= 
d)enben  nur  baS  S3erberbte  ober  Entftellte,  in  feiner  tfufberoabrung  nur  eine  Quelle  »on  SSerroirrung  ju 
ft'nben  meinen.  @ö  roirb  hierüber  ein  9Jtebre§  ju  fagen  fet)n,  roenn  roir  bie  lebenbigen  S3eftanbtbeile  bee 
ßl)oralgefange§  roerben  fennen  gelernt,  unb  feine  2tu§bilbung  naher  betrachtet  hohen.  Spiex  fei  nur  noch 
ermähnt,  ba$  auper  jenen,  bei  gorjter  unb  Friller  anjutreffenben,  bei  Änaujl  unb  SSeöpaft'uö  angebeuteten 
weltlichen  JJiebroeifen,  ^rätoriuö  manche  noch  Quellen  feiner  SD^elobieen  nennt,  bie  roir  in  jenen  S3üchern 
nicht  ft'nben:  fo  bie  SOBeife  oom  ©rafen  ju  9iom  fVII.  178.):  83enuS,  bu  unb  bein  Äinb  (VIII.  53.) ; 
giebt  auf  (Srb  fein  febroerer  2eib  (ebb.  189.);  Der  gaftenabenb  tritt  heran  (ebb.  239.),  »on  benen  nur  bie 
lebte  einem  umgebid)teten  Siebe :  „3)er  jüngfte  Sag  nun  tritt  heran"  bei  ihm  angehört.  "Kud>  bie 
beiben  oon  ihm  in  ben  fiebenten  Sheil  feiner  Sionifd)en  Wlü)'m  (ücro.  75  unb  74)  aufgenommenen  lieber: 
25u  ©ünbrin  millft  bu  mit 

unb 

Der  ©nabenbrunn  thut  fliefen 


  88  


(lammen,    wie   ihre  ©ingweifen,    au3   weltlichem   ©efange.    3ene§   üeränbert  baS   alte   Sieb : 
©ufanna,  wiUft  bu  mit 

in  geijtlichem  ©inne,  biefeS  ba§  in  ber  erjlen  £älfte  beS  16ten  3ahrh"nbert§  fchon  allgemein  befannte 
«ubllieb : 

£»ie  JBrünnlein  bie  ba  fliegen 
Sie  foll  man  trinfen, 
unb  wer  ein'  jteten  33ulen  t>at 
ber  foll  ü)m  winfen, 

ja  winfen  mit  bcn  klugen,  unb  treten  auf  ben  §uß , 

(§s>  ifi  ein  harter  SDrben 

25er  feinen  ffiulen  meiben  muß.  *) 
©eijtlicb,  fanb  ich  biefeS  juerji  1586,  in  bem  v>on  ßachartaS  SBerwalbt  ju  ßeipjig  herausgegebenen 
©efangbuche,  unb  bann  oierjftmmig  um  1588,  in  %o\).  ©teurleinS  27  geglichen  ©efängen.    £>a§  ßieb 
lautet  nunmehr : 

35er  ©nabenbrunn  tfjut  fliegen, 
2Den  foll  man  trinfen ; 
SD  ©ünber  bu  follt  büßen, 
©ott  tl)ut  bir  roinfen 

9Kit  feinen  gütigen  2lugen  unb  richtet  beinen  §uß 

SBo&l  burd)  baö  Sßort  be§  ©laubenS, 

ßljrtfluö  allein  bir  helfen  muß. 
Sie  SKelobie  hat  aber  ein  befonbereS  ©chicffal  burch  tl>re  ©e|er  gehabt.  2Der  ältefle  unter  ihnen  tft  ohne 
3weifel  Heinrich  3faac,  obgleich  femc  ^Bearbeitung  erjr  1541  erfcheint,  roahrfcheinlich  einem  früheren  3Drucfe 
entlehnt;  nächft  il)tn  fein  ©chüler  ßubwig  ©enfl  (1534,  in  ben  bei  gomfchneiber  ju  Dürnberg  erfchienenen 
121  Biebern,  9cro.  44),  enblich  S5altl)afar  'tfrtophiuS,  in  ben  65,  üon  ©chbffer  unb  'tfpiariuö  ju  ©traß= 
bürg  gebrucften  ©efängen  CRxo.  13).  2llle  biefe  SJieijtcr  haben  unfere  SOJcIobic  burch  ben  3ufammcnflang 
ber  bagegen  gefegten  ©timmen  einem  mirotpbifchen  Sonfafje  angeeignet,  währenb  alle  ihre  ©chlußfälle 
unoerfennbar  fte  al§  eine  borifche  bezeichnen.  Sa,  ^einrieb,  Sfaac,  bei  bem  fte  in  ber  ©runbftimme 
feines  breijtimmigen  ©a|e3  erfcheint,  fügt  il)r  bort  noch  einen  Anhang  bei,  um  biefeS  ju  erreichen.  Gr3 
ift  flar,  wie  jroeifelhaft  burch  eine  folche  SBehanblung  ihre  wahre  Tonart  würbe,  wie  fte  bei  bem  Vortrage 
biefer  ©ä^e  gar  nicht  vernommen  werben  fonnte,  abweichenbe  'tfuffaffungen  alfo  leicht  entfielen  mußten. 
2Daher  vielleicht  auch  t>te  oeränberte  ©eftalt,  in  ber  fte  bei  ©teurtein  erfcheint,  jwar  in  ber  weichen  Sonart 
von  G,  ihrer  urfprüngtichen  näher  ftehenb,  im  (Sinjelnen  ihrer  Sßcnbungen  jeboch  mannichfach  anberS 
gemattet**;.  2>a3  umgebichtete  2ieb  hat  Änorr  von  SJofenrotb,  am  'tfuSgange  be§  17ten  3«h^hunbert§,  um 
1684,  abermals  umgebilbet,  unb  ihm  eine  neue  ©ingweife  gegeben,  bie  inbeß,  eben  fo  wie  bie  ;imge= 
fchaffene  Sdielobie  beö  alten  weltlichen  JJiebeS,  welche  nunmehr  unbrauchbar  geworben  war,  verfchwanb, 


")  ©.  Tomus  primus  variarum  cantionum  tt  iiira  vocum  elc.    lim  ©d)lufj :  Noribcrgae  a|>ud  Joh.  Petieiuro. 
Addo  MDXLI  (1541)  9iro.  28.  2)et  Sonfafc  oon  £einriaO  Sfoac. 
")    @.  bic  SBeifpiele  108.  108  a. 


  89   

unb  einet  werten  ^)lab  machte.  3n  tiefer  ©eftalt,  mit  tiefer  Begleitung,  ging  baS  mehrfach  veränderte 
2ieb  in  greilingsbaufenS  ©efangbucb  über,  wo  c3  nun  grifft : 

Der  ©nabenbrunn  fließt  noch,  ben  ^ebermann  fann  trinfen, 

SJiein  ©eift  lafj  beinen  ©ort  bir  bod)  umfonft  nicht  würfen; 

ߣ  lehrt  bid)  ja  ba$  SBort  ba3  Sicht  für  beinen  gufj, 

Dafj  6t)rifttr»  bir  allein  oon  ©ünben  helfen  mufj. 
9fa$  Allem,  wa$  wir  in  bem  SBorbergebenbcn  über  Umbid)tungen  im  Allgemeinen,  jumal^l  über 
.ftnaiifts  unb  53e3»aftu3  2ieberbüd)cr  ausführlich  gefagt  haben,  wirb  e§  nicht  be3  näheren  eingebend  bebür= 
fen  auf  ein  britteS,  ben  irrigen  balb  nad)folgcnbc»  Unternehmen  ähnlicher  Art.  @3  ft'nb  bie  ,,@brifllicben 
Sveuterlicber  geftetlet  burd)  ^>errn  *Pbilipfcn  ben  Süngeren,  greiberrn  ju  SBinnenberg  unb  ä3eibelftet)n" 
unb  ju  Strasburg  bei  SSernbarb  3»bin  1582  gebrueft;  19  an  ber  3abl,  alle  in  gleichem  ©innc  umgcftaltet 
wie  in  jenen  früheren  SSüchern  *,  bort  oon  einem  ©clebrten,  einem  ©eiftlicben,  hier  von  einem  Qjbeln  unb 
9t*itter3mann,  ber  oon  feinen  Diebtungen  oerfiebert: 

9?id)t  fport  mit  ©Ott  mein  reime  ift, 
SBotlt  ©ort  fold)3  tr>et  epn  jeber  (5brijt; 
Der  reVter  Wels  VnD  gVt  gesang, 
haben  Vor  Gott  ein  anDeru  kLang 
inbem  er  in  ben  legten  3eiten  biefer  Steinte  zugleich  ba3  gafyc  ber  Verausgabe  berfelbcn  anbeutet.  9Rtt 
tiefer  feierlichen  Sierwabrung  bat  er  fid)  inbef?  nid? t  genügen  laffen :  wie  er  mit  ibr  fein  33ücblein  beginnt, 
fo  fcbliejjt  er  e3  mit  ,,3eugniffcn  ber  (Schrift  fo  angezogen  mögen  werben  über  oorgebenbeS  ©efang,"  unb 
tiefe  oerbreiten  fid)  über  jebe»  feiner  Steter,  jumeift  auch  alle  einzelnen  ©efa^e  bcrfelben.    Die  9JZelobicen 
find  überall  beigefügt ;  bie  SKcbrjabl  f ennen  wir  bureb  gorfter,  Friller,  ^PrätoriuS,  ft'e  betätigen,  wa3  mir 
juuor  über  beutfd)e  S3olf»weifen  gefagt,  ohne  un3  ju  neuen  S3emerfungen  Anlafj  ju  geben. 

Auch  fpdrer  noch  ftnben  mir  @'ntlebnungen  weltlicher  ßiebweifen  für  geiftliche  3wede ;  nur  borgt 
man  nicht  mebr,  roie  juoor  oom  SSolfeSgefange,  fonbern  oon  ben  SBerfen  gleid)jeitiger,  beliebter  SSontunjtler, 
roo  mir  benn  oorauSfe^en  bürfen,  ba£  tiefe  auch  ©rftnber  ter  bureb  tie  geiftlicben  Dichter  jum  ©ebmude 
ihrer  ßietcr  ertefenen  SEftelobieen  gemefen  feon  werben.  Die  leiste,  wabrfcbeinlicb  au§  bem  SSolfögefangc 
entlehnte  Äird)enweife  mochte  bie  be§  SteteS  feon : 

SBie  fdibn  leuchtet  ber  Sftorgcnjlern  ic. 
wenn  auch  freilich  nid)t  urfunblicbe  ©cwifjbeit  über  beren  Urfprung  oorhanben  ift,  fonbern  beffelbe  nur  au§ 
anberen  Shatfacben  gefchtoffen  werben  fann.  d$  febeint  nämlich,  ba^  man  gegen  ba3  @nbe  beS  löten 
3ahrhunbert§,  ber  Siicbümg  gegenüber,  bie  aüe§  SSeltliche  in  geiftlicben  <5inn  hinüberzuziehen  trachtete,  e$ 
auch  wo.bl  emofanb,  ba£,  mit  fo  gutem  ©lauben  unb  rechtem  9lufcen  bieö  auch  gefebeben  fbnne,  unb 
gefd)ehen  fei,  bennoeb  Selbfttäufd)ung  unb  üüge  zuweilen  babinter  fid)  oerfteden  möge,  unb  bafi  in  oielen 
Sailen,  unb  jumabl  bei  Umbichtungen,  bie  nicht  unmittelbar  für  bie  jtirebe  beftimmt  fcoen,  e§  weniger  bie 
Üuft  an  geiftlicber  ßrquid'ung  gewefen  fetm  bürfe,  burd)  weld)e  biefelbcn  heroorgegangen,  al3  ba§  finnltchc 
©efaüen  an  ben  baburd)  erhaltenen  fchbnen  ©efangöweifen.  <So  erfd)ieu  e6  benn  aufrichtiger  unb  ehrlicher, 
bie  ßuft  an  bem  ^Seitlichen  offen  einjugeftchen,  wenn  man  e§  nur  fern  ijdtt  oon  aller  SSefledung  burd) 
»cittenoerberblicheä.  Au§  einer  folcbcn  ©eftnnung  unb  Überzeugung  fd)eint  folgenbe§,  wahrfchcinlid)  jener 
Seit  angef)örenbc3  Sßüchlein  lieroorgegangen  ju  ferm,  ba§  ol)ne  Drudort  unb  3eit<mgabe,  nur  bezeichnet  ol§ 

«.  SBintttfeTt,  ter  crangt!.  CFfctatgcfang.  12 


  90 


„©ebratft  im  gegenwärtigen  Saftr"  ersten,  unb  bie  2Cuffdt>rift  füftrt:  „Sugenbftafter  Jungfrauen  unb 
SunggefcUcn  3eitvertreib,  b.  i.  neuoermeftrtes'  unb  üon  allen  fantajtifcften,  groben,  unflätigen  unb  unge= 
fdncften  Biebern  gereinigte»  SBeltlicftes?  ßieberbücftlein,  befteftenb  in  mclen,  meiftentfteiB  neuen,  juüor  nie  in 
Srucf  ausgegangenen,  lieblicften  unb  anmutigen  ©cftäferei=,  3ßalb=,  ©ing^,  5£anj=  unb  feufcften  2iebe§= 
liebern.  Hüe  »on  befannten  anneftmlicften  SOtelobepen,  in  ein  orbentlicft  oerfaf teä  Svegifter  jufammenge= 
tragen,  butdh  Hilarium  ßufHg  tum  grcubentftal."  Jn  biefem  SSücftlcm  finben  wir  ein  2iebee>lieb,  beffen 
erjte  ©tropbe  folgenbermaafjen  lautet: 

SÖBte  fcftbn  leuchten  bie  3iugelein 

©er  ©cftbnen  unb  ber  3arten  mein, 

3cft  Fann  iftt  ntcftt  üergeffen, 

5ftr  roifteS  Sucfermünbelein 

25aju  iftr  fcftneeweifj  £änbelein 

Spat  mir  mein  £erj  befeffen. 

Sieblicft,  freunblicft, 

©dbbn  unb  fterrlicft, 

©rof?  unb  eftrlicft 

Sri  iftr  ©naben 

SBill  tcft  mtcft  befohlen  ftabcn. 
Gr§  liegt  am  Sage,  roie  nafte  ber  ©ebanfengang  biefer  ©tropfte  bem  ber  erjien  bei?  geifilicften 
SiebeS  »on      9)ftiltpp  Nicolai  ftefte: 

SEBfe  fd)ön  leuchtet  ber  Sftorgcnftcrn, 

SBoII  ©nab  unb  2Bal)rt)ett  üon  bem  ^>errn 

Sie  füf  e  SBurjel  Seffe, 

ba§  mir  feinem  jugranffurt  am9DZain  1599  erfcftienenen,,greubenfpicgcl  bee>  ewigen  Sebene!"  angelangt  ftn» 
ben;  ftimmcn  bocft  bie  fed;ftc  bB  neunteßeile  biefer  ©tropfte  ben  gleicften  ber  erften  beS  weltlicften  Siebet  fogar 
wbrtlicft  überein.  3>ennocft  werben  mir  ©cftamelüB  ntcftt  fcftelten  bürfen,  ber  in  feinem  2ieber=(5ommentar 
(ßeipjig  1737.  @.  427;  bcftauptet,  baf?  jeneS  ßicb  faft  mit  jebem  Söbrtlcm  au§  ber  fteiligen  ©cftrift  entnom- 
men fei,  nocft  bie  grcunbc  geifilicften  ©cfangeS,  wclcfte  feine  ©ingweife  aB  eine  ber  falbungSüoIlften  unfereö 
ßftoralgefangeS  preifen.  2)er  geifftid)e  £>id)ter  ftat  allerbingö  fein  Sieb  nid)t  unmittelbar  au§  ber  ©cftrift 
genommen,  fonbern  ein  weltticfter  ©efang  ifi  moftl  bie  näcftfte  SSeranlaffung  baju  geroefen  ;  aber  bie  fteiligen 
33üd)er  waren  iftm  aB  gorfcfter  in  benfelben,  aB  iftrem  SSereftrer,  oftne  Unterlaß  babci  gegenwärtig,  unb  fo 
ift  e§  iftm  gelungen,  an  fie  ju  erinnern,  aucft  ba,  wo  er  bie  SÖBortc  ber  urfprünglicften  25icfttung  nur  gerabe= 
hin  entlehnte.  (5§  war  aber  aucft  ein  glücflicfter  gunb,  ber  iftm  ju  einem  entfcftiebenen  ©iege  ber  geifilicften 
über  bie  weltlid)e  Svicfttung  üerftalf,  bafü  er  auf  ein  Sieb  ganj  eigcntftümlid)en  50caaf?e3  traf,  ©eine  ©tropfte 
ftetlt  einen  ©egenfa^  bar  bc§  iambifcften  in  iftrem  erften,  ju  bem  trocftätfcften  in  iftrem  jroeiten  '#bfa£e,  ber 
iftr  ungemeine  Sttannicftfaltigfeit  geroäftrt;  unb  wirb  ber  jweite  Sfteil  ernfter  burcft  baS  mit  bem  größeren 
9cacftbrucfe  beginnenbe  SJcaafs,  fo  beteben  iftn  wieberum  bie  fürjeren  3?ftt)tftmen  feiner  erften  3eilen,  bie  in 
ber  längeren  ©d)liif;$ctlc  eine  großartige  Tlbrunbung  erftalten.  diu  folefter,  ganj  für  geifilicften  SHebcrgefang 
geeigneter  S3au  gab  benn  aucft  ber  9E5Mobie  fofort  ba§  ©epräge  einer  für  ben  fteiligen  ©efang  urfprünglicft 
erfunbenen,  fo  bafj  iftre  erfte  Verleitung  halb  in  Skrgeffenfteit  geratften  fonnte.    9Kan  ftat  fte  fpäterftin  oft 


  91   


für  Steter  von  gleicher  Strovbe  entlehnt:  neue  Betonungen  tiefer  Strohe  aber,  felbfl  von  ben  befkn 
ÄonfefcOH  berrübrenb,  haben  niemals  allgemeinere  ©eitung  erlangt,  eine  jroeite  JCircbenmeife,  aud)  als 
eine  bat  trefliebften  bes  eoangelifeben  ßboralgcfangcs  gerühmt,  eignete  urfvrünglid)  bem  weltlichen  Siebe 
eines  ber  gcrübmtcften  Sonfeljer  bes  16(01  unb  beginnenben  17ten  ^abrbunberts.  #ans  Seo  £afjler 
von  Dürnberg  gab  oafelbft  (bei  ^aul  Kaufmann;  um  1601  eine  Sammlung  von  Sicbem  beraub,  mit  ber 
Auffdirift:  ,,Sufrgartcn  neuer  teutfeber  ©cfang'  ßullclti,  Galliarden  unb  Iniraden,  mit  vier,  fünf,  fed)S  unb 
adrt  Stimmen  :c."  3n  bcrfelben  befinbet  fich  ein  fünfftimmtger  ©cfang  von  fünf  Strophen,  beren  Anfangt 
buebftaben  ben  tarnen  ,,€OIariay/  bilben,  —  roobl  ben  ber  ©eliebten,  ber  bas  ©ebid)t  geroeibt  ift,  —  unb 
öeren  erfte  folgeneergefialt  lautet :  « 

üJiein  ©'mütb  ift  mir  verminet 

;Das  macht  ein  Sungfrau  jart, 

S3in  ganj  unb  gar  verirret, 

*Dcein  £crj  bas  fränft  fich,  hart ! 

£ab  Sag  unb  9ta$t  fein  9?ul> 

§ür  alljeit  grefje  &lag, 

£bu  feufjen  ftetS  unb  meinen 

3n  Krauet  fd>ier  verjag. 

)Rux  roenige  Sabre  fpäter,  um  1613,  fd)en  mir  bie  9Jielobie  biefes  Siebes,  bie  mir  gegenmärtig 
^umeift  nach  ber  Anfangszeile  bes  f)aul  ©erbartfehen  ^afftonsliebes :  £aupt  voll  33lut  unb 
©unten"  bejeiebnen,  unter  Beibehaltung  ibrer  fünfjtimmigen  Bearbeitung,  auf  einStcrbelicb  übertragen, 
in  einer  ju  ©brlilj  bei  Sobann  Sfbamba  erfebienenen  Sammlung  lateinifdjer  unb  beutfetter  gciftlid)er 
©efangeV    Statt  ber  urfprünglidicn  SSorte  roerben  nun  felgenbe  gefungen: 

$erjlicb  tbut  midj  verlangen  **) 

9ta<h  einem  feefgen  Crnb 

SBeil  id)  l)ic  bin  umfangen 

9Eit  Srubfol  unb  @lenb. 

3d)  bab"  Suft  abjufd)eiben 

SSon  biefer  bofen  SBelt, 

Sel)n  mich  nach  em'gen  freuten 

£  Sefu,  t ornm  nur  balb ! 
Auch  hier  fanb  bie,  Anfangs  nur  entlehnte  weltliche  SSeife  ibre  £eimatb  fo  oollfornmen  in  ber 
.ftirdie,  eafj  man  lange  Seit  ihre  £luelle  nicht  gcabnet  bat,  ja,  aud)  je|t  noch,  SDcancber  mit  Befremben 
oernebmen  mire,  tap  nicht  ibve  Schöpfung,  fonbern  nur  ibre  2Babl  eine  Jrucbt  ber  Äircbenverbefferung 
gemefen  fei.  ©ing  fie  aber  Anfangs  auch  ganj  unveranbert,  felbft  bem  Softfagc  nach,  in  eine  geiftliche 
Siebcrfammlung  über,  fo  bat  fie  besbalb  boch  nicht  aufgebort,  fpdteren  Sonfünftlern  eine  mürbige  Aufgabe 
für  bamionifcbe  Entfaltung  ju  fepn,  jumahl  feit  man  entbedt  hatte,  ba§  fie,  urfprünglicb  ionifch 


*)  Harmooiae  sacrae,  vario  canninum  lalinoruin  et  gerninnKorum  genere,  quiLus  operae  scbolasticae  iu 
gymoasio  Gorliceusi  iochoaatur,  clauduntur;  variae  preces,  fuoei-atiooes  solcranes,  sacra  Gregoriana  celebranlur ; 
tertium  editae,  et  accessioae  commemorabili  auetae.    Gorlicl.  typis  et  suraptibus  Joaa.  Rhambae  1613. 

")   6.  bag  «Beifpiel  «Rro.  80. 

12* 


  92  

bebanbdt,  eigentlich  ber  pbrpgifcben  Sonart  jugebbre,  alfo  in  bereitem  ©inne  gteieb  angemeffen  gefegt 
»erben  fönne.  Gr§  wirb  bauen  netter  ju  Banteln  ferm,  wenn  wir  über  bie  ©efjer  ber  ßboralweifen  im 
17ten  ^abrbunberte  berichten  werben. 

Spätere  Übertragungen  weltlicher  SJielobieen  mit  ifyren  Sonfäljen  waren  ntdjt  immer  gleicb  frud)t-- 
bar  aß  bie  eben  erwärmte,  weil  ba3  Übertragene,  obrte  bem  ßb,ora(gefange  lebenbig  ju  »erfctymeljen,  eben 
nur  ein  ©ntlcbnteö  blieb,  ©o  war  cS  ber  gall  mit  brei,  wenn  aud)  an  ftd>  angenebmen  2D?abrigalen  be§ 
Giovan  Gastoldi  üon  ßaravaggio,  au§  feinen  1591  unb  1595  ju  §3enebig,  fpäter  1596  bei  ^)ietro  ^b01^'0 
,u  Antwerpen  erfebtenenen  fünfftimmigen  äkUetten.  *)  Sie  SÖMobie  be§  erfien  berfelben,  Ii  bei'  umore 
genannt,  ftnben  wir  in  einem,  oon  ßbrijtopb  33ud)wälbcr,  @ollegen  ber  ©dmle  ju  S5un|lau,  gefammelten, 
ju  ©örli£  gebrueften,  unb  bem  bortigen  3fatbe  »on  bem  Drucfer,  Sobann  9?bambaw,  1611  jugefebriebenen 
©efangbuebe,  einem  gciftlicben  ßiebe  angeeignet.    (Sei  lautet  urfprüngtieb : 

Viver  lieto  voglio 

Senza  alcun  cordoglio, 

Tu  puoi  restar  amor 

A  saettarmi  il  cor, 

Spendi  i  pungenti  strali 

Ove  non  pajon  frali, 

Nulla  ti  stimo,  o  poco, 

E  di  te  prendo  gioco. 

©eine  SUielobie  muß  aber  in  unferem  ©efangbuebe  (pag.  668.  669)  einem  Siebe  ,,oom  geiftlidjen,  weltlichen 
unb  .^auSftanbe"  bienen: 

Sefu  wollft  uns  weifen 
Deine  SSBerf  ju  greifen, 
Dbne  bid)  mögen  wir§  niebt  enben. 

4?errlicr;  reichen  ©eegen 

£ajl  bu  un3  gegeben, 

2ld)  bilf  baj?  wirö  erf ennen ! 

9cäd)ft  bir  bu  ebler  £ort 
Der  böcbje  @d)ak  bein  SBort; 
9limmt  weg  all'  unfre  ©cbmerjen, 
SSJiacbt  frblicb  unfre  ^)erjen ! 

<§§  fcballt,  e§  fcballt,  e§  fcballt, 
3m  Sanb'  ifct  mit  ©ewalt! 
©d)bn'  ©aben  giebt  bein  ©eiji 
Sreu  Diener  allermeijl, 


*  Balletti  a  5  cod  Ii  suoi  versi  per  cautarr,  sonare  e  ballere,  cod  una  mascherata  di  Cacciatori  .1  6  JV  im 
Coneerto  di  pastnri  a  8  etc. 


Gf)rift[id)  bie  geut'  ju  lehren 
Sein  £tmmelreid)  ju  mehren, 
2£ttein,  allein,  allein, 
£ein  foll  bie  (ihre  femt. 

@ben  biefeS  Sieb,  mit  bem  unt-eränberten,  fünfftimmigen  SEonfa^e  be3  italienifcben  9flabrigal5, 
ift  in  ben  erften  Sbeil  be$  ju  ©otba  1646  (feäter  1651,  1655,  1657)  in  brei  Steilen  erfebienenen 
Cantionale  sacrum  mieber  aufgenommen  *) ;  unb  roenn  bei  ber  hier  gefcfychenen  aufjeiebnung  ber  biegen 
2Borte  beiber  ©ebiebte  ihre  «Strophen  einanber  niebt  ju  entfereeben  fcheinen,  fo  erläutert  fieb  biefeS  babureb, 
bafj  ba§  beutfebe  ©ebiebt  an  bie  ©teile  ber  in  bem  italienifcben  oorfommenben  SBieberbolungen  einzelner 
3eilen,  unb  Ausfüllung  anberer  bureb  bie  Splben  „la,  la,  la  etc."  beren  ganj  neue  gefegt,  unb  bie 
©tropbe  be§25id)ter§  —  wenn  auch  nidbt  be3  SonfunfilerS  —  babureb  umS3iele§  verlängert  bat. 
@ben  biefeS  ijl  ber  gall  geroefen  bei  ben  anberen  beiben,  au3  ber  angefübrten  Sammlung  entlebnten  9JJabri= 
galen.    £)a§  eine  berfelben,  in  feiner  urfprünglicben  ©eftalt  Tinamorato  überfebrieben,  fingt  froblid) : 

A  lieta  vita, 
Amor  c'invita, 
Chi  gioja  brama 
Se  di  cor  ama 
Donerä  il  cuore 
A  un  lal  Signore. 

Äitf  bellen  SRelobie  bat  Sob-  Sinbemann,  Gantor  ju  ©otba  innerhalb  ber  Sab"  1580—1630,  ba$  folgenbe 
geiftlicbe  £ieb  gewichtet,  ba3  mit  berfelben  nod)  in  bem  greilingSbaufenfcben  ©efangbuebe  oon  1741 
an  ju  treffen  ift : 

5n  bir  ift  §reube 

3n  allem  Seibe 

£)  bu  füger  Sefu  Gbrift! 

2)urcb  bid)  mir  baben 

^jimmlifcbc  ©aben 

£)er  bu  roabrer  ^)eilanb  bift ! 

^»ilfeft  won  ©dbanben, 
gfetteft  tjon  Jßanben, 
SBer  bir  oertrauet 
■£at  mobl  gebauet 
SBirb  eroig  bleiben, 
^»alleluja ! 

3u  beiner  ©üte 
©tebt  unfer  ©'mütbe, 


')    SRro.  XXXII.  ©.  76  ff.  Zt).  I.  Cantion.  Sacrain  etc.  ©ott)a  1646. 


  94   

"Kn  bir  wir  fleben 
3m  S£ob"  unb  Gebert, 
9lt(fyt§  fann  uns?  fdjeiben, 
4?alleluja ! 

Daö  anbcrc  beißt  in  ber  Urfdjrtft:  Amor  vittorioso,  imb  enthält  folgenben  Aufruf: 
Tutti  venite  araali 
0  forti  miei  soldati, 
Io  son  l'invitto  Amore 
Giusto  saettatore, 
Non  temete  punto ; 
31a  in  bella  schiera  uniti 
Me  seguitate  arditi ! 

Dcffen  5Kelobic  bat  fid?  einem  9leujaf)r3liebe  gegen  ben  Surfen  bequemen  muffen,  ba&  in  bem  elften  SEf)etI« 
beS  angeführten  @ott>atfd>en  ßantionalS  ftefjt  (XXXI.  pag.  116  u.  ff.) : 

3u  ©ott  im  neuen  ^cäjxt 

9?ufet  ber  (griffen  ©cfyaare, 

Daß  er  feine  ^>ulf  befjenb 

S>om  i)oi)n\  £immel  fenb ! 

Der  Surfe  gemj  »erwogen 
.Kommet  bafjer  gejogen, 
©rimmiglid)  mit  großer  SJIacbt 
Sb,ut  un§  in  feine  %ä)t ! 

3crbrtd)  fein  ©djmert  unb  S3ogen, 
Damit  er  unfre  SBolmung 
SSerroufFt  unb  verbrennt, 
Dein  ßbjtftenbeit  ausrottet, 
2>erlad)ct  unb  üerfyottet; 
Unfer  £erre  ßebaotl) 
©tefy'  un§  bei  in  aller  9lott), 
Unfer  Sport,  unfer  Qoxt,  burd)  bein  SBort! 

£  (Sl)rifte  mollft  u)m  voel)ren, 
©ein  Sanb  unb  £eut'  »erl)eeren, 
Darin  er  bid)  fd)änber, 
äßollft  unfer  93itt'  gewähren, 
Did)  gnäbig  ju  uns?  feljren. 
Sur  unS  ffreit't  ber  redete  SDiann, 
3efu§  a^rtjhiS  ifl  fein  9lam', 
Gbriftian,  ßbrijlian,  tapfer  bran  ! 


 95   


(SrtT:  bie  '2lnftd)t  ber  9Jielobieen  biefer  Sieber  ttnb  ba£  burd)  fte  ju  ertennenbe  SSerbdltniß  beS 
einer  jeben  angebörigen  alten,  wcltlid)en,  Siebes?  ju  bem  ihr  angepaßten  neuen,  geifllicben,  lagt  and) 
einfcben,  wie  ttjre  ©tropbe,  unb  jumabl  bei  biefem  legten,  ftd)  habe  entwitfeln  formen;  tal)er  roir 
t&  bei  bei  oben  gegebenen  allgemeinen  'tfnbeutung  bewenben  laffen.  Srflärlid)  wirb  e3  jebod)  femi, 
baß  tf)cilö  bie  Unbef)ülflid)fcit  ber  Strohe  unfereS  SürfenltebeS,  tbeilS  fein  an  3eitumfiänbe  gefnüpfter 
3ni)alt  it)tn  aud)  nur  eine  furje  Sauer  fiebern  fonnten.  £aju  tommt,  baß  eine  Entlehnung  foleber 
äxt,  rote  fie  hier  erfebeint,  —  ba§  unmittelbare  ^)inübernel)men  nicht  ber  ©tngweife  allein,  (onbern 
auch  bes?  SonfatjeS,  alfo  eines  febon  fertigen,  ja,  berg eftalt  abgefdbloffenen  ÄunftwerfeS, 
baß  bie  lebenbige,  in  tieferem  ©inne  entfaltenbe  Äun|t  bcS  geiftlid)en  Sonfe^ers  auögcfd)lof; 
fen  bleiben  muß,  —  un3  nunmehr  an  bie  ©renje  ber  Cnnwirtung  beö  weltlichen  ©efangcö  auf  ben 
geiftlidien  führt,  bie  aud)  in  ber  Zfyat  in  bem  bisherigen  (Sinne  um  bie  SQlitte  be3  17ten  Sahrhunbertei 
aufbort.  üBie  fte  bi§  bahin  ftd)  gehaltet  t)abe,  ließen  roir  bisher  nur  in  allgemeinen  <3ügen  an  un3 
oorübergeben ;  ein  lebenbigereS  33ilb  berfelben  roirb  unS  ber  33erid)t  über  ©änger  unb  ©efcer  ber  6horal= 
»etfen  bee>  erften  3abrbunbert$  ber  Äirch,env>erbefferung  gewähren.  SSon  einem  unmittelbaren  @in  = 
fluffe  be§  §3olfs3gefange3  auf  ben  geiftlicben  rann  jebod)  um  bie  SJiittc  bcS  17ten  3al)vh,unbertä  fo 
roenig  mehr  bie  Siebe  fetm,  als  bat>on,  baß  jener  für  biefen  nod)  eine  £luetle  gewefen.  9luv  ju  SSKabrigalen 
nahm  man  f)in  unb  roieber  nod)  feine  Suflttcbt;  unb  fo  ftnbe  benn  hier  nod)  bie  Sbatfacbe  ihren  $Ha£,  baß 
Jpeinridi  Ulbert,  £rganif1  ju  Äbnig»berg  in  Greußen  (sJlro.  7  beS  IVten  Zb,e\h$  feiner  geiftlid)eu  "Mrien), 
ein  t?on  i()m  gebtd)tete$  Sieb  „von  ber  gnabenreid)en  9JZenfcbwerbimg  unfereS  £erm  ßbvifji",  ba§  jufolge 
bes  JlbnigSberger  ©efangbucbeö  von  1788*)  mel)r  als?  bunbert  3«&W  nachher  bort  nod)  in  ©ebraud)  war, 
bem  uiweranberten  Sonfaf^e  einee>  9ERabrigal§  t>on  Autoine  Boesset**)  angeeignet  hat.  £)aS  urfprünglicbe, 
ba§  angeeignete  Sieb,  ftehe,  ein  jebcS  in  feiner  erfien  ©tropbe,  hier  jur  a$ergleid)ung : 

Du  plus  doux  de  ses  Iräits  Amour  blesse  mon  coeur 

Pour  l'amour  de  Sylvie  ; 

Je  l'aime  sans  desir,  aussi  jamais  langueur 

Nc  vient  troubler  ma  vie, 

0  bienheureusc  flanie, 

Qui  conservez  l'amour,  et  la  paix  a  mon  ame ! 

Unfer  «fpetl  ift  fommen 
S3om  hohen  4?immelStbron, 
©Ott  hat  uns  angenommen, 
3n  (5f)rtfto  feinem  ©ohn, 
25a$  fleine  Sefutein 
SBtll  für  un3  SDienfdben  leiben ; 
£)  ber  gewünfehten  greuben, 


*)   Äcrn  alter  unb  neuer  ßieber  it.  Äö'm'gSbcrg  bei  9cog.aU.  1788.  STCro.  35.  p.  35. 
)    Huitiesine  livre  d'Airs  ä  quatre  et  cinq  parties,  par  feu  Mr.  Boesset  etc.    Seconde   editioo.    A  Paris 
par  Christophe  Ballard  etc.  1689.    351.  157. 


  96   

9tun  wirb  fein  SEob  nod)  $Pein 

SSon  ©ott  un§  fbnncn  fcheiben! 
3n  bem  ^weiten  Steile  ber  dlteften  Ausgabe  be§  Jtühnauifchen  ßhoralbucheS  (Stro.  179)  fteht 
eine  Vereinfachung  ber  ©runbmelobie  beö  SSoeffctfdjen  Sonfa^eS,  um  biefelbe  ju  einer  für  fird)Iid)en 
©ebrauch  geeigneten  ©ingweife  ju  bitben :  fte  ift  jeboeb,  in  bie  fpdteren  Auflagen  biefeS  gefd)d£ten  2BerfeS 
nid)t  wieber  übergegangen,  weil  ba§  Sieb  in  33erlin  aufjer  ©ebrauch  gefommen  war.  9cotl)wenbig  ohne 
Zweifel  war  eine  folche  wereinfachenbe  Umgeftaltung,  ein  gebrdngter  2tu§jug  ber  bewegenben,  mclobifd)en 
Jpauptgebanfen  au3  bem  mebrftimmtgen  Songewebe,  wenn  baj>  £ieb  t>on  ber  ©emeine  follte  gefungen 
werben  fbnnen,  ba  feine  (Strohe  fonft  in  unferem  ßb.oralgefange  nicht  »orfommt,  eine  Verweifung  auf 
eine  anbere  SKclobie  alfo  nicht  thunlich  war.  ©o  wirb  benn  ein  ähnlicher  2üts>jug  auch  früfje  fd)on  für 
.Königsberg  beftanben  haben,  wie  wir  beren  »on  ©aftolbi'3  ,,Viver  lieto  voglio"  mit  SSejug  auf  bae>  Sieb: 
,,3efu  woüft  un3  weifen"  in  SBronnerS,  unb  fpäter  in  SSelemannS  ßhoralbuche  antreffen,  £>ie  SBeife  be§ 
$ftabrigal§  ,,A  lieta  vita"  fonnte,  bei  it>rer  großen  Einfachheit,  faft  ofmeSkräiiberung  fchon  übergeben  auf  bas> 
Üieb:  ,,!3n  bir  ift  greube;"  nur  baf?  man  hier  bei  ©teilen,  wo  bie  erfte  ©timme  t»on  ber  jweiten  überftiegen 
wirb,  ft'cb  an  ba3  ©efjbrte,  nicht  an  ba§  2tufgejeicf)nete  gehalten,  alfo  nicht  bie9Kelobie  ber  erften 
©timme  unueränbert  angenommen  hat.  gür  bie  Äunft  be§  geiftlichen  ©c£er§  jeboeb,  ift  feine  biefer 
brei  Sftelobteen  von  SBebeutung  gewefen. 

Überfchauen  wir  nun,  nachdem  alle  biefe  einzelnen  ^atfad)en,  ihrer  Seitfolge  nach,  an  un$ 
vorübergegangen  fmb,  nod)  einmaf)l  bas>  ©efammtbilb,  ba§  fte  uns>  gewahren;  fo  ftnbcn  wir,  lange  fchon 
uor  ber  Äird)ent>erbefferung,  ba§  ©treben  allgemein  verbreitet,  beliebte  SSolBweifen  für  längere,  mef)rfiim= 
mige  lateinifche  Ätrchengefänge  aB  ^fälligen  ©d)mud  unb  SBüty,  ober  aud)  als>  bclebenbe  ©runbgebanfen 
an^uwenben.  £)ie  mit  ber  .ftirchenverbefferung  hervorgegangene  gorberung  eines  volf§tl)ümlichen,  ben 
'tfntbcil  ber  gefammten  ©emeine  verftattenben  Äird)engefangeä,  ftnbet  an  biefer  althergebrachten  ©itte  einen 
'tfnfnüpfungSpunft.  GrineS  ber  dlteften  evangetifchen  jlirchenlieber  entlehnt,  wahrfcheinlid)  um  1523  fd)on, 
feine  9Jielobie  von  einer  gemeinen  58olf6weife.  83on  einer  ^weiten  ©ingweife,  bie  im  folgenben  1524ften  Safjre 
iuerft  einem  anberen  geiftlichen  ßiebe  angeeignet  ift,  als  bem,  welchem  fte  fpäter  auöfchlteßenb  gefeilt  bleibt, 
wäbrenb  jeneS  erfte  fobann  feine  eigene  erhalt,  ift  nicht  minber  vorauSjufefcen,  baf?  fte  au§  bem  SSolfSgefange 
berftamme.  £>ae>  nddjfte  3af)r  geigt  unö  in  einer  ©ammlung  geiftlicher  2ieber  urfunblid)  bie  S3crwenbung 
breier  Solföweifen  für  fird)lid)e  ©efdnge.  SBtr  feiert  un$  buret)  biefe  5£t)atfad}cn  veranlaßt,  bem  tonfünfh 
lerifchen  Steile  beS  S3olf3gefange3  näher  ju  treten.  Eine  bebeutenbe  ©ammlung  beutfdjer  SSolfälieber 
mit  ihren  SDRelobieen,  eine  anbere,  bie  une>  belgifd) e  unb  franjbfifcb,  e  ©ingweifen,  für  ba3  in  9feimc 
gebrachte  ^3falmbuch  »erwenbet,  aufbewahrt  hat,  giebt  un§  baju  reichliche  ©clegenheit.  SBir  ftnben,  bafj 
ber  in  ben  beutfehen  SSolfSliebern  be§  lOten  Schrhui^^  am  haufigßen  uorfommenbe  ©trophen^u 
auch  ber  für  ben  geiftlichen  ©efang  am  meiften  angewenbete  gewefen,  wenn  aud)  auSnahmöweife  ein  bort 
feltener,  burd)  ben  jeitgemäfjen,  bie  ©emüther  tief  anregenben  3nh<*lt  be§  Sicbcä,  ba§  in  ihm  ftd) 
gcftaltete,  eine  überwiegenbe  SSeliebtheit  erhielt.  SEBdhrenb  um  ben  Anfang  beö  lCten  S^r^UBiettfi  bem 
alten,  lateinifchen  Äirchcngefangc  faft  alle  rlwthmifche  93tannid)fattigfeit  mangelt,  tritt  fte  in  ber  33olf3weifc, 
auf  eigentümliche  23eifc  au§gebilbet,  unö  entgegen;  ber  gerabe,  ber  ungerabe  Saft  alö  burchgehenbe 
©runbform  ber  SKelobie ;  bas  9lebcncinanberftehen  beiber  gormen;  ber  rhpthmifche  SBcchfel,  ber  olme  baö 
Waafi  ju  änbern,  bennod)  einen  fpinmctrifd^en  ©cgenfafj  beiber  gormen  erjeugt;  alleö  biefcö  ift  hier  in 


—  97   


reid)er  ^bmecbslung  anzutreffen.  3>on  ben  melobifd)=barmonifd)en  ©runbformen  be§  alten  &ird)engefanges 
aber,  ben  Tonarten,  in  ihrer  mefentlid)  fünffadien  ©cftaltung,  entfernt  ftd)  bie  beutfdje,  rote  belgifd)e 
SJolfsrocifc  5  fte  ftrebt  nur,  bie  fyattt  unb  meid)c  Sonart  in  ihrem  ©cgcnfalje  feftjubalten,  ol)tte  bie  eine  ober 
anbere,  toie  bort  gefcbabe,  in  mefentlid)  gefonberter@igentbümlid)feit  feiner  ausprägen,  unb  alle  biefe  "tfusge^ 
Haltungen  burcb  innere  Schiebungen  mit  einanber  ju  oerbinben.  £)as  nur  erfd)eint  all  oolf  stl)ümlicber 
Untcrfcbteb  jmifcben  bcr  beutfdicn  unb  belgifdwn  2Beife,  baß  jene  oorjugsroeife  bie  harte,  biefe  bagegen  bie 
weiche  Sonart  »oäl)lt.  ©0  jMt  bie  reichere,  rl)t)tbmifd) e  ©eftaltung  bei  größerer  melobifd)=barmonifd)er 
JBefduanfung,  ft'cb  uns  bar  als  bejeid)nenbcs  9Rerfmal)l  für  bie  SSotf  smeife,  roie  bas  umgerebrte  S3er= 
bältniß  bie  @igentbümlid)feit  bes  alten  Äird)engefanges  bcjcid)net;  unb  roenn  mir  beibe  ^Crten  bes  ©efanges 
erfannten  all  Quellen,  all  mefentlid)  roirffame  SSorbilber  für  unferen  eoangelifcfyen  (üboral,  fo  bürfen  mir 
bienaeb  bereits  fd)ließen  auf  fein  33erl)ältniß  ju  beiben,  merben  mir  es  auch  mit  ©td)erl)eit  erjt  bann  ju 
fallen  vermögen,  menn  mir  ©rfinber  unb  geifiretd)e  @e£er  neuer  geiftlicber  ©ingmeifen  in  bem  erften 
Jainbunbcrt  ber  £ircbenoerbefferung,  unb  il)re  ©d)b»fungen  merben  Fennen  gelernt  haben.  Zber  je£t  fd)on 
fehen  mir  bie  Solfsmeife  auf  manntebfaebe  2lrt,  aus  ben  uerfebiebenfkn  9?ücfftchten,  b^vangejogen  für  bie 
SMlbung  bes  neuen  geifilid)en  ©efanges.  2öar  ee>  Anfangs  bas  33ebürfniß  oolfsmäßiger  Sbne  für  bas 
Sieb,  mit  bem  bie  gefammte  ©emeine  in  unmittelbarer  Sbeilnabme  eintreten  follte  in  bie  Äircbe,  ein  ©efaUen 
an  bem  'tfnmutbigftcn,  bas  ber  unbemußte  Äunfltrieb  l)en>orgebrad)t,  unb  ber  SBunfcb  es  burd)  ben  ebelfkn 
©ebraudi  ju  heiligen,  was  bie  2Babl  ber  SSolfsweifen  für  ben  Äircbengefang  veranlagte;  fo  mürbe  fte  balb 
aud)  baburd)  herbeigeführt,  baß  neuerfunbenc  ?Ocelobicen  nid)t  SBurjel  faßten,  ben  gewünfd)ten  Son  nid)t 
trafen,  unb  man  biefen  in  bereits  oolfsmäßigen  SBeifen  beffer  angefcblagen  meinte;  balb  mit  9?ed)t,  balb 
irrtbümlid),  mic  bie  golge  jumeift  lebrte,  menn  ber  rechte  Cjrftnber  bie  Stimmen  '2111er  für  ftd)  oereinigte. 
äud)  fanben  mir  greunbe  bes  &ird)engcfanges  unter  ben  ©eiftlicben,  oon  ben  $äuotem  ber  neuen  fird)lid)en 
S5emegung  als  Snrgläubigc  verrufen,  bie,  menn  fte  aud)  biefe  nicht  mit  gleid)em  S3ormurfe  ju  belaftcn 
magten,  fie  bod)  fd)euten  unb  oermieben  als  oermeintlid)e  ©torer  einer  freien,  lebenbigen  @laubensent= 
midlung,  unb  fo  für  ihren  gottesbienjtlid)en  ©efang  lieber  bie  SSolfsmeife  in  2(nf»rud)  nal)men,  felbft  nid)t 
ohne  einige  S3ejiebung  auf  ben  Inhalt  ihres  ßiebes,  als  bie  SOfalobewen  bes  lutbertfd)en  Äircbengefangcs, 
beffen  ßieber  fte  nicht  ohne  erbeblid)e  Umgeftaltungcn  aufnebmen  mod)ten ;  ein  innerer  unb  äußerer  Antrieb 
;;u  gleicher  3eit  für  bie  2Babl  gemeiner  9JMobiecn.  9cun,  im  gortgange  ber  3eit,  jemel)r  eine  ftrenge,  oon 
bem  SBeltlicben  abgemenbete  ©innesmeife  fid)  ausbilbete,  moüte  man  biefem,  als  feeletmerberblicb,  überall 
unter  d)riftlid)  ©eftnnten  nid)t  mehr  ©ingang  geftatten;  bie  2ieber,  bie  nur  ©innenluft  athmeten,  fei  es  in 
melcbcr  Zxt  es  motle,  follten  nicht  mel)r  gebulbet,  es  follte  mit  aller  .Kraft  baf)in  gearbeitet  merben,  baß  fte 
in  Abgang  Fommen  mbd)ten.  9Kit  ben  unfd)ulbigen  Sbnen,  bie  fte  begleitet,  mollte  man  es  freilid)  fo 
ftrenge  nicht  nehmen;  biefe  bürften,  als  erlaubte  @rgb|ung,  als  @rfrifd)ung  für  'tfrbettmübe,  bleiben,  fofern 
fte  nur  mürbigen  unb  beilfamen  ülßorten  gefeilt  mürben.  Um  ber  ©d)mad)en  millen  fbnnten  ja  biefe  allen- 
falls an  bie  früheren  ber  urforünglicben  Sieber,  mebr  ober  minber,  erinnern,  um  biefe  nur  fo  ft'cherer  obllig 
auszutreiben,  menn  man  bes  Unterfd)iebeS  erjt  recht  inne  gemorben  fei  jmifcben  ber  fleifd)lid)cn  ©eftnnung 
in  jenen,  ber  geiftlicben  in  biefen,  ber  oerberblid)en  §rüd)te  ber  einen,  ber  befeeligenben  ber  anbern.  ©0 
nel)men  bie  Umbid)tungen  überbanb,  unb  mit  ihnen  ber2(nbrang  einer  ?0Jenge  gemeiner  SÖJelobieen, 
obgleich  man  bei  bem  2lnmad)fen  bes  5ßorratl)es  neuerfunbener,  urforünglid)  geiftlicber  SBeifen  it)rer  nicht 
eben  bebarf.    baburd)  merben  nun  aud)  bie  Umbid)tungen  mieber  feltener;  bie  greunbe  bes  geiftlid)en 

SBintttfelt,  tcr  t:ange(.  G^oralgefang.  13 


  98   


tMcbergefangeS  wenben  ftdi  lieber  bem  Urfprünglid>cn  ju,  bie  2ufl  an  ben  alten  weltlichen  Biebern  iji  nach 
unb  nach  abgcwelft,  t^rc  ©ingweifen  »erklingen  vor  ben  immer  reifer  h^orbringenben  geiftlichen  25lelo= 
biecn.  (So  glaubt  man  bcnn  bcr  (Erhaltung  beffen  nid)t  mel)r  5U  bebürfen,  wa§  einem  tiefer  anfprechenben 
SReuen  bat  weichen  muffen,  wie  man  ber  S3efcitigung  beffen  nicht  mehr  bebarf ,  wa3  bie  3eit  unb  bie  ver= 
anberte  ©entmutig  ohnehin  befeitigt  hat.  5Bas>  man  bem  SSolBgcfange  mit  (Erfolg,  ju  wahrer  ^Bereicherung 
be§  ÄirchcitgefangeS ,  bisher  abgewonnen  hat,  ftcllt  man  jufammen  mit  bem,  wa3  auf  bem  ©ebiete  biefeö 
legten  urfprüngltd)  geroad)fen  ij!,  jurocilen  mit  (Erinnerung  an  feinen  Urfprung:  nur  feiten  noch  borgt  man 
auf  bem  weltlichen  ©ebiete,  unb  bann  jumeift  nur,  wa§  bie  ©egenwart  bort  mit  befonberS  glüeflid)  an= 
gefd)lagcnem,  in  ben  ©emüthern  'Mer  anflingenbem  £onc  gefd)affen  bat,  unb  nimmt  c§,  mehr  ober  minber 
fruditbar,  für  bie  jtird)e  in  2(nfprud).  Der  geiftlid)e  £icbcrgefang  tfi:  fetbftänbig  geworben,  unb  aud)  au§ 
inneren  ©rünben  beginnt,  balb  nach  bem  erften  ^ahrhunberte  ber  Äirchenverbeffcrung  für  irm  eine  neue 
sPeriobe. 

©0  fbnnen  wir  benn  fn'er  unfern,  ber  Darftellung  von  bem  (Einfluffe  beö  SSolBgefangeS  auf  ben 
(Eboral  gewibmeten  '2lbfd)nitt  befchliefjen.  (EinjelneS,  wa§  in  ihm  bloße,  unbewäf)rte  ^Behauptung  fcheinen 
mochte,  wirb  ft'dj  ba  begrünben,  wo  ©änger  unb  ©efcer  be§  erften  SahrlumbertS  ber  Ätrchcnverbefferung 
un§  naher  treten  werben. 


III.  ältere,  in  ben  eo a ng eli f d) en  Äivdj engefang  aufgenommene  SKelobteen  beut* 
f et) e r ,  geift lieber  ßteber. 

Daß  oer  eoangelifcfye  Äirchengefang,  eben  al§  ©efang,  an  SSorjeit  unb  ©egenwart  angeknüpft 
babe,  an  firdilicfye  wie  uolfSmäßige  ©ingweifen,  an  ba§  #ltefte,  au§  ber  fBotyit  .^erübertönenbe,  wie  an 
ba§grifd)ejte,  neben  il)tn  auf  bem  ©ebiete  berSonfunft  neu  £ervortaud)enbe,  haben  wir  in  ben  legten  beiben 
tfbfchnitten  ju  jeigen  gefucht.  Allein  er  nahm  nicht  ein  neue§,  vor  ihm  nod)  nicht  angebaute^  ©ebiet  in 
SBefüj;  benn  vor  ber  Äirchenverbefferung  fd)on  gab  e§  beutfehen  geiftlid;en  ©efang,  wie  wir  nad)  ben  neueren 
^orfebungen  nid)t  länger  bezweifeln  bürfen.  SSSte  biefer  allgcmad)  ftd)  gebilbet  l)abe,  wa§  an  beutfd)en 
geiftlid)cn  Siebern  unb  jumaf)l  ©ingweifen  bt§  ju  ben  Anfangen  ber  Äird)env;erbeffcrung  unb  be§  auf  fte 
gegrünbeten  ©cmeinegcfangeS,  auö  il)m  hervorgegangen  fei,  haben  wir  inbeß  hier  nid)t  ju  befd)reiben.  9?ur 
ba§  bebarf  einer  (Erwähnung,  ober,  nad)  feiner  größeren  2Bid)tigfcit,  aud)  einer  näheren  ^Betrachtung,  waS 
ftd)  »on  jenen  älteren  ©ingweifen,  vorübergehenb  ober  bauernb,  einbürgerte  in  bie  evangelifche  Äird)e,  unb 
auf  baö  in  i£>r  ftd)  neu  ©ejlaltenbe  größeren  ober  minberen  (Einfluß  gewann, 
k  Sie  »orübergeb,enbe,  bie  bauernbe  (Einbürgerung  giebt  unö  f;ienad)  einen  ©runb  ber  (Eintheilung 

unfereS  ©toffeö ,  unb  einen  gaben  für  unfere  Darftellung.  "Kn  ben  ©egenjtänbcn  bcrfelben,  ben  älteren 
tird)lid)en  ©ingweifen,  bei  benen  bie  eine  ober  anbere  %xt  be3  tjeimtfd)  2Berben§  unter  ben  (Et>angeltfd)en  fiatt 
fanb,  werben  wir  fowof)t  SEonart  al§  rl)t)tl)mifd)cn  S5au  näl)er  ju  prüfen,  unb  barin  ju  erforfd)en  haben, 
ob  aud)  fte  ber  jwtefad)en  einwirfung  be§  altfird)lid)en  unb  be§  S5olBgefange§  unterlagen.  S03ir  beginnen 
mit  ^Betrachtung  ber  nur  für  eine  3eit  lang  ergriffenen  (Srjeugniffe  jeneö  älteren  beutfd)cn  Äird)engefangeä. 

Der  ältefte  ©efang  biefer  'tfrt,  ber  aber  auch  ?urie  3«t  nur  eine  örtliche  ©eltung  gewann,  unb 


  99  


fpäter  aus  ber  evangelifcben  JSircbe  ganj  tmfcbmanb,  ift  jenes  5rübling3=  unb  rfterliet  bes  um  1382  dcc= 
ftorbenen  Pfarrers  pi  Stcinfircb  am  ductf?,  ßonrabs  »on  Steinfurth : 

Su  Senje  gut,  bes  Jahres  tbeur'jte  Cuarte, 
ober,  roie  feine  erfte  Strophe  in  Sialentin  Frillers  Umbicbtung  beginnt : 

25er  ßenj  ift  uns  be§  3ares  erfte  quartir, 

Gr  ift  auch  mancher  Bußen  »oll  ic. 
Sie,  jenem  Siebe  ebne  3meifcl  gleichzeitige,  alfo  bem  14ten  3abrbunberte  angehorige  9JJelobie 
ftnben  mir  am  frübeften  in  Frillers,  eines  Sd)lcfters,  geiftlid)em  Singebud)e  (1555);  ein  halbes 
bunbert  fpdter  ifi  es  mieberum  ein  Scblefier,  Samuel  83rcsler,  9?eftor  ber  Schule  jum  heiligen  ©eift  unb 
an  S.  93ernbarbin  ,u  ^Breslau,  ber  fte  uns  mit  ihrem  Siebe  (1618;  in  feiner  jtircben=  unb  .fraus SRuftca 
in  oierftimmigem  Sa£e  giebt  unb  fie  uieUeicbt  aus  Sritler  gefd)bpft  haben  mag.  ßnblicb,  nach  ein  unb 
breif3ig  3abren,  erfcheint  fte,  bemSSefentlichen  nach  übereinftimmenb,  in  ©regor  ßorners  geiftlicher Nachtigall 
fSSien  1049;,  alfo  in  einem  fatbolifd)en  Sieberbuche,  »on  bem  nicht  »orausjufcfcen  ifi,  baß  es  au§  jenen 
früheren  fd)bpfte;  fte  ift  alfo  geroiß  unocrfdlfcht  auf  uns  gefommen.  Sie  beroegt  ftd)  in  bem  Umfange  ber 
urfprünglichen  pbrpgifchen  Sonart,  unter  ben  fte  nur  um  eine  große  Serj  binabfd)rettet,  unb  bamit  febon 
melobifch  einen  Qlnflang  bes  Sonifcben  gemährt.  Nach;  Frillers  'tfufjeidmung  ftellt  fie  feine  rf)ptbmifcbe 
SOtannichfalttgfeit  bar,  fte  fd)ließt  ftd)  nur  genau  bem  Sftaaße  ihres  Siebes  an.  Friller  hat  fte  nad)  feiner 
SSeife  treijtimmig  ausgefeilt,  für  jroei  Senore  unb  einen  33aß,  unb  fie  jroifd)en  ber  hbchften  unb  tiefften 
Stimme  in  bie  2EJiitte  gelegt;  von  ihrem  mittleren  unb  ihrem  legten  Sd)lußfaü,  meldte  beibe  burd)  bie 
rletne  £berfecunte  bes  ©runbtoncs  mieber  jurüdfebreiten  in  tiefen,  hat  er  ben  erften  in  feinem  £onfa£e 
äolifcb,  unb  erft  ben  jroeiten  phrpgifd)  gefaßt,  betrachten  mir  ben  rhptbmifchen  S3au  bes  SiebeS,  fo  fehen 
mir  je  jroei  unb  jroei  fiebenjeilige  Strophen  auf  einanber  folgen,  jebe  in  jroei  ©efä|e  getheilt,  ju  oier  unb 
ju  brei  Seilen,  in  beren  erflen  eine  eilf=  unb  eine  acbtfplbige  iambifebe  3eile  jroeimahl  mit  einanber  mechfeln, 
in  bem  jroeiten  eine  acbtfplbige  3eile  auf  jroei  neunfplbige  folgt.  Siefer  Soppelfiropbe  fcbließt,  als  üb- 
unb  Scblußfafc,  eine  tretjeilige  Strophe  acfytfplbiger  3eilen  fich  an.  Sie  auf  folebe  SEßeife  geglieberte  grb= 
ßere  Strophe,  bie  jene  brei  befd)riebenen  Reineren  in  fich  begreift,  unb  von  ber  mir  in  bem  oorangebenben 
tfbfcbnitte  ein  ffieifpiel  gaben,  ifi  bienacb  eine  ftebjebnjeitige ,  bie  menn  auch  an  ftd)  nicht  ohne  Einmuth,  für 
einen  uolfsmäßigen  geiftlicben  ©efang  bod)  ju  fünftlid),  unb  nid)t  troUfommen  faßlid)  erfcheint.  Saher 
ift  es  ju  bezweifeln,  baß  unfere  Singmeife  fd)on  lange  vor  Friller  im  Sftunbe  bes  Golfes  gemefen, 
roie  biefer  fte  benn  aud)  nid)t,  roas  er  fonft  roobl  ju  thun  pflegt,  eine  alte  gewöhnliche  nennt;  unter  ben 
©efangesfunbigen  mag  fte  freilich  geraume  Seit  früher  feben  fortgelebt  haben.  Allein  in  bem  eoangelifeben 
Äirchengefange  hat  fte  mobl  Eatan  anbers  als  inScbleften,  unb  auch  ba  nur  örtlich,  eine  Speimatt)  gefunben; 
bas  juoor  genannte  S5uch  oon  Samuel  33resler  ift  meines  SBiffens  bas  einjige,  in  metd)em  fte  nach  Friller 
mieber  erfcheint.  3hr  fpateres  23orfommen  in  einem,  nicht  unmiebtigen,  farboltfdjen  ©efangbuche,  mit 
einer,  ihr  urfprüngliches2icb  burch  fprachliche  Umgcftaltung  bem  S>erftanbniffe  näher  bringen  Überarbeitung 
ift  für  unferen  3mccf  nicht  »on  S3ebcutung.  Selbft  ^rätorius,  fo  fleißig  er  Frillers  Singebucb  ausbeutete, 
baö  er  aud)  an  ben  betreffenben  £rten  als  feine  £lueUe  nennt,  hat  »erfchmäht  fte  aufzunehmen.  Set  e§ 
nun  ber  '2Inftoß,  ben  ftreng  lutherifch  ©eftnnte  an  Frillers,  bes  Sdwenffelbers,  Umbichtung  nehmen  fonn= 
ten,  ber  ihn  taju  oeranlaßte,  unb  Unfenntniß  ber  urfprünglichen  ©eftalt  bes?  Siebes ;  fei  es  bie  in  ber  £bat 
große  Ungefchirftbeit  ber  erften  Strophe  jener  Umgeftaltung ,  ober  auch  bie  Schmierigfeit  einer  neuen  Sidv 

13* 


  100   


tung  nad)  bem  vorgegebenen,  nid)t  gangbaren  SQlaafie;  genug,  balb  nad)  ben  erflen  Sauren  be3  jmetten 
ga^r^unbertS'  ber  ,£trd)cimcrbefferung  ift  unfere  SDielobie  fn  bem  et>angelifd)en  getfilid)cn  ©efange  ntd)tmeb,r 
ju  ftnbcn,  unb  »tt  roiffen  nid)t  ju  fagen,  ob  fte  in  bem  fatl)olifd)en  nad)  @orner  eine  ©teile  mieber  eim 
genommen  Ijat- 

Die  übrigen  ©ingmeifen,  von  benen  mir  noch,  ju  bertd)ten  b,aben,  ftnb  fammtlid)  fold)e,  beren 
lieber  urfprünglid)  bem  greife  ber  ^eiligen  Jungfrau  bienten,  unb  entmeber  in  Umbid)tungen  Eingang  fan= 
ben  in  ben  Äirdjengefang  ber  ^rotefranten,  ober  ganjlid)  befeitigt,  'ü)m  nur  tf)rc  9ftelobieen  Ergaben. 
3u  biefen  legten  gebort  ba§  Sieb : 

Die  ©fcfyrift,  bie  giebt  un£  SEBeif  unb  2ef>r*). 
Über  fein  2£lter,  ba£  von  33  erfd)i  ebenen  abmctcfyenb  angegeben  mirb  —  jmifd)cn  1420  unb  1500  —  roiffen 
mir  nur  mit  33eftimmtl)eit,  bafj  eS  jebenfatB  über  bie  Sfeformation  l)inau3reicf)te.    (§3  begann  (nad)  9fie= 
berer)  folgenbermaafjen : 

£>te  gfcfyrift  bie  gibt  un§  roetS  unb  (er, 

2Bie  basü  93Zariapfalter  roer, 

Savon  votl  id)  eud)  fingen. 

©ottlicfye  2Bct3l)eit  ruf  id)  an, 

SJZaria  ydoII  un§  beigejtan, 

fo  mag  uns>  nit  mißlingen. 

SSKaria  f)at  ir  auSgeroett 

bie  iren  »fairer  beten 

()at§  in  ir  brüberfd)aft  gejelt, 

©egn  got  rotl  ft'eS  »ertreten, 

e§  feien  frauen  ober  man, 

roer  fte  bamit  tut  rufen  an 

bem  roil  fte  treulid)  beigeftan. 
3n  ©regorius>  ßornerö  geiftlicfyer  9?ad)tigall  (p.  335)  mirb  es?  mitgeteilt  unter  ber  2Cuffd?rtft : 
©irt  S5ud)§baum§  altes?  9Jfaifter=©fang  »on  Unfer  lieben  grauen  Sfofcnfranf}  in  etroa§  gebeffert. 
£ier  mirb  junäctjft  be§  $falter§  gebadet,  mie  £>a»ib  il;n  gefcfyrieben,  ©Ott  ju  8ob  unb  &)x,  in  fyunbert 
unb  funfjig  ^falmen:  mie  er  fcfyöne  £cl)ren,  mannigfaltige  ©efyeimniffe  in  ftd)  begreife,  bal)er  il)n  benn  auch, 
bie  ©eijtlid)en  in  ber  £ird)e  unb  bem  ßfyore  fort  unb  fort  beteten,  ©Ott  jum  SBoblgefallcn.  9hm  l)abe  aber 
aud)  ber  fjeilige  £)ominicu3  einen  ^fairer  erfunben,  beftefjenb  aus?  Imnbert  unb  fünfzig  Siofen,  »on  ©abriel 
in  bret  üränjen  für  SDiarta  gef!od)tcn,  unb  tfyr  »om  Gimmel  gebracht.  £)cr  erfte  biefer  Äränje  fei  ber 
roeifje,  freubenreicfye :  ber  anbere,  ber  rotfye,  fd)mer$lid)e :  ber  britte,  ber  golbfarbene,  glormürbige.  2(ue>  fünf 
greuben  9Jlaria'§  befiele  ber  erfie:  au3  ber  SSerfünbigung  unb  £ctmfud)ung,  aus3  ber  ©eburt,  ber  £)ar= 
fleüung,  ber  ginbung  ßfyrifri  im  £em»el;  aus»  fünf  ©cfymerjen  ber  anbere:  bem  blutigen  ©cfyrocifc,  ber 
©eiffelung,  ber  Sornenfrone,  ber  Äreujtragung,  ber  Äreujigung ;  au§  fünf  ©lorien  enblid)  ber  lefcte :  ber 
"^uferflef)urtg,  £immelfal)rt ,  ber  tfuSgiefjung  bes>  ^eiligen  ©eifteS,  ber  2fufnaf)me  2Dkria'3  in  ben  £immel, 
ber  'tfnfunft  jum  ©erid)t;  jebe  einzelne  biefer  SBonnen,  biefer  S5etrübniffe,  biefer  (Sljren  begreife  fünf  2Jarer= 


•)   SBergl.  £ofmann.   St.  177.  178;  aud)  2Cnm.  185. 


  101   


unfer  in  [ich  unb  eben  fo  viel  Grngelgrüfie ,  wie  biefeS  betm  in  jwei  unb  jwanjig  brcijebnjeiligen  ©efä^en 
weiter  auSgefpenncn  wirb.  @6  leuchtet  ein,  bafj  an  biefe  Vorftellungcn,  bie  ebne  3wcifel  auch,  in  bem  ur= 
fprüngltcben,  nur  in  et wa$  von  bem  fpäteren  Herausgeber  gebefferten  Siebe  obwalteten,  umbid)tcnb,  cm- 
jufnüpfen,  ben  eoangelifeben  bei  if)rer  ©eijleSricbtung  unmbglid)  fiel.  £>cnnoch  mochte,  bei  ber  um  ben 
Anfang  beS  16ten3abrbunbert§  fo  roeit  verbreiteten  Verehrung  ber  heiligen  Jungfrau,  über  bie,  —  wie©letch= 
jeitige,  balb  ernft,  balb  bitter  unb  fpbttifch  fragen,  —  man  be»  £eilanbe3  faft  ganj  vergeffen  hatte,  biefer 
9ftaricnpfalter  fo  vielen  Eingang  gefunben  fyabcn,  baf?  man,  örtlich,  wenigftcnS,  für  nothwenbig  hielt,  feiner 
Singweife  ein  neue§  geijtlicbes?  Sieb  unterzulegen,  um  bie  an  bicfelbe  ©ewbbnten  babureb  von  bem  Inhalte 
be3  urfprüngtieben  ©efange»  abjufebren.  Senn,  obgleich  au3  bem  9Jieiftergefange  ftammcnb,  ijatte  bie 
SDtclotic  —  eben  vielleicht,  weil  bem  SDiarienpfalter  angehbrenb  —  einige  Beliebtheit  gewonnen.  3n  einem 
alten  £rucfe  biefes?  |>faIterS  (Hugspurg  burch  93iattbcum  granfen;  foü  bcrfclbe  in  ,,£erfeog  GrrnfB  wenfj" 
gelungen  werben  5  in  einem  anbern  vom  Sabre  1520  wirb  auf  ,,$erjog  ©ruften  £bon"  verwiefen  bei  einem 
gefebichtlichen  S3olf5liebe :,, von  ber  Vertreibung  ber  Sübcn  ju  9fotenburg  an  ber  Sharober,  unb  von  jrer 
Swnagog*)."  9Bir  finben  auch  wohl  ,,bie  glammweiS,  in  ber  man  H»erjog  Crrnften  fingt,"  genannt, 
alfo  eine  auö  bem  9JIeiftergefange  ftammenbe  9)celobie:  auf  biefe  verweift  ein  flicgenbeS  SSlatt  be3  löten 
3abrbunbert§,  ba£  ein  Sieb  von  gleid)cr  Strophe  enthalt.  3roeifelbaft  ronnte  e§  hienad)  fcheinen,  ob  bie 
SKelobic  bes  93carienvfalter§  roeltlid)cn,  ob  geiftlichen  UrfprungS  fei?  £och  möchte  bas?  leiste  glaublicher, 
ibr  anfänglicher  9iame  eben  ber  hier  jule^t  genannte  ber  „glammweis?"  fenn,  bie  S3ejiebung  auf  $erjog 
Grnft  aber  eine  fpätere,  abgeleitete,  ©enug,  wabrfcheinlid)  um  ber,  minbeften»  in  Scblefien  wohl,  obmal= 
tenben  ©unft  biefer  Singweife  in  foweit  ju  wehren,  baf  fie  nicht  von  ber  evangelifchen  ©eijtegricbtung  ab 
$u  ber  SRarienverebrung  jurüd  führe ,  fanb  Valentin  Sriller  fieb  bewogen,  ihr  ein  neueö  Sieb  unterjulcgcn, 
vom  reichen  93Ianne  unb  armen  SajaruS;  eine  'tfufforberung  auf  bae>  SBort  ©otteS  allein  ju  hören,  unb  ber 
©naben^eit  wahrzunehmen,  ehe  e§  ju  fpät  fei.  SDftt  biefem  Siebe  —  baö  fpäter  mancherlei  Umarbeitungen, 
tbeilS  mit  'tfbfürjung  feines?  urfprünglicbcn  SDiaafjee»,  theil»  unter  Sßabl  eines?  ganj  neuen,  erfuhr  —  ift  nun 
bie  alte  Singweife  übergegangen  bis  ju  9)rätoriu$ ,  ber  fie  geftänblich  aus?  SrillerS  Singebuche  feböpfte ; 
•fie  war  alfo  um  ba£  erfte  S3iertl)eil  bes?  Uten  3ahrhunberts>  noch  ün  ©ebrauche.  Seitbem  aber  ift  fie,  weil 
ibr  urfprünglicbcs»  Sieb  verfchollen  fc»n  mochte,  unb  ihre  Unbehülflichfeit  nun  erft  jur  2Tnfchauung  fam,  au§ 
bem  Äirchengefange  verfchwunben.  Mein  ihr  fpätereS  Sieb ,  wie  febon  gefagt  worben,  bat  ftd?  erhalten  : 
in  S3artbol.  ©efiuS  vier-  unb  fünfftimmig  gefegten  geiftlichen  beutfehen  Siebern  (granffurt  a.  £).  1601.  331. 
CVIH)  erfcheint  e3  abgeturjt,  jeboch  mit  übereinfiimmenbem  Anfange  faft  aller  feiner  Strophen,  ftebenjeilig, 
unb  mit  einer  93ielobie,  bie  nod)  tfnflängc  minbeftenS  an  bie  urfprüngliche  jeigt;  fpäterbtn  bei  bemfelben 
Sonfeljer  ftfnber  neu  Opus  geiftlicher  beutfeher  Sieber  ic.  1605.  331.  XCV1II)  noch  rnehr  jufammengebrängt 
in  eine  vierteilige  Strophe,  unb  mit  einer  ganj  neuen  Singweife.  2Bie  man  nun  hier  bas>  neue  33efi|thum 
•,u  bewahren  trachtete,  inbem  man  ba§  ererbte  aufgab ,  fo  liegt  e§  nicht  aufjer  aller  2Baf)rfd>etnItd)feit,  ba£ 
©regor  ßorner  fpdterhin  burd)  feine,  in  etwaä  vorgenommene  33 efferu n g  beä  alten  9Karienpfalter3, 
bem,  ,um  ÄatholiciSmu§  jurüefgebrachten  Steile  Schlefienä  unb  Dfterreichä ,  jene  "Krt  ber  '^nbad)t  wie= 
berum  angenehm  unb  eingänglich  machen  fuchte.  —  2öaä  bie  Singweife  betrifft,  fo  ift  fie  äolifcher  5£on= 
art,  unb  weicht  in  ba§  Sorifche  au§,  fo  wie  in  bag  verfemte  Sonifche.  Friller  giebt  fie  nur  einftimmig,  in 


")   ©oltau  :  ljunbert  tjifiorif^e  SBolfSlieber.   5lro.  Vi.  pag.  246  —  250. 


  102   

^rätoriuS  merftimmiger  33epanblung  erhalt  fte  einen  borifcben£onfd)luf3,  inbem  jener  SEfleijier  iprem  ©cblufj; 
tone  feine  Unterquinte  unterlegt,  obgleich  er  unmittelbar  jutwr  burd)  2tnwenbung  ber  fleinen  ©ecunbe  beS 
©runbtoneS  in  ber  Untcrflimme  bie  Gnwartung  cincS  pbrpgifcben  '#u§gangee>  erregt  tjatte-  ©eftuS  SÖMobie 
bagegen,  ju  ber  crften  2fbfürjung  beS  2iebe§,  crfcheint  in  ber  oerfefcten  pbrpgifcben  SEonart. 

3wei  anbere  Sökrienlicber  waren  el)er  fcbon,  als  ber  eben  betrachtete  spfalter,  ju  Umbicbtungen 
geeignet:  wir  ftnben  ftc  unter  ben  frübcjlen,  auf  biefem  SBege  bcm  neuen  beutfcben  Äird^engefangc  angeeig= 
neten,  alten  Siebern.  Sbrer  gorm  nad)  erfcbeinen  beibe  auS  bem  SOieiflergefange  ftammenb,  nur  bajj  jenes 
runjtlicbe  Sfeimgeflingel ,  baS  in  bemfelben  beimifd)  ift,  in  bem  einen  mehr  hervortritt  als  in  bem  anberen. 
£>aS  erfte,  einfachere,  lautet  in  feinem  erflen  ©efä^e : 

Sieb  frau  »on  bimmel  ruf  ich  an  *) 

in  tiefen  großen  nbten  mein ; 

©en  got  icb  mich  wrfcbulbet  ban, 

fprieb  bafj  id)  fei  ber  biener  bem; 

SSon  beinern  finb  SDiaria  wenb 

fein  jorn  uon  mir; 

tröjilicb  jufludit  bab  id)  ju  bir, 

hilf  halb,  icb  fürd)t  ber  tob  fom  febir. 
SiefeS  ift  in  bem 83reSlauer  ©efangbud) e  ton  1525  folgenbermaafjen  „üerenbert,  unb  ßbriftlicp  corrigpret:" 

ßbriftum  t>om  hpmel  ruff  id)  an 

in  biefen  grofen  nbten  mepn, 

3n  gefefc  icb  mich  oerfepulbet  pan 

ju  lepben  ewig  helle  pepn, 

Mm  bepnn  »arter  o  ßprifte  fer 

fepn  jorn  t>on  mpr, 

mein  juflucbt  ift  allepn  ju  bpr 

bplff  ehe  bj  id;  oerjvoepffel  feppr. 
3n  ganj  ähnlicher  'ilxt  ftnben  wir  biefeS  alte  SJZeifterlieb  umgebilbet  in  bem  fogenannten  britten 
SEBittenbcrgifcben  ©efangbud)e  »cm  bemfelben  3ahre/  unb  in  t>en  1525  unb  1527  ju  Dürnberg  erfd)iencnen 
©efangbücbcrn  unter  bem  Sitcl,  Grndüribion  geiftltcber  ©efdnge.  ©eine  ©trotte  ift  einfacher  als  bie  ber 
ßieber  auS  ähnlicher  Sluelle  fonft  ju  fepn  pflegen;  iambifcb,  achtteilig,  unb  in  ihren  Seilen  bis  auf  bie  feebfte, 
vierfplbige,  burchhin  ad)tfplbig;  bod)  läßt  wegen  beS  ÜJKittelreimS  bie  fünfte  Seile  ebenfalls  eine  Sbeilung 
ju  in  jroei  »ierfplbige.  3n  biefer  Tfrt  hat  bie  m  i  r  o  l  p  b  i  f  cb  e  SSeife  unfercS  SiebeS ,.  bie  wir  juerft  in  £ril= 
lerS  ©ingebuche  in  breiftimmigem,  unb  fpäter  bei  ^rätoriuS  (Mus.  Sion.  VII.  1609.  9tro.  226)  in  wer« 
ftimmigem  Sonfafce  ftnben,  baS  9Jiaafj  beffelben  aufgefaßt,  bem  ftc,  wenige  'tfnbeutungen  felbfidnbiger 
rhptbmifcher  2luSbilbung  ungcred)nct,  fid)  treu  anfd)licfit.  ©onft  laffen  alle  Umbid)tungcn  beS  iHebeS  einen 
Entlang  an  feine  urfprungltd)e  ©eftalt  nid)t  ganj  ucrfd)wittben ,  unb  auch  W  ber  SriUerfcben  nod)  tönt  er 
pinburd),  bie  eS  ju  einer  Umfchreibung  beS  De  profundis,  beS  129ften  ^falmS  ber  SSulgata,  gemacht  f)at, 
mit  ber  wir  in  ^rätoriuS  ©ionifeben  Stufen  eS  jum  legten  9Hale  antreffen.  £>af?  biefe  leiste  Umbilbung  unb 


')    <B.  bie  «Olelobie  in  aXi^atl  *prätoriu6  3;onfa^c,  SScifpict  88. 


  103   

mit  ihr  auch  bie  urfprünglicbe  SBetfe  be3  alten  2iebe§  fo  fcbneU  roieber  oerfchmanb,  rührte  mof)l  baffer,  bafj 
febon  um  SSteteS  früher  —  in  ben  acht,  um  1524  erfeftienenen  geiftlid)cn  Biebern  —  eine  Umfdbreibung  beö 
I29ften  fber  lutberifcbenSBibclüberfclmng  130ften)$Pfalm8  vovhanbcn  mar,  bic  meber  an  eine  gegebene  menü 
ger  bekannte  ©ingmeife  anjufnüpfen ,  nod)  jmifd)en  jenem  sJ)faime  unb  bem  baoon  unabhängigen  9Jiarien= 
liebe,  uon  bem  fte  boeb  'Uni länge  bemalen  mollte,  mühfam  fid)  l)inburd)juminben  brauchte,  baber  auch  ben 
biblifeben  SXon  »ottaf,  urfprüngtid)er,  fräftiger,  anfcblagen  tonnte.  2öir  meinen  ba$  ^falmtieb:  „2(u3 
tiefer  9cotb  fdjret  ich  ju  bir,"  ba3  einem  bamatt  fein-  beliebten  $Slaa$e  (bem  be§  iHebeS:  „d§  ift  ba3  ^>eil 
un§  fommen  her")  angehört,  unb  beffen  jroei  ©ingmetfen,  eine  »l;ri)gifcbe,  mit  ber  e§  juerft,  eine  ionifdje, 
mit  ber  e3  fpäter  auftritt,  neben  einanber  ftd)  erhielten,  unb  bie  meniger  eindringliche  be3  95ieifterliebc§  nicht 
neben  ft'cb  auffommen  ließen. 

©an$  ähnlich,  »erhält  e§  ftd)  mit  bem  jmeiten,  au§  bem  SQieiftergefange  ftammenben,  unb  baö 
®eptage  beffelben  beutlicher  noch,  al§  ba§  worhergebenbe,  tragenben  33ittliebe  an  bie  heilige  Jungfrau : 

SJiaria  jart,  von  ebler  art*) 

@in'  ro3  ohne  boren, 

T>u  baft  mit  macht  berwieber  bracht 

£>a3  vor  lang  mar  verloren 

£urcb  "tfbamS  fal,  bir  hat  bie  mal 

fent  ©abriet  verfproeben. 

hilf  bafi  nit  merb  gerochen 

mein  fünb  unb  fchutt,        ermirb  mir  bult! 

bann  fein  troft  ift,  mo  bu  nid)t  bift, 

barmberjtgfeit  ermerben. 

am  legten  enb  ich  hit,  nit  menb 

von  mir  in  meinem  fterben. 
'2tlle5,  mas  in  biefem  Siebe  von  Wlaxia  gefagt  mirb,  menbet  bie  „d)riftlid)e  S3eränberung"  beffelben  in  bem 
SSreSlauer  ©efangbudje  be§  SabreS  1525  mit  leichter  9Jiübe  auf  ßbriftum  an,  fo  baf,  biefe  umgemanbelte 
SBejiebung  aufgenommen,  bie  SSBorte  faft  biefelben  geblieben  ft'nb.  2Cuf  ähnliche  SBeife  umgeftaltet,  treffen 
mir  e§  in  ben  Nürnberger  (5nd)iribien  »on  1525  unb  1527,  unb  eben  fo  in  bem  SKagbeburger  ©efangbuebe 
in  nieberbeutfeher  SKunbart  (1543),  ba§  auch  oa§  eben  juvor  betrachtete  Sieb  in  feiner  Umbilbung  aufge= 
nommen  hat.  Die  ©tropbe  unfereS  ßiebeS  ift  eine  jmölfjeilige,  iambifche :  breimahl  mecbfelt  eine  acbtfvlbige, 
oorangebenbe  3ette,  mit  einer  fotgenben  ftcbenfylbigen ;  nur  einmabl,  in  ber  ftebenten  unb  achten  3eile  mirb 
biefer  SBechfel  unterbrochen,  inbem  hier  bie  ftebenfnlbtge  ber  achtfwlbigen  voranftebt ;  boeb  f ehrt  er  in  ben 
vier  legten  auf  bie  frühere  lixt  mieber.  TOe  acbtfnlbigen  Seiten  jeboch,  alfo  bie  erfte,  britte,  fünfte,  achte, 
neunte  unb  elfte,  taffen,  be3  9JZittelreim3  megen,  eine  Sbeilung  in  jmei  vierteilige  ju,  moburch  eine  acb> 
jehnjettige  ©tropbe  entfiebt.  3n  ber  SJMobie,  melche  un§  ^rätoriuS  aufbehalten  hat  (M.  S.  VEU.  191), 
erfcheint  auch  eine  bergteichen  Sheitung  nach  ben  vier  erften  3eilen,  von  ber  fünften  ab ;  fte  bilbet  bemnacb 
bie  Strophe  $u  einer  fechjehnjeiligen,  beren  SKaafj  e  fte  genau,  ohne  felbftänbige  rbvthmifche  ©lieberung, 
ftd)  anfchliefjt.    ©ie  bemegt  fid)  innerhalb  beö  UmfangeS  ber  verfemten  pbrngtfcben  Sonart,  bie  auch  burd) 


•)    <&.  SScifpiel  89. 


104 


^rdtoriuS  barmonifcbe  ©cbanblung  als  fold)e  hervortritt.  £>aS  Sieb,  mit  bem  tiefer  SJleifier  unfere  ©ing^ 
weife  einführt,  ift  nict)t  ferner  eine  Umbid)tung  beä  urfprünglichen,  fonbem  ein  ©terbeltcb  : 

"Ud)  £erre  ©ort  »om  4?immelreid) 
SQSie  furj  ift  unfer  geben ! 
2>r  bitter'  £ob  unS  aüjugleich 
mit  ©d)mcrjen  fyat  umgeben, 

in  meinem  ber  £err  als  unfer  SEroft,  unfer  gelS,  unfere  3u»erftd)t  in  ber  SobeSftunbe  bargefteltt  wirb. 
2fUein  bei  fo  »iel  befferen  Siebern  üon  gleicher  SSeftimmung,  mit  benen  bis  jum  Anfange  beS  17ten  Sabrbum 
bertS  ber  eoangelifcbe  Äircbengefang  ft'd>  bereichert  fanb;  bei  fo  t>tel  frdftigcren Siebern  jumßobe  beS  (SrlbferS 
als  bamalS  fd)on  uorbanben  waren,  unb  in  immer  reiferer  güüe  entftanben,  ift  aud)  biefeS  Sieb,  roie  bie 
dltefle  Umbilbung  beS  urfprünglicben,  fd)on  feit  $)rdtoriuS  aus?  ben  geifttid)en  Sieberbüd)ern  üerfebwunben, 
unb  mit  ibm  bie  alte  ©ingweife;  Sieberbücher  beS  16ten  SahrhunbertS  »erweifen  noch  juweilen  auf  biefe, 
aud)  hat  (EraSmuS  'tflber  fein  Sieb  auf  baS  geft  SKariä  SSerfünbigung :  „(Sin  (Engel  fdwn  von  ©otteS 
Sfjron  ic."  auf  fte  gebietet,  ©o  fernen  wir  benn  an  ben  brei  eben  betrachteten  33eifpielen,  mit  wie 
wenigem  ©lüefe  es  bem  SEReifiergefange,  unb  ben  »on  tf)m  gefd}affenen  formen  gelingen  wollte,  in  ben 
neuen  .Kircbengefang  ftd)  einzubürgern,  wie  wir  eS  aud)  juoor  fd)on  an  ber  Umbilbung  beSStebeS:  ,,#d) 
bilf  mit  Seit»'  unb  feljnlid)  Älag"  wahrnahmen,  ©ben  weil  biefer  neue  geijtlidbe  ©efang  ein  uolfSmäß iger 
mar,  oerfd)mdf)te  er  jene  getunftelten  9feimereicn,  aus  benen  feiten  einmal  ein  tieferer,  baS  ©emütb,  bewe= 
genber  tfnflang  l)ert>ortonen  fonnte,  weil  bie  won  außen  l)er  aufgebrungene,  in  ftrenger  ©d)ulgered)tigfeit 
aufredet  erhaltene  gorm,  jebe  freiere  (Entfaltung  binberte.  Seid)t  erfebeinen  gegen  biefen  3mang  bie  S5ebin= 
gungen,  benen  freilich  aud)  ber  et>angelifd)e  Ätrcbengefang  zuweilen  ftcb  unterwarf,  wenn  er  jum  33eifpiel 
eine  beftimmte  ©tropbenzabl  of>ne  innere  SSeranlaffung  ftd)  auferlegte,  um  in  ihren  2(nfangSwortcn  einen 
in  bem  Siebe  ausgelegten  ©prud)  ber  heiligen  ©d)rift,  in  ihren  2üifangSbud)ftaben  einen  geliebten  ober 
verehrten  9lamen  barjuftellen.  %nt lange,  aber  in  ber  £l)at  entfernte  nur,  ftnb  biefe  an  baS  treiben  unb 
Silben  jener  ehrenfejlen  zunftmdßigen  ©dnger  in  ihren  ©d)ulen ;  fte  ließen  bod)  bem  Sichter  bie  SBabJ  beS 
©tropbenbaueS  frei,  unb  haben  höchflenS  einmal;!  ein  Sieb  ju  unüerhältnißmdßiger  ©reite  auSgebehnt, 
ober  ben  Anfangen  feiner  ©efeuje  eine  gezwungene,  ungclenfe  Dichtung  gegeben. 

©anj  anberer  %xt  ift  baS  le^te  SSKarienlieb,  beffen  wir  noch  ju  gebenfen  haben,  eine  fchbne,  §arte, 
anmuthige  Sichtung,  bie  in  fatholifchen  ©efangbüd)ern  fich  lange  noch  erhalten  hat/  wenn  aud)  twn 
urfprunglichen  brei  ©tropben  ju  ermübenber  Sange  auSgefponnen.  £>ft,  unb  aud)  in  einem  ber  eben  befpro^ 
ebenen  Sieber,  ft'nben  wir  bie  ^eilige  Jungfrau  einer  SJofe  üerglid)en;  im  tfnflangc  wohl  an  bie  beiben 
erften  83erfe  im  zweiten  ßapitel  beS  $obenliebeS,  wo  bie  33raut,  baS  ©innbilb  ber  Äird)e,  als  bie  S3lume 
ju  ©aron,  bie  JRofe  im  Zfyal,  bie  9fofe  unter  ben  Sornen  erfd)eint.  Sante'S  unfterblid)em  ©ebid)te 
heißt  fie  ,,bie  Sfofe,  in  ber  baS  göttliche  2Bort  gleifd)  geworben,"  unb  wie  bem  £>id)ter  baS  l)immlifd)e 
9)arabieS  unter  bem  SBilbe  einer  weißen  Sfofe  erfd)eint,  fo  laßt  er  in  bem  legten  ©efange  fetneS  heiligen 
SiebeS  ben  heiligen  S5ernl)arb  im  ©ebete  ju  9!Karia  »on  ihr  rühmen:  ,,3n  beinern  ©d)ooße  entjünbete  fich 
bie  Siebe,  burd)  beren  ©lut  in  ewigem  ^rieben  biefe  S3lume  unS  erblühte."  3n  fold)em  ©inne  ift  nun 
aud)  baS  2ßeihnachtSlieb  gebiebtet,  baS  wir  ganj  hier  mittheilen,  unb  baS  bem  löten  Sahrbunkertc 
angeboren  bürfte: 


  105   

ijt  ein  rof  entfprungen*) 
au§  einer  rourjel  jart, 
alö  un£  tie  alten  funken 
auS  Seffe  fam  bie  ort, 
unb  t)at  ein  blümlein  bracht, 
mitten  im  falten  minter 
rool  ju  ber  falben  nad)t. 

DaS  röölein  bas?  ich  meine 

baoon  SefataS  fagt, 

ift  9J2aria  bie  reine 

bie  un§  big  blümlein  bracht ; 

auS  gotteS  eroigem  rat 

fyat  fte  ein  finblein  geboren 

unb  ift  bliben  ein'  reine  magt. 

2Bir  bitten  bieb,  v>on  fyerjen 

9Jiaria,  rofe  jart, 

bureb  biefeS  blümleinS  febmerjen, 

bie  e3  enwfunben  bat, 

robllft  unS  uerhilflid)  fein, 

ba§  wir  jm  mögen  machen 

ein  roonung  fjübfcb  unb  fein. 

^ratoriuö,  —  fo  t>iel  roir  roiffen,  ber  einjige  unter  eöangeltfcben  SEonfe^ern,  ber  biefeS  Sieb  unb 
feine  ©ingroeife  aufgenommen  fyat,  —  giebt  im  fechten  Steile  feiner  ©ionifcfyen  SJiufen,  roo  35eibe3 
fiflro  53 )  aufgezeichnet  ifl,  nur  jroei  (Strophen,  unb  läfjt,  mit  leifer  Umbilbung,  bie  jroeite  fingen : 

Das  9?ös>lein  bas  ich  meine, 
Da»on  Sefaias  fagt, 
£at  uns  gebracht  atleine 
Wlark,  bie  reine  SDlagb : 
Sftacb  ©otteS  ero'gem  9?atb 
4?at  fte  ein  Äinb  geboren 
SBobl  ju  ber  halben  9cacht. 

Der  2tnflang  an  bie  frühere  SBeftimmung  bes  Siebes  roar  bamit  aüerbings  nid>t  ganj  entfernt, 
aber  ber  ^reis  bes  ßrlbfers  boeb,  mehr  in  beffen  Wüte  geftellt:  unb  es  bürfte  roof)l,  jumabj  bei  ber  §aßltch= 
feit  unb  Schönheit  feiner  ©ingroeife,  roenn  biefe  auch,  ju  fefyr  mit  ifmr  üerfdjmiljt,  um  auf  ein  anberes 
©ebiebt  anroenbbar  ju  fepn,  ftd)  langer  erhalten  haben,  hätte  nicht  ber,  balb  nad)  feinem  @rfd)einen  in 
tiefer  Umbilbung  beginnenbe,  erbitterte,  brei§igjäl)rige  Äampf  bie  Trennung  jroifdjen  ßoangelifeben  unb 


']    6.  SBcifpiel  90. 
».  aCint«tt"«lt,  tn  trangtl.  Choral jtfang. 


14 


  106   

jtatf)olifd)en  immer  mehr  erweitert,  unb  baburd)  unter  jenen  ben  SBiberwiÜen  genarrt  gegen  SllleS,  was 
irgenb  eine  gdrbung  nod)  trug  von  bem,  wa3  man  als  abgbttifd)  tierwarf,  ©o  tfl  benn  r)ter  SPrdtoriuS, 
rote  er  ber  erfte  war,  fo  aud)  ber  le^te  geblieben,  ber  unfer  ßieb  in  ben  et>angelifd)en  Äircbengefang  einführte. 

£>ie  SDtelobtc  ift  ionifd)er  SEonart,  unb  üon  bbd)fter  Einfachheit:  bie  beiben  erften  ^oppeljeilen, 
unb  bie  beiben  ©d)tufjseilen  bef  ßiebef  haben  einerlei  ©efang,  ber  alfo  breimal)l  wieberfebrt,  unb  ftct)  fort- 
bauernb  in  ber  ©runbtonart  bewegt ;  nur  bie  fünfte  Seile  ftellt  eine  felbfidnbige  Aufweichung  in  bie  £>ber= 
quinte  bar.  Unb  bennod),  biefer  SBicbcrbolungen,  biefef  befd)rdnften  itreifef  von  SKobulation  ungeachtet, 
atl;met  baf  ©anje  eine  unbefd)reibliche  grifd)e  unb  Steinzeit,  ja,  9?eicb,tt)um  ber  ßmpfmbung,  burd)  9)rdto= 
riuf  treflid)en  SEonfafc.  £>ie  golge  oon  vier  harten  ©reifldngen  gleid)  im  ^Beginne,  benen  bann  erft  ein 
weicher  folgt,  brüdt  bie  jartefte  £eiterfeit  auf,  unb  eine  leife  SSerdnberung  nur  in  biefer  golge  uon  3ufam= 
menfldngen  bei  ber  legten  SBicberfcfu'  ber  anfdnglid)en  ©d£e  ber  SSJZelobie,  —  inbem  nun  ntd)t  wie  juoor, 
ber  £)retflang  bef  ©runbtonf,  fonbern  feiner  Oberquinte  juerft  ertont,  unb  nad)  einer  golge  »on  fünf  garten 
Sreifldngen  erft  ein  weicher  gehört  wirb,  —  giebt  bem  £>f;re,  baf  bie  früheren  Äldnge  nun  in  anberen,  unb 
bod)  gleich,  einfad)cn  ^Beziehungen  uemimmt,  bie  ßmpftnbung  erfreulicher  SKannicbfaltigfeit.  ©o  führt 
benn  aud},  ber  golge  reiner  £>reifldnge  in  ber  erften  beiber  wieberfebrenber  £)oppeljeilen  gegenüber,  bie 
j  weite  eine  Steide  uon  S5tnbungen  ein,  beren  Jparmonie  in  ben  ©chlufjeilen  ebenfallf  eine  »erdnberte 
2Benbung  erl)dlt,  unb  erzeugt  baburd)  ben  anmutl)igften  SEBechfel. 

Sieben  biefen  fünf,  fd)on  mit  bem  Anfange  bef  17ten  ^abjhunbertf  auf  bem  eüangelifd)en  Äir= 
ebengefange  cerfchollenen  ©efdngen,  haben  roir  aber  boppelt  fo  üiele  5U  nennen,  bie  nod)  bif  auf  unfere 
Sage  in  ifjm  fjetmtfd)  geblieben  fmb.  2(16  ber  unbe$weifelt  attefte  unter  ilmen  erfd)eint  baf  alte  £)fterlieb : 
6b,rijt  ift  erft  an  ben,  üoraufgefekt,  bafj  feine  ©ingweife  mit  ihm  üon  gleichem  Alter  ift.  Aller  3Bal)r= 
fd)einlid)feit  nad)  mar  ef  fd)on  um  bie  SOWtte  bef  12ten  SabrhunbcrtS  twrhanbcn,  benn  im  ßaufe  bef 
folgenben,  13ten,  ftnben  mir  ef  alf  ein  woblbefanntef,  ofterwabntef  beutfd)cf  Äird)enlieb.  Aud)  ift  ein 
oierftimmiger  Sonfa^  beffelben  unter  ben  frül)eften  ©rjeugniffen  bef  SZotenbrutfef  ju  nennen.  (5r  ftnbet 
ftd)  in  einem  ©ingebud)e  ohne  Titelblatt,  bie  Bezeichnung  ber  einzelnen  ©timmbüd)er  alf  £)if  fant,  "illt, 
Tenor  unb  33af?  aufgenommen,  bem  julefjt  nur  bie  SSemerfung  beigefügt  ift:  „©etrudt  ju  93ien^  burd) 
^eter  ©d)öffem,  83nb  »ollenbt  Am  erften  Sag  bef  SJierljen  Anno  1513."*)  25er  Tonfefcer  ift  nid)t 
genannt,  unb  eben  fo  wenig  iji  ben  ©ingjeid)en,  bie  Anfangszeile  aufgenommen,  ber  Tert  beö  2iebe§ 
untergelegt.  X)ie  ©ingmeife  erfd)eint  jundd)ji  im  Senor,  fobann  in  ber  £>berjtimme,  beibe  9!Kal)le  im 
2Befentlid)en  ber  nod)  je^t  gebrdud)lid)en  übereinftimmenb ;  bod)  fef>lt  ber,  ju  bem  ^alleluja  in  ber  erften 
£dlfte  ber  britten  «Strophe,  bei  fonftiger  ©leiebbeit  be§  übrigen  SElmleS  ber  SJielobie,  geborenbe  befonbere 
©efang  5  roie  e§  benn  überhaupt  fd)eint,  alf  l)dtten  nad)  bem  l)ier  oorliegenben  Sonfa^e  nur  bie  erften 
beiben,  einerlei  SBeife  l)abenben  @tropl)en  gefungen  werben  follen.  Ob  ßieb  unb  9ftelobie  in  ba3  S3reflauer 
©efangbud)  oon  1525  aufgenommen  gemefen?  ift  mit  ©emipb,eit  nid)t  ju  fagen,  weil  in  bem  baoon, 
t>ielleid)t  einjig,  ioorb,anbenen  Abbrucfe  eben  ber  S3ogen  fel)lt,  wo  S5eibee>  erwartet  werben  burfte :  bod)  ift 
eö  nid)t  wabrfdjeinltd),  ba  baf  Nürnberger  fo  wenig  al§  baf  SBittenberger  @nd)iribion  von  biefem  %at)xe, 
bie  mit  jenem  jumeift  gleichen  3nt>atteS  fmb,  unfer  ßieb  aufgenommen  haben,  fonbern  nur  feine  Umarbei= 
tung  burd)  Luther  (unter  JBenu^ung  ber  alten  Ofterfequenj :  Victimae  paschali),  beö  Anfanget :  ,,Qt)rift 


•)   ©.  Bfffpir!  1.1. 


  107   


lag  in  SobeSbanben."  (Sben  fo  hat  baS  2Balterfd)e  ©efangbud)  Don  1524  nur  biefe  Umbilbung, 
mit  ber  Überfchrift:  „dpn  Sobgefang,  (5f>rifl  iji  erjianben,  gebeffert,"  in  jmei  merjiimmigen  £on= 
fallen,  unb  einem  fünfjiimmigen.  2n  Spt'mxiä)  SinFenS  gemifchtcr  (Sammlung  geijiticher  unb  weltlicher 
©efdnge  (153G)  erfetjetnt  baS  alte  Sieb  wieber;  bem  Jtlugfcfyen  ©efangbudK  (1535)  ijt  eS  gegen  ba3  @nbe 
neb(!  noch  üicr  anbern  als  ein  Anhang  beigegeben  (331.  97)  /rjum  Seugnijj  etlicher  frommer  ß^riften,  fo 
vor  uns  gemeji  ftnb,  in  ber  großen  ginjierniji  ber  falfdjen  lere.  2(uf  baS  man  ja  fet)en  möge,  wie  bennod) 
allejeit  Seute  geroefen  ftnb,  bie  @hriftum  recht  erFannt  haben,  boeb,  munberlid)  in  bemfelben  ©rFenntnif? 
bureb  ©otteS  ©nabe  erhalten."  Sie  123  ©efdnge  für  bie  gemeinen  ©cfyulen  enblid)  (Wittenberg  bei 
©eorg  Styaro.  1544)  feilen  eS  mit  in  fieben,  oier=,  fünf*  unb  fechSjiimmigen  SEonfdfjen,  beren  brei  üon 
"Ärnolb  be  33rud,  §tt?ei  »on  (Stephan  9Jcal)u,  unb  je  einer  uon  Subwig  Senfl  unb  Stomas  ©toller  ber= 
rühren  (iJlro.  20  bis  26).  Unter  biefen  fmben  mir  eS  auch,  jmeimahl  einer  fremben  Singweife  angepaßt: 
fo  legt  'tfrnolb  r».  S5rucf  (9lro.  23)  eS  einer  Gelobte  unter,  bie  Friller  al§  „eine  alte,  gewöhnliche"  bejeid)= 
net,  unb  bie  bei  ihm  einem  anbern  £)jtergefange : 

(Srjianben  ijt  ber  heilig'  6b,rijt, 

2Me  ©nab'  jeljt  mieberFomen  iji, 

Sie  ganj  burd)  '2lbam  mar  üerlor'n, 
fid)  gefeilt  ft'nbet :  unb  ein  jweiteS  9JlabJ  (9cro.  25)  wenbet  berfelbe  SEonfe^er  baju  bie  ionifdje  Sßeife  beS 
SiebeS  an : 

©rjianben  ijt  ber  £erre  <5t>rift, 

£>cr  aller  SBelt  ein  Srbjier  iji  5 
SSerfucbe  oielleicbt,  bem  jireng-ernjien  ©eprdge  ber  alten,  borifdjen  SUlelobie  gegenüber,  bem  Siebe  eine  meb.r 
fejtliche,  ber  £jierfreube  jufagenbe  gdrbung  ju  geben.    SJierFwürbig  vor  allen  jenen  SEonfd^en  aber  iji  ber, 
ton  Submig  ©enfl  herrührenbe,  fed)3fiimmige*).   3n  ihm  ift  bie  alte  SJielobie  (bie  f>ter  in  bem  Umfange 
bcS  »erfe^ten  £)ortfcben  erfcheint)  mit  ber  für  baS  Sieb 

Cfrjianben  iji  ber  heilig'  @hrifi 
entlehnten,  gemolmlichen  (bie  fdwn  juoor  als  bureb,  'Jlrnolb  oor.  33rucf  »ierjiimmig  gefegt,  ermahnt  mürbe), 
werbunben,  unb  beiben  gefeilt  fid)  eine  britte  —  bielleicht  »on  bem  SJieijter  neu  erfunbene,  ober  nur, 
feinem  ßroede  bei  biefem  SEonfa^e  gemäß,  »eränberte  —  in  ber  hin  unb  mieber  bie  borifdje  SÜBeife  beS 
Siebes :  ,,3eiu3  6b.rijtuS  unfer  £eilanb,  ber  ben  5Eob  überwanb"  anFlingt.  Sie  anberen  brei  Stimmen 
ergangen  bie  Harmonie,  inbem  ft'e  iijre  ©änge  .balb  auS  ber  einen,  balb  ber  anbern  biefer  Sonweifen 
fd)bpfen. 

Örtliche  Abweichungen  in  ber  alten  SJcelobie  unfereS  SiebeS  ftnben  fid)  wenige :  ^rätoriuS  t)at 
hier,  mie  überall  fonjt,  bie  il)tn  befannten  aufgejeidmet,  bie  aber  ben  ÄreiS  ber  QluSmeicb,ungen  nid)t 
verdnbern.  @ine  merfmürbige  jebod)  vermiffen  mir  bei  ilnn,  bie  rs>al)rfcr)einlid)  ber  spreufjifcfycn  Singart 
angehört,  weil  mir  fie  in  3t>hmn  @ccarbs>  fünfftimmtgen  Äirdjenliebern  (ÄbnigSberg  1597)  antreffen. 
Sonft  ndmlid)  iji  ber  ©djlupfaü  uor  bem  erji  in  bie  ©runbtonart  jurüdleitenben  Äprie,  melobifct)  ange= 
üben,  ein  pbrpgifcfyer,  wenn  aud)  burd)  bie  Äonfe^cr  jumeiji  als  ein  äolifcf;er,  anä)  mob,l  ionifcb,er,  bärge- 
ftcllt:  f)ter  menbet  er  fid),  tongemäjjer,  großartig  heiterer,  nad)  ber  mirolpbifdjen  Sonart  hin. 


14* 


  108  — 


Näcbft  biefem  Cfterliebe  ift  ba§  ^fmgftlieb 

Nun  bitten  wir  ben  fettigen  ©eift 
für  ben  älteften  unter  ben  bis  auf  urrö  gebiehencn  geiftlicben  ©efängcn  ber  Soweit  ju  achten.  Brubet 
Bertbolb,  ber  berühmtere  prebiger  in  ber  SJZittc  beS  13ten  SahrbunbertS  rühmt  eS  als  einen  guten  unb 
mißlichen  gunb,  feinen  Dieter  als  einen  weifen  2flann,  unb  forbert  feine  oornebmen  3ub°rer  auf,  eS  oft, 
mit  ganzer  Anbacbt,  mit  rechter  3nnigfeit  be§  4?erjen§  ju  fingen.  Shnfeblbar  war  auch  bie  Sftelobie 
biefeö  SiebcS  mit  ihm  gleichzeitig ;  mir  ftnben  e§  überall  nur  mit  einer  unb  berfelben,  unb  bie  örtlichen 
Abweichungen,  bie  sJ)rdtoriu§  nach  feiner  SBcife  mittbeilt,  ftnb  burcbbin  nur  geringfügige,  bei  münblicbet 
Fortpflanzung  einer  Stngweife  faum  ju  oermcibenbe.  3n  bem  SBalterfcbcn  ©efangbucbe  »on  1524  nimmt 
ft'c  bie  erfte  ©teile  ein,  auch  in  bem  BreSlauer  ©efangbucbe,  bem  Nürnberger  unb  SBittenberger  Sncbiribion 
DOn  bemfclben  %ibve  jlebt  baS  Sieb  allen  anbern  voran,  ©er  Tortfaf}  ift  ein  fünffttmmiger,  ben  auch  bie 
fpätere  Aufgabe  2Balters>  oon  1551*)  unueränbert  aufgenommen  unb  noch  9)rätoriu$>  (Mus.  Sion.  V. 
Nro.  9)  roieber  mitgetbeilt  bat;  ber  Tenor  führt  gegen  ben  Alt  bie  Sftelobie  in  einem  ßanon  in  ber  Unter = 
quinte  bureb,  ben  bie  übrigen  «Stimmen  mit  frei  gewählten  SBenbungen  au§  berfelben  begleiten.  Der 
einfache  ©ang  unferer,  bem  Son if eben  angebbrenben  Tonweife,  bie  babureb  erleichterte,  angenehme  §üh= 
rung  ber  Stimmen,  geftaltet  bas>  ©anje  ju  einem  heiteren  ©efange,  beffen  5U  9)rätoriue>  3eit  beinahe 
hunbertjährige  Beliebtheit  ftch  bienacb  leicht  erflärt.  Die  123  ©efange  oom  gatyte  1544  haben  jwet  anbere 
oierftimmige  Tonfälle  unferer  -DJictobie  aufbewahrt  (Nro.  31.  32)  von  SBolf  ^)einj  unb  Baltbafar  9Jeftna= 
rtuS/  beren  naher  ju  gebenden  bei  bem  Berichte  über  bie  Tonfe^er  geiftlicber  Sieber  innerhalb  be§  erften 
jahrbunberts»  ber  itirebenwerbefferung  fich  ©elegenheit  ftnben  wirb. 

(Sin  brttteS  Sieb,  bem  Alter  nach  bas>  ndchfte  neben  bem  vorigen,  ift  ber  alte  2öallfabrt§=  unb 
Bittgefang : 

3n  ©otteS  Namen  fahren  wir, 
beffen  SÜBorte  zwar  oerfcbollen  ftnb,  ber  aber  in  feiner,  auf  ba§  jlatecbtemuSlieb : 

25te§  finb  bie  r) e i l ' g en  jehn  ©ebot' 
übertragenen  Gelobte  noch  "titer  un3  fortlebt.    Auf  Steifen  unb  Pilgerfahrten,  in  ber  Äreujwoche  unb  am 
9Karcueitage  gebräuchlich,  feiner  erften  3eile  nach  jwar  fchon  im  13ten,  mit  vier  Strophen  aber  erft  im 
löten  IJabrbunberte  nachjuweifen,  feines  Alters  unb  häufigen  ©ebraucbeS  wegen  weit  »erbreitet  um  ben 
Beginn  ber  jürebenoerbefferung,  tonnte  e3  nicht  fehlen,  baß  feine  bbchft  einfache,  bem  ©ebächtniffe  leicht 
ftch  einprägenbe,  bei  ihrem  geringeren  Tonumfänge  auch  ben  Äräften  ungeübter  Sänger  zugängliche  Ton= 
weife  eine  mit  oon  ben  erften  war,  bie  man  in  bem  neuen  jtirebengefange  wieber  beimifcb  ju  machen  fuchte. 
Sie  nimmt  in  bem  BreSlauer  ©efangbucbe  oom  %at)tc  1525  bie  zweite  Stelle  ein,  mit  ber  Überfchrift: 
golget  jum  anbern  bie  zehen  ©ebot  ©oteS  auff  ben  Thon :  3n  ©ott§  Namen  faren  wi;r, 
wo  bann  baS  befannte  ,Äatecbt6mu$lieb  SutberS  folgt :  eben  biefeS  flefjt  im  ©efangbuche  SBalrerS  (Nro.  18) 
mit  einem  fünfftimmigen  Tonfafce  unferer  Singweife,  ber  auch  in  bie  fpätere  Auggabe  üon  1551  (Nro.  35) 
übergegangen  ift.    £>iefe  Auggabe  enthält  aber  auf  erbem  noch  hmi  »ierjtimmige  Bearbeitungen  berfelben 
ju  bem  lefjtgebacbten  Siebe  (Nro.  36.  37),  unb  zwei  gleiche  zu  Umbicbtungen  beö  urfprünglicben  (Nro.  66. 
67),  beren  eine  mit  ihm  übereinftimmenb  beginnt,  bie  anbere  ein  (Sterbelieb  barjtellt,  mit  ben  Anfangsworten : 
3n  ©otteö  Namen  fcheiben  wir. 


')    3lxo.  XXXIII. 


  109  

(5ben  fo  ft'nbet  ftd)  t>ie  SJielobie  in  ben  Webern  Jpeinrid)  ginfenö  (Dürnberg  1536).    £ier  tfi  ihr 
nicht  allein  baS  b  fegleid?  neben  bem  <Sct>lüffet  oorgejeidmet,  fonbern  fie  bat  auch,  bet  längeren  ©tropbf/ 
ber  fie  ftd)  anfdjlojj,  jufolge,  eine  größere  AuSbebnung  erhalten,  jeboeb  nur  bind)  Sßteberbolung  früher 
febon  oorgefommener  melobifd>er  SBenbungen.    DaS  Sieb  lautet  alfo  : 
3n  ©otteS  tarnen  faren  wir 
feiner  genaben  begeren  wir 
ba$  b^f  "nö  bie  gotteg  traft 
unb  bag  beilige  ©rab 
ba  ©ott  felber  innen  lag. 
.Rprieleig,  @f)rifjeleng,  Äorieleig. 
Dag  belff  ong  ber  heilig  geift 
SSnb  bie  war  ©otteg  ftymm 
Dag  wir  frölicb  fam  oon  bin 
Äorieletfon. 

3w  ber  ©cltalt  ber  9)ielobie,  bie  biebureb  bebingt  wirb,  tonnen  wir,  ba  fie  bem  erweiterten  Siebe  burd) 
Erweiterungen  ftd)  anfcbliefjt,  bie  aug  ibr  felber  gefebeoft  finb,  aud)  nur  bag  Anbequemen  eineg  bereite 
SSorbanbenen  ftnben  an  ein  Umgeftalteteg ,  nid)t  ein  urfürünglid)  S>erfd)iebeneg,  ober  gar  bie  eigentlicbe 
£iuelle  ber  Singweife,  wie  fie  nod)  jefct  üblid)  ift.  Die  Sorjeidmung  wirb  ung  fpäter  nod)  ju  einer  befon- 
beren  SSemerfung  ocranlaffen.  3n  ben  123  Üiebcm  oon  1544  erfebeint  unfere  gelobte  jweimabl,  in  einem 
oicrfiimmigen  Sonfafce  £bomag  ©tolfeerg  (9cro.  93;,  bem  nur  bie  Anfanggworte : 

3n  ©otteg  tarnen  faren  wir, 

©einer  ©naben  begeren  wir, 
unterlegt  finb,  unb  ein  jweiteg  SDiabl  in  einer  gleid)cn  ^Bearbeitung  oon  33altl)afar  Stefmariug.  ©in  ütet= 
ftimmig  gefefeteg  Sieb  oon  Arnolb  oon  S3rud,  bag  fid)  eben  ba,  mit  gleicbem  Anfange  wie  bag  Äated)iö- 
muglieb  ft'nbet,  fommt  l)ier  nid)t  in  S5etrad)t,  ba,  bei  fonfi  gleicbem  2nl)alte,  bod)  ßieb  unb  Sftelobie  ganj 
anbere  ft'nb.  Qbm  fo  ift  l)ier  nur  beiläufig  ju  erwähnen,  ba§  ju  2ut()er§  Siebe  oon  ben  jel)n  ©eboten  nod) 
eine  jweite  9Jielobie  oon  nur  örtlicher  ©eltung  oorbanben  ift,  bie  id)  am  frübejten  in  einem,  (waf)rfd)einlid) 
1537)  bei  SBolf  ÄbphJ  bü  ©trafsburg  gebrudten  ©efangbud)e  fanb;  bie  fobann  in  ber,  juerft  1557,  bann 
1560  unb  1570  wieber  b,exau$$e§ebemn  Äircbenorbnung  für  9ceuburg  unb  Sweibrücf  (9cro.  XXXIV) 
wieber  erfd)eint  unb  bie  aud)  sprätortug  in  oierftimmigem  ©a£e  oon  ßbrijtopf)  SBuel  (31.  S.  VII.  9) 
mirtbeilt,  unter  ber  S3emerfung  ,,fremb,"  weil  er  il)re  £luelle  wobl  nid)t  fannte.  Denn  biefe  ©ingweife, 
wabrfebeinlid)  aug  bem  JBeffreben  entftanben,  bem  Siebe  eine,  il)tn  eigentl)ümtid)e,  ntd)f,  wie  juoor,  entlehnte 
SBeife  $u  geben,  ift  augenfebeinlid)  jünger  alg  baffelbe,  unb  i)kr  befd)äftigen  ung  nur  foldje  SDZelobieen,  bie 
über  ben  Anfang  ber  Äircbenoerbefferung  f)tnaugreid)en,  unb  alg  fd)on  früher  oorfyanbene,  gei(tlid)e,  bei 
©rünbung  beg  neuen  Jiircbengefangeg  entlehnt,  ober  mit  ibren  Siebern  in  benfelben  binübergenommen 
würben. 

Unfere  SJielobie  ift  mirolob  tfd)er  Tonart,  unb  ftetlt  bag  ©eoräge  betfelben  gleid)  in  ihrer 
erften,  febr  beftimmt  auggefprod)enen  Augweid)ung  in  bie  «Tberquarte  bar.  Dabei  b,at  fie  bag  eigentüm- 
liche, baß  in  ibrer  oorle^ten  3eile  ju  ben  SBorten  beg  Äated)igmugltebeg  „2Bol  auf  bem  S3erg  ©inai"  bie 
f leine  Serj  mit  ber  grogen  wed)felt,  woburd)  innerhalb  ber  SSongrenjen  beg  SJcirolt) bifd) en,  oorüber= 


110   


gebenb  ein,  Der  »er festen  Dorifd)en,  ftd>  in  gleichem  Umfange  bewegenben  Zonaxt,  eigentümliche* 
SEonocrbältniß  eingeführt  wirb,  alfo  eine  Aufweichung  bureb.  ä>erwanblung  entfielt.  (£f  barf  nicht 
unbemerfr  bleiben,  baß  in  bem  ffireflauer  ©efangbuche  t»on  1525  (wie  in  ben  Siebern  .^einrieb  ginff)  ber 
SEonweife  fd)on  neben  bem  Sd)lüffel  baf  b  t>orgejeid)net  ift,  wonach  fie  alfo,  wenn  man  annehmen  bürfte, 
biefe  SJorjeicbnung  gelte  auch,  für  bie  oorlefjte  9cote  bef  Schlußfalles  in  ben  erften  beiben  Seilen  bef  2iebef, 
eine  burd)bin  ber  »erfefcten  borifeben  Tonart  angef)brenbe  werben  mürbe.  (SS  ift  jebod)  üorauSjufei^en,  baß 
bei  ber  fo  benimmt  auSgefprodbenen  Ausweichung  in  bie  £berquarte  man  auch  ^ter  bie  groß e,  unb  nicht 
bie  fleine  SEerj  gefungen  tyaben  werbe,  üornebmlid),  ba  bie  Gnirftebung  unferer  Söielobie  in  eine  3ctt 
(frübeftenS  baS  13te  Sabrbunbert)  fällt,  wo  bie  9cotbwenbigteit  beS  ßeittonS  bereits  fid)  geltenb  gemacht 
hatte,  wie  wir  in  bem  S3erid)te  über  bie  auS  bem  alten  lateinifdjen  itird)engefange  entlehnten  SEonweifcn 
ju  entwideln  üerfud)t  baben.  Dagegen  lernen  wir  auS  $PrätoriuS  (31.  S.  VI.  9^ro.  7),  baß  man  ju  fetner 
3eit  in  SEI) ü ringen  jenen  2Bed)fel  jwifdjen  ber  großen  unb  fleinen  SEerj  nid)t  fannte,  bie  Sttelobie  alfo 
als  eine  bürden  mirolt)bifd)e,  unverwanbelte,  ju  fingen  pflegte.  SEßoÜten  wir  r)terau§  ben  Schluß  Rieben, 
Daß,  bei  fonftiger  Übereinftimmung  in  bem  melobifchen  gortfd)ritte,  eS  urfprünglich  jwei  Söeifen  beS  alten 
2BaUfal)rtSliebeS  gegeben,  beren  eine  fid)  in  ber  mirolt)btfd)en,  bie  anbere  in  ber  (oerfel^ten)  borifeben 
SEonart  bewegt  habe,  unb  baß  bie  jejjt  allgemein  übliche  SDMobie  auS  einer  S3ermifd)ung  beiber  entfian= 
ben  fei;  fo  bürfte  mit  3?ed)t  Dagegen  anzuführen  fcpn,  baß,  wo  ber  Unterfdn'eb  zweier  Tonarten  in  einem 
fo  wefentlicben  .Kennzeichen  befiele,  al§  bie  große  ober  fleine  SEerj  ijt  (baS@epräge  beS£arten  ober  SQSeicben), 
felbfl  bie  münblidbe  Fortpflanzung  nicht  fo  leid)t  irren  werbe,  wenn  aud)  geringe  örtliche  Abweichungen 
—  beren  ^PrätoriuS  aud)  hier  einige,  burchauS  unerhebliche  aufbewahrt  bat  —  bei  ihr  leid)t  erflärlid) 
erfebeinen ;  baß  fie  aber,  auS  einem  überwiegenben  ©efüble  ber  SEonart  als  einer,  baS  ©anje  ber  SEonweife 
ohne  Unterfcbieb  gefialtenben  SJegel,  eher  eine,  biefem  ©efühle  frembe,  unb  bcSfjalb  »ielleid)t  wiberftrebenbe 
melobifd)e  SEBenbung  brtlid)  au^gemerjt  haben  fbnne ;  waS  um  fo  n?abrfcbetnltcber  ifl,  weil  biefe  Abweü 
d)ung  eben  nur  eine  örtliche  geblieben  iß,  von  einer  ganj  borifeben  Singart  aber  fid)  nirgenb  eine 
©cur  finbet. 

Ungewiß  iß  baS  Alter  beS,  ber  Antipl)onie„Veiii  sanete  spiritus,  reple  tuorum  conla  fidelium  etc." 
naebgebilbeten  $>fingßltebeS : 

Äomm  heiliger  ©eiß,  £erre  ©ott  ;c. 
Doch  läßt  fid)  mit  Sicherheit  annehmen,  baß  eS  über  baS  %d)x  1517  hinaufreiche.  Senn  baS  Sieb  ßel)t  - 
fo  weit  eS  nur  eine  gereimte  Überfettung  jener  Antiphone  ifi,  alfo  in  ber  erften  (Strophe  —  bereits  auf  bem 
achten  SSlatte  beS  SSafeler  9>lenariumS  ober  (5uangelienbud)eS  »om  3«bre  1514,  unter  einem  Jpolzfcbnittc 
oon  .IpanS  Sd)euffelin,  ber  bie  AuSgießung  DeS  heiligen  ©eißeS  barßellt.  £>aS  altertbumltcbe  ©epräge 
feiner  Singweife,  unb  ihr  frühes?  @rfd)einen  in  ben  älteften  lutl)erifd)cn  Singbüchern  läßt  fd)ließen,  baß 
fie  mit  ihm  gleichzeitig  entßanben  fei.  gn  bem  SSreSlauer  ©efangbuche  üon  1525  fleht  fie  mit  ber  2fttf= 
fd)rift:  golget  ber©efang  23eni  fanete  fpirituS,  ben  man  fingt  von  bem  belügen  get)ß,  ©ar  nü^licb,  un  gut; 
in  bem  5ßalterfd)en  »on  1524  nimmt  fie,  in  einem  üierftimmigen  SEonfa^e,  bie  jweite  Stelle  ein,  unb  biefcv 
SEonfa^  ijt,  einige  9cad)f)ülfe  in  ber  Stimmenführung  abgerechnet,  unüeränbert  in  bie  Aufgabe  com  %d)xc 
1551  übergegangen,  wo  er  an  ber  erften  Stelle  ftel)t.  9hm  ift  e§  aber  zweifelhaft,  ob  bie  SlJcelobie,  wie  fie 
1524  unb  1525  in  jenen  beiben  S3üd)ern  erfebeint,  wirflich  bie  urfprünglid)e  jenef  alten  fiiebef  ift.  S5eibc 
geben  fie  übereinftimmenb  mit  ber  in  S3apft§  ©efangbuche  (1545)  uorfommenben ;  biefe§,  unb  baö  SÖ3al= 


111 


terfcfce  ft'nb  unter  ßuttjerä  Äugen,  mit  feinen  S&orreben  gebrucft;  baS  lefcte  ift  —  neben  bem  Erfurter 
(Sncbiribion  beffelben  3^f)reö  —  bie  dltefte  £Luelle  für  unfere  ©ingweife,  unb  an  benen  beutfdjer 
geiftlicber  üieber  vor  ber  Ätrchenoerbefferung  haben  beren  erfte  Herausgeber  feit  berfelben  meifi  feine 
tfnberung  fid?  ertaubt.  2Bir  bürften  btenacf)  t>orauSfefjen,  bie  unfcreS  SiebeS  i)ier  in  urfprünglicher  ©eftalt 
^u  beft'fcen.  dennoch,  finb  einige  nid)t  unerhebliche  3meifel  bagegen  üorbanben.  3n  3ofepb  ÄlugS  ©efang= 
buche  (1535,  1543;  unb  in  ©pangenbergS  beutfchen  geiftlid)en  ©efängen  (1545)*)  finbet  ftd?  eine  ©ingart 
Mcfcv  SDJelobte,  bie  ber  eben  ermähnten  jroar  in  ben  ©runbjügen  übereinftimmt,  allein  bei  ooUfommen 
fymmetrifcber,  rlmtbmifcher  Surchbilbung  bod)  an  ©plbenbermungen  fiel  reicher  ift.  ©ie  erfd)eint  fpäter 
alS  jene,  allein  bamit  ift  für  ttjr  jüngeres  Älter  noch  nicht  unbebingt  entfd}ieben;  ja,  wäre  l)ier  «on  ber 
©ingweife  eines  lateinifd) en  Siebes  bie  9?ebe,  fo  mürbe  bie  an  ©plbenbefjnungen  reichere  ©ingart,  »on 
ber  früheren  ober  fpäteren  Quelle  berfelben  ganj  unabhängig,  für  bie  ältere  ju  galten  fer^n.  Äuch  finben 
mir  bie  unfereS  ^fingftliebeS  in  biefer  gcfchmüctteren  ©eftalt  Khon  als  ©runblage  beS  £onfa|eS  eines  älteren 
Seitgenoffen  Sodann  SBalterS,  Ärnolb  t>on  SSrucf,  in  ben  bei  £ieronpmuS  gormfchneiber  $u  Nürnberg 
1534  herausgegebenen  121  Biebern,  von  mo  auS  berfelbe  in  bie  bei  9?bau  ju  SBittenberg  (1544)  erfdjierte= 
nen  123  üieber  für  bie  gemeinen  ©dmlen  (9?ro.  29)  übergegangen  ift.  Crr  jeigt  bie  SOielobie  in  ber  £)ber= 
ftimme  unb  im  SEenor :  b'm,  mit  menigen  3mifchenfä£en  hinter  ben  einzelnen  SJMobiejeilen,  bort  ju  größerer 
§üUe  ber  Harmonie  faft  burchgängig  mit  folgen  üerfefjen.  ÜDlan  barf  baS  SSerr;ältnip,  in  welchem  beibe 
Stimmen  ju  einanbcr  fteben,  nicht  eben  einen  ßanon  nennen.  S5eibe  ahmen  bie  Seilen  ber  ©runbmelobie 
in  ber  £ber=  unb  Unteroctaoe  nach;  balb  ift  biefelbe  hier,  balb  bort  burch  ©r;lbenbef)nungen  bereichert,  balb 
tritt  bie  eine,  balb  bie  anbere  ©timme  ooran;  meber  Seifoerhältniffe,  noch  melobifche,  noch  rlwthmifcbe 
werben  bei  biefen  Nachahmungen  fonberlich  in  Ächt  genommen,  eS  ift  ein  freies,  aber  boch  funfrooUeS, 
geiftreicheS  ©piel.  Gine  jweite  vierftimmige  ^Bearbeitung  burch  S5althafar  SfeftnariuS  fommt  i)kx 
weniger  in  Betracht;  bie  SKelobie  ift  in  ihr  nicht  fomohl  fefter  ©efang,  als  nur  ©runbgebanfe  einer 
motettenhaften  ^Durchführung,  boch  erfcheint  fte  ebenfalls,  fo  meit  fie  burch  ein  folcheS  ©emebe  herworfcheinen 
fann,  in  jener  mehr  gefchmücften  ©eftalt.  dennoch  möchte  ich  biefe  nicht  für  bie  urfprüngliche  halten. 
Bunächft  haben  mir  ju  beachten,  baf?  fte,  bei  allem  ©ehmuef,  tjoUrommen,  ja  funftreich,  fpmmetrifch  auSge= 
ftaltet  ift,  unb  bafj  in  jener  früheren  3eit  Umbilbungen  tjorhanbener  SSJeifen  gewöhnlich  nur  bann  erfolgten, 


112   


wenn  eS  an  rtnithmifcbem  (Sbenmaafje  gebrach,  ober  bie  AuSjterung  bie  ©runbjüge  ber  SDMobie  »erbunfelte. 
runn  aber  wirb  eben  bie  bei  .Klug  unb  ©pangenberg  erfcbcinenbe  ©ingart  »on  ^PrätoriuS  (Mus.  Sion.  VI. 
9ta>.  <>)  uns  als  bie  fd)wäbifd)  =  fränfifd)  e  genannt,  unb  in  ber£hat  fommen  —  aufjer  jenem  SEonfaljc 
AruolbS  D011  Jßrucf  in  einer  Nürnberger  ©ammlung  —  mebrftimmtge,  aber  in  einzelnen  SBenbungen  bocb 
immer  abmeicbcnbc  SSebanblungen  berfelben,  nur  bei  fränfifd)en  .Rünfttern  uor,  %  2eo  £afjler,  @rr>tbräuS ; 
alle  anberen  SEonfefcer  galten  (ich,  an  SBalterS  ©ingart,  bie  enbltd)  auch  jene  örtliche,  burcb  jllug  unb 
©pangenberg  in  sJtorbbeutfd)lanb  nicht  allgemeiner  fyeimifd)  geworbene,  felbft  in  ©übbeutfd)lanb  »erbrängt 
bat.  @S  fcbctnt  baber  einer  ber  feltener  oorfommenben  gdlle  hier  üorbanben  ju  fepn,  baf?  bie  auSfchmüdenbe 
Surcbbilbung  einer  ©ingvoeifc  burd)  einen  geiftrcicben  SEonfe^er  alter  3ett  einen  örtlichen  Crinfluf?  gewann, 
inbem  ftc  eine  abweid)enbe  ©ingart  erzeugte;  um  fo  leichter,  als  bie  SEßelobie  in  feinem  SEonfa^c  bie  Dber* 
ftimme  einnahm,  unb  zugleich  in  ben  höheren  unb  SEftitteltbnen  beS  SEenorS  oernommen  würbe,  ben  ^)brern 
alfo  ftd)  leichter  als  fonft  einzuprägen  ocrmocbte.  Sie  bei  SBalter  oorfommenbe  SBetfe,  bie  wir  bienad)  für 
bie  urfprünglid)e  halten  bürften,  bewegt  ftch  in  bem  Umfange  ber  »erfefcten  f)t>^ o t on if d) en  SEonart,  ben 
ftc  nur  um  einen  Son  in  ber  Jg>bl>e  überfcbrettet;  unb  eS  barf  wohl  nur  für  einen  Srudfchjer  gelten,  wenn 
fte  in  bem  33reSlauer  ©efangbuche  von  1525  als!  eine  mirolpbifcbe  erfchcint,  ohne  Söorzeicbnung,  unb 
mit  bem  ©runbtone  G,  wobei  fonft  bie  golge  ber  einzelnen  .Klänge  mit  wenigen  Ausnahmen  ganz  biefelbe 
ift;  Ausnahmen,  bie  jeboch  überall  als  Srudfebler  ftd>  barftellen.  ©o  fcbliefjt  bie  zweite  Seile  ftatt  in  f, 
'n  g;  allein  eS  ift  hier  offenbar  nur  ber  ©cblufjton  weggeblieben,  benn  fonft  fehlte  ber  SDZelobie  ein  SEon 
ur  bie  lefcte  ©plbe  ber  Seile;  auch,  ftebt  bie,  in  ber  fecbften  Beile  wieberfebrenbe  ^Betonung  ber  jweiten 
:ort,  biefer  SSorauSfefcimg  gemäß,  ganz  richtig.  3n  ber  legten  3cile  uor  bem  ^>alletuja  beifjt  ber  vierte  SEon 
,r  ftatt  a,  ein  augenfcheinlicher  Srudfebler,  ba  in  bem  übereinffimmenben  Anfange  ber  eierten  Seite  baS  a 
,^anj  richtig  gefegt  ift.  Sie  wer  legten  SEbne  enbltd)  beißen  in  bem  SBreSlauer  ©efangbuche  ju  bem  legten 
£>aüeluja  ftatt  gagf  unerwartet  a  h  a  g,  woburch  ber  ©chlußfall  beS  ©anjen  mit  einem  £luintenfprunge 
bie  oorangehenbe  Seile  fcbliefjt  mit  d,  ber  Unterquinte  von  a)  eingeleitet  wirb;  eine  gortfcbreitung ,  bie 
anferer  ©ingweife  ganz  fremb  ift,  wekhe  fonft  über  eine  auf-  ober  nieberftcigenbe  £luarte  nicht  hinausgeht. 
!lucb  trägt  fte  in  feiner  Art  baS  ©eprdge  ber  mirolt)btfd)en  SEonart;  fte  befcbränft  ftd)  auf  bie,  bem 
i'cben  eigcnthümlichen  AuSweidjungcn  in  bie  Dberquinte  unb  gvofje  £)berterj,  unb  bie  Siüdfebr  in  ben 
©runbton  auS  benfelben;  bie  unterfd)eibenben  .Kennzeichen  beS  93tiroh;bifd)en,  bie  SJiobulation  nach  Dcr 
£>berquarte,  unb  nad)  ber  £)berquinte  als  einer  weichen  SEonart,  mangeln  ihr  gänzlich.  SSBollte  man,  biefer 
S3ebenfen  ungead)tet,  in  ber  Aufzeichnung  beS  SBreSlauer  ©efangbud)eS  G  als  ben  rtdjttgen  ©runbton 
annehmen,  fo  erhielte  man  baburd)  zwar  bie,  bemSJlirolpbifdjen  eignenbe Aufweichung  in  bie  Sberquarte 
an  allen  ben  ©teilen,  wo  fie,  bei  bem  »orauSgefefeten  ©runbtone  F,  ftch  n(l<b  ber  Dberquinte  gewenbet 
haben  würbe;  allein  bie  SKobulatton  in  bie  £)berquinte  roürbe  bann  wieberum  fehlen,  unb  an  ihre  ©teile 
jweimahl  ein  ©cblufi  in  bie  Unterfecunbe  treten,  jule^t  fogar  ba,  wo  fonft  bie  SCftclobie  cor  bem  zwiefachen 
^alleluja  burd)  eine  SRüdfebr  in  ben  ©runbton  öollfommen  abfd)lief?t;  hier  würbe  ftatt  etneS  fold)en  lib-- 
fchluffeö  eine  frembe  unb  ungewöhnliche  Ausweichung  fteben.  Alle  biefe  ©rünbe  gewähren  bie  Überzeugung, 
ba^  wir  nicht  einer  mirolpbtfchen,  fonbern  ionifdjen  93Mobie  gegenüberftehen,  bie  ihren  Firchlichen  dba^ 
raher  in  ber  »ierten  3eile  byrd)  eine  Ausweichung  in  baS  spbtpgifcbe  bethätigt.*) 


')    ®.  im  I27flcn  SBctfpiele  einen  fünfitimmigen  Sonfafc  biefer  OTetobic  ucn  3.  ßccarb. 


  113   


S5on  ebenfalls»  nid)t  genau  ju  beftimmenbem  tfltcr,  mit  bem  »orbergebenben  aber,  fo  weit  fein 
frubefte5  SBorfommen  nad)gewiefen  werben  fann,  ungefäl)r  gtctd)  alt,  ift  bas>  ^afft'onölteb : 

£>a  3Ufii3  an  bem  Äreuje  jtunb. 
Wlatl  bat  feine  ©ingweife  oft,  wenn  glcid)  irrig,  auf  bie  eineS  weltlichen  Siebe§  jurüeffübren  wollen.  @ö 
foll  nämlid)  in  einem  alten £>rucfe  com  3af)rel5l5  jugleid)  mit  einem  Siebe  »on  ben  jebn  ©eboten  »orrom: 
men,  unb  beibe  ben  3ol)ann  33öfd)enffeitt  jum  8>erfaffer  l)aben,  ber  jwifeben  1472  unb  1536  blül)te.  2n 
einem  anbern  £>rutfe*)  ijt  biefeS  tefcte  Sieb  mit  ber  Überfd)rift  ju  finben :  ,,'#in  l>übfct>  lieb  »on  ben  jeben 
geboten,  3»  ber  tagwenß:  @3  wonet  lieb  bei  liebe  ba£  bringt  groß  tyrtynkib ',"  unb  eben  biefe  Sageweife 
will  man  nun  als  bie,  unferem  $»affion6liebe  aueb  jefct  nod)  gefeilte  bekämen.  Allein  fie  muß,  wie  baö 
Sieb  »on  ben  jebn  ©eboten,  für  ba§  fte  »orgefd)rieben  ift,  eine  fiebenjetlige  gewefen  fepn,  unb  jwar  in 
c>en  erften  »ier  3eilen  mit  regelmäßigem  2Bed)fct  einer  fteben  -  unb  einer  fed)3f»lbigen,  in  ben  brei  legten  mit 
bem  Abfalle  »on  einer  ad)t  =  in  eine  fiebert  =  unb  »on  biefer  in  eine  fed)3fblbige  3eile**).  £>a3  ^affionölieb  : 
„3>a  Sefuö  an  bem  Äreuje  fhtnb,"  ift  aber  nur  fünfjeilig:  jwei  feiner  Seilen  ftnb  ad)tft)lbig,  ibnen 
folgt  eine  ftebenfylbige,  eine  ad)t  =  unb  bann  wieberum  eine  ftebenfnlbige  bilben  ben  ©d)luß.  3n  bem 
S3aue  feiner  ©tropbe  bat  e£  alfo  mit  jenem  erften  aud)  nid)t  bie  geringste  '#bnttd)feit,  fo  baß  benn  bie  S3or= 
auSfeljung,  baß  eine  SDMobie  für  beibe  gebient  baben  fonne,  unb  mit  bem  $Paffione>liebe  auf  uns>  gefom= 
men  fei,  als  gänjlid)  grunbloS  erfebeint.  SBollte  man  bagegen  einwenben,  baß  wir  bie  ©ingweife  be§ 
SiebeS:  ,,2ld)  Sieb  mit  Seib"  mit  nur  geringen  äkränberungcn  auf  brei  Sieber  angewenbet  fanben,  beren 
©tropben  m3eilenjabl»bllig»oneinanber  abweid)en;  fo  ijt  einmabl  biefergaü  eine  feiten  »orfommenbe2lu3= 
nabme,  bann  aber  aud)  eine  fold)e  nur  bei  Singweifen  moglid),  bie,  ibrer  ©nlbenbebnungen  wegen,  ber= 
gleicben  gejtatten ,  niebt  folgen,  bie,  wie  bie  unfereä  ^)affion§liebe§,  jeber  ©t)lbe  metjt  nur  einen  £on  ju= 
tbeilen,  unb  c-arin  bei  allen  fonftigen  2lbweid)ungen  überall  gleichmäßig  erfd)einen. 

2öeber  ba§2Balterfcbe@efangbucb  »onl524,  nod)  beffen  fpätere'HuSgabe  »on  1551,  nod)  ba§  »on 
3?bau  für  bie  gemeinen  ©cbulen  1544  berauSgegebene,  enthalten  Sieb  unb  ©ingweife:  aud)  ftnb  beibe  in 
ben  gemifd)ten  Sammlungen  ber  120  Sieber  (Himberg  1534)  unb  ber  Sieber  Jpeinrid)  ginfenS  (1536) 
niebt  ju  ftnben.  £>a$  83ebfd)e  ©efangbud)  (1537)  fd)ließt  mit  bem  Siebe,  obne  beffen  ©ingweife  betju* 
fügen.  Sagegen  ftel)t  bie  SOielobie  im  2ten  Sl)eile  be§  33a»ftfd)en  ©efangbud)e§  »on  1545  (9cro.  VIII)  ju 
bem  Siebe:  „3n  bid)  ba*>'  id)  gel)offet  £err,"  unb  eben  fo  wieberum  ju  einem  anbern  Siebe  (über  baS 
©leiebniß  »on  ber  großen  ^»oebjeit  im  14ten  @a»itel  be§  Suca§),  ba3  mit  ben  SBorten  beginnt:  „(SS  war 
einmabl  ein  großer  £err"  in  SErillerS  ©ingebuebe  (1555).  Jg>ier  wirb  auf  fte  auSbrücflid)  al§  auf  „bie 
sJloten  »on  ben  fiebert  SBorten  @brifti, "  »erwiefen,  bie  benn  aud)  betgebrueft  ftnb.    (Sine  auSfübrtid)e  bar= 


•)   ffiergl.  £ofmann,  @efd)id)tc  m  £ird)enltebe$  p.  195. 

")  ©ben  fo  ftellt  fie  fieb  bar  in  SBergleidjung  mit  bem  Ciebe  eines  ct'njetnen  alten  ©vucteS,  ba«  auf  fie 
Derroeif't: 

D  baf  id)  tünbt  üon  fjer^en 
fingen  ein  tageroepjj 
ber  tjelle  rein  onb  febmer^en 
bie  fröbt  beS  parabeijj 
O  Flavia  bu  reine  magt 
tf»u  mir  bein  8>t£f  onb  fteure 
fo  bin  id)  unoerjagt  :c. 
»  aStntafctt ,  (er  cuajigri.  ö^ctalaefang.  15 


  114   


monifcbe  »ebanblung  t>erfelben  $u  allen  SSerfen  beS  ßiebeö  bcfffecn  mir  t»on  Subroig  ©enfl*;;  fie  bt- 
ftnbet  ftch  banbfdbrtftlid)  auf  ber  fbniglicben  S5ibltott>ef  ju  9Jiüncben  (Codex  X.  9lro.  9.) ;  t>od>  beginnt 
f)ier  bie  erfte  Strophe  bcS  SicbcS  folgenbergefialt : 

2)a  SefuS  an  bem  ßreufce  bieng 

Unb  jm  fein  Ijciliger  Seib  jcrgieng 

3n  fo  viel  taufenb  fcbmerjen  ic. 
Seit  biefem,  obnfeblbav  auS  ber  erften  £älfte  beS  fccbjebnten  SabrbunbertS  berrübrenben  3Lon-- 
fa£e  fanb  ich.  bis  ju  bem  fünfftimmigen,  bbd)fi  bebeutenben  Sodann  GrccarbS  im  erften  STbetlc  feiner 
Äircbenlicbcr  (1597)  nur  einen  noch,  in  ben  von  bem  Söiirtcmbergifchen  ßapellmeifkr  ©igmunb  Jpemmel 
oierftimmig  bearbeiteten,  ju  Bübingen  1569  erfebienenen  $>falmliebem ;  hier  ift  bie  9JMobie  auf  baS  £ieb : 
,,3n  btdb  bab'  ich  geboffet  £err,"  über  ben  31ften  ^Pfalm  angewenbet.  Um  menigeS  fpäter  als  (Sccarb 
aber,  in  ben  mcbrftimmigen  ßborälcn  r>on  ^rätortuS,  £aßler,  @r»tbräu3  u.  f.  vo.  treffen  mir  beren  oiele; 
>J)rätoriu§  (Mus.  Sion.  V.  110.  111.  ebenb.  VI.  107  — 111)  bat  beren  allein  fteben,  unb  mit  erheblichen 
Äbmeicbungen.  Denn  nicht  allein  erfdjeint  in  jmeien  »on  ihnen  (V.  110.  VI.  108),  unter  benen  bie  leiste 
bie  in  ber  SDiarf  gebräuchliche  ©ingart  barftellen  foll,  bie  Söielobie  bureb  2lnmenbung  ber  großen  ©ecunbe 
aB  eine  dolifcbe,  ba  fte  fonft  überall  eine  pbrwgifcbe  ift;  fonbern  auch  bie  ©ingarten,  welche  fie  im 
©anjen  übereinftimmenb  als?  eine  fold)e  barftellen,  jeigen  in  ber  britten  Seile  eine  33erfchiebenbeit  ber  9Ro= 
bulation.  3n  ber  Meißner,  Sbüringer,  @chmäbifd)en  unb  gränfifcfyen  roenbet  ft'ch  biefe  nadb  ber  fleinen 
£  berter  j  beS  ©runbtoneS,  bem  SEJiirolpbifcben;  in  ber  ©eeftäbttfdben  fteigt  fie  in  bie  große  Unterterj 
beffelben,  baS  Sonifcbe  herab;  in  ber  $Preußifcben,  bie  mir  bei  3.  (Sccarb  antreffen,  bleibt  fte  im 
©runbtone.  Allein  ber  genannte  trefliche  SKeijter  hat  bennoch  eine  ©infbrmigf eit  ber  Ausweichung ,  finnig 
unb  bebeutfam,  ju  oermeiben  gemußt,  inbem  er  ben  nun  fünfmahl  üorfommenben  ^pbrt>gtfcben  ©cblußfall 
burd)  bie  flehte  ©ecunbe  im  Abfteigen,  balb  ionifcb,  balb  äolifcb,  halb  ^>brv>gtfd^  behanbelt,  unb  fo  bie 
Tonart,  um  fo  unerwarteter,  in  ihren  ^auptbejiehungen  barjuftellen  gemußt  hat. 

3u  ben  älteren,  r>or  ber  jtircbem>erbeffcrung  bereits  gangbaren  Siebern  gehört  auch  baS  SubaS; 
lieb  ober  ber  arme  SubaS: 

£)  bu  armer  SubaS, 
2BaS  l>aflu  gethan, 
Saß  bu  unfern  Herren 
Alfo  oerrathen  baft? 
£)eS  muftu  in  ber  ^)etle 
Smmer  leiben  pein, 
ihuiferS  gefetle 
9)?uftu  emig  fein. 

Auch  feine  «öietobie  mar  um  bie  SfeformattonS^it  bereits  eine  alte  unb  beliebte.  AIS  man  ju 
«Bern  um  ben  Anfang  beS  3al)reS  1528  bie  alten  Äircbengebräucbe  unb  bie  Silber  als  3eicben  unb  ©egem 
ftänbe  ber  Abgötterei  abjutbun  begann,  unb  in  herbem  SBibermillcn,  aud)  gegen  unfdutlbigen  unb  heilfamen 
Schmurf  beS  ©otteSbienfteS,  baS  93iaaß  reinigenben  ©iferS  bei  meitem  überfchritt,  erbat  am  Abenbe  beS 

*)  ©.  JBeifpict  .i  bie  jrccite  ©troptje  bt'efer  33ef)onbtunq. 


  115   


legten  ^incentiusfefieS,  am  7ten  gebruar  1528,  ber  £)rganift  ber  Ätrdje  jeneS  .^eiligen  tue  (Srlaubnif?,  beren 
fty&neÖrgel,  bie  man  ebenfalls?  ber  Serftbrung  preisgeben  mollte,  nod)  einmal?!  ertönen  ju  laffen.  SaS^ubaSlieb 
mar  unter  feinen  £anbcn  ihr  lef<ter  SobeSfeufjer,  follte  es?  nun  eine  'tfbmabmmg  fevn  an  bie  3erftbrer,  ober 
emSSorourf,  mir  bem  berSEonmeifter  ftd>  felber  anflagte,  bafj  er  gegen  folgen  Grevel  nid)t  tapfrer  anfämvfe. 
Senn  faum  harte  er  mit  2Bebmutb  baS  febbne  2Berf  verlaffen,  als  eS  gänjlicb,  ^erfcblagen  rourbe.  S3erftet)en 
roh  ihn  nun  in  bem  einen,  ober  bem  anbern  Sinne,  fo  muffen  mir  immer  annehmen,  bafi  unfere  ©ingmeife 
eine  altere,  unb  fo  roeit  verbreitete  unb  befannte  mar,  baß  man  bei  ben  SEbnen  berfelben  il)reS  ßiebeS  fid) 
unmittelbar  erinnern  rennte.  "Km  früfjeften  fyabe  td)  fte  in  ben  120  Siebern  (Dürnberg  1534)  aufgezeichnet 
gefunben,  bureb  'tfmolb  von  SBruct"  vierftimmig  auSgefefjt:  jerm  Sabje  fväter  erfct)eint  fte  abermals  in 
Pen  123  Biebern  für  bie  gemeinen  ©d)ulen  (SBittenberg  1544),  einmat)l  in  fünfjtimmiger  S5eb,anblung  von 
iiubmig  ©enfl,  ein  jmeiteS  9]^l  vierftimmig  burd)  SEfyomaS  ©toller  (9cro.  XV.  XIV.).  3ener 
erften  liegt  baS  Sieb  unter : 

©elobet  feiftu  Grifte 
ber  bu  am  @reuje  bjngft, 
unb  für  unfre  ©ünbe 
viel  ©d)mact)  unb  ©treid)  empftngft, 
jefjt  berrfd)eft  mit  beim  SSater 
5n  bem  ^immelreid), 
mad>  unS  alle  feiig 
2(uf  biefem  ©rbreid).    Ämie  ;c. 

Per  ^weiten  aber  folgenbe  ©tropfye : 

Unfre  grofie  ©ünbe 
unb  fcfymere  9Jliffctl)at, 
6r)riftum  ben  maren  ©otteSfon 
an3  .Kreu^  gefdb,  lagen  bat, 
£)rum  mir  bid),  armer  Suba, 
•Daju  ber  Süben  ©d)aar 
ntd)t  billig  bürfen  fd)elten, 
bie  ©d)u!b  ift  unfer  gar. 

Friller,  ber  bie  ÜKelobie  unter  ber  Überfd)rift:  „ttuff  bie  noten  SauS  tibi  ß^rifte,  ober  £>  bu  armer  3ubaS" 
ebenfalls  in  feinem  ©tngebud)e  einführt,  t)at,  nad)  feiner  2frt,  bie  erfte  ber  beiben  mitgeteilten  ©tropben 
umgebilbet  unb  noch,  fünf  anbere  bjnjugebicb,  tet.    3cnc  lautet  bei  ifmt : 

8ob  unb  £)anf  mir  fagen 

bir  (griffe  ©oteS  fon 

ber  bu  baft  getragen 

für  unS  viel  fvot  unb  bon 

unb  baju  erbulbet 

am  leibe  grofje  »ein, 

mj  mir  l)an  verfd)ulbet 

bajiu  gebüji  allein. 

15* 


  116   • 


Äwrie  elcifon, 

Grifte,  warcr  mcnfd)  tmn  got 

ßhntfe,  erfjbr  uns  in  ber  not. 
Uiuer  uns  lebt  fte  nod)  fort  mit  bem  bekannten  Siebe:  „£3  wir  armen  ©ünber"  t>on£ermann 
JBonnuS,  baS  wob,!  juerft  in  bem  »on  biefem  herausgegebenen  2übecfer  Snd)irtbton  geiffticher©efänge(1545) 
erfebeint,  bann  aber  bttrd)  2ucaS  SoffiuS  in  feiner  um  1550  üon  SDielandjtfyon  befürworteten  „Psalmodia" 
alS  ^PaffionSgefang  eingeführt  wirb,  in  üterfKmmigem  £onfa|e  »on  Johann  S3ert*).  Daher  rührt  wof)l  ber 
Jntlutm,  baß  biefer,  ber  allein  Urheber  beS  £onfa(3eS  war,  aud)  Srfmber  ber  ©ingweife  gewefen;  ba  boeb, 
wie  wir  faben,  anbere  SEonfe^er,  wie  2lrnolb  »onSBrucf,  2ubwtg  ©enfl,  £l)omaS  ©toller,  um  SSieleS  früher 
fd)on  mit  barmonifd)en  ä3el)anblungen  berfclben  aufgetreten  waren,  unb  fte  jwet  unb  jwanjig  Safyre  früher 
fd)on  für  eine  alte  gelten  burfte,  wie  fte  benn  aud)  2ucaS  2offütS  felbft  an  ber  angeführten  ©teile  alS  folche 
bejeid)net.  ©ie  ift  mirolnbifd)cr  SEonart,  beren  S5ejetd)nenbe§  fte  in  ihren  Ausweichungen  wollftänbig 
barftellt.  Auch  fommen  erhebliche  33crfd)tebenf)eiten  ber  ©ingart  in  ihr  felber  nicht  t>or,  wol)l  aber  in  bem 
angehängten  Äprie.  33ei  S3ert  unb  Friller  —  (biefer  (efete  jeichnet  fte  in  bem  Umfange  oon  C  auf  mit  üor* 
gefegtem  b,  woburd)  bie  flehte  ©epttme  auf  ber  ft'ebenten  ©tufe  herbeigeführt  wirb)  —  erfcheint  biefeS  brei= 
fad),  unb  julefjt  mit  einem  regelmäßigen  ©d)luffe  in  ber  ©runbtonart.  3n  ©enflS  fünfftimmigem  £onfa£e 
ift  eS  nur  einfach,  unb  fd)ließt  borifd),  in  ber  Dberquinte  beS  mirolubtfd)en  ©runbtonS.  Einen  gleichen 
©cbluß  hat  ^rätoriuS  (M.  S.  VI.  116;  bei  einem  einfachen  jiprie,  unb  ein  anbereS  9ftaf)l  (ebenb.  118)  bei 
einem  breifad)en,  baS  juerff  borifd),  bann  mirofybifd),  unb  bann  abermals  borifd?  enbet.  Die  bebeutenbftc 
harmonifche  S3ehanblung  unferer  ©ingweife  ifl  bie  oon  $>rätoriuS,  im  5ten  S£t)etle  feiner  ©ionifchen  Stufen, 
9?ro.  114**);  bebeutenb  t>or  2£Uem  baburd),  baß  bie  fleine  ©eptime,  baS  ber  mirolnbifdjen  SEonart  eigen* 
tbümlid)e  £onverf)ältniß,  ft'd)  überall  geltenb  macht,  wo  ihre  Erhöhung  nid)t,  fraft  eines  9caturgefcljeS ,  für 
einen  »ollen  £onfd)luß  unüermeiblid)  wirb;  wie  mir  benn  biefe  9totf)wenbigfeit  beS  UnterhalbtonS,  ber  gro= 
ßen  Serj  ber  Slutnte  beS  ©runbtoneS,  als  fyaxmomföex  ^Begleitung  berfelben  bei  ihrer  9?ücffehr  in 
biefen  burch  eine  aufwärtSfteigcnbe  Quarte,  ober  eine  nieberfleigenbe  £luinte,  bereits  früher  bar= 
ptt$un  fuchten.  9cun  gehört  eS  jur  ächten  Entfaltung  ber  Äirchentonarten  burch  *>k  Harmonie,  baß 
baS  ©efel?  ihrer  Sonreifjen  überall  ba  funb  werbe,  wo  nid)t  ein  mächtigeres  il)m  entgegengeht;  baß  ba, 
wo  eS  jur  Erfd)einung  fommen  fann ,  eS  auch  als  eine  Äatß erung  i()reS  eigenthümlichen  SebenS  jur  lln- 
fchauung  gelange,  ©o  finben  wir  eS  in  ^rätoriuS  Sonfafce.  Der  Dreiflang  ber  Dominante  beS  @runb= 
tonS  ift  bei  ihm  allejeit  ein  weicher,  weil  bie  borifche,  auf  ber  £)berquinte  beS  93Zirolpbifd)en  gegrünbete 
Tonart,  eine  weiche  ift;  ein  harter  wirb  er  nur  ba,  wo  in  ber  ©runbftimme  ein  Wallen  ober  Erheben 
in  ben  mirotybifchen  ©runbton  ftatt  ftnbet.  S5ei  »ollen  ©d)lüffen  in  bie  Dominante  aber  hat  ber  SJleifter 
entweber  bie  Serj  weggelaffen,  ober  mit  ber  großen  unb  f leinen  bebeutfam  gewechselt,  je  nach  ben  geiftigen 
»ejiehungen  beS  betonten  ©ebid)te§.  ©o  fann  fein  Sonfafc,  eben  bei  biefer  ©ingweife,  als  dufter  gel= 
ten  für  bie  lebenbige,  harmonifche  Entfaltung  beS  «Bfaolwbifchen,  wie  benn  aud)  unfere  Sftelobie  fd)on  für 
ftd)  genommen  biefe  Sonart  in  ooUcr  Gigcnthümlid)feit  offenbart,  in  ihren  «öerwanbtfchaften  wie  2(uSwei= 
chungen;  g)rätoriuS  bringt  biefe  in  ebler,  großartiger  Einfachheit  unS  einbringlid)  jur  Tlnfchauung. 

•)    Die  Überfdjrift  tautet:  Caolicum  de  peccalo,  et  passione  Christi,  germanicum,  auetore  Hermanne  Bunno, 
ad  müodiam  tantiei  intens:  „D  bu  atmet  3ubaS."    Quaiuor  voeibus  compositum  per  I  Bert.  C. 
")    S.  9?cifpict  91. 


Ungewiß  ift  bie  3eit  ber  dntftebung  beS  tfbenbmablSliebeS 

©Ott  fei  gelobet  unb  gebenebeiet 
«nb  feiner  ©mgweife;  mit  ffieftimmtbeit  läßt  ficb  nur  annehmen,  baß  SBeibeS  über  bie  Sfeformationsjeit 
hinaufreiche,  unb  febon  in  ber  früheren  .Kirche  entftanben  mar.  ßutber,  in  feinem  ju  Wittenberg  1524 
erfebienenen  35ud)e :  „Sin  wenfe  ^r)riftltd>  2Efteß  ju  hatten,  on  jum  tifd)  ©otteS  ju  gehen,"  nennt  es 
unter  ben  wenigen  beutfehen  ©efängen  ber  alten  .Kirche,  „bie  einen  ©cbmarf  etwa  nach  einem  tapfern 
©eijte  haben,"  unb  läßt  eS  ihm  gefallen,  baß  man  eS  nach  ber  SBanblung  finge;  neun  Sabre  fpäter  (1533) 
wo  er  „oon  ber  winfelmeffe  unb  ber  Pfaffen  2Bcihe"  rebet,  nennt  er  eS:  ein  cbrijtlicb  rein  fein  85e= 
fennrniß ,  tum  einem  rechten  ©eifte  gemalt,  ein  3eugniß,  baß  bie  Saien,  ju  ber  3eit,  ba  eS  gemacht  wor= 
ben,  beiberlei  ©ejtalt  beS  ©aframenteS,  gleifd)  unb  S3lut  empfiengen,  unb  rühmt  eS  als  eine  grünblidje, 
cbriftlicbe  Siebe,  baß  fie  befennen,  GshrtjluS  felber  habe  ft'e  gefpeifet,  nicht  ber  $Pfarrberr  nod)  ^riejter.  Unb 
aß  ein  ftchereS  3eicben  beS  höheren  Alters  oon  unferem  Siebe  barf  unS  enblich  SutberS  ©cfylußrebe  gelten: 
äbcv  idi  muß  aufhören,  bieS  Sieb  511  greifen;  eS  follten  fonft  bie  greulichen,  oerftoeften  ©otteSläfterer,  wo 
ft'e  eS  erführen,  wol  hinfort  bieS  £teb  auet;  Verbieten,  baS  fie  boeb  felbft,  unb  alle  ihre  Verfahren 
gefungen  haben,  unb  gewißlich  viel  Sabr  oor  bem  Sutber  gemalt  ijl,  wie  fie  fonfl  oiel  Sieber 
oerbieten,  ba  boeb  eitel  ©ottcS  SBort,  unb  unfer  ©laube  in  gefungen  wirb. 

Unfer  Sieb  nebft  feiner  ©ingweife  erfcheint  bereits  (9cro.  5)  in  bem  Söalterfcfyen  ©efangbudbe 
von  1524,  in  einem  oierftimmigen  Sonfa^e,  ber  bie  Sftelobie  bem  Senore  jutbeilt;  bie  fpätere  Ausgabe  oon 
1551  giebt  unS  einen  anberen,  bei  bem  bie,  fonft  unoeränberte,  ©ingweife  in  bie  £)berftimme  oerlegt  ijt. 
3n  ben  123  giebem  für  bie  gemeinen  ©d)ulen  (1544;  finben  wir  fie  oon  33althafar  SJefinariuS  oier= 
jlimmig  gefefct ;  bod)  hat  ihr  tiefer  SJieifter  bureb,  bie  33ebanblung  ber  Harmonie  ein  befonbereS  ©epräge 
geliehen,  inbem  er  fie  nicht,  ihrer  ©runbtonart  gemäß,  mirotnbifcb  fchlicßen  läßt,  fonbem  ihrem  ©cbluß- 
tone  julefct  ben  harten  Sreiflang  oon  C  unterlegt,  auf  tiefe  ILxt  alfo  fie  in  baS  3onifcbe  hinüberleitet.  QrS 
bat  fieb  übrigens  biefe  ©ingweife  auf  jwiefacbe  SBeife  geftaltet;  wir  tonnten  fagen  auf  breifache,  wenn 
wir  eine  örtliche  'tfuSbebnung  ber  bejeidmenben  SDiobulation  in  ber  einen  ihrer  beiben  ©eftalten,  bie,  in  biefer 
Beziehung,  nur  als  2lbart  berfelben  erfcheint,  für  eine  befonbere  §orm  gelten  laffen  wollen.  £>ex  frühejien 
©ingart  jufolge  erhebt  fid?  ber  ©efang  am  ©ebluffe  ber  britten,  melobtfdjen,  ober  am  dnbe  ber  jweiten 
3eile  beS  SiebeS,  emporfteigenb ,  ju  bem  ©runbtone*;.  Siefe  SBenbung  muß  um  ben  Anfang  beS  ft'eb- 
jebnten  SabrbunbertS  in  ber  SJiarf  bie  beliebtere  gewefen  fepn:  wir  finben  fie  in  äkrtb.  ©efüiS  fünfjtim* 
migemSonfa^e  wieber,  ja,  bort  erfcheint  fie  fogar  am  ©ebluffe  beS  SiebeS,  oor  bem  legten  jfyrieeleifon,  wo, 
ber  älteften  ©ingart  jufolge,  ber  ©efang  jur  Unterquinte  binabfteigt,  wogegen  baS  Änrie  hier  ein  3Bieber= 
erheben  jum  ©runbtone  barftellt.  £)urcb  jenes  £inabjf eigen  jur  Unterquinte,  beibe  SJiahle  oor  bem 
Änrie,  jeiebnet  ficb  bie  fpätere,  oiel  atigemeiner  oerbreitete  ©ingart  auS,  bie  wir  in  Johann  SccarbS, 
4?aßlerS,  Johann  ^ermann  ©cbeinS  ic.  Chorälen  wieberftnben.  £iefe  beiben  gormen  unb  ihre  Ubatt  hat 
unS  ^rätoriuS  (M.  S.  VII.  96  — 101;  aufbewahrt,  inbem  er  bie  ältere  als  ju  S3raunfchweig,  bie  fpätere 
alS  in  Schwaben,  granfen  unb  Greußen,  bie  tfbart  alS  in  ber  SOiarf  gebräuchlich  nennt,  ©einer  #uf= 
jeiebnung  jufolge  wären  in  Thüringen,  unb  in  ben  ©eeftäbten  (sJcro.  98.  99  a.  a.  £).)  nur  bie  oier  erften 


•)   @.  SEBalterS  ©.  35.  oon  1524.  9iro.  V. 


  118   


Seilen  ber  SRelobie,  nebfi  bem  Äprie  elcifon  üblid)  geroefen.  3n  jeber  oon  biefen  gormen  übrigens  tritt 
oaS  miroh)btfd)e  ©eprdge  utwerf  cnnbar  beroor. 

Soö  Sieb:  ©elobet  fewft  bu  SefuS  <5f>r tfl,  wirb  at§  ein,  am  ßbrififefte  »on  ber  ©emetne 
gelungenes,  beutfcbeS  Sieb  bereits  1519  in  bem  Ordinär,  incl.  eccl.  Swerinensis  genannt,  woraus  auf 
fein  höheres  Älter,  fein  (Snrjteben  in  ber  alten  £ird)e,  ju  fcfjliejjen  ift.  @S  erfer/eint  mit  feiner,  ofmfeblbar 
ihm  gleichzeitigen  miroh)btfd)en  ©ingweife  juerji  in  2öaltcrS  ©efangbud)e  von  1524  (Nro.  XXII.) 
in  iMerftimmigem  Sonfa^e,  ber  aud)  in  bie  fpdtere  'tfuSgabe  (1551.  9cro.  XIII.),  wenige  Beffcrungen  in  ber 
©rimmführung  abgerechnet,  unuerdnbert  übergegangen  ift.  Neben  biefer  Bearbeitung,  bei  ber  bie  SSKelobic 
in  ben  £enor  gelegt  ift,  ftnbet  ftd>  aber  bort  (Nro.  XIV.)  nod)  eine  anbere,  wo  biefelbe  ber  Dberftimmc 
uigctheilr  erfd)eint;  unb  in  eben  biefer  Stimme  treffen  wir  fte  in  einem  ber  beiben  £onfd(}e,  meldte  bie  123 
©efdnge  für  bie  gemeinen  ©dmlcn  (1544)  enthalten  (No.  VI.).  @r  ift  mit  feinem  tarnen  eineS  ©el?erS 
überfd)rieben ,  tonnte  aber  t»on  Baltfyafar  9?  eftnariuS  herrühren,  bem  ber  uorangebcnbe  (Nro.  IV.) 
angehört;  wenn  er  nid)t  vielleicht  bem  Herausgeber  ber  Sammlung,  ©eorg  9?b«u  &u  Wittenberg,  $uju= 
ictnnbcn  i(t,  ber  unter  ben  Stonfefeern  jener  Seit  mit  £ob  genannt  roirb,  unb  ben  vielleicht  alle  mit  feiner 
NamenSbejeicbnung  verfel)enen  mel)r(timmigen  Bearbeitungen  geiftlid)er  9JMobieen  in  jenem  fd)d£baren 
tMebcrbud)e  jum  Urbeber  haben.  ^rdtoriuS  giebt  im  5ten  £l)eite  feiner  ©tonifchen  Stufen  (Nro.  60  — 
66)  uns  fteben  mef)rftimmige  Bearbeitungen  ber  ©ingweife,  jwei  ju  brei,  brei  ju  vier,  jroei  ju  fünf  ©tim= 
men,  unter  tfjnen  auch,  bie  2Baltcrfd)e  (Nro.  64)  unb  eine  (65)  von  StafeliuS;  in  bem  folgenben  Steile 
beffelben  SßerfeS  fjat  er  bte  örtlichen  'Abweichungen  bei  berfelben  aufgezeichnet :  Nro.  21  bie  in  ©chwaben 
unb  granfen,  Nro.  22  bie  in  Steifen  unb  ber  9Karf,  Nro.  23  bie  in  9)reuf?en,  Nro.  24  bie  in  ben  ©ee= 
ftdbten  gangbare.  £)iefe  verfebjebenen  ©ingarten  inbefs  betreffen  nur  ben  ©chlufüfatl  beS  ©efangeS  am 
(fnbe,  unb  einige  melobifcfye  SBenbungen,  obne  baS  SBefen  ber  SKclobie  in  ber  golge  unb  Art  ihrer  2tuS= 
roeiebungen  anjutaften,  bie  in  allen  juerft  nad)  ber  SDberquarte  (bem  Sonifchen),  bann  jurücf  nach,  bem 
©runbtone,  fobann  nad)  ber  SDberquinte,  ober  Unterquarte  (bem  £)orifd)cn)  gerichtet  finb,  von  wo  auS  ber 
JRücfweg  in  bie  ©runbtonart  bei  ber  einen  unb  ber  anbern  auf  eine  etwas  verfd)icbene  SBeife  gefunben  roirb. 
Aud)  bier  ift  ^PrdtoriuS  roegen  bebeutfamer  Entfaltung  ber  Tonart  ju  loben ,  äumabj  in  ber  ©eejtdbtifd)cn 
©ingart  unferer  Gelobte.  Unterer  Sonfd^e  berfelben,  beren  fern-  viele  vorhanben  ft'nb,  unb  jumal)l  beS 
treflid)en  fünfftimmigen  von  Sotyann  Sccarb,  wirb  bei  ben  ©e^ern  geiftlicber  Sonweifen  im  erften  %d)x-- 
bunbert  ber  Äirchenverbefferung  gebaut  werben,  wo  wir  bem  genannten  Sonmeifter  einen  befonbern  2£b^ 
febnirt  ju  weisen  gebenfen. 

25aSßieb:  ©ott  ber  SSater  wohn'  uns  bei,  war  alS  ßitanei  in  ber  Äreujwoche,  unb  ju 
oen  Bittfahrtjeiten  oor  bem  ^immelfabrtfefte  bereits  in  ber  alten  Äirdje  üblid).  @S  enthalt  inbe^  nid)t, 
roie  jefjt,  in  feiner  erneuten  ©eftalt,  nur  eine  Anrufung  »on  ©Ott  Später,  ©ob,n  unb  heiligen  ©eift,  fon= 
bem  aud)  Bitten  an  bie  beilige  Jungfrau,  an  DrtSfyeilige,  fonnte  bab.er  nid)t  unoeränbert  aufgenommen 
roerben  in  ben  e»angelifd)en  Äircb,engefang.  ©o  erfd)eint  eS  benn  „gebeffert  unb  d)rijtlid)  corrigwret"  in 
Dem  BreSlauer  ©efangbud)e  üon  1525,  in  bem  Nürnberger  unb  SBittcnberger  @nd)iribion  beffelben  3aI)reS, 
als  Sobgefang  an  bie  2>reicinigfeit.  Um  eben  biefe  3eit,  in  SBalterS  ©efangbud)e  oon  1524, -treffen  wir 
feine  ©ingroeife  in  fünfftimmigem  Sonfat^e,  ben  aud)  bie  'tfuSgabe  »on  1551  unoeranbert  mittl)eilt, 
unb  ber  in  ^rätoriuS  ©ionifd)en  Sföufen  (\ .  155)  roieber  »orfommt.  9leun  Sal)re  fpäter  (1534) 
erfefeeint  eine  üierftimmige  Bebanblung  berfelben  t>on  "tfrnolb  t>.  Brucf  in  ben  120  ju  Nürnberg  berauS-- 


  119   


gegebenen  Biebern,  unb  biefe  finben  »vir  1544  in  bie  123  lieber  für  bic  gemeinen  Schulen  «lieber  auf= 
genomirren,  nebft  einer  anbern  von  Saltbafar  JKefinariuS  (Slxo.  33.  34.;.  Die  9Jielobie  ijt  tont* 
fd)er  SEonart,  Reiter,  fafjlid),  volfSmäfjig;  fünf  verfd)icbene  Singarten  berfelben  I^at  ^)rätoriu§  uns 
aufge^eiebnet  (VI.  103  — 107),  beren  2lbmeid)ungen  inbefj  vollkommen  unertjcblid»  finb. 

3ulcf<t  ijt  nun  nod)  ber  treflieben  93ielobie  beS  2iebeS :  „SJiitten  wir  im  geben  finb"  ju 
gebarten.  2)iefeS  allerbingS,  nietet  aber  jene,  ijt  auf  ben  alten  lateinifeben  ©efang:  „Media  vita  in  morte 
soraHs"  jurüd^ufübren,  mie  eS  benn  auch,  bei  feinem  frübeften  SSorfommen  ft'cb  ftetS  fo  überfd)rieben  finbet. 
2ateinifcb  gebort  eS  bem  (Snbe  beS  neunten,  ober  bem  Anfange  beS  jebnten  SäbrbunbertS  an,  unb  rübrt 
Dan  Steffel  bem  Stammler  ber:  allein  feine  Singmeife,  roie  2ucaS  2ofjutS  fte  in  feiner  „Psalmodia"  auf* 
gejeiebnet  bat,  jeigt,  bie  glcidbe,  pf)rpgifd>c  Sonart  auggenommen,  mit  ber  jefet  gebräucblicben  gar  feine 
Übnticbfeit.  2>iefe  bürfte  baber  mit  ber  beutfeben  Übertragung  unfereS  2tebeS  als  gleichzeitig  anzunehmen 
femi*).  (Sine  folcfye  nun  ft'nben  mir  am  frübeften  in  bem  SSafeler  $pienartum  von  1514.  Sie  fielet  auf  ber 
Sfüdfeite  feineS  SitclblatteS ,  unter  einem  4?oljfcbnttte  von  4?anS  Scbeuffelin,  @briftum  am  Jtreuje  vor= 
Itellenb,  unb  lautet: 

3n  mittel  unfereS  lebenS  zeit 

im  tob  feinb  mir  umbfangen 

men  fudjen  mir  ber  unS  t>tlfe  geit 

von  bem  mir  Imlb  erlangen? 

can  bieb  $err  alleine, 

bei  umb  unfre  mijfetbat 

red)tlid>en  jürnen  tueft. 
beiliger  berre  got,  heiliger  jtarfer  got, 
beiliger  unb  barmberjiger  beilmacber  got, 
lafj  unS  rttt  gemalt  tun  beS  bitteren  tobcS  not. 
2)iefe  Strophe  »eigt  ein  SDiaafj,  baS  bem  ber  9Jielobie  beS  von  2utber  überarbeiteten,  unb  um 
!)iuci  ©efä^e  vermehrten  2iebeS  übereinjtimmt,  bis  auf  fleine  2lbmeidntngcn  ber^lrt,  mie  mir  fie  aueb  in 
anberen  2iebern  jener  3eit  jmifeben  beren  einzelnen  Strophen  niebt  feiten  finben.    @S  ijt  baber  niebt  um 
mabrfcbeinlicb ,  bafj  jene  Singmeife  minbejtenS  um  1514  fd)on  vorbanben  mar;  mir  bürften  inbefj  niebt 
anjtcben,  fie  für  älter  anjunebmen,  ba  baS  2ieb  in  feiner  latcintfd)en  Urform  als  <Sct)Iad?t  =  unb  3«uber= 
gelang  febr  üblich  mar,  meil  man  meinte,  ben  (Sieg  bamit  bannen  ju  fonnen,  unb  eben  beSbalb  aueb  mobl 
frübe  fd)on  Übertragungen  beffelben  »erfüll  mürben,    2lud)  erfebeint  unfere  SDlelobie  bereits  in  ben  frübe= 
jten  gei|tlid)en  2ieber  =  unb  Singebücbern.    3n  SSBalterS  ©efangbud)  von  1524  frebt  fte  an  ber  britten 
Stelle,  unmittelbar  hinter  ben  alten  beutfeben  Aircbenlicbern :  9cun  bitten  mir  ben  fjeiltgcn  ©eift,  unb: 
Äomm  bciliger  ©eift,  £erre  ©Ott,  in  vierftimmigem  Sonfafje ;  in  bie  gemifebte  Sammlung  ber  120  2ieber 
$u  Dürnberg  1534  ijt  fte  in  'tfmolbS  oon  SSrud  ebenfalls  vierftimmiger  S3ebanbtung  aufgenommen :  brei= 
mabl  (Utro.  90.  91.  92.)  finben  mir  fie  in  ben  123  2iebern  (1544),  barunter  einmal)!  von  33altbafar  9?e= 
finarius,  unb  jmeimabl  burd)  "#ntolb  von  S3rud  gefegt :  in  ber  fväteren  'tfuSgabe  von  SBalterS  ©efang= 
buche  enblid)  (1551)  erfdjeint  fte  jmeimabl  (45.  40.)  fünfjtimmig  gefegt,  einmabl  fo  —  eine  feltene 


')    ©.  bie  9Jfc(cbit  bio'cS  Stcbcö  in  93!\  «Prärorius  2onfa|c,  SScifpict  'J2. 


 120  

drfchcinung  in  jener  3eit  —  bafj  fte  im  33afje  bie©runblage  beS£armoniegebäube3  bilbet.  &Mer  »erfcbiebene 
©mgarten  bcrfelben,  eine  SSraunfcbweiger,  SKeifjner,  Sföärfifcbe  unb  ^reufifcbe  (VIII.  154—157)  t>at 
>)>rätoriu$  un3  aufgezeichnet,  von  benen  nur  bie  lefcte  üon  ©rbeblicbfeit  tft,  ba  alle  übrigen  im  2ßefentlid)en 
übercinftimmen.   9)rätortu3  zufolge  mobulirte  man  in  9)reufj  en  in  ber  erften  3eile  be£  jroeiten  SEf>etle§ : 

,,2)00  bift  bu  $en  alleine" 
nicht  nach  bem  Sonifcbcn,  fonbern  bem  Dorifchen,  nach  d,  unb  eben  fo  ju  ben  SEBorten : 
„Du  ewiger  ©Ott," 

wo  ber  ©efang  fonft  in  ben  ©runbton  jurücf juifehrcn  pflegt.  Dennoch  hat  Sohann  Grccarb,  beffen  fünf; 
ftimmige  SSebanblung  unferer  SJMobie  ben  zweiten  Sheil  feiner  ßhoräle  befchliefjt,  obgleich,  er  fonft  ber 
'•Preufjifcben  «Singart  fid)  anjufchlie^en  pflegt,  fte  boch  hier  »erlaffen,  unb  ben  gebräuchlicheren  ftch  ange= 
fcbloffen,  bie  in  ber  Sbat  auch  bem  SBefen  ber  ©runbtonart  angemeffener  finb. 

SSergleicben  mir  nun  btefe  SDcelobieen  älterer  beutfcber,  in  ben  cttangelifcbcn  Äircbengefang  aufge= 
nommener  geiftlicber  Sieber,  mit  ben  au§  bem  SüolfSgefange  ftammenben  ©ingweifen,  meiere  fpäter  eine 
fircblicbe  S5cftimmung  erhielten;  fo  tritt  un§  in  jenen  junäcbft  bas>  grofae  Übergewicht  ber  »orjugSmeife 
fircblicben  SSonarten  entgegen,  berjenigen,  bie  in  ihrer  ©tieberung  »on  ben  in  bem  SMfSgefange  t>orwalten= 
ben,  unferer  heutigen  Jlunftübung  auSfcblicfjcnb  gebliebenen  Tonarten,  ganj  abweichen,  be§  SDWrolpbtfchen, 
spbrpgifcben  unb  Dorifchen.  9cur  brei  ftnben  wir  unter  ben  zehn  fo  eben  betrachteten  ©ingweifen,  welche  ber 
ionifeben  Sonart  angehören,  bie  alfo  mit  unferen  Durmclobieen  uerglicben  werben  Fbnnten;  bie  ber 
Sieber :  9cun  bitten  wir  ben  heiligen  ©eift ;  Äomm  ^eiliger  ©eift,  £erre  ©oft ;  ©ort  ber  Skter  wohn'  unö 
bei.  Dtefen  ftehen  tnbefj  oier  au3  ber  mtrolpbifcben  SEonart  entgegen,  unb  eben  folebe,  bie  beren  »olle 
ßigentbümlicbfeit  auf  baä  SBeftimmtefte  ausprägen  :  Dies>  finb  bie  beil'gen  zehn  ©ebot;  £)  wir  armen  ©ün= 
ber;  ©ort  fei  gelobet  unb  gebenebeiet;  ©clobet  feift  bu  3efu6  ßbrijt;  §n>et  erttfrf)teben  pbrngtfche:  Da 
3efu$  an  bem  ßreuze  ftunb;  bitten  wir  im  geben  finb:  eine  borifebe  twn  hohem  Wtertbume:  Gbrift  itf 
erftanben.  Dagegen  mangelt  bei  allen  zehn  ba3  ©treben  nach  felbftänbiger  rbptbmifcber  ©eftaltung; 
fte  fcbliefjcn  fämmtticb  nur  bem  9Kaafje  ihrer  Sieber  ftch  an,  burch  ba§  ihr  £3au  übllig  unb  augfcbliefjenb 
bebingt  wirb.  Diefe  Sttaafie  felbft  finb  aber  jumeift  folche,  bie  mit  ben  gebräucblicbjten  be§  S3ol!§gefange§ 
niebte»  gemein  haben,  unb  in  benen,  bis  auf  zwei,  auch  feine  anberen  Sieber  gebichtet  worben ;  benn  bie 
wenigen  neueren,  bie  ben  9Jiaafsen  ber  Sieben  9cun  bitten  wir  ben  heiligen  ©eift,  unb  ©elobet  feift  bu  3efu3 
@brift  ftch  anfebtiefien,  fommen  hier  nicht  in  SSetracbt.  ^ene  j  w  e  i  9JMobiccn  aber,  bie  eine  2lu3nabmc 
machen,  werben  bureb  9Jcaaf?e  geregelt,  bie  ben  beliebteren  beS  33olf3ge  fanget  im  IGtcn  Sabrbunberte 
fehr  nahe  fommen,  unb  burch  'eichte  Umftellungen,  burch  .geringe  Ergänzungen,  ihnen  gleich  z"  machen, 
alfo  »on  ihnen  herzuleiten  ft'nb.  g§  frnb  bie  ©ingweifen  ber  Sieber:  Die§  finb  bie  beifgen  zehn 
©ebot,  unb:  Da  SefuS  au  bem  .Kreuze  ftunb.  3ene§  erfte  hat  mit  ©eorg  grunbSbergS  Sieb : 
,,9)cein  Sleifj  unb  9Küb  ich  nicht  bab'  gfpart"  einerlei  SOiaafj,  wenn  wir  bie  ©tellung  feiner 
legten  beiben  3eilen  in  ber  Tlxt  »eränbern,  baß  bie  toierfylbtge  bie  lefjte,  bie  acbtfylbt'ge  bagegen  bie  »Oriente 
wirb.  Diefeö  le^te  ftimmt  mit  bem  alten  weltlichen  Siebe  „2B er  ba§  (Slenb  bauen  will"  im  SSttaaße 
überetn,  wenn  wir  feiner  erften  unb  t>ierren  Beile  bie  furze,  tambifebe  «BorfcblagSfplbe  nehmen,  woburch  fie 
bann  ftebenfplbige,  rrocbäifcbe  werben.  Die  SKelobieen  biefer  beiben  älteren  getrieben  Sieber  finb  aber 
auch  bie  einigen,  nach  beten  Waagen  wir  fchon  im  Kiten  unb  17ten  Sabrbunberte  neue  geifilidhe  Sieber 
gebichtet,  ja,  auch  mit  neuen,  felbftänbigen  ©ingweifen  »erfeben  ftnben.    Da3  SKaajj  beö  SiebeS :  Die* 


finb  bie  tjeÜ'gen  jebn  ©ebot  liegt  Dem  Siebe  von  SRtcolouS  £ermann :  ,,©rfd)icnen  ift  Der  berrlid)* 
Sag"  gu  ©runbe;  bem  von  ©ra$mu§  Ttlbev :  ,,9cun  freut  eud)  ©ottes?  Äinbev  all"  bem  9iiftfd)en:  „3ft 
bicfer  nicht  bc»  £öcbften  Sohn,"  für  roeld)e  alle  auch,  befonbere  ©ingroeifcn  »orbanben  ft'nb,  fo,  baf?  bie 
jene§  alten  2Qallfabrt§liebc$  feiten  für  fie  benu^t  ju  werben  pflegt.  Öfter  nod>  bat  man  fid>  beö  9DZaafje§ 
bebient  von  bem  Siebe:  2)0  SefuS  an  bem  Äreuje  ftunb.  "Ktarn  SfeufmerS  Sieb:  ,,3n  bid)  l)ab 
id)  geboffet  £err"  ift  in  Valentin  33apfi3  ©efangbuebe  feiner  OJtelobic  angeeignet,  erfebeint  aber  fpäterl)in 
auch  mit  mehren  eigenen  ?9ielobieen  0))r.  M.  S.  VIII.  19—27);  ©eorg  SBetffeß  Sieb  „3m  finftern  Stall, 
o  munbergrof?"  fd)licf?t  bemfclben  SRttöf«  fieb  an,  unb  ift  in  Sob.  @ccarb3  unb  ©tobäuS  $Prcuf?ifd)en  geft= 
liebern  (Xt>.  I.  9lro.  14)  bureb  ben  legten  beiber  SJteifter  mit  einer  neuen  Stngroeife  gcfcbmücft  roorben; 
eine  jmeitc  bat  Johann  Qrüger  baju  erfunben,  eine  britte  finbet  ftd)  in  ber  3ugabe  ju  greilingSbaufenS  ©e* 
fangbuebe  vom  Sabje  1710.  Später  biebtete  $)aul  ©crl)arb  fein  Sieb :  3d)  weif?,  mein  ©Ott,  ba£  all  mein 
Sbun  :c.  in  bemfelben  SDiaafje,  unb  3of)-  ©eorg  ßbcling  erfanb  bafür  eine  eigene  93ielobie  (9)aul  ©erbarbs> 
geiftlicbe  2tnbad)ten  :c.  9?ro.  XXX),  gnblicb  ft'nb  in  ®r.  33ecfer§  *Pfalmbud)e  ber  4te,  22fte,  31fte,  54fte, 
7Uftc,  120fte  auf  biefe»  9Dcaafj  geriditet,  unb  ^einrieb  Sd)üfe  bat  jebem  berfelben  eine  befonbere  neue 
Singmeife  angeeignet,  greilicb  finbet  fieb,  in  eben  biefem  $)falmbud)e  ber  lllte  9>falm  bem  SSflaafje  beö 
Siebet :  ,,©ott  fei  gelobet  unb  gebenebeiet"  angepaßt,  mit  einer  SOielobie  Don  ^einrieb,  <Sd)ük;  bic§  aber  ift 
aueb  ber  einjige  gall  be§  anberroeiten  ©ebraucbcS  von  biefem  fonft  ungemöl)tilid)en  Sfftaafje,  ben  voir  ju 
ftnben  vermochten.  So  Dürfen  mir  benn  behaupten,  bafj  von  ben  jebn  SKelobieen  älterer  Sieber,  bie  mir, 
al§  in  ben  neuen,  evangelifd) en  Äircbengefang  aufgenommen,  juvor  bctrad)tcten,  ad>t  ben  Siebern  eigen; 
tbümlicb  geblieben  ft'nb,  mit  benen  fie  juerft  in  benfclben  eintraten,  unb  roeber  anberen  angepaßt  mürben, 
noeb  anbere,  allgemeiner  verbreitete,  nad)  il)ren  SERaafjen  erfunbene  ©ingmeifen  neben  ftd)  fyatten.  iDiefeS 
lefcte  ift  jmar  von  ben  jmei  übrigen  ntcfjt  ju  fagen,  benn  man  »ermenbete  bie  mef)r  bem  S>olfStonc  fieb, 
näbernben  3Kaape  if)rer  Sieber  ju  neuen  geifiltd)cn  £>id)tungen,  allein  man  erfanb  jugleid)  für  biefe  auch, 
neue,  tbjem  Inhalte  näber  ftcb  anfcbliefjenbe  ©ingmetfen,  unb  jene  alten,  noch  über  bie  Anfänge  ber  Äir= 
ebenoerbefferung  binaufreiebenben  9Jielobepcn  blieben  jumeift  ihren  urfprünglicfyen  Siebern  eigen.  Unter 
jenen  acht  erften  ©ingroeifen  finben  mir  bei  ber  SQZebrjabl,  —  ben  fünfen  ber  Sieber:  übjift  ift  erftanben; 
sJcun  bitten  mit  ben  b, eiligen  ©eift;  Äomm  ^eiliger  ©eift,  Jperre  ©ort;  ©elobet  feift  bu  SefuS  ßbvift ;  ©ort 
ber  5>ater  molm'  un§  bei,  —  um  bie  erften  Sabre  be£  17ten  3>abrf)unbert<5  nur  örtliche  2tbmeid)ungen,  mie 
fie  bei  münblicber  gortpflanjung  ber  SRelobiccn  unter  bem  Solfe  faft  unvermeiblicb  ftnb,  ober,  mie  bei 
Der  Dritten,  eine  2CuSgcfialtung  ibjer  melobifd)en  SBcnbungen  ju  vollfommnerem  (Sbenmaafje.  @rbeb= 
lieber  fchon  finb  bie  tfbmeicbungen  bei  ber  ©ingmeife  beS  3uba3liebe3,  bod)  fommen  fie  nur  bei  bem  ihr 
angehängten  Änrie,  unb  in  ber  golge  feiner  ©cblufjfälle  vor,  unb  mögen  mobt  nur  auf  urfprünglid)  falfdjer, 
bureb  ben  ©ebraueb  inbefj  örtlich  feftgcftetlter  Tluffaffung  biefeS  Sheile§  ber  -JRelobie,  eigentlich,  nur  ibre§ 
Anhanges,  beruben;  benn  bie  Söeife  bcö  SiebeS  fclbcr  ift  unveränbert  geblieben.  Gjben  fo  fann  eine  einjige 
örtliche  '^bmeidjung  bei  ber  SDMobie  be§  Siebeö :  „SKitten  mir  im  Seben  ft'nb, "  bie  fchon  eine  bebeutenbere 
ift,  meil  fie  eine  frembe  SÖJobulation  bureb  SSeränbcrung  eine§  ber  mittleren  ©cblufjfälle  einführt,  nur  für 
eine  unrichtige  'tfuffaffung  gelten,  unb  l)at  9)rätoriu3  auch,  burd)  beren  '2lufnal)me  in  feine  ©ionifcfyen  9)Zufen 
fte  alö  eine  beftebenbe  anerfannt,  fo  bat  boch  anbererfeitö  (Sccarb  baburch,  bafj  er  in  feinen,  ber  ^)reufiifcb,en 
Singart  —  ber  fte  jugefcbjieben  mirb  —  fonft  ftd)  attfd)liefjenben  ßl)orälen  bie  urfprüngliche  mieberl)er= 
(teilte,  ihren  Söerth  unb  il)re  SSeranlaffung  beutlich  in  ba§  Sid)t  gefteüt.    25ie  erheblichften  a5erfchiebenl)eiten 

ü.  SBinttrfcIt,  ler  trangef.  d^t-itgefang.  16 


  122   


ftnben  ftd)  bei  ber  ©ingart  be3  £tebe§:  ©Ott  fei  gelobet  unb  gebenebeiet;  allein  bie  breifad)e  Abweichung 
in  ben  ÜÄobulationen,  bie  wir  Ijter  ft'nben,  taflet  nirgenb  ba3  (Gepräge  ber  ©runbtonart  ber  SJielobie  an, 
tiefet  bleibt  in  feinen  wcfentlichen  Steilen  baffelbe,  wenn  eö  auch,  in  ber  einen  ©tngart  fchärfer  heraustritt, 
als  in  ber  anbent.  Äaum  alfo  werben  wir  behaupten  bürfen,  e3  habe  hier  eine  umbtlbenbe  SEhärigfeit 
obgewaltet  anbcr§,  als»  in  befchränftem  ÜBiaafje.  9cur  in  jwet  fallen  tritt  eine  folche  unverkennbar  fyeroox. 
Sucrfi  bei  ber  ©ingweife  beö  SiebeS:  „25a  SefuS  an  bem  Äreuje  ftunb."*)  33erwenbete  man  tfjr  bem 
SBolfätone  näher  ftehenbeS  SJJaafj  ju  anberen  gcifllichen  Dichtungen,  für  bie  man  neue  ©ingweifen  erfanb, 
fo  machte  man  fogar  auch  einen  S3erfud),  ihre  ©runbtonart,  bie  »hrt)gifd)e,  in  bie  volfsimäfjigere 
ä  o  l  i  f  d)  e,  —  eigentlich  in  eine  w  e  i  cb,  e  SSonart  im  ©inne  unferer  Äunftübung,  —  ju  verwanbeln.  2CUer= 
bing§  mar  biefe  Umbilbung  nur  eine  örtliche,  beren  Alter  mir  nicht  einmal)l  genau  fennen,  fonbern  ft'e  erft  ju 
Anfange  bcS  17tcn  3«hvhunbert§  aufgezeichnet  finben,  mo  ft'e  ^rätoriuS  als  eine  in  ber  Wlaxt  übliche,  waf)r= 
fcheinlid)  nach  ©efütS  fünf«  unb  vierftimmigen  Chorälen  (^ranffurt  a.  £).  1601)  mitgetheilt  hat.  ©eftut» 
aber  ijt  geftänblid)  nidrt  ihr  Urheber;  er  hat  ft'e,  wie  alle  bei  ihm  vorfommenben  ©ingweifen,  al3  eine  in 
feinem  SBaterlanbe  von  Alters»  her  gebräuchliche  aufgenommen,  unb  feinem  Sonfa^e  ju  ©runbe  gelegt,  wie 
er  benn  in  feiner  83  orrebe  felber  fagt:  er  habe  vornehmlich  babjn  gefehen,  bafi  bie  gebräuchliche  unb 
gewöhnliche  @l)oralmelobie  im  2)iöFante  behalten  unb  unveränbert  geblieben  fei,  bamit  alfo  bie 
chriflliche  ©emeine  mitft'ngen  fbnne.  Qjben  in  feinem  SSaterlanbe  ft'nben  wir  aber  ein  ^weites»,  ebenfalls  von 
ihm  aufgenommene^  ffieifpicl  ber  Umbilbung  einer  alt»hn;gifd)en  SBetfe  in  eine  dolifche,  unb  unter  ganj 
gleichen  33oraus»fe£ungen,  an  ber  aus»  lateinifchem  Choral  fkmmenben  9JMobie  beö  Siebes?:  ßhrtjtusj  ber 
unS  feiig  mad)t  (Patris  sapientia).  25a§  trod)difche  SKaaf  biefes»  Siebes»,  bas»  in  ad)t  Seilen  einen 
regelmäßigen  SBechfel  jeigt  von  einer  ft'eben=  unb  einer  fed)3folbigen,  wirb  bureb,  eine  geringe  SSerdnberung, 
ben  3ufafj  einer  furjen  33orfd)lagSft)lbe,  ber  e§  in  ein  iambtfcheS,  mit  einer  acb>  unb  ftebenfvlbigen  Seile 
viermahl  wecbjelnbes»  verwanbelt,  bem  atlergangbarften  beö  SiolBgefangcs»  gleich,  kern  es»  hienad)  auf  erft 
nahejteht:  wie  eS  benn  aud)  obne  biefe  SSerdnberung  für  anbere  gciftlid)e  25id)tungen  mit  neuerfunbenen 
©ingweifen  benuljt  würbe,  von  benen  hier  nur  Jpeinrich  Gilberts:  „(Sinen  guten  .Kampf  hab'  td)  tc," 
©todmannS:  „3efu  Setben,  $ein  unb  £ob"  unb  $>aul  ©erharbS  unb  Sbelingö:  „©chwing  bid)  auf  ju 
beinern  ©ott"  erwähnt  werben  mag. 

2ßas>  enblich  bie  SÜlelobte  bee»  Siebes? :  ,,25ies>  ft'nb  bie  hetl'gen  jehn  ©ebot"  betrifft,  fo  würbe 
feine  ©runbtonart  burd)  eine  örtliche  Abweichung  jwar  nicht  völlig  veränbert,  in  einer  ber  gefangretchfien 
$>rovin$en  25eutfd)lanb$»  aber,  in  Thüringen,  ihr  eine  ihrer  eigentbümlichften  SKobulationen  ganj  entjogen, 
unb  fo  bie  ©ingweife  ben  volfs»mäfugen  näher  gebracht. 

Sie  auö  bem  ältejlen  lateinifd)en  Jtird)engefange  hemtbvenben  SKelobteen,  welche  ber  um  bas» 
erfie  SSiertel  beS  Kiten  SabrhunbertS  ftd)  bilbenbe  neue  ber  (§vangetifd)en  in  feinen  ÄrciS  aufnahm,  fuchte 
er,  wie  wir  faben,  gcbrdngtcr,  rh«thmifd)er,  unb  baburd)  bem  Siotfe  einbringlicher  ju  geflalten,  ohne  jebod) 
bie  eigenthümlichfeit  ihrer  ©runbtonarten  ju  vermifd)en;  von  fpäter  entftanbenen  ©ingweifen  lateinifcher 
©efdnge  ber  alten  &ird)e  nahm  er  jwneijt  bie  ber  gefllieber  auf,  bie  fchon  bei  ihrem  (Sntjte&en  baö  ©epräge 
trugen,  baö  er  jenen  älteren  erft  ju  geben  fuchte.  £>ie  früheren  beutfehen  geiftlid>en  Sieber  behielten  jumeiji 
ihre  uriprunglichen  ©efangformen,  wo  nicht  burch  münbltche  Überlieferung  (SineS  ober  baö  'tfnbere  ftd)  in 


*)    iS.  ba$  Scifpict  62,  in  SJerqtcid)  mit  9tro.  :<  unb  123. 


  123   


benfelbcn  oeränbert  tjatte ;  nur  einen  einjelnen  gall,  ber  'tfuSbilbung  mehr  als  Umbildung,  vermochten  mix 
aufjuftnben,  benn  bie  gefcbmütftere  SKelobie  fd)ien  au3  bcr  einfacheren  entftanbcn  fepn,  gewann  aud)  nur 
örtliche  ©eltung.  £>ie  mciftcn  tiefer  früheren  beutfcben  geiftlicben  Siebet  roaren  in  93kaf?en  gebietet,  bie, 
bem  SSolfSgefange  frember,  nur  in  allgemeinen  3ügen  fid)  ihm  näherten;  fanb  aber  eine  größere  Annäherung 
ftatt,  bie  wir  in  nur  brei  fallen  beobachteten,  ba  benuljte  man  fold)e  SDkafje  ju  neuen  Sichtungen,  ju  neuen 
oolfSmätHgcren  Steifen.  £rtlid)  ging  man  felbft  nod)  meiter.  2Benn  aud)  bie  älteften  93ielobieen  für 
■»IRaape  folcber  'ilxt  ihren  urf»rünglid)en  2iebem  mcift  auSfchliepcnb  verblieben,  fo  gefd)al)e  es>  bod),  baf; 
ibren  ftreng  fircblicbcn  Tonarten  biefeS  ©epräge  entzogen  mürbe,  baf?  man  fte  in  eine  neue  ©cjklt  umbilbete, 
bie  pvar  bie  allgemeinen  Umriffe  ber  alten  nod)  erfennbar  an  ftd)  trug,  aber  ben  ©ingmeifen  meltlicber 
l'ieber  nunmehr  genähert  erfd)ien. 

Sil  fotd)en  äkrf)älrniffen,  mie  mir  fie  ju  entmideln  gefirebt,  ftanben  ber  alte  lateinifdje  .Kirchen* 
gelang,  bas  beutfcbe  geiftliche  Sieb,  ber  S3olfs>gefang  beö  bcginnenben  lOten  3ai)rf)unbertö  einanbcr  gegem 
über.  2Bie  nun  biltete  aue>  biefen  ©runblagcn,  au3  ben  barin  verborgenen  2eben§feimen,  ber  neue  evan= 
geliicbc  Äird)engefang  ftd)  hervor?  £>iefe§  jur  2(nfd)auung  ju  bringen,  ift  bie  Aufgabe  ber  nun  folgenben 
DarfteUung. 


3tt)etter  Slfcfdmttt. 

£)w  alreüen,  unrvungltcf)  geifiücfyen  l'iebroeifen,  auS  bem  ersten 2>at)v$et)enb  bei \fth$em>ei6effeiung. 

1517  —  1527. 

ffias  mir  als  Quellen  be£  evangelifeben  .Rirchengefangcö  juvor  bezeichneten,  mürben  mot)l 
Manche  eher  feine  ©runblagen  nennen  mögen,  mie  mir  eö  eben  getban.  ©einer  S5efiimmung  jufolgc, 
als  geiftlicber  83olf5gefang,  mupte  er  ftd)  lehnen  an  jene  ©ebiete,  bie  mir  burchmanbelten ;  um  beS  itird): 
liehen  millen,  an  bas?  von  ber  Äird)c  ©eheiligte,  ober  bod)  nid)t  ©emifjbiUigte ;  ber  5>olBmd^igfeit  megen 
an  bie  S£öne  beö  unbercuf3ten  .KunfttriebeS.  2lu§  innerer  iftothmenbigteit  fanb  er  ftd)  gebrungen,  ba§  auf 
jenen  ©ebieten,  auf  bem  einen  boppelgeftaltig,  ©emachfene,  jtt  entlehnen,  ftd)  anzueignen,  ©o  baute  fieb 
basi  9teue  auf  über  bem  'Gilten,  als  feiner  ©runblage,  ba3  2Berbenbc  über  bem  ©emorbenen. 

Allein  es  tonnte  bod)  nid)t  ein  blofkö  Entlehnen  genügen  in  bem  vorauSgefefcten  ©inne.  ©d)on, 
fofern  es  ben  alten  lateinifd)en  Äirchengefang  in  Anfprud)  nahm,  ein  von  'tfltcrS  tjer  Übertragenes*,  in  einer 
entlegenen  3eit  SSurjelnbes,  ergab  ftd)  bie  9cot()menbigfeit  eines?  umbt  Iben  ben  2lncignens>,  bamit  ben 
Sorberungen  ber  ©egenmart  unb  zuntal)!  bcr  SSolförnäpigfcit  genug  getban  merbe.  £)ajit  famen  bie 
tfnfprücbe  ber  in  AuSbilbung  ber  Äunft  bes  SonfaljeS  rafd)  fortfd)reitenben  3eit.  @in  Äird)engefang 
für  bie  ©emeine  follte  gefchaffen  merben,  aber  nur  ©cbmarmgeifier,  felbft  biefen  ju  vermerfen  geneigt, 
tonnten  alle&unft  aus  ber  gereinigten  Äirche  ©ottes  verbannen  mollen.  2Mc  heilige  Sonfunft  jumahl, 
bie  fo  reich  unter  bem  ^apfttbume  aufzublühen  begann,  follte  burd)  ba$  ©vangelium  nid)t  ju  S3oben 
gefd)lagen  merben.  Umbilbenb  verfebmolz  ber  in  bem  SBolfsgefange  oormattenbe,  melobifd)  =  rhpthmtfd)e 
S3eftanbtheil  bem  alten  Äird)engefange ;  burchbilbenb  mirftc  bie  aufblühenbe  Äunft  ber  Harmonie,  bie 

16* 


  124   


JBcbcutung  beS  SSKelobifcben  crft  völlig  jur  tfnfcbauung  bringend  bte  freiere,  bewußtere  Entfaltung  beffelben 
hervorrufcnb,  bcgünftigcnb.  Sie  Sl)ättgfeit  beS  ©ängerS,  be§  ©e^erS,  reichte  in  biefem  ©inne  ftd)  bie 
£anb;  baö  bis  babin  ©cmorbene  erfd)ien  in  neuer,  frud)tbarer,  belebenber  33e$iet)ung,  als  eine  reiche 
£luelle  für  bie  ©cbövfungcn  ber  ©egenwart,  bem  SBetbenben  inniger,  lebenbiger  verwanbt,  als  wir 
es  mit  bem  SBortc  ©runblage  auSjubrücfcn  vermöd)ten. 

©o  ift  nid)t  nur  bcr  Warne  Quelle,  ben  wir  gewählt,  fonbern  auch,  bie  Tlxt  ber  bisherigen  Sar= 
ftcllung  gerechtfertigt. 

Sie  bilbcnben,  befrud)tenbcn  33eftanbtl)cile  unferer  Quellen  erf)etfd)ten  eine  längere,  bei  ifmen 
aufmerffam  verweilenbe  Betrachtung.  Sie  günfheit  ber  ©runbtonreihen  beS  alten  ÄircbengefangeS,  gegen= 
iiber  ber  3wetbcit  jener  3?eiben  in  bem  SSolfSgefange;  bie  9Jiannid)falttgfeit  ber  bid)terifd)en  Süiaafje,  ber 
muftfalifcbcn  9ffn)tl)men  biefeS  legten,  im  ©egenfa^e  ju  ber  rl)ptbmifct)en  Sürftigfeit  ber  jenem  erften  mU 
lehnten  ©efänge,  burfte  nicht  vorübergebenb  abgel)anbelt  werben.  S5efd)rdnfte  bie  ©inwirfung  beS  älte< 
ren  lateinifd)en,  wie  beutfchen  ÄirchcngefangeS  ftd)  jumeift  auf  bie  früheren  Seiten  beS  neuen  evan= 
gelifchen  ßboraleS,  fo  war  bie  beS  SSolfSgefangeS ,  mehr  ober  minber  bewußt,  eine  burd)  bie  erften 
beiben  S«hvh«nberte  ber  .Kird)cnverbcffcrung  fortbaucrnbe,  unb  eS  erfd)ien  nothwenbig,  fte  im  3ufammen= 
bange  ju  betrad)ten,  ber  "tfnfd)aulid)feit  wegen  fowohl,  als  beS  mannigfaltigen  ©inneS,  in  welchem  fte 
hervortrat.  Ser  Einfluß  beS  älteren  Äird)engefangeS,  wie  beS,  ben  Seiten  ber  Äirchenverbefferung  näher 
jiehenben,  beruhte  aber  nicht  allein  auf  ber  Shätigfeit  beS@ängerS,  fonbern  auch  beS  burchbilbenben, 
bie  23ebeutung  beS  9EJZ e lo b i f cb  en  mittelbar  immer  mehr  jeitigenben  ©efe  er  S;  aud)  beffen  33eftrebungen 
waren  baher  auf  biefem  ©ebiete  näher  ju  erwähnen,  fofern  fte  auf  mittelbare  ober  unmittelbare, 
umbilbenbe  ober  neubilbenbe  melobifd)e  ©d)ö»fung  einwtrften.  9lur  baSjenige  burfte  ber  21bf)anblung 
von  ben  ©efcern  ber  6()oralweifen  vorbehalten  bleiben,  waS  baju  btente,  baS  eigentümliche  33erbienjt 
jener  Sfflänner  auSfd)lie^enb  jur  21nfd)auiing  ju  bringen,  ben  gortfchritt  ber  Äunft  beS  SEonfa^eS  an  ihren 
SBerfen  barjulegcn. 

Sn  jenem  Um=  unb  Surd)bilben  bahnte  bie  unmittelbar  fd)böferifd)e  Shätigfeit  auf 
bem  ©ebiete  beS  ßhoralgefangeS  ftd)  an,  ju  bereu  Betrachtung  wir  nunmehr  fortfd)reiten.  Sod)  ift  bamit 
nicht  gefagt,  baf?  fte,  ber  3eitfo(ge  nad),  überall  bie  fpätere  gewefen,  fonbern  nur,  baf?  ihr  gortwachfen  an 
Umfang  unb  SJeid)tl)um  burd)  S5etbeS  auf  baS  ©ebeihlid)jte  gefbrbert  worben,  nad)bem  bie  Äird)enverbeffe= 
rung  für  getftlichcn  ©efang  ber  ©emeine,  geheiligten  SSolfSgefang,  eine  tiefe,  bauernbe  SSegcifterung  gewecft 
hatte.  Senn  bie  S£l)atfacl)e  eines  vor  ber  Äird)enrcintgung  bcftel)enben  beutfchen  geglichen  ©efangeS,  ber 
bie  Anfänge  unfereS  evangelifd)en  ßboraleS  in  ftd)  fd)lieft,  liegt  gefd)id)tlid)  juSage,  unb  in  ihr  baS  Saferen 
einer  unmittelbar  fd)övferifd)en  Shätigfeit,  ehe  überhaupt  nod)  eine  umbilbenbe  hervorgetreten  war.  Sie 
ftrud)t  biefer  S()ätigfeit,  wie  fte  fd)on  Aufgabe  geworben  war  für  bie  burchbilbenben  SSeftrcbungen  beS 
SSonfefcerS,  hat  uns  nur  fo  eben  befd)äftigt.  Siefen  älteren,  beutfchen  Äird)engefang  werben  wir  ftetS  eher 
©runblage  alS  Quelle  unfereS  evangelifchen  ßt)oraleS  ju  nennen  Ijabm.  SBaS  er  bemfelben  als  bilbert; 
ben  SSejianbtheil  l)injubrad)te,  bie  günfheit  feiner  ©vunbtonrcil)ett,  empfing  biefer  wcfentlid)er,  wirffamer, 
burch  ben  alten  lateinifchen  Ätrchengefang,  ber  bie  5£l)ätigfeit  beS  ©ef^erS  unb  jumaf)l  bie  umbilbenbe  beS 
©ängerS  fo  viel  lebenbiger  in  'tfnfvrud)  nal)m.  Senn  rul)te  biefe  lefcte  aud)  feineSwegeS  gänjlid)  bei  bem 
älteren  beutfchen  geglichen  ©efange,  fo  ift  boch,  —  bie  Umbtlbung  älterer  baf)tn  gehöriger  £ i e  b er  nicht  flu 
erwähnen,  von  ber  hier  bie  9?ebe  nid)t  ijt,  —  neben  jenen,  örtlichen  SSeränberungen  ber  tird)lid)cn  ®runb= 


  125   


tonart  freier  Seifen  tiefer  'äxt  nur  ein  gall  berannt  »on  gänzlicher  Umfcfyaffung  einer  folcben,  mobureb.  Die 

{Beibehaltung  ber  iirfprünglicbcn  SDRelobie  neben  ber  umgebilbeten  jebod)  nicht  ausgefcfyloffen  mürbe.  Grs 

ift  bie  alte  Singrocife  bes STfterlietes :  „(Sfirifi  ift  erjtanben"  gemeint,  unb  bie  ifjr  gegenüberftebenbe  bes 

luthertfehen :  ,,G>hrift  lag  in  Sobesbanben."  Die  SBeife  bes  älteren  beutfeben  geijtlicfyen  Siebes  ent= 

lehnte  femer  auch  nicht  bie  -Diaaße  bes  83olfsgefanges  j  mir  rennen  —  fofern  fte  nämlich  in  unferem  @bo-- 

rale  fortlebt  —  nur  jmei  in  ihr  u-orfommenbe  Stropbenarten,  bie  ben  in  jenem  »orfommenben  nahe  flehen; 

feine  eigentümlichen,  rbutbmifcb  -  muftfalifeben  93eftanbtf)eile  maren  ihr  fremb.    ©ie  biente  ber  TluZbiU 

fcung  bes  neuen  ßhorals,  fofern  fte  bie  bilbenben  äSejtanbtbeile  bes  alten  lateinifchen  in  einer  ©eftalt  in  fid> 

fchlofj,  bie  bureb  93cannichfaltigfeit  ber  SKaape  unb  beren  'iTnorbnung  bem  SSolfsliebe  näher  gefteUt  mar. 

'2fllerbings  ift,  menn  ber  Sßolfsmeife  gegen  ben  alten  Äircb,  engefang  ein  größerer  9teid)tf)um  bierin  beigemeffen 

mirb,  von  einer  SSergleicbung  terfelben  mit  antifen  Süiaafjen  nicht  bie  9febe,  unb  fann  es  nidjt  ferm, 

meil  bas,  mas  ber  neue  ßboral  aus?  bem  alten  lateinifcben  aufnahm,  entmeber  an  ungebunbene  Stete  ge= 

fnupft  mar,  ober  nur  an  ein  einjiges,  eben  bas  einfachste,  tambifdie  SEßaafü.   Allein  ber  neuermachten, 

lebenbig  eingreifenben  Sbätigfeit  bes  beginnenben  16ten  ^afyrbunberts  blieben  auch,  jene  9Eftaafje  bes 

'tfltertbums,  unb  ber  Sieicbtbum  ihrer  Sibwtbmen  feinesmeges  fremb.    Sftan  verfugte  ir)re  ^Betonung,  man 

manbte  fte  an  auf  gcijtlicben  ©efang,  ber  jeboeb,  ohne  inberÄircbe  b  eimifcb,  ju  merben ,  jumeift  in  ben  • 

©renken  ber  Schule  blieb,  unb  auf  ben  jtirebengefang  nur  einen  mittelbaren  dinflup  übte,    tfueb  baoon 

foll  gehörigen  £rtes,  unb,  fo  viel  es  thjunlid)  ferm  mirb,  im  3ufammenbange  gehanbelt  merben. 

$ier  mirb  uns  junäcbjt  obliegen,  in  bem  erjien  Sabrjebenb  ber  Äirch,enuerbefferung  bas  33erf)ältnit3 
pi  erforfchen,  in  melchem  bie  febbpferifebe  Sbätigfeit  in  Grrftnbimg  neuer,  getftlicberüiebmeifen  gejtanben  habe 
ju  bem  um=  unb  burchbilbenben  entlehnen;  mobei  mir  jugleidi  merben  in  "tfebt  ju  nehmen  baben,  meinem 
ber  brei  zuvor  betrachteten  ©ebiete  bas  6'ntlebnte  jumeift  angehört  habe.  2Sot)l  fonnte  Manches,  bas  mir, 
emft'gen  $orfcbcns  ungeachtet,  aus  Langel  näherer  Stacbricbt,  jefct  als  neues  ©rjeugnip"  biefer  3eit  bejeiebs 
nen,  bennoeb  funftig  als  (Entlehntes  erfebeinen;  boeb,  barf  bie  ÜKeglid)feit  eine»  folcben  ©rgebniffes  unfere 
Arbeit  nicht  hinbern.  Scmebr  mir  bie  eigentümlich  geftaltenben  S3cftanbtbctle  bes  alten  Äircbengefanges, 
Der  a?clfSmelobte,  in  ben  Singmeifen,  bie  mir  in  ben  älteften  Denfmablen  biefer  3eit  antreffen,  wfcbmol* 
jen,  je  meniger  mir  fte  vereinzelt  fmben,  um  fo  mehr  merben  mir  biefe  SBeifen  als  bamals  neugefebaffene 
anfeben  müffen,  menn  fte  als  entlehnte  nicht  nadijumeifen  finb,  unb  faum  bürfen  mir  fünften  bierin  ju 
irren.  Die  Durcbbilbung  biefer  neuen  SSeifen  mirb  uns  bann  in  ber  folgenben  Unterfucbung ,  über 
Deren  ©efeer,  befebäftigen. 

Sn  bie  SJlitte  unferer  gegenmärtigen  ^Betrachtung  merben  mir,  als  älteftes  unb  bebeutenbjtes 
Denfmabl  bes  eoangelifchen  üboralgefangeS ,  bas  ©efangbud)  Sobann  -©alters  vom  Sabre  1524  ju 
ftellen  baben.  9Kan  b,at  fein  Dafepn  bisher  aus  anfebeinenb  triftigen  ©rünben  bejmeifelt,  allein  es  fleht 
als  eine  SSbatfache  feft.  Die  Äbnigl.  Jßibliotbef  ju  München  erfreut  ft'cb  eines  fo  mertfmoUen  S3eft^es 
(Rar.  I.  4.  6"  Cimel.),  menn  auch  nicht  bes  ooUftänbigen,  benn  nur  bieSenor=  unb  Safjfiimme  finb 
»orbanben.  Das  erjte  S3latt  beiber  h,at  eine  in  £ol$  gefebnittene,  breite  ^infaffung;  oben  erblicft  man 
blafenbe,  unten  fingenbe,  geflügelte  Grngelsropfe,  an  ben  Seiten  laufen  ^(rabesfen  bin.  Snnerl)alb  biefer 
einfaffung  (lebt  in  ber  Senorftimme :  ©eifllich^e  gefangf  | buchlepn  |  TENOR.  |  2Bittenberg  Wl.  D.  iiij, 
bureb  einen  feltfamen ,  vielleicht  im  Verfolge  bes  Drucf es  erft  erfannten  unb  oerbefferten  ©a^feljler ;  bie 
©runbftimme,  nur  als  BASSVS  bejeichnet,  trägt  bie  richtige  Sahrjahl        D.  rriiij).    @s  mieberholt 


  126   


ftch  hier  auf  ganj  ähnliche  äöeife,  was  bei  einer,  bem  2Balterfd)en  ©efangbucbe  in  bemfelben  3<*b"  »or: 
angegangenen  ßteberfammlung  fieb  jutrug,  bie  bei  ihrem  bürftigen  Inhalte  —  ft'e  enthalt  nur  acht  Steter  — 
ihr  freilich  nicht  v»erglid)en  werben  barf.  Sie  führt  ben  SEitel:  „etliche  (5l)rtftttd)e  Speber,  Sobgefeng,  unb 
9>falm,  bem  reinen  wort  gortS  gemefi,  auf?  ber  beiligen  gfd)rift  bureb,  mancherlei)  .£>ocbgelarter  gemacht,  in 
bei  Theben  51t  fingen,  rote  eS  bann  jum  tail  berant  ju  Söittemberg  in  pebung  ift."  2113  Srucfort  ift 
Wittenberg  angegeben,  unb  ber  eine  ber  beiben  bapon  porbanbenen  Srude  bat  baneben  bie  SahrjabJ 
SR.  T.  X.  iiij,  ber  jwette  richtiger  1524;  benn  baft  Sutber  febon  jeb,n  Sabr  por  biefem  3etrr>unfte  bie  vier 
c-eutfeben  lieber  gebiebtet  haben  foüte,  welche  lu'er  als>  bie  feinigen  mitgeteilt  werben,  ijl  eben  fo  wenig  ju 
glauben,  als  bafj  er  nod)  jeb,n  Sabre  juoor  mit  3ob,ann  SBalter  ein  geijtltcfyeS  ©efangbueb,  foüte  herauf 
gegeben  haben,  grüber  inbefj  a(S  SßalterS  ©efangbuef  ft'nb  ohne  3n>eifet  biefe  acht  Sieber  erfd)ienen,  unb 
eben  fo  auch  jwei  anbete  Sammlungen  geiftlidjer  ©efdnge.  Hillen  biefen  Sruden  fehlt  bie,  bei  gleichzeitigen 
ober  altern  fenft  neben  ber  Sabrjahl  oft  beigefügte  Angabe  Pon  bem  Sage  ber  SSoIlenbung  bc§  SrudeS,  wir 
haben  alfo  baran  hier  fein  ficb,ere§  .Kennzeichen  ber  9fei()efolge  if)ree>  (SrfcbeinenS.  2fUein  man  roufjte  ba= 
male  gewifj  allgemein,  baf?  fintier  eine  Sammlung  geiftlicher  lieber  vorbereite,  bafj  Sohann  SBalter,  ber 
gefcbatjte  Sonfefcer,  ibm  babei  jur  £anb  gehe;  »tele  feiner  Sieber  roaren  febon  im  ©ebraueb,  SJcelobieen 
nxtren  rar'üv  notbwenbig,  unb  eS  mochte  angemeffen  feb, einen,  biefe,  obne  tunftlicben  £onfa£,  neben  ben 
Bietern,  fo  fiel  man  beren  habhaft  roerben  tonnte,  mitjutbeilen,  ju  allgemeinerem  ©ebraud),  unb  ju  wohl- 
feilerem  greife.  Dabei  follte  aber  aud)  bie  SßorauSfefcung  erregt  werben,  Sutber  felbft  habe  S£t>eil  an 
tiefen  Unternehmungen,  biefe  gingen  neben  feiner  größeren  b,ex,  beren  SSollcnbung  längere  3eit  erbeifebe 
bei  ben  Dielen  funftlicben  £onfä£en  SBalterS,  roelcbe  fein  33ucb,  begleiten  füllten,  fie  fei  barum  fo  fcrmell 
nicht  pi  erwarten.  Huf  biefem  3öcge,  unb  als  Vorgänger,  mögen  alfo  jene  fo  oiel  bürftigeren  Sammlun* 
a,cn  entftanten  fei>n.  3Ba§  bie  acht  Sieber  betrifft,  fo  ift  pollfommen  unmabjfcbeinlicb,  bafj  fie  mit  SutberS 
SSorwiffcn,  ober  gar  feiner  ©enebmigung,  ja,  baf3  fie  überall  nur  in  Wittenberg  erfdt)ienen  fenen.  £)enn 
biefe  Statt  erfebeint  auf  tem  SEitel  juerft  als  fremter  £)rt,  bennoeb,  wirb  fie  fpäter  al§  Srudort  genannt; 
Sutber  aber  unb  bie  Seinigen  bätten  eS  unfeblbar  perfebmabt,  mit  bem  SBeiworte  „met  .!pod)gelarte"  vor  ber 
23clt  ^u  prangen,  ©in  frember  Sruder  alfo  war  ee>  wobl,  ber  biefe  Sieber  ^ufammengerafft  hatte,  unb  bureb 
einen  anpreifenben ,  lodenben  Sitel  feinen  SSortbeil  ju  fiebern  hoffte.  @ine  gleidje  SBcwanbtnifj  wirb  eS 
mit  jenen  jwei  anberen  Sammlungen  gehabt  baben,  bie  im  Safere  1524,  beibe  ju  Arfurt,  obne  Angabe  beS 
Drutferä  erfebienen  unb  beibe  ben  £itel  „Grncb,  iribion"  führen ,  wie  fie  benn  auch,  beibe  ben  SBunfd) 
auöfprecben,  bafj  man  mit  ben  barin  enthaltenen,  ober  ihnen  gleichen  ©efangen  ,, bie  3ugenb  auferjichen 
möge."  Daö  eine  ift  „jum  febwar^en  ^)om,  bei  ber  Äremer  Druden"  gebrudt,  baä  anbere  ,,in  ber 
••Pcrmcnter  ©äffen,  ^u  ^erbex  gaf? ; "  beibe  enthalten  fünfunbjwanjig  Sieber,  ad)tjebn  SutherS,  fieben  anberer 
geiftlicber  Siebter,  unb  beibe  unterfcheiben  fieb  nur  baburd),  bafj  baS  erfigenannte  jehn,  ba§  anbere  clfSBeifen 
^u  Sutberö  Siebern  bat,  wogegen  jeneS  pier,  biefeS  nur  brei  ju  ben  übrigen  mittheilt.  Sie  Herausgeber 
cieier  ,,.bantbücblein"  nannten  fid)  nicht,  weil  fie  Unbefugte  waren,  unb  hatten  fie  auch  ben  Srutfort  im 
allgemeinen  richtig  angegeben,  fo  bezeichneten  fie  ihn  bennoeb  auf  unbcfHmmtc  2ßcife,  um  Perborgen  ju  Met* 
ben,  aber  auch  um  eine  Sbeilnabmc  Sutberö,  ohne  fie  ber  SBahrheit  entgegen  gerabehin  }U  behaupten,  bei 
fo  fdroanfenben  Angaben  cM  möglich  erfcheinen  ju  laffen.  Shncn,  ben  unpollftdnbigcren  Sammlungen, 
folgte  bann  baS  fo  piel  reichere  2ßalterfcbe  ©efangbud),  fd)on  beShalb  gewifj  baS  fpätere,  wol)l  erft  mit 
ÄuSgange  bei  >hreS  1524:  ber  berriebfame  ^)eter  Sd)öffer  brudte  eS  fofort  in  Strasburg  nad),  wo  eö 


  127  — 


unter  bem  Settel  erfcbien :  ®epftltd>e  ©fangbüd>ttn ,  (Srftlicfe  ju  SBtttertberg,  onb  »olgenb  burcfe  9>eter 
Scfebffern  getrudt,  im  jar  9Ji.£).rrt>.  2ln  bcn  oftlicfeen  unb  mejtltcfeen  ©renken  SeutfcfelanbS  »erbrettete  eS 
ftcfe  fcfencll  auf  biefem  SBege;  allein  aucfe  bie,  menn  gleicfe  unoolljtdnbigcren  Cjncfeiribien  blieben  nicfet  ofene 
9cacfemirfung.  Sie  roaren  bem  33ebürfniffe  eines  geiftlicfeen  SingebucfeeS  ofene  funftlict>e  £onfd|e  entgegen^ 
gekommen,  ber  größeren  Spenge  zugänglicher  unb  bequemer,  unb  »ielleicfet  rüJjrt  il)re  grofje  Seltenheit  eben 
bafeer,  bafj  bie  Auflagen  fcfenell  »erfauft  maren,  unb  eben  fo  burcfe  ben  ©ebraucfe  felbft,  bei  bürftiger  2tuS= 
ftattung,  balb  ju  ©runbe  gingen.  @ben  jenes  33ebürfni£  »eranlafjte  »oft!  baS  (Srfdjeinen  eineS  Singe= 
bucfeeS  ofene  meferftimmige  SEonfd^e  ju  Söittenberg  1525,  unb  in  bemfelben  Safere  dfenlicfecr  ju  Dürnberg 
unb  ju  83reSlau,  in  ber  9Jcitte,  an  ben  dufjerften  oftlicfeen  unb  meftlicfeen  ©renjen  SeutfcfetanbS,  fo  bafjt 
mir  biefeS  Safer  mit  9?ecfet  als  baSjentge  anjufefeen  feaben,  in  mclcbem  ber  beutfcfee,  eüangelifcfee  jtircfeem 
gefang  einen  recfeten  2luffcferoung  begann,  mie  benn  aucfe  in  eben  biefem  Safere  bie  erfte  beutfcfee  SJieffe  nacfe 
SutfeerS  unb  SBalterS  ülnorbnung  ju  Wittenberg  (am  29.  £)ftober,  ben  Sag  nacfe  Simonis  unb  Subd) 
oerfudbSmeife  gefealten  fenn  foll. 

SSon  jenen  acfet  Siebern  »om  Safere  1524  feaben  mir  an  btefem  -Drte  nicfet  auSfüferlicfeer  ju  fean= 
beln:  ift  ja  bocfe  in  bem  früfeeren  Tlbfcfenitte  jumeifi  fcfeon  »on  3fllem  bie  9?ebe  gemefen,  maS  btefe  menigen 
SBldtter  auSjeicfenet.  25aju  fommt,  bafj  mir  ju  acfet  Siebern  nur  fealb  fo  »iel  Singmeifen  erfealten.  Sie 
beS  2iebe§ :  ,,9cun  freut  eucfe  lieben  (Sferiftengmem"  gefebrt  ju  benen,  bie  gembfenltcfe  Sutfeer  jugefcferieben 
merben;  »on  ifer  roirb  ju  reben  fepn,  menn  fein  SSerbienft  als  Sänger  geiftlicfeer  SBetfert  unS  befcfedftigt. 
Sie  SBeife  beS  SiebeS:  ,,(§S  ijt  baS  $£t\l  unS  fommen  feer, "  feaben  mir,  all  maferfcfe einliefe  auS  bem  83olfS= 
gelange  ftammenb,  genannt,  unb  ndfeer  betraefetet:  fie  ift  feier  noefe  brei  Stebern,  nach,  bem  elften,  breü 
jefenten,  feunbert  unb ,breif?igften  $>falm,  angeeignet:  „2fcfe  ©ot  »om  ^nmmel  fnfee  barenn;  GrS  fßriefet 
ber  unmeif?  munb  mol;  2iuf  tieffer  Stot  feferen  iefe  ju  bir."  2?on  ben  übrigen  brei  Siebern  feat  baS  an 
ber  werten  Stelle  jtefeenbe  9)aulS  »on  Sürctten:  „$ilf  ©ort  mie  ift  ber  SCRenfcfeen  Stoffe  fo  grof?"  feier 
feine  SDMobie  beigejeiefenet;  baS  britte,  beffelben  SicfeterS:  „Sn  ©Ott  gelaub  iefe  baS  er  feat"  eine,  mit 
feinem  Siebe  langft  »erfcfeollene;  bte  beS  legten :  „Sn  Sefu  namen  feeben  mir  an,  baS  beft  baS  mir  ge= 
lernet  fean"  ift  um  fo  mefer  ju  übergefeen,  meil  fte  in  beiben  Sruden  feödift  fefelerfeaft  mitgetfeeilt  ift,  unb 
biefelbe,  ba  fie  niemals  ©egenftanb  fearmonifefeer  Surcfebilbung  gemefen,  noefe  fünft  irgenb  ein  erfeeblicfeer 
Umftanb  ftefe  an  fie  fnüpft,  eine  müfefame  Sßcricfetigung  niefet  lofent. 

3Balter§  ©efangbuefe,  in  fünf  Stimmbücfeern  gebrudt  (Diöfant,  3tlt,  Senor,  SSaganä,  Safj;, 
entfedlt  im  SEenore,  ber  bis  auf  jmei  gdlle  bie  ^)au»tmelobie  füfert,  ben  »ollftänbigen  Settel  beS  ©anjen, 
auf  ber  legten  Seite  beS  Miltes  bie  S5emerfung:  Auetore  Ioanne  Waltero.  Sie  2lu§gabe  »on  1524  unb 
ber  £>rud  ScfebfferS  »on  1525  ftimmen  »bllig  überein,  unb  nur  brei  Sieber  feaben  eine  abmeiefeenbe  Stellung 
unb  3afel*).  Ser  ©efangftüde  finb  brei  unb  »ierjig,  fünf  lateinifefee  unb  ad)t  unb  breifjig  beutfcfee,  unter 
jenen  jmei,  unter  biefen  elf  fünfftimmige ;  bie  übrigen  bis  auf  jmei  breijtimmige  Sd^e :  ber  eine  über  bie 
SJielobie :  ,,5cun  freut  eucfe  lieben  ßferiftengmein, "  ber  anbere  über  bieSBeife:  Sefn§  SferijiuS  unfer  £eilanb, 
ftnb  fdmmtlicfe  ju  m'er  Stimmen.   Sn  biefen  acfet  unb  breifig  SEonfd^en  ftnb  jmei  unb  breifjig  geijtlicfee 


1524. 


1525. 


')  ©Ott  ber  SBatec  rcon  uns  bei.  34. 
3Btr  glauben  all  an  einen  ®ott.  35. 
6ö  ift  ba«  ^>eil  uns  fommen  t;cr.  36. 


35. 
36. 
34. 


  128   


Bieber  unb  ffinf  unb  Dreißig  baju  gcljbrmte  ©ingmeifen,  befranbelt.  Über  bie  SSKelobie  be§  Siebet  9tro.  9. 
ißluift  lag  in  SobcSbanben)  geben  bie  beiben  folgenben  Hummern  (10.  11)  noch,  jwei  »erfcfriebene  £onfä£c 
unb  oben  fo  ju  ber  SBcife  bc$  2fbenbmaf>IäliebcS :  „SefuS  GfrrifiuS  unfer  £eilanb"  (9iro.  23),  bie  nddjflc 
Stammet  (24)  noch,  eine  jroeite  33efranblung ;  bie  Siebet :  ,,£)urcfr  #bam3  gall  ift  ganj  oerberbt"  (16) ; 
„9hm  fmit  euch,  lieben  Gibrifiengmcin"  (14);  „3efu§  GfrriftuS  unfer  #etlanb,  ber  ben  Sob  übermanb" 
(31),  erfd>einen  unter  ben  ßafrlen  17.  15.  32  jebeS  mit  einer  jmeiten,  abmetefrenben  SfJMobie.  §3on  ben 
bienaefr  oorf  ommenben  35  SOielobieen  ftnb  brei  auö  altem  lateinifcfren  ßfroral  genommen,  bie  ber  2ieber : 
9hm  fomm  ber  Reiben  £eilanb  (Veni  redemptor  gentium,  üftro.  20);  ßfrrifium  mir  follen  loben  fefron 
(A  solis  ortus  cardine,  91ro.  21) ;  .Komm  ©oft  ©d)bpfer  freiliger  ©eift  (Veni  creator  Spiritus,  9i"ro.  33). 
3mei  geboren  n>at>rfdt>cinltd)  bem  SJolfögefange  an,  bie  ber  ßieber:  (S3  roolf  un3  ©ott  genäbig  fetjn  (12); 
(SS  ift  ba3  Speil  unS  fommen  frer  (36).  ©ieben  enblicfr  flammen,  jumeift  auch,  mit  ifrren  Stebern ,  au§ 
bem  älteren  beutfefren  £ird)engefange:  9?un  bitten  mir  ben  freiltgen  ©eift  (sJlo.  1.);  Äomm  freiliger  ©eijt, 
■Sperre  ©Ott  (2.);  bitten  mir  im  Seben  ftnb  (3.);  ©ort  fei  gelobet  tmb  gebenebeiet  (5.);  SieS  finb  bie 
beifgen  jefrn  ©ebot  (18.);  ©elobet  fem?  bu  SefuS  ßfrrifi  (22);  ©ort  ber  SSater  mofrn'  un3  bei  (34.). 
^)ieju  rönnen  mir  noch,,  al3  eine  Umbilbung,  bie  SBeife  bee>  lutfrertfcfren  2tebe§  rechnen:  ,,@frrift  lag  in 
SobeSbanben  (9.  10.  11.)  beren  Überfcfrrift:  „(Sin  ßobgefang,  ßfrrift  ift  erftanben,  gebeffert,"  in  ä$er* 
gleicbung  mit  ber  SDcelobie  biefeö  alten  DftergefangeS  beutlicfr  jeigt,  bajj  beibe§  au$>  biefer  früfreren  £luetle 
gefefröpft  fei.  Unter  35  SSKelobieen  fraben  mir  alfo  beren  bretjefrn,  niefrt  üiel  meniger  als  bie  £älfte  beS 
©anjen,  bie  mir  aß  entlehnte,  unb  jmar,  bem  grbfjeffen  Sfretle  nad),  au§  bem  älteren  beutfefren  £ir= 
cbengefange  entnommene,  ertennen  muffen.  SSon  allen  biefen  ift  fefron  juöor  auSfufrrlid)  gel)anbelt  morben. 

Unter  ben  übrigen  ßiebern ,  mit  2fu3nafrme  beS  juttor  gebaefrten  2i"ufcrftefrung3gefange§ ,  rubren 
beren  elf  »on  ßutfrer  frer,  mit  bretjebn  DJMobieen*);  unb  aefrt  won  anbern  geiftlidjen  Sintern,  mit  neun 
©ingmeifen  (jefrn  SEonfäfjen)**).  (SS  finb  frier  »ornefrmlicfr  biefe  legten,  mit  benen  mir  un§  ju  befefräftigen 
fraben,  benn  SutfrerS  SSerfrältnif?  ju  ben  Anfängen  unfereä  (SfroralgefangeS  mirb  unS  ber  näcfrft  folgenbe  Tlh 
fcfrnitt  jeigen.  Socfr;  burfen  mir  bie  allgemeinen  SBejiefrungen  frier  niefrt  uorübergefren,  melcfre  alle  biefe 
22  SKelobieen,  bie  älteften  grücfrte  beutfefren  geiftlicfren  SiebergefangeS  naefr  ber  £ird)enwrbefferung,  un§ 
barbieten. 

SBetracfrten  mir  junäcfrft  bie  breijefrn  ©ingmeifen  lutfrerifefrer  Sieber  naefr  ifrren  ©runbton* 
arten:  fo  ft'nben  mir  barunter  jmei  pfrrr,gifcfre ***) ,  jmei  mirolpbifcfre f) ,  fecfrS  borifdfre ff)  unb  brei 


•)  2tuS  tiefet  Slotb  (4). 
Gin  neueö  Cieb  mir  fjeben  an  (0). 
2tc^  «ott  vom  Gimmel  fief)  barcin  (8). 
9tun  freut  cueb  lieben  Cljriftengmein  (14.15); 
gjeenfdj,  roiUtu  leben  fcliglicb,  (10). 
SBol  bem,  ber  in  ©otte  gurrte  fteljt  (26). 
SRit  ftrieb  unb  greub  (27). 
SBär  ©Ott  nic^t  mit  uns  biefe  3eit  (28). 
Qi  \vriijt  ber  Unrocifcn  9)funb  mof)l  (30). 
3efu6<5(jriftug  unfer  £ei(anb,  ber  ben  Zoo  überroanb  (31.  32). 
SBir  glauben  alt'  an  einen  ©ott  (36). 

")  Sein  armer  £auff,  7. 
Grbarm  bidfa  mein,  o  $crxe  ©ott,  13. 
Durch,  Äbam«  galt  ift  ganj  oerberbt,  10.  17. 


ScfuS  6l)riftu6  unfer  Jpcitanb  (3obann  puffen  Sieb),  23.  24. 

grötieb  trollen  roir  £alleluja  fingen,  25. 

^>crr  ehrift  ber  einig  ©ort«  ©obn  2C.  29. 

£ilf  ©ott,  roic  ift  ber  SKcnfcbcn  «Rott)  fo  groß,  37. 

3n  ©ott  gclaub  id),  3S. 

"')  9cro.  4.  2(ug  tiefer  5Rotl)  «. 

=    19.  59cenfcb,  mültu  leben  fcliglid). 
|)9cro.  32.  ScfuS  ßbriftuS  unfer  Jpcilanb,  ber  den 
SEob  2C. 

--   26.  2Bof)t  bem,  ber  in  ©otf«  gurefrte  ftebt  ic. 

(im  3!one  C  mit  oorgcjcicbnctem  b). 
II)  Sftro.  8.  2fd)  ©ott  r>om  Jpimmcl  ftcb  barcin  (nid)t 
bie  jefjt  gcmöbnlid)c)  im  Sonumfangc 
G  mit  corgcjcidjnetem  b. 


  129 


ionifcbe*);  feie  fird) ltd)en  SEonarten  tyaben  bei  ihnen  bemnad)  ein  entfd)tebenes>  Übergeroid)t.  2)a$ 
SKaajj  betreffend  fo  jeigt  fajt  bic  £älfte  (4,  8,  30,  14,  15,  28)  ba3  fo  beliebte  ftebenjeilige  iambifdje, 
bei  n>eld)em  eine  ad)t  =  unb  eine  ftebenfylbige  3etle  in  ben  erften  beiben  ^bfäljen  roecbfelt,  in  bem  legten 
eine  ftebenfplbige  Seile  ftd)  jroei  t>orangel)enben  adbtfylbigen  anfd)liefH.  Sroet  (9cro.  19.  26.)  fyaben  ba3 
»ierjeilig  >  ad) tfplbige ,  bem  33olf3gefange  eignenbe  5DZaafs ;  bie  fünf  anberen  befonbere,  tynen  jumeift  eigene 
tbümlid)  gebliebene.  SSon  rf)t)tbmifd)em  SEBecbfel  bei  ^Betonung  biefer  SOßaafje  finb  nur  bin  unb  roieber  ein- 
jdne  Buge  anzutreffen.  2Bir  ftnb  f)ienad)  berechtigt  von  ifmen  ju  fagen :  fte  cntftanben  jumeiji  unter  bem 
©influffe  beS  alteren,  beutfdjen  £ird)engefange$> ;  tl)eiln>eife  im  SDZaafje,  faum  merflid)  im  3if)t)tl)mu3 
geigen  fte  bie  Crinroirfung  ber  SSolfSroeife,  t>on  beren  roefentlid)  bilbenben  33eftanbtbeilen  fte  nur  oberflächlich, 
berübrt  vourfeen. 

£ie  neun  ©ingroeifen  ju  ad)t  giefeern  anberer  geifrlid)er  Stüter  jener  Seit  jeigen  unö  df>nltd)e 
5ßerl)ättniffe.  £)en  ©runbtonen  jufolge,  ftnb  e§  bret  pf)n)gifd)e**),  eine  mirolt)feifd)e***),  brei  borifctjef),  jroei 
ionifcbefr);  aud)  f)ier  alfo  waltet  bie  ftrcr)ltcr;e  Sonart  oor.  $olf3tbümlid)c,  ober  bod)  ifjnen  nal)e  fkbenbe 
SJlaafse  fommen  l)icr  läufiger  t>or.  3n  jroei  fallen  (bei  9lro.  16.  17,  ben  jroei  SJielobieen  be§  £iebee>: 
£>urd)  'tfbamS  gall  ift  ganj  üerberbt)  erfd)eint  bie  gangbarjte  ©tropl)e  be§  S3olf3gefange§ ,  bie  achtteilige 
iambifcbe,  in  regelmäßigem  SBecbfet  acht  =  unb  ftebenfytbiger  Seilen;  in  einem  anbern  Salle  (bei  Sftro.  13. 
Erbarm  biet)  mein  o  £erre  ©ort)  eine,  berfelben  fet>r  ähnliche,  ad)tjeitige,  tambifeibe,  oon  burcbauS  acb> 
folbigen  3eilen;  bie  SKelobie  be$  Siebcö  „4?err  Gbttjt,  ber  einig  ©otteg  ©o^n" fd)lief3t  enblid)  ber 
ftebenjeiligen  Strophe  be3  33olf3liebe3  ftd)  an : 


9lro.  31.  ScfuS  (Stjrtftuö  unfer  £eilanb  (eine 
jroeite  ©ingrcetfe\ 
s   27.  SSKit  grieb'  unb  greub'. 
=    15.  5Run  freut  eud)  lieben  6f)riftengmein 
(eine  je$t  nid)t  meijr  übliche  ©ing- 
rceife). 

=   28.  2Bär  ©ott  nidjt  mit  uns  biefe  3eit. 
=   35.  SOStr  glauben  all'  an  einen  ©ott  it. 
')  9tro.  6.  ©in  neues  Sieb  reit  beben  an  it. 

'-    30.  ©6  fprtdjt  ber  Unreeifcn  9Kunb  reotjl  2t. 
■   14.  9cun  freut  eud)  lieben  ©fjriftengmein 
(bic  1524  fd)on  crfd)einenbe  SSÖeife 
bt'efeS  CiebeS :  bort  im  ©runbtone  F 
mit  Dorgeäeidjnctem  b ;  fjier  in  G.) 
*)   9tto.  17.  2>urd)  2tbamS  galt  ift  ganj  oerberbt  u. 


tt) 


(eine  fpätet  nidjt  metjr  oorEommenbe 
2Beifc). 

9lro.  13.  erbarm'  bid)  mein  o  £erre  ©ott. 
=     37.  £ilf  ©ott,  reie  ift  ber  SWenfdjen  SRotf) 
fo  gro£  it. 

SKro.  25.  grölid)  reotten  reir  TOeluja  fingen  je. 
9lro.  16.  £)urd)  2lbam§  gaü  (nid)t  bie  jefct  ju= 
meift  üblid)e). 
-    23.  (24  ein  jreeiter  SEonfa^)  SefuS  6l)riftug 

unfer  Jpeilanb,  ber  oon  uns  :c. 
=    38.  3n  ©ott  gelaub'  id)  (im  ©runbton  G 
mit  oorgejeic^netem  b). 
SRro.  7.  Sein  armer  ^>auf. 

29.  ^err  ßljrift  ber  einig  ©Otts  «Sohn. 


^>crr  6f)rift  ber  einig  ©ott§  ©of)n. 


d.  aBinterfeli,  ter  toangcl.  S6oralg<fang 


  130   


„3cb  t>ort  ein  grdulein  flogen*), 
gürwafjr,  ein  weiblich  33ilb,  " 
unb  febr  nahe  fommt  bcrfelben  bie  jenes  anbern : 

„Sdb,  ftunb  an  einem  borgen**) 
heimlich  an  einem  £)rt," 

von  t-er  fie  nur  in  ber  fünften  Seile  abmeiert,  bie  bort  eine  ©plbe  mefyr  i)at.  3n  eben  biefer  ©ingweife 
tritt  aber  auch  ber  für  bie  SSolfSmetobie  bejetdjnenbe  rlwtbmifcbe  SBccbfel  auf  ba§  ©ntfehjebenfte  bewor, 
alS  baä  turcbaiiS  JBelebcnbe  unb  ©efialtenbe.  %t)xe  erfte  Seile  ift  geraben  SafteS;  buref;  einen  erweiterten 
trcitbeiltgcn  SNbptbmuS  get>t  fie  in  bie  sweite  über,  bie  nun  ben  ungeraben  SEaft,  borJb,  mit  ooranfteb,enber 
Äürje  beibehält:  in  ber  britten  unb  vierten  wieberbolt  ft'db,  baS  gleiche  SScrbältnifs.  §8on  ben  brei  legten 
Seilen  ift  bie  erfte  (fünfte)  geraben  SafteS ;  ganj  übereinftimmenb  ber  beginnenben  be§  erften  3tbfa^e§  gcf>t 
fie  in  bie  jweite  (feebfte)  über,  bie  wicberitm  ungeraben  Saft,  boer;  mit  twranftebenber  Sänge  jeigt,  unb 
tiefe  finbet  abermals  bureb,  breitbeiligen,  erweiterten  3il)t)tf)mu§  ben  Übergang  in  bie  ©cblufijeile,  meiere 
mit  ber  beS  cr|tcn  JCbfafceS  imSBau  übereinftimmt.  Siefen  rfrotbmifcben  SBau,  fo  wie  einige  SBenbungen  be§ 
©cfangeS  verbanft  fte  ber  SBcife  beS  juerfi  genannten  33olf§tiebeS ;  einer  einjelnen  ©teile  beS  julefct  gebad)= 
ten  vteücidH  ibre  erfte,  bebetttfame  SEftobulation.  Tille  biefe  ^nflänge  finb  aber  lebenbtg  in  tt)r  ücrfcbmoljen, 
fte  ift  ein  ganj  9ceue3  geworben,  unb  beSbalb  ftel)t  fte  mit  9fed)t  tn'er  unter  ben  urfprünglicb  gei|tlict)en 
9Relobteen  ber  frübeften  JftcformationSjcit.  Sei  allen  übrigen  9Kelobieen  erfetjeint  bin  unb  wieber  ein  ein= 
feiner  3ug  einer  ähnlichen  ©lieberung,  nirgenb  aber  eine  gleich,  folgerechte  ©urcbfüfnamg  berfelben. 

9ficbt  alle  biefe  22  ©ingweifen  ju  ßutberS  unb  3lnberer  ßiebern  haben  ft'ch  bauernb  in  unferm 
evangelifeben  Ätrcbengefange  erhalten;  nur  etwas  über  bie  £älfte  aller,  breijebn  im  ©anjen,  unb  jwar 
von  jenen  neun,  oon  biefen  Bier,  fmb  noch;  jefct  üblid).  £er  lutherifeben  juerft  ju  gebenfen,  fo  madjte  bie 
in  ©alters  ©efangbuebe  mitgetheilte  borifebe  SBeife  beS  SiebeS:  „tfcb  ©Ott  oom  £immet  fteb  barein" 
balb  ber  befannten  pbrpgtfcben  Sfaum;  bie  beS  ©efangeS  won  ben  jween  Zarterem  5U  S5rüffel  „(Sin  neues 
Sieb  mir  heben  an,"  oerfebwanb  mit  biefem,  einem  bloßen  ©elegenheitSltebe,  baS  nur  im  «Beginne  ber 
Äircbenuerbcfferung  lebhaft  ergreifenb,  als  jtircbenlieb  füäter  nidbt  mebr  an  feinem  £>rte  mar:  an  bie  ©teile 


")   M.  3d)  (lört  ein  gräulein  fragen  ic. 


"')   III.  3d)  ftunb  an  einem  borgen  ic. 


  131 


ber  beiben  ©ingweifen  beö  £)fterliebeö :  ,,3efuS  ßbnftuS  unfcr  Jpeilanb"  trat  balb  eine  britte,  borifdje, 
allgemeiner  anflingenbc;  bie  jmeite,  borifd)e,  be$  £tebee> :  ,,9?un  freut  euer;  lieben  Gjfyriftengmem"  erfd>eint 
fyäter  ntd>t  wieber,  unb  bürfte  wohl  ausfchtiefjenb  in  ben  älteften  Ausgaben  beS  2Batterfd)en  @efang= 
buchet  anzutreffen  fepn.  Sie  ßieber  anberer  geiftlicfyer  Sichrer  betreffenb,  fo  ftnb  unter  ihnen  biebrei: 
Sein  armer  £auff;  £ilf  ©ort,  wie  ift  ber  9Kenfd)en  SRotfr  fo  gro£;  3n  ©ort  gelaub  ich  ic.  (7.  37.  38.) 
balb  au§  bem  jtirdjengefange  »erfdbwunben  unb  ihre  SJWobieen  mit  iljnen,  ba  ju  bem  SKaafje  jener  fein 
anbereS  Sieb  oorhanben  ift:  »on  ben  beiben  ©ingweifen  bes>  2tebes>:  ,,Surd)  'ZlbamS  Sali,"  bie  uns  tjter 
mitgeteilt  werben,  tjat  ftd)  feine  einjige  erhalten,  wenn  aud)  bie  borifd)e  noch,  in  ber  2lu3gabe  SBalterS  »on 
1551  erfd)eint:  nur  bie  ÜJKelobieen:  drbarm  bid)  mein,  o  Sgexre  ©ort;  grolid)  wollen  wir  'tftletuja  fingen; 
Sr>m  ßbrift  ber  einig  ©ott§  ©ofm;  3efu3  CEfjriftuS  unfer  4?eilanb,  ber  von  une>  ben  ©otteS  3orn  wanb, 
werben  nod)  jefct  ju  ihren  Biebern,  ober  anberen  gleichen  SftaafjeS,  gefungen.  Sagegen  haben  alle  tjter 
oorfommenbe,  au§  bem  lateinifd)en  (5t>oral,  bem  33olf§gefange,  bem  alteren  beutfehen  Äirchcntiebe  ent= 
lehnten  breijel)n  9Kelobiecn  ohne  Ausnahme  ftd)  unter  un§  erhalten.  Sae>  glücfltd)e  Aneignen  be§ 
früheren,  ba§  neue  (Schaffen  für  bie  Sauer,  galten  hienacb,  in  jenen  früfjeften  Seiten  einanber  r>oIIfom= 
men  ba§  ©teid)gewid)t.  3n  biefem  legten  tf)ut  jumeift  bie  bilbenbe  .Kraft  ber  fird)tid)en  Sonart  ftd)  funt>, 
weniger  bie  ber  rfn)thmifd)en  gülle  be3  33olf3gcfange§ ;  jwar  in  2tnbeutungen,  bod)  ein  einjigeö  9Jlal)l  nur 
eine  eigentümliche  SBlüthe  entfaltenb,  fonnten  wir  fte  wahrnehmen. 

Erwägen  wir  Snfjalt  unb  S3ejtimmung  ber  Sieber  aller  unferer  ©ingweifen,  ber  entlehnten,  wie 
neugefd)affenen ;  fo  tritt  ba§  geft  =  unb  ba3  9)  fa  Im  lieb  jumeift  unter  irrnen  b,erau§.  Ser  geftgefänge 
ftnb  jeb,n  mit  elf  ©ingweifen;  ber  ^Pfalmlieber  neun  im  ©anjen,  —  jufammengenommen  über  bie 
$älfte  aller.  Sie  geftmelobieen  ftnb  jum  grofjeftenSljeil  bem  alten  lateinifd)en  unbbeutfchenitird)engefange 
entlehnt:  auS  jenem  flammen  bie  ©ingweifen  ber  brei  4?pmnen  für  bie  3lbt»entäjeit ,  ba§  2Beif)nacht§  * 
unb  9)ftngftfeft :  3Run  fomm  ber  Reiben  #etlanb  ic.  (20;;  6r;rtfrum  wir  follen  loben  fd)on  ic.  (21);  Äomm 
©ott  ©d)twfer  heiliger  ©eift  ic.  (33);  aus>  biefem  bie  SDielobie  eine6  2Beirmad)te>liebe§  (©elobet  feofiu^efuS 
ßhrift  (22);  jweier  spftngftlieber  (Äomm  heiliger  ©eijt,  #erre  ©ott  ic.  (2) ;  <ftun  bitten  wir  ben  heiligen 
©eift  :c.  (1)5  eines  ©efangeS  auf  ba3  gefi  ber  heiligen  Sreieinigfeit:  ©ott  ber  SSater  wohn  uns  bei,  (34), 
woju  wir  benn  aud),  aB  eine  Umbilbung,  bie  bes>  lutherifd)en  Stebeö  ,r(5f)rifi  lag  in  SEobeSbanben"  (9. 
10.  11.  (in  brei  SEonfä^en)  werben  rechnen  müffen.  sJcur  brei  geftmelobieen  bleiben  htenad)  übrig,  al§  nad) 
ber  Äirchenverbefferung  gefdbaffene,  bie  jwei  be§  £?fterliebe§ :  Sefuö  ßhriftug  unfer  ^eilanb  (31.  32)  unb 
bie  beS  £obgefange3  ©imeon§  für  ba§  geft  ber  Reinigung  SEJcarid,  ober  Sarbringung  G>l)rifti  im  Sempel 
(27):  9Jiit  grieb'  unb  Jreub  td)  fahr'  bahin,  üon  welchen  beiben  unter  ben  tutf)enfd)en  ju  hanbeln  fepn 
wirb,  ©ollte  e§  befremben,  unter  biefen  Siebern  feinS  ju  finben,  baä  t?on  ßh^ifti  ßetben  unb  Sob  auä= 
fd)lie^enb  hanbett,  alfo  aud)  feine  $)affion3melobie:  fo  ift  ju  erwägen,  baf?  eben  bie '2luferftehung§= 
lieber  2uther§  fräftig  gegrünbet  ftnb  auf  ßbtiftt  Sob,  fofern  barauä  ein  neueö  ßeben  ber  ©nabe  unb  @rlb; 
fung  entfproffen  ift.  3n  biefem  ©inne  fingt  er : 

@f)rift  lag  in  £obe3banben 

gür  unfre  ©unb'  gegeben 

dir  ift  wieber  erftanben 

Unb  hat  un§  bracht  ba3  geben; 

unb  ferner : 

17* 


  132 


£a  bleibt  nid)ts  aU  Sobö  *  ©ejtalt 
£)en  «Stapel  f)at  er  verloren; 

enblid) : 

ߧ  war  ein  wunberlid)cr  Ärieg 
25a  SEob  unb  geben  rungen, 
£>aö  geben  behielt  ben  ©ieg 
@s  l)at  ben  £ob  üerfd)lungen. 
Siefe  legten  Seilen  ft'nb  auf  SSBorte  ber  alten  £>fterfequenj  „Victimae  paschali"  gegrünbet:  Mors 
et  vita  duello  conflixere  mirando  etc.,  bie  tf)m  befonbers  wertf)  waren,  wie  er  benn  tton  il)nen  rül)mt : 
,,@S  babe  (tiefen  fd)bnen  ©cfang)  gemacht,  wer  ba  wollt,  fo  mufj  er  einen  l)ol)en  unb  d)rifttid)en  SBerftanb 
gebabt  baben,  bafj  er  btesJBilb  fo  fein  artlid)  abmalet,  wie  ber  SobbaS  geben  angegriffen,  unb  ber  Teufel  aud) 
mit  auf  ba?  geben  jugejrocfycn  Ijabe."  @o  fingt  er  benn  aud)  in  bem  jweiten  unferer  2luferftel)ungslteber : 
SEob,  ©unb,  Teufel,  geben  unb  ©nab 
2fll6  in  #anben  er  l)at 
dx  fann  erretten 
2flle  bie  ju  tym  treten 
unb  alle  biefe  9J2ad)t  fommt  tf)m,  weil  er  ijl 

3efus>  @f)rijru5  unfer  ^jeilanb 
S5er  ben,  Xoo  überwanb. 
£>as  geben  in  unb  aus  bem  Sobe  war  bas  gofungswort  jener  Seit,  bafyer  in  ifjren  getftltd>en 
giebern  auch,  bas  geiben  unb  bie  'tfuferfiefyung  meift  jufammenfd)moljen,  unb  bem  .Ipalleluja  bes  £)fterliebes 
fid)  ftets  bie  ernfte  gdrbung  bes  ^affionsgefanges  beimtfd)te. 

Stammt  bas  geftlieb  unferer  Sammlung  unb  feine  ©ingweifen  jumeift  aus  bem  alten  Äird)en= 
gelange,  fo  iji  bas  ^»falmlieb  bagegen  ausfd)liefknb  eine  grud)t  jener  Seit/  unb,  bis  auf  einen  gall,  aud) 
feine  9Jielobie;  fofern  nämtid),  —  wie  wir  biefes  ju  jeigen  gefügt,  —  bie  altefte  SEBeife  bes  $)falmliebes 

@s  wollt'  uns  ©ott  genäbig  fepn, 
weld)e  fpäter  bem  Äatedjismusliebe :  „ßfyrift  unfer  .Iperr  jum  Sorban  fam,"  angeeignet  würbe,  aus 
fem  SSolfsliebe  flammt.  '.Kufjer  jenem  Siebe  gutfyers  über  ben  (>7jten  ^falrn  (Deus  misereatur  nostri),  bas 
balb  nachher  aud)  eine  eigene,  if)tn  bis  auf  unfere  3eit  gebliebene  SKelobie  gefunben  (jat,  unb  nur  bier  jene 
entlehnte  jagt,  giebt  uns  SBalter  fünf  lutf)erifd)e  «Pfalmlicber : 
3lxo.  4.    2lus  tiefer  «Roth,  (9)falm  130). 

=     8.   2td)  ©ott  vom  Gimmel  fiel)  barein  (IPf.  11). 

30.    @s  f»rid)t  ber  Unweifen  9Jtunb  ($f.  30). 
=   26.   5Bof)l  bem,  ber  in  ©Otts  gurd)te  |tel)t  128). 
i   28.   2Bär  ©ott  nid)t  mit  uns  biefe  3eit  ($f.  124) ; 
cineö  von  ^)aul  ton  ©»retten : 

3lxo.  7.    Dein  armer  £auf  ($f.  10) ; 
eines  oon  Grbarb  £egenwalb : 

9lro.  13.    Erbarm  bid)  mein,  o  £erre  ©Ott  (^f.  51); 
unb  eines  entlief)  con  3obann  'tfgricola: 

3lxo.  25.    Srblid)  wollen  wir  £alleluja  fingen  ($f.  117); 


jebeS  mit  einer  eigenen,  früher  nid)t  »orfommenben  ©ingroeifc.  2Btc  fet>r  e§  Cutter  am  4?erjen  gelegen, 
bie  ^Pfalmen,  t>te  in  bem  ©otteäbienfte  ber  alten  .Ätrcfye  eine  fo  bebeutenbc  ©teile  einnahmen,  burd)  Sieb 
unb  ©efang  bem  23otfe  jugänglicber  ju  machen,  jeigt  fein  S3rief  an  ©eorg  ©palatin  oom  %at)xe  1524*),  in 
meinem  er  biefen  bittet,  ü)n  bei  folgern  SBerfe  ju  unterjtüfjen,  für  ba§  er  aud)  ben  Sodann  üon  Soljig  in 
tfnfprud)  genommen;  mie  »iel,  unb  mit  melden  9)litbelfem,  er  fdjon  bamalS  Sterin  Ijabe  leiten  fonnen,  lefjrt 
unfere  Sammlung.  3Bir  er!ennen  barin  bie  Anfänge  einer  3fid)tung,  bie  ftd)  fpdterbjn  fo  meit  verbreitete, 
unb  ortlid)  fogar  ben  Äird)  eng  efang  ber  @t>angelifd)en  auSfcfyliejjenb  bcl)errfcbte,  roie  biefeS  fünftig  im  3u- 
fammenbange  ju  jeigen  fetjn  mirb. 

giäcbft  bem  gefi  =  unb  bem  9)falmliebe  nimmt  ba§  Äatccbiämu6lteb  bie  bebeutenbfte  ©teile  ein  in 
unferer  Sammlung.  £>ie2Beifen  jmeier  Sieber  biefertfrt  flammen  au3  bem  alteren  beutfdjen  Äircbengefange : 
©ort  fei  gelobet  unb  gebenebeiet  (9lro.  5). 
2Me3  ft'nb  bie  ^eiligen  jetjn  ©ebot  ic.  (9lro.  18). 
Sie  beö  legten  ifloon  Cutter  bem  SEBailfafjrtSliebe :  „3n  ©otteS  tarnen  fabren  mir"  für  feine  neue  £>id)= 
tung  entlehnt ;  bie  t>ier  anbern  Sieber  fmb  ju  gleiten  Steilen  von  Sutl)er : 

g^enfeb,  milltu  leben  feliglicb,  (9cro.  19). 
SBir  glauben  all'  an  einen  ©ort  k.  (9lro.  35) 
unb  non  anbern  geijtlicfyen  Siebtem : 

SefuS  ßbnituö  unfer  £eilanb,  ber  von  un§  ben  ©otteS  Born  manb  k.  (9cro.  23.  24). 

3n  ©ort  gelaub  id)  ic.  (9tro.  38). 
Der  ©laube  (Stto.  35.  38),  ba§  beilige  Tfbenbmabl  (9tro.  5.  23.  [24.]),  bie  jebjr  ©ebote  (18.  19)  mer= 
ben  in  allen  je  jmeimabl  abgebanbelt.  3u  biefen  Sebrliebern  fonnen  mir  aud)  ba§  »on  ber  Rechtfertigung, 
bem  SScrbältniffe  be£  ©laubenS  unb  ber  SBerfe,  rechnen :  ift  ba§  Spül  un3  fommen  fyer  (Rro.  36)  unb 
ba3  won  ber  Grrbfünbe:  ,,£>urd)  2(bam3  galt  ift  ganj  t>erberbt"  (9lro.  16.  17),  ba  in  ibnen  fo  miebtige, 
bie  evangelifcbe  (Sinnesart  fo  bejeidwenbe  ©runblebren  abgebanbelt  roerben.  3met  SSetlieber:  ,,#ilf  ©Ott, 
mie  ijt  ber  9Jfenfd)en  9totb  fo  grofj,"  ,,^>err  ßfjrtft ,  ber  einig'  ©otteS  ©obn,"  ba§  erfie  mit  feiner  @ing= 
meife  balb  öerfdjollen,  ba$  jmeite  nod)  unter  un§  fortlebenb  mit  einer  ber  bebeutenbften  5öielobieen  feiner 
3eit;  unb  je  ein  ©elegenbeit3=,  Sob  =  unb  ©terbelieb  »ollenben  ben  Snt)alt  ber  Sammlung.  SeneS  erfie 
Sieb,  won'ben  jmeen  SKdrtprern  ju  SSrüffel,  ift  mit  feiner  SBeife  t>  erfd)  ollen :  ba§  Soblieb  „9hm  freut  eud) 
lieben  (Sbriftengmein"  bemabrt,  menn  aud)  nid)t  auSfdjliefsenb,  nod)  bie  SDZelobie ,  mit  ber  e§  um  1524 
fmit  ber  Sab^bl  1523)  jum  erften  $5ld)k  erfdjien:  ba§  ©terbelieb  (rool)l  aud)  ben  S5etliebern  bei$ured)= 
nen):  SKitten  mir  im  Seben  ft'nb,  t>oü  frdftigen,  männlichen  ©laubenS,  ber  nur  einen  (Srretter  fennt  t»on 
£ob  unb  SSerbammnifj,  ijt  einer  ©ingmeife  gefeilt,  bie  feinen  ©etji  auf  ba£  SSoUfommenjle  abfpiegelt,  unb 
nid)t  leid)t  wirb  erreid)t  merben  fonnen. 

Sie  gefebiebtlicb,  e  ©runblage  be3  ßbri^entbumS ,  mie  bie  Jeff e  ber  Äird>e  ft'e  atljdbrlicb,  in  baö 
©ebädjtnip  rufen ;  bie  SBieberbelebung  beä  alten,  fettigen,  »orcbriftlicb,  en  ©efangeä  ber  ^falmen  in  leben= 
biger  SSejiebung  auf  bie  ©egenmart,  unb  bie  ftd>  erneuenbe  cbrifilid}e  Äird)e;  Sebre,  ©ebet,  Sobgefang; 
aUeö  biefeä  mar  ©egenftanb  unb  Aufgabe  beä  neuen  Äircbengefangeö  bei  feinem  ^Beginnen,  in  melcbem, 


')  £utt)crg  »tiefe,  herausgegeben  oon  be  SBette.  II.  590.  591. 


  134  

uimaty  foweit  er  C^cr  Sonr'tmfi  angehörte/  fernere  unt»  nähere  SSorjeit  wie  ©egenwart,  Zeitiges,  unb  SBelt- 
lidH-c-,  butd)  feine  Skftimmung  geweiftes,  cinanber  begegneten ,  alleö  in  lebenbigem,  gefd)id)tltcr>em  2£n= 
fnüpfen,  £urcbbringen,  äkrfcbmcljen. 

5Rit  überwiegenber  SBat>vfd>etnItc^f ett  bürfen  wir  behaupten,  bafj  bie  SOlehräabl  ber  geiftlicben 
Üicbcrfammlungcn  be§  erften  S«t?t*5el)enbö  ber  Äirchemjerbefferung  ben  wefentlichften  £bett  ttjreö  Snt>atte§ 
aui  im  iSaiterfcben  ©efangbuche  gefebbpft  haben.  SGSir  begnügen  un3  ju  jeigen,  bafi  fie  eben  in 
btefetn  Sheile  mit  ihm  übereinjtimmen,  unb  wa§  ft'e  etwa  mehr  enthalten,  fofern  es>  jum  grbfjeften 
Steile  fipat«  wieberum  qufjcr  ©ebraud)  gekommen  ift,  nicht  al§  ein  erheblicher  3uwacbs>  bee>  ewangelifdjen 
.ftirchcngefangeS  gelten  fann.  Die  Erfurter  (Sncbiribien  jieben  wir  babei  nicht  in  ^Betracht,  wenn  auch 
ihre  (Sinwirfung  auf  fpätere  geiftlid)e  Sieberbücher  nicht  ju  verkennen  ift.  Senn  fie  fönnen  un3  nicht  für 
eine  gleich,  lautere  Sluelle  gelten  als»  2ßaltcr,  beffen  Sammlung  Sutber  anerkannte,  wäbrenb  jene  anbern 
ohne  feine  ©cncl)migung  feine  unb  ber  ©einigen  Sieber  unb  SBeifen  jufammenrafften. 

3uerft  nennen  wir  ba§  fd)on  früher  in  S5ejug  genommene  S5re§laucr  ©efangbuch,  vom  Sabre 
1523.  63  führt  ben  SEitcl :  ,,%\)n  gefangbud}lien  ©euftlicbcr  ©efenge,  $)falmen,  evmem  pglid)en  ßbnften 
faft  nüfclicb  bei  firb  ju  haben  in  fteter  Übung  unb  trad)tung.  llud)  etliche  gefeng  bie  bev?  ben  vorigen  nid)t 
finb  gebrutft,  wie  bu  bnnbenn  im  3?egifler  biefeS  S3ucf)levn3  ffnbeft.—  SOiit  bt>fen  unn  berglevd)en  ©efengen 
follt  man  bvllicb  bie  jungen  iugenbt  aufferjt>t>en. y/  "Km  ©cblufj  flef>t :  ,,©ebrudt  rm  bifer  fbniglicben 
ftabt  S3reflaw  burd)  abam  £)con,  ausgegangen  am  mitwoeb  nach  ofterrn.  (1525.)  §8oran 

geht  Sutberä  SSorrebe,  wie  in  2öalters>  ©efangbuche. 

SORit  wolliger  SSeftimmtheit  läfit  über  ben  ganzen  Snfjatt  bicfeS  geiftlichen  ©ingebuebeö  fieb  nicht 
urtheilen,  benn  in  bem  vorliegenben  'tfbbrude  —  einer  großen  Seltenheit,  bie  felbjt  bem  gelehrten  lieberer 
unbekannt  geblieben  ift,  unb  »on  ber  ein  jweiteS  (Sremplar  bisher  nod)  nicht  aufgefunben  worben  —  fehlt 
ber  Sogen  @  unb  baS  JRegifter.  ©o  weit  aber  unfer  ^Büchlein  »ollftänbig  vorliegt,  jeigt  eS,  bem  Inhalte 
unb  ber  Solge  feiner  Sieber  nach,  eine  faft  burebgebenbe  Übereinflimmung  mit  bem  jefct  ju  befchreibenben 
t'ieberbucbe,  ba§  in  eben  biefem  Sabre  1525  ju  SBStttenberg  erfd)ien,  unb  folgenbermaafjen  betitelt  ift: 
,, ©ertliche  ©efenge,  fo  man  njjt,  (®ot  ju  Sob)  »n  ber  Är;rcben  fingt,  gebogen  auö  ber  bepligen 
©ebrift  beä  waren  unb  hehligen  ©oangelionä,  welches  wl|t  »on  ©otte§  gnaben  wwbber  aufgangen  ift,  unb 
mit  etlichen  ©efengen  gemehrt,  gebeffert,  unb  mit  glenfi  corrigwrt  burd)  Soctor  Martin  Surbet.  2(nno 
9E.D.HS3."  Diefe  ©ammlung  enthält  fünf  unb  breifjig  Sieber,  namlid)  alle  in  2Balter§  ©efangbud) 
oorfommenbe,  big  auf  SRro.  O  „@in  neues  Sieb  wir  heben  an;"  bagegen  erfebeinen  vier  Sieber,  bie  bort 
fehlen:  auö  altem  lateinifchen  Äircbengefange  eine  Übertragung  beS^vmnuö:  Pangc  lingua  gloriosi  etc. 
(9Jcein3ung'  erfling' unb  frbltcb  fing1)  (9iro.  27);  ein  Äatecbtemuälieb :  „3d>  g^ub1  in  ernten  ©ort" 
ß\xo.  lüj ;  ein  9>falmlieb,  von  Sujtuä^onaä :  „2Bo  ©Ott  ber  %m  niä)t  bei  unö  hält"  (Rw.  15) ;  enblid) 
bie  Umbid)tung  eine§  altfatbolifd^n  Siebeö :  ©id)  grau  »om  £immet  ruf  id)  an,  in:  „ehriftum  »om 
Jpimmel  ruf  id}  an"  (9cro.  34j. 

5Bon  biefen  teljtgenannten  üter  Siebern  hat  nun  baS  S3rc§lauer  ©efangbud)  baö  erfte,  au$  bem 
alten  lateinifchen  Äirchengefange,  unb  ba§  lefete,  auö  bem  früheren  beutfehen  ftammenbe;  baneben  (foweit 
fein  Inhalt  aus  bem  »orliegenben,  unoollftänbigen  <5remplare  hervorgeht,  unb  in  Skrgleicbung  mit  bem 
befchriebenen  Sßittenberger  ©efangbuche  ftcfo  muthmafjen  laft)  aUe,  im  SBatterfcben  ©efangbuche  ftehenbe, 
auch  baö  oon  ben  jween  «Kartnrern  ju  S5rüffel.    3hm  fehlt  nur  baS  fürjere  Sieb  Sutherä  üon  ben  jebn 


  135   


©eboten:  ,,9Kenfd),  willtu  leben  feliglid)."  S3or  betben  befcbriebcnen  ©ingebüd)em  (>at  e§  aber  nod) 
brei  Siebet  »orauS :  jwei  au3  lareinifcbem  6f)oral :  <5f>rttl  bcr  tu  bul  tag  2id)t  unb  Sag  (Christe  qui  lux), 
unb :  $exx  ©Ott  btd)  loben  wir  (Te  Deum  laudamus),  bod)  ntd)t  in  2ut£)er3  Nad)btd)tung ;  eineS  enblid) 
anS  altem  beutfcben  gciftlid)en  ©efange:  „Sttaria  jart,"  umgebid)tet  in  „jD  Sefu  jart  göttlicher  %rt." 

(Snbltcb  ijt  nod)  beS  Nürnberger  ©efangbud)3  von  1525  ju  gebcnfen,  ba$  eine,  ber  be§  SBreSlauer 
faft  oollig  übereinftimmcnbe  tfuffdjrtft  bat : 

,,(5nchiribion,  ober  ein  b<Jnbbüd)le»n  gepjtlid^er  gefdnge  unb  pfalmen,  ewnem  weglicben  öf>vtflen 
faft  nüfclid)  bei  fid)  ju  haben,  in  fteter  Übung  unb  trad)tung,  auff§  nero  ßorrigiret  unb  gebeffert.  tfud) 
etlidje  gefeng  bie  bei  ben  vorigen  nid)t  gebrudt  ft'nb,  wie  bu  bjnben  im  3?egi|ter  biefeS  S3üd)letn$  ftnbejt. 
95iit  biefen  unb  begleichen  ©efang  fotlt  man  billid)  bie  jungen  jugenbt  aufferjieben."  #m  ©djlufi: 
©ebrudt  ju  Nürnberg  burd)  Sgan$  ^ergot,  im  3ar  SJiDHSS.  @S  enthält  bie  35  Sieber  be§  SBitten-- 
bergifd)en  ©efangbud)c§ ,  aber  aud)  ba3  won  ben  SJlärtyrern  ju  SSrüffel,  l>at  alfo  wer  Sieber  t>or  bem 
SBalterfcben  t>orau§;  aber  üor  allen  anberen  befdjri ebenen  aud)  nod)  ba§  Sieb:  ,,3n  SbefuS  Namen  beben 
wir  an/'  bem  wir  bereits  in  ben  ad)t  ©efängen  au3  bem  Safyve  1524  begegneten. 

2Bir  fefyen  au3  biefen  Angaben,  aue>  ben,  burd;  Sitel  unb  5nl)alt  aller  biefer  S3üd)er  beutlid) 
beroorgebenben  S3e$iebungen  be§  einen  auf  bae>  anbere,  wie  betriebfam  man  war  im  ©ammeln  unb  Sptr-- 
auSgeben  beutfcfyer  gciftlid)er  Sieber  wäbrenb  be§  eben  fyieburd)  ausgezeichneten  %at)rc§  1525;  wie  man 
einanber  juttorjufommcn  fud)te  an  »erfchiebcnen  £)rten  Deutfd)lanb3;  in  welchem  SJiaafüe  enblid)  bie  eine 
unb  bie  anbere  biefer  (Sammlungen  ft'd)  rübmen  burfte,  wenn  ft'e  aud)  erft  fpäter  erfd)einen  Fonnte,  bod) 
etwaS  ju  bringen,  ,,ba3  bei  ben  Dortgen  nod)  nid)t  gewefen  fet),"  unb  bafj  fie  „aufs  neue  mit  gleifj 
gebeffert"  erfd)eine.  Die  Unterfud)ung  über  bie  S?etf>efotge  tfyreS  drfd)emen§  barf  unS  bi^  nid)t  befd)äf= 
ttgen;  fie  ijt  unferem  jefeigen  3wede  fremb,  aud)  giebt  nur  ba3  SSreSlauer  ©efangbud)  ben  Seitpunft  feines 
@rfd)einen§  im  Safere  1525  naber  an. 

Nur  bie  ju  Strasburg  in  ben  %ai)ren  1524  unb  1525  erfd)ienenen  getjflid)en  Sicberbücber  fonnen 
neben  bem  2Balterfd)en  hier  nod)  in  S5etrad)t  fommen.  2(u3  eigener  2Cnfd)auung  fenne  id)  ft'e  nid)t,  meinem 
S5erid)te  über  ft'e  liegt  nur  SBadernagelö  genaue  33efd)reibung  ju  ©runbc,  unb  baSjenige,  wa§  bie  t>on  ibm 
mitgeteilten  SBorreben  berfelben  über  fte  enthalten.  Sbnen  jufolge  gab  um  1524  ber  bortige  S5ud)bruder 
2Bolf  Äbpbl,  nad)bem  twn  ben  Dienern  be3  2Borte§  bafelbft  eine  beutfd)e  9Jieffe,  fo  üiel  möglid)  nad)  alter 
Crbnung  eingerichtet  worben,  welche  großen  Fortgang  gefunben,  unb  ju  SSKefjrung  beS  ©laubenS  gebient 
hatte,  eine  £)rbnung  berfelben  h««uS/  welcher  zugleich  fiebert  beutfd)e,  geiftliche  Sieber  beigefügt  waren ; 
wer  fcutberS,  brei  anberer,  geijtlicher  Dichter.  Db  fie  mit  <5ingjeid)en  »erfehen  gewefen,  ft'nbe  id)  nid)t 
bemerft.  Diefe  treffen  wir  aber  in  einer  ähnlichen,  um  1525  eben  ba  erfd)ienenen  ©d)rift,  unter  bem 
Xitet:  „Seutfch  Äirchenampt  mit  Sobgefängen  unb  ^»falmen,  wie  eö  bie  ©emetne  ju  Strasburg  fingt." 
^)ier  haben  wir  neun  ßteber :  fünf  ßutherS,  üier  2tnberer,  jundchft  9)falm=,  minbeftenä  ©chriftlieber.  SSJiit 
ihren  ©ingweifen  erfd)cinen  t)ier  juerft:  ber  ßobgefang  berSKaria,  nad)gebichtet  üon  ©pmphorian  ^ollio : 
5!Jiein'  ©eel'  erhebt  ben  Herren  mein;  SKatthiaS  ©reiterS  2ieb  über  ben  12ten  ^)falm:  Tld) 
©Ott  wie  lang  oergiffejt  bu,  unb  ein  ßieb  eines  unbefannten  Did)ter§  über  ben  112ten  ^)falm: 
ID  ihr  Äned)t  lobet  ben  ^erren.  Dtefem  S5üd)lein  folgte  noch  in  bemfelben  %at)re  „ba§  anber 
thet)l  ©trafjburger  Äirchengefang  tc."  mit  t;ierjel)n  ßiebern  unb  fed)S  SERelobieen,  benn  ad)t  Q)falmlieber 
oon  ßubwig  Seier,  bie  gleichen  9Jiaaf3e§  finb,  werben  auf  bie  bekannte  SCBcife  ,,2ld)  ©Ott  t>om  ^immel  fieb 


136   


barem"  verwiefen.  Drei  Siefrer  8utt>crä  giebt  un§  biefeS  33ucb,  unb  t)ter  ft'nben  wir  juerji  SBolfgang 
DartftemS  Sieb  über  ben  9ten  $falm:  25er  1 1) b r i d> t  fürtet)  t  e3  t ft  fein  ©Ott*);  Sttattbiaö  ©vettert 
über  ben  51flen:  £  £erre  ©Ott  begnabe  mich,  unb  ©nmvborian  spollio'S  Sieb  über  ba§  ©ebet  beö 
£crm:  S5ater  Unfer  wir  bitten  bid)  ic.  Sine  britte  gleichartige  Sicbcrfammlung  fdjlofj,  ebenfalls 
noch  um  L525,  btefa  jweiten  fid)  an,  be§  ffittelS  :  „Da3  britte  £f)eil  ©traf  burger  Ätrdr)enam»t  ic."  ©ie 
giebt  un§  SBolfgang  SacJbJkmS  Sieb  über  ben  137jten  ^Pfalm :  Tin  2Bafferflüffen  SSabvlon  ic.  ; 
frei  Bieber  3Ratflt)ta8  ©reitet,  barunter  jwei  über  einzelne  2(bfcbnitte  be3  119ten  $>falm3:  (53  finb 
bo4)  felia,  alle  bie  :c.  unb:  £ilf  £erre  ©Ott  bem  beinen  Äned)t  tc,  unb  eineg  über  ben 
12öftcn:  sJcu  welche  bie  ibr  £ofnung  gar;  enblid)  jwei  ^einrieb,  fßogtr)er§ :  £err  ©ort  ich 
trau  allein  auf  biet)  über  ben  7ijien,  unb  ©ott  ifi  fo  gut  bem  Sftael  über  ben  73jren  ^falm; 
alle  mit  ihren  9)}clobieen.  £ie$u  noch  ein  Sieb  geregnet:  ,,2Bol  ben',  bie  jtyff  finb  auf  ber  SSaljn,"  nadi 
ter  9DZelobic  bcö  ©reiterfdien  über  ben  51jicn  ^Pfalm,  fo  umfafjt  biefer  britte  £l)eil  fiebert  Sieber  mit  ibren 
©ingweifen.  Die  erjren  beiben  Steile  vereinigte  bemnäcbft  Äöpbl  in  eine  vierte,  umfaffenbere  ©ammlung. 
©ie  entbält,  mit  7fuäfd)lu^  breier  Sieber,  bie  be§  erften,  unb  obne  2(u§nar)me  ben  ©efammtinbalt  be3  jwei* 
ten  <Zl)eik$,  giebt  aber  noeb  fünf  anbere  Steber,  unter  ibnen  jwei  lutberifd)e,  welche  in  beiben  nid)t  abge= 
brudt  roaren;  baburd)  roirb  ftc,  von  biefen  legten  abgefeben,  um  jweiSOfalobieen  reicher;  bie  be§^)falmliebe6 
von  Sufruä  5ona$:  ,,2Bo  ©ott  ber  £err  ntct)t  bei  un3  hält,"  unb  bie  ju  SBolfgang  Dad)fteins>  Siebe  über 
feu  L5tea  ^)falm:  £)  Sperr  wer  wirb  Sßobnunge  ban.  %m  ©anjen  entbält  biefe  vierte  ©amm= 
lung  25  Sieber  mit  fünfzehn  SJlclobieen,  fed)$  bei  SBalter  nidt)t  beftnbliche,  benen  bie  fedt>§  ber  britten 
hinzutreten,  fo  bafj  beren  im  ©anjen  jwölf  werben.  SSon  ben  brei  Siebern  unb  SKelobieen,  welche  Äövbl 
in  feinem  vierten  Drude  von  benen  feines  erfien  au§fd)ieb,  fer)en  wir  bier  ab,  ba  fid)  biefelben  tbeil§  nidr)t 
weiter  verbreiteten,  tbeile»  eineö  berfelben:  „9hm  bitten  wir  ben  beiligen  ©eift"  bei  SBaltcr  vorfommt.  3" 
ber  SSorrebe  fagt  ber  $erau3gcber :  Die  früberen  Drude  be§  Äird)enamte§  feien  wiber  SEBiffen  unb  ©eneb= 
migung  ber  bortigen  ^)räbicanten  gefebeben,  welcbe  geboft,  mit  ber  Seit  reinere  unb  fcbriftmäfjigere 
©ebräuebe  einführen  ju  fönnen.  "tfber  bie  ©emeine  fei  begierig  gewefen,  fold)e§  ju  lefen,  unb  fo  babe  er 
ausgeben  laffen,  wa£  fonft  bis  ju  mebr  gelegner  3eit  verhalten  worben,  unb  bann  mit  größerem  Thujen 
auggegangen  wäre.  Sef?t  fenen  bie  Diener  be§  SBorteS,  foweit  er  e§  vergebe,  ber  ©ebrift  mbglicbfr  nabe 
gefommen.  SJiartin  S5ucer  CSSut^er;  babe  ©runb  unb  Urfacfye  aller  Neuerung  angejeigt,  unb  er  babe  e§ 
gebrudt.  2Bie  c3  nun  jefct  gehalten  werbe,  habe  er  e§  an  ben  Sag  gebracht.  -£abe  er  ohne  fein  SBiffen 
ber  ©emeine  ober  ben  9)räbicanten  burcr)  fein  Druden  mifjbient,  fo  hoffe  er  tS  mit  biefem  befferen  Drude 
erftattet  unb  wiberlegt,  unb  männiglid)  ber  jüngft  vorgenommenen  Srbnung  verftänbigt  ju  ha^n.  SBiffe 
Giner  JSeffereö,  ber  möge  bie  9)räbicanten  berichten;  gefalle  fte  bagegen  @inem,  fo  habe  bernunCrtwaS,  bem 
er  ftd)er  nachfolgen  möge. 

iji  fd)on  von  SBebeutung,  baß  wir  12  Sieber  mit  ihren  9Kelobieen  in  ben  befchriebenen  vier 
SSüchlein  finben,  welche  Sßalter  nicht  bat,  wenn  jene  auch  in  ihrem  ©efammtinhaltc  weniger  reich  fmb,  alö 
beffen  ©efangbuch-  ^Betrachten  wir  biefen  ©efammtinbalt  nach  ben  ©cgenfiänben  ber  Sieber,  fo  finb  unter 
fünf  unb  breifjigen  28  ^)falmlieber,  brei  ©chriftlicber,  —  ber  Sobgefang  ber  SOlaria,  bie  }e$n  ©ebötc,  baä 
Siaterunfcr,  —  bie  übrigen :  ber  ©laube,  ein  Sieb  vom  heiligen  ©eiftc,  ein  'ilbenbmablSlieb,  eine  furje, 


*;   ©.  btefc  SJlclobic  9lro.  52  ber  Skifpiclfammlung  in  CucaS  Dftanbcrfi  Ditrflimmigcm  Sonfa^c. 


fcbriftmäfjige  tfnttpfyonie,  laffen  fid)  nid)t  unter  eine  gemeinfame  SSejiebung  faffen  gleid)  jenen,  roir  tonnen 
ft'e  jtircbenliebcr  im  "Allgemeinen  nennen.  SaS  83orbcrrfd)en  te6  spfalmlicbeS  tritt  f>ter  nod)  bebeutenber 
bervor,  ale>  bei  2Balter,  wogegen  ba§  gefllicb  faft  ganj  gebriebt.  SBenben  wir  un§  ju  ben  SQZelobieen  jener 
jroölf,  bie  roir  befonberS  auSjeid)neten,  unb  junäd)jl  ju  beren  ©trovben;  fo  begegnen  roir  ad)t  gönnen 
berfeibcn.  Sie  fiebenjeilige  bcs>  ßiebeS  ift  baS  4?eil  unS  Fommen  tc."  fommt  breimabl  vor,  in 
rvecbfelnter,  melobifd)er  Übcrfleibung ; *)  verhältnismäßig  erfebetnt  ft'e  am  bfterften.  Sie  ad)  tjeilige  mit 
regelmäßigem  SBecbfel  ad)t--  unb  ftebenfnlbiger,  iambifd)er  3eilen  finben  roir  nur  jroeimabl,  **)  unb  eben  fo 
oft  eine  jeweilige***),  beren  Aufgefang  von  je  jroei  unb  jroei  Seilen,  unb  tyr  Abgefang  von  beren  brei 
unb  brei,  jene  mit  gleicher,  biefe  mit  roed)felnber  ^Betonung,  bie  bemerfte  gorm  ber  ftebenjeiligen  ©tropfje, 
bem  SBefentlidben  nad),  barftellen  mürbe,  wenn  roir  beren  Abgefang  unS  verbovvelt  bauten,  ©teilen  roir 
tiefen  vierfach  neben  cinanber,  fo  bilbet  fid)  eine  jroblfjeilige  ©tropfye,  bie  bei  unferen  SJJelobieen  eben= 
falls  jroeimabl  vorfommt"**).  ßimrtabl  nur  jeigen  ft'd?  je  jroei  formen  ber  ad)tjeiligen  ©trovbc  won 
gleichem  2luf=  unb  Abgefang;  bei  ber  erjtenf)  ein  regelmäßiger  2Bed)fel  von  jroei  unb  jroei  a<b>  unb 
fiebenfvlbigen  Seilen,  bei  ber  anbern-j-]-)  <»d)t  gleiche  Beilen  ju  ad>t  ©reiben;  in  Seiben  ber  Aufgefang  in 
je  jroei  unb  jroei  3eilen  mit  gleicher  Betonung,  ber  Abgefang  in  beren  vier  mit  med)  fein  ber.  3n 
einer,  ebenfalls  nur  einmal  erfd)einenben  elfjeiligen  ©trovbe  fte£?t  in  ben  je  brei  unb  brei  Seilen  beS 
'Aufgefangen  eine  nur  jroeifolbige  3etle  jroifd)en  einer  ad)t=  unb  ftebenfvlbigen,  ber  fünfteilige  3£bgefang  läßt 
einer  aditfvlbtgen  Bette  eine  fiebenfwlbige  folgen,  verbovvelt  bann  jene  erfte,  unb  fd)ließt  mit  einer  ju  fiebert 
©plbenf-H-).  Sic  ad)te  gorm,  eine  vierjeilige  iambifd)e  ©trovbe  von  jroei  ad)tfnlbigen  3eilen»aaren,  bemer* 
fen  roir  nur  vorubergel)enb,  ft'e  gehört  jroeien  ber  Sieber  an,  roeldje  Äbpbl  in  ben  3ufammenbrud  ber  erften 
jroei  Sbeile  feines?  ÄircbenamteS  auS  bem  erfien  berfelben  nid)t  roieber  aufnabm. 

Alle  biefe  SKelobieen  tragen  ein  fef)r  emjfeS,  faft  berbeS  ©evräge.  Sie  meiften  unter  tynen  geben 
in  iXbnen  von  ganj  gleicher  Sauer  baber;  ungeraber  Saft,  rb«tbmifd)er  3Bed)fel,  finb  allen  fremb;  man 
mbebte  glauben,  ft'e  enthielten  ft'd)  abfiebtlid)  jeben  ©d)mude».  Aud)  il)re  Tonarten  tragen  bei,  ibnen  biefeS 
©evräge  ju  geben.  Am  bäuft'gften  erfd)einen  bie  d o 1 1 f dt> e  unb  ß-brrjgifcbe  Sonart,  jene  viermal,  mit 
bebeutenb  bervortretenbem  AnfTange  an  biefe,  roeldje  breimabl  fid)  ft'nbet;  jroeimabl  jeigt  fid)  bie  borifebe 
ftreng  ausgeprägt;  in  jroei  gällen  bie  ionifd)e,  einmabl  nur  bie  mirolvbifd)e-H-H-).  Sie  herbere  gorm, 


')   Öfter  »orfommenbc  gormen. 
I.  ©tebenjettige  gorm. 

1)  £>  £crr  «er  rctrb  SBotmungc  fjan  jc. 

2)  D  ©ott  rcie  lang  oergiffefiu. 

3)  @ott  ift  fo  gut  bem  Sfrael. 

")   II.  2Ccr)tjeiltgc. 

4)  SÖtein'  @eet'  ergebt  ben  Herren  mein  2C. 

5)  9tu  roetebe  t)k  it)i  £ofnung  gar  tu 

■")   III.  3etin}ciltge. 

6)  £er  afjörtc^t  fpridjt,  cS  ift  fein  ©ott  u. 

7)  2fn  SBafferftüffen  SSabpIon. 

2tufgefang:  jroeimal)!. 
Äbgefang :  r;;zrrr"  smetmafjl. 
"*•)   IV.  3roötfäeilige. 

8)  @g  finb  bod)  fetig  aUe  bie. 

9)  £ilf  Jperre  ©ott  bem  beinen  Änecbt. 
i>.  SBintttfetk,  bei  etangel.  G^oralgefang. 


einjeln  ftetjenbe  gormen. 
|)   V.  2fd)tjeitige. 

10)  D  ^erre  ©ott  begnabe  mid). 

Ii)    VI.  £c6gl. 

11)  Sater  Unfer  roir  bitten  bid). 
Hi)   VII.  eifacilig. 

12)  £err  ©ott  icb  trau  allein  auf  bid), 
ft+t)  Äo(if«e(A). 

1)  ©ott  ift  fo  gut  bem  3fract  ic 

2)  9tu  tuetdje  Ijie  it>r  ^»ofnung  gar  tc 

3)  ^>ilf  ^)erre  ©ott  bem  beinen  Äned)t  lt. 

4)  Safer  Unfer  roir  bitten  bid)  :c. 

9>f)r!>gifd)e  (E). 

5)  D  £erre  ©ott  begnabe  mid). 

6)  £err  ©ott  id)  trau  allein  auf  bid). 

7)  £>  ©ott  wie  lang  oergiffeftu  it. 

18 


  138   


in  bct  Ms  Jtoßföe  #er,  bem  %>t>rt>gtfd^cit  »erwanbter,  auftritt,  bie  fhrengere  3(u3gejtaltung  beS  Sorifd)en, 
baS  fef>r  bebeutenbe  Übergewicht  ber  »eichen  Sonart  über  bie  harte,  geben  unferen  Söielobieen  jene  büjtere 
ftärbung,  in  welcher  ber  ablcbnenbe  ßrttft  ber  Swinglifd)  ©eftnnten  ftd)  Riegelt,  ju  benen  aud)  Strasburg 
eine  3eit  lang  hinneigte.  (Sben  biefer  Süfterf)eit  wegen,  fo  fdjeint  (S,  haben  aud)  biefe  ©ingmeifen  fein 
bauetnbeü  S$cjtcbcn  gehabt  in  bem  lutl)erifd)en  jttrd)engefatigc.  Sroar  haben  im  Saufe  beS  16ten  3ah*: 
bunbertS  mobl  alle  burd)  ganj  Seutfcblanb  bin  ftd)  im  Sehen  erhalten:  allgemeineren  tfnflang  aber  haben 
nur  brei  unter  ihnen  gefunben,  bie  ber  Sieben  „£)  Qexxe  ©ott  begnabe  mtd),"  „(SS  finb  bod) 
feiig  alle  bie,"  (gleid)jeitig  auf  ©ebalb  JpcpbenS  Sieb :  „£)  SDlenfd)  bewein'  bein'  ©ünbe  groß" 
angewenbet)  unb  ,,2ln  SBafferf lüffen  SSabclon,"  nach  ber  wir  jefct  allgemein  $aul  ©erbarbS 
3>affton§tieb:  „©n Sammlern  geht  unb  tragt  bie  ©ctmlb" fingen;  ber  jweiten  werben  mir  bei  ben^Pfalmlie; 
bern  ber  (Salvinifien  mieberum  begegnen.  2lber  wenn  aud)  bie  rh»thmifd)  =  bid)terifd)en  formen  ber 
lcljtgebad)ten  beiben  Sieber,  —  bie  befd)riebene  gct)n=  unb  jwblfjeilige  Strophe  —  baburd)  in  ben  Jtird)em 
gefang  eingebürgert  würben,  fo  höben  biefe  bod)  ju  neuen  melobtfd)en  formen  feinen  2lnlafs  gegeben, 
'tfuger  ©reifer»  Sieb  über  einen  folgenben  S£t)eil  bes>  llOten  $falm§:  ,,>£>ilf  Sptxxe  ©Ott  bem  beinen 
jtnecr/t,"  ba§,  wie  bemerft,  in  bem  britten  Steile  beS  ©trafjburger  Äird)enamte§  uorfommt,  unb  bort  eine 
felbftänbige,  ba$>  lfite  ^abt'bunbert  inbefj  nid)t  überbauembe  ©ingweife  hat;  autjer  «!pcmrid)  SSogthereS  Sieb 
über  ten  I39ftei  $Pfalm:  ,,£err  ©ott  ber  bu  erforfd)cfl  mich,"  teffert  9JMobie  nod)  bis  in  bie  erften  Sabje 
beS  17ten  Sabrlninberts"  fortlebte,  ftnbe  id)  fein  Sieb  über  jene  jwo!f=  unb  jehnjeilige  ©tro^tje  mit  einer 
eigenen,  aud)  nur  eine  Seit  lang  in  ber  Äird)e  beimifd)  geworbenen  9JWobie.  Sie  ©tropbe  be§  ©reiterfchen 
^)falmliebe§ :  £)  #erre  ©ott  begnabe  mid)  —  ba§  jumeiff  burd)  (5rl)arb  -^egenwalbS  Sieb  über  benfelben 
51ften  9)falm  oerbrängt  würbe  —  ijt  brtlid)  jwar  für  einige  ^afftonslieber  fpdterer  Sid)ter  angewenbet 
worben,  bod)  immer  nur  in  Begleitung  ber  urfprünglichen  SJMobie  biefeS  BiebeS.  £)ftmaB  finb  biefe  brei 
SKelobieen  für  bie  Äunjt  beS  mchrjtimmigcn  SonfafeeS  Aufgaben  geworben,  aud)  ftnbe  id),  außer  ihnen, 
nod)  bie  fchbne  borifebe  Gelobte  von  ©»mpborian  spoHto'S  9D?agnift'cat :  ,,9Jlein  ©eel'  erhebt  ben  sperren 
mein,"  trofe  ber  grotjcnUnbel)ülflichfeit  il)reS  Siebe§,  mit  ihm  brtlid)  in©ebraud),  wie  fte  benn  aud),  namens 
lid)  t>on  ftibbeutfchen  Sffteiftern,  ntd)t  feiten  t>ter  =  unb  fünfftimmig  gefcfjt  ijt.  5ßon  ben  SDMobieen  ber 
Sad)fieinfd)en  Sieber :  Ser  Shbricht  fprid)t  eS  tft  fein  ©Ott,  —  £)  £err  wer  wirb  SBolmunge  ban,  —  unb 
ber  be§  ©reiterfchen :  9lu  welche  hie  ihr  £ofnung  gar  ic.  giebt  aud)  ^)rätoriu§  nod)  mcrjh'mmige  Sonfä^e. 
Allein  biefe  ©ingweifen  brad)ten  feine  neuen  rbötbmifcbcn  formen  mit,  il)r  fird)lid)e§  Seben  war  oon  nur 
furjer  Sauer,  ihre  Bebeutung  für  bie  Äunj!  nur  befd)rdnft.  Sie  bcfd)riebene  elfjeiltge  ©tropbe  bes1  Siebes1  : 
,,£err  ©ott  id)  trau  allein  auf  bid)"  ijt  ihrem  Siebe  unb  beffen  Gelobte  au3fd)lteßenb  eigen  geblieben,  aud) 
i(f  biefe  mit  ihm  bis  in  baei  17te  3«f)vf)imbert  hinein  nod)  in  fird)lid)em  ©ebrauche  geblieben,  unb  in  met)r= 
flimmigem  Sonfa^e  anzutreffen ;  fte  h«t  ittbef?  nid)t  in  bem  5Kaarle  2lnflang  gefunben,  ba^  eine  längere 
Sauer  ihr  gefiebert  worben  wäre.    Sen  früheften  ©tra^burger  Sieberbüchern  fbnnen  wir,  biefem  Willem 


D  o  rifdjc  fD). 
8j  «Kein  Sccf  ergebt  ben  fetten  mein. 
9)  C  Jpcrr  roer  tetrb  HBotjnungc  f)an  u. 


Sontfche  (F b). 

10)  Zn  SBalTerftüfTcn  58abt)ton. 

11)  (SS  finb  bod;  feiig  alle  bie  zc. 


«mi)rolt)bifd)e.  (Cb). 
121  ©er  3!f)örid)t  fpridjt,  e«  ift  fein  @ott  k. 


  139   

zufolge,  jroar  eine  aSermebrung  teö  ^JJcfobieenfcbafjeS  ber  ältefien  euangetifchen  jlircbe  jugefteben,  nid)t  aber 
eine  bauernbe  unb  tiefer  eingreifende. 

din  in  ben  fahren  1525  unb  152G  (bis  auf  wenige  2Borte  übercinftimmenb)  ju  Dürnberg  bei 
3obft  ©utfnedit  erfcbieneneS  ffiücblcin : 

©«8  teutfeb  ©cfang,  fo  in  ber  SQiefj  gefungen  wirb,  ju  Nuß  unb  ©ttt  ben  jungen  Äinbern  gebrueft, 

enthalt  gar  Feine  Singjeicben;  wir  erwähnen  feiner  nur,  weil  es?  faft  auSfcblicjjenb  ^Pfalmliebcr  giebt.  Unter 
ben  22  ©efangen,  bie  eS  entbält,  ftnb  nur  fedjS  anbern  3nb<*ltS:  baS  SKagnificat  beS  Sr;mpborian 
"Pollio,  unb  beffen  SSaterunfer;  bie  ÄatechiSmuSlieber :  £>ieS  ftnb  bie  bciligen  jebn  ©ebot;  ©Ott  fei  gelobet; 
bie  betten  y ftngfilieber :  Nun  bitten  wir  ben  beiligen  ©eift,  unb:  Äomm  ©Ott  Schöpfer  ^eiliger  ©eiji ; 
unb  entlieh  baSSteb:  SQtitten  wir  im  Sehen  ftnb.  SDie  übrigen,  unter  ihnen  fünf  bereits  bei  SBalter  gebruefte, 
finb,  wie  bemerft,  Nacbbilbungen  oon  ^Pfalmen,  welche,  wie  wir  fef)en,  nach  Sutf)erS  Vorgänge  unb  feiner 
•Jlufforterung,  bie  geiftlicbcn  Siebter  feiner  3eit  jumeift  befebaftigten.  2lucb  $anö  Sachs  folgte  bem,  wenn 
aud)  nicht  an  ibn  unmittelbar  gerichteten,  boeb  unfehlbar  ihm  befannt  geworbenen  55unfd)e  beS  verehrten 
^Reformators,  ben  er  unter  bem  Tanten  ber  „Söittenbergifcb,  Nachtigall"  eigenbS  befungen  hatte.  Um  1526 
erfebienen  iwn  ihm  ,,£>rcijcbn  Spfalmcn,  ju  fingen  in  (ben)  oier  hernaeb  genotirten  £önen,  in  welchem  man 
will,  ober  in  bem  SEone:  Nun  freut  euch,  lieben  G>bri(tengmcin,  einem  ©griffen  in  2Biberwärtigfeit  fet)r 
mißlich."  Sod)  fchon  ber  SSitel  biefer  Sammlung,  bie  mir  nicht  auS  eigner  'tfnfcbauung  befannt  ift, 
belehrt  unS,  fcajj  aüc  btefe  $Pfalmlieber  eineS,  unb  eben  beS  gangbarften,  SKaafjeS  waren,  unb  fte  haben 
ohne  3weifel  bem  9)ielobicenfd)aße  ber  cüangelifeben  Äird)e  in  S3crgleicbung  mit  SSBalterS  ©efangbuche  eben 
fo  wenig  größere  SBereidxrung  gebracht,  als  bie  juoor  gebadete  Sammlung.  Senn  enthalt  jene  gar  feine 
Sing$eid)en,  unb  ftnben  wir  auch  erft  fpäter  für  einige  barin  enthaltene  spfalmen  Subwig  £)elerS  eigene 
SKefobken ;  fo  waren  bie  4?anS  Sad)S'fcben  ^falmcn  nach  ^Beliehen  nach  einer,  ober  auch  wer  Singweifen 
eines  SRaaßeä  ju  fingen,  für  baS  SBalter  bereite  beren  fecbS,  bie  ^älfte  mehr,  mittheilt. 

dnblicb  war,  in  biefem  Sinne,  aud)  eine  um  1527  ju  Nürnberg  erfebienene  Sammlung  nicht 
wefentlicb  bereiebernb.  Sbrer  ift  bereits  bei  ©elegcnhcit  beSS3ericbtS  oon  bem  ßinfluffe  beS  SSolfSliebeS  auf  bie 
geiftlicbe  Singweife  gebaebt;  fte  ift  überfebrieben :  ,,£ie  eoangelifcb  9Jief?  teutfeb,  auch  babei  baS.£)anbbücblein 
geiftlicher  ©efange  unb  spfalmen  tc."  Sie  befaßt  bie  38  Sieber  beS  Nürnberger  ©ncbirtbionS  t>on  1525, 
mit  '2luSfcbluf;  beS  9>falmeS:  „SBobl  bem,  ber  in  ©ottS furchte  fleht,"  unb  bie  eben  erwähnten  l3$Pfalmen 
beS  £anS  Sachs ;  ihr  übriger  Snbalt  ift  jum  grögeften  Sbeile  auS  bem  lateinifeben  Jtircbengefange  ober 
fem  a>olfSlicbe  entlehnt,  alfo  nicht  eine  gruebt  beS  BcitraumS,  ber  unS  gegenwärtig  befchäftigt.  Senn 
CaS  Sieb !  Gbrifte  ber  btt  bift  Sag  unb  Sicht  K.  fowobl,  alS :  Äomm  heilig«  ©eift  erfülle  bie  £erjen  tc. 
(Christ«  qui  lux  —  Veni  sanete  Spiritus,  reple)  ftammen  auS  jenem;  bei  neun  Siebern  ift  auf  33olfSweifen 
auSbrücflid)  SBejug  genommen;  ein  jebntcS,  ©efprdd)  ßbrifri  unb  beS  SünberS :  ,X  ©Ott  SSater,  btt  bafi 
©ewalt  :c."  ift,  wie  wir  auS  einem  flicgenben  Statte  jener  3eit  wiffen,  Umbichtung  eines  weltlichen: 
„£>  3upiter,  berftu  ©ewalt,"  mit  ^Beibehaltung  feiner  SBeife;  oier  anbere  enblicb:  ßapitan  ^)err  ©ort  tc. ; 
2Bol  bem,  ber  ben  Herren  fürchtet  ;c. ;  2ÖaS  göttlich'  Schrift  oom  (ireufj  unS  fagt  tc. ;  £3  Jperre  ©Ott  in 
beinern  Sfeicb  :c.  haben,  wenn  aud)  in  jener  3eit  entftanben,  bis  auf  baS  erfte,  baS  in  ben  123  Siebern  für 
bie  gemeinen  Schulen  (1544)  abermals  mit  einer  eigenen  Singweife  erfebeint,  baS  erfte  Sabrjebenb  ber 
Äircbenwerbefferung  faum  lange  überlebt. 

18* 


 140   


$abm  wir  btenad)  ben  oorsüglicfyen  SBertf),  l>en  wir  auf  SßalterS  ©efangbud),  al6  $auptquelle 
für  ben  oorliegenben  3eitraum,  gelegt,  rote  wir  boffen,  gerechtfertigt :  fo  bleibt  jum  ©d)luffe  be3  gegenwär= 
tigen  Ttbfdbnitteä  nur  ©inigeS  nocb  beizufügen  oon  ben  9Jlelobieen  nietet  lutf)erifd)er  Sieber,  bie  e§  entbält, 
fofern  namlid)  biefe  nid)t  entlehnte  finb. 

Sie  betten  Sieber  tyauB  oon  ©pretten:  „#ilf  ©Ott,  wie  ift  ber  Wiensen  9cotb  fo  groß" 
(Rxo.  37)  unb:  „3n  ©Ott  gclaub  id)"  (sJlro.  38)  bebürfen  nur  einer  oorübergef)enben  ©rwabnung.  SaS 
erfte  erfd)eint  t)'ux  mit  einer  ^Ijrpgifd^en  Sftelobie,  bie  wir  aud)  in  ber  fpäteren  2lus>gabe  oon  SBalterS 
©efangbuebe  (1551.  9cro.  XXVIII),  jebod)  mit  ocrfd)iebcnem  Sonfa^e  wieberftnben ;  eine  zweite,  äolifd)e, 
ftebt  in  ber  fpäteren  2ui$gabe  oon  JtlugS  ©efangbuebe  (1543,  S3latt  114  auf  ber  Sfücffeite) ;  SBeibe  tyat 
9>rätoriu3  in  ben  ad)tcn  £f)eil  feiner  ©iontfcfyen  93Zufen  wieber  aufgenommen,  nebft  einer  britten,  au§  ber 
oerfeljten,  borifd)en  Sonart)*);  alle  brei  finb  jebod),  mit  ibrem  Siebe,  aus>  bem  Jtircbengefange  wieber 
oerfdjwunben.  2tfjnltdt)  oerf)ält  e3  ft'd)  mit  unferem  zweiten  Siebe.  Sie  borifd)e  SBeife,  mit  ber  mir  e§ 
um  1524  ft'nben,  bat  e§  aud)  nod)  1551  (iRxo.  41)  mit  obllig  gleichem  Sonfafje.  (5irte  zweite  borifcfye, 
oon  il)r  jebod)  gänztid)  ocrfd)iebene,  ftebt  im  93re§laucr  ©efangbucfye,  wo  bas>  Sieb  bie  Überfcbrift  fübrt: 
„@nn  gefang  S.  ©perati  ju  befennen  ben  glauben  auf?  bem  alten  unb  nemen  SEeftament  gegrünbet,"  unb 
biefe  finbet  ft'd)  feitbem  nid)t  roieber.  (Sine  pbrngifcfye  J>at  ba§  .Rlugfcfye  ©efangbud)  (951.  111),  unb  ein 
Satyr  fpäter  zeigen  bie  Sieber  für  bie  gemeinen  ©d)ulcn  (1544.  Vlxo.  99)  eine  ityr  zuweiten  anflingenbe,  oft 
wieber  gänjlid)  abweicfyenbe;  biefe  Älugfcfye  unb  bie  2Balterfd)e  beftnben  fid)  im  fiebenten  Sbeile  ber  ©ioni-- 
fd)en  Stufen  beä  $)rdtoriu§  ($lxo.  17.  18),  unb  nur  fein  ©ammlerfleifj  tyat  fie  un§  erbalten,  benn  alle  finb 
fpäterbin  nid)t  mieber  anzutreffen,  ba  tt>r  Sieb  balb  außer  (Bebxauä)  gefommen  mar.  Sben  fo  wenig  als 
bei  biefen  beiben  Siebern  unb  ityren  SKelobieen,  bürfen  wir  bei  bem  *Pfalmliebe:  Sein  armer  ^>auf  k. 
oerweilen  (3lxo.  7).  ©eine  ionifd)e  SBeife  erfcfyetnt  1551  übereinfrimmenb,  mit  einer  geringen  Überarbei-- 
tung  ibrc§  SSonfa^eg;  baS  33re§lauer  ©efangbud),  wo  ba$  Sieb  "bie  Überfd)rift  fütyrt :  „25er  jebenb  $>falm, 
Ut  quib  bomine  receffifii,  oon  bem  tfntidjrifjt"  beutet  burd)  ben  93eifa^:  „welchen  man  fingt  in  bem  Ztjon: 
pange  lingua"  an,  baß  e§  bafür  feine  allgemein  aufgenommene  Söeife  gegeben;  ^rätortuö  bat  weber  Sieb 
nod)  Süielobie. 

SSKit  wie  wenigem  9?ed)te  wir  fo  manche,  unter  un3  nod)  fortlebenbe  SERelobieen  oon  Siebern  jener 
3eit  ben  Siebtem  biefer  legten  jufebreiben,  jeigen  un§  bie  beiben  Sieber:  ,,Surd)  2tbam3  galt  ift  ganj 
oerberbt"  unb  „Erbarm  bid)  mein,  o  £erre  ©Ott/'  auf  baö  Seutticfyfte.  SeneS  erfte,  oon 
bem  waefern  SajaruS  ©pengier,  9fatb§fd)reiber  ju  Dürnberg,  berrübjenb,  unb  fo  oiel  wir  wiffen,  um  1524 
jum  erften  SSJiable  erfd)einenb,  tritt  bei  SBalter  mit  jwei  SUJelobieen  auf,  einer  borifeben  {$lxo.  16),  weld)e 
1551  mit  unoeränbertem  STonfa^e  ($lxo.  42)  wieberfetyrt,  unb  bie  unö  aud)  ?>ratoriu§  (©ion.  SKuf.  VII. 
82)  aufbewatyrt  bat;  neben  tf>r  finben  wir  eine  jweite,  ütyrpgifcbe  (9Iro.  17),  bie  feitbem  ntd)t  wieber  ange= 
troffen  wirb.  Um  1534  begegnen  wir  unferem  Siebe  in  einem  fliegcnben,  ju  Dürnberg  gebrueften  S3latte, 
worin  auf  bie  SBotfe-weifen:  ,,9cad)  ÜBitlen  bein,"  ober  „2Baö  wirb  eö  bod)  be§  SSBunberö  nod)"  oerwiefen 
wirb ;  beibe  bat  unö  gorfterS  Sieberfammlung  aufbewabrt,  aber  fie  gleichen  weber  ben  eben  befd)riebenen, 
nod)  ber  fpäteren,  je^t  allgemein  üblichen  ©ingweife.  Siefer  begegnen  wir  juerfi  in  Älug§  ©efangbuebe 
oon  1535;  unb  bamalS  war  Sajaruö  ©pengier  bereits  (feit  bem  7ten  ©ept.  1534)  nid)t  metyv  am  Seben. 


•)   9Jto.  134  bie  pfjrpgifdje ;  133  fcie  äo(ifcfjc;  135  bie  borifcfie. 


  141   


ginmahl  finbe  id)  tl>n  allerbingg  als  SEonfcfcer  genannt,  in  65  v>on  @d)öffer  unb  2fyiariu3  ju  «Strasburg 
gebrucften  Stebern;  hier  ifl  ein  Safe  über  bie  9ftelobie  be3  SiebeS:  „£temeil  umbfunfi  igt  alle  Äunft"  mit 
feinem  tarnen  überfd)rieben.  9cef)men  mir  if)n  beSfyalb  aud)  an  aB  einen  ber  SSonfunft  erfahrnen,  fo 
mcrben  roir  bodi  immer  jmeifelfjaft  bleiben  müffen,  toeldje  ber,  um  1524  erfd)ienenen  SBeifen  il)m  beiju= 
meffen  fei ;  bie  in  jtlugS  Sflelobieenbucbe  oorfommenbe  ift  ihm  mit  SSefltmmtbett  abjufprccben,  unb  mobl 
nur  il)re  Sreflicbfeit  fonnte  bie,  fonjt  unbegrünbete,  SSorausM'efeung  erregen,  bap  fie  non  bcm  £id)ter  be§ 
SiebeS  ()crriil)ren  merbe.  Sn  ben  123  ©efängen  für  bie  gemeinen  Schulen  (1544)  ft'nben  mir  fie  (9cro.  96) 
in  einem  oierftimmigcn  SEonfafee  oon  SupuS  ^jeüincf,  beffcn  fpäter  51t  gebenfen  fcpn  mirb. 

£)a§  Sieb:  „Erbarm  bicb,  mein,  o  ^jerre  ©Ott"  bat  bei  SSalter  (9iro.  13)  jmar  feine,  nod)  jefej 
übliche,  pfjrngifcbe  ©ingmeife.  2TUein  e§  erfd)eint  eben  l)ier  nid)t  jum  erften  Wldjk ;  ein  fltegenbeS  33latt 
au§  eben  biefem  %at)xe  jeigt  eS  unö  jutn  erjten  9)iaf)le,  mit  ber  tlnterfcbrift :  „SBittemberg  greitag  nad) 
©pipbanie  im  1524  %ax,  &xl)<xxt  4?egcnma[b,"  unb  f)ier  t(t  il)tn  aud)  ein  oierftimmiger  Sonfafe^  beigegeben, 
beffen  pbrpgtfcbe  ©runbmclobie  aber  mit  ber  t>on  ©alter  mitgeteilten  nid)t  bie  geringfte  'Ähnlichkeit  f)at, 
»ielmehr  einigen  ber  öfter  »orfommenben  "tfbfäfee  ber  SCßelobie  be§  „5>err  ©ort  bid)  loben  mir"  gleicht, 
menn  fie  aud)  feinem  »on  ihnen  völlig  übereinftimmt.  Ratten  mir  ein  beffimmteS  Seugnif?  —  moran  eS 
jebod)  gänjlid)  fehlt  —  bafj  @rf)art  £egemt>alb  aud)  eine  SJMobie  ju  feinem  Siebe  erfunben  l)abe,  fo  mürben 
mir  ib,m  jeberjeit  nur  biefe  ältere  jufd)rciben  fonnen,  ba  ii>r  funftlofer,  au3  Änflängen  einer  bekannten 
Äird)enmeife  ftd)  bilbenber  ©ang,  unb  ivjx  einfacher  Safe  auf  einen  bloßen  Siebhaber  ber  Sonfunft  fchlicfjen 
lä$t,  mir  aud)  immer  vorausgehen  müßten,  ba£  Sieb  unb  Singmcife  mit  einanber  entftanben  fernen.  Mein 
bie  bei  SBalter  erfd)einenbe  il)m  beijumeffen,  fef)lt  e§  an  aller  S3eranlaffung. 

SSon  ben  nid)t  entlehnten  ©ingmeifen  ber  übrigen  brei  nid)t  lutf)erifd)en  Sieber  in  2Balter6 
©efangbuebe  miffen  mir  fo  menig  bie  Urheber  anzugeben,  als  oon  ben  jmei  eben  befprod)enen.  S5ei  bem 
Siebe:  ,,^)err  ßb,rift  ber  einig  ©ottS  @ohn"  ift  fogar  ber  Siebter  jmeifelhaft.  (Sinige  fdpreiben 
e§  bem  ÄnbreaS  dnophiuS  ju,  2fnbere  ber  ßlifabetf),  erften  ©attin  £>r.  (EaSpar  @reufejger$>  ju  Wittenberg. 
83ielleid)t  gelten  jene  ben  fräftigen  ©eift  be3  SiebeS  nicht  für  einen  meiblicben,  jumaf)l  in  ben  S3erfen : 

drtöbt  uns»  burd)  bein  ©üte 
(Srmed  un3  burd)  bein  Äraft, 
ben  alten  9Kenfd)en  frdn!e 
ba^  ber  neu'  leben  mag, 

mogegen  biefe  erjdb,len :  bie  £>id)terin  t)<xx)e  an  geiftlid)en  Siebern  ein  befonbereS  ©efallen  gehabt,  unb  alä 
fie  einmat)l  geträumt,  fie  prebige  in  ber  £ird)e,  b,abe  tf>r  ©arte,  bem  fie  eS  forgenb  erjäfylt,  if)r  geantmortet : 
mob, l  möge  eine§  ifyrer  Sieber  fünftig  einmab,!  in  anbäd)tigem  ©efange  ber  ©emeine  ©otte§  prebigen !  SSBie 
bem  nun  aud)  ferm  möge:  fo  üiel  ift  gemi^,  ba^  bei  fo  miberfprecbenben  Angaben  aud)  ber  ©änger  ber 
SBeife  ungemif  bleibt,  felbft  menn  mir  annähmen,  fie  fei  mit  iljrem  Siebe  gleid)jeitig  entftanben.  Sfyten 
SBertb,  l)aben  mir  bereite  ju  mürbigen  gefuebt :  fie  gel)brt  ju  benen,  bie  ib.rem  Siebe  unoeränbert  geblieben 
finb,  menn  fie  aud)  für  anbere  gleichen  9J2aafje3  entlehnt  mürbe;  aud)  i^r  melobifdber  ©ang  b,at  im  Saufe 
ber  3eiten  Feine  roefentlicbe  SSeränberung  erfahren,  als  bap  tfjr  fpäterb.in  ber  rf)i)tl)mifd)e  SBecbfel  abgeftreift 
mürbe,  burd)  ben  fie  ftd)  au3$eid)net,  ein  ©cbidfal,  ba§  fie  mit  ben  meiften  gleicher  Tlxt  theilt.  tfuffallenb 
bleibt  e§,  bap  Sieb  unb  SDRelobie  in  ben  123  ©efängen  für  bie  gemeinen  ©cbulen  (1544)  fehlen. 


  142   


£ie  mirolobifcbe  2Beife,  mit  ber  ba3  ^Pfalmlieb  oon  Sodann  tfgricola :  „gr&blid)  wollen 
wir  £alleluja  fingen"  bei  SBalter  erfdjetnt,  bürfte  eine,  fd)on  bei  feinem  (SntfW)en  allgemein  auf; 
genommene  gemefen  ferm:  ba3  33re3lauer  ©efangbud)  b,at  fte  unoeränbert,  unb  fo  alle  älteren  geiftlid)en 
Kebetfammlimgen,  in  benen  ba§  Sieb  erfebeint.  25ennod)  ftellt  ^rätoriuS  (VIII.  124)  ibj  eine  anbere  au§ 
bei  borifcfjen  Sonart  ooran:  fte  mar  alfo  nicfyt  bie  einjige  unfereS  £iebe§,  unb  mir  miffen  nid)t,  ob  biefe 
jmeite  oor  ihr  entftanben  mar,  unb  burd)  fte  oerbrängt  mürbe,  ober  ob  fte  erfi  fpäter  erfd)ien,  unb  brtlidje 
©ültigfeit  erlangte.  $)rätoriuS  läfjt  un$  barüber  in  Ungemipb,  eit,  bod)  nennt  er  '#gricola  nur  aB  Urheber 
be$  £erte§. 

25a§  Sieb:  Sefuö  @f)riftuS  unfer  ^)eilanb,  ber  oon  uns  ben  ©otteS  3orn 
manb  tc.  ift  gembbnlid),  unb  aud)  l)ier,  itberfebrieben :  25a3  ßieb  ©.  Scannte  £u£/  gebeffert.  9lur  in 
biefem  Sinne  gebort  ee>  ßutber  an,  unb  beSbalb  ermahnen  mir  es>  aud)  bier,  unb  rtid;t  unter  ben  feinigen. 
3n  SJiidjael  SBeiffenS  »erbeutfcjbten  ©efängen  ber  bol)mifd)en  S3rüber  (oon  1531)  ft'nben  mir  mit  ber  Über= 
febrift:  Jesus  Christus  noslra  salus  (ben  lateinifeben  2lnfang§morten  btefee»  ßiebeä),  eine  beutfebe  33ear= 
beitung  beffelben,  unb  eine  ©ingmeife,  bie  ber  oon  SBalter  mitgetbeilten  nur  fern  anflingt,  aud)  in  bem 
Umfange  ber  Inmoäolifcben  Tonart  ftd)  bemegt,  mäbrenb  jene  borifcb  ift.  @rft  ba§  fpätere  ©efangbud)  ber 
bobmifeben  SSrübcr :  „Aird)engcfeng,  barin  bie  Jpeubarttfel  d>rtflltd>en  ©laubenS  gefaffet  tc."  (1566)  giebt 
in  feinem  'tfnbange  (an  ber  36ficn  ©teile)  ßutljerä  Sftacbbicbtung  mit  2öalter§  SJlelobie.  25a  nun  biefe  unb 
ibr  ßieb  niebt  früljer,  als  im  Sabre  1524  naebgemiefen  merben  fbnnen,  jene§  jmar  eine  Umbicbtung  eine§ 
früberen,  lateinifeben,  oon£uß  fewn  mirb,  bie  Übertragung  ber  utfprünglid)en  ©ingmeife  beffelben  auf  fie  aber 
nacb  bem  ©efagten  nid)t  unbebingt  angenommen  merben  barf ;  fo  b«bcn  mir  fein  33ebenfen  getragen,  bie  bei 
2ßalter  oorfommenbe  als  eine  in  ben  erften  Safyven  ber  Äircbenoerbeffcrung  entftanbene  anjunebmen,  beren 
Urbeber  jeboeb  immer  ungemtß  bleibt.  Einige  3meifel  gegen  biefe  "tfnnabme  fonnte  SeifentrttS  fatl)olifd)e3 
©efangbud)  erregen.  (53  erfd)icn  juerft  in  jmei  feilen  um  1567  ju  SSaufcen  (bei$an§2öolrab)  unb  mürbe 
bann  öfter,  unter  anbern  1584  eben  ba  (bei  SJlidjael  SÜBolrab),  mieber  aufgelegt.  3n  bem  jmettenSbeile  tie- 
fer foäteren  tfuSgabe  (831.  196  auf  ber  Sfudfeite)  mirb  nun  Sobann  Hüffens  Sieb  lateinifd)  mitgetbeilt,  mit 
Oem  23emerfen :  ,,3obanneS  puffen  Siiebt;  ungeaebt  ba§  er  nun  fefjerifd)  mar,  \)at  er  bod)  fein  meinung 
oon  bem  boebmirbigen  ©acrament  bc§  2Clta*8  (latbolifcber  SBeiö  gehalten :  2Beld)e3  f'ann  unb  mag  in  ben 
(Satbolifcben  &ird)en  unb  SSerfammlungen  fteber  gefungen  merben,  mie§  in  lateinifd)er  unb  beutfd)er  fprad) 
allste  in  feinem  alten  S£l) ort  bernad)  oerjeiebnet  folget  tc."  25ie  beigegebene  SDRelobie  ift  bie  be3 
äßaltcrfdmi  ©cfangbudjes,  bas  üieb  beginnt,  mie  e§  in  bem  ber  SSrüber  angegeben  mirb,  unb  bat,  mie  ftd) 
auö  feiner  Überfcbrift  fcbliefjen  läf?t,  feine  SSeränberung  erfabren.  ©o  bürften  mir  benn  aueb  üorauöfefjen, 
t»a§  feine  ©ingroeife  bie  alte,  urfprünglicbe  fei,  mie  ßeifentrit  oerftebert.  Allein  eben  bierin  mangelt  feinem 
,Heugniffe  ooUe  ©laubmürbigfeit.  ©ein  S5ud)  jeigt  il)n  ntdbt  eben  aÖ  grünbltcben  gorfeber  auf  biefem 
Zueile  be6  ©ebiete^  alten  geblieben  ©efangeg ;  er  miU  nur  für  feine  Äircbe  baS  SBefte,  ibm  jugängtieb 
gemefene  jufammenlefen  für  einen  geiftlicben  ©efang,  ber  ftcb  mit  bem  ber  (Soangelifcbcn  meffen  bürfe,  unb 
Ceffen  weitere  Verbreitung  binbere ;  bie  oon  ttpu  mitgetbeilten,  älteren  beutfeben  Äircbcnlicber  fd)eint  er  eben 
nur  auö  BOß  ©efangbud)e  (153IT)  cntlebnt  ju  baben.  Sgatte  er  nun  aueb  oicUeid)t  eine  äd)te  ältere  Guelk 
ffa  &u%  lateinifcbeö  Sieb ,  oon  bem  er  eine  eigne,  ber  tutberifeben  sJcacbbicbtung  niebt  übereinf ommenbe 
Übertragung  giebt,  fo  tann  er  boeb  leid)t  bie  9Jielobie  oon  jener  entlehnt  baben,  in  ber  Meinung,  fte  fei  ber 
alte  urfprünglicbe  Xon  beö  tliebeö.  2?icfe6  bleibt  unö  jebod)  jmeifelbaft  burd)  5Diid)aet  SBeiffenö  tlicberbud), 


  143  


ba§  fid)  auf  urfunblicbe  Quellen  grünbet,  unb  beffen  3eugnifi  um  fo  t>teleä  älter  ift;  mir  galten  un£ 
beSfyalb  ju  ber  oben  aufgehellten  'Annahme  fortbauernb  berechtigt.  2BaltcrS  SD^etobte  ftnbet  ftdt>  in  feinem 
©efangbucbe  in  jmei  £onfäf<en,  einem  fünfftimmigen  (%lro.2'S),  ber  aud)  1551  (92(0*41)  unoeränbert  mieber= 
febrt,  unb  einem  brciftimmigcn  (9cro.  24),  bei  bem  baffelbe  ber  gall  ift  CSlxo.  71).  ^PrätoriuS  tr)eilt  fie 
nad)  oier  (Singarten  mit,  einer  braunfd)mcigcr,  mcifmer,  fd)mäbifd)=fränfifd)en,  unb  in  eben  fo  oiet  Xon- 
iav-cn  (VII.  i»l  94)5  jene  ftimmen  jebod)  im  SSBefcntlicben  überein.  (Sine  fünfte,  ^t>rt?gifd>e  SKelobie 
(9cro.  95  a.  a.  £).),  bie  nod)  auferbem  bei  ihm  ju  finben  ift,  f>at  er  au§  JtlugS  ©efangbucbe  C 1 535)  ent= 
letjnt,  roo  fie  neben  ber  28alterfd)en  ftefjt. 


fttittet  %lbfd>niH. 

Sutfyer  als  Sänger  getftlicf)er  SBetfcn  für  bie  eüangelifdje  Ätrcfye. 

25afj  mir  bie  (Sänger  ber  SEJWobicen  oon  ben  ältcften  getftlid)en  Biebern  ber  gereinigten  £trd)e 
nicht  fennen,  menn  aud)  bie  tarnen  ihrer  £>id)ter  un§  aufbebalten  ftnb;  bafs  mir  biefe  nicht  jugleicb  für 
Urheber  ber  SSBeifen  ifjrer  ©ebidjte  galten  bürfen,  haben  mir  in  bem  oorangehenben  '#bfd)nttte  ju  jetgen 
gefudjt.  2Cber  oiele,  gemid)tige  Stimmen  nennen  unö  2utl)er  felbft,  nicht  alS  geijtltcben  Siebter  allein, 
fonbern  aud)  als>  Sänger,  unb  gern  bat  man  ihnen  geglaubt,  auf  ihre  ©ernähr  bin  feinen  9?ut)m  aud)  hierin 
meiter  oerbreitet.  2Ber  fdf>e  ba3  tbeure  4?au»t  beS  berrlid)en  SJlanneS  nicht  gern  mit  bem  reicbffen  @bren-- 
franje  gejiert !  'über  auch  hier  bat  bie  ©cfcbicbte  ju  prüfen,  ju  ficbten,  unb  ma3  fie  als  Grrgebnifi  ftnbet, 
nid)t  ju  oerbergen,  nod)  ju  oerbütlen.  Sarf  fie  bod?  gemijj  feon,  bafj  ber  SDZann,  ber  nicht  feine  @hre 
fucbte,  fonbern  ben  $>reiS  beffen,  ber  ihn  berufen  hatte  ju  feinem  SBerfjeuge ;  er,  ber  mit  herben  2Borten 
biejenigen  jurücfmicä,  bie  ftd)  nach  feinem  tarnen,  unb  nid)t  nad)  bem  bes>  (SrloferS  nannten,  aud)  jeben 
falfchen  ^)rei§  oerfchmäht  haben  mürbe,  menn  er  ihm  funb  gemorben  märe ;  barf  fte  bod)  nicht  fürchten, 
burd)  bie  «Stimme  bes>  reblichen  3meifel3,  nod)  meniger  ber  ftrengen  Wahrheitsliebe,  mie  burch  einen  giftigen 
£aucb,  bie  griffe  be§  ghrenfchmucfeS  melfen  ju  machen,  ber  ftd;  immer  grün  um  fein^auot  flechten  mirb  ! 

@he  mir  aber  bie  Unterfucbung  beginnen,  bie  unfere  Aufgabe  un§  jur  Pflicht  macht,  haben  mir 
juerft  bie  grage  ju  beantmorten :  in  meld)em  SSerbältniffe  benn  nun  ber  neue  Äircbengefang  überhaupt 
geftanben  habe  ju  ber  gefammten  SDrbnung  beö  ©otte§bienfte§  ber  gereinigten  .Kirche,  unb  biefe  mieberum 
ju  bem  ber  alten,  ba  man  ja  oielfältig  erflärte,  man  gebenfe  biefe  nicht  ju  oerlaffen,  fonbern  ft'e  nur  oon 
9Kifbräud)en  ju  fäubern? 

2Bir  folgen,  biefer  grage  genugjutfjun,  am  ftcherften  benjenigen  (Schriften  ßutf)er3  nad)  £>rb= 
nung  ihres  @rfd)einen§,  in  melden  er  ju  lehren,  ju  überjeugen,  anjuorbnen  getrachtet,  ma§  ber  gereinigten 
.Kirche  ©otteS  9coth  t£>ue  in  ihrem  ©otteSbienjte.  4pier  begegnen  mir  junäcbft  einer  fleinen  2fbbanblung  oon 
nur  oier  SSlättern,  ju  Wittenberg  1523  gebrueft,  ,,5Bon  ber  £>rbnung  ©otteäbienft  in  ber  ©emetne."  %b,x 
jufolge  foll  bie  fird)liche  geier  ftd)  fnüpfen  an  bie  ber  alten  -Kirche,  unter  tfbtbuung  ber  ^»eiligen  gefie,  mit 
Ausnahme  ber  Steinigung  unb  fBertunbtgung  SSJiariä,  felbft  ihrer  ©eburt  unb  Aufnahme  in  ben  Gimmel, 
bie  eine  3eitlang  noch  bleiben  bürften,  miemohl  ber  ©efang  barin  nicht  lauter  fei :  aud)  SobanniS  beö  £äu= 
fer§  geft  fonne  bleiben,  megen  beö  reinen  ©efangeä,  nicht  fo  ber  tfooftel  ßegenb  „on  (aufgenommen) 
<S.  ^)auli."   Seö  ©efangeö  ber  ©emeine  mirb  barin  nicht  befonberS  gebaut:  aber  tebenbig  fpricht  ber 


  144   


©inn  ftcb  au$,  in  wettern  ba§  neue  ilird)entf)um  gegrünbet  werben  folle.  „2tber  bie  ©umma  fei  bie  (i)ü$t 
c$  bort),  bafj  e8  ja  alle§  gefd>el)e,  bafj  ba§  SDBovt  in  ©cfywang  ge^e,  unb  nid)t  wieberum  ein  plärren  unb 
Ionen  barauS  werbe,  wie  btät;er  gewefen  ift.  2flle§  ift  beffer  nacfygelaffen,  benn  bas>  SEBort,  unb  ift  nicfyts 
befiel  getrieben,  benn  ba§  2Bort ;  benn  baf?  baffelb'  follt'  im  ©cfywang  unter  ben  ßfjrijren  geben,  geigt  bie 
ganjc  ©djrift  an,  unb  @l)riftu3  aud)  felbS  fagt,  Sucä  10 :  @in§  ift  oon  SJlbtben,  ndmlid),  bafj  Sftaria  ju 
(5l)riftu3  gittert  ft'fje,  unb  fyore  fein  Sßort  täglid),  ba3  ift  ba§  bejle  S£f)eil,  ba§  ju  erwdblen  ift,  unb  nimmer 
weggenommen  wirb.  63  ift  ein  ewig  2Bort,  ba3  anber  mufj  atleS  »ergeben,  wie  üiel  e3  aud)  ber  9Kartf)a 
ju  febaffen  giebt.    Saju  Jjetf  un§  ©Ott,  2tmen." 

(Sine  jweite  ©d)rift  biefeei  ©egenftanbeS  ift  bie  im  Secember  beffelben  SafjreS  erfebienene  Formula 
missae,  bie  wir  unter  bem  Sitel:  „Sie  wepfe  ber  9Jief?,  unb  bie  gemjefjung  be§  ,£>od)wirbigen  ©acramentj>, 
für  bie  G>f)riftlid)e  ©ernatm  oerteutfcfyt"  in  einer  Überfe&ung,  um  1524  ju  Wittenberg  gebrudt,  tor  2tugen 
fjaben.  ©ie  ift  9licolau§  Kaufmann,  ,,f)at)ligen  in  Güfjrifto,  ber  ßfjrifflicfyen  ©emann  ju  Sroidaw  9)farr= 
berrn"  gewibmet. 

£ier  wirb  üergbnnt,  baß  man  im  Äprie,  bem  Crngelifcfyen  ^Pfalm  (Gloria  in  excelsis  Deo),  bem 
©ebraucfye  ber  alten  Äircfye  bei  Haltung  ber  SJleffe  ftd)  anfd)liefje:  nur  beren  2tnftd)t  als»  eineS  £>pfer3, 
unb  bamit  ber  Stteß  =  ßanon,  wirb  in  ben  Jjartejten  ^uöbrüden  »erworfen.  Grpifteln,  (Soangelien,  ©ra- 
buale,  ber  ,,©laub'  im  ßoncilio  9ftceno  gejMIt"  werben  gebilligt ;  bie  ©equenjen  —  bie  ben  ©plben= 
beb.nungcn  ber  J^allcluja  an  fyofyen  geften  unterlegten  ©efdnge  —  follen  abgetan  werben;  ,,e§  gefiel'  benn 
einem  Pfarrer  bie  furj  ©equenj  am  ^eiligen  ßfyrijttag :  Saft  un§  nun  alle  Sanffagung  tf)un  bem  ^erren" 
(Grates  nunc  omnes).  fepn  fd)ier  gar  fein'  ©equenj  (fdfyrt  Cutter  fort),  bie  ben  ©eift  unb  ©lauben 
anjeigen,  bann  bie  t>om  belügen  ©eift:  Sie  ©nab'  be3  ^eiligen  ©eifteS  ftebe  uns>  bei  (Spiritus  saneti  adsit 
nobis  gratia)  unb  .Komm  fyciliger  ©eijt."  ^Jcad)  ber  33enebet)ung  be§  ©aframenteä  wirb  ber  ©efang  be§ 
©anctuS  unb  33enebictu§  empfohlen ;  wäfyrenb  beffen  2(us>rf)eilung  an  bie  ©emeine  ba§  2(gnuö  Sei,  unb 
ftatt  be3  „Sie  SDftffa  eft"  ba£  33enebicamu§  unb  WIeluia.  9tad)  (Smpfang  be3  ^eiligen  2tbenbmaf)l$  möge 
bie  ©emeine  ba$  Sieb  fingen : 

©ott  fei  gelobet  unb  gebenebeiet, 
Ser  un3  felber  bat  gefpeifet  ic. 
nid)t  aber  bie  fpäteren  S3erfe  beffelben : 

unb  baö  b,  eilig'  ©aframent  an  unferem  legten  Grnbe 

auö  be§  geweideten  ^)riefter§  $änben  k. 
benn  e§  war  feine  Meinung,  biefe  fepen  bin§ugefügt  t»on  irgenb  einem,  fo  ©t.  Sßarbara  geebret  unb  il)r 
gebienet  b.abe,  unb  obwohl  er  fein  Sebelang  baä  ©acrament  wenig  geachtet,  gehofft,  wenn  er  jterben  follte, 
burd)  ba§  blof e  gute  2ßerf  ber  ©enief ung  beffelben,  ob,ne  ©lauben,  unb  bureb,  feiner  ©dwijerin  gürbitte, 
einjugeben  jum  geben,  ©o  lobt  er  aud),  unb  ol)ne  weitere  S5efd)ränfung,  bie  alten  ßieber :  „9iun  bitten 
wir  ben  fjeiligen  ©eift,"  unb  „ein  Äinbelein  fo  lobelid)."  2Bieberl)olt  aber  fcbdvft  er  ein,  baf  man  auö 
aUem  biefen  nimmer  ein  ©ebot  machen  foüe,  nod)  eine  $flid)t.  „Sn  biefen  Singen  (fagt  er)  foll  man  frei 
unb  unwbunben  fepn,  unb  5Riemanb  gejiemen,  weber  mit  ©efe^en,  nod)  mit  ©eboten  bie  d)riftlid)en 
©ewiffen  &u  fab,en.  Serljalben  aud)  bie  l) eiligen  ©efdjrift  üon  biefen  Singen  ntcbts>  befcblie^en,  fonbern 
laffen  bie  Jreiljeit  beS  ©eifte§  ir>reö  ©inneö  gewif  fepn,  nad)  ©elegenb,eit  ber  ©tatte,  ber  3eit  unb  $Perfon." 


  145  


(Sine  befiimmtere  ©eftalt  enblicb  5Ctd>net  ßutber  ber  firdjttdjen  geier  »or  in  feiner  Schrift: 
Seutfcbe  9Keffe  unb  SDrbnung  ©otteSbienftS,  ju  2Bittemberg  fürgenommen,  1526;  immernoch  mit  2ln= 
fcbluß  an  bie  ©ebräucbe  ber  alten  .Kirche,  bt»  auf  bas  Sd)riftroibrige,  unb  bie,  unablaßlid)  bejrrittene  Tin- 
ficht  ber  9Jieffe  als  eine§  SBerfeS  unb  £>pfer§.  2>e3  Sonntags  foll  ein  geiftlicb  Sieb,  ober  ein  teutfd)er 
•■pfalm  ju  Anfang  (in  primo  tono)  gelungen  merben:  ,,3d)  mill  ben  $erren  loben  allezeit."  £urd)  SEom 
Reichen  wirb  erläutert,  rote  bicfer  spfalm,  meniger  ju  fingen,  al3  mit  erljbfjter  unb  benimmt  betonter  9?cbe 
vorzutragen  fei.  £)ann  fofle  baö  itnrie  eleifon  (£err  hilf  unö)  bretmaf)l,  nid)t  ncunmaf)l,  roie  bisher  roieber= 
holt,  folgen:  eine  (Sollefte  —  betonte  SSorlcfung  —  be3  ^riefterS,  unb  barnad)  bie  (Spifiel  im  ad)ten 
SEone,  fo  baß  ber  $>riefter  im  Grinflange  ber  ßollefte  gleich  t)od)  bleibe.  Sanft  $>aul,  äußerte  Sutber  gegen 
SBalter,  0I6  er  in  ©emeinfcbaft  mit  Ü)m  biefe  ©efange  orbnete  unb  für  biefeS  SBerf  aufzeichnete ,  fei  ein 
ernjier  'tfpoftel,  ibm  jieme  jener  Äird)enton  am  bcficn.  „2luf  bie  (Spiftel  (fährt  er  fort)  finget  man  ein 
teutfd)  Sieb:  9hm  bitten  mir  ben  beiligen  ©ei)t,  ober  fonji  eineS  unb  baS  mit  bem  ganjen  ßbor."  £ann 
folgt  ba3  Croangelium  be3  SageS,  gelefen,  mit  bem  2tngeft'djte  jum  83olfe  gef  ehret,  gleichwie  bie  (Spijiel : 
jencä  im  fünften  £one,  ,,benn  biefer  jieme  ben  SJcben  ßbrifti,  ber  ein  freunbltdber  ^)err  fei,  unb  lieblid) 
feine  3febe,"  waren  2utber3  Söorte  bierüber  gegen  SBalter.  9cad)  bem  (Soangelio  fingt  bie  ganje  £ird)e  ben 
©laubcn  §u  teutfd) :  ,,2Bir  glauben  all'  an  einen  ©ort;"  baran  fcbließt  fich  bie  $)rebigt,  unb  eine  Um* 
fcbreibung  be§  S3ater  Unfer;  biefem  enblid)  folgt  ba3  %  mt  —  bie  (Sinfegnung  be§  SarramenteS,  unb 
Dellen  2lu3tbeilung  an  bie  Sememe.    2)aju  finge  man  ba§  teutfd)  SanctuS 

Sefaia  bem  Propheten  ba3  gefcbab, 
nach  bem  fecbjten  ßapitel  beffelben,  wo  er  be§  £errn  £errlichfeit  fabe,  unb  ba§  Dreimablbeilig  ber  Sera= 
pbim  üernabm;  —  ober  ba$>  Sieb:  ©ort  fei  gelobet;  ober  Sobann  puffen  Sieb: 

Sefu§  dbrifiuS  unfer  £eilanb 

25er  »on  un§  ben  ©ottee  3orn  wanb; 
ta$  Übrige  biefer  lieber,  ober  ba3  beutfcbe  2lgnu3  2)ei,  ju  ber  SBeibe  beS  Äelcbe§.  £>ie  Getiefte  unb  ber 
Seegen  befcbließen  bie  gefammte  geier.  '2lllc  neu  georbneten  ©efange  finb  mit  ihren  Sonjeicben  oerfeben, 
auch  noch  S3eifpiele  für  Crpiftel  unb  Croangelitim  beigefügt  in  ben  für  ftc  angeorbneten  Sbnen ,  bem  achten 
unb  fünften.  2Cüe  biefe  tfnorbnungen  gelten  jebod)  nur  für  ba$  fonntäglicbe  2lmt.  ,,5Jiit  ben  geflen  (fagt 
iiutber)  al§  2Beibenad)ten,  £flern,  ^fmgften,  9Jiid)aeli»,  ^urifkationf» ,  unb  bergleicben,  muß  ergeben 
roie  bipber,  lotetntfcb,  bip  man  teutfcb  ©efang  genug  baju  i)at.  Denn  bis  merf  ift  im  2tnl)eben, 
fcarumb  iftä  nod)  nit  alleS  bereit,  roas  baju  gebort,  allein,  baß  man  roiffe,  mie  e§  auf  einerlei  SSBeife  folle 
unb  möge  jugeben,  baß  ber  mancherlei  SSeifc  9fatb  unb  9)Jaaß  gefunben  roerbe."  —  Unb  ferner:  „25ie 
Saften,  f  almtag  unb  hartem? od) en  laffen  mir  bleiben;  nicht,  baß  mir  jemanb  ju  fajten  jmingen,  fonbern 
baß  bie  ^affion  unb  bie  ßoangelien,  fo  auf  biefelbige  3eit  georbnet  finb ,  bleiben  follen ;  bod)  nid)t  alfo, 
Caß  man  bas  ^)ungertud),  Halmen  fcbicßen,  SBilb  becfcn,  unb  mä§  beö  ©aucfelmerf»  mehr  ift,  b"lte,  ober 
©ier  9)affion  finge,  ober  ad)t  Stunben  am  Äarfreitag  an  ber  ^affion  ju  prebigen  l)abe;  fonbern  bie  9Jtarter= 
roocbe  foll  gleich,  mie  anbere  5ßochen  fenn,  ol)n'  baß  man  bie  gMfffon  prebige,  be§  Sag§  ein'  (Stunbe  burd) 
bie  23od)e,  ober  mieciel  Sage  e3  gelüftet,  unb  baö  Sacramcnt  nehme,  roer  ba  miß.  Senn  e§  foll  ja 
aUeö  um  be3  SBorteö  unb  Sacramenten  millen  unter  ben  ßbrijkn  gefdjeben  im  ©otteSbienfte. 

Summa,  biefer  unb  aller  £rbnung  ijl  alfo  ju  gebrauchen,  baß,  roo  ein  9Jiißbraud)  baraus  roirb, 
t>aß  man  ftc  flugä  abtbue,  unt  eine  anbere  mache;  gleich  roie  ber  Äbnig  @jed)iaä  bie  eherne  Schlange,  bie 

o.  SßinlafcU  ,  fctr  erangtl.   (S^cralgcfang.  19 


  146   


bog  ®ott  fcibfr  befehlen  harre  ju  machen,  barum  jubrad)  unb  abtbdt,  baß  bie  Äinber  Sfrael  berfelbtgen 
mif;bt\utebren.    ©am  bt«  £rbnungcn  füllen  ju  gorberung  beS  ©laubens  unb  ber  Siebe  bienen,  unb  nid)t 

Uim  'Dcadrtbeil." 

©drahten  ttm  bie  9Jcilbe  unb  Schonung  biefes  SSerfal;rm§ ,  wonach,  nirgenbs  gewaltfam  ein- 
geriffen,  nur  baS  SJlotfdbe  unb  Unhaltbare,  bas  Scbdblicbe  unb  Seelenoerberblicbe  abgetban,  bem  ^rger= 
niffc  gewehrt,  bem  SBcffcrcn  überall  ber  2Bcg  gebahnt  werben  [ollte;  fo  barf  es  nicht  SBunber  nehmen,  bie 
äußere  bebeutfame  ginfaffung  bes  alten  ©ottesbicnfreS  überall  beibehalten  ju  [eben;  ja,  bei  allem  Eifer  für 
bie  tbatige  Sbeilnabme  ber  ©emeine  an  ber  geicr,  fclbft  ben  ©efang  in  ber  alten  £ird)enfpracbe,  bis  er  bureb 
beutföai  crfcljt  werben  fonnc.  gür  bie  Sd)üler  gelehrter  Suijialtcn  jeboeb  füllte,  aueb  wenn  biefeS  möglich 
geworben,  ber  lateinifdje  ©efang  bennoeb  nicht  berjrummen,  er  füllte,  als  2cbr=  unb  Erbauungsmittel  beflehen 
bleiben,  ja,  für  bie  Sugcnb  füllten  bie  Vespern,  wo  ft'e  gefallen  waren,  wieber  aufgerichtet  werben,  ba  fie, 
bem  SBefentitdjen  nacb,  nur  aus  fd)riftmdßigen  ©cfdngcn  beftanben.  Saß  aber  bas  gefttieb  unb  bas 
spfahnlieb  vor  'Willem  bie  gciftlidjen  Siebter  jener  Seit  befebäftigten,  unb  baß  beibe  in  ben  bamaligen  ©e= 
fangbüdiern  bebeutenb  »orberrfeben,  ift  nicht  minber  erßdrltd).  ©er  beutfd)cn  gefrgefdnge,  beren  Langel 
lebbaft  empfunben  würbe,  beburfte  man  vor  2lllcm  ju  würbigem  Scbmude  ber  n'rcbltcben  geicr;  unb  füllte 
bas  bci'igc  SBort,  ju  beffen  ^Belebung  biefe  angeorbnet  war,  rcidjlicb  wobnen  in  bem  ©efange  ber  ©e= 
meine,  fo  mufte  man  au»  beffen  dltcfrer  wie  ergiebigfter  £luelle,  bem  *Pfalmbucbe,  cS  beranteiten  für  bie 
Sürjrcnbcn,  ft'e  ju  erquid'cn;  man  mußte  es  in  bie  anmuthenbfte  ©efangfonn  f leiben,  um  biefes  achte, 
bcilfame  fcabfal  ihnen  oorjüglid;  lieb  ju  macben.  3n  beiben  'tfrtcn  bes  geifilidjcn  Siebes,  neben  bem  £ebr=, 
bem  Sßctlicbe,  wuebö  allgemach,  ber  SSorratl)  an  für  ben  beutfeben  Äird)engefang ;  langfamer  bereicherte  er 
fieb  an  foleben  ©cfdngcn,  bie  für  ben  Vortrag  bes  ©eifrtieben  befiimmt  waren,  an  Eingängen,  Eolleftcn, 
©ebeten,  Einleitungen  jur  SBcnebcpung  bes  SSrotcs  unb  .Kelches  für  bie  hoben  gefre;  hier  behielt,  auch 
«iel  fpdter  noeb,  ber  alte  (ateinifd^e  Äircbengcfang  feine  ©teile  neben  bem  beutfeben  ber  ©emeine. 

2Bie  es  acbtjebn  Sabre  fpdter,  nur  jwei  Safere  uor  ßutbers  £obe,  mit  bem  geiftlidjen  ©efange  in 
«Schule  unb  &ird)e  befebaffen  gewefen,  erfahren  wir  bureb  ben  Pfarrer  ber  Stabtfircbe  ju  Wittenberg,  Sr. 
Johann  Skggcnbagcn.  2113  ©corg  Schau  bafclbfr  um  bas  2Sabr  1544  acbtjig  Sicfponforicn  uon  SSaltbofar 
Sfeftnarius  für  bie  heiligen  3eitcn  unb  gefre  bes  ganjen  Jahres  herausgab,  begleitete  Jßuggenbagen  fie  mit 
einem  Vorworte  an  bie  bortige  ftubirenbe  Jugenb.  9cacbbem  er  bemerft,  baß  t^etlS  ber  Sonfe^er,  tbeils 
ber  Herausgeber  aus  ben  Herten  alles  entfernt  bdtten,  was  einem  frommen  £>bre  anftößig  fc»n  fönne,  fügt 
er  hinju:  „Soll  iöb  aufrichtig  gefielen  was  ich  meine,  fo  wünfdjte  ich  ber  Sugenb,  ben  SBorten  nad), 
reinere  ©efange  barjubringen,  von  benen  nicht  allein  gefagt  werben  mochte:  hier  ift  niebtö  Schlimmes, 
nichts  gegen  bie  heilige  Schrift,  ober  ben  ©lauben  ju  ft'nben,  fonbern:  hier  ift  bcö  ©uten  chüas  aus  ben 
heiligen  Schriften  unb  ©otteö  SBorte,  ßebre,  Ermahnung,  Sroft,  Verheißung,  Anrufung:  fo,  baß  bie 
3ugenb  jugleich  mit  bem  ©efange  fich  gewohnte,  ©ottee  SEßort  im  ©ebdchtniß  ju  behalten.  2ßie  wir 
benn  hier  in  SSBittenberg  bie  Schuljugenb,  jweimahl  am  Sage,  grübe  unb  3lbenbö,  aus  ber  Schule  in  bie 
Aircbe  gebenb,  ju  einer  furjen  unb  ermuntemben  Übung  anhalten.  Sie  fingen  latcinifd)  einen  unb 
ben  anbern  9)falm  mit  feiner  ^tntipbonte,  jur  Vesper  wirb  aud)  ein  4>r,mnus  hinzugefügt,  unb  an  ben 
gejttagen  ein  9fefponforium.  Dann  tefen  brei  Änaben  turje  '^bfchnitte  aus  ber  lateinifeben  S3ibet,  unb  was 
fie  juoor  gclefen,  wirb  banad)  »on  einem  m'erten  beutfd)  oorgetragen.  ^ieran  fdblteßt  fich  «™  borgen 
$ad)«m$  üobgeiang:  ©elobet  fei  ber  ^)crr,  ber  ©Ott  Sfrael,  am  "ilbcnbe  Sötarid  Soblieb:  SDieine  Seele 


  147   


ergebet  ben  .perrn,  mit  'tfntipbonie  unb  33enebicamuS  —  üaffet  uns  ben  £erren  leben,  ^»aUeluja!  Sonm 
abenbs  aber,  nach  bem  .frpmnuS,  folgt  bie  öffentliche  ^rebigt;  nach  berfelben  fingen  bie  Anaben  bie  Sita= 
nep,  ber  ©eiftlicbe  halt  ein  ©ebet,  unb  nach  ihm  tvirb  baS  23encbicamuS  gelungen.  'Km  Sonntage,  frühe 
nad)  ben  gectionen,  fingt  bie  ganje  Äircbe  irgenb  einen  bcutfd)en  ^Pfalrn,  unb  eS  wirb  ber  ,Rated)iSmuS 
geprebigt:  banacb  fingt  man  baS  Sbm  ©ort  bid)  loben  mir,  ober  Atbanaft'uS  ©laubenSbcfenntnijj,  unb 
fügt  eine  'tfntipbonie  unb  bann  baS  SBenebicamuS  binju.  3ur  SSeSper  beffelben  5£agcS,  nad)  ber  ^rebigt, 
fing«  bie  ganje  .Kirche  beurfd)  SDiarid  unb  Simeons?  Sobgefang  (SJJagniftcat  unb  SRtmc  bimittiS),  jutn 
Scbluffe  baS  SJenebicamuS.  Sn  unferer  öffentlichen  9ftcffe  —  mie  fie  gebeifkn  mirb —  fingt  unfere  Äircbe 
beutfeb,  boeb  nichts  anbereS,  als  mag  auS  bem  4?eiligtbume  beS  gbttlicijen  SBorteS  hergenommen  ift,  nad) 
Clbrtflt  'tfnorbnung,  mo  er  fprtcbt:  £icfeS  tf)ut  ju  meinem  ©ebdebtniffe."  —  2Bir  feben,  eS  mürbe  frdftig, 
unb  fonfebreitenb  gemirft,  ben  Saamen  beS  göttlichen  SBortcS  auSjuftreuen  in  bie  ©emütl)cr,  fie  ju  frucbt= 
barem  ©ebeiben  beffelben  oorjubereiten ;  nicht  allein  baS  Scbdblicbe  unb  Scbriftroibrige,  reinigenb,  ju 
entfernen,  fonbern  auch  baS  £cilfame,  Scbriftgcmdfje,  meiterf  brbernb,  ju  »erbreiten.  £>abei  aber 
feilte  3ier  unb  Scbmud  beS  ©otteSbienjteS  bleiben,  bie  heilige  SEonumft  jumabl,  in  ber  #er$  unb  Sinn 
am  meiften  ju  bem  ßmtgen  ftd)  ergebe;  dufjerlid)  follte  nicht  einmal  ber  *Knfch,ein  einer  Steuerung  bertjor* 
treten.  ,,GS  finb  unfere  JUrcben  (Tagt  2utber  im  Sabrc  1541)  ©ottlob  !  fo  jugeriebtet,  bafj  ein  2ape,  ober 
Söallon,  ober  Spanier,  ber  unfere  $)rebigt  nid)t  üerfteben  fbnnte,  menn  er  fähe  unfere  93ieffe,  ßbor,  £x* 
geln,  ©lorfen,  dafeln  unb  bergleid)en ,  mürbe  er  muffen  fagen ,  eS  mdre  eine  red)te  papfilicbe  Äirche,  unb 
fein  Unterfdiieb,  ober  gar  menig,  gegen  bie,  fo  fie  felbft  unter  einanber  haben. " 

T>a$  bem  in  ber  Sbat  fo  fei,  bemdfyrte  ftd)  halb  nad)  SutberS  SEobe.  Sn  §olge  ber  Schlacht  bei 
Sltüblbcrg  jogen  9)tttfmod)S  uor  ^fingften,  am  25.  ÜJiai  1547,  bie  Äaiferlichen  in  Wittenberg  ein.  SOian 
hatte  au$  SSeforgmfj  vor  Störungen  ben  ©otteSbienji  in  ber  Schloff irche  eingeftellt;  allein  Äaifer  Satl  V 
empfanb  bieS  übel.  3n  ben  oberbeutfehen  ganben  habe  er  in  ber  Religion  nichts  gemanbclt,  fagte  er,  UM* 
um  folle  er  es?  hier  tbun?  So  begannen  ©cfang  unb  ^rebigt  benn  am  folgenben  Sage  mieber.  3n  ber 
sPfarrfird)e  batte  2>r.  S5uggenl)agen  ben  ©otteSbienft  nid)t  erft  eingeteilt,  unb  fanb  fid)  burd)  beS  Äaifers 
Äußerung  noch  mehr  ermuntert,  dt  prebigte  fogar  in  ber  ^fingftmoebe  über  ben  Unterfchieb  beS  eoangclU 
fchen,  unb  beS  '»PapficS  ©lauben.  20le  tiefe  Sage  —  erjdl)lt  er  felbjt  —  bitten  wer  bis  fünf  Spanier  in 
einem  ©eftüble  bei  bem  Altare  geftanben,  unb  ehrerbietig  jugebbrt,  ba  am  geftgotteSbienfte  giguralmufif 
aufgeführt,  oom  ©eiftlichen  lateinifcb  am  Altäre  gelungen ,  nach  ber  ^rebigt  aber  bie  9)rdfation  —  Gm= 
leitung  ju  ber  Söeibung  beS  AltarfacramenteS  —  unb  baS  Sanctuö  (Sreimablheilig)  lateinifch,  bann  bie 
ßommunion  mit  ©ebeten  unb  ©efdngen  in  beutfeber  Sprad)e  gehalten  morben  fei. 

"än  allem  biefem  erfennen  mir  ben  Sinn,  in  melchem  Suther  ju  Aufrichtung  bee  eoangelifd)en 
©otte§bienfte5  gemirft,  mie  ben  Grfolg  feiner  ^Bemühungen.  GS  fann  unS  nicht  fd)mer  merben,  bie  Stelle 
herausjufinben,  melcbe  bie  geiftlid)en  Steter  bei  ber  f ireblicben  geier  einnahmen  5  in  ben  mitgetbeilten  Urf um 
ben  finb  jmar  beren  nur  menige  auSbrüdlid)  genannt,  mehre  aber  begegnen  unö  in  ben  geiftlicben  ©cfang= 
büchern  jener  3eit.  SSStr  miffen  mit  S3eftimmtbeit,  baß,  unb  meld)e,  von  biefen  Siebern  Cuther  jum  Ur= 
beber  haben:  nur  baS  ftebt  noch  in  grage,  ob  aud)  beren  Singmeifen  won  ihm  henühren?  2)iefe  Jrage 
ift  bisher  in  ber  9fegel  bejahenb  bcantmortet  morben,  allein  ihre  ßöfung  ift  feineSmcgS  jmeifelloS. 

©egen  auSbrüdlid)e  3eugniffe,  bie  auf  beftimmte  Sieber  unb  ihre  fenntlich  bezeichneten  Sing= 
meifen  gerichtet  finb ,  fofern  fie  von  glaubmürbigen,  unb  oorauSfeelid)  gehörig  unteniebteten  Söiitlebenben 

19* 


  148   


herrühren,  foll  allcrbingS  ein  3weifel  fid>  ntd>t  ergeben.  (Eben  fo  inentg  wollen  wir,  wegen  einer  jufälligen, 
geringen  'tfbnlicbfeit  ber  angeblich,  lutberifeben  SDZelobicen  mit  älteren  lateinifeben  jene  auf  biefe  juritcffüb= 
ten,  wie  eS  wohl  fatbolifeber  ScitS  gefdjeben  ift.  2) er  SSBabrbeit  wollen  wir  nicht  wiberftreben,  unb  einen 
fallen  9?ubm,  wenn  rcir  if)n  als  foldben  erfennen,  nicht  bureb  vergebliche  Deuteleien  ju  fiüljen  fueben. 
ÜBir  bürfen  aud)  naebgeben,  bafj  maneber  Entlang  altfird)lid)cr  SBeifen  in  ben  neuen,  volfSmäfigeren,  ber 
»angelifdjen  Äircbc  gefunben  werbe,  ja,  wir  haben  felber  ausgeführt,  bafj  auS  ber  gegenfeitigen  @in= 
wirfung  beS  SßolU--  unb  beS  alten  ÄircbengefangeS  bcrgleicben  notbwenbig,  wenn  auch  oft  unbewußt, 
entjtcben  mußten.  Soll  aber  etwa  bie  SÖMobie:  „(Sin1  fefte  33urg  ift  unfer  ©Ott,"  jurücfgefübrt  werben 
auf  bie  beS  fatl)olifd)en  £vmnuS  an  ben  2Ü?ofteltagen :  Exsultet  coelum  iaudibus,  weil  jufdlliger  SBeife 
bie  vier  erften  Zone  33eibcr  übereinstimmen;  unb  wirb  babei  nidbt  beachtet,  bafj  bie  Singmeife  beS  beutfeben 
SiiebeS  eine  ionifdhc,  bie  beS  lateinifd)cn  eine  »brvgifcbe  ift ;  bafj  jene  einem  neunjctligen,  biefe  einem  vier= 
jeiligcn  Siebe  eignet,  unb  in  jenem  nicht  einmal  bie  erfte  bis  vierte  Seile  mit  ber  fünften  bis  achten 
übereinftimmen,  weber  in  SKaafj  nod)  ^Betonung,  fonbern  in  beiben  nur  bie  vierte  unb  neunte  Seile  gleich 
finb;  wirb  entlieh  baburd}  vollenbS  aueb  nur  bie  SDi6glid)feit  auSgefcbloffen,  bie  Söeife  beS  beutfeben  ßtebeS 
auS  ber  beS  latcinifd)en  abzuleiten ;  fo  tonnen  wir  eine,  bennod)  bal)in  gebenbe  33ebauvtung  nur  für  eine 
feiebte,  völlig  grunblofe  halten,  unb  müffen  vorauSfe^en,  bafj  allein  Übelwollen  gegen  2utber,  ben  »erbauten 
jte^crfürjien,  il)r  ju  ©runbe  liege. 

ginben  wir  bagegen  bie  Seugniffe,  bie  man  uns  anführt,  um  ju  beweifen,  bafj  ßutber  aud) 
Sänger  ber  SSJielobieen  feiner  Sieber  gewefen,  weber  von  auSreichenber  ä3eftimmtbett,  nod)  auf  genau  be= 
zeichnete  Stngwcifen  gerichtet,  noeb  mit  anberen,  fefrftebenben  Sbatfacben  übereinjtimmenb ;  fo  ift  eS 
''Pflidn,  fie  naher  ju  prüfen ,  unb  fte  ju  verwerfen,  wenn  fie  ber  Prüfung  nid)t  Stanb  galten,  möge  baS 
Grgebnifj  ber  gorfebung  unS  erfreulich;  fevn  ober  nicht»  ©n  nur  burd)  Scblufjfolgen  annähernb  geführter 
SSemciS  für  2utl)er  möge  aber  aud)  in  unfercr  £>arftellung  nur  als  ein  folcher,  nicht  als  ein  beftimmteS 
3eugnifj  erfchetnen ;  als  eine  vorläufige  (Sntfcbeibung ,  bie  einer  abermaligen,  ftrengen  Prüfung  fich  nicht 
entstehen  barf. 

Sßenn  üutljev  aud)  als  Sänger  ber  SEJMobieen  ber  von  ibm  gewichteten  geiftlicben  Sieber  gerübmt 
wirb,  fo  pflegt  man,  um  biefen  Sfubm  ibm  jujueignen,  juerft  auf  allgemeine  ©rünbe  ftcb  ju  ftüfcen. 
Man  »reift  feine  Siebe  jum  ©efange,  unb  jumabl  bem  beiligen ;  3eugniffe  grember  fehlen  bafür  fo  wenig, 
als  fchone,  treffenbe  33eweiSfiellen  aus  feinen  eigenen  SBerfen.  Unb,  in  ber  Z\)at\  feine  Spiel*  unb 
Sangfertigfeit  ift  nicht  ju  bejweifeln ;  von  ben  ©efangübungen  in  feinem  #aufe,  feinen  naben  fßerl;dlt' 
niiJen  ju  Stupf  unb  StBalter,  Subwig  Senfl  unb  anbern,  finb  wir  genugfam  unterrichtet,  ßben  fo  wenig 
gebricht  eS  an  finnigen,  verjtänbigen  SBorten  SutberS  über  große  SSonmeifter  feiner  Seit,  bie  fein  ftcbereS 
Urtbeil  über  beren  2lrt  unb  Jutnft  um  fo  mel)r  bewähren,  als  fie  gelegentlich,  unabftcbtlicb,  auS  ber  gülle 
bes  £erjenS  bingeworfen  würben,  olme  belehren  ju  wollen,  ohne  auf  folche  2CuSfprücbe  Söertb  ju  legen. 
SDian  verweift  uns,  um  barjuthun,  bafi  2utl)er  auch;  Sonfeljer  gewefen,  auf  ein  Schreiben  von  ibm  an 
3obann  '^gricola,  vom  15ten  Suni  1530*).  '211S  er  einjt  vier  Sage  lang  nicht  ju  lefen,  noch  ju  fchreiben 
vermod)te,  verfiel  er  auf  einen  fonberbaren  Scbcrj.  Unter  weggeworfnem  Javier  hatte  er  einen  alten  brei* 
Gimmigen  ©efang  gefunben,  itjn  burchgefehen,  gebeffert,  eine  vierte  Stimme  hinzugefügt,  unb  ibm  neue 


')   be  SBem,  Cuttjcrs  SBriefc.  IV.  p.  35.  36. 


  149   


Sßorte  unterlegt,  liefen  fenbete  er  nunantfgricola.  (§r  fannte  beffenßapellan,  ©eorg,  als  unfertigen  Krittler 
unb  Sabler,  ber  fid>  »iel  wußte  mit  feiner  Äenntniß  unb  feinem  Urtfyeit  in  ber  SSonfunft,  unb  bacbte  ihn 
ju  Scfyanben  ju  machen  burd)  2lgricola'S  4?ülfe,  ttJenn  ttefer  »ergebe,  jenen  ©efang  von  Augsburg  ber 
empfangen  ju  haben,  als  einen  neu  gefegten  für  bie  2lnfunft  beS  Äaiferö  unb  jtbnig  gerbinanbS.  SBie  eS 
bamit  weiter  geworben,  ift  unS  nicht  berichtet:  allein  mit  Sfedb t  ift  barauS  ju  folgern,  baß  ßuther,  habe 
ein  folcber  <Sd)erj  überhaupt  nur  üon  ihm  unternommen  werben  fbnnen,  bocb  in  ber  ©efcfunft  erfahren 
geroefen  fcrm  muffe,  (Snblicb  ift  unS  burcb  SDkttbduS  Stofceberger,  £)oftor  ber  2(rjneifunbe,  ein  ©efang 
oon  wenigen  Seilen  aufbewahrt,  ben  ßutljer  bei  feinem  Aufenthalte  ju  ßoburg  1530  an  bie  SBanb  feines 
3immerS  follte  gefcbrieben  haben,  unb  t»on  welkem  jener  im  Sahre  1550  eine  Abfcbrtft  genommen  bitte: 
auf  bie  lateinifcben  23orte:  3d>  werbe  nicfyt  fterben,  fonbern  leben,  unb  beS  £errn  SBerfe  Berfünbigen*). 
gaffen  wir  ben  Schalt  biefer  ßeugniffe,  biefer  Urfunben  jufammen,  fo  feben  wir  allerbingS  in  Sutber  einen 
gefangliebenben,  fanggeübten,  SBerfe  ber  Sonfunjt  geijrreicb  unb  treffenb  beurtl)eilenben  SDiann,  ber,  mit 
ausgezeichneten  Sonmeiftern  in  naber  SSerbinbung  jiebenb,  felber  auch  wobl  eine  Singweife  ju  erfinben, 
unb  fie  burch  mebrjtimmigen  SEonfafj  auSjufcbmüden  oermoebte.  Aber  biefe  feine  gertigfeit  im  Sonfafce 
ging  boch  eben  nidjt  weiter,  als  ir)n  fehlerfrei  auszuüben;  in  bem  einen  Salle,  wo  er  jene  Äunjt,  feinem 
oorliegenben  S5riefe  jufolge,  in  Anwenbung  brachte,  war  eS  nur,  um  etwas  jufammen  ju  ftopöeln,  wo« 
burcb  ein  eitler  aufgeblafener  Ärittler  getdufebt  werben  fbnne,  niebt  um  auS  innerem  £>range  etwas  Süchtiges 
ju  fdjaffen.  Sag  er  biefeS  jemals  getban,  barüber  geben  feine  »telen,  über  jweitaufenb  binauSgebenben 
SSriefe  niebt  bie  geringfie  Anbeutung ,  unb  wir  mbdjten  el;er  glauben ,  baß  eS  ihm  genügt  habe,  eine  gewiffe 
dunere  gertigfeit  erlangt  ju  baben  in  biefer  Jtunjl,  um  il;re  SBerfe  beffer  »erflehen  unb  genießen  ju  fbnnen. 
S3efennt  er  ja  bod)  Subwig  ©enfl,  bem  uon  ibm  befonberS  gefchd|ten  Sonmeifter,  gegenüber,  baß  all  fein 
Äbnnen  unb  Vermögen  niebt  hinreiche,  efwaS  ju  febaffen,  wag  beffen  SBerfen  nur  nabe  fomme,  wogegen 
aber  aud)  ibm  bie  ©abe  ber  9)rebigt  oerlieben  fei,  bie  jenem  mangle;  wo  er  benn  bemerft,  bafi  ber  ©aben 
mancherlei  fe»en,  wie  bie  ©lieber  am  Seibe,  bafi  ein  Seber  an  ber  feinen  ftch  müffe  genügen  laffen,  unb  nur 
bürfe  ein  ©lieb  femx  wollen,  nicht  ber  ganje  ßeib.  SBaS  enblicb  ben  r»on  ßutber  erfunbenen  ein= 
Gimmigen  ©efang  betrifft,  fo  woEen  wir  feine  Urbeberfcbaft  eingegeben ,  unb  an  biefen  flüchtig  bingewor« 
fenen  Sbnen  nicht  »iel  mdfeln.  Mein  wir  haben  in  ihnen  feine  SDRelobie  in  ßiebform  üor  unS,  wie  bie= 
jenigen  ftnb,  bie  man  ihm  ohne  Unterfchieb  jufd)reibt,  weil  wir  feine  geglichen  ßieber  nach  ihnen  fingen; 
fonbern  einen  colleftenartigen  ©efang,  ber  burd)  fonjl  nichts  ausgezeichnet  ijt,  unb  feinen  ber  (SrfmbungS= 
gäbe  £utberS  günjtigen  Schluß  rechtfertigt. 

Allem  biefem  jufolge  werben  wir  burd)  jene  allgemeinen  3eugnijfe,  biefe  mittelbaren  S5e= 
weife,  um  nichts  gefbrbert.  Sene  helfen  baS  S5ilb  beS  h^rlid)en  9!Jianneä  »ollenben,  wir  erfennen  burd) 
fie  ben  wobltbdtigen  (Sinfluß,  ben  er  auf  Grrbaltung,  auf  ^Belebung  unb  gbrberung  be§  Äird)engefangeS 
üben  müffen;  wir  ftnben  SSeranlaffung  ©ort  bafür  ju  banfen,  baß  er  fein  auSerwdbltcS  SSBerfjeug  auch  hi« 
mit  ©aben  auSgejiattet  ju  reicherer  SSerbreitung  unb  S3erfldrung  feineö  f>etttgert  SBorteS ;  bod)  freilich  n"r/ 
fofern  ßutber  bie  auf  bem  ©ebiete  ber£onfunji  S3egabtejlen  ju  erfennen,  fie  als  Sheilnehmer  für  fein  großes 
2Berf  ju  gewinnen  wußte.  Siefe  mittelbaren  SSeweife  aber  fbnnten  nur  in  SSerbinbung  mit  gewichtigem 
einen  Sßertb  b^en  /  ^er  ihnen ,  für  ftch  genommen,  nicht  beijumeffen  ift. 


**)    Non  moriar  sed  vivam,  et  oarrabo  opera  Domioi. 


  150  -   

@S  liegen  un§  aber  auch  unmittelbare  33eroeife  uor;  unter  ihnen  ber  roichrigfte  ein  33erid)t  Sodann 
ffialtetS,  ßburfurfllid)  ©äd)ft'fchen  ©ängermeifterS ,  über  fein  3ufammenarbeiten  mit  Sutt>er  bei  @inricb= 
rung  ber  beutfchcn  Sfteffe:  eine  Urf'unbc,  bie  unS  Sflichacl  9)rätoriu§  in  bcm  crften  Sfjeile  feinet  Syntagma 
mnsieam  (Seite  449  big  453)  mitteilt,  unb  bte  un§  ju  genauer  Prüfung  aufforbert.  Sfyw  3td}t()eit 
bezweifeln  wir  nid)t,  unb  roenn  auch  eine  barin  uorfommenbe  Äußerung,  als  fei  ber  in  il)r  enthaltene 
S3ertd>t  40  %al)re  nach,  Aufrichtung  ber  beutfchen  ÜKeffe  —  alfo  um  1565  —  niebergefchricben ,  einiget 
SBebenfen  erregen  tonnte,  roeil  gewöhnlich  Sohann  SBalterö  £obes>jahr  fd)on  jelm  Satire  früher,  um  1555, 
angenommen  ju  roerben  pflegt;  fo  ift  bod)  biefe§  Siebenten  »on  nur  geringer  Erheblichkeit,  ba  ber  33ericb> 
erftatter,  bamalS  immer  ein  bejahrter  9JZann ,  faum  t>ic  3tbftcf>t  t^atte,  ben  feit  jener  Shatfache  oerfloffenen 
Zeitraum  genau  ju  beftimmen,  fonbern  tlm  nur  ungefähr,  als?  einen  lange  »erfloffencn  ju  bezeichnen.  3us 
rem  l)at  aber  auch  Johann  Walters»  Sobeeijahr  noch  nid)t  urfunblid)  feftgeftetlt  roerben  tonnen,  unb  bis 
bicfcS  gefcheben  ijt,  roürbcn  roir  mit  gleichem  9?cd}te  au§  unferem  ^Berichte  folgern  bürfen,  bafj  man  es>  biS= 
ber  um  SSieleS  }U  frül)  angenommen  habe. 

9>rätoriu§  führt  Walters?  S3crid}t  an  in  einem  Abfdjnitte,  ben  er  überfd)rieben  l)at:  SSon  einigen, 
in  alten  61) oralgefängen  üorfommcnben,  gehlem,  unb  tt)rer  33erbefferung  bureb,  Sobann  Walter*). 
Diefe  ©efänge,  beren  Walter  hier  gebenft,  al§  burd)  ihn  gebefferter,  finb  fdmmtlid)  latetntfdje;  nur 
brei  bcutfd;e  roerben  t>on  ihm  babei  genannt:  ©in  Äinbelein  fo  Ibbeltcb,  —  6b,rift  ift  erjranben  —  Sftun 
bitten  wir  ben  heiligen  ©eift ;  ©ingweifen,  bie  urfunblicb,  au3  älterem,  beutfd)en  Äird)engcfange  herftom; 
men,  unb  allein  unter  aüen  liebhafte  genannt  roerben  tonnen.  2tUe  übrigen  tragen  ba§  ©epräge  ber 
au§  bem  gregorianifchen  ©efänge  herftammenben  9Relobiecn,  bie  ©ylbenbehnung ,  ben  SSKangel  an  rrmih1 
mifd)er  2tu3gcftaltung.  ©ie  aber  oorjüglicf)  ft'nb  e§,  über  welche  Walter  fidt)  »erbreitet.  @r  lobt  ben 
lateinifcfyen  ©efang,  tabelt  biejenigen,  bie  baf}in  trachten,  tlm  aus?  ber  gereinigten  Äirdje  gänzlich,  ju 
oerbannen ,  empfiehlt  beffen  (Erhaltung  unb  Pflege,  unb  hält  barum  bie  auf  Steinigung  unb  £crfMung  ber 
angeführten  ©efänge  oon  ihm  gemenbete  SEftühe  für  eine  belohnenbe.  Sann  erft  geht  er  über  ju  bem  ^Berichte 
über  fein  3ufammenwirfen  mit  ßuther.  Wir  bürfen  e§  nicht  umgehen ,  feine  eigenen  Worte  hier  folgen  ju 
laffen,  r>on  benen  roir  nur  biejenigen  übergehen,  bie  entroeber  fchon  juttor  »ort  un§  angeführt  roorben  finb, 
ober  nicht  roefentlid)  ju  bem  hier  befprochenen  ©egenftanbe  gehören. 

,,©o  weifj  unb  jeuge  id)  benn  (fagt  Walter),  baß  ber  heilige  Sftann  ©otteS,  ßutberuS,  roelcher 
beutfeher  Nation  Prophet  unb  Apoftel  geweft,  ju  ber  SKuft'ca  im  ßhoral  =  unb  giguralgefange  große  2uft 
hatte,  mit  welchem  ich  8<»r  manche  liebe  ©tunbe  gefungen,  unb  oftmals  gefehen,  roie  ber  theure  SKann 
t>om  ©ingen  fo  luftig  unb  frbhltd)  im  ©eifte  roarb,  bafj  er  beS  ©ingenS  fd)ier  nicht  tonnte  mübe  unb  fatt 
roerben,  unb  oon  ber  SERuftca  fo  herrlich  ju  reben  wußte.  Senn  ba  er  »or  üierjig  Sohren  bie  beutfehe  SUieffe 
Wittenberg  anrichten  wollte,  h«t  er  burch  feine  ©chrift  an  ben  ßhurfürften  t>on  ©achfen,  unb  £>er$og 
3ohannfcn  £od)lbbl.  ©ebäd)tniß,  feiner  6l)urfürftlid;en  ©naben  ber  3eit  alten  ©angmeifter,  @bm  ßonrab 
Wupff,  unb  mich,  gen  Wittenberg  erforbern  laffen,  bajumahlen  t>on  ber  6l)oral  sJcoten,  unb  2lrt  ber 
adjtSon  Unterrcbung  mit  un§  gehalten  k.");  hat  auch  b t e  9coten  über  bie  (Spifteln,  Qvan-- 


')  De  \  itiis  «|uibus(lam  Musices,  quae  in  aoliquis  eantiopibna  CboralibtU  uccurrunl  ,  el  eoi  undem  per  W'al- 
terum  correctione. 

")  $in  folgen  bie ,  an  biefer  ©tcUc  ju  übergctienben  tfugerungtn ,  warum  Sutl;er  ber  Spiftel  ben  att)ten ,  bem 
Goangelio  ben  fünften  Zon  jugeeignet. 


gelten,  unb  über  bie  2Bortc  oer  Grinfefcung  beS  wahren  ßeibeS  unb  JBluteS  d I) r tfl i 
fclbft  gemalt,  mir  oorgefungen  unb  mein  ffiebenfen  barüber  hören  wollen.  (Er  bat  mieb  bie  Seit  brei 
SBocbcn  lang  $u  SBittenbcrg  aufgehalten,  bie  GEboral  =  iftoten  über  etliche  (Evangelien  unb  (Epifteln  orbentlicb 
ju  fchreiben,  bis  bie  erfte  beutfebe  9Kejj  in  ber  ^farrfireben  gelungen  warb.  Da  mufjte  id?  jubören,  unb 
foldw  offen  beutfeben  9)icffe  tfbfcbrift  mit  mir  gen  Sorga«  nehmen,  unb  boebgebaebtetn  dburfürften  ;c. 
aus  S5cfebl  bcS  £errn  Doctoris  felbfi  überantworten.  Denn  er  auch  bie  S3e3per,  fo  bie  3eit  an  oielen 
£>tten  gefallen,  mit  furjen,  reinen  (5h  ora  Igef  an  gen  für  bie  Sdiüler  unb  Sugenb  wieberum  anju= 
richten  befehlen:  oej5gleid)cn,  bafj  bie  arme  Schüler,  fo  nach  35rob  laufen,  für  benahmen  lateinifchc 
©efänge,  Antiphonas  unb  Rcsponsoria,  nach  (Gelegenheit  ber  3eit  fingen  feilten,  unb  hatte  feinen 
Gefallen  baran,  baß  bie  Schüler  für  ben  Sbüren  nid;t§  benn  beutfebe  Sieber  fungen.  Daher  ftnb  biejenigen 
auch  "id)1  bn  loben,  tbun  auch  nid)t  recht ,  bie  alle  lateinifche  d)riftltcbe  ©efänge  auS  ber  .ftird)en  ftofjcn, 
laffen  ftch  bünfen,  e£  fei  nidjt  eoangelifd)  ober  lutherifch,  wenn  fte  einen  lateinifchen  Giboralgefang 
in  ben  .Äircben  fingen  ober  hören  follen.  SBiebcrum  iftS  auch  unrcd)t,  voo  man  nichts  benn  lateinifche 
©efänge  für  ber  ©cmcine  finget,  barauS  baS  gemeine  HSolf  nichts  gebeffert  roirb.  Derowegen  ftnb  bie 
beutfebe  geiftlid)e,  reine  alte,  unb  lutberifebe  Steter  unb^Pfalmen  für  ben  gemeinen  Raufen  am  nü£= 
licbfrcn,  bie  lateinifd)en  aber  jur  Übung  ber  3ugcnb  unb  für  bie  ©elehrtcn.  Unb  fielet,  höret  unb  greifet 
man  augenfeheinlich ,  roie  ber  heilige  ©eifi  fowebl  in  benen  Auetoribus,  welche  bie  lateinifdb en,  als  auch 
in  Qcrxn  Sutbero,  weldjer  je£o  bie  beutfeben  dboral  =  ©efänge  meijrentbeilS  gebichtet,  unb  jur 
SJtelobie  bracht,  felbfi  mitgewirkt;  wie  benn  unter  anbern  aus?  bem  beutfeben  SanctuS  Qjffaia  bem 
Propheten  baS  gefebab;  ju  erfehen,  roie  er  alle  ifioten  auf  ben  Sert  nach  bem  redeten  2lccent  unb  ßoncent  fo 
meifterlicb  unb  wohl  geridnet  hat,  unb  ich  auch  bie  Seit  feiner  Gbrroürben  ju  fragen  oerurfaebt  warb,  wor= 
au§,  ober  wober  fte  boch  biefj  Stüde  ober  Unterricht  hätten:  barauf  ber  tbeure  SJcann  meiner  (Einfalt  lachte, 
unb  foracb:  ber  $)oct  S3irgiliuS  bat  mir  folcbeS  gelehret,  ber  alfo  feine  (Earmina  unb  2Bort  auf  bie 
©efehiebte,  bie  er  befebreibet,  fo  fünftltch  appliciren  fann:  2llfo  foll  aud)  bie  SRuftea  alle  ihre  9?oten  unb 
©efdnge  auf  ben  SEcrt  richten."  — 

Um  baS  3eugnif3,  wekbeS  biefer  S3erid)t  über  ßuther  giebt,  gehörig  $u  würbigen  unb  JU  oer= 
ftehen,  hat  man  junäd)fl  ben  3ufammenbang,  in  welchem  eS  erfcheint ,  unb  ben  Sprachgebrauch  ber  3eit, 
auS  ber  cS  herrührt,  in  "Udjt  ju  nehmen,  benn  auch  biefer  ift  eben  hier  oon  SBicbtigfeit.  (ES  fd)lief?t  ftch 
einigen  jöemerfungen  2BalterS  an  über  (Eboralgefängc,  in  benen  er  eingefdjlicbene  gehler  oerbeffert  habe. 
SBalter  roirb  baburd)  auf  bie  2Bürbe  be»  GhoralgefangeS  überhaupt  geführt,  unb  oerbreitet  ftch  bann  über 
ben  9cu£en  beS  lateinifdien  (EboralS,  über  bie  Pflicht,  ihn  im  geben  ju  erhalten,  unb  oon  (Entftcllungen 
ju  fäubern.  (Er  preift  ßutber,  ber  mit  fo  oieler  ©inficht  unb  Äenntnifj,  anorbnenb,  biebtenb,  ja, 
Singweifen  erfinbenb,  einen  beutfeben  ßboralgef ang  erfunben  habe,  um  ber  Gemeine 
willen,  aber  bennod)  ben  lateinifchen  nid)t  habe  oerbrdngen  wollen,  ja,  ihn  wieber  aufgerichtet  habe,  wo  er 
gefallen  fei,  unb  bicfcS  um  ber  fhtbirenben  3ugenb  unb  ber  Schüler  willen.  Dabei  ftnbet  er  Gelegenheit 
in  freubiger  (Erinnerung  ber  Sage  ju  gebenfen,  wo  er  mit  ßutber  gemeinfcbaftlicb  an  ber  (Einrid)tung  beS 
beutfeben  ßboralgefangee»  gearbeitet,  unb  feine  für  ihn  belebrcnben  'tfufjerungen  mitjutheilen. 

9cun  fönnte  man  baS  2Bort,  ,,Qt)oxaV'  in  bem  Sinne  nehmenb,  wie  eS  bermahlen  oon  uns 
gebraucht  wirb,  leicht  ju  ber  33orauSfe£ung  oerleitet  werben:  eS  fei  hier  oon  ben  geifi lieben  für  ben 
©efang  ber  ©emeine  bejtimmten  Biebern  bie  9febe,  beren  ßuther  allerbingS  mehre  gebiebtet  r>at. 


  152   


£)iefe  äSorauSfe&ung  würbe  jebod)  eine  irrige  fetm.  Unter  6  b oral  »erjianb  man  in  jener  Seit  nur  ben 
eigentlich  liturgif  d)  en,  uon  bem  ^riejier,  ober  bem  ©ängercbore  »orjutragenben,  attfircblicben 
©efang.  2ln  ft'd)  ebrwürbtg  unb  Mfttg,  befanb  ftd)  biefer  um  bcn  Anbeginn  beS  16ten  Sabrbunbertö  bod) 
in  tiefem  SSafaHe.  9^id)t  allein  baburd),  bap  eine  Spenge  entftellenber  geiler  in  ben  ©efang  felber  ftd) 
eingefcbltcben  garten,  fonbern  biefer  mürbe  auch  alS  ein  gebotenes,  ben  ^riefiem,  ben  «Sängern,  täfiigeS 
2Berf,  unmutig  auf  baS  ©dmelljte  abgetan,  in  fütnlofem,  übereilten  #ermurmeln ,  ober  rohem  Spin- 
febreien.  £>arum  (traft  ßutber  baS  S3l6fen  unb  beulen,  Sbnen  unb  plärren,  mit  bem  man  bie  biblifd)en 
ßobgefänge,  jumabl  in  ben  Älbftern,  entftelle,  unb  (Sott  baburd)  mehr  erjüme  als  »erfobne;  ja,  in  feiner 
berben  ©prad)e  rebet  er  von  bem  6felSgefcbrei  beS  6horaleS,  wobei  er  offenbar  nid)t  an  ben  ©efang 
beutfd)er  geiftlid)er  ßieber  burd)  bie  ©emeine  fann  gebaebt  haben,  ben  er  felber  fo  eifrig  ju  bef  orbern  ftrebte, 
unb  bei  bem,  als  einer  ftd)  allgemach  erft  weiter  »erbreitenben  6mrid)tung,  wol)l  faum  fd)on  »on  einer 
Sntftellung,  unb  einem  Verfalle  bie  Sfebe  fepn  fonnte.  3n  bem  ©inne  feiner  Seit  aber  bat  aud)  SBalter 
in  feinem  S3erid)te,  ber  ftd)  hauptfäcblicb  auf  bie  6inführung  ber  beutfeben  SJieff e  erjtrecft,  ftd)  beS 
2BorteS  „61) oral"  bebient.  3hm  jufolge  l)at  ßutber,  um  ber  ©emeine  willen,  bei  bem  fonntäglicben 
j£>auptgotteSbienfr,  bcrSDReffe,  ben  beutfehen  6boral  eingeführt;  bie  beutfd)cn  6l)oralgefänge  mei= 
ftentbeilS  gebidjtet  unb  jur -äKelobe»  bracht.  £>aS  erfte,  —  fein  Sichten  liturgif  eher  ©efänge,  — 
fann  ftd),  wie  uns  bie  beutfd)e  SQZeffe  oorltegt,  nur  auf  jwei  ©efänge  begießen ,  welche  bie  ©teile  beS 
alten  latcinifd)en  Credo  unb  Sanctus  bei  berSUleffe  oertraten,  bie  beiben  ßieber :  „2Bir  gläuben  all'  an  einen 
©ort"  unb  ,,3efata  bem  Propheten  baS  gefdjab."  SeneS  war  febon  jwei  Sahre  früher  »orbanben,  £ert 
unb  ©ingweife',  wir  ftnben  S3etbeö  in  bem  SSalterfcben  ©efangbud)e,  unb  allen  um  baS  Sabr  1525 
erfd)ienenen,  eoangelifcben  ßieberfammlungen ;  biefem  begegnen  wir  juerjt  um  1526  in  ber  beutfeben  SKeffe, 
unb  nad)  SBalterS  ßeugniffe  ifl  nicht  im  geringften  ju  bezweifeln,  baß  feine  SDMobie  ßutber  angehört,  fo 
roenig,  als  wir  if)m  bie  ©ingweife  beS  ©laubenS  absprechen  gebenfen,  obgleich  2ßalter  beren  nicht  auS= 
brüeflid)  erwähnt.  Denn  in  ber  S£bat  ftimmen  bie  ©ingweifen  beiber  ßieber  barin  überein,  baß  beibe  mehr 
baS  ©epräge  beS  alten  lateinifd)en  6boralS  tragen —  jumabl  ber  ©laube  in  feinen  ©plbenbehnungen —  al§ 
ben  eines  nolfSmäßigen  ©efangeS;  unb  wenn  ßutber  bennoeb,  gegen  ben  bis  babin  bejlanbnen  unb  nod) 
beftef)enben  ©ebraueb  ber  römifd)en  .Eircbe,  baS  lefcte  beiber  ßieber  als  ein  twn  ber  ganjen  ©emeine  ju 
fingenbeS  »orfebreibt,  fo  tr)at  er  biefeS  offenbar  nur  beS  Inhaltes,  nicht  ber  ©ingweife  wegen,  weil 
baS  ©laubenSbefenntniß  notbwenbtg  ein  allgemeines  ber  itirebe  ferm  mußte.  Sie  übrigen  6boral= 
gefänge  ber  beutfd)en  SDccffe  ftnb  für  ben  sJ>falm  ju  Anfange  ber  t'irchlid)en  geier,  ©piftel,  6oangelium  unb 
GinfeimngSworte  angeorbnet,  meifi  nur  erf)bf>te,  beftimmt  betonte  9?ebe;  baß  biefe  twn  ßutber  herrühren, 
bejeugtSBatter  auf  baS  £3eftimmtefte.  2lber  aud)  nur  auf  6 1)  o  r  a  l  gefänge  in  bem  juoor  angegebenen  ©inne 
begebt  fid)  btenad)  fein  3eugniß :  nur  ein  einjigeS  9Kaf)l  fefet  er  ben  lateinifd)ett  ©efang  ber  ©d)ul  =  unb 
ftubirenben  3ugenb  bem  beutfcb,en  beS  „gemeinen  £aufcm>"  entgegen,  allein  f)ier  bebient  er  ftd)  aud)  nicht 
beS  'tfuSbrudeö  ,,6l)oral,"  fonbern:  ,,beutfd)c  geiftlidje  reine  alte,  unb  lutl)crifd)e  ßieber  unb  ?)fal= 
men,"  obne  babei  ju  erwäbnen,  baß  üutl)er  ju  biefen  lefjten  aud)  bie  ©ingweifen  erfunben  ()abc.  6rft  in 
ben  legten  3abren  beS  lüten  3al)rl)unbert§  ftnben  wir  ben  tfuSbrucf  6b,  oral  für  SQZelobie  beutfdjer  geift-- 
lid)er,  bem  ©efänge  ber  ©emeine  befttmmter  ßieber  gebraust,  nach, bem  biefe  SDietobiecn  allgemad),  wie  eS 
bei  ben  altlateinifcbcn  lange  juoor  gefd)eben  war,  ©egenftanb  mebrftimmtger  Bearbeitungen  geworben 
roaren,  unb  ihr  ©efang  nunmebr  ben  bebeutenberen  £I)cil  ber  Hrd)lid)en  geier  cinnabm.  SCßan  wählte  biefe 


  153   


^Benennung,  um  fte  aß  ©runbgebanf  en,  fei  e§  rubenbe  ober  bemegenbe,  jener  $armoniegebäube  ju 
bejeicbnen,  in  eben  bem  Sinne,  mie  man  c§  bei  ben  ©efängen  ber  alten  Äircfye  jut»or  getban  hatte.  Um  bie 
3eit,  mo  Suther  bie  bcutfcbe  Sfteffe  einrichtete,  mar  jene  ^Benennung  für  bie,  überall  nur  fparfam  uorban= 
benen,  neuen  geiftlicbenSicbmeifen  noch,  nicht  üblich,,  unb  auch,  in  feinem  fo  viel  fyäter  gefchriebenen  Berichte 
bat  SZBalter  mohl  faum  fte  in  biefem  Sinne  gebraust,  jumabl  ba,  mo  er  oon  liturgtfcbem©efange  in  engerem 
SSerftanbe  rebet. 

SBie  menig  2Balter§  SSericht  unS  ju  ber  allgemeinen  83orau5fe£ung  berechtige,  Suther  habe  für 
alle  feine  geifilichen  Sieber  auch,  bie  Singmcifen  erfunben,  leuchtet  fonach  ein.  £>a$u  fommt  nun  noch,  baß 
feine  ber  S3orreben,  mit  benen  Suther  bie  bei  feinen  Sebjeiten  erfchienencn  geiftlichen  ©efangbücber  eingeleitet 
hat,  beffen  gebenft,  unb  bafj  in  feinen  jafjlreicfyen  ©riefen  nicht  ein  einjigeS  SKabl  bie  Svebe  bar»on  ift. 

@3  barf  inbefj  unfere  «Prüfung  mit  biefem  (Ergebniffe  ftch,  nid)t  beruhigen.  @3  liegt  ihr  nielmehr 
noch  t>ie  Pflicht  ob,  bie  Singmeifen  aller  ber  Sieber,  bie  bisher  mit  grofjer  3ut>erftcht  aß  lutherifcbe  genannt 
mürben,  ihrem  erften  (Srfcheinen,  ihrem  ferneren  Scbicffale,  ihrer  inneren  S5efchaffenheit  nach,  näher  ju 
betrachten;  »ieUeicbt,  bafj  barau§  Umftdnbe  hervorgehen  bürften,  burch  melche  SBalterS  unb  tfnberer  3eug= 
niffe  roieberum  größere  Sßebeutung  gembnnen,  ober  mohl  auch  hei  ber  einen  ober  ber  anbern  9öceIobie  eine 
befh'mmtere  ©ernähr  fönnte  gefunben  merben  für  Sutbers'  Urbeberfchaft. 

2ßir  beginnen  mit  ber  frübeften  uns"  befannten  Sammlung  eoangeltfcber  ©efänge,  jenen  acht,  um 
1524  unter  bem  3)rucforte  SBittenberg  erfchienenen  Siebern,  unter  benen  bie  #älfte  »on  Suther  herrühren. 
§ür  biefe  »ier  Sieber  ftnb  aber  nur  jmei  Singmeifen  »orhanben.  £>a3  Sieb:  ,,9hm  freut  euch  lieben 
Gbrtftengmein"  fyat  feine  eigene,  bie  ältere  ber  beiben  bafür  noch  Kfct  gebräuchlichen;  für  bie  brei  übrigen 
(Sieber  auf  ben  Ilten,  13ten,  130ften  $Pfalm)  ifl  beren  nur  eine  »orhanben,  bie  fte  mit  bem  Siebe  theilen: 
„@5  ift  baS  £eil  uns  fommen  her."  £>iefe  legten  brei  Sieber  maren  alfo  gemifjlicb,  nicht  mit  ihren  SSJcelo-- 
bieen  entftanben,  fte  mufften  ftch  mit  ein«  entlehnten,  ihrem  9Kaafje  entfprechenben,  begnügen,  unb  biefe 
mar,  mie  fchon  früher  ju  jeigen  gefucht  mürbe,  mahrfcheinlich  bem  33olfe>gefange  entlehnt.  Schon  mit 
tiefer  Sbatfacbe  fallt  einer  ber  £auptgrünbe  für  bie  SSorausfefcung  bahin,  bafj  bie  fpdter  ttorfommenben 
SBeifen  biefer  Sieber  »on  Suther  erfunben  fepn  bürften.  @tn  ©leicheä  freilich  finbet  mit  ber  2Beife  be3  juerfi 
genannten  Siebet  nicht  ff att;  es"  mufj  jeboeb,  befremben,  bafj  in  unferer  Sammlung,  an  beren  Verausgabe 
Suther  offenbar  feinen  Sbeil  hatte,  fonbern  bie,  mie  auch  ihr  früh«  mitgeteilter  SEitel  lehrt,  mohl  t>on 
einem  £rucfer  herrührte,  ber  ben  allgemeinen  2lntbeil  an  ber  neu  ermachten  Siicbtung  auf  bas"  ©eifiliche 
auszubeuten  gebachte  —  bafj  in  unferer  Sammlung  bie  Angabe  fehlt,  bafj  ber  5£on  be§  SiebeS,  feine  Sing= 
meife,  auch  bem  dichter  angehöre;  ein  mie  ftchere§  Littel,  ben  2£ntbetl  baran  ju  t>erboppeln!  So  enthält 
aber  baffelbe  nur  bie  Überfchrift:  „drin  ßhriffenlicheS  Sieb  Soctorß  Martini  SutherS,  bie  unauSfprechlicbe 
©nab'  ©orte§,  unb  be§  rechten  ©laubens"  in  ftch  begreiffenb,"  melche  offenbar  nur  baS  ©ebicht  angeht. 
Saju  fommt,  bafj  biefeS  Sieb  fogar  fchon  ein  3abr  früher  uorbanben  mar,  nach  ber  babei  gefegten  Sahrjahl 
1523.  Um  fo  mehr  aber  mufj  eS  bann  befremben,  bafj  feine  SSeifc,  menn  aß  eine  lutherifcbe  befannt, 
bamaß  boch  fo  menig  noch  allgemein  aufgenommen  mar,  bafj  im  S3re§lauer  ©efangbuche  t>on  1525  noch 
bie  SJielobie  beSSiebeS:  „63  ift  ba$  4?eil  uns-  fommen  t>et"  für  ihr  Sieb  entlehnt  ijt;  bafj  neben  ihr  in 
2Balter§  ©efangbuche  noch  eine  jmeite  —  menn  auch  fpäter  berfcbollene  —  fleht,  melche  ber  Herausgeber, 
SutberS  fo  marmer  5ßeret)rerr  bamaß  mohl  faum  ihr  an  bie  Seite  gefegt  hätte,  menn  er  jene  aß  Sutbers' 
(5rftnbung  gefannt  hätte.   SBolIten  mir  aber  biefe  jmeite  Sölelobte  bennodb  für  SutherS  halten,  fo  mürbe 

».  SEBmltrfelb,  in  wanget.  S^otalaefang.  20 


  154  

unS  immer  entgegenfiebert,  bafj  ihr  Sieb  fd)on  ein  %atjx  früher  vwrbanben  war,  imb  wir  würben  für  SutberS 
©abe,  neue  ©ingweifen  ju  erftnben,  burd)  eine  balb  wergeffene  nid)t  eben  ein  gewid)tigee>  3e«gnifj  geroinnen. 
9tun  begegnet  uns  aber,  juerji  in  bem  »on  Sofepb  Älug  ju  SÜßittenberg  1535  gebrudten  ©efangbud)e,  bann 
in  beffen  fpätcrer  2luSgabc  tum  1543,  enbltd)  in  bem  bei  SSalentin  S3a^jl  (1545)  erfd)ienenen,  »on  benen 
ihitber  minbeftenS  baS  lefjte  eigenbS  burd)  eine  SSorrebc  eingeleitet  bat,  imb  bie,  gleid)  bem  2öalterfd)en, 
unter  feinen  öligen  erfd)ienen  ftnb,  aud)  nod)  eine  jweite  —  wir  bürftert  fagen  vierte  —  ©tngweife 
unfereS  Siebes,  biefelbe,  bie  wir  jefct  am  bduftgften  nad)  bem  Siebe:  „@3  ijt  gewifjlid)  an  ber  Seit"  ju 
nennen  pflegen.  9)ian  bat  biefe  al§  eine,  ebenfalls  oon  ßutfyer  erfunbene  genannt,  aber  gewiß  mit  eben  fo 
roenigem  9ied)te,  als  man  bie  jweite  bei  SBalter  ibm  jufebreiben  würbe.  £)f)ne  3weifel  ift  eS  mit  ibr  unb 
ber  älteren,  1524  juerft  erfd)einenben,  nur  be3l)alb  gefd)cl)cn,  weil  eine  jebe  oon  ibnen  in  ibrer  Zxt  oortreflid) 
ift,  weil  man  bem  gefeierten  Steiniger  ber  jtird)e  überall  baS  SSefte  aneignen  wollte,  weit  beibe,  bie  eine  i)iex, 
bie  anbere  bort  iwrgejogen,  nod)  unter  unS  fortleben.  Tiber  burd)  feine  ber  lutl)erifd)en  SSorreben,  feinen 
feiner  33riefe  auS  bem  3eitraume  oon  1523  bis  1545  roirb  biefe  S3ermutl)ung  (roir  roieberl)olen  eS)  aud) 
nur  auf  ba§  Ghitfcrntefle  beftättgt.  SEBenn  eS  unS  nun  an  binlänglicben  3eugniffen  feblt,  um  2utl)er  als 
©änger  biefer  SOßelobie  nennen  ju  bürfen,  wenn  wir  biefe  Unterfud)ung  mit  Sweifeln  befd)liefjen  müffen: 
fo  frage  man  uns?  nid)t,  wem  anberS,  alö  Sutber,  fte  nun  angeboren  fbnne?  2Bir  würben  nur  ju  antworten 
oermögen :  einem,  bem  bie  ©abe  beS  ©efangcö  gewäl)rt  war,  bie  aber  in  jener  Seit  nod)  nid)t,  ber  ©abe 
beS  ©eljerS  gleid),  alS  Äunfl  geebrt  würbe,  unb  baber  nid)t  geeignet  war,  ben  tarnen  bee>  ©ängerS  ber 
5ftad)welt  ju  erbalten,  wenn  fte  nid)t  jugletd)  mit  jener  anbern,  bamalS  mebr  geltenben,  t>erbunben  war. 
Ratten  Sfeformator,  £>id)ter,  ©änger,  in  einer  Herfen  ftd)  vereinigt,  fo  wäre  bie  lefcte  biefer  ©aben  ftd)erlid) 
von  ben  SKitlebenben  auf  fold)e  SBcife  gepriefen  worben,  baf  fein  ßweifel  aud)  bei  bem  einjelnen  Siebe 
ferner  bätte  bleiben  fönnen.  25er  befd)eibene  ©änger  jebod),  ber  eben  nur  bieS  eine,  »on  ©ott  ibm  Söer= 
liebene,  für  bie  drbauung  ber  gereinigten  itird)e  btnjubracbte,  blieb  bcSbalb  im  £>unfeln,  unb  al§  man 
fpäter,  waö  er  beigefteuert,  alS  ein  .Rbftlid)cS  erfannte,  lag  eS  fetjr  nal)e,  baffelbe  bem  jujufd)reiben,  beffen 
fräftig  burd)bringenbc3  ÜEBort  oon  ben  £onen  neueS  2eben  empfangen  fyatte,  bas>  man  nun  ebenfalls  für  ein 
oon  ibm  unmittelbar  ausgegangenes  l)ielt.  2Balters>  3eugnif3  aber,  wie  wir  gezeigt,  barf  nid)t  in  bem  ©inne 
genommen  werben,  ber  il)m  gewöbnlid)  betgemeffen  wirb,  unb  fann  jumal)l  t)ter,  wo  aufkrbem  fo  »tele 
©rünbe  beS  3rocifelS  oorbanben  ftnb,  fcineSroegS  au3reid)cn. 

9cäd)ft  ben  ad)t  ßiebern  ftnb  bie  beiben  ©rfurter  (Snd)iribien  oom  %a\)xe  1524  bie  frül)ejien 
.Quellen  für  bie  SQielobieen  lutberifd)er  fiieber.  3n  beiben  bat  baS  ßieb:  „@S  fprid)t  ber  Unweifen  SDZunb 
wobl"  nod)  feine  ©ingroeife;  in  bem  einen  ($um  fd)warjen  .£>orti)  fel)lt  fte  aud)  bem  $>falmliebe:  „2(uS 
tiefer  sJcotb  fd)rei  id)  ju  bir,"  unb  nur  in  bem  anbern  (ju  gerber  gap)  ift  fte  ibm  beigcjcid)net.  gür  baS 
£ieb:  ©ott  com  £immet  fteb  barein"  bäben  beibe  eine  SKelobie.  2BaS  für  eine  fte  ju  bem  einen  unb 
anberen  ßiebe  mittbeilen,  bin  id),  auS  Langel  eigener  2lnfd)auung,  anzugeben  aufjer  ©tanbe.  2)a§  2Bal= 
terfebe  ©efangbud)  bat  für  jebeS  biefer  Sieber  eine  befonbere  SSJMobie;  für  ben  nad)gebid)teten  ^3falm:  „@$ 
!>rid)t  ber  Unroeifen  SJiunb  wobl"  unjroeifell)aft  jum  erften  9JJal)le;  ob  für  bie  anbern  jwei,  barf  id)  nad) 
bem  ©efagten  nid)t  oerftd)ern.  ©o  viel  tnbe^  jtebt  fejt:  bei  ibrem  erften  @rfd)einen  in  ben  ad)t  Siebern 
roar  beiben  biefelbe,  frembe  SKelobie  anbequemt;  mit  benen,  bie  ibnen  fpätcr  eigen  geblieben,  ftnb  fte  alfo 
unmittelbar  nid)t  entftanben.  ©d)on  biefer  Umfianb  genügt,  um  ßutberS  Urbeberfd)aft  ju  bezweifeln. 
£)a^u  fommt,  bafj  bie  Gelobte  beS  SiebeS:  ,,"2ld)  ©ott  com  ^immel  fteb  baretn,"  bie  unS  bei  SBalter 


_  155   

begegnet,  nid)t  einmal  bie  bcfannte  (bn»o)pbrr;gifd)e  ift,  bie  man  Sutl)er  gewöhnlich  jufcbreibt.  25iefe 
erfd)eint  roobl  am  frübefien  in  jllugS  ©efangbud)e  (1535),  bort  aber  nicht  einmabl  allein,  auch,  ntd)t  alS 
bie  üorjüglidjere,  fonbern  ihr  geljt  eine  anbere  auS  ber  pbrpgifcfycn  SEonart  ooran,  bie  wir  fpäter  gewöhnlich 
bem  SiebetfnbreaS  ÄnöpfenS  über  ben  2ten$falm  angeeignet  finben:  ,,£ilf  ©Ott,  rote  gebt  baS  immer  ju." 
(Srft  neun  Sflfyre  nachher  fmben  roir  fie  in  ben  123  Siebern  für  bie  gemeinen  ©cbulen  (1544,  9lro.  59) 
in  merftimmigem  Sonfafce  üon  SDiarttn  2tgricola.  SBalter  bat  eine  ©ingweife  auS  ber  »erfefcten  bortfdjen 
Sonart,  bie  in  ber  golge  bem  Siebe:  „£>er  £err  ift  mein  getreuer  £irt"  angeeignet  worben,  niemals  jeboeb 
Suttjer  beigemeffen  ift.  2lber  noch,  eine  »ierte  SDielobte  unfereS  Siebet  geigen  bie  genannten  123  Sieber,  auS 
ber  mirofobifeben  Sonart,  »on  SBenebict  £uciS  merfttmmig  gefegt.  iDiefe  war  febon  jueor  bureb  ©üb* 
beutfd)lanb  fehr  verbreitet,  unb  auch,  in  9>corbbeutfd)[anb  nicht  unbefannt.  SSet)§  ©efangbueb  (1537)  b,at 
fte  ju  einer  anberen  Dichtung  über  benfelben  ^Pfalm:  SBolf  JlböblS  ju  ©traf bürg  in  bemfelben  3obj* 
herausgegebene  geiftlidje  Sieber  bringen  fie  mit  SutberS  $>falmliebe;  noch  im  3abre  1560,  in  bem  bafelbfi 
erfd)ienenen  großen  .Rircbengefangbucbe,  eignet  fie  biefem  Siebe  auSfcbttefienb,  unb  bis  tief  in  baS  17te 
3af)rl)unbert  hinein  fmben  roir  fie  in  fübbeutfeben  geifilteben  9ERelobieenbüd)ern.  58on  biefen  wer  SJMobieen 
eben  bie  (böpo)pbr»gifcbe,  als  bie  im  Horben  »on£)eutfd)lanb  am  meiften  oerbreitete,  Suther  jujufcbretben, 
baben  roir  feinen  anberen  ©runb,  als  ihre  SSeliebtbett  unb  Sreflicbfeit.  2(ber  fie  entftanb  offenbar  nid)t 
mit  ifyrem  Siebe,  unb  roar  auch  nicht  bie  erfte,  bie  roir  für  baffelbe  finben.  —  £>ie  »bnjgifcbe  SSBeife  beS 
SiebeS:  2luS  tiefer  9coth  fcheint  allerbingS  beffen  dltefte,  eigene  ju  ferm:  fowofyl  in  SBalterS  ©efang= 
buche,  als  in  3ofepf)£lugS  (1535  —  43)  erfebeint  fte  auSfcbliefenb.  Allein  in  ben  123©efdngen  für  bie 
gemeinen  ©cbulen  finben  roir  eine  jroeite  ionifd)e,  bort  breifad)  von  SSogclbuber  (9fro.  73),  S5enebict  £>uciS 
(9cro.  74),  ©irt  i£)ietricb  (Sßro.  75)  belhanbelte,  unb  örtlid)  mehr,  als  jene,  »erbreitete.  2lucb  biefe  roar 
älteren  UrfprungS;  SSef>  eignet  fte  fd)on  um  1537  bem  Siebe  an:  „Unfer  BitfTudjt,  o  ©Ott,  bu  bift," 
roomit  er  baS  SBaterunfer  »or  ber  *Prebigt  einleitet;  SBolf  Äöpbl  giebt  fte  in  bemfelben  3af)re  mit  SutberS 
Siebe;  SSeibe  mögen  fte  auS  einer  früheren  Quelle  gefeböpft  haben,  benn  wäre  fte  für  33cf)  eben  bamalS  erft 
erfunben  roorben,  fo  hätte  fte  nicht  gleichzeitig  im  füblicbcn  2)eutfd)lanb  erfebeinen  fbnnen.  $ier  Ratten  mir 
feine  anbere  S3eranlaffung,  bie  pbrpgifdbe  für  SutberS  ßrft'nbung  ju  galten,  —  obgleich,  fte  mit  ihrem  Siebe 
nid)t  gleichzeitig  ift,  —  als  if>r  roahrfcf>einlicb  böfyercS  2£lter,  unb  if>r  früfjefteS  @rfd)einen  in  einer,  oon 
Sutber  burd)  eine  S3orrebe  eingeleiteten,  geifilteben  Sieberfammlung ;  bcibeS  in  ber  Sfyat  aber  nur  fcfymadje 
SSeroeiSgrünbe,  jumabl  in  ber  SBorrebe  jener  Sammlung  —  bie  nid)t  einmaf)l  auSfcbliefjenb  nur  lutberifd) e 
Sieber  enthält  —  üon  bem  @rftnber  ber  SJielobieen  gar  nicht  gerebet  roirb.  2)aSSieb:  @S  fpricht  ber 
Unroeifen  SEK  unb  roobl,  hat,  fo  »iel  id)  l)abe  finben  fbnnen,  feit  eS  juerft  in  2BalterS  ©efangbucfye  eine 
eigene  ©ingroeife  erhielt,  fie  aud)  auSfdjliefjenb  beroabrt,  unb  eS  ift  feine  anbere  neben  ihr  aufgefommen, 
obgleich,  bie  SJibglicbfeit  vorbanben  roar,  baS  Sieb,  als  eineS  febr  beliebten,  febon  feit  bem  ffieginn  ber 
Äircbenüerbefferung  in  bem  neuen  Äircbengefange  roeit  »erbreiteten  9KaafeS,  oielen  anberen  SKelobieen 
anjupaffen.  gür  biefe  9Jtelobie  roäre  beSbalb  eine  größere  SSBahrfcheinlichfeit,  alS  für  bie  fo  eben  befpro= 
ebenen,  »orbanben,  bap  fie  SutberS  ©rftnbung  fei,  inbem  ihr  ein  ©runb  rceniger,  alS  jenen,  entgegenftebt, 
fie  nicht  bafür  ju  halten.  Mein  biefe  blope  2Bal)rfd)einlid)feit  fann  ftetS  nur  alS  eine  febr  fchroad) 
begrünbete  gelten,  ßine  etroaS  größere  ift  »orbanben  für  SutberS  Urbeberfcf)aft  bei  ber  SBeife  beS  SiebeS 
oon  ben  jroei  um  1523  ju  S5rüffel  »erbrannten  SDiärtprern :  ,,6in  neueS  Sieb  roir  beten  an  (9tro.  6 
bei  SBalter),  roeil  biefe  bei  bem  erften  S3orfommen  beffelben  im  (Jnchiribion  »on  1524  mit  ihm  jugleid) 

20* 


  156   


rrftbeint,  alfo  au*  gleichzeitig  entjlanben,  unb  beä  2Md)ter3  eigene  .^eroorbringung  fetjn  fann.  dben  fo 
Detail  tS  [ich  mit  ben  95ielobiecn  ber  Sieber  „9Äenfch  willtu  leben  feligltch,"  unb  „SOßit  gricb'  unb  greub' 
idi  fahr  babin, "  weld)e  SBalter  mit  biefen  jugleid),  unb  bcibc  jum  erfün  Sfildjk  gicbt  (9tro.  19.  27). 
83etb«  Bieber  haben  auch,  biefe  2Bctfen  beibehalten,  ohne  bafj  anbere,  auch,  nur  von  örtlicher  Beliebtheit, 
baneben  aufgcfommen  wären.  Diefer  leiste  ©runb  flcf>t  jebod)  ber  SJielobie  bc3  lutl)erifd)en  ^PfatmliebeS 
,,2Bär'  ©ott  nicht  mit  un3  biefe  Seit"  (©benb.  91ro.  28)  fdwn  nid)t  mehr  jur  ©eite.  d$ 
aüteint  bei  2Balter,  roo  roir  ihm  juerjt  begegnen,  jroar  mit  ihr  jugleid),  unb  wir  finben  es>  mit  ihr  auch,  in 
>fepb  ÄlugS  ©efangbuche  wiebcr.  Mein  in  ber  fpäteren  Ausgabe  be§  2Balterfd)en  von  1551  (9fro.  18) 
bat  e§  bereits  eine  abwcid)enbe,  roenn  auch  ber  urfprünglidjen  bin  unb  wicber  anftingenbc,  bod)  in  wefent= 
lid^cn  Steilen,  in  ben  SBcnbungcn  unb  Ausweichungen  beö  ©cfangeS,  »on  ihr  erheblich,  »erfd)iebene.  2Bir 
bürfen  nicht  twrauSfefjcn,  baß  2Baltcr  bie  frühere,  wenn  er  fte  al§  Sutbcr  angehörenb  gefannt  hätte,  fpater, 
rote  er  e3  getban,  würbe  gänjlid)  verworfen  haben,  bezweifeln  baher  nicht  ohne  ©runb,  baß  jeneö  ber  $all 
gewefen  fei.  Die  ©ingwetfe  be3  £>fjergefange§ :  „Sfyrijr  lag  in  SobeSbanben"  (@benb.  in  brei 
Bebanblungcn :  9cro.  9.  10.  11),  eine  Bearbeitung  ber  SDMobie  be3  uralten:  ,,ßhrift  ift  erftanben,"  wirb 
Sutbcr,  als  er  biefcS  umfchmolj  unb  feinen  Inhalt  au3  ber  t>on  ihm  befonberS  geliebten  £>fterfequenj 
„Victimae  pascliali"  bereicherte,  feinem  neuen  Siebe,  mit  bem  fte  zugleich  erfd)icn,  wohl  unmittelbar 
angepaßt  haben,  unb  in  biefem  Sinne  fonnen  wir  fte,  wenn  auch;  nicht  al6  urfprünglidje  ^cnwrbringung, 
ihm  angehörenb  nennen. 

Sie  erbeblicbften  3weifel  cnblid)  fielen  ber  Annahme  entgegen,  baß  ßuther  auch  bie  Sülelobieen 
feiner  Sieber:  „SBobl  bem,  ber  in  ©ottS  gurd)te  fleht,"  unb  „Sefuö  6f)riftu§  unfer 
^jeilanb,  ber  ben  Sob  überwanb"  angehören.  SeneS  erfte  $)falmltcb  hat  bei  feinem  früheren 
<5rfcbeinen  in  2Batter§  ©efangbuche  (9cro.  26)  eine  mirolpbifche  2Beife ;  mit  einer  zweiten,  ionifchen,  treffen 
wir  e3  in  ber  fpäteren  2(u6gabe  biefeS  S3ud)e§  üon  1551  (9?ro.  16)  —  wol)l  auch  fdwn  ber  üon  1544  — 
unter  gänzlicher  Befeitigung  jener  erften ;  eine  britte,  au§  ber  üerfe^ten  borifd)en  Sonart,  hat  e§  in  2Bolf 
.ftbpblS  Sieberbuche  oon  1537,  unb  in  ben  Siebern  für  bie  gemeinen  ©chuten,  (1544.  9lro.  69)  üon  Bene= 
biet  Suciö  oierftimmig  gefegt;  eine,  won  allen  biefen  ferfcbJebene,  ionifd)e,  enblich  fchon  in  3ofeph 
Alugö  ©efangbuch  (1535),  welche  bort  auch  kern  Siebe  ,,2Bo  ©Ott  jum  #auf'  nicht  gicbt  fein  ©unft" 
angeeignet,  unb  jumeijl  auch  bie  beliebtere  geblieben  ift  »or  ben  übrigen,  ©ie  nun  pflegt  gewöhnlich  Sutl)ei 
beigemeffen  ^u  werben  :  augcnfd)cinlid)  auö  feinem  anberen  ©runbe,  al£  weil  fte  ben  allgcmeinften  '2(nflang 
gefunben,  unb  man  bem  gefeierten,  verehrten  tarnen  gern  ba3  SSefle  jueignete.  ©ie  ift  aber  mit  bem  Siebe 
nicht  gleichzeitig  entftanben,  ja  fte  eignet  ihm  fpöter  nicht  einmahl  auSfdjlicpenb  bei  ihrem  erften  93orfommen 
mit  ihm ;  bafj  fte  nun  ba  in  einer,  burch  eine  SSorrebe  SutberS  eingeleiteten  ©ammlung  jteht,  entfd)eibet  um 
fo  weniger  etwas  für  bie  Behauptung,  bafj  fte  ihm  angehöre,  unb  etwa  eine  fpäter  t>on  ihm  für  fein  Sieb 
erfunbene  fei,  ba  baö ©efangbud),  in  welchem  biefeSSicb  am  früheften  enthalten  ift,  unb  mit  einer  oerfd)i e^ 
benen  9)ielobie  auftritt,  nicht  minber  burch  SSorwort  Sutherä  eingeführt  ift,  wir  auch  fpater  ftnben 
werben,  baß  bie  bem  ©efangbuche  Älugä  woranjlchenbe  SSorrebe  SuthcrS  nid)t  einmahl  »on  biefem  baju 
gefebrieben,  fonbern  nur  t>on  bem  Srucfer  barin  aufgenommen  ift. 

©an$  ähnlich  »erhalt  eä  für)  mit  ber  ÜRelobie  beö  Cfterliebeö :  3efu6  GbriftuS  unfer  Spt'v- 
lanb.  25ercitö  in  bem  Grfurter  Gncbiribion  won  1524  hat  biefeö  Sieb  eine  eigene  Sßeife,  rt>abrfcbeinticb 
tie  mirolpbifche,  bie  auch  in  bem  Jßreelauer  Sieberbuche  ihm  eignet,    gn  SBalterö  ©efangbuche  hat  e§  fogar 


  157   


beten  jroei :  eine  borifd)e  (9?ro.  31)  unb  jene  mirolnbifdje  (iftro.  32),  fo  bafj  £?ier  fcfjon  ber  3meifel  beginnen 
tonnte,  welche  von  beiben  ßutfyern  ifjren  Urfprung  »erbanfe,  roenn  man  nicfyt  ben  .Enoten  baburd)  löfen 
roiü,  baß  man  il;m  beibe  jufcfjreibt.  Crine  britte,  äolifcb,  e,  erfcfyeint  in  ÄlugS  ©efangbucfye ;  in  ben  ©runb= 
jügen  ift  bicfer  biejenige  äf)nlicf),  bie  mir  in  ben  ßiebern  für  bie  gemeinen  Schulen  mit  S5a(t{jafar  9?effnariu6 
Sonfafee  antreffen  (ÜJtro.  19),  nur  bafj  fte  einen  borifcfyen  ©cblufj  &at*),  unb  baburd)  eintgermaafjen  ber  in 
SBalterS  früt>efler  Ausgabe  juerft  ftefyenben  fid)  nähert.  4?ier  *ft  e§  vbieberum  bie  .ftlugfcfye,  bie  t>on  2utf)er 
fyerrüfyren  fotl,  unb  il)m  mit  eben  fo  wenigem  9?ed)te  beigemeffcn  roerben  barf,  als  bie  juüor  befprocfyene. 

Unter  ben  übrigen  geifiticfyen  ßiebern  2utf)er3  ij!  nur  ein  einjigeS,  über,  beffert  ©ingroeife,  al3 
eine  tfym  angefjörenbe,  mir  ein  auSbrücflid)  ee>  Seugnif?  beft^en.  (S3  iji  fein  2ieb  über  ben  4(ijien  $)fa(m : 
„(Sin'  fefte  äßurg  iji  unfer  ©Ott**)."  S3on  biefem  fagt  ©leiban,  be§  £)id)ter§  unb  ©ängerS  Seit; 


")  2Cud)  bie  bei  Älug  erfdjeinenbe  SETIctobfe  finbet  fid)  örtlid)  mit  einem  bccifctjen  ©djluffe;  fo  in  >prcufien, 
jufolge  Sodann  SccarbS  Sonfa^e.  (Scifpicl  9tro.  126.) 

")  3n  bem  Sournal  oon  unb  für  25eutfd)lanb  (1788.  3>oeitc$  ©emefter.  <5.  328.  329)  finbet  fid)  eine  mit 
@.  S.  SD3.  unterjeidjncte  3£njeige ,  baS  2tltcr  bc6  spfatmticbeS  „Sin'  fefte  SBurg"  unb  feiner  Gelobte  betreffend 
SBeibeS  voirb  in  baS  3at)r  1529  gefegt,  unb  auf  ein  im  3Sefi|e  bcS  iBcrfafferS  bcfinblidjeS  ©efangbud)  aus  biefem  3at)rc 
SBejug  genommen.  33er  2tngabc  nad)  fütjrt  H  ben  Sitel:  „©ciftlidje  Sieber  auffs  ncro  gebeffert.  3u  SBittembcrg.  25. 
SR.  Sutfjer.  931.2).  2E£3I.  25ie  Sogen  finb  mit  ben  SBudjftaben  2t  big  U  beseidjnet,  fo,  bafj  jeber  berfelben  auf  nur  adjt 
93lättcrn  erfdjeint;  SSlattjabJen  enthält  c6  atfo  roaljrfdjctnltd)  nidjt,  ba  fpäterfjin  ber  XScrfaffcr  ber  2tnjcige  nad)  35ud)= 
(laben  unb  beigefc^ten  3al)len  allcgirt.  9tad)  bem  SEitcl  folgt:  Sin  nerce  SBorrebc  9Jcar.  2utt).  (bie  mit  ben  SBorten 
„9?u  fjaben  fid)  etlidjc  irotjt  betoeifet"  beginnenbe) ;  if)r  fdjliefst  bie  ältere  (oon  1524)  fid)  an.  Jpintcr  beiben  ftcijen  nun 
54  Sieber  mit  itjren  Sonjeidjen,  unb  am  <2d)luffc  ein  alpljabcttfdjeS  3?cgifter.  Sie  Stcbcr  finb  unter  folgenbe  2Cbtrjctlun= 
gen  gebracht:  I.  Ältere  lateinifdjc  Sieber,  oon  Sutbcr  überfefct.  II.  Stlidje  «pfalmen  burdj  25.  9Ji.  S.  ju  geiftlidjcn  Sic; 
bem  gemacht.  Unter  biefen  finbet  fid)  (Sogen  g.  itj)  „ber  ££££233  ^fatm,  Deus  noster  refugium  et  virtus  etc. 
Sin'  oefte  S3urg  u."  III.  ©cifttidje  Sicbcr  oon  3.  3onaS,  S.  £cgenroatb,  3.  2(gricoia,  S.  Spengler,  2t.  o.  gulba, 
ben  SJcarfgrafen  Safimir  unb  ©eorg,  won  2tnbrca$  Änöppen,  Stifabctt)  Srcu^igcrin.  IV.  Sieber  auS  ber  ^eiligen  ©djrift, 
fo  bie  Patriarchen  unb  ^ropfjeten  oorjeiten  gemadjt;  biefe  rcerben  bei  ber  oorbjn  angegebenen  3al)l  ber  Sieber  rcat)r= 
fdjeinlidj  ntdjt  mit  gerechnet  fenn.  2tuf  bem  legten  SBtatte  ftcfjt:  ©ebruett  §u  SBtttemberg  burd)  Sofepb. 
Älug,  1  529. 

2)tefeS  ©efangbud)  ift  feit  ber  erroäfjntcn  2fnjeige,  fooiel  mir  beroufit,  nid)t  mieber  jum  SBorfdjein  getommen, 
eine  roeitere  gorfdjung  banad)  aud)  nidjt  mögltd),  weil  eS  bem  SSerfaffcr  berfelben  nidjt  gefaUen  tjat  feinen  SBofjnort 
anjugeben,  nod)  feinen  ooUftä'nbigcn  9tamtn  ju  unterjeidjnen.  3unä'd)ft  erbebt  fid)  gegen  baffclbe  ein  3n?eifel  roegen 
9tid)tigfeit  ba  3af)rjat)t ;  ein  nid)t  unbegrünbeter ,  ba  namentlid)  bie  ad)t,  ju  SBittenberg  (angeblid))  crfd)icnencn  Sieber, 
unb  felbft  SDBaltcrö  ©efangbud)  »on  1524  tjier  einen  25ructfcf)lcr  f)aben,  unb  eben  fo  eine  fpäterc  2(u$gabc  i>d  Älugfdjcn 
©efangbudjeß  auf  bem  SEitelblatte  1543  ,  am  ©djluffe  9Jc.25.2ES.  iiij  geigt.  25ie  3af)rgjat)l  unfereg  ©cfangbudjcS  fönnte 
batjer  1539  Reifen  folten.  2tUcin  tiefer  3rceifet  begebt  fid)  bei  näherer  Prüfung.  25ie  2tuggabe  bcS  Älugfdjen  @efang= 
budje«  oon  1535  f)at  SBlattjatjlen,  ber  jc|t  befprod)cnen  fctjlcn  fie,  nur  bie  Sogen  finb  nad)  83ud)ftabcn  bcjcidjnct. 
3ene  enthält,  bie  profaifdjen  ©d)rifttiebcr  ungerechnet,  56,  biefe  nur  54  Sieber.  25ie  ältere  S5eäcid)ungÄreeife,  bie  gerin= 
gere  3al)l  ber  Sieber,  fc^eint  alfo  biefe  lefcte  als  bie  frühere  au^jurceifen.  23iefe6  angenommen ,  fo  ftänbe  mit  einiger 
©idjerfjeit  feft,baf  bag  Sieb  „Sin'  oefte  SSurg"  unb  feine  ©ingroeife  fd)on  1529  oorljanben  waren.  2Ba3  bie  gnsei 
Sieber  betrifft,  roetdje  bie  Ituggabe  »on  1535  meljr  enthält,  fo  »erben  bieg  bie  beiben:  2Som  Gimmel  fjod)  ba 
fomm  id)  t) e r ,  unb:  (Sie  ift  mir  lieb  bie  roerttye  9Jcagb  oon  Sutl)er  geroefen  fepn,  bie  mir  früher  nid)t 
finben. 

25ag  Älugfdje  ©efangbud)  oon  1535  enthält  ju  brei  Siebern  boppeltc  SJcclobiecn :  3cfu6  (5f>riftu6  unfer 
£eilanb,  ber  oon  uns  u. ;  Sld)  ©Ott  oom  Gimmel  fiel)  barein  k.  ;  3Bo  ©Ott  ber  J^crr  nidjt  bei  uns  l)ält  it.  SGStc  eö 
bamit  in  ber  2tu«gabe  »on  1529  befdjaffen  fei?  toirb  uns  in  beren  S5cfd)rcibung  nidjt  gefagt.  2tu$  bem  S3ort;anbenfenn 
biefer  2fuSgabe  crroadjfen  inbep  nod)  3*ocifcl  über  baS  2tlter  etniger  anbercr  9Jielobieen,  meldje  t)iet  nod)  it)ren  *piai? 
finben  mögen. 

1)  25ie  2tu6gabe  be«  Älugfdjen  ©cfangbudjS  oon  1535  enthält  nur  bie  93celobie  beS  SiebcS:  „9tun  freut  eud) 
lieben  Sljriftengmein,"  bie  fpäter  gereöijnlid)  nad)  bem  Siebe:  „SS  ift  gercifitid)  an  ber  3eit"  genannt 
mirb  (S.  SBeifpiel  134).   Ob  es  eben  fo  in  ber  2CuSgabe  oon  1529  ber  gall  fei,  ift  nidjt  gefagt,  fie  tonnte 


  158   


genoffe:  frag  er  bie  ju  teffen  Snbalte  ungemein  paffenfre,  unb  ju  ©rfjebung  be§  ©emüttjeS  getiefte  ©ing= 
weife  baju  gemalt  f)abe.  Unb  in  ber  SEfjat:  fte  ift  ein  Sßerf  ber  ebeljten  33egeifierung,  ber  fünften, 
gläubigften  3ut>erft'd)t,  wie  ba§  Sieb  felber,  unb  mit  if)m  fo  feft  t>erwad)fen,  bajj  (ie  nur  mit  if>m  jugleid) 
entflanben  fetm  fann,  unb  bie  SSJlöglicfyfeit,  baffelbe  einer  anbern  Söeife  anzueignen,  unbebingt  auäfcbjiefjt. 
£)a§  innere  3eugnifj,  ba§  fte  felber  oon  ftd?  ablegt,  ba$  äußere,  ba§  über  fte  abgegeben  wirb,  treffen  bjer  mit 
einer  überjeugenben  .Kraft  jufammen,  bie  alle  Smeifel  verfhtmmen  mad)t.  ©eben  bod)  bie  SSBorte  wie  bie 
Sbne  un§  ba£  lebenbigjte  S5ilb  be§  teuren  90?anne3  felber;  t;at  bod),  feit  bem  ©ntftefycn  beiber,  eine  jebe 
3eit  e$  in  iljnen  erfannt!  SEreffenber  ift  ber  ©eift  beiber  nie  üerflärt  worben,  al§  in  Sofjann  dccarbS 
fünfftimmiger  barmonifdier  33ef)anblung,  welcfye  bie  ©lutl)  ber  33egeifterung,  bie  barin  wef)t,  neben  bem 
tiefen  ©rufte  unb  bem  fjeiligen  ^rieben  eines  gottbegeifkrten  ©emütf)e§  auf  ba§  (5inbringltd)fte  wiebergiebt. 
2Cber  bebeutfam  erfdjeint  e§  aud),  baß  bie  frutjeften  ^Bearbeitungen  biefer  ©mgweife,  bie  mir  befannt 
geworben  (in  -!pan$  ÄugelmannS  ^Preufjifcfycn  ©efdngen  1540  unb  in  ben  ßiebern  für  bie  gemeinen  ©d)ulen 
1544*),  biefelbe  bem  S3affe  zuteilen,  als  ©runblage  be3  ©anjen ;  eine  in  jener  3eit  feltene  Stellung  ber 
«Öauptmelobie,  burd)  bie  wol)l  in  bem  ©inne  ber  bamaligen  Sonmeifter  bezeichnet  werben  foll,  baß  ein  fefter 
©laube,  wie  ber  in  bem  Siebe  webenbe,  wahrhaft  auf  ben  geifert  baue,  auf  welchem  bie  .Kirche  gegrünbet 
fei,  baf?  auf  ben  SSbnen,  worin  er  fo  lebenbig  ausgebrochen  fei,  am  würbigften  ein  SSerein  »on  Stimmen 
mt)e,  ber,  t>on  ihnen  ft'd)er  getragen,  auch,  ihre  S5ebeutung  wieberum  auf  ba§  Sreffenbfre  fünbe ! 

3ofepf)  .RlugS  geifrlid)e§  ßieberbud)  t>on  1535  ift  bie  ©ammlung,  in  ber  id)  8ieb  unb  ©ingweife 
bisher  am  frül)eften  aufft'nben  fonnte ;  baß  es>  je  noch  neben  ihr  eine  anbere  SSMobie  für  jenee>  gegeben,  ift 
nicht  glaublich,  f>at  auch,  ba§  17te  3ahrbunbert  auf  beffen  ©tropfe  für  neue  £>id)tungen  begleichen  erfun= 
ben,  bie  jebod)  nirgenb  SBurjel  faffen  tonnten. 

©in  gleiches,  inneres  unb  dufjereS  Seugnifj  roie  baö  für  SutherS  eben  befproebene  SQcelobie  mangelt 
un§  für  bie  feiner  übrigen  lieber,  ©ie  unbeftimmt  unb  allgemein  gehaltenen  2tu§fprüd)e  fpdterer  3eitge= 
noffen  roürbigen  mir  am  heften,  nad)bem  voir  ein  jebe§  berfelben  einzeln  betrachtet  haben.  £>a§  ßieb : 
SSom  £immel  b.ocr;  ba  fomm  td)  f;er  finbet  fid)  am  früljeften  um  1535  in  3ofepl)  Älugä  ©efang^ 


t-ielleidjt  nur  bie  bei  ben  ad)t  Siebern  (1524)  oortommenbe,  ältere  enthalten.  (56  bleibt  alfo  ungewiß,  ob  bie 
fpätere  «Dtelobie  aui  bem  Safjre  1529  ober  erft  1535  tjerftammc. 

2)  Um  1535  erfdjeinen  groet  SJcelobieen  ju  bem  Siebe:  ,,2fd)  ©Ott  com  ^immet  fiel)  barein;"  ob  aud)  1529? 
ift  nidjt  gefagt.  Db  alfo  bie  am  meiften  oerbreitete  Ijypopljrrjgtfctje  SBeife  bt'efcS  Siebes ,  bie  unter  jenen  jmeien 
fid)  befinbet  (f.  biefelbe  SBeifpiel  14),  fd)on  1529  oortjanben  mar,  läßt  fiel)  nid)t  beftimmen. 

3)  Das  Sieb:  „GS  rcollt  unö  ©Ott  genä'big  fenn,"  erfdjeint  1535  mit  ber  pljrßgifdjen  Sfficifc,  bie  ib,m  feit= 
bem  ausfdjlicfenb  eignet.  Sei  SBalrer,  um  1524  ,  Ijat  ei  bie  fpä'ter  auf  baS  ÄatcdjiSmueiieb :  ,,<5f)rift  unfer 
^err  jum  3orban  fam"  übertragene.  Db  eS  mit  biefer  nod)  1529  erfdjeint,  ift  ungewiß. 

4)  2)aS  Sieb:  ,,©urd)  2Cbam$  galt  ift  gan}  d erberbt,"  ftat  1535  bie  für  baffetbc  fpäter  faft  allgemein  an= 
gercenbete  borifdjc  SBeife  mit  ä'olifdjem  ©djluffe  (f.  SBeifpiel  128),  rcä'f)renb  cfi  (1524)  bei  2Balter  beren  jroei, 
eine  ptjrngifdje,  unb  eine  oon  ber  bejcicfyncten  ganj  abrocidjenbc  borifdjc  neben  fid)  Ijat.  Db  eine  biefer  beiben,  — 
DitUcidjt  bie  Icfctgcnannte  —  ob  bereite  jene  juerft  errcäljntc,  um  1529  mit  if)tn  erfdjeint?  ift  jn>eifell)aft. 

Über  biefe  fünfte  fönnte  jene  frühere  Slufigabe  nod)  roiUfommencn  2luffd)luß  gcrcd'tjren,  roie  tt)r  jufolge 
roaljrfdjeinlid)  aud)  bie  SDMobiccn  ber  Steber:  D  £erre  ©ott,  bein  göttlid)  9Bort  u.  unb  3d)  ruf  ju  bir, 
Jberr  3efu  6f)rift,  fdjon  1529  oorfjanben  gcroefen  fenn  werben.  3m  Übrigen  fdjeint  fte  nur  früfjcr  fdjon  SBefannte« 
mitjutljcilen. 

•)  Dort  SKro.  16,  f)ier  9tro.  64,  of)ne  Angabe  beS  S£onfe|erS.  —  Die  oorangcf)eriben  Hummern  enthalten : 
9tro.  61  eine  fünfftimmige  SBctjanblung  ber  SKelobie  oon  ©tepfjan  SDtafju ,  9cro.  62.  63  jrcei  cierfttmmige  oon  «Kartin 
Ägricola  unb  Eupue  JpeUtnrt. 


  159   


buche.  £)ocb  bat  e§  bort  ntd>t  bie  fcbbne  SERelobie  neben  ftcb,  nach  ber  e§  gegenwältig  an  ben  meijten  £)rten 
gelungen  wirb,  fonbern  eine  bem  VolfSgefange  entlehnte,  bie  wir  auS  Frillers  geiftlicbem  ©ingebuebe 
als  bie  be3  weltlichen  SiebeS : „21 u$  frembben  San ben  fomm  t c^>  b er"  fennen.  Sieb  unb  9)2etobie 
entftanben  alfo  ntdjt  gleichzeitig,  fonbern  jene6  begnügte  (ich  2(nfang6  mit  einer  fremben,  erborgten.  £)te= 
jenige,  bie  man  Suther  beijumeffen  pflegt,  erfebeint  erfi  1543,  in  ber  fväteren  2lu3gabe  beS  genannten 
SJlelobieenbucbeS,  bas>  barum,  weil  ee>Sutf)er3  zweite  Vorrebe  wieber  voranftellt  —  ja,  nach,  feinen  Stetem  fte 
noch,  ein  anbereS  SJiabJ,  unb  nun  mit  ber  tfuffebrift  „ßine  neue  Vorrebe"  folgen  läßt  —  un3  feine  ©ernähr 
bafür  giebt,  bafj  bie  neuen  barin  enthaltenen  9Jlelobieen  von  ihm  herrühren,  um  fo  weniger,  ba  er  fein  Vor= 
wort  meber  für  biefeS  ©efangbueb,  noch  beffen  frühere  2lu3gabe  beftimmt  hatte.  3"  ben  123  ©efängen 
für  bie  gemeinen  ©cbulen  (1544)  verbanb  ©eorg  gorfter,  wie  wir  feljen  werben,  beibe  Söielobieen  unfereö 
SiebeS,  bie  von  1535  unb  1543,  in  einem  fünfjtimmigen  SEonfafje;  bie  Ausgaben  be§  SBalterfchen  ©efang= 
buchet  au§  ben  fahren  1537  unb  1544  haben  bagegen  ba3  Sieb  nicht,  fonbern  biefeS  erfebeint  erft  in  beffen 
fpäterer  2Cu§gabe  von  1551.  9lun  barf  man  vorauSfe^en,  bafi  SBalter,  SutberS  warmer  Verehrer  unb 
eifriger  Sobrebner  feiner  tonfünftlerifchen  ©aben  unb  gertigfeiten,  boch  wohl  hätte  unterrichtet  fevn  müffen, 
welche  ber  SBeifen  unfereS  Siebet  jenem  angehöre,  unb  bafi  er  biefe  vor  allen  in  bie  vermehrte  Ausgabe 
feiner  Sonfäfce  über  bie  SKelobiecn  geiftlicber  evangeltfcber  Sieber  werbe  aufgenommen  haben,  ©r  giebt  baju 
inbeß  eine  britte,  fonjl  nicht  weiter  vorfommcnbe,  breiftimmig  „auf  SBerfrenen  SBeife"  gefegt.  SBir  haben 
hienach  feinen  ©runb,  jene  1543  juerft  erfebeinenbe,  unb  bann  auch  1545  in  Valentin  33a»ft§  ©efangbueb 
aufgenommene  SUMobie  Suther  jujufchreiben.  Vielleicht  gehörte  fie  urfvrünglicb  einem  allgemein  beliebten 
2Biegenliebe  an,  unb  würbe  auf  SutberS  Sieb  von  beffen  früherem  Herausgeber  übertragen,  weit  baffelbe 
eines  gleichen  SSJlaafeS  unb  S£onee>  mit  jenem  war. 

Von  bem  Siebe:  Vater  Unfer  im  Himmelreich,  beft^en  wir  noch  ben  erften  Entwurf  in 
Sutberö  Hanbfcbrtft,  au3  bem  hervorgeht,  wie  vielfach  er  an  einzelnen  ©efä^en  beffelben  gebilbet  unb 
gebeffert,  SDlancheö  gänzlich  verworfen,  2lnbre§  jumeift  umgefchmoljen  habe.  2üif  einem  einzelnen  $)avier= 
fheifen  biefer  2lrt,  wie  er  eben  ergriffen  würbe,  be§  Siebter^  ©ebanfen  feftjubalten,  bürfen  wir  eine 
SBejeichnung  be§  SSageS  unb  3ohre§  nicht  erwarten.  £>a$  auch  eine  ©ingweife  für  bas>  Sieb  ihn  fogleich 
befchäftigte,  giebt  ba3  S3lättchcn  zugleich  ju  erfennen ;  e§  ift  eine  folebe  mit  flüchtiger  $>ant>  babet  bemerft, 
allein  wieber  burchjtrichen.  ©ie  ift  feine  von  benen,  beren  wir  weiterbin  gebenfen  werben:  ob  fte  eine  von 
ihm  felber  erfunbene,  ob  eine  nur  gewählte  gewefen,  ijl  nicht  ju  entfeheiben.  Sie  für  baS  Sieb 
fväter  allgemeiner  geworbene,  bortfehe,  bie  man  gemeinhin Suther  jujufchreiben  »flegt,  fanb  ich  am 
früheflen  in  SEBolf  Äbvbß  ©ingebuche  (1537),  bemnäcbft  in  einem  von  Michael  Sottber  ju  Söiagbeburg 
1540  herausgegebenen.  £)a3  Sieb,  allein,  ohne  bie  SKelobie,  treffen  wir  in  bem  SDJagbeburger  nieber= 
beutfehen  ©efangbuche  von  bemfelben  Sabre,  mit  ber  ^abrjabl  1539  bezeichnet;  eine  Seitangabe,  beren 
Quelle  unbefannt  ijl,  unb  ber  ba3  Vorfommen  be§  SiebeS  in  jener  früheren  ©trafsburger  Siebcrfammlung 
entgegenftebt.  Wit  einiger  ©icberheit  läpt  au3  3lllem  biefem  Solgenbeä  fich  fcbliefsen.  3ll§  Suther  baö  Sieb 
biebtete,  war  er  auf  eine  SJMobte  für  baffelbe  jwar  bebaut,  fanb  inbef?  feine,  bie  ihm  genügt  hätte.  3m 
3ahre  1537  war  eS  in  ©übbeutfchlanb  mit  ber  SJlelobie  befannt,  nach,  ber  wir  es?  gegenwärtig  fingen ;  in 
9corbbeutfcblanb  war  biefe,  brei  3ahre  fväter,  anfeheinenb  noch  nicht  allgemein  üblich.  2luch  ift  wohl  ju 
beachten,  bap  fte  bort  nicht  bie  ein  jige  war,  nach  ber  man  baö  Sieb  fang.  Sie  Sieber  für  bie  gemeinen 
©cbulen  (1544)  enthalten  beren  bret:  eine  übrpgtfcbe  (9lro.  46)  von  SBenebict  Suciä  gefegt;  eine 


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ionifcbe  in  jwei  Sehanblungen  oon  Sohann  ©tabl  (9cro.  50)  unl>  ©irt  iDietrid)  (51),  biefe  leiste  ju  fünf 
Stimmen;  enblicb  bie  bei  iibpbl  üorfommenbe,  borifcbe,  einmabl  burd)  2lrnolb  »on  SBrud,  ba§  anbere 
9)?ab,  l  burd)  3obann  SBcinmann  bebanbelt  (Sftro.  49.  52).  £)iefe  nun  ft'nbe  id)  in  SBaltcrS  ©efangbucbe 
t>on  1551  (iftro.  29)  mit  ber  Überfcbrift :  „auf  SSerfrepcn  =  SBeife, /y  unb  eine  gleiche  führt  fie  in  beffen 
früherer  Ausgabe  t>on  1544,  nach  Wambachs  SSerficberung.  3war  will  Wambach,  biefe  S3ejeicbnung  nut 
auf  bie  SSerSart  be3  Siebes?  bejogen  wiffen,  bocb  erfcbetnt  fie  mir  paffenber  t>on  ber  ©ingweife  ju  »erfteben, 
um  biefe  von  ben  übrigen  für  baS  Sieb  gebräuchlichen,  anberen  UrfprungeS,  ju  unterfcbeiben.  SEBahrfcbeinlicb 
alfo  ift  fie  eine  entlehnte  eher,  als  eine  von  Suther  Ijcnrüfjrenbe. 

£)ie  ©ingweifen  ber  beiben  Sieber:  erbalt  un§  £err  bei  beinern  ©ort,  unb  „SSerleif)' 
un§  g rieben  gnäbiglicb,"  fteben  einanber  fehr  nahe,  wenn  fie  auch  in  einjelnen  Ausweichungen  unter* 
fchieben  ft'nb,  unb  wegen  beS  abwetcbenben  3Jiaafjeö  ihrer  lieber  fd)on  nidjt  ttbllig  übereinftimmen  tonnen. 
25ie  beS  legten  ft'nbet  ftcb  juerfi  in  ber  früheren,  bie  beS  erften  in  ber  fpateren  Ausgabe  oon  jtlugS  ©efang* 
buche  (1535.  1543).  £>iefeS  lefjte  giebt  bie  eine  wie  anbere  in  fdjwarjen  Sboralnoten ,  fo  auch  SucaS 
SoffiuS  bie  erftc  in  feiner  Psalmodia ;  benn  baS  jweite  Sieb  (331.  304)  hat  bei  ihm  feine  eigene  ©ingweife, 
fonbern  ift  ohne  33erSabtheilung,  als  ein  ©chlufjgebet,  bem  erften  beigefügt,  ©cbon  jene  Art  ber  33ejetcb= 
nung  läpt  ben  Urfprung  unferer  ©tngweifen  auS  lateinifchem  Ätrcbengefange  Dermutben,  unb  biefe  33orauS= 
fefcung  beftatigt  ftcb  baburd),  bafi  gewöhnlich  baS  jweite  beiber  Sieber  bie  Überfcbrift  führt:  Da  pacem 
Domine  in  diebus  uostris,  ber  SEJWobie  beS  erften  aber  in  bem  ©efangbucbe  ber  bbhmifchcn  SBrüber  (1566. 
XVIII  verso.),  wo  fie  junächfi  für  baS  Sieb:  ©er>  Sob,  ehr,  ?>reiS  unb  ^>errlid)feit,  angewenbet  wirb, 
bieSBorte:  Sit  laus  bonos  et  gloria  üoranftcben,  wohl  als  ^Bezeichnung  beS  urfptüngticb  lateinifchen  Siebes 
wie  feiner  ©ingweife,  auf  welche  an  ber  fpdteren  ©teile  wo  baS  lurberifcbe  Sieb  fleht  (231.  LH.)  fobann  nur 
jurüdgewiefen  wirb.  4?at  Suther  tjtenacr;  einigen  Antbeil  an  ben  SBeifen  beiber  Sieber,  fo  wirb  er  nur 
barin  befteben,  baj?  er  ihnen  eine  volfSgemafscre  ©eftalt  gegeben  hat.  2)aS  Sieb  SutherS  von  ber  cbrifllicben 
.Kirche,  auS  ber  Offenbarung  Johannis  gebogen:  ,,©ie  ift  mir  lieb  bie  wertbe  SSJiagb"  Ijat  bei 
feinem  erften  Grrfcbcinen  in  ÄlugS  ©efangbucbe  von  1535  feine  ©ingjeichen ;  erft  baS  ä3apftfcbe  tbeilt  unS 
eine  9Jcelobie  auS  ber  ionifchen  Sonart  bafür  mit,  bie  alfo  mit  bem  Siebe  wohl  nicht  gleichseitig  entftanb. 
Auch  ift  fie  nicht  bie  einige  für  baffelbe  geblieben.  (Sine,  ihm  erft  nach  SutberS  SEobe,  um  1588,  angeeig* 
nete,  haben  wir  bereits  unter  benen  fennen  gelernt,  bie  urfunblid)  auS  bem  SSolfSgefange  flammen;  eine 
jweite  ftnben  wir  nod)  fpätcr  erft,  um  1601,  in  ffiartbotomäuS  ©efiuS  t»ter  =  unb  fünffümmig  gefegten  geijb 
liehen  Siebern.  freilich  ift  baS  blökte  £)afepn  beiber  noch  feine  2Biberlegung  ber  Annahme,  baf  bie  in 
93apftS  ©efangbud)e  erfcheinenbc  von  Suther  tyxxütye.  erwägen  wir  aber,  bafj  fie  erft  nach  t>cm  früheften 
^rfcheinen  be§  Sicbe§  bmwrtritt,  unb  bafj  ihr  fünftlicher  S5au  auf  einen  Sonfünjtler  uon  gacb  beutet,  fo  ifi 
fie  eher  für  ein  fpätereä  erjeugnip  eineS  folchen  ju  halten,  al§  Sutherä. 

Überbliden  wir  nun  nod)  einmabt  im  ©anjen  bie  r>on  un§  einzeln  befprochenen  ©ingweifen,  bie 
man  Suther  beijumeffen  pflegt.  9cur  bei  breien  berfelben  befi^en  wir  beftimmte,  ft'd)ere  Seugniffe  für  feine 
Urheberfchaft:  tion  Sohann  SBalter  bei  ben  Siebern:  3efaia  bem  ^xo^>\)eten  baS  gefdjah;  SEBtr 
glauben  alf  an  einen  ©ott;  von  ©leiban  bei  bem  Siebe:  ein'  fefte  S3urg  ift  unfer  ©Ott. 
Ski  brei  anbern  Siebem  haben  wir  ©runb  ju  oermuthen,  bap  ihre  SBeifen,  blofjc  Umgeftaltungen  älterer 
beutfdjer  unb  lateinifcber,  von  ihm  bearbeitet  fepen:  ben  Siebern:  Gbrift  lag  in  SEobeSbanben; 
Erhalt  unä  ^>err  bei  beinern  SBort;  SSerleih  un§  grieben  gnäbiglicb.    2)rei  Sieber 


  161   


fanbcn  wir  bei  ihrem  crftcn  äSorfommcn  fogletd)  mit  ihren,  auch  fpäter  it>nen  auSfcbliefjenb  gebliebenen 
9Eelobieen:  ßin  neue e-  Ü  t cb  wir  beben  an;  Wilt  i et 1  unb  greub'  id)  fahr*  babin; 
SReitfd)  willtu  leben  feliglicb,  unb  glaubten  barauS  fd)licfjen  $u  bürfen,  aud)  ein  nur  allgemeine? 
3eugnip  bafür,  bat?  fte  lutberifcbc  SBeifcn  fepen,  möge  ju  geftfkllung  biefer  Sbatfacbe  genügen.  Mein  bei 
viel  meiern  erfebien  biefclbe  zweifelhaft.  %cht  üieber,  bie  £älfte  batwn  gereimte  9>fatmen,  erfchienen  tbcilS 
nicht  mit  ihren  SBetfen  glcid^eitig ,  tbeilS  bod?  mit  mehren  OJcclobieen,  unb  beuteten  auf  23etonung  burch 
ftrembe,  ober  liegen,  wenn  aud)  eine  eigene  be§  £id)ters>  barunter  hatte  üermutbet  werben  bürfen,  bie  @nt« 
l'cbcibung  zweifelhaft,  weldie  für  bie  feine  ju  balten  fei;  bie  ßieber:  sJcun  freut  eu  cb,  lieben  6r;rijten= 
gmein;  'äuä  tiefer  9>cotb  febrei  ich  ju  bir;  '#cb  ©ott  vom  $immel  fiel)  barein;  SBobl 
Dem,  ber  in  ©ottS  gurebte  fleht;  Sefuä  CEbriftuS  unfer  £eilanb,  ber  ben  Zob  über- 
manb;  SSom  Gimmel  hoch  ba  fomm  id)  t) er ;  33ater  Unfer  im  Jptmmelrei cb ;  SBär* 
©Ott  nicht  mit  unS  biefe  3ett. 

3wei  anbere  enblicb  erfchienen  nid)t  glcidjjeitig  mit  ihren  SSeifen.  25a§  eine:  d§  fpriebt 
oer  Un weifen  SERunb  wobt,  bebielt  jwar  fortbauernb  bie  ibm  fpdter  angeeignete,  boeb  jeugt  bieg 
mehr  für  ihre  tfngcmeffenbeit,  ab»  für  ßutberS  Urfjeberfdjaft.  £a§  anbere:  ©ie  ift  mir  lieb  bie 
wertl)e  9Ragb,  ift  in  ber  iutl)erifd)en  Äird)e  balb  öerfcfyotten,  ba  e§  jum  Sbeil  ba§  SSefen  ber  iiirebe 
noch  in  !atbolifd)cm  ©inne  auffaßt;  unb  bennoeb  begegnet  e3  unS  örtlich  mit  oerfchiebenen  ©tngweifen, 
einer  bem  33olf5gcfangc  entlehnten,  einer  anbern  ungewiffen  UrfprungeS ,  unb  einer  britten,  jwar  unter 
2utber3  klugen,  bod)  erff  nad)  bem  erften  ©rfebeinen  beö  2iebcsü  öffentlich  geworbenen.  Siefe  S>ielbcit  feiner 
9Jlelobieen  bei  feiner  geringen  SScrbreitung  laßt  uns  mutbmafjcn,  bafj  man  feine  t>on  jenen  allen  bem  Siebter 
beigemeffen  haben  werbe,  weil  man  fonft  wol)l  bie  feinige  ben  übrigen  »orgejogen  hatte.  35er  Sieber: 
ßbrift  unfer  Sperr  jum  3orban  fam,  unb  wollt  uns?  ©ott  gendbig  fepn,"  gebenfen 
wir  bier  nicht  ferner,  ba  ihre  SQielobieen  unb  beren  Urfprung  fd)on  früher  ausführlich  befprcd)en  ft'nb,  unb 
eben  fo  wenig  ber  übrigen,  beren  Sßeifen  urfunblid)  bem  alteren  lateinifeben  unb  beutfeben  geiftlicben  ©efange 
angehören. 

3n  wiefern  fonnen  nun  bie  vorgetragenen  3voeifel  bureb  bie  nod?  »orbanbenen ,  allgemeinen 
3eugniffe  über  2utbcr»  (Srfinbung  von  ©ingmeifen  ju  feinen  Hiebern  gelöft  werben?  Cjs>  fmb  biefer  3eug= 
niffe  jwei,  von  benen  eines  nur  als  ba3  eineS  Seitgen offe n  bc§  £)id)ter3  gelten  fann,  ba§  be3  ^)aul 
(Sb er,  ba  ba6  jweitc  von  Saoib  (5 betrau 3  Jjerrü^rt,  beffen  erfte  Äinberjabre  nur  bie  legten  2ebcnjijal)re 
Üutberö  berührten.  Der  erfte  fagt  in  feiner  &orrebe  ju  9iicolauä  >§»errmannä  ©onntags>=Cjuangelien  f2Bittcn= 
berg  15CO)  beiläufig  :  ßutber  habe  bie  ©tüdc  beS  Äatcd)iömi  unb  etliche  S3et=  unb  Sanfpfalm  Daoibä  in 
f eutfebe  9teime  unb  liebliche  9Jtelobieen  gefaffet.  Allein  eben  bie  meiften  jlatecbiSmuSlieber  ßutherä 
haben  urfunblich  entlehnte  SBcifen:  nur  eine  eineä  folgen  Hiebet  fonnten  wir  ihm  mit  einiger  2Sabr= 
fcbeinlicbfeit  beimeffen  (bie  be§  2iebe§ :  SJtenfd)  willtu  leben  feliglich) ;  bie  eines!  jweiten  erfd)icn  alä  bie 
feinige  mehr  al£  jweifelhaft  (bie  beS  2iebe§:  §8ater  Unfer  im  Himmelreich).  @ben  fo  war  un»  nur  bie 
23eife :  ©n'  fefie  SBurg  (ba§  üieb  al§  Umbilbung  be3  4Cften  ^)falmä  angefehen)  unjweifelhaft  eine  lutbe= 
rifd)e,  bie  übrigen  9Jielobicen  lutl)erifd)er  ^falmlieber  aber  al»  bie  feinen  bebenflieb,  unb  nur  bie  eineö  ein= 
jigen  (@i  fpriebt  ber  Unweifen  9)iunb  wohl;  weniger  zweifelhaft.  2Bir  fmb  baher  wohl  eben  fo  berechtigt, 
jene  gelegentliche  #ufjerung,  bie  al6  ein  befräftigenbeS  3eugnifj  gelten  foll,  nach  ben  obwaltenben  Umffdn= 
ben  au§julegen,  alä  biefe  bureb  fie  aufflären     wollen.    Sa  gewinnt  benn  ber  "Uuäbrud,  bafj  Suther  feine 

».  äBinttrfcIfc,  ttr  »angel.  (Sfect^ljefang.  21 


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#arcd^imi*ambs])falmlicberin  lieblid)e9JJelobieengcfaffet  ben  Sinn,  baß  er  biefe  benfelben  angeeignet 
iv.Lv,  ohne  Untcrfcbieb,  ob  er  ihnen  oon)anbene  angepaßt,  ob  er  neue  baju  gefungen :  benn  fo  jlimmt  bie 
Auslegung  allein  bcr  urfunbtid)  fefjgefteliten  Sbatlage  überein.  £>amit  aber  bort  aud)  alle  ^Beweisführung, 
fofern  fte  nicht  fonji  fcbon  twrbanben  war,  gdnjlid)  auf,  unb  wir  finben  burd)  Gjber  un3  ber  (5ntfd)eibung 
um  nichts*  naher  gebradit.  9?ocb  weniger  aber  i|t  biefes»  mit  T>amb  ßbptrduS  ber  §all,  einem  3eugen  oon 
obnebieS  fdwn  fcbwdd)crer  3uoerldffigfeit.  @r  leitete  eine  (Sammlung  geijtlicfyer  lateinifdjer  unb  beutfd)er 
©efdnge,  t-ie  Jranj  (5lcr  um  1588  jitm  ©cbraud)e  ber  £>amburgifd)en  Äird)e  gefammelt  t^atte,  burd)  ein 
©enbfcfyreiben  an  ben  Herausgeber  ein,  worin  er  fagt,  Cutter  t)abe  bie  bauptfdd)lid)en  Steile 
d)riftlid)er  gebrc,  unb  <5 t>r tfti  ganje  ©efd)id)te  in  auSerlefene  SBorte  unb  angemeffenc  SÖZaafie 
gebracht,  unb  burd)  anmutige,  bem  Spalte  unb  ben  2Borten  ber  lieber  roobl  anpaffenbc  SBSeifen  gefd)müdt 
(melorliis  elegnntibus  et  aptissimis ,  quae  rebus  et  verbis  textus  subjecti  apposite  congruunt,  iliu- 
slravil).  9hm  ift  hier  jundd)jt  augenfd)einltd)  unfer  nid)t  über  feinen  Snbalt  auä$ubebnenbe§  äeugnif? 
oon  ben  ÄatecfyiSmuSltebern  §u  »erfteben ,  unb  in  biefem  ffiejuge  bat  e§  aus»  gleichen  ©rünben  ntd)t  großem 
SBertb  a!6  ba§  oorige,  au3  bem  e§  melleid)t  fogar  nur  gefdwpft,  mit  ibm  alfo  überbauet  nur  eines  iji. 
23a3  nun  von  SutberS  giebern  über  Qljxifti  ©efd)id)te  gefagt  wirb,  fann,  wenn  e§  nid)t  t>on  gutl)ers> 
gcftlicbern  im  Allgemeinen  oerftanben  werben  fott,  bod)  nur  auf  bie  Sieber :  S3om  £immel  l)od)  ba  fomm 
id)  ber;  9DJit  grieb'  unb  gxeub'  id)  fabr  bal)in;  G>l)rift  unfer  £err  jum  ^oxban  fam;  ßbrult  lag  in  £obe3= 
banben;  !^us»  ($brifhi3  unfer  £eilanb,  ber  ben  Sob  überwanb;  bejogen  werben.  33erfteben  wir  eS  üon 
ben  gejiliebern  im  Allgemeinen,  fo  muffen  wir  uns"  erinnern,  baß  bie  meiften  ber  lutberifct)en,  welche 
SBalterS  ©efangbud)  enthält,  ben  2Beifen  älterer  beutfcfycr  unb  lateinifd)er  geiftlid)er  ©efdnge  angepaßt  fmb, 
bie  urfunbltcb  nid)t  con  2utl)er  berrübren.  S5ejiel;en  wir  e§  inSbefonbere  auf  bie  eben  genannten  gieber,  fo 
erfebien  uon  beren  Singweifen  nur  bie  eines»  einjigen,  be§  gobgefangeS  Simeons!,  als"  eine  von  gutber 
wabrfcbeinlich  gefungene,  bie  anberen  als»  foldje  mel)r  ober  minber  jweifelbaft  unb  bcbenflid),  eine  unter 
ibnen  mit  SBejtimmtbett  al§  nur  nad)  einer  alteren  bearbeitet.  So  finben  wir  une>  aud)  l?ter  wieberum  in 
bem  galle,  ba§  SBort  unfereö  3eugniffe§  „illustravit"  er  bat  gefd)müdt,  »erberrlid)t,  auf  ba3  Aneignen 
mclobifcben  Sd)tnudc3  im  Allgemeinen  ju  beuten,  obne  berechtigt  ju  fepn,  biefen  Sd)mud  baburd)  abs 
eine  eigne  (§rfmbung  beö  Sd)tnütfcnben  beurf'unbet  ju  baltcn. 

So  bat  benn  Sutber  allerbingö  einige,  aber  gewiß  ntd)t  alle  SBeifen  ju  feinen  Siebern  gefungen. 
2ßaS  er  fang,  erfanb  er  jundd)jt  verftdnbig,  mit  feinem  Sinn  unb  tüchtiger  Äcnntniß  beö  alten  rbrnü 
fchen  Äird)engefanges»,  an  beffen  (Stelle  er  für  ben  fonntdglid)en  #auptgotte3bienft  einen  beutfdjen 
fetten  roollte,  unmittelbar  für  biefen  rein  liturgifdjen  3wcrf.  9}jand)eä  anbere  Sieb  für  ben  ©efang  ber 
©emeinc  enffknb  ibm  aud)  wobl  mit  feiner  Singweife  jugleid):  anbere  bicfytete  er  auf  fd)bne  gei(llid)e 
SBeifen  oer  aSorjett/  bamit  ber  (Scbafc,  ben  bie  alte  Jürcfye  an  ibnen  befeffen,  ntdbt  oerloren  gebe,  fonbern 
bebcutungSuollcr,  reiner,  aufs»  9teue  in  baä  geben  trete.  Grinmaf)l  nur,  fo  »iel  wirwiffen,  au§  tiefer  tyi-- 
ligcr  ©egeifterung ,  fein  eigenfies»  Söefen  in  baö  SBort,  in  ben  Zon  ergiefjenb,  eä  in  feiner  ganjen  gülle 
ausftrablcnb,  gelang  il)m  Sieb  unb  SQBeife  t>on  bcr  frifcbcjtcn,  nid)t  wieber  erreichten  Äraft,  unb  S3eibcö 
wirb  unter  unö  nur  mit  feinem  tarnen  aufboren  fbnncn  fortjulcben.  Aber  e§  war  aud)  ein  einzelner 
Üid)tpuntt  nur  eines  geifiigen  Sd)affen6  in  einer  einzelnen,  beftimmt  abgegrenzten  9fid)tung.  Senn  biefcö 
fein  Scbaffen  war  nid)t,  gleid)  bem  eines;  Sonmeiftcrö  in  aebtem  Sinne,  beffen  innerfteS  geben  ftd)  eben 
nur  in  ben  Sönen  crfcbliefjt,  eine  fortgebenbe  Sonfd)bpfung.    ©Ott  hatte  il)m  einen  anberen,  weiteren 


103   


ÄreiS  ber  Sbatigfeit  oorgcjeicbnct ;  unb  gewißlich  war,  auf  bem  enget  begrenzten  ©ebietc  beä  gciftlicben 
Sänger»,  eine  einjige,  bervorragenbe  Üctfrung  eüte§  fo  bocbgeficllten,  mit  feinem  SJSirfen  fo  tief  eingreifen; 
ben  SianneS  alS  er,  binreidicnb,  ein  heiliget  geuer  in  Begabten  an^ünben ,  benen  jeneS  ©ebiet  als  ba3 
ihre  angewiefen  war. 

Sollten  wir  ihn  minber  verehren,  ibn  weniger  lieben,  weil  in  einer  beftimmten,  einjelnen  9ficb= 
tung  nidjt  alteS  Scbonjte  feiner  3eit  ihm  angebbrt?  £cr  ©aben  finb  viele,  unb  er  felbft  bat  ftcb  mit  9fcd)t 
bcfcbicbcn,  bafi  nicht  alle  ibm  angeboren  tonnten ,  jumabl  nicht  bte  ©abe  ber  Sonfduwfung.  'Mein  be£ 
einen  ©eiftes  bat  ibn  ber  £crr  geroürbigct,  burch  ben  Ellies,  wac>  ber  SDtcnfcb  vollbringt,  jur  (übte  feines 
Sdjopferö,  ju  Offenbarung  feiner  SDiacbt,  SBeiSbeit  unb  ©Ute  gereicht,  burch,  ben  er  tfnbern  in  ©otteS 
iHcbc  ba£  leiften  bilft,  wae>  ihm  felber  vertagt,  ober  nicht  in  feiner  ganjen  gülle  als1  göttliche  ©abe  verlieben 
ift;  unb  tiefe»  SfubmeS,  beö  StubmeS  in  bem  Spmn,  wirb  ihn  niemanb  berauben. 


SStetter  Slfcfdmttt. 

Tic  ©e|«  gcifUt<$et  Biebettoeifcn  feit  bem  beginne  bev  Ätw$enöetfceffratttg  bis  um  bte  Satte 
bei  fecb$efmten  3^H-fnmbevtS. 

£aben  wir  bisher  ben  tarnen  nur  eineö  Sängers  von  wenigen  firchlichen  SBcifen  mit  3uverfidH 
nennen  bürfen ,  unb  auch  biefem,  bem  ©rünber  be$  neuen,  eoangelifeben  Äircbcntbums ,  bas  ÜKeifte  beffen 
abivrcd^en  muffen,  wag  man  gewöhnlich  als"  von  ihm  gefungen  bezeichnet;  fo  tonnen  wir  nun  mit  voller 
Sicherheit,  als  moblbegrünbeter  Sbatfacben,  ber  Sierbicnftc  ber  SOIanner  gebenfen,  bie  ben  ©eift 
icncr  SBcifen  burch  ihre  Äiinft  ju  erwerfen  (bebten ,  unb  ihre  tarnen  nennen,  ohne  S3eforgnif?  eines 
Srrtbumö. 

Cu'hanneo  32Salter,  ber  ©ebülfe  2utbers>  bei  ber  Einrichtung  beS  neuen  evangcliTcbcn 
©ottesbienfies,  ift  hier  ber  erftc,  beffen 9cameun»  begegnet.  9lurwiffenwir2Benigc»  von  feinen  2eben$>umftän= 
ben  unb  fonftigen  a>erbältniffen  ju  berichten.  Johann  ©ottfrieb  Sßalter  in  feinem  mufifalifcben  SBorter* 
buche,  nennt  ibn  Siagifter  ber  $)btlofo»bie ;  boefy  wirb  er  frühe  febon  als"  Sonfünfiler  auch  eine  Stellung 
am  £ofe  griebriebs'  be§  SBeifen  ju  Sorgau  gehabt  haben,  benn  wir  wiffen  aus  feiner  eigenen,  im  voran» 
gebenben  "tfbfcbnitte  mitgetheilten  Crr$äblung,  bafi  ßutber  ihn  von  baber  nebft  bem  alten  cburfurfllicbcn 
Sängcrmeifter  ©hm  @onrab  Siupff  burch  SSennittelung  beä  ßburfurften,  unb  beffen  SBrubcrs  unb  fpäteren 
Nachfolgern,  £erjogs  Sobann,  nach  SBtttenberg  berief,  um  mit  SSeibcn  gemeinfebaftlicb,  an  ber  beutfcfjen 
SKeffe  *u  arbeiten.  Sie  erfte  Ausgabe  feines  ©eiftlicben  ©efangbücbletns  (1524;  giebt  über  feine  Sierbält-- 
niffe  feine  nähere  "tfusfunft:  fie  nennt  ihn,  am  Schluffe  ber  31ltf{imme,  nur  als  ben  S3erfaffer,  ohne  fein 
'2lmt  ju  bezeichnen.  2>iefee>  lehrt  uns  ber  Sitcl  ber  fpäteren  Ausgabe  jenes?  3öerfes>  von  1537  erft  fennen; 
er  lautet:  , ,2Btttenbcrgtfch  ©fangbüdjli  burd)  Soböltn  2Baltcrn,  ßburfürftlicben  von  Sad)fcn  fengermcwjier, 
off  ein  newes  corrigiert,  gebeffert  unb  gemeret, "  von  welchem  bie  Äbntgltche  SMbliotbef  ju  Siüncben  einen 
burch  ^eter  Scbbffer  unb  Scatthias  21piarius  JU  Strafiburg  beforgten  'tfbbrud  heftet.    SBalter  ftanb  alfo 

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Damals  im  £>tenftc  &e6  ßburfürfkn  Sobann  griebrtd)  beS  ©ropmütf)igen.  'KB  nad)  ber  unglücklichen 
©cblacbt  bei  'Äüblbcrg  bie  2anbc^l;cvrfd;aft  unb  ßl)unvürbe  am  6ten  Sunt  1547  auf  beffen  SSetter,  ^erjog 
3Bortfe  überging,  finben  »tr  nicht,  bafs  SBaltcr,  glcid)  bem  9Jlalcr  SucaS  (Sranad),  bei  feinem  alten  4perrn 
geblieben  fei:  er  febeint  vielmehr  in  bie  iDienfk  bee>  neuen  fianbcSfjerrn  getreten  ju  fenn,  benn  aud)  1551, 
auf  Dem  .-Sirelblatte  einer  fuätcren  'ÄuSgabe  femc§©efangbüd)leinei,  nennt  er  ftd)  nod)  mit  bemfelben  Site!  vote 
juöot;  aud)  mirb  er  nod)  bem  folgenben  ßburfürften ,  'tfuguft,  gebient  b,aben,  ba  er  erft  im  %atyt  1555 
geftorben  femr  feil.  £>a$  er  mit  feiner  gefammten  .Eaüclle  von  ad)t$ebn  ©ängem  unb  jroblf  ©ingefnaben 
uim  (Iburfürften  DJiorifj  nad)  SreSben  gejogen  fei,  berid)tct  ©erber*),  ol)ne  Angabe  einer  Quelle. 

©o  müiifdienStvertb  nun  aud)  genauere  9>cad)ricbtcn  über  feine  2ebcnj>verl)ältniffe  fepn  mbd)ten, 
fo  fnüvfcn  ftcb  an  biefelbcn  bod)  feine  für  bie  ©efebiebte  ber  Sonfunft  unb  namentlid)  bc$>  evangelifcfyen 
Gboralgcfangeo  erbeblid)e  gragen,  unb  mir  bürfen  un§  an  bem  fo  eben  9Kitgctl)eittcn  geniigen  laffen,  ju= 
muh!  nur  eines  feiner  SBcrfe,  eben  fein  oftermäl)nte§  ©eiftlid)es>  ©efangbüd)lein,  an  biefem  £)rte  für  uns> 
von  @rbcblid)tctt  ift. 

£>ie  frübefte  'Ausgabe  bicfcS  SBerfeS,  foweit  unfere  Äenntniß  retd)t,  ift  bie  oft  befd)riebene  vom 
Jabrc  1524.  Sie  entl)ält,  mie  mir  beriebtet,  38  beutfcfye  unb  5  lateinifd)e  ©efangftücfe ;  in  jenen  38  Zon- 
fafeen  ftnb  32  gcijtlid)e  lieber,  unb  35  baju  gel)brenbe©ingwcifen  bebanbclt.  Um  (5inige3  vermehrt  erfd)etnt 
bie  ermahnte  jmeite  'tfusgabc  biefes  SSerfes'  von  1537;  fte  enthalt  39  Sonfä^e  über  bcutfd)e  geifftid)e  ßieber, 
unb  beren  13  über  latetnifd)e  Serte.  SBenn  aber  aud)  bie  tfnjabj  jener  erften  mit  ber  in  ber  früheren  2£u3= 
gäbe  bie>  auf  einen  übereinfftmmt,  fo  finb  fte  bod)  nid)t  burd)roeg  biefelben,  obgleid)  ber  9Jielobicen  nid)t 
mehr  geworben  finb.  Senn  von  biefen  ftnb  jmar  bie  vl)rr;gifd)c  2Beife  be§  2iebe§  „Surd)  "tfbamS  gall 
ift  ganj  verberbt,"  unb  bie  borifd)e  be§  ßiebeö  ,,9cun  freut  eud)  lieben  G>l)rijiengmein"  auögefd)ieben ,  ba= 
gegen  finb  Sonfcüje  über  bie  SEJielobicen  ber  Sieber :  „Sefaja  bem  Propheten  baö  gefcfyal)"  unb  „2>r  Sag 
ber  ift  fo  freubenreid)"  l)injugefommen,  weld)e  bie 'tfuSgabe  von  1524  rtid)t  enthielt,  2lud)  ift  bie  neue 
unter  anbern  um  einen  vier*  unb  einen  fed)Sff immigen  ©afj  über  bie  SBeife  ,,ßf)rift  ijl  erftanben"  reicher 
geworben,  unb  um  einen  fed)3ftimmigen  über  2utl)erö  „2Bir  glauben  all'  an  einen  ©Ott,"  im  ©anjen  um 
fieben;  roogegen  fie  brei  vierfiimmige  ©afje  über  bie  SJMobieen :  bitten  mir  im  Seben  ftnb  k.  ;  SefuS 
Übriftus  unfer  Jpeilanb,  ber  ben  £ob  übenvanb  tc;  SDiit  grieb'  unb  greub'  id)  fal)r'  bal)in  ic.  tc. ,  über= 
baupt  beren  fed)$>,  nid)t  ferner  enthalt.  3n  jmei  ©äfjen  ber  alteren  tfusgabe  finben  fid)  unbebeutenbe 
23eränberungen ;  erl)eblid)  gednbert,  ja  ganj  umgcfd)moljen  jeigen  ftd)  ad)t  anbere,  unb  man  erf ennt  baran 
bie  Sorgfalt  be§  S^eijlerg,  unb  fein  ©treben  bem  2ßerfe  bie  mbglid)fie  Sollcnbung  ju  t>erleil)en.  ©te 
britte  '2(u6gabe  feines  ©efangbud)e§,  bie  1544  bei  ©eorg  3fl)au  ju  Sötttenberg  l)erauöfam,  bat  SBalter 
beträd)tlid)  reicher  auögeflattet.  ©ie  enthält,  nad)  ©d)6berg  genauer  S3efd)reibung  in  feinem  jmeiten  S5ei= 
trage  jur  2icberb,ifiorie  (©.  99—108),  63  £onf%  über  beutfdje  gcifttid)e  lieber  —  40  ju  vier,  21  ui 
fünf,  2  ^u  fed)S  ©timmen  —  unb  37  »ier=  unb  fünfftimmige  lateinifd)e  ©efänge.  Sticht  in  gleichem 
Söiaa^e,  bod)  immer  bebeutenb  oermel)rt,  finben  mir  enblid)  eine,  fieben  %al)xe  fßater,  um  1551,  eben  ba 
erfd)ienene  vierte  '^uögabe ;  fte  giebt  78  Sonfäfje  über  beutfd)e  unb  47  über  lateinifd)e  geifilid)e  ©efange, 
inbem  fie  jenen  3  ju  brei  ©timmen,  9  ju  vier,  2  ju  fünf  unb  einen  $u  fed)g  I;injufügt.  Unter  ben  oier= 
ftimmigen  begegnet  unö  l)ier  baö  2icb  ßraömuö  'tflberS  von  ben  äeidjen  beö  jüngjlen  Sageö  :  ,,©ott  bat 


•)  srce.  coi.  so.».  zi>.  iv. 


  105   


ba§  @t>ange  lium,"  jum  erjten  SDiablc  in  einer  fird)lid)en  ©ammlung,  nacktem  es>  brei  Sab"  juoor 
(1548)  auf  einem  einjelncn  SSIatte  erfdn'enen  war.  33ergleid)en  wir  tiefe,  roafyrfcfyeinltcr;  leiste,  twn  bem 
SJieifter  bcforgte  2üBgabe  feines  SBerfeS  mit  beffen  erfter  uonl524:  fo  umfaßt  fie  bennocb  feineSmegg  beren 
©efammttnbalt.  günf  5Dcelobieen ,  bie  ftdt?  in  biefer  ft'nben,  bat  fie  ju  ben  gleid)namigen  Siebern  nicht 
wieber  aufgenommen  (3iro.  14.  17.  26.  28.  32.)  unb  ad)t  Sonfdfje  fonji  üon  ibr  mitgetbeilter  9JMobieen 
wollig  befcitigt  (5Rro.  3.  9.  11.  15.  24.  27.  32.  36).  Sagegen  erfcbemen  in  if)r  29  Sttelobieen  in  35  £on= 
fd^en,  welche  bort  nicbt  anzutreffen  fmb,  ber  neuen  Sonfd^e  über  früher  fd)on  gegebene  ©ingweifen  nicbt 
ju  gebenfen.  Sie  aufgenommenen  ©efdnge  ber  2tu3gabe  von  1524  ft'nben  mir  jum  %ljnl  unoerdnbert,  oft 
mebr  ober  weniger  nach  bemSSorgange  be§2tbbrud§  üon  1537  überarbeitet,  jumafyl  um  einzelnen  Stimmen, 
aud)  mit  ^Beibehaltung  ber  urfprünglicben  ©runbbarmonie,  einen  befferen  §luß  beä  ©efangeS  ju  geben. 

Saß  3Balter  bienacb  mit  Metern  gleiße  an  ber  S5efferung  unb  S3ermel)rung  feinet  ÜZBerfeS  innere 
halb  eine»  SettraumeS  von  26  3cd)r<m  gearbeitet  habe,  teibet  feinen  Sweifel ;  aud}  ft'nben  mir  barin  einen 
offenbaren  gortfcbritt,  baß  Anfangs?  unter  38  beutfd)en  ©efdngen  nur  beren  jwei,  ber  19te  Zljeil  be§  ©an= 
jen,  bie  ©ingweife  in  ber  £)berftimme  jeigten,  julefjt  aber  unter  78  beren  15,  etwas?  minber  aB  ber  fünfte 
£f)eit.  Saß  aber  aud)  nur  eine  üon  allen  jenen 2Seifen,  bie  er  un§  mtttl)eilt,  einewon  ü)m  felber  erfunbene  fei, 
ift  nid}t  ju  behaupten.  Um  btefeä  feft^ujteücn,  mürbe  e§  minbeftenä  einer  3(nbeutung  feinerfeiB  beburft 
baben,  ba  bie  meiften  unter  ihnen  urfunbttcb  au§  altem  beutfd)en  unb  lateinifd)en  .Kirch  engefange,  ober  au§ 
bem  SSolfögefange  entlel)nt  finb,  ober  aud),  wie  jene  brei  im  t>orangel)enben  #bfd)nitte  ermahnten,  Sutber 
angeboren.  9cun  entbdlt  aber  bie  2üBgabe  »on  1524  jwar  eine  SSorrebe  ßutfjerg,  allein  fein  §3orwort 
2Balter3:  jene  ift  obne  irgenb  eine  2(nbeutung  über  bie  Url)eber  ber  ©ingweifen.  9Balter§  Sßorrebe  ju  ben 
"ÄuSgaben  feit  1537  gicbt  mB  cnblid)  eben  fo  wenig  '#uffd)tuß.  ©r  beflagt  ftd)  in  il)r  über  bie  S5erad)tung 
ber  SJhtftf  unb  aller  anbern  .Künjle,  unb  fd)reibt  fie  bem  SSeufel  ju,  ber  atte$>  ©ottgefdtlige  umftoße,  ba  man 
ibm  bie  papijlifd)e  9Reffe  mit  aEem  Anhange  umgejioßcn  fjabe.  Stcfem  jutn  £ro£  (fdbrt  er  fort)  unb 
©ott  ju  ßiebe,  b<we  er  bie  juoor  ju  Wittenberg  gebrudten  ©efdnge  ba6  mel)re  £f)eit  neu  gefegt,  bie  anbern 
mit  gleiß  corrigiret  unb  gebeffert,  unb  mit  einigen  fed)3=  unb  fünffttmmigen  gemel)rt,  —  wie  wir  c3  benn 
juoor  wirflid)  fo  gefunben  baben.  dx  fd)licßt  mit  ber  SSemerfung,  bie  un3  üorauSfe^en  laßt,  er  fei  öon 
9Jitßgönnem  nid)t  unangefochten  geblieben :  „Unb  wiewol  biefe  meine  ©efdnge  gar  otet  Urteiler  haben 
werben,  3ebod)  gönne  id)  einem  jebcn  ber  @bre  gar  wol,  baß  er  an  mir  Siitter  werbe,  angefeben,  baß  ich 
biefer  Äunft  noch  ™oW  ein  ©d)üler  bin,"  —  gewahrt  un§  aber  mit  biefem  allem  nur  eine  SDZittbetlung  über 
feine  Arbeit  an  bem  Sonfa^e,  nid)t  über  fein  33erf)dltniß  ju  ben  ©ingweifen  aB  beren  (Srft'nber.  @iner 
jeben  Angabe  Späterer,  baß  er  ein  folcber  gewefen,  mangelt  es>  baher  an  jeglicher  S5egrünbung. 

©inen  gortfd)ritt  burften  wir  eS  nennen,  wenn  in  bem  Sonfa^e  SBalteB  bie  ©ingweife  allgemach 
in  bie  f)bd>fle  ©timme  überging,  unb  fo,  ba§  ©anje  bel)errfchenb,  aud)  immer  mehr  aB  baäjenige  erfannt 
werben  mußte,  beffen  (Entfaltung  alle  übrigen  Stimmen  bienten,  wenn  fie  aud)  ein  eigentümliche?  ßeben 
ju  offenbaren  ftrebten.  3Cllein  eä  war  bennod)  ein  gortfd)ritt  in  nur  befd)rdnftem  ©inne,  weit  ihm  eben 
hier  bie  J^auptbebingung  fehlte,  um  ein  achter,  in  üoller  Jßebeutung  be3  2Borteö,  genannt  werben  ju  bürfen. 

S5etrachtcn  wir  einige  feiner  ©efdnge,  um  bie  Überzeugung  bavon  ju  gewinnen. 
3n  ber  3tuägabe  üon  1551  ft'nben  wir  ben  alten  lateinifd)en  SBeihnad)Bgefartg :  Kesonet  in  lau- 
dibus  fünfftimmig  behanbelt,  bie  erjten  SSerfe  in  ein  beutfd)e§  SBiegenlieb  umgeflalter : 


  166   


3ofepb/  lieber  3ofepb  mein*) 

4j>ilf  mir  wiegen  mein  Äinbelein, 

©ott  ber  wirb  bein  Srbfier  fepn, 

£)er  Jungfrau  Äinb  Ataxia, 
wo  fann  mit  ben  latcinifdien  Söortcn  beS  alten  SiiebeS  fortgefahren  roirb.   Aus  ben  fünf  (stimmen  beS 
©anjen  bilben  fieb  jwei  breiftimmige  2Bechfeld)bre  höherer  unb  tieferer  (Stimmen,  bie  bann  roieber  ju  »ollem 
©efange  ftcb  oereinigen  ;  bie  £>berftimme  in  bem  böseren,  ber  Senor  in  bem  tieferen  biefer  ßbbre  fübrt  bie 
SJlelobte;  bei  ben  jwei  ©cblufjoerfen : 

Hodie  apparuit  iu  Israel 

Quem  praedixit  Gabriel 

tritt  t^icfclbc  in  tiefen  beiben  ©timmen,  von  benen  ber  Scnor  porangeht,  in  einem  ßanon  in  ber  ©beroctape 
auf.  Dicfc  Anlage  ift  flar,  nicht  olme  83ebeutung,  baS  ©anje  wohlflingcnb ,  einfach,  roie  eS  feiner 
SBcftimmung  jiemt.  2fUein  ju  oft  roirb  in  jenen  roecbjelnben  breifiimmigen  ©äfcen  bie  melobieführenbc 
Stimme,  jumabl  beS  höheren  <5£)ore§,  pon  ber  jweiten  überfchritten,  unb  ihr  Fortgang  fann  auf  biefe  SBeifc 
faft  noch  weniger  beutlich  vernommen  werben,  alS  wenn  bie  ©ingweife,  nach  ©itte  jener  3eit,  ftetS  im 
Senor  erfchtene.  Sin  wefentlicbeS  Jpinftreben  bü  wahrhaft  harmonifcher  Entfaltung  bürfen  wir  alfo  bem 
£onfe£er  hier  nicht  nachrühmen. 

^)errfchenber  fchon  geigt  ftd)  in  ber  Sberftimme  beS  SiebeS :  .Komm  heiliger  ©eifi  £erre  ©ott, 
Deffen  SJielobie;  fowohl  in  ber  Ausgabe  »on  1524,  als  in  bem  überarbeiteten,  theilweife  umgednberten 
:£onfa£e  ber  fpäteren  pon  1551.  X)ie  in  ber  ©ingweifc  gegebenen  Aufweichungen  treten  burch  bie  brei 
tieferen  Stimmen  jiemlich  erfennbar  heraus,  jeboch  ohne  geiffoolle  3üge,  olme  bebeutungSpolle  Äeime 
tieferer  Entfaltung ;  wir  müßten  benn  einen  folgen  barin  ft'nben  wollen,  baß  bie  fleine  ©eptime  ber  £)ber= 
quintc  beS  ©runbtonS,  gegen  beren  große  Scrj  im  3ufammenflangc  ben  SritonuS  bilbenb,  juweilen  bei  ben 
©cblußfaüen,  burchgehenb,  in  einer  §igur  gehört  wirb**),  bie  fpäter,  um  bie3eit  beS  DrlanbuS  SaffuS, 
febon  febr  allgemein  geworben  war,  unb  auch  bei  feinem  ©chüler  3obann  Grccarb  häufiger  oorfommt  als 
eine  S3erjierung  ber  ©chluf falle,  bei  benen  bie  Sonmeijtcr  be§  IGten  SflbrbunbertS  ber  angefd)lagenen 
Septime  ftch  jeboch  beharrlich  enthalten.  Ähnliches»  läßt  ftch  fagen  Pon  ben  beiben  Chorälen :  9hm  freut 
euch  lieben  Gibriftengmetn  (in  ber  fchon  1524  erfcheinenben,  älteren  ©ingweife)  unb:  ©elobet  fepft  bu,  3efu 
6hrift***>.  3hrc  SJZclobie  wirb,  unpcrbuntelt,  in  ber  Dbcrjtimmc  fortgeführt,  ihre  Ausweichungen  finb  burch 
Die  Harmonie  tabelloS  hervorgehoben;  eS  iji  an  biefer  nichts  auSjufteüen,  aber  auch  eben  nichts  ju  rühmen. 
Sn  cem  hiebet  ©ott  fei  gelobet  unb  gebenebeiet,  tritt  bie  ©runbtonart,  bie  mirolpbifcbc,  fräftiger  unb 
bebeutfamer  berpor,  als  in  bem  lefjten  ber  eben  befprodjenen  ßhoräle.  3umal)l  gefd)ieht  biefeS  in  bem 
Amic,  baS  jeben  ber  brei  Abfcbnitte  unfereS  AbcnbmablSliebeS  in  SBalterS  Harmonie  mit  einem  borifchen 


0.  Seifpicl  II.  1. 



"")    ©.  SBcifptcl  II.  % 


  167   


2lnflange  befcbliefjt.  Der  mcicbe  £reiflang  auf  d,  ber  2(fforb  ber  fleinen  ©crte  auf  e  bei  aufmärt§frci= 
genber  ©runbjtimme,  ger)en  bem  berfommlicben,  »ollen  ©chlußfalle  voran,  bei  bem  man  nun  allerbingS  bie 
(nicht  vorgejeicbnete)  große  SEerj  aB  gettton  ju  fingen  f>at  an  bie  ©teile  ber  fleinen.  2Ber  aber  bei  ben 
vorangebenben  beiben  3ufammenflängen,  ben  £}fyren  ber  ©egenmart  ju  gefallen,  bie  große  Serj  unb  <Serte 
nehmen,  bie  abffeigenbe  Guarte  ber  jmeiten  ©ttmme  (f  c),  alfo  um  einen  halbenSEon  (Iis  eis)  erhoben  mollte, 
ber  würbe  l)ier  ben  burcb  bie  mirolpbtfcbe  fleine  ©eptime  unb  borifcbe  fleine  Serj  ('gegebenen  2(nf (ang  gegen  be3 
5E3^eifterS '2Cbftd>t  t>erlbfd>en.  MitberMelobiebeS  jtatecht3mu§liebc3  :  „2Me§  fmbbiebeil'gen  jehnSebofmirb 
jroifcben  ber  £)berftimme  unb  bem  SSenor  be§  vierffimmigen  £onfafje3,  in  welchem  fte  um  1551  crfd)etnt, 
ein  in  3ett-  unb  Sonoerbältniffen  freier  Gianon  in  ber  £3beroctavc  burcbgefübrt ;  frei,  in  fo  fern  jroar  bie 
©runbjüge  ber  ©ingmeife  in  ben  fid)  nadbahmenben  ©timmen  unveränbert  bleiben,  biefe  jebocb  in  zufälliger 
2lu3fcbmütfung  juroeilen  von  einanber  abmetd)en,  aud)  einanber  nid)t  jietö  in  gleichen  3wifcbenräumen, 
ober  mit  gleicher  ©eltung  ber  einzelnen  %bne  nachfolgen.  Sie  Oberflimme  bleibt  babei  aber  allezeit  bic 
berrfchenbe,  unb  ber  borifcbe  2(nflang  gegen  ba6  6nbe,  burcb  vermanbelnbe  Mobulation,  SSeränberung  ber 
mirolt)bifd)en  großen  Serj  (h)  in  bie  fleine  (b)  be§  verfemten  £orifcben,  ftnbet  fid)  fraftig  bervorge= 
hoben  burd)  ben  garten  Srciflang  auf  bem  b  bes>  ©runbbaffee»,  ben  weichen  auf  bem  mirolvbifcben  ©runb= 
flange.  9cod)  jroeimabt  ijl  eben  biefe  ?DMobie  in  ber  llutyabz  von  1551  vierfttmmig  bebanbctt  (ÜJhro.  66. 
67)  unb  beibe  Stahle  in  ber  Sberftimme  eingeführt,  boch  fcblteßt  fte  fid)  bort  ihrem  urfprüng liehen  Siebe 
(3n  @otte§  Flamen  fahren  roir)  unb  einer  Umbilbung  beffelben  an  (3ln  ©ottee>  tarnen  fd)eibcn  mir;. 

S3on  ber  fechsfitmmigen  SSebanblung  ber  SKelobie  bei?  lutberifcben  SiebeS :  2Bir  glauben  all' an 
einen  ©ott"  fann  bagegen,  wa§  mir  an  ben  eben  ermahnten  rühmen  burften,  nicht  gefagt,  ja,  e§  fann  an 
ihr  nicht  einmal  ba§  gelobt  merben,  ma§,  aud)  bei  einem  ^auptgebreebert,  bod)  bie  fünfftimmige  23ehanb= 
lung  bc§  Resonet  bei  SBalter  auszeichnete,  ©te  muß  ein  jwar  mohlflingenber,  aber  bebeutungälofer  £on= 
fafc  genannt  merben.  gajt  ohne  ade  Unterbrechung  merben  bie  fecbS  ©timmen  jugleicb  gehört,  bie  melobte» 
führenbe  Sisfantftimme  mirb  von  ber  jmeiten  beinahe  burchgdngig  überfchritten ,  unb  baburd)  mivb  bie 
SQielobie  bei  ber  ©timmenfülle  be3  ©anjen  nur  um  fo  unbeutlicher  5  h^tnonifd)  entfaltet  fann  man  fte 
nirgenb  nennen. 

£>aß  Johann  SBaltcr  von  einer  Entfaltung  biefer  2(rt  eine  Ahnung  gehabt,  baß  er,  menn  auch 
nicht  völlig  bemüht,  boch  unverfennbar  banacb  gejtrebt  habe,  bürfen  mir  ihm  jugejleben.  (fr  hat  jumcilen 
aber  roefentlicbe  ©rforberniffe  berfelben  verfannt,  mie,  menn  er  bie  offenbar  pbrvgtfcbe  2Bcife  be§  Siebeg : 
©ott  hat  ba§  Evangelium,  beren  2(u§gang  namentlich  bie  ©runbtonart  nicht  verfennen  laßt,  völlig 
ionifd)  behanbelt,  wa3,  fo  juldfftg  es>  fevn  mag  in  anberen  geeigneten  gälten,  hier  bod)  bem  ©epräge  ber 
9J2elobie  miberftrebt,  inbem  e§  bie  ernfte  Mahnung  am  ©d)luffe  jeber  Seile: 
£)a§  ift  ein  3eicben  von  bem  jüngften  Sag 
abfd)mdd)t  unb  ihre  SBirfung  aufhebt.  3ene§  fiebere  ©efübj  alfo  gebrach  ihm,  mobureb  ba§  Siechte  überall 
gefunben  mirb;  fein  ©treben  mar  ein  nur  befebränfteä ,  eben  ein  folcbeS,  moju  fd)on  a>erjlanb,  gleiß, 
Äenntnif?,  ben  erfahrnen  Äünftler  befähigen,  ©eltene  ©aben,  hohen  ©eiftessfebmung ,  fönnen  mir  ihm 
nicht  nachrühmen,  faum  eine  finnreid)e  2lnorbnung  feiner  Sonfäfje.  SBSir  haben  ihn  l)od)jufd)ä^en  als  einen 
folcben,  ber  begabteren  bie  33abn  geebnet,  ihnen  üielletcht  fctbjt  burch  ba§  von  ihm  S3erfehlte  ben  richtigen 
SBeg  gejeigt  hat.  2(13  einem  ber  früheren  Somneifkr  ber  eoangelifd)en  Äird)e,  al§  Mitarbeiter  2utl)cr?, 
gebührt  i()m  eine  ehrenvolle  ©teile  in  ber  ©efebiebte.   @ine  ©chule  im  mahren  ©inne  bee  üöorteä  oermochte 


16S 


er  aber  nicht  511  grünten,  benn  feine  ©inneS*  unb  'iCuffaffungsroeife  miiite  nid)t  bureb  lebenbig  jünbenbe 
gunfen  bes>  ©eifte3  auf  feine  Mitlebenbcn :  fte  mar  vielmehr  bie  feines"  3eitaltere>,  bas  et)er  auf  ihn  einge= 
mir«,  als  eine  bebeutenbe  (Sinmirhtng  bureb  ihn  erfahren  bat. 

©anj  anberö  verhält  e§  ftcb  mit  Sut»U>tfl  <2enfl,  ben  man  gembbnlid)  ebenfalls  unter  Supers; 
Mitarbeitern  auf  bem  ©ebicte  beS  Äircbcngefangee»  nennt.  2(ud)  über  feine  ßcbenSumftänbc  heften  mir 
nur  menige  unb  bürftige  9?acbrid)ten ;  boeb  ift  uns?  von  feinen  SBerfen  fo  viel  erhalten,  um  barauS  fein 
S3crhältnifj  $u  feiner  ©cgenmart  unb  golgejeit  genügenb  ju  erf'ennen. 

9cad)  ©larean,  ber  ihn  nicht  ohne  ©totj  feinen  SanbSmann  nennt,  mar  er  aue>  3üricb  gebürtig*); 
bagegen  verftd)ert  (Simon  SEftinerviuS,  inbem  er  bie  ^Betonungen  ^orajifcfyer  Sölaafje  bureb  unfern  SKeifter 
bem33artbolomäu3  ©dn'cnf:  ju  Mündjen  mibmet,  bafj  er  au§33afet  flamme,  darüber  minbcftenS  finb  S3eibe 
einig,  baf3  er  ben  erflcn  ©ingunterridjt  in  biefer  legten  ©tabt  genoffen  ()abe,  unb  von  ba  auS  in  bie  @apelle 
Äaifer  MarimtlianS  bcS  Erffen  ju  Snfprud  eingetreten  fei,  mo  er  an  bem  bocbberübmten  ^»einrieb  Sfaac  ben 
trefliebften  Sebrmcifkr  gefunben.  ©päter  fam  er  in  bie  £>icnfte  ber  4?eipge  von  S3apem,  SEBtlbelm  beS 
Stierten  unb  Ulbert  be3  günften;  an  bem  4j)ofe  be§  erften  ju  München  finben  mir  ihn  um  1530,  ohne  bie 
3eit  angeben  ju  rönnen,  mann  er  borthin  berufen  muvbe.  S3alb  nach  ber  Mitte  beS  3af)rl)iinbert»  febeint 
fein  Sob  erfolgt  ju  fevn;  ©eorg  gorfjer,  beffen  ,,frblid)c,  frifebe,  alte  unb  neue  teutfebe  ßteber"  mir  bereit? 
früher  befpracben,  nennt  ihn  in  ber  vom  31ficn  Sanuar  1556  batirten  SSorrebe  bes>  fünften  SbeilS  biefer 
Sammlung  bereits :  ,,4?errn  Submig  ©enfel  fcligen."  Über  fein  S3erl)dltnif3  ju  Suther  geben  im§  tbeiB 
einzelne  'tfufjerungen  bcffelben  in  feinen  Sifcfyreben  Äunbe,  tbeil§  eine  ©teile  in  be3  9)farrberrn  MattbeftuS  ju 
3oad)im£tbal  neunter  ^Jrebigt  über  ßutberS  Sehen,  tbeilS  enblicb  ein  freunblicbeS  ©cfyreiben  ßutherS  an  ihn, 
gegeben  ßoburg  ben  vierten  Setober  1530,  au£  meldjem  bc3  ©ebreibenben  begliche  SSerebrung  unb  innige 
Suneigung  gegen  ihn  bell  bervorleudjtet.  Um  nun  recht  ju  erfennen,  in  melcbcm  ©inne  ßuther,  in  melcbem 
antcre  3citgcnoffen  ihn  geliebt,  mas>  fte  an  ihm  geehrt,  mobureb  er  auf  fte  eingemtrft,  ber  Äunjl  einen  neuen 
'tfuffebmung  gegeben  habe,  mirb  eö  nicht  unangemeffen  fevn,  in  menigen  SBorten  ba§  SSerbältnifj  be§  begin- 
nenben  löten  SabrbunbertS  jur  Sonf'unft  überhaupt  hier  barjuftellen. 

5ßcnn  mir  abfeben  oon  bem  frifd)en,  gemütlichen  Cnnbrude  ber  einfachen  ©ingmeife  eine?  8te= 
be? ,  ben  mir  bei  allen  für  bie  £bne  überhaupt  Empfänglichen  im  2Hlgemeinen  alö  ben  gleichen  anfeben 
müffen,  unb  eine  33erfd)iebenbeit  nur  in  ber  größeren  ober  minberen  güblbarf'eit  bes>  4?brerS  »etben  finben 
fbnnen,  mobl  auch  in  feiner  ©emütf)sart,  bie  ihn  bem  einen  ober  anberen  tfuöbrucfe  einer  9Kelobie  geneigter 
macht;  menn  mir,  cä  furj  ju  fagen,  von  bem  83erhältniffe  jener  3eit  ju  tl;ren  ©ängern  abfeben,  fo  ift  e§> 
ein  boppelter  S3orjug,  ben  fte  an  ihren  Z  onf  e^  ern  fuebte  unb  liebte.  £)en  Einen  ging  bie  Sonhtnft  wtt-- 
fommen  auf  in  baS  ©ebiebt;  fte  mar  ihnen  nur  eine  fd)müdenbe  Überflcibung  feiner  gönnen,  unb  um  fo 
ooUtommner,  je  unterlegter,  einbringlicber,  biefe  bureb  bie  il)r  ju  ©ebote  ftchenben  Mittel  her» ortraten; 
berjenige  Sonfünjller  mar  ihnen  ber  g^efie,  bem  bief  e3  am  meinen  gelingen  mochte.  ^)en2tnbern  erfdbien 
bie  Äunft  beö  Sonfa^eä  als  ein  fbfilid)e§  ©efd^meibe,  ober  eine  jierlid)e  Einfaffung  für  bie  Melobie, 
bie  ©abe  bes  ©ängerö;  mittelbar  freilich  moht  auch  be§  Sid)tcr§,  aüein  biegormen,  melcbe  jener  gefdbaffen, 
maren  ihnen  boeb  ber  eigentliche  Äern  ber  Aufgabe  beö  Sonfe^erö.  Sn  biefem  boppelten  a>erhältniffc  fehen 
mir  ©enfl  geliebt  unb  verehrt  von  feinen  3eitgenoffen ;  alö  finnigen  ©efährten  beö  2)id)terg  von  ben 


")    Dodecach.  pag.  221.  331.  444. 


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begeiferten  greunben  be$  Ältert^umS,  benen  er  t-cfj"en  metrifche  formen  näher  braute,  burd)  bie  güUe  feiner 
Jbarmonicen  fie  reicber  aufragte;  al§  benjenigcn,  ber  beS  Sängerö  (£d)öpfungcrft  tnba3©ebiet  berÄunfi 
hinüberführe,  ihre  red)te  33cbciitung  erft  fünbe,  von  Siutber ,  bem  l)icrin  bas>  wunberbare  ©eheimnifj  ber 
Sonwelt  erft  ftd)  ju  erfd)liefjcn  festen.  . 

£bren  wir  junädjft,  rote  jene,  wie  tiefer,  über  bie  Sonfunft  überhaupt,  unb  unfern  SXeifter  ftd) 
aussprechen,  unb  betrachten  wir  fobann  feine  SBerfc  genauer,  wie  fie  auf  bem  einen  unb  bem  anberen 
©ebiete  liegen. 

Um  ben  Anfang  be§  16ten  SNNmnfcertS  —  oieUeid)t  früher  noch,  benrt  genauer  tonnen  wir  bie 
3eit  nicht  angeben  —  erfchien  ju  2üig3burg  bei  ©crljarb  Cgiin  ein  33üd)lcin,  bezeichnet  at§  „Sttelopöieen, 
ober  oicrfiimmige  jparmonicen  über  bie  22  ©efd)led)ter  h""oifd)cr,  elcgifcher,  Iprifcher  SKaafje,  fo  wie  bie 
bet  firdilichen  Jpwmnen."  2U3  SEonfel^er  wirb  $)eter  SritoniuS  genannt  unb  anbere  gelehrte  SEonfünftler 
eineS  wiffenfchaftlid)en  äSereineS,  welche  biefe  £armonieen  nach  2£rt  unb  ©eltung  ber  Selben  unb  güfje 
erfunben;  unter  Leitung  beS  (Sonrab  ßelteä  fepen  fte  glücftid)  gebrueft.  Cjine  Sahrjahl  Wt.  £>aö 
33üd)lein  begreift  jundchft  19  ©ben  bc3  £oraj,  nach  tyren  t>erfd)iebenen  -JKaafjen  aue>erwäf)lt;  es>  giebt 
baran  S5cifpiele  beS  pf)aläcifd)en ,  h^oifchen ,  elegifchen.  ©ine  9cad)wcifung  ift  beigefügt,  welchen  SÖZaafjen 
bie  fachlichen  £v>mnen  angehören,  wobei  nur  ju  bewerfen  ift,  baf?  baö  tambifcb  ard)ilod)ifche  unb  alcma; 
nifdje,  in  benen  jufammen  genommen  üerhältnifjmäfjig  bie  meiften  berfelben  gebietet  ftnb,  t)'ux  feine 
S3etonung  gefunben  haben,  obgleich  bie  gegebene  Überftdbt  auch  <utf  P<  ftd?  ntit  erftreeft. 

©egen  bie  SDiitte  be§  16ten  3abrbunbertä,  um  1534,  gab  ©tmon  9Jiinerüiu3,  ju  Dürnberg  bei 
Jpieroni)mu§  gormfehneiber,  ein  ähnlid)e3  SBerf  Subwig  ©enfls>  herauf,  über  beffert  näheren  Inhalt  wir 
fpärer  berichten  werben.  Sr  eignete  et  ^Bartholomäus  Sdjrcnf ,  ^Patricier  unb  SSürgermeifter  in  SEßünchen 
ju,  unb  biefe  3ufchrift  ift  es>,  beren  wefcntlichen  Snhatt  wir  in  freier  Übertragung  mttjuthetlen  gebenfen  al§ 
SBorte  eine§  3eitgenoffen,  eineS  greunbeS  ber  SEonfunft  wie  unfere§  9ttetfter3,  in  benen  er  über  feine  33eref)= 
rung  beiber  nad)  ber  gefchmücften  2Beife  jener  Sage  ftd)  ausspricht.  „SBohl  glaube  id)  (fd)reibt  er),  bafj 
unter  ben  freien  Äünften  eine  natürliche  Übereinftimmung  beftel)e,  ober  foll  id)  e3  (Sinflang  nennen,  ber  fie 
gleid)  einem  gefelligen  33anbe  »erfnüpft.  SSor  2fllcm  aber  thut  ftd),  bafj  id)  fo  rebe,  eine  SSerwanbtfd)aft 
heroor  jwifchen  Son--  unb  3Md)tf  unft,  unb  id)  jweifle  nicht,  bafj  ber  (Sinflufi  gleichen  ©eftirneö  walte 
über  bem  £>id)ter  unb  SEonfünftler,  fo  nahe  flehen  fte  einanber  in  ©elftes^,  in  9laturgabe,  fo  33ieleS  fyaben 
fte  gemein,  wenn  nid)t  allcS.  (Einen  jeben  oon  beiben  fi'nbcfi  bu  gefangreid),  lieblid),  oon  überquellenber 
grud)tbarfeit  beS  ©eifteS,  bewunbernSwerthen  SORetfter  in  ßrregung,  in  S5efd)wid)tigung  ber  ©emüther, 
Siebling  ber  SDiufen  unb  beS  Apollo,  angeregt  in  feinen  ©efängen  burd)  göttlichen  Qhthaud),  ber  bie  .Kräfte 
feines>  ©eifteS  fteigert.  £>af)er  wohl  fbmmt  es>,  bafj  nicht  allein  bie  Neulinge  in  ber  £>id)tfunft,  fonbern 
jumabl  biejenigen,  welche  bes>  näheren  Umganges  ber  SEJJufen  genießen,  burd)  einen  wunberbaren  3ug  ber 
Sebnfucht  hingeneigt  finb  ju  ber  Sonfunft,  baf;  beren  ©üfjigfett  fte  erft  bie  oolle  SSefriebigung  empftnben 
läfjt  an  ber  oerwanbten  itunft,  bafj  fte  am  liebften  (Erholung  fud)en  burd)  bie  5£öne,  fei  e§  nun,  um  bie  3eit 
täufchen,  ben  t>on  »ieler  Arbeit  ermatteten  ©eift  ju  erfrifchen,  ober  ber  grt>hlid)feit  ftd)  hinjug^en.  Sd) 
nun,  ber  ju  feiner  3eit  ben  fünften  fremb  geblieben  bin,  burd)  welche  ber  9J2enfch  erft  ju  rechter  9Jienfd)lid)- 
feit  herangebilbet  wirb,  geftel)e  gern,  bafj  id)  r>om  Knabenalter  an  mich,  am  liebften  ju  ber  SEonfunft  gehalten 
habe,  unb  ben  Sonfünftlern.  ßrmübet  von  ben  2aften  be§  2Tmte§,  von  ben  ©orgen  für  baö  Spau$,  fud)e 
rd)  nid)t  leicht  ein  anbereg  Heilmittel,  al§  bas  ber  <Sd)wefterfunft.    3d)  nehme  ein  ©ebid)t  be§  ^oratiuö, 

».  SBintcrfctb,  ber  euartgel.  G^cralgtfang.  22 


  170   

ober  eilte«  anbcrn,  ebten  SicfytetS  jur  Jpanb,  unb  finge  mir  eS  leife  uor,  ober  finge  mit  greunben  unb 
jtnablcm  gemeinfd)aftlid),  wenn  fte  jur  Spant)  ftnb ;  irgenb  ein  ©ebid)t,  meine  ich,  unb  ba  erfahre  id)  ntö» 
balb,  baf  nidn  allein  eine  jebe  SBolfe  beS  SKißmutbeS  oon  mir  meiert,  als  IjatU  tef?  oon  jener  benfwürbigen, 
bei  ^orner  fo  boebgepriefenen  Siepentbe  ber  Jjpelena  genoffen,  fonbern  baß  aud)  bie  .Kraft  mir  wäcbjt  ju 
erneut«?  Arbeit.  Saj3  aud)  2lnbern  2tl;nlid)cä  gefebiebt,  nimmt  mid)  nidbt  Sßunber;  bod)  baS  bat  mieb 
befrembet  unb  betrübt,  baß  unter  fo  jablrcicben  unb  fo  fruchtbaren  Sonfünfflern,  fo  üiel  id)  weiß,  fett  man= 
cbem  3abrbunberte  feiner  geroefen,  ber  feinen  ©eift  unb  feine  Äunjl  ber  ibm  fo  naben  @cnoffenfd)aft  ju 
inniger  ©rquicftmg  gelieben,  id)  meine,  ber  jene  Sftaaße  in  ©efangSwcifen  gefaßt  l)«tte,  beren  bie  grbßeften 
Siditcr  fid)  bebient,  unb  bie  fte  jur  3itter  gefungen,  als  $eter  SritoniuS  auS  bem  (5tfd)lanbe  (Athe- 
sinusj,  ein  manntebfad)  gelehrter,  bcfd)cibener  9Jiann,  unb  mir  innig  »erbunben  burd)  ©emeinfebaft  ber 
©tubien,  roie  burd)glcid)e  Steigungen.  *#IS  biefer,  noeb  ein  Süngltng,  ju  Sngolftabt  Unterteilung  beS 
Gonrab  Geltet,  jenes  erften  unb  anmutbigften  unter  Seutfd)lanbS  Sid)tern,  bie  fd)bnen  2Biffenfd)aften 
pflegte,  fefcte  er,  auf  Antrieb  feines  2el)rerS,  bie  neunjefm  Sföaaße  beS  Spox%  in  9)iuftf,  unb  täglicb,  nad) 
bem  Scbluffe  ber  SSorlefungen  über  biefen  Siebter,  weld)e  @clteS  bamalS  mit  üielem  3?ubme  t)telt,  bot  er 
fte  bann  feinen  ©enoffen  bar  alö  Grrquicfung  im  ©efange,  jene  füßen,  unb  roabrlid) !  nicht  ol)ne  £ulb  ber 
SDiufen  unb  ©rajien  entftanbenen  SBeifcn ;  wiewohl  er,  ber  »on  Statur  befcfyeibene  9JZann,  nur  gering  t>on 
ibnen  hielt.  Senn  mar  er  aud)  (ber  anbern  Äünfle  nicht  ju  gebenfen)  in  ber  SEonfunft  wofyl  erfabren,  »on 
gebilbetem  unb  feinem  ©eifle,  fo  baß  bie  trcflid)cn  Sonmeifjer  an  Äaifer  9)2arimtlianS  Spofe  ©roßeS  »on 
ihm  hielten,  unb  jener,  baß  id)  ibn  fo  nenne,  anbete  3fofciuS  unter  ben  Sonfünfilem,  # einrieb,  Sfaac, 
ibn  gern  ju  feinem  engjten  Äreife  rcd)ncte,  fo  wollte  er  boeb  niemals  für  ben  Urbeber  jener  ©tngweifen 
gelten.  Unb  id)  erinnere  mid),  »on  ibm,  als  bod)betagtem  SKanne,  oft  gebort  ju  l)aben,  —  benn  eine  3eit 
lang  waren  wir  Spaü&  unb  Sifcbgenoffen,  —  wenn  er  baS,  waS  von  il)m,  alö  Jüngling,  ausgegangen 
fei,  abermals  auf  ben  2lmboß  bringen  wolle,  fo  folle  eS  oorjüglid)er  werben,  benn  juwor;  bod)  gern  über= 
lajfe  er  baS  £ob,  feine  Aufgabe  ju  lofen,  einem  Jüngern,  ber  bem  SBerfe  #nfcben  leiben  fbnne,  unb  einen 
Siamen.  Senn  balb,  fo  weiffage  il)m  fein  ©emütb,  werbe  (Stner  aufjtel)en,  ber,  »on  feinem  S3eifptele 
angeregt,  im  Sonfafje  bid)terifd)er  SDtaaße  etwaS  2luSgejeid)neteS  leifte  unb  Ungemeines,  baS,  wie  jene 
2ltbene  beS  ^PbibiaS,  auf  ber  33urg  aufgehellt  werben  fbnne.  Sa  id)  nun  in  ibn  brang,  mir  ju  fagen,  »on 
wem  er  am  meijten  wünfd)en  würbe,  wenn  eS  v>on  ibm  abl)inge,  baß  er  einem  fold)en  SBerfe  fid)  untcrjicl)e 
als  ber  ©efebieftefte,  fprad)  unfer  Hilter:  "Km  £ofe  Äaifer  93tarimilianS  lebt  ein  ©cfyüler  beS  Sfaac,  oom 
garten  Knabenalter  an  bort  unterwiefen  burd)  il)n,  beffen  Anlagen,  wenn  nid)t  alleS  mid)  trügt,  etwas 
2luSgejeid)neteS  uerfpred)en ;  —  er  meinte  aber  meinen  £ubwig  ©enfl  auS  S5afel,  gcwbl)nlid)  ber  ©d)weijer 
genannt,  —  oon  biefem  wünfd)te  id)  am  liebften,  baß  er  jenes  2Berf  auf  fid)  neljme.  Wir  flang  beS  greun= 
beS  2Bort  als  eine  SBeiffagung,  unb  »on  ba  begann  id)  meinen  Subwig  ju  lieben,  ben  id)  t»on  2lnfeben 
fannte.  Senn  fo  groß  ifl  bie  Äraft  ber  Sugenb,  baß  fte  aud)  ben,  burd)  ben  Siaum  weit  Entfernten,  ju 
ibrer  Siebe  unb  SScwunberung  binreißt.  '#IS  id)  nun  nad)  SrttoniuS  2(bfd)eibcn  auS  biefem  ßeben  ju  einem 
öffentlichen  'Umte  in  biefem  blübenben  ©emetnwefen  gelangte,  unb  nicht  lange  junor  aud)  unfer  2ubwig  r>on 
bem  rubmwürbigen  SSaiernber^oge  2Bill)elm  bicher  berufen  war,  fyattc  id)  nid)tS  eiligeres  ju  thun,  als  mich 
um  jenes  greunbfd)aft  ju  bewerben.  SEBie  er  nun  voller  'tfnmutf)  ift  unb  ein  red)tcS  Verlangen  tragt  nadb 
allen  Männern,  bie  nur  irgenb  grüd)te  beS  ©eifteS  bieten,  fo  nabm  er  mid)  balb  in  feinen  Umgang,  bann 
in  fein  innigfteS  Vertrauen  auf,  ja,  er  fd)loß  mid)  fo  in  baffelbe,  baß  alleS  bis  auf  biefen  Sag  unS  üerbinbet, 


  171   


u>a§  ooUfommene  greunbe  an  einander  fnüpfen  fott:  ©cfclligf'eit,  3Ra d? b a v f di a f t,  faft  ein£aus>,  ©emein= 
feibaft  ber  ©üter,  inniger  @iitf(ang  im  ©freben,  in  Neigungen  unb  'tfnft  ehren.  2fl§  ich  nun  unfere  greunb= 
fdbaft  fo  wohl  befeftiget  fabe,  bafs  Faum  einer  bem  anbern  etwas  abjufcblagen  vermöge,  wa§'  man  mit  (Sbren 
forbern  unb  gewahren  tonne ;  fo  jögerre  ich  nicht  langer,  —  eingeben!  ber  9?ebe  unferes»  2Clten,  unb  feineS 
Urtbeil£,  —  ben  ßubwig  anjugeben,  bafj  er  bie  Sölaafje  be3  £ora$  in  ©efänge  faffen,  fte  muficiren  möge 
(musicaret),  um  mid)  ber  STebe  be§  ^oüio  ju  bebienen:  er,  ber  erjte  unter  allen  Sonfünftlern,  ju  feinem 
eigenen  9?ubme,  auf  mein  Verlangen,  mir  ju  Siebe,  jum  3eugniffe  unferer  greunbfebaft ;  bamit  bei  unferen 
3ufammenfünften  wir,  unb  fo  auch,  anbere  burch  un3,  etwas  befahlen,  um  bie  üon  ernfteren  Singen  ermü* 
beten  2ebens>geifter  JU  erfrifeben.  Sag  bat  benn  mein  liebfler  greunb  auf  bie  freigebigfte  SBeife  mir  erfüllt ; 
er  bat  auf  bei?  4?ora$,  unb  anberer  Siebter  £>ben,  fo  genau  paffenbe,  fo  anmutige  ©efänge  erfonnen,  bafj 
ber  SDZunb  etneä  3eben,  bem  oergonnt  war,  fte  $u  feben  unb  ju  boren,  fte  greifet.  Denn  fleht  auch  ßubwig 
in  ben  SSorjügen  be6  S£onfünftlerS,  wa§  id)  Niemanbem  jur  Unehre  gefagt  haben  will,  feinem  2tnberen 
unferer  Seit  nach ;  fo  befüjt  er  bod)  ba§  ihm  (Sigentbümlicbc,  bafj  er,  gleich  einem  ausgezeichneten  Siebter, 
feinen  Sbnen  ben  ©eift  ber  SBorte,  ju  ^Bewegung  be3  ©emütbes?  feiner  £örer  einzuhauchen  weif? ;  bafj  er 
ba3  ©rofje  ergaben,  ba§  Käfige  gelinbe,  ba3  gröbliche  lieblich,  ba3  Sraurige  büfter  ju  betonen,  ju  fingen 
weifj,  mit  feiner  ganjen  Äunft  in  bie  barjuftellenbe  ©emütbSlage  aufgebt.  allem,  wa§  er  gefebaffen, 
fann  man  barwn  bie  (Erfahrung  machen,  unb  wohl  aud)  leuchtet  e§  fyertwr  in  biefen  mebrftimmigen  ©efän= 
gen,  bie,  ton  feiner  eigenen  ^>anb  aufgejeiebnet,  er  in  ber  Urfcbrift,  mit  meinem  tarnen  t>erfef)en,  bergeftalt 
mir  gewibmet  bat,  bafj  er  ntebt  einmal  eine  2Cbfcbrift  baöon  für  ftd)  behielt.  £)ft  fd)on  bin  id)  non  ©elebr= 
ten  unb  greunben  ber  SBtffenfcbaft  angegangen  worben,  fte  öffentlich  ju  machen,  bamit  man  mir  niebt 
vorwerfe,  id)  wolle,  wie  jener  2flte  beim  $>lautu§,  auf  meinem  tjerfebtoffenen  ©cba^e  (joden:  unb  ba  id) 
nun  nad)  einem  ©bnner  mich  umfabe,  beffen  tarnen  fte  an  ber  ©tirn  tragen  fbnnten ;  welch  ein  befferer 
tonnte  mir  ftd)  barbieten,  al§  Bartholomäus  ©ehren?,  ber  greunb  ber  $)oefte  wie  ber  Sonfunft!"  —  ©o 
gebt  nun  bie  ßueignung  über  in  ba§  gewöhnliche  ßob  bee>  erwählten  ©bnnerS,  ben  ber  Herausgeber  enblid) 
bittet,  bafj  er  oor  2fllen  biefe  ©efdnge  aud)  bem  Hieronymus  Baumgartner  möge  jufommen  laffen,  bem 
gelehrten,  gebilbeten  Nürnberger  ^Patrijier,  ber  eine  nid) t  geringe  greube  baran  haben  werbe ! 

2Cbftcbtlicb  haben  wir  biefe  jtcrlicb  =  wortreiche 3ufd)rift,  wenn  aud)  bte  unb  ba  jufammenbrängenb, 
in  einiger  2(u3fübrlicbfeit  mitgetbetlt.  Denn  »erfolgen  wir  fte  in  ihrem  gortgange,  fo  feben  wir,  wie  ber 
3ueignenbe,  ein  greunb  ber  Dtcbtfunft,  ber  twn  ernften  ©efd)äften  unb  ©orgen  an  ihr  ftd)  ju  erfrifeben 
liebt,  burd)  beren  §3erwanbtfcbaft  mit  ber  Sonfunft  aud)  ju  btefer  hingeführt  wirb,  wie  fte  ihm  ben  Dichter 
ju  fchmüden  bienen  foll,  wie  er  flagt,  bafj  ihm  9tiemanb  juoor  barin  ju  genügen  oerftanben  habe,  bi§  er 
an  unferem  SKeifter  benjenigen  gefunben,  ber  enblid)  bie  SKaafje  ber  geliebten  Gilten  auf  bie  rechte  SBeife  ju 
betonen  gewußt!  Nun  werben  wir  aber  an  bemjentgen,  wa§  ©enfl  wirflich  geleiftet  hat,  wag  ihm  feinen 
3eitgenoffen  ju  Danfe  gelungen  tft,  auch  mit  3uoerftd)t  bie  ^nforberungen  ju  erfennen  »ermbgen,  bte  an 
ihn  gefrcUt  würben,  ©einer  Sonfd^e  ftnb  ein  unb  breifsig,  ju  »ter©timmen;  bie  erfien  neunje^n  enthalten  bte 
5Dcaaf3e  be§  Hora5 :  mttr  im  übrigen  fleht  ba3  heroifche  (herametrifche)  üoran,  ber  Anfang  ber  Ttneibe ;  SSeifpiele 
anberer  ftnb  auö  lateinifeben  Dichtern  gewählt :  eineä  (be§  elegifchen)  au§  £)üib,  eine§  (ber  .^enbefafpllaben) 
auö  9Jiarttal,  jwei  anbere  beffelben  SKaa^eS  au§  GatuII:  bie  bei  SritoniuS  mangelnben  Wlaafye  geifjltcher 
Hhtnnen  erfcheinen  hier  in  fünf  bergleichen  be§  ^)rubentiu§:  enblid)  wirb  un3  auch  eine  (Plegie  be§  ©imon 
9Jltnen>iu§  unb  iambifd)e  Srimeter  be§  Joachim  6amerariu§  geboten.   2Cuf  ba§  ©enauejte  ift  überall  bie 

22* 


  172   


^toofobte  beobachtet;  511  völliger  ßbfung  btefer  Aufgabe  mar  e3  aber  unbebingt  notbmenbig,  baß  ber  vier* 
ftimmige  Sonfaß  gegen  bie93ielobie  ber  .^außtftimme  in  allen  übrigen  ©timmcn  burctjljtn  gletcbgeltenbe 
(Roten  fieUe:  S3inbungen,  ©plbenbebnungen  mußten  überall  au3gefd)loffen  bleiben,  fte  mürben  nur  beö 
Siebter^  SJlaaß  verbunfclt  l)aben.  Sine  SSJielobie,  in  biefen  ©cbranfen  ftct>  bemegenb,  fonnte  nur  eine 
jireng  bef  lamatorifcbe  ferm,  il)re  SSorjüge,  alS©efang,  fonnten  nur  barin  begeben,  baß  fte  ben 
rechten  £on  in  bem  SSet^attntffe  beS  ©cnfenä  unb  (SrbebenS  ber  Stimme  bem  Vortrage  beö  [Innigen  ä$or* 
leferö  ablaufcbe,  barin  ba§  ©rttnbgefühl  be§  ©anjen  abriegele.  3n  biefem  ©inne  l)at  ©enfl  bie  Aufgabe 
gefaßt,  unb  bie  großen  Sobfprüdje,  bie  feinem  SBerfe  gefpenbet  mürben,  bürgen  unö  bafür,  baß  ibm  bie= 
felbe  aud)  in  gleicher  'äxt  geftcllt  gemefen. 

Silin  ergiebt  ftd)  aber  barauä  aud)  eine  gan$  befonbere  rbv;t[)mifd)e  ©eftaltung  ber  auf  biefem 
2ßege  entftebenben  ©ingmeifen,  beren  nähere  ^Betrachtung  uns»  mieberum  jurüeffübren  mirb  auf  ben  un= 
mittelbaren  ©egcnftaiib  unferer  Sarftellung,  fo  fern  fte  aud)  bei  bem  erften  S3lidc  ibm  ju  liegen  febeint. 

Die  gefammte  Saftabtbeilung  unferer  heutigen  Sonfunft  bcrul)t  auf  bem  "tfecente;  auf  bem 
©emid)te  bcjtimmter  Sötte,  moburd)  fte  im  Verläufe  ctncS,  auS  mehren  Sonfolgen  gebilbeten  ©efangeS, 
ibrer  ©tellung  jufolge,  nach  beftimmten,  gleichen  3eitabfd)mttcn,  vor  ben  übrigen  burd)  größeren 
sJ}acbbrutf  au§gejeid;met  morben. 

£>iefe  3citabfd)nitte  mißt  unfere  Sonfunft  mieberum  in  fid)  nad)  ber  geraten  3abl  äroei, 
(ober  berSSier,  als  il)rer  Sierbovpclung),  unb  nad)  berSrct;  mobei  bie  Siegel  beftel)t,  baß  jeberjeit  ber 
er ft e  btefer  brei  ober  jmet  iijrer  Sbctle  vor  ben  anbern  ben  91  ad) bruef  f)at.  Unmittelbar  folgt  auö 
biefer  SSorfdnift,  baß  bei  einer  9fteffung  nad)  vier  Sbcilcn,  bem  brüten  mieberum  vor  bem  jmeiten  unb 
vierten  ber  größere  9?ad)brud  jufommt,  meit  er  ber  erfte  be§  jmeiten,  in  ber  SSier  verbunbenen  £>oy»cl»aares> 
tfr.  9cun  fbnnen  aber  biefe  Steile  ber  meffenben  Scitabfcbmtte,  ober  Safte,  aud)  ferner  nad)  ber  3roci  ober 
£>rei,  immer  jebod)  in  gleicher  Unterabteilung,  gegliebert  merben.  £>urd)  biefe  Saf  tglteber  (fo  nennt 
fte  unfere  Sonfunft)  entfielen,  bei  ber  Sbeitung  ber  3«>ei  burd)  bie  Drei,  ober  geraber  Safttbeile  burd)  un= 
gerabe  Saftglicber,  bie  fogenannten  trivlirten  Safte.  Smnier  jebod)  iji  i)kv,  abgefeben  von  allem,  burd) 
längere  ober  fürjere  £>auer  einzelner  Söne  beftimmten  ßeitmaaße,  nur  ber  tfecent,  ba3  @eroid)t,  unb 
bie  "iLxt  feiner  SBiebcrfebr,  baS  allein  S5ebingenbe  ber  Saftabtbeilung;  in  biefem  ©inne  ift  e$  vollfom= 
men  gleichgültig,  mie  bie  einzelnen  Sötte,  innerhalb  berfelben,  nad)  längerer,  ober  fürjerer  Sauer  ftcb  be= 
megen.  '#uf  biefem  ©runbfafjc  aber  beruf)t  aud)  unfere  'tfnfcbauung  be§  SibotbmuS  :  benn  9?bhtbmen  ftnb 
unS  mieber  größere,  ein  Sonftüd  gliebernbe  Saftabtbeilungen,  beren  einzelne  Sbeile  auS  Saften,  al§  ©lie= 
bem  jener  größeren  Safte  —  fo  ftellen  unfere  9?t)i;tf)men  ftd)  bar  —  befielen. 

sJcun  ftnben  mir  in  ber  Sonfunft  beS  fed)jel)nten  Sabrbunbertö,  unb  jumal)l  in  ben  a5olfö= 
melobieen,  mie  fte  auö  früherer  3eit  in  baffelbe  l)inübertönten,  ben  2tccent,  bas>  Songemid)t,  von  ber  ldn= 
geren  unb  fürjeren  Sauer  ber  einjetnen  Söne  feine§mege§  immer  unabhängig,  fonbern  oft  burd)  biefelbe 
auöbrücflid)  befttmmt.  SRocbte  aud)  bie  ©lieberung  einer  ©ingmeife  unabänberlid)  in  bem  3tccente  ftd) 
barftellen,  burd)  il)n  ^ur  '2lnfcbauung  gelangen;  fo  mar  bcrfelbe  für  fte  barum  bod)  nid)t  baö  ©liebernbe, 
S3eftimmenbe,  nad)  ber  3fegel  einer  gleichmäßig  mieberfebrenben,  ftetö  übereinftimmenben  3eirabtbeilung ; 
iljre  ©lieberung  mar  aud)  baö  ßrgebniß  ber  äSerbältntffe  ihrer  einzelnen  Söne  nad)  ihrer  3eitbauer,  fofern 
fte  baburch  beftimmt  auögefprochene  S3ejiehungett  ju  einanber  erhielten.    Saburd)  aber  mürbe  bie  gleiche 


  173   


3eiteintbeilung  unterbrochen:  eS  entfknben  Safte  »on  ungleicher  3ettbauer,  gegenüberffrbenbe  Silmtbmen 
—  tiefe  ^Benennung  in  bem  Sinne  unferer  Seit  ju  gebraudmt  —  »on  abmeiebenber  ©lieberung. 

3eitmaaß  fon>ol)l  aß  ©erpicht  regelten  in  jener  Bett  ben  SJbwtbmuS :  in  ber  Dicbtfunft  ber  'Gilten 
grünbete  fidi  berfclbe  mefentlidi  auf  jcneS  erjie,  auf  Sange  unt>  Äürje  ber  ju  Süßen  mannigfach  ju= 
fammengeftellten  ©«Iben.  Sie  muf  ifalifche  Sarftellung  antifer  SJbtttbmen  in  ihrer  äBefenbett,  barf 
baber  ebenfalls  feine  anbere  ©mnblage  ftid)cn  :  fie  ift  eine  falfch  e,  menn  fie  ben  9cacbbrucf,  ber  auf  biefer 
beruht,  burch  einen,  nach  gleichen  3ettabtbeilungen  roieberfehrenben  *2£ccent  ju  erreichen  fucht.  Siefen  um 
richtigen  SBeg  hat  ©enfl  nicht  eingcfchlagen,  er  ift  ben  SDiaafJen  ber  Gilten,  ganj  in  beren  ©inne,  treu 
geblieben.  £)er  Srod)du$  fteüt  fich  bei  ihm  aß  ungeraber  (Sri»cl  =  )  Saft  bar,  ber  ©ponbäuö,  ber 
£>afrnlu$  erfcheinen  al$  geraber.  ©o  mechfeln  brei  unb  jmei  in  feiner  ©etonung  beö  ©appbtfdKn  SDJaaßes 
ber  jmeiten  £)be  be§  £oraj  im  2ten  SBuche,  menn  mir  fie  nad)  Saften  abtheilen*);  fo,  unter  gleichen 
Jßebingungen,  jmei  unb  brei  in  bem  baftpltfd)  =  pl)aldctfd?en  QJiaa^e  ber  werten  £be  beffelben  SBucheS**). 
2BoUtcn  mir  beibe  in  regelmäßiger  Saftabtheilung  nach  2&t  unferer  9il)r;thmif  barfieüen,  fo  mürben  mir 
bamit  bie  formen  beS  StchterS  jerfiören.  9?ur  einjelne  93iaaße  gefktten  eine  fold)e  SarfteUung :  fo  baö 
berajfch1  archilochifche  ber  ftebenten  £be  be3  -^oraj***),  ba$  auf  regelmäßigen  2Bechfel  be3  1  unb  f  SafteS 
jurucfjuführen  ift,  menn  mir  in  bem  elften  SSerfe  je  3  unb  3,  in  bem  jmeiten  je  2  unb  2  §üße  ju 
gegenüberftehenben  dii)X)ti)mm  »ereinigen ;  fo  ba£  ^erotfdje  (herametrifche)  bae>  burchhin  nach  kern  |  Saft 
gegliebert  merben  fann,  mic  aud)  ©enfl  beibeä  gethan  hat****). 

Snbem  nun  unfer  SDZeifter  auf  biefe  2Beife  ben  tfnforberungen  genügte,  bie  feine  3eit  an  ihn  jteüte, 
mit)  bie  au§  feiner  Aufgabe  hworgingen,  hat  er  nicht  minber  auch  ber  tieferen  Entfaltung  ber  Sonfunfi, 
unb  jumahl  be§  geiftlichen  ßiebergefangeS  genügt.  Ser  rbothmifebe  SBechfel  in  ber  SOielobie  be§  33olfS= 
liebeö,  bem  anmutbigen  ©rjeugniffe  unbemußten  .RunjitriebcS ,  fonnte  in  feiner  »ollen  Äraft  unb  eigem 
thümlichen  SBebeutung  fünftlerifch  erft  jur2(nfchauung  gelangen,  menn  bae>  ©treben  fich  f)eroortf>at,  bemußt, 
abfichtlid) ,  eine  gleichartige  ©rfcheinung  in  ben  SJlaaßen  ber  "tflten  burch  bie  Sonfunft  jur  2tnfcbauung  ju 


')    (Jani  satis  terris  Divis  atque  dirae  etc. 

 |--|-- 

3      2  2        3  2 

3      2  3        3  2 

'        3      2  2        3  2 

2  2 

")    (Solvitur  acris  hvems  etc.) 

__|  |__|   _  „|  | 

2         2       2  2      3       3  2 

3        2        3        3  2 
"*)    (Laudabunt  alii  claram  RhodoD  etc.) 

5  5 

__l  |  __||  |  

2         2         2         2         2  2 
2  2 

2         2         2  2 
(Sin  SScifpiel  oon  ©enflö  33ef)anMung  ber  Jporajifdjen  SWaafje  jtetje  9lrc.  11. 


  174   

bringen :  wenn  3citgenoffcn  —  freilich  jundcfyfi  nur  bie  gebildeten  greunbe  be§  2tttertf)umeS  —  eine  an= 
febauliche  Sarficllung  tiefet  ^rt,  fei  c3  immerhin  auf  einfeitige  SBeife,  bod)  al3  ein  33ebürfnifj  empfan- 
ben.  ^Begegneten  fid)  bod)  b/ier  bie  ©ebilbeten  unb  ba§  83olf,  war  es>  aud)  »on  *>erfd)iebenen  2Begen  aus> ! 
fruchtbarer  würbe  biefeS  ^Begegnen  aber  babureb)  noch,  baf?  bie  SarfieUung  antifer  9ff)»thmen,  wie  jene  ftc 
oerlangten,  burdjauS  nur  bei  übüig  einfachem  Sonfalje  ju  erreichen  war,  beffen  ganje  Äraft  allein  in  ber 
gewählten  Sonart,  ber  baburd)  geregelten  ,!parmonieenfolge ,  —  nid)t  ju  gebenfen  ber  fmn  =  unb  fprad)= 
gemäßen  Betonung,  —  befielen  fonnte.  Sie  2Btd)tigfeit  biefer,  burd)  bie  gepellte  Aufgabe  gebotenen 
S5efd)ränfungen  werben  wir  mehr  noch  ernennen,  wenn  wir  nun  noch  betrachten,  in  welchem  ©tnne,  ber 
bisher  befproebenen  2inftcbt  gegenüber,  welche  bie  Sonfunjt  aB  @d)mu<f  ber  $)oefie  unb  ibrer  gor= 
men  liebte,  man  ben  iwllftimmigen  Sonfa^  begehrt  unb  an  ihm  fid)  erfreut  b,abe  al§  ©ebmuef  ber 
SCRelobic. 

2öir  wenben  uns  ju  biefer  ^Betrachtung,  inbemmir  nur  noch  bemerfen,  baf?  jeneS  ©treben  nach  ton* 
fünfilerifd)cr  Sarftellung  antifer  Sfhpthmen  burd)  baS  ganje  2al)rf)unbert  hervortritt,  fein  Crinflufj  alfo  ein 
fortgehenber  war,  unb  ba{j£ritoniu3  wic@cnfl  baburd}  feincSwegeS  al§  burd}  eine  weinjelte@onberbarfeit 
ausgezeichnet  ftnb.  9cur  wer  3af)re  fpäter,  um  1539,  tritt  SSenebict  £)uciS ,  ben  wir  unter  ben  Sonfe|ern 
geiftlicber  SBeifen  nod)  näher  werben  fennen  lernen,  mit  ähnlichen  33erfud)en  auf,  ber  ftubirenben  Sugenb 
in  Ulm  ju  gefallen,  ©larean,  im  39fien  ßapitcl  beS  jweiten  JBud)eS  feinet  Dodecachordon  (De  iuveniendis 
tenoribus  ad  phonascos  admonitio)  bejeugt  fid)  unjufrieben  mit  ben  SSerfuchen  Criniger,  bie  um  feine  Seit 
(1547)  £orajifd)e  £>ben  in  SUlufif  gefegt:  er  »erlangt  ©infiimmigf  eit,  felbjt  bei  bem  ©efange  SDßehrer 
—  woburd)  er  @enfl  fid)  cntgegenjMIt,  —  unb  genaue  ^Beobachtung  beS  9)ZaafieS,  —  worin  er  ihm 
übercinftimmt ;  man  habe,  erjäf)lt  er,  feine  ^Betonungen  £orajifcher  SDlaafje,  ohne  feine  3uftimmung, 
mit  Unterbrüchmg  feines  Samens  befannt  gemacht;  nicht  fowofjl  biefeS  beflage  er,  als  baf?  man  feine 
SJcetobieen  auch  anberen  ©ebtd)ten  angesagt,  waS  bei  t>erfd)iebenen  SEJiaafjen  eine  2äd)erlid)feit  fei,  bei 
gleichen  aber  bann  nur  gefchel)en  bürfe,  wenn  ber  ©inn  ber  SBorte  cS  üergbnne.  25  od)  laffe  er  eS  ju,  nach 
bem  SSorgange  ber  älteren  ßl)riftlid)en  dichter,  ben  Jg>oro§tfd)en  SJiaafjen  auch  geiftlichc  £>id)tungcn  anju= 
paffen.  T>a$  £ritoniuS  bei  feinen  ^Betonungen  eine  Überfielt  gegeben,  wie  ein  fold)eS  2(npaffcn  gefchchen 
fbnne;  ba{?  ©enfl  bann  mehre  alte  chrijiliche  ^>pmnen  in  alten  Sttaaßen  befonberS  betont  habe,  fahen  wir 
juoor. 

©cgen  baS  Snbc  beS  3ahrf)unbert§,  noch  bis  hinein  in  bie  erjten  Sah"  folgenben,  ficbjcl)nten, 
gehört  ba§  rbptfjmtfd)  -  tnetrtfdje  Abfingen  geifllicher  lateinifcher  Sieber  ju  ben  ©chulübungen.  Um  1584 
leitete  Nathan  @h»träu§  bie  lateinifche  Umfchreibung  ber  $)falmen  in  antifen  SERaaf3en  »on  ©eorg  S3ud)anan, 
bie  ber  ßantor  ©tatiuö  £)lthot>iu§  üierftimmig  in  biefem  ©inne  gefegt  h«tte,  burch  eine  SSorrebe  ein;  er 
hatte  ben  £onfe£er  oeranla^t,  aud)  bie  übrigen,  weber  üon  ^)oraj  noch  S5ud)anan  gebrauchten  SSKaafje  ju 
betonen,  um  feine  Schüler  in  beren  ©efange  ^u  üben.  Sol)«nn  (Sccarb  fe^te  um  1596  jwanjig  lateinifche 
SDben  feines  SanbSmanncS  ßubwig  J^elmbolb  über  »erfchiebene  2Berfe  beS  ©d)b»ferg,  nach  ber  ©canfton 
ber  SBerfe  (pro  scansionc  versuum);  wie,  unb  mit  welchem  Erfolge  er,  trofj  ben  burch  ein  folcheS  Unter= 
nehmen  ihm  aufgelegten  SBefchränfungen,  aud)  ben  2tnforberungen  höherer  Sonfe^Funft  ju  genügen  gefud)t, 
werben  wir  fpäter  ju  befprechen  haben.  5Bartl)olomäug  ©cfiu§  üerbanb  bie  Übung  in  mufifalifcher  ©canfion 
mit  ber  im  ©efange  ber  oerfd)iebcnen  r'ird)lid)en  Sonarten,  inbem  er  um  1609,  unter  bem  Sitel:  „Melo- 
diae  scholasticac"  geißliche  ^>pmnen  in  allen  fird)lid)en  J^aupt ;  unb  9cebentonarten,  im  urfprüngtichen 


unb  verfemten  Umfange,  unb  in  mantiidifad)en  Waagen  herausgab,  an  benen  bie  Sd)üler  in  bcn  3wifcben= 
ftunben  bcs?  Unterricht»  ftch  üben  unb  erfreuen  follten. 

2utf  einem  ganj  anberen  Stanbvunftc  ftnben  »tr  Diejenigen,  bie  ben  Sonfafj,  von  bem  Sd)mucfe 
b  i  cb  t  er  if  eher  gormcn  ganj  abfebenb,  ab?  roftlid)e  ßicrbe  ber  SJielobie,  ber  Sd)bufung  bes?  Sänger^ 
betrachteten,  bie  ein  rein  tonfunftlerifcbeS  ©efallen  baran  fanbcn.  ©cifircid)cr,  lebcnbiger,  brücft  ficb  sJtie= 
manb  barüber  aus?,  al3  gutber;  unb  bap  in  biefem  Sinne  vorzüglich  Scnfls?  SBcrfe  ibm  rocrtb  waren, 
giebt  uns?  bafür  ©ewäf)r,  bap  biefer  9JJeifter,  in  ber  einen  wie  anbern  9iid)tung  von  bcn  SScften  unter  feinen 
3eitgcnoffcn  hochgeehrt,  alä  jtünftler  auf  ber  £6be  feiner  Seit  gefianben  habe. 

2uther,  in  feiner  ßobrebe  auf  bie  9)cuftf,  bie  er  um  1538  ju  Wittenberg  fd)ricb,  preif't  biefe  Äunft 
al?  von  Anfang  ber  2ßelt  jeglidier  dreatur  gegeben.  Sie  unft'd)tbare,  anfdieinenb  unlautbare  ßuft,  gebe 
einen  Älang  von  ft'cb,  wenn  ft'e  bewegt  werbe,  ba3  juvor  nicht  ©ebbrte  noch  S3cgreiflid)e  roerbe  bann  beides, 
ber  ©eift  jeige  grope  vounbcrbarliche  ©ebeimniffe  baburd)  an !  9Jiit  welcher  f)crrlid)cn  SJluftca  t)abe  ber  alh 
mächtige  £err  im  Gimmel  feinen  Sangmeifter  begnabet,  bie  liebe  9tad)tigaU,  unb  fo  viel  taufenbmahl 
SSbgel  in  ber  Suft !  SBas?  aber  folle  man  fagen  von  bes?  9Dicnfd)cn  Stimme,  gegen  bie  jeber  anbere  Älang 
unb  Saut  gar  niebt  gered)net  werben  fönne;  was?  von  ber  .Kraft,  von  ber  SBürbe  bes?  ©cfangee>!  Sei  bod) 
nacb  bem  heiligen  SBorte  ©ottes?  nichts  fo  bod)  ju  ritbmen  unb  ju  loben  als?  bie  5CRuftca,  ft'e  bie  mächtige, 
gewaltige  JHcgiererin  mcnfd)licbcr  ^jerjen.  Die  traurigen  mad)e  ft'e  frbhlid),  bie  SSerjagten  herjfjaft,  bie 
Jpoffärtigcn  reije  ft'e  jur  Dermal) ,  ft'e  bämvfe  bie  billige  33egier,  ben  9leib,  ben  £ap" ;  wie  benn ,  nad)  bem 
3eugntffe  bes?  göttlichen  SBorteS,  ber  heilige  ©eift  fclber  biefe  eble  Äunft  lobe  unb  el)re,  ale>  feines?  eigenen 
'tfmtes?  SBertjeug.  Darum  hatten  bie  ^eiligen  SSater  unb  bie  Propheten  nidit  vergebens?  bas?  SBort  ©ottes 
in  mancherlei  ©efange  unb  Saitenfuiel  brad)t,  bamtt  bei  ber  £ird)cn  bie  SKufica  alljeit  bleiben  folle. 
SSÖeld)  ein  herrlicher  unb  mannid)faltiger  Sd)6»fer  fei  nun  auch  ©Ott,  welch'  einen  Sfeicbtbum  verfd)iebener 
Stimmen  habe  er  bcn  9JZenfcben  sugctbeilt!  2Bo  aber,  —  fahrt  er  fort,  unb  wir  führen  nun  feine  eigenen 
Söorte  an  —  SBo  aber  bie  natürliche  -Scufica  burd)  bie  Äunft  gefebärft  unb  volirt  wirb,  ba  flehet  unb  er= 
fennt  man  erft  jum  Sbcil  —  benn  ganjlid)  fanne?  nicht  begriffen  nod)  verftanben  werben  —  mit  großer 
SBerwunberung  bie  große  unb  voUfommne  2Bei3f)eit  ©ottes?  in  feinem  wunberbarlicben  Söerfe  ber  ÜKuftca, 
in  welcher  vor  '2fUem  bas?  feltfam  unb  ju  verwunbern  ift,  baß  einer  eine  fd)led)te  SBeife  ober  Senor  (wie  es? 
bie  SOluftci  beißen)  herfinget,  neben  weld)er  brei,  vier,  ober  fünf  anbere  Stimmen  aud)  gelungen  werben, 
bie  um  fold)e  fd)lechie,  einfältige  SSBeife  ober  Senor  gletd)  als?  mit  Saucbjen  rings?  herum  her  fpielen  unb 
fpringen,  unb  mit  mand)erlei  2Crt  unb  Älang  biefelbige  SBeife  wunberbarlid)  jieren  unb  fd)mücfen,  unb 
gleid)  roie  einen  himmlifd)en  £anferenen  fübren,  freunblid)  einanber  begegnen,  unb  ft'cb  gletd)  bergen  unb 
lieblichen  umbfangen,  alfo  baß  biejenigen,  fo  fold)es?  ein  wenig  verfteben,  unb  baburd)  bewegt  werben, 
ftch  beß  heftig  verwunbern  müffen,  unb  mennen,  baß  nichts?  feltfamereS  in  ber  2Belt  fep,  benn  ein  folcher 
©efang,  mit  viel  Stimmen  gefcbmücft.  2Ber  aber  baju  feine  Suft  unb  ßiebe  t)<xt,  unb  bureb  foleb  lieblich 
SBunberwerf  nicht  bewegt  wirb,  ba?  muß  warlid)  ein  grober  Älo^  fepn,  ber  nicht  wertl)  ijt,  bap  er  folche 
liebliche  SJiuftca ,  fonbern  bas?  wüfte,  wilbe  6felgefd)rei  beS  ßboral?,  ober  ber  £unbe  ober  Saue  ©efang 
unb  SXufica  höre. 

©anj  in  ähnlichem  Sinne  rebet  bas?  Scheiben,  bas?  Üutber  von  Coburg  am  4ten  SDftober  1530 
an  Senfl  erließ.  iRachbem  er  mit  ben  freunbltcbfiten ,  herjltcbften  SSSorten  ihn  als?  einen  in  ber  SEonfunft 
hochbegabten  gerühmt,  feine  innige  Siebe  $u  biefer  jtunft  mit  aufwallenber,  überfließenber  Neigung  —  wie 


  176   


et  fett«  e$  nennt  —  an  ben  Sag  gelegt,  unb  ihr  nachgerühmt  ^at,  rote  fte  ifjn  jum  öfteren  erquieft,  unD 
von  großer  Sefcbmerbe  enthoben  habe,  fahrt  er  fort:  ,,3d)  f el>ve  ju  bir  jurücf,  unb  bitte  biet),  wenn  bu 
einen  Sonfa^  jeneS  ©efangeS  bafi:  in  pace  in  idipsum,  IV.  83.  9:  ich  Itege  unb  fcblafe  ganj  mit 
^rieben,  benn  allein  bu,  Sr>m,  bilfjt  mir,  baf$  ich  ftci?er  »ohne),  bafj  bu  ihn  mir  abfebretben  laffen  unb  ju- 
fenben  mbgeft.  Sene  SBeife  (tenor)  hat  mich  meinen  jungen  Sohren  fchon  ergoßt,  unb  tbut  e§  jefjt  nod) 
Diel  mehr,  ba  ich  <*"d)  bie  SBorte  verjtel)c.  93ltt  mehren  ©timmen  habe  ich  biefe  2Cnttpl;onte  noch  nicht 
gefehen.  Sod)  will  ich  bich  nicht  mit  ber  9Jtül)e  befchweren,  fte  erjt  ju  fcfcen,  fonbern  bente  mir,  bu  tjabeff 
fte  von  früher  her  bereits  fo  gefegt.  3d)  hoffe  *n  SBabrbeit,  baß  meinet  £ebens>  (Snbe  nahe  ift,  unb  bie 
3Belt  hofft  mid),  unb  mag  mich  nid)1  ertragen,  wie  benn  aud)  ich  ber  2Belt  von  £erjen  fatt  unb  mübe  bin. 
Sa  möge  ber  gute  unb  treue  £irte  meine  ©eele  nur  hinnehmen.  Dorum  höbe  id)  fd)on  angefangen,  biefe 
'.tfntipbonie  für  mid)  ju  fummen,  unb  mbd)te  fte  gern  orbentlid)  ausgefegt  hören.  ^>a(t,  ober  fennft  bu  fte 
nid)t,  fo  fd)icfe  ich  fte  bir  hieneben  mit  ihren  Acoren,  unb  fannft  bu  fte  aud),  wenn  bu  willft,  noch  meinem 
Sobe  feigen." 

£ier  begegnet  un3  nicht  ber  gefd)madvolle  JCunjlfreunb ,  ber  bei  ber  Sonnmjr  nach  ben  SDlü&en 
be£  S£age§  Erholung  fud)t,  ber  ben  Sichter  bureb  fte  febmüden  will,  bafj  er  il)m  frifcher  unb  reijenber  ent= 
gegentrete.  2Bir  fel)en  ben  begeifterten  SSerebrer  ber  Äunft,  ber  fte  ob3  eine  hohe,  geheimnisvolle  ©abe 
©otteä  erfennt,  burd)  bie  ber  heilige  ©eift  ba3  SBunberbarjte  wirfe,  an  ber  er  ft'd)  troffen  unb  heiligen  will 
jum  ßeben  unb  im  SEobe.  2Ba§  ihn  fd)on  in  fchlichter  einfältiger  ©eftalt  in  ben  Sönen  ergoßt  unb  erbaut 
hatte,  bie  alte,  funftlofe,  gciftlicbe  SBeife,  follte  wie  mit  einem  fbftlichen  (Shrenfleibe  angetban,  in  voller 
^crrlicbfeit  vor  ihm  baberwanbeln,  in  verflarenbem  ©dbmude;  ober,  mit  feinen  eigenen  SBorten  ju  reben, 
in  bem  liebevollen,  geheimnisreichen  Spiele  begleitenber,  mit  il)r  verfcbmeljenber  ©timmen  follte  bie  fd)on 
für  ftd)  fbftticbe,  fromme  SBeife  ihre  volle  33ebeutung  offenbaren,  eine  höhere  Sßeibe  empfangen. 

Unb  er  würbe  wirf  lieh  getröftet,  nicht  im  SEobe,  wie  eine  taufebenbe  2tf)rmrig  ihn  glauben 
gemacht,  fonbern  jum  geben.  @r,  ber  nicht  lange  juvor  ba3  ßieb  ,,Gnn'  feftc  SSurg  ift  unfer  ©Ott" 
gebid)tet  unb  gefungen,  fonnte  wol)l  verbüftert  werben,  nicht  aber  verjagen,  tfueb  erfreute  ihn  ©enfl 
nach  feinem  SScrlangen,  wie  SUiatthefiuS  in  ber  neunten  «Prebigt  über  fein  Sehen  unb  SBirfen  un§  berichtet. 
,,9Kein  gut'  greunb  ©enflt  (fo  fchreibt  jener),  ber  mir  burd)  ben  Pfarrer  ju  SBrucf  viel  lieblicher  ^Pfalm  ju= 
gefd)icfet,  willfahrt  mit  gxeuben  S.  ßuthern,  unb  fd)tcft  ihm  bie  febbne  SKutetten,  ba§  Non  moriar,  unb 
5Rcfpon§  in  pace  in  idipsum."  33on  bem  erften  biefer  beiben  ©efänge  betf?t  es>  eben  bort  juvor :  ,,benn 
weil  jm  ber  ©atan  unb  bie  meifte  SBelt  nach  leben  unb  feel  trachten,  ergreift  er  mit  lebenbiger  juver= 
ficht  ben  febönen  83ers> :  Non  moriar,  sed  vivam  et  nairabo  opera  Domini  (5d)  werbe  nicht  fterben, 
fonbern  leben,  unb  beS  £errn  SBerf  oerfünbigen ,  $f.  118.  83.  17)  unb  ift  bei  ftd?  in  frafft  be§  ©eiftö 
au6  ©ott§  roort  auff§  aller  gewtSfie,  bie  9ted)te  bes>  Sr>mn  werbe  ju  'tfugSburg  unb  allenthalben  ben  fieg 
wiber  alle  Pforten  ber  £blle  gewißlid)  erhalten,  unb  ob  er,  unb  feine  ÜKitbrüber  wohl  hart  gcjücbtigt  fenn, 
bennod)  werben  fte  in  <5f)rifto  bleiben,  unb  forthin  bee>  $errn  SBort  im  (Svangelio  vertunbigen,  bap  er  Sobt 
unb  ©ünbe  weggenommen,  ©ered)tigfeit  unb  Sehen  burd)  fein  S3lut  wiberbrad)t,  unb  au§  lauter  ©naben, 
im  SBort  biefelbigcn  ©d)ä^e  unö  anbiete  unb  burd)  wahren  ©tauben  tc.  jueigne.  Siefen  wunberfchönen 
23erö  hat  er  mit  feiner  eigenen  £anb  jm  an  alle  2Benbe  fürgefchrieben ,  unb  neben  ber  Antiphon :  „in  pace 
in  idipsum"  oftmals  gefungen." 


 177   


Allein  gutberS  J?errtid>e ,  tieffinnige  SBorte  über  t>en  2Bertb  unb  bie  Bebeutung  beö  melftimmigen 
SEonfafceö,  au§  bcnen  bie  ebelfte  Siebe  ber  Äunft  bell  hervorleuchtet ,  fonnen  wir  in  ber  %r>at  nur  a(§ 
weiffagenbe  anfeilen;  al$  eine  Verfunbigung  beffcn,  ma§  bie  Sonfunft  ein  t>albeö  Saljrtjuubert  beinahe 
nach  feinem  'Mfcbjcbe  au6  bicfem  geben  erft  voirfltd)  erreid^en  follte.  <Sd)on  ju  feiner  3eit  freilich,  ftnnb  fie 
auf  einer  bcbeutcnbcn  £bbe  in  fitmrcicber  ©timmenvcrflccbtung,  allein  bie  SCRelobie,  weld^e  baburcb  verflärt, 
barmonifd)  entfaltet  werben  follte,  würbe  burch  bie  große  gülle  ber  mit  ihr  verflodjtenen,  über  unb  unter 
ihr  in  £öbe  unb  Sicfe  fieb  bewegenben  Stimmen  für  ben  £örer  jumeift  nur  verbunfelt.  Sie  Äunft  beö 
Sonfafeeä  beburfte  einer  Anregung,  bie  jener  akrfdjmenbung  ber  Äunftmittel  eine  ©renje  jiebenb,  eine 
licilfamc  SDiäßigung  gebietenb,  bod)  nid)t  bloße  Verleugnung  forbere,  nid)t  eine  fyemmenbe  ©ebranfe  ent= 
gegenfteüe,  fonbern  baö  (Streben  beö  ÄünftlerS  auf  eine  £3abn  leite,  auf  ber,  anberer  Littel  für  eine 
oerfebiebene  'Hxt  ber  Sbätigfeit  bebürfenb,  er  ju  biefer  9)iäßigung,  jener  Verleugnung ,  febon  ohnehin  ftch 
gebrungen  finbe.  £iefe§  aber  war  nun  ber  Sali  bei  ber  Betonung  antifer  SQJaaße,  bie  wir  juoor  befpracben, 
in  ber  auch,  <Senfl  mit  fo  vielem  Beifalle  feiner  3eitgenoffen  fieb  bcnwrtfyat.  Sollte  bie  volle  Straft  beS 
?T?bptbmu$>  jur  2lnfd)attung  gebrad?t  werben,  fo  würben  ganj  einfache,  in  allen  Stimmen  gleichmäßig  ben 
©»Iben  bes  betonten  ©ebid)t§  ftch  anfcbließenbe,  burch.  bie  Eigentümlichkeit  ber  gewählten  Sonart 
geregelte  Jparmonieenfolgen  erbeifcfyt.  Entfalteten  aber  biefe  50cittel  eine  Singweife,  bie,  ohne  auf  felbftän* 
bigen  melobifd)eri  ©ehalt  '^nfpruch,  ju  machen,  nur  bem  ©cbicfyte  nadjgefyenb,  bie  äußeren  Umriffe  feiner 
©eftalt  nacbjujeid)nen  geftrebt  hatte;  in  wie  »icl  höherem  ©rabe  waren  fte  fähig  bie  tiefere  Bcbeutung  einer 
^Rclobie  ju  enthüllen,  bie,  bem  ©ebidjte  gegenüber  entftanben,  alS  feine  Deutung  auf  bem  ©ebiete  einer 
oermanbten  Äunft,  al3  fein  ©egenbilb,  baß  wir  e§  fo  auöbrücfen,  burch.  bie  Littel  eben  biefer  Äunft  einer 
Entfaltung  fäl)ig  war,  beren  ganjen  Sccicb, thum  fte  fdwn  wie  in  ücrbütlenbem  Äeime  in  fid)  febloß?  2)ie 
jtunft  ber  finnreichen  Stimmoerwebung  follte  baburd)  feineSwegeS  ju  ©runbe  gehen,  fte  follte  an  biefer 
einfacheren  Entfaltung  ber  barmonifd)en ,  ber  rlwthmifd)en  Bebeutung  jebeö  einjelnen  ©liebeS  ber  (Sing= 
weife  erft  recht  in  ftch  jum  Bewußtfenn  gelangen ,  um  ihr  bebeutunggooll  -  funjheicfyeS  ©ewebe  auf  biefer 
fieberen  ©runblage  ju  rechter  Vollenbung  bringen  ju  fonnen.  £>as?  ab,nete  £uti)er,  ba3  fptad)  er,  weif« 
fagenb  au§,  in  feiner  feurigen  Sobrebe  auf  bie  Sonfunft,  unb  jumabjl  ben  uielftimmigen  Sonfafc;  im  ©eifie 
baöjcnige  fchauenb,  waS  erft  bie  golgejeit  jur  2ßirflid)feit  bringen  follte.  Er  empfanb  es,  wenn  er  felber 
bie  ihm  wertlje  Singweife,  in  ihrem  „fcblecbten  einfältigen  Senore"  ju  bem  lebenbiger  ftch  bewegenben 
©efange  feiner  ©enoffen  ertönen  ließ;  e3  entjücfte  ilm,  wenn  bie  Stimmen  feiner  Änäbletn  um  bie  feine 
berumfpieltcn  in  btmmlifd)cm  &anjreil)en ,  in  berjlicbem,  lieblichem  Umfahen ;  an  ber  ihm  fo  wertben 
Äunft  erfuhr  er  eine  Einigfeit,  einen  grieben  im  ©eift,  ben  leiber  feine  3eit  unb  ihre  <Sd)warmgeificr, 
beren  Verfehrtheit  i()n  betrübte  unb  erjürnte,  ihm  feiten  im  geben  entgegenbringen  fonnte. 

3n  jenen  betben,  einanber  fo  ftreng  entgegenftehenben,  aber  fid)  aud)  fo  wefentlid)  ergänjenben 
?Richtungcn  wirb  Senfl  vor  "Küm  gepriefen ;  in  ber  einen  »on  Simon  5Rineroiuö,  in  ber  anbern  t>on  Suther. 
2Ba§  war  eä  boch,  baä  eben  ib n  biefem  legten  »or  feinen  anbern  3ettgenoffen  unter  ben  Sonfünftlern  fo 
»orjüglid)  wertl)  machte?  2Bir  wollen  t>erfud)en,  eä  näljer  ju  entwicfeln. 

ES  fönnen,  unferem  3wecfe  jufolge,  un3  hier  nur  biejenigen  2Berfe  SenfB  befchäftigen,  beren 
©runblage  eine  Äinjbenweifc  bilbet,  ober  bod)  eine  geiftliche  SKelobie,  wenn  ihr  2teb  auch  nicht  eigentlich 
ju  firdjlicbem  ©ebrauche  bejtimmt  war.  2ßann  er  feine  oierftimmige  (in  bem  testen  (Sa£e  fünfjtimmige) 
SSebanblung  beä  alten  £trd)enliebe3  oon  ben  fieben  SBorten  be3  ^)errn  am  Äreujc : 

n.  SBinterfetc,  ttt  etanatt.  C^oratgcfang.  23 


—  178   


25a  SefuS  oft  bem  Äreuje  hing  tc. 


vollenbete,  bavon  giebt  tm§  bereu  für  bte  ßavelle  ber  ffiaiern^erjoge  ju  5Dtttnd)en  angefertigte,  auf  ber  bor- 
tigen  Sr>o\--  unb  ©taat$&ibßotf)ef  in  einem  33anbe  vermifd)ter  Sonfäfce  (9cro.  10)  bewahrte  2(bfd)rift  feine 
Änbeutung.  ^ebeS  ber  neun  ©efä|e  be§  SiebeS  ift  befonb.crS  comvonirt ;  ber  3?egel  nad)  fütjrt  ber  Senor 
bic  £auprftimme  als  feften  ©cfang,  er  tbeilt  ftd)  aud)  wol)l  in  fte  mit  ber£)ber=  ober  ©runbftimme, 
unb  fuhrt  fte  mit  einer  anbern  in  wed)felnben  äkrbältniffcn  canonifcb,  burd);  nur  einmabl,  bod)  ntd)t  ebne 
@infd)altungen,  erfebeint  bie  SOtelobie  vollftänbig  in  ber  £)berfh'mmc.  25reimabl  fdbliefjt  ber  Sonfafc  in  ber 
©runbftimme  mit  A,  bcr£)bcrquartebcS  ©runbtoneS,  fech§mal)lin  biefemfelber,  aUejeit  in  halben  £onfd)lüffen. 
25a3  ©an$e  erfebeint  aB  eine  funftvoUc,  ber  glcid)cn,  fo  oft  wieberl)otten  ©runblage  ungeachtet,  bod)  man* 
nid)faltige,  fird)lid)  crnjte  @om»ofttion,  jugänglid)  jebod)  nur  für  ben  Äunbigen,  ber  in  tf>ren  Sau 
einzubringen,  unb  beffen  ftnnrcid)c,  bem  .Öb,re  meift  nid)t  unmittelbar  vernehmliche  3ufammenfügung  ju 
mürbigen  meifj.  3m  25rutfe,  fo  viel  id)  ftnben  fonntc,  begegnen  mir  ©enfl  aB  ©efjer  geifrlicber  SBeifen 
juerft  um  1534,  in  bemfelben  3ab,re,  roo  ©imon  SERinerviiB  bie  von  ihm  betonten  borajtfchen  SEftaafjc 
herauSgab 5  bod)  bat  er  ot)nfel)lbar  fdbon  vor  biefem  3al)re  mand)cS  S3ebeutenbe  öffentlich  gemacht,  weil 
Luther  bereit»  vier  %i\)xe  früher  von  ihm,  aB  einem  vollenbeten  SKeifter  reben  fonnte,  ober  fvater  erft 
©ebrudtcä  mar  fd)on  juvor  burd)  2lbfd)riften  verbreitet.  3n  bem  genannten  3al)re  erfchien  ju  Dürnberg 
bei  JpieronvtmB  gormfehneiber  eine  gemifd)te  Sammlung  von  121  geiftlichen  unb  weltlichen  Siebern.  25er 
erften  maren  nur  jwölf,  unter  ihnen  neun  von  'tfrnolb  von  S3rucf  unb  brei  von  ©enfl,  neben  79  weltlichen, 
welche  biefe  Sammlung  von  il)m  enthalt.  Reichhaltiger  an  ©efängen  von  ihm  ift  bie  jehn  %ai)xe  fväter 
(1544)  von  ©.  9fbau  herausgegebene  Sammlung  ber  123  Sieber  für  bie  gemeinen  ©dmlen:  fte  bietet  un$ 
elf  Sonfä^e  geiftlid)er  Sieber  von  ©enfl.  Unter  ben  39  fetner  Sonfäfee,  welche  bie  gorfterfd)e  @amm= 
lung  beutfeher  Sieblein*)  enthält,  fönnte  uns  t>iev  nur  ber  auf  bie  2Beife  beS  Siebes"  befchäftigen :  9Kag  ich 
Unglüd  nit  wiberftahn,  wenn  auch  biefe  bort  nicht  mit  bem  geiftlichen  Siebe  jenes  Anfanges  vorfommt, 
fonbern  einem  gleich  anhebenben,  weltlichen.  (Sin  ad)tftimmigc3  SRotett  ©enfB  au3  bem  erften  S£r)eile  be$ 
1Ö64  bei  3of)ann  *>on  S5erg  unb  Ulrich  9Zeuber  ju  Dürnberg  crfd)icnenen  Thesaurus  musicus  werben  wir 
enblid)  nicht  vorübergehen  bürfen,  fowobj  wegen  feines  ftnnreidben,  fünftlidjen  33aue3,  aB  weil  eS  auf 
einen  lateinifcben  ©efang  gearbeitet  ift,  beffen  SEftelobie  bie  evangelifche  jtirdbe  unter  ihre  Choräle  auf* 
genommen  hat. 

@o  wenig  biefer  Sonfäfje  auch  feun  mögen,  fo  mannichfachen  UrfvrungS  ftnb  bod)  bie  SOZetobteen, 
welche  in  ihnen  behanbelt  werben,  ©ingweifen  alter  beutfeher  unb  lateinifcber  geiftlicber  Sieber ;  weltlichen 
Siebern  urfprünglid)  eignenbe,  ober  ju  geiftlichen  Siebern  gehörenbe,  welche  in  ber  früheren  3eit  ber 
Äird)enverbefferung  entjknben.  9Bir  wenben  un§  junadbji  ju  biefen  legten.  6§  ftnb  ihrer  jwei,  ju 
ben  Siebern:  „jD  ^>erre  ©Ott  begnabe  mid)/'")  unb  „83ergeben§  ift  all'  9Küh'  unb 

•)  2f)eit  I.    8  v 


V.  11  fünfftimmig ;  etnö  ju  fteben  (Stimmen. 
")   9lto.  95  ber  öefdnge  für  bie  gemeinen  ©djuten.    (SScifpiel  9cro.  7.) 

2ßenn  in  bem  golgenben  bie  2fnfid)t  aufgeftcltt  wirb ,    ©enft  fönne  ©änger  ber  Sftelobie  biefe«  ^fatm-- 
liebeS  fenn,  fo  (apt  fid)  bagegen   einroenben ,   t$  fei  oiet  glaubtidjer ,  baf  ber  Dichter  be«  CiebeS,  iDtattbau« 


  179   

£oft"\)  übet  ben  51jten  unb  I27jien9>falm,  beren  noch  jcljt  gebräuchliche  93ielobteen  ich  jum  erjlen  9CRat>lc 
1544  in  ben  Siebern  für  bie  gemeinen  Schulen  in  mebrflimmtgcm  Sonfafec  finbe.  Sie  Söeife  bc3  erflen, 
auf  ben  51(ren  *Pfalm  gebiebteten,  ijt  pbnjgtfcber  Tonart,  bereit  Umfang  in  ber  SEiefe  um  eine  große  SEerj 
überschritten  wirb,  ©enfl  bat  in  feinem  SEonfalje  bet  £}berjtimme  bie  SEelobie  jugetbeilt,  in  welcher  fie, 
roabrenb  bie  tieferen  auS  beren  einjelnen  Seilen  bie  ©runbroeifen  ihrer,  mit  frei  erfunbenen  SBenbungen 
uermobenen  ©ange  febbpfen,  nach  längeren  unb  furjeren  äwifebenräumen  erfebeint ;  fd)mucflo§,  ohne  alle 
frembe  Crinfcbaltung,  ftet»1  mit  ^taebbruef.  ©o  ftnb  auch  ihre  2CuSme$ungen  mannid)faltig  aufgefaßt,  ©te 
berührt  bei  benfelben  außer  ihrer  großen  Unterterj  (f leinen  £berfed)§te),  ihrer  Dberquarte,  unb  bem©runbtone, 
auch  jroeimahl  (am  ©ebluffe  ber  erfreu  unb  neunten  3eile)  ihte  Dberqutnte :  eine  ungewöhnliche  SBenbung 
bei  pbtngifcben  SJtelobieen,  bie  aber  im  3ufammenbange  beS  ©anjen  nicht  al§  eine  'tfuSroeicbung  in  bie 
Dominante  gelten  fann,  bie  ba§  $Pbrvgifcbe  nicht  fennt,  fonbetn  al§  eine,  nur  unterbrochene  unb  auf= 
gehaltene  in  bie  £berquarte,  ba§  'tfolifebe,  rote  e§  tbeiro  ber  Anfangs  =,  theilö  ber  ©cblußton  beS  näcbjten 
melobifcben  2lbfa|e§  (unb  2iebt>erfe§)  beutlid)  jeigen.  ©enfl  legt  nun  ba§  etfte  93cabt  jener  Dberquinte  be§ 
phrpgifchen  ©runbtoneS  (h)  ihte  große  Unterterj  (g),  ba3  jwetre9M)l  ben  ©runbton  felbjt  unter  unb  beutet 
auf  biefe  %xt  baS  erfie  SDcahl  bie  mirotybifebe  SEonartan,  rooju  ihm  fonft  biefe  SKelobie  feine  ©elegenbeit 
gemährt,  ba§  anbere  9ERabl  giebt  er  ber  SBenbung  nach  ber  £)berquinte  (hier  burd)  einen  halben  £on  ab= 
faüenb,  rote  bort  burd}  einen  ganjen  auffteigenb)  bie  SBebeutung  eines  pbWKb™  SEonfd)luffe3.  Sn  ben 
beiben 'Mbfäfeen,  bie  bem  vorlebten  oorangehen,  roenbet  ftch  bie  SJielobie,  bas?  erfte  SJiabl  fchrittroeife  auf= 
jteigenb,  ba§  jroeite  Sftabl  butcb  eine  große  SEerj  abfallenb,  nach  C.  £>aS  erjte  SDiabl  etfeheint  biefe  9JJo= 
oulation  in  ©cnfB  SEonfalje  auf  ba§  9c\tcbbrüctlicbftc  als  eine  ionifche,  ba3  jmeite  SDiabl  tft  tyt  bie  bejeicb= 
nenbe  fleine  Ebetfecunbe  be3  ^Pb^gifcben  alS  ©runbflang  untergelegt.  @o  aud),  roo  bie  ©ingweife  in 
ihren  ©cblußfällen  ben  pbrtjgifchen  ©runbton  berührt,  ijt  ihre  2ui3rt>eid)ung  einmahl  ionifch  gefaxt,  bann 


0t ei t er ,  fie  erfunben  tjaben  werbe,  ba  biefer  aud)  unter  ben  SEonftfeern  ber  etilen  Jpätfre  beS  3af)rt)unbcrt«  oorfomme. 
Siefe  ©inroenbung,  fo  ert)cblid)  fie  erfebeint,  oerfdjwinbet  bennod)  bei  näherer  Prüfung.  3unä'd)ft  barf  nid)t  oergeffen 
werben,  bafj  bie  ©abe  beä  ©e^crö  in  jener  3eit  bie  bcS  ©ängerg  nidjt  notljwenbig  oorou6fc|t,  ba  beibc  bamatS  fogar 
in  ben  meiften  ga'llcn  getrennte  waren.  Sine  Bereinigung  beiber  in  ©reitet  würben  wir  nur  bann  annehmen  bürfen, 
wenn  wir  bie  SHelobie  beS  oon  ifjm  gebid)teten  CicbcS  aud)  oon  it)m  gefegt  fä'nbcn.  25ie6  ift  jebod)  nidjt  ber  galt,  ja, 
in  feiner  (Sammlung  metjrftimmiger  geiftlid)er  Sieber  au«  ber  erften  Hälfte  beö  löten  3at)rf)unbcrtfi  tommt  ein  SEon|'a| 
oon  ii>m  cor.  Die  SRelobiecn  ber  ad)t  ^falmlicber  bie  er  bt'djtcte  (über  ben  12ten,  ölften,  114ten,  listen,  llßten, 
»roci  tfbfdjnitte  beä  HOten  ^falmS  unb  über  ben  mften)  tiaben  batjer  rcabrfd)einlid)  einen  2fnbcrn  jum  Urtjcber.  2tudj 
fdjeint,  fo  Diel  id)  gefunben ,  ber  <Sa£  befannter  58otE6»cifen  it)n  oorjugeweife  bcfd)ä'ftigt  ?u  Ijaben.  gorfter  giebt  in 
feinem  2ten  Steile  brei  ©ä^e  biefer  2£rt,  9lro.  17.  24.  50;  bie  oon  ©djöffer  unb  2tpiariug  b,erauggcgcbcnen  65  Sieber 
beren  fünf,  9Jro.  11.  20.  50.  62  (mit  56  bei  gorftcr  glcid))  unb  64,  beren  SJBeifen  id)  nirgenb  für  gcifttidje  Sieber  an= 
geroenbet  gefunben  fyabe.  2tud)  fanb  ©reitet  oorjüglid)  ein  SSergnügcn  an  finnveidjen  3ufammenfe|ungen.  ©o  über; 
teiebte  er  bem  erften  Jperjogc  oon  ^reufjen,  2Hbrcd;t  oon  SSranbenburg ,  einen  oitrftimmigen  ©a^  über  bafi  ©iftidjon : 
Passibus  .imbiguis  Fortuna  vnlubilis  errat 
Et  manet  in  niillo  cerla  tenaxque  loco, 
in  locldiem  brei  ©timmen,  fugweife  cinanber  nadjattmenb,  ben  fdjroanfenben  Sritt,  bie  SJuljcloftgfeit,  burd)  angemeffene 
melobifd)c  SBenbungen  auebrücten,  rcätircnb  bie  oierte,  ber  SEtnor,  eine  furje,  auf  oetfd)iebcnen  Sonftufen,  nad)  ab= 
toecbfelnbcn  3»ifd)enra'umen,  fid)  voiebcrtyolenbe  gjfjtafc  bagegen  außfül)rt,  unter  Angabe  bc6  SanonS:  Omnia  facit  for- 
tuna  iu  omnibus.  —  9lebmcn  wir  2tUcä  bicfcl  sufammen,  fo  bürfen  mir  einen  oberbeutfdjcn  SEonfc^cr,  ber  aud)  bie 
©ängergabe  befaü,  reie©cnfl,  et)er  für  ben  Urf)tber  ber  SKiIobie  unfcrcS  in  Dbcrbcutfdjlanb  (©trafjburg)  gcbidjteten 
Siebe«  tjatten,  alt  beffen  35id)tcr ,  bem  jene  ©abe  mangelte,  wenn  er  aud)  Sonfcfcet  mar. 
')   9Kro.  106  ber  ©cfä'nge  für  bie  gemeinen  ©djulen. 

23' 


  180   

jwar  auch  auf  gleiche  ÜBeife,  bod),  bei  bem  §ortl)aü"en  beö  Sd)luf5tonS  ber  SKelobie,  »bn)gifcb,  äottfd); 
tarn  wieber  beftimmt  dolifd),  julefct  in  halbem  £onfd)luffe  burd)  tiefe  Sonart  in  baS  $)bvwgifche  gewenbet. 

(?in  beutlid)  auSgefprot&eneS  Streben  geigt  biefe  ganje  ä5el)anblimg3art,  ber  Stimmenverflechtung 
uigleidi  barmonifd)c  ffiebeutung  ju  geben,  bie  £berffimme  ntd)t  allein  al3  ba§,  burd}  il)re  Stellung  nur 
«Öervortönenbe  erfreuten  ju  laffen,  fonbern  aud)  al§  ba§  wefentlid)  £errfd)cnbe  unb  33efiimmenbe,  burd} 
ibre  ©runbtonart  basi  ©cvräge  bc§  ©anjen  wefentlid)  SSebingenbe.  Die  33cbanblung  be§  jweiten  unferer 
|>falmltebet  bat  beffen  ÜJtclobie  jmar,  wie  um  jene  Seit  gewöhnlich,  gcfchal),  il}re  ©teile  im  Senor  an= 
gemiefen ;  fie  bebt  jcood)  biefclbe  burd}  if}rcn  einfielt,  ftrengen  5ortfd)ritt  hervor  gegen  ben  bewegteren  ©ang 
Der  übrigen  Stimmen,  bie  aud}  meifi  mit  frei  erfunbenen  SBenbungen  fid}  ifjv  anfcfylicfjcn,  unb  fie  baburd} 
weniger  verbunfein.  Sie  9JMobie  beö  £iebc§  :  „£)  $erre  ©Ott  begnabe  mich,"  erfd}eint  bereits  in  2Bolf 
Äo»l)B  fiieberbudje  von  1525,  bie  be§  anberen  jum  erften  SQlafjle  in  ben  123  giebern:  jener  hat  aber  Senfl 
befonbere  2tufmerffamfeit  jugewenbet,  unb  feinen  Sä(3en  über  beibe  freien  in  ber  lc(jtgebad}ten  Sammlung 
feine  anberen  jut  Seite,  wie  bod}  fonft  bei  vielen  gciftlid)en  Singweifen  bort  gefebiebt.  Sollten  fie  vielleicht 
aud}  Senfl  al§  Sänger  jum  Urheber  haben?  @§  lajjt  allerbingS  auf  biefe  Umftänbc  nur  eine  entfernte 
ä>ermutl}ung  fid}  grünben,  für  bie  etwa  nur  nod}  ber  bebeutenbe  Sonumfang  beiber  SSJMobieen  angeführt 
werben  fbnnre,  ber  etjer  auf  einen  .Äunftmeifter  fd}liefjen  täfjt,  ber  für  jtunjtgeübte  aud}  einen  größeren 
3?eid)tbum  von  SOZitteln  in  'tfnfvrud)  nimmt,  als  auf  einen  fd}lid}ten,  frommen  Sanger  au3  bem  Siolfe. 
D od}  fei  jene  a>crmutl}ung ,  wenn  aud}  nur  als?  fold}e,  hier  auögefvrocfyen,  jumabl  fte  burd)  eine  anbere 
Sbatfacbe  nod}  einige  Unterftü^ung  erhalt.  Unter  Senflö  £onfä£en  in  unferer  Sammlung  beftnben  fid) 
aud)  bereu  jwei  in  ber  verfemten  tonifd)en  Sonart  (F  mit  vorgejeiermetem  b).  Der  eine  ein  £od)5eit3= 
lieb,  ju  vier  tiefen  Stimmen,  in  weld)em  bte  vertraute  S5raut  nur  im  2fllgcmeinen  als?  „SEftein  freunb* 
(id}ö  35"  bezeichnet  wirb:  ber  jweite  ein  2ieb  jum  greife  be3  @l)eftanbee>,  vielleicht  von  bem  Sonfefjer 
felbft: 

Der  eblid}'  Stanb  ift  billid)  g'nannt*) 

ein  Sacrament,  folcr/S  id)  befennt 

anfangt  mein'r  (5b;  barauf  id)  fiel) 

unb  geb'  ©Ott  vreiö  mit  fjobem  vleiS 

von  l)crfe  unb  gir,  brumb  baS  er  mir 

nad)  bfd)lofmem  rat  befd)affen  bar 

mein'  bolbfelige  Sacoba. 
Die  jierlid)  gewenbete  SJWobie  biefeS  Siebeö  läfjt  fid)  in  vier  2lbfd)iütte  tbeilen,  bie  fid)  ben 
feilen  ber  vorftebenben  Strophe  anfd)licfjen.  Der  er  fie  berfelben  wirb  burd)  bie  beiben  erften  Seilen, 
ber  jweite  burd)  bie  britte  unb  vierte  gebilbet.  Die  SDMobie  beginnt  mit  ber  £)beroctave  iljreS 
©runbtoneö,  unb  wenn  fie  von  bort  au§,  um  eine  £luarte  tiefer,  —  alfo  in  ber  £)berquinte  beö 
©runbtoneS  —  bie  erfte  Beile  befcblieft  unb  auf  biefem  2Bege  in  bie  Dominante  auSweidjt;  fo  wieberljolt 
fie  ju  ber  ^weiten,  —  bem  Anfange  ber  erften  verglichen,  um  eine  £luinte,  gegen  beren  Sd)lufj 
gehalten,  um  einen  Son  tiefer,  —  biefelben  SBenbungen,  unb  gewinnt  fo  ben  ©runbton  wieber.  SSon 
bort  auä  beginnt  ju  ber  britten  Seile,  ber  erften  beS  jwetten  'tfbfcbnitteö,  eine  neue,  an  bie  beiben 


')   SBo'fpiel  9lro.  9. 


  181   


retmenbcn  Sßersbälften  fid?  anfcblicßenbe  2Benbung,  bie  mit  bem  Sd)litffe  bcr  3eile  bie  Dominante  wieber 
erreidit:  an  tiefe  fnüpft  bie  vierte  Seile,  unb  wtcberbolt  bie  Sftelobie  ber  beiben  Hälften  bes  voran« 
gcbcnben  brüten  93erfcö ,  an  beffcn  Sd)luffe  ber  ©efang  alfo  um  eine  £luinte  geweigert  erfdjeint.  2$on 
ba  ab,  in  bem  britten  tfbfdmitte ,  ber  bie  beiben  nächjen  Seilen,  bie  fünfte  unb  fecbfte  umfaßt,  unb 
wo  ber  ©efang,  fte  tfyeilenb,  wteberum  an  tf>re  SDiittelrcime  ftd)  f'nüvft,  gef)t  er  burd)  vier  abfteigenbe, 
melobifd)  ausetnanbergebreitete  Srciflänge  in  ben  ©runbton  jurücf.  @r  ergreift  ben  Scblußton  ber  vor« 
angcljenben  vierten  Seite  (g),  burd)  jwei  fjarte  Sreiflänge  fortfd)reitcnb,  beren  jroeiter  um  einen  Son  tiefer 
beginnt  als  ber  erfte,  unb  betont  fo  bie  fünfte  Bette ;  burd)  einen  wcid)en  unb  einen  garten  bewegt  er  ftd) 
in  ber  feebften  fort,  bei  bem  legten  biefer  Sreif länge  um  einen  Son  abfallenb  gegen  ben  Änfangston  bes 
erften,  ber  feinerfeits  gegen  ben  beä  ihm  vorangegangenen  um  eine  fleine  Serj  abfällt.  Der  lefete 
"Äbfdmitt  ftellt  jur  ffebenten  Seile  eine  angemeffene  Schlußformel  bar.  2lud)  bie  begleitenbcn  Stimmen 
ft'nb  ftnnreid)  bagegen  georbnet.  S5ei  bem  erften  2Ibfd)nitte  (3-  1.  2.)  fd)bvft  jumetft  bie  Unterftimme 
ibre  nad)abmenben,  begleitenben  SSBenbungen  aus  ber  im  Senor  liegenben  4?auvtmetobie,  bie  beiben 
Sberftimmen  ahmen  fetbftänbige  Motive  bagegen  nad).  SSon  bem  jroeiten  2(bfd)nitt  an  übernimmt,  voran« 
fdjreitenb  in  gebrängteren  Älängen,  bie  SDberfiimme  bas  bisherige  ©cfd)äft  ber  ©runbftimme,  ber  'Xlt  unb 
biefe  leiste  bagegen  bas  frühere  ber  beiben  £)berfiimmen :  von  bem  britten  2(bfd)nitt  an  ft'nb  £}berftimme, 
Senor  unb  ©runbfHmme  burd)  Nachahmungen  verflochten,  wäl)renb  ber  "Kit  jwifd)en  il)nen  frei  ftd) 
binburd)beroegt.  (Sin  anmutl)ig  melobifd)es  2Bcd)felfviel  ber  Stimmen,  jwat  ol)ne  eigentliche  barmonifd)e 
S5ebeutfamfeit,  allein  burd)  feine  ßebenbigf'eit  bod)  ergb^lid).  (Sines  ganj  ähnlichen  Saucs  ift  bie  9JMo« 
bie  etne6  geiftlid)en  Siebes  aus  ber  »brngifeben  Sonart,  bie  mir  in  ben  Sicbcrn  für  bie  gemeinen  Schulen 
in Senfls  vierftimmigem  Sonfal^e  finben :  ,,£)  allmächtiger  ©Ott,  bid)  lobt  ber  G()rifren  Si ott." 
( JBeifviel  8.)  iDaS  Sieb  jwar  erfd)eint  bereits  um  jefm  %it)xe  früher  in  ber  juvor  angeführten  Sormfd)nctberfd)en 
Sammlung  von  1534  (Nro.  10),  jebod)  mit  einer  anberen  SUtelobie  aus  ber  miroh)bifd)en  Tonart,  unb  in 
'tfrnolbs  von  33ru<f  Sonfa^e,  ber  fväter  aud)  roieber  (1544)  neben  bem  Senflfd)en  eingeführt  ift.  Sie  von 
Senfl  bchanbelte  SQScife  fommt  aber  in  bcr  golge  nid)t  roieber  vor;  $Prätorius  (31.  Sion.  VIII.  116) 
bringt  nur  bie  eine  von  "K.  v.  S3rucf  gefegte  mitolvbifd)e,  mit  einigen  2lbweid)imgen.  9cun  ijt  aber  bie 
Ähnlichkeit  bes  ffiaues  jener  pf)rt)gifcf;en  bei  Senfl  mit  ber  feines  ßobliebes  auf  bie  @be  aud)  bem  oberfläd)« 
lid)en  S3licfe  auffaUenb :  fte  läßt  ftd)  wie  jene,  in  Äbfd)nitte  tl)eilen,  tjier  in  fünf,  unb  biefe  jetgen  gegen« 
überfiel)enbe,  einanber  nachahmenbe  Hälften,  menn  aud),  nad)  SEJiaaßgabe  ber  SEonart,  unb  ber  burd)  fte 
geregelten  SEBenbungen ,  bie  S3erl)ältniffe  abvveid)cnb  ftnb,  in  benen  jene  Nachahmungen  erfolgen.  S3eibe 
SDlelobieen  halten  mir  bal)er  mit  Stecht  für  ßrfinbungen  beffelben  Sängers ,  unb  faum  mar  es  ein  anberer 
als  Senfl  felber,  ber  für  fein  ©belieb  gewiß  nicht  eines  gremben  (Srft'nbung  entlehnte,  unb  mie  es  fcheint 
bie  SSBenbungen  ber  begleitenben  Stimmen  jugleid)  mit  ber  Singmeife  erfann.  $at  es  nun  hienach  hohe 
5JBahrfd)einlichfeit,  baß  er  auch  SBeifen  geiftlicher  Siebet  gefungen:  warum  bürften  nicht  jene  beiben 
juvor  bettachteten  von  ihm  berühren,  ba  fte,  foweit  unfere  gorfd)ung  reicht,  von  ihm  juerjl  gefegt  ft'nb, 
bas  Sieb  ber  einen  mit  feinem  SSonfafce  jum  etfien  9JJal)le  etfeheint,  unb  feine  Sä|e  fd)on  babutd)  als 
SSehanblungen  neuer  SBetfen  fid)  funb  geben,  baß  feine  anberen  ihnen  jur  Seite  jM)en?  £)iefe  Unter« 
fuchung  unb  bie  baraus  hergeleitete  S3ehauvtung,  auf  SSergleichungen  unb  Sd)lüffen  mehr  als  auf  3eug« 
niffen  ruhenb,  haben  wir  baher  aud)  lieber  an  biefe  Stelle  verwiefen,  jumahl  fte  uns  nötigte,  fowobl 
?CRelobiebilbung  als  Sonfa^  bei  unferem  SOieifter  näher  ju  betrachten,  als  baß  wir  fte  bei  bem  S3erid)te 


  182  - — - 


über  frie  ©dnger  frer  ßboralroeifen  in  frer  erften  £älfte  freS  16ten  Sahrbunbertö  angebellt  Ratten. 
Spiex  tritt  bureb  fte  ©enfl§  33erbienft  näher  in  fra§  Sicht;  unb  voäre  er  auch  nicht  frer  ©dnger  jener 
gjjclobtcen  geroefen,  fo  wirb  fra§  ©efammtbilb  feiner  tonfünftlertfdjen  Crigentbümlicbfeit  frurd)  frie  S5e= 
trachtung  frer  auf  fte  gegrünfreten  £onfäfce  nur  einen  um  fo  feftcren  Umriß  gewinnen  tonnen. 

2Bir  »erfueben,  biefeS  33ilb  ju  »ollenben,  infrem  roir  un§  noch,  jroei  Sonfälje  üorüberfübren, 
für  welche  ©enfl  frie  SJMobie  eines  alten  beutfeben  unb  etne§  alten  lateinifeben  ©efangeö  als  ©runfrlage 
gewählt  bat.  3u  ben  betben  Sonfd^en  dl)nlid)er  ©runblagen,  beren  roir  früher  fd)on  Dorübergcbenb 
gefraebten,  fef)ren  roir  nicht  jurüd:  roir  begnügen  un§,  baran  ju  erinnern,  bafj  ©enfl  in  feiner  fed>3= 
ftimmigen  33ebanblung  ber  SBeife  behalten  2uiferjtebung3liebe3 :  „@brift  ift  erftanben,"  biefelbe  mit  ben 
9JMobieen  jroeier  anberen  Sfterltefrer  »erfnüpfte :  frafü  er  frie  SSBeife  free!  geftgefangeg  »on  ätjntidjer  S3efttm= 
mung:  ,,7£lfo  heilig  ift  ber  Sag/'  in  einem  fedhgftimmigen  SEonfafce  mit  einem  breiftimmigen  ßanon 
einführte. 

Die  SSJielobie  be3  alten  SubaMiebeS  behanbelt  ©enfl  (um  1544)  fünfftimmig,  mit  Unter= 
legung  folgenber  SSerfe : 

©elobet  fepft  bu  ßbrifie  *) 
ber  bu  am  (Sreufce  hingfi, 
unb  für  unfre  ©ünbe 
tttel  ©ebmaeb  unb  ©freiet/  empfmgft; 
jeljt  berrfebeft  mit  beim  SSater 
in  bem  4?immelreid), 
mach'  uns>  alle  feiig 
auf  biefem  Gfrbreicb.  Äprieeleifon. 

@r  beginnt  feinen  ©efang  in  ber  böcbften,  unb  ber  britten  ©timme,  inbem  beibe  bie  QaupU 
roenbungen  ber  erften  jroet  Seilen  ber  alten  SBeife,  bie  eine  mtrotpbifcb,  bie  anbere  borifcb,  nachahmend 
unb  einanber  naebtretenb,  ertlingen  laffen:  33afs  unb  SEenor  fcbließcn  fpäter  in  ähnlichen  33erbältniffen 
ft'cb  ihnen  an,  bann  erfdheint  in  ber  jroeiten  Stimme  ber  alte  ßboral  als  fefter  ©efang  (nach  15  Seiten 
—  temporibus  —  ju  30  *  Noten)  ohne  (ginfchaltung,  unb  tont  in  ihr  fortan  bureb  baS  ©anje  hin.  Äurj 
vor  ihrem  Eintritte  greift  ber  Senor  ben  Gsboral  in  borifchen  83erhdltniffen  auf,  unb  bleibt  fo  ber  #aupt= 
ftimme  gefeilt,  rodhrenb  ber  S5afj,  wenn  auch,  gleich  ben  übrigen  Stimmen,  feine  SBenbungen  auS 
bem  Choral  fcfybpfenfr,  boch  mehr  nun  ba3  ©epräge  ber  ©runbftimme  annimmt.  (üben  fo  roirb  bie 
SJielobie  ber  britten  unb  eierten  Seile,  unb  bann  auch  ber  fünften  unb  fechften  beS  ßboralS  frurebgeführt : 
frie  beiben  legten  treten  fogleid)  in  üoliem  ßborgefange  ein  ju  ben  SSBorten 

9Jcacb  unö  alle  feiig, 

frenen  frie  S3ebanblung  auf  biefe  2£rt  einen  befonberen  9tad)brud  »erleibt.  Durch  fraS  unregel= 
mäßig  in  ber  borifchen  Sonart  fcblicfjcnfre  Äprieeleifon  erhält  auch  ba§  ©anje,  ba  e3  bie  Harmonie 
nach  bem  Snbe  beS  ßiebeö  ohne  STubcpuntt  fortroebt,  einen  borifchen  ©ebluß.  Die  bcgleitcnben  ©timmen 
enthalten  mehre  anmutbig  beroegte  melobifche  SBenfrungen,  in  engen,  ftdt?  roohl  anfcbließenben,  angenehm 
flingenben  Nachahmungen,  gegen  fren  ernften  ©ang  ber  ^»auptftimme  einen  bebeutfamen  ©egenfafj  bilbenfr. 


•)    Scifpid  9Jro.  4. 


  183   

(5inen  acbtttimmigen  Sonfcifj  Senfle>  über  btc  Gelobte  ber  alten  2lntipbonie  am  SBorabenbe  be§ 
"Pft'ngilfejteö 

Veni  sanete  spiritus,  reple  tuorum  etc.*) 

enthält  ber,  »on  Johann  v>on  33erg  unb  Ulrich  i^euber  1564  nach  SenflS  SSobe  ju  Dürnberg  beraub 
gegebene  Thesaurus  musicus.  25iefe  Singroeife  ift  auch,  in  ber  eoangeltfcfyen  Strebe  beibehalten ,  mit  fol- 
genber  Überfeljung  ttjreg  (^rofaifdjen)  SerteS  : 

Äomm  beiliger  ©eift,  erfülle  bie  £erjen  beiner  ©laubigen  unb  entjünbe  in  ihnen  ba§  geuer  beiner 
göttlichen  Siebe :  ber  bu  burch  SERannicbfaltigfeit  ber  Bungen  bie  SSblfer  ber  ganzen  SBelt  üerfammtet 
baft  in  einigfeit  be§  ©laubenS:  £alletuja,  £alleluja! 

3n  bem  acbtjttmmigen  ©efange  Senp  über  btefe  SDMobie  führen  brei  «Stimmen  biefelbe  in 
jrrengem  @anon  unoeränbert  burch ;  bie  britte,  fünfte  unb  fedbjte  beS  ©anjen,  menn  mir,  »on  ber  böcbjien 
(Stimme  an,  bie  übrigen  nach,  ber  ftd)  allmählich,  abftufenben  SEiefe  ju  jaulen  beginnen.  £>ie  t>bct)fte  jener 
brei  Stimmen  bebt  in  biefer  canonifeben  Ausführung  an,  bie  folgenbe  fchltefjt  ftcb  in  beren  Unterquinte  ihr 
an,  bie  tiefjte  in  ber  Unteroctaoe.  £)ie  fünf  übrigen  Stimmen  ergreifen  einzelne  Sbeile  be§  alten  heiligen 
©efangeS,  führen  fte  gegen  ben  ruhig  anbäcbtigen,  jtetigen  ©ang  ber  brei  ^jauptftimmen  au§ ,  unb  bilben 
fo  einen  reichen,  lebenbigen  3?abmen  um  bae>  fromme  33tlb. 

SRufen  mir  uns  nun  alle  jene  einzelnen  Sonfäfce  jurücf,  bie  mir  fo  eben  betrachteten,  mie  mannichfaltig 
erfcheint  nicht  Senfl  in  ihrer  Anorbnung !  @r  führt  eine  unter  un§  noch  fortlebenbe  SBeife  eines  $)falmliebeS 
in  ber  £)berftimme,  berrfebenb,  ein;  feine  Harmonie  (hebt  bahin,  bie  ©runbtonart  biefer  Gelobte,  bie 
ernjte  pbnjgifd^e,  bebeutfam,  großartig  ju  entfalten.  Sine  anbere  SBeife  umgiebt  er  mit  höheren  unb  tie= 
feren  Stimmen,  unb  hebt  fte  t>or  ihnen  herauf  burch  ihren  feierlich  fteten,  langfamen  Schritt,  gegen  beren 
rafcheren,  lebenbigeren  Fortgang ;  mie  hier  bie  33 emegung,  fo  mar  bort  ber  .Klang  baöjenige,  burch 
ben  ba§  ©anje  feine  Haltung  erhielt  unb  S5ebeutfamf eit.  SSMobieen  mehr  weltlichen  ©eprägeS  fchmücft 
er  mit  leichtem,  anfebeinenb  in  SBillfübr  hingaufelnbem,  bod)  in  ber  Shat  burch  finnige  9fegel  georbnetem 
SBecbfelfpiele  begleitenber  Stimmen.  Sie  einzelnen  3eilenpaare  ber  SDielobie  eines  $>affions>liebe3  leitet  er  ein 
burd)  je  jmei  Stimmenpaare,  ju  benen  er  bie  höheren,  bie  tieferen  Stimmen  gefeilt,  jmtfeben  fte  führt  er 
bann  bie  ©runbmelobie  ein;  erjt  bei  bem  ©ebete,  momit  baS  £ieb  enbet,  läfjt  er,  bebeutfam,  in  voller 
Harmonie  baS  ©anje  hingingen  btä  jum  Schluffe.  £)er  SBeife  eineS  uralten  AuferftebungSliebeS  oerbinbet 
er,  ihren  firengen  Srnjl  ju  milbern,  bie  SERelobieen  jmeier  anberen,  rafcher  bemegten;  bie  SBeife  eines»  an= 
beren  Siebes  für  baffelbe  Seft  führt  er  ein  mit  einem  breiftimmigen  ßanon :  eine  Freiheit  baut  er  bort  auf 
au§  83erfchiebenem,  baS  er  üerfnüpft,  hier  wddbfl  fte  ihm  heroor  auS  einer  gleichen  ©runblage.  SJiit  reicher 
jtunjt  enblich,  in  gejleigerter  Stimmfülle,  tbut  er  ein  ©leicheS  bei  einem  alten  ^fingflgefange :  er  nennt  ben 
ßanon,  ben  er  hier  bilbet,  felber  , ,£)reibeit  in  Einheit"  (trinitas  in  unitate);  um  einen  an  fid)  fünjb 
lieb  unb  geheimni^ooll  georbneten  ©efang  bemegt  ftcb  mit  Sandten ,  mit  4?erjen  unb  lieblichem  Umfahen 
eine  gülle  anberer  Stimmen,  einen  hunmlifcben  Sanjreihen  fübjenb,  mäbrenb  jener  ©efang  in  ernfiem 
gortfehritte  ein  tiefet,  betttgeä  ©ebeimnifj  fünbet,  bie  bis  an  ba§  Crnbe  ber  ßeiten  forrmäbrenbe  ©nabe  beS 
»on  bem  S3ater  unb  bem  Sohne  auögebenben,  mit  ihnen  einigen,  heiligen  ©eifteS. 


*)    SBeifpiet  9lro.  10. 


  184   


SBenn  wir  un$  nun  gebrungen  füllen  mußten,  f)ier  julefct  SutberS  eigene  SBorte,  mit  benen  er 
bie  »on  ihm  fo  bocbgeliebte  Sonfunft  »reift,  tbeilmeife  ju  wicberbolen,  fo  fönnen  wir  unfere  9fed)tferti= 
gung  barin  finben,  baß  bamit  nun  aud)  be§  herrlichen  SKanneei  befonbereS  SBoblgefallen  an  ben  2Ber= 
fen  feinet  SieblingS  ftd)  erflärt:  mod)te  er  bod)  wohl  jene  SBorte  bei  beffen  SEbnen  gefunben  haben! 
35ie  SBebeutfamfeit,  bie  ©innigfeit  be§  33auee>  feiner  ©cfänge  mar  e3,  wae>  ihn  entjüdte  unb  erbaute, 
sunt  greife  ©otteS  anregte,  fo  mand)en  anberen  gemiditigcn  2üt3f»rud)  ihm  entlodte.  3n  feinen  Sifd)= 
reben  wirb  unS  erjagt:  2£m  17ten  35ecember  1539,  ba  er  bie  ©änger  ju  ©afte  hatte,  unb  etliche 
feine,  lieblid)e  SJlutctten  ©enftS  gefungen  würben,  »erwunberte  er  ftd),  lobte  fte  fefjir,  unb  fprad): 
„Eine  folcbe  SJlutetten  »ermöcht'  ich  nid)t  ju  machen,  wenn  id)  mid)  aud)  juvet^en  follt,  tote  er  benn 
wieberum  nicht  einen  *Pfalm  »rebigen  fönnte,  al§  td).  35arum  ft'nb  bie  ©aben  bee>  ©eifteS  mancherlei), 
gletd)wie  auch  in  einem  Seihe  mancherlei  ©lieber  ft'nb.  7£ber  niemanb  ijt  jufrieben  mit  feiner  ©abe, 
unb  laßt  fid)  nicht  genügen  an  bem,  ba3  ihm  ©Ott  gegeben  hat;  alle  wollen  fte  ber  ganje  8eib  fe»n, 
nicht  ©liebmaaßen!"  —  EineS  ©inneS,  ber  über  baö  »on  ©Ott  33erlicbene  mit  ungebulbigen 
2Bünfcben  I)tnauägel)crt ,  ober  in  anmaaßcnbcr  ©elbfttättfd)ung  einen  ihm  nicht  gebül)renben  Stubm  an= 
fprecben  mochte,  mar  ßtttber  nicht.  3hm  mar  bie  Äunft  bes>  S£onfa{3e$>  an  feinem  greunbe  eine  gött* 
liehe  ©abe,  beren  er  felber  fid)  befd)ieb,  mäfjrenb  er  einer  anberen  in  bem  Qmn  ftd)  rühmte.  Senn 
in  ber  Sbat  mar  eS  ihm  verliehen,  einen  ^)falm,  ein  heiliges  Sieb  —  wie  ben  Sobgefang  ber  Jungfrau 
—  ju  »rebigen,  mährenb  ©enfl  eine  Sonmeife  ju  »rebigen  »erjtanb,  inbem  er  ihr  eine  ©runblage  unter* 
baute  »on  anberen  Stimmen,  in  ber  fte  ihre  Auslegung  erhielt,  bureb  bie  ihre  SBebeutung  gefünbet 
mürbe;  fte  mit  höhten  unb  tieferen  umgab,  unb  bei  biefer  anfeheinenb  »erbüllenben  Umgebung 
burd)  ben  ©egenfafj  be§  rafd)eren ,  bee>  ruhigeren  $ortfd)ritte§,  fte  bennod)  her»orl)ob;  fte  als?  fruchtbaren 
Äeim  einer  au3  ihr  ftd)  entfaltenben ,  fte  mit  »ollen  .Klängen  begleitenben  SRebrhett  offenbarte;  fte  in 
einträd)tigem  3ufammenf lange  mit  anberen,  eigenthümlid),  in  ftd)  felbftänbig,  gebilbeten  SBeifcn  ertönen 
lieg.  SBeld)  eine  ^errlichfeit  mürbe  ihm  ba  funb  „in  jenem  munberbarlid)en  ©cfd)ö»fe  ©otte§,  ber 
SJluftca, "  fo  baß  er  rühmen  burfte,  ,,menn  35a»ib  auferjftmbc  »on  ben  Sohren,  fo  mürbe  er  ftcb  febr 
»ermunbern,  mie  bod)  bie  Seute  fo  hoch  mären  fommen  mit  ber  SKuftca;  fte  fei  nie  höher  fommen, 
benn  jefjt."  Unb  hoch  ftanb  er  nur  an  ber  ©d)melle  il)rer  Entfaltung,  nicht  anberä,  al§  ber  »on  ihm 
hochgeehrte  ÜKeiffrr!  35 od)  mar  in  allem  bem,  ma§  biefer  in  feinen  Sonfäfjen  geprebiget  hatte,  nur 
ein  fleiner  Sbeil  »on  ben  ©eheimniffen  ber  Äunjt  offenbar  gemorben !  freilich,  hat  ©enfl  in  ben  beiben 
.Achtungen,  in  benen  er  fd)uf,  bie  Eigentf)ümlid)feit  feineS  ©eijteö  bebeutfam  ausgeprägt,  er  hat  in 
feinen  Sßerfen  Äräfte  entmicfelt,  ©cheimniffe  ber  Sonwelt  offenbart,  bie  bei  9cad)folgern  unb  ©d)ülem 
in  barmonifd)em  3ufammcnmirfen,  in  ftetä  mehr  aufgefchloffenem  33erftätibniffe,  eine  fd)önere  Entfal* 
tung  ber  3Jielobie  anbahnten.  %a. ,  wenn  bie  Folgerungen,  auf  melche  mir  bie  SSermutbung  grünbeten, 
baß  einige  ber  oon  ihm  bebanbelten  SBeifen  aud)  moht  »on  ihm  erfunben  feien,  nur  einigen  ©runb 
haben,  fo  möchten  mir  ihn  alt,  ben  Erften  nennen  bürfen,  ber  ben  ©änger  unb  ben  ©efcer  in  ftd) 
»ereinigt  habe.  Doch  aller  biefer  großen  SSorjüge  ungeachtet,  bie  ihn  auf  bie  $öbe  feiner  3eit  ftellen 
in  feiner  Äun|t,  mar  er  bod)  nur  ein  Vorläufer,  eine  SCBeiffagung  beffen,  wa§  erfl  f»äter  ftd)  erfüllen 
foüte  in  achtet  barmonifeber  Entfaltung,  bie  auch  hem  ftnnreicbften  S3aue  einc§  SonfafeeS  erfj  feine 
rolle  SSebeutung  gemährt.  35er  großartigen  Anlage,  be§  tiefen  ©efühleS  ber  jebcSmaligett  Aufgabe 
megen,  fönnen  mir  feine  2Berfe  als  9Jiufier  nennen,  aber  nur  für  feine  3eit,  weil  jene  Entfaltung  eben 


185   


nur  erfl  in  ibncn  ju  bämmem  unb  t)eroorjubre(i)en  beginnt;  bie  SSoHenbung  ber  Äunft  mar,  bei  aller 
.Iperrfcbaft  über  bie  9Kittel,  fo  wenig  in  irrncn,  aB  in  jenen  alten  33ilbern,  an  benen  bie  Siefe  unb 
SEBabrbeit  ber  ©nwftnbung ,  ber  fromme  Grrnjt,  bie  Feinheit  ber  SOiotwe  un§  entjütft,  wäbjenb  bie 
3>ürftigfeit  ber  formen,  bie  Unfreiheit  ber  ^Bewegungen —  wenn  mir  über  jenen  SSorjügen  ft'e  auch,  oer= 
geffen,  unb  ba§  ©anje  in  bem  (Sinne  aufnehmen  fbnnen,  ber  e§  fd?uf ,  —  un§  bod)  erinnern,  bafj 
©eift  unb  gorm  l)ier  einanber  noch.  nid)t  wollig  burd)brungen  haben. 

SBcniger  lange  aB  bei  biefem  bebeutenben  992anne,  merben  mir  bei  feinen  anbern  .Runftgenoffen 
verweilen  bürfen.  2Bir  nennen  juerjl  5lru  oib  i>on  &$rucf,  ber  neben  Senfl  aB  geiftlicber  Sonfeber 
um  1534  in  ber  Sammlung  ber  121  lieber  erfcfn'en  (Dürnberg  bei  gormfd)neiber).  Sie  enthält,  wie 
bereits  erwähnt  worben,  neun  Sonfäfje  geiftlicher  ßieber  von  feiner  Arbeit  neben  elf  weltlichen;  in  ben 
Biebern  für  bie  gemeinen  Schulen  (1544)  finben  fid)  beren  achtzehn,  von  benen  jebod)  fünf  bereits? 
unter  jenen  gebrucft  maren.  3n  ben  von  gorftcr  herausgegebenen  frifcben  beutfd)en  Steblein  enbtid)  be- 
gegnen mir  nod)  fünfen  feiner  ©efänge:  je  einem  in  beren  erftem  unb  jmeitem  Steile  (I.  100.  II.  47) 
unb  breien  in  ibrem  fünften  Oftro.  16.  22.  46.).  2£uf  bas?  SBiffen  um  bae>  Safepn  biefer  £onfäf?e 
bei"*ranft  fid)  aber  auch  faft  unfere  ganje  Äenntnip  von  biefem  Sföeifter  unb  feinen  SBerfen.  £)ie  ein- 
jige,  bürftige  2lnbeutung  über  fein?  SSerbältniffe,  bie  mir  befifjen,  giebt  une>  bie  an  ihn  gerichtete  3u= 
fcbrift  jener  juerjl  genannten  121  2ieber  von  ^)an§  Sttl,  S3ud)fübrer,  gegeben  von  Dürnberg  am  29ten 
Sage  be§  2luguft  1534.  Qx  wirb  t)iev  genannt:  „ber  erwirbige  £err  2lrnolbu§  von  SSrucf,  Seebant 
bes  Stift»  ju  Sambach,  9?6mifd)er  Äbnigl.  Sftajcftät  oberfter  davellenmeifter"  unb  ibm  nachgerühmt, 
bafj  er  ben  SKeiftem  feiner  3eit  ben  SSorfvrung  a(fo  weit  abgewonnen,  bafj  er  von  männiglid)  werbe 
unerreicht  bleiben,  „juvoraus?  in  ber  freuntlichen  lieblicfeit,  bie  in  funftlid)er  gewifjheit  ju  erhalten  für 
ein  fonberliche  unb  hochberumbte  gefchieflideit  gefd)c^t  wirb  zc."  Sollte  er  wohl  jener  ,,9>farrberr 
pon  SSrud"  fenn,  burch  ben  Senfl  an  ßuther,  jufolge  beffen  Tlufforberung  vom  Sabre  1530,  (nad) 
sJJiartbefüB  SBerid)tc  in  feiner  neunten  $)rebigt  über  Süthen?  Seben)  „viel  fd>bne  Muteten"  fanbte?  Da 
wir  ihn  in  jenen  121  Siebern  fo  nahe  neben  Senfl  geftellt  finben,  wäre  e§  nicht  umvahrfcbeinlid),  unb 
er  fönnte  fväter  jeneS  Gfbrenamt  erhalten  f^ben,  in  welchem  wir  ilm  um  1534  finben;  boch  ift  biefe 
Annahme  fcineSwegeä  eine  ft'cher  verbürgte.  grl  feinen  weltlichen  ©efängen  finben  wir  manche  artige, 
lebenbige  3üge;  wir  fbnnen  fie  wi^ige  nennen.  So  in  jenem  Siebe  von  bem  SanbSfnecbte,  ber  ohne 
©«fei  nod)  ©elb  über  ba§  gelb  geht,  unb  bem  vor  ber  SBirtbin  4?au§,  aB  bbfem  .Kraute,  in  bun= 
tem  ©emenge  allerhanb  Äräutlein  wunberlicher  tarnen  »orgehalten  werben,  unb 
bedenbreite  33lätter 
bie  fevn  innen  b  Di- 
dier wirb  bem  Söorte  ©elb  eine  eigne  feierlich  -  »offenbare  SSebeutung  gegeben,  burch  einen 
unerwarteten  Srugfchlufj  nach  b  ftatt  nach  d 5  bie  Hohlheit  erfcheint  burd)  ben  ?  Saft  faft  wie  burd) 
©ebehrbenfeiel  verfvottet,  unb  ber  fldgliche  2lu3brud  ber  Nachahmungen,  mit  welchen  am  Sd)lufje  jene 
SBorte:  ,,bie  fepn  innen  hol"  wieberholt  werben,  febärfen  nod)  biefen  Spott. 

35afj  er  in  einem  fünfftimmigen  Sat§e  beS  5ten  SbeileS  jener  Sieblein  jwei  weltliche  SSBeifen 
gegeneinanber  fefet : 

Mn  2£bler  auf  ber  SBelt  fo  febört 
lebt,  fchwebt,  ob  feim  ©efieber  ic, 

v  SEBintctfetk ,  ttt  eiangtt.  ö^otalgcfang.  24 


186   


WS  bu,  jart  eble,  fcböne  frudjt 
lebft,  fcbwebft^ob  allen  Sßeiben  k. 

unt> 

@3  taget  »or  bem  SBalbe 
ftanb  auf  .Äetterlein, 

gefebicht  nur  eben  im  Sinne  feiner  3eit,  unb  fann  rttct)t  als  ein  eigentümlicher  3ug  bei  tbm  genannt 
werben.  Q.x  wicberbolt  barin  nur  eine  3ufammenftcllung  auf  »offenbafte  SBcife,  bie  anbere  Sonfefjer 
bei  geiftlicben  ©efängen  in  »eilig  ernftem  unb  frommem  Sinne  anwenbeten.  gorfierS  Sammlung  jeigt 
mehre  ähnliche  Säf^e  anberer  93Zeifter,  al§  Sobft  »on  S3ranb,  <Stepban  SCRabu;  felbft  Spätere  noch 
wicbcrbolcn  ähnliche  Sdjerjc,  rote  wir  benn  foldjer  bei  3>obann  ©ccarb  werben  ju  gebenfen  baben.  2lrnolb6 
r>on  £3ru<f  gciftlidjc  ©efänge  ftnb,  ibrem  tonfunftterifdben  2Bertl)e  nad),  etwa  benen  Sobann  2Balter§ 
glet^jufteUen.  ©ine  gute,  fangbare  Stimmenfübrung  jeiebnet  fte  au§,  aber  in  feinen  üftaebabmungen 
unb  S>erfled)tungen  vermiffen  mir  eine  ftnnretdjc  "tfnorbnung  unb  geiftreiebe  3üge.  83on  feinen  ad}tjebn 
£onfäfjen  in  ben  123  Siebern  (1544)  bat  nur  ber  feebfte  Sbeil  berfelben,  il)rer  bret,  bie  9J2elobie  in 
ber  STberflimmc.  Unter  iljnen  jeiebnet  am  meiften  bie  33cl)anblung  ber  »brpgifcben  Singweife  be6  $)falm= 
liebeS:  „2lu§  tiefer  9iotb  fd;rci  icb  ju  bir,"  ftdb  cm§.  Die  £berftimme  fübvt,  wie  bemerft,  bie  50ie-- 
lobie,  in  freier  canonifcfyer  9cad)al)mung  gebt  ber  Senor  il)r  woran;  aud)  für  ba3  £)l)r  ift  ber  S5au  beä 
©anjen  leicht  erfennbar,  ja,  ber  Senor,  fowo()l  aB  beginnenbe  Stimme,  al3  wegen  feiner  SBejiebung 
5U  ber  bbcbften,  melobicfübrenben ,  bebt  jenen,  wie  biefe  genügenb  beraor*).  Siegt  bagegen  bie  Wido-- 
bie  allein  im  Senore,  wie  in  bem  uierftimmigen  Säße:  (Sfyrifi  ber  ift  erftanben  —  eigentlich,  ber 
©tngweife  be£  StebeS:  (Srftanben  ift  ber  b eilig'  Gbrift  —  fo  bebt  fte  fein  ©egenfafe  bfvüor 
au§  ibrer  bureb  bie  übrigen  Stimmen  umbauten  Sage.  SSerfucbt  enblid)  ber  SDieifter  eine  wollig  ein» 
fache  SSebanblung,  wie  bei  ber  5CRelobie  be3  Siebet:  .Kommt  ber  ju  mir  füridjt  ©otte§  Sobn: 
fo  erfebeint  fie  troefen,  obne  barmonifeben  ©cbalt.  SQSir  tbun  ibm  wohl  nicht  Unrecht,  wenn  wir 
»ermutben,  er  fei  jwar  ein  in  ber  SEonfunft  gar  gut  erfahren«  9Jiann  gewefen,  aber  nicht  eigentlicb  ein 
berufener  SEonrunftler;  feinett  9?uf  babe  er  vielleicht  nur  einzelnen  ausgezeichneten  Sonfäfcen  juoerbanfen,  bie  er 
neben  feinem  cigcntlidjen  geiftlichen  S5erufe  ausgeben  laffen ;  ja  baä  oberfte  @a»ellmeifteramt,  in  weitem 
wir  ihn  fpäter  ftnben,  fei  wobl  mebr  ein  ©brenamt  gercefen.  Um  fo  mel)r  SSSabrfcfoeinlidbf eit  gewinnt 
e§  bann,  baf?  er  mit  jenem  ,,^Pfarrbcrrn  ju  Skucf"  als?  einer  unb  bcrfelbe  anjunefymcn  fei,  jumabl  ba 
bie  geringe  2lnjabl  feiner  SBerfe  aud)  barauf  beutet,  bafj  er  neben  einem  anberen  SebenSberufe,  bie  Son= 
fünft  nur  al§  Grrbolung  geübt  babe. 

Um  ba6  3^br  1536  erfebienen,  ebenfalls  ju  Dürnberg  bei  ^»ieronpmuö  gormfebneiber  „Sd)bttc 
aufjerlcfene  Sieber  be3  bod)bcrümten  ^einrieb  ginfenS  famüt  anbern  neuen  Siebern,  r»on  ben  fürncl)tnficn 
biefer  Äunft  gefegt,  luftig  ju  fingen,  unb  auf  bie  Snftrumcnt  bienjtlich,  vor  nie  im  £>rud  au^= 
gangen  tc";  eine  gemifebte  Sammlung  geiftlicber  unb  weltlicher  Sieber,  in  weldber  ftcfo  fechg  geifilicbe  won 
ipeinvid)  tfint  beft'nben.  %ud)  bie  Sebenöoerbdltniffe  biefc§  9)Jeifter§ ftnb  nicht  gebbrig  in  baö  Sid}t 
geflellt;  eine  &>orrebe,  ober  äucignung,  bie  \mS  barüber  üielleid)t  belebrt  bitten,  mangeln  unferer 
Sammlung,    ©ottfrieb  2Balter§  2ßorterbud)  ber  SSonfunft  nennt  einen  Äönigl.  ^)olnifd)en  ßacelb 


')   35frql.  bafi  ite  SBeifpiet  mct>r(timmigcn  <Sa|c«  ju  ben  oon  mir  tjerauegegebenen,  qcifltidjcn  ?t'cbern  Cuttjcr«. 


  187   


metfier  £errmann  ginf,  all  um  1501  blüf>enb :  nach  ©erber  (Alt.  2er.  [.  Col.  412)  mod)te  btefei  mit 
Heinrieb  ginf  biefelbe  ^en'on  feyn,  ber  bort  als  um  1 480  tbätig  angegeben  mirb.  Sollte  biefer  ober 
üielleic^t  ein  ibm  gleichnamiger  Sohn,  ber  Urbeber  jener,  1530  erfchicncncn  SEonfälje  fepn?  Siefe 
beuten  minbcficnS  nicht  auf  ein  fo  viel  höheres  Alter,  als  bie  befprod)enen  ber  juwor  genannten  brei 
Sonfefcer.  2Särcn  ft'c  bennod)  um  fo  vielem  älter,  fo  bürfte  ginf  mobl  al8  Vorläufer  ScnflS  genannt 
roerben,  benn  feine  SEonfäljc  geigen  anbeutenb  mand)eS,  in  ben  ©efängen  jencS  9KcijterS  »oller,  unb 
reicher  AuSgebilbcte.  So  bie  33ebanblung  beS  alten  £ftergefangeS :  ,,£-reu  btch  bu  werthe  @brü 
flcnbeit*/'  mit  ber  wabrfcbeinlicb  bem  SSolfSgcfange  entlehnten  Sftelobte  beS  üicfeeS:  „es  ijt  baS 
Heil  unS  fommen  ber."  3n  ben  erfren  vier  3eilen  ber  ftebenjeiligen  Strophe  biefer  SBetfe  beginnen 
Anfang i  immer  bie  bbcbfte,  unb  bie  ihr  junächfi  ftcbenbe  Stimme  (Sopran  unb  Alt)  eine  jroeiftimmige 
■Ausführung  ber  9Jlelobie,  einanber  nadjabmenb;  bie  Sberfiimme  im  Umfange  beS  urfprünglicb  9Jliro= 
incifdien,  bie  jroeite  beS  verfemten:  ber  Senor  unb  bie  ©runbftimme  antworten  ihnen  auf  äbnlid)c  Sßeife: 
jroeiftimmige,  nad^ahmenbe  Säfce  hoher  unb  tiefer  Stimmen  roechfeln  fo  bei  ben  erfren  beiben  3eilcn= 
paaren.  Auf  ähnliche  SBeife  roirb  aud)  eine  jebe  ber  brei  legten  3eilen  eingeleitet,  bodb  erfolgt  nun  bie 
Nachahmung  ber  mclobifchen  2Benbungen  jeber  3eile  nicht  mehr  in  ben  äkrbältniffen  beS  urfprüng-- 
licben  unb  verfefjtcn  UmfangeS  ber  ©runbronart.  Siefer  Einleitung  folgt  eine  vierftimmige  Ausführung, 
l  in  welcher  ber  Scnor  ben  £auptgefang  führt.  Einer  äbnlidjen,  nur  finnigeren  unb  jugleicb  pracht- 
volleren Durchführung  begegneten  roir  in  SenflS  fünfftimmigem  SEotifafce  beS  £ftergefangcS :  „©elobet 
fevft  bu  Gbrijfe"  auf  bie  Sölelobie  beS  alten  3ubaSliebeS.  An  befannten  Singroeifen  hat  in  unferer 
Sammlung  ginf  fonft  noch  bie  ber  Sieber:  ßbrift  ift  erftanben,  unb  3n  ©otteS  Namen  fahren  mir, 
ausgeführt;  Dan  biefer  legten  haben  roir  bereits  juvor  ausfübrlid)er  gerebet. 

Sie  meiften  ©efdnge  von  Sonfe^ern  geifilid}er  ßieber  auS  ber  erften  Qatftc  beS  löten  3abr= 
hunbertS  finben  mir  in  ben  123  ©efängen  für  bie  gemeinen  Schulen  (1544).  SSiUig  räumen  mir  bem 
Herausgeber  bfeftt  \d)ä§barm  Sammlung,  ©corg  3tI)atP,  S3ud)brucfer  unb  33uchfübrer  ju  2öit= 
tenberg,  bie  erjle  Stelle  ein  in  unferem  S5erid;t  über  bie  Steifte,  beren  SBerfe  fein  Sammlerfleiß  unS 
erhalten  hat.  Er  mar  ju  Grijjfelb  (Crfjfelt)  in  granfen  um  1488  geboren,  unb  hat  biefe  feine  ©eburtSftabt 
baburd)  geehrt,  bafj  er  S3ürgermeiftern  unb  9?atb  berfclben  jenen  gciftlichen  Sicberfranj  jueignete.  Sbätig 
ftnben  mir  ihn  juerft  in  Seipjig,  alS  ßantor  unb  9Diufif biref'tor  %  bei  ©elegenbeit  ber  Disputation  jroifcben 
l'utber  unb  Q.d  führte  er  ju  Anfange  beS  feierlichen  Vorganges  eine  jroblfftimmige  SOieffe  auf,  an  beffen 
Sd)tuffe  baS  Se  Seum.  Später,  fcheint  eS,  mürbe  er  für  ßutberS  Sefjre  gemonnen :  mir  ftnben  ihn  mieber 
ju  Wittenberg  als  SSeftljer  einer  angefebenen  Srucferei,  auS  beren  treffen  bebeutenbe  theoretifche  unb  praf= 
tifche  2Berfe  hervorgehen;  mir  fehen  ihn  bort  thätig  als  gelehrten  Scbriftficllcr  über  bie  iEonfunft,  als 
Sonfe^er,  als  Sammler  von  SBerfen  ber  am  meiften  gcfd)äfetcn  SEonfe^er  feiner  3eit.  Als  folcher  bemährt 
er  ftd)  in  jenen  123  ßiebern.  Ein  jeber  von  ben  barin  aufgenommenen  Sonfä^en  ift  mit  bem  Namen  beS 
93ZeijierS  bejeidmet,  von  bem  er  herrührt;  einigen  fehlt  biefe  S3ejeicbnung,  unb  mir  glauben  nicht  ju  irren, 
menn  mir  vorauSfegen,  bafj  biefe  von  ber  Arbeit  beS  4?«<uiSgeberS  ft'nb.  Nur  »icr  3abve  nach  bem  @rfd)einen 
biefeS  SöerfeS  mürbe  er  burd)  ben  £ob  abgerufen.  (Sr  ftarb  am  7ten  Auguft  1548,  im  fechjigften  Sah", 
nachbem  fein  jmei  unb  jmanjigjähriger,  einiger  Sohn  ein  3ahr  juoor  ihm  vorangegangen  mar. 


*)    SSeifpiel  9Cro.  12. 


24* 


  188  

3ener  unbe$eicbnete)i  Sonfälje,  bie  wir  3ibau  jufchretbcn ,  finb  fiebert :  fünf  Sföeibnachtägefänge : 

1.  9htn  fomm  ber  Reiben  £eilanb  (fünfjlimmig,  9cro.  I.)j 

2.  ©etobet  fei)ft  bu  SefuS  ßbrijr  (»terjtimmig,  9cro.  VI.) 5 

3.  Gtyrtjtum  wir  foüen  toben  frf)on  (tuerftimmig,  9cro.  IV.); 

4.  ©in  jftnbelein  fo  Ibbelid)  (oicrftimmig,  9?ro.  VII.); 

5.  In  (lulci  jubilo  (t-ierftimmtg,  9<lro.  IX.); 

von  biefen  haben  bev  jwcite,  britte  unb  vierte  bie  SJMobie  in  ber  £)berjttmme,  ber  erfte  unb  fünfte  im 
Senor;  unb  biefeS  Icfcte  tji  auch  ber  galt  bei  bem  6ten  ßiebe:  25erleif>  un3  grieben  gnäbiglid)  (da 
pacem).  Sagegen  fyat  ba§  ftebenre,  8utf>ev§  fräftigcS  ^Pfalmlicb :  ©in'  fcftc  33urg  ift  unfer  ©Ott"  bie 
Widobit  im  33affc.  Sie  9JM)rheit  biefer  ©ä£e  Ijat  etwa§  Ausgezeichnetes :  wir  erfennen,  bafj  ihr  Ur- 
heber ein  geroanbter  Sonfe^er  gewefen,  bafj  eine  lebenbige  Ahnung  in  il)tn  fid)  geregt  babe  uon  ber 
SBebeuttmg  barmonifdjer  (Sntfaltung.  An  bem  üterfrimmigen  ©ajje  ber  SEJMobie  beS  ^cibnachtSbMnnuS : 
ßbriflum  wir  f ollen  loben  fd)on  (A  solis  ortus  cardine)  betrachteten  wir  bereits  juoor  bie 
eigentümliche  Art,  wie  in  ihm  bie  pbrwgifche  Sonart  gefaxt  worben,  jumabl  in  ihrer  S3ejiel)ung  ju 
ber  ionifchen.  9ttd)t  minber  bebeutenb  tritt  btemirolwbifche  heroor  in  9fl)auS  üicrfiimmiger  SScbanblung 
berSKelobte  t»e§  Siebes :  ©elobet  fewft  bu  SefttS  6 f> r t ft.  Sie  frifdje,  bewegte  gübrung  ber  be= 
gleitcnben  Stimmen,  welche  bie  in  ber  haften  erfcheinenbe  SQMobie  fd)mücfen,  hflt  ben  SJietfter  nicht 
auSfdjliefjenb  befchäftigt;  feine  Aufmcrffamfeit  ifl  aud)  auf  bie  ©d)lufjfäUe  ber  einzelnen  3eilcn  gerichtet 
geblieben.  Ser  erfie  tfr,  tongemäf?,  als  Aufweichung  in  bie  £)berquarte  beS  ©runbtonS  gefaßt,  alfo 
in  baS  Sonifte;  ber  jweite  erfd)eint,  wenn  wir  bie  SEJWobie  für  ftch  betrachten,  am  ungejwungenften 
als  eine  9?ücffel)r  in  ben  ©runbton.  Sfbau  fyat  bemfetben  aber  beffen  Unterquinte  untergelegt,  unb  wir 
begegnen  bemnach  einer  ^weiten  Ausweichung  in  baS  Sonifcbe.  Ser  ©djlujjfaU  ber  brüten  3eile  wenbet 
ftd)  nach  ber  Unterquarte  beS  ©runbflangeS,  wäre  alfo  borifd) :  er  ruht  aber  biet  auf  ber  Unterquinte, 
unb  ftatt  ber  Aufweichung  in  baS  Sorifchc  gehaltet  ftch  eine  S?ücffeljr  in  baS  93iiroh;bifche:  nach  einem 
langen  gortballen  beS  ©cblufitonS  biefer  3eite  ju  einem  bewegten  2Bed)felfpiele  ber  brei  tieferen  «Stimmen, 
fchliefjt  bie  Harmonie  enblich  in  biefem  ©tnne  ab,  unb  hier  ift  ber  einige  gall  in  biefem  ©efange, 
wo  ber  Unterhalbton  burch,  bie  (5rt)bbung  ber  miroh)bifd)en  Reinen  ©eptime  I'  gebilbet  werben  muß, 
wenn  auch  feine  X$orjeid)nung  biefelbe  anbeutet.  9lun,  ju  ben  SSßorrcn:  Se{?  freuet  ftd)  ber  ©ngel 
©chaar,  erfcheint  ber  ungerabe  Saft  (-?),  ein  2ßcd)fel,  ben  wir  fonjl  bei  biefer  93telobie  nicht  angewenbet 
ft'nben;  unb  biefe  Saftart  wirb  bis  jum  ©dbluffe  beS  ©anjen  beibehalten.  ^)ier,  im  ©egenfalje  ju 
bem  ©cbluftfalle  ber  vorlebten  Seile,  enbet  ber  ©efang  burch  einen  ganjen  £on  (f —  g),  nid)t  einen  hat« 
ben;  bie  Harmonie  wenbet  ftd)  von  d  nad)  e,  unb  ju  bem  forthallenben  g,  bem  miroh)bifd)en  ©runb= 
flange,  wirb  bann  ber  gewbf)nlid)e  halbe  @d)lufj  biefer  Äonart  eingeleitet  burd)  bie  harten  Sreiflänge 
auf  ihrer  £)berquarte  unb  ihrem  ©runbtone.  3n  feiner  #auptbejicbung  ju  bem  3onifd)en  tfl  baS 
SOiirotpbifche  hier  recht  glütf'licb  bargefteUt:  eine  Au§wcid;ung  in  ba§  Sorifche  fehlt  jwar  bei  ber  befchrie= 
benen  Art  tcr  33ebanblung,  bod)  beutet  ber  oft  üorfommcnbe  weiche  Sreiflang  auf  ber  £)berquinre  beö 
©runbtons  minbeftenö  bie  nahe  Schiebung  an  jwifchen  beiben  Sonarten.  Sie  9Jielobie  beS  alten  lliebeS : 
din  Ain beiein  fo  lobeltd),  ift  eben  fo,  wie  bie  be§  t-orangebenben  in  bie  SDbcrfrimme  uott  bei 
5ReifterS  oierftimmigem  Sonfa^e  gelegt.  Sie  ©timmenführung  ift  bewegt,  lebhaft:  jwar  wirb  bie  £>ber= 
flimme  zuweilen  burd)  bie  jweite  überfchritten,  bod)  ohne  SJerbunfelung.    ©päter  ft'nben  wir  nicht  feiten 


  181)  — 


einen  geijtreichen  Bug,  eine  tief  empfundene  SBejiehung,  in  foldjcr  Überfchreitung ;  in  biefer  frühen  3eit, 
wo  erlt  allmählich,  bie  Aufgabe  jum  SSewufstferm  gelangte,  eine  SÖMobie  burcb  bie  ihr  »erbunbenen 
Stimmen  barmonifcb  ju  entfalten,  fte  aß  Trägerin  eineS  eigentümlichen,  in  ber  Harmonie  ft'd>  er* 
fclhliefjenben  Sebent  ju  offenbaren,  eirteS  Sebent,  bas>  ben  begleitenbcn  Stimmen  evft  wahrhafte  melo= 
bifche  ©elbftänbigfeit  oerleihe  unb  S5ebeutung;  —  in  biefer  3eit  ift  ein  Überfchrciten  ber  #au:ptfHmme 
in  ber  Siegel  nur  ein  9cotbbebelf  be3  ©e£erj>,  unb  fofern  ihm  baburch  bas>  SBewufjtfctm  feiner  realeren 
Aufgabe  entjogen  wirb,  auch  ein  gehler.  Spat  er  einen  folgen  glüeflich.  öermieben,  auch,  wo  er  eines 
bergletdjen  sJcotbbehelfe3  beburfte,  fo  bürfen  mir  ihn  jwar  beSfjalb,  aber  nicht  wegen  eines  gtüdlich 
©eleijteten,  getjboll  ©efebaffenen,  rühmen,  unb  anber§  aß  in  biefem  ©inne  febeint  uns  auch  beS  5ÖZei= 
fierS  ©afc  in  unferem  galle  nicht  loben§roerth.  Sem  ©epräge  be3  Sonifcfyen,  ber  ©runbtonart  be$ 
©anjen,  ift  im  Übrigen  bie  Harmonie  üötlig  gemäfj. 

Siefeltene(5rfcbeinung,  bieSRelobieeincSShoralS  in  bieSBafjjttmme  etneS  mel^rjtimmigen  Sonfa^eö 
gelegt  ju  ftnben,  erregt »erbientermaagen  unfere'Hufmerffamfeit  beiber^ebanblungbcrffieifebeS^falmliebeS : 
@in'  fefte  33urg  ift  unfer  ©Ott*)."  33is>  auf  wenige  ©teilen,  wo  augenbltdltcb  ber  Senor  unter  ben 
SBaß  binabfehreitet,  bilbet  bie  SJMobie  in  ber  S£l)at  bie  ©runblage  beö  ©anjen,  unb  e£  ift  gewtfi,  bafj  beS 
SOieifterS  3(uffaffung  unb  2lnorbnung  feines»  ©afceS  auf  bem  ©inne  beruht,  bafj  bie  fübne,  männliche, 
belbenmäfnge  ©eftnnung,  bie  in  bem  Siebe  unb  feiner  Sßeife  ftd)  au§fpred)e,  aud)  ber  fefte,  unerfchütter= 
lid)e  ©runb  fei,  auf  bem  bie  gute  ©acbe  ber  (§oangelifd)en  beruhe.  Sie  ©timmenführung  ijt  lebhaft  unb 
geroanbt.  Sie  oft  uorfommenbcn,  fd)rittwetfe  abftetgenben  ©cblufifälle  ber  9)Mobie,  jumahl  roo  fte  mit 
bem  ©runbtone  enben,  crbeifd)ten  bei  beren  ©tcllung  in  ber  ©runbjtimme,  bei  ber  Scotbwenbigfeit,  bie 
Harmonie  über  fte  aufzubauen,  jum  öfteren  bie  2lnroenbung  ber  f  leinen  ©eptime  al3  S3orbalt  ber  ©echote 
über  ber  ©ecunbe  be§  ©runbtonS,  welche  fobann,  als?  Scitton,  in  einer  ber  bcgleitettben  ©timmen  roieber 
ju  ihm  binaufftrebte.  Ser  SOieifter  bat  eS  richtig  gefüllt,  baß  am  ©ch.  luffe  be6  ©anjen,  wo  bie  SDcelobie 
auf  ähnliche  SBeife  fortfd)reitet,  eine  folche  Harmonie  baffelbc  ntd)t  angemeffen  bcfchlicfje,  bafj  ein  fräftiger, 
voller  Sonfchlufi  erfjeifcht  werbe,  um  es?  würbig  $u  frönen,  ©o  hat  er  benn  feinem  SEonfaJje  noch  einen 
Anhang  beigegeben  mit  einem  ©chluffe  folcher  2£rt,  wo  nun  ber  33afi,  nid)t  länger  melobieführenb,  lebtgltch 
©runbftimme  ift. 

2flle  biefe  33eifpiele  jeigen  une>  9?bau,  ben  wir  gern  für  ben  Urheber  jener,  mit  feinem  9camen 
bezeichneten  ©efänge  annehmen,  als  einen  SKeifter,  ber  für  bie  ßntwtdlung  unb  gortbitbung  ber  Äunfi 
oon  SSebeutung  ift,  unb  ben  wir  wohl  neben  ©enfl  pellen  mögen,  wenn  er  biefen  auch,  in  ftmwoller  ©tim= 
menoerflecbtung  nicht  erreicht.  6ine3  unbefannten  SKeifterS  bürfen  wir  bie  befproebenen  ©äfce  nicht  halten, 
benn  in  jener  3ett  pflegten  bie  Herausgeber  einer  gemifchten  ©ammlung  in  ber  Segel  e§  ju  bemerfen,  wenn 
fte  ben  Urheber  irgenb  einee>  oon  ihnen  mitgeteilten  ©efange§  nicht  fannten. 

■Oßtattin  Stgttcola,  ben  wir  nächft  Sii)au  nennen,  erfebeint  nur  breimahl  in  beffen 
©ammlung,  jebod)  mit  achtbaren  Sonfä^en.  @r  war  ju  ©orau,  wahrscheinlich  1486,  geboren,  t>on 
bürftigen  'Ültern :  gro^e  S5eharrlichfeit  unb  angeftrengter  gleip  erwarben  ihm  eine  tüchtige  wiffenfehaftliche 
unb  tonfünftlerifche  S3ilbung,  aber  feine  auSfömmlicbe  Sage,  ©eit  1510  mufite  er  burd)  Unterrichtgeben 
ftd)  fummerlicb  forthelfen.    @r  fagt  felber  üon  feinen  Sehrjahren  in  ber  SSonfunji :  er  hohe  in  folcher  jtunft 


*)   SKitgetfjeilt  tn  ber  geflauögabe  ber  üteber  CutfjerS ,  9iro.  X.  ber  betgegebenen  ©efänge. 


190 


feinen  actwen  ^Präceptorem  t>on  9Renfd)en  gehabt,  fonbern  baSjenige,  waS  er  barin  »erflehe,  erftlid»  r>on 
©ort,  roelcber  feine  ©aben  mitteile,  wem  er  wolle,  unb  barnad)  burd)  treflicb  großen  gleiß  unb  Stu^ 
biren,  jebocl)  bei  if)m  allein,  mit  ber  ©otteS  £ülfe  überkommen;  ,,brumb  möcht'  td)  ffct}lie^t  er)  tt>ot)l 
ein  felbwacbfen  SKufkuS  genannt  werben,  unb  wer  fein  rounber,  baß  ich  unterweilen  ben  treflichen 
Äünftencrn  nicht  gleich  hanbelte."  —  2Bar  eS  nun  beSbalb,  baß  er  Anfangs  feine  SSeförberung  fanb, 
ober  machte  ftd)  feine  £üd)tigfeit  erft  allmählich  geltenb:  genug,  erft  um  1524  würbe  er  ju -SDiagbeburg 
bei  ber  neu  errichteten  öffentlichen  Sd)ule  angejteEt,  ber  erfte  ßantor  feit  ber  &trd)ent>erbefferung ,  ber 
würbige  SSovgänger  rrefltcfyer  Nachfolger  in  biefem  Amte  wäbrenb  beS  16ten  SabrbunbertS :  eineS  ©allus 
Sreßler,  Seonbart  Schröter,  griebrid)  SBeißenfee.  Der  lefcre  fagt  unS  in  ber  SSorrebe  feines  um  1602 
erfcbienencn  Opus  melicum  :  „mich  mahnt  ber  (Sifer  meiner  SSorgänger  im  Amte,  ii)x  ernfllicbeS,  ja,  wahr= 
baft  löbliches  Streben.  Sn  meinem  £aufe  beftfje  id)  beS  Gantor  Agricola  SSerfe,  nid)t  bie  hanb^ 
fcbriftlicben  allein,  fonbern  aud)  bie  woblgefcbriebenen,  gelehrten  SBücblein  über  bie  Sonfunfr,  bie  er  burcb 
ben  £)rucf  öffentlich  machte.  ß:S  fehlen  mir  nicht  SreßterS  SBerfe,  bie  auf  baS  £eutlid)fte  jcigen,  roie 
wohlunterrichtet  er  in  ber  Sütoftf  gewefen.  2Bte  ©roßcS  aber  ber  überaus  gelehrte  (Schröter,  ber  nicht  cor 
gar  langer  3eit  erft  auS  biefem  geben  abgerufen  würbe,  geleiftet  bat,  in  ber  Äunft  beS  ©efangeS  wie  beS 
9D2aaßeS  (in  ulraque  et  metrica  et  melica  arte),  bawon  wirb  unfere  berühmte  unb  hochgeachtete  Stabt, 
(Parthenope),  ja,  ganj  Sacbfen,  unb  felbjt  ber  9?uf  burd)  baS  gefammte  £)eutfd)lanb  jeugen,  beffer 
alä  id).  ©o  habe  benn  aud)  id)  mir  »orgenommen,  jene  göttliche  Sonfunft  in  biefer  unferer  ruhmwürbigen 
£etmatb  ber  fd)önen  SBtffenfchaften,  nid)t  allein  t>on  AmtSwegen  ju  erhalten,  fonbern  aud)  ausbreiten,  fo 
roett  eS  meine  geringen  «Kräfte  julaffen."  @in  rühmliches  3eugniß  für  ben  9Jlann,  ber  vor  bamalS  faft 
hunbert  fahren,  jene  el)renwertl)e  Siettje  tüchtiger  Sonfünftler  begann,  auS  ber  jener  julefct  mit  fo  großem 
2obe  erwähnte  (Schröter  unS  fpäter  nod)  befd)äfttgcn  wirb.  Allein  geehrt  wie  Agricola  fenn  mochte  von 
3eitgenoffen  unb  fpäteren  Nachfolgern:  feine  SOiitlebenben  verfäumtcn ,  wie  wir  leiber  in  melen  gällcn 
nod)  baffelbe  ju  bebauern  haben  werben,  ihn  brütfenber  NabrungSforgen  ju  überheben.  Nach  jwanjig= 
jähriger  Amtsführung,  um  1544,  fcbreibt  ber  nunmehr  fd)on  alternbe  SKeiftcr  an  feine  (Schüler:  jhr 
wollet  bei  ewren  ßltern,  unb  anbern,  bie  eS  ju  thun  haben,  anhalten,  baß  mir  mein  Stipenbium  etlicher = 
maaßen  gebeffert  mbebt  werben.  Denn  eS  fleht  ja  gefd)rieben,  ein  tagelöner  ift  feineS  lohnS  werb." 
£b  Agricola  ber  erfte  gewefen  fei,  ber,  feine  ©efänge  in  Noten  fefcenb,  ftd)  ber  befcbroerlichen  beutfeben 
Sabulatur  entfd)lagen  habe,  mag  babingeftellt  bleiben,  ba  eS  hier  unS  nicht  »on  SBicbtigfeit,  unb  9Jiattbe= 
fonS  ©öttingifd)er  ©übomS  jebenfallS  feine  lautere  Quelle  für  biefe  «Behauptung  ift.  So  fönnen  benn 
aud)  feine  tbeoretifeben,  jum  Sheil  »olemifd)en  Schriften  an  biefem  £>rte  unerwähnt  bleiben.  Nur  jweier 
oon  feinen  praftifd)cn  2Berfen  möge  hier  gebaebt  werben.  3uerft  feiner  Melodiae  scholasticae,  sub  liora- 
rum  intervallis  decantandae ,  DJiagbeburg  1512;  eineS  SBerfeS,  baS,  wenn  anberS  bie  Sahrjabl  richtig 
angegeben  ift,  —  bei  SBalter  pag.  14  fleht  1612,  üorauSfefjlid)  burd)  einen  Srrtbum,  ben  ©erber  vc-obl 
nur  willführtid)  in  1512  t-erbeffert  hat  —  jeigen  würbe,  bafj  in  DJiagbeburg  fdjon  oor  ber  Äirchrn; 
oerbefferung  eine  georbnete  Scbuljud)t,  unb  ein  regelmäßiger  UnteiTid)t  in  ber  Sonfunft  beftanben  habe ; 
baS  aber  wohl  wal)rfd)einlicher  in  bie  Seit  oon  2lgricolaS  üantorat  gefefet  voerben  muß,  xdo  ber  SOaifter 
erft  Seranlaffung  ftnben  fonnte,  für  Schuljwede  thätig  ju  fepn.  Sobann  ber  in  3n>icfau  1553  erfd)ime= 
nen  ©efänge  beS  ©eorg  S£l)t)mäuS  mit  9Kelobieen  Martin  'ilgricola'S  unb  $aul  Sd)alenreuterS ;  eine 
Arbeit,  bie  id)  niemals  gefehen  habe,  roegen  beren  einige  ihn  wohl  unter  bie  Sänger  »on  Äird)en= 


—  191   

weifen  jaulen.  £>a  ber  lateinifd)e  Xitel  beä  SBerfeS  übrigens  auch  auf  toteinifebe  Sichtungen  febtiefen 
läßt ,  unb  ©eorg  £l)»)niäuS  unter  ben  bcutfd)en  ftrdjlicbcn  iHebcrbicbtern  nicht  genannt  wirb ,  fo  ift  jene 
Behauptung  wobt  nur  eine  nicht  gehörig  begrünbete  Skrmutbung. 

Jtgttcola  ftarb  am  lOten  Sunt  1536  nach  jwei  unb  breifjigjäbriger  Amtsführung,  70  Sabr  alt. 
©eine  Sonfäfje  in  3?bau3  ©ammlung  ftnb  baS  @rbcblichfte,  was  wir  uon  feinen  fircblieben  Arbeiten  noch 
befugen,  ©eine  m'erfh'mmtgen  Bebanblungen  ber  lutl)erifd)en  Sieber:  „(Sin'  fefte  Burg  tc."  (9cro.62)  unb 
„SJlit  grieb'  unb  greub'  ich  fahr  babin"  weifen  ben  9J2elobieen,  nach  2Crt  berbamaligcn  Seit,  im  Senore 
ihre  ©teile  an,  unb  geben,  wenn  auch  an  ftd)  untabelid),  ju  feinen  befonberen  Bemcrfungen  Anlaß. 
SÖßicbtiger  ift  unS  bie  Bearbeitung  ber  ©ingweife  beS  glcichfaES  lutherifchen  ^fatmliebeS :  Ad)  ©Ott  oom 
Gimmel  fteb  barein  (9cro.  59)*).  £)cr  Söieifter  hat  unter  ben  juüor  befproebenen  Sttelobteen  beffetben 
bie  ohne  ©runb  Sutbet  jugefdjriebene  pbrpgifcbe  ausgewählt,  unb  fte  in  bie  Dberftimme  feines  vicrfiim= 
migen  SEonfafeeS  gelegt:  inbem  er  jebod)  bem  ©cblußtonc  berfetben  beffen  Unterquinte  gefeilt  —  D,  ba  baS 
©anje  in  bem  Umfange  beS  »eiferten  g>f>vipgif"ct;en ,  A  mit  »orgejeid)nctem  b,  ftd)  bewegt  —  enbet  er 
freilich,  feinen  ©efang  äolifcb,  nicht  pbrpgifcb.  Surcb  einen  (üanon  in  ber  Öberoctaoe  jwifeben  bem 
SSenor  unb  ber  £)berjh'mme,  ber,  wenn  auch  nicht  in  Seit  =  unb  SDkafü ocrhdltniffen,  boeb  nach  Xon-- 
üerbättntffen  jtreng  burd)gefübrt  ifl,  jeiebnet  biefer  ©afe  ftch  auS.  £>te  gute,  fließenbe  gübrung  aller 
©timmen,  unb  bie,  bei  bem  felbft  auferlegten  3wange  in  berfetben,  noch  mannigfache,  ja  an  Siffonanjen 
reiche  Harmonie,  (teilt  biefen  6t;orat  neben  baS  Bcfte  auS  jener  frühen  Seit,  unb  wir  muffen  bebauern,  nicht 
SRebrcS  ähnlicher  Art  »on  biefem  5Jieifter  ju  befüjen. 

Am  reid)ftcn  ijt  SfbauS  ©ammlung  an  Sonfäfcen  oon  tSaltifafüt  3lefinaviu$; 
fte  enthält  beren  neun  unb  jwanjig,  p  brei  unb  »ier  ©timmen,  nicht  allein  über  SSJcetobieen  alter  toteint* 
fcher  £rminen,  unb  früherer  beutfeher  Äirchengcfänge ,  fonbern  aud)  lutberifeber  Sieber.  £>aS  Sßenige, 
waSwir  t>on  ben  ßebenSt>erbältniffen  btefeS  SKeijlerS  wiffen,  fdbopfen  wir  allein  auS  ben  SSorworten  beS 
X).  Soljann  Buggcnbagen,  Pfarrers  ju  Wittenberg,  unb  beS  33uchbrucFer§  ©eorg  3?bau  bafelbft,  ju  ben 
80  SJcfponforien  beffetben,  welche  ber  legte  im  Sab«  154-4,  gleichzeitig  mit  ben  123  ©efängen  für  bie 
gemeinen  ©cbulcn,  herausgab,  demnach  war  BattbafarSfeftnariuS  (»ieUetcbt  ^arjer)  üon  Reffen  gebürtig, 
(Jecinus)  bamalS  Bifcbof  $u  ßippa  an  ber  bobmifeben  ©renje,  einer  ®tait,  auf  ber  £älfte  SBegeS  jroi* 
fd)en  25rcSben  unb  ^rag  belegen,  @r  war,  wie  ©cnfl,  in  frühen  Sahren  ©ingfnabe  am  £ofe  SKajcU 
mtlianS  beS  (Srtfen  unter  Heinrich  Sfaac.  (SS  fei,  »erfiebert  Sflba»,  in  ben  SSBeifen  unb  £armonieen 
btefeS  alten  SfJJeifterS,  beS  ßehrerS  unfereS  SSattbafar,  eine  wunberwürbige  Sieblicbfeit,  eine  anmuthige 
(Einfalt,  burch  einen  gewiffen  Qjrnjt  gefchmüdt,  wie  fte  ben  ©itten  jener  frühern  Seit  gejiemt  habe.  Sefct 
habe  mit  ben  ©itten  auch  bie  Art  ber  Sonnmft  ftd)  geänbert**).  9?efmariuä  nun  gebe  auf  baS  £ref= 
tichjie  unb  ©lüdltcbfte  feineS  ßebrerS  (Einfalt  unb  (Ernft  wieber,  fo  baß  t»or  allen  £)ftreicb  feine  J^armonieen 
bewunbere.  ©ort  fei  ber  9Zame  biefeS  SO^eifterS  berühmt,  wo  mel)r  als  bei  allen  anbern  bcutfdjen  ©tämmen 
bie  Sonfunfi  eifrig  geübt  werbe.  (SS  wirb  bann  mit  2obe  erwähnt,  wie  ber  Sonfünftler  nur  reine, 
biblifche,  aller  Snthümer  entfteibete  Zexte  gefe|t,  wie  er  im  toergangenen  SEBinter,  in  ben  SO^ußefiunben 


*)   SBetfptel  9tro.  14. 

")  Hoc  tempore,  ut  mutati  mores  sunt,  ita  et  modi  musici.  3tt)  tjabe  tiefen  testen  2tuSbrutf  nic^t  mit 
, Tonarten"  überfefct,  ba  er  an  biefer  ©teile  jene  befonbere  SSebeutung  mir  nicht  ju  fjaben  fc&etnt. 


192 


von  feinen  fachlichen  ©efcbäften  tiefe  Arbeit  vollbracht,  wie  er  fte  bem  33erleger  gefenbet  habe,  um  fte 
t>urcb  beffen  £>rucf  öffentlich  ju  machen  (meis  lypis  stanneis  exeudenda).  (53  roirb  biefen  ©efängen 
nachgerühmt,  wie  fte  fo  leicfyt,  fo  ungezwungen  unb  angenehm  fewen,  mit  angemeffenen  Scblufifällen 
für  alle  (Stimmen  gefegt,  wie  fte  einem  JBebürfniffe  ber  Sugenb  entgegenfämen ;  man  habe  bem  »er= 
ehrten  ©reife  bafür  ju  banfen,  bem  Religion  unb  SBiffenfchaft  gleich  nahe  am  4?erjen  ItcgCy  ber  in 
feinem  Alter  noch  mit  einer  fo  erfreulichen  unb  nüljlicben  ©eburt  hervortrete. 

£)tefe  Sßorte,  am  löten  Auguft  1544  ju  SBittenberg  gefchrieben,  laffen  uns  vermutben,  baf? 
Äeftnarius,  ber  barin  ein  ©reis  genannt,  beffen  frifebe  Sbätigfeit  noch  in  feinem  2£ 1 1 e r  gevriefen  roirb, 
vor  ben  legten  20  fahren  ses  löten  Sabrbunberts  geboren  fevn  müffe,  roeil  fte  fonft  nicht  auf  ihn 
paffen  konnten.  iDajj  er  bamals  noch  gelebt,  ja,  ein  neues  2Berf  vorbereitet  höbe,  erfahren  mir  burch 
S3uggenbagcn.  Diefer  ift  mit  ber  Feinheit  ber  von  bem  Sflciftcr  bebanbelten  SEerte  nicht  ganj  fo  ju- 
frieben,  als  9?bau;  er  möchte  ihnen  nicht  bie  bloße  UnanftbfHgfeit  allein,  fonbern  auch  ^>etlfamfeit 
unb  Erbaulichkeit  nachrühmen  können,  unb  bemerft  am  ©cbluffe,  51t  feinem  unb  feiner  ßefer  SErofte: 
JWefmarius  bereite  jefjt  ©efänge  »or,  bie  unmittelbar  aus  bem  .£>ciligtbume  ber  ©dm'ft  gefcbövft  feven, 
unb  melche  fünftig  erfcheinen  mürben. 

Wit  biefen  wenigen  SBorten  erfcbövft  ftcb  alles,  was  mir  von  9feftnariu§  wiffen.  (£r  mar 
23ifcbof  in  einem  ßanbe,  bas  in  £ebre  unb  ©ottesbienft  bamals  in  manchen  ©rüden  von  ber  alten 
.Kirche  abwich;  er  war  ber  neuen  ßebre,  unb  jumal)I  bem  Äircbengcfange  ber  Evangelifcben  geneigt, 
oaburdb  aber  nicht  gebtnbert,  für  ben  ©cbmud  bes  altherkömmlichen  ©ottesbienftes  burch  SEonwerke  thätig 
ju  fepn;  wie  benn  ja  auch  bie  @oangclifd)en,  unb  namentlich  Sutber,  an  ben  äußeren  formen  ber  bis* 
herigen  kirchlichen  geier  fo  menig  als  möglich  anberten,  unb  nur  bas  ihnen  unbebtngt  Anftöfh'ge  ver= 
warfen  unb  abthaten. 

2Bir  haben  in  unferem  früheren  ^Bericht  über  bie  aus  bem  alten  rbmifeben  £ircbcngefange 
von  ben  Crvangelifcben  entlehnten  2Beifen,  einiger  SEonfä^e  unferes  SSKeifters  bereite  ausführlicher  gebaut : 
fo  feiner  vierftimmigen  SBebanblungen  ber  von  ßutber  verbeutfehten  .Ipnmnen  für  bie  Abvents  -  unb  ?>ftngft= 
jeit:  Veni  redemptor  gentium,  unb  Veni  creator  spiritus.  SEBtr  betrachteten  an  ihnen  Damals»  bie 
Übclftänbe,  bie  baraus  hervorgehen  mußten,  ba$  in  älteren  Sonfä^en  jumeift  ber  Senor,  eine  €EJlittel- 
ftimme,  bie  ^pauvtmelobie  führte,  unb  fanben,  bafj  eben  baher  bie  oft  ungenügenbe,  bie  (§igentbüm= 
licbkeit  ber  ©runbtonart  nicht  vollkommen  ausbrüdenbe  Harmonie  biefer  ©efange  herrühre.  '2£uf 
anbere,  bamals  nur  flüchtig  ermähnte  SEonfälje  bes  Steftnavius  müffen  wir  nun  hier  jurücffommen. 
betrachten  wir  alle  burch  unfere  Sammlung  uns  gebotenen  im  'Allgemeinen,  fo  bilbet  fid)  uns  bar= 
aus  bas  Urtheil,  baf?  ihr  'Ausgezeichnetes  nicht  fomobl  in  bem  ©treben  nach  barmonifeber  Entfaltung  ju 
finben  fei,  als  in  ber  ganjen  'Anlage  bes  Sonfafees,  woburch  bas  SSebeutfame  bes  ©ebiebtes  hervor* 
gehoben,  ober  auch  nur  eine  äußere  SDiannicbfaltigkeit  hervorgebracht  mirb.  @o  jeid;nen  in  ber  33ebanb= 
lung  ber  Söielobie  bes  alten  Siebes:  „9cun  bitten  wir  ben  heiligen  ©eifi,''*)  bie  beiben  legten  3eilen 
ftcb  aus: 

S)af5  er  uns  behüte  an  unferem  Gnbc, 
SBenn  wir  beimfabrn  aus  biefem  Elenbe. 


•)    SBeifpiel  STCro.  15. 


  193  


25ie  erjie  terfelben  geigt  un§  einen  jroeifh'mmigen  2Bed)felgefang  jnufdjen  ben  beiben  beeren  unb 
tieferen  Stimmen,  in  welchem,  bei  ganj  fd>Iid>ter  SBe&anblung ,  ba§  ©eprdge  bemütbigen  glehen$  roohl 
auSgebrüdt  ift;  ein  canonifcfyer  Saö  jroifcben  bem  Onelobiefübrenbcn;  SEenore,  unb  ber  £bcrftimme,  ju  ben 
Schlußworten  be$  ©anjen:  „in  biefem  Grlenbe"  tritt  burd)  bie  gefebidte  Stimmführung  au§  ber  oollen 
Harmonie  frdftig  unb  nacfybrüdlid)  beroor,  mit  ifym  eine  angemeffene  Steigerung,  unb  ein  recht  ein= 
bringltcber  ©cgenfag  jroifcben  2Bed)felgefang  unb  CEanon.  Sn  Stefmariue!  »ierftimmigem  Sake  über  bie 
Utelobte  btä  De  Teum  finb,  im  Verlaufe  be§  ©anjen,  alle  pbjrpgifcben  Scblufjfdlle  burebroeg  ionifd) 
bebanbelt,  bi§  auf  ben  legten  am  @nbe  be§  ©efangeS,  ber  aber  nicfyt  in  ben  ©runbton  E  jurüdleitet, 
fonbern  bureb  bie  Unterlegung  ber  Unterquinte  A  in  einen  dolifcfyen  umgeroanbelt  roirb.  ^armonifd) 
wirb  bienaet)  bie  ©runbtonart,  ba§  9-M)n;gifcbe,  ffreng  genommen,  gar  nicfyt  jur  2lnfcr>auung  gebracht. 
3m  OTgemeinen  iff  auch  fyier  ber  Senor  bie  melobiefübrenbe  Stimme,  jeboeb  mit  einigen  2ütSnaf)tnen. 
SSon  ber  Stelle  ab 

£u  jtbn'g  ber  Shren,  Sefu  <§&rifl, 

<55ott  SSaterS  ein'ger  Sofm  bu  bift 
roirb  in  ben  folgenben,  ju  einanber  gebbrenben,  gereimten  3eilenpaaren,  bie  SRelobie  geseilt  jroifcben 
bem  Senore  unb  ber  Eberftimme:  tiefer  gefyt  mit  ber  erften  Seile  ooran,  jene  folgt  mit  ber  jroeiten. 
Spaterbin  i)at  je  ein  ganjeS  Seilenpaar  roecfyfelroeiä  bie  SKelobic  im  Senor,  unb  ber  £berftimme:  fo 
bei  ben  SBorten:  2afj  un§  im  ^immel  fjaben  SheilK.;  #ilf  beinern  33olf,  £err  Sefu  C5f>rtft  te.  2Me 
Stellung  ber  9)iclobie  ju  ben  übrigen  Stimmen,  ber  SBccbfel  biefer  Stellung,  unb  beffen  2lrt,  bie 
Anlage  alfo,  nid)t  bie  SSefyanblung  ber  Harmonie,  finb  bei  biefem  ©efange  ba3  33emerfen§roertr;e.  3>n 
bem  uierftimmigen  Sage  über  bie  borifcfye  SBeife  be3  SiebeS:  S ef u ^  6r;riftuä  unfer  ^peilanb, 
ber  ben  Xob  überroanb"  finb  jroeifiimmige  Safje  ber  tjbfjevert  unb  tieferen  Stimmen  unter  ftd), 
unb  bann  roieber  ber  oollftimmigen  Harmonie  entgegetigcfefjt.  Sie  SDcelobie  bes>  2iebe§ :  ,,3Bär'  ©Ott 
nicht  mit  un§  biefe  Seit"  hat  ber  »on  bem  9Jieiftcr  gerodeten  Anlage  fogar  ftd)  fügen  müffen: 
biefe  ift  auf  einen  Soppelcanon  jroifd>en  ben  beiben  beeren  unb  tieferen  Stimmen  berechnet,  von  benen 
biefe  leeren  beiben  bie  für  biefen  3roed  umgeanberte  Söeife,  unter  bem  SSorgange  ber  ©runbftimme, 
burebfübren,  unb  mit  biefen  ihren  Nachahmungen  in  bie  gteid)artige  2üt5fübrung  ber  £berftimmen  ein= 
treten,  roelcfye  eine  jroar  ähnliche,  aber  bennod)  felbftdnbige  mclobifd)e  ©runblage  bat.  3u  ben  heften 
Sonfdfeen  ber  erften  £dlfte  bes  IGten  S^brbunbertö  fann  be§  S5ceifter§  S5ef>antlung  ber  SBeife:  „Gbrtft 
lag  in  Sobesbanben"*)  gerechnet  werben.  Die  SDielobic  fü()rt  ber  3)enor;  fie  ift,  gegen  bie  Sitte 
ter  Sonfe^er  jener  3eit,  bei  ben  Scblufjfällcn  am  dnbe  ber  einzelnen  Seilen  bureb  f leine  Sadismen 
gefchmüdt;  bie  übrigen  Stimmen  roeben  um  ft'e  9tacbabmungen ,  beren  ©runblage  au§  ihren  4?aupt= 
roenbungen  entlehnt  ift. 

Sn  bem  Sonfafee  über  bie  SDMobie:  (S  r  l;  a  1 1 '  uns  ^>err  bei  beinern  2Bort,  bereine 
jebe  Strophe  bes  ßiebeä  befonberä  bebanbelt,  ift  in  ber  erften  ber  SEenor,  in  ber  jroeiten  ber  Diöfant, 
in  ber  brüten  ber  SSap  bie  melobiefübrenbe  Stimme:  ber  legte  in  bem  Sonumfange  »on  C,  rooburd} 
bie  (nicht  oorgejeichnetej  grniebrigung  ber  Sechste  a  um  einen  halben  Xon  notl;n?enbig  roirb,  alfo  ein 
4?ütf?ton,  ber  nid}t  unmittelbar  in  bem  Greife  be»  in  ben  fünf  Sonavten  entfalteten  biatontfehen  SpftemS 


")   SBctfpiel  SRro.  10. 
c.  aSint«f<tt,  itt  esang«!.  ß^ctalgefang. 


25 


  194  

liegt.  Doch  mirb  berfelbc  Ijier  lebiglid)  burcb,  eine  SBerfe^ung  bebingt,  ohne  bafi  fein  Eintritt  fonfi  eine 
befonbere  S5ebeutung  hätte.  2)aS  £ieb:  83erleib'  unS  grteben  gnäbiglicb,  befcbjtejjt  baS  ©anje: 
feine  SBlelobte  erfebeint  roieberum  in  ber  Scnorftimme.  (5S  fönnte  SBunber  nehmen,  baß  ein  23ifd)of  eines 
fatbolifdKn  2anbeS  jenes  cvfte  2ieb,  baS  bem  9)apfttbumc  fo  cntfd)ieben  feinblicb.  entgegentritt,  als  ©egem 
ftanb  eine»  £onfaf<eS  gewählt  habe,  wenn  mir  unS  ntdjt  erinnerten,  bafj  feine  9Jielobie  mabrfd)einlicb  einem 
älteren  geijtlicfyen  Siebe  angehört,  imb  nid)t  »orauSfefcen  müßten,  baß  roobl  ber  £)rucfer  unb  Herausgeber 
jeneS  fpätere,  eben  ju  jener  Seit  ein  rcd)tcS  2Babrjctcr;cn  proteftantifeber  ©eftnnung,  bem  SEonfafje  lieber 
unterlegt  habe;  wie  ja  aud)  SBuggcnljagen  an  ben  Serien  ber  $efponforien  beS  ^efmariuS  SJlancbeS  auS= 
mfcfcen  unb  ju  beffern  fanb. 

3n  ganj  anberem  Sinne  als  SfeftnariuS,  ijl  SBetteMct  &uct$  unS  bemcrfenSmertb. 
2£ud>  bei  il)m,  mie  bei  fajt  allen  früheren  Sonmeiftern ,  haben  mir  nur  fpärlicbe  ^acbrtcfyten  über  feine 
äußeren  ScbcnSucrbältniffe.  Söalter  führt  ihn  unter  bem  9camen  T)ux  auf,  unb  gebenft  feiner  um  1539 
ju  Ulm  herausgegebenen  brei  =  unb  mcrjtimmigen  Harmonieen  ju  ben  £)ben  beS  Horaj.  (Sben  fo 
©erber*),  ber  babei  bemerft,  ber  gelehrte  Herrmann  ginef  habe  ihn  befonberS  hochgehalten.  getiS**)  führt 
an,  bafi  er  oft  nur  unter  feinem  Saufnamen  33enebictuS  üorfomme,  unb  Äteferoetter  cnblicb  fiellt  bie 
SSermutbung  auf,  er  fei  ein  £)eutfd)er  geroefen,  unb  möge  mobl  „^erjog"  geheimen  haben.  9cun 
hält  getiS  ben  beutfd)en  Urfprung  unfercS  SKcijtcrS  für  unmabrfcfycinlicb,  benn  in  ber  Stabtbüdjerei 
$u  ßambrat;  finbe  fid)  eine  banbfd)riftlid)c  SKcffe  auf  bie  SJMobie  eineS  flämifd)en  SSolfSliebeS  „Myn 
heert"  mit  ber  Scamcnbejcidmung  ßenedictus  Hertochs,  morauS  ju  folgern  fei,  ber  SDZeifter,  habe  er 
auch,  jenen  gamiltennamcn  geführt,  merbe  efyer  ein  9cieberlänber  geroefen  femt,  roie  er  benn  nur  lateu 
nifebe,  flämifcfye  unb  franjbftfd)e  ©efänge  gefegt  habe.  £)ie  leiste  33el)auptung  roiberlegt  fid}  burch, 
3ih,au'S  Sammlung,  in  ber  mir  if)n  mit  jebn  SEonfä^en  über  DJMobiecn  beutfcfyer  geiftlicher  2ieber  antreffen, 
unb  nid)t  minber  bureb  bie  gorfterfebe,  in  beren  erftem  Sbeile  (sJiro.  92)  er  mit  ber  merfttmmigen  S3e= 
hanblung  ber  Singmeife  beS  weltlichen  2iebeS:  „(Slenb  bringt  $Pein,"  auftritt,  baS  fpäterbin  burd) 
Jinauft  geiftlicb  oeränbert  vourbe.  Sft  übrigens  SBcncbict  £>uciS,  ober  ^erjog,  roie  mir  nad)  bem  8Sori= 
gen  ihn  mobl  nennen  bürften,  ber  Urbeber  ber  SEobtenftage  auf  SoSquin  beS  ^reS,  bie  mir  unter  bem 
tarnen  SBenebictuS  in  bem  7ten  SSucbe  ber  bei  SEilman  Sufato  ju  3tntmerpcn  gebrueften  ©efänge  ft'nben, 
fo  mar  er  roobl  ein  ©djüter  biefeS  großen  DJieifterS ,  l)atte  fieb  baljer  in  ben  9liebcrlanben,  ober  in  granf= 
reich ,  bei  ihm  aufgehalten ,  unb  eS  barf  nicht  befremben ,  bafj  er  oiele  ©efänge  in  ben  Sprachen  jener 
ßänber  gefegt,  unb  baf  manches  feiner  2Bcrfe  in  bortigen  Sammlungen  gefunben  voirb,  menn  er  auch  in 
ber  Shat  ein  2)eutfcher  gemefen  ift. 

Die  jehn  SEonfä^e  unfereS  9!fleijterS  in  ber  9?haufchen  Sammlung  ftnb  meift  auf  befanntc  Äircben= 
meifen  gearbeitet :  boch  finben  fid)  aud)  beren  übcr93Jelobieen,  bie  oon  ben  jef^t  jumeift  gebräuchlichen  il)rer  ßieber 
tjöltig  üerfchieben  ftnb.  So  über  eine  pbrpgifcbe  Singmeife  beS  ßiebeS:  83ater  unfer  im  Himmelreich, 
unb  über  jene  mir  olr;bifche  beS ^falmliebeS :  #d>©ott  oom.£)irnmcl  fiel)  barein***),  bie  in  SBolf  ÄbphlS 
ju  Strasburg  (1537;  herausgegebenem  Sieberbucibe,  in  bem  bortigen  großen  Äirchengefangbuche  üon  15GO, 
überhaupt  in  fübbeutfeben  9Kelobieenbücbern  häufig  üorfbmmt,   mäljrenb  in  bem  übrigen  coangelifcben 

')    m.  I.  col.  972. 
")    Uiogr.  des  musiciens  III.  p.  347. 
•")   SBeifpiel  9lro.  17. 


  195   

£>eutfcblanbc  tcffen  pbrngifcbe  SJielobie  gebräuchlicher  ift.  So  cnblid)  über  eine  borifebe  bes  ^Pfalm= 
liebes:  2ßobl  bem,  t>er  in  ©ottö  gurdjtc  flef>t.  Cb  besbalb  ber  Selker  auch  als  Sanger  biefer  9EJ2eto- 
biecn  gelten  bütfe,  muffen  wir  unentfd)ieben  laffen,  ba  nur  bie  Abweichung  bevfclben  von  ben  mehr  gang= 
baren  ibrer  lieber  barauf  ju  fcbließen  berechtigen  würbe.  9cur  einmahl  fyat  unfer  SOßeiftcr  bie  SKelobie  in 
bie  .Cberftimme  gelegt,  bei  ber  merftimmigen  SSebanblung  bes  spfalmliebes :  @s  wollt'  uns  ©Ott  genäbig 
fepn,  wo  er  bie  jweite,  »brngifebe  Singweife,  mit  ber  baffclbe  vorkommt,  bie  am  meiften  verbreitete, 
gewählt  bat.  £ter  *f  c^  bejeiebnenb,  baß  er  bie  Neigung  ber  ©runbtonart  ju  ber  ionifchen,  burd) 
feinen  gan,en  SEonfag  befonbers  hervorgehoben ,  ja ,  bie  aufjreigenten  wie  abfallenben  »brvgifcben  Son= 
fcblüffe  burchbin  ionifch  behanbelt  fogar  ben  lefeten,  ber  nur  auf  bem  forthallenben  Sd)lußtone  ber 
ÜKelobie  wieber  binübcrgeleitet  wirb  in  bas  sphrngifebc.  2Bohl  mochte  er,  neben  bem  (Ernfte,  ber  Strenge 
biefer  Sonart,  aud)  bie  SRilbc  ausbrüden  wollen,  bie  burd)  jene  Begebung  ju  einer  nahe  »erwanbten 
in  ihr  liegt,  hier  bie  Hoffnung  ber  Crrhörung  jugleid)  mit  bem  ©cbete;  wie  wir  benn  in  ber  barmonifchen 
33ebantlung  ber  Tonarten  aller  von  ihm  für  feine  Sonfä^e  gewählten  Singweifen  bas  Streben  beutlich 
ausgefprod)en  ft'nben,  bem  Safce  burd)  ben  3ufammenflang ,  bie  barmonifdje  SSejtchung,  SBebeutfam; 
feit  ju  geben,  unb  barin  fruchtbare  .Reime  harmonifcher  (Entfaltung  erfennen.  Sal)en  wir  jene  pbrn* 
gif che  Sßeifc,  faft  durchweg  in  ihrer  ionifchen  SSejicbung  gefaßt,  fo  erfd)eint  bie,  eben  jener  %m- 
art  angebbrige  bes  Siebes:  SSater  unfer  im  Himmelreich,  burch  alle  ihre  Aufweichungen  hin  faft  nur  in 
verwanbten,  nicht  ben  ihrem  melobifchen  ©ange  unmittelbar  gemäßen  SSejiebungen;  ben  vf)tt)gifcben 
Scblußfätten  iß  bie  Quinte,  ben  äolifchen  die  große  Serj,  ben  mirolpbifchen  bie  f leine  unterlegt,  unb  fte 
finb  burd)  tiefe  harmonifdje  ©runblage  in  das  Aolifche,  Sonifche,  ^hrpgifche  binübergeleitet:  jwar  nicht 
im  Sinne  ihrer  urfprünglicben  melobifchen  SBenbungen,  bod)  ift  bie  Harmonie,  burd)  welche  die= 
felben  umgcftaltet  wurden,  bem  ©evräge  ber  ©runbtonart  dabei  allejeit  treu  geblieben.  9(ur  bie  eine 
ionifebe  Ausweichung  ber  Singweife,  am  Scbluffe  ber  ßcile 

unb  willt  das  S5eten  von  uns  ba?n, 
erfebeint,  fo  melobifch  wie  barmonifcb,  als  eine  folche,  unb  wenn  ber  pbrpgtfche,  abfallende  Schluß  des 
©anjen  bei  bem  elften  (Eintritte  des  legten  SEones  ber  9)celobie  aud)  als  ein  äolifeber  erfd)eint  durch  bie  ihm 
untergelegte  £Luinte,  fo  wirb  ju  biefem  fortl)allenben  SEone  enblid)  ein  regelmäßiger  »brvgifcber  Sd)luß 
dennoch  gefunben,  burd)  bas  Sonifche  hingebenb,  unb  fo  jwei  £auptbejiebungen  ber  Sonart  bebeutfam  ju= 
fammenfaffenb.  33ei  der  jweiten  Seile  ber  mirol»bifd)en  Sßeife  bes  Siebes:  Ach  ©ort  vom  Gimmel 
fteb  barein,  ift  ber  melobifch  in  bie  ©runbtonart  jurücfgehenbe  Schluß  in  ber  Harmonie  pbrpgifd)  gefaßt, 
unb  baburd)  ber  Sinn,  fowobl  biefer,  als  ber  vierten  3eile  wohl  ausgebrüeft 

unb  laß  bich  bas  erbarmen  ;c. 
SSerloren  ftnb  wir  Armen  :c. 
Sem  borifchen  Sdjluffe  ber  »Orienten  3eile : 

ber  ©laub"  ift  auch,  erlofd)en  gar, 

wirb  bebeutfam  bie  große  Serj,  b,  unterlegt,  eine  unerwartete  SBenbung,  burch  bie  nicht  ein  fräftiger 
5Bortausbrutf  allein  hervorgeht,  fonbern  bie  auch,  vermittelft  bes  borifchen  Anf  längs  an  bie  Stelle  einer 
bejtimmten  Ausweidjung,  ber  Harmonie  eben  fo  wof)l  bas  ©epräge  bes  ©ebeimnißvollen  mittheilt,  als 
bes  (Srnftes  unb  ber  2Bürbe. 

25* 


  19G   

£errfcbt  bei  anbeten  Sonfegern  jener  Seit  mehr  ba§  Streben  »or  nach  finnrcicr/er  SBermebung 
mebrer  SRelobieen,  werben  2üßmeid)ungen,  S3ermanbtfd)aftcn  bcr  Tonarten,  bei  ihnen  meift  nur  melobifch 
gefaxt,  fofem  nämlich  jebe  einjelne  Stimme  für  ftd)  beftet)enb  betrachtet,  unb  nur  bie  Nebenforge  in  2ld)t 
genommen  mirb,  baß  tf>re  SBcrfnüpfung  mit  ben  übrigen  eine  mof)llautenbe  bleibe:  fo  erfcheinen  un§  bei 
Scnebict  £>uci§  (ober  ^Jcrjog;  Regungen  cineS  neuen  Sinnes»,  ber  bei  aller  Sorge  um  bie  Rührung  ber 
einjelnen  Stimmen,  an  ben  Sufammenflang  aller  bie  gorberung  ftellt,  baß  er  nicht  allein  mof)llautenb 
fei  im  Allgemeinen,  fonbern  auch  bie  fyarmonifcfye  33ebeutung  ber  ©runbtonart  offenbare;  biefe  Sorbe-- 
rung  feben  mir  meift  in  allen  Sd^en  biefeS  9Keifter§  »ormalten.  2Bir  haben  tt)n  baher  befonberS  bod)  ju 
halten  aß  einen  Derjenigen,  burd)  meldte  bie  in  ber  legten  4?älfte  be3  löten  ^ahrfmnberß  erfd>loffene 
23lüthe  ber  heiligen  Sonfunft  üorgebeuter,  unb  roefentlid)  mit  gejeitigt  rourbe. 

(Snbltch  müffen  mir  noch,  ehe  mir  von  ihm  fcheiben,  feiner  »ierftimmigen  33ef)anblung  uon 
SutherS  Siebe :  ,,SRnn  freut  euch  lieben  ßhriftcngmein''*)  gebenden,  (Sr  hat  beffen  Sölelobte  in  ben  Senor 
gelegt,  unb  läßt  biefen,  3etle  für  Seile,  biefclbe,  ofme  ^Begleitung  ber  übrigen  Stimmen,  »ortragen  aß 
SSorfänger,  bann  »ereinen  ftcb,  alle  mit  ifjm  ju  »ollem  6f)ore,  in  meinem  feine  Stimme  auSfchliefjenb 
ben  £au»tgefang  füfjrt  —  bie  le^te  Seile  aufgenommen  —  fonbern  biefer  auf  ber  ©efammtharmonie  aller 
nur  »erhüllt  l)inburd)flingt.  der  angenehme  glufj  beS  ©cfangef  in  allen  Stimmen,  ba§  Weitere  ©cpräge 
thre§  3ufammenf  langes,  fßiegelt  bie  Stimmung  »ollrommen  mieber,  bie  in  bem  Siebe  »orherrfcht.  Aud) 
hier  müffen  mir  ben  SQieiftcr  au§gejeid)net  nennen;  bie  »on  ihm  gemalte  §orm  be§  $£onfa£ee>,  ber  SBechfel 
be§  ©injelgefangeg  unb  bes>  »ollen  @hore§,  eine  feltene  um  jene  Seit,  ja,  »on  if)m  mof)l  juerft  angemenbete, 
bemdfjrt  feinen  feinen  Sinn  für  3lngcmcffenl)cit,  unb  jeigt  itm  aß  äderen  Äünftler,  ber  nicht  allein  finnreidb, 
jufammenfügt,  fonbern  »on  innen  herauf  »ahrhaft  geftaltet. 

Sßeniger  bebeutenb  aß  biefer  SJieifter  erfd)cint  auf  bem  ©ebiete,  baf  mir  je£t  betrachten ,  3  t  rt 
&  ietvid>,  lateinifch  aß  Sixtus Theodoricus  aufgeführt.  ©ottfricbSBalter  (p.208)  »eif?  über  tf>n  nid)t 
mehr  ju  berichten,  aß  baß  er  jußonjknj  gelebt,  unb  bem  ©larean  für  fein  Dobccachorbon  mehrere  SSonfälje 
mitgetheilt  habe,  ©erber  in  feinem  älteren  2Borterbud)e**)  ermähnt  nod)  feiner  um  1541  bei  9?bau  herauf 
gegebenen  3ö  Antiphonieen,  unb  eincf  fiebert  Saljre  früher  (1534)  ju  Strasburg  erfchienenen  ©rabgefangef 
auf  Stomas  Sporer,  ben  gürften  ber  Sonfünftler  (Epiccdion  Thomae  Sporeri ,  Musicorum  principis). 
2öalterf  unb  feinen  eigenen  33erid)t  fchmil^t  enbtidb  berfelbe  ©elehrte  in  feinem  neuen  2B6rterbud)e*")  ju= 
fammen,  inbem  er  nur  noch  et'neä,  um  1545  bei  9?hau  gebrudten  „Opus  musicuro"  »on  Sirt  Dietrich 
gebenft. 

©eorg  9?hau,  mit  bem,  nach  eben  mitgeteilten  Nachrichten,  Sirt  Dietrich  in  nahem  8Ser= 
fehre  gelebt  haben  mirb,  theilt  unf  fiebert  SSonfäfje  biefef  SDZetfterf  mit  in  feinen  123  Siebern  für  bie  gemeü 
nen  Schulen.  Sie  finb  meift  fliefienb,  fangbar,  einfach  gefchrieben;  in  feiner  »icrjtimmigen  SBehanblung 
ber  ionifchen  2Beife  be§  SiebcS:  ,,'2lu§  tiefer  Noth  fd}rei  ich  bu  bir/"  W  faft  burchgängig  Zon  gegen  Zon 
geftellt.  3n  bie  Cberjiimme  hat  er  bagegen  bie  SKelobie  niemaß,  fonbern  immer  in  ben  SEenor  gelegt. 
Wit  3ohannes  Stahl,  »on  bem  mir  fpäter  reben  merben,  hat  er  eine  ungembhnlichere,  ionifd)e  3Beife  be$ 


')    SBcti'piel  "ülro.  18. 
")   I.  col.  310. 
—)    I.  col.  890.  891. 


  197   


SiebeS  gemein:  „Sßater  unfer  im  Himmelreich/'  bie  unS  bei  jenem  SOZctflcr  befcbäfttgen  wirb.  9cur  brei 
SEonfdfjc  über  weltliche  Sieberweifen  ftnben  wir  von  ©frt  iSietrid)  in  SorjIer§  (Sammlung  frifcber  beutfct)er 
Siebtem;  jwei  in  beren  erftem,  einen  in  ihrem  jweiten  Steile,  von  benen  im  SBefentlichen  baffelbe  ju  fagen 
ift  als  von  feinen  geglichen  ©efängen. 

Über  Supud  J&elltntf,  von  bem  in  unferer  Sammlung  elf  Sonfäfce  ft'cf>  finben, 
erfahren  mir  burd)  "#nbere  eben  nicht  mehr  alS  fein  SSorfommcn  in  bevfelben,  unb  waS  barauS  ohnehin 
unmittelbar  gefcbloffen  werben  fann.  9lur  ©erber  bertd)tet  unS*)  bafü  (gegen  1550;  £errmann  gtnd  feiner 
als  eines  vorjüglicben  SEonmeifterS  gebenfe.  25arauS,  bafs  in  gorfkrS  Sammlung  fein  etnjiger  Sonfatj 
von  ihm  vorfommt,  bürften  mir  fchliefjen,  bap  er  auSfd)liefknb  ber  fird)lid)en  Sonfunft  feine  .Kräfte 
gemibmet  fjabe,  ober  in  weltlid)cn  Siebern  nid)t  glüdlid),  minbeftenS  boct)  nicht  beliebt  gewefen  fei. 

2BaS  feine  geiftlicben  Sonfäfje  betriff,  fo  neigen  ftd)  biefe,  mehr  ober  weniger,  ju  motettenl)after 
33el)anblung  Inn.  2fu§  ben  einjelnen  SBenbungen  ber  Singweife  eines  SiebeS  webt  ft'dt>  burd;  Nachahmung 
in  ben  verflochtenen  Stimmen  baS  ©anje  jufammcrt,  bie  9)lelobie  jirömt  nid)t,  als  .^auvtgefang,  unver= 
mifd}t,  ungebrod)en,  burd)  baffelbe  t)in.  2£udt)  ftnben  wir  <Säf|e,  bie,  ot)ne  auf  einer  beftimmten  <Sing= 
weife  als  it>rer  ©runblage  ju  ruhen,  ein  freiem  ©ewebe  biefcr  llxt  barftellen,  wie  ber  über  bie  2öorte  beS 
ßiebeä  gearbeitete:  2Bol)l  bem  ber  in  ©ottS  gurd)te  fielet;  ©dlje,  bie  unS  hier  nid)t  befd)äftigen  fönnen. 
9ßur  jweimabl,  bei  ben  Sonfäfjen  über  bie  5DWobie  beS  SiebeS  Sttarfgraf  @afünirS:  „ßavitan  £err 
©ott  unb  SSater  mein"  (ülxo.  110)  unb  über  bie  »l;rwgifd)e  Sungmeife  beS  $>falmliebeS :  „2(uS  tiefer 
9lotb  ic.  bat  ber  9JZeifter  bie  SRelobie  obne  ßinfd)altungen  aB  fejten  ©efang  in  bie  Senorfttmme  gelegt. 
3n  ber  Sberftimme  fömmt  fte  bei  tl)m  nicht  vor.  2lnfd}einenb  ift  bieg  jwar  ber  $att  bei  ber  vierftimmigen 
SSebanblung  ber  SEÖeife  beS  9)falmliebeS  »on  SBolfgang  £)ad)ftein:  ,,%n  SBafferflüffen  SSabwlon**)/'  eine 
^Bearbeitung,  bie  wir  nebft  bem  Sonfa^e  über  bie  je£t  nod)  gebräuchliche  SORelobie  beS  Spcnglerfd)en 
SiebeS :  ,,©urd)  #bamS  %aU  ift  ganj  verberbt,"  hier  um  beSwillen  ju  näherer  Betrachtung  auswählen, 
weil  beibe  bie  früheren  Sonfä^e  über  jene  Söeifen  ftnb,  bie  wir  aufjufinben  vermochten.  3n  jenem  ^)falm= 
liebe  erfcheint  nun  jwar  bie  9Jlelobie,  bis  ju  ben  SBorten  ber  ft'ebenten  3cile  beS  SiebeS : 

"Un  ihre  S3äum'  ber  SBetben 
unveränbert  in  ber  £)bcrjtimme,  allein  nicht  ungebrochen ;  ihr  Sluß  wirb  burd)  mancherlei  frembe  Swtfcbem 
fäge  gehemmt.  Sann  geht  fte  in  bie  SenorfTimme  über,  ebenfalls  nicht  ohne  ßinfchaltungen  5  mit  ben 
legten  beiben  Seilen  fehrt  fte  jurüd  in  bie  £)berftimme,  gebrochen  unb  gehemmt  wie  juvor.  SJlan  fann 
ihre  einjelnen  ©lieber  auS  bem  ©anjen  jufammenlcfen  unb  fte  wieber  vereinigen,  bod)  wie  eS  einmal)l 
befiehl,  ftnb  fie  burct)  baffelbe  hin  jerftreut.  Sie  Gelobte  beS  SiebeS :  £)urd)  2lbamS  gaü  ic.  ift  jwar  nur 
in  ber  Senorftimme  von  ^eüindS  Sonfa^e  ganj  vollftänbig  ju  ftnben.  Sebod)  iji  fte  nid)t  allein  fdjon  an 
ftd)  felbjl  burd)  frembe,  ja  entjlcllcnbe  Dehnungen  veränbert,  fonbern  hinter  ihren  einjelnen  Seiten  folgen 
SSBieberhoiungen  unb  ©infdn'ebfel,  fo  bap  bei  biefer  2Crt  von  S3eh«nblung  fte  nicht  rein  aufgefaßt  werben 
fann.  —  Übrigens  treten  bie  einjelnen  ©lieber  unferer  ©ingweife  in  ber  Senorftimme  nach  jiewlich  gleid)= 
gemeffenen  3wifd)cnräumen  in  ben  ©efang  ber  übrigen  ein,  welche  bis  ju  ihrem  Eintritt  Anfangs  jwei=, 
bann  breifiimmige  S3or=  unb  3wifd)enfviele  forüveben  (bafü  wir  fte  fo  nennen),  für  welche  fte  auS  ihnen  bie 
©runbwenbungen  entlehnen. 


')    I.  col.  629. 

")   SBcifpiet  9lro.  19. 


  198   


23on  3SoIf  »<?ctnj  enthalt  bic  (Sammlung  SJbau'S  für  bic  gemeinen  «Schulen  nur  j»ei 
vierfttmmige  SEonfäfce:  ben  einen  über  SutberS  Sieb :  „ßln'iß  unfer  £err  jum  Sorban  tarn,"  ben  anbern 
über  ben  alten  ^fmgftgefang :  „9hm  bitten  mir  ben  heiligen  ©eift."  9Kan  bat  biefen  Meifter  roobl  für 
bat  Sänger  ber  Melobte  jenes  JSatedjtSmuSltebeö  gehalten,  »eil  man  feinen  tarnen  über  bem  £on= 
fafce  beffelben  mäft  auf  biefen,  »ie  man  gefollt,  fonbern  auf  jene  bejogen  bat.  £>aS  frühere  SSorrommen 
jener  SBcife  mit  bem  ^falmliebe:  es  »ollf  unS  ©Ott  genäbig  fepn,  »iberlegt  jenen  3rrtl)um  auf  baS 
ffiünbigfte.  Demnach  gebort  ber  frübefte  Sonfalj  über  unfere  aJcelobieSobannSBalter  an  (1524);  biefe  felbft 
aber  eignet,  »ie  »ir  auSjufübren  gefud)t,  urfprünglid)  »obj  einem  weltlichen  Siebe,  ©ben  fo  pflegt  2Bolf 
£ein$  aB  einer  ber  oorncbmften  Mitarbeiter  SutberS  genannt  ju  »erben  bei  einfübrung  eines?  beutfeben 
gcifllid)cn  ©efangeS.  Aud)  hierüber  fehlt  eS  an  S5e»eifen.  eine  nahe  S5cjiel)ung  SutberS  ju  ibm  ift  nur 
in  beffen  Schreiben  ju  ftnben,  baS  er  um  1543  am  Dienftage  nach  9cat»itatiS  SDZavtd  an  ibm  nach  4?äUe 
erlief,  ihn  über  ben  SBerluft  feiner  ©attin  ju  tröften.  3n  biefem  l)errfct)t  allerbtngS  ein  herzlicher,  üertrau= 
lieber  £on*).  „Unfer  $err  ßbrifruS,  ben  ihr  lieb  habt,  unb  fein  SBort  ehret,  ber  »irb  eud?  trbften  (fagt  er 
barin)  unbfolche  Anfechtung  ju  eurem  SSeften,  juuor  ju  feiner  ehren,  »iffen  ju  anbern.  eurer  lieben  £auS= 
frauen  tft  beffer,  ba  fte  ifet  ift,  benn  ba  ft'e  bei  euch  war.  ©Ott  helfe  euch  unb  unS  allen  feliglich  bienieben, 
obS  »ol)t  ohn'  SSrauren  nicht  jugehen  fann  unb  foll.  Den  SeufelSf  opf  in  Mainj  unb  feines  ©leiden  laßt 
»einen,  baS  ftnb  recht  elenbe  Seute."  Mit  biefem  tarnen  meint  Sutfjcr  ben  GEarbmal  ßlnirfürjten  'Wibrecht 
oon  Mainj,  SSrubcr  3oachim§  beS  erften  v>on  SBranbcnburg ,  in  beffen  Dienftcn,  aB  erjbifdjofS  »on 
Magbeburg,  SBolf  £einj  ju  «£>aUe  ftanb.  Siefen  bebauert  er,  aB  einen  elenben  Mann,  ber  won  bem  reinen 
Söorte  ©otteS  ft'd)  abmenbe ;  nur  fold)e  hält  er  für  bebauerlich ,  nur  ihnen  mißt  er  gered)te  Urfache  bei  ju 
Shränen,  nicht  bem,  ben  eine  üon  ©Ott  ju  feinem  ^)cil  gemeinte  Srübfal  unb  Anfechtung  treffe. 
Mein  eben  »egen  biefer  Anbeutung  bürfen  »ir  immer  noch  nicht  ein  nal)eS,  vertrauliches  S3er= 
bättniß  oorauSfefjcn  j»ifd)en  Sutber  unb  #etnj.  Sutber  liebte  ju  trbften ,  unb  auS  bem  SBorte  ©otteS 
$u  trbften,  barauf  hinjumeifen,  baß  von  bal;er  in  ber  Siebe  unb  im  ©lauben  Sinberung  fließe  für  jeglid)eS 
Seib,  unb  baß-nur  ber  fbnne  troftloS  genannt  »erben,  ber  fein  entbehre.  es  lag  ihm  nahe,  eben  in  biefem 
Sinne  ben  funftreid)cn  geiftlid)cn  Sonmcifter  feinem  $errn  gegetutbcr$uftellen,  unb  er  nahm  biefer  ©elegen= 
beit  »ahr,  »ie  er  benn  gern  ben  in  ber  jtunfi  ausgezeichneten  Männern  feiner  Seit  nahe  ftanb.  Aud)  ift 
biefer  Srofibrief  fein  einjtgeS,  an  unferen  Meifter  gerid)teteS  (Schreiben,  fo  viel  »ir  »iffen. 

eine  SSeranlaffung,  ihn  bamit  ju  bebenfen,  mod)tc  er  »ol)l  noch  in  einem  anberen  Umftanbe 
ftnben.  2Bolf  $eitij  hatte  einige  3<*l)re  juttor  ftd)  einem  Unternehmen  angefd)loffcn,  baS,  »enn  auch 
ben  ©efang  beutfeher  geijllicher  Sieber  bcgünfh'gcnb,  bod)  gegen  Sutl)er  gerichtet  feheinen  fonnte.  3u 
Dem  ©efangbudje,  baS  2).  Mtd)ael  S3eh ,  StifBpropfl  ju  $aUe  /  im  S^hvc  1537  ju  Seidig 
bei  Elidel  SSBolrab  bruden  ließ,  hatte  er  einige  Singmeifcn  erfunben.  2Bir  erfahren  biefeg  au3  ber  3ufd)rift 
-  beö  Herausgebers  an  ßafpar  Äuerhamer,  StatbSmcifter  ju  Sr>Me.  ,,3d)  h^b'  in  furlj  oerfdn'enenen  Sagen 
(^fagt  jener  barin)  etlid)  get)filid)e  lieber  unb  lobgefeng,  jum  tepl  »on  ben  Alten,  jum  thewl  »on  e»er 
»epßheit,  »nb  einem  anber  gutherzigen  ßhrifien,  auß  bem  ©oangelio,  ^falmcn  »nb  hewliger  gefchrifft, 
ju  fbrberung  ber  Anbacbt  »nb  mchrung  göttliches  lobS  gemacht,  in  ein  ©cfangbüd)lein  ju  Ijauff  getragen. 
Die  melobeien  ber  alten  Spber,  aud)  etliche  ton  S.  SB.  gemad^t,  onoerenbert  (äffen  bleiben,    etliche  aber 


•)    bc  2Bctte  V.  (Nro.  5104.  p.  589). 


  199   


fpnt  oon  ben  mirbigen  «£>errn,  unn  in  ber  9ftufica  berümptcn  SDiciftern,  Sodann  £offman,  mib  2Bolf^ 
gango  Heinsen,  beS  £odnr>ürbigftcn  Durcblaucbtigftcn  min  bocbgcbornen  gürften  r>nb  Herrn,  £errn 
tflbrecbten,  ber  (jetjligen  Stom.  fird^en  ßarbinalS,  ßrfcbifcboffS  SDiennfe  vnb  SDiagbenburg  k.  tc.  meines 
gnäbigfien  £errn  runfhcicbcn  organijten,  »on  neu  wen  mit  fleifj  gemachet  roorben.*'  Diefe 
geiftlicbe  Sieberfammlung  Michael  SSebS  gilt  gemeinhin  als  eine  folcbe,  beren  Herausgeber  eine  entfcbieben 
fernbliebe  Stellung  gegen  ilutlicr  angenommen  habe.  (5S  ift  in  ihr  jeboeb  nichts  anzutreffen,  mobureb  biefe 
SSorauSfefcung  gerechtfertigt  mürbe,  <Sie  ift  unjmeifelbaft  im  «Sinne  ber  alten  Äucbe  jufammengetragen, 
iebod)  in  ber  frommen  Slbftcbt,  „bafj  etliche  gepftlicbe  vmoerbecbtlicbe  gefanglpber  mürben  angeriebt,  melcbe 
r>om  gemeinen  Sanen ,  ©ort  $u  lob  »nb  ehren,  ju  aufermeefung  beS  gepjleS,  onb  anreifeung  ber  anbaebt 
mbdncn  in  onb  auf  er  ber  fachen,  »or  r»nb  nad?  ber  prebig,  auch  jur  jeit  ber  gemeinen  bittfarten,  r»nb 
ju  anbern  t)ct)ltgen  gejeitten  gefungen  werben."  DeS  Sammlers  2lbfid)t  mar  eS  alfo,  baS  2Ctte  feftbaltcnb, 
»on  ber  neuen  Srtnung  beS  firdblicben  ScbenS  baSjenige  aufzunehmen,  maS  ft'cb  als  beilfam  unb  ermeeflieb 
bemiefen  batte.  Cjin  milber,  r>erf6bnlid)er  Sinn,  ber  ftcb  überall  bei  ihm  betätigt,  giebt,  neben  feinen 
eigenen  fo  eben  mitgetbeilten  SBorten,  ein  fidjereS  3cugnifj  baoon,  baf?  eS  alfo  gemefen.  2Cucb  ba  felbft, 
mo  er  in  bem  »on  ibm  v>eränberten  2lbenbmablSliebe :  ,,ScfuS  (EbrijluS  unfer  £>eilanb"  ben  ©ebraud)  ber 
alten  Äircbe  rechtfertigt,  bem  jufolge  fte  ben  £anen  baS  2(benbmabl  nur  in  einer  ©eftalt  barretebe,  ermahnt 
er,  über  bem  Disputiren  bie  Siebe  nidit  einjubüfjen,  unb  ben  ©lauben  mit  ber  Sbat  ju  bemeifen.  Allein 
in  jener  gcmaltig  aufgeregten  3ett  mod)te  eS  leicht  gefebeben,  bafs  biefe  SOttlbe  unb  SSerfobnlicbfeit,  fofern  fte 
bod)  ftetS  ihr  gehalten  an  bem  hergebrachten  befannte,  für  bie  gefäbrlid)fte  geinbfebaft  galt  gegen  baS 
reine  ©ottcSmort,  baS  man  eben  in  jenem,  ber  eignen  Siebe  beS  Herrn  wiberfpreebenben  ©ebrauebe  um  fo 
bringenber  gefäbrbet  glaubte,  je  freunblicber  unb  liebeüoller  bicCirmabnung  ju  feinen  ©unften  erfebien.  @al)e 
man  in  33ann  unb  SBerroünfcbung  beS  „alt  böfen  geinbeS  grofe  Stacht,"  fo  fanb  man  „oiel  £ift"  in 
bemjenigen,  baS  25et>,  mie  unS  nicht  jmetfelbaft  fewn  mirb,  in  einfältig  frommem,  aufrichtigem  Sinne 
gerebet.  Dabin  mochte  auch  ßutberS  Anficht  geben ,  unb  beSbalb  feine  Meinung  fepn,  ben  Mcifter,  ber 
an  SScbS  Unternehmen  Sbeil  genommen,  ulS  einen  nicht  allein  funjtretcbcn,  fonbern  auch  frommen  Mann, 
bei  einem  ihm  tief  ju  Herjen  gebenben  ©reigniffe  bureb  eine  leife  2lnbeutung  In'njumeifen  auf  baS  reine  Söort 
©otteS  als  ben  rechten  Sroft,  ihn  ju  roarnen  t>or  benjenigen,  bie  ihn  bawon  fbnnten  abmenbig  machen. 
2Bir  mürben  unS  fonfi  bie  ^inmetfung  auf  feinen  Sr>mn,  unb  feines  ©leieben  nicht  ju  erflären  miffen,  fte 
mürbe  ungehörig  unb  jmetfloS  erfd)einen ;  nur  fo  ftimmt  fte  $u  bem  übrigen  Snbalte  beS  SkiefeS.  ©inen 
Mitarbeiter  ßutberS  auf  bem  ©ebiete  beS  ÄircbengefangeS  bürfen  wir.banad)  2Bolf  He'nS  nicht  nennen, 
auch  fehlt  eS  unS  an  allen  9fcacbrid)ten  barüber,  baft  er  twr  bem  Sabre  1544,  ein  Säbr  nach  jenem  33riefe, 
bie  Melobie  auch  nur  eines  lutberifdjen  Siebes  gefegt  habe,  mie  er  ja  felbft  bamalS  überhaupt  nur  mit 
menigen  Sonfä^en  in  Svbau'S  Sammlung  auftrat.  @ben  aud)  nur  beren  jmei  finben  mir  in  bem  2ten Steile 
»on  gorfterS  frifeben  teutfehen  fiieblein,  unb  bie  Nachricht,  bap  man  in  2tmerbacbS  Sabulaturbucbe  (1571) 
mehre  feiner  Sonfd^e  ftnbe,  ift  babin  ju  berid)tigen,  bap  bort  unter  „ben  gecolorirten  Stüdlein"  nur 
einer  bergleicben  gefunben  mirb,  auf  bie  SKelobie  beS  SiebeS: 

©ar  bod)  auf  jenem  SSerge 

ba  ftebt  ein  Sfautenfträucbelein, 
ber  eine  Tinlage  jeigt,  mie  mir  fte  bei  oielen,  geiftlichen  unb  meltlicben  ftrophifd)en  ©d^en  jener  3eit  finben, 
ber  Ttrt  nämlich,  bap  bie  beiben  £)berftimmen  nach  Beilen  ober  3eilenpaaren  bie  in  bie  böcbfte  gelegte 


  200   


©ingmeife  alS  eine  2lrt  SSor  =  ober3mifcbenfüiet  ausführen,  unb  biefe  bann  erft  mit  »ollftimmigerSBegleitung 
im  Senore  auftritt. 

fragen  mir  enblid) :  meiere  Sftelobieen  beS  §3ehfchen  Steberbud>e§  bie  »on  4?emj  erfunbenen 
fenen?  fo  ift  barauf  eine  genügenbe  tfntmort  nicht  ju  geben.  SRux  fo  »iet  miffen  mir,  baß  biefe  ©ammlung 
viererlei  ©ingmeifen  enthalt,  alte  juerfl  unb  bann  neue,  »on  bret  Sonfünftlern  herrührenbe :  bem  ©bnner 
beS  £erauSgebcrS,  ßafpar  £luerhamer,  unb  ben  beiben  ßhunrtainjifchen  £>rganiften  3ohann  ^offmann 
unb  Söolf  ^>einj  ju  Spotte.  SSon  ben  47  SKelobteen,  bie  unS  im  ©anjen  geboten  merben,  ftnb  nun  18 
urfunblich  alteren  UrfprungS,  eS  bleiben  alfo  29  als  ^eroorbringungen  jener  SEReifjer  übrig.  @S  fehlt 
aber  an  aller  ^nbeutung,  nach  ber  mir  einem  jeben  unter  ihnen  bie  feinigen  aneignen  fönnten.  Die  beiben 
©ingmeifen,  bie  t>ter  ju  bem  SBittliebe  auS  bem  ^)falm  „(Erbarm'  fiel)  unfer  ©ott  ber  £err"  gefunben  mer= 
ben,  bie  eine  pl)n;gifd)er,  bie  anbere  mrrolwbifcher  SSonart,  eignen  auch,  bem  ßiebe  ßubmig  SlerS  über  ben 
3ten  spfalm :  $crr,  mie  ftnfe  meiner  geinb  fo  »iel"  unb  ßutherS  ßiebe  über  ben  12ten :  ,,2ld)  ©ott 

»cm  £immet  fiel;  barein;"  eben  fo  fleht  bie  fpdtere  tonifche  SBeife  beS  lutherifchen  ^PfalmliebeS:  ,,2luS 
tiefer9cotf)  fd)rei  id)  ju  bir,"  hier  neben  bem  einleitenben  ßiebe:  ,, Unfer  Suftucht  o  ©ort  bu  bift,"  auf  mel= 
d)eS  baS  Später  unfer  folgt.  SSir  fbnntcn  »orauSfefcen,  an  ihnen  SOielobieen  ber  genannten  brei  SJleifter  ju 
beft^en ,  bie  man  nachher  für  jene  anberen  ßieber  entlehnt  habe,  erfdjtenen  bie  julefjt  genannten  beiben  nicht 
gleichzeitig  in  ©übbeutfchlanb ;  wollten  mir  hierüber  hinmeggehen,  fo  müßten  mir  bod)  immer  bahin 
gefteUt  fe»n  laffen,  meinem  jener  bret  ft'e  angeboren,  (Sinen  fiebern  33emeiS  aber  giebt  unS  bie  nur  ober- 
flächliche Nachricht  über  bieUrhcberfchaft  jener  brei  SDZeiff  er  baüon,  baß  in  ber  erften  ^älfte  beS  ICten  3ahr; 
bunbertS,  fo  fehr  man  auch  bie  5£refltd)feit  einer  ©ingmeife  ju  fchi^en  mußte,  bennod)  bie  Sfjätigfeit 
beS  ©ängerS,  (SrftnberS  berfelben,  faum  jur  Äunft  gered)net  mürbe.  S^ur  bie  beS  ©efcerS  galt  ba= 
für,  beShalb  mürbe  aud)  nur  fein  9came  bei  feinem  Sonfajje  auSbrüdlid)  genannt. 

Über  ^ciuinncö  &tahi  miffen  mir  eben  nichts  2lnbereS,  als  baß  er  mit  jmei 
Sonfä^en  in  unferer  Sammlung,  ju  ber  mir  nun  jurüdf ehren ,  erfdjeint,  unbejmeifelt  alfo  ber  er* 
ften  ^älfte  beS  16ten  Sal)ti)imbcrtS  angehört.  Der  erfie  berfelben  (sJfro.  50)  ift  bie  »ierftimmige  33ehanb= 
lung  einer  ionifd)en  Sttelobie  beS  SBet*  unb  ÄatechtSmuSltebcS  SSater  unfer  im  Himmelreich /  berfelben,  bie 
aud)  ()Rxo.  51)  ©irt  Dietrich  gefegt  hat.  @r  jeidmet  fid)  auS  burd)  leichte,  fangbare,  gefällige  SBenbungen 
ber  begleitenben  ©timmen  gegen  bie  im  Senor  liegenbe  SKelobie;  man  barf  ihn  als  angenehm  unb  mohl- 
flingenb  rühmen,  ohne  baß  er  höhere  "tfnf»rüd)e  befriebigt.  Söeniger  gemanbt  ift  bie  ©ttmmfül)rung  in  bem 
fünfftimmigen  ©a^e  über  bie  bekannte SJMobie  beS  SBcgräbnißliebeS :  „9?un  laßt  unS  ben  ßeib  begraben*)," 
mclche  hier  ebenfalls  im  Senor  erfcheint,  bod)  mit  ber  furjen  (Sinfchaltung  einer,  borifd)  enbenben,  fremben 
SSenbung  ju  ben  Sßorten  ber  ©chlußjeite,  auf  meld)e  erft,  ju  eben  jenen  SBorten,  ber  urf»rünglid)e,  le^te 
'Kbfafe  ber  ©ingmeife  folgt,  gehlt  eS  biefem  ©efange,  bem  juerft  bef»rod)cnen  »crgltd)en ,  an  gleicher  ©elb= 
ftänbigfeit  unb  ©angbarfeit  ber  begleitenben  ©timmen,  —  ein  Langel,  ber  »ielleid)t  burd)  ben  Ganon  jmi= 
fehen  bem  melobieführenben  Senore  unb  bem  jmeiten  2llte  »eranlaßt  mirb,  ber  ihnen  einigen  3v»ang  aufer= 
legt  —  fo  ifi  bagegen  auf  bie  SScbeutfamfeit  ihreS  3ufammcnflangeS  mehr  9?üdfid)t  genommen  als  bort, 
©o  ift  bem  erften  ©d)lußfalle  ber  SBeife,  ber  fid)  nad)  f,  beren  ©runbtone,  hinmenbet,  unb  bem  britten, 
ber  nad)  d  ,  bem  »erfefjten  'Üolifd)en,  gerichtet  ift,  beibe  9JJal)le  b,  bie  Unterquinte  beS  ©runbtonS,  imSBaffe 


•)   SBeifpiel  9lro.  20. 


  201  — 


untergelegt;  ein£on,  ber,  nad)  ber33erfd)iebenbett  ber  melobifcben  SBenbung,  baS  erfteSUlabt  als  fold)e,  baS 
jwette  9DZaI)[  als  große  Unterterj  erfd)eint,  bie  #uSweid)ung  alfo,  ift  fte  aud)  bie  gleiche,  burd)  tb,r  SSer= 
bältniß  ju  ber  SJielobie  unb  bem  in  tf>r  SBorangebenben  als  eine  »erfcfyiebene  erfd)einen  läßt.  £)iefe  gleiche 
unb  bennod)  fo  abweicbenbe  SBenbung  begleitet  bie  Süßorte  beS  SiebeS:  „begraben"  unb  „auffiel) n," 
bie  in  ihm  einanber  gegenübcrgeftellt  ftnb ,  unb  eS  ijl  nid)t  ju  bezweifeln,  baß  ihnen  ber  9Jceijter  burd) 
feine  S3etonung  einen  größeren  9lad)brucf  habe  geben  wollen.  3n  SorjferS  Sammlung  erfcbeint  S,  ©tal)l 
nur  mit  einem  einjigen  Sonfa&e  ju  fünf  Stimmen. 

&|>Pt!ttt$<2>t0lje*,  ber  in  9tl)au'S  ©ammlung mit  fed)S  Sonfäfjen  unb  mit  eben  fo  Wielen 
in  bem  erjten  Steile  von  ©eorg  gorfierS  frifd)en  beutfd)en  ßtebletrt  v>orfommt,  foll  auS  ©dhweibnifj  gebürtig 
unb  um  1520  ßapellmeifter  beS  ÄönigS  Subwig  t>on  Ungarn  gewefen  fepn:  ^ermann  gind  fotl  ihn  unter  bie 
erflen  Weiftet  feiner  Seit  gerechnet  haben.  SÖZet>r  als  biefe  bürftigen  Angaben  fbnnen  mir  über  feine  SebenS= 
oerbältniffe  nicht  beibringen,  ©eine  geglichen  Sonfd^e  bebanbeln  jumeift  ältere  SDielobieen :  bie  beS  3ubaS= 
liebes ;  jmeimabl  baS  ©efpräd)  (S^rtjit  unb  beS  ©ünberS :  „£>  ©ott  SSater,  bu  haft  ©ewalt",  ein  mit  S5ei= 
bebaltung  feiner  ©tngweife  geiftlid)  umgebid)teteS,  weltliches  Sieb:  SD  Suptter,  betftu  ©ewalt;  bie  SBeife 
beS  SEBallfabrtSliebeS :  Sn  ©otteS  tarnen  fabren  mir;  beS  SfterliebeS :  <5t>rift  ijt  erftanben.  Unter  feinen  von 
^orfier  aufbehaltenen  weltlichen  ©efängen  ftnben  mir  jwei,  beren  ©ingweifen  fpäter  eine  g eiftlicfye  S5efttm= 
mung  erhielten :  ber  eine  burd)  eine  Umbid)tung  ÄnauftS,  welche  bie  erfte  Seile,  unb  mbgltchft  auch,  ben 
ganjen@ang  beS ©ebid}teS,  ju  beffen  SÖMobie  beibehält:  ,,3d)  flag'  ben  Sag  unb  alle  ©tunb'";  ber  jweite, 
eine  SiebeSf  läge :  „ßntlaubt  ifi  unS  ber  SBalbe",  burd)  Übertragung  feiner  9Beife  auf  ein  gan$  neues 
Sieb:  „3er;  banf  bir  lieber  £erre",  einen SJZorgengefang.  %n  bemSonfa^e  über  bieüUWobie  beS  2BalifabrtS= 
liebeS :  ,,3n  ©otteS  tarnen  fabren  mir"  erfdjeint  biefelbe  in  ber  ^weiten  2>iSfantftimme,  um  eine  £luinte 
aufwärts  »erfefjt,  unb  mit  einem  fte  tbeilmeife  wieberbolenben  Anhange.  33ergleid)en  mir  biefelbe,  mie  fte  l)ier 
gegeben  wirb,  mit  ber  ©eftalt,  in  ber  fte  unS  burd)  £einrid)  SindS  Steber  geboten  wirb,  fo  ftimmt  fte 
btefer  jwar  nicht  in  allen  einzelnen  SBenbungen  überein,  bod)  in  ben  wefentlid)en  ©runbjügen,  namentlid) 
bem  rl)ptbmifd)en  S5aue  unb  ber  Sonart.  Senn  ift  fte  bort  in  bem  Umfange  üon  G  aufgezeichnet,  mit  95ei-- 
fügung  eines  b  neben  bem  ©d)lüffel  wegen  ber  fleinen  £erj,  fo  ftel)t  fte  hier  in  D,  beffen  Sonretbe  bie  Heine 
Serj  fd)on  urfprünglid)  mit  ftd)  führt.  'ÄuffaEenb  nur  bleibt  eS,  bafj  ber  Sonfafc,  in  feiner  ©efammtbeit 
aufgefaßt,  bie  harte  Sonart  oon  G  barjtellt,  b>r  alfo  ftd)  baffelbe  mieberbolt,  waS  wir  juoor  fd)on  bei  brei 
Sonfä^en  über  bie  SBeife  beS  weltlichen  SiebeS  ,,£)ie  SSrünnlein  bie  ba  fließen"  bemerkten.  £)em  ©a^e  ift 
nid)t  baS  ganje  Sieb  unterlegt,  fonbera  nur  beffen  erfte  jwet  Seilen:  ,,Sn  ©otteS  tarnen  fabren  wir,  feiner 
©naben  begehren  wir".  2Bie  inbeß  baffelbe  bei  §ind  erfd)etnt,  unb  wir  eS  bei  ©elegenbeit  beS  S5erid)tS 
über  bie  älteren  beutfd)en  geiftlid)en  Sieber  vor  berÄird)enüerbefferung  mittbeilten,  paßt  eS  üollfommen  unter 
bie  ibm  tjier  ju  ©runbe  liegenbe  9Ketobie.    9?bau  l)at  alfo  t>ielleid)t  an  ben  Seilen 

baS  belff  unS  bie  ©otteSfraft 

unb  baS  beitige  ©rab, 

ba  ©ott  felber  innen  lag 

einen  TTnjloß  gefuitben,  unb  fte  nid)t  für  rein  eoangelifd)  gehalten,  ober  bei  obwaltenbem  3weifel  baS  Unter* 
legen  einer  freien  Umbid)tung  oorbebalten  mollen.  ©toljerS  Sonfa^e  führt  bie  £)berftimme  (mit  3wi= 
fd)enfä^en)  einige  S£t)eite  ber  SJZelobte  in  ber  Sonhbhe,  in  ber  wir  fte  gewöhnlich  ftnben,  gegen  bie  jweite 
auS.   Der  ganje  ©a£,  ohne  eben  »on  h^monifcher  SSebeutfamfeit  ju  fetjn,  hat  bod)  eine  gewiffe  gefällige 

».  aBintetfcli,  itr  csauget.  6^otatgefang.  26 


  202   


Sfegfamfcit  unb  griffe :  ein  Erdfttg  oormdrtSjircbenbeS  9feifelieb  möcbte  als  Unterlegung  am  33ejtcn  gu  ibm 
paffen,  ©in  ftnnreicfyeS  ©timmgemebe  geigt  unS  bie  SSefjanblung  ber  ©ingmeife  beS  ÄirdjenliebeS : 
„ßbriji  tfl  erfianbcn".  Sic  ifi,  in  allen  il)ren  feilen  oollfiänbtg,  bem  SEenor  gugetbeilt  unb  ber 
Überfiimme ;  biefer  gegen  jenen  im  SEonoerbältniffe  ber  Sberoctaüe.  Sn  beiben  erfdjeint  fte  nid)t  obne  frembe 
dinmifdbung  5  cS  ftnb  Smifcbenfäfje  eingefd)altet  gmifdjen  if>re  etngelnen  Seilen.  2Me  erjien  gmei  werben  ca= 
nonifd)  burdbgefüfjrt  jwtfdjen  ben  genannten  £auptftimmcn,  bie  britte  gmtfd)en  bem  SEenor  unb  33afj ;  als 
biefen  beiben  fpäterf)in  noch,  bie  £)ber(iimme  fid>  gefeilt,  ergreifen  2llt  unb  SEenor  in  canonifd)er  9cad)abmung 
bie  9Dtclobie  ber  vierten  ßeile 

ßbriji  min  unfer  SEroji  femi, 
unb  biefe  wirb  gule^t,  mebr  ober  minber  ftreng  canonifd),  burd)  alle  oier  Stimmen  üerflodjten.  £armonifd) 
bebeutfam  ifi  aber  biefer  ©a£  fo  rnemg,  alS  ber  gm>or  befyrocfyenc. 

Über  @cor<$  5°*f*e*  b<*ben  mir  bereite  bei  ©elegenbeit  ber  Darlegung  beS  GrinfluffeS  ge= 
rebet ,  ben  ber  SSolBgefang  auf  ben  eoangelifd)en  Ätrd)engefcmg  geübt.  £)od)  ifi  nid}t  gu  übergeben ,  bafj 
SBaltcr  unb  ©erber  noch,  einen  groeiten  Sonmeijier  bicfeS  9iamenS  anführen ;  benn  einen  gmeiten  müffen  mir 
ibn  nennen,  ba,  mag  von  beffen  ßeben§üerl)ältniffen  ergäbt  mirb,  mit  bemjenigen  burcfyauS  ntd>t  fiimmt, 
maS  jener  guoor  befproebene  SJlctjier,  offenbar  ein  ©übbeutfcfyer,  oon  ben  feinigen  berietet.  *)  Senen  (5rgäb= 
lungen  gufolge  mar  ©eorg  gorfier  gu  2lnnaberg  geboren,  mürbe  um  1556  als  ßantor  nad)  3wicfau  beru= 
fen,  unb  oon  bort  1564  nad}  2lnnaberg  gu  einem  gleichen  2lmte.  SSier  Sab"  fpäter,  1568,  trat  er  als  ©dm 
ger  in  bie  £ofcapellc  gu  £>rcSben,  beren  ßeitung  ibm  1583  nad)  bem  SEobe  beS  GüapellmeiftcrS  ©io.  33attijta 
9)incUo  übertragen  mürbe,  ber  er  jeboeb.  nur  oicr  %at)xe  lang  worjianb,  inbem  er  fd)on  am  lOten  £)ftober 
1587  mit  SEobc  abging.  2Beld)er  r>on  biefen  beiben  gleichnamigen  Bannern  mar  nun  ber  Urheber  ber  gmei 
Sonfäfje,  meldje  Sifyau'S  ©ammlung  unter  biefem  9camen  entl)dlt;  etncS  üierjiimmigen :  Srojt' mid),  0 
Sperr,  unb  etneS  fünfjiimmigen  über  bie  befannte  2öeife  beS  2öeil)nad)tSliebeS :  83om Gimmel  l)od)  ba  romm' 
id)  b«?**)  S5on  beiben  fonnten  fte  berühren,  benn  nebmen  mir  ben  ©ad) fen  gorjier  aud)  nur  ctma  auf  67 
3abre  alt  an  bei  feinem  SEobe,  fo  t>atte  er  um  bie  Seit  ber  Verausgabe  ber  123  Sieber  für  bie  gemeinen 
©d)ulen  bereits  24  SWS)«:  für  bie  Sttoglicbf'ett  ber  Url)cberfd)aft  beS  ©übbeutfdjen  gorjier  bebarf  eS  feines 
meiteren  JBeroeifeS.  gür  jenen  erften  febeint  nod)  ber  Umftanb  gu  fpreeben,  bafj  cS  waf)rfd)einlid)er  fei,  9ibau 
babe  eines  SanbSmannS,  als  eincS  gremben  SEonfälje  aufgenommen  in  feine  ©ammlung.  'tfber  in  biefer 
bat  ber  ©ammler  offenbar  bie  nad)  feiner  Meinung  beften  SBcrf'e  feiner  3cttgenoffen  auf  bem  ©ebiete  beS 
geifilid)en  2iebergcfangeS  gufammengefiellt,  obne  9füd'ft'd)t  auf  #crfunft  ber  9Keijier ;  er  bat  üorgüglid)  £er= 
oorbringungen  älterer  bemdl;rter  SEonf'ünfiler  gemdblt,  unb  ba  im  Übrigen  aud)  jene  beiben,  unter  ©eorg 
gorficrS  tarnen  aufgenommenen  SEonfäljc  mel)r  baS  ©eprdge  älterer  3ett  tragen ,  fo  mochten  mir  für  ben 
Herausgeber  ber  frifdjen  üieblein  gegen  ©erber  entfcfyeiben.  SSon  jenen  beiben  gctjtlidjen  SEonfdfjen  gorfierS 
-  geiebnet  ft'cf)  ber  über  ßutberS  bekanntes  Slöeibnad)t§lieb  baburd)  auS,  ba£,  mdbrenb  beffen  SSKelobie  im  SEenor 
erfd)eint,  bie  Cberfiimme  bie  ©ingmeife  beS  alten SSolfSlicbeS  ,,'2luS  frembben  ßanben  fomm'  id)  tyx"  bagu 
fübrt,  mit  einigen  oerbrdmenben  ©plbenbebnungen ;  eine  SSeifc,  bie  ortlid)  jene  erfie,  fonji  allgemeiner  oer= 


*)  Sffialtcr  p.  250  beruft  fid)  auf  M.  Christian.  Fr.  Wiliscbii  Incunabula  Scholae  Annaebcrgcosis,  unb  M.  To- 

biae  Sdjmibte  Chronic.  Cygn.  p.  423.  ©erbet  nuf  <S.  95  be6  3Jorbcrt'c^tS  ju  T>x.  ©leinene  ©rcgbnifdjcr  Sfeforma-- 

tton6f)iftorie. 

"')  SSeifpiel  9lro.  21. 


  203   


breitete,  verbrängt  bat,  wäbrenb  man  fie  anberwärts  einem  jroeiten  SBeibnacbtslicbe  Sutbers  von  gleicher 
Strophe  aneignete:  ,,S3om  Gimmel  fam  ber  ©ngcl  Schaar".  @s  gereicht  bem  Sonfa&e  gorjrers  ju  be= 
fonberem  ä>or$ugc,  baj?  bei  einer  SSerfnüpfung,  wie  er  fie  wählte,  boeb  Ellies  flicfjcnb,  angenehm,  mohllau= 
tenb  erfebeint,  baß  bie  begieitenben,  unter  ftd?  einanber  felbftdnbig  nachabmenben  Stimmen  bem  ©anjen  eine 
beitere  3?emcglicbfnt  geben,  inbem  fie  jugleich  ben  ,£>auptgefang  genügenb  hervorheben.  £em  SJicifter 
gebührt  eine  ehrenvolle  ©teile  in  ber  9ieibe  feiner  3ett=  unb  Äunjrgcnoffen.  Unter  ben  weltlichen  ©efängen 
in  feiner  Sicterfammlung  ftnb  beren  vier  bureb  Umbicbtungen,  jur  £älfte  von  SSespafiuS,  jur  ^»alfte  von 
Änaujl,  auf  bas  geiftliche  ©ebiet  binubergejogen  morben :  S^ad?  Suft  hatt'  ich  mir  auserwählt  —  33or  Sei- 
ten mar  ich  lieb  unb  werth  —  Vergangen  ijt  mir  ©lücf  unb  Sptil  —  &ieweil  umbfunft  t$t  alle  jlunjt ;  — 
ein  Umjtanb,  ber  auf  ihre  Beliebtheit  fernliegen  läjjt,  menn  mir  nicht  erma  ben  SBorten  ihrer  Sieber,  bie  eine 
geiftliche  Umgeftalümg  leicht  vergönnten,  ben  ihnen  geworbenen  Ssorjug  jufcfyreibcn  mollen. 

Über  bie  Sebensumftänbe  bes  Ztep  bau  ab  u  von  bem  Sfbau's  (Sammlung  fünf  3>on= 
fäfee  enthält,  fehlen  uns  alle  Nachrichten,  ginjelne  feiner  SSBerfe  finben  mir  in  Sammlungen  jener  3eit  §er- 
frreut:  eine  von  ihm  felber  veranftaltete  aller,  ober  aud)  nur  befrimmter,  gleichartiger,  ift,  foviet  uns 
befannt  gemorben,  niemal»  im  £nuf  erfchtenen.  2Bir  beftfeen  if)rer  nur  eine  geringe  Xhjafyl;  vielleicht 
mar  ber  Söleifter  nicht  einmabj,  feinem  äufjem  SSerufe  nach,  Sonfünjtler,  menn  er  auch,  als  grünblicher  unb 
gemanbter  Se£er  erfebeint.  Sein  umfangreichjtcs  SSerf  möchten  feine  Samentationen  für  bie  heilige  üßoebe 
fepn,  bie  uns  ber  Thesaurus  musicus  bes  Joannellus  fSßenebig,  1568,  bei  Antonio  Gardano)  mittl)cilt: 
mir  üblichen  mir  Siecht  aus  ihrem  (Srfcrieincn  in  einer  italienifchen  Sammlung,  bie  jebodh  aufjer  tiefer  SJeihe 
unter  fieb  jufammenbängenber  Sonfdfje  feine  anberen  unferes  SJieijters  barbietet,  baß  er  auch  im  2luslante 
gefebägt  unb  beliebt  mar.  J^ier  fonnen  uns  nur  feine  mehrjtimmigen  JBehanblungen  beutfeber  geiftlicher 
Sieber  befcbdftigen.  3urtäcbft  nennen  mir  unter  benfelben  einen  vierjtimmigcn  Sa£  über  bie  SEBeife  bes  Sie= 
bes:  ,,ßbrift  ber  ift  erfranben"  (Nro.  24) ;  jene  alte  SDielobie,  bie  mir  auch  bei  Senfl  fanben,  in  ber  S5er= 
ftiüpfung  mit  jweien  anbern,  unb  bie  bem  Siebe  Leugners:  „3n  bieb,  hab'  ich  gehoffet  £err"  oft  angepafjt 
,u  merben  pflegt.  Sie  tji  in  SSKahus  Sonfafce  bem  SSenor  jugeeignet,  bod)  nicht  ohne  ßinfchaltungen  unb 
'tfusfcbmücfungen,  erfebeint  alfo  nicht  in  ftrengem  SBerftanbe  als  feficr  ©efang ;  bie  SSehanblung  bes  ©anjen 
tji  motettenhaft.  ®anj  ähnlich,  verhält  es  ftd)  mit  bem  fünfjtimmigem  Sa^e  ju  4  Senorjrimmen  unb  einem 
S5affe  über  bie  2Beife  bes  alten  Äirdjenltebes :  G>hrijt  ift  erjianben,  fNro.  26).  9Raf)u's  fünfjtimmige  S5e= 
hanblung  ber  SJMobie  bes 9)falmliebes :  ,,.£err©ott,  erfror'  mein' Stimm'  unbÄlag'"  (Nro.  77),  jeigt  bie= 
felbe  jmar  ohne  ©infchaltung,  jeboch,  mit  melismatifcfyer  2lusfct;mücfung,  in  ber  Senorftimme ;  eben  tiefe»  ifi 
ber  gall  mit  ber  Singmeife  von  Supers  Siebe:  ,,2Bir  glauben  all'  an  einen  ©ort"  (9cro.  39).  Stein  als 
fefter  ©efang  ijt,  ftreng  genommen,  nur  bie  9JMobie  bes  ^»falmliebes :  „ein' fefie  SSurg  iji  unfer  ©Ott" 
(Rro.  61)  in  SDtahu's  fünfjiimmigemSonfa^e  behanbelt.  "Xud)  hier  iji  bieSBeife  bem  Senor  burchhin  5uge= 
theilt,  fie  hebt  fieb  jeboch  burch  ihren  Jortfchritt  in  länger  gehaltenen  Sbnen  vor  ben  begieitenben,  in  für$eren 
9coten  rafeber  bemegten  Stimmen  hervor,  melche  bie  ©runbgebanfen  ihrer  Nachahmungen  aus  ihr  nach  fcen 
^)auptmenbungen  jeber  einjelnen  3cile  fehbpfen.  Surch  tiefe  Nachahmungen  mtrb  bas  Eintreten  ber  £au»t= 
ftimme,  menn  auch  fte,  wie  im  Anfange  bes  jmeiten  Sheils,  mit  ber  fünften  3eite  gebrängter,  lebenbiger 
baherfchreitet,  ju  ben  SBorten 

ber  alt'  bbfe  geinb 

26* 


  204  ■  


glüdlid)  angefünbigt  unb  nad)brücfltd>  bejeid)net,  woju  benn  ihr  gewichtig  langfamer  gortfd>rttt  in  ber 
näcbjtcn  Seile 

9Jiit  Gfmjl  «r'S  jefct  meint 

bei  ber  er)et  geflcigcrten  3fafct)^ett  ber  anberen  Stimmen  einen  bebeutfamen  ©egenfa^  barjleüt.  3u  bem  fort= 
ballcnben,  mit  einem  ooUen  (Scfyluffe  eintvetenben  legten  Sone  berSJMobie  bilben  bie  übrigen  (Stimmen  einen 
halben  Sonfd)luj3,  ber  ba£  ©an5e  enbet.  Unter  ben  £onfä£en  unferer  Sammlung,  bei  benen  bie  <Stimm= 
uerroebung  oorberrfd)t  über  bie  harmonifd)e  Entfaltung,  barf  biefer  al§  einer  ber  t>orjügltd)flen  unb  flarften 
gerühmt  werben.*)  SSBir  fbnnten  bie  brei  Sonfälje  SJlafju'S  über  weltliche  Siebweifen  ganj  übergeben, 
oon  benen  je  einer  in  bem  erjlen  (9fro.  4),  britten  (9tro.  4)  unb  fünften  Steile  (9cro.  20)  »on  ©eorg  gor= 
jlerS  frifd)cn  Siebtem  ftd)  fmbet,  befdnbe  ftd)  barunter  nid)t  einer  (ber  letztgenannte),  ber  in  feltfamer  SSer= 
fnüpfung  bie  Söeifen  jmeier  weltlicher  Sieber  verflicht,  t?on  benen  ba§  eine 

33on  ebler  2trt,  ein  grdulein  jart  tc. 
wegen  feiner  beliebten  SJMobie  öfter  getjllid)  umgebidjtet  werben,  ba3  anbere  aber,  ein  fd)on  juoor  befpro= 
ebenes  SJieijlerlieb, 

2fdt>  hilf  mit  Selb'  unb  fefmlid)  flag' 
burd)  tfbam  »on  gulba  eine  ahntid)e$Bcränberung  erfahren  bat.  £)ie  9JMobie  be§  erjlen  jeigt  bereit,  bie  be$ 
jroeiten  ber  erjle  Senor;  bie  begleitenben  Stimmen  führen  benSSert  bee>  ^weiten,  wenn  fie  aud)  ihreSBenbum 
gen  nicht  auS  beffenSBeife  fdjöpfen.  £>ie  S3erfled)tung  biefer  beiben  SUJelobieen  wirb  baburd)  nod)  bemerfenS= 
werther,  bafi  bie  beä  erjlen  Siebet,  ber  SiebeSwerbung  eines  9Jlanne§,  gegen  bie  fo  niel  längere  be§  jroeiten, 
ber  SiebeSfrage  eine§  SKäbdbenev  ein  jweiteS  Wiafyl  wiebcrholt  werben  muf?,  wo  fie  bann  ju  beren  erjlem  unb 
jweitem  SEheile,  jwei  ganj  ungleichen  melobifd)en  ©äljen,  getjbrt  wirb,  woburd)  ftd)  fd)on  ganj  abweichenbe 
£armonieen  bebingen.  9Kan  ftet)t  barauS,  ber  9Ketjler  fanb  ein  ©efallen  baran,  ftd)  fernere  Aufgaben 
ju  ftellen,  beren  Sofung,  wenn  aud)  ber  Äunflwcrtf)  beö  ©eleijleten  nid)t  il)rer  (Schwierigkeit  entfprad), 
bod)  il)m  ©ewanbtheit  unb  .Kraft  für  leichtere  erl)bl)te,  ben  S5lirJ  für  ba§  tfufft'nbcn  be§  jur  SSerfIed)tung 
©eeigneten  fd)drfte. 

2lujjer  ben  SEonfäljen  ber  genannten  SJJeijler  bringen  un3  bie  123  Steber  für  bie  gemeinen  (Schulen 
nod)  je  einen  »on  öier  anbern,  namentlich,  bejeidmetett :  2>  v  <\  c  i  b  u  b  e  v,  Spulbtidt  Bretel, 
Johann  BeinmaitM,  2Str<jtItu$  .^ttint  2Bir  roerben  baburd)  nicht  hinlänglich 
befähigt,  beren  SSerbienfl  aU  Sonfefeer  ju  würbigen,  bafycr  voir  auf  jene  <Sä£e  nid)t  nah,  er  eingeben.  83ogel= 
buber  fbmmt  mit  3  ^Bearbeitungen  weltlicher  Sicbwctfen  in  bem  jweiten  Steile  t>on  gorfterö  Sammlung 
oor  (54.  57.  58);  oon  ben  übrigen  bort  feiner,  (ginige  nähere  9lad)rid)ten  ftnben  mir  nur  über  £aud  unb 
SBeinmann.  5Bon  jenem  bemerft  ©ottfrieb  Sßalter  (p.  304),  bap  er  ein  SBerf :  Erotemata  musicae  practi- 
cae  in  lateinifd)cr  ©prad)e  gefd)rieben  t>abe  5  bap  er  ftd)  in  ftnnreid)en  SScrfnüpfungen  r>erfd)iebcner  9Jielo= 
biecn  gefallen  babe,  bürfen  mir  aus»  bem  <5a£c  fd)licpen,  ben  unfere  (Sammlung  t>on  il)m  enthalt :  einer 
fünfjlimmigen  S3cbanblung  ber  9JWobic  be§  beutfd)en  ßrebo  :  SBir  glauben  all'  an  einen  ©Ott.  SSon  jmet 
S£enoren  fübrt  hier  einer,  obne  Unterbrechung,  jene  SßBcife  2utl)erö  5  ber  anbere  fingt  bagegen  bie  borifd)e  bee. 
Äatecbiemuölicbeö :  Söater  unfer  im  #immelreicb,  mit  Raufen  nad)  ir)rcn  erjlen  beiben  Seilen,  fo  wie  ifjrer 
oorleljtcn  5  bie  le^te  wirb  gegen  ben  <5d)luf3  nad)  einiger  Unterbrechung  nod)  einmabl  mieberbolt. 


•)  ©.  9lco.  XI  bet  ju  Cutfjer«  get(l(ia)en  Cicbern  gegebenen  SBctTpiele  mef)r|timmigcr  Sonfa^e. 


  205   


Über  2B  ein  mann,  oon  oem  wir  einen  uierftimmigen  Safj  über  fcte  Gelobte  beg  jule^t  erwdbnten 
jtatecbigmug-- unb  S3etlicbcg  finben,  bie  er  in  bie£berftimme  gelegt  bat,  bemerft  ©erber  (21211. col. 788. 789): 
er  fei  ein  treflieber  Drganift  aug  Dürnberg  gewefen,  unb  ju  Sßittemberg  um  1542  geftorben.  Sie  bortige 
Unioerfttätbabe,  in  ber'tfufforberung  an  bie33ürgcrfcbaft,  ft'cf)  feinem  Seicbenjugcanjufcbliefjen,  ibm  ein  grofjeg 
ßob  ertbcilt  wegen  feiner  jlunfi  unb  feiner  grofen  ©elabrtbeit  in  ber  beutfeben  ©efcbjcfyte,  wie  fie  faum  in 
einem  2fnbern  gefunben  werbe.  SBenn  ©erber  aufserbem  bei  biefem  SKctfter,  fo  wie  bei  Spauä  unb  58ogeU 
buber  »erftebert,  baß  £ang  2Balterg  ßantional  com  Sabre  1544  ßboralme  lobieen  von  ifyrer  ßompofition 
enthalte;  fo  ift  biefe  Angabe  bal)in  ju  benötigen,  ba{3  in  Sfbau'g  Sammlung  »on  bemfelben  Saf)re  mebr* 
ftimmige  Sonfä^e  über  früher  befannte  geiftlicfye  Siebweifen  »on  ilmen  ju  ftnben  fepen ;  »on  Jpaucf  unb 
SBeinmann  über  bie  eben  genannten,  t>on  SSogetyuber  über  bie  ionifebe  SBcife  be§  ^Pfalmtiebcg :  ,,2lug  tiefer 
9cotb  febrei'  icb  ju  bir."  2Bie  enblicf)  ber  SEonfe^er  gebeifjen,  von  bem  ein  Sa&  mit:  ?t  icv  l  aus 
bejeidmet,  in  unfercr  Sammlung  »orfommt,  ift  nicfyt  ju  ermitteln  gewefen. 

Sen  grbfjeften  SS^eit  ber  Sonfünftler,  über  bie  wir  eben  beriebteten,  fyat  ©eorg  Sfbau'g  Samm- 
lung üon  1554  unö  »orübergefübrt.  hieben  tyr  nimmt  eine  anbere  nodb  unfere  2lufmcrffamfeit  in 
'tfnfprucf),  inbem  fie  eine  Steibe  üon  ©efängen  eineg  acfytunggwertben  SJJeifterg  ung  fennen  lebrt.  ©ie 
erfcfyien  4  Sabre  früher  alg  bie  123  ßieber  für  bie  gemeinen  ©cfyulen,  um  1540,  jwar  niebt  ba, 
wo  ber  gröfejte  Sbeil  ibjeg  3nf>atte§  entftanben  war,  boeb.  auf  SSeranlaffung  beg  Sürßen,  ber  bort 
berrfebte,  unb  bem  fte  alg  ©onner  ibreg  üorjüglicbften  Urtjeber^  eigenbg  gewibmet  war.  d§  ift  bag 
wenig  gekannte  SSSerf  gemeint,  unter  bem  Sttel:  ,,9tewg  ©efang,  mit  brepen  jtimmen,  ben  Aireben 
onb  ©dmlen  ju  nu£,  newlicb.  in  ^Preüfjen  bureb. ,  Soannem  Äugelman  gefegt.  2tud)  @tlicb,e  ©tuef  mit 
'tfebt,  ©ed)g,  Sünff  unb  S3ier  ©tymmen  binju  getban,"  bag  juTluggburg  bureb,  SJielcfyer  Äriefjftcin  gebrueft, 
beraugfam.  @g  fübrt  ung  biefeg  5ßudb  in  ein  2anb,  beffen  £er§og,  3ttbred)t  üon  S5ranbenburg,  im  Gnnoer= 
ftdnbniffe  mit  feinen  Untertanen,  fd?ort  feit  1525  ber  eoangelifdben  Mjxe  ftdt>  öffentlich,  jugewenbet  fjatte, 
ein  gürft,  ber  jebeg  eble,  geiftige  ©treben  mit  Sifer  unterftüfete,  felbft  über  bie  ©renken  fetneg  ßanbeg  tynatö, 
unb  bem  wir  aueb  bie  erften  Anfange  jener  ^)reufftfcben  Sonfcbule  ju  banf en  baben ,  »on  ber  weiterbin 
auöfübrlicb,  ju  reben  fenn  wirb.  Über  5  o  b  a  n  n  £l  u  <j  c  Im  a  n,  ih  h  bem  ber^itel  nur  ben  Flamen  allein 
nennt,  wiffen  wir  wenig  mebr,  als  bafj  er  ßapellmeifter  ^)erjogg  "Xlbxcfyt  war,  unb  wag  wir  fonft  noeb  au§ 
3ufcb,rift  unb25orrebe  unferer  Sammlung  erfal)ren.  Scneerfte:  ,,©ebenju7lugfpurgamXXlSagbeg^)erbft: 
monatä,  nacb,  6b"|t«9ep«vtM.D  unbXLy/rübrt  ber  üonSpweftcrSfaib,  SSürger  juQluggburg.  Siefer  würbe 
—  oon  bem  3?atbe  Tlugöburgg,  wie  e§  fdb.eint,  —  im  3abre  1539  nacb  Königsberg  „botfcbaftgweifj"  ge= 
fenbet,  unb  fanb  bei  bem  £erjoge  bie  freunblicbfte  2lufnal)me  unb  bie  grbpefte  2Billfäl)rtgfeit  für  feine  2Ber= 
bung.  Der  Cnfer  biefe§  treflieben  gürften  für  bie  eoangetifebe  SBabrbeit,  feine  ©rabbeit  unb  ©eredb tigfeitg- 
liebe,  jumabl  aber  feine  befonbere  Neigung  „ju  ber  luftbaren  unb  berjbiegenben,  wolgeorbenten  ÜUIufic,  in= 
fonberbeit  wenn  biefelb'  jum  lob  unb  preip  beg  atlmdeb. tigen,  bimmlifcb,en  Saterg  geriebt  wirb"  gewannen 
ibm  bag  Jg)er§  beg  5Sotfcb,afterg.  9iacb,  feiner  9?ücffebr  fanbte  biefer  il)m  t>on  "Kuggburg  auS  eine  Sammlung 
neu  erfeb.  ienener  ©efdnge,  unb  empfing  bagegen  mit  einem  gndbigen  Scbreiben  jene,  bureb.  4?ang  itugelman, 
beg  £er$ogg  93Zuficug,  einen  2luggburger  »on  ©eburt,  breijtimmig  gefegte  geiftlicl)e  lieber,  mit  bem  S3egeb= 
ren,  fie  orbentlicb.,  fleißig,  unb,  fo  oiel  moglicl),  mit  eigentlicher  Unterfe^ung  ber  Serte  bruefen  ju  laffen. 
Siefeg  gefebab ;  Siegmunb  Salminger  ju  2(uggburg  fügte  biefen  Säfcen  noeb  einige  mebrftimmige  anberer 
5Jieifter  binj"/  «nb  ©eorg  grolicb;,  Stabtfcbreiber  eben  ba,  fe^te,  in  §orm  einer  83orrebe,  einen  „gobbrief 


  206   

über  bic  SRuftca  in  gemain"  bem  ©anjen  voran,  wie  eS  nun  vor  unS  liegt.  £)iefe  ßobrebe  ift  in  bem  treu= 
[H-r;igcn,  gewinnenben  £one  gefchrieben,  ber  jurnal)!  bie  erjte  £älfte  beS  16ten  3a^f)unbertö  auszeichnet. 
2Sie  fetjr  bie  SERufif  bie  rechte  itunjr  jener  Seit  gewefen,  vorzüglich  unter  ben  Evangelifd)en,  erfennen  wir 
auS  ber  Söärme  unb  Snnigfeit,  mit  ber  wir  ft'e  bamalS,  nad)  SutherS  Vorgänge,  fo  oft  in  ähnlichen  Sobreben 
geprtefen  ftnben.  Sn  einer  von  innen  heraus  gewaltig  aufgeregten  3eit,  wie  feine  wol)l  wieber  geroefen, 
einer  3eit,  voll  beS  lebenbigfien  2)rartgeS  nad)  innerer  unb  äußerer  Erneuung,  unb  beShalb  auch  ber  i>axt- 
nädigfien  Äämvfe,  ber  Ijeftigflen  3ermürfniffe,  unb,  neben  gefunber  unb  bofnungSretcher  Entfaltung  eines 
neuen  2ebenS,  aud)  ber  wahnfinnigjren  3errbilber,  woburd)  biefeS  getrübt  würbe;  in  einer  fold)en  3eit  war 
bie  Sonfunjl,  in  ber  baS  S3erfd)iebenartigfte,  fcheinbar  2Biberfjrebenbfte  in  2Bof)llaut  ftd)  auflohe,  unb,  je 
länger  je  mehr,  bie  tieffte  ©eele  beS  vereint  Sufammcnflingenben  offenbarte,  eine  wahrhafte  Erquidung  unb 
©tärfung  auf  bem  Lebenswege,  ihrem  innerften  Söefen  nad)  bie  SSerheißung  einer  fd)öneren,  friebevollen, 
baS  ©etrennte,  ofme  beS  Einzelnen  Eigentf)ümlid)feit  aufzuheben,  Vereinenben  3ufunft.  5n  biefem  ©inne 
fteht  nun  aud)  ber  ©cbjeiber  unfereS  SobbrtefeS  bie  von  ihm  geliebte  Äunji  an.  ©ie  ift  ibm  göttlichen  Ur= 
fvrungS,  eine  Erinnerung  an  bie  ewige  Harmonie  ber  Gimmel,  etnfl  ber^eimatl)  unferer  ©eelen;  von  bafyer 
fei  eS  einigen,  befonberS  baju  gearteten  9Jicnfd)en  gegeben,  einen  9cad)l)all  ju  erweden,  .Klänge  mancherlei 
2lrt  verflccbtenb ;  Älänge,  neben,  über,  um,  unter  unb  mit  einanber  fel)nenb  vereint,  balb  mit  zarter  S5el)en= 
bigfeit,  bann  wie  mit  »rangenbem  ©tiüjtehcn ;  balb  gar  lieblicfyunbfyolbfeelig,  bann  aber  fd)arf  unb  ernfilid), 
mehr  als  9Kenfchenwi£  au^jubrüden  vermöge.  2Bte  nun  gar  9Jiand)eS  im  "Kltertlmm  berichtet  werbe  von  ben 
rounbcrroürbigcn  SBirfungen  biefer  Äunft,  fo  erfcheine  aud)  in  ber  ©egenwart  nod)  ihre  .Kraft,  einS3ilb  ihrer 
urfvriinglidjen  SSürbe.  SEBo  burd)  2Bol)lebrbarfcit,  fatten,  guten  9?atl),  el)rlid)e  Äünfte,  Sitten,  Sugenben, 
JBefiänbigfeit,  SKannheit,  ©ebulb,  SBciShett,  gürftd)tigfeit,  ©ottfeeligfeit,  bie  ftrengen,  unerbittlichen  $£»ran= 
nen  inmitten  it>re§  ©rimmeS  geftillet,  bie  l)artnädigen,  unbilligen  ©emüther  gemilbert,  bie  wiberfvenftigen, 
ungeborfamen,  neibigen,  unbanfbaren,  gel)äfftgen  SDienfchen  ju  Einigfeit,  grieben  unb  ©efyorfam  bewegt 
mürben;  waS  gefje  ba  hervor,  als  eine  mol)lgeorbnete  9Kuftf,  ©efang  unb  ©aitenfvtel!  2Bie  bie  SJZuftf  von 
boben,  nieberen,  fcharfen,  weichen,  harten,  milben,  groben  Stimmen,  furjen,  langen,  biden  unb  mittelmä= 
ßigen  ©aiten  zu  einanber  gerichtet  ferm  müffe,  fo  auch  baO>  ßbblichfte  unb  SBeftänbigfte  auf  Erben  (wiewohl 
2lUeS  vergänglich  fe»)  w$  rechter  3ufammenftimmung  ber  eblen  Sugenbcn  unb©aben  ©otteS!  ,,Unb  wollte 
©ott,"  fährt  er  bann  fort,  „baß  bie  elenbe,  blinbe,  in  3wietrad)t  unb  allen ßafiern  verfunfene  SBelt  einmahl 
bahin  zu  bewegen  wäre,  ber  wahren  SDiuft'f  unerjäl)lige  grud}t  unb  Scu^barfeit  ju  erfennen,  barau§  fte  ftd) 
Des  nothwenbigen,  rechten ©aitenfviele§ :  aufrichtigen,  loblichen ßebenä  uubSOSanbel»  erinnerte;  unbejweifelt, 
bie  übermäßige,  verberbliche  Sßegierbc  ju  l)errfd)en,  ber  fd)änblid)e,  fjoffavttge  Ungel)orfam  wiber  bie  £)ber= 
feiten,  ber  unerfättigte  ©eij,  ?leib,  Sr>a$  unb  anbere  ßafier  würben  aufhören,  unb  jum  wenigften  barauö 
erfolgen,  baß  man  bod)  hell  unb  lauter  febe,  baß  nid)t  eine  jebe  ©aite  auf  bie  Sauten  ber  Ehre,  aud)  nicht 
eines  3eben  falfche  unb  heifere  ©timme  ju  ber  eblen  9)lufica  ju  gebrauchen  wäre,  bevor  ab  in  großen  ganben 
unb  ©täbten,  ba  nichts  anberS  mangelt,  benn  rechte  SDZuftca  unb  3ufammcnftimmenS.  ®er  SMScantift  will 
ben  S3aß,  ber  SSafftft  ben  'Kit,  unb  ein  Seber  fingen,  baju  er  von  91atur  unb  Übung  unbeftimmt  ifl.  £>arum 
lautet  eS  auch  jefet  in  ber  Sßelt  eben  wie  ein  Ääfer  ober  9?oßwibel  in  eim  S3aurcnfticfcl,  wäre  nit  SBunber, 
baß  ber  recht  ßutinift,  ©Ott  im  £immel,  erjürnet,  unb  bie  mißbällenben,  faulen,  verftodten  ©avten  jertrüm= 
mert,  unb  bie  ßauten  wiber  ben  S3oben  fchlüge."  ©o  eiferten  bie  SSefien  jener  3eit  mit  hell  auflobernbem 
Unmuthe  über  bie  ©ebreeben  ihrer  ©egenwart,  beren  Umfchaffung  fte  mit  glül)cnbem  Eifer,  unter  SQiühen 


  207   

unb  .Kämpfen  erftrebten,  unb  eilten  bann,  fidt?  ju  erfrifcfyen,  in  ba3  ©ebiet  einer  Äunft,  bie  im  bebeutfamen 
Söorbtlbe  ba3  33olIfommnere,  wonad)  fte  trachteten,  if)nen  barjtellte. 

Unfre  Sammlung  enthält  39  mefyrftimmtge  Sonfd^e,  beren  Söieljr  jaf) l  —  26  breijtimmige,  unb  je  einer 
ju  8  unb  5,  fo  wie  2  ju  4  «Stimmen  —  t>on  £am>  Äugelman  berühren.  Sene  erften  26  bilben  eine  befon= 
bere  tfbtfjetlung  unter  bem  tarnen  i>e§  Cantus  Prussiae,  ber  *Preuf3tfd)cn  Tria,  be§  $PreujHfd)en  ©efangeä; 
fte,  nebjl  ben  anbern  oier  Äugelmanfd)en  Saiden,  werben  baSjenige  femi,  wa§  ^)erjog  2ttbred)t  Spweftern 
SJaib  jufenbete,  um  e3  in  2tug3burg  brucfen  ju  laffen,  weil  bamaB  in  9)reufien  wobl  eine  Stotenbruderei 
nod)  rttct) t  beftanb.  Sie  übrigen  acb>,  fed)3=,  fünf*  unb  M'erjtimmigen  ©efdnge  rühren  f)er  r>on  $  a  n  3 
$eugel,  Sorg  ^piandemüller,  S3alentin  Scfynetlinger  unb  SSfjomaS  Stoljer;  bie= 
fem  legten  begegneten  mir  bereits  in  ben  123  ©efdngen,  »on  ben  übrigen  beftfeen  mir  feine  weitere  9lad)= 
rid)t,  aB  ba£  Sonfd^e  üon  i^nen  in  einer  t>on  Salminger  1545  ju  3lug§burg  f>erau§gefommenen  Samm= 
lung  fid>  finben,  we3l)alb  mir  fte  wof)l  für  beffen  2anb§leute  werben  galten  bürfen.  9Zur  4  ©efdnge  unferer 
Sammlung  (9lro.  21.  32.  35.  37.)  —  eine  breijtimmige  lateinifdje  SSKeffe  unb  brei  beutfd)e  tuerjiimmige 
Sieber  —  ftnb  mit  ber  SSemerfung :  incerto  auctore  bejeictjnet  *,  bis?  auf  jene  SEReffe  unb  7  anbere  lateinifcfye, 
breijtimmige  ©efdnge  ÄugelmanS  beftefyt  ba§  ©anje  aue>  beutfcfyen  Sd)rift=  unb  ^»falmliebern,  unb  einigen 
motettenfjaft  bef)anbelten  Sd)riftjMIen. 

9Kerfwürbig  ifi  btefe  Sammlung  aB  bie,  fo  ßiel  td)  ftnben  fonnte,  dltejte  Quelle  für  2  getftücfye 
eoangelifdje  Sieber,  tt)re  SDWobieen,  unb  bie  früfjeften  Sonfd^e  über  biefelben;  baS  £ieb  ndmlicb,  *.  9t  un  lob' 
mein'  Seef  ben  ^erren*),  über  ben  103ten  ^Pfalm,  unb  ba3  über  ben  Sobgefang  ber  ßngel  bei  bes> 
J'perrn  ©eburt  gebreitete:  Allein  ©Ott  in  ber  4?öf)'  fei  dt)t\**)  £)a$  erfte  berfelben  wirb  fcfwn 
burd)  altere  3eugniffe  bem  Dr.  Sodann  ©ramann,  aud)  $>olianber  genannt,  jugefer/rieben.  Wafyan  ßfm; 
trduS  nennt  tfm  in  allgemeinen  2UBbrüden  beffen  Urheber:  umjtdnbltcfjer  äußert  ftd)  Martin  Gübemni^  bar= 
über  in  feiner  ©rfldrung  be§  103ten  ^PfalnB:  „S3  f)at  ber  weilanb  burd)leud)tige  bocfygeborne  gürft  unb 
$err,  2Clbrecbt,  ^»erjog  in  ^Preufjen,  biefen  ^falrn  für  anberen  allezeit  lieb  unb  wertf)  gehalten,  aud;  benfel= 
ben  burd)  ben  gotte§gelaf)rten,  anfefmlicfyen,  wof)lberüf)mten  SDiann,  Johannem  Poliandrum,  laffen  gefangen 
weife  in  gute  fd)6ne  beutfd)e83erfe  bringen,  unter  einem  freubigen  Senor,  welcher,  eben  wie  bie  SBorte  lauten, 
aud)  buret)  ben  ©efang  ba§  £erj  erweden  unb  aufmuntern  mag.  2Bte  berfelbe  benn  fajt  in  allen  unferen 
£trd)cn  alfo  gefungen  wirb."  Sodann  ©ramann  würbe  am  5ten  3unt  1487  ju  SSaprifct)  Sfteuftabt  geboren, 
wibmete  ftd)  ju  Seipjig  ber  ©ottee>gelaf)rtl)ett,  erhielt  bort  bie  SBürbe  eineä  SDiagijlerg,  bann  eines*  Soctorä 
ber  S£f)eologie,  unb  ba§  2£mt  eine§  Subrectorö.  Um  1519,  bei  bem  bekannten  tbeologifdjen  SBettfampfe 
jwifd)en  ßutfjer  unb  Dr.  @d,  foll  er  2£manuenft§  biefeS  legten  gewefen,  aEein  burd)  beffen  ©egner  t>on  ber 
SQ3at>tt)eit  feiner  2ef)re  überzeugt  werben  fepn,  fo  bafs  er  au§  beffen  2ötberfad)er  fein  eifriger  Schüler  unb 
2fnl)dnger  würbe.  @r  erhielt  nun  ju  Wittenberg,  wol)in  er  ftd)  wanbte,  bie  tb,eologifd)e  Soctorwürbe,  unb 
burd)  8utb,er§  gürfprad)e  enblid)  ba§  "Unit  eine§  ^farrerä  an  ber  2tlrjldbtifd)en  Äird)e  ju  Äbnigäberg  in 
5)reupen.  Dort  war  er,  in  ©emeinfd)aft  mit  Sodann  S5ri§mann  unb  ?>aul  üon  Spretten,  für  bie  Äird)en= 
oerbefferung  ttjdtig,  fct)ieb  jebod)  auö  bem  £eben  in  nod)  rüftigem  9Kanne3alter,  inbem  er  »or  jurüdgelegtem 
54ften  %d)xe,  am  29jten  3tpril  1541,  »om  Schlage  gerührt,  jlarb.   9iun  iji  eö  befrembenb,  weber  Sieb  nod) 


•)  SBeifpiet  ««ro.  22. 
")  SSeifpiet  5iro.  23. 


  208   

iüielobie  in  ben  unter  CutberS  #ugen  erfdbienenen,  jum  ©ebrauebe  für  ben  ©emeinegefang  befiimmten  £te= 
berbüd)em  ju  ftnben.  Denn  »orauSfefcen  bürften  wir  bod),  baf  ßutbere»  ©d)üler  unb  greunb  feinem  SEReifter 
ein  »on  ihm  gebid)teteS  spfalmlieb  nid)t  werbe  vorenthalten  haben,  ba  biefer  fo  bringenb  empfohlen  hatte, 
bie  .Kirche  mit  folgen  ju  befebenfen,  unb  mit  feinem  SSeifptele  felber  »orangegangen  mar.  Dennoch,  enthalt 
meber  bie  2tu3gabe  be§  SBatterfcben  ©efangbuebes?  üon  1544  unfer  Sieb,  noch  felbft  beffen  fpätere  »ermebrte 
von  1551;  eben  fo  wenig  ift  e§  anzutreffen  in  ben  1544  bei  Schau  ju  2Btttenberg  erfebienenen  123  ©efän-- 
gen  für  bie  gemeinen  ©cbulen,  noch  ben  beiben  2(u§gaben  beS  t>on  SSalentin  33apft  ju  Seipjig  1545  unb 
1547  ju  Seipjig  mit  2utf)er§  SSorrebe  gebrueften  ©efangbucb,e§.  £)bne  SDMobie,  noch  £inweifung  auf  eine 
folebe,  unb  in  nieberbeutfdber  9Jcunbart,  fleht  e§  in  bem  jweitenSEbeite  be3  burd)  ben  ©uperintenbenten  £er= 
mann  33onn  ju  Sübed  1545  herausgegebenen  Crncbiribton  ©eiftlid)er  Sieber  unb  $>falmen.  Durch  ben 
spiag,  ben  ihm  biefeS  S5ud)  anweift,  wirb  jugleicb  bezeugt,  bafj  e§  bi§  baljin  in  feinet  ber  ju  SBittenberg 
erfebienenen  ©efangbücber  aufgenommen  gewefen ;  benn  ber  jwette  Sbeil  biefcS  @ncbivibion§,  roie  ähnlicher, 
meift  ju  SJcagbcburg  erfd)ienener  geiftltd)cr  ©efangbücber,  mar  eben  für  folche  ßieber  bejlimmt,  bie  ju  2Bit= 
tenberg  nod)  nid)t  fircblid)  anerfannt  waren.  3m  bod) beutfd)er  ©pracbe  ftnbe  id)  in  einem  lutberifcben  ©e= 
fangbud)e  e§  erfl  um  1569,  jeboeb  unter  bem  Flamen  $>aulS  »on  ©pretten,  unb  nun  auch  mit  feiner  Tte- 
lobie;  es>  ift  in  ben  bei  £beobofüi§  9?eid)et  ju  Strasburg  gebrueften  ^Pfalmen,  geifilichen  Biebern  unb  Äir= 
cfeengefdngen,  unb  in  eben  bem  %at)ve  erfd)eint  e§  in  ben  bei  Sobann  SBolf  ju  granffurt  am  9J(a»n  beraub 
gegebenen  Äird)engefängen.  9tun  verbreitet  e3  ftd)  fd)nell  burd)  alle  bebeutenben  geiftlicben  SJcelobieenbü* 
eher;  in  Äeud)entbaB  (1573,  SBIatt  558),  in  3tnfeifen§ ©efangbuebe  (1584, 331. 2G8)  ift  e§  aufgenommen, 
jebod)  ftetS  unter  bem  tarnen  $aul§  von  ©»retten.  Doch  ift  jene  juerft  genannte  ©traßburger  £ieberfamm= 
lung  nicht  bie  frübefjte,  in  ber  e3  in  feiner  urfprünglidben  ©eftalt  als  anerfannte§  Äirchenlieb  »orfommt. 
Denn  brei  Sabre  früher,  um  1566,  theilt  ein  Anhang  ju  bem  Äircbengefangbucbe  ber  b6l)mifd)en  SSrüber  e3 
mit,  welcher  geiftltcbe  Steber  enthalt,  ,,beren  etliche  »on  2tlter§  her  in  ber  .Kirchen  eintrdcbtiglicb  gebraucht, 
unb  etliche  ju  biefer  3eit  »on  erleuchteten  frommen  Ghriften  unb  gottfeeligen  Sebrem  neu  jugeridbtet  finb." 
lluä)  hier,  obgleich  eine  SRamenbejeicbnung  burd)  bie  ^nfang§bud)ftaben  be§  £auf=  unb  be§  Familiennamens 
mangelt,  wie  fte  in  biefem  95ud)e  fonft  gewöhnlich  »orfommt,  hat  bie  banbfcbrtftlid)e  S5emerhtng  eine§  frü= 
heren  S5eft^erä  »on  bem  mir  »orliegenben  "tfbbrucfe,  —  eine  mit  bem  Gnfcheinen  beffetben  obnfeblbar  gleid)= 
jeitige  —  $aul  »on  ©pretten  als  ben  Dichter  be§  ütebeS  genannt;  ee>  ftel)t  über  ber  SEJielobie:  Paulus  Spe- 
ratus  Episcopus  Pomesaniensis  in  Prussia.  Daf?  nun  unfer  Sieb  unb  feine  ©ingweife  au§  ben  Äird)en= 
gefangen  einer  fremben  eoangelifchen  ©emeine  erft  in  bie  lutberifcbe  Äird)e  gelangt  fepn  folle,  obgleich  beibeS 
unzweifelhaft  in  beren  ©d)oo£e  entftanb,  ift  nid)t  wahrfd)einlid).  ©laubhaftcr  bürfte  e§  fe»n,  baf  beibeS 
juerft  in  ben,  »on  mir  nid)t  felbji  gefehenen,  aber  in  ber  SSorrebe  ju  3infeifenö  ©efangbuche  erwähnten 
Sßittenberger  Äirchengefdngen  »orfommen  werbe,  welche  1562,  t»on^)aul6ber  überfeinen,  bafelbft  erfd)ienen, 
unb  bag  »on  bort  au§  feine  weitere  SSerbreitung  erfolgt  ferm  möge,  inbem  fpätere  ©ammler  meijt  auf  bie 
2Bittenberger  ©efangbücber  jurüefgingen.  Dafj  biefe  Verbreitung  fo  fpät  erfolgte,  baß  bann  fogar  ber  Did)= 
ter  ungewifj  blieb,  möchte  au3  folgenben  Urfachen  ju  erfTären  fewn.  3ol)ann  ©ramann  wirb  e§  in  feinen 
legten  ßebenSjabren  gebid)tet  haben;  fein  fd)leuniger  unerwarteter  SEob,  ber  nach  6l)»trdu§  fogar  febon 
1540  erfolgt  fer>n  foll,  bat  ihn  wabrfcbeinlicb  »erhinbert,  e3  ßuther  mitjutheilen.  ^)aul  »on  ©pretten  über; 
lebte  ihn  um  14  3abre  —  er  ftarb  erft  am  17ten  ©eptember  1554;  —  er  war  Did)ter  mcl)rer  geiftlicber 
Sieber,  ja,  eine§  ber  frübeften,  burch  ba§  bie  e»angetifd)e  Sel)re  einbringenb  »erfünbigt  würbe  (gg  ift  ba3 


  209   


Jpeil  un§  r'ommen  her);  unfcr  spfalmlieb  flammte  au§  Greußen,  man  fdjrtcb  e6  baher  ihm,  bem  fd)on 
©efeierten,  eher  ju,  aß  bem  unbefannteren  ©raman ;  erft  fpdtere  9cacbforfcbungen,  unb  barauf  gegrünbete 
Seugniffe,  befbalb  cor  ben  früheren  bennocb  glaubwürdiger,  (teilten  bicfen  ale>  Urheber  fejt.  2)ie  bis»  bat)in 
unbcfannte  ©tropfe  be§  Siebet  binberte  wohl  'Knfangg  feine  fdmellere  SBerbrettung ;  man  mußte  burd)  bie 
SERelobie  erjt  mit  berfelben  ftcb  naher  befreunben,  unb  biefe,  fcbcint  e§,  hatte  erft  oon  bem  Äunftgefange  auö 
ft'd)  geltcnb  ju  machen,  unb  ^Beliebtheit  ju  gewinnen.  £>enn  fte  wirb  ctjcr  von  einem  funftmaßig  gcbilbeten 
Sonfefjer  herrühren,  als  einem  oolfSmäßigen  ©dnger.  Sie  ©tropfe  be3  ßiebee>,  eine  jwölfjeilige, 
iambifcbe,  burd)  je  jmei  unb  jwei  Seilen  in  fed)e>,  fefjr  bejtimmt  gefonberte  "Kbfä^e  gefcbjeben,  beren  erfte 
jwei,  im  SBecbfel  ft'ebcn=  unb  ad)tft>lbtgcr  3eilen  übereinfrimmenb,  ben  2£ u f g  efang,  bie  übrigen  toter,  mit 
fiebert-  unb  fecbffnlbigen  3eilen  wed)felnb,  ben  2Cbgefang  bilben,  ijat  fein  üolfSmdßtgeS  ©cpräge ;  um 
fte  fangbar  unb  eingängtid)  ju  machen,  beburfte  e§  eines  SEonfünftlerS,  ber  be3  S8olf§tone§  in  ber  SJMobie 
mächtig,  ihn  5wanglo§  auf  fte  ju  übertragen  t>crmod)te.  9iun  ift  aber  bie  ©tngweife,  bie  unferem  Siebe 
noch,  je^t  auffchließenb  eignet,  mit  meiern  ©efcfyide  herauSgebilbet  in  ihren  ^auptjügen  au3  ber,  fd)on  feit 
1535  wenigftenS,  in  ber  eoangelifcfyen  Stixfyt  cinbeimifchen 

Ö  £erre  ©Ott,  bein  göttlich  SBort 

ift  lang  werbunfelt  blieben  ic. 
©ie  entlehnt  bejeiebnenbe  SBenbungen  oon  biefer  alteren,  unb  geftaltet  fte  bennocb,  felbftänbig  aus»;  wa§  bort 
in  rbnthmifchem  SBechfel  nur  juweilen  hervortritt,  ba§  breitbeiltge  9ftaaß,  ift  hier  ba3  unbebingt  t>orberr= 
fchenbe  geworben,  unb  bie  neue  SBeife  erfcheint  nun  als  eine  ber  bewegteren,  freubigften,  feftlicbjen  be3 
eioangelifchen  üircbengefange§,  baä  SBerf  eines  funbigen,  finnigen,  in  üolBgemäßem  ©inne  febaffenben 
SEonmeifterS.  Pehmen  mir  biefe  SSorauSfe^ung  al§  fefrgeftellt  an,  fo  werben  mir  faum  zweifeln  bürfen, 
obgleich  un§  ein  au6brücfliche§  Seugniß  barüber  mangelt,  .£>anS  Äugelman  fer>  ber  ©änger  jeneä 
,,freubigen,  berjerwetfenben  SEenorS"  gemefen,  unter  ben  ^erjog  Wibrecht  won  Greußen  ©ramanS  ^Pfalrm 
lieb  habe  bringen  (äffen.  2fucr>  beutet  ber  Umftanb  barauf  bin,  baß  biefe  ©ingmeife  al§  ©runblage  von 
tri  er  SEonfä^en  —  brei,  »ier,  fünf  unb  ad)t  ©timmen  —  in  unferer  ©ammlung  erfcheint,  worauf  man 
folgern  barf,  baß,  wenn  nicht  etwa  ein  befonberer  Auftrag  be§  .£erjog3  bat>on  bie  SSeranlaffung  war,  ber 
©e£er  um  fo  lieber  mit  ihr  ft'd)  befd)äftigt  habe,  weil  er  auch  ihr  ©dnger  gewefen.  3n  Äugelmanö 
b reifti mm i gern  ©a£e  über  biefelbe,  unb  fo  aud)  in  bem  ruerftimmigen,  ift,  mit  2lu3nabme  weniger 
©nlbenbehnungen  unb  S3inbungen  in  ben  begleitenben  ©timmen,  SEon  gegen  SEon  geftellt,  unb  bei  ben 
SJubepunften  ber  SSJIelobie,  nach  je  jwei  unb  jwei  Seilen  be§  2fuf=  wie  beö  3lbgefange§,  Ijbren  alle  ©timmen 
ju  gleicher  Seit  auf.  Qi$  fehlen  alfo  an  folgen  ©teilen  33erbinbung3glieber,  bie  ben  jtettgen  gluß  be$ 
©anjen  unterhielten,  biefer  wirb  vielmehr  fünfmal)!  unterbrochen.  "ÄnberS  ift  e§  in  bem  f ünf  jtimmigen 
©a^e.  2)ie  lebhaft  fid)  fortbewegenben,  reich  verwerten  SSeglcitftimmen  bilben,  einanber  nach,al}menb,  eine 
furje  Einleitung,  bi§  im  Senor  bie  9Jielobie  eintritt ;  h.  ier  geht  fte  bann,  ohne  Unterbrechung,  jietig  fort, 
ohne  anbere,  al6  bie  gehörigen  Siubepunfte,  unb  biefe  werben  allejeit  burd)  ba§  SEongewebe  ber  übrigen 
©timmen  aufgefüllt.  SEheilweife  flicht  ft'd)  biefeS  jufammen  au§  SBenbungen,  bie  ber  9JMobie  entlehnt 
finb ;  eine  ftrenge  Nachahmung  berfelben  ftnbet  jwar  nicht  ftatt,  bod)  ift  baS  baher  Entlehnte  an  allgemein 
nen  Sügen  fenntlid).  2Bo  bie  SfJMobie  fchweigt,  fefet  mit  ihr  ^gleich  aud)  eine  ber  begleitenben  ©timmen 
ab,  ben  legten  Stuhecunft  oor  bem  Enbe  aufgenommen;  ihre  ©infehnttte  werben  baher  burd)  minbere 
Sonfülle  in  ben  meijt  nur  breiftimmigen  Sn>ifchenfä|en  bejeichnet,  unb  ihr  rbptbmifcber  ©ehalt  wirb  minber 

».  SEBintttfeti,  let  tuangef.  Q^oralgefang.  27 


uerbunfelt  als  in  ähnlichen  Sonfä^en,  wo  bie  ©mgweife  bem  Scnor  jugetbetlt  i|t,  unb  bie  beglettenben 
Stimmen  einanber  mannid)fad)  burcbfreujen.  3n  ber  Zxt  tiefe  legten  ju  bcbanbetn  fonnte  Äugelman  bem 
fpdteren  Raupte  ber  9)reufnfcbcn  Sonfcbule,  3obann  dccarb,  föorbtlb  gewefen  fepn,  unb  wir  bürften 
behaupten,  beffen  &onfafj  über  unfere  SDZelobie  habe  aus  bem  feinet  SSorgängerS  ftcb  entwicfelt,  baS  t>on 
bicfcm  nur  Srjirebte  wirflid)  erreicht.  £>er  Übergang  ber  9Jlelobie  in  bie  £5berftimme,  wo  ft'e,  wenn  auch 
;mweilen  überfd)rittcn,  b od)  immer  herrfcbenb  mattet,  mar  bafür  ein  oorjüglicfyeS  Littel ;  nur  bie  fortge-- 
benben,  uerfnüpfcnben  3mifchenfd£e  bat  ©ccarb  üermieben,  gegen  feine  fonjlige  ©ewof)nbeit.  £)ocf)  ift  bieg 
wobt  nur  barum  gefcbeben,  um  bei  ber  ungewöhnlichen  ©tropfe  beS  SiebeS  ber  ©emeine  bie  ©infcbnitte  beS 
©efangeS  recht  beutlid)  merben  ju  laffen,  benn  in  ber  Gnnfübrung  jener  ben  gluft  beS  ©efangeS  fortleitenben 
9Jiittelglieber  bemalt  ftd)  fonft  bicfeS  .EünjilerS  gröfj  cfie  SOßeifterfcbaft.  jtugelmanS  a  cb  t  ft  i  m  m  i  g  c  r  ©afc 
über  unfere  9ttelobie,  ber  wieberum  biefelbe  bem  Tenor  jutheilt,  bilbet  ftd)  au§  jmei  üierjiimmigen  SQ3ect>fe(= 
cbbren;  ber  tiefere  berfelben  ift  in  bem  allein  aufgezeichneten,  ihm  torangebenben  höheren,  canonifd)  »er= 
fcbloffen,  unb  biefer  tragt  baber  bie  Übcrfd)rift:  Fuga  octo  vocum  sub  qualuor.  £)er  tiefere  ßbor  foll 
ndmlid)  nad)  vier  fetten  (\  Saften)  bem  höheren  in  ber  Unterquarte  nachfolgen  (in  subdiatessaron  post 
quatuor  tempora) ;  fo  erfctjeint  benn  in  biefem  bie  SDMobie  in  bem  Tonumfange  toon  ß,  in  jenem  von  F. 
2lucb  hier  ift  ber  Slufj  be§  ©efangeS,  ohne  unterbred)enbe  Stubepunfte,  erftrebt.  25er  cintretenbe  ßbor  greift 
entweber  ein  in  bie  ©cbtufswenbung  beS  tierhallenben,  ober  fefet  bod)  ben  öon  bemfetben  begonnenen  Saft 
fort  unb  füllt  ihn  au§,  fo  bafj  nirgenb  ein  ©tiüfianb  mahrgenommen  wirb.  ILxn  (Snbe  enthalten  bann 
bie  legten  üier  Safte  be§  höheren  GiboreS  eine  freie,  unter  bem  Ganon  nid)t  mehr  begriffene  Schlußformel, 
melche  ben  2lu3gang  be§  tieferen  begleitet.  Siefen  acbtjiimmigcn  ©a£  ft'nben  mir  nod)  28  Sab«  fpäter  in 
einer  ju  Dürnberg  (1568)  bei  Ulrid)  9ccubcr  burd)  @lcmen§  ©tepbani  herausgegebenen  ©ammlung,  metd)e 
fünf-,  fecbS-,  fteben*,  acb>,  $wölf=  unb  mchrjttmmigc,  in  vier  ©timmen  canonifd)  r>erfd)loffene  ©d|e 
enthalt;  lange  nod)  f>at  er  alfo  einer  Beliebtheit  genoffen,  bie  feine  funfireicbe  ©lieberung  bei  fließenbem 
©efange  ihm  wohl  »erbiente.  Beiläufig  fep  hier  noch  be§  2)afcMt$  einer  jmeiten  SKclobie*)  für  ©ramanS 
Sieb  gebacht,  bie  aber  wohl  jüngeren  Urfprungö  feon  wirb,  als  bie  »on  Äugelman  gefegte.  2Bir  finben 
ft'e  in  bem  t>on  ©iegmunb  £emmel,  Sürftlicb  SBürtenbergifcbem  ßapcllmeifter,  oierftimmig  gefegten, 
unb  um  1569/  nach  biefeS  TonfünftlerS  Tobe,  ju  Tübingen  herausgegebenen  ^falter.  ©ie  mag  alfo 
jmifeben  1562  —  wo  wir  bie  frubefie  Verbreitung  unfereS  SiebeS  in  £)eutfcblanb  annahmen  —  unb  bem 
3abre  ber  Verausgabe  entftanben  fepn,  vielleicht  r»on  bem  ©efeer  felbfi  herrühren.  Tlnflang  fcheint  fte  nir= 
genb  gefunben  ju  haben,  felbfi  in  baS  große  3Bürtenbergifd)e  ©efangbud)  (beffen  in  ber  golge  ju  gebenfen 
fepn  wirb;  ift  fte,  feinem  fpäteren  2£bbvucfe  jufolge,  nicht  übergegangen. 

SSBie  won  ber  SSKelobie  beS  ©ramanfehen  ^)falmliebeS,  fo  fonnte  ^)anS  Äugelman  auch  ©dnger 
ber  Sßeife  beS  beutfehen  ©loria  gewefen  fepn:  Allein  ©Ott  in  ber  ^ob'  fei  (Shr."  25iefeS  Sieb 
rührt  her  won  9cicolauS  ScciuS,  evangelifd)em  ^)rebiger  ju  ©tettin,  früher  9Kbnd)  unb  julefet  ^)rtor  im 
Älofter  ©teterburg,  gürfienthumS  SBolfenbüttel.  95ian  rühmt  ihn  als  gefd)icften  ^arfenfpieler,  unb  r)at 
wohl  beSbalb  »orauSgefe^t,  er  habe  auch,  bie  ©ingweifen  ju  feinen  Siebern  erfunben,  wofür  ich  iebodf>  ein 


•)   3()r  tfufgefang  (autet  fotgenbermaapen  : 
•   tf    ,  — ^ 


  211   


# 


juferläfftges  altere?  3eugnt§  nicht  aufzufinben  »crmechte,    eine  frühere  Sluelle  fur  tas  eben  genannte  Stet 
aß  unfere  ,,<Preu§ifcben  Tria"  ift  mir  nicht  befannt;  gleichzeitig  ftebt  e§,  1540,  in  ten  $u  Üftagteburg  bei 
SJcichael  Scttber  in  bocbteutfcber  «Sprache  gcbrucften  ©eiftlicben  Siebem  unb  ^falmen.    Unter  Äugelmans 
Saee  erfcbeint  es  mit  einigen  Abweichungen;  fo  beißt  ber  Abgefang  ber  erften  Strophe: 
(?in  SSeblgefalln  ©Ott  an  unö  hat 

Um  ßbrifti  milln,  ohn  unterlag, 

AU'  feint'  ftnb  überwunten, 
wäbrenb  jene  anbere  Sieterfammlung  bie  gewöhnliche  ßesart  hat.  jtugelman  hat  nicht  mit  einem  Safee  über 
bie  beftmnte,  hier,  wie  in  allen  älteren  Singebüchern,  im  breitheiligen  Safte  erfcbeinenbe  SDReletie  (ich 
begnügt,  er  hat  beren  jwei  gegeben,  beibe  $u  trei  Stimmen ;  in  bem  einen  brei  Sisfante,  in  bem  antern 
beren  zwei  unb  ein  Senor.  Cnne  jener  oberen  Stimmen  führt  ben  .öauptgefang,  ber  pon  ber  anbern  halb 
überftiegen  roirb,  halb  über  fie  torherrfcht.  Sie  Jorm  biefer  Sage  tft  nicht  bie  einfache,  Son  gegen  Son : 
ft'e  weben  fich  jufammen  aus  Nachahmungen,  bie  auf  bie  .Ipauptmelobie  gegrünbet  ftnb.  £iefe  erfcbeint 
auch  hier  unjertrennt,  nur  tafj  t>or  ben  legten  betten  3eilen  be3  Abgefanges  ihr  Fortgang  bis  in  ben  nacbf> 
folgenten  Saft  »erzogen  wirb,  auch,  in  bem  julefet  ermähnten  Säße  ungleicher  Stimmen  bie  »orleßte 
Sföelotiezeile  einen  fur$en  Anhang  zeigt,  rodhrenb  bie  anbere  £isfantfttmme  mit  eben  biefer  3eile  fpätet  ta$u 
einfefet.  9tterrmürtig  iji  auch  am  Sch,  luffe  tiefet  Saf^eS  ber,  bei  untabelhafter  Stimmenführung,  unmittelbar 
t?or  bem  &ite  in  ber  Harmonie  frei  eintretenbe  Sritonus  j  offenbar  beabft*tigt,  woblflingent,  roenn  auch 
etwa§  z"  weich  unb  fehnenb  im  Austrucfe  für  bie  ©orte  tes"  SteteS.  .Rugelmans  Urbeberfchaft  ber  SJielocie 
fennen  mir  freilich,  burch  nichts  Anteres  belegen,  als  bie  SSermuthung,  bie  aus  ber  2>eppeltbeit  tes  Saees 
über  biefelbe  entfpringt,  wäbrent  er  bei  jeter  anbern,  bie  jupor  befprocfyene  ausgenommen,  mit  nur  einem 
fich  begnügt;  burch  ta£  frübefte  (Srfcbeinen  ber  SDielotie  felbft,  bei  ihm;  burch  beren  nahe  Schiebung  zu 
ber  bes  103ten  ^falrns  in  #orm  unb  SBenbung  bes  ©efanges;  entlieh  felbft  burch  bie  Abweichung  in  ben 
2Sorten  bes  SieteS,  bie  auf  eine  ältere,  fpäter  abgeänberte  ©eftalt  beffelben  zu  beuten  fcheint.  gür  Sectus 
ftreiret  nur  bie  allgemeine  SSermutbung,  bie  aus  feiner  gertigfeit  in  ber  Sonftmft,  unb  feiner  Siebe  ,u  ihr 
hervorgeht.  Sicher  zu  entfeheiben  ift  hier  eben  fo  wenig,  als  bei  jener  enteren  9JIeletie,  wo  freilich  man* 
ches  Anbere  noch  unfere  23orausfe£ung  unterftüfete ;  ausbrücf liebe,  glaubwürbige,  gleichzeitige  3eugniffe, 
wir  wieberholen  es,  finb  nicht  Porhanben.  2>arum  haben  wir  auch  ÄugelmanS,  wie  ;uror  Senfls;  nur 
hier,  unter  ben  Sefeern,  getaebt.  2Bas  feine  übrigen  Säße  betritt,  fo  hat  nur  ein  einiger  berfelben  bie 
■QJielobie  eines  weltlichen  SteteS  pm  ©egenftanbe;  er  tft,  wie  bie  meiften  berfelben,  breiftimmig,  lebenbig 
unt  frifch,  ten  2Sorten  angemeffen : 

gröblich  will  ich  fingen, 
.Rein  Sraurigftit  mehr  pflegen  ic. 
S3ei  Job.  ©ccart  werten  wir  tiefem  Siete  wietcr  begegnen;  e$  mag  in  9>reu§en  enrftanben,  minteftens 
tort  befonters  beliebt  gewefen  fepn.  Seine  2Beife,  wie  Äugelman  fie  feinem  Safee  aß  ftetige  ©runtlage 
gegeben,  trägt  tas  ©epräge  einer  im  SSclfe  entftanbenen ;  Sccarts  Sag  ift  ein  motettenbafter,  beffen 
©runtgetanfen  er  wohl  felbft  erfanb,  wenn  auch  zuweilen  Anftange  an  jene  ältere  9fteletie  tarin  berror= 
treten.  Äugelmans  anbere  Säße,  außer  ten  motettenhaften  unb  ben  fchon  befprochenen,  ftnb  auf  tie 
befannten  SBeifen  pon  fünf  fircfylicben  Siebern  gegrünbet:  „SSater  unfer  im  Himmelreich  tc.  (bie 
torifchej;  2Bir  gläuben  all'  an  einen  ©Ott  :c. ;  £)ie3  ftnb  bie  beil'gen  zehn  ©ebot  :c. 

27* 


(bie  mirolpbifcbe.) ;  S>ergcben3  iji  all  9Jlüb'  unb  Äojt  tc,  unb:  (Sin'  f e ft e  Surg  i ft  unfer 
©ott*).  Siefer  tefet«  <5afc,  ber  frübefte  über  biefe  SOZelobie  mir  »orgefornmene,  bilbet  ftch  au3  jwet  Ste-. 
fantcn  unb  einem  SEcnor,  unb  in  biefem,  alfo  ber  ©runbftimme,  ftnben  roir  bie  Sölelobie.  Sort  tritt  fte 
ein  nach,  einer  furjen  Einleitung,  in  ber  bie  anbern  beiben  ©timmen  ben  Eingang  ihrer  erften  3eile  na&r- 
abmen;  über  fte  baut  ftd>  nun  bie  Harmonie  auf,  wäbrenb  fte  ihren  ©ang  ohne  Unterbrechung  fortfefer,  unb 
bie  oberen  Stimmen,  3ette  für  Seile,  wie  juv>or  einleitend,  fo  nunmehr  begleitcnb,  ib,r  anfängliches?  ©piel 
wteberbolen.  'Ülmlid)  orbnete  ©eorg  9Jl)au,  wie  wir  e§  juüor  gefunben,  fein  SEongewebe  über  eben  biefe 
9)ielobte;  unb  fo  haben  jwei  Sonfe^er,  bie  früheren  wohl,  bie  fte  befyanbelten,  barin  ftch,  begegnet,  bafj 
fte  tbr  eine,  in  SEonfäfjen  jener  Seit  fonji  ungewöhnliche  ©teile  anwiefen,  aß  bie  angemeffenfte  für  baö 
©epräge  fefier,  fülmer  ©laubenSfreubigfeit,  bas>  fte  tragt.  Ser  ©a£  über  bie  bortfebe  SBcife  be3  SiebeS : 
SSater  unfer  im  Himmelreich  wirt>  bureb  einen  2tft  unb  jwei  SiSfante  geführt.  $ier  tritt  mit  bem 
Enbe  jeber  £ieb=  unb  SJMobiejeile  für  alle  ©timmen  ein  Siubepunft  ein ;  wie  alle  gemeinfehaftlich  aufgehört, 
fo  beginnen  fte  auch  wieber  mit  ber  nächften  3eile,  boch  nicht  SEon  gegen  SEon  ficllenb,  fonbern  in  freier 
mannichfaltiger  Bewegung,  ofme  eben  ihre  SBenbungen  au§  ber  £auptftimme  ju  entlehnen.  Siefe  ift  in 
ben  jweiten  SiSfant  gelegt,  ben  ber  erfte,  ben  größeren  Sheil  ber  britten  3eite  aufgenommen,  nicht 
überfchreitet. 

Sie  formen  beS  Äugelmanfchen  ©a£es>  ft'nb  mannigfaltig,  wie  wir  gefeben;  er  ift  gewanbt, 
fangbar  in  ben  begleitenben  ©timmen,  nicht  ganj  frei  üon  »erbotenen  gortfebreitungen,  bie  jwar  in  ber 
©enauigfeit  ber  Nachahmungen  eine  Erklärung  ftnben,  aber  boch  wohl  bitten  oermieben  werben  tonnen.  Sttan 
wirb  biefen  9)leifter  ftctS  unter  ben  befferen  ©e^ern  jener  3ett  nennen  müffen;  war  er  auch  ©änger  ber 
9J}elobieen,  bie  wir  ihm  jufchreiben  möchten,  unb  bie  ju  ben  belebteften,  freubigjien  beS  euangelifchen  £ir= 
chengefangeä  gehören,  fo  hätte  er  jwei,  bamalS  feiten  jufammentreffenbe  ©aben  mit  Sfttbm  in  ftch  vereinigt. 

Sie  SEonfä&e  anberer  Sftcifter,  bie,  nach  SfaibS  Angabe,  ©alminger  unferer  ©ammlung  beifügte, 
ftnb  meift  Motetten  über  SEerte  ber  heiligen  ©chrift,  unb  wenige  nur  behanbeln  SÖMobieen  geifftieber  Sieber, 
bann  aber  in  ber  bekömmlichen  #rt  ber  Eomponiften  au§  ber  erjren  £älfte  bee>  16ten  3abrf)unbert§.  Süßir 
jeichnen  nur  einen  unter  ihnen  au§,  oon  einem  unbekannten  5)ieifter;  benn  nur  im  SEenore  ber  erfien 
2(btheilung  beffelben  ift  ber  9came  Sörg  $>lanfcnmütler  angegeben.  Er  bemäntelt  bie  ^J>rt>gifd?e 
SBeife  be§  2iebe§:  #u§  tiefer  9cotb,  f d)r ei  ich  ju  t»ir**)  bierftimmig ,  ju  brei  ©tropben  beffelben, 
nach  feiner  älteften  ©eftalt,  wie  e3  1524  mit  fiebert  anberen  Siebern  unter  bem  angeblichen  SrucEorte  2ßtt= 
tenberg  erfchienen  ift.  3u  ber  erften  ©tropbe  erfcheint  bie  Söcelobie  in  ber  £)berfiimme,  ju  ber  jweiten  im 
SEenor,  ju  ber  britten  im  33affe ;  boch  fmb  berfelben  hier  bie  SBorte  biefer  ©tropbe  in  ihrer  fpäteren  ©eftalt 
unterlegt,  nach  SBalterS  ©efangbuche  »on  1524: 

Sarum  auf  ©ott  will  trauen  ich, 

auf  mein  SSerbienfi  nicht  bauen  tc, 
roäbrenb  bie  begleitenben  ©timmen  baju  bie  britte  ©tropbe  beS  älteren  Siebeö  (bie  bierte  be$  neuen)  fingen, 
ffieebt  beutlich  *eigt  fich  an  eben  biefem  ©afce,  wie  bie  3(nftd;t  ber  @e£er  ber  erften  £älfte  beä  16ten  3af)r* 
hunbertö,  bie  eine  jebe  ©timme  einjeln  für  ftch  betrachtete,  unb,  ihr  eine  eigene  SEonart  nach  ihrem  befon= 


')  SSeifpiel  STCro.  24. 
")    SBeifpiet  I.  9lro.  2. 


  213   


beren  Tonumfänge  beimaaj?,  oft  mit  ber  SJcotbrcenbigfcit  in  Sßiberftreit  geraden  mußte,  bafj  in  Sd^en  über 
eine  Jpauptmclobie  als  fcfte  ©runblage  beS  ©anjen,  biefe  enblid)  alle  übrigen  nacb  ftct>  jiebe  unb  bie  @e= 
fammtfoiiatt  bestimme.  SD«  ©runbmclobie,  bie  oon  bcm  S3ajje  geführt  wirb,  jeigt  ftc  in  bem  Umfange  bes 
oerfcßtcn  ^.Mir^gifdicn,  bem  Scblüffetlft  alfo  auch  ein  b  bcigejeicbnet,  ba3  in  ben  anberen  «Stimmen  fehlt, 
rocil  biefe  ben  urfyrünglicbcn  Umfang  jener  SEonart  feftyilialtcn  ftrcben.  Tfllein  in  ber  legten  9)tclobiejcilc 
wirb  bie  Überftimme,  unb  mit  ihr  bie  ©cfammtbeit  bce>  flingcnbcn  ÄbrperS  aller  übrigen,  burch  bie  9Jiacbt 
ber  £aupt=  unb  ©runbftimme  in  beren  Softem  bincingcsogen,  baS  ©efcfc  be§  3ufammenflange3  überroinbet 
ba$  ber  fclbftdnbig^tonifcben  'tftisgcfjaltung  ber  emjclnen  ©lieber  bcffelben,  unb  am  <Sd>luffe  be3  ©anjen 
fühlt  c»  ber  Jpbrer  beutlicb,  baß  biefeö  ©efcfj  auf  ber  SEonart  ber  £auptftimme  beruhe.  Äonnte  es"  Anfang? 
jroeifelbaft  fepn,  ob  nid)t  bas"  urfprünglicbe  9)bn)gifd)e  bie  SEonart  be§  ©anjen  fei),  fo  rührt  bieS  baber,  roeil 
bie  erfte  ^Jtelobiejeile,  für  ficb  genommen,  biefe  Scutung  juldßt,  bie  richtige  aber  erft  burcb  bie  jroeite  feftge= 
fteUt  roirb. 

2Bir  haben  bt-Sf>ev  bie  bebeutenbften  9)Mobieen  gcifilicber  eoangeltfdiev  Sieber  in  Sonfafeen  ber 
beften  9)ieiftcr  aus1  ber  früberen  £dlfte  be3  löten  Sabrbunberts'  an  uns1  vorübergehen  laffen.  muß  uns 
aber  befremben,  baß"  einige  innerhalb  biefe»  Scitraumä  urfunblid)  entftanbcne,  ju  ben  treflicbften  unferes 
Äircbengefangeg  geborcnbe  SBeifen,  tf>ve  Se^er  rttdjt  fdjon  bamalS,  fonbern,  rote  eS  fd)eint,  erft  gegen  bas> 
(Snbe  ber  jrociten  £dlfte  biefeS  Sabrbunberts'  gefunben  haben.  (SS  finb  beren  »ier,  bie  roir  »omebmlicb 
biebei  im  Sinne  baben.    3uerft  bie  oon  bcm  Siebe  eineS  unbefannten  Siebter^ : 

SD  £erre  ©Ott,  bein  göttlich  SBort 

ifi  lang  oerbunfelt  blieben  :c. 
Sieb  unb  SDielobie  ftnb  bereite  in  bem  von  3ofepb  -Älug  1535  ju  Wittenberg  gebrueften  ©efangbuebe  anju= 
treffen;  beibe  erfebeinen  bann  1537  in  bem  ju  Straßburg  oon  SBolf  jlbpbl  herausgegebenen,  unb  1545  in 
bem  oon  Sutber  burd)  eine  SSorrebe  eingeleiteten  Valentin  33a»ft3.  Sie  heitere,  frifebe  2Beife  tragt  burcb 
ben  in  ihr  worroaltenben  rbntbmifcben  SEBccbfcl,  ber  brtlicb  in  unbebingt  f)errfd)ent»e§  breitbeiliges'  9J2aaß 
binübergebilbet  roorben,  ganj  bas-  ©eprdge  be§  SSolfSmaßigen,  unb  ba  fie  ihrem  Siebe  ausTcbließcnb  eigen 
geblieben  ift,  muß"  fie  fofort  allgemeinen  Entlang  gefunben  haben.  £>ennod)  ftnbe  ich  fie  nid)t  früber  alö 
1575,  in  "Jlnton  Scanbelli's'  fünf-  unb  feebsftimmigen  beutfeben  geijtlicben  Siebern,  als1  ©runblage  eines 
fünfftimmigen  SEonfafceS,  ber  fie  im  SEenor,  unb  niebt  ohne  ginfcbaltungen,  einfüllt,  unb  erft  1597  geben 
3obann  Sccarb  unb  Seth  Sabiftu§  fie  in  fünf*  unb  merftimmiger  33ebanblung,  unjertrennt,  unb  im  Sinne 
debter  barmonifd)er  Entfaltung.  83on  ba  an  erfd)eint  fie  nun,  burcb  anbere  SOJeifter  bebanbelt,  in  faft  allen 
fpdteren,  bamronifeben  geifjlicben  Singebücbern.    ti)nüd)  »erbdlt  e§  ftd)  mit  ber  SJielobie  be-3  Siebes1 : 

2iacin  ju  bir  £err  Sefu  <5t>rift 

Wlein  ^)ofnung  fiebt  auf  @rben  K., 
baö  balb  bem  3ob<*tm  Scbneeftng  (Q^iornuiu^),  balb  Gonrab  ^)uber  jugefebrieben  roirb.  3roar  erfebeint  es 
erft  innerhalb  ber  legten  jel)n  %atyc  ber  früheren  $dlfte  be^  IGten  Sahrbunt,E1:tg  ?  hner$  rco^'  m^  mehren 
anberen  geiftlicben  ©efdngen,  auf  einem  einzelnen,  ju  Dürnberg  (roahrfcbeinlid)  1541)  gebrueften  Sieber= 
bogen,  bann  (9cro.  XXI)  in  bem  Anhange  ju  S3apft§  ©efangbuebe  (1545);  aber  bie  Sreflicbfeit  feiner 
SBeife,  einer  innigen  unb  roabrbaft  erhabenen,  hatte  bod)  ben  SEonfünftlern  jener  3«t  fte  aB  Aufgabe  für 
ihre  Sd^c  roertb  machen  foUen.  Sennoch  enthalten  weber  Sßalterä  ©efangbueb  in  feiner  vierten  2lu3gabe 
(1551),  noch  bie  feit  1541  bis  jur  Stifte  be§  Sahtbunbertä  erfebienenen  mebrftimmigen  9Kelobieenbücber, 


  214   


fo  weit  ich  fte  fenne,  von  ihr  einen  Sonfafc.  (Srft  SKattbäus  le  9ftaiftre,  Gtjurfurftlid?  ©äcbftfcber  (5apeü= 
meifter,  gtebt  um  1566,  in  feinen  ©eiftlicfyen  unb  SBeltlicfycn  Seutfcfyen  ©efängen  ju  vier  unb  fünf  ©tim= 
nun,  einen  motettenbaften  ©a{5  über  btefelbe;  ähnlich  bct>anbelt  fte  ©canbeüi  ju  feebs  Stimmen*)  in  feinem 
juvor  genannten  2Berfe,  unb  auch  hier  wieberum  finb  es  ßccarb  unb  ©etb  Gialviftus,  bie  am  frübeften  um 
fte  bas  SSerbtcnft  barmonifeber  Entfaltung  ftd>  erwarben,  gaff  eben  fo  ift  es  mit  ber  2Beife  von  bem  33et= 
liebe  «Pauls  von  ©»retten : 

Scb  ruf  ju  bir,  Jg)crr  Sefu  ßbrtft, 

Scb  bitt',  erf)br'  mein  .Klagen  zc. 
Siefes  ift  mit  feiner  SEßelobie  bereits  in  ben  erwähnten  ©efangbücfyem  3of£pf)  Älugs  (1535)  unb  2Bolf 
itöcbls(l537)  ju  ftnben,  unb  bann  in bas SSapfifcfye  (Anhang,  9lro. XVI) aufgenommen.  ^>te fülelobte bringt 
aber  ebenfalls  ©canbelli  am  frübeften,  motettenbaft  bcftanbelt  (1575);  bann  tritt  fte  in  ganj  einfachem 
vievftitnmigen  ©a£e  auf  (1586)  unter  ben  50  t>on  bem  SBürtembergifcben  $ofprebiger  2ucas  Dftanber  ju 
Dürnberg  herausgegebenen  geijtlicben  SQZelobieen;  näcbft  biefen  wieberum  bei  (gecarb  unb  ßalviftus.  Grnblicb 
ift  auch,  bie  SCßelobte  bes  beutfd)en  2fgnus  Sei : 

£>  8amm  ©ottes  unfdmlbig  ic. 
lange  ohne  einen  ©efjer  geblieben.  Sieb  unb  SJMobte  treffen  wir  juerft  1540  in  ben  bei  SERicfyael  8ottt)er  ju 
9Jiagbeburg  erfebienenen  geiftlicben  Stebern  unb  9)falmcn;  1545  nimmt  ©Langenberg  SBeibes  auf  in  feine 
.Rircbengcfänge,  unb  ba  33eibes  eine  eigentlich,  liturgifd)c  S5effimmung  fyat,  follte  man  vorausfe^en,  bafj 
ein  mehrftimmiger  ©a£  über  bie  SOßetobie  jum  ©ebrauebe  bes  ©ängercfyors  frül)  SScbürfnif?  geroefen  märe. 
Gin  nur  unbebeutenber,  in  febr  fehlerhaftem  2fbbrude,  ft'nbet  ftd)  bennoeb  erft  in  Soacbims  von  SOßagbeburg 
SEifcbgefängen  (1572),  wo  man  il)n  nid)t  fucfycn  mürbe;  ein  anberer,  etwas  gehaltvoller,  1593  in  bem  von 
bem  @l)urfürjtl.  ©äcbjtfcben  ,£of»rebiger  SSKirus  ju  Bresben  herausgegebenen  ©efangbuche,  ju  vier  ©titru 
men,  bie  Gelobte  im  Senor.  SUian  tonnte  ihn  jeboch  für  einen  alteren,  erft  fväter  aufgenommenen  halten, 
weil  bamals  jene  ©efjweife  fchon  feltener  geworben  war. 

©inen  inneren  ©runb  ber  SSernachläffigung  fo  ergiebiger  Aufgaben  für  ben  mehrftimmigen  Sonfafc, 
wie  es  jumahl  bie  brei  juerft  beferoebenen  SBeifen  finb,  weif?  ich  nid)t  aufjuftnben.  Sie  33ebeutung  ber- 
felben  hat  uns  3.  ©ccarb**)  burch  feine  SonfäfK,  bie  ju  feinen  treflichften  gehören,  auf  bas  ©inbringlichfte 
offenbart;  ber  erften,  als  einer,  bie  greube  an  ber  lieblichen,  feeligen  SSerfünbigung  bes  SBortcs  ausbrüdem 
ben,  ber  jweiten  als  ber  eines  fräftigen,  erhabenen  ©laubensliebes,  ber  britten  als  eines  innigen  ©ebetes. 
freilich,  »ermochte  bie  Sonfunft  bes  beginnenben  16ten  Safyrfyunberts,  vornehmlich  weil  fte  einer  SDlttteU 
ftimme  bie  SJielobie  jujutbcilcn  pflegte,  beren  innerftes  geben  noch  nieb.  t  völlig  ju  entfalten,  aber  fte  bat  bod) 
an  'ähnlichem,  unb  auch  mit  wachfenbem  ©rfolge,  ftch  verfucht.  8SieUeid)t  fönnte  bie  ungewöhnlichere 
©trovbe  ber  legten  beiben  ßieber,  bie,  fo  viel  ich  gefunben,  ihnen  mit  feinem  anberen  jener  3eit  gemeinfam 
ift,  ein  ©runb  ber  fo  langen  3urüdfef^ung  iljrer  5Eßetobieen  ferm;  für  bie  bes  erften  ift  aber  ein  ähnlicher 
nicht  aufyufütben.  ©eine  ©trovhe,  eine  bem  wettlichen  wie  geiftlichcn  ©efange  bes  16ten  Sahrbunberts 
gemeinfame,  unb  üteüetd)t  am  häuftgften  vorfommenbe,  ift  bie  achtteilige,  iambifche,  im  SBechfel  acht=  unb 
ftebenfylbiger  Seilen,  wie  fte  ben  ßiebern  „Surd)  2lbams  gall  ift  ganj  verberbt"  unb  „2Bas  mein  ©Ott 
will,  bas  g'fd)ef)  allzeit"  ju  ©runbe  liegt. 


•)  ©.  feinen  2onfa^  9cro.  38  ber  S3eifpie!fammlung. 
")   ©.  SBcifpiele  SRro.  131.  130.  129. 


  215   


2Btr  fcbliefjen  biemit  unferen  33eridu  über  baSjenige,  ma3  tmn  ben  Anfängen  unb  bem  2ßad)5= 
tbum  unferes  beutfeben  cimngelifcben  @horalgefange§  in  ber  erftert  £älfte  be§  löten  ^abrbunbertS  ju  fagen 
ift,  fofern  er  nämlich  ber  Sonfunft  angehört.  'Mc  steinte  eineS  Dotfömäftgen  ÄircbengefangeS  in  unferer 
Sprache,  mie  fte  febon  in  ben  üornngebenben  3abrbunberten  allgemach  an  bae>  2id)t  gebrungen  maren, 
empfingen  bnreb  bie  gemaltige  Skmegung  ber  ©eifier  im  beginnenben  IGten  Sabrbunberte  eine  lebenbige 
^Befruchtung,  traft  beren  fte  balb  in  reicher  gülle  empormuebfen.  ©o  gebieh  innerhalb  ber  furjen  grift  von 
faum  funfjig  fahren  ba§  lange  Vorbereitete,  ju»or  langfam  nur,  boeb  ftcher,  ©cjeitigte.  Cr§  gefchahe  mit 
bem  SBachöthum  besi  ^roteftantismu  § ,  ber  nach  manchen,  med)feluollcn  .Kämpfen,  gegen  ba§  6nbe  biefeö 
3eitraum3  eine  gefteberte  äußere  ©teHung  unb  ein  rechtliche  XSerbältnif?  ju  ber  alten  Äircbe  in  £>eutfcblanb 
gewann,  menn  er  auch,  ihr  gegenüber,  in  feiner  äufseren  ©rfdbetnung  nicht  aB  ein  gleich  feft  in  fieb  gegrün^ 
betcS  jtirebentbum  erfdjetnen  tonnte,  ba  er  fich  in  2anbe6fird)cn  fpaltete,  unter  bem  Schule,  ja,  ber 
Regierung  unb  ©eroalt  ber  gürfien  unb  2anbe§bcn-en.  £>od)  ft'nben  mir  in  ber  ©eftaltung  beS  ©otteS-- 
bienfteS  bei  ben  ^»roteftirenben  barin  jumeift  allgemeine  Übereinftimmung,  bafj  man,  nach,  ßutberS  SSor= 
gange,  bem  33eftebenben  ftd>  anfcblofs,  unb  nur  baSjenige  befeitigte,  ma6  bem  ©eifie  bes>  Ghjangelium.3 
aß  gänzlich  miberffrebenb  erfebien.  S>on  unglaublichem  (ütnfluffe  auf  ©rmeefung  eines  frifeben,  cbrifilicb 
frommen  ©inneö,  mar  aber  ba3  beutfebe  Äirchenlieb  unb  feine  ©ingmetfe.  2uts>  bem  tiefften,  mnerften, 
lebenbigften  SSebürfntffe  ber  Seit  ging  e§  Ijerüor ;  mir  faben,  mit  meldbem  S3eifaUe  man  bie  erjten,  menn 
auch  fpärlicben,  ©aben  geiftlicber  ßieber  empfing,  mie  an  verfchiebenen  Sötten  £)eutfcblanbj>,  im  Horben 
mie  ©üben,  im  Snnem,  mie  an  ben  äufjerftcn  mefilicben  unb  ofttichen  ©renjen,  gleichzeitig  ©amtm 
lungen  berfelben  erfebienen,  mie  biefe  anmuebfen,  mie  man  ernfi,  unb  mieberbolt  bie  2£nftd;t  aussprach, 
man  feile  hinfort  bie  Sugenb  fcabet  auferstehen,  fte  bamit  nähren,  als>  mit  ber  gefunbeften,  heilfamften 
geizigen  ©peife;  mie  man  ju  bem  mürbigfien  ©d)mucfe,  ja  ber  mahrhaften  SSerflärung  biefer  ßieber  bureb 
©ingmeifen,  ba§  S3efte  in  2btfprucb  naf)tn,  ma§  bie  Sontunff  bisher  gefebaffen  hatte  in  SSorjeit  unb  ©egem 
mart,  auf  bem  ©ebiete  bes>  alten  lateinifchen  unb  beutfeben  ÄircfyengefangeS  mie  ber  SSolfSmeifen.  iDiefe 
gebeimnitmolle,  ja,  an  2Bürbe  allen  übrigen  üoranjufMenbe,  näcbft  ber  ©otteSgelahrtbeit  am  böcbften 
ju  ebrenbe  Äunft  feilte  fortan  im  SMenffe  £>effen,  ber  fte  unb  alle  übrigen  gefebaffen,  ihre  höchste  S5ebeu= 
tung  offenbaren:  in  %i)m  follte  bie  3ugenb  fte  lieben,  burch  fie  follte  fte  3h n  ehren  lernen,  an  ihr  ftcb 
üben  unb  beranbtlcen ;  bem  £eiligften,  33eften,  gegenüber,  ben  ücrberblicben  äSublltebem  entfagen. 
3n  biefem  ©inne  ftrebten  SBalter,  unb  3?bau  jumahl,  tnbem  fte  an  ben  2öeifen  biefer  ßieber  bie  Äunff 
be6  £onfa£e3  in  soUftem  ©lanje  barjulegen  ftrebten;  in  eigenen  SScrten,  fo  mie  ben  »on  ihnen  gefammelten 
ber  benmrragenbften  SKeifier  ihrer  Seit.  S8on  jenen  Söeifen  felbft  aber  haben  feitbem  in  jeber  3eit  bie 
SSeften  geurtheilt,  bajj  an  2Beihe,  Snnigfeit,  Äraft,  ihnen  feine  anberen  ju  Dergleichen  fepen.  SBie  auch 
hätte  e§  anberS  fenn  fonnen?  Sieb  unb  SBeife  maren  nicht  etma  nur  für  ftrcbücfyc  (Srbauung  an  feftgefe|ten, 
mieberfebrenben  Sagen  beftimmt,  fte  maren,  unb  follten  SSegleiter  fepn  burch  ba3  ganje  ßeben,  ein  nie 
oerftegenber£UteU  geiftigerßrquicFung.  3e  werlangenber,  mir  bürfen  fagen,  burfiiger,  man  aufnahm,  ma$  an 
IBerfünbigung  unbßehre,  anßobgefang  unb@ebet,  ba§£ieb  entgegenbrad}te,  um  fo  inniger  berührte  baffelbe 
©etfl  unb  ©mpftnbung,  ent^ünbete  bie  ^Begabten  ju  neuer  Serherrlich,  ung  eineS  fo  foftlid) en  ©efchenB.  2(u§ 
eben  fo  unmittelbarem,  brigenbemSSebürfniffe,  mie  be§©cbaffen§,  fo  be§(§mpfangen§,  al§  bei  bemßiebe  felbji, 
entftanb  bie  neue  ©ingmeife,  eine  au§  ihm  unmittelbar  ermaebfene  gruebt  ber  ©egenmart,  nicht  mehr 
mie  in  ben  erften  Anfängen,  ein  ihm  nur  finnig  Angeeignetes ;  in,  unb  mit  ihr,  au$  innerer  9cotbmen= 


  216 


bigfeit,  ging  hervor,  maS  wir  ihren  Stt)l  nennen.  9ftag  man,  für  gemiffe  9?icbtungen  be3  SBilbenS, 
nad)  ben  äußeren  Umrtffen  be§  bisher  ©efratteten,  bie  man  mit  tierfiänbiger  ^Berechnung  ouffafjt,  unb 
bann  auf  @leid)artige§  anmenbet,  ein  Angemcffenesi  barfrellen  fbnnen,  bem  man  in  biefem  Sinne  ben 
Stt)t  nachrühmt;  in  tieferer  SSebeutung  wirb  biefer  immer  nur  in  wahrhaft  bitbungSfräftigen  3eiten  er= 
fcbeinen  fbnnen,  ba3  nur  Angcmeffcne  mtrb  ffetS  ber  2öärme  lebcnbiger  SSegeifterung  entbehren.  *2£16 
unmittelbarer  ©rguf?  einer  folcben  entjtanben  bie  Äirchenweifen  be§  löten  3af)rbunberts>,  burd)  tonfinnige 
Sänger  im  §3olfe;  mar,  mie  in  bem  ß  t  e  b  e  bie  allgemeine  ©eft'nnung,  «Stimmung,  Überzeugung  au§- 
gebrochen  gemefen,  fo  in  feiner  2Beife  ber  SEon  be§  innerften  frommen  ©efübleS  angefcbjagen,  fo  erfd)ien 
fte  augenblidlid)  mit  ihm  als>  ©inee»,  bie  allgemein  aufgenommene  mie  ein  SBerf  2fller,  ihr  einjelner  \Xx- 
beber  mürbe  »ergeffen;  batte  er  bod)  nur  juerft  auSgcfprochen,  ma§  in  2lUen  lebte,  unb  fo  einem  jeben 
gleichmäßig  anzugehören  festen.  Cr3  mar  bier  ein  noch,  fo  ganj  2lnbere§,  als  etma  mit  bem  blofs  funft= 
finnigen  3Bof)lgefallen  an  einem  trcflid)en,  aus»  ber  3eitrid)tung  b,er»orgegangenen  jtunftwerfe.  Denn 
meber  bei  bem  Siebe,  noch  ber  SSBeife  fanb  irgenbwie  ein  SEracfyten  jtatt  nad)  fünftlerifcher  S3olIenbung; 
jenes?  gab,  in  ber  bewegteften  Seit,  bem  innerften,  mäd)tigften  Crange  be3  ©emütbeS  ba§  rechte  SBort, 
biefe,  ben  redeten  3)on;  beibc§  tiereint  mar  bem  Singenben  wie  ein  au§  eigener  (Seele  (SntftrbmteS.  Darum 
bat  man  aud)  ftetS  «ergebend  tierfud)t,  —  anberä  aU  in  fpäteren  Seiten  —  bem,  mie  e§  fd)ien,  rauben, 
ungefälligen  SBortauSbrude  bes>  ßtebes>  größere  ©lätte  ju  geben  unb  ©etenff>eit.  Qben  meil  e3  tion 
Anbeginn  auf  SSollenbung  ber  äußeren  gorm  nid} t  gerichtet,  meil  ee>  im  eigentlichen  Sinne,  mie  entftan* 
ben,  fogleid)  Sigenthum  ber  ©em eine  gemorben  mar,  i)at  bie  9Kebrjal)l  »on  beren  ©liebern  angeblid)e 
Skrbefferungen  folcbjr  Art  jumeift  abgemiefen,  ja,  aud)  mo  fte  in  ber  freunblid)ften  Abftd)t  entgegengebracht 
mürben,  fte  mißtrauifd)  al§  böswillige  Eingriffe  in  ba§  eigene  Selbft  betrachtet.  Der  Sonmeifen  maren  mobl 
Anfangs  bei  einigen  ßiebern  mancherlei :  allein  entmeber  lief  ein  Sieb  einen  botiticltcn  ©runbton  ber  @m= 
pftnbung  ju,  beren  einer  bier,  ber  anbere  bort,  übermiegenb  tiormaltete,  ober  e§  ermartete  in  ber  &b,at 
nod)  feine  rechte  ^Betonung ;  bis  eS  fte  gefunben,  fetjen  mir  mol)l  biefe  eine,  balb  jene  anbere  SSJlelobie 
ergreifen,  alle  aber  ftnb  »löblich  tierfd)ollen,  menn  biejenige  gefunben  ift,  bie  bem  Siebe  ganj  ticrfd)miljt, 
ibr  fällt  bann  AUeS  ju,  unb  be§  früheren  mirb  nicht  mebr  gebad)t,  felbft  menn  es>  anfd)cinenb  ben  Anfor= 
berungen  ber  Äunbigen  mel)r  entf»recb,cn  follte.  Denn  biefe  entfd)eiben  l)ier  nicht,  bie  eigentümliche, 
befonbere  Auffaffung  bat  feine  ©ültigfeit  neben  bem,  mas>  bem  ©eifte  ber  lebenbig  angeregten  Allgemein^ 
beit  gemäß  ift.  <So  bitten  benn  an  Qjrftnbung  ber  Äird)cnmelobiecn  in  biefem  erften  Seitraume  ber 
Äird)entierbefferung ,  bie  Äunbigcn,  bie  berufsmäßigen  SEonfünfttcr,  meijt  feinen  £f)eil.  Denn  in 
biefem  Sinne  muffen  mir  auch  ßutl)er  ju  bem  SSolfe  rechnen,  ben  einzigen  Sänger  geiftlid)cr  SBeifen,  ben 
mir  bis»  gegen  bie  Wüte  beS  3öhrl)nnbert§  urfunblid)  ju  nennen  miffen ;  jmei  anbere,  ©enfl  unb  Äugel= 
man,  menn  anberS  unfere  S3ermutt)ungen  über  fte  richtig  ftnb,  flehen  nur  al§  einzelne  2lu§nal)men  neben 
ihm.  £>eSbalb  blieb  jebod)  bie  S£l)ätigfeit  ber  Sonfefjer  für  ben  neuen  Äird)cngefang,  il)r  bebeutfame§  6in= 
mirfen  auf  benfelben,  feine§meg§  au§gefd)loffen.  3b"e"  gehörte  bie  25urd)bilbung  beffen  an,  ma£  ber 
unbemufite  Äunfttrieb  gefd)affen,  e§  mar  ihr  fd)bner  S3eruf,  ba§  au§  ber  Sßcgeifterung  ber  Allgemeinheit 
^eroorgegangene,  tion  ihr  lebenbig  jeugenbe,  aU  Aufgabe,  alö  frud)tbaren  Äeim  fünfllerifcher  @ntfal= 
tung  ju  ergreifen,  es  in  baö  Äunftgebiet  ju  erheben.  (Sine  mie  herrlidie  33lütbc  ber  Sonfttnft  aber  bereitete 
jene  barmonifebe  Entfaltung  ber  ßiebform !  (Sine  geiftige  ^Belebung  be§  in  grauem  Altertbum  mie  in  ber 
©egenmart  ©efebaffenen ,  beö  für  bie  heilige  Stätte,  mie  au§  ber  Wüte  ber  mechfeloollen,  mannichfaltigen 


  217   


©efialtungen  Des  Sehens  ©efungcnen !  üftebr,  als  fonft  irgenbroo,  mujjte  es  l)ier  bem  Sieker  gelingen, 
Diefen  SicDroeifcn  gegenüber,  —  ©eftaltungen  von  nur  geringem  Umfange,  innerer  ©cfchloffenheit,  leichter 
Überficbtlicbfeit,  allgemeiner  gajjlichfeit, — ben  (Eomponiften  abjuroerfen,  roie  er  bisher  geheimen,  ben 
forgfam,  finnreid),  emfig  3ufammenfügenben,  unb  ju  einer  roabrbaften  ©lieberung  mebrftimmigen 
Sonfaljes"  $u  gelangen,  teffen  einzelne  Sbeile  nicht  fürber  eine  3ufäUigfeit  geigten  in  ihrer  gegenfeitigen 
33erbinbung,  fonbem  eine  tiefbegrünbete  innere  Übcreinftimmung,  ein  ^Beruhen  be§  gemeinfamen  Sehens 
auf  bem  jebes"  einzelnen  SbeileS,  unb  biefeö  roieberum  in  jenem,  gleich,  bem  in  allen,  fleinften  roie  grbfjeften, 
Jberoorbringungen  ber  %Jtur !  3fuf  mannichfaltigen  SBegen  feben  roir  bie  Sefcer  jener  Seit  fyinvoanbeln 
$u  biefem  3iele,  auf  bie  oerfebiebenartigfte  SBeife  ihre  Aufgabe  ergreifen,  bie  barmonifche  (Entfaltung  ber 
SJielobie;  irrenb  aber  allejeit  ba,  reo  fie,  oon  biefer  Sfichtung  abroeid)enb,  in  ber  blofjen  9Rad)t  über  bie 
Äunftmittel  auch,  bie  Äunft  felbft  in  ganzer  gülle  fchonju  befüjen  mahnen.  £>a  bat  (Einer  eine  funffrctche'tfrt  ber 
©lieberung  erfonnen,  ber  jufolge  aus»  ber  Sonroeife,  roie  au3  bem  .Reime,  bie  ©ejtaltung  bes"  ©anjen  ftch 
nothrcenbig  crfd)liegen  mufj,  ja,  febon  mit  ihr  »ollftdnbig  gegeben  ift;  nur  fann  bieS  nicht  gefd)eben,  ohne 
bie  SDJelobie  felbft  einer  Umgeftaltung  $u  unterroerfen  5  beShalb  muf?  fie  ftch,  ihr  fügen,  roären  es"  auch,  eigene 
thümliche  3üge  berfelben,  bie  barüber  verloren  gingen,  bentt  nur  fo  fd)eint  fie  ihre  33eftimmung  für  bie 
Äunft  erft  oollftänbig  ju  erreichen.  £ber,  es  ftnbet  jroifdben  mehren  Siebern  eine  innere,  tiefere  SSejiehung 
bes"  3  n  halt  es  jtatt,  nur  roaltet  boch,  bei  ihnen  eine  oerfd)iebene  gdrbung  bes"  ©runbgefübleS  ob,  unb 
biefer  jufolge  finb  auch  ihre  ©ingroeifen  oerfd)ieben,  als  tonfünjilerifche  Sßiebergeburten  —  baf  roir  fie  fo 
nennen  —  ihrer  Sieber.  Stun  ftellt  aber  ber  Sonfünftler  fief)  bie  Aufgabe,  tiefe  notbroenbig  oerfchiebenen 
3Jielobieen,  jener  inneren  33e$iehung  ihrer  Sieber  roegen,  auch,  äufj  erlief)  ju  einem  ©anjen  ju  oer= 
fnüpfen,  einen  flingenten  jiörper  ju  bilben  au§  ihnen,  eine  Harmonie  barjuftellen  in  biefem  Sinne. 
»Solche,  unb  ähnliche  Strien,  bie  Aufgabe  barmonifeber  (Entfaltung  geiftlicher  Singroeifen  ju  löfen,  für 
roelche  unfer  oorangebenber  ^Bericht  genugfame  SSelege  bietet,  finnreid)  roie  ft'e  fepn  mochten,  traten  ihr  boch 
nur  auf  unoellfommcne  SBeife  naher,  lochte  bie  Söfung  auch,  eine  reiche  Klangfülle  gewähren,  fo  fonnte 
ber  <2e£er  boch  nur  ftch  rühmen,  ein  Übel  burch,  biefelbe  flüglich,  Permi  eben,  nid)t  ein  eigentümliches 
Sehen  burch  biefelbe  entfaltet,  ein  roefentlid)  ©uteS  geletftet  ju  haben  5  es"  genügte  ihm,  roenn  ba£ 
nach,  notbroenbig  bebingenber  Siegel  fünftlich  ©eorbnete,  bas,  bei  febeinbarem  SBiberfprucbe  bennod)  25er= 
fnüpfre,  nur  bem  2öo()lf  lange  nicht  roiberftrebte,  nur  beffen  SSebingungen  nicht  verlebte;  ba  burch, 
bie  Harmonie,  ben  SSedifel  be»  2Ibflingenbcn  unb  23erfcbmel$enben  in  SSerfnüpfung  oerfchiebener  £on= 
reihen,  Sinn  unb  S5ebeutung  ber  Sonrocifen  ju  offenbaren  boch  ber  eigentliche  ©egenftanb  ber  Aufgabe 
roar.  "Much  in  foleber  Söeife  faxten  fie  anbere  Sonfünftlcr  auf,  roie  roir  gefeben;  alle  aber,  ein  jeber  auf 
feinem  SSege,  burd)  3rren  unb  (Erreichen,  forberten  auf  fräftige  SBeife  ben  SSach^thum  ber  heiligen  Zon- 
hmft.  greilid)  ift  ba§  93teiftc,  roa§  biefe  Seit  geleiftet,  nur  S>erfud),  unb  meijt  nicht  oon  unabhängigem, 
in  ftch,  berubenbem  Äunfrroertb,e;  allein  es  bleibt  boch,  oon  hoher  SSebeutung  für  bie  (Entfaltung  ber  gefamm-- 
ten  Aunft,  unb  toir  möchten  es>  auf  feine  Söeife  entbehren.  Äunftrichter  unferer  3eit  hohen  es>  oft  mi§= 
oerfjanben,  oerfannt,  roeil  eS  jenen  felbftdnbigen  SBerth  nid)t  befa§,  fie  haben  bie  begeifterten  'ituficrungen 
felbft  bochftehenber  9Känner  jener  3eit  über  bie  Sonfunft  ihrer  Sage  faft  bemitleibet;  es  fei  rpoblfeil  geroefen, 
jenen  ju  gefallen,  ba  ft'e  33efferes  nicht  gefannt,  haben  fie  ftch  »emebmen  laffen.  Allein  an  bem  23obl= 
gefallen  jener  Scanner  hatte  roeber  irgenb  eine  SSergleichung  einen  Sheil,  noch  roar  es  ein  funftrichterifches  : 
an  ber  geiftig  hod)  ftrebfamen,  ber  Äunftmittel  auf  herounbernsroürbige  23eife  fich  bemeifternben  Scnfunft 

r>.  aBinttrfttt ,  in  erangtl.  (S^cralscfang.  28 


  218  


liebten  unb  lobten  fte  einen  lauteren  Spiegel  ifyrer  eigenen  tüchtigen  ©trebfamfeit ;  wegen  ihres  frifd)en, 
fruchtbar«)  SSormärtSbringenS  rühmten  fte  ibr  mit  8fecbt  nad),  fte  fei  nie  fo  t>  o  d>  fommen,  mo= 
mit  fte  freilich,  auf  feine  SBeife  fagen  mollten ,  baß  fte  nunmehr  auch  tbt  leljteS  3iel  bereits  erreicht  rjabe. 
Sie  mar  ihnen  h,od)  unb  heilig/  weil  fte  bem  £bd)ften  nahe  jfanb,  mit  ihm  #anb  in  £anb  ging :  fte  er^ 
bauten  ftd)  an  ibr,  als  einem  herrlichen  ©cfd)bpfe  ©otteS ;  fte,  bie  ©cfunbcn,  mürben  t>on  ber  fräftigen, 
gefunben  Snfmtcflung  tiefer  Äunft  unmibcrftebltd)  l)ingcriffcn,  unb  mcnn  biefe  ©nrmicflung  auch  mohl 
©eftfameS  ju  Sage  fbrberte,  fo  mar  eS  bod)  ntd)t  erfonnen  als  9?eijmittel  für  Überfättigung  unb  (§rfcblaf= 
fung.  ©cftel)en  bürfen  mir  allerbingS,  baß  manches  ber  Sonmerfe  jener  Sage  in  bem  3ufammcnbangc 
feiner  ©lieberung  nur  ben  AuS führen ben  »crftänblicb  gemefen  fev>n  merbe,  ben  in  il)m  unmittelbar 
ikbenben,  bei  feiner  2Bteberf)en>orbringung  nahe  beteiligten;  beruhte  bod)  baS  ©anje  meh.r  in  bem  ein- 
zelnen, als  biefeS  in  ihm,  mar  eS  boch,  als  ©anjeS,  fajt  nur  eine,  bureb  baS  Einzelne  glücflid)  beftegte 
©d)mierigfeit,  ein  burd)  baffelbe  Aufgehobenes,  fo  baß  bie  oolle  gratbe  baran  nur  in  jenem  ©iege,  jenem 
Aufheben,  jumeift  alfo  für  bie  SEbeilnebmer  an  ber  Ausführung,  meniger  für  ben  ^brer,  befteben  fonnte. 
Senn  faum  ließ  für  biefen  ber  3ufammenflang,  meber  baS  fünftliche  Songemcbc  erf ernten,  noch  bie  glücf= 
liehe  Bufammenfügung  beS  anfd)einenb  2Btberftrebcnben ;  unmittelbar  mar  bcibeS  nur  jenen  flar  als  Sar= 
fteUenben,  in  ber  9tabe  ihm  9)iitrt)eilnel)mer  auf  biefe  Saufchenben,  beS  gemeinfamen  3ufammenmirfenS 
mit  ihnen  ftd)  greuenben.  Sarum  geben  mir  gern  nach,  baß  StttherS  33emunbcrung  ber  Sonfunft  faum  fo 
lebhaft  unb  geiftretd)  ftd)  ausgebrochen  tyaben  merbe,  als  eS  in  feinem  ^Briefe  an  ©enfl,  unb  mehr  noch 
in  feiner,  ber  9Jiuftca  eigenbS  gemibmeten  8obfd)rift  gefcbiel)t,  märe  er  md)t  felber^itfdnger  gemefen. 
SiefeS  S5erhältnif  ber  meiften  #örer  ju  ben  fünfilieben  Sonfä^en  jener  3eit,  ja  fclbft  ben  einfacheren, 
fofern  in  ilmen  gembbnltd)  ber  ©egenftanb  if)rer  Aufgabe,  bie  9Jlelobie,  einer  9Jiittelfttmme  jugetl)eilt  mar, 
alfo  burd)  bie  höheren  .Klänge  berDberftitrtmen  leicht  oerbunfelt  mürbe  —  biefeS  SSerbältnifj  erflärt  unS,  mie 
neben  jener  lebhaften  ^Begeiferung  für  bie  Äunji  beS  mef)rjtimmigen  Sonfa^eS,  bod)  mieberum  aud)  häufig 
Älagen  ber  Sonmcijter  laut  mürben,  man  erfenne  fte  nicht  genugfam,  aebte  fte  nicht  nach  SSBürben.  3n 
ber  einen  fprad)  ftd)  bie  greube  auS  an  bem  ma[)rl)aft  ©elungenen,  in  ben  anbern  betätigte  ftd),  gleich 
mabrbaft,  baS  33cmußtfet)n  eines  SDiangelS.  Sm  naturgemäßen  Sortgange  ber  (SntmicFlung  mußte  beS* 
halb  noth.menbig  baS©treben  ermachen,  biefen SBiberftrett  aufjulbfen,  bem  ©timmengemebe,  als  ©anjem, 
einen  mefentlidben  ©ehalt  ju  geben  bureb  bie  Harmonie,  biefe,  als  ©cfammtergebniß  beS  uer= 
flochtenen  einzelnen,  bei  beffen  ©lieberung  in  neuem  ©inne  ju  berücfftd)tigen ,  unb  fo  auch  bem,  als 
nur  Empfangen  ber,  bem  Söcrfe  gegenüberftebenben  Q  br  er  beffen  S5ebeutung  511  offenbaren.  2Bie 
biefeS  ©treben  allgemach  eine  fd)bne  23lütf)e  geiftlicber  £onfunjt  im  mebrjtimmigen  Üiebergefange  berbei= 
geführt  habe,  gebenfen  mir  in  unferem  33erid)te  über  bie  lefere  £älfte  beS  16tcn  ^«bi'bimbcrtS  barjuftellen. 
Saß  eS  fchon  in  beffen  erfier  $älfte  ftd)  föaijn  gebrod)en,  l)aben  mir  in  geifireid)^ropl)etifd)cn  Anbeutungen 
bei  einjelnen  trefltcben  Sonmeijtern  bereits  mahrgenomtnen;  bei©eorg3ibau,  S3enebict  SuciS  (oberJperjog), 
Uubmig  ©enfl,  bereit  Sonfäfje  mir  fo  eben  nur  auSführlid)er  befprachen. 

Allein  eben  in  S5ejug  auf  bie  julefjt  genannten  beiben  9Jceij!er  fbnntc  ein  erheblid)eS  Jßcbenfctt 
unferer  SarjlcUung  entgegengefe^t  merben.  Sßtr  haben  bie  SSerbienfte  beiber  um  bie  Sktonung  antif'er 
9Kaaße  gerühmt,  unb  ihren  SBcftrebungen  auf  biefem  ©ebiete  einen  bebeutenben  Einfluß  auf  barmonifebe 
Entfaltung  beS  GhoralgefangeS  beigemeffen.    2Bar  aber  biefe  auf  gefunbem,  naturgemäßem  gortfehritte 


Oer  Jitunft  be»  geifllicben  &onfaßes  notbwenbig  gegründet,  fo  bürften  wir,  foUte  man  meinen,  fte  nicht 
erfl  herleiten  aus  einer,  ein  ganj  anbereS  3tel  »erfolgcnbcn,  fremden  Siicbtung.  Mein  hergeleitet  haben 
wir  fte  auch  nicht  aus  biefer ;  wichtig  aber  mußte  un$  bicfelbe  fewn,  weil  mit  tt)r  eine  "Kxt  ber  SEbdtigfeit 
bebingt  war,  bic  ber  geijlltcben  Sonfunjl  ein  näheres  SSerfldnbnifj  ihrer  Aufgabe  erfcblofi,  ben  £onfe£ern 
bie  33abn  ebnete,  ilmcn  bie  SQiittel  gemährte,  jene  um  fo  leichter  ju  löfen.  SBaren  bei  ber  83etonung  an= 
tifcrSKaafk  alle  bieSBortbctle  auSge|"cbloffen,  bie  berSeljer  au§  fürtflttd)cr  Stimmenücrmebung  ju  jieben  ver- 
mochte, unb  mürbe  fein  ganjeS  33cjlreben  allein  babin  gelenft,  neben  bem  rb  wtbmtfch en  SSeftanbtheile 
feinet  ©ebiebte»,  beffen  Snbalte  genugjutbun,  bie  barin  »ormaltenbe  Stimmung  in  einer  einfachen 
bebeutfamen  «Harmonie  abjufpiegcln,  weil  ßeerbeit  in  biefer  ganj  unerträglich  gewefen  wäre;  fo  mürbe 
ihm  bamit  jugleicb  baS  Sierftdnbnt^  gebfnet  für  jmet  mid)tige  S3eftanbtt>eile  ber  Singmeifen  beutfeber  getft- 
lieber  üieber;  für  ben  rbhtbmif  cb,en,  ben  bie  S>olfsmeife,  ben  b  armonifcb  en,  ben  toor  2füem  ber 
alte  rbmiüte  Äircbeagcfang  bureb  bie  Äirdjentbne  i()nen  jugebraebt  hatte,  ©rfannte  er  aber  auf  frembem 
©ebiete  beren  SBebeutfamfcit,  mürbe  fein  Streben  gemeeft,  benfelben  genugjutf)un ;  um  fo  mehr  mußte 
bann,  ma§  er  bort  leiflete ,  and)  auf  bem  gelbe  ber  heiligen  SEonfunfl  ihm  ju  ©ute  fommen,  beren  ä$erberr= 
licbung  er  nun  bie  ganje  gülle  feiner  ermorbenen  SDleiflerfcbaft  mibmen  fonnte,  um  feinen  ü£onfä§en  für 
ben  bbchflen  3wecf,  im  ©anjen  mie  im  ©injetnen,  ben  wefcntltcbflen  ©ehalt,  bie  t;bd)fte  33ebeutung  ju 
geben. 

3iucb  bei  fixerer  Umgrenzung  benad)barter  ©ebiete  unb  beren  gortbitbung  in  ft'cb,,  merben  wir 
gegenfeitigen  (Sinfluß  niemaß  auögefd?loffen  finben.  So  ergriff  ber  geifllicbe  Siebergefang  feit  ber  Äircbem 
oerbefferung,  meil  er  ©efang  ber  ©emeine,  bes>  2$olfe§  fetm  foUte,  ben  SSolfSton,  unb  fleibete  in  ihn  ba$ 
auf  bem  ©ebiete  bes>  alten  rbmifeben  Äird)engefange»  (Sntlebnte:  er  eignete  aber  aud)  bie  33olf§weife, 
ein  ihm  fonfl  grembe»,  fid)  an,  meil  er  bie  »erberblicben  SSubllieber  ausrotten  trachtete,  unb  fo  merben 
beren  Umbicbtungen  unS  midjtig,  auch  wenn  fte  fonfl,  fachlich,  ober  bichterifch  betrachtet,  es>  nicht 
fewn  mürben. 

(Sin  anberer  Zweifel  noch  fpviebt  fich  aus  in  ber  grage:  mußte  nicht  febon  bas,  bem  ©emeine-- 
gelange  al3  Unterftü&ung,  aB  SErdger,  verbunbene  £rgelfpiel  ba§  (Streben  einleiten,  ben  einfach  bar= 
monifchen  ©ehalt  ber  geiftlidjen  ßiebmeifen  bavjujlellen ,  bie  eS  begleitete?  Seinem  üffiefen  nach  war  eS 
mehrflimmig,  bem  Swecfe  jufolge,  ben  wir  babei  üoraue>fe£en  muffen,  notbwenbig  einfach;  warum  alfo 
noch  eine  Gjntwtdlung  bee>  Sonfa^eö  auf  frembem  ©ebiete  in  2uifprucb  nehmen,  baeSjenige  ju  erfldren,  ba3 
au§  ungleich  näheren  S5ejiel)ungen  leichter  berjuleiten  ifl?  £>iefer  Zweifel  beruht  inbeß  in  zwiefacher  %xt  auf 
einer  unrichtigen  33orausfe£ung.  2Btr  wiffen  jwar  nid)t  mit  Sicherheit,  mie  ba§  £rgelf»iel  um  bie  erfle 
£dlfte  be§  IGten  3abrbunbert§  befchaffen  gewefen,  allein  anbere  Sl)atfad)en  gewahren  unS  bie  Überjeugung, 
ba^  jene  (Sinwirfung,  bie  man  ihm  beimißt,  nicht  flatt  gehabt  haben  merbe.  3undcbfl  barf  nicht  einmal)l 
angenommen  merben,  baß  in  ben  frübeflen  Seiten  ber  Äircbenüerbeffcvung  ber  Siebergefang  ber  ©emeine, 
ber  jumeifl  an  bie  SteEe  beö  bisherigen  ßhorgefangeö  ber  ©eijllicben  trat,  mit  ber  ^rgel  begleitet  gewefen 
fep,  wie  gegenwärtig  in  unferen  et>angelifcben  Äirchen.  So  wenig  wie  jener  jlljc'd  be§  bisherigen  Mixd)m- 
gefangeS,  beffen  ^)la^  er  einnahm,  bamalä,  unb  jefetnoeb,  ju  ben  SEbnen  ber  SDrgel  vorgetragen  mürbe, 
eben  fo  wenig  wirb  ee>  bamal§  mit  bem  ©emeinegefange  ber  gall  gewefen  fet;n.  ^)dtte  man  ber  Orgel 
für  ihn  ju  bebürfen  gemeint,  fo  mürbe  man  in  bilber=  unb  fircbenfiürmerifchem  ©ifer  nicht  fo  üiele  trefliche 
Ürgelwerfe  jertrümmert  haben.    Siefer  fanattfdje  gifer,  ben  Sutber  mit  fo  herben  SBorten  flrafte,  war 

28* 


  220   

aber  gegen  tue  «Runji  gerichtet/  bie  ben  ©chmarmgcijtern  für  ettleS,  t)ctbntfd)e§,  feelenoerberblid)es>  ©epränge 
galt,  für  ein  abgötttfd)er  SSaaföbienft,  ben  man  ausrotten  muffe,  bamit  bie  ©eelen  ber  ©laubigen  nid)t  in 
i>ev|iicbung  gefüllt  mürben.  AIS  einSBerfjcug  folctjcr Abgötterei  crfd)ien  aud)bie£)rgel,  bes>f)alb ber Jpafj  gegen 
fie;  mir  feigen  bal)er  mit9Jed)t  uorauS,  ba^ftebi§jurÄircl)eimerbcffcrung  emeStheilS  bem  Äunftgefange  aB 
Segleitung  unb  ©tü|e  hinjutrat,  anberntheiB  neben  ihm  ftanb,  al§  SBcrfjeug  für  freie,  fird)lid)e  j?unf> 
leiftung.  3Bo  nun  ein  fanatifd)4)erber  ©ifer  folcb,er  Art  ftd)  nid)t  entjünbete,  ober  burd)  fräftige,  geiftliche 
Ginmirrung  unb  3ud)t  in  ©cfyranfen  gehalten  mürbe,  mo  man  an  baö  Althergebrachte  anfnüpfte,  unb  nur 
baSjemge  abtrat,  ma3  bem  gereinigten  ©tauben  miberftrebte,  ba  hat  man  geroifj  lange  bie  bisherige  Söeife 
beibehalten,  unb  es>  ift  r>icl  glaublicher,  bafs  ba§  Srgclfpiel  nad)  bem  dufter  be§  Äun|tgefange§,  burd) 
ihn  unb  mit  il)m  ftd)  merbe  gebilbet  haben  —  mie  überhaupt  ba§  Snftntmentenfpicl,  —  aB  umgefef)rt; 
bafj  e3  alfo  el)er  »on  il)tn  eine  (Sinmirfung  merbe  empfangen,  aB  eine  auf  ihn  geübt  fyaben. 
Aber  angenommen  aud),  man  habe  in  £)eutfd)lanb  üor  ber  Äird}cn»erbefferung  ben  ßhorgefang,  jumaf)l 
ber  $)falmen,  einfad)  mehrjtimmig,  fe»  e§  unmittelbar  geübt,  fev>  e§  mit  ber  £)rgel  begleitet;  fo  mürbe 
bie§  faum  in  anberer  2Beife  gcfd)el)en  fet)n,  aB  im  fogenannten  f'also  bordone,  —  einer  Sietye  ©ed)S>tem 
aecorbe;  eine  nach  SSaini  in  ber  pdpjtlid)en  Capelle  feit  bem  14ten  bts>  fttnetn  in  bag  19te  3af)rfmnbert  f)er* 
fommliche  Art  be§  33ortrages>,  beren  bereits  bei  ©afur  unb  Abam  oott  gulba  @rmäl)nung  gefd)ieht.  3ji 
e3  nun  benfbar,  menn  biefe  Art  »on  einfacher  £>rgelbegleitung  auf  ben  ©emeinegefang  übertragen  mürbe, 
baf?  barauS  irgenb  eine  erf)eblid)e  (Sinmirhtng  habe  entfteben  fbnncn  auf  tieferen  harmonifchen  ©ehalt  be§ 
ÄunftgefangeS?  2Bir  holten  baf)er  unfere  £)arftellung  burd)  biefe  3n>eifel  gegen  biefelbe  feineSmegeS  für 
erfchüttert.  SBcnn  aber  enblid)  fogar  gefragt  mirb:  ob  benn  überhaupt  auf  bem  Äunjtgebiete  »on  einem 
ßhotalgefange  unb  61)  oralftple  mbiefer3eitfd)onbie9?cbe  feenfönne,  ba  ja  jumeiftaUemehrflimmigen 
geiftlichen  gieberfd^e  au§  berfclben  bem  S'Suralftple  angehören?  fo  halten  mir  biefe  Srage  für  eine  müßige. 
3undd)ft  mirb  bei  ihr  »orauSgefeljt,  bae>  2Befentlid)e  einer  ßhoralmelobie  beftef)e  in  völliger  <55letd>{>ett  ber 
Sauer  ihrer  einzelnen  £bne,  in  Abmefenheit  aller  rl)t>thmifd)en  9Jiannid)faltigfeit,  unb  eben  fo  mefentlid) 
fei  für  ihre  harmonifche  ^Begleitung  bas>  Enthalten  üon  jeber  eigenthümlid)  bemegten  Rührung  ber  9Kittel= 
ftimmen,  gefd)mcige  benn  ber  ©runbftimmc.  £)iefe  gorberung,  melche  erft  eine  ütel  fpdtere  3eit  an  ben 
fird}lichen  Siebergefang  gefiellt  hat,  ft'nben  mir  freilich  in  ber  Seit,  über  bie  mir  beridjtet,  nid)t  erfüllt, 
allein  eben  fo  menig  ift  if>r  um  bie  3eit  ber  höchfjen  33lütf)e  bes>  eoangelifchen  G^oralgefange^  ©enüge 
gefd)ef)en.  25enn  r>on  fo  eng  umgrcnjtem  ©ebiete  müßten  mir  eine  jebe  ©ingmeife  mit  heroortretenbem 
rfmthmifchen  2Bed)fel  augfeheiben;  jebe  burchgehenbe  iJcote,  gefdntmge  benn  eine  S5inbung  in  ben  9JJittet= 
fiimmen  —  ba§  33ebeutung$>t>olljte,  SBirrfamfte  alfo  —  müßte  uns>  für  ein  SBerjfoß  gegen  bie  Steinheit  beS 
©tyleS  gelten.  3enet  ©egenfa^  beö  ß  h  o  r  a  l  =  unb  g  i  g  u  r  a  l  jt  p  l  e  §,  ber  in  ber  Äunftübung  mit  Strenge 
nirgenb  feftjuhalten  ijl,  fann  be§hatb  für  unfere  Darftellung  feine  ©ültigfcit  haben.  &n  anberer  jebod), 
auf  ben  fie  bt^tjer  jum  öfteren  hingebeutet,  ift  für  fte  r>on  entfdjiebener  S!Bid)tigfeit,  ber  jmifd)en  einfach^ 
harmonifcher  ßntfaltung  einer  geiftlid)en  ©ingmeife,  unb  einem  fte  bcgleitenben  funftreid)en  ©timmengemebe, 
baä  bie  ©runbgebanfen  (9)iotiüe)  feiner  9cad)al)mung  auS  ihr  fd)öpft;  ober,  un§  eine§  Äunftmorte§  ju 
bebienen,  jmifd)en  fyomopljontfdjer  unb  polt)phonifd)er  Jßchanbtung  bcrfelben.  Wit  9?ürfftd)t 
auf  biefen  ©egenfa^,  ber  burd)  unfere  gefammte  Sarftellung  unö  begleiten  mirb,  fönnen  mir  fagen:  bie  erfte 
^älfte  beö  löten 3ahrhu"bertö  mar  im  geiftlid)enßiebcrgefange  ba§3eitalter  üorherrfd)enber  ?)olnphonie: 
biefe  erhielt  aber  ihre  f)öct)fte  Auöbitbung  burch  ben  allgemach  erfolgten  allgemeinen  Übergang  ber  SKelobie 


in  t>ie  £>berjtimme,  burd)  welche  für  bie  fünfiltdKn  Songeroebe  bie  2(nforberung,  baß  fte  aud)  r;armonifd) 
bebeutfam  roürben,  ftd)  immer  bringenber  geltenb  machte.  Saburd)  aber  rourbe  bie  .£omopf)onie  öon 
felber  angebahnt;  fte  leiftete  in  einfachen  Sögen,  n>a§  jene  burd)  eine  reichere,  jufammengef entere  ©lieberung. 
3br  fcbtof  nun  ba§  Drgelfptel  ftd?  an,  nid)t  allein  at§  notlmxnbige  ©tü£e  be3  ©emeinegefangeS,  fonbern 
»or  2fllem  in  ber  tfbftcfyt,  if)n,  fo  »iel  tfjunlicr;,  mit  fjinaufjufjeben  in  ba£  Äunjtgebiet,  ifm  bem  Ätmji= 
gefange  näh, er  ju  bringen,  fo  baf?  er,  biefem  gegenüber,  wie  bie  reiche  gülle  jartgeglieberter  SSldtter  gegen 
bie  glänjenbe  Farbenpracht  ber  obllig  entfalteten  S5Iütt)e  erfd)eine.  £>iefe§  ju  leijien,  roar  ber  jweiten 
£dlfte  be§  16ten  3af)rf)unbert3  »orbefyalten,  ben  Fortgang  biefer  ©ntmicflung  be§  et>angelifd)en  Äirdjen- 
gefangeS  roirb  un$  feine  ©efdjidjte  enthüllen,  foroeit  er  ber  Äunjt  angehört;  it>n  ju  fdbjlbern  ijl  bie  Aufgabe 
ber  nun  folgenben  £>arftellung. 


£mite$  pnd). 

Der  ceongclif^e  Stirdhengcfatiö  in  Der  ^weiten  #älfte  be«  fedjgeljnten  3«f)tft»nbcrtiS. 


i  tt  I  e  1 1  u  tt 

2Bir  betrachteten  bisher  ba3  geiftlicbe  Sieb  unb  feine  Singroeife  in  rafebem,  oeretntem  2Bacbe>' 
tbum.  SScibe  erfchienen  un§  als  roefentlicbe  SEbeile  be§  neuen  ,Kird)cntbume§,  baö  eine  tätige  Teilnahme 
ber  ©emeine  an  bem  ©otteSbtenfte  forbevte.  9Jlit  ber  <Sad)e  ber  ©oangelifcben  fallen  wir  fte,  gleichmäßigen 
5ortfcbritte$,  gebeiben,  big  ber  3?eligion§friebe  in  Seutfcblanb  ein  gefeilteres  SSerbältnifi  feftjMIte  äwifeben 
ber  neuen,  lutljerifc^en,  unb  ber  alten,  rbmifcfyen  .Kirche.  3n  ber  jmeiten  £älftc  be§  16ren  Sa^r^unbertS 
bricht  nunmehr  für  beibe,  Äircbcnlieb  unb  Äircbemoeife,  eine  neue  3eit  an.  (53  ift  eine  Seit  bee>  ©ebeibenS 
nod)  allerbingS,  allein  auf  einem  anberen  SBege,  wie  bie  3eitoerbältniffe  ihn  bebingten.  £>icfe  haben  mir 
uns  nun  in  ba§  ©ebächtniß  ju  rufen,  roenn  auch,  nur  in  allgemeinen  3ügen,  um  für  ben  ©egenftanb 
unferer  ^Betrachtung  ben  rechten  ©eft'cbtSpunft  ju  geroinnen. 

£>ie  romtfehe  Äirche,  in  bem  Abfalle  fo  ttieler  Sanbe  tief  erfchüttert,  hatte  burch  bie  Äirchen= 
oerfammlung  ju  SSrient  getrad)tet,  baS  ihr  ©ebliebene  fefter  in  ftch  ju  fcbliefkn,  burch  £er(lcllung  ber 
oerfatlenen  ßebre  unb  3ucbt  ftch  neu  ju  begrünben.  ©ich  erftarft  fühlenb  roieberum,  ging  fte  nun  über  ju 
bem  Streben,  baS  Verlorne  voieberjugeroinnen,  ba§  SBtbcrftrebenbc  51t  bänbigen,  ja,  auszurotten,  bamit 
baS  83erberben  nicht  weiter  greife.  £)iefe3  in  Italien,  in  Spanien;  jene§  in  Deutfcblanb.  SSon  ticf= 
greifenber  SBirffamfeit  mar  babet  oor  2UIem  ber  S5eiftanb  ber  ©efcllfchaft  Scfu.  2)tcfc,  gegrünbet  bereite 
oor  bem  ©cbluffe  ber  Äirchenücrfammlung,  in  £)ftreicb  unb  Skiern  nicht  lange  nad)ber  oerbreitet,  fenbete 
balb  nach  ber  SDiitte  beS  3ahrhunbert§  fchon  ihre  ©lieber  au§  in  ben  öftltd)en  unb  roe|fticben  Sbeit  £>eutfcb= 
lanbS.  2Bir  finben  fie  um  15GG  nid)t  allein  in  ben  fchon  genannten  2dnbern,  fonbern  aud)  in  granfen 
unb  ©ebroaben,  einem  Shcil  ber  Sfheinlanbe,  in  ^Böhmen,  SQZäbren,  bi§  in  Ungarn  hinein.  3hrc 
^Bemühungen  ftnb  babin  gerid)tet,  fatholifche  2el)ranftalten  ju  grünben,  burch  glänjenbe  SSitbung  bahin 
^u  locfen,  burch  feine  Sitte,  roürbigen 'tfnjranb  ftch  hn  empfehlen,  gegenüber  ber  roilben,  berben  'M  ber 
üutberifeben.  Unb  roaS  tonnte  geeigneter  fepn  als  biefeS,- um  fdmxmf'enbe,  ttid)t  wollig  überzeugte 
©emüther  ine  $u  machen,  unb  fte  jur  Umfebr  ju  beroegen?  9Kan  bot  ihnen  Sicherheit  unb  golgercd)tigfat 
ber  Sebre ,  ein  fejl  unb  neu  in  ftch  gegrünbeteS  Äirchenthum ,  einen  feierlich  prachtigen  ©ofteSbicnjl  5  man 


  223   


ftetlte  bie  3erfpaltung  Per  Remlingen  in  Der  ©otteSgclahrtbcit,  welche  bie  Äircbenoerbefferung  hervorgerufen 
hatte ,  ihnen  bar  alö  bie  uerberbltcbc  golge  ber  Abwctd)ung  vom  rechten  SBege.  So  ift  in  Äurjem  bie 
Mehrheit  in  Samern  ber  alten  Äircbe  roieberum  jugefallen  burch  eifrige  9ftttwirfung  feiner  ^erjoge; 
anberc  fatholifche,  jumabl  gctftlid)e  Surften,  machen  von  ihrem  SJefonnationsrecbte  ©ebraucb.  SErier 
febrt  ntd)t  ohne  ©ewalttbat,  auf  milbercm  2Bcge  9)iainj,  jurücf  in  ben  Scboof?  ber  .Kirche;  (5bln 
bleibt  einftweilcn  bei  ber  eoangclifd)cn  2ebre  burd)  ben  fübnen  Untcmebmungsgeift  feines  ßburfürften, 
©ebbarb  £rud)fefj,  ber  e§  als  weltliches  gürftentbum  gewinnen  »iß.  2Cucb  in  £>ftreich  unb  Steper= 
marf  gewinnt  tiefe  ßebre  Siaum  bei  ber  miiben  ©cft'nnung  Äaifetö  SOtarimiltan  beS  3roeiten,  ber  ftd) 
ihr  fclber  hinzuneigen  febeint.  Allein  nun  trennen  ftd)  bie  nbrblicben  unb  füblicben  ^roüinjen  ber  9(ieber= 
lanbe  pon  einanber,  unb  bie  alte  £ircbe  begrünbet  ftd)  aufS  9ceue  in  tiefen  legten.  9ttcbt  etwa  burd) 
bie  graufamen  9J2aafn-egeln  Philipp»  beS  3meiten  unb  feines  2£lba  gewinnt  hier  ber  römifebe  Stuhl  baS 
Verlorne  wieber;  ber  fatboltfcbe  Abel  bafclbft,  bei  ben  ©ewalttbdtigfeiten  ber  ^Protefianten  gefährdet, 
oerbünbet  fid)  bem  gürften  gegen  Std)crung  feiner  33orred)te,  biefer  gewinnt  bie  unterworfenen  Stdbte 
burd)  gleiche  Sid)erung,  gegen  bie  SSebingung  wolligen  AuSrottenS  ber  neuen  Sebre  unb  Entfernung 
ihrer  Anhänger,  ßreigniffe  fo  entfeheibenber  Art  burebfreujen  bie  spiane  beS  Solner  G^bifcfyofS  unb 
ßburfürften,  baS  wichtige  ©rjjlift  wirb  für  bic  fatholifche  Sache  gerettet,  bie  ßurüdbringung  ber  frdn= 
frfchen  Stifter  jum  alten  ©lauben  gefiebert.  SKartmitianS  9cad)folger,  ber  ftreng  fatbolifcb,  erjogenc 
9htbolf  berSvoeite,  nimmt  pon  Störung  eines  gronteid)namSumgangeS  ju  SBien,  um  1578,  ©elegem 
heit,  von  bloßem  SSibcrftanbe  gegen  baS  Ausbreiten  ber  neuen  ßebre  überjugehen  ju  ben  entfcbetbenb= 
ften  Schritten,  bie  ihre  gdnjlicbe  Ausrottung  herbeiführen  foücn.  Ratten  in  ben  fübltcben  9cicbcrlanben 
Abel  unb  Stdbte  bei  ber  SJüdfebr  ju  ber  alten  Äircbe  ihre  SSorrecbte  gegen  ben  gürften  flüglich  5" 
wahren  gewußt,  fo  ftnben  wir  bagegen  bie  fird)licb  reformirenben  ©dritte  beutfeber,  fatholifcber  gürften 
mit  gewaltfamen  Eingriffen  in  bie  9?ed)te  ihrer  bis  Dahin  epangelifeben  Stdnbe  unb  Unterthanen  »er* 
fnüpft.  Sticht  anberS  freilich  greifen  auch  bie  Stdnbe,  wo  fte  bie  Stdrferen  ftch  fühlen,  mit  feder  4j)anb 
hinüber  in  bie  gürftenred)te. 

Unb  alle  biefe  Angriffe,  heimliche  unb  öffentliche,  burch  .Klugheit  unb  ©ewalt  oorfebreitenbe, 
trafen  fte  ein  gegen  Aufjen  gleich,  geftcberteS,  in  ftch  feffgegrünbeteS  iiirchenthum  als  baS  angreifenbe 
war?  Sie  richteten  ftch  gegen  eines,  baS  in  feiner  S5tlbung  unb  SSegrünbung  erft  begriffen,  fogar  febon 
in  ftch  ^mittet  erfcheinen  fonnte.  SBtr  gebenfen  hier  nicht  jener  örtlichen  Secten,  bte,  wenn  auch  auS 
feinem  Sd)oof?e  hervorgegangen,  t»on  ihm  boch  unbebingt  oerleugnet  würben.  Aber  burch  ben  @alm= 
niSmuS  hatte  ftch  bie  bebenfliebfie  Spaltung  bervorgetban  in  ber  neuen  Äircbe,  bebenflid)er,  feit  einfluf?; 
reiche,  lutherifche  gürfien ,  jener  anberen  Sebre  geneigt,  jule^t  unbebingt  ftch  für  fie  erfldrten.  So  würben 
bie  (Spangelifeben  nicht  won  dufscren  geinben  nur  bebrdngt,  wenn  auch  biefe,  bei  bem  SJüdtritte  ein* 
jetner  dürften  jur  fatbolifd)en  £trd)e,  ftd)  mehrten ;  nicht  burd)  fte  allein  würbe  baS  ©ebtet  beS  bis  bahin 
auSfcbtiefjenb  als  gefe^ltd)  anerfannten  AugSburgifcben  33efenntniffeS  in  immer  engere  ©renjen  jurüd^ 
gebrdngt.  Aud)  innere  SBtberfacber  febtenen  ben  Untergang  ju  brohen;  SBiberfadjer,  bie,  wie  jene  an* 
beren,  nicht  nur  bie  reine  2 ehre  ju  gefdhrben  fd)tenen,  fonbern  auch  ben  mühjam  errungenen  3f  eebtä- 
juftanb,  ber  ftd)  an  geftbaltung  jenes  ffiefenntniffeS  fnüpfte. 

So  brad)  nun  wieberum,  bes>  griebenS  ungeachtet,  eine  3eit  beg  ÄampfeS  an,  wie  in  ber 
erften  ^dlfte  bes  Sa^hunbertS.    Aber  um  wie  Ptel  anberä  nicht  geftaltete  ftd)  biefer  Äampf!  3w>or 


  224   

fampfte  man  für  ba3,  nad)  langer  33erbunfelung  mieber  flar  f)erPorftral)lenbe,  göttliche  2Bort,  unb  für 
Ctcfeö  allein ;  mit  aller  jugenblicfyen  SScgetfietung  einer  neuen  (Srfenntniß  ging  man  in  ben  (Streit;  bie 
©üter  ber  SBelt  lagen  babei  fernab,  nur  Ümt,  bem  SBorte  be§  Sebent,  follte  SSafm  gemacht  werben, 
Damit  eine  neue,  fecgen§reid)e  Sufunft  f)er»orget)en  fbnne  für  baS  gemeinfame  Skterlanb.  SBie  lebenbig 
fpriebt  ber  £on  biefer  SSegeifterung  ftd)  au3  in  jenen  fyerrlid)  en  SBorten  ßutfyerS : 

£)a$  SB  ort  fte  f ollen  laffen  fiabn, 

unb  feinen  £)anf  ju  f)aben, 

@r  iji  bei  un£  wof)l  auf  bem  $>tan 

mit  feinem  ©eift  unb  ©aben; 

iftefymen  fte  unS  ben  ßeib, 

©ut,  &)f,  Äinb  unb  SBeib, 

Saß  fahren  baf)in ! 

Sie  fyabenS  fein'  ©ewinn, 

Das»  9?eid)  muß  uns>  bod)  bleiben ! 
(Sine  fold)e  ©laubenSfreubigfcit,  .SampfeSrüftigfeit,  perfcfywinbet  immer  mebr,  wenn  nid)t  in 
Den  ©emütf)em  ber  Groangelifctjen,  bod)  in  tl)ren  ßiebern  im  Fortgänge  biefer  fpäteren  £älftc  be3  3af)r* 
bunDertö.  9Kan  l)at  nun  nid)t  mel)r  mit  einem  einigen,  gemeinfamen  geinbe  ju  tf)un,  fonbern  mit  vielen, 
äußeren  unb  inneren  jugleid).  9?id)t  ein  fleineS,  aber  glaubenSfiarfee»,  in  ftd)  einiges?  Häuflein  tr'tt  9c9en  D'e 
ganje  weltliche  SKadjt  be§  9?eid)e3,  bie  geiftlid)e  be§  Stul)le§  ju  9fom  mutl)ig  in  bie  (Sd)ranfen,  fonbern  Per= 
einleiten  .EircfyleinfteUt  ftd)  lanbeöl)errlid)e9Kad)toollfommenl)eit  entgegen ;  liftig  bercd)nenbe.KlugI)eit  wie  offen= 
funbige  ©eroalt  Drosen  ben  Untergang,  innere  Serwürfntffe  jerftoren  bie  ßtnigfeit  im  ©eifte.  9Kan  fühlt 
fid)  bebrängt,  gereijt,  perwirrt,  geftbrt  jugleid);  S5itterfeit,  Strgwofyn,  SDZißhauen,  perfd)eud)en 
Die  SSegeifterung.  £)er  Äampf  tft  nid)t  mel)v  bie  eigenjte  'Äußerung  be§  Sebcnö,  man  ftebt  fetner  fein  gtel 
nod)  @nbe,  man  tft  nid)t  mel)r  f ampfeSfreubig ,  fonbern  Pon  ^»erjen  ftreiteSmübe ,  fd)on  beginnt  bie  Sebn= 
fud)t  nad)  ber  3ftif)c  beS  ^enfettö ,  man  preift  mit  (Sntjücfen  feine  gesoffen  greuben.  8utl)er  battc  Der 
Deutfd)en  3unge  eine  neue  jlraft,  einen  frifd)en  Sd)wung  gegeben,  ber  in  bem  Äird)enlicbe,  aud) 
bei  S3emad)läffigung  Der  äußeren  gorm,  belebenb  wieberflang.  Qx  batte  ba§  l)eilige  SBort  in  bie 
Spradje  bei?  S3olfe3  übertragen,  e§  eifrig  perfünbet,  finnig  aufgelegt.  (Sin  jeber  Sott  ftanb  if)m  ju 
©ebote,  bie  fül)ne,  begeifterte  Siebe  jum  Sd)u£e  feiner  2el)re,  ba§  berbe  Sßort  Poll  treffenben  SBif^eö  unb 
beißenben  SpotteS  roiber  feine  ©egner.  liüe  biefc  Sbne  fd)ienen  jeljt  uerflungen  im  Jpaber  Der  Sd)ttle, 
Der  nun,  nad)  2Iußen  roie  nad)  3nnen,  bie  Sßaffen  ber  ©elafyrtbeit  in  ^Bewegung  brad)te.  Über  ihrem 
©ebraud)e  rourbe  bie  Sprache  nur  fd)werfälliger,  unbebülflicfyer,  bem  £>td)ter  immer  ungünftiger. 

'tfud)  unter  ben  ©enoffen  beffelben  ©laubenS  mar  bie  alte  3uperftd)t,  baS  fefte  SBerlaffen  auf 
cinanber  geroid)en;  alle  get)äffigen  Sfegungen  ber  2eibenfd)aft,  bie  über  bem  ersten  Streite  allejeit  er-« 
road)en ,  unb  il)n  argliftig  ju  benufjen  trad)ten,  Ratten  ben  ©egenftanb  beö  jtampfeS,  baS  heilige  Söort  be§ 
tlebens>,  ben  Streitenben  immer  met)r  in  bie  gerne  gerüdt.  gn  ber  Verwirrung  ber  ©emittier  mußte  ber 
Starrftnn  für  ©laubcnSfraft  gelten,  ber  geiftlid)c  ^)od)mutl)  für  prteftcrlid)e  SBürDe ;  balD  mar  .Seiner  fo 
bod)fiel)enb  mcl)r,  ben  nid)t  bie  Verfolgung  crreid)te,  Äciner  fo  lauteren  frommen  SinncS,  Den  nid)t  bie  3$er= 
bäd)tigung  traf,  ber  gegenüberfiebenben,  «erfaßten  Seite  beimlid)  anjttgebörcn.  SSerbannung,  93cfdiimpfttng, 
felbft  ein  blutiges  Gnbe  waren  bie  legten  golgen  fold)er  3erwürfniffe.    3ßaS  in  fo  frifd)er  Äraft  begonnen, 


  225   


fonnte  es  in  folgern  SSoben,  unter  folgen  ©türmen,  gebeizter;  fortroaebfen?  2Bie  fühlt  man  bie  6rftor= 
rung,  roenn,  Sutberö  begeifterten  SBorten  gegenüber,  man  ßubmig  #elmbolb  gegen  ba§  (Snbe  bes  %abT* 
bunbertS  ben  Deutfcben  an  baS  J£>erj  legen  bort,  ben  £errn  ju  bitten,  er  möge  fie  nimmermehr  verlieren 
la(Ten 

bas  tfugspurgtfcb  SSefenntnifj  flar, 

fie  erhalten 

oon  3abr  ju  3abr, 
miber  ben  ttnticbrift  ju  9?om, 
mibefS  unruhig  3roingeltbumb, 
ohne  Erhebung  ber  ©eele,  in  ben  troefenften  SSorten  gemobnlidjer  Stebe ! 

Uber  nicht  efma  ber  Aampf  felbft  hemmte  bie  gortbilbung  bes  geiftlicben  Siebes,  nur  bie  'llxt 
beffelben  jrbrte  fie,  nur  bie  Sebingungen  maren  ihr  binberlicb,  unter  benen  er  hervortrat.  Daf?  ber  Äampf 
an  ftcb  ju  freier  ßnfmicflung  ber  ebelften  .Kräfte  führe,  hatte  bie  frühere  £älfte  bes>  3abrbunberts  anfcbaulid) 
gejeigt.  Der  griebe  ©ottes  ift  höh«  benn  alle  menfcblicbe  Vernunft;  ber  griebe,  ber  nur  be3  notb* 
menbigen  ©treites'  ftcb  enthält,  ijt  SSerberben.  2Bobl  fühlte  man  auch  biefes;  berfelbe  geifftiche  Dichter, 
beffen  mir  nur  fo  eben  gebaebt ,  f»ricbt  es  in  männlich  kräftigen  SBorten  auS  : 

Der  grieb'  ift  gut  nach  ©ottes  Söort, 
©onft  ift  er  ärger  benn  ein  ?D2orb, 
Denn,  mo  man  grieb'  obn'  SBarbeit  hat 
Sa  mirb  verloren  ©ottes  ©nab, 
Die  ©eef  gebracht  in  töblicb  2eib, 
Da  fei  ©Ott  t>or  in  Crmigfeit! 

S5ci  einer  foleben  Überzeugung  fonnte  jener  roabre,  f>eittge  griebe  auch  ben  ©emütbem  nicht 
gänjlicb  verloren  gehen ,  unb  mo  er  tiefere  SBurjel  ju  faffen  »ermochte,  bat  er  auch  in  biefer  Seit  noch  im 
Jtircbenüebe  ächte  S5lüthen  entfaltet.  9cur  finb  fie  feltener,  nur  nimmt  über  bem  ßebrftreit  auch  ba$ 
troefene,  lehrhafte  ©epräge  überbanb,  unb  bie  in  jenen  SBirren  oermehrte  Unfügfamfeit  ber  Sprache, 
geweigert  nod)  bureb  fpätere  SSerührung  mit  gremblänbifebem,  legt  bem  Dichter  bemmenbc  geffeln  an. 
836Uig  oerflungen  ftnb  bie  £bnc  ber  alten  95cgeifterung  nicht,  aber  nur  in  ber  geiftlicben  Di  cht  fünft  eben 
febroingen  fie  nicht  fort.  3n  bem  Äircbenliebe  maltet  wohl  noch  ber  urf»rünglid?e,  eoangelifche  ©eift,  aber 
feine  volle  Offenbarung  mebt  nicht  mehr  in  ihm,  fie  ift  übergegangen  auf  eine  anbere,  vermanbte  Äunfr. 
(5s  ift  bie  SSonfunft;  fie  mar  ben  bemmenben  Ginflüffen  ber  3eit  entrüeft,  ber  ©toff,  in  melcbem,  burd) 
ben  fie  bilbete,  mar  bavon  unberührt  geblieben,  in  ihr  ftrablte  jener  ©eift  ju  Grnbe  beg  ^abrbunberts  am 
lebenbigften  aus.  SEBas  bie  Aircbcnverbefferung  an  grüchten  bes  Sebent  in  biefer  3ett  getragen,  in  mabr= 
hafter  Crrneuung  bes  frommen  ©innes,  rücfmirfenb  felbft  auf  bie  alte  Äircbe,  —  mir  erfennen  es  in  ihr 
am  fteberfren.  Saffen  mir  uns  nid)t  irren  burch  bie  ©äbrung  ber  3eit,  bie  fo  viel  verborgene  Schüben  an 
bas  Sicht  trieb,  mie  biejenigen  bavon  berüeft  mürben,  bie  in  ber  Umfebr  ju  bem  2Ctten  bamals  ihr  $eil 
fuchten.  Das  Äranfen,  bas  Sßelfen  einer  einzelnen  fiebensblütbe  ift  noch  fein  3fnjeicben  bes  geiftigen 
Sobes,  bas  fcheinbar  venvorrene,  milbe  ©egeneinanberarbeiten  ber  Gräfte  barf  nod)  nicht  als  2tuflöfung 
gebeutet  merben.  2öir  haben  ben  inneren  2Bertf)  einer  befiimmten3eit  nicht  nach  bem©ebeiben  einer  einzelnen 

v.  SBtntttfetb,  »tr  ciangcl.  ß^oralgefang.  29 


  226   


fleißigen  9ficbtung  ju  meffen,  fonbern  bem  SBalten  be§  ©eijies*  überall  nacbjuforfcben,  melgejtaltet  unb 
ivanbelbar  wie  e3  ijt,  unb  mannigfaltig  in  feinen  gutd)tcn.  Sie  SSonfunft  tft  bie  Äunft  eben  jener 
Seit;  aud)  bie  getrennten  ©ei(ler  ftnben  in  tyr  ein  33anb,  ba§  fte  verknüpft;  fte  ift  bie  frifd)efre  25lütbe 
jener  Sage. 

2Bie  wir  unterfd)ieben  fyaben  jut>or  jwifeben  bem  ©änger  unb  bem  ©efeer  Fird)lid)er  SEBeifen, 
fo  fbnnen  ruir  e§  aud)  in  bem  3eitraume,  ben  wir  gegenwärtig  betrad)ten,  jumabl  in  beffen  früherer 
$älfte.  2tud)  jc£t  nod)  ftnben  wir  treflid)e  jtircfyenweifen,  beren  Urbeber  wir  nid)t  Fennen,  bie  wir  auf 
äbnlicbe  %xt  enfjianben  un§  benfen  muffen,  al§  jene  älteren.  Senn  wir  b<*ben  gleid)  wenig  33eran= 
laffttng  al§  bei  btefen,  ft'e  ben  Siebtem  ifyrer  Sieber  betjumeffen;  nur  mögen  fte  in  beren  9cäl)e  ge= 
febaffen  fei)ii,  uiellcicbt  uon  fangeSfttnbigcn  greunben  berfelben,  wenn  aud)  nid)t  Sonfcfeern,  f)errüf)ren, 
babttrd)  aber  allgemeine,  bleibenbe  ©eltung  gefunben  fyaben,  baß  fte  ben  £on  il)rcr  in  ben  ©emütbern 
überall  anflingenben  Sieber  fräftig  anfd)lugen.  Senn  ein  äd)ter  £on  be3  ©efangeS  fd)lummerte  in 
btefen,  aud)  wo  bie  unbebolfene  3unge  nur  jtammelte.  355er  l)ätte  ben  Son  be3  ©laubenS  nid)t  oer= 
nommen,  wenn  er  borte: 

Su  griebefürjt  Jg>err  Sefu  @bvijr 
3Bal)r'  SKenfd)  unb  wabrer  ©ort, 
ein  jlarfer  9lotr)l)elfer  bu  bijl 
3m  Seben  unb  im  £ob! 
jenen  ber  #ofnung  unb  3iwerftd)t  in  ben  SBorten  be3  SiebeS : 

33on  ©ort  will  id)  nid)t  taffen, 

^umabl  reo  e$  jum  Sobe  ftd)  erbebt : 

Sobt  it)n  mit  ^erj  unb  SJhtnbe 

weld)§  beibeS  er  un§  fd)enft; 

baö  ift  ein  feel'ge  ©tunbe, 

in  ber  man  fein  gebenft,  — 
roen  bätte  in  bem  Siebe:  „^erjlid)  lieb  Ijab'  id)  bid)  o  $m"  nid)t  bie  Snnigfeit  ber  Siebe  ntäd)tig  ergriffen, 
wo  ber  Siebter  aufruft : 

unb  wenn  mir  aud)  mein  Jperj  jcrbrid)t, 

fo  bijl  bod)  bu  mein'  3ut>erftd)t 

mein  £eit  unb  meines  £erjen3  SSroji 

ber  burd)  fein  Blut  mid)  bat  erlöft/  — 
wie  flingt  nid)t  enblid)  ber  £on  ber  Offenbarung  an  in  jenem  Siebe  r»on  ber  neuen  ©tabt  ©otteö: 

2Bad)et  auf,  ruft  unö  bie  ©timme 

ber  2Bäd)ter  fel)r  l)od)  auf  ber  3inne 

2Bad)'  auf,  bu  ©tabt  Scrufalem! 
2Ber  ftd)  ben^nbalt  biefer  allbekannten  Sieber  jurüdruft,  wirb  barin  bie  S3e(tättgung  beffen  ftnben,;  waS  über 
oas>  ©epräge  be6&ird)cnlicbe5  biefer  3eit  juoorgcfagt  worben,  er  wirb  aber  aud)  jugeben,  ba|5  wir  bei  ibnen  ju= 
gleid) an SDMobiccn  erinnert  baben,  bie  ju  ben  fräftigften  wie  innigften  geboren,  weld)e bie eoangelifd)eÄird)e 
beftfct.  flnbere  Sßeifen,  ebenfalls  in  ber  legten  £älfte  beö  SabrbunbcrtS,  ober  bod)  um  nur  SBenigeS  naebber 


  227   


cnrjtanben,  flammten  j»ar  au$  t>em  SSolfögefange,  ober  »on  Sonfäfjen  weltlicher  Sieber,  wie  bie 
Mannten  SJZelobieen :  2Bie  fd)ön  leuchtet  ber  SJiorgenftern  tu ;  £erjlich  tf>ut  mich  »erlangen  ic.  Allein 
bie  ©puren  ihreS  UrfprungS  oermifchten  fid)  bei  Urnen  balb  gänjlid),  fie  fd)ienen  ihre  »al)rc  £cimatb 
erft  in  jenen  geiftlichen  Siebern  gefunben  ju  haben.  3a,  mir  nennen  bie  leljre  biefer  SRelobiccn  lieber 
fafi  nach,  einem  »iel  fpdterett  9)affion3liebe  ^3aul  ©erharbS  —  £)  Spaupt  üoll  S5lut  unb  SBunben  —  »eil 
»ir  erfl  in  biefem  ifjren  ©inn  »bllig  gebeutet  ju  ftnben  glauben.  Sag  nun  ijl  t&,  »a£  unfere  2Cuf= 
merffamfeit  oerbient,  »a»  für  eben  biefe  Seit  bejeidmenb  ijl.  Sie  beften  jener  urfprünglid)  gciftlid)en 
©ing»cifcn  fpredben  baöjcnige  mit  größerer  Äraft  unb  3nnigfeit  au§,  »a3  in  bem  Siebe  lebte,  allein 
im  .Kampfe  mit  einer  ungefügen  ©prad)c  nur  unbeholfen  auSgebrüdt  »ar;  fie  hoben  baS  Sieb  ju  fid) 
empor,  ja,  fie  überflügelten  es.  Sod)  nid)t  genug;  felbjl  »eltlidje,  ihren  Siebern  jufotge  urfprünglid) 
bem  ©efül)le  trbifcr)er  Neigung  bienenbe  SBetfen  fchlugen  biefen  Son  an  mit  fo  großer  Sautcrfcit  unb 
Feinheit,  baß  fie  für  ben  2lu5brucf  himmlifcher,  göttlicher  Siebe  geeigneter  fd)ienen.  93ian  gefeilte  fic 
je§t  geiftlicben  ©efängen  biefer  Ztt,  nicht,  »ie  juöor,  um  ihre  früheren  Sieber  oergeffen  ju  machen,  fon= 
bem,  »eil  fie  urfprünglid)  »eit  über  biefen  ftanben,  »eil  man  in  jenen  ihren  »ahren  ©inn  erft  ju 
ftnben  meinte.  Sie  Sonfunft  »ar  im  Saufe  beö  3ahrh"nbert3  eine  freiere,  felbftänbigcre  Äunft  ge»or= 
ben;  ja,  am  ©d)luffe  beffelben  »erben  »ir  fie  felbjl  als  bie  l)errfd)enbe  ftnben  über  bie  Sichtung.  @3  »ar 
bei  bem  g  eftliebe  im  engeren  ©inne,  einer  ©attung,  bie  »ir  nicht  übergehen  bürfen,  »eil  fie  aus?  bem 
geiftlicben  Siebergefange  ber  ©emeine  heroorblühte,  unb  mit  ihm  innig  jufammenhangt.  £ier  vetftaxtt  bie 
Sonfunft  bie  bürftigeren,  fdntumgloferen  2Bortebe3Sid)tcr§erfi  ju»al)rhafter^)oefie;  ee>  gefebabeaberburd)  bie 
nunmehr  ju  vollem  S5e»uf3tfc«n  gereifte  ©abebeö  ©cfjerS,  mit  ber  allgemad)  bie  bc§  ©an  gerö  oerfchmoljen 
»ar.  3emef)r  jenem  bie  tiefere  S5ebeutung  ber  Harmonie  offenbar  »urbc,  jemebr  feinem  ©eifte  in  ihr  ber  ©inn, 
bas  innerjle  Seben  ber9Jiclobie  fid)  erfd)loß,  um  fo  mehr  mußte  bie  fd)bpferifd)e  .Kraft  fid)  in  ihm  entjünben, 
bie  nicht  allein  eine  ©ingmeife  hervorrief,  fonbern  fie  mit  ber  ihr  Seben  fünbenben  Harmonie  jugleid)  badete, 
beibe  fo  innig  mit  einanber  verfdnnoljen  hinftellte,  baß  »ir  bcibeS  nid)t  ju  trennen  vermögen,  ein  fo  felb= 
fidnbigcö  Seben  »ir  aud)  ber  ÜOielobie  für  ft'cf)  jugeftehen  müffen.  ©o  gebt  nun  auch  bte  ©abe  beS 
©ängerö  hinüber  ju  ben  Sonfünftlern  von  SBeruf,  ben  funftgemäßen  ©eßern.  Senn  ba§  im  ©anjen 
mebr  fd)ull)afte,  »eniger  ootfSmäßtg  begeifterte  ©eprage  ber  gciftlid)en  Sichtung  verl)inbert,  baß  fie,  »ie 
juvor,  bei  ben  ©angern  im  Siolfe  rafd)  anflingenb,  bie  erftnbenbe  .Kraft  »edt  in  ben  ^Begabteren  unter 
biefen;  jene  bagegen  haben  au3  bem  lauteren  £lueU  ihrer  Äunft  nunmehr  auch  biefe  ©abe  gefd)öpft, 
bie  fie  über  bie  mitlebenben  Sichter  jtellt.  beginnen  bie  Reiten,  »o  um  einzelne  Sid)ter  befreunbetc 
3)onr"ünftler  fid)  reihen,  unb  ihnen  bie  £anb  bieten  ju  gemeinfehaftlichem  SBirfen;  ja,  in  nicht  mehr 
feltencn  gälten  ftnben  »ir  ber  ©abe  bc$  ©ängerö  unb  be§  ©efcerS  auch  bie  be§  Sid)terS  gefeilt. 

9cod)maß  fei  e§  »ieberholt:  bie  heilige  Sonfunft  »ar,  in  Seutfd)lanb  jumaf)l,  bie  herrfchenbe 
.ftunfl  jener  Sage.  3n  Stalien  fam  fie  empor  burch  (Singeborne,  mit  ber  fid)  erneuenben  fatholifchen 
Äirchc;  in  einem  Steile  beö  l'üblichen  Seutfcblanbö  burd)  9ciebertdnber;  in  ben  beutfeh  =  evangelifchen 
Sanben  mit  ber  Äirchenberbefferung,  unb  meift  burd)  ©inheimifche.  Spiex  »uch§  fie  heran  ju  »oller  S5e= 
beutung  an  bem  geiftlich^oolfsmäßigen  Siebe  unb  feiner  ©ingmeife.  Überall  blühte  fie  auf  in  gleich  achtem, 
lauterem,  frommem  ©inne;  ©efühl,  ©emüth,  ©eift,  im  SSerhältniffe  ju  bem  ^)öd)ften,  fprad)  in  ihr  am 
reinften  fid)  au3.  3n  ihr  lebte  jener  höhere  griebe,  in  »eld)em  für  bie  begabteften,  ebelften  ©eifter  jeber 
©treit  gefchliditet  »ar,  in  »elchem  aUe  be§  ©eegenö  tbeilhaft  »urben,  ben  neben  oerheerenben  ©türmen 

29* 


  228   


bie  gewaltigen  Bewegungen  ju  Anfange  be3  SahrhunbertS  mit  ftd?  gebracht  Ratten.  Sene  3ugenbfrifd)e  unb 
3fnmut^/  jene  ©rofje  unb  SKajeftdt/  jene  jtlarbett  unb  2Bärme  neben  großartigem  S£iefftnn,  wie  fte  ben 
©erfen  ber  bilbenben  jlünftc  im  Beginn  biefeä  3eitraume§  eigneten,  ftraf)len  nunmehr  heroor  au$  ben  S£on= 
werfen  feiner  legten  Sabre. 

2Bir  haben  bie  Aufgabe  ju  Ibfen  unternommen,  biefe  S5Iütt)e  ber  Sonfunft  in  ihrem  ÜZBerben  bar= 
jufteUcn,  ju  jeigen,  wie  fte  in  bem  eoangelifd)cn  Seurfd)lanb  an  ber  üolfamäfjigcn  SBeife  beS  gciftlicb,en 
fttebeS/  unb  burd)  biefelbe,  ftd)  entfaltet  l)abe.  3hr  ©ebetyen  in  anberen  Sanben  gehört  nid}t  weiter  in  ben 
•ÄreiS  unferer  SarjMlung,  als  e§  benfelben  unmittelbar  berührt.  Sie  nähere  Betrachtung  be§  3etrab= 
fd)nitte§,  bem  wir  jefct  unfere  3(ufmerffamfeit  wibmen,  wirb  un§  ernennen  laffen,  wie  in  Seutfd)lanb,  wo 
in  bem  £ird)enliebe  bie  uon  8utl;er  gerührten  ©aiten  eben  nur  aue-tönten,  wo  bie  Sichtung  unter  ben 
(!n>angelifd)en  faft  nur  bie  SBaffe  be§  @potte§  unb  berben  SBiljeS  noch  kannte  gegen  bie  SBirren  be3  2eben§ 
unb  ber  jtird)e,  im  ©efange  bae>  üoUeßeben  ber  Äunft  ftd)  offenbart,  unb  ba§jenige  ftd)  erfüllt  habe,  wa§ 
üutber  in  feinen  Sagen  t>on  ber  SKuftca  wetffagcnb  gepriefen  hatte. 

2Ba3  wir  fo  eben  in  allgemeinen  Sügcn  ju  befferer  Überfielt  angebeutet,  haben  wir  nun  im  din= 
jelnen  nad)juweifen.  Sie  £l)attgfeit  be§©d)affen§  überwiegt  jefct  bei  weitem  bie  bee>  'tfneignenS; 
bennod)  haben  wir  bt'cfer  junäd)ft  nachjugehn,  ba  wir  burd)  fte  ju  üerwanbten  ©ebieten  fird)lid)en  ©efangeS 
bingeleitet  werben,  bie  wir  eben  fjier,  wenn  aud)  nur  flüchtiger,  bod)  in  ihrem  ganjen  Umfange  ju  burd)= 
wanbeln  baben. 


©rftet  2H>f<*mttt. 

Sie  ^ßfalmlteber  ber  Gatoiniften  unb  ifyre  «Singtoeifen. 

@in  oerwanbteä  ©ebict  fird)lid)en  ©efangeS,  auf  bem  bie  ©enoffen  bcS  2fugSburgifd)en  Befennt= 
niffeä  für  ben  irrigen  fammelten,  waren  bie  ^»falmlteber  ber  (Eawinijten,  unb  ihre  ©ingweifen.  2Bie  bie 
&utberifd}en  »on  bem  alten  rbmifd)en  £ird)engefange,  üon  bem  SSolBgefange,  entlehnt  Ratten,  alfo  aud) 
hier;  nur  bafj  biefeS  Aneignen  um  fo  üiel  fpäter  gefd)af)e,  weil  bie  frül)eften  jener  ßieber  gegen  bie  SOiitre  be£ 
3ahrl)unbert$  entftanben,  ein  üollftänbigeS  ^falmbud)  aber  au3  benfelben  erft  um  S>iele§  nachher  ftd)  bilbete. 
Wlan  fammelte  hier  auf  einem  »erwanbten  ©ebiete,  aber  aud)  einem  fremben.  Senn  al§  e»ange= 
lifd)er  iiirchengefang  gcl)6rt  ber  calr>intfd)c  jwar  unflrettig  ju  ben  grüd)ten  ber  Äirdjenüerbcfferung,  unb  e£ 
gebührt  ihm  eine  ©teile  in  bem  itreife  unferer  Sarflellung,  eben  wie  bem  ber  m&i)rifd)en  Brüber,  ben 
wir  nad)  i()m  ju  betrachten  gebenfen.  Allein  um  bie  Seit  feine§  @nt(lel)enö  ftanben  ßabiniSmuS  unb  £utb,er= 
tbum  als  jwei  in  ftd)  gefd)loffene,  ja,  feinblid)e  ©ebiete  auf  ba§  (§ntfd)icbenjte  einanber  entgegen.  2Bo 
biefe§  feinblid)e  58erl)dltniß  allgemad)  ftd)  milberte,  »erfd)mäb,ten  aud)  bie  Sutf)erifd)en  nid)t,  @in$elne§  anju= 
nehmen  aue>  bem  heiligen  ©efange  ber  gegcnüberftel)enben  g>artl?et ;  war  in  bemfelben  bod)  '2lllee>  biblifcb 
ohne  Ausnahme,  war  bod)  bei  ben  (Singweifen,  wenn  man  ihrer  allein  begehrte,  nid)t  ihre  frühere  Beftinv 
mung  ju  prüfen,  fonbern  nur  ihre  gegenwärtige  tfngemeffenheit !  Sie  ßaloinifchen  aber  eigneten  üor  Wlem 
Seftlieber  ftd)  an,  unb  ^)fa(mengefdnge  auö  bem  Schate  lutl)erifd)er  Äird)enlieber  unb  SBeifen,  wo  fte,  mhv 
ber  ftrenge  gefinnt,  bie  anfänglich  gezogenen  ©renjen  herber  Befd)ränfung  im  Äird)engefangc  burd)bred)en 


  229   


ju  fönnen  meinten.  2Bo  bie  entgegengefefcte  Überzeugung  oorwaltete,  blieb  man,  wie  namentlich  bei  ben 
fdjmeijerifchcn  Sfcformirten,  gänjlich  abgefd)loffen  gegen  baS  ßutherthum,  wie  in  ßefyre  unb  ©otteäbtenfi, 
fo  jumabl  auch  im  jttrchengefange.  Saher  fonnen  mir  bei  einer  fold)en  ©onberung  eine  gefcfjichtliche  @nt= 
micflung  in  eigentlichem  ©tnne  nur  bem  lutherifchen  Äirchengefange  betmeffert,  ein  Anmachfen,  ein  9DZel;ren 
im  «Sinne  oerfchiebener  Letten,  nach  wechfelnben  33ebürfniffen;  nur  if)n  fonnen  mir  einen  lebenbigen  ©mV 
gel  fortgefienber  Entfaltung  frommen,  eoangeltfcfyen  ©tnneS  nennen.  ©o  eignet  benn  aud)  if)m  nur  ein 
lebenbiger  (Sinfluß  auf  bie  f>etttge  Sonfunft  in  Seutfd)lanb;  in  feinen  mannigfaltigen  ©tngweifcn  ift  er 
fortgehenb  beren  würbigfte  Aufgabe  gemefen,  unb  hat  bie  von  bem  ©ebietc  beS  ßalüinifcfyen  entlehnten  ^fte-- 
lobteen  eben  burcb,  btefeS  Aneignen  erft  in  ben  ÄretS  jeneS  regen  JtunftlebettS  mit  bjnübergejogen.  Ser 
cawinifche,  etnmaf)l  fejtgejMlt,  mar  nicht  fowohl  eine  23lüthe  beS  inneren,  frommen  ScbenS  feiner  .Ktrch?, 
als  ein  ju  beren  Drbnung  ein  für  allemahl  33orgefchriebeneS,  ber  Jtünft,  metche  bort  feine  ©teile  fanb, 
fortan  Unzugängliches.  (5r  bilbet  alfo,  menn  auch  euangelifch,  bennoch  im  ©egenfa^e  %u  ber  frifchen  Ghtt= 
widlungSfähigfeit  beS  lutherifchen,  ein  getrenntes,  etnfrembeS,  höchftenS  ein  benachbartes  ©ebtet. 

©eine  SBurjel  fanb  er  in  ber,  allen  ©eftaltungen  chrifttichen  itirchenthumS  gemeinfamen,  bei  ihm 
nur  auslief! liehen,  Vorliebe  für  ben  ^Pfalter.  ©chon  juüor  haben  mir  gefehen,  baß  neben  bem  geftltebe, 
©efänge,  über  9)fatmcn  gebichtet,  in  bem  beutfd)en  Äirchengefange  ber  2uthertfd)en  bei  meitem  überwogen; 
ba£  man  btefe  fbjtlid)en  Senfmahle  uralter  Sichtung,  eine  fchöne  Sterbe  in  bem  Äranje  unferer  heiligen 
93ücher,  übertragenb,  umbichtenb,  annähernb,  für  bie  ©egenwart  neu  ju  beleben  trachtete,  ©chon  in  ber 
erjien  $älfte  beS  16ten  Saf)vt)unbert§  erfd)ien  felbft  ber  ganje  ^Pfalter  für  ©efang  eingerichtet.  3"  ©trafh 
bürg  (1538)  burcb,  3<*cob  Sachfer,  „in  ©efangweif,  fampt  ben  genotirten  fülelobepen  gemacht;" 
in  Antwerpen  (1540)  jene  t»on  unS  bereits  näher  betrachteten  flamlänbifchen  Umbid)tungen  aller  $)falmen 
unb  einiger  heiligen  ©efänge  beS  alten  unb  neuen  SejiamentS,  SSolfSmeifen  angepaßt,  bis  auf  wenige;  in 
Dürnberg  (1542)  burch  ^anfen  ©amerSfelber  „ber  ganfc  ^)falter  SambS,  in  ©efangweiS  gejiellt  ic. 
alfo,  bafj  ftd)  bie  ^falmen  alle  burchauS  in  mannigfaltiger  SBetfe  ;c.  fein  unb  lieblich  fingen  taffen." 
SSon  biefen  Übertragungen  ift  hier  nicht  näher  ju  hanbeln,  ba  fte  auf  ben  Äirchengefang  weber  unmittelbar, 
noch  mittelbar,  auf  erhebliche  SBeife  einwirften.  9Kerfwürbtger  als  fte  alle  ijl  in  biefer  95ejtehung  ber  ^Pfalter 
„in  neue  ©efangSweife  unb  fünftlicb,e  Sfeime  gebracht"  burd)  SSurcarb  SBatbtS  (granffurth  am  9Kami 
bei  ©genolf,  1553).  Der  Sichter,  ber  biefeS  fein  SBerf  feinen  beiben  SSrübern,  £anS  unb  S5ernl)arb 
SBalbiS  ju  Allenborf  an  ber  SBerra  zugeeignet  hat,  fang  ftd)  feine  ^)falmlieber,  mte  er  felber  fagt  „in  fd)me= 
rer  ©efängntfs  unb  Stachen  beS  SobeS,  mortn  er  faji  brtttehalb  %al)x  mit  großer  S5efchwerung  üerhaftet,  baju 
mit  fcharfer  Sortur  unb  S3ebreuung  peinlich  erfucht  unb  angegriffen  war."  @r  fang  fte  nad)  feiner  SSer= 
ftd)erung,  um  „in  obgemelter  ©efängnifj  bie  langweilige  unb  befchwerliche  ©ebanfen,  unb  teuffelifd)e  An- 
fechtung bamit  ju  »ertreiben,  ober  je  jum  Sheil  zu  öermtnbern."  @r  bot  fte  feinen  S5 rübern,  bie  ihn  mit 
grofjer  Aufopferung,  eigener  ®efat)v  unb  Sttühfal  erloft  hatten,  auS  brüberlichem,  banfbarem  ^)erjen,  bamit 
fte  unb  bie  Sfmgen  neben  ihm  bejio  mehr  Urfach  fyattm,  ,,©ott  bem  ^errn  mit  gebacken  ^»falmen  unb 
geiftlichen  Siebern  für  folche,  unb  anbere  2öol)lt^at  ju  loben  unb  ju  banfen,  auch  meiter  barauS  p  erlernen, 
wie  fein  (beS  SichterS)  ^)erj  oftmals  in  fotehen  Anfechtungen  gegen  ©Ott  gejianben,  unb  gefchidt  gemefen 
fei.  Senn  (fährt  er  fort)  bie  $)falmen  gemetnlid}  ber  Art  unb  iJcatur  ft'nb,  bap  fte  ben  9Jienfd)en  in  ©lücf 
unb  Unglüd  baS  ^>er§  unb  bie  Affeften  rühren,  unb  wie  btefelbigen  gefteUt  unb  gethan  fepn,  wie  in  einem 
©pieget  anjeigen  unb  bargeben,  wie  folcheS  alles  wohl  wiffen  alle,  bie  in  gährlid)feit  gejtedt,  unb  bie 


  230  

yfatmen  in  Döthen  unb  2tnfecbtungen  gebraust  haben."  @3  ftnb  ober  biefe  Sichtungen  feineöwegS  blo& 
funftlofe  (Ergiefjungen  beS  £erjen3  in  Erinnerung  an  bie  einzelnen  heiligen  Sieber  beö  9)falmbucb,e3.  Stefe 
auch  „in  neue  ©efangweife  unb  fünffltche  Sfeime"  ju  bringen,  gehörte  nidjt  minber  ju  ben  Erholungen 
unfereS  Sichrere,  wäbrenb  feines»  jlerferS.  ©einer  *Pfalmlieber  ftnb  156,  bcnn  einige  ^Pfalmen  ftnben  fich 
in  Doppelter  Übertragung,  unb  ber  l!8te  9)falm  (nach  ber  S3ulgata)  in  jwei  Jpälften  geseilt,  gür  fte  fom= 
men  inbe§  nur  153  9E)iclobieen  t>or,  benn  ber  2te  unb  75fte,  ber  25fte  unb  131fte,  ber  14te  unb  53jte 
haben  einerlei  ©efangroeife ;  mehre  ober  minbere  2£t)rtltd?Peit  ber  Anfange  unb  ©d)lüffe  ftnbet  ftd>  häufiger, 
jutmabl  bei  einiger  'tflmlidbfeit  be£  ©trophenbaueS.  Siefer  jeigt  unS  81  formen,  bie  unter  elferlei  ©attum 
gen  $u  befaffen  finb,  won  ber  r>ier=  bis  jur  üierjefmjeiligen  ©trophe,  biefe  le^te  mit  eingefd)loffen.  Sod) 
finb  nicht  alle  biefe  gormen  burd)Voeg  neue;  faft  ein  Srtttheil  ber  ©trophen  unb  SJielobieen  bewegt  ficb,  in 
Damals  bekannten  gormen.  Senn  fteben  unter  jenen  elf  ©trophengattungen,  beren  eine  in  boppelter  gorm 
oorfommt,  acht  alfo  im  ©anjen,  gehören  bem  weltlichen  roie  geiftlichen  Siebe  feiner  Seit,  unb  fte  jeigen 
ficb  in  48  gälten.  %m  häuftgften  ftnben  roir  bie  bamalS  fo  beliebte  ftebenjetlige  ©trophe  beS  ßiebeS:  ,,@e> 
ift  ba3  ^eil  unS  fommen  her,"  nämlich  merjchnmahl ;  nädjfi  ityc  bie  achtteilige  beS  Siebet  „Sur*  2tbam§ 
gall  ift  ganj  »erberbt,"  jebnmahl;  breimahl  bie  fed)Sjeilige  beS  £ated)i3mu§gefangeS :  SSater  unfer  im 
Himmelreich;  oiermahl  bie  neunjeilige  be§  geiftlichen  roie  weltlichen  SiebeS :  „SJlag  ich  Ungtücf  nicht 
wieberftabn;"  wie  benn  auch  aüe  biefe  ©trophenarten,  bie  wir  fchon  bei  ©elegenbett  ber  9DZaa§e  beS  ISolfS- 
gefangeS  betrad)teten,  auch  weltlichen  ©ingweifen  eignen,  ©trophen  anberer  weltlicher  ©efdnge  fommen 
nicht  minber  häufig  üor;  breftermmahl  bie  neunjeilige  beS  SiebeS:  SSergangcn  ift  mir  ©lue!  unb  $eil; 
tweimabl  bie  jebnjeilige  be§  SiebeeUiebeS :  3art  fchbne  grau;  je  einmal)l  bie  üierjeilige:  „Sä)  flog'  ben  SEag 
unb  alle  ©tunb;"  unb  bie  fünfteilige  won  ©eorg  grunbSbergS  Sieb:  ,/SDfletn  gleifs  unb  SRüf)  ich  nit  h<Jb' 
gTpart.  Sennod)  bleiben  unS  immer  73  neue  gormen  übrig,  mit  benenS5urcarb  SBalbiS  in  108gällen  auf= 
tritt;  boch  wieberholt  jebe  einzelne  berfelben  fich  weniger  oft,  als  bie  v>on  bem  Sichter  entlehnten,  fchon 
oor  ibm  gebräud)lichen.  3lm  häuftgften  noch  gefchiebt  bie§  mit  fold)en,  bie  ihnen  nahe  ftetjen,  unb  nur 
etwa  burd)  anberS  georbnete  Seilenfietlung  oon  ihnen  abweichen,  ©o  unterfebetbet  fich  eine  jweite  gorm 
ber  fiebenjeiligen  ©trophe,  bie  wir  fechSmabl  antreffen,  uon  ber  beS  SiebcS  „(ES  ift  baS  Speil  unS  fommen 
ber"  nur  baburd),  bafj  ihre  legten  beiben  Seiten  ftebcnfylbige  finb,  währenb  bort  jwei  adjtfylbige  einer  oon 
fteben  ©plben  oorangehen ;  fo  weicht  eine  jweite,  achtmal)!  »orfommcnbe  gorm  ber  jel)ttjeiligen  ©trophe, 
oon  ber  bes>  weltlichen  ©efangeS  „3arf  fd)bne  grau"  nur  baburd)  ab,  baf?  bei  biefer  im  jweiten  2Cbfa%e  je 
&wxi  ad>t=  unb  fiebenfplbige  Seiten  t»erfchränft  ftnb,  wogegen  fte  in  jener  nebeneinanber  ftehen.  SBeniger 
gewöhnliche  gormen  fommen  jumeift  nur  einmahl  oor,  —  fo  jwei  *#rten  ber  fed)äjeiligen,  brei  ber  fteben-- 
^eiligen,  neun  ber  achtteiligen,  eben  fo  ttiele  ber  neun=,  jehn=  unb  elfjciligen,  funfjel)n  ber  jwblfjeiligen, 
fünf  ber  breijef>n=  unb  jwei  ber  »icrjehnjeiligen  ©trophe,  —  unb  e§  finb  in  ber  &hat  nur  Ausnahmen, 
wenn  oon  biefen  feltneren  Urten  beä  ©tropl)enbaue§  eine  achtteilige  fünfmahl  erfcheint,  eine  neunjeilige 
bxti-,  eine  anbere  jweimahl,  eine  jebnjeiltge  fed}6=  unb  eine  anbere  fünfmal)l,  eine  jwblfjeilige  fünf--,  eine 
zweite  brei=,  eine  britte  jweimabl;  immer  jebod)  t>erhältni^mäpig  »iet  weniger  oft,  al§  bie  bem  ä>olföge= 
fange  angef)brenben,  ober  ihm  unb  bem  geiftlichen  gemeinfehaftlichen.  @ö  ift  eine  bemerfenSwertbe  Qtxföeu 
nung,  baf,  auch  bei  ber  erflärten '2tbftcht,  neue  ©efangSformen  ju  fchaffen,  ja,  bei  beren  entfebjebenem 
Übergewichte  über  bie  nur  entlehnten,  berSichter  bod)  in  feiner  oon  ihnen  fo  heimifd)  ju  werben  oermochte, 
als  in  jenen,  bie  ftd)  bod)  faum  nur  gewohnheit§gemä§  ihm  aufbrangen,  fonbern  vermöge  einer  inneren 


  231  


ÄnjiebungSfraft,  Die  mir  $u  beuten  außer  ©tanbe  finb.  %m  58olf3gefange,  bem  Grrjeugniffe  bes  unbemuß^ 
ten  ÄunfttriebeS,  führte  ein  bunfler,  aber  fieberer  3ug,  ju  ber  einen  Sorm  mebr  bin  olS  ju  ber  anbern ; 
»on  einem  ähnlichen  3uge  ließ  aud)  ba3  geifttid)e  Sieb  jumeift  ftch  leiten.  3n  biefem  bat  ber  neue  ©tro= 
pbenbau  nur  buret)  jeitgemäßen,  bem  allgemeinen  SBcbürfniffe  entgegenfommenben  Inhalt  ftdb  geltenb 
gemaebt,  allein  aud)  bann  mürbe  er  feiten  für  anbere  neue  Sieber  angemenbet,  menn  ibm  jener  gebeimniß^ 
«olle  9feij  ber  gönn  gebracb,  ber  Mc  fofort  für  ftcb  gewann,  mo  er  fid)  jeigte,  beffen  SSBcfcn  mir  jeboeb  t)ter 
nicht  ndber  nacbfßüren  bürfen.  SBir  ft'nben  bie§  namentlich  an  SSurcarb  SBalbiS  9)falmliebern  bemäbrt. 
©d)on  früf)e  gemannen  ft'e  großen  SSeifaH,  unb  nidjt  lange  nad)  ihrem  Grrfcbemcn  aud)  bereits  tfufnabmc 
in  ben  Äircbengefang.  ©0  finb  im  Saufe  beS  löten  SabrbunbertS,  fo  mel  id)  habe  ft'nben  fönnen,  beren 
37  in  benfelben  übergegangen,  unter  ilmen  bie  übermiegenbe  Sttebrjabl,  30,  aud)  mit  ibren  ©ingmeifen ; 
im  Horben  unb  ©üben,  im  £>ften  unb  SBeften  be§  eoangelifcben  £)eutfcblanb3.  £>ae>  große  ©traßburger 
©efangbueb  oon  1560  bat  eineS  biefer  Sieber  mit  feiner  9Jielobte;  baS  ©efangbueb  ber  SSrüber  von  1560 
fd)on  beren  fünf  mit  ben  ibrigen ;  ein  jmeiteS  ©traßburger  Sieberbucb  oon  1569  beren  elf,  ffeben  mit  ibren 
ÜZBeifen;  ba§  Äeucbentbalfcbe,  ju  Wittenberg  1573  erfd)ienene  ßantional  nur  eineS  mit  feiner  SJlelobie; 
ba3  ©tettiner  ©efangbueb  von  1576  beren  elf,  alle  mit  ben  ibrigen;  bie  meijten  bae>  3infeifenfcbe  von 
1584,  einunbjroan^ig,  barunter  jwolf  mit  ibren  ©ingroeifen;  ba§  ©reifSmalber  »on  1592  enblid)  beren 
jebn,  jeboeb  nur  jmei  barunter  mit  ibren  SEJMobieen.  3n  biefen  fieben  geiftlicben  Sieberfammlungen  nun 
erfd)cint,  trjit  alleiniger  SluSnabme  be§  33rübergefangbucbe§  unb  be§  -Seucbentbalfcbcn,  überall  S5urcarb 
3Balbi§  121jter  $>falm,  alfo  fünfmabl;  m'ermabl  fein  22jrcr,  ber  nur  bem  großen  ©traßburger  ©efang= 
buebe,  fomie  bem,  eben  ba  um  1569  crfd)ienenen,  unb  bem  ©reifSmalber  fehlt;  breimabl  ber  72fte,  HOte, 
120fte,  ISOfte;  alle  biefe  finb  bem  3infeifenfcben  unb  ©reifSmalber  gemein,  bie  betben  legten  aud)  bem 
©traßburger  oon  1569;  ben  erften  bat  baneben  ba§  ©rübergefangbueb,  ben  jmeiten  ba3  ©tettiner.  (£nt>-- 
lid)  fommen  ber  25fte,  65fie,  70jte,  82fte,  98fte,  116te,  143fte  unb  145fte  in  je  jmeien  ber  genannten 
Sammlungen  t»or.  £)en  beiben  pommerfeben  ©efangbücbern  finb  ber  65fte,  143fte,  145fte  gemein ;  bem 
3infeifenfd)en  unb  bem  33rübergefangbucbe  ber  25fte  unb  98fte;  bem  ©traßburger  von  1569  unb  bem 
©reifeSmalber  ber  70fte  unb  116te;  ber  82fte  enblid)  finbet  ftd)  in  bem  ©tettiner  ©efangbuebe  unb  bem 
3infeifenfd)en.  2flle  übrigen  erfd)einen  nur  in  je  einem  jener  Sieber-  unb  9JJelobieenbüd)er.  83on  ben  öfter 
aufgenommenen  bat  allein  ber  150fte  feine  SOielobie  niemals  mitgebracht;  bie  übrigen,  obne  ibre  9Kelobieen 
in  ben  Äird)engefang  übergegangenen  —  ber  49fle,  75fte,  85fte,  131fte,  141fte,  142fte  —  fommen  überall 
nur  einmabl  »or.  £)ie  mebrmabl  erfd)einenben  haben  inSgefammt,  mebr  ober  meniger  oft,  aud)  ihre  ®ing= 
meifen  bei  ber  Aufnahme  beibehalten. 

^Betrachten  mir  nun  jene,  bem  Äircbengefange  einverleibt  gemefenen  *Pfalmliebcr  ermaS  naher,  fo 
fnüpft  ihr  öfteres  SSorfommen,  mie  »orauSgefefjt  merben  burfte,  fich  jundebft  an  ihren  Inhalt.  Die  auf= 
genommenen  maren  über  folche  $)falme  gebichtet,  »on  benen  bie  Ätrcbe  enfmeber  noch  gar  feine  liebbaften 
Bearbeitungen  befaß,  ober  nur  folche,  bie  ben  S5ebürfniffen  ber  ©emeinen  nicht  genügten.  9cun  ft'nben 
mir,  baß  bie  jumeift  »orfommenben  eben  aud)  über  bie  micbttgjren  unb  berrlicbften  ^)falmen  gebid)tet  finb. 
£)a3  fünfmahl  erfebeinenbe  Sieb:  „Söenn  id)  in  2Tngfi  unb  Döthen  bin"  bat  ben  121jien  ^)falm  jum  £$or= 
bilbe:  ,,3d)  hehe  meine  tfugen  auf  ju  ben  35ergen,  »on  benen  mir  ^)ülfe  fommt."  £>as?  oiermahl  aufge= 
nommene:  ,,25a  GjhrifiuS  an  bem  Äreuje  b'ng"  ift  bem  22(len  ^)falm  nacbgebilbet :  „33Jein  ©ott,  mein 
©ort,  marum  baft  bu  mich  oerlaffen?"  einem  mefftanifch=propbetifd)en,  ben  ber  ^)err  felber  am  Äreu^e 


  232  - — 

betete,  worauf  Der  Anfang  ber  Bearbeitung  fcbon  binbeutet.  @ben  fo  ftnb  ber  72fte  unb  HOte^falm, 
nach  benen  ffiurcarb  SBalbiS  bie  ßieber  bietete:  „SSo^eit  be3  alten  SEeftamentS"  unb  „Der  Qen  fpracb  in 
feim  böcbften  Sbron"  begleichen  weiffagenbe,  t>on  ßbrifti  fbnigticbem,  propbetifcbem,  I;or)en^rtefierltd)em 
Xmte.  Der  120fte,  ba§  SSorbilb  be$  SiebeS:  „3cb  ruf  o  ©Ott  in  biefer  9<cotb"  ift  ein  ©ebet  roiber  falfcbe 
ßebrer,  2Biberfacber,  fiäfterer,  bamaB  alfo  jeitgemap  twr  allen;  ber  150fie  enbltcb  ein  herrlicher,  bober 
gobpfalm,  wie  auch  ba3  Sieb :  ,,2obt  ©ott  in  feinem  $etltgtbum"  if)n  roiebergiebt.  gür  biefe  am  häufig* 
ften  ausgewählten  ßieber  ft'nbet  ftch  alfo  eine  nal)e  SSeranlaffung  ju  bem  SSorjuge,  ben  man  ihnen  gab;  aud) 
Die  nur  jweimabl  erfcbeinenbcn  ftnb  hBgefammt  ben  falbungäooUften  SBeU,  ßob=,  Danf=,  SSroft*  unb 
S5ufpfalmen  nacbgebilbet.  SBoburd)  aber  red)tfertigt  fid)  bie  öftere,  bie  weniger  häufige  Aufnahme  ber 
©ingw  eifen  einzelner  oon  biefen  *Pfalmliebern?  2Bir  ft'nben,  bafj  ber  üiermabl  gewählte  22fie  ?)falm  bie 
feinige  jebeSmabl,  ber  fünfmabl  erfcbeinenbe  121fte  bagegen  fie  nur  jweimabl  mitbrachte.  @§  ift  inbefj  nicht 
ein  entfd)iebener  innerer  SSorjug  jener  vor  biefer,  wobureb  etwa  eine  Vorliebe  gerechtfertigt  würbe.  Sener 
erften  liegt  üielmebr  eine  biöfjev  im  Äircbengefange  noch  nicht  »orbanbene  rt)r>tf)mifd?e  gorm  ju  ©runbe, 
woburdb  bie  9cotbwenbigfeit  il)rer  SOfttaufnabme  bebingt  würbe;  biefer  anberen  bagegen  ba3  SJiaaf  be3 
befannten  95etliebe§:  „S3ater  unfer  im  Himmelreich,"  beffen  gewohnter  unb  mit  9?ed)t  beliebter  ©tngweife 
oabcr  aud)  leid)t  »or  ber  neuen,  weniger  geläufigen,  ber  33or5ug  gegeben  würbe.  Die  ©tropfe  ber  Sieber 
über  ben  72ften  unb  120fkn  $>fatm  fommt  ber  eines  beliebten  weltlichen  Siebet  überein :  „ßart  febone 
grau,"  von  bem  um  bie  3eit  ber  Aufnahme  jener  ßieber  in  ben  Äircbengefang  bereite  eine  getftliche 
Umbicbtung  üorbanben  war.  Dennoch  jog  man  unter  brei  gällen  ibre3  @rfd)cineiB  in  eoangeltfcben  ©efang* 
büd)ern  in  jweien  bie  2DZelobie  »or,  bie  33urcarb  SBalbiS  tl;nen  beigegeben  hatte,  ein  33orjug,  ber  bemnad) 
wof)l  ber  melobifd)en  gorm  beijumeffen  fepn  wirb,  ©ben  fo  ift  e§  mit  bem  llOten  9)falm  biefeS 
Dichter^ ;  feine  ©tropfe  ift  bie  gangbarfte  »ielleid)t  unter  allen  bamaB  üblichen,  bie  be§  fiebenjeiligen  ßiebeS 
„@N>  ift  bas>  £eil  uns»  fommen  her,"  für  bie  man  »tele  9)Mobiecn  befaß;  bennoeb  wählte  man  jumeift  bie 
neue.  Unter  ben  nur  jweimabl  aufgenommenen  ^Pfalmliebem  bringen  bie  über  ben  98ften  unb  116ten 
s])falm  ihre  ©ingweifen  in  beiben  gällen  ihrer  Aufnahme  mit,  wenn  gleich  jeneä  bie  «Strophe  be3  ßiebeS 
trägt  „ßbrtft  unfer  4?err  him  Sotban  fam,"  biefe  be3  ^)affton§gefange§  ,,£)  Söienfcb  bewein'  bein'  ©ünbe 
groß"  mit  nur  unbebeutenber  Abweichung.  SSJcan  fonnte  fie  alfo,  baS  eine  unmittelbar,  ba3  anbere  anbe= 
quemenb,  wie  eS  in  biefer  3ett  nid)t  feiten  gefchahe,  nad)  jenen  bekannten  SBeifen  fingen;  ein  eigentbüm* 
lieber  9?etj  ber  neuen  melobifchen  formen,  unter  benen  beibe  in  S3urcarb  SöalbB  ?)falter  auftraten,  entfebteb 
jeboeb  für  beren  Beibehaltung,  ©o  überwog  benn  auch  bei  ben  anberen  ber,  einmahl  ohne,  einmahl  mit 
ihren  SBeifen  entlehnten  ^falmlieber,  batb  bie  gewohnte  melobifche  Sorm,  balb  ber  9?eij  ber  neuen.  Auf 
bie  nur  einmal)!  mit  ihren  Sülelobteen  erfcheinenben  ^)falmlieber  bürfen  wir  nicht  näher  eingehen  *),  nur  mag 
nicht  unbemerft  bleiben,  bap  eben  einige  unter  biefen  neue  rbntbmifch  e  gönnen  mitbrad)ten,  ber  34(te, 
Mfie,  9:{ftc,  128fte,  14Hfte,  fo  baß  wir  r>orau§fe|en  bürfen,  biefe  fewen  bie  SSeranlaffung  gewefen,  weö= 
balb  bie  ßieber  nicht  tiefere  SBurjel  faffen  fonnten.  Denn  ihre  SSorbilber :  ein  f 6 jf lieber  Danfpfalm ;  jener 
unter  allen  fo  auszeichnete,  in  welchem  bie  üieblichfeit  ber  2Bohnungcn  bc§  ^)errn,  bie  ©celigfeit  in  feiner 
.ftirebe  gepriefen  wirb;  jener  begeifterte  »on  bem  ewigen  ffieiebe  be§  J^errn  :  „Der  £err  ijl  Äbnig,  —  er  hat 

•)  öS  finb  ber  13tc,  löte,  16te,  19te,  32jle,  34fle,  öOjte,  Gifte,  Cifle,  84flc,  Oljte,  93flc,  1 1 7te,  125jtc,  l'28fle, 
l  i8fte,  149fle;  17  im  CSJanjen,  fafl  bic  £älfte  ber  aufgenommenen. 


  233   


ein  SJeid)  angefangen,  fo  weit  t>ie  Söelt  ijt,  unb  jugericbtet,  bajj  eS  bleiben  foü;"  ber  $falm,  in  reellem 
frommer  (Seeleute  ffieruf  unb  ©eegen  gepriefen  wirb ;  enblid)  jener  le^te  unter  ben  genannten,  ber  alle  @rea= 
tur  ju  bem  2obebeSJperrn  aufruft  ;  —  biefe  inSgefammt  hatten  eher  ein'^nta^  fevnmüffen,  bie  auf  fte  gegrün= 
beten  Dichtungen  ber  Ätrcbe  JU  erhalten.  OTein  bie  rb»thmifd)e  §orm,  unter  ber  fie  erfcbienen*),  mutete 
nid)t  an,  bie  Sieber  prägten  bem  ©ebbr  ftct>  nicht  ein,  baS  SBiberftrebenbe  in  jener  mürbe  nicht  burd)  ben 
Inhalt  beS  ÜtebeS  überwogen,  wie  bei  bem  22ften  ^Pfaltn.  Crrji  fväter,  im  2aufe  beS  17ten  SabrbunbertS, 
als  fajt  alle  «Pfalmlieber  beS  S3urcarb  SßalbiS  auS  ber  ,Kird)c  bereits  roieber  verfcbwunben  waren,  mad)tc 
bie  Strophe  beS  93jren  feiner  ^falme  ftd>  95af)n ;  fte  ift  bie  beS  Sftflfdjen  SiebeS :  ,,  ermuntre  bid)  mein 
febwacber  ©eifi"  unb  feitbem  in  ber  evangelifeben  .Eircbe  eine  febr  verbreitete  geworben,  bie  einzige  weiter 
fortgepflanjte  rbwtbmifche  §orm  unter  benen  unfereS  DicbterS. 

Seicht  beantwortet  fid),  nach  allem  biefem,  bie  grage  über  ben  (Sinflufj  ber  ^>falmliebev  unb  SBeifen 
beS  S5urcarb  JBalbiS  auf  ben  evangelifd)cn  jtird)engefang.  SBenige  nur  unter  feinen  neuen  rfwtbmifcben 
unb  mclobifd)en  gönnen  machten  fid)  in  bcmfclbcn  gcltenb  5  ihre  (Sinmirfung  war  nur  eine  vorübergebenbe, 
örtliche.  3m  Saufe  beS  17ten  ^abrbunbertS  waren  alle  jene  Sftelobieen,  beren  wir  gebadeten,  bis  auf  jwei, 
gänjlid)  auS  ber  Ätrcbe  wieber  verfd)wunben ;  nur  bie  beS  llOten,  bie  wir,  in  jwet  harmonifeben  S5earbet= 
tungen,  noch  in  (SrbarbS  Sföelobieengefangbucbe  (LG59)  unb  in  bem  beS  Sanbgrafen  SDlorifc  von  Reffen 
finben,  unb  bie  beS  I21ften,  welche  Michael  9)rdtoriuS  im  achten  Sbeile  feiner  beutfd)en  .Äird)engefdiige 
(9cro.  48)  vterjtimmig  auSgefefjt  bat,  hatten  ft'd)  erhalten.  Dennoch  burfte  SSurcarb  SBatbiS  ^falter  hier 
nicht  übergangen  werben,  wegen  ber  baran  ft'd)  f'nüpfenben  33etrad)ttmgcn.  S3on  wem  aud)  feine  SSJielobteen 
herrühren  mögen,  von  bem  Siebter  felbft,  —  worüber  wir  nicht  burd)  ihn  unterrichtet  werben,  —  ober 
einem  ihm  befreunbeten  Sonhtnfrlcr,  fte  finb  jeberjeit  bcad)tenSwertb.  Sie  tbcilcn  mit  ben  Stngweifcn  beS 
SSolfsliebeS  ben  rbvtbmifcben  SBccbfel,  ben  juweilen  burdigangig  angewenbeten  Sripeltaft  —  wir  ftnben 
tbn  in  neun  S3eifpiclen  **),  jumeiff  auS  ber  ionifeben  Sonart  —  unb  ben  ©egenfafj  beS  geraben  unb  unge= 
raben  Saftes.  Sie  finb  aber  barin  von  ihnen  abweiebettb,  bap  weber  bie  harte  Sonart  in  ihnen  ein  fo 
entfcbiebeneS  Übergcwid)t  hat  alS  bort,  nod)  bap  fie  fid),  wie  jene,  oon  bem  ©eprdge  ber  firebtteben  £on= 
arten  entfernen.  Denn  bie  weid)e  berrfd)t  unter  153  ?Dcelob:ccn  in  79  gdllen  vor,  alfo  über  beren  .Jpdlftc 
hinaus ;  bie  fird)tid)e  Sonart  ijt  jumeijt  red)t  befiimmt  ausgeprägt,  wie  benn  baS  urfprünglicbc  $)bn)gifcbc 
jwanjigmabl,  baS  üerfefjte  fed)Smabl  vorfomntt,  baS  ?D£iyoh)bifdie  in  feiner  Urform  einunbjwanjigmabl,  in 
ber  SSerfebung  fecbSmabl  erfd)cint.  (5S  hatte  fid),  wie  hieraus  hervorgeht,  nad)  ber  erjten  4?älfte  beS  IGten 
3ahrbunbertS  für  bie  ©ingmeife  beS  bcutfd)cn  ÄirdKnliebcS  ein  febr  bejtimmter  Sti)l  gebilbet,  ber  bie 
rbvtbmifche  Bewegtheit  unb  9Jtannid)faltigfeit  beS  ä$olfSgefangcS  mit  bem  @rnjr  ber  fachlichen  Sonart  ju 
vereinigen  {hebte.  Wit  jener  vollen  Äraft,  weld)e  bie  ©emütper  ergreift,  trat  er  jebod)  nur  ba  in  baS  üeben 
unb  gewann  ber  neuen  Äird)enweife  allgemeine  Suftimmung,  wo  biefe  in  ber  £hat  ein  SSßerf  ber  S5egeijte= 


')    spfalm  3i  (jroötfjeitig).    ©ieben=,  oiev-,  adjtfolbigc  Deitert  oiermat)!  iricbertiott. 
^f.  84  (äct)njcitig).    Jr  J»  j   j  8  4,  4.  8. 

W.  128  (fiebenieittg).      8t  J  J«  J- 

?Pf.  148  (ncunjeilig).     7,  C,   |   7,  C.   |   7  7   7.   |   6.  6. 
••)    qjfalm  98.  (D.)  $fo(m  81.  105.  122.  (F.h) 

=     79.  (G.b)  i    20.''  90.  IOC.  117.  (C.) 

30 


  234   


rung,  ^  lebenbigen  2lnflangS  »on  bem  Inhalte  tyveS  Siebet  in  ber  ©eele  beS  ©ängerS  war,  unb  fo,  wenn 
aud)  au3  innerer  9cotbwenbigfeit,  bod)  unbewußt,  jene§  eigentümlich  SBejeicbnenbe,  wie  be§  33olfS=  fo  be3 
ÄtrcbengefangeS  in  fid)  vereinte.  2lugenfd)einlicb  aber  fonnte  biefeS  nur  ba  ber  galt  femi,  wo  baö  Sieb,  e§ 
fep  nun  eine  freie,  ober  einem  heiligen  ©cfange  au3  ber©cbrift  nad)gebenbe£>td)tung  gewefen,  eben  fo  getreu 
unb  wahrhaft  bie  fromme  ©timmung  feines  £)icbtcr§  abriegelte,  unb  fo  bie  febaffenbe  Äraft  in  bem  ©än= 
ger  ju  entjünben  ocrmod)te.  S5ei  einem  ganjen,  wollftänbigen  $)falmenwerfe,  fo  lebhaft  e§  aud}  ben  Siebter 
befebäftigt  l)aben  mag,  fo  trojlreid)  ihm,  bem  Snbalte  nach  wie  ber  gorm,  biefe  S3efchäftigung  aud)  gewe* 
fen  fc»n  wirb,  unb  fo  gelungen  wir  (Sit^elnes?  nennen  burfen,  fonnte  bod),  felbft  in  ber  Sage  voll  Anfechtung 
unb  Srübfal,  burd)  bie  jene  Aufgabe  ihm  fo  Werth  würbe,  bie  SSegeifterung  faum  eine  gleich  anbauernbe, 
fcböyferifcbc  fei;n,  unb  wenn  baS  gebrückte  ©emütb  aud)  an  bem  Spalte  ber  b,eiligen  ©efänge  ft'd)  erhob, 
war  bod)  bem  @rfd)b»ftcn  nid)t  feiten  aud)  bas>  ©piel  mit  ber  äuferen  gorm  eine  @rf)olung.  SBenn  nun 
bei  ihm,  wie  nid)t  crjl  bei  bem  SonfünjTler,  ber  il)m  bie  SDWobieen  fang !  ©o  ftnb  benn  biefe  aud)  nur 
ein  Senfmal)!  geblieben  von  ben  "tfnfoberungen,  bie  man,  mehr  ober  weniger  mit  33ewuf3tfet)n,  an  bie 
©ingweife  be§  beutfcfyen  geifttieben  Siebes?  bamaB  ft'd)  ftellte,  wie  ihr  nur  vorübergebenber  Eintritt  in 
bie  jtirebe  uns  ein  33eifpiel  baoon  giebt,  bafs  bie  äußeren  ©rforberniffc  bc§  fird)lid)en  ©tt)l3  für  fid)  allein 
nicht  hinreichen,  einem  aud)  fonft  fd)ä£baren  ©efange  bort  eine  bauernbe  $eimatb  ju  fiebern. 

33on  bebeutenberem  (Sinfluffe  waren  auf  ben  er>angelifd)en  Ätrcbengefang  bie  SDZelobieen  ber  fran= 
j}bftfd)--caluinifd)en  *J)falmlieber,  bie  burd)  2tmbroftu§  fiobwafferS  beutfd)e  iftaebbiebtungen  unter  S5eibebal= 
tung  ber  ©tropfen  Clement  99?arot§  unb  Sbeobor  S5eja'§  überall  fid)  ©ingang  üerfebafften.  £)iefes>  gefebahe 
jebod)  erft  in  ber  legten #älfte  bc§  16ten3abrbunbert§.  SSiel  früher  aber  aB  @atü  in  l)atte  fd)on  3wingli 
gelehrt,  ©eit  bem  SMigionSgefpräcbe  ju  3ürid)  (1523)  l)atte  er  burd)  SSefdmpfung  ber  überbanbgenom* 
menen  9Jiitwräucbe  bie  58erdnberung  ber  äußeren  ©eftalt  be§  biäfjerigen  ÄircbenwefenS  eingeleitet;  um  1524 
war  er  mit  SSefeitigung  ber  Silber  unb  Orgeln,  unmittelbar  eingreifenb,  aufgetreten;  1525  batte  er  ftatt 
ber  btötjertgen  Art  ber  ©penbung  be3  t>eitt9eri  AbenbmablS,  eine  SBeife  eingerichtet  e§  ju  genießen,  ganj  ben 
Ütebegmabten  gleid) ;  er  l)attc  auf  bem  9Jcarburger  SieligionSgefpräcbe  feine  Äircbe  um  1529  vertreten,  bie 
nun  erft  als  eine  von  ber  lutl)erifd)en  getrennte  erfd)ien;  am  Ilten  SDctobcr  1531  war  er  auf  bem  ©cblad)t= 
felbe  ju  ßappel  gefallen  ;  innerhalb  biefer  ad)t  3abre  feiner  frdftigftcn  SBirffamfeit  hatte  er  aud)  in  £)ber= 
beutfd)lanb  nid)t  unbebeutenben  Anhang  gefunben.  ©ollte  nun  nid)t,  von  ber  ©cbweij  au3,  unb  ben 
angrenjenben  Sbeilen  £)eutfd)lanb§,  vor  ßalüin  bereits  ein  eigentl)ümlid)er  reformirter  Äird)engefang 
fid)  gebilbet  haben,  unb  mit  bem  burd)  Luther  hervorgerufenen  in  irgenb  ein  SSerbdltniß  getreten  femi?  S5ei 
biefer  grage  verweilen  wir  nod)  einSBenigeS,  ehe  wir  übergeben  ju  jenen  franjofifcb  -  reformirten  $)falm= 
liebern  unb  ihren  ©ingweifen.  — 

£a$  erfte,  mit  SutberS  Billigung  erfebienene,  burd)  eine  SSorrebe  r»on  il)m  eingeleitete 
©efangbueb,  baö  2Balterfd)e  ■oon  1524,  trat  mit  ber  83orau§fe^ung  auf,  nicht  allein,  bafj  getftltd)er 
©cfang  gut  unb  ©ort  angenehm  fei),  fonbern  auch,  ^ap  ein  35erl)dltnifj  beffelben  ju  ber  Jtunft  be£ 
Sonfa^ee  fid)  von  felber  »erjicbe.  2utl)er  fd)lop  fid)  bem  ©cbraud)e  ber  alten  Kirche  barin  an;  nur  follte 
ber  ©efang  in  ber  Äircbe  nid)t,  wie  btöber,  geijllo§  unb  hanbwerfämdpig  abgctl)an  werben,  nod)  ben  ©eip= 
lid)en  ober  SKiethlingen  allein  überlaffen  bleiben.  @r  follte  mit  3ud)t  unb  2(nbad)t  üon  allen  ©liebem 
ber  ©emeine  auö  frommem,  gläubigem  4?erjen  ju  gemeinfamer  ©rbauung  ertönen,  bie  Äunft  aber  nicht 
burd)  baS  (fuangelion  ^u  S3oben  gefd)lagen  fet)n,  wie  nur  "Mbergetfrltc^e  vorgaben,  fonbern  alle  Äünjte  bem 


  235   


Sienfte  beSjenigen  geweifjt  fepn,  t>er  fte  gegeben  unb  gefdjaffen  habe.  Ser  reinere  ©otteöbienft  foüte  auö 
ben  formen  be§  alten  tytxauZ  ftdt>  lebenbig  entwideln,  nur  baS  ©djabltcpe,  S3erberbttd?e,  ber  ©djrift 
2Biberfirebenbe,  baS  Veraltete  unb  SBerlebte  foüte  abgetan  werben,  ©anj  anberen  ©inne§  waren 
3wingli  unb  feine  ©enoffen.  ©3  fotlte  nach,  tfjnen  ntd)t  eine  gereinigte  Äircfye  fyeroorwacbfen  au3  bem 
©djocfje  ber  alten,  fonbern  biefe  füllte  üöüig  erneut,  ju  ber  urfprünglidjen,  aooftolifcfyen  (Einfalt  jurücfge= 
fübjt,  unb  oon  bem  ©otteSbienfte  unbebingt  20lc§  auSgefcfyteben  werben,  wa3  nid)t  auf  ein  ©ebot  ber 
©cfyrift  gegrünbet  feo.  Sarum  würbe  aucb,  bic  3ulafft'gfeit  beö  jtird)engefange§  überbauet  ernftlid)  in  §rage 
geftellt:  von  ben  ftrenger  ©eftnnten  würbe  er  unbebingt  verworfen,  oon  ben  milber  ©eftimmten  felbft  nur 
unter  großen  S5efcb,ränfungen  5ugelaffen.  2Bie  e3  bamit  befcfyaffen  gewefen,  erfahren  mir  nid)t  beffer  unb 
oollftänbiger,  als  au3  ber  SSorrebe  etneg  SBucfyesv  bas>  fdwn  einige  Seit  juvor,  efye  nod)  bie  caloinifdje 
Äirdje  ipren  eigentfmmlidKn  .Äircfyengefang  befaß,  bereite  an  bae>  2id)t  getreten  mar.  (53  ift  biefe§  baS 
„©efangbücfylem  oon  oiel  fcfybnen  ^fatmen  unb  geijtlicfyen  Biebern, "  ba§  angeblich,  juerft  1536,  bann  oier 
3abre  fpäter,  um  1540,  burcb  einige  Diener  ber  Äirdje  ju  @onftanj  unb  anberSwo  gemehrt  unb  gebeffert, 
bei  ßbriftoob.  grofcfyauer  ju  3ürid)  erfd)ien.  Stym  l)at  SopanneS  3wid  eine  SSorrebe  oorangeftellt  „ju  S5e= 
fcbirm  unb  ©rpaltung  be3  orbentlicpen  .Kircpengefangeä,''  unb  oon  biefer  ift  bier  bie  Sfebe.  Wit  großer 
SEJiilbe,  im  erfyaltenben  ©inne  ijt  fie  gcfcprteben ;  fräftig  abwefjrenb  tritt  fte  bem  ftrengcn,  ftarren  ©inne 
entgegen,  ber  ben  .Kircpengefang  überall  ausließen  wollte.  Sie  eine  wie  bie  anbere  2lnftd)t  ftnb  in  it>r 
gegenübergeftellt,  ipre  ©ad)e  ju  führen,  um  fo  mef)r  gewährt  fte  un§  ein  lebenbige§  S5ilb  ber  bamalS  unter 
ben  2lnl)angern  3wingel§  I)errfd>enben  ©inneSweife,  unb  be§  barauS  fyeroorgefyenben,  oerfdn'ebnen  SSerbält* 
ntffeö  berfelben  ju  bem  Äird)engefange. 

3wid  beginnt  bamit:  man  wenbe  ein  gegen  ben  £ird)engefang,  ßljriftuS  fyabe  ilm  nicfyt  geboten. 
Tfllein  er  fyabe  ipn  aud)  nid)t  oerboten,  fe»  barauf  ju  entgegnen.  2Ba§  bie  ©d)rift  ntcfyt  geboten,  nod)  Oer* 
boten  Ijabe,  ba$  fep  ein  frei  Sing,  unb  man  folle  eS  nad)  ©lauben  unb  Siebe  rieten,  ©eboten  pabe  bie 
©eprift  ben  ©efang  niept,  aber  fte  enthalte  oiel  guter  SBeifpielc  beffelben.  SDZofeS  unb  bie  Äinber  %\xatl 
fangen,  al§  ber  4?err  fte  au§  ber  jlnecptfcfyaft  Grgpptenö  geführt,  fte  fangen  il)m,  eines>  um  baS  anbere,  bei 
bem  SBafferbrunncn,  ben  ©Ott  tpnen  gefd)enft  l)atte  in  ber  2Büjle;  unb  wir  fotlten  Sb,m  nicfyt  fingen,  ber 
unö  au§  mefyr  alö  einer  ©efangni^  erlbfte,  nid)t  fingen  follten  wir  oon  ßfyrifto,  bem  wabren  5ßorne  be§ 
ßebenS?  2Iber,  tjei^r  eä,  baö  fenen  S3eifpiele  be3  alten  Seflamentg,  bie  nicht  gelten  fbnnten  oon  bem 
neuen;  wir  fenen  ein  geijtlid)  83olf,  baö  ©ott  im  ©eifte  fingen  folle.  2m  biefem  ©inne  würben  wir  jeboeb 
ber  ^)rebigt  eben  fo  wenig  bebürfen,  ba  wir  im  ©eifte  gelebrt  fepn  follen.  '^ueb,  ein  geiftlid?  83olf  muffe 
mit  äußerlichen  Singen  umgeben,  fonft  würbe  eö  ja  felbft  nid)t  reben  bürfen.  SSiele  gei(tltcb,e  fromme  Suben 
bätten  ©ott  gelobt  mit  ©efange,  follte  e§  nur  barum  nid)t  im  ©eifte  gewefen  fepn,  weil  fte  e§  fingenb 
tbaten?  2Baä  ©ott  nid)t  löblid)  fep,  unb  bem  iJcddjften  niebt  nü^e,  baö  fepen  2Berfe  be§  alten  fleifd)lid)en 
SKenfdjen,  feo  e§  Senfen,  9?cben  ober  ©ingen ;  wa§  ©ott  ju  2obe  unb  bem  9?äd)ften  jum  ©uten  btene, 
ba§  few  beä  neuen,  geifiliepen  SJZenfcfyen,  fep  e§  nun  SenFen,  9?eben,  ober  aud)  ©ingen.  2lucb,  bie  'tfpoftel, 
fäb,rt  er  fort,  b<*ben  ba§  ©ingen  emofoblen;  ?)aulu§  ermahnt  bie  @pb,efer,  oon  Sobgefängen  unb  geiftlicben 
Biebern  unter  einanber  ju  reben ;  follen  fte  baoon  reben,  fo  mögen  fte  aud)  fingen.  Sarauf  wirft  man  ein, 
er  rebe  oom  ©ingen  im  Jperjen.  2Ba3  man  aber  in  bem  $er$en  trmn  barf  unb  foü,  ba§  mag  man  aud) 
mit  bem  SJlunbe  tbun,  gleid)erweife  baä  ©ingen  wie  ba§  ©ebet.  #at  boc^  auc^  Sacobu§  gefagt:  fieibet 
3emanb  unter  eud),  ber  bete ;  ift  S^wanb  guten  9Jiutl)es>,  ber  finge  ^)falmen.  Tiber,  r)ei^t  e§  bann  wieber, 

30* 


  236   


baä  £crj  ifi  nicht  allezeit  babei.  Um  eines  folgen  S3orwanbe3  willen  würbe  man  jeboeb,  felbjl  baS  £etligjle 
unb  23cjle  abtbun  muffen ;  bie  sprebigt  f  bnnte  man  ntd)t  Ratten,  ja  ßbrifluS  würbe  um  be§  3uba§  willen 
baü  iWadb.  tma^l  nid;t  haben  begeben  büvfen.  darauf  erwiebert  man :  ber  ©efang  im  #erjen  fcp  fjinretd^enb, 
man  beburfe  nid)t  erjl  ber  ©timme  baju.  GE"§  ijl  waf)r,  redjt  beten  fann  man  niebt  mit  ÜZBorten,  unb  redjt 
fingen  niebt  mit  ber  ©timme,  olme  ba§  #crj,  unt>  man  'm  #erSen  recht  beten  unb  fingen  ohne  2Bort 
unb  ©timme.  Tiber  baraue»  folgt  nicht,  baß  man  35 ei be§  mit  S5 erben  nicht  tbun  möge.  Sa3  £erj 
bat  feine  Übung  jum  ©uten  unb  33bfen  innerlich,  unb  fo  bat  2Bort  unb  ©timme  fte  gleid)erweife  äußerlich- 
Vereinen  fid?  Jpcrj,  Sßort,  ©timme,  gegen  ©Ott;  rebet  ber  SDienfcb  äußerlich  unb  innerlich  gegen  ilm,  fo 
betet  unb  finget  er  auf  bie  redete  Söeife.  Ttuf  mancherlei  SBegcn  fommen  SBort  unb  ©timme  bem  SDZenfcfyen 
ju  ©ute.  ©ic  macben  fein  .£>erj  inbrünjliger,  baß  e3  fein  felbft  niebt  balb  »ergibt,  fte  wehren  anberen 
©inbilbungen  unb  3ufällen.  ©präd)e  ber  9Jienfch,  bei  ber  $Prebigt  jebeS  2Bort  nach,  fagte  er  ju  jebem 
fünfte  'Urnen,  eS  würbe  ibm  minber  gefebeben,  wohl  eine  halbe  ©tunbe  lang  anberen  Singen  nacbjufinnen. 
SBort  unb  ©timme  baben  ibre  Tlrt,  SBirfung  unb  @igenfd)aft,  ja,  tf>r  ßeben,  eben  fo  wohl  fttö  ba6  £erj, 
in  gcijllidjen  unb  flcifd)lid)en  Singen,  ©ie  machen  baS  $erj  nicht,  aber  fte  reiben  unb  bewegen  e§  jum 
©uten  ober  33öfen,  jenaebbem  fte  gut  ftnb  ober  bofe.  @in  2Bof)lrebenber  bewegt  ben  £brer  ju  einer  ganj 
anberen  9)2cinung  aß  er  jm>or  hatte;  böfe  2Borte  reijen  jum  3onie,  baß  ber  SKenfd)  nid)t  mebr  weif,  wa§ 
er  tbut.  Srommeln  unb  pfeifen  geben  ba§  .Iperj  nicht  im  .Kriege  ober  Sanje,  fte  reijen  e3  aber  ju  bemje* 
nigen,  wa3  juoor  in  il)tn  jlecfte.  ÜalteS  SBaffer  macht  ben  Äalf  nicht  heiß/  e§  treibt  tr)m  bie  innerliche 
•£>i|c  berwor.  9)lan  gtebt  bem  bag  geben  niebt,  ben  man  oom  ©cblafe  aufweeft,  man  ermuntert  it>n  aber, 
baß  er  nicht  baliegt  wie  ein  fauler  ©d)elm.  ffibfer,  fleifd)lid)er,  unreiner  ©efang  macht  ba§  .£>erj  nid)t 
oon  neuem  fleifcblicb,  unb  unrein,  er  hilft  bem  böfen  gleifdje  unb  ber  Unrcintgfeit  berfür,  gleichwie  ein  falfd>= 
geiftlid)cr,  abgbttifd)er  ©efang  ntd)t  abgottifd)  tnad)t,  fonbern  nur  ber  natürlichen  Neigung  baju  herauf 
bilft.  Sennocb  ijl  e§  nicht  übel  gerebet,  wenn  man  bbfen  unb  fcbäblidben  SSBorten  wie  ©efängen  ©chulb 
giebt,  baß  fte  ein  bbfeS  £erj  machen.  Senn  fte  mad)en  ein  rechtes  wahres  Crmpfinben  unb  SSiffen  beö 
SSbfen,  ba3  man  juoor  nid)t  batte.  Ser  2Bein  liegt  auf  beriefe,  unb  ijl  bennoeb,  lauter;  rüt)rt  man  bie 
£efe  auf,  fo  wirb  alles?  trübe.  Sarum  warnt  bie  fyeiligc  ©djrift  »or  falfcfyer  ßel)re  unb  bbfem  S5eifpiele. 
Tiber  in  umgef'cbrtem  ©innc  geben  auch,  gute  2Borte  unb  ©efang  Urfad)  unb9?etj  jum  ©uten.  9cun  fpreeben 
Einige:  werbe  aud)  ber  ©efang  jurocilen  red)t  unb  wobl  gebraucht,  fo  mißbrauche  man  il)n  bod)  balb  wieber 
jumSSöfcn.  ©oll  man  aber  um  be§  93Ztfjbraucbeä  willen  ben  rechten  ©ebraud)  tierwerfen?  ©Über unb ©olb, 
2Bein  unb  Äorn  werben  gemif braucht ;  foll  man  be^halb  nicht  münjen,  »flanjen  unb  faen?  ©oll  man 
bae  ^rebigtamt  abtljun,  weil  cö  in  großen  Mißbrauch  fommen  fann?  ©ingen  freilich  ijl  nicht  fo  non> 
wenbig  unb  geboten  aU  »rebigen,  wenn  e§  aber  recht  geflieht,  bient  e§  ju  beö  9?äd)jlcn  S5efferung,  wie 
anbere  äußere  Singe,  unb  ijl  eine  fo  hcrjlid)e  a$ermal)nung,  aB  fonjl  mit  SBorten  gefdjehen  mag.  Unb 
follte  Vogelfang  ©otte§  gob  fenn  mögen,  unb  nicht  ber  ßbrijlen  ©efang?  'tfueb  barf  man  nicht  Jßcforgniß 
hegen,  inbem  man  bie  jefjige  Sßeife  beö  ©efangeä  auf  bie  öäßjlifche  lixt  beziehet.  Unter  ben  £cutfd)en 
(ehret  man  nid)t  welfd)  noch  lateinifeh  fingen,  baß  ber,  welcher  fingt  ober  jubbrt,  ben  ©efang  nicht  v>er= 
fleht;  baß  9ticmanb  Timen  baju  fagen  fann;  baß  man  oiel  ©nabe  unb  Tlblaß  ober  großcö  SSerbienft  babei 
oerlünbe.  'äud)  foUen  nicht  geweihte  üeute  aUein  fingen,  ber  ©efang  foll  nicht  fleifchliche  Sufl  unb  £>bren; 
fifeel  werben,  man  foll  nicht  bie  ©urgel  mit  gutem,  jlarfem  2Beine  falben,  mancherlei  ©timmen,  hoch  unb 
nieber,  flein  unb  groß,  foüen  in  ber  Äirche  nid)t  ftch  burd)  einanber  reimen.    25or  'Tlllem  ifl  bie  SDIeinung 


  237   


nicht,  bap  bie  ©efänge  abgbttifd)  fenen,  baf  eine4?anbtbierung  barauä  werbe,  ober  einer  für  ben  tfnbern  um 
ba$  Sagelobn  finge,  'tfnbere  [äffen  ben  ©efang  als?  gut  gelten,  unb  nicht  wibcr  ©Ott,  wollen  aber,  baß  man 
nicht!  benn  *Pfalmen  finge,  ober  was>  fonft  nach  bem  SBucbftaben  in  ber  Sßibel  gcfcbrieben  flehe.  Siefe  haben 
feine  bbfe Meinung,  e3  gebriebt  ihnen  aber  an  bem  rechten  Urtbeilcn  unbUnterfcl)eibcn.  3?ed)t  ift  eä,  bafs  man 
auf  bie  v2d>rtft  bringt,  aber  nicht  recht,  bie  ©aben  be§  ©eifteS  baneben  verwerfen,  bie  er  auf  mancherlei 
SBeifc  wirft.  SRatl  foll  allejeit  mehr  auf  Inhalt  unb  Sierftanb  ber  Schrift  bringen,  aU  auf  bie  ÜBorte! 
Ser  SSucbftabe  unb  bie  Söorte  finb  frei;  bem  SJerftanbe  muffen  Tille,  ©elebrte  unb  Ungelel)rte  fid)  gefangen 
geben.  2SaS  bem  ffierfianbe  nach,  glcid)  ift,  fo  ungleich,  bie  SBorte  auch  lauten,  ba§  ift  auch  Schrift;  wiber 
bie  Schrift  ift,  wa$  bem  23erftanbe  nach  ungleich  ijt,  rote  gleich  bie  2Borte  flingen  mögen,  unb  roenn  fic 
febon  eitel  golbene  mären.  tfnbere  flogen  fid)  baran,  bafj  bie  ^)falmen  unb  anbere  ©efänge  gereimt 
fepen.  Senen  ift  eS  auch  allein  um  bie  SBorte  ju  tbun.  Sie  SBorte  gehören  ben  ©laubigen,  ntctjt  bie 
©laubigen  ben  SBorten,  mie  auch  (Sfn'iftuS  v>om  ©abbatb  fagt.  3>aulll3  aber  fpricht:  2flles>  fttj  unfer,  wir 
aber  fepen  dbrifti,  nur  baf?  alle§  ber  Siebe  unb  bem  ©lauben  ähnlich  fev,  welches?  ber  Sierftanb  fep  bei- 
gaben heiligen  ©cbrtft.  Tlnbere  ärgern  fich,  baran,  bafj  bie  $)falmen  bin  unb  her  auf  ben  ©äffen  unb  in 
Käufern  nicht  mit  ernft  unb  3ud)t  gefungen  werben.  Siefe  haben  nicht  unrecht,  bafj  ber  Mißbrauch  ihnen 
übel  gefällt,  ©tehen  Unjucbt  unb  ©robhett  übel  in  zeitlichen,  mie  viel  mehr  noch  in  göttlichen  Singen, 
es  finb  beren  genug,  bie  göttlichen  ©efang  ohne  Sucht  gebrauchen,  ja,  ftatt  feiner  viel  üppige  Sieber  unb 
©efänge  in  fteter  Übung  haben.  Um  fo  minber  finb  aber  bie  guten  unb  göttlichen  ©efänge  ber  $>falmen 
unb  anberer  Sieber  ju  verwerfen,  weil  ba§  $>avfttbum  voller  falfchgeifilicber,  abgöttifd)er,  eigennü^iger, 
unverftänbiger  ©efänge,  bie  Söelt  voll  geiftlofer,  leichtfertiger,  unreiner  unb  fcbäblicher  Sieber  fteeft,  in 
benen  ©Ott  unb  ber  9täd)fte  gefchänbet  wirb.  Surcb  jene  wirb  biefer  etwas?  minber  werben.  Sarum 
ermahnet  Paulus?  bie  (5prj»efcr,  ft'e  follen  fid)  ber  fdianbbaren  SBorte  abtbun,  ber  9tarrentbeibinge,  ber  leicht: 
fertigen  ©cherje;  alfo  freilich  ö"d>  btv  fcbänblicben  SBeltlieber,  bie  fid)  nicht  reimen  ju  ©otteS  Sob,  unb 
ber  ^hre  be£  heiligen  ©laubenS.  —  e§  fyat  nicht  wenig  Unheil  angerichtet,  baf  in  allerlei  ©achen  ein 
3eber  nad)  feinem  eigenen  SBillen  gerichtet  unb  geurtbeilt  hat,  unb  verworfen,  was?  ihm  nicht  gefiel,  ohne 
Unterfcbieb  bes>  ©uten  unb  SBbfen.  @§  fann  wahrlid)  jteiner  red)t  urtbeilen,  ber  nicht  auch  unterfd)eiben 
weif.  £at  man  nicht  ein  fleifjtgeS  3ufef)en,  waS  vor  ©ort  gut  unb  böfe  fev,  fo  fehlt  man  leicht;  ber  Seht 
aber  wäre  nod)  nicht  fo  fcbäblich,  als?  Trennung,  3wietracbt,  Uneinigfeit,  ©ecten  unb  2lnbang,  bie  baraus 
fommen.  ©Ott  mache  uns?  recht  verftänbig  burd)  ©inn,  SBort  unb  ©eift,  baf  wir  mit  einem  SJJunbe  unb 
.Sperren  allejeit  unb  in  allen  Singen  fein  Sob,  unb  feine  (Ihre  einhällig  fachen,  tfmen. 

©in  milber,  auSgleicbenber  ©inn  leuchtet  bmwr  in  biefen  einleitenben  SBorten,  beren  ©eban= 
fengang  wir  in  möglichster  SSollftänbigfeit  wieberjugeben  gefud)t  höhen;  unb  bod),  wie  ftreng  fprid)t  ber 
SSorrebner  fid)  aus?,  wenn  von  bem  ©efänge  in  ber  Äird)e  bie  9?ebe  ift!  Sen  Äunftgefang  verwirft  er 
bort  gänjlicb ;  ber  SSerein  hoher  unb  tiefer  ©timmen  in  mannid)fad)er  ^Bewegung  unb  ©egenbewegung  ift 
ihm  ein  »aviftifeber  ©reuel;  einer  foll  nicht  für  ben  2lnbern  um  Sagelohn  fingen,  baber  foll  man  gefcbultc 
©änger,  bie  vom  ©efänge  leben,  nicht  bingen;  ©efang  ber  ©em eine  unb  fonfl  feiner  barf  in  ber  £trcbe 
gebulbet  werben,  freilich  hätte  man  bie  Sugenb,  mie  aud)  Sutber  eö  mollte,  jur  Äunft  auferjiel)en,  burd) 
ihren  ©efang,  ben  eines?  Sheileö  ber  ©emeine,  ftatt  be§  frember  SOtietblinge,  ben  ©ottegbienft  fd)mücfen 
fönnen.  Mein  bie  erfie  S5ebingung  beö  üunftgefangeS ,  ben  SSerein  mehrer  ©timmen  mannicbfaltigen 
Umfanget,  hatte  man  mit  einem  ©prud)e  ber  83erwerfung  belegt,  man  mufte  alfo  auf  ihn  verachten. 


  238   


Singweifen  giebt  eS  aUerbingä,  bie  wir  juerft  mit  Stebern  ber  Anhänger  3wingli'S  antreffen,  eS  fep  in  bem 
ourd)  3wid  befürworteten  Steberbuche,  ober  auch  früher  fchon  in  ben  feit  1525  r>on  SBolf  Äbphl  ju  ©traß= 
bürg  herausgegebenen  ©efangbüchem.  2IUein  ihre  Sieber  flehen  mit  benen  ßutherS  unb  ber  ©einigen  t»er= 
mifd>t,  eine  Trennung  ber  S3efenntniffe  im  heiligen  ©efange  tritt  nirgenb  Ijeroor.  2utd)  fbnnen  mir  nid)t 
behaupten,  baß  ttjre  25Mobicen  etma  ein  befonbereS,  eben  ft'e  vor  ben  anberen  auSjeicbnenbeS  ©epräge  trü= 
gen:  eS  müßte  benn  fepn,  baß  fte  mehr  als  bie  ju  ßutfjerS  Siebern  in  gleichen  £bnen  ftcb  fortbemegen,  unb 
SBecbJel  beS  SfbnthmuS  ober  gar  beS  SafteS  bbchft  feiten  bei  ihnen  angetroffen  werben,  fte  alfo  firenger  unb 
ernfler  erfcbetnen,  allen  ©cbmutf  ablehnenber.  S3erf)ältnißmäßig  ft'nb  ihrer  aud)  nur  menige.  Sie  *Pfamv 
lieber  2ubwig  SlerS  ftnb  fdmmtlid)  auf  bie  SBeife:  ,,@S  iji  baS  Spät  uns  fommen  her"  ju  fingen;  bei  ben 
Biebern  ^einrieb,  33ogtl)erS,  9Kattl)ia§  ©reiterS,  'tfmbroftuS  unb  XfyomaZ  SSlaurerS,  Johannes  3widS  unb 
Änberer  wirb  häufig  auf  bereits  oorbanbene  SJMobieen  »erwiefen  *,  unb  b,aben  fte  eigene,  mit  ihnen  juerjt 
erfebeinenbe,  mie  bie  bekannten  ber  *Pfalmlieber :  Zn  2Bafferflüffen  S3abr;lon  tc.  ;  25er  Sfyöridbt  fprtcht,  eS 
ift  fein  ©ott  tc.  ;  £>  $>em  ©Ott  begnabe  mid)  tc. ;  ©S  ftnb  boch  feiig  alle  bie  ?c. ;  ©Ott  ift  fo  gut  bem 
3frael  ic. ;  unb  bie  ber  eoangeltfcbert  2obgefänge  „SJlein  ©eef  erbebt  ben  Herren  mein  k."  t>on  ©pmpho= 
rian  ^)ollio,  unb  ,,©ebenebett  fep  ©ott  ber  Spm  k.,"  3m  grtebe  bein,  o  £erre  mein  tc.  von  Sohann 
(Snglifd),  fo  finben  fieb  biefe  mit  ihnen  auch  ju  lutberifeben  ©efangbüchem  balb  heran,  unb  treten  auf  biefe 
tfrt  in  ben  ÄreiS  einer  lebenbigen  -Kunfrentroidlung  mit  ein. 

83on  einem  eigentümlichen  Äirdbengefange  ber  9veformirten  fann  bis  gegen  bie  SJiitte  beS  16ten 
jabrbunbertS,  biefem  allem  nach,  nicht  bie  9febe  fepn:  biefer  beginnt  erfi  mit  (Salüin.  2Bir  merben 
finben,  baß  bie  2tnftd)ten  biefeS  eüangelifdben  .Kirchenlehrers  t>om  Äirdbengefange  um  33ieleS  firenger  waren, 
als  bie  beS  Johannes  3wtd,  baß  er  ihm  t>iel  engere  ©renjen  jog,  t|n  auf  eine  beftimmte  2fnjabt  t>on 
©efdngen  unb  ihrer  Sttelobieen  befchrdnfte;  baß  aber,  obwohl  ebenfalls  in  firenger  Umgrenzung,  ber 
Äunftgefang  bennoch  einigen  9faum  gewann  in  ber  t>on  ihm  gegrünbeten  Äirche.  2Bie  eS  bamit  befdbaffen 
gewefen,  wollen  wir  nunmehr  berichten;  wir  fdbtcfen  eine  gebrdngte  (Stählung  ooran  üon  ber  ©ntftehung 
beS  franjbftfcben  *Pfalmbud)eS. 

6S  ift  anzunehmen,  bafj  um  baS  Satyr  1540  ein  großer  £f)eil  ber  von  Clement  SERarot  über= 
rragenen  ^)falmen  bereits  wollenbet  war.  ©enn  als  Äaifer  Äarl  V.  mit  bem  Anfange  jenes  %ai)Ttä 
nach  ^)ariS  fam ,  um  ftd?  nad)  ben  9lieberlanben  ju  begeben,  forberte  fixarifr  ber  @rfte,  ber  an  jener  Arbeit 
großes  ©efallen  fanb,  unferen  £)id)ter  auf,  fte  feinem  hoben  ©afte  ju  überreichen,  bem  er  babureb  eine 
befonbere  '2(ufmerffamfeit  ju  bejeigen  wünfd)te.  25er  Äaifer  nahm  baS  Sargebotene  gndbig  auf,  ließ  bem 
Dichter  ein  ©efchenf  von  200  Dublonen  reichen,  unb  ermunterte  ihn  jur  gortfefjung  feines  SBerfeS,  em= 
pfaht  ihm  aud)  ben  lOöten  unb  106ten  (nach  Zutyex  106ten  unb  107ten)  ^»falrn  „Danfet  bem  ^)errn, 
benn  er  ijl  freunblid),  unb  feine  ©üte  wahret  ewiglich/'  ju  balbiger  Übertragung,  ba  er  biefe  ^)falme 
befonberS  liebe.  £>aS  SDSoblgefallen  beiber  ^»errfdber  an  SKarotS  Arbeit,  neben  beren  innerem  SBertbe  unb 
ihrem  zeitgemäßen  ©egenflanbe,  loerfcbaffte  ihr  allgemeinen  Eingang.  Dreißig  ?>falme,  —  nicht  nach  ber 
Weihefolge  beS^PfatterS,  benn  SSRarot  hatte  biejenigen  gewählt,  bie  feiner  ©emüthSftimmung  eben  jufagten,  — 
mit  ihnen  baS  ©ebet  beS  ^)errn,  ber  engltfcbe  ©ruß  unb  baS  apoftolifche  ©laubenSbefenntniß  in  franjöft= 
fchen  Neimen,  würben  1542  ju  ^artS  von  Dolet  gebrudt:  man  will  behaupten,  in  jehntaufenb  ^rempla^ 
ren.  Die  Sonfünfiler  beiber  Surften ,  t>or  allen  bie  franjbftfchen,  beeiferten  ftch,  fte  in  SÖRuftF  ju  fefeen. 
ßatbarina  3Rebici ,  bie  ©emahlin  beS  DauphinS  ^einrieb,  trbftete  ftd)  an  ihnen  über  bie  Unfruchtbarfeit 


  239   

ihrer  bamal$  balb  jeljnjätjrtgcn  <5l>e ;  bie  ©d)roefter  be3  £bnig$,  Süiargaretbe  »on  9ca»arra,  pflegte  ju  fagen, 
fie  i>abe  burd)  jene  ^falmen  bie  ©nabe  be§  ^)errn  unb  grud)tbarfett  »om  ^immel  für  fid?  berabgeflebt. 
Äönig  granj  felber  fanb  nod)  auf  bem  SEobtenbette  an  ibnen  ©tärfung  unb  Sroft.  9J2an  pflegte  fte  ju 
bäuSlicbcr  (Erbauung  ju  fingen,  unb  ibnen  SJcelobieen  weltlicher  Üieber  anjupaffen.  £er  Saupbin  ^einrieb 
fang  ben  42jten  |)fabn:  „Ainsi  qu'on  oyl  le  cerf  bruire"  (Sßie  ber  £itfd)  fd)reiet  nach  frifebem  SBaffer) 
nad)  ber  Seife  eine*  3agbliebe3;  £iana  von  ^oitierS,  «gjerjogin  OomBalentmotS  weilte  für  fid)  ben  130ften 
"Pfalm:  Du  fonds  de  ma  pensee  (^uS  ber  SStefe  ruf  id),  £err,  ju  bir)  unb  eignete  tym  bie  SJielobie einer 
SSolte  an  (eine»  SanjliebeS) ;  bie  jtbnigin  jog  ben  6ten  ben  übrigen  vor  (Ne  veuilles  pas  o  Sire  —  #err 
ffraf  mieb  niebt  in  beinern  3orn)  unb  nabm  für  ibn  eine  9Jlelobie  über  ben  ©efang  ber  9)ofTcnreifjer  (un  air 
sur  le  chant  des  bouffons);  2Cnton  »on  SJiavarra  fang  fid)  ben  43ften:  Revange  moy,  prends  la  quereile 
(9iid)te  mid)  ©ort  unb  fübre  meine  ©ad)e  vor  bem  unbciligen  SSolf),  nad)  einer  branle  de  Poitou ,  einem 
oolfötbümlicben  SEanje.  9Kan  nabm  an  bergletd)en  Skrmengung  bes1  2Beltlid)en  mit  bem  ^eiligen  feinen 
'tfnftofj,  fo  wenig  al§  in  £)eutfd)ianb 5  fjatte  man  bod)  an  ben,  bornalS  »or  .Kurzem  nur  in  Antwerpen 
erfd)ienenen  flamldnbifcben  $)falmen  ein  JScifpiet  bafür.  ©ie  würbe  r)ier  um  fo  leid)ter  aB  einige  ber 
3Karotfcben  *Pfalmen  gleichen  ©tropbenbau  litten  mit  weltlichen  Biebern:  fo  ber  38fte 

Las  !  en  ta  fureur  aigue 
ne  m'argue  etc. 

mit  bem  33olfs1iebe 

Mon  bei  ami,  vous  souviene 
de  Piene  etc. 

fo  ber  130fte  mit  bem  SiebeSgefange 

Languiray-je  plus  guere 
languiray-je  toujours  etc. 

5öteUeid)t  mar  aud)  bie  33orliebe  bes>  Dauphins ,  nacbmaligen  ÄöntgS  ^einrieb  (beS  2ten)  für  jene  ^falmen 
eineSSeranlaffung,  biefe©irte  mel)r  ju  »erbretten.  ©eine@ünftltnge,  feine  S3eifcbldferin,  meinten  fid)  bei  ibm 
befonberS  in  ©unft  §u  fefeen ,  menn  fte  eine  gleiche  Siebe  für  bie  ^Pfalmen  erheuchelten,  wenn  fte  ibn  baten 
biefen  ober  jenen  unter  benfetben,  il)nen  als  befonben>  eigen  jujutbeilen,  waS  er  allejeit  gern  tbat,  aud)  mo 
er  anberS  für  ft'e  gewählt  hätte.  Wim  mod)te  e§  gefd)el)en,  baß  bie  fo  S5efd)enften,  bem  allgemeinen  ©e^ 
braud)e  jufolge,  tl)re  9>falme  nad)  weltlichen  SBeifen  ftngenb,  biefe  ibnen  allgemad)  jueigneten.  §ür  ben 
128ften  ^Pfalm  foll  ^einrieb  felber  eine  SJielobie  erfunben  haben.  (Sr  münfebte  lebhaft  Äinber,  jumabl 
einen  ©ol)n,  fo  fang  er  benn  gern  jene  2Borte  ber  2ten  ©tropbe 

Quand  ä  Theur  de  ta  ligne 

Ta  femme  en  ta  maison 

Sera  comme  une  vigne 

Portant  fruict  a  foison  etc. 

(bein  SBeib  wirb  fenn  roie  ein  fruchtbarer  SBetnftod  tc.)  nad)  einer  SQSeife,  bie  er  ju  tfngouleme,  von  febwerer 
Äranfbeit  genefen,  fid)  baju  erbad)t  hatte.  4j)ier  fanb  ibn  SSiUemaubon,  ber  burd)  SJiargaretba  t>on  9caüarra, 
©d)mefier  feine*  S3ater$,  an  ibn  gefanbt  mar,  roie  er  ftd)  ju  feiner  (Srgbfcung  bie  ^Pfalmen  »on  feinen 
©ängern  »ortragen  lief},  ju  bem  Älange  ber  SBiolen,  Sauten,  ©pinetren  unb  glbten ;   er  empfing 


  240   


fen  tfbgefanbten  gütig,  unb  bänbigte  ibm  bie  gefangenen  SBeifen  fammt  ihrem  mebrftimmigen  ©a£e  für 
feine  Königin  ein. 

33alb  nad)  bem  Abbrucfe  jener  30  ^falmen  fafjc  SJiarot  ftd>  genötigt  ben  £of  ju  verlaffen, 
fen  es,  weil  er  für  einen  Anhänger  ber  neuen  Set>rc  galt,  fep  eS,  bafi  feine  bbfe  3unge  ihm  mächtige 
geinbe  erwedt  tjotte.  6r  begab  ft'd)  nach,  ©enf,  unb  brachte  bort  bie  3at)l  ber  von  ibm  übertragenen 
spfalmcn  bi§  auf  funfjig.  £>tefe  erfd)tenen  bafelbft  mit  einer  SSorrebe  ßaloinö  oom  lOten  Suni  1543. 
3er;  ()abe  biefe  2Tu§gabe  niemals  gefeben,  fann  alfo  auch,  nicht  beurteilen,  ob  il)re  33orrebe,  welche  bei 
ben  Ausgaben  be§  ganjen  $Pfalter3  wieber  mit  abgebrudt  ift,  ntd>t  »telleidjt  fpäter  einige  Erweiterungen 
unb  S3erdnberungen  erfahren  bat,  jumafyl  feit  bie  ^)falmcn  bei  bem  caloinifcben  ©otteöbienfte  eingeführt 
roaren.  Samalä  waren  fte  e§  noch  nicht,  unb  infofern  tonnte  aUe§  Dasjenige,  wa§  in  biefer  SSorrebe 
über  ben  ©inn,  unb  3voed  ber  fachlichen  §cier  gefagt  ijt,  ein  feitbem  beigefügter  3ufa£  fenn.  3Bie 
fte  jefjt  vorliegt,  ift  ihr  wefentlicber  %nt)dt  folgenber. 

Sie  .Kirche,  fagt  ßaloin,  wirb  befucht,  um  gruebt  unb  Erbauung  ju  geroinnen  au3  bem, 
wa$  man  bort  ftebt  unb  f>6ret.  £>aju  ift  eS  nötl)ig,  bafj  man  ben  ©inn  ber  gefammten  geier  genü- 
genb  oerftebe ;  ohne  2cbre  giebt  e3  feine  Erbauung.  9cun  ftnb  e3  brei  Singe ,  bie  ber  £err  um>  geboten 
bat,  bei  unferen  fircblidjen  SSerfammlungen  ju  beobachten,  bie  ^rebigt,  ba§  ©ebet,  unb  ber  ©ebraud) 
oer  ©acramente.  2>on  ber  erften  ift  bier  ju  fchroeigen.  Sa§  ©ebet  muf? ,  wie  ft'd)  oon  felbft  oerftebt, 
in  einer  Sprache  gehalten  werben,  welche  ber  ©emeine  befannt  ift;  wie  fann  fte  fonft  baran  SEheil 
nehmen,  wie  fann  fte,  wenn  e§  in  ihrem  9camen  von  einem  Ruberen  gefchtebt,  baffelbe  burch  'Amen 
befräftigen?  ES  ift  alfo  eine  grobe  £äufcf;ung  gewefen,  unb  ein  verberblid)er  SEftipbraud),  ben  ©otte^ 
bienft  in  lateinifdjer  Sprache  ba  ju  halten ,  wo  fte  nicht  allgemein  verftanben  würbe,  deicht  minber 
bat  man  ba3  S5olf  bamit  getäufebt,  bafj  man  ihm  bie  ©acramente  nur  gejeigt,  ohne  e§  von  ben  ®ebeim= 
niffen  ju  unterrichten,  welche  barin  befafjt  ftnb;  offenfunbig  ift  ber  barauS  entftanbene  Aberglaube, 
ba  man  gemeint,  bie  SBeibe  beS  Saufwafferä ,  bcS  SBeineä  unb  SSroteö  im  "Mbenbmahl,  wanble,  wie 
ourch  einen  3auber,  SBcibcS  um,  bie  leblofen  ©toffc  empfänben  bie  Sxaft  be3  2Borte3,  baj>  ber  SDienfcb 
nicht  verftebe.  —  £>a§  ©ebet  ift  aber  ein  boppelteS :  —  ©ebet  im  engeren  ©inne,  unb  ©efang.  3u 
S3eibem  ermahnet  ber  fettige  ©eift  burch  ?>aulum,  S3eibe§  hat  auch  bie  .Kirche  von  jeher  geübt.  Die 
.Kraft  ber  Xbm  in  Erwetfung  geiftlicber  greube  ift  befannt ;  unter  allen  ©aben,  bie  ©Ott  bem  9D2cnfd)en 
jur  Erholung  unb  Erquidung  oerliehen  bat,  ift  bie  Sonfunft  für  bie  effte,  ober  boeb  eine  ber  f)bd;ften 
ju  halten,  ©ie  befifjt  eine  gebcimnifwolle  .Kraft,  bie  Sperren  ju  bewegen,  aber  weil  fie  biefeS  im 
©cblimmcn  fowohl  als  im  ©uten  oermag,  mufj  man  ernftlid)  bebad)t  fepn,  tiefe  fbft(id)e  ©otteSgabe 
nicht  burch  SKipbraud)  ju  entweihen,  wo  fte  bann  ein  um  fo  mehr  tbbtltcbeä,  feclenoerberbenbeö,  ja 
teuflifcbeS  ©ift  wirb.  3weierlei  nun  ift  bei  bem  ©efange  ju  unterfd)eiben,  ber  ©egenjtanb  unb  Inhalt, 
unb  bie  SSonweife.  SSet  bem  erften  bleibt  barauf  ju  achten,  nicht  allein  baß  er  fdjulbloS,  fonbern 
bafü  er  aud)  heilig  fep ;  baß  er  eine  Anreijung  enthalte  jum  ©ebete,  jum  2obe  ©otteö ,  ju  ^Betrachtung 
feiner  2ßerfe,  bie  un§  bewege,  ihn  ju  lieben,  ju  fürchten,  ju  ehren,  ju  verherrlichen.  Nun  fann, 
nacb  bem  2luäfprud)e  beö  (jeiügen  '2tuguftinu§ ,  man  nid)t§  ©ott  2ßürbige§  fingen,  man  habe  e§  benn 
juoor  oon  ihm  empfangen,  ©o  wirb  man  benn  auch  feine  würbigeren  ©efange  finben  fönnen  al$  bt'e 
$)falmen  Savibö,  bie  ber  heilige  ©eift  felber  ihrem  ©änger  eingegeben,  fte  burch  ih"  gemacht  hat. 
©ingen  wir  biefe,  fo  bürfen  wir  fteber  fepn,   bafj  ©ort  unö  bie  Sßorte  in  ben  9Kunb  gelegt  habe, 


  241  

bajj  e§  fei),  olö  fange  @r  felber  in  un3,  um  feinen  9ful)m  ju  erl)bl)en.  Darum  ermahnet  ber  ^eilige 
dbrnfoftomuS  fo  Männer  als  grauen  unb  Äinber  ju  beren  ©ebraud),  um  baburd)  ber  ©ememfd)aft 
ber  @ngel  tfjetlbaft  ju  merben.  ©eijtlid)e  ©efänge,  fo  fagt  ber  beilige  ^auluS,  finb  nur  mit  bem 
Q er jen  roof)l  ju  fingen,  ber  ©efang  aus?  bem  Jperjen  aber  erl)cifd)t  notbmenbig  baö  SBerflänbnif}  bes> 
©efungenen.  Denn  'baburd)  allein  unterfebetbet  ft'd)  ber  ©efang  beS  SDcenfdjcn  oon  bem  ber  SSbgel,  bie 
mobl  folgen  tonnen,  glcid)  il)m,  ohne  jeboef;  baö  ©efungene  ju  oerfteben.  SeneS  Skrftänbnifj  ju  ge= 
roinnen,  bem  ba3  $er$  unb  bie  Siebe  folgt,  ift  biefeS  spfalmbud)  benimmt:  möge  e§  unferem  ©ebacb> 
niffe  fieb  fo  tief  einprägen,  baft  mir  nie  aufboren  e»  ju  fingen.  2Bcr  fid?  in  ©Ott  erfreuen  mag,  bebiene 
ft'd)  beffen  ju  feinem  £eile,  an  bie  ©teile  jener  anberen  ©efdnge,  bie  tf>eil§  eitel  finb  unb  r»oll  2eicb> 
ft'nn,  tljeilä  tf)brid)t  unb  gcbanfenloS,  tl)eilS  fd)mu£ig  unb  gemein,  alfo  bbfe  unb  üerberblid).  2öa3 
bie Sonwetfen  betrifft*),  fo  F>at  e§  ba3  33cfte  gcfd)ienen,  ft'e  fo  ju  befjanbeln,  mie  gefd)cl)en  ift,  ba= 
mit  ft'e  bem  ©egenftanbe  9?ad)brucf  oerlcif)en  unb  SJlajejiat,  unb  geeignet  finb,  felbfr  in  ber  Äircfye  ge* 
fungen  ju  merben. 

2Bar  nun  biefe  SSorrebe,  beren  ©ebanfengange  mir  btäf>er  gefolgt  finb,  fetyon  bamalö  in  ber 
"Ärt,  mie  ft'e  fpäter  ben  gefammten  $)faltcr  begleitete,  aud)  bereite  Begleiterin  ber  9Rarotfd)en  $>falmen, 
ober  nid)t,  jmeierlei  minbejtenS  bürfen  mir  mit  ©id)erl)eit  barau§  fd)liefjen.  @tnmaf)l,  bap  ßalüin 
aüerbingS  bamit  umging,  ben  ©efang  ber  §)falmen  in  ber  £anbe§fprad)c  ju  einem  Steile  be§  ©otte§= 
bienfleö  ju  machen,  baß  e3  aber  nod)  nid)t  gefd)eljen  mar,  fonbern  erft  »orbereitet  merben  foUte.  dt 
t) eifert  in  ben  beftimmteften  AuSbrücfen  bie  SSerfünbigung  beö  2Bortes>,  ba3  ©ebet,  bie  83ermaltung 
ber  ©acramente  in  ber  2anbe3fprad)e :  er  empfiehlt  ben  geiftlid}en  ©efang  al§  greube  in  bem  $errn  er* 
meefenb,  aber  junäd)jt  als  t>auältd>e  Erbauung,  mie  es>  fdjeint,  an  bie  Stelle  meltlicb,er,  leichtfertiger, 
feelent»erberblid)er  ©efänge.  Ott  greift  üor  2CUem  ben  ©efang  ber  ^Pfalmen,  meit  fie  ©otteS  Sßort  fevjen, 
burd)  ben  heiligen  ©eift  ibrem  ©änger  unmittelbar  eingegeben ;  er  rübmt  if>n  alj>  mal)rl)aft  crgb|lid)  unb 
beitfam.  ©obann  giebt  er  bie  bamalS  erfcfyiencncn  $)falmlicber  mit  ©ingmeifen,  allein  nicht  mit  neu 
erfunbenen,  fonbern  gefammelten,  für  biefen  3mecf  eingerichteten,  unb  fo  bebanbelten,  baft 
ft'e  fetbft  in  ber  Äird)e  gefungen  merben  möchten,  nad)bem  ft'e  nämlid)  in  ber  ©ejtalt,  mie 
fte  nun  erfd) ienen  maren,  bem  ©ebdd)tniffe  bei  häuslichem  ©ebraud)e  ft'd)  feft  eingeprägt  hätten. 

©ed)3  3af)re  fpäter,  um  1549,  fam  £l)cobor  33eja,  mit  ft'eben  anberen  (Sbelleuten,  feinet  ©lau= 
ben§  rcegen  au§  granfreid)  »ertrieben,  nad)  ©enf.  G?r  mar  ^ugenbfreunb  6alüin§,  aber  'ilnfangö  nod)  melt= 
lid)en  ©inne§,  e§  gel)brten  %a\)Te  baju,  el)e  ßalüin  ifjn  bemegen  fonnte,  in  feinem  ©inne  gemeinfd)aftlid) 
mit  tbm  ju  mirfen.  @rfi  feit  1552  foll  bieä  gefd)el)en  fet>n,  unb  früher  bürfte  mol)l  aueb,  S3eja  f'aum  bie 
Übertragung  ber  nod)  übrigen  ^Pfalmen  in  franjbfifd)e  SSerfe  begonnen  baben,  bie  ßalüin  fo  febj  münfd)te, 
meil  er  nun  ernftlid)er  bamit  umging,  ben  ©efang  be§  franjbfifd)en  ^)falter§  bei  bem  ©otteSbienftc,  aB 
einen  mefentlicben  Sbeil  beffelben  einjufübren,  ma§  mit  ben  bis>  babin  übertragenen  ^)falmen  mirflid)  in 
bem  folgenben  Sabre  (1553)  gefd)al)e.  Dap  S5eja  l)ieran  mefentlicben  3lntl)eil  genommen,  ift  nid)t  ju  be= 
jmeifeln.    eine  Sbatfacb,e,  bie  mir,  im  Allgemeinen  minbeftenS ,  al§  fepgejiellt  annehmen  müffen,  beutet 


')  Toachant  la  melodie,  il  a  semble  le  meilleur,  qu'elle  Just  moderee  en  la  Sorte  que  nons  l'avoos  mise, 
ponr  empörter  poids  et  majeste  eonveaahl«  au  subjet,  mesme  pour  estre  propre  d  chanter  en  PEglise  seloo  qu'it 
a  este  dit  etc. 

».  SBinttifctt,  fcet  esmigel.  S^otalgefang.  31 


betraf  bin,  wenn  uns  nicht  fchon  bie  burd)  tt)n  bewirkte  Vollenbung  bes  gefammten  äBerfes  baoon  bie 
ÜK-natgung  gäbe.  SSeja  foll  nämlich  Damals,  am  2ten  ÜJlooember  1552,  Samens  ber  ilircbendtteflen 
(compagnie  ecclesiastique)  einem  fonfl  ntetit  weiter  befanntett  Sonfünfllcr,  ©uitlaume  granc,  eine  8$t- 
Reinigung  barüber  erteilt  haben,  baf  er  juerfi  bic  spfalmett  fo  in  SJluftf  gefefjt  habe  (mis  en  inusique), 
rote  man  fie  in  ben  (cawinifeben)  Ätrdben  finge.  Diefc  £hatfad)e  will  33at)te  burd)  einen  ^Jrofeffor  ju  2au= 
fanne  erfahren  haben,  ben  er  nicht  nennt,  unb  ber  ihm  v>erftcbcrt  haben  foll,  biefes  Seugnif  aufgefunben 
ui  haben,  ohne  jebod)  ben  Ort  ju  bezeichnen,  wo  es  gefcheben  fet).  2Btr  werben  auf  biefen  Umflanb  fpdter 
noch  einmal  jurücffommen  muffen,  bei  ber  Unterfud)ung,  woher  bte  9Kelobieen  jener  ^Pfatmen  flammen? 
£ter  wollen  wir,  auf  bie  Verftcberung  eines  gelehrten  unb  fonfl  glaubhaften  SOZannes,  bie  Sbatfacbe  an  fid) 
nicht  in  3weifet  sieben,  fo  unoollfldnbig  fie  uns  auch  oorliegt. 

©eit  biefem  3eitpunfte  ber  Einführung  ber  SJZarotfcben  ^)falmen  in  bie  cawinifebe  £ircbe  fingen 
fie  an,  ben  Äatbolifcben  oerbdebtig  ju  werben.  Serie  erften  breif  ig,  welche  breijebn  3af)re  früher,  um  1540, 
bereite  oollcnbet  waren,  hatten  bie  ^Billigung  ber  ©orbonne  erhalten,  fte  waren  felbft  ju  9?om  (am  15ten 
gebruar  1542)  auf  SBefe^I  bcS  ^)apfle§  burd)  Sfyeobor  Drufl,  feinen  Drucfer,  einen  Deutfcben,  beraub 
gegeben  worben,  ncbfl  acht  anberen,  beren  Urheber  man  nicht  fennt;  fte  fonnten  auch  ben  ftreng  Äatl)0= 
lifeben  fein  SBebenfen  erregen,  ber  grofe  S3eifall,  ben  fte  am  franjoftfeben  £ofe  fanben,  beförberte  ihre 
Verbreitung.  Sbre  fpdtere  33efanntmad)ung  burd)  ßaloin  nebfl  20  anberen,  oon  ber  9)arifer  Unioerfitdt 
nicht  gebilligten,  fonnte  fchon  eher  Verbacht  erregen.  Doch  ftnben  wir  noch  um  1544  eine  ju  ßtwn  bei 
ßtienne  Dotet  erfd)ienene  Ausgabe  biefer  50  $Pfalmen,  in  jwei  2£btbeitungen,  wie  fte  nach  einanber  heraus* 
famen,  ncbfl  bem  ßobgefange  Simeons,  ben  jebn  ©eboten,  bem  eoangelifcben  ©laubcnsbefenntntffc,  bem 
©ebete  bes  Sr>mn,  bem  engltfdben  ©rufe,  unb  einigen  ©ebeten  unb  ßebrgebicbten,  nebfl  ber  2eibens= 
gefliehte  Gibrifli ;  welches  Ellies,  bis  auf  bie  erjlen  beiben  2teber,  in  ben  fpdteren  Ausgaben  bes  gefammten 
DfalterS  für  firchlichen  ©ebraueb  wegblieb.  Die  $)falmcn  felbft  ftnb  hier  ohne  SJMobieen,  noch  eine  Sr>'m- 
weifung  auf  folche:  nur  furje  ^nbaltsanjeigen  flehen  ihnen  ooran,  biefelben,  mit  benen  wir  fte  fpdter 
wieberum  abgebrudt  ftnben.  (Sine  3uetgnung  an  ben  .König,  unb  bte  Damen  granfreiebs  erofnet  biefe 
Ausgabe;  beibes  enthielt  vielleicht  fchon  bie  frühefle  ber  erften  30  9)falmen.  Die  franjoftfeben  grauen 
ermahnt  ber  Dichter,  baf  fte,  bie  ©Ott  gemad)t,  fein  Sempcl  ju  fepn  (que  fist  Dicu  pour  estre  son 
templcj  unb  bie  bennoch  »on  wettlichen  ©efdngen  ©die  unb  Kammern  erfcballcn  tiefen,  nun  biefe 
tlieber  Jjetttcjer  Siebe  im  *Pfalter  burd}  ihren  SERunb  beleben,  unb  fo  bie  (Srflen  fevm  mochten,  burch  bie 
Das  golbene  Zeitalter  wieberfehre.  3u  ber  3eit,  wo  biefe  SBorte  abermals  gcbrutf't  wttrben,  fanb  bie 
Erfüllung  ber  Sßünfcbe  unferes  Dichters  roabrfdjeinttcJb  fd)on  Schwierigkeiten  burd)  fird)licbe  ©egen= 
wirfung.  ES  wirb  wohl  bamalä  fchon,  ober  boch  nur  um  2Bcnigc§  fpdter,  gewefen  fct)n,  baf?  ber  (5ar= 
oinal  oon  Lothringen  bem  nachherigen  Äbnige  Heinrich  II.,  ber  jene  9)falmen,  wie  wir  gefeben,  bi§h"' 
fo  befonberS  geliebt  harte,  burd)  Diana  oon  ^)oitier§  über  beren  ©ebraud)  ©ewiffcnSjwetfel  erregte;  baf 
man  fte  Katharinen  9JZebici  wegnahm  nebfl  ber  franjbftfchen  S3ibel;  baf  man  il)r  flatt  S5outeillcr,  ihres* 
bisherigen  Sßetchroaterö,  einen  anberen  gab.  2tud)  Sßarnungcn  wegen  ber  Verbreitung  werben  ergangen 
fepn,  weil  bie  ^Billigung  ber  geifllid)en  SBebbrbe  fehlte.  2Cte  fte  aber  ein  wcfentlid)cr  Zbcil  geworben 
waren  eines  als  fefcerifd)  verworfenen  ©ottcsbienfleö,  galt  ihr  ©ebraud)  als  2Ba()rjet'd)en  ber  Hinnei- 
gung ju  jener  oerhaften  ßebre:  e6  ergingen  Verbote,  burd)  flrenge  ©trafen  gefchärft,  bie  bisherige  3lt'u 
gung  oerwanbelte  ftd)  in  Sßiberwillen,  ber  bei  aufridnig  frommen  ©emüthern  wobl  um  fo  gröfer  war, 


  243   


nf3  uc  ftd)  überzeugt  wähnten,  einem  feetenüerberblidjen  ©ifte  Eingang  oerftattet  &u  haben,  in  ber 
■DEfteinung  einer  t)etlfamen  @rgbfcnmg  ju  genießen. 

25iefer  SBiberwiUe  bauerte  fort  bis  ju  bem  9?etigionSgefpräd)e  ju  Poiffn,  in  ©emäfjheit  beffen, 
3i"amen3  bej>  elfjährigen  JSbnigS  ßarl  beS  IXten,  ein  Privilegium  t>om  19ten  SDctober  15G1  für  ben  %b- 
bruef  beS  gefammten  franjoftfehen  PfalterS  erteilt  würbe.  £)ajj  SSeja  früher  als  bamalS  ben  übrigen 
%i)dt  ber  Pfalmen  übertragen  gehabt,  b,abe  id)  nicht  ftnben  fonnen.  9loch  in  bemfelben  !3al)re  erfetue* 
nen,  ber  nunmehr  erteilten  Grrlaubnifj  ber  geifUid)en  33el)brbe  jufolge,  in  8t)on  brei  unb  ad)tjig  Pfatmen, 
t>on  SouiS  Bourgeois  ju  »ier,  fünf  unb  fed)S  Stimmen  gefegt.  3hnen  folgten,  um  1562,  fecfyjefm 
m'erftimmige  Pfalmen  nad)  ÜJJotettenart  bel)anbelt,  burd)  Glaube  ©oubimel,  herausgegeben  ju  Paris 
burd)  3tbrian  le  Sfop  unb  Stöbert  S3allavb,  nid)t  ju  t>erwed)feln  mit  ben  fpäteren  einfachen  Sonfä^en  biefeS 
SDZeifterS  über  bie  Pfalmwcifen.  Senn  biefeS  frühere  2Ber!  umfaßt  nur  bie  angegebene,  geringe  Safyl  oon 
Pfalmen,  weil  eine  SSehanblungSweifc,  wie  bie  üon  bem  SÜReifier  gewählte,  nicht  für  alle  glctd>mdfjtg  ge= 
eignet  ift,  fonbern  nur  für  bie  t>on  wenigen  ober  fürjeren  ©tropfen,  roeil  fonjt,  ba  jebe  einzelne,  ober  bod) 
£>oppelftropt)e,  einen  abgefonberten  Sf)eil  beS  ganjen  SJiotettS  bilbet,  biefeS  $u  ermübenber  Sänge  auS= 
gewonnen  mürbe.  3n  eben  biefem  Sahre  (1562)  gab  2(nton  Vincent  ju  Spon  ben  erften  üollftänbigen 
franjoftfehen  Pfalter  heraus*),  eine  tfuSgabe,  ber  in  ben  nächften  fahren  mehre  anbere  in  t>erfd)iebenen 
formen  folgten,  ohne  baß  in  einer  »on  ihnen  baS  erwähnte  Privilegium,  ober  bie  Billigung  ber  ©orbonne 
wörtlich  mit  abgebrueft  märe.  £)en  Pfalmen  allen  ft'nb  hier  bie  SBeifen  bereits  »orgebrudt,  nach  benen  fie 
fpäter  in  ben  cawinifchen  £ird)en  gefungen  mürben.  Über  ihre  (Sntftehung  fchmeigt  baS  im  SiuSjugemit: 
geseilte  Prwilegium  für  Litton  Vincent.  9lur  beiläufig  wirb  barin  bemerkt :  bie  Pfatmcn  fernen  in  gute 
9Rufif  gebracht,  wie  eS  wohl  unterfucht  unb  beftätigt  fei)  burch  gelehrte,  unb  auch  ber  Sonfunft  funbige 
Seute**).  Durch  SSaple  haben  wir,  aus  ber  juoor  angegebenen,  unbefannten  £luetle,  bie  9cad)rid)t:  bat? 
fein  Saufanner  Profeffor  ein  Privilegium  beS  SftagifiratS  ju  ©enf  gefehen  fyabe,  mit  rotl)cm  2Bad)fe  gefie= 
gelt  unb  mit  bem  tarnen  „©allatin"  unterzeichnet,  vom  %ab,xe  1564,  worin  ©uillaume  granc 
als  Urheber  ber  üötuftf  ju  ben  Pfalmen  anerfannt  werbe  (reconnu  pour  l'auteur  de  cette  musique),  unb 
bafj  eben  berfelbe  eine  ju  ©enf  erfd)ienene  Ausgabe  ber  Pfalmen  beft^e,  worin  ber  9came  biefeS  granc  ge= 
nannt  fei)  (oü  est  le  nom  de  ce  Guillaume  Franc).  @rft  im  folgenben  %ab,xe,  1565,  traten  bie  üier* 
ftimmigen  $armonieen  ©oubimelS  über  bie  Pfalmen  an  baS  Sicht,  »on  ihm  felber  nur  ju  l)äuSlid)er  dx-- 
bauung,  nicht  ju  fird)lid)em  ©ebrauche  beftimmt,  mit  ber  33erftd)erung,  bafjt  er  ben  ©efang,  wie  er  in  ben 
Äirdjen  beftelje,  unüeränbert  unb  un$ertrennt  erhalten  habe,  eben  wie  er  für  ftd)  felber  few. 

SJiit  biefen  Nachrichten  erfd)bpft  ftd)  baSjenige,  waS  wir  über  bie  Sntffehung  beö  franjbftfd)en 
PfalterS  unb  feiner  ©ingweifen  wiffen.   $üx  unferen  gegenwärtigen  3wed  liegt  un§  vorzüglich  baran,  ben 


*)  2)Ct  Sütel  btefer  2tu§gabc  lautet:  Les  Pseaumes  mis  en  rime  fran(;oise.  Par  Clement  Marot  et  Theodore 
de  Beze.  PseaumelX.  Cbaotez  au  Seigaeur  qui  habite  ea  Sioo  et  anaoaeez  ses  faicts  entre  les  peuples.  Unter 
biefem  ©pruetje  fietjt  ein  aUegorifa)eg  SSilb,  eietteicht  bag  Reichen  be6  SructerS.  3fei  in  einanber  gcrounbene  ©d)lan= 
gen,  oon  benen  einer  eine  fteine  (Schlangenbrut  au§  bem  Cetbe  f)cröorbrid)t ,  fctjlie^en  ein  Sä'flein  ein  mit  ber  Snfdjrift: 
Quod  tibi  fieri  noo  vis,  alteri  non  facias.  Unten  ftnben  rütr:  A  LioD,  Par  Jan  de  Tournes ,  pour  Antoine  Vincent. 
MDLX1I.  Avec  privilege  pour  dix  ans.  ®iefe§  lautet  de  S.  Germain  en  Laye,  26.  Xbr.  1561,  unb  ift  nur  im  2tu6= 
juge  mitgeteilt. 

")  —  mis  etc.  en  boune  musique ,  comme  a  este  bien  vu  et  cognu  par  gens  doctes  etc.  aussi  en  l'art  de 
oiusique. 

31* 


  244   

Urheber  biefet  fegten  511  fennen.  ©eit  bem  17ten  S«^unberte  bat  jtemtt'cr;  allgemein  Glaube  ©oubi- 
mel  bafür  gegolten,  rote  er  benn  unftreitig  Urheber  ber  frübefren  einfachen,  vicrjtimmtgcn  Sonfäfce  über 
btefelben  ift,  bie  bureb  bie  Untcrlegung  von  SobwafferS  beutfeher  Überfettung  eine  fo  große  Verbreitung  in 
Scutfcblanb  erhalten  haben.  9Kan  bat  jebod)  in  biefem  galle,  rote  fväter  in  fo  vielen  anberen,  augen= 
fcbcinlicb  ben  ©efcer  mit  bem  ©anger  vermecfyfett,  roenn  man  ihm  auch  bie  Sonweifcn  felber  jugefebrie- 
ben  l)at;  benn  fie  waren  urfunblicb  bereit»  vor  Grfcbcincn  fetneS  SBerfeS  vorbanben,  unb  er  roar  fo  roeit 
bavon  entfernt,  ftcb  ihre  ©rftnbung  anjumaafjen,  baß  er  vielmehr  verfieberr,  ihnen  nur  brei  anbere  ©timmen 
beigefügt  (adiousk-),  fie  fclbcr  jeboeb  unveränbert  gelaffcn  jtt  höhen  (en  son  entier).  SRod)  roeniger 
fann  von  Glaub  in  le  3eune  bie3vebc  fiep,  ber  feinen  einfachen  vier=  unb  fünfftimmigen  ©dfcen  eben  auch 
bie  von  ©oubimel  behanbelten  2Beifen  untergelegt  bat,  einem  fo  viel  fväteren  SBerfe,  ba  fie  erft  im  2ten 
Sabrjcbenb  beS  17ten  SahrfounbertS,  nach  bem  Sobe  ibrcS  Urhebers,  an  baS  Sicht  traten. 

Sic  früheren  motettenbaften  SScbanblungen  unferer^falmen  burcb£oui§  ^Bourgeois  unb  ©oubimel 
fommen  hier  gar  nicht  inSBetracht,  unbfönnen  biefen  Sonfünftlern  aud)  nur  5DZiturbeberfd)aft  an  beren  ©ing= 
weifen  nicht  fiebern.  9?ur  ©uillaume  granc  formte  nach  ben  erwähnten  Seugniffen  barauf  'tfnfvrucb  machen. 
'2f(lein  wie  wenig  genügenbe  2luSfunft  erhalten  wir  burch  bie  bloße  turje  Schriebt  von  bem  SSorbanbenfewn 
jener  3eugniffe!  derjenige,  ber  fie  fabe,  ift  uns  nicht  einmahl  feinem  9camen  nach  befannt,  ber  £rt,  wo 
er  fie  fanb,  ift  unS  nid?t  angegeben ;  unS  mangelt  bie  Äcnntniß  ibrcS  wörtlichen  Inhalts,  tf)re§  barauS  ju 
entnehmenben  3ufammenbangeS.  Sie  SSeranlaffung  ju  bem  Privilegium  von  1564  fann  wohl  nicht  jwei= 
felbaft  fei;n,  woburch  aber  f&qa  vermocht  fei),  feine  S3efd)einigung  vom  3abre  1552  an  granc  auSjufiellen, 
bleibt  unS  unbefannt.  Sie  2tuSgabe  ber  Pfalmen,  in  welcher  ber  ungenannte  ^rofeffor  ju  ßaufanne  ben 
sJcamen  jenes  granc  gefunben  höben  will,  wirb  unS  nur  als  eine  ju  ©enf  erfebienene  genannt,  nicht  aber 
bem  Sah"  ibreS  GrfcbcinenS  nach  bejeiebnet.  (Sin  fvätcrer  ©elehrter*)  nennt  baS  3a!br-1545,  bagegen 
©tr  aß  bürg  als  ben  Srt  beS  Grfd)einenS.  Stefc  TluSgabe  fann,  weil  eine  fo  frühe,  alSbann  nur  9Jla= 
rots  ^falmen  allein  befaßt  haben ;  beren  SJielopieen  in  bem  ©traßburger  Srucfe  von  jenem  Sabre  waren 
aber  (nach  bem  3eugniffe  beS  Seremie  be  $)ourS**),  ber  fie  gefchen,  benen  nicht  völlig  gleicb,  welche 
nachmals  folgten,  unb  beren  man  ftcb  fvdter  bebiente.  ©ie  waren  alfo  nicht  burdibin  bie,  von  ©ou= 
bimel  unb  Glaubin  mcbrftimmig  gefegten,  in  ben  calvinifcfycn  Äird)en  eingeführten.  2Bir  haben  bienacb 
wenig  ©ewißheit  über  bie  eigentlidje  SScfdjaffenbeit  ber  ©ache.  SBaS  wir  nad)  Willem  baS  unS 
barüber  vorliegt,  als  baS  2Ba brfcb  e inlich fte  annehmen  bürfen,  wollen  wir  nun  mit  wenigen  SBortcn 
nod)  beifügen. 

gür  eine  unjweifetbafte  Sbatfacbe  bürfen  wir  eS  halten,  baß  bie  erften,  von  SJlarot  in  franjbftfcbe 
SBerfe  gebrachten  ^falmen,  Anfangs  nach  weltlichen  SBcifcn  gefungen  würben.  2Bir  befifjen  barüber 
unverwerfliche  3cugniffe :  eS  war  auch  biefeS  eine  bamalS  allgemein  verbreitete,  um  fo  weniger  anftbßigc 
©itte,  als  SEonfünftler  jener  3eit  fein  SSebenfen  trugen,  Steffen  für  firchlidjcn  ©ebrauch  auf  bie  SQWobieen 
gemeiner,  felbft  febmu^iger  Sicher  ju  fe^en.  3ene  weltlichen  SBeifen  mod)ten  nun  allgemach  mit  ben 
^falmen  ftcb  verbreitet  haben,   fo  eng  mit  benfelben  verwachfen  fewn,   baß  man  fie  von  ihnen  nicht 


')    Felis,  Biographie  des  musiciens  IV.  pag.  173. 
")    Divine  inclodie  du  lainct  psalmiste  etc.  pag.  570. 

La  musio,ue  n'y  est  pas  partout  pareille  avec  celle  qui  a  suivi ,  et  dont  on  s'est  servi  apres. 


  245   


mehr  trennen  mod)te.  %af  man  burfte  e£  faum,  wenn  man  ben  £id)tungen  allgemeinen  Gingang  ju 
verfebaffen,  wenn  man  fte ,  ju  \)hu$M)er:  (Erholung  unb  Grbauung,  an  fcie  ©teile  meltlicb  leicbtftnniger 
ober  gar  fchlüpfrtger  Siicter  ju  fegen  wünfebte;  es  fonnte  beilfam  erfd^einen  —  wie  wir  e$  ja  um  jene  3eit 
von  Unteren  vielfach,  mit  beftimmten  SBorten  ausgebrochen  ftnben,  unb  in  £eutfcblanb  unbebenflicb 
getban  feben,  —  biefen  weltlichen  ©efängen  ben  anmutbigen,  an  ftcb  unfcbulbigen  Scbmuif  ibrer  £on= 
roeifen  abjltflretfen,  unb  biefen  würbiger  ju  verwenben.  Qat  man  boeb  bafür  wobt  auf  3Rofe§  33eif»iel 
SSejug  genommen ,  ber  ben  Sfraeliten  befohlen ,  bie  ber  Abgötterei  bienenben,  golbenen  unb  fübernen  @t> 
fä^e  ber  dgnvter  ju  entwenben,  ju  fünftigem  £ienjle  im  £ciligtbume  bes  roabren  ©ottes!  SSar  nun  in 
ber  Sbat  für  jene  ^falmlieber  ber  ©ebraueb  in  ber  jtirebe,  als  ©efang  ber  ©ememe,  lefjter  3wecf ;  fo 
mupte  es  boeb  unerläßlich  erfebeinen,  ben  einmabl  ihnen  angebörig  geworbenen  SBetfen  bureb  eine  leiebte  Über= 
arbeitung  basjenige  ju  nebmen,  was  noeb  ju  febr  an  ihre  frühere  SBeftimmung  erinnern,  unb  ber  SBürbe  fachlicher 
geier  entgegen  fenn  fonnte.  £ies  febeint  Safotn  am  Scbtuffe  feiner  SSorrebe  von  1543  anjubeuten,  wenn 
er  lagt,  bie  9Kuftf  fei  fo  ein  geriebt  et  roorben  (nioderee),  bajj  fte  bem  Snbalte  ber  Sieber  Scacbbrucf  unb 
^ajeftät  verleibe,  unb  felbji  in  ber  jtirebe  gelungen  werben  fonne.  ©ewip  verfebmäbte  fein  ernfter 
unb  ftrenger  Sinn  bie  ausbrüefliebe  (Erinnerung  an  ben  $weibeutigen  Urfprung  beffen,  was  er  nun  ber  t)ti- 
ligjien  33eftimmung  weit)en  wollte,  unb  er  begnügte  ft'cb  mit  bem  SBunfcbe,  baf,  wenn  man  ber  Sottet 
gäbe  ber  Sötte  $ur  Stärfung  unb  (Erholung  fieb  bebienen  wolle,  man  ben  unbeiligen,  ja,  frevelhaften  3n* 
balt  bes  bteber  ©efungenen  mit  einem  niebt  allein  fcbulblofen,  fonbern  ^eiligen,  von  ©ort  felber  ju  feinem 
greife  unb  feiner  Skrberrlicbung  verliehenen  vertaufdien  möge.  2ßir  baben  alfo  an  ben  9Jielobieen  ber 
^falmen  9)Iarots  niebt  unveränbert  bie  SSeifen  il)rer  urfprünglicben  Sieber  erbalten,  fonbern  eine  Um= 
geftaltung  berfelben,  bie  von  ibrer  anfänglichen  ©eftalt  wobl  nur  fo  viel  übrig  gelaffen  bat,  um  ben 
volfsmäpige"  Son  niebt  gan3  ;u  verwifeben.  £ic$u  ma9  icner'  aIg  Sonfe|er  niebt  weiter  befannte, 
für  einen  foleben  3wecf  aber  brauchbare  SSilbelm  granc  bie  Jpanb  geboten  fyaben,  unb  es"  bürftc 
biefes  vielleicht  au$  ben  ibm  ertbeilten  3eugniffen  beutlicber  b^oorgeben,  wenn  beren  wörtlicher  3nbalt 
un§  vorläge.  Ä 

Wim  bleibt  uns  freilich  noeb  ber  fo  viel  größere  Sbeil  ber  vonSSeja  überfeinen 9)fa Im en  übrig.  £>b, 
unb  in  welcher  Art  biefe,  febon  vor  ibrem  enblicben  Grrfcbeinen  im  Srucfe,  ft'rfj  verbreiteten,  barüber  man= 
geln  uns  bejtimmte  %.acbricbten.  £ocb  ift  es  nid;t  unwabrfcbeinlicb,  baß  man  fie,  gleicb  benen  3Dia= 
rot§,  ben  ©liebern  ber  ©emeine  allmählich  babe  eingänglicb  unb  geläufig  ju  macben  gcfud)t,  unb  wobl 
ebenfalls  baju  befannter  Singweifen  fieb  bebient  babe;  nur,  baß  hier  mit  Abficbt  unb  Überlegung  gefebabe, 
was  bort  aus  freier  Suft  unb  Neigung,  £a$u  fann  nun  eben  jener  Jranc,  wäblenb  unb  überarbeitenb,  mit= 
gewirft  baben,  unb  biefes  ibm  ju  bejeugen,  mag  wobl  ber  «Sinn  bes  in  bem  Privilegium  von  1564  ent- 
haltenen 3eugniffes  gewefen  fevn.  Sie  Serwcnbung  weltlicber  SEÖeifen  für  biefen  3we<f  wirb,  aufler 
bem  eben  ©efagten,  aueb  bureb  einen  anberen  Umftanb  noeb  wabrfcbeinlicb,  ber  aus"  bem  folgenben  %al)xe 
1565  uns  beriebtet  wirb.  SSStr  finben  ndmlid)  bie  Sbatfacbe  aufgejeiebnet,  bag  bamals  ju  ©enf  eine  fixau 
mit  Sfutben  ge^üebtigt  worben  fev,  weil  fie  weltliche  Steter  auf  bie  SSJcelobieen  ber  ^falmen  gefungen  babe. 
SSStr  tonnten  benfen,  es  fen  bie  2£bft"cf)t  ber  S5eftraften  gewefen,  eine  leiditfinnige  Neigung  bureb  ben  äufjeren 
'2tnfcbein  erheucbelter  grömmigfett  ju  verbeefen ;  allein  es  erfebeint  glaubhafter,  bap  ihr  ohnehin  bem  5Belt= 
lieben  jugewenbeter  Sinn  unwiUfubrlicb  bureb  bie  Söielobie  ju  beren  urfvrünglicbem  Siebe  jurücfgeleitet 
worben  fep,  unb  ba§  fte  wohl  nur  vermieben  b^be,  aueb  jene  in  ihrer  anfänglicben  ©eftalt  ju  gebraueben, 


— _  246  

um  nicpt  offenhmbigen  ".tfnftofj  ju  geben,  ©in  abftcptlicper  gret>cl  ift  babei  am  menigften  benfbar,  mürbe 
au*  bei  ber  in  ber  cafoinifcpen  Äircpe  ju  ©enf  bamaß  perrfcpenben  ftrengen  3ucpt  mel  fcpärfer  geapnbet 
motten  fepn. 

SBeja'S  poetifcpe  ©piftel  „an  bie  Äircpe  unfereS  £errn,"  meiere  ben  fpäteren  Ausgaben  be$ 
gefammten  ^falterS  ooranftept,  giebt  uns  über  bie  SDRelobieert  feiner  9>fatmlieber  feine  2lu3funft.  ©r  for= 
Den  barin  baS  bebrängte  #äuflein  ber  itirepe  auf,  mit  ipm  51t  ©otteS  Sobe  fiep  ju  »ereinigen.  SKbcpten 
Die  roabren  Surften,  bie  Schirmherren  ber  ©läubigen,  in  ben  ©efängen,  bie  er  ipnen  biete,  bie  Stimme 
De§  jtbnigeS  oerneb,  men ,  bie  ©eringen  bie  Stimme  be§  Birten.  3mar  miffe  er  faum,  ju  mem  er  rebe  in 
oiefcr  3eit  ber  Anfechtung,  ber  SSerfolgung ,  ber  3erftreuung ;  boep  fep  bie  mapre  ©emeine,  menn  auch  jer= 
ftreut,  in  ©otteSmutp  unb  ©otteäerfenntniß  üereint,  ber  SJcunb  merbe  überall  be§  ©laubenS  3eugnifi  ab= 
legen  üor  ©ort  unb  feinen  Ingeln,  unb  mo  er  ju  reben  »erpinbert  fep,  müffe  ba§  4?erj  ntcb,t  fepmeigen,  e§ 
müffe  ben  £erm  bis  jum  legten  Atpemjuge  loben,  unb  eper  möge  ber  Verfolger  be§  SSerfolgen§  mübe  mer= 
ben,  alö  ber  Verfolgte  bee>  üobgefangeS.  @r  fäprt  bann  fort  mit  bem  S3ericpte:  ßlement  SJcarot  r>abe  ein 
Drittel  ber  «Pfalmen  für  ba3  SSolf  ber  granjofen  übertragen,  baft  e§  mit  bem  SUcunbe  unb  bem  ^>erjen  ben 
£errn  loben  mochte;  ber  SEob  pabe  it)n  gewintert  an  ber  33olIenbung  feine§  frommen  2Berfe§.  9cun  t>abe 
er,  S5eja,  an  ein  fo  grofjeS  Unternehmen  fiep  gemagt,  nicpt  aus?  33ermegenpeit,  benn  er  roiffe  gar  roopl, 
roie  roeit  fein  Tonnen  jurücf bleibe  hinter  feinem  SBollen ,  fonbern  au§  innerer  SSrunft  be§  4?erjen§  gegen 
©ort,  bamit  fein  2ob  ertöne  überall,  an  ben  Ufern  be§  fcpäumenben  ©ee'S  pon  ©enf,  auf  ben  roolfen^ 
naben,  gejaeften  ^äuptern  ber  3llpen.  9Jcöge  ein  jeber  Dichter ,  ber  ein  33effere§  permbge,  mit  ihm  roett= 
eifern  in  biefem  t)of;en  SBerfe  be§  ©otte3preife§,  unb  geringere  Aufgaben  für  feine  jcunft  auf  immer  t>er-- 
fepmäben,  um  fie  biefer  pbepften  ju  mibmen !  3n  ihn  pabe  ber  £err  jenen  guten  SBillen  gelegt,  möge  ipm 
aud)  »ergbnnt  fepn,  ber  grüepte  beffelben  fiep  ju  erfreuen,  ©Ott  ju  loben  für  biefeS  pollenbete  2Berf,  baö 
er  %u  feiner  Grpre  ber  il}m  anvertrauten  £eerbe  meipe! 

3n  eben  bem  3apre,  reo  ju  ?)art§  ©oubimelä  einfache  »ierftimmige  Sonfä^e  über  bie  SJielobieen 
oeS  franjbftfcpen  ^falterS  erfepienen ,  parte  ju  .Königsberg  in  Greußen  *.2lmbrofiu3  ßobmaffer,  Doctor 
berSvecpte,  ^rofeffor  an  ber  bortigen  Uniüerfttät,  unb  Sfatp  £erjog§  'illbrecpt  be§  älteren ,  feine  beutfepe 
Uberfe^ung  ber  ^falmen  SKarotS  unb  S5eja'ö,  unb  ber  ipnen  beigegebenen  beiben  Sieber  über  bie  jepn 
©ebote  unb  ben  ßobgefang  ©imeonä  oollenbet,  unb  mit  einer  gereimten  ßueignung  com  15ten  gebruar 
1565  fte  feinem  ^jerrn  überreicht,  ©r  patte  biefe  2trbeit,  voie  er  felber  fagt,  ju  feiner  eigenen  Übung  unb 
Äur^rociUorgenommen,  fobann,  auf  toatpen  feiner  greunbe,  bie  »ollenbete  abfepreiben  laffen,  unb  fte 
feinem  dürften  bargeboten,  „niept  ber  Meinung,  bap  fte  im  Srucf  augginge,  fonbern  bafi  gürftlicpe 
Durd)laucpt  fte  für  fiep  paben  unb  tefen  mbept."  @rft  aept  %at)xe  fpdter,  im  Sap«  1573,  trat  fte  ju 
Üetp^ig,  mit  jener  älteren,  unb  einer  neuen  Sufcprift  an  £erjog  Ulbert  griebriep  ben  jüngeren,  ©opn  beö 
erften  ©bnnerS  unfere§  £)icpter§,  an  ba§  Sicpt.  gobroaffer  mar  je^t  ber  'tfnftcpt,  buret)  feine  Arbeit  einem 
roefenttiepen  Jßebürfniffe  entgegenjufommen,  bem  eine§  beutfepen  ^)falterS.  ^>ätte  freilicp  ßutper  bie  $fal= 
men  in  beutfepe  ©efdnge  gebracht,  fo  roürbe  er  feine  Übertragung  nie  haben  in  £>ruo!  auSgepen  laffen.  @r 
habe  fiep,  oerftepert  er,  bei  berfelben  genau  an  bie  franjbftfcpe,  beutlid)e  unb  fleißige  Überfef^ung  gehalten, 
Wt  benn  auep  in  ber  2£rt  iprer  9?epme  unb  Sölelobepen ;  ,,bie  ict)  benn  (fahrt  er  fort)  ju  allen  ?)falmen,  ba= 
mit  man  fie  befto  beffer  fingen  lerne,  fefcen  wollen,  benn  ohne  baö  mären  e§  gleich  al§  tobte  repmen,  bie 
Die  hertjen  roenig  bemegten,  ba  man  fie  allein  lefen,  unb  nicht  fingen  tonnt." 


  247   


2)tefer  Aufgabe  waren  nun  ©oubimelS  oierftimmige  ©d^e  beigefügt,  unb  bie  bcrrfd)enDe  ©timmc 
—  jumeijt  oer  Xcnox ,  bin  unb  wieber  auch,  bie  £)berftimme  —  burd)  ein  befonbereS  Seiten  fenntlicb 
gcmadit.  Sßie  großen  Beifall  S5cibeö  gefunben ,  bie  $>falmtieber  rote  tfjre  9)}elobicen ,  jeigen  bie  »ielen 
ffiieberabbrücfe  biefeS  SBerfeS,  aud)  burd)  baS  ganje  17te  3al)rl)unbert  f)in.  ©ie  bilbeten  nun ,  jumeiji 
'  auSfcbliefjenb,  wie  in  9Karot§  unb  33e$a'<?  Übertragungen  ben  jtird)engefang  ber  fran$bfifd)en  unb  fd)roei= 
icrii'du-n,  fo  in  2obroaffer3  9iad)bid)tungen  ber  beutfdjen  unb  l)0Üanbifd)en  Cialüinijten.  3u  3ürid)  X)OX 
man  gobroafferS  ^falmen,  nod)  bis  jum  Anfange  biefeS  Sabi'bunbertS,  nach,  ©oubimet  oierftimmig  in  ber 
Äirdjc  gefungen,  eben  fo,  roie  e§  fd)eint,  Anfangs  in  33afcl.  £)ort  gab  inbef?  in  ben  legten  Sauren  beS 
I6ten  SabrbunbertS  (1594)  ©amuel  9)iarf  d)all,  ber  bortigen  ©tabt  unb  Unfoerfitdt  9Jatftcu3  unb 
Srganijt,  bie  alten  SSJielobepen  berauS  ,,mit  üier  ©timmen  $ugerid)t,  alfo,  bafj  ba§  Choral  aüejeit  im 
2M3fant,  bergleicben  normalen  im  Srud  nie  auffangen."  (Sr  bemerft  in  ber  SSorrebe  febr  richtig,  bafj 
er  „burd)  lange  (Srfabrung  gelernt,  roie  biefe  ©attung,  in  roeld)er  bie  gemeine  ©timme  ober  geroobnlid)c 
belobet)  in  ben  Senor  gefe^et  ift,  ftd)  ju  biefer  2lrt  bes>  ©efangeS  (roie  e§  in  biefen  unferen  jtireben  geübet 
wirb)  mit  ber  ga^en  ©'mein  ju  fingen,  roeniger  fcfyitfet.  Senn  (fagt  er)  e3  bringt  bei  benen,  fo  ber 
?0iufica  unberid)tet  (bie  ben  gropten  £geil  ber  ©emeine  machen),  etwas  unoerjtanbS,  alfo  baß  fie  oft  niebt 
roiffen,  wa3  man  finget,  bieroeil  ba3  ßboral  unter  bie  anberen  Stimmen,  beren  etlid)e  barob,  etliche  bar; 
unter  gefungen  roerben,  gemenget  ift."  2Bie  vielen  ©ingang  biefe  jwecfmdfjige  Arbeit  gefunben,  roiffen 
mir  nid)t;  in  beutfd)en  33tbliotl)efen  trift  man  wenige  2lbbrüde  berfelben,  man  fd)eint  ©oubimelö  Sonfd^e 
an  ben  meiften  SDrten  oorgejogen  ju  fyabexi.  2)iefe  genoffen  eineS  fo  großen  SBeifalls»,  baf?  mir  fte  aud) 
einer  lateinifeben  Übertragung  ber  2obwafferfd)en  Arbeit  unter  ^Beibehaltung  il)rer  ©tropfien  angepaßt  f&u 
Den,  weld)e  2lnbreas>  ©petl)e*)  aue>  ©tolberg,  jur  Übung  ber  ©cfyuljugenb  in  ben  Tlbenb-  unb 
UKorgenfiunben,  oerfertigte,  unb  im  3al;re  1596  ju  ^eibelberg  bei  9)eter  9Jiarfd)all  b«au3gab. 

©be  wir  nun  »on  biefen  Sonfd^en  inSbefonbere,  unb  ben  fpdteren  be3  ßlaube  le  %e\me  banbeln, 
unb  ben  ßinflup  ibrer  Sölelobteert  auf  ben  lutberifd)en  jltrd)engefang  betrachten ,  b<wen  mir  biefe  legten ,  fo- 
roobl  ibtem  Sfbptbmues  als?  if;ren  Sonarten  jufolge,  nod)  näber  ju  befpred)en. 

£)as>  franjbfifd)e  ^)falmbud),  unb  nad)  feinem  9Kufter  aud)  beffen  beutfdje  Übertragung  bureb 
Sobmaffer,  entbdlt  ad)t  ©tropbengattungen,  t>on  ber  vierteiligen  bis  jur  jebnjeiligen,  benen  nod)  bie 
twolfjeilige,  als  bie  Idngfte,  binjutrttt.  2>iefe  ad)t  ©attungen  erfd)einen,  jufammengenommen,  in  bum 
bert  unb  elf  r»erfd)iebenen  formen,  uon  benen  einzelne  jwei=,  breü,  oier=  bis  fünfmabl  ftd)  mieberbolen; 
öfter  feine  einjige;  81  unter  Urnen  bleiben  ganj  ol)ne  2Bieberl)olung.  lim  reiebfien  ftnb  bie  fed)S=  unb  bie 
ad)t$eilige  ©tropbe  in  oerfd)iebenartiger  'tfuSbilbung  bebad)t;  jene  fommt  in  ad)t  unb  breifjig,  bie  ad)t= 
^eilige  in  neun  unb  breifjig  werfd)iebenen  formen  oor.  9ldd)ft  il)nen  bie  oier=  unb  fünfteilige;  jene  erfd)eint 
in  elf*/  bie  fünfteilige  in  neunerlei  Birten.  SBeniger  mannid)fa(tig  ijl  bie  jefjnjeilige  auögebilbet  (fed)äfad)j, 
unb  bie  jmblfjeilige  (fünffad)) ;  am  feltenften  erfd)eint  bie  ftebenjeilige  (in  jroei  gormen),  unb  bie  neun= 
jeilige  (in  nur  einer  einzigen).  9tur  in  breijebn  fallen  jeigt  ftd)  auSnabmSroeife  baö  trod)äifd)e  SERaa^, 
in  allen  übrigen  berrfd)t  ba§  iambifd)e  oor.  9lun  enthalt  ba§  9)falmbud>  in  ber  franjbftfd)en  mie  beutfeben 
Übertragung,  mit  ©infd)lup  ber  ibm  angebdngten  jebn  ©ebote  unb  bes>  &obgefange§  ©imeonö,  152  geijtlicbe 


*)    6r  nennt  fid)  auf  bem  Uttel:  satrapa  in  Westerburg. 


  248   


8iet>er.  £aoon  gehören  52  3ftarot  an,  jene  legten  beiben  eingerechnet*),  bie  übrigen  100  S3eja.  3n  ben* 
9Rarotf$en  i»icberI)oIen  ftcb  me trifte  gormen  fünfmabl **) ,  melobifcfye  niemals;  jener  finb  olfo 
47,  tiefer  fom'el  aB  spfalmen  unb  ßieber  überhaupt.  SSet  SSeja'ö  $)falmen  ftnben  wir  bagegen***) 
1)  11  SJielobteen  SOiarotfd)er  ^falmcn  in  14  galten  entlehnt,  bie  2Bieberl)olung  ber  ©ingroeife  ber 
jebn  ©ebote  in  bem  140ften  tyfaim  mit  eingefcfyloffen ;  2)  breierlei  SUUafje  biefer  ^falmen,  obne  dr\U 
iclmung  tlnev  SJMobiecn  angeroenbet ;  3)  jefm  SKelobieen  eigener  9)falmen ,  in  breijebn  gälten  roieberfyolt ; 
4)  viererlei  SJiaafje  eigener  spfalmcn  in  fed)e>  gälten  bei  anberen,  eigenen  gebraust,  obne  ftcb.  ber  SERelobieen 
bafelben  nu'eberum  ju  bebienen.  Sieebnet  man  biefe,  jufammengenommen  fecfyS  unb  breifjig  betragenben, 
gälte  von  Crntlebnungen  unb  ÜIBieberbolungen  ab  oon  ber  ©efammtjabl  feiner  Pfannen,  fo  bleiben  für  biefe 
64  metrifebe  gormen  übrig,  unb  ba  nur  in  27  gälten  eine  SBieberbolung  melobifcfyer  gormen  ftatt 
finbet,  73  oon  biefen. 

£>er  gefammte  9>fatter  bat,  biefem  jufolge,  für  152  ßieber,  125  melobifcfyc,  111  metrifebe  gor= 
men.  SSon  jenen  fommen  52  auf  baS  SOiarot  angefyörige  2)rittl;eil  be§  ©anjen,  73  auf  bie  übrigen,  »on 
S5cja  berrübrenben  jmei  Srittl;eite;  t»on  biefen  47  auf  ben  2tntbeil  SEftarotS,  64  auf  ben  S3eja'ö.  S3er= 
bältnißmäfjig  erfdjeinen  baber,  mit  Siücfftdbt  auf  t£>re  geringere  2tnjabJ,  bie  Pfannen  SSKarotS,  foroobl 
melobifcb  roie  metrifd),  al§  bie  reidber  auSgeftatteten.   £>as>  ©anje,  mit  bem  $)fatter  bes>  33urcarb  SEBalbiS 


•)  tfufer  itjnen  näm(id)  ^fatm  1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  9.  10.  11.  12.  13.  14.  15.  18.  19.  22.  23.  24.  25. 
32.  33.  36.  37.  38.  42.  43.  45.  46.  50.  51.  72.  79.  86.  91.  101.  103.  104.  107.  110.  113.  114.  115.  118.  128. 
130.  137.  138.  143. 


-)   <Pfalm  12. 

114. 
24. 
32. 
=  128. 


110. 
115. 
113. 
45. 
130. 


"•)   <3.  nacbftefjenbe  Überfielt. 


seja  (entlehnte  sföelob  ieen ). 


9>fatm  5 

—  $falm  64. 

9>falm  17  — 

63 

70. 

18 

—  144. 

28  — 

109. 

24 

—              62.  95.  111. 

30  — 

76. 

[39 

33 

—      s  67. 

31  — 

71. 

36 

—      -  68. 

60 

108. 

46 

—      *  82. 

74 

116. 

51 

—      -  69. 

78  — 

90. 

72 

—      =  65. 

93  — 

129. 

86 

—       :  77. 

100  - 

131. 

143. 

118 

—      *        66.  98. 

:        117  - 

127. 

Decalogus 


140. 


b)  roiebcrfyotte  SCRetobieen  eigener  spfalmen  bei  SBeja. 


!  o  b  ie ! 


c)  rciebertjotte  eigne  SEJtaafie,  ot)ne  2Bicbcrfyotung  bec 
spfalm  75.  135. 

80.   94.  105.      2U6  [ecbjter  galt  tritt  spfalm  134  fn'nju,  ber  mit  «Pfalm  100.  131.  143,  bie  in  ber  SWe-- 
■      93.  129.  lobie  übereinftimmen,  unb  unter  b.  crroätmt  finb,  glcicfjcS  SWaaf  t>ot. 

s     126.  148. 

d)  SBicbcrfjoIte  SOlaaße  SDcarotö  of)ne  ßntlcfjnung  ber  50teIobieen. 

1.  Sie  gleiten  SJcaafce  be6  24.  unb  113ten  spfafmö  in  bem  62.  95.  III. 

2.  SDag  SCRaaf  bc$  38ften  ^JfalmS  in  bem  61. 

3.  £a$  sDcaaf  beä  7ten  «PfatmS  in  bem  59. 


• 


  249   


oergltcbcn,  jeigt  ficb  minter  reich  an  melotifcben  Sonnen«  unt  ten  einjelncn  ©attungen  ter  oorfommenten 
Strophen,  reicher  tagegen  an  ten  einzelnen  Sornun  tiefer  legten. 

Ü$  liegt  hier  außer  unferem  3we<fe,  alle  tiefe  einzelnen  gönnen  einer  genauen,  in  fräs  ©inline 
gebenten  ^Betrachtung  \u  unterroerfen ,  fo  unerläßlich  auch  biefelbe,  für  ftd>  genommen,  tem  gorfeber  fepn 
mag.  üßir  befebränfen  fte  an  tiefem  £rte  auf  bie,  urfuntlicb  aus  bem  SSolNgefange  entlehnten  Stro= 
pbengattungen,  unb  auf  diejenigen,  welche  mir,  auch  biepon  abgefeben,  in  ten  lutbcrifcfyen  Äirchengefang 
berübergenommen  fincen  »erben,  ^me  erften  follen  une  hier  befchäftigen,  tiefe  anteren  am  Scbluffe 
unferer  Unterfudumg,  wo  mir  jene*  entlehnen*  }U  getenfen  haben  werten. 

2>en  SDielotieen  ter  SSeza'fcben  wie  9Xarorfcben  ^falmen  ift  felbft  tie  Strophe  tes  teutfeben 
S>olfslietes  nirfit  fremt.    2Bir  ftnben 

1)  tie  »ierjeilige,  turebbin  adnfrilbige,  tambifche  Strophe  teö  SiebeS 

,,'2fu§  frembten  Santen  fomm"  ich  h.er," 
welche  tem  SBeibnacbtsliebe:  ,,S>om  Gimmel  hoch  ta  fomm  ich  her"  unt  mit  ihm  pielen  unferer  geiftlicben 
Bieter  eigner,  in  tem  lOOften,  13 Ifen,  134ften,  142ften  5])falme,  tie  fämmtlicb  oon  S3e;a  fyerrübjen. 

2)  £ie  fechSjeiltge,  ebenfalls  turchau»  acbtfplbige,  iambifebe  Strophe,  tie  jumeift  bei  ten 
teutfeben  Sergreiben  ftch  ftntet,  unt  tem  Aatecbiömusliebe 

Xktcr  unfer  im  £)immelreich, 
fo  wie  einer  großen  2fn$abJ  anterer  angebort,  treffen  mir  in  tem  117ten  unt  I27ften  9-Valme  an :  beite  pon 
Seza'S  Arbeit.    Cfter  noch  begegnen  mir  in  CÜZarotS  Q)falmen  einem  Srropbenbaue  foleben  Ur= 
fprunge?.    So  ift 

3)  bie  f  e  d)  S  $  e  i  l  i  g  e,  tambifche  Strophe  be»  2iebe» 

Snfbrucf  ich  muß  tich  laffcrt 
aus  $mei  gleichen,  trei,eiligen  ©efä&en  beftebenb,  jebeS  pon  ,wei  weiblichen,  ftebenfplbigen  Seilen,  unb  einer 
männlichen,  fechSfnlbigen,  bem  6ten  5)falme  eigen.    Sie  gehört  aber  auch  tem  franjöfifcfaen  2iete;  mir 
fmten,  mie  jusor  er,ählt  motten,  aufgezeichnet,  baj?  tie  Aenigin  tiefen  $falm  auf  tie  ÜRelotie  te§  @efan= 
ges  ter  ^offenreiper  (sur  un  air  du  chant  des  bouffons)  jit  fingen  pflegte. 

Biebern  lutberifchen  Airchengefange  fo  gewöhnlichen  gormen  ter  fiebenjeiligen  Strophe 
fennt  ter  caloinifche  nicht,  felbft  tiefe  Strophe  an  ficb  ift  bei  ihm  nur  in  jwei  einzelnen,  ungewöhnlicheren 
Aushebungen  anzutreffen,  pon  langen,  5ebn=  unt  elffplbigen,  fcbwerfälligen  3eilen.    dagegen  fömmt 

4)  bie  gebrduchlicbfte  Strophe  tes  teutfeben  83olfsgefangeS,  tie  acht j eilige  tes  Siebet : 

2Ba3  wirb  e$  boeb,  bes"  SBunberS  noch, 
tie  wir,  neben  pielen  antern,  in  tem  geiftlicben  Siebe  ,,£urcb  tftams  gatl  ift  ganj  perterbt"  wieterftnten, 
un§,  freilich  einmahl  nur,  in  tem  91ften  $)falme  entgegen.  (Sine  antere  gorm  tiefer  Strophe,  eben  auch, 
wie  tie  bezeichnete,  auf  regelmäßigem  SBecbfel  weiblicher  unt  männlicher  3eilen  beruhent,  nur  mit  Vorgänge 
ter  weiblichen,  gegen  ten  tort  obwaltenten  ter  männlichen,  unt  mit  ruberen  Seilen  —  fiebern  unt  fed>^- 
fnlbigen,  gegen  tie  adu=  unt  fiebenfplbigen  jener  Strophe  —  ift 

5)  bie  be$  SiebeS : 

Entlaubt  ift  uns  ber  SBalte, 
tie  wir  am  früheften  auf  tas  SJiorgenliet :  ,,3d)  tanf  bir  lieber  £erre"  übertragen  faben,  unt  tie  feit  ter 
fdwnen,  ebenfalls  einem  weltlichen  ©efange  entlehnten  2Beife  te$  Siebe? :  „.freilich,  tb,ut  mich,  perlangen" 

=  .  SEiWtrfctt,  ttr  tranätl  Gficralijefaiig.  32 


250   


eine  ber  ofteft  »orfommenben  beS  luthcrifchen  Äird)engefange3  ift.  Sie  gehört  bem  128ften  unb  130ften 
"•pfalme,  unb  if)r  9fhptl)mu3  ift  jugleid)  ber  einer  SBolte,  eine§  im  16ten  3af)rf)unt)erte  fet>r  gebräuchlichen 
franjoftfdjcn  £anje3,  auf  beffen  SBeife  bie  4?erjogin  »ort  SSalentinotä  ben  legten  beiber  pfalme  ju  fingen 
pflegte.    fluch  ift  biefe  ©tropfe  bem  Siebe  eigen : 

Languiray  je  plus  guerc, 

Languiray  je  toujours?  etc. 

SBir  haben  l)ienad)  in  ben  ernannten  jefjn  ^fahrten  fünf  gormen  beS  beutfd)en  SSolfSgefangeö, 
von  benen  jwei  auch  bem  franjbftfcfyen  eignen.  flnbere  brei  finb  uns>  al§  biefem  legten  angehörig  bezeichnet, 
unb  wir  ft'nben  fte  in  »ier  anberen  $)falmen.  Csinen  befonberen  3?eij  t>at  bie  Strophe  bes>  38ften  unb 
Giften  ^PfalmeS,  bem  fran$bfifd)en  Siebe  entlehnt: 

Mon  bei  ami,  vous  souviene 

de  Piene  etc. 

Sie  ift  fed)3jeilig,  trod)äifch,  unb  tt>etlt  fiel)  in  jmei  gleite  ©efä^e,  »on  jwei  weiblichen  unb  einer  mann» 
liefen  Seile.  £>er  Sortfd)ritt  von  ber  erften,  ad)tfnlbigen,  ju  ber  britten,  fiebenfnlbtgen,  wirb  burd)  bie 
jweite,  »ierfplbige,  —  bie  4?älfte,  faft  91ad)flang  nur  ber  erften,  —  unterbreiten,  unb  bod)  auf  anmutige 
SBeife  eingeleitet ;  burd)  bie  Sieimpaare  ber  erjten  unb  jwetten,  ber  eierten  unb  fünften  Seile,  fo  wie  ben 
3Jeim  ber  britten  unb  fedbften,  erhält  ba§  ©anje  inneren  3ufammenl)ang  unb  fein  33au  wirb  einbringlid)er 
nod)  hervorgehoben.  £)ennod)  habe  id)  nid)t  ft'nben  tonnen,  baf?  biefe  ©tropfe  früher  aB  gegen  ba§  Cmbe 
be§  17ten  unb  ben  Anfang  beö  18ten  SahrhunbertS  ©ingang  gefunben  hätte  in  ben  lutherifd)=et>angeltfd)en 
Äircfcengefang,  wie  mir  benn  aud),  auf  er  9tid)tere>  brei  Siebern : 

#üter,  wirb  bie  9cad)t  ber  Sünben, 
ntd)t  oerfd)winben  it. 

SCReine  flrmutl)  mad)t  mid)  fd)reien  tc. 

2Bo  ift  meine  Sonne  blieben  ?c. 
feine  älteren  befannt  finb,  bei  benen  fte  angewenbet  wäre. 

2)te  ©tropfe  bej>  42ften  *PfalmS  (Ainsi  qu'on  oyt  le  cerf  bruire)  ift  urfprünglid)  bie  eineö  3agb= 
liebeö,  nad)  beffen  Sßeife  ^einrieb,  ber  Zweite  als  Dauphin  i(m  ju  fingen  pflegte,  ©ie  ift  trod)äifd),  ad)t= 
jeilig,  »on  jwei  ©efäfcen.  3n  bem  erften  wed)fclt  eine  ad)tfi)lbigc,  weibliche  Bette,  jweimal)l  mit  einer 
ftebenjeiligen,  männlichen;  in  bem  ^weiten  ift  ein  männliches,  ftebenfplbigees  3eilenpaar,  einem  weiblichen, 
ad)tfplbigen  »orangeftellt.  liefern  S5aue  fd)lief3t  aud)  bie  Stellung  ber  9?eime  fid)  an.  Seit  bem  17ten 
jafjrhunberte  ift  biefe  Strophe  in  bem  lut()erifd)en  Äirdjengcfange  febr  beliebt  geworben  *,  wir  jäf)ten  gegen= 
wärtig  mehr  als  70  Sieber,  benen  fie  angehört,  auch  Mbet  fte  bie  ©runblage  mehrer  anberer  9JMobieen. 

©ben  fo  gehört  Ijieljer  bie  fed)öjeilige  tambifd)e  Strophe  be3  43ften  $Pfalme§:  Kevenge  moi, 
prends  la  quereile  clc,  ben  jtönig  flnton  »on  9cat>arra  nach  einer  bransle  de  Poitou,  einem  *>olf"3tl)üm= 
liehen  £an$e,  ju  fingen  liebte.  Sie  bilbet  fid)  burd)  brei  jtvcijetltge  ©efäfce.  Sn  bem  erften  wechfelt  eine 
neunfplbige  weibliche  3eile  mit  einer  ad)tft)lbigen  männlid)cn;  in  bem  jweiten  wieberholt  fid)  bie  anfängliche, 
weibliche  3eile  beS  erften ;  ba6  britte  wirb  burd)  jwei  männliche  Beilen  gebilbet :  eine  längere  »on  ad)t,  eine 
fürjere  »on  fed)$  Selben,  liefern  S3aue  folgenb  reimen  auch  bie  gleichen  Seilen,  bie  leiste  aber  auf  bie  ihr 
ähnliche,  vorlebte. 


  251   


©nblicb,  barf  hier  nicht  übergangen  werben,  bafi  ber  »on  SJiarot  übertragene  lOte  $Pfalm  tbeilweife 
cäi  Umbicb  tung  *)  eine£  franjbfifcben  ßiebeSliebeS  erfcfjeint,  unter  ^Beibehaltung  feiner  ©tropfe,  wenn  aud) 
nicht  feiner  SSKefobie.  Die  ©rropbe  ift  eine  jener  jwei  fchwerfäüigen  gormen  ber  fiebenjeiligen,  unter  benen 
mir  biefe  in  bem  franjöftfd)en^)falmbucb,e  aUein  antreffen ;  bie  urfprünglicheSDiclobie  ftnbet  man  in  ber,  unter 
bem  SSitel  „Souter  liedekens"  ju  Antwerpen  1540  bei  «Simon  Gocf  erfcbienenen,  flamlänbifd)en  ^Pfalmen-- 
überfe^ung  auf  ben  72ften  $>falm  angewenbet,  fie  ift  auch,  von  ßlaubin  ©ermift)  merftimmig  gefegt  in  ben 
1531  ju  |)ari§  von  Pierre  tfttaignant  herausgegebenen  Trente  sept  chansons  musicales  a  quatre  parties. 
©ine  achtftimmige  ^Bearbeitung  berfelben,  ber  jebod)  nur  ihre  ©runb^ügc  untergelegt  finb,  enthält  baS  13te 
33ucb  ber  »cm  Silman  ©ufato  ju  2£ntwer:pen  um  1550  gefammelten  ©efänge  (Chansons)  ju  fed>§  unb  acht 
©timmen.  Diefe  ©tropbe  jebod)  fo  wenig,  aß  bie  jur»or  befcbriebene  fecbSjeitige,  haben  in  bem  lutberifcben 
Äircbengefange  ©ingang  gefunben. 

$aben  wir  un§,  biefem  allem  jufolge,  überzeugen  fonnen,  bap  ber  ©tropbenbau  unferer  $>falmen 
in  »ielen  gällen  bem  be£  beutfd)en  mie  franjofifcben  SSolfSliebeS  übereinfomme,  fo  ftnben  mir  aud)  in  ihren 
SSJfelobieen  »olfSmäfjige  tfnflänge,  obgleid)  biefe  in  ben  meiften  fallen  bei  ber  jtattgefunbenen  Überarbeitung 
oerwifcbt  fetm  werben,  9camentlid)  ijt  ber  ungerabe  Saft  in  feiner  einjigen  biefer  ©ingweifen  burd)  ba3 
©anje  »orherrfcbenb,  unb  eben  fo  wenig  in  einem  abgefonberten  Sbeile  irgenb  einer  unter  ihnen  al$©egenfa£ 
be$  geraben  SafteS,  wie  mir  SSeibeS  in  SSurcarb  2Balbi§  $)falmenmeifen  antrafen,  bie  hierin  ben  twlfS- 
mäßigen  S£on  abftcbtlid)  unb  bemüht  anfchlagen.  "tfuf  rrmtbmifchen  SÖSechfel  finb  nur  jwet  unferer  $)falm= 
meifen  burdbhin  gegrünbet,  bie  be§  42ften  unb  141ften  ^PfalmeS;  tbeitmeife  jeigen  ihn  bie  ÜJJielobte  be3 
29ften,  weniger  bie  bes  25ften,  33ftcn,  38|ten  unb6lften;  nur  ju  Anfange  bie  be§  56ften,  140ften,  ber 
jebn  ©ebote,  unb  bes>  148ften.  ^Betrachten  mir  jene  SBeifen  tnSgefammt  nach  ihren  Tonarten,  fo  erinnern 
mir  un§  junächjt,  bafj  bie  3al)l  ber  SÖMobieen,  bei  Stnwenbung  mehrer  unter  ihnen  auf  Sieber  gleichen 
©tropbenbaueä,  nicht  ber  ©efammtjahl  ber  Steber  übereinf ommt :  e§  finb  ihrer  nur  125  auf  152.  SSon 
biefen  Söielobieen  gehören  nun  57  im  ©anjen  harten  Sonarten  an;  unter  ihnen  bie  meiften  (38)  ber 
ionif  d)  en,  nämlich  27  im  Umfange  oon  F  mit  33orjeid)nung  eines  1>,  11  in  bem  bon  C ;  nur  19  —  bie 
£alfte  jener  —  eignen  ber  miro  l»  bifdben  SEonart  in  ihrer  urfprünglichen  ©eftalt;  in  oerfefcter  fommt 
biefe  nicht  »or.    Dagegen  finb  ber  SRelobieen  weicher  Sonart  68;  bie  meiften  borifd)er,  nämlich  25 


•)   £>ag  Cieb  tautet: 

D'ou  vieot  cela,  belle,  je  vous  supply' 
Que  plus  a  moy  ne  vous  recommandez  ? 
Tousiours  seray  de  tristesse  remply 
Jusques  ä  tant  qu'au  vray  me  le  mandez  ! 
Je  croy  que  plus  d'amy  ne  demandez, 
Ou  maulvais  bruit  de  raoy  on  vous  revelle, 
Ou  vostre  cueur  a  faict  amour  nouvelle. 
Sie  erfte  (Strophe  beö  lOten  Walmi: 

D'ou  vient  cela,  Seigoeur,  je  te  suppli' 
Que  loin  de  nous  te  tiens  les  yeux  couverts? 
Te  cacbes  tu  pour  dous  mettre  en  oubli 
Mesmes  au  temps  qui  est  dur  et  divers? 
Par  leur  orgeuil  sont  ardents  les  pervers, 
A  lourmenter  l'humble  qui  peu  se  prise 
Fay  que  sur  eux  tombe  leur  entreprise. 

32* 


  252   


urfprünglicher  (in  D  ohne  SSorjeichnung),  22  verfemter  (in  G  mit  vorgejetchnetem  b);  ber  äolifchen 
geboren  10,  nämlid)  9  im  Umfange  v>on  A,  eine  oon  D  mit  »orgcscichnctem  b;  bev  pfyrngifcfyen  enblid> 
II,  10  im  Umfange  tton  Ii,  eine  von  A  mit  öorgejeicI)netcm  b.  Die  meid) e  Sonart  fjat  alfo  ba§  Übevge= 
mifyt  über  bie  f)avte,  bie  fird)lid)e  über  bie  oolfSmäßige;  bas>  SScrbältniß  jener  erften  beiben 
(08  :  ö7)  ergiebt  ftd)  au§  bem  ©efagten,  ba»  ber  legten  (teilt  fiel?  ()erau§  auf  77  gegen  48.  Unter  ben 
fird)lid)en  Sonarten  aber  fielen  bie  mirolwbifd)e  unb  pl>rpgifd?e  in  ihrem  ftrenger  geifilichen  ©epräge  jurücf 
gegen  baS,  bem  uolfSmäßigcn  nähere,  eine  Skrfchmeljung,  einen  Übergang,  »ermittelnbe  Dorifd)e.  Die* 
fe§  ift  in  feinen  beiben  ©eftalten  -47  SDiafyl  oorfyanben  —  eben  fo  oft  faft  aB  bie  fd)on  weltlicheren  Sonarten, 
ba§  '#olifd)e  unb  3onifd)e,  jufammengenommen  —  jene  finben  ftd)  inSgefammt  nur  30  SttabJ,  bas>  9Jciror»= 
bifcfye,  rote  bemerft,  in  19,  ba§  ^>f)n)gifd)e  in  11  gällen.  SBir  treffen  alfo  in  bem  calüinifchen  Äird)en= 
gefange  alle  bie  33eftanbtl)eile  voieber  an,  bie  bem  ©cfange  einer  ©emeinc  aB  fold}em  eignen ;  ba3  f8olfj>= 
mäßige,  ba3  ©eiftlid)e,  burd)  jenes?  gemilbert,  if)ta  näher  gebracht;  unb  eben  beg()alb  vermochte  er  aud) 
SBurjel  ju  faffen  im  £>olfe,  unb  ju  bauern.  Allein  um  bei  il)m  auSfcbJießenb  ju  verharren  in  feiner  ftren= 
gen  ©efd)loffcnl)eit,  beburfte  eS  aud)  be§  gefthaltenS  an  jener  gerben  Zxt  be§  beginnenben  @alviniSnuB, 
ber,  von  bem  bisherigen  Jlird)entl)ume  ftd)  gdtijlid)  trennenb,  feine  äußeren  gönnen  unb  3eid>en  aB  abgbt= 
tifd)  buref/hin  vermarf,  unb  nid)t,  mie  bae>  2utl)ertl)um,  jene  nur  reinigte  unb  barauf  fortbaute,  biefe  aB 
unanftößig  begeben  ließ;  bem  bie  Jtunft  aB  ein  SKittel  ber  S5erfül)rung  galt,  unb  ber  alfo  nur  unter  enger 
Umgrenzung  fif>t  Siaum  unb  ©ingang  gewähren  fonnte,  fofern  fie  nid)t  hinausging  im  ©efange  über  baS, 
aB  ©otteSmort  unmittelbar  (Mannte.  Dicfe  ©inncSart  mürbe  aber  offenbar  genährt  unb  erhalten  burd) 
bie  oon  @alt>in  eingeführte,  mit'ber  bürgerlid;en  eng  verflochtene,  ba§  gefammte  Sehen  bef)errfd)enbe, 
ftrenge  Äird)enorbnung.  2Bo  biefe  nicht  beftanb,  ober  nid)t  erhalten  werben  fonnte,  würbe  aud)  jene  Um= 
grenjung  balb  burd)brod)en,  unb  für  größeren  ©d)mucf  ber  fird)lid)cn  geter  baS  ©ebiet  beS  lutb,erifcb,en 
£ird)engefange§  in  2lnfprud)  genommen.  9J?an  mar  baju  fd)on  genötigt,  fofern  man  nid)t  bei  ber,  bie 
gefte  auSfcbJießenben  Drbnung  ber  ©enfer  ,Kird)e  eS  bewenben  laffen  wollte.  §ül)rte  man  biefe  wieber 
ein,  fo  fonnte  man  mit  bem  ©cfange  ber  ^Pfalmen  allein  nicht  mehr  ausreichen.  9cun  ift  eS  zwar  nicht  ju 
leugnen,  baß  in  benjenigen  ^)falmen,  meldten  aB  meffianifchen  vor  ben  übrigen  eine  befonbere  Söürbe 
unb  2ßeib,e  beiwohnt,  33ieleS  für  d)rifilid)e  gefte  ©ceignete,  fie  SSejeid^nenbe,  gefunben  wirb ;  baß  aud)  in 
ben  übrigen,  fofern  fie  nid)t,  ihrem  Inhalte  nad),  jumeiji  an  »evfönlid)e  83crl)ältniffe  il)ver  Did)tcr  ober  an 
3eitereigniffe  ftd)  fnüpfen,  gar  viele  vro»f)etifd)e  £inbeutungen  auf  ßbjiflum  anzutreffen  finb ;  baß  in  allen 
ohne  2uBnaf)me  bie  S3erl)eif3ung  t>on  ber  ©rlbfung,  ber  SScrgcbung  ber  ©ünben  unö  begegnet.  Scnnod) 
ftnb  unter  allen  biefen  fjervltcljen,  propl)etifd)en  ©efdngen,  biefen  begeifterten  S3et=  unb  £>anflicbern,  gar 
wenige,  bie  für  beftimmte  d)riftlid)e  gefte,  ihrem  ganjen  Snha^e  na^/  a^  mal)re  gcftlieber  anjufehen 
mären.  X'er  22fte  ^)falm,  „üftein  ©Ott,  mein  ©ott,  marum  l>aft  bu  mich  werlaffen,"  beutet,  jumahl  in 
.  feinem  lften,  feinem  Hten  unb  9ten,  feinem  löten  big  19ten  83erfe,  auf  ben  gefreujigten,  vergotteten  @r-- 
Ibfer,  feine  burchgrabenen  ^»dnbe  unb  Süjje,  il)n,  beffen  Kleiber  man  theilte,  um  fein  ©emanb  baö  2oo§ 
marf;  ber  O'Jfte,  in  feinem  21ftcn  unb  22fien  Sierfc,  auf  fein  oon  ber  ©d)mad)  gebrochene^  ^>er§,  baö 
feinen  Srbfter  fanb  in  feinem  Sammer,  auf  ben,  in  feinem  großen  Surfte  mit  ©alle  unb  (Sfftg  ©ctränften. 
Der  IGte  9>falm  in  feinem  lOten,  ber  24fte  in  feinem  7tcn  bis>  lOten  S3erfe,  meifen  t)in  auf  GbrijhB  ben 
Srftanbenen,  beffen  (Seele  nicht  in  ber  4?6tlc  bleiben,  ber  nid)t  bie  33ermcfung  fel)en  follte,  bem  bie  Ähore 
roeit,  bie  Shüren  t)ocf)  gemacht  roerben  follen,  baß  er  einjiehe,  ber  jtbnig  ber  @hvcn  5  ^er  &fU,  feinem 


• 


  253   


ganzen  Inhalte  nach  auf  bie  Himmelfahrt,  vor  Willem  in  ben  SBorten :  ©ort  fahret  auf  mit  Saucbjen,  unt- 
rer Herr  mit  geller  ftofatou ;  fo  aud)  ber  68fic,  jumaf)l  in  feinem  19ten  Skrfe :  25u  bift  in  bie  Höbe  gefab= 
ren,  bu  Ijaft  baö  ©cfängnifj  gefangen  gefübret.  ©et  118te,  ein  (jotjeö  herrliches  £>anflieb,  ermuntert  jur 
^fingftfreube :  3)tc6  ift  ber  Sag,  ben  ber  Herr  macht,  lapt  un§  freuen,  unb  frölieb  barinnen  fecn :  —  ber 
^err  ift  ©ort,  ber  uns  erleuchtet,  Schmücfet  baS  geft  mit  Sftanen  bis  an  bie  Horner  beS  2Cltar§ ;  ber  48ftc, 
84ftc,  87fte,  122fte,  greifen  baS  neue  Serufalcm,  bie  üirerje  ©otteS  :  ©rofj  ift  ber  Herr,  unb  bochberübmt 
in  ber  Stabt  unfcreS  ©otteS,  auf  feinem  heiligen  SBerge;  —  SBie  lieblich,  finb  beine  SBobnungen,  Herr 
3cbactb,  meine  Seele  »erlanget  unb  febnet  ftd)  nach,  ben  SSorböfen  beS  Herrn'  metn  Setb  unb  Seele  freuen 
ftd)  in  bem  lebenbigen  ©Ott;  —  «Sie  ift  feft  gegrünbet  auf  ben  heiligen  SScrgen,  ber  Herr  liebet  bie  Shore 
SionS  über  alle  SSobnungcn  SacobS ;  —  3d)  freue  mich  bep,  baS  mir  gerebet  ift,  bafj  mir  werben  in  ba? 
Hauö  bes  Hcrrcn  9eben,  untl  taP  un'"ere  3»Pe  »erben  ftehen  in  beinen  Thoren,  3erufalem.  2>iefe  uralten, 
heiligen  ©efange  follen  unb  werben  ber  cbrijtlicben  .Kirche  in  jeber  ihrer  ©eftalten  ein  foftlidjeS  Ületnob  fe»n, 
oon  bem  fie  nicht  (ift;  allein  ihre  gcfteSfreube  will  fte  auch  "16  eine  gegenwärtige  fühlen,  nicht  in  ber  3$er= 
beißung  allein,  fonbem  auch  i«  ber  Erfüllung;  ber  9Jiunb  foll  beffen  übergehen,  wovon  baS  HerJ  »oll  ift, 
ber  Siubm  be§  Herrn  l'oll  in  ber  Erinnerung  an  alle  feine  herrlichen  SBerfe,  feine  unenbliche  ©üte  unb  ßiebe, 
immer  lebenbig  fich  erneuen,  baS  von  ihm  burchbrungene  HCI'J  immer  frifche  S5lüthen  beS  SobeS,  beS 
£anfe3  entfalten !  Sie  will  bem  Herrn  baS  t£>r  anvertraute  ^)funb  mit  SBucher  jurüefgeben,  unb  in  biefem 
Sinne  ihn  nicht  allein,  wie  ßaloin  empfiehlt,  mit  bem  SBorte  loben,  baS  er  ihr  unmittelbar  in  ben  SKunb 
legte,  fonbern  mit  allen  grüebten  beS  ©cijteS,  bie  aus?  ihm  gereift  finb !  Unb  fo  foll  auch  in  ihrem  heiligen 
©efange  nicht  ein  S£f>ctl  ber  Schrift  allein  fortleben,  wäre  eS  auch  ber  hcrrlicbjte,  fonbern  biefe  foll  in  ihrer 
©efammtheit  ihn  erfüllen,  wie  ein  flarer  2ebens>quell  ihn  burchbrtngen,  in  fteter  Verjüngung  fich  als?  folcber 
bewähren!  —  S'egfjalb  würbe  auch  von  ben  beutfehen  unb  hoUänbifchen  ßalvinifien,  wo  bei  ihnen  ber 
Sobwafferfche  ^)falter  eingeführt  war,  ber  Langel  ber  geftgefänge  jumahl,  aber  auch  anberer,  ben  S3e 
bürfniffen  ber  ©emeine  entfpreebenber  Steter  lebhaft  empfunben.  7ÜS  um  1646  $>eter  Scholl,  Singmeifter 
unb  S>orfänger  ber  hochbeutfehen  reformirten  ©cmcine  ju  2lmfierbam,  bei  Submig  (5l§eoier  bafelbft  ben  £ob= 
wafferfchen  kalter  mit  ben  »ter=  unb  fünfftimmigen  £onfäl?cn  ßlaubinS  le  Seune  berauSgab,  nebft  bem 
.Katechismus,  ber  Üiturgie  unb  jUrchengebeten,  rjatte  er  ihm  noch  121  ©efänge  mit  SJielebieen  beigefügt, 
biejenigen  nid)t  gerechnet,  welche  nicht  bamit  verfeben  finb;  unter  ihnen  28  ^»falmlieber,  8  Schriftlieber, 
9  ÄatecbiSmuelicber,  34  geftgefänge,  42  £ebr=  unb  SSroftlieter.  Harten  nun  l>iert«cb  ßaloiniften,  ober 
SJeformirten,  wie  man  fte  nannte,  allerbingS  SSeranlaffung,  auS  bem  retchen  Schate  beS  lutberifcben  Äir= 
cbengffangeS  ju  entlehnen  für  ihre  firchlichen  SSebürfniffe,  fo  haben  boch  wieberum  auch  bie  gutberifeben  fich 
Einzelnes  ton  ihnen  angeeignet;  von  ben  Sobwaffcrfchen  $>falmliebern  nicht  allein,  fonbern  auch  von  ben 
alten  Singweifen  beS  franjbftfdien  ^PfalterS,  ju  anberweitem,  firchlicbem  ©ebrauche;  feit  ber  jweiten 
Hälfte  bes  16ten  JabrbunbertS  bis  in  baS  18te  hinein.  9EJian  wählte  baju  93ielobieen  auS  allen  Strophen= 
gattungen,  bie  fiebert-,  neun=  unb  jehnjeilige  aufgenommen;  fünf  au§  ber  ionifchen  5£onart*j,  vier  au§  ber 
mirolwbifchen"),  brei  au§  ber  borifchen"*),  einen  auS  ber  phrDgifchenj).    9htr  einengall  finbe  ich,  wo 


•)  spfalm  25.  -42  .  66.  134.  140. 

••)  $falm  19.  74.  93.  103. 

•")  «Pfalm  5.  23.  77. 

i)  ^falm  83. 


  254   


Die  Galuinijlen  Die  SKelobie  eines  älteren  beutfcben  ^PfalmliebeS  entlehnten,  ober  wo  biefelbe  auS  einer 
gemeinfcbaftlicbcn  früheren  £luelle  beiberfeitS  gefd)6pft  würbe*).  Hilter  ift  fte  ohne  ßweifel,  als  SEßarotS 
36flcr  ffalm,  gefcbwetge  benn  SBeja'S  6811er,  mit  benen  fte  in  bem  franjoftfcr/en  $>falmbud)e  erfdjetnt.  Senn 
ir>ir  finben  fte  bereite  1525  ju  bem  oon  SttattbiaS  ©retter  über  ben  119ten  spfalm  gebid)teten  ßiebe :  (§S 
finb  bod)  feiig  alle  bie  ic.  in  einer  t>on  SBolf  Äöpbl  ju  Strasburg  herausgegebenen  geijllid)en  2ieber= 
fammlung,  unb  auf  fte  weift  in  bemfelben  Sab"  ein  ju  Dürnberg  bei  ©eorg  2Bacbter  gebrucfteS  einzelnes 
*Blatt  jurüd,  baS  ©ebalb  £er;benS  ^afftonSlieb :  „£>  Sölenfd)  bewein  bein'  ©ünbe  grofj"  enthält, 
nad)  welchem  wir  fte  jefct  nod)  gewöhnlich  ju  nennen  pflegen.  Sie  ©tropfe  ihres  ßiebeS  ift  jwar  einigen 
älteren  gemeinfam,  eS  finb  aud)  in  einzelnen  gallen  neue  melobifdje  gormen  berfelben  angepaßt  worben, 
bod)  finb  biefe  jeberjeit  »on  ber  alten  ©ingweife,  beren  Ursprung  wir  nicht  bober,  als  bis  ^u  bem  3af)re 
1525  verfolgen  fonnen,  wieber  »erbrängt  worben.  Siefe  ©trophe  ift  jwblfjetlig,  auS  »ier  ©efä^en,  von 
bret  3etlen  ein  jebeS,  gebilbet,  in  benen  gleichmäßig  jwei  männliche,  acbtfplbige,  tambtfdje  Seilen,  einer 
weiblichen,  ftebenfplbigen  uorangeben.  3n  bem  elften  unb  ^weiten  wieberbolen  fid)  biefelben  melobtfcben 
Sonnen,  bie  beiben  legten  haben  felbftänbige.  3r)r,  bei  aller  Sänge,  bod)  in  feiner  ©tieberung  leicht  über= 
ftcbtlicher  SBau,  baS  55orhcrrfd)en  männlicher  Seilen,  beren  Sftachbrucf  burd)  ben  2Bed)fel  mit  weiblichen  nod) 
hervorgehoben  wirb,  baS  fühne  2lufftrebensim  ^Beginn  ber  SSJlelobie,  geben  ihr  eine  gewiffe  SJZajejtät,  welche 
fte  jumahl  für  ©ebalb  #e»)benS  9)afftonSlieb  —  ober  eigentlich  bie  in  ein  Sieb  gebrachte  ©rjäblung  »on  bem 
Reiben  unfereS  £errn,  jum  ©ebraud)  in  ber  @barwod)e  an  ber  ©teile  ber  früher  übltdjen  83orlefung  ber 
^afftonSgefchichte  nach  ben  oier  (Soangeliftert  —  wohl  geeignet  macht.  9cel)men  wir  biefe  ©ingweife  auS, 
fo  hat  bie  lutherifche  £ird)e  im  16ten  Sahrhunberte  beren  jwei  »on  ber  cawinifeben  entlehnt:  bie  SBeife  beS 
134ften  $>falmS  ju  $)aul  (SberS  ßiebe:  „4?err  ©Ott  bid)  loben  alle  wir"  für  baS  SEfticbaeliSfeft;  unb 
bie  beS  Hüften,  bie  zugleich  ben  gefjn  ©eboten  gemeinfcbaftlid)  ift,  für  baS  »on  bemfelben  geiftlichen  Siebter 
in  Keime  gebrad)te  ©ebet  SofapbatS:  „SBenn  wir  in  höchfien  SJUtljen  fer>n,"  wobei  jebod)  bie 
©trophe  biefer  ©ingweife  mit  ^Beibehaltung  ihrer  melobifchengormen  umgebilbet  unb  ber  beS  juv>or  bemerk 
ten  Siebes  gleich  gemacht  würbe,  ©o  haben  benn  nunmehr  beibe  SEftelobieen  biefelbe,  vierteilige,  auS  bem 
SSolfSgefange  entlehnte  ©trophe  gemein,  von  gleichen,  männltd)en,  achtfplbigen  Seilen ;  eine  in  bem  lut(?e= 
rtfchen  Jtircbengefange  fef>r  oft  vorfommenbe,  für  welche  baher  abwed)felnbe,  burch  fird)ltd)en  ©ebraud) 
bereits  geheiligte,  melobifd)e  formen  ein  SBebürfnifj  fepn  tonnten.  9lod)  mehre  unferer  $)falmweifen ' 
eignete  baS  17te  Sahrbrnnbert  ftd)  an.  gür  baS  SBußlieb  Wlaxt'm  SDpi^enS  (1596—1639) :  „£err  ntdjt 
fdjide  beine  3?ad)e"  würbe  bie  9JMobie  beS  77ften  spfalmS  gewählt,  ber  nur  SÖielobieen  fpäterer  8ie= 
ber  jur  ©eite  flehen,  unb  für  baS  ©terbelieb  ©imon  ©rafS,  Pfarrers  ju  ©chanbau  (1603—1649), 
,,greu  bid)  fehr  o  meine  ©eele"  bie  beS  42jten,  neben  welcher  jwar  ber  lutherifche  Äird)engefang 
oiele  anbere  SJielobieen  von  ßiebern  gleichen  SCRaafieS  heftet,  bod)  ebenfalls  nur  fpätere.  Surd)  beibe  ßieber 
finb  bjenad)  bie  Strophen  jener  ^falme  juerft  auch  in  bie  lutherifche  Äird)e  gefommen,  unb  allgemeiner 
beliebt  geworben,  baher  fte  eine  nähere  ^Betrachtung  oerbienen.  ©te  finb  in  beiben  ©ingweifen  tro= 
d)äifd)en  9JiaafjeS,  eben  fo  achtjeilige  in  beiben,  unb  auch  auS  gleichen  SBeftanbtbeilcn  gebilbete,  nur 
bafj  biefelben  hier  unb  bort  anberS  georbnet  ft'nb.  Sic  ©trophe  beS  77ften  *PfalmS  beflel)t  auS  üier  3etlen= 
paaren,  $wei  weiblichen,  ad)tft)lbigen,  unb  jwei  männlichen,  ft'ebenfplbigen,  welche  jweimahl  mit  einanber 


')   @.  biefe  SOJclobte  9fro.  72  ber  aScifpictfammlung  in  JpanS  fieo  ^»a5(ei'6  oierftimmigem  SEonfa^e. 


  255   


wedhfeln.  Diefe  ftrib  in  jwet  ©efd^e  jufammengejtellt,  in  ber  Tlxt,  baß  bie  weiblichen  Seilen  in  beiben 
immer  gleiche,  melobifdje  formen  tyaben,  bie  beiben  männlichen  bagegen  felbftdnbige;  ein  nicht 
gewöhnlicher,  melobt f d? e r,  ben  rfyptfymifcfyen  eigentfjümltd)  ^erworljebenber  SSau,  ber  vielleicht  bes?= 
halb  allgemeinere  Beliebtheit  gewann.  £>te  SBeife  bes?  42jten  *Pfalms?,  bem  franjbftfchen  S3olfs?gefange 
ursprünglich  angel)brenb,  »erbanft  bie  ©unft,  welche  fte  balb,  unb  in  reichem  SEßaaß e  fanb,  jundchft  wohl 
bem  in  ihr  oorherrfchenben,  anmutigen,  rt)t;tl;mifd)ert  SSSedjfel,  ber  freilich  gegen  bas?  @nbe  bes?  Sahrlntm 
berts?  entweber  ganj  befeitigt,  ober  in  burdjweg  »orherrfchenben,  ungeraben  Saft  uerwanbett  mürbe,  woburch 
fte  benn,  ftatt  ber  ernjten,  beruhigenben  ©cblußfdlle  ihrer  Seilen  einen  tanjdhntichen,  hüpfenben  gortfchritt 
erhielt,  ober  einen  gleichmäßig  fortfchleichenben.  Sh«  «Strophe  befielt  aus?  jwei  ©efdfcen;  in  bem  erften 
mechfelt  jweimahl  eine  meiblid)e  achtfolbige,  mit  einer  männlichen,  ftebenfwtbigen  3eile;  in  bem  jweiten 
geht  ein  männliches?,  ftebenfnjbtges?  Seilenpaar,  einem  achtfwlbigen,  weiblichen,  ooran.  Die  $wet  unb  jwet 
3eilen  bes3  erften  ©efdfces>  haben  gleiche  melobifche  formen,  bie  »ier  bes3  jweiten  felbftdnbige,  unb  in  ihrer 
urfprünglichen  ©eftalt  gehört  bie  SJMobie  ber  erften  ^)dlfte  jeber  Seile  bem  ungeraben,  bie  lefcte  bem  geraben 
Safte  an :  baher  eben  bas?  ©eprage  bes?,  in  ruhig  gemeffenem  Sortfehritte  enbenben  2tufjtrebens3,  bas?,  bei 
ungemeiner  ©angbarfett,  ber  SSBeife  einen  fo  großen  3?eij  »erleiht,  ben  fte  freilich  jefet  eingebüßt  i)at.  — 
Die  ©trophe  bes?  25jten  ^falmä  ift  auch  btc  ber  Sieber:  „20le  9Jlenfd)en  muffen  fterben;"  „Du  o  fcb> 
nes?  SSSeltgebdube;"  feine  SKelobie  fmben  mir  bem  Siebe:  3d)  will  ganj  unb  gar  nicht  jweü 
fein  angepaßt.  2lud)  fte  ift  trochdifd)  unb  achtteilig,  wie  bie  bes?  42flen  *Pfalms3,  unb  thetlt  mit  biefer  ben 
rhpthmifchen  Bau,  wie  bie  SBieberholung  ber  melobifchen  formen  in  ben  jmei  legten  Seilen  ihres?  erften 
©efdl^es?;  in  ihrem  j  weiten  bagegen  flehen  nicht  Seilen  paare  neben  einanber,  fonbern  männliche  (fteben= 
fßlbige)  unb  weibliche  (achtfnlbige)  Seilen  gleicher  tfrt  ftnb  üerfchrdnft. 

3Bdhlte  man  bie  eben  betrachteten  ©trophen  unb  ©ingweifen  aus?  SSorliebe  für  fte,  aus?  ©efallcn 
an  ihnen,  ju  Bereicherung  bes?  ©d)afeeö  ber  .Kirche  an  mannichfachen  95ielobieen :  fo  50g  man  für  anbere 
Sieber  mol)l  bie  firchlich  bewahrten  SÖMobieen  bes?  franjbftfchen  ^Pfalters?  beöbalb  t>or,  weil  bie  ©ingweifen, 
mit  benen  fte  juerft  erfchienen,  feinen  2lnflang  fanben.  @o  würbe  bem  SefuSliebe  bes3  Johann  Angelus?, 
bas>  er  nach  bem  Beginne  bes?  hohen  Siebes?:  „@r  füffe  mich  mit  bem  Jtttffe  feines?  9Jiunbes3"  gebietet: 
„Du  2(llerfchbnfter  ben  ich  weiß"  unb  für  bas?  fonft  fein  anbereS  9!Kaaß  eines?  beutfehen,  geglichen 
Siebes?,  alfo  auch  feine  IRebenmelobie,  üorljanben  ift,  bie  SBeife  bes?  83ften  ^Pfalms?  angeeignet,  ftatt  ber  »on 
©eorg  Sofephus?  bafür  eigenbs?  erfunbenen.  ©0  wählte  man  für  bas?,  ber  legten  £dlfte  bes?  17ten  Safyx-- 
hunberts?  angehbrige  2lbenbmahts?lteb  Soacbtm  9ceanbers?,  9>rebigers?  ju  ©.  SDiartini  in  Bremen  (f  1680 
31ften  Wlai) :  2£uf,  auf,  mein  ©eift,  erhebe  bid),  bie  SBeife  bes?  103ten  «Pfalms?,  für  fein  9florgen= 
lieb:  D  allerh  bchfter  9Jienfchenhüter,  bie  bes?  5ten;  für  betbe  gab  es?  in  bem  Äirchengefange  fonft 
weber  gleiche  Söiaaße,  nod)  9cebenmelobieen,  unb  man  fanb  wohl  weber  bie  t»on  bem  Dichter  ihnen  anfange 
lid)  beigegebenen,  noch  bie  oon  bem  Sapellmeijter  ©trattner  fpdter  bafür  gefegten  SKelobieen  fo  anmuthenb, 
wie  in  anberen  gdllen.  gür  ©ellerts?  Sieb :  SB t e  groß  ift  bes?  Allmacht' gen  ©üte  hatten  im  18ten 
3ahrhunberte0uanj  unb  Philipp  Crmanuel  Bad)  jwar  eigene  9)ielobieen  erfunben:  man  fanb  ihm  jebod)  bie 
©trophe  bes?  66ften  (98(ien,  118ten)  ^)falms3  übereinftimmenb,  unb  beren  alte  SOtelobte  ben  neuen  an  tixd)- 
lid)er  SSürbe  überlegen.  2lußer  biefen  Siebern  ftnb  noch  beren  brei  »on  unbefannten  SSerfaffern  ju  nennen, 
welche  in  ihrem  ©trophenbaue.  unter  beutfehen  Siebern  einjeln  baftehen,  unb  auf  welche  bie  mit  benfelben 
übereinftimmenben  Söeifen  bes?  franjbftfchen  ^)falters?  angewenbet  würben;  bas?  ©terbelieb  (9)orft  850): 


  256  — 


Sie  3eit  geht  an  tue  SefuS  I; a t  befiimmt,  bem  bie  SJielobie  beS  93ften  9}fatmS  angeeignet  ift; 
t-ie  SJiorgenlieber :  3d)  banfe  bir,  o  ©ott,  in  beinern  Sfyrone  ($)orft  635),  unb:  (Sobalb  o 
frommer  ßfjriji  ($orft  647),  bie  man  nad)  ben  SBeifen  beS  23jfen  unb  beS  19ten  9>fatm3  fang,  ©o 
bar  benn  ber  lutberifebe  Äird^engefang,  wie  er  im  ffieginn  fowobj  an  Altfircr/lichcS  ftd)  lehnte  als  33olf§* 
mäjjigeS,  unb,  baS  wefentliche  ©epräge  beS  einen  wie  beS  anbern  ju  einer  neuen  (Schöpfung  werfcbmolj, 
auch  nidrt  ücrfcbmäbt,  von  bem  benachbarten  ©ebtete  beS  calüinifchen  geiftlid)cn  ©efangeS  ftd)  ÜJ?and)eS 
anjueignen,  unb  eS  baburd)  erft  in  ben  Ärete  lebenbiger,  eigentbümlicher  .Eunjtentwidlung  eingeführt. 
£cnn  t»ie  bei  if)tn  heimifcb  geworbenen  SÜMobieen,  jumabl  bie  auS  SSorliebe  gewallten,  würben  nun  Q£uf= 
gaben  auch  für  treflicbe  Sonmeifter,  bie  if)ren  inneren  Steinum  burd)  f>armonifd)e  Entfaltung  an  ben  Sag 
ju  forbern  (hebten.  £>iefe  batte  ihnen  nie  ju  S£l)ei(  werben  fonnen,  wenn  fte  auSfcbltcßenbeS  Cngentbum 
ber  @awinifd)en  geblieben  wären.  Denn  felbft  ber  merftimmige  ©efang  in  einigen  .Kirchen  berfelben,  wie 
er  in  3ürid)  bis  auf  unfere  Sage  fortbefianben  haben  foll,  wie  er  nach,  bem,  juüor  aus  9KarfcballS  SBorrebe 
feines  spfalterS  9Jiitgetheiltem,  aud)  in  SSafel  eine  3eitlang  eingeführt  gewefen  ferm  wirb,  lehnte  ftd)  ftreng 
an  beftimmte  Sonfä^e,  unb  geftattete  feine  Abweichungen  üon  benfelben ;  baS  ©epräge  ber  ©efchloffenheit, 
einer  ftreng  abgegrensten,  blofjen  Dulbung  ber  Äunft,  bie  eine  wirtliche  33lütl)e  berfelben  gänjlid)  hemmen 
mufjtc,  trat  auch  hierin  beroor.  25ennod)  ift  eS  nid)t  unwichtig,  ju  betrachten,  in  welchem  S3erhältniffe  jene 
Sonfäfce  ju  ber  Äunjl  ihrer  Sage,  unb  ber  Solgejeit  geftanben  hoben,  unb  wir  finben  unS  baburd)  »eran= 
lafjt,  bei  ihnen,  jum  ©d)luffe  biefeS  AbfcbnitteS,  nod)  einige  Seit  ju  »erweitern 

35er  Sonfä^e  ßjotiMitters  über  bie  Sülelobieen  beS  franjoftfeben  ^falterS  finb  151;  benn  ber 
über  bie  gleiche  9JWobie  beS  14ten  unb  53ften  ^falmS  ift  aud)  in  ben  begleitenben  Stimmen  wollig  berfelbe, 
waS,  aud)  bei  Übereinftimmung  ber©ingweifen,  ftd)  fonft  nicht  wieber  ftnbet.  3m  ©anjen  febren  19  $Rdo-- 
bieen  in  27  fallen  wieber*).  ©erSonfafj  ift  meift  einfach,  9cote  gegen  9<cote,  unb  bie^auptmelobic  ftnbet  ftd) 
in  ber  Sfegel  bem  Senor  jugetbeilt,  wowon  jebod)  17^)falmen  eineAuSnabme  machen,  beren  129ftelobieen  in 
bie£berfiimme  gelegt  ftnb**).  Aud)  v>on  bem  einfachen  ©a£e  meid)t  ber  SSJceifter  juweilen  ab,  gewöhnlich  bei 
folchen  Pfannen,  beren  9flelobieen  öfter  toorfommen  (wie  bei  bem  63.  65.66.68.76.77.82.109.117.139. 
140. 142ften).  4?ier  beginnen  nicht  aUe@timmen  ju  gleicher3ett  ihren  ©efang,  noch  boren  fte  am  Scbluffejeber 
einzelnen 3eile  mit  einanber  auf.  @S  flid)t  ftd)  hier  ein  fortgcl)enbeS  Songewcbc  jufammen,  in  baS  bie$aupt= 
ftimme  gleich  einem  feften ©efange  eintritt.  Snbem  139jten*Pfalm  wirb  fogar  bieSftetobie  alSßanon  jwifd)en 
ber  rberftimme  unb  bem  Senor  eingeführt.    Auch  bei  ben  Sonfä^en,  wie  bei  ben  5D?elobieen ,  hat  bie 


")   ©6  fyaben  gleite  SDMobieen  : 

ber   5.  unb  64.  «pfalm.  ber   60.  108.  «pfalm. 

17.  63.  70.  '         .-     65.  72. 

:   18.  unb  144.  =     66.  98.  118. 

24.  28.  62.  95.  109.  III.  .-74.  116. 

31).  76.  139.  77.  86. 

-   31.  71.  s     78.  90. 

•-  33.  67.  s   100.  131.  142. 

«  36.  68.  ,   117.  127. 

'   *r>-  82.  140.  unb  ber  Decalogus. 

51.  69. 

")  ©er  28.  30.  34.  35.  40.  43.  61.  76.  (gleicher  SCHel.  mit  bem  30|ten)  77.  81.  86.  (gleicher  SKel.  mit  bem 
77jten)  109.  (gleicher  SSKel.  mit  bem  28flen)  117.  127.  (gleicher  mi.  mit  bem  117ten)  .129.  139.  (gleicher  9M.  mit 
bem  30ften  unb  76fien)  unb  I46fte  ^Pfatm. 


.   257   


weiche  Xonaxt  ba§  Übergewicht  über  bie  t) a r te;  in  biefer  legten  ftnben  ftd)  beren  67 ,  bagegen 
85  au§  jener  erftcn**),  wenn  roir  ben  über  ben  14ten  unb  53jten  spfatm  für  jwei  bcfonbere  rechnen. 
@leid)e  SJMobiccn  jtnb  metjl  aud)  in  übereinftimmenbem  Sonumfange  gefegt,  mit  nur  jwei  Ausnahmen ; 
bie  SBeife  be3  24jten  (bortfcben)  ^)falmö  ift  in  D,  bem  urfprünglid)en  Umfange  ihrer  Sonart,  eingeführt,  bie 
tf>v  gleiten  be§  62ften,  95jten,  1  Ilten  aber  in  bem  üerfefcten  (G  mit  »orgejeicbnetem  b  für  bie  britte 
«rufe) ;  bie  9)}elobic  bcS  18ten  (tcbt  in  G  mit  ber  fleinen  SEerj,  bie  ihr  übcrcinfommenbe  beS  144ften  aber 
in  A.  Die  Sonfafce  au3  ber  ionifcb  en  unb  mirolt)bifd)en  SEonart  enbcn  fdmmtlid)  in  vollen,  auf 
ber  .Cbcrquinte  ibreS  ©runbtonee!  eingeleiteten  £onfd)lüffen,  mit  2luänal)me  eines»  einjigen.  Diefe  2lbwet= 
d)ung  ftnbet  bei  bem  139ffcn  spfalm  ftatt,  beffcn  ©ag  aud)  fonft  burd)  feinen  nur  eben  befd)riebenen  S5au 
fid)  cor  allen  übrigen  au3$eid)net.  (Sr  leitet  feinen  halben  miroh)bifd)en  ©d)Ut£i  auf  C,  ber  £)ber= 
quartc  (Unterquinte)  feinet  ©runbtons>  ein.  Die  ©dfje  au£  ber  b o r t  f d> e n  unb  do l i f et)  e n  Sonart, 
urfprünglicben  ober  oerfegten  Umfangt  finb  fammtlid)  voll  gefd)loffen,  bie  au3  ber  pbr»  gif  eben  jwar 
burebgängig  nur  t>  a  l  b,  aber  rtidjt  auf  eine  SBetfc,  wie  fie  biefer  SSonart  eignet.  "MB  ©d)lufiton  beei  S5af= 
feS  erfebeint  ndmlicb  nicht  ber  ©runbf  lang  ber  Sonart,  fonbern  feine  Unterquinte ;  in  bem  vbrl)9'Wen  Wm= 
fange  v>on  E  alfo  A,  in  bem  r>on  A  mit  ber  fleinen  Dberfecunbe  (b)  alfo  D;  unb  ber  I£onfd)lufj  wirb  auf 
ber  £berquarte  (ober  Unterquinte)  biefer  Zone  eingeleitet,  ber  fleinen  £>berfeptime  be§  magren  ©runbflan= 
geS;  im  urfprünglid)en  Umfange  ber  Sonart  alfo  auf  D,  im  ixrfejstcn  auf  G.  Der  142jte  $Pfalm  ift  ber 
einige,  ber  einen  wirf lieben,  halben  pf)n?gifd)en  $Eonfd)lufi  in  E  barftellt***). 

9lad)  biefem  allem  barf  ben  Sonfdgen  ©oubimelS  nur  ein  bebingter  Sßertb.  jugejtanben  «erben. 
Da  bie  SDMobie  bei  ihnen  jumeift  in  ben  Senor,  eine  SJiittelftimme,  gelegt  ift,  fo  fann  ihr  barmonifd)er 
Inhalt,  bie  befonbere  28eife,  wie  bie  ©runbtonart  eben  in  ihr  ftd)  barftellt,  burd)  bie  begleitenben  ©timmen 
nicht  genügenb  hervortreten,  benn  tiefe  laffen  e§  nicht  ju,  ba  fte  gumeift  ftd)  über  ihr  bewegen,  unb  fte  »er= 
bunfeln.  3hr  rfn)tbmifd)er  S3au  allein  fann  bei  bem  einfachen  ©a^e  iJcote  gegen  iJlote  ftd)  einigermaafjen 
geltenb  machen.  3llle  biefe  ©d^e  theilen  jenen  Sehler  mit  benen  ber  beutfd)en  Sonfe^er  ber  erften  £älfte 
be§  Sahrhunbei't§,  hinter  benen  fte  jebod)  an  fünjtlerifcbem  9teicbtf)iim  weit  jurüdfteben.  Der  ©d^e,  in 
welchen  bie  SJMobie  oon  ber  £berftimme  geführt  wirb,  ftnb  nerhdltnipmaf  ig  nur  wenige,  feigen  fte  ein 
fünjtlicbereS  Songewebe  in  ben  begleitenben  ©timmen,  fo  beeinträchtigt  btefeS  nicht  feiten  bie  flare  Darle= 
gung  bes>  harmonifchen  3nl)alt»  ber  SEJMobie,  ohne  burd)  bie  angewenbete  jtunjt  3u  entfd)dbigen ;  ftnb  fte 
einfach  gehalten,  fo  barf  man  fte  oft  auch  bürftig  nennen.  Der  Tlusmabmen  ftnb  nur  wenige;  ju  ben 
gelungneren  S3ehanblungen  bürfte  bie  be§  77ften  $)falm3  gehören.  Zm  meiften  fühlt  man  ba3  Ungenügenbe 
ber  S5ehanblung  ber  mirolübifchen  unb  pt)n)gifd)cn  Sonart,  beren  jebe  nur  in  einem  einjigen  galle  ben  ihr 
eigentümlichen  £onfd)luf3  barjtcUt.  Diefe  Langel  mögen  e§  gewefen  feun,  burd)  welche (Haut»  in  le 
feinte  bewogen  würbe,  ben  gefammten  franjbftfchen  ^Pfaltcr  abermals  ju  bearbeiten;  bod)  hat  er  fte  wohl 
nur  gefühlt,  nicht  beutltd)  erfannt,  ihnen  auch  bei  weitem  nicht  genügenb  abgeholfen,    dx  war  um  1550  ju 


•)  15  aus  ber  urfprüngltdicn,  28  aue  bec  uerfc^ten  ionifdjen  Slonart,  unb  24  aus  ber  urfprünglidjen 
mtioli;btfd)en. 

")  28  aus  ber  urfprünglidjen  borifdjen  Sonart,  eben  fo  oiet  aug  ber  ocrfe|ten;  I!  aus  ber  urfprüngtietjen 
dotifd)cn,  einer  aus  ber  oerfegten ;  !G  auS  ber  urfprünglidjen  pfjr»  gif  d)  en,  einer  aus  ber  »erfe^ten. 

•")  S8on  ben  Derfdjiebencn  germen  beS  @oubimc[fd)en  Sonfa^cS  über  bie  franjöfifdjen  ^fatmmetobieen  finb  unter 
ben  Hummern  25  bis  31  (einfd)[tc^[id))  S5cifpicte  gegeben. 

s.  ÜBintetfctt,  ter  etangcl.  (SBcratgcfang.  33 


  258   


SBotouienncS  geboren,  um  SSielef  jünger  alfo  als  ©oubimel ;  fein  S£obe6jat)v  wirb  auf  1611  angegeben. 
Demnach  lebte  er  um  bie  3ett  ber  fd)bnficn  5Blütt>e  beS  geiftlichen  ©efangcä  in  älterem  ©inne.  Girfi  nach 
feinem  SEobe,  — -  fo  m'cl  mir  miffen,  um  1613  jum  erjlen  9ttahl,  —  gab  feine  ©chwefter  ßacilie  feine  33ear= 
beirung  bc3  $)falterS  herauf,  bie  feitbem  viele  Auflagen  erlebte:  1627  ju  ^)ari§,  1633,  1635  ju  ßevben, 
1646  ju  ^mjlerbam,  alfo  einer  nicht  geringen  ^Beliebtheit  genofj.  ©eine  ^Bearbeitungen  umfaffen  nur  bie 
$)falmen,  nid)t  bie  jel)n  ©ebote  unb  ben  gobgefang  ©tmeonf.  Sie  3ai>l  ber  ISonfälje,  bei  benen  bie  9Jce= 
lobie  in  bie£bcrftimme  gelegt  ift,  ft'nbet  ft'd)  l)ier  um  einige  vermehrt;  auch  bei  bem  53.  62.  63.  64.  68.  71. 
98.  108.  116.  131.  144fren  ift  biefef  l)ier  ber  gcrtl,  25  9Kab,l  im  ©anjen.  Senn  ßlaubin  theilt 
bei  bem  76.  109.  1 27ficrt  ^»falme  bie  SJMobie  bem  Scnor  ju,  wo  ©oubimel  ft'e  in  bie  SDberftimme  gelegt 
hatte.  Siefen  S3erfal)ren  l)at,  wie  e§  fefyeinf,  feinen  ©runb  barin,  bafj  bie  SJielobieen  biefer  $)falmcn  aud) 
anberen,  früher  vort'ommenben,  gemeinfam  ft'nb.  Senn  fianben  bei  ßlaubin  bergleid)en  SBeifen  juerft  im 
&enor,  fo  gehen  ft'e,  bei  ihrem  abermaligen  Grrfcfyeinen,  meifjt  in  bie  £)berftimme  über ;  waren  fte  bagegen 
biefer,  wie  in  ben  brei  bemerften  Sailen,  bereits  früher  jugetheilt  gewefen,  fo  roerben  fte  bei  if)rem  fväteren 
ä$orr"ommcn  in  ben  Scnor  gelegt. 

ßlaubin  hat  aber  auch  jmblf  feiner  ^Pfalmen  fünfftimmig  gefeljt:  ben  67  .  69.  70.  72.  82. 
Mi.  90.  95.  111.  118.  139.  142jien.  S5ei  biefen  enthält  jeberjeit  bie  fünfte  ©tjmme  bie  £au»tmelobie. 
©ie  foll  jeboef)  nur  in  fünf  gäüen  in  ber  vorgefd)riebenen  SEonhohe  (rote  eS  ftef)t)  gefungen  werben:  —  bei 
bem  70.  95.  118.  139.  142ften  ^falm:  —  eben  fo  oft  bagegen  eine  £ctave  höh  er  (bei  bem  67.  69.  72. 
82.  90ften),  unb  jmeimafyl  um  ein  gleichet  Sonverhättnifi  tiefer  (bei  bem  86ften  unb  1  Ilten).  'Xud) 
biefe  ganje  Einrichtung  grünbet  ftd>  auf  ber  von  bem  SDZeifter  beabft'chtigten  Abwechslung  ber  £onfä|e  bei 
^Pfalmen  von  gleich  er  SDMobie.  SSon  ben  juvor  genannten  *Pfalmen  haben  bie  beiben  erften,  unb,  com 
72ften  an  gerechnet,  bie  vier  folgenben  (mit  ©infd)lup  beffelben)  einerlei  ©ingmeifen  mit  bem  33.  51.  65. 
46.  77.  78ften.  S5ei  ben  vierftimmigen  S5el)anblungen  ber  SBetfen  biefer  früher  vorfommenben  spfalmen 
liegt  bie  £au»tmelobie  im  SEcnor,  ben  77ften  $>falm  aufgenommen,  wo  fte  in  ber  Dberftimme  erfebeint. 
9hm  ftnb,  wenn  biefe  SJcelobieen  fpdter  ju  ben  eingebauten  *Pfatmen  ftd)  wicbcrholen,  bie  neuen  SEonfdfce 
von  ben  früheren  burd)  ben  fünfftimmigen  ©ajj  unterfebjeben,  gegen  ben  vierftimmigen  in  biefen.  S5ei  bem 
77ften  $>falme  lag,  wie  wir  fahen,  bie  Gelobte  in  ber  £berftimme;  wo  ft'e  ju  bem  86fien  wieberfehrt,  foll 
fie  in  bem  nunmehr  fünfftimmigen  ©afje  um  eine  £>ctave  tiefer  als  gefd)riebcn  aufgeführt  werben,  unb  rüdt 
babureb  in  ben  Äenor;  wogegen  fte  bei  ben  anbern  um  eine  SDctave  hob, er  gefungen  werben  foll,  als  fte 
aufge^eid)net  ift,  unb  fo  in  bie  £berjtimmc  übergebt.  SBier  anbete  ^Pfalmen  tl)eilen  ihre  SEJtelobteen  noch  mit 
je  jwei  früher  erfcheinenben ;  ber  70fte  mit  bem  17ten  unb  63ften ;  ber  118te  mit  bem  66jtcn  unb  98jten; 
ber  139fte  mit  bem  30(lcn  unb  76(tcn ;  ber  142fie  mit  bem  JOOjlcn  unb  131jicn.  Sie  erften  Sonfdfce  über 
biefe  ©ingweifen  haben  bie  SJielobie  im  SSenor;  bei  bem  jweiten  geht  fte  über  in  bie  Dberftimme;  bie  brirten 
behanbeln  fte  fünfflimmig,  bod)  foll  fte  bei  ihnen  in  ber  aufgejcid)neten  Sonhbhe  gefungen  werben. 

Sie  bem  95fien  unb  llltcn  ^)falme  gemeinfame  93celobte  cnblid)  f'ommt  bereits  jweimahl 
früher  »or,  bei  bem  24f>n  unb  G2fien ;  ft'e  erfdjeint  alfo  »iermahl  im  ©anjen.  Sie  erflen  beiben  SOJahle 
fmben  wir  fie  merjtimmig  bchanbelt,  unb  "tfnfangf  bem  Senor,  fobann  ber  £>berftimme  jugetheilt.  Sie 
legten  jwei  Stahle  ifl  fie  fünfjtimmig  gefegt;  bei  bem  erften  biefer  beiben  ©ä£e  foll  ft'e  in  ber  aufgezeichneten 
Tonhöhe  gefungen  werben,  bei  bem  jweiten  um  eine  Cctavc  niebriger,  fo  bafj  ft'e  nunmehr  bie  tiefte  ©teile 
einnimmt,  unb  bie  ©runbftimmc  bilbet.    Sie  gorm  bef  Sonfa^eö      bie  einfachfte  bee>  mehrftimmigen 


  259   


©efangeö,  metfl  SRot«  gegen  sJcote  —  bleibt  in  allen  tiefen  SBieberholungen  bcr9Relooie  bei@laubin  ftete  bie= 
felbe ;  nur  bie  3abl  ber  Stimmen,  unb  bie  Stellung  ber  Singweife  gegen  biefelben,  bittet  ben  Unterfcbiet. 
S5ei  ©oubimel  bagegen  jeigt  fich  in  ähnlichem  galle  reine  Abweichung  in  Stimmenjabl  unb  Stellung  berSfte^ 
lobie,  allein  bie  gorm  be§  Sa&j§  felbft  änbert  fid).  Sie  £armonieen  ftnb  in  ben  SSebanblungen  betber  9ftei= 
ftcv  me'"cntlid)  oerfd)ieben,  fo  erflärlicb  e3  ift,  tag  bei  gleicher  Stellung  ber  SSKelotie  unb  übereinfiimmcnber 
gorm  beö  Sonfa^eö  manche  Begegnungen  nicht  ausbleiben.  Sie  ftnb  bei  bem  fpäteren  Sonfünfiler  im  ©an= 
jen  auch  bem  Söefen  ber  oorfommenbcn  Sonarten  gemager.  £ier  haben  bie  pbrpgif ch  en  -Diclobieen  ben 
gebübrenben,  halben  Sonfcblug  in  E ;  nur  ber  Sonfaf^  über  ben  63jten  flfafctl  bilbet  einen  Dollen,  äolifcben 
in  A,  unb  ber  über  ben  94ften,  beffen  SEJMobie  in  bem  oerfefjten  Umfange  bc§  ^brpgifcben  —  A  mit  f  Jetner 
Secunbe  —  fich  bewegt,  enbet  äolifcb,  in  D,  burch  einen  halben  SSonfcblug.  Ser  83fte,  lOOfte,  132fte 
$fabn  bilben  burd)  bie  £auptftimme,  bie  in  ihren  Sonfäfeen  bem  SEenor  jugetbetlt  ift,  ben  ab fallenben 
»brpgifcpen  Sonfcplug,  inbem  ber  Bag,  bie  9)ielotie  überfcpreitent,  jur  SJcittelftimme  mirt.  Bei  bem 
131ften  *Pfalm  bagegen  roirb  burd)  bie  ©runtftimme  ber  auffteigenbe  pbrpgifcpe  Schlug  targefteUt. 
Sie  mirolpbifcpen  Sonfd^e  jeigen  opne  Aufnahme  wolle  Äonfchlüffe,  auch  ber  über  ben  13(.)ften 
''Pfalm,  ber  bei  ©oubimel,  allein  unter  allen  übrigen,  einen  halben  bilbete.  21B  unmefentlicb  übergehen 
mir  ben,  in  ben  Bebanblungen  beiber  Stteifter  jumeilen  »orfommenben  Unterfcbteb  beS  UmfangS  ber  Sonart 
ber  üon  ihnen  behanbelten  SJMobieen.  Sag,  fofern  biefe  anberen,  als  ben  beiben  eben  genannten  Sonarten 
angehören,  in  ihren  mebrfiimmigen  Bearbeitungen  ftetö  »olle  Sonfchlüffe  angetroffen  werben,  bemerfen  mir 
»orübergebenb.  Bei  bem  fünfftimmigen  Sa£e  über  ben  lllten  $)fatm  roirb  ber  Sonfcplug  turdb  bie 
£auptfiimme  eingeleitet,  bie  hier  bie  unterfie  Stelle  einnimmt  unb  bie  ©runbftimme  tarftcllt.  Sa  nun 
bie  SOielobie  au3  ber  grogen  Cberfecunbe  beS  ©runttonä  in  tiefen,  nieterfteigent,  abfällt,  fo  ergiebt  fich 
hier  bie  ungewöhnlichere,  unter  tiefen  S3orauj>fefjungen  aber  notpwenbige  Schlugharmonie  tes>  Affortesj  ber 
tleinen  Septime  mit  ber  flcinen  Serj,  ber  turcb  ten  £Utartfertaftorb  mit  groger  Serte  in  ben  Sreiflang 
tes  ©runttonö  übergeht. 

Sie  SSonfäfce  ßlaubins  jeigen,  wenn  mir  fie  benen  ©oubimeB  »ergleicpen,  unzweifelhaft  einen 
gortfcpritt.  23o  biefem  frühern  SDieifter  SJaum  »ergönnt  ift,  feine  Äunft  gewähren  ju  laffen,  ba  barf  er 
allerbingö  ten  beffen  SEonfcgern  feiner  Seit  gleicpgejtellt.  werben;  wo  er  jeboch  auf  einen  geringeren  Umfang 
befcbranft  ift,  fühlt  man  beutlich,  tag  er  in  tiefem  fid)  nicht  mehr  frei  ergeht,  fontern  fich  beengt  ft'nbet. 
hierin  fleht  er,  wie  fdwn  bemerft  worbcn,  hinter  ten  teutfcfyen  9JJeiftern  feiner  Seit,  wenn  fie  ähnliche  2luf= 
gaben  ju  löfen  unternehmen,  um  33iele3  juvücf .  9Kan  barf  e3  billigen,  bag  er  für  fircblicben  ©ebraud)  ben 
fünftlichen  Soutanen  in  ben  meiften  gällen  bie  fcfylicbten  oorgejogen  hat.  Siefen  gebricht  inbeg  bei  ihm  ta§ 
fiebere,  feine  ©efüpl  für  bie  Stgentbümlicbfeit  ber  Sonarten  ihrer  SDMotieen,  woturd)  fie  erft  ßeben  unb 
gülle,  bei  aller  (5infad)beit,  gewinnen  würben.  9hm  hat  ßlaubin,  gewig  auS  Überzeugung,  ben  fünftli= 
chen  Safe  bei  feinen  meprftimmigen  Bearbeitungen  ganj  »ermieben.  dv  ift  barin  noch,  weiter  gegangen  al£ 
©outimel,  ber  ihn  jwar  anwentete,  jebod)  mit  SDiaage,  unb  in  ber  2lrt,  bag  jete  oorfommcnbe  SDcelobic 
minbeftenä  einmahl  in  einfach  er  S3ef)anblung  erfepeint.  (Sö  ift  alfo  eine  burcbgdngige  SSergletcbung  bei-- 
ber  9)ieifter  juldffig.  2ßo  S5eibe  —  wie  eS  freilich  bei  ihnen  am  hdufigften  geflieht  —  bie  3DMobie  bem 
Senor  jutheilen,  leiben  ihre  Sonfdf^e  an  einem  gleichen  ©cbrecfyen,  ba§  turd)  tie  mel)r  oter  minter 
gefchidte  Behanblung  nicht  »öllig  ju  vergüten  war.  @ine  fünftlerifche  "2lbficht  fann  ßlaubin  nicht  baju 
oermocht  l)aben,  jenen  alten  ©ebrauch  beizubehalten,  ber  offenbar  ju  SSerbunflung  ber  9Jielobie  gereicht. 

33* 


  260   


©te  »Ott  nur  »oratBjufefcen,  wenn  jene  an  ftcb  ungeeignete  (Stellung  ber  ©ingweife  burd)  anbeve  ©rünbe 
gerechtfertigt  würbe.  «Solche  ©rünbe  finb  aber  au$  ben  £onf%n  be§  9Jletfter3  nid)t  $u  entnehmen,  fie 
müßten  aud)  offenfunbig  baliegen,  wenn  fie  red)tfertigenb  ferm  füllten.  £)a§  Streben  nad)  9Jiannicbfaltig= 
feit  be§  Sonfa^eS  bei  öfter  oorfommenben  Sttelobteen  barf  aB  eine  auSreicfyenbe  SSeranlaffung  nid)t  gelten, 
unb  aud)  bann  würbe  immer  bie  SKinberjabl  ber  Sonfd^e  beg  StteijterS  jene  Einrichtung  haben  fönnen,  ba 
bie  ©ingweifen  ber  meiften  ^falmen  nur  einmab,l  oorfommen.  ©te  erfdjeint  aber  bei  ben  meiften,  alfo  aB 
Siegel,  fann  un3  bemnad)  nur  aB  33erbarren  bei  bem  Jperfömmlicben  gelten.  £)aburd),  baft  in  ben  fünf= 
Gimmigen  ©dljen  bie  SSttelobie  aud)  wol)l  in  bie  jweite  ober  britte  ©timme  gelegt  ift,  wirb  offenbar  ntd)B 
gebeffert,  ft'e  wirb  baburd)  nicht  minbcr  üerbunfelt.  (Sin  AnbereS  ift  e3  in  bem,  ein  cinjigeö  9Jtal)l  »orfom= 
menben  Salle,  wo  fie  bie  ©runbflimme  bilbet;  im  ftrengften  33erftanbe,  ba  feine  ber  anberen  jemals 
unter  fie  l)inabfd)reitct.  £)aburd)  crl)dlt  biefe  ©timme  ein  ganj  eigentümliches  ©cprdge.  ©te  regelt  ben 
gortgang  ber  gefammten  Harmonie  auf  eine  anbere  nod)  unb  wefentlid)ere  Art,  aB  fonft  bie  £)berjlimme, 
unb  bennocb  gleicht  ft'e  auf  gewiffe  SBeife  wieberum  biefer,  weil  fie  »on  ben  anberen  Stimmen  bas>  erwartet, 
wa§  fonft  bie  ©runbftimme,  beren  ©teile  fie  einnimmt,  öorjugSweife  leitet,  bie  befttmmte  AiBprdgung 
jebeS  einzelnen  barmonifcbcn  gortfcbrttteg.  91id}t  allein  baö  geübte  £)t)T,  aud)  ba§  nur  aufmerffame  be§ 
finnigen  4?örer3  crfcnnt  biefeS  83erl)dltnif!  leid)t,  weil  eS  ungewöhnlichere  gortfd)ritte  tiernimmt,  unb 
taburd)  auf  bie  ©tellung  ber  SKelobie  Eingeleitet  wirb,  bie  ihm  bann  bei  nur  einigermaafsen  frdftigem 
Vortrage  leid)t  beutlid)  wirb.  £)e§l)alb  ifi:  bei  einfachen  ©d^en  —  von  benen  tjter  ganj  allein  bie  9?ebe  ift  — 
jwar  bie  £)berffimme  allezeit  ber  naturgemdfüefte  SDrt  für  bie  SÖMobie,  weil  fte  l)ier  am  beutlid)ften  »ernom= 
men  wirb,  bie  übrigen  aud)  fo  am  beften  im  ©tanbe  finb,  il)ren  barmonifd)en  ©ehalt  auöjuprdgen;  ndcbfi 
if>r  aber  bie  Untcrftimme.  5n  bem  einen  galle  fold)er  ©tellung,  ben  wir  bei  ßlaubin  ft'nben  (bem  lllten 
^fatm)  bat  ber  SDieiftcr  feine  Aufgabe  genügenb  gelbft.  £>iefer  ©a£  gebort  ju  feinen  beften,  unb  fo  ohne 
Ausnahme  aud)  bie,  in  benen  bie  ©ingweife  bie  £)berftimme  einnimmt.  Sie  Sonart  tritt  in  biefen  allen 
mit  5Bcflimmtr)ett  l)ert>or ;  ber  ©efang  ber  begleitenben  ©timmen  ift  fltefienb  unb  natürlich,  ber  AuSbrutf 
beS  ©anjen  würbig  unb  fird)cngemäf?.  £>ennod)  ftel)t  im  ©anjen  aud)  ßlaubinä  Arbeit  gegen  ähnliche  ber 
beften  beut  f  eben  SReifter  feiner  3eit  um  SSieleS  jurücf,  üerl)altnif ma^tg  vielleicht  mcf)r  nod)  aB  ©oubi= 
meB  S5ef)anblungen  gegen  gleichartige  feiner  3ettgenoffen.  @§  ift  mel)r  ber  rein  fird)lid)e  ©tpl  in  ü)r,  — 
ein  Allgemeines  alfo,  —  baS  ft'e  un3  fd)äfcbar  mad)t,  aB  S3cgeijlerung,  Alraft,  ©d)wung;  fie  jeigt 
fein  wahrhaft  eigentf)ümlid)eS  $8erl)dltnifj  be§  SKetflerä  ju  feiner  Aufgabe,  ba§  wir  in  ibj  um  fo  mehr 
oermiffen,  weil  eS  eben  ba§  95ejeid)nenbe  ber  beut  fd)en  Söleifter  unter  feinen  3eitgenoffen  ift,  ber  nieber* 
Idnbifd)e  alfo  hinter  beren  5ßefirebungen  aB  jurüdgeblicben  erfd)eint*). 

Der  Srganift  SSfcavf  d) all  ju  Safel,  beffen  uierftimmiger  SSebanblung  ber  ^»falmweifen  wir 
juüor  gebacken,  bat  jwar  einen  gcl)ler  (Haubtnö  mit  Überlegung  unb  @inftd)t  vermieben:  er  bat  bie  SDZelo= 
bie  in  feinen  merftimmigen  Sonfd^cn  überall  ber  -D  berpimme  jugetbeilt.  Allein  Glaubinö  ©d^e,  wo  in 
ihnen  baffelbe  ftatt  ftnbet,  finb  ben  feinigen  überall  bei  weitem  »orjujiehen.  £>iefe  haben  in  9füdft'd)t  ber 
phrpgifchen  Sonart  baffelbe  ©ebred)en,  wie  bie  S3e()anblungen  ©oubimeB :  e§  fehlen  ihnen  tongemäfe 
©d)lüffe,  inbem  biefe  fdmmtlid)  auf  ber  Unterquinte  beö  ©runbton§  ruhen.    Doch  nid)t  biefe§  allein:  ber 


•)  SSon  ben  ocrfdjtcbcnen  gormen  bcS  (Staubtnfdjcn  Sonfa&cß  über  bie  franjiSfifc^en  ^»falmif eifen  finben  ftd)  SSn-- 
fpicte  unter  ben  Wummern  32  biß  37  (einfd)!ie£ticl)). 


  261   


©efcer  hat,  ber  Abwechslung  wegen,  oft  frembe£armonieen  aufgefucht,  bie  bem©ange  bcrüJJMobie  nicht  fol= 
gen,  fonbern  über  tr)n  täufchen  unb  »erwirren*),  dx  hat  alfo  ba3  SBefen  ber  Aufgabe  bei  einfacher  mel)rfiim= 
miger  JBehanblung  einer  ©ingweife  nicht  überall  richtig  gefaxt,  unb  biefer  ntdjt  if>r  oolleS  9?ed)t  wiberfabjen 
laffen.  £>och  finben  wir  baoon  auch  ehrenwerte  Aufnahmen**),  nur  baß,  wa§  il)m  juwcilcn  gelingt,  üonben 
beffercn  Sonfel^ern  feiner  3eit  fidlerer,  öfter  geleiftet  wirb.  ©Icichjcitig  ungefähr  mit  ßlaubin  fcheint  2anb= 
graf  9ttori£  ju  Reffen  bie  ©ingweifen  ber  franjöfifchen  $»falmen  bearbeitet  $u  l)aben.  3u  folgern  ift  e3  au3 
bem  Settel  eines  33uche§,  ben  ©erber***)  anführt,  unb  ber  wörtlich  bal)in  lautet:  „D.  Ambrofü  2obwaffer§ 
^falmenbud)  in  golio  getrucft,  unb  l)at  Sanbgraf  SQZortlj  ju  Reffen  bie  übrige  ^falmen,  fo  nicht  eigene 
melodias  gehabt,  mit  anberen  lieblichen  melodiis  gelieret,  unb  mit  4  (Stimmen  conwoniret,  welche  in  ber 
Äird)c  ju  fingen,  »nb  auf  allerlei)  Snftrumcnten  ju  gebrauten.  Gaffel  bei  SEBilf).  SBeffel  1608."  £>er  83er-- 
faffer  biefer  Sßlatter  fjat  jenc§  33uch  niemals  gefer)en ;  ihm  bleibt  bab, er  immer  noch  ber  Sweifel,  ob  nicht 
außer  ben,  oon  bem  erlauchten  SSerfaffer  erfunbenen  unb  gefegten  ©ingweifen  für  biejenigen  ^faltnen,  beren 
ÜKclobteen  in  ben  ©oubimelfd)en  ©d£en  mit  anberen  früher  t>orfommenben  übereinfiimmen ,  ber  übrige 
Sbeil  biefeS  33ud)e3  nur  eben  jene  alteren  ©dfje  enthalt,  alfo  lebigltcb,  ein  SSerfud?  ift,  bie  ju  jener  3ett  fo 
hoch.  gefd)ä^te  Übertragung  2obwaffer§,  wie  fie  ben  franjöfifd)en  ©ingweifen  unb  SEonfä^en  anbequemt 
mar,  an  5Jielobieen  ju  bereid)ern.  9Bdre  biefeS  ber  $aU,  fo  mürbe  £anbgraf  SJJorhj  hier  überall  nicht  ju 
nennen  fenn,  wo  nur  bawon  bie  9?ebe  ift,  in  welchem  Umfange,  unb  mit  welchem  Erfolge  jene  alten 
SKelobieen  Aufgaben  für  bie  itunft  be3  SSonfa^eS  geworben  feuen.  £>hne  eigene  Anficht  ift  barüber  nicht  ju 
entfdieiben,  beShalb  ftef)e  bie  £hatfad)e  t)kx  nur  ber  SSollftdnbigfeit  wegen,  unb  ale>  eine  zweifelhafte. 

35ie  fpdtere  33ef)anblung  ber  franjöftfdjcn  ^»falmweifen  burch  3of)ann  ßrüger  (1658)  werben  wir 
bei  unferem  Berichte  über  biefen  93lei|1er  näher  betrachten,  eben  fo  auch  t>on  ^Bearbeitungen  einzelner  5DRelo= 
bieen  burd)  auszeichnete  SEonfünjtler  an  gehöriger  ©teile  reben.  %m  Allgemeinen  bürfen  wir  aber  i)kx 
urtheilen,  baß  biefe  ©ingweifen  im  Saufe  bes>  16ten  3flhvhunbert§  unb  bi§  in  bas>  17te  hinein  nicht  ju  ben 
fruchtbaren  Aufgaben  be6  Sonfa^eS  gehörten,  unb  ber  Äunft  f;armonifd)er  Entfaltung  nicht  in  bem  SRaaße 
jum  SBachStlmm  gereichten,  als  bie  lutf>erifd>ert  &trd)en  weifen. 

9Jlit  SBenigem  fen  h'"  no#  e'ner  italienifchen  9?achbichtung  ber  ^Pfalmen  gebadjt,  bie, 
weil  jebeS  einjelne  ^Pfalmlieb  mit  einer  ©ingweife  oerfehen  ift,  wahrfcheinlid)  ju  gemeinfamer  Erbauung 
italienifch=proteftantifcher  ©emeinen  benimmt  war.  ©ie  umfaßt  nur  60  $)falmen ;  bie  17  erften  beS  $)fal* 
ters>,  nach  beffen  §olge,  bie  übrigen  nach  Auswahl,  ohne  ftch  an  jene  weiter  ju  binben.  25er  Urheber  biefer 
ßieber,  bie  Umftdnbe,  unter  benen  fie  entftanben,  ft'nb  gdnjlid)  unbefannt,  unb  ba$  S5ud)  felbft  unterrichtet 
un$  nicht  barüber.  Sd)  fenne  baoon  jwei  Auggaben,  eine  t»om  Sahrc  1578,  bie  anbere  üon  1621,  43 
3af)re  fjpäter.  S5eiben  fehlt  bie  Angabe  bc§  Drucfortg,  nur  ber  Bruder  ift  genannt;  bei  jener  früheren 
©iooanni  SBattifla  spineroli,  bei  biefer  fpdteren  SSKatteo  SSeriot.  2Bahrfd)einlich  ift  jene,  wenn  nicht  bie 
frühefte,  bod)  eine  ber  früheren  unferer  ©ammlung.  3undchft  fprid)t  bafür  beren  nahe§,  un»erfennbare§ 
Anfchltefien  an  ben  franjöfifchen  ^)falter.  £>ie  83orrebe  ßaloinS  fteht  ihr  woran,  in  baä  Stalicntfche  über= 
tragen ;  hinter  ben  ^)falmen  unb  ben  übrigen  ©efängen,  bie  fie  enthalt,  unb  oon  benen  fpdter  bie  Sfebe  fepn 
wirb,  laßt  fie  bann  bie  £)rbnung  be$  ©otteöbienfte§  folgen,  bie  Art  bie  Saufe  ju  üerrid)ten,  ba§  f>etlige 

')  @.  SBeifpiel  «Rro.  -48. 
")  <S.  S5eifptel  Sfro.  47. 
— )   5«eueS  CcriEon  k.  £f).  III.  Col.  366. 


  262   


2fbenbmal)l  ju  feiern,  bie  Gfbe  eirtjufegnen,  bie  Äranfen  ju  tröffen :  AtleS  biefeS  ftnben  mir  juerfi  in  bem 
oollftänbigen  franjoftfeben  ^Pfalter  SftarotS  imb  SSeja'S  üon  1562,  bem  ft'e  alfo  nicht  voraufgegangen  fetm 
mirb.  £>aju  fommt,  baß  fte  fomobl  SSJiarot  als  5ßeja  in  il)ren  spfalmliebern  nachgebt;  fte  enthält  nicht 
allein  mehr  ^falmen,  als  jener  übertragen  fjat,  fonbern  wallte  auch,  nur  39  v>on  biefen  als  Vorbilber,  21 
bagegen  unter  ben  von  SSeja  naebgebiebteren.  ©ie  fann  aber  auch  ntct>t  balb  nach  ber  erjten  Verausgabe 
bes  »oUfiänbtgen  9)falterS  erfebienen  fer;n.  2?enn  fte  umfaßt  ÜÖiancbeS,  maS  in  it)m  bamalS  noch  nid) t 
enthalten  mar :  ben  .Katechismus,  feinen  4?auptjtüden  nad)  auf  bie  ©onntage  beS  .Kirchenjahres  »erteilt, 
Die  Prüfung  ber  Äinber  t>or  3ulaffung  ju  bem  heiligen  Abenbmable,  unb  AnbereS,  baS  erft  feinen  fpäteren 
Abbrüdcn  beigefügt  mar.  £>aS  2Bal)rfcr;einlid)fte  alfo  ift,  baß  fte  erft  mehrere  Sabre  nach  beffen  allgemeiner 
Verbreitung  an  baS  ßtd)t  trat,  unb  naebbem  jener  febon  ju  ähnlichen  Verfucben  aud)  in  anberen  ©pracben 
angeregt  tjatte.  25aS  %at)x  1578  nun  ift  um  SBenigeS  nur  fpäter,  als  baS  ber  erften  Verausgabe  beS  ßob= 
mafferfeben  9)faltcrS.  Sri  £>eutfcbkmb  mar  ein  fold)eS  Unternehmen  bei  ber  großen  Ausbreitung  unb 
förmlichen  Anerfenmmg  ber  eüangelifd)4utberifcben  £ird)e,  bei  ber  großen  Siebe  ju  bem  $>fatmbud)e,  ein 
leid)teS ;  fdjwieriger  in  Italien,  mo  nur  örtliche  £>ulbung  ber  SSefenner  evangelifcfyen  ©laubenS  fiatt  fanb, 
jumeifi  aber  heftige  Verfolgung  berfclben,  unb  üomebmlicb  tyreS  bart  »erbetenen  ©otteSbienfteS  unb  geift= 
lid)en  ©efangeS.  (SS  barf  bal)er  nid)t  befremben,  baß  in  Italien  eine,  menn  aud)  weniger  umfangreiche, 
sJtad)bid)tung  ber  ^fahrten,  mit  ©ingmeifen  jum  ©ebraud)  bei  gemeinfamer  Anbacbt,  fpdter  erfd)ien  als  in 
25eutfd)lanb;  unb  eS  ifi  fein  erheblicher  ©runb  üorbanben,  eine  Ausgabe  unfereS  S3ücbleinS  nod)  »or  ber 
oon  1578  anjunebmen.  £)aß  aber,  faft  ein  b^beS  3abrl)unbert  nachher,  noch  eoangelifcbe  ©emeinen  in 
Italien  bejtanben,  benen  ber  ©efang  biefer  Sichtungen  bei  ihrem  ©otteSbienfte  £3ebürfniß  mar,  jeigt  ber 
fpätere  Abbrud  oom  Sabre  1621.  S3eibe  ftimmen  im  SBefentlicben  unter  ftd)  überein,  unb  jeigen  bureb  ben 
Anhang  hinter  ben  ©efdngen,  beffen  mir  fcbon*gebad)ten,  unb  ber  beiben  gemeinfcbaftlid)  ift,  unuerfennbar, 
Daß  fte  Anbad)tS=  unb  ©ingebücber  jum  ©ebraud)e  bei  bem  ©otteSbienfte,  unb  ju  hduSlid)er  (Srbauung 
geroefen.  9cur  milbert  bie  fpdtere  AuSgabe  mand)en  h^ben  unb  fchneibenben  AuSbrud,  mie  er  an  öielen 
©teilen  beS  Anhangs  in  ber  früheren  gefunben  mirb,  jumabl  im  ©laubenSbefenntniffe,  baS  in  biefer  ftd) 
anfünbigt  ,,alS  ein  gemeinfameS  mit  ben  .Kirchen  granfrcicbS,  bie  ftd)  ber  pdpftlicben  Abgöttereien  entbal-- 
ten,"  mogegen  in  ber  neueren  nur  werftebert  mirb,  eS  ftimme  überein  mit  bem  ber  bortigen  .Kirchen,  ,,bie 
nach  ber  reinen  Sebre  beS  GnxmgcliumS  unfereS  Qmn  Sefu  ßbrifti  leben." 

@S  ift  nicht  ju  behaupten,  baß  irgenb  eine  lebenbige  ^Berührung,  gefebmetge  benn  ein  erheblicher 
©influß  biefeS  italienifchen  ©emetncgefangeS  auf  ben  beutfd)en  ftatt  gefunben  habe,  ober  umgefebrt.  SBir 
Dürften  baher  jenen  wollig  übergehen,  menn  nicht  fein  äufammenbang  mit  bem  franjbftfcben,  bie  ©elegen= 
beit,  Die  unS  biefer  gemdbrt,  feiner  ju  gebenden,  unb  9JiancbeS  für  ftd)  felbft  9Berfroürbige  an  ihm  unS  auf; 
forDerte,  einen  Augenblid  bei  il)m  ju  uermeilcn. 

3n  fo  naher  S3ejiebung  aud)  biefer  italienifd)e  ,Ktrd)engefang  ju  bem  franjbftfcben  fleht,  fo  ift  er 
Cod)  in  Vielem  ganj  ton  ihm  abmeichenb.  3undcbfi  hat  ein  jebeS  ber  65  lieber  beS  italienifchen  ^)falm= 
bucbS  feine,  if)m  auSfchließenb  eigne  ©ingmeife,  bie  aud),  bei  übereinfttmmenben  90taaßen,  ftd)  nid)t  mte= 
berholt.  2ßir  bezeichnen  abftd)tlich  feinen  Inhalt  mit  ber  allgemeinen  Benennung  Sieb  er;  benn  außer  ben 
60  Jaunen  *),  bie  fein  Xitel  anfünbigt,  enthält  eS  nod)  ben  Sobgefang  ©imeonS,  bie  jel)n  ©ebote,  bie 

^fatm  1.  2.  3.  4.  5.  G.  7.  8.  9.  10.  II.  12.  13.  U.  15.  IG.  17.  19.  20.  21.  22.  23.  24.  27.  32.  34. 
36.  37.  38.  42.  43.   45.  46.  51.  54.  73.  79.  91.  96.  103.  107.  1)0.  III.  112.  113.  Iii.  115.  117.  120.  121. 


  263   

ärttfel  be3  ©laubenS,  ba§  Skterunfer,  unb  ein  Sieb  über  bie  SBorte  be3  Spexxn :  3d)  bin  bo§  SBrob  be& 
ßebcnä.  2CUe  melobifchen  gönnen  ffnb  alfo  f>ter  felbftdnbige.  25er  rhpthmifchen  ftnb  im  2fllge= 
meinen  neunerlei,  von  ber  brei=  bis  jur  elfjeiligen  ©tropfe.  %m  feltenften,  —  nur  je  einmal,  — 
erfcheinen  bie  brei=  unb  bie  elfjeilige;  jene  ju  bem  Sobüebe  (Simeons,  biefe  ju  bem  19ten  ^falm;  ndd)jt 
ihnen  bie  jtebat»  unb  bie  jeb.njeilige,  jebe  nur  jmeimahl,  in  felbfidnbigen  gormcn*).  25 ie  neunjeilige  finben 
mir  breimaf)l,  in  eben  fo  oiel  felbftdnbigen  formen;  in  bem  lOten,  16tcn  unb  117ten  spfalme.  ©leid)  oft 
fommen  bie  uier=  unb  bie  fünfjeilige  ©tropfe  cor:  jebe  in  acht  gdllen,  unter  fed)§  gormen,  t>on  benen  in 
jener  eine  brehnaf;!,  in  btefer  jroei  boppelt  ft'dt)  mieberholen**).  Die  fedb>  unb  bie  achtteilige  ©trophe  ftnb 
am  hduftgften  angeroenbet :  jene  in  »ierjeljn  gormen,  beren  uier  boppelt  »orfommen,  biefe  in  elf,  unter 
benen  eine  fünfmal^,  eine  jmeite  üiermat)l,  t>ier  anbere  jweimahl  ftd)  mieberholen***).  25a§  äSerhdltnifj 
beS  mehr  ober  minber  t)duftgen  (§rfd)einen3  ber  einzelnen  ©rrophengattungen  ift  hienad)  in  bem  italienifchen 
wie  franjbftfchen  eoangelifcticn  Ätrchenltebe  faft  baffelbe.  9iun  ftnben  mir  allerbingS  aud)  übereinjtimmenbe 
©ing  weifen  in  bem  einen  unb  anberen  95falmbud)e.  ©dnjltd)  einanber  gleichenbe  in  fünf  gdUen 
(9)falm  2.  79.  115.  121.  130),  mein-  ober  weniger  ähnliche  in  beren  jroölf-|-).  9ciemale>  jebod)  begegnet 
unS  eine  »ollfommene  Übereinftimmung  be§  SöiaafieS:  benn  bie  ©tropfen  ber  italienifchen  $)falmlieber 
haben  nur  elf*  unb  ftebenfylbige,  iambifche  Seiten  mit  weiblichen  (Snbungen,  unb  nur  in  einem  einigen 
galle  (im  15ten  ^)falme)  fommt  eine  fünffplbige  Seile  oor;  bie  ber  franjoftfdjen  bagegen  »ier=  bis  breijef)n= 
ft)lbige,  trod)difd)e  unb  iambifd)c,  männliche  wie  weibliche  Seilen,  unb  wenn  in  ihnen  aud)  galle  t>orhan= 
ben  ftnb,  wo  nur  ft'eben*  ober  elffylbige  Seilen  erfcheinen,  ober  —  wenn  aud)  feiten  —  Seilen  biefer  'Kxt 
mit  anbern  von  werf  ergebener  gange  tierbunben  ftnb,  fo  ift  bod)  nicht  ein  einiges  9J£af)l  eine  3ufammenftel= 
lung  oon  nur  elf*  mit  nur  ftebenfplbigen  »orhanben.  3weimaf)l  allein  (in  bem  123ften  unb  130ften  ^Pfalme) 
erfcheinen  in  ber  achtteiligen  ©trophe  be3  italienifchen  Jtird)enliebes>  nur  elf=,  unb  nur  ftebenfplbige  Seilen  5 


122.  123.  124.  125.  126.  127.  128.  129.  130.  137.  143.  II  Cantico  di  Simeone.  —  I  dieci  comraandamenti  di 
f)io.  —  Gl'  articoli  della  fede.  —  l'Oraziooe  del  Nostro  Signor  Gesü  Christo.  —  Sopra  le  parole  del  Signore  : 
Ego  sura  panis  vivus. 

*)   spfatm  54  unb  112  fjaben  eine  ftebenjetlige,  ^»fatrn  45  unb  79  eine  §et)njeitige  <3troct)e. 
")   spfatm  II,  83,  110  unter  ben  oicrgetltgen ;  9pf.  13  unb  36,  $)f.  14  unb  42  unter  ben  fünfteiligen;  bie  übri* 
gen  oierjeitigen  spfatmen  ftnb  ber  5te,  12te,  20fte,  122fte,  126fte;  bie  fünfjeittgen  ber  17te,  51fte,  125fte,  143fte. 

*")  Unter  ben  fedjSjeitigen  roieberbott  ftd)  bie  gorm  in  bem  4ten  $>falm  unb  ben  jef;n  ©eboten;  in  *Pf.  32  unb 
113,  34  unb  120,  43  unb  124.  tfu^cr  ifjnen  ftnb  fed^äciKg:  spf.  3,  8,  15,  21,  23,  27,  114,  115,  121,  127. 
Unter  ben  adjtjeitigen  ©tropfen  fteben  einjetn  ba  bie  gorm  beö  «Pf.  2,  24,  107,  III,  130.  ©let'dje  gormen  fommen 
oor:  jroeifad):  ?>f.  7,  103  —  9,  96  —  22,  46  —  128,  129;  —  Dierfeld):  $>f.  6,  37,  73,  91  ;  —  fünffach,: 
>Pf.  123,  137;  articoli  della  fede;  Oraziooe  del  Signore;  Ego  sum  etc. 

i)   £>er  Spfalm  1  in  bem  itatienifd) cn  spfalmbud)e  ift  bem  «Pfalm  78  beS  franj öftfeben  ähnlich. 


6 

70 

=  12 

22 

=  17 

143 

=  22 

104 

=  27 

16 

=  32 

26 

=  34 

103 

=  46 

18 

»  123 

51 

--  129 

20 

143 

13 

- 


  264   


eben  btcr  jefoeb  fennt  fie  feaS  fvanjoftfd^e  nicht,  nur  im  t>ier=  unfe  fechSzeiligen  troebätfeben  Wlaafa  fom= 
men  fte  oor  ($)falm  136;  75,  135  feie  ftebenfplbigen),  unb  im  fechSzeiligen  iambifeben  ($falm23  feie  elf* 
fylbigen).  (Eben  fo  fömmt  feine  (Strophe  beS  feeutfdjen  S3olfg=  ober  geiftlid)en  ßiebeS  einer  beS  italieni; 
feben  ÄircbenliebeS  überein.  25enn  erfebeint  auch  feie  ©tropfe  beS  130ften  feer  franjbfifdjen  ^»falme  — 
feie  feer  giefeer :  (Entlaubt  ift  unS  feer  Süßalfee,  unfe  ^erjlicb;  tfyut  mid)  »erlangen,  —  nicht  feiten  im  geifflieben 
wie  weltlichen  feeutfrf)en  ©efange,  unfe  ift  ferner  feie  2Beife  feeS  130ften  italienifchen  9)falmeS  feer  beS  franjb= 
ftftyen  gleich,,  fo  fearf  feiefe  Übereinftimmung  bod)  nur  für  eine  melofeifche,  nicht  rb»thmifd)e  gelten, 
weil  feie  Strophe  beS  italienifchen  acht  ftebenfylbige,  weibliche  Seilen  hat,  in  feer  feeutfehen  wie  franjbftfchen 
öagegen  fiebern  unfe  fcchSfylbige,  weibliche  unfe  männliche,  mit  einanfeer  wechfeln.  ©o  ft'nfe  enblid?  jwar 
feie  melofeifcben  formen  beS  34ften  unter  feen  italienifchen,  unfe  feeS  103ten  unter  feen  fran^bftfehen  $>fal= 
men  ähnliche,  unfe  feie  ©ingweife  feiefeS  legten  ging  im  17ten  Sabrbunberte  auf  SfteanfeerS  Sieb  über:  '#uf 
auf  mein  ©eift  erhebe  feieb;  eS  ift  alfo  ein  gall  uorbanfecn,  wo  melofeifche  gormen  eineS  feeutfehen  Kirchen; 
liefeeS  unfe  eines  italienifchen  übereinftimmen.  2>ieS  geflieht  jefeodb  nur,  weil  fie  einem  feritten,  franjbfü 
feben  gleichen,  nicht  wegen  unmittelbarer  SSerührung  feeS  einen  unfe  anfeeren  .frirchengefangeS. 

Pehmen  wir  nun  jene  17  gälle  auS,  in  welchen  feer  italienifche  jtirebengefang  »on  feem  franjbft: 
fchen  feine  melofeifcben  formen  erborgte,  fo  bleiben  unS  für  il)n  48  übrig,  feie  als  ihm  eigentümliche 
gelten  fbnnen.  SBenn  wir  feiefe  für  ftch,  betrachten,  ohne  9?üdftd)t  auf  jene  ft'ebjehn,  fo  ftnfeen  wir  in  feen= 
felben  jene  beifeen  ä3eftanfetbcfle  wieber,  bie  wir,  feen  einen  als  fachlichen,  feen  anfeern  als  vwlf'Smäjjigen,  in 
ihrem  8>ereine  als  .Kennzeichen  feeS  ©t»leS  feeutfeher  geiftlicher  ßiefeweifen  bezeichneten,  bie  fird)liche  Sonart 
unfe  feen  rfwibmifchen  SBechfel.  @S  fommt  in  ihnen  feie  fe  orifch  e  Sonart  in  ihrem  urfprünglichen  Um= 
fange  breijehnmahl  »or,  in  feer  SSerfe^ung  achtmal)!;  feie  p r i; g i f d> e  breimahl;  feie  mirolnbifcbe  acb> 
mahl,  bie  ionifche  in  feer  SSerfe^ung  üierjehnv  in  urfprünglid)em  Umfange  jwetmahl.  £)ie  fjrenger  firdt>= 
liehen  Tonarten  haben  alfo  feaS  Übergewicht  über  bie,  feen  weltlichen  ähnlichere,  ionifche ;  feie  weichen  unfe 
harten  halten  einanfeer  feie  Sßage,  unfe  jene  überwiegen  nur  bann,  wenn  wir  feie  auS  feem  franjbftfchen  gal- 
tet entlehnten  SUielobieen  hinzurechnen,  wo  feenn  ad)t  auS  beiben  gönnen  feer  feorifchen,  feret  auS  feer  pbrn= 
gifchen,  unfe  eben  fo  t>iel  auS  ber  äolifchen  hinzutreten,  m'erjehn  alfo  im  ©anjen  auS  weid;cn  Sonarten, 
gegen  jwei  auS  ber  mirolpbifchen  unfe  eine  auS  feer  ionifd)en;  fo  bafi  alSfeann  feaS  SSerbältnifj  feer  weichen 
feen  harten  ftch  barftellt  wie  38  gegen  27.  ©d)on  feiefe  S3orliebe  ju  ber  weichen,  feie  im  2Bäf)ten  unfe 
(Entlehnen  ftd)  zeigt,  oeranlajjt  unS,  in  feer  italienifchen  geiftlichen  Siefewcife  eine  üorwaltenbc  Neigung  ju 
oerfelben  alö  feftftehenb  anzunehmen.  Svlwtbmifcber  2Bed)fel  jetgt  ftch  in  27  gällcn  unter  ben  zuoor  als 
urfpriinglicb,  italienifch  feftgeftetlten  48  gormen,  in  ber  SSKehrzal)l  alfo ;  neunmahl  nur  erfebeint  er  in  beiben 
gormen  ber  ionifct>en  Sonart,  am  bäuftgften  bafjer  in  ben  ftenger  h'rd)lichen  Sbnen,  unb  t)ier  eben  fo  oft 
als  baS  ©eftaltenbe,  Söelebenbe  beS  ganzen  rhötbmtfchen  gortfchritteS,  feenn  als  Schlußformel*). 


•j    «OUlobic  bce  42flcn  qpfatmS. 


(Jörne  il  cervo  as-se  -  ta  -  to    va  muggliiaodo       per    l'estre-ino  de-si-o         di   trovar  ri'acque  uo  ebia- 


roe  fresco  ri  -  o  co  -  si  1'a-nioia  mia  seu'  va  gridan-do  ver  te  di  le  bra-mo-sa  e-terno  Di 


  265   


Überall  alfo,  wir  wieberbolen  e3,  wo  ein  colBmäfjigeS  geijilid)e3  Sieb  als  ftrdjlidjer  ©efang  ber 
©emetne  fid)  auSbilbete,  gejtaltete  fid)  ber  <5rt)l  feiner  SJMobte  au§  ber  SSerfcbmeljung  gleicher  33efianb= 
fyeik,  bie  jeber*,eit  al3  lebenbig  SMlbenbeS  erfennbar  bleiben;  aller  fonftigen  SS  er  f d?  t  eb  ert  t)  ei  ten  ungeachtet, 
bie  burd)  ©pradje,  Sitte  tmb  befonbere  Neigung  ober  Abneigung  f)erbeigefüf)rt  werben,  wie  fte  bie  eigen* 
tbümiiebe  SSolfS  =  unb  StammeSart  begrünbet.  T>a$  bie  ©ingweifen  ber  italtenifd)en  ^Pfalmen  je  Aufgaben 
für  bie  Äunft  beS  Sonfai^eS  gewefen,  tyabe  id)  ntd)t  ftnben  rönnen,  eS  tft  aud)  nid)t  glaublid),  ba  eoange* 
ltfctj>e  ©emeinen  in  Italien  ju  feiner  Seit  unter  folgen  SSerljaltniffen  lebten,  weld)e  bie  (Sntwicflung  einer 
eigentümlichen  fird)lid)en  Äunft  in  tfyrer  SJlitte  l)ätte  befbrbern,  ja  nur  überall  julaffen  fonnen.  "iln  einer 
lebenbigen  S5erüf;rung  ifjreS  Äird)engefangeS  mit  bem  beutfcfyen  fjat  e§  aber  gemangelt,  fo  bafi  alfo  aud) 
mittelbar  nid)t  bie  .Eunft  beS  <3e£er3  ft'd?  an  jenem  »erfucfyen,  ifyn  burd)  f)armonifd)e  Entfaltung  beleben 
fonnte. 


£>er  £ird)engefang  ber  bof;mtfcf)  -  mäbrifd)en  SSrüber  tfi  in  feinen  Siebern  unb  SDMobieen  eine  fo 
merfwürbige  (5rfd)einung,  baß  er  aud)  für  fid)  genommen,  eine  felbftanbige  gorfdbung  unb  umfaffenbe 
Bearbeitung  oerbiente.  (Sine  foldje  barf  man  jebod)  t)kx  nid)t  erwarten*,  fte  mürbe,  jumaf)l  bei  feinem  nur 
befdjränften  dinfluffe  auf  ben  lutl)erifd)en  £trd)engefang,  ba3  redete  §3erl)ältnifi  unferer  £)arjtellung  auf* 
beben.  2Bir  laffen  für  unferen  3mecf  unö  baran  genügen,  nadb  einer  flüd)tigen  2tnbeutung  ber  früheren 
©d)idfale  ber  ©emeinen,  in  beren  ©d)oof?e  jene  f*eiligen  Sieber  unb  SSSeifen  entftanben,  bie  Sutellen  ber= 
felben,  foweit  fte  un3  oorliegen,  ju  prüfen,  unb  ju  unterfu eben,  wie  eiel  baüon,  unb  in  welchem  ©tnne, 
in  bie  eüangeltfd)e  Äird)e  übergegangen  ijt,  unb  weld)en  Einfluß  eä  gehabt  bat  auf  bie  fird)lid)e  SonfunfL 

SDZan  miü  in  336bmen  un0  9Räb,ren  fd)on  feit  bem  Ilten 3abrl)unberte Spuren  einzelner  ©emeinen 
wahrnehmen,  bie,  an  bem  ©ebraudje  ber  Sanbeeifpradbe  bei  bem  ©ottesbienfte  b<mgenb,  bierin,  aud)  wof)l 
in  anberen  ©egenftänben  Fird)lid)er  Sebre  unb  3ud)t,  t?on  ber  ©emeinfebaft  ber  römifeben  Äirdbe  fid)  abfon< 
berten.  @ie  foltert  gewalttätigen  2Cnfeinbungen  bebarrlid)  miberfranben  unb  im  folgenben  Sab^bunberte 
burd)  eingewanberte  SEBalbenfer  fid)  gemebrt  l)aben.  %vA  ibnen,  im  herein  mit  ben  Anhängern  be§  Sobann 
£uß,  mag  bie  größere  Äird)engemeinfd)aft  entftanben  fepn,  bie  feitbem  mit  bem  tarnen  ber  vereinten 
SSrüber  bezeichnet  wirb,  ©ie  hatte  im  Saufe  be§  löten  SabrbunbertS,  bis  tief  binein  in  baS  16te,  wieber* 
bolte  fd)roere  Anfechtungen  unb  Verfolgungen  ju  erbulben,  wud)§  aber  bennod)  an  Umfang,  unb  erjmang 


SSMoMe  beö  125ften  spfatmS. 


2)er  ,ftircf>engefang  ber  bör;mtfc^  =  ind^rifd;en  23riVDer. 


Quei  ch'haDoo  nel  sig-oor  vi-va   spe-ranza         e    fer-ina  coa -fi  -  dao  -  za 


sod  come  il    sacro  mon-te 


i 


di  Si  -  o  -  oe  che  nou  fa  mu -  ta -  zio -  ne  cd  ha  per  -  pc  -  tua  staD  -  za. 
s.  SBraterfelc,  ker  ecanget.  CS^oralgtfang. 


34 


  266   


burd)  Feinheit  beS  SBanbelS,  fo  wie  ©trenge  ber  Äirc^enjuc^t,  felbft  ber  ©egner  Achtung,  ©djon  lange 
hatten  bie  ©rüber  gemünfd)t,  bem  ©efenntniffe  cincS  cfyriftltcfyen  33olfeS  beijutreten,  baS  mit  ihnen  im 
2Befentttd>en  eineä  ©inncS  fc»,  um  baburd)  ©lieber  einer  größeren  Äircfyengemeinfcrjaft  ju  werben;  fie 
hatten  immer  vergebens  ber  (Erfüllung  biefeS  2Bunfd>eS  entgegengefchen.  £>te  9cad)rid}t  von  ben  fachlichen 
Bewegungen  in  Deurfdjlanb,  von  ber  unternommenen  Äirchcnverbefferung,  erfüllte  fte  mit  großer  greube; 
fte  glaubten  nun  erreidjt  ju  haben,  wonach  fte  ftd)  gefeint,  unb  orbneten  ©efanbte  ab  an  Cutter,  um  über 
eine  Bereinigung  ju  unterhanbeln.  3u  biefen  Abgeorbneten  foll  aud)  9DZid)ael  SBeiffe,  ein  geiftlid)er  Dichter, 
gebort  halben,  ber  in  ber  golge  ein  SBerfjeug  mürbe,  ben  beutfd)  =  evangelifchen,  unb  ben  bbhmifd)en  Äird)cn= 
gefang  einanber  näher  ju  bringen.  3n  SutherS  ©riefen  auS  ben  Sab,rcn  1522  unb  1523  wirb  ber  ©rüber 
-  bie  er  balb  $>icarben,  balb  Söalbenfer  nennt  — ■  unb  ihrer  ©otfdjaft  öfter  gebad)t.  (Er  hält  fte  für  red)t= 
gläubig  im  ©anjen,  ift  jebod)  im  (Einzelnen  oft  anberer  SDieinung  alS  fte.  (Er  belehrt  fte  burd)  ?)aul  von 
©»retten  über  bie  Anbetung  beS  #erm  m  AbenbrnabJ ;  er  tabelt  fte,  baß  fte  ftatt  ber  Sprache  ber  ©chrift 
fid)  bunfler,  verworrener  SvebenSarten  bebienen,  baß  fte  bie  Äinbertaufe  für  unnü^  galten,  unb  fte  bennod) 
erteilen,  baß  fie  ben  Äleinen  baS  Abenbmabl  reid)en,  baß  fte  fiebert  ©acramente  unb  bie  (Ebelofigfeit  ber 
••Priejrer  beibehalten;  er  jweifelt,  ob  tt)ve  Sebre  vom  ©lauben  unb  ben  Sßertcn  eine  gefunbe  few.  £)ennod) 
fagt  er  ftd)  nicht  loS  von  ihnen,  er  f>oft  in  ber  3utunft  befeitigt  ju  fetjen,  waS  er  nicht  verbamme,  aber 
boch  nid)t  billigen  tonne,  ermuntert  bie  ©ohmen  inSgemein  auf,  bei  bem  (Evangelium  ju  bleiben,  unb 
nicht  bem  rbmifeben  ©tubl  ftch  ju  unterwerfen. 

3m  3<d)ve  1535  fuebten  bie  ©ruber,  minbeftenS  tf>re  beutfeben  ©emeinen  ju  ßanbStron  unb  jur 
gullned,  gleid)  ben  ©enoffen  beS  AugSburgifcben  ©cfenntniffeS,  ju  rechtlicher  Anerkennung  im  9?etcbc  ju 
gelangen.  SamalS  überreichten  fte  bem  rbmifeben  Äönige  gerbinanb,  nach  bem  Vorgänge  jener,  ihr 
©laubenSbefenntniß,  unb  fpracben  barin  bie  fefte  3uverftcbt  auS,  baß,  waS  barin  verfaffet,  ©otteSSBortfen, 
unb  ber  rechte,  einige,  ervige  Berftanb  ber  heiligen,  allgemeinen  .Kirche,  von  ber  fie  nicht  abgefallen  fewen. 
grälier  fchon  hatten  fte  jenen  Michael  SBeiffe  aud)  beauftragt,  ihren  Äird)engefang  ju  orbnen.  (Er  unterjog 
fid)  biefer  Arbeit  mit  allem  gleiß,  nahm,  wie  er  felber  fagt,  ihr  attcö  ßantional  unb  baS  ber  bobmifeben 
©rüber  vor  ft'ch,  brachte  ben  ©inn  unb  Inhalt  ber  Sieber  biefeS  legten  nach  gewifT^/  J>etltger  ©chrift  in 
bcutfd)e  9?eimc,  unb  fuchte  Selben,  SBorte  unb  ©efä^e  (©trovben)  alfo  ju  fteüen,  baß  ein  jcglicheS  unter 
feinem  jugefebriebenen  5£on  fid)  fingen  laffe.  ©o  erfchien  „gebrudt  jum  jungen  ©un^cl  in  ©ehmen  burd) 
©eorgen  2Bwlmfd;roerer  3m  Sar  1531,  am  jm elften  Sag  beS  9Ker(|en  vollenbet,"  bie  erjle  ©ammlung 
verbeutfebter  ©efänge  ber  ©rüberfirche;  wie  Michael  SBeiffe  verftchert,  „©Ott  bem  Allmächtigen  unb  feiner 
Söafjrfjeit  ju  gob  unb  ^rei§,  (Such  (ben  ©rübergemetnen)  $u  Srojt,  unb  gemeiner  Ghvi^enheit  jur  Sebr, 
baß  männiglich  erfenne,  baß  eä  anberS,  benn  unfer  2Biberfad)er  fürgeben,  bei  un§  gervefen,  unb  noch 
iü  jener  3eit  be§  allgemach  erft  fid)  geftaltenben  beutfehen  evangelifchen  ÄirchengefangeS,  erregte  biefeS 
-  tlieberbud)  in  feiner  reichen  "ÄuSjtattung  —  eS  enthielt  136  Sieber  mit  111  beigebrudten  ©ingroeifen  — 
befonbere  "Mufmerffamfeit  in  £)eutfct)lanb.  ^an§  SSarnier,  ©ud)bruder  ju  Ulm  in  ©chmaben,  beforgte 
bavon  eine  neue  Ausgabe,  unter  bem  SSttel:  „ein  t>übfdb  neu  <5r>rijtenltcr;  ©efangbud),  barin  begriffen  bte 
Äirchenorbnung  unb  ©efeng,  fo  nicht  allarm  etrvan  jur  SanbSfron  unb  gullned  in  ©ehmen,  von  ber 
öhrijlenlichcn  ©rüberfchaft  ber©icarben,  fonber  pefcunb  auch  an  allen  orten,  ba  bie  warfst  Sefu  Qtyifti 
flar,  lauter  vnb  rain  verfünbigt  vnb  gevrebigt  wirb,  von  ben  ßhriftglaubigcn  gebraucht,  vnb  täglich  ©Ott 
tem  aUerhbchften  $U  Gl)rcn  gefungen  werben."    ©o  erfd)ten  eS  um  1538  unb  1539  in  feinem  Berlage : 


  267   


„bamit  man  aud)  felje  vnb  greife  enblid?  (Tagt  feine  SSorrebe),  wofür  man  nun  lange  3eit  t>te  guten  Seut  in 
S3ebem  gehalten,  wie  fälfcblich  fte  ber  Ääfcerenen  vnb  Aberglaubens  bejigt  (bejücbtiget). 

SSon  jeher  hatten  bie  S5ruber  einen  reinen,  erbaulichen  Jttrcbe«gefang  febr  hoch  gehalten.  2Me 
vomebmften  Artifcl  bes  cbriftlicben  ©laubens  von  ber  erworbenen  Seeligfeit  burcb  ßbriftum,  füllten  (ihrer 
Überzeugung  nach)  barin  beutlicb  begriffen  unb  in  Steinte  gefafjt  fepn,  baf?  man  fte  nach  ©elegenbeit  ber 
3ab,rjeit  unb  (Srforberung  bei  ©egenffanbes  fingen,  bie  Sugenb  mit  ber  fdjcmen,  lieblichen  9DJuftca  ober 
füfjem  ©efänge  baju  reijen,  unb  gewöhnen,  ihr  biefelben  in  bas  ^)erj  einbilben  möge,  bamit  fte  von  bcn 
unnützen,  fcbäblicben  SBeltliebern  abgeführt  werbe.  £)enn  leichter  werbe  gefaffet  unb  im  ©ebacbtnifj 
behalten,  wa3  alfo  in  9?eimen  ober  ©efangweis  begriffen  fet).  £)ocb  wirb  ber  Sbcil  ihres  Äircbengefanges, 
ben  fte  nicht  aus  alteren  Siebern  gefcbbpft,  faum  früheren  Urfprungs  fenn,  al§  au§  ber  legten  £älfte  bes 
15ten  ^ahrbunberts.  2Bir  bürfett  tiefes  aus  traten  eigenen  Berichten  barüber  fcbliejjen.  Sn  ber  fpäteren  3u- 
fchrift  an  jlaifer  ÜJJartmiltan  ben  ^weiten,  mit  ber  fie  ihm  ihr  Äircbengefangbucb  überreichten,  unb 
aus  ber  wir  auch,  bas  fo  eben  über  ihre  Verehrung  geiftlicben  ©efanges  Angeführte  entlehnten,  fpreeben  fte 
barüber  ftcb  beutlich  au$.  9cad)bem  fte  bort  ber  treflicr/en,  glaubreichen  Sieber  bes  alten  Seftaments  er= 
wähnt,  fahren  fie  fort:  ,,barnach  haben  auch  etliche  fromme  ßhriften  aus  ben  alten  Sebrern  fchöne  geiftliche 
Steter  gebichtet  in  ihren  Sprachen :  welche  unfere  SBäter,  nachdem  ihnen  ©Ott  fein  Sicht  aus  ber  ginfternijj 
hat  fcheinen  laffen,  in  bie  bbhtnif che  Sprache  gebradrt  haben;  baneben  auch  felbö  viel  tröftliche  ©efänge 
auff  alle  geft  burd)S  ganje  3abr,  ^on  allen  Artifeln  be»  cbrijtlicben  ©laubens  gemacht,  welche  in  ben 
Äirchenoerfammlungen  nunmehr  über  bie  hunbert  Saht  nicht  ohne  gruebt  ju  ©ortes  Crbren  gefungen 
morben."  SSJcit  ber  beutfehen  Übertragung  ihrer  Sieber  burcb,  9)ftd)ael  SBeiffe  waren  fte  jebod)  nicht  gan, 
einverfianben.  3war  f erfiebert  biefer  auSbrüdlicb  in  ber  Sorrebe  feines  ßantionals  von  1531,  bie  barin 
enthaltenen  ©efänge  fernen  ,,nad)  fleißigem  überfehen,  corrigiren  unb  beffern  von  ben  älteften  Brübent,  in 
Srud  gegeben,"  fo  bafj  man  baraus  auf  beren  Billigung  fd)lief3en  mufj.  Als  ftneboeb,  in  £eutfd)lanb 
burch  Garniere  Abbrud  ftch  mehr  verbreiteten,  als  man  fte  genauer  prüfte,  wcju  bie  eben  bamals  verbreite; 
ten  mattnid)facbcn  ^n'lebren,  bie  baraus  erwachfenen  bebenflicbcn  Aufregungen  unb  Spaltungen,  bringenb 
aufforberten,  vielleicht  aud)  wohl  ber  nod)  nidit  ganj  unterbrüefte  üble  Stuf  bei  Brüber,  fanb  man  in  ben 
Abenbmablsliebcm  Austrüde,  bie  von  bem  reinen  Augsburgifd)en  ©laubensbefennrniffe  abweichenb  erfcbie= 
nen.  (5s  erhoben  ftch  Stimmen  bagegen,  unb  wären  es  nur  einzelne  gewefen,  fte  mufjten  bie  Aufmerffamfeit 
ber  Altcften  ber  Brüter  erregen,  weil  bas  Befielen  ihrer  Äirche  burd)  ben  Sd)cin  einer  folchen  Abweichung 
gefäbrbet  werben  fonnte.  So,  ju  erneuter  Prüfung  bringenb  aufgeforbert,  nahm  Johann  Spoxn,  einer 
biefer  Älteften,  jenes  ßanttonal  bes  9)Zid)ael  2Beiffe,  ihres  9)titbrubers,  in  bie  Sganb,  unb  entbedte  ju  feinem 
Befremben,  tap*  ber  Sichter  ohne  SSormiffen  unb  Billigung  ber  ©emeinbevorfteber  eigene  ©efänge,  jumahl 
vom  Abenbmal)l  beS  £errn,  unter  bie  übrigen  gemengt,  unb  in  biefer.  eine  irrgläubige  Üebre  vorgetragen 
hatte.  ©r  machte  jenen  bavon  Anzeige,  fie  erfchrafen  barüber,  ftraften  bcn  Sid^ter  ernftltcb ,  unb  rebeten 
ilmt  hart  ju,  hielten  ihn  auch  taju  feinen  gehler  gut  ju  machen.  @r  nahm  tiefe  Stüge  von  ihnen  willig 
auf,  verfprad)  feine  SSerftbfje  ju  beffern,  fing  auch  bamit  wirflid)  an,  würbe  iebod},  ehe  er  ju  @nbe 
Eommen  fonnte,  auS  bem  Sehen  abgerufen;  nach  ter  gewöhnlichen  Angabe  um  1540.  grüber  als  in 
biefem  %abxe  fann  baber  aud)  wohl  bas  erfte,  anerfannte  Äirchengefangbuch  ber  JBrüber  faum  erfebienen 
fepn,  bas  von  3oh<"in  Sporn  nach  bem  Sobe  bes  SfJctdjaet  SBeiffe  herausgegeben  würbe.  @s  ifi  mit  feiner 
Sabrjabl  verfehen,  unb  führt  ben  Äitel:  ,,@in  ©efangbuch  ber  SSrüber  in  S5ehemen  unb  Berbern,  bie  man 

34* 


  268   


auS  Sr>a$  unb  9teib  ^tf^avben,  2MbenfeS  nennt.  S3on  tfjnen  auf  ein  neweS  (fonberlid)  com  ©atrament 
beS  SRad)tmat)lS)  gebelfert,  unb  etliche  fd)6ne  newe  ©efeng  bjnjugetfyan."  DiefeS  33üd)lein  fct^etnt  grofjen 
Eingang  gefunben  ju  Ijabm;  wir  ftnben  baoon  niedre  2£bbrüde  btS'jum  Anfange  beS  folgenben  3af)r= 
bunbcrtS.  Dennod)  wirb  eS  ben  SSrübcrn  nid)t  genügt  f)abcn,  bie  falfdje  SJieinung  ju  entfräften,  bie 
man  burch  bie  ©d)ulb  beS  fonft  alä  £)id)ter  b)od)gead)teten  SBciffe  über  if>re  9fed)tgläubigfeit  burd)  beffen 
frühere  Sammlung  bätte  faffen  fönnen.  ©ie  übergaben  beSbalb  um  1564  bem  Äaifer  93tarimilian  bem 
3weiten  bei  feiner  S£l)ronbefictgung  abermals  il)r  ©laubenSbefenntnif},  als  einem  „twn  bem  bie  ganje 
.Rird)e  senge,  unb  mit  einem  SKunbe  befenne,  bafi  er  berfelben  einer  fetj,  burd)  weld)e  ©ort  ben  treuen 
girren  unb  SMjrern,  fo  er  felbS  erwedet,  bie  £f)ür  ju  notbwenbiger  cfyrifilicfyer  Erneuerung  gnäbiglid)  auf= 
tfyun  wolle;"  fie  beriefen  fid)  auf  il)re  Übcrcinftimmung  mit  bem  23efenntniffe  ber  *Proteftirenben ;  ft'e  fpra= 
d)cn  tt>vc  ©emifibeit  auS:  „baf?  3cfuS  6t)riftuS  felbS  an  jenem  Sage,  ba  er  alle  SBelt  richten  werbe,  ju 
biefer  2ef)re,  als  ju  feinem  eigenen  ewigen  SBort  fid)  öffentlid)  benennen  werbe."  Sroei  ^arjre  fpäter,  um 
1566  überreichten  fie  ifym  nun  aud)  ein  üoUjidnbtgcS  ©cfangbud),  unter  bem  Äitel :  „Äirdjengefeng,  bar= 
innen  bie  4?cubtartifct  beS  ßbriftlicrjen  ©laubenS  furl^  gefaffet  unb  ausgeleget  ftnb ;  ifet  von  neroem  burd)= 
feben,  gemebret,  unb  ber  Sib.  Mcu  SOiajeftät  in  untcrrf)änigfier  iDemutl)  jugefdjriebcn."  ©ie  bitten  in 
ber  3ueignung  ben  .Kaifer,  roie  jueor  tfyr  ©laubenSbefcnntnif,  fo  aud)  je^t  ben  Äircfycngefang,  mit  ©na= 
ben  erfennen,  juni  allerbeften  aufnehmen,  unb  fie  als  wafyre  ©liebmaafien  ber  rechten  £ird)e  fd}ü^en  unb 
fdjirmen  ju  wollen  ;  ibjen  ÜJEifjgonnem  aber,  bie  if)re  Ätrd)enlel)re  läfterten ,  unb  fie  balb  für  biefe,  balb 
jene  ©efte  ausgäben,  feinen  ©lauben  ju  fd)enfen.  3»  bem  33ud)e  felbft  wirb  bie  ©cfyriftmafjigfeit  jebeS 
einjclnen  SiebcS,  faft  bei  jeber  ©tropfje,  bei  üielen  aber  mef)rmaf)l,  burd)  ©teilen  ber  S3ibel  nadjgemiefen, 
bie  an  bem9?anbe  »ermerft  finb.  ©laubenSbefennrnifj  wieÄird)engefang  follten  fo,  als  auS  ber  eckten  Öuelle 
ber  Offenbarung  gefd)bpft,  fid)  bewähren. 

DiefeS  merfwürbige  33ud) ,  baS  feit  feinem  erften  (5rfd)einen  (wal)rfd)einlid)  ju  Dürnberg,  weld)e 
©tabt  in  fpäteren  Ausgaben  als  Drudort  genannt  wirb)  bis  in  baS  erfte  SSiertel  beS  folgenben  3al)rl)unbertS 
binein,  mehrmals  wieber  aufgelegt  worben,  ift  für  ßieber  unb  SBeifen  beS  Äird)engcfangeS  ber  S3rüber  bie 
£auptquelle.  ©S  ifi  in  jmei  4?auptabfd)nitte  geseilt,  beren  elfter  ben  urfprüngtid)en  heiligen  ©efang  ber 
SSrüber,  meift  auS  bem  S3bbmifd)en  in  baS  £>eutfd)e  übertragen,  enthält,  unb  in  jwei  Unterabteilungen 
jcrfällt.  SSon  biefen  begreift  bie  frühere  bie  geftgefänge,  bie  fyätere  bie  2el)rlieber.  ©er  anbere  .Ipaupt-- 
abfd)nitt  ftellt  eine  3feit)c  beutfd)er,  feit  ber  Äirchetwerbefferung  auS  bem  eoangelifeben  ßl)oralgefange  ent= 
lebntcr  älterer  unb  neuerer  lieber  jufammen,  unter  bem  Sitel:  ,,©eifilid)e  2iebcr,  bereu  etlid)c  von  "tflterS 
ber  in  ber  Äird)en  eintred)tiglid)  gebraud)t,  unb  etliche  ju  unfer  jeit  oon  crleud)tetcn,  frommen  ßf)rijten  unb 
gottfeligen  ßerem  new  jugerid)t  finb,  nad)  orbnung  ber  jarjeit."  Den  meiften  biefer  Sieber  ftnb  il)re  ©ing= 
weifen  beigejeid)net,  unb  fofern  biefe  legten  urfprünglid)  auS  latcinifd)cm  (5l)oralgefange  entlehnt  finb, 
finben  wir  jeberjeit  bie  'ÄnfangSworte  ber  ©efdnge  angeführt,  ju  benen  fie  gehörten.  (Sine  dbnlidje  £iuellen= 
angäbe  treffen  wir  aud)  in  ben  beiben  Unterabteilungen  beS  erjlen  ^>auptabfd)nitteS  unfereS  2ieberbud)eS. 
GS  ift  nun  unfere  2lbfid)t,  auS  bem  9?eid)tl)ume  »on  ©ingweifen,  weld)e  baffclbe  unS  bietet,  biejenigen 
auS^ufonbern,  bie  in  ber  £eimatb  b«  SSrüber  urfyrünglid)  entftanben,  unb  nid)t  etwa  nur  burd)  fie  ent= 
lefjnt  finb  5  unter  biefen  aber  bie  von  ber  lutbcrifd)en  Äird)e  l)inübergenommenen  aufjufinben.  ^)aben  wir 
bann  an  ber  ©cfammtl)eit  jener  erften  geprüft,  wiefern  in  Tonart  unb  melobifd)en  SäJcnbungen  ficßtwaS, 
ibnen,  alfo  aud)  bem  Siolfe,  unter  bem  wir  fie  entftanben  glauben,  Cngent()ümlid)eS  barftellen,  fo  wollen 


  269   


wir  baffelbe  bei  biefen  anbem  wieberum  auffüllen ,  unb  genauer  betrachten,  um  auf  btefem  2Bege  ju  er= 
forfd)en,  ob  trgenb  ein  bebeutenber  (Sinfluß  ausgegangen  fep  »on  bem  heiligen  ©efange  ber  SSrüber 
auf  ben  ber  £utberifcben. 

3n  ber  früheren  Unterabtf)eilung  be§  erften  £auptabfcbmtteS  t>on  bem  S3rübergefangbucbe  »on 
150G  haben  nun  bie  aus>  altem  latetntfchen  Sboral  gefcböpften  93Mobieen  bas>  Übergewicht.  3u  äSermeibung 
jebe§  9Jiifwerjranbe§  ijr  ju  bemerfen,  baß  hier  t>on  ben  ©efängen  allein  bie  9?ebe  ifi,  bercn  2Beifen  rbptb* 
mifcb  finb,  einem  bejiimmten  ©tropbenbau  ft'cb  anfcbließen,  unb  bie  SSeftimmung  haben,  von  ber  ganzen 
©emeine  gefungen  ju  werben.  Denn  auch  SntroituS,  ©equenjen  u.  f.  ro.  im  SEone  be§  alten  rbmtfcben 
■ÄircbengefangeS  finb  hier  aufgenommen,  bie  nur  ber  ©eijrticfyeüorjutragen  bat,  ber  ben©otteSbienjr  hält,  unb 
berennäbereSetracbtungunferem3mede  hier  fremb  ijr.  Sie  SEftelobieen  ber  erften  Unterabtheilung,  in  biefem 
©inne  gefaßt,  ftnb  alfo,  ber  9Kebr$abl  nach,  <*u3  lateinifcbem  alten  fjetttgen  ©efange  entlehnt.  @§  finb 
beren  57  unter  einer  3abl  »on  86gen;  13  won  ihnen  hat  auch  bie  eoangelifch  -lutherifcbe  .Kirche  fcbon  frühe 
ftd)  angeeignet,  mit  ben  ffirübern  alfo  au§  gemeinfamer  Quelle  gefcböpft.  3wei  biefer  9Jlelobieen  — 
bie  ber  SßeibnacbtSfequenj  Grales  nunc  omnes ,  unb  bes>  2iebe§  Ave  Hierarchia.  nach  benen  Michael 
2Beiffe  feinen  treflichen  2Betbnad)t3gefang :  ,,£obet  ©Ott  o  lieben  ßbriften"  bicbtete,  unb  fein 
2(bt>ent»lteb :  ,,  SEften  f  cbenf  tnb  merf  eben  ma§  ba  f et>  bein  ßeben"  —  bähen  auch  biefe 
ihre  Siebet-  mit  hinübergezogen  in  bie  lutberifcbe  -Kirche.  Sennocb  haben  mir  bei  ihnen  hier  nicht  ju 
Derweilen,  wo  un§  nur  bie  ©ingweifen  bbbmifcben  Urfprungeö  befd)äftigen.  Unter  ben  übrigen  neun  unb 
jroanjig  SBeifen  ft'nb  beren  jmei,  bie  ju  alten,  beutfchen  Äircbenlicbem  gehören;  ju  bem  SDfterliebe: 
S t> r tfl  ift  erjtanben,  unb  bem  $>fmgjigefange:  Äomm  heiliger  ©eift,  £erre  ©Ott.  ©ie 
erfcheinen  aber  hier  mit  anberen  Dichtungen :  bie  erfte  ÜJielobie  ju  einem  Siebe  ähnlichen  Snbaltö  : 
(SJjrtftuä  ijl  erfianben,  won  be3  SobeS  SSanben, 
be§  freuet  ftd)  ber  ßngel  ©chaar,  unb  fingt  im  Gimmel  immerbar 
^aüeluja ! 

fo  auch  bie  jweite 

£)  heiliger  ©eift,  £erre  ©Ott 

33efucb  aü'  Snrenben  mit  beiner  ©nab', 

9?icht  ihr'  ^)erjen  an  mit  beinern  ©efefc 

Unb  jeucb  fte  mit  beiner  ßebr  au3  be§  SEeufelS  9le<3, 

SEreib  fte  bem  £irten  ßbrtjto  ju 

S5et  welchem  fte  ft'nben  Srojr,  SBeib'  unb  3?ub, 

©eborcbenb  ihm  in  allen  Singen 

2CU$eit  mit  reinem  ^>erjen  fröhlich  mögen  fingen, 

•£>aüeluja ! 

£ienad)  bleiben  un3  fiebert  unb  jmanjig  ©ingweifen,  oon  benen  mir  üorauSfefccn,  baß  fte  bbb= 
mifd)e  fepen;  freilief)  nur  be^halb,  meit  fie  weber  au§  bem  älteren  tateinifeben,  nod)  beutfchen  jtirebem 
gefange  hergeleitet  merben  tonnen.  Siefe,  für  ftch  genommen,  nur  febwaeb  begrünbete  Annahme  ben!en 
mir  inbeß  fpäter  burch  innere  ©rünbe  noch  beffer  ju  unterjlü^en.  SSon  biefen  99Mobteen  erregen  jwei  unfere 
'tfufmerffamfeit.  Sie  eine  fanben  mir  am  früheren  bem  ^falmliebe  SutberS:  @3  woll  unö  ©ott 
genäbig  fepn,  vereint;  fpäter  tfi:  fie  feinem  ÄatecbtSmuSltebe  angeeignet,  nach  welchem  fte  gewöhnlich 


  270   


genannt  wirb :  „Gljrijl  unfcr  Qecx  jum  ^orban  f  am,"  wäbjenb  jenes  erfle  bie  SSJlelobie  erhielt, 
bie  ihm  feitbcm  ftetS  geblieben  ijl.  ©ie  erfdjeint  hier,  mit  geringen  Abweichungen,  ju  einem  Siebe  ton  bem 
SBanbel  dbnfii: 

Sin  neue  35al)n  tpir  alle  b,a'n 

3u  bem  ewigen  Sehen, 

Senn  ©ortcS  ©ohn  vom  höd)jlen  Zt)Xon 

Serfelb'  ijl  ber  2Beg  eben, 

Sen  foll'n  wir  gern  crfennen  lern 

Unb  ja  trewlid)  nachwanbeln, 

Aber  jurücf  unfer  bo§  3M 

(Sntlernen  unb  t>erwanbeln. 

3Bie  nun  biefeS  Sieb  um  eine  3eile  fürjer  ijl  al§  bie  betben  fo  eben  genannten,  ihm  fonft  im 
©troph^bau  übereinfommenben,  fo  fehlt  aud)  feiner  SJJelobie  bie  le^te  Seile,  bie  nad)  ihrem  regelmäßigen, 
borifchen  SEonfd)luffe  ftd)  bem  '#olifd)en  juwenbet.  Stefe  ijl  alfo  entweber  einßufa^  Süthen?  für  feine  beiben 
Steber,  ober  fte  mag  bon  ben  35 rübern,  eben  ihrer  Unregclmägigfeit  wegen,  »erworfen  werben  fepn,  ju= 
mahl  fte  berfelben  für  ihr  Sieb  nid)t  beburften.  Zm  glaubltd)flen  ijl  ba§  Se^ste,  unb  baß  alfo  35eibe,  ßutljer 
wie  bie  35rüber,  aus>  berfelben  älteren  Quelle  fchopften,  wal)rfd)einlid)  bem  SSolfeigefange.  Senn  um  1525 
wo  wir  unferer  9Jlelobie  in  2Batter§  ©efangbud)e  jum  erjlen  9Kal)le  begegnen,  unb  wo  9Jiid)ael  Söeiffe  feine 
beutfd)e  Übertragung  einiger  SSrübergefänge  nod)  ntd)t  herausgegeben  hatte,  fonnte  Suther  faum  beranlaßt, 
nod)  im  ©tanbe  ferm,  eine  ihrer  ©ingweifen  für  fein  ^Pfalmlieb  ju  wählen;  bie  ton  il)m  angewenbete  fam 
ihm  wol}l  t>on  einem  anbeten  ©ebiete  her,  bem  aud)  bie  85rüber  fte  fd)on  früher  entlehnt  hatten.  —  Sie 
jweite  SKelobie  ijt  bie  be3  2luferjlel)ung3ltebe3 : 

3efu§  6£>rtflu§  unfer  £err  unb  ^eilanb, 

Der  für  un§  ben  bittern  Sob  überwanb, 

Ser  ijl  üon  bem  £ob 

'tfuferjlanben,  ein  gewaltiger  ©Ott ! 
£ter  fommt  fte  t>or  ju  einem  $)affion$liebe: 

Zd)  wie  groß  ijt  ©otteS  ©üt  unb  SBohlthat, 

Sie  er  un£  auö  lauter  Sieb  erjeigt  hat, 

Surd)  6l)rifium  feinen  ©ol)n, 

Sen  er  hat  gefanbt  »om  himmlifd)en  5£l)ron ! 
3ene6  erfle  Sieb,  bief er  SJletobie  gefeilt,  ijl  wor  bem  %at)ve  1584  (in  bem,  »on  @ud}artu§  3inf= 
eifert  bei  ©igmunb  geperabenb  ju  granffurtl)  am  SJlarm  herausgegebenen  ©efangbudje)  mir  nid)t  oorgefom= 
men :  mit  einer  fremben  ©ingweife  ftnbet  e§  ftd)  17  %aV)TC  jtiüor,  in  SetfenrritS  ©efangbud)e  (351.  126)  um 
L567.  Sas  SSrübergefangbud)  erfd)etnt  alfo  al§  bie  früf)efte  Quelle  für  unfere  SJZelobte,  unb  fte  fbnnte  in 
ber  ^olge  ton  bem  bort  aufgenommenen  Siebe  entlehnt  fepn,  wie  fte  benn,  fpäter  nod),  als»  jweite  ©ing^ 
weife  für  ©imon  Sad)s>  Sieb  angewenbet  worben  ijt:  „£)  wie  feiig  fet?b  il)r  bod),  o  frommen*)." 

')    ©.  aud)  S3ad)*  ßdoralgefängc.    Ceipjig,  1786.    St).  III.  p.  127.  9tro.  219. 


  271   


@tn  ganj  uerfcbiebeneS  SSerfjaltmj?  be§  UrfprungS  ber  aufgenommenen  SJlelobicen  finbet  ftcb  in  ber 
2ten  Unterabteilung  be§  erften  £auptabfcb;nitte3  unfever  Äircfyengefänge.  #ter  bilben  bie  oorauSfefjslicb 
bbbmifcfyen  ©efänge  bei  weitem  bie  SDßebjrjaf)!.  (§3  ftnb  nämlicb  tjiex  im  ©anjen  ber  rbctbmifcben,  für 
ben  ©efang  ber  ©emeine  beflimmten  SKelobieen  148;  unter  ifmen  ftnb  30  au3  lateinifd)em  Qfyoxd  entlehnt, 
oon  benen  üier  aueb.  bie  lutberifcbeÄircbe  ft'cb  angeeignet  bat;  fünf  ftnb  beutfcbenUrfprungö,  üier  berfelben  oon 
älteren  g eifllidt) en  Biebern,  eine  von  einem  weltlichen  erborgt;  bie  übrigen  galten  roir  bbbmifcben 
Urfprungä,  mit2lugnal)me  »on  berenneun,  über  bie  roir,  eben  roie  über  jene  fünf,  noch,  befonbere  SJccbenfcbaft 
ablegen  roerben.  25a§  aber  barf  un3  nicfyt  irren,  bafi  einige  ber  9Jielobieen,  bie  roir  al§  bor)mifd)e  bezeichnen, 
mit  ben  ^nfangöroorten  lateinifcfyer  Pfannen  nad)  ber  SSulgata  übertrieben  ftnb.  £)er  3nbalt  ibrer  gteber 
geigt,  baß  biefe  nacb  ^falmen  gebietet  roorben,  unb  bie  Überfcbrift  beutet  baber  nid)t  bie  Quelle  ber  ©ing= 
roeifen  an,  fonbem  be§  ©egenftanbcs»  ber  Bieber  felbft.  — 

Sene  fünf  ©ingroeifen  alteren  beutfcfyen  UrfprungS  erfreuten  jum  grbfjeflen  Sbeile  in  SDlicbael 
2Beiffe'§  ©ingebucbe  »on  1531.  ©o  jundcbft  bie  SÜBeife  beS  alten  beutfcfyen  SBallfabrtliebeö :  „3n  ©ottee 
tarnen  fallen  roir,"  roeldje  Sutber  auf  fein  ÄatecbtämuSlieb  „Sieg  ftnb  bie  Ijeil'gen  §et)n  ©ebot"  übertrug, 
©ie  ijt  bter  für  ein  Sieb  gleiten  Anfanges,  unb  äljnlicfjen  2>nf)alt§  oorgefcbjieben : 

Sieg  ftnb  bie  beil'gen  jebn  ©ebot, 

2Bie  fte  unö  ©ott  »erflaret  bat, 

Surcb  SSKofen  unb  fein'  lieben  ©obn, 

©cfyaro  Genfer;,  bafü  bu  banacb  roirjl  tb,un. 
@6  feblt  ibr  jeboeb,  ba$  „ÄtnieleiS"  am  ©cbjuffe  ber  <Stro^r)en,  unb  beSbalb  aueb,  ber  borifebe  Entlang 
(bureb.  bie  fleine  Serj)  am  ©ebluffe  ber  werten  3etle;  rote  benn  aud)  bie  jroeite  3eile  nicfyt  in  bie  £>berquarte 
(Unterbominante)  ausSroeicfyt,  fonbem  in  ben  ©runbton  jurücffebrt. 

25ie  jroeite  tiefer  ©ingroeifen  ijl  bie  beS  alten  9Diarienliebe$> :  ,,9Karia  jart,  oon  ebler  %xt."  ©te 
erfebeint  tjier  mit  einer  Umbicbtung  beffelben 

£)  Sefu  gart,  in  neuer  %xt 

(Empfangen  unb  geboren, 

Su  baft  unS  alles  roiberfart  (roiebergebradbt) 

SÜBaö  Wcam  fyatf  »erloren 

3m  ^arabieS,  ba  er  oerlteS 

©otteä  SSunb  unb  ©efefce, 

giel  in  be§  SeufelS  Stelle, 

©arau§  ber  Zoe  unb  alle  9tot 

83ber  in  fam  unb  frafft  geroann, 

(Srbet  auf  feine  Äinber,  , 

Saüon  nu  roir  teglicb,  für  bir 

Un§  nur  beftnben  ©ünber. 
Seneö  ältere  Sieb  unb  feine  SBeife  fanben  roir  auch,  im  glamlänbifeben;  SSeibeö  fann  nun  roobl 
ben  S3bbmen  eben  fo  gemeinfcfyaftlicf)  geroefen  fenn,  melletdjt  nur  ben  beutfebrebenben  (Sinroobnern  beS  iaw 
be§,  unb  oon  biefen  fobann  auf  ben  eigentlich,  eingebornen  «Stamm  unter  ben  SSrübern  übertragen. 


Die  Dritte  jener  geiftlicben  SJMobieen  tft  bie  be§  bekannten  ©efangeS :  ,,9Kitten  roir  imgeben 
ftnb. "   2Bir  ftnben  fte  biet  mit  folgenbem  Siebe : 

SEBtr  maren  in  großem  ßeib, 
3n  Ubam  aW  gejtorben, 
2Ber  hat  un3  bie  ©eligfeit 
S5ei  ©Ott  roieber  erworben? 
GhriftuS  nur  alleine 
Der  ftcb  bie  geopfert  hat 
Sur  TlbamZ  ©ünb'  in  ben  SSob! 
^eiliger  Sperre  ©ort,  ^»eiliger  ftarfer  ©ort,  «^eiliger  barmherjiger  SBater, 
Du  eroiger  ©Ott, 
Danf  fen.  bir  gefaget, 
Das?  bu  au3  lauter  ©nab 
Sur  un§  bie  beinen  ©on 
baft  laffen  SBuffe  thun, 
Unb  unö  roieberftatten 
Die  »erlerne  Äron. 

Der  verlängerte  ©cbluß  be3  ßiebeS  bat,  roie  erflärlid),  auch  einen  abroeicbcnben  ©cbluß  ber 
©ingroeife  jur  golge  gehabt,  obgleich  fte  bte>  ju  ben  legten  fünf  Sailen  mit  ber  be3  alten  beutfcben  ßiebeS 
obllig  übereinfhmmt,  beffen  ganjem  35aue,  foroeit  er  burcb  ben  Inhalt  bebingt  wirb,  ej>  aud)  an  33ejiebun= 
gen  ju  bem  fjter  mitgeteilten  nicht  fehlt. 

Sfllen  biefen  ©ingweifen,  nur  bie  erfre  aufgenommen,  iff  bie  2tnfangöjeile  ihrer  urfprunglicben 
ßieber  in  Söeiffe'S  ßantional  »orangeftellt,  unb  ba  roir  fie  als»  ältere,  fcbon  üor  ßutber  gebräuchliche  rennen, 
bürfen  roir  au3  biefer  SSejugnabme  fcbließen,  baß  fte  bei  Verausgabe  btefeö  33ucbes>  ben  Siebern  entlehnt 
roorben,  benen  man  fie  um  bie  Seit  ber  Äird)em>erbef[erung  aneignete.  @in  »ierteö  ßieb  erfcbeint  erft  in 
bem  burcb  3obann  Sporn  gereinigten  ©efangbucbe  ber  S5rüber,  unb  auf  biefes?  ftnben  mir  bie  9J2elobie  beS 
S3olf3liebe3  angeroenbet:  „gntlaubt  ift  un§  ber  SBalbe,"  bie  im  lutbertfcben  Äircbengefange  ju  bem  SJlor* 
genltebe  »on  Äof)lroß  gebraucht  roirb:  ,,3cb  banf  bir  lieber  Sperre. "  SJlit  beffen  2uifang3jeile  bezeichnet 
j£>orn  biefeö ,  hier  folgenbe  ßieb : 

ßob'  ©ott  getroft  mit  ©ingen, 

grolod'  bu  d)riftlicbe  ©cbaar, 

Dir  fotl  nicht  mißgelingen, 

Denn  ©ott  hilft  bir  immerbar; 

Dbgleicb  bu  bie  mußt  tragen 

SSiel  2Biberroärtigfeit, 

9lod)  foltu  nicht  »erjagen, 

Denn  er  hilft  bir  au§  allem  ßeib. 
Die  ©nlbenbebnungen  ber  fücelobie  in  ber  2ten,  4ten  unb  legten  3eile  haben  bem  Dichter  biefeS 
ßtebeö  bie  Sr^'^eit  ©ergönnt,  »on  bem  ©tropbenbaue  bes>  urfprunglicben  abzuweichen,  bem  hienach  ber  beö 
feinigen  nicht  ganj  übereinftimmt,  obgleich  in  ber  ©ingroeife  felber  nichts  geänbert  ift. 


  273   

Die  fünfte  unferer  SBcifcn,  unb  unter  ihnen  bie  vierte  geiftlicben  Urfprungö,  ift  bie  bee>  tfbenb^ 
mablSliebeä  ,,©ott  fep  gelobet  unb  gebenebeiet."  9cacb  tf>r  foll  im  JBrübergefangbudbe  t>on  1566  ba§  fol= 
genbe,  bort  jum  erften  9Äa$I  erfebeinenbe  Sieb  gefungen  werben: 

©ort  woG'n  wir  leben,  ber  mit  eblen  ©aben 

Die  Jlircb  fein  Zeitig  <2tab  herrlich  erbaroet  bat: 

Durch,  fein''  ©eift  unb  SBort  an  eim  lieblichen  £rt 

3Cn  ben  febbnen  S5erg  3ion  auf  @brijtum  feinen  <Son. 

Da  fte  fein  SErübfal  »erleben  fann, 

Sonbern  weebft  unb  blühet  für  jeberman, 

(Scfybn  unb  gart  in  SBolfart, 

3n  lieb  unb  einigfeit, 

3u  jrer  ©eligfeit. 

©ie  ift  ganj  unoeränbert,  nur  bafj,  wie  ihrem  neuen  Siebe  bas>  jfyrieeletfon  am  ©cbluffe  ihrer 
beiben  2(bfcbnirte  fehlt,  ber  oon  biefem  fonft  eingenommene  Sbeil  ber  Strophe  nun  in  bie  Seifen  be§  Siebe» 
fclbft  mit  übergegangen  ift,  unb  ft'cb  weniger  »or  bem  Übrigen  auszeichnet,  ©ine  ^nbeutung  ber  Quelle 
woher  bie  SDtclobte  gefebbpft  fep,  fehlt  hier,  wie  überall  in  biefem  Soucbe,  wo  bie  entlehnten  SBeifen  nicht 
aus>  lateinifcbem  Äirchengefangc  flammen.  Dennoch  ift  mit  Sicherheit  anjunel)men,  fte  fer>  »on  bem 
genannten  älteren  beutfehen  Siebe  erborgt.  Denn  wir  ftnben  fte  bereits  42  3abre  früher,  in  SBalterS 
©efangbuche  oon  1524,  mit  bemfelben,  unb  über  biefes»  haben  wir  Sutber»  Seugntfj,  baß  e§  lange  t>or 
ihm  gemacht  fep. 

Die  neun  ÜJKelobieen,  bie  wir  neben  jenen  fünf  befprochenen  noch  ju  betrauten  uns  »ornabmen, 
ftnb  jum  SEbeil  jweifelbaften  UrfprungS.  3u  älteren  beutfehen  geiftlicben  (ober  weltlichen)  Siebern  fommen 
fte  nicht  oor,  fonbern  ju  folchen,  bie  unleugbar  brachte  ber  Äirchenüerbefferung  ftnb ;  fönnten  fte  aber  ben= 
noch  nicht  bem  SBrübergefange  entlehnt  femt?  2fm  wenigften  wirb  biefe»  üon  benen  unter  ihnen  üorau3ju= 
fe^en  ferm,  bie  weber  in  2Beiffe's>  ßantional  t>on  1531,  noch  in  SSarnierä  Ausgaben  tion  1538  unb  1539 
ober ^>orn§ Überarbeitung,  fonbern  erft  1566  üorfommen ;  hier  barfbie  frühere  Aufnahme  in  lutberifcbe 
geiftliche  Sieberfammlungen  al§  entfeheibenb  gelten  gegen  ihren  bbbmifcben  Urfprung.  <£o  fteht  bie 
pbrr>gifche  SBeife  be§  *Pfalmliebe» :  „2(cb  ©ort  »om  Jpimmel  ftet)  barein"  für  ein  anbereS  über  ben  80ften 
9>falm  worgefchrieben:  £).£irt  unb  £eilanb  3fraet:c;  feine  mirolr;bifcbe  für  ba§  Sieb  : 
^fllmächtiger,  ewiger  ©ort, 

Der  bu  bie  SBelt  regiereft, 

SSon  bir  fümpt  beibe  Statt)  unb  £bat 

Da3  Regiment  bu  fübreff, 

Du  fefjeft  Äbnig'  ab  unb  ein 

S3ift  aller  $errn  ein  £err  allein 

Unb  enberft  jeit  unb  ftunbe. 
S5egnab'  bie  ganje  Gibriftenbeit 

Stach  beinern  SB  oh  (gefallen 

SSJtit  weifer,  frommer  £berfeit, 

Daß"  bein  Sob  mbg'  erfchallen, 

».  SBinttrfd»,  itt  «angcl.  (S^oratgcfang.  35 


  274   


SSerleib,  baß  ftc  ft)t  mad)t  unb  gmalt 
83  on  bir  annebm  unb  red;t  uermalt 
ÜRtt  ©üt'  unb  <£rnft  in  2111cm. 
©te  er fte  bctber  SÖMobicen  erfcbeint  bereite  um  1535  in  JUugS  gciftlidbem  ©efangbudje,  bie 
lefcte  in  bcm  »on  SRicbacl  Sieb  herausgegebenen  (1537)  511  einem  fremben  Siebe,  allein  gleichzeitig  auch 
in  SBolf  Stbpfß  ©efangbuche  *>on  bemfclben  Sfcfyre,  ju  SutberS  $>falmliebe;  beiber  höhere»  Hilter  als  baS 
be»  jtirchengefangbucbeS  ber  SSrübcr  v>on  1566  ift  baber  nid)t  ju  bejmetfeln.  gerner  feben  mir  bie  ionifebe 
?9ielobie  beS  ^falmliebeS  ,,2tu3  tiefer  Sftoth  febrei  id)  ju  bir"  ($)f.  130)  in  biefem  fpdferen  33rübergefang= 
buche  für  ein  Sieb  über  ben  42ften  spfalm  oorgefebrieben: 

©letdnme  ber  $ir\d)  jum  SBaffer  eilt  ic. 
ftc  mar  aber  febon  um  1537  »orbanben,  roo  mir  ftc  in  Siebs  geifttiebem  ©efangbuche  ju  einem  Siebe  an= 
gemenbet  finben,  baS  al§  ©inleitung  ju  bcm  SSatcrunfer  bas>  ©anje  eröfnet,  unb  fo  beginnt: 
Unfer  3uflud)t,  0  ©Ott  bu  bift. 
Grnblich.  ift  um  1566  bie  SSBeife  be§  Siebet :  ,,£>er  £err  ift  mein  getreuer  Sfrkt,"  über  ben  23ften 
9>falm,  ju  folgenber  Sichtung  über  ben  74ften  angemenbet: 

3ld)  ©ott  marum  »ertcffejfu 
Sn  großem  berkcnletbe, 
Unb  gürnfl  alfo,  üerftbßeft  nu 
25ie  fd)eflein  beiner  meibe? 
©ebenf  ba§  bu,  eh  fte  geborn 
33or  alters  fie  bir  baft  erforn 
3um  SSolf  von  allen  Reiben. 
£as  erftgebacfyte  *Pfalmlieb  fielet  jmar  im  Anhange  t»on  33apft§  ©efangbucfye  (1545,  9cro  VII) 
nod)  ohne  SERelobie,  inbem  bort  auf  bie  beS  SiebeS:  „9lun  freut  euch  lieben  ßbrifrengmein"  oermiefen 
mirb:  allein  15  %at)te  fpäter,  um  1560,  alfo  feebö  Sahre  oor  bem  ©rfd)einen  beS  großen  S3rübergefang= 
bucbeS,  finben  mir  fte  in  bem  großen  ©traßburger  Äircbengefangbucbe,  unb  bürfen  beSfyalb  fie  für  eine  bei 
ben  Sutberifcben  früher  gebräuchliche,  unb  auS  il)rem  Äirdjengefange  entlehnte  halten.  Merämeifel  barüber 
febminbet  enblicb  baburd),  baß  mir  bei  genauerer  Prüfung  fte  für  biejenige  ernennen  müffen,  bie  febon  um  1524 
Johann  SBalter  für  ba§  lutberifcfye  ^falmlieb :  „2lcb  ©ott  »om  Gimmel  fiel)  barein"  angemenbet  bat. 

Crrfcbeint  unS  bei  biefen  üier  Singmeifen  ba§  SSerl)ältniß  beS  jtircbengefangcS  ber  SSrüber  ju  bem 
lutberifeben  als  ein  Empfangen,  nicht  ein  ©eben,  fo  ift  bei  ben  fünf  anberen  barüber  fehmerer  ju  entfebei-- 
ben.  3n  SSeiffe'S  Giantional  oon  1531  unb  übereinftimmenb  bamit  in  S3arnier3 'tfuSgabe  beffelben  eon  1539, 
finben  mir  folgenbcS  Sieb : 

©elobt  fet?  ©ott,  ber  feinen  ©ohn 
3n  bie  2Belt  bat  gegeben, 
£>aß  man  follt  feinen  Sßillen  tbun 
Unb  feines  ©laubcnS  leben; 
Sa  man  aber  fein  Sßort  veracht, 
Unb  nach  unnützen  gabeln  tradjt, 
erjürnet  marb  gar  eben. 


  075  — - 

3fym  tft  bort  eine  ©ingweife  beigegeben,  bie,  wenn  auch.  nid)t  in  ihren  erjlen  beiben  Seilen, 
bod)  in  ihrem  ferneren  Fortgänge  eine  ficbtlicbe  33e$icbung  jeigt  ju  ber  beä  befannten  ßiebeS :  „(53  ift  ba3 
£eil  uns  fommen  ber."  £>iefe  ift  t'bm  benn  aucr;  fpater,  in  Qoxnä  gereinigtem  ßantional,  unb  bem 
großen  von  1566,  bort  mit  ber  überfcbriebenen  erjlen  3eile  jenes  2iebe§,  Fjter  ohne  biefe  Angabe,  beU 
gejeicbnet.  £afj  fte  ml  früher  »orfomme  als  1531  —  bereite  1524,  wie  mir  gefeben  —  ift  jrceifelloS, 
aUein  ihr  erfteS  @rfd)einen  in  ben  geiftlicfyen  ©efangen  ber  33rübcr,  in  einer  Umgeftaltung ,  bie  fte  jebod) 
immer  nocb  erfennen  läfit,  bleibt  merfmürbig.  Wim  mochte  fte  eben  be§balb  für  eine  urfprünglid)  einem 
Siebe  in  frember  3unge  abgehorchte  unb  unüollfommen  fortgepflanzte  falten,  feie  Anfangs!  in  biefer  tyx-- 
gebracbtcn  *#rt  überliefert,  erft  fpater  bei  mehr  unmittelbarer  ^Berührung  mit  bem  SSolfe,  in  beffen  SKitte  fte 
entftanb,  berichtigt  mürbe.  (Sin  ©runb  rnebr,  um  fte  bem  beutfd)en  S3olf§gefange  entflammt  ju  halten ! 
SEBie  leicht  fonnten  beliebte,  anfpred)enbe  SDßelobieen  berübertbnen  oon  einem  beiber,  wenn  aud)  md)t 
ftamm  =  bod)  reid)3t>erwanbten  S36lfer  5U  bem  anbern,  bei  jebem  gleich,  beimifch  werben;  fönnen  wir 
bat>on  boeb  fpater  nocb  entfebeibenbere  S3eifpiele  aufzeigen!  —  33ei  bem  Siebe 
SBer  ©otteS  Diener  werben  wiU 
25er  nehm'  ibm  (Ehrijlum  jum  SSeifpiel, 
Unb  rhu  au§  bemütbigem  ©etft 
SDttt  33lei$  alles  wag  @r  jn  beipt, 
ftnbet  ftcf>  inSBeiffe'Sßantionat  Bon  1531  bie  SBerweifung  auf  bieSDWobie  be§S5ufliebe§  berS5rüber:  ,,Äebr 
um,  febr  um  bu  junger  ©obn;"  in  33arnier3  Ausgabe  üon  1539  ift  biefe  ©ingweife  felbjl  betgejetchnet, 
wenn  aud)  niebt  biejenige,  mit  ber  biefes?  ßieb  tiom  verlornen  @ob,n  fpater  um  1566  erfd)eint.  3n  Spoxnä 
ßantional  aber  ift  bemfelben  bie  SBeife  be3  ^PfalmliebeS  von  Sobann  jloblrofs  beigegeben :  „2Bo  ©Ott  jum 
Jpauf  niebt  giebt  fein'  ©unft,"  jebod)  ofme  bie  Angabe,  e§  fei  in  beffen  SEone  ju  fingen.  iftun  ftnbet  ftd) 
biefe  9JJelobie,  foweit  meine  gorfdbung  reicht,  juerjl  in  ÄlugS  @efangbud)e  t>on  1535;  fte  ift  bort  biefem 
ßtebe,  unb  bem  lutberifd>en :  „SBobl  bem  ber  in  ©ott§  gitrdjte  fiebt"  gemeinfcbaftlich,  ba§  in  SBalterö 
©efangbuebe  »on  1524  eine  anbere  ©ingweife  hat.  iDaS  ^ornfcfye  @antional  bat  in  feiner  (üorau§= 
fe^licb)  dlteften  2Tu3gabe  jwar  weber  £)rucfort  noch  3abre§jabl,  allein  e3  ifl  erft  nach,  SÖßicbael  SBeiffe'S 
Sobe  (1540)  erfdjienen,  unb  bie  ältefte  mit  einer  SabreSbejeichnung  erfebienene  Ausgabe  beffelben  nennt 
1544.  (£3  ift  alfo  jeberjeit  jünger  als?  bie  beiben  SJrucfe  be§  Älugfcben  ©efangbucheS  t>on  1535  unb 
1543,  unb  ber  Umjlanb  ift  beSbalb  nicht  weiter  entfd)eibenb,  baß  .£>om  in  ber  9?egel  entlebnte  SSKelobieen 
aß  folebe  bezeichnet,    'tfbnltcb.  verhält  e§  ftd)  mit  bem  83ufjltebe : 

2Cu§  tiefer  9cotb  laßt  un§  ju  ©ort 

SSon  ganjem  ^»erjen  febreten, 

S5itten,  bap  er  au§  feiner  ©nab 

Un§  wollt  00m  Übel  freien, 

UnS  alle  ©ünb'  unb  gjiiffetljat 

SEBelcb,'  unfer  gleifd)  begangen  fjat 
ein  S3ater  »erjetyen. 

@§  trägt  bie  pf) rngifd) e  Sölelobie  be§  lutberifd)en  SiebeS  über  ben  130ften  ^)falm:  „tfu§  tiefer  SJcotb 
fd)rei  ict>  ju  bir,"  obne  ba£  weber  um  1531  nod)  1539  bie  £lueX|e  bezeichnet  ift,  wober  fte  gefeböpft  fen. 
5Jibglid)  fönnte  eö  bemnad)  fepn ,  bafj  fo  Sutber  aB  5CRid>ael  SBeiffe  au§  einer  gleichen,  alteren  Quelle  bie 

35* 


  276   


©ingmcife  entnommen  hätten.  Sa  tnbefj  £orn  fpäterbin  ihr  bie  "tfnfang^cile  be§  lutbcrifcben  SiebeS  öw« 
anfefct,  btefeS  mit  ihr  aud)  fd)on  1524  in  SBaltcrS  ©efangbttd)e  erfebeint,  fo  bleibt  ber  mabrfd)einlid)erc 
gall  ffcetä  ihr  Entlehnen  »on  fcatjer.  —  (Sinige  S3ebenfen  enblicb,  erregen  nod)  jroei  anbere  SJMobteen,  bie 
leinen  beiben  ber  neun  als  zweifelhaft  hervorgehobenen.  Sie  frühere  Süßeife  bes>  lutf)erifd)en  Siebes  „9<cun 
freut  eud)  lieben  ßljrtilengmein"  ftnben  wir  in  bem  33rübergefangbucbe  r»on  1566  bem  Siebe  gefeilt: 

£s  gläubig  ^>erj  gebenebev), 

Unb  gib  Sob  beinern  Sg>  erren , 

©ebenf  bafj  er  bein  Sater  fep, 

SBeldben  bu  ffct§  füllt  ehren ; 

Siemeil  bu  feine  fiunb  an  (ob»  in 

•SDZit  aller  ©org'  in  beinern  ©inn 

Dein  Seben  f'annft  erneeren. 

gerner  eignet  bafelbjl  bie  ©tngmeife  be3  $)falmtiebe§ :  ,,(£3  fpriebt  ber  Unroeifen  Sftunb  mobl"  folgenbem 
©ebete  für  bie  cbrijtlid)e  Äirdje 

£)  rpcbjer  ©ott  oon  (5migfeit 
<Siet)  beut'  an  all'  Gülenben, 
Sie  ft'cb  »ort  Ungered)tigfeit 
3u  bir  fya'rt  laffen  menben, 
Unb  aller  Soweit  abgefagt, 
Samit  ft'e  nur,  ma§  bir  besagt 
SBirrlid)  mochten  »ollenben. 

Sie  '#nfang§jeilen  beiber  lutherifeben  Sieber,  beren  SKelobieen  mir  bereits  in  2Balter§  ©efang^ 
buche  »on  1524,  bie  be3  erfien  fclbft  fd)on  in  ben  acht  einjeltt  gebrudten  Siebern  au§  bemfelben  %dl)xc 
fauben,  haben  fomol)l  SBciffe  (1531)  ale>  Skrnier  (1539)  unb  Jporn  über  biefe  ÜJielobieen  gefegt.  (Sntlebnt 
mürben  baf)er  beibe  bureb  bie  SSrüber,  unb  aud)  mof)l  bem  ©efangbud)e  SBatterS.  Sa  inbefj  einige  2ßabr= 
fcbeinlicbfeit  »orbanben  ift,  bafj  aud)  btefcS  ft'e  einer  alteren  £Utelle  »erbanfte,  fo  bürften  biefelben  aud)  bei 
ben  SBrübern  auf  biefe  jurütfjufüfyren  fenn,  SBalterS  ©efangbud)  aber  nur  ju  beren  Berichtigung  gebient 
haben. 

S5ei  ber  Betrachtung  biefer  älteren  unb  neueren  ©tngmeifen  trat  unö  eine  S3ejicl)ung  jmtfeben 
bem  Äircbengefange  ber  33ruber  unb  bem  ber  Sutberifcbm  unleugbar  entgegen.  Mein  ft'e  befhinb  tbeilS  in 
bem  ©d)ö»fen  au§  gemeinfamer  £).uellc,  tbcilS  mar  ft'e  bei  ben  SSrübem  bie  eines  @m»fangen3,  bei  ben 
Sutfjerifd)en  beS  ©ebenö;  nur  ba  faf)cn  mir  aud)  biefe  als  Scebmcnbe,  mo  fte  »on  ben  SBrübern,  nament= 
lict>  jenem  9)}id)ael  Sßeiffe,  geiflltcbe  Sid)tungen  borgten,  mit  benen  ft'e  aber  ©tngmeifen  empfingen, 
bie,  in  bem  alten  lateinifdjen  Äird)engcfange  l)eimifcb,  aud)  burd)  bie  S3rüber  nur  entlehnt  maren. 
3cne  Schiebung  aber  mar  nid)t  bie  etnjige:  aud)  bie  Sßrüber  ft'nb  ©ebenbe,  bie  Sutl)erifd)cn  Grm»fan= 
genbc  gemefen,  fte  haben  mit  Siebern  jener  aud)  beren  ©ingmeifen  aufgenommen;  eine  7bt  bc§  Qm- 
»fangenö,  bie  hier,  mo  bie  SDZelobic,  nad)  bem  ©inn  unferer  Aufgabe,  in  ben  SSorgrunb  tritt,  un£ 
»orjugemeife  befd)äftigen  mufj.  ©o  merben  mir  benn  mieberum  Eingeleitet  auf  jene  SBeifen,  bie,  nad)* 
bem  mir  baö  anberen  Quellen  Gntftammenbe  beä  großen  SSrubergefangbucbeö  »on  bem  Übrigen  gefon-- 


  277   


bert,  wir  bofjmtfcben  Urfvrungä  balten,  unb  bie  wir  junäcbft  in  i()rem  SBerbättniffe  ju  bemjvangelifd) 
lut£jcrifd)cn  jtircbcngefange,  bann  aber,  ifyrer  cigentbümlicfycn  S3efrf)affent)cit  nad),  im  Allgemeinen  be= 
trachten  werben.  2>on  jenem  erftcn  SJerbaltniffe  aber  werben  wir  im  3ufammenbange  banbeln,  mögen  wir 
bamit  auch,  über  bie  ©renken  be3  3eiftautti3  fjinaugfdjreiten,  ber  un§  gegenwärtig  bcfd)äftigt.  Sbäten 
wir  anberS,  fo  würben  wir  imfcre  Sarftellung  obne  sJcotl)  verwirren  unb  jerftüdeln.  ^Beginnen  mufj 
fie  in  biefer  3eit,  wo  ba$  (Sntlebnen  am  lebhafteren  war;  baS  erfte  hervortreten  biefeS  Aneignend  wie 
fein  fpaterer  Fortgang  unb  feine  enblid)e  Abnahme  finb  mit  biefer  $>eriobe  feiner  grbfjcften  Spbtye  in  ein 
©efammtbüb  ju  faffen. 

T>a$  erjte  bewufjte  Aneignen  eines?  Siebes?  ber  S3rüberf'ird)e  mit  feiner,  in  beren  Witte  entftanbenen 
Stngweifc,  ift  wofyl  ba3  be»  S5egräbni(jgefange§  von  SDiicbael  Sßeiffe :  „SSlun  lafjt  un3  ben  2 ei b  be= 
graben."  Sine  eigene  Stngweife  bat  biefer  jwar  noch,  nid)t,  weber  in  SBeiffe's?  ßanticnal  (1531)  nod) 
S>arnierö  fväterer  Aufgabe  (1539)  nod)  enblid)  in  jQQtttä  Überarbeitung.  (§3  wirb  bortauf  „ben  naebften 
Sbon"  verwiefen,  bie  9Jielobie  bc3  SiebeS  ,;S  Sefu  ßbriftc,  ©ottes?  Sohn,"  ba§  bei  S5egräbniffcn  ber  Äin* 
ber  gefungen  würbe.  ÜJtit  biefer  SOcetobte  giebt  auch  um  1545  bai>  ä3avftfcbe  ©efangbueb  (iHro.  LXXXj 
unfer  Sieb,  nur  bafj  fie,  mit  wenigen  Abweichungen,  au3  bem  urfvrünglicbcn  Umfange  ihrer  Sonart,  ber 
»brvgifcben,  in  beren  verfemten  übertragen  erfdjeint.  9Kan  hatte  SBeiffe'3  Sieb  früher  als  eine  Arbeit  SutberS 
angefehen,  unb  aß  folebe  genannt;. biefer  war  inbefj  fogleich  bereit  bem  wahren  Urheber  bie  (Sfjre  ju  geben. 
„Sa3  Sieb,  fo  man  ju  ©rabe  finget  (fagt  er  in  feiner  äSorrebe  ju  bem  eben  genannten  ©efangbucbej  führet 
meinen  tarnen,  aber  e§  iji  nicht  mein,  unb  foU  mein  SRatne  hinfort  bavon  getban  fevn;  nid)t,  baf  id)3 
verwerfe,  benn  es?  gefallet  mir  febr  wobl,  unb  t)at  ein  guter  $)oet  gemacht,  genannt  Johannes  (Wufyaei) 
2Beis,  obn'  bafj  er  ein  wenig  gefd)warmet  bat  am  Sacramcnt ;  fonbern  ich  will  niemanb  fein  Arbeit  mir  ju= 
eignen."  (5$  bat  ftcb  bis?  auf  unfere  Sage  in  bem  evangelifdb  =  lutberifeben  jtuebengefange  erhalten,  nicht 
fo  bie  ©ingweife,  mit  ber  es?  in  SBapffS  ©cfangbucfye  unö  begegnet,  Sdion  ber  jmei  3abrc  juoor,  um  1543, 
erfd)icnene  fvätere  Abbrucf  von  ^ofepf)  .ÄlugS  ©efangbuebe  gab  es?  mit  einer  anberen  SJJclobie  au3  ber  (»er* 
festen)  mirolwbifcfyen  Sonart;  bie  123  Steter  für  bie  gemeinen  Sd)ulen,  welche  ©eorg  3?bau  ju  2Bitten= 
berg  1544,  um  ein  %at)x  fväter  aß  jene  Aufgabe  von  ÄlugS  ©efangbudje,  unb  um  eben  fo  viel  früher  aß 
ba3  a5avftfd)e  herausgab,  enthalten  eine  britte,  von  3o()anne3  Stahl  mit  fünf  Stimmen  gefegte,  ionifd)e 
Stngweife.  Siefe,  weld)er  wir  bann  bei  ben  S5rübern  in  ihrem  ©efangbuebe  von  1566  evfi  wieber  be- 
gegnen,  ift  biejenige,  welche  ü)m  feitbem  geblieben  ift.  5Bob  er  ft'e  ftamme,  ob  ihr  S£onfcf>er  auch  ihr  Qx-- 
ftnber  fev> ?  wiffen  wir  nicb,t,  von  ben  ffirübern  aber  fd)eint  fie  nid>t  fyerjurüfyren,  fonbern  e^er  burd)  fie 
ibjem  Äircb,engefange  angeeignet  ju  fepn.  Sie  wirflid)  auf  bem  ibrigen  entlehnte,  unb  fogar  füdter  alö 
jene  anbern  beiben,  würbe  aber,  wenn  ft'e  nid)t  etwa  ortlid)  eine  Seit  lang  nod}  ftd?  erhalten  l;aben  mag, 
von  ber  burd)  Stafyl  gefegten  überall  verbrangt,  biefe  lebt  nod)  unter  un§  fort  unb  wirb  ju  vielen  anberen 
üiebern  g(eid)en  ?Duiaf3e§  gern  unb  g(üdlid)  angewenbet,  von  benen  wir  nur  bie  beiben  fpäteren  nennen: 
Schaff  in  mir  ©Ott,  ein  reines? £cr$"  unb:  „Sie  Seele  ßbrifti  beifge  mich." 

£>a$  ©efangbueb  SSalentin  S5apft§  bat  jwar  aud)  9)tid)ael  SBeiffe'ä  fd)bne§  StBcibnacbtstieb  auf= 
genommen  ,,2obet  ©Ott,  o  lieben  Gbriften ; "  fein  9)affion3lieb :  ,, Sie  Propheten  ban  vropbejeit;  ein 
Sieb  wirb  febier  ber  te^te  Sag  fye-rfc-mmen."  Allein  bem  erften  liegt  bie  SBeife  ber  alten  lateinifeben 
SBeif)nacbtä=Sequenj  unter:  Grates  nunc  oranes;  bem  jweiten  bie  beä^)t)mnu6:  Vexilla  regis  prodeunt: 
-bei  bem  britten  weift  baä  ©efangbueb  ber  S5tüber  jurüd  auf  bie  SKelobie  be§  2iebe§ : 


  278   


,,lLä)  ©ort,  mag  man  roofyl  in  tiefen  Sagen 
•Db  beiner  Äirdben  weinen  unb  f  tagen  it." 
welcbe  freilidb,  mit  einigen  2lbtt>eid)ungen,  biejenige  ift,  bic  auch,  jefct  noch,  für  jenes  Sieb  t»om  jüngften  Sage 
angevoenbet  roirb,  burd)  ifyre  Überfd?rtft:  „Felici  peccatrici,"  jebocr;  als  bem  lateinifctjen  Äird)engefange 
urfprünglicb,  cntfiammenb  bejetdmet  wirb. 

Sie  nacfyfk  ©ntlebnung  won  fiiebern  berSSrüberfircbe  unb  it>rcn SKelobieen  ft'nben  mir  erftU^abre 
fpäter,  in  brei  gleichzeitigen  ßieberfammtungen.   Sie  erfte  berfelben  erfd)ien  1569  ju  granffurtf)  am 
Main  bei  Sob^nn  SBolf ,  unb  tyex  finb  beren  fünf  aufgenommen.   Sunacbft  ein  2tbt>entlieb : 
©laubige  @eel',  fd)am  bein  $err  tmb  Äonig  roill  fommen, 
Sir  ju  Srojt  t>nb  ju  frommen, 
(§r  left  ft'cb.  bir  »orbin  anfagen, 
©ieb  ba§  bu  ibm  mir)!  belogen, 
S3nb  feim  grieb'  »on  SQexfym  nachjagen, 
fobann  jroei  2Beibnad)teilieber :  ba3  erjie  »on  einer  brcijeiligen  ©tropfe  ' 

ßafit  un§  frbblicb  unb  einträcbtig  fingen, 
Sie  3eit  feliglicr;  Einbringen 
Sieben  »on  göttlichen  Singen  tc. ; 
ba3  jroeite  won  einer  m'erjebnjeiligen : 

£>  Gf>rtfle  mabrer  ©otteS  ©on 
Ser  bu  »om  bbcbften  Styron, 
SSom  SSater  ber  SSarmberjigfeit 
©eborn  »on  @n>igfeit, 
©efanbt  un£  ju  frommen 
3n  bie  SEöelt  bijl  fommen ; 
SSom  beil'gen  ©eijt  empfangen, 
Sfteun  SSKonat  »ergangen 
SSon  SSJiaria  auSerforen 
©anj  rein  bift  geboren, 
©eroinbelt  in  gering'  ©eroanb 
3n  ein'  itripp  geleget, 
Unb  burcb,  @ngel  ju  Spant* 
Sen  4?irten  crgeigct  tc. 
9(äd)ji  ibnen  ein  8ieb  oon  ber  ffiefcb, neibung  6f>rtflt : 

ßob  fei  ©ort,  benn  ber  ©amen 
Itbraba  »erbeifien  ift  nun  fommen, 
Sie  fleifd)licbe  S5efd)neibung 
Unb  figürliche  SSerfdbreibung 
S5ei  bem  gelobten  ßanb, 
SSBirb  üollenbet  burcb.  ßbriftum  ben  £eitanb  tc. 
<§nblid)  eine  Umfcbreibung  oon  bem  ©ebete  beö  £errn : 


  279   


Saft  unS  fchreien  alle  gleich 
3um  SSater  gen  Himmelreich, 
33egeren  mit  Snnigfett 
Unfcr  Seelen  Secligfeit, 
Spie  ©enab,  unb  bort  ewige  .Klarheit, 
Sprcdienb  einträchtig  in  ©eifi  unb  SBahrheit: 
Safer  unfer,  Sperre  ©Ott, 
Allmächtiger  3cbaotb, 
Du  unbegreiflicher  ©eift, 
3m  Jpimmel  unb  ßrbenfreiS : 
Jpilf  baS  mir  biet)  recht  lernen  erfennen, 
Sieb  ^aben  unb  mürbig  Skter  nennen  ic. 
Die  üier  erjkn  tiefer  Sieber  enthalt  bereits  baS  dantional  Sßeiffe'S  t>on  1531  mit  ihren  Sing= 
weifen;  baS  fünfte  hat  in  ihm  unb  SSarnierS  Abbruc?  oon  1539  feine  eigene  9Jielobie  neben  fict),  es  finbet 
ft'e  erft  in  £ornS  Ausgabe  unb  bem  S3rübergefangbuct)e  wn  1566;  tf>r  früheres  SSorfommen  in  einer 
lutherifchen  geiftlichen  Sieberfammlung  ifl  inbef*  nicht  nachjumetfen. 

3n  eben  biefem  3at)re  (1569)  erfd)ien  ju  Strasburg  baS  jmeite  ber  gebadeten  ©efangbücher 
bei  Sbeoboftus  9?eid?el ;  eine  (Sammlung  oon  ^falmen  unb  geiftlichen  Siebern.   Aufkr  12  Siebern  ber 
33rüber,  beren  Singmcifen  aus  lateinifd)em  Äird)engefange  ftammen,  unb  6  anberen,  bie  nicht  auS  bem 
ber  SSrüber  berrübrenbe  9JMobiecn  haben,  enbtict»  bem  ju  Anfange  fct)on  ermähnten  33egräbni£liebe, 
bas  hier  mit  feiner  fpäteren,  allgemeiner  oerbreiteten  Sftelobie  erfd)eint,  fmben  mir  in  biefem  £3ud)e  jroei 
Stf  ch  lieb  er  ber  S5rüber,  bie  auch  ihre  Singroeifen  mit  herübergenommen  haben.    Dem  erften  begegnen 
mir  erft  in  Nortis  ^Bearbeitung  bes  SSeiffe'fchen  Gantionais,  boch  fchon  mit  ber  in  bie  Strafjburgcr 
Sammlung  aufgenommenen  Singmeife  aus  ber  iontfeben  Sonart: 
Allmächtiger,  gütiger  ©ort, 
Du  emiger  Sperr  3ebaotr), 
2fller  Augen  marren  auf  bich, 
Unb  bu  fpetfeft  ft'e  gnäbiglidt). 

@ben  fo  bem  $roeiten : 

Danfet  bem  £erren,  benn  er  ift  fehr  freunblich, 

Denn  feine  ©üt'  unb  S55abrt)eit  bleibet  emiglich. 

Der  als  ein  barmherziger,  gütiger  ©Ott, 

Uns  bürftige  ßrcaturen  gereift  hat  ic. 
dnblich  erfd^ien,  gleichfalls  um  1569,  ju  granffurth  an  ber  £ber  bei  ben  ©ebrübern  Eichhorn,  ein 
SEÖieberabbrucf  eineS  bereits  1552  oon  benfclben  herausgegebenen  geiftlichen  ©efangbucheS,  baS  britte  ber 
oon  unS  in  95ejug  genommenen.  DiefeS  fmben  mir  unter  anberen  gemehrt  buret)  ein  Sieb  ber  33rüber 
,,oom  GEreufj  ber  .Kirchen, "  baS  jum  .Kampfe  ermuntert  miber  bie  äSerfudningen  beS  Sbfen,  unb  ju  fefrem 
SSerbarren  im  ©lauben : 

£)  SBächter,  mach',  unb  bemar  beine  ft'nnen, 
Denn  bie  geinbe  fommen  für  beine  jinnen, 
SBollen  betn  fdiloS  geminnen. 


Dein  fd)lo3  ift  bein  rcineS  unb  einfeltigS  t>er^ 
3n  welkem  bu  f>afl  bie  allerbeften  frf>cfe 
9cemlid)  beS  £erren  gefe^- 

Der  4?eubtman,  fo  t>iefe  feinbe  regieret, 
3fl  ber  ©atan  ber  bie  .£eoam  verfüret, 
2Betch'  alle§  fleifd)  gebieret  tc. 
#ugenfd)einlid)  iji  baffelbe  auS  Sölid)ael  2Beiffe'S  ßantional  oon  1531  entlehnt,  reo  eS  juerji  unS  be= 
gegnet  mit  feiner  ©ingroeife. 

DaS  ju  SBittenberg  1573  oon  jleuchcnthal  herausgegebene  geiftliche  Sieberbuch  fyat  allerbingS 
elf  ßieber  unb  jcfjn  baju  gehörige  SDlelobteen  ber  S5rubcrfird)e  entlelmt:  bocf)  ftnb  biefe  legten  lateintfdjen 
UrfurungS,  unb  Fommen  beSljalb  hier  nicht  in  ^Betracht.  SRad)  ihm  giebt  erft  baS  Äirchengefangbuch 
Eucharius  3mfeifcnS  (granffurth  am  Wtain  1584)  roieber  ein  SSeifoiel  ber  Aufnahme  einer  ÜJKelobie 
b&bmifcbcn  UrfprungS.    ©ic  gehört  bcm  Siebe : 

£)  SKenfcb,,  betraf  rote  bid)  bein  ©Ott 
2tu§  ber  SJZaaßen  gelicbet  hat, 
Daß  er  fein'  aller  liebjien  ©olm 
©cfanbt  fyat  oon  feim  höchfien  Sb,ron. 
£ier  ift  baffelbe  für  ben  ^almfonntag  befiimmt;  in  bem  SSrübergefangbud)e  oon  1566,  oon  bem  ee>  auS 
£orn§  ßantional  aufgenommen  rourbe,  frefjt  eS  unter  bem  2lbfcb,nitte :  „oom  SBanbel  ßhrifti."  3mar  iji 
in  3infeifenS  ©efangbud)e  auch  baS  Sieb  oon  9JZid)aet  SBeiffe  nod)  aufgenommen : 
©ef)r  groß  iji  ©otteS  ©ütigfcit, 
Denn  er  fdmf  unS  jur  ©eclig!eit, 
Unb  ba  roir  fein'  ©utS  funben  thun, 
#alf  er  un§  burd)  fein'  liebfren  ©ofm, 
allein  mit  einer  fremben  ©ingroeife,  roeSl)alb  roir  e§  tjter  nicht  rechnen  bürfen,  fo  wenig  rote  baSSieb: 
Sob  fei  bem  allmächtigen  ©Ott 
35er  fiel)  unfer  erbarmet  hat, 
©efanbt  fein'  aller  liebften  ©ob,n 
3luS  ihm  geborn  im  f)6d)|ten  Sb,ron; 
benn  beffen  9Jielobie  iji  fjier  bie  be§  lateinifchen  %\)mm§>:  Conditor  alme  syderum"  unb  biefe  flingt  bei 
urforüngltchen,  bbl;mifd)en,  nur  entfernt  an.   Die  übrigen  ad)t  geifilidjen  ©efdnge  ber  S5rüber,  bie  roir  bei 
3infeifen  nod)  antreffen,  haben  ©ingroeifen  lateinifdjen  UrforungS. 

©nblid)  ift  hier  baS  ju  DreSben  im  Saint  1593  herauSgefommene  Äird)engefangbud)  $u  nennen. 
Außer  ben  beiben  Sifdjliebem,  unb  bem  SSegräbnißgcfange,  bie  roir  in  ben  ©traßburger  Ätrchenliebern  oon 
1500  fanben,  erfdjeinen  hier  jroei  SOßorgenlieber,  ober  grühgefdnge,  wie  fte  bei  ben  S5rübern  heißen,  beibe 
fchon  in  9ftid)ae[  SßeifTe'S  Gantional  oon  1531  enthalten: 

Der  Sag  oertreibt  bie  fmjtre  5Jtod)tA 
D  Gfvrijien  feib  munter  unb  macht 
greifet  ©ott  ben  Herren. 


  281   


Die  Gjngel  fingen  immerbar 

Unb  loben  ©Ott  in  großer  ©cbaar 

Der  alles  regieret  ?c. 

unb 

Der  Sag  bricht  an  unb  jeiget  ft'd? 
£>  Sperre  ©ort,  roir  loben  btcb, 
2Bir  banfen  bir  bu  t?6d>fte6  ©ut 
Da3  bu  un§  bie  9cad)t  f>aft  bel)ut. 

S3itten  btd>  aud>,  bet>üt  un3  beut 
Denn  roir  ft'nb  allste  9)ilger§leut, 
©teb  un§  bei,  tbu  bülf,  un£  beroabr, 
Da§  un§  fein  übel  miberfabr  tc. 
.äußer  ibnen  bat  ba$  DreSbner  ©efangbucb  jmar  aucb  ba$  Sieb  aufgenommen : 
(f§  gebt  baber  be3  £age§  Schein 
3br  @brijten,  laßt  un§  banfbar  fevm 
Dem  gütigen  unb  milben  ©ort, 
Der  un§  bie  9cacbt  bemaltet  bat, 
jebod)  nicbt  feine  ©ingroeife  mit  ibm;  e3  foll  bort  nach,  ber  be3  jmeiten  ber  eben  angeführten  Siebev 
gefungen  werben. 

3»ölf  Sieber  mit  ihren  ©  ingmeifen  bat  bienad)  baS  16te  3abrbunbert  au£  bem  jtircbengefange 
ber  S5rüber  aufgenommen,  roenn  aucb  %ie  ^njabl  ber  überbauet  t»on  bal;er  entlebnten  uiel  größer  fepn  mag. 
Denn,  roir  mieberbolen  e§,  an  biefem  £rte  tonnen  biejenigcn  nicbt  in  ^Betracht  fommen,  bie  obne  itjre 
9Kelobieen  übergingen,  ober  beren  ©ingmeifen  au3  lateinif ehern  jtirebengefange  ftammen.  9hir  einer  oor= 
Übergebenben  (Srmäbnung  bebarf  bie  Sbatfacbe,  baß  Sobann  ßccarb ,  ben  mir  ber  ganjen  Stiftung  feinet 
©trebenS  jufolge  jum  16ten  Sab^bunberte  reebnen  müffen,  roenn  fein  Sehen  unb  SBirfen  aucb  noeb  in  bie 
erjten  Sab"  be§  folgenben  b'neinragt,  um  1603  bie  SJMobie  be§  folgenben  £ocbieit3liebes  ber  95rüber, 
unter  beffen  ^Beibehaltung ,  als  ©elegenbeitSgefang  »ierftimmig  feljte : 

Saßt  un§  fingen,  unfre  Stimmen 
ju  ©ott  erbeben, 

Unb  ibn  preifen,  ©hj'  beroeifen, 
als  lang  mir  leben, 

Der  unfer  9iatur  fo  ehret, 

3m  dbffanb  »ermebret, 

(Ert)dlt  unb  ernäbret. 

Denn  ftnb  auch  manche  ©elegenbeitSgefänge  biefeä  treflieben  SöieifrerS  mit  angemeffenen  neuen  Siebern 
fpäter  fireblicb  gemorben,  fo  ift  bieS  boch  nicbt  mit  biefem  Siebe  be3  33rübergefangbucbe3  ber  gall  gemefen, 
ba$  ohnebin  allejeit  ein  gelegentliches  bleiben  mußte. 

DaS  folgenbe  17te  Sabrbunbert,  jumabl  in  fetner  früheren  £älfte,  bietet  un£  ebenfalls  mehre 
SSeifpiele  foleber  Sntlebnungen,  bie  mir  jumeift  in  ben  oier*  unb  mebrftimmigen  ßboralbücbern  jener  3eit 
$u  fueben  baben. 

s.  SBintetfetli,  ttt  «angtl.  <5§oralgefang.  36 


  282   


Die  oierfiimmtgen  Sieberbücfyer  oon  ^)an§  2eo  Qa&ex,  ©ottbarb  (Srptbräuä,  SSartfjolomäue- 
©efius,  haben  feine,  bem  Skübergefange  angebbrenbe  SBeifen  aufgenommen;  mofyl  aber  SSJltdjael  ^PrätoriuS 
umfaffenbe  Sammlung  öter«  unb  mel)iftimmtger  Äircbengefänge,  unter  bem  SSitel  ber  ©ionifcfyen  SJlufen 
(Zt).  V —  VIII,  1607  — 1610).  Darunter  finb  beren- üter,  ifyren  Überfcbriften  jufolge  au§  lateintfcfyem 
Äircbcngefange  genommene,  unb  aueb  unter  biefen  nur  jroci  ben  SBeifen  bee>  SBrubergefangbucbeS  übereim 
ftimmenbe.  Denn  ba§  Sieb : 

Da  GsbriftaS  geboren  mar 

gremet  fid>  ber  ©ngcl  @d)aar, 
im  SSrübergefangbucbe  überfebrieben :  In  natali  Domini ,  fycit  bei  9)rätoriuS  eine  anbere  ©mgmeife; 
ein  jroeiteS : 

SBeltticb  @br'  unb  jeitlid)  @ut  k. 
mit  ber  Überfcbrift  ,, Cedit  hyems  eminus"*)  mirb  »on  $)rätoriu3  fogar  mit  brei,  merftimmig  gefegten 
Söeifen  gegeben ,  beren  feine  jeboeb  ber  be§  S5rübergefangbud)e§  übereinftimmt.  83on  biefen  jmei  ßiebern 
fann  f>tcr  eben  fo  wenig  bie  9febe  ferm  a(§  t>on  jenen  beiben  anbern.  Denn  nur  bie  2 1 ei? er  bat  ^PratoriuS 
aufgenommen;  mit  ben  einen,  SDMobieen,  bie  auch  burd)  bie  SBrüber  entlehnt  maren,  mit  ben  anbern, 
foldje,  bie  fomobl  ibnen,  ale>  bem  lateinifdjen  jttrcfyengefange,  mober  bie  ibren  flammen,  fremb  finb. 

2Ba3  nun  ba§  »ort  ibm  aue>  bem  urfprünglid)  bbbmifd)en  Sfyeile  be§  33rubergefanges>  2tuf= 
genommene  angebt,  fo  begegnen  un§  in  feinen  ©ionifdjen  9Kufen  jmar  neun  baber  jlammcnbe  Sieber, 
jeboeb.  nur  fünf  ber  baju  gehörigen  SBeifen.  Denn  bie  Sieben  ©ott  bem  SSoter  im  bödmen  £bron  (VIII. 
87);  £)  gläubig  $erj  gebenebet)  (VII.  110);  itebr  um,  fef)v  um  bu  junger  ©ofyn  (VII.  76)  baben  bei 
ibm  abmeiebenbe  SCRelobieen,  ein  üierteä  aber  „Sob  fet?  bem  allmächtigen  ©ott"  (VI.  14),  bie  fd)on  bei 
3infeifen  üorfommenbe  alte,  ber  bc3  S5rübergefangbud)eä  nur  anflingenbe  üßetfe.  Der  Sieber :  ©läubige 
©eef  je. ;  Danfet  bem  £erren  it. ;  Der  Sag  vertreibt  bie  ft'nftre  9?ad)t;  £)  2Bäd)ter,  macb,  ic,  benen  mir 
bier  roieber  begegnen,  unb  bie  mir  febon  im  Sabre  1569  in  bem  bei  3.  SSBolf  erfebienenen  §ranffurtl)er 
Äird)engefangbucbe,  ben  ©trafjburger  Äird)enliebem  unb  bem  ©efangbuebe  ber  33rüber  Cncbborn  aus»  bem-- 
felben  Sabve,  fo  mie  bem  DreSbner  ©efangbudbe  »on  1593  »orfanben,  bürfen  mir  nur  oorübergebenb  er= 
mäbnen.  Den  SEonfafc  be§  SOteifterö ,  in  beffen  «Sammlung  fie  t)'m  erfdbeinen,  merben  mir  fpäterbin 
näber  betrad)ten,  fo  meit  e§  t) t er  unferem  ßmede  frommt;  bie  genauere Sßürbigung  beffelben  fparen  mir  biö 
babin  auf,  mo  mir  feine  großen  S5erbienfte  um  cinfad)  mebrftimmige  33ebanblung  geiftlicber  giebmeifen  im 
3ufammenbange  barjuftellen  gebenfen. 

•)   Sei  Ceifentrit,  CXLVI 

Cedit  hyems  emiDu.s 
Surrexit  Christus  Dominus 
Tulitque  gaudia  ; 
Vallis  nostra  floruit, 
ReviviscuDt  arida, 
Postquara  ver  intepait 
KevalescuDt  frigid». 

Der  bei  Seifcntrit  oortommenben  SDtctobic  biefeg  tiebeö  jtimmt  bie  uon  sprä'toriue;  (VII.  9tro.  172)  uicr(itmmifl 
gefcfcte  überein;  rcat)rfd)cinlid)  entlehnte  er  fie  Bon  bafier.  Die  beS  S3rübcrgcfangbucf)eg  unter  gleichem  SEitel  ift  eine 
anbete,  fie  mag  beefjalb  aber  bod)  bie  utfprünglidjc  fci)n,  ba  in  mandjen  gälten  Ceifentrit  bie  ÜKctobieen  nicfjt  treu  auf« 
gejeidjnet,  aud)  root)l  oerroedjfelt  fjat. 


  283 


S3ereid)ert  t>at  er  ben  9Helobieenfd)ak  ber  eüangelifdjen  Äirdbe  um  nur  eine  ©ingroeife, 
Die  er  mit  ifyrem  Siebe  aufnahm,  ba§  fcbon  äßeiffe'S  ßantional  uon  1531  enthält.  @§  ift  ein  Sieb  t>om 
Reiben  @f;rifti,  ber  bem  ©ünber  bie  burd)  fein  33lut  treuer  erfauften  2Bof)ltl)aten  ber  Grrlöfung  t>orf)ält,  unb 
ihn  prr  ffiupe  ermahnt : 

©ünbiger  SKenfd),  fd)aro  roer  bu  bift, 

©prid)t  unfer  £erre  3efu3  Sbrift, 

©ebenf  bu  fepfi  in  ©otteö  3orn 

5!Kit  beim  £f)un  eroiglid)  »erlorn  ic. 
Seine  ©ingroeife,  auS  ber  äolifdbenSSonart  urfprüngticben  Umfanget,  trägt  (jumabj  aud)  in  bem 
unbebingt  barin  trorberrfcbenben  breitl)eiligen  9Jiaaf?e)  völlig  baö  ©epräge  einer  auj>  bem  33olfSgefange  — 
f)ier  öorauSfefclid)  bem  bob,mifd)en  —  ftammenben.  ©oroobj  2Beiffe,  als  Garnier  unb  Sporn  haben  fie  ofjne 
alle  83e$eicbnung  gelaffen.  äBenn  aber  ba3  ©efangbud)  ber  33rüber  üon  1566  fie  mit  ber  Überfcfyrift : 
„Conditor  alme  syderum"  »erfefyen  bat,  fo  ift  biefeS  ein  offenbarer  ^ntfyum,  ba  fie  mit  ber  ©ingroeife 
biefeS  bekannten  ^pmnuS  ber  romtfcfycn  Äirdje  nichts  gemein  b,at.  —  Sie  SKelobieen  ber  Sieber :  ©otteS 
©obn  ift  fommen  jc.  unb:  9Jienfd)enfinb  merf  eben  ic,  bie  be§  2Betbnad)tSgefangeS :  Sobct©ott  o  lieben 
Gbriften,  ic.  bie  ebenfalls  t>on  ^Prätoriuö,  bie  erfte  merffimmig,  bie  leiste  abroecbfelnb  $u  brei  unb  fünf  ©tim= 
men,  befyanbett  finb,  ftammen  au§  lateinifd)em  Äircfyengefange. 

9ldd)ft  $)rdtorius>  ©ammlung  ift  baei,  juerft  um  1612  ju  ßaffel  erfcbjenene  9Jlelobteengefangbud) 
be§  Sanbgrafen  9ttori£  Don  Gaffel  ju  nennen,  von  roetdbem  eine  neue  Auflage  um  1649  erfcbien.  Tlufjer  bem, 
üon9ft.9>rätoriu3  roieberbolt aufgenommenen 3lb»ent§liebe :  „©laubige  ©cetic."  unb  jroei,  au§  latein'fcbem 
Äircbengefange  entlehnten  Sölelobieen,  tfyeilt  e§  folgenbe  Sieber  unb  ©ingroeifen  ber  S5ruber  mit.  3uerft 
ein  'tfbüentetfieb : 

IIIS  Zbam  im  g)arabie§, 
SSerfüfjvt  burd)  bie  ©erlange, 
©ort  unb  feinen  SSunb  uerliefj, 
SBarb  ihm  treflid)  bange; 
Senn  er  fam  in  grofje  9lotb, 
giel  in  jroeifettigen  S£ob, 
SBarb  mit  gurd)t  umbfangen  ; 
SBebet  t>or  ©otteS  ©eriebt, 
SRbdbt  üor  feinem  2lngefid)t 
§ur  2lngft  fein  «ergangen. 

Unb  ©ott  »erbief?  jm  ju  SSroft 
S3on  bem  Söeib  ein  ©amen, 
Unb  ba§  er  burd)  jn  erloft 
©olt  ju  ©naben  fommen; 
2lbam  glaubte  au3  ^erfeengrunb 
Sbetö  aud)  feinen  Äinbern  funb, 

36* 


  284   

Unb  bie  eä  annamen 

onb  bewarten  bi§  in  tob, 

bie  cntfd)lieffen  all'  in  ©Ott 

SBartcnb  auf  ben  ©amen, 
©o  fahrt  nun  ba$  £ieb  fort,  big  e3  bal)in  gelangt,  wo  bie  Seit  erfüllet  war:  ju  ber  S3erfunbigung  unb 
ber  #eimfucr;ung  ber  SSJiaria ,  bem  Traume  3ofepl)3,  unb  ber  barin  erneuerten  SSer^etfung,  roo  e3  bann 
mit  einem  ©ebete  ju  (5l)rifto  um  ©laubenSfraft  fd)ltef t.  S5ei  SBeiffe  unb  SSarnier  (1531  unb  1539)  fommt 
bereite  bie  SKelobie  cor,  bie  f>ter  üierftimmig  beljanbelt  ijt,  unb  welche  eben  fo  ba§  ©efangbud)  ber  ©ruber 
von  1566  enthält.  9cur  £orn§  Bearbeitung  unb  Reinigung  jener  alteren  ©mgebüd)er  tfjeilt  bem  Siebe 
bie  ©ingweife  be§  2Beirmacf;tSgefangc$ :  Dies  est  laetitiae  ju,  unb  ifjr  f)at  auch,  ÄeucfyentfyaB  ©efangbud) 
fieb  angefcbloffen,  weshalb  wir  unfercS  Siebes?  aud)  bort  nicfyt  gebaut  haben. 
(Sin  jweiteS  ßieb  ift  vom  9)ftngfifefte : 

203  3efu§  ßl)riftuö,  ©otteS  ©of)n, 

Wit  feiner  leiblichen  perfon 

SSon  biefer  weit  abfd)eiben  wollt, 

©agf  er  feinen  Büngern  fef)r  fyolb: 

3d)  gel)  ju  ©otteS  gftajeftat 
ihr  aber  gef)t  nicht  aue>  ber  jtabt 
bis  euch  jueor  l)immlifd)e  fraft 
beftettg  jur  ritterfdjaft  jc. 

Diefen  2(nfang§ftropf)en  folgt  ber  Bericht  »on  AuSgietjung  beS  ^eiligen  ©eijfeS,  unb  mit  ^etruS  9?ebe  an 
bie  bamalS  Anwefenben,  unb  einem  ©ebete,  wirb  baS  ©anje  gefd)loffen.  £)a3  2ieb  erfcheint  bei  SBeiffe 
unb  Stornier  mit  ber  ©ingweife  be§  £r;mnuS:  Beata  nobis  gaudia:  in  £om3  Bearbeitung  unb  bem 
©efangbud)e  »on  1566  f>at  e3  bie  if)m  eigentümliche,  vorauSfeklid)  bbf)mifd)e  SEftelobie,  bie  auch  ßanbgraf 
9Kori£  aufgenommen  f>at. 

&'n  britteS  ijt  ,,ba3  ©laubenSbefenntnifi  ber  Apoftel,  in  3?eim'  gefaffet:" 

2Bir  glauben  an  ©Ott  ben  SSater, 

Allmächtigen  £crrn  unb  ©chepffer, 

£>er  im  Anbeginn  ließ  werben 

25urd)  fein  Söort  Gimmel  unb  ßrben. 
Bei  SBeiffe  wirb  biefeö  Sieb  auf  bie  SDMobie:  ,,£>ie  ©onne  wirb  mit  ihrem  Schein"  jc,  bei  Stornier  auf 
bie  gleidjlautenbe  „(5f)rijlu3  leibt  ben  SEob  mit  ©ebulb"  »erwiefen :  erji  in  QomZ  Bearbeitung ,  unb  in 
bem  ©efangbueb, e  t>on  1566  erfcheint  bie  t>ier  üierfiimmig  bef)anbelte,  eigentümliche  SBeife.  —  £)e3 
Jrühgefanges  enblid):  , ,25er  Sag  bricht  an  unb  jeiget  fid)"  gebadeten  wir  bereits  bei  bem  £>re3bner 
©efangbuche  von  1593,  baS  tf;n  mit  feiner  ©ingweife  jucrji  aufnahm. 

©amuel  BreSterö  £ird>en  =  unb  £au$  =  Stfcufka  (Breslau  1618)  bietet  uns,  neben  fed)S, 
auö  lateinifd)em  &ird)engefange  gefchöpften  9JWobteen  beS  Brübergcfangbud)eS,  unb  bem  Abt-entSliebe, 
baö  aud)  ben  Sammlungen  beS  ^rätoriuS  unb  beS  Üanbgrafen  SOZonfe  gemeinfehaftlid)  ijt,  nod)  m'er  ©ing= 
»reifen  unb  lieber  bbf)mifd)er  J^erfunft. 


  285   


SineS  auf  ben  'palmfonntag : 

©unberlid)  btng  bat  ftd)  ergangen, 
ßbriftuS  warb  aB  ein  Äbnig  enfpfangen, 
ba  er  jur  Softer  3ton  fam. 

©anftmütbig  onb  oot  guter  fttten 
fam  er  auff  eim  efel  eingeritten, 
2Bie  3ad)aria§  weiffagt  tjat  :c. 
©in  jweiteö  auf  (grifft  tfuferftcbung : 

9Jtit  frewben  wollen  wir  fingen, 
reben  oon  frölicben  bingen, 
wie  fiel)  ßf)riftu§  nad>  feinem  tob 
feiner  Äirdjen  offenbart  bat  tc. 

<5in  ©terbelieb : 

ßob  fen  bir  gütiger  ©Ott, 
baft  bu  mir  baft  offenbaret 
beinen  <5on,  mein  £eil  unb  4?ort, 
ber  ftd)  felbS  nid)t  fparet; 
fonbern  gab  in  elenb  groS 
mir  on  ma£, 
bis  in  tob  willfaret. 
Snblid)  ein  gieb  com  jüngften  Sage : 

SD  jr  alle,  bie  jr  eud)  bem  Spdxm  oereiniget, 
unb  all  ewer  gliebemaS  jm  babt  gebeiliget, 
fcftt  ju  baö  jr  biefen  SSempel  ©otteS  ntd)t  entwehr, 
unweife  3mtgfrawen  onb  tobte  ßbriften  fepb; 
S3ergleid)t  euch,  nid)t  biefer  weit  in  Ungerechtigkeit, 
fonbern  tr)ut  wa3  jm  gefeit  ju  ewrer  feligfett, 
finget  jm  ein  geiftlid)  lieb,  lobt  jn  au3  ^erfeengrunb, 
preifet  feine  warbett,  onb  galtet  feinen  S5unb ; 
£)  jr  geredeten  frewet  eud) 
benn  ber  «£err  bat  euch,  »erjetdmet  im  bimelreid). 
Me  biefe  liieber  unb  Sölelobieen,  mit  2lu3nabme  be§  britten,  be$  ©terbeliebeö,  ba§  erft  um  1566  erfebeint, 
finben  roir  bereits  um  1531,  in  2Betffe'§  ©efangbucfye. 

German  ©d)ein§  ßantional  (ßeipjig  1627)  bringt  un3  nur  ba3  folgenbe  'tfbenblieb,  bas  mit  feiner 
fd)bnen  SJMobie  erft  in  bem  23rübergefangbud)e  oon  1566  erfebetnt : 

Sie  91ad)t  ift  kommen,         brin  mir  ruben  follen 
©ott  maltö  ju  frommen,       nad)  feim  SBoblgefallen, 
bafj  mir  un§  legen,  in  feim  ©'leit  unb  ©egen 

ber  Stur)  ju  pflegen. 


  286   

2lnbere,  fonji  bei  ihm  nod)  aufgenommene  Sieber  fommen,  aus  ben  oft  fd)on  angeführten  ©rün= 
ben,  hier  nid)t  in  ßrmägung;  wie  wir  benn  berer  ebenfalls  nicht  gebenfen,  bie,  menn  aud)  »on  9tticf>aei 
SBetffc  berrübrenb,  bod)  in  bem  ©efangbud)e  ber  SSrüber  titelt  unter  bie  ihnen  eigenen  aufgenommen 
ftnb,  ober  berer,  bie  uns  in  ben  juüor  genannten  geijtlid)en  Sieberfammlungen  bereits  begegneten. 

3n  ©tobäuS  fünffiimmigem  9JMobieenbud)e,  in  welchem  er  bie  ßhoralfäfce  feines  SSJleifierS  3o= 
bann  Eccarb  unb  feine  eigenen  vereinigte,  unb  um  1634  herausgab,  ftnben  mir  eine  bisher  noch,  nicht  auf= 
genommene  Gelobte  ber  33  rüber  nebjt  ihrem  Siebe,  einem  S£ifd)gefange,  betbeS  fd)on  um  1531  bei  9Kid)ae[ 
SBetffe  crfdxinenb,  unb  feitbem  ffetS  übereinftimmenb  im  S3rübergefange  heimifd) 
£>en  Später  bort  oben  mollen  mir  nun  loben 

Der  unS  als  ein  milber  ©Ott      gnäbigltd)  gefpeift  hat 
unb  ßbriftum  feinen  ©ol)n        burd)  meldten  ber  ©egen  fbmpt 
»om  allerf)bd)jien  Sl)ron. 
3»at  erfd)eint  biefeS  Sieb  —  ob  mit  feiner  Gelobte,  miffen  mir  nid)t  —  bereits  um  1576,  mit 
nod)  neun  anbern,  unter  benen  eS  bie  vierte  ©teile  einnimmt  —  ju  Seipjig  burd)  9citfcl  Verlieh  ($orm-- 
febneiber)  gebrudt;  baburd)  wirb  inbeß  für  feine  frühere  Einführung  in  bie  evangeltfd)  >  lutherifd)e  Siixfye 
nod)  nichts  ermiefen.  Eben  auch.  ©tobäuS  fefcte  um  1639  bie  SSJMobie  jenes,  bei  ©elegenheit  ber  ,,Äird)en= 
unb  £auSmuftca"  ©amucl  SSreSlerS  fd)on  ermähnten  ©terbeliebeS :  ,,Sob  fct>  bir  gütiger  ©Ott"  fünf* 
ftimmig,  inbem  er  fte  einem  anberen  ©terbeliebe  anpaßte,  baS  fein  ©onner,  ber  Pfarrer  ©eorg  SDißliuS, 
ft'cb  felber  gebid)tet  hatte,  eS  auch,  nod)  auf  feinem  ©terbelager  mit  beS  9JieificrS  Sonfafce  ftd)  »or= 
fingen  ließ : 

£err  id)  benf  an  jene  3ett 
ba  id)  biefem  furjen  Sehen 
SBegen  meiner  ©terblid)fett 
gute  5J(ad)t  muß  geben. 
SBenn  id)  merb'  burd)  bein  ©ebot 
£>urd)  ben  SSob 
MeS  überjtreben. 

Surd)  biefeS  Sieb  fanb  bie  an  ftd)  fd)on  anmuthenbe  SBeife,  beren  mir  fpäter  nochmals  gebenfen 
werben,  größere  Verbreitung  ;  nod)  je£t  lebt  fte  in  vielen  ßl)oralbüd)ern  fort,  unb  faum  bürfte  bieS  gefd)ef)en 
mm,  menn  SSreSler  —  ein  mittelmaßiger  ©e^er  —  ber  einjige  geblieben  märe,  ber  fte  eingeführt,  ober  wenn 
man  fte  nur  ju  ibrem  urf»rünglid)en  Siebe  gebraucht  hätte. 

9lad)  ber  Stifte  beS  SafjrfjunbertS  werben  bie  Entlehnungen  auS  bem  bbl)mifd)en  Äirchengefange 
immer  feltner.  £)aS  ©othaifche  Eantional  (1649  — 1657)  hat  nur  bte  in  ben  lutb,erifchen  Äirchengefang 
Damals  feit  mehr  als  hunbert  fahren  eingebürgerte  SDMobie  beS  ffiegräbnißliebeS :  ,,9hin  laßt  unS  ben  Seib 
begraben,"  von  ber  mir  nid)t  einmahl  wiffen,  ob  fte  von  ben  SSrübem  herrühre,  ja,  eS  ju  bezweifeln  hoben. 
ErbarbS  5Kelobieengefangbud)  (1659)  bringt  nur  ein  SDlorgen^  unb  ein  £ifd)lteb,  bte  wir  fd)on  juvor  an= 
geführt;  mehre  baS  Erfurter  Bieberbud)  von  1663,  bod)/  bis  auf  jwei  Sieber,  nur  bereits  früher  Ent= 
lehnteS.  £aS  eine  biefer  beiben,  ein  ^affionSlieb :  „Den?  5!Kenfd)  wie  bieb.  bein  £eilanb  liebet,"  foll  nad) 
ber  2ßeife  gelungen  werben :  „Jam  moesta  (fuiesee  querela,"  gehört  olfo  nicht  ht'eher:  nur  bie  SJlelobie 
ceS  ^roeiten  rann  als  neu  Erworbenes  gelten : 


  287   


£  Sbrtfte,  3Sabrl)eit  unb  geben, 

3Bir  bitten  bu  roolleft  geben 

deinen  ©eijt  üon  oben, 

'DJi'it  feinen  ^eiligen  ©aben, 

£afj  bein  rein  SBort  un3  auff  Grrben 

Wofot  verfünbet  merben, 

ein  &eb,  nad)  bem  ßoangelio,  »or  ber  ^»rebigt  ju  fingen.  Gs  fommt  jrcar  bereits  bei  2ßeiffe  um 
1531,  jebod)  ohne  eigene  Singmeife,  wor;  biefe  finbet  es_  erft  bei  .Iporn,  unb  um  1566,  übereinftimmenc- 
mit  ber  Pes  Erfurter  8icberbud)e§. 

äSopeliuS  Seidiger  ©cfangbudi  Dom  3afyre  1684  enthalt  12  2ieber  ,,ber  S5rüber  in  33öbmen," 
allein  unter  ihnen,  bi§  auf  eine§,  nur  früher  fd)on  entlehnte;  biefeS  eine,  ein  rftergefang ,  ,,33ctrad)t"  mir 
beut  ju  biefer  grifi  bietfuferfictmng  gef«  ßf)rift,"  flammt  aber,  feiner  Sßeife  nad),  aus  lateimfd)em  Äircben= 
gelange.  (Resurrexit  Dominus.). 

5Bir  fönnen  bienad),  roenn  mir  bas  oon  3of)ann  ©ccarb  gefefete  £od)$eit3licb  bin$u  rennen,  im 
©anjen  24SDZelobieen  jablcn,  bie  aus  bem Steile  bes  Äird)engefanges  ber  SSrüber,  ben  mir  bobmifeben") 


')  ber  gegenwärtige  tfbfcbnitt  febon  längere  3cit  auggearbeitet  war ,  ber  Sruct  bes  ganjen  SBertes  auch 
fdjon  begonnen  tjattc,  gelangte  ber  23crfaffcr  ju  eigener  Qlnfcbauung  bes  in  S3ccters  £arftctlung  ber  mufifalifeben  Sitera= 
tur  (Nachtrag  Col.  157)  unter  ber  Sabrjabl  1564  angeführten  böbmifdjen  G>antionals,  beffen  üitcl  in  böhmifeber  Sprache 
fid)  bort  oollftänbig  abgebruett  finbet.  £crfclbe  nennt  bie  in  bem  SSucbe  enthaltenen  ecangelifcbcn  ©cfänge,  „oon  neuem 
burebgefeben ,  oerbeffert  unb  burd)  neue,  fdjriftmä'fiigc  ocrmetjrt,"  beutet  alfo  auf  eine  früher  fdjon  oorbanbene  Samm; 
luug  ähnlicher  2Crt.  SBie  es  bamit  befebaffen  gewefen,  erfahren  wir,  ebne  genauere  3eitangabcn,  burd)  bie  in  ber  5Bor= 
rebc  unferes  Gantionals  enthaltene  ßrja'fjlung.  Ss  btipt  barin:  ber  33orfd)rift  bcS  tfpoftels  geborebenb,  bas  SBort 
Sbrifti  reichlich  wohnen  ju  laffen  in  ber  ©emeine,  Ijätten  bereits  in  älterer  3cit  erleuchtete  SJtänner  bes  bö'hmifcben 
53olfcs  in  beffen  Sprache  geifilicbc  Sieber  gebichtet  unb  gefungen.  So  fen  es  fchon  um  bie  3eit  bcö  9Jcagiftcr  Jpufs  unb 
beffen  (Schüler  gefdjeben,  unb  bas  juoor  weif  geworbene  ©oangelium  habe  nun  begonnen  fid)  aufzurichten,  unb  als  fd)öne, 
troftreiche  SSlume  ju  erblühen.  Unter  ben  SSrübcrn,  ihren  Nachfolgern ,  habe  man  jene  Sieber  jufammengetragen,  fie  mir 
neuen  gemehrt,  unb  fid)  ihrer  öffentlich  bebient,  wenn  es  thunlich  gewefen;  insgeheim,  wäljrenb  ber  £)rangfale  ber  S3er= 
folgung.  ©nblicb,  als  burch  ©ottes  ©nabc  ben  SSrübcrn  größere  grci'bcit  geworben,  fei)  auch  eine  grofje  SlnjabJ  berfelben 
im  ©ruefe  herausgegeben.  (Später  habe  ber  S3accataurcus ,  SSrubcr  Sucas,  unter  ©enchmigung  ber  tflteften,  unb  auf 
beren  ©eheifj,  eine  umfangreichere  Ausgabe  unternommen,  bod)  mit  wenigem  Srfolge ;  2luslajTungcn ,  SScränbcrungen, 
Aufnahme  nicht  gebilligter  Sieber  hätten  bas  SKifsfallen  ber  33rüber  erregt;  es  ferj  eine  abermalige  2frbeit  crforberlicb  ge= 
wefen ,  über  welcher  SSrubcr  SucaS  hingefdjicben  fei) ,  unb  bie  erft  nach  langer  Unterbrechung  habe  }u  Stanbe  gebracht 
werben  fönnen.  ©ie  fet)  oon  ben  Älteftcn  ber  SSrüber s Unität  geprüft,  berichtigt,  baS  ßantional  enblich  §u  ^rag  ge^ 
brueft,  unb  bis  auf  bie  gegenwärtige  3cit,  fchicr  20  Sahrc  lang,  in  Übung  gewefen.  (@S  wirb  alfo  etwa  1544  erfcf)i€= 
nen  fei)n.)  2luch  feit  jener  3eit  fei)cn  nod)  neue  anbächtige  Sieber  gebichtet,  unter  fehweren  Prüfungen,  bie  bes  Jperr, 
wie  jur  Säuterung  be§  ©olbcS,  jugelaffcn  habe.  SJiefe  Sieber  habe  man  nicht  minber  gefammelt  unb  bem  2>ructe  über.- 
geben,  boch  habe  Unfunbe  ber  2fbfcbreiber  fie  jum  grofjen  Steile  cntftellt.  Sin  neuer,  oerbeffertcr  2lbbruc£  fen  nötfjtg 
gewefen,  unb  nun  fei)  befdjloffen  worben,  jene  alten,  wie  biefe  neuen  Sieber  in  ein  einiges  S3uch  jufammenjufaffen ,  unb 
fo  jum  ©ebraud)e  ber  ©emeinen  bei  Jf)errn  heraussugeben.  St'efeS  fei)  nun  gegenwärtig  gefd)cl)en,  unb  ba  bas  S3ud) 
junäd)ft  für  bie  ©emeine  ber  SSrüber  beftimmt  fc»,  möge  man  es  wobl  bae  SSrübergc fangbuch  nennen,  wie  jenes 
ältere,  jweimahl,  ju  >l)rag  unb  Seutomifd)l  gcbrucEte.  9}Jan  empfehle  es  aber  aud)  allen  anban  ßhriften  böhmifdjer 
3unge,  jumaht  ben  ©laubenegenoffen  sub  ntraqae,  mit  benen  man  in  bem  Slrtifel  oon  bem  ©enuffc  bes  heiligen  2Cbenb= 
mahles  in  beiberlci  ©eftalt,  unb  in  mehren  anbeten  übercinftimme ,  unb  mit  benen  man  fid)  nad)  ©ottes  heiligem 
SBillen  gern  oereinigen  unb  »ertragen  möge. 

Siefes  ift,  furj  jufammengcfafjt,  ber  Snhalt  biefes  Vorworts,  bas  unterjeichnet  ift:  „bie  SSrüber ; Ältcften 
bes  ©efe^es  (Stjrifti,  wcldje  oon  einigen,  theils  aus  3rrtf)um,  theils  aus  Jpa#,  ^idharben  ober  SBalbenfer  genannt  wer^ 
ben."   Über  bie  SJcelobieen  ber  Sieber  finbet  fid)  feine  SSemerfung  in  bemfelben. 


  288   


UrtprungeS  balten  bürfen,  in  bie  Iutt>ertfd?e  Äirdje  übergegangen  ftnb.  £>iefer  Zfyeil,  in  feiner  @ef  ammt= 
beit,  ifi  von  nicht  unbeträchtlichem  Umfange.  2öir  jäblten  in  ber  erften  Unterabteilung  be§  erjten 
tfbfcbnittä  üon  bem  S5rübergefangbud)e  be3  %ai)ict§>  1566,  unter  86  rbptbmifdben  SBetfen  beren  27,  in  ber 
jroeiten  unter  148  beren  104,  jufammen  alfo  131,  benen  mir  einen  folgen  Urfprung  beimaaßen.  ^Betrachten 
mir  biefe  junächfi  nach,  ihren  Tonarten:  fo  ftnben  mir,  baf?  bie  meiere  SEonart  »or  ber  harten  hier  ba3 
entfdbiebenfte  Übergewicht  bat.  Senn  biefe  letzte  fommt  in  nur48§dUen,  jene  bagegen  in  83  t>or,  fajt 
boppelt  fo  oft.  S3ei  ben  £>urmelobicen  aber  berrfebt  mieberum  bie  i  o  n  i  f  cb  e  SEonart  t>or :  fie  erfcheint  neun 
unb  jmanjig  9Jiabl  in  bem  Umfange  t>on  F  mit  »orgejeiermetem  b,  unb  breijeljnmabl  in  ihrer  urfprünglidjen 
Sonböbe  »on  C,  im  ©anjen  alfo  in  42  gdllen  :  nur  fedbSmabl  begegnet  un£  bie  mirolpbifcbe  £onart.  3n 
biefem  SEbeile  ber  bbbmifcbcn  SKelobteen  bürften  mir  baber  ein  üorfjerrfdjenb  »olfgmäfjigeS  ©epräge 
febon  be§balb  ttorausSfefjen,  meil  jene  fircblid)e  Tonart  eine  fo  feiten  anjutreffenbe  ijt.  2tnber§  fdjeint  e§  bei 
bem  erjkn  2lnblicfe  mit  ben  ©ingmeifen  meiner  Tonart  ft'cb  ju  »ehalten.  2Cu§  ber  äolifeben  SEon= 
art  ndmlicb  ftnben  mir  nur  beren  24 ;  —  13  im  Umfange  t>on  A,  elf  tton  D  mit  »orgejeiebnetem  b ;  rt>o= 
gegen  37  in  ber  bor if eben  SEonart  ft'db,  bewegen  (17  in  D,  20  in  G  mit  t>orgejetd)netem  b),  unb  21  ber 
pbrpgifcben  angeboren  (16  im  Umfange  ton  E ,  5  in  A  mit  »orgejeiebnetetn  b) ;  bie  ftrenger  fird)= 
lieben  Tonarten  alfo  bie  öfter  üorfommenben  ftnb.  %a,  e§  erfd)eint  um>  hier,  freilicb  nur  in  einem  emji= 
gen  galle,  ber  fonjl  megen  ber  falfcben  Quinte  wermiebene  Tonumfang  won  H,  in  melcbem  fogar  jeneö  mif  ■- 
tbnenbe  33erbältnif? ,  menn  aud)  nicht  in  unmittelbarer  S5ejiel)ung  auf  ben  ©runbton,  al§  SBejeicbnenbeei 
auftritt,  rooüon  fpdter  ju  reben  ferni  mirb.  S5ei  ben  SKollmelobieen  mdre  bemnach  bie  firdjlicbe  SEon* 
art  bie  unbebtngt  übermiegenbe,  in  58  fallen  gegen  24 ,  menn  mir  nämlich,  jene  feltene  2Cnmenbung  einer 

SBae  nun  biefe  betriff:  fo  ftnb  beren  im  ©anjen  424,  üon  benen  269  aud)  in  bem  beutfd)cn  SSrüber; 
gefangbudje  oon  1566  enthalten,  155  alfo  unferem  böbmifd)en  eigentümlich,  finb.  95on  ihnen  finben  fiel)  nod)  15  in 
bem  Slnhange  bc6  beutfetjen,  fo  baf  bie  3afjt  jener  fid)  auf  140  ücrminbert.  Stiebt  alle  unter  tiefen  ftnb  aber  rt)t)tb= 
mifdje  ÜKetobieen ;  beren  74  ftnb  bloße  Citurgiecn ,  unb  ee  bleiben  alfo  an  ©efä'ngcn  jener  2Crt  nur  66  übrig,  bie  in  bem 
böbmifeben  (fantional  ausfdjlieficnb  angetroffen  »erben.  2tber  aud)  bae  beutfdje  bat  bcrglcidjcn  nur  in  i b m  enthaltene ; 
es  finb  ihrer  56,  ober,  »enn  mir  bie  bloe  coUeftcnartigen ,  jebn  an  ber  3abl,  bacon  in  ZCbjug  bringen,  46. 

3u  biefen  geboren  nun  aud)  bie  SMobiecn  folgenber  fiebert  Sieber : 

1)  Cafit  un§  fröblid)  unb  einträd)tt'g  fingen  u. 

2)  9(16  2fbam  im  ^)arabic6  :c. 

3)  SBunbcrlid)  Sing  bat  fid}  ergangen  :c. 

4)  2Cllmäd)tiger  gütiger  ©Ott  u. 

5)  D  (Jbrifte  SBabrbeit  unb  Beben. 

6)  2)er  Sag  bridjt  an  unb  geiget  fid). 

7)  Sie  9lad)t  ift  fommen,  brin  »ir  ruben  follen  it. 

Siefe  SMobtcen  ftnb  ale  »abrfdjeintid)  böbmifdjen  Urfprungee  in  bem  oorliegcnben  '2ibfd)nittc  bejeidjnet; 
ba  fie  tnbef?  allein  in  bem  beutfeben  (Santional  ber  SSrüber  fid)  finben,  fo  fdjeint  baburd)  jene  SSermuttjung  »ibcrlegt 
ju  werben. 

Diefer  3»eifel  ocrfcb»inbet  inbeß  bei  ben  meiften  unter  ifjncn  nad)  genauerer  «Prüfung. 

3unäd)ft  fann  bae  5Jid)toorfommen  biefer  SRelobiccn  in  bem  böbmifdjen  S5rübergcfangbud)c  nid)t  unbebingt 
gegen  ihren  böbmifdjen  Urfcrung  cntfdjeiben,  eben  fo  »enig  otfi  ba6  SBorbanbenfenn  in  bcmfclbcn  eine  SOJelobie  ju  einer 
böbmifdjen  ju  ftempeln  uermag.  Senn  unter  ben  in  bemfelben  aufgenommenen  finben  fid)  mehre,  bie  urfunblid)  beut-- 
fdjen  Urfprungee  finb,  unb  beren  mehre  bod)  in  bem  bcutfd)cn  (5antional  nidjt  angetroffen  »erben.  ®er  umgctetjrte 
JaU,  ba&  aud)  böbmifd)e  fmelobicen  nur  in  biefem  legten  fid)  finben  »erben,  liegt  baber  nidjt  aufjer  ben  ©renjen  ber 
5J(öglid)feit.  Der  böhmifdje  unb  ber  bcutfd)e  (Stamm,  in  bemfelben  Canbc  angcficbelt,  fanb,  »enn  aud)  burdj  bie  ©pradjt 
aueeinanber  getjalten,  bod)  in  ber  ©cmeinfdjaft  bce  ©laubene  einen  lebenbigen  SSerübrungepunft,  ja,  bie,  beibe  auf  glcid)c 
3Beife  treffenbe  Verfolgung  mugte  fie  näher  an  cinanber  fd)licfjen.   SOtan  eignete  fid)  gegenfeitig  an ,  nadjbt'lbenb ,  »a6 


  289  — — 


Sonleiter  nid)t  mitwählen,  bie  wir  weber  ben  fircblid)en,  nod)  ben  uolBmdfiigcn  beirecbnen  bürfen.  @S  ift 
jebocb  ju  erwägen,  baf?  bie  ©ingweifen  in  bem  boppclten  Umfange  ber  bovinen  Tonart  beren  etgenthüm= 
liebe»  ©epräge  bod)  feiten  ftreng  beobachten,  unb  mehr  unb  minber  I;tnübcrfd>n>etfen  in  bae>  '#olifd)e.  (ix-- 
innem  wir  un3  nun  aucf> ,  bafj,  felbft  wenn  wir  in  S3eftimmung  ber  Tonart  unS  an  Umfang  unb  £>orjeicb= 
nung  ftrenge  galten  wollten,  bennoer;  im  ©anjen  ber  ©efdnge  auS  üolBmdfjigeren  Sonarten  minbeftenS 
eben  fo  uiel  feiert  würben,  als»  ber  auö  Fivd?Itd>en  —  üon  jenen  42  auS  garten,  unb  24  au3  weichen,  gegen 
(i  auS  garten  unb  58  au3  weichen  t>on  biefen,  ohne  bie  9Jcelobie  in  II,  —  fo  bürften  wir  nid)t  irren,  wenn 
wir  einen  großen  Sbeil  ber  9J?elobieen  beei  böl)mifd)en  Äird)engefangc§,  fooiel  au 3  ben  SEonarten  ju  fcbliefkn 
ift,  atS  urfprünglid)  weltlichen  Siebern  angebbrig  erachten,  ©ebon  früfje  wirb  bie  2tbftd)t  gewefen 
fepn,  wie  fie  ja  aud)  in  ber  83orrebe  unfereS  ©efangbud)e3  beutlid)  au3gefprod)en  ift,  mit  füßem  ©efange 
bie  3ugenb  ju  ber  reinen  d)riftlicben  ßebre  ju  gewönnen,  unb  fie  baburd)  t>on  unnüfjen  unb  fd)dblicben  SBelt-- 
liebern  abjuwenben,  jumabl  wenn  biefen  ihr  locfenbfter  ©ebmuef  abgeftreift  unb  basjenige  bamit  angetfyan 
war,  waö  man  ihr  lieb  machen  wollte,  fragen  bod)  üiele  jener  ©ingweifen  nod)  beutlid)  ba§  ©epräge 
ihre»  UrfprungeS !    @o  bie  JJJZetobie  be§  SiebeS : 

9lun  fef)t  unb  merfet  lieben  Seut 

@briftue>  ift  für  ber  Sbür  ic.  *) 
(23  wirb  in  bemfelben  v>on  ber  ©itetfeit  bc3  2Beltwefen3  abgemahnt,  unb  ber  Verlauf  beffelben  nach  ben  »ier 
fogenannten  Sßeltaltern,  bem  gülbenen,  ftlbernen,  ehernen,  eifernen,  barcjeftellt;  feine  SBeife  mag  aber 
urfprünglid)  einem  Sanjliebe  angehört  haben,  bem  fie  wohl  entlehnt  würbe,  um  fo  bie  Sßett  mit  ihre» 
eigenen  SBaffen  ju  befdmpfen.    ©o  wirb  aud)  bie  äöeife  be3  SehrliebeS : 


einer  unb  anberer  ©cit«  an  ßob*,  SBet: ,  SBcEcnntntf  ttebern  cnf  ftanb ,  unb  rcurbe  bie  bid)terifd)c  gorm  beibehalten ,  fo 
folgte  bie  SJfclobie  unmittelbar  nad).  Oft  aber  roar  e$  aud)  biefe  allein ,  bie  fiel)  33af)n  niadjte ,  unb  nun  bie 
bidjten'fdjc  gorm  bebingte.  ©o  ift  ti  bötjmtfdjer  ©citS  namentlid)  häufig  gcfd)cl)cn.  £ie  Sßcife  bc6  lutfeerifdjen 
Siebes  „Sin'  fefte  SBurg"  finben  roir  einem  9ccu)at)rSgefange  angeeignet;  bie  SERelobie  beS  alten  ©efangeg  oon  bem 
SBiberftreite  bc$  gleifd)eS  unb  ©eiftcS 

9Jun  l)öret  ju  ihr  @f)riftcnlcut 
SQSie  glcifd)  unh  ©eift  gen  anber  ftreit 
einer  Umfdjreibung  bet?  120ften  «PfalmS  ,,3d)  t)ebe  meine  tfugen  auf  ju  ben  Sergen  it.,"  beren  einjclne  ©tropfen  burd) 
tfntiphonieen  nad)  einer  befonberen  ©tfangSroeife  unterbrod)en  roerben;  unb  ttinlidjeS  gcfdjieht  öfter.  23afj  es  beutfeber 
©eitö  in  «Böhmen  ebenfalls  fo  gefdjeljen  fei),  roirb  faum  ju  begroetfetn  fenn,  fo  roenig,  aU  baS  ©djöpfen  aus  gleidjcr 
Cuclle  bcibcrfeitS  bei  ben  SJJelobicen.    <Bo  bat  unter  anbern  baß  Qtyükb  bc«  beutfd)en  6antionaK 
Safjt  un§  fingen,  unfre  ©timmen 
ju  @ott  ergeben 

eine  (in  gegenwärtigem  2tbfd;nitte  mitgetf) eilte)  SMobie,  bie  in  bem  böfjmifdjen  einem  S5$cif)nad)teiiebe  angeeignet  ift, 
beiben  Siebern  alfo  faum  urfprünglid)  angehörte ;  eine  SJcelobie,  bie  früher  in  feinem  beutfdjcn  5Welobieenbud)e  fid)  finbet, 
unb  roenn  einem  SSolfSliebc  entlehnt,  »of)I  oon  einem  böf)mifd)en  ftammen  bürfte. 

3Bae  nun  inSbcfonbere  bie  fieben  juoor  namentlid)  aufgeführten  «Ocelobieen  betrift;  fo  mödjten  bie  mit  ben 
Stummern  4  unb  6  bejeidjncten  aus  ben  in  unferem  2tbfd)nitte  felbft  angeführten  ©rünben  aU  entlehnte,  unb  ba  fie  in 
beutfdjen  Sammlungen  fid)  niebt  finben,  aud)  als  böhmifdje  gelten  fönnen.   SSei  benen  unter  1  unb  3  ift  biefeS  um  fo 


•)    @.  162 b.  162. 


PS 


ffiititerfclfc,  ber  e»artgct.  G^oralcjefang. 


  290  


ein  ebler  ©dbaij  ber  SÖ3etät>ett 

Sft  ©otteä  SBort  unb  Sehr*; 
ihrem  ganj  weltlichen  2fnfcf)en  jufolge,  ähnlichen  Urfprunge§  fet)n.  3n  ben  SBeifen  aber,  bie  wir,  mit 
23e$ug  auf  ihre  Tonart,  für  urfprünglid)  geifttichc  galten  motten,  trägt  bod)  ber  rf)»tbmifd)e33au  wieberum 
bei,  ba3  »olBmäfjige  ©epräge  ju  erhalten.  S5ei  ihnen,  ben  ©rjeugniffen  tiefer,  frommer  33egeifierung, 
maltet  bie  w eid) e  Tonart  fo  mächtig  t>or  —  fajl  in  bem  33erf)ältniffe  »on  jcbn  ju  einS  (58 :  (5)  —  bafj  wir, 
aud)  ba<>  SSerbältnifj  im  ©anjen  fcfi^altenb,  nid)t  anftehen  bürften  ju  behaupten,  bafj  bis  in  ba3  16te  3abr= 
bunbert  hinein  bei  bem  böl)mifd)en  SSolfe  in  feinen  ©ingweifen  eine  entfd)iebene  Vorliebe  für  fie  ftatt= 
gefunben  fjabe. 

Wad)  biefen  allgemeinen  Betrachtungen  gehen  wir  nun  über  ju  ben  ©ingweifen,  welche  ber  e»an= 
gelifcfye  Äircbengefang  aus>  bem  ber  SBrüber  fid)  aneignete,  unb  befd)ränfen  un£  einftweilen  wieberum  bar= 
auf,  nur  ihre  Tonarten  in  ba$  tfuge  ju  faffen.  2Bir  fehen  junäd)ft,  bafj  bei  berSBaf)l  feine  biefer  formen 
übergangen  ift,  bis  auf  bie  pbrwgifcfye  Tonart  in  tfjrer  »erfefcten  Setter  5  fogar  ba§  einige  S5eifpiel  einer 
©ingweife  au3  bem  ungewöhnlichen  Tonumfänge  »on  H  gebort  mit  ju  ben  gewählten.  £)ie  Jpälfte  ber 
aufgenommenen  SOMobieen  bewegt  ftd)  in  ben  mehr  »olBmäfjigen  Tonarten,  bem  3onifd)en  unb  'Xoiifdjen : 
brei  in  bem  Umfange  »on  C,  jwei  in  bem  »on  F  mit  »orgejeiebnetem  b,  fünf  in  bem  »on  A,  jwei  t>on  D 
mit  SSorjeic^nung  be§  b:  jufammen  alfo  jwblf.  @ben  fo  bat  auch  l)ier,  wie  im  ©anjen,  bie  weid)e 
Tonart  baS  Übergewicht;  fie  fbmmt  fed)$ef)nmabl  »or**j.  £>ie  2Baf)l  würbe  baher  eben  fowohl  burch  ba3 
mehr  XSolfSmäfjige  im  Allgemeinen,  aB  beffen  eigentümlich, e3,  eben  bei  bem  böbmifeben  SSolfe  in  ber 
Tonart  ben>ortrctenbeS@epräge  benimmt.  £)ie  ionifebe  Tonart  in  iljren  beiben formen  ftnbet  ftd)  jumetfi 
bei  ©efängen  heiteren  Inhalte»  ober  ßobgefängen  angewenbet.  ©0  bei  bem  Siebe  »on  ber  troftltcben  83er= 
beifjung  an  2lbam  »on  bem  jurunftigen  SEBeibeSfaamen  (2lB"J(bam  im^)arabie§),  bem#uferftef)ung3gefange: 
9Cßit  Jratben  wollen  wir  fingen,  bem  £>anfliebe:  £)en  S3ater  bort  oben,  bem  Tifcbliebe:  Allmächtiger, 
gütiger  ©ott;  bod)  erfd)eint  fie  aud)  bei  bem  ©terbeliebe:  „2ob  few  bir  gütiger  ©ott, "  ein  3eid)en  einer 


mehr  nod)  anjunebmen,  ba  bie  brcijeilige  ©tropfe  bem  beutfdjen  Ciebcrgefange  fremb  ift,  in  bem  böbmifdjcn  bagegen 
bäufig  erfchetnt.  2lud)  bie  gorm  ber  fccbSjcitigen  in  bem  Ciebe  „D  @bnfte  Sffiabrbcit  unb  Ceben"  —  jrccimabt  jroci 
ad)tfi)lbige  Seiten  x>on  einet  fed)6fi)lbigen  gefolgt  —  ift,  fo  meit  ber  25erfaffer  fid)  erinnern  tann,  im  beutfeben  ©efange 
if)m  nidjt  üorgetommen.  Sie  SDSeife  unter  2  fdjtiefit  ber  ©tropbc  beö  Siebes :  Dies  est  laetitiae  fid)  an,  auf  beffen 
SJklobie  ihr  Sieb  aud)  früher  gefungen  rourbc,  atfo  einer  nidjt  urfprünglid;  böbmifeben-,  reo  ber  fie  nun  flamme,  mujj 
fteilid)  uncntfdjiebcn  bleiben,  aber  in  früheren  geiftlid)en  bcutfcfycn  eieberbüdjern  au^er  benen  ber  SBritber  tommt  fie  nietjt 
cor.  Die  Sßeife  bc6  Mbenbtiebeö:  ,,Die  9Jad)t  ift  fommen"  enbtid)  tonnte  aud)  einer  SSctonung  bcö  fappl)ifd)en  SJcaajks 
urfprünglid)  angehören,  bem  fid)  itjr  3<t)ntt)muS  anfd)liefit,  alfo  einem  rootjl  lateinifdjen  ©ebidjte  entlehnt  fenn.  33er 
SSerfaffcr  bat  fie  unter  Betonungen  fold)er  2trt  oor  bem  3abre  15C6  nidjt  aufftnben  tonnen,  üicllcidjt  ift  ein  Änbcrcr 
inbefi  glüctlicber.  3br  Urfprung  bleibe,  als  jrceifelbaft,  babingeftellt. 
*)   ©.  193. 


")  A  fünfmabt. 
I)  oiermabl. 
D.b  E.  G.b 
2.    3.  1. 


  291   


trbftlicben,  fetteren Anficht  »on  bemSobc.  Sie  mirolnbtfcbe  finbm  wir bei  bem$Pfingftliebe:  „'#ls3efuS 
(Sfjrtfiu^  ©ottes  ©obn"  unb  bem  '.ttbenbgeiange :  „Sie  Stacht  ift  fommen,  brin  wir  ruhen  fallen;"  bod) 
neigt  ft'dr>  tt>r  aud>  bie  SBeife  beS  tfuferftebungsliebes  ju  „Mit  greuben  wollen  wir  fingen/'*)  obgleich  fie 
fonft  tonifcben  Umfanget  ift.  (53  jeigt  ftd>  biefes  bind)  bie  "tfusweicbung  in  bie  Unterquinte  bes  ©runb= 
tonS,  unb  bie  TTnwenbung  feiner  f leinen  Serj  unmittelbar  »or  bem  ©d)luffe,  einen  Entlang  beS  Sori= 
fcben.  Sie  äo  lifcbe  Sonart  ift  angeroenbet  für  bie  Sieber  am  9)almfonntage:  „£)  SJJenfd)  betraft,  wie 
biet)  bein  ©ort/'  „2ßunberlicb  Sing  bat  fieb  ergangen;"  ba3  Sieb  »om  ßeiben  @brifti  „©cbau  fünbiger 
SOZenfd)  wer  bu  bift;"  ben  ©efang  wem  ^reuj  ber  Aircbe  ,,£)  2Bdd)ter  wad>,  unb  bewahr  beine  ©innen;" 
bas  Sanflieb  nach  bem  (Sffen  „Sanfet  bem  #errn,  benn  er  ijt  febr  freunbtieb;"  bas  Sebrlieb:  2Bir  glau= 
ben  an  ©ott  ben  Skier"  für  lefyrenbe,  warnenbe,  erma()nenbe  ©efänge.  Sarum  ift  fie  wof)l  auch  für  bas 
SBeibnacbtstieb  „Saßt  un§  fröhlich  unb  einträchtig  fingen,"  gewählt,  beffen  3nfyalt  mehr  Sebre  ift,  al§ 
geftesTreube.  S orifcb  ift  bas  2(b»entslieb  ,, ©täubige  ©eel'  febau  bein  £err  unb  £eitanb  will  fommen," 
baS  2öeibnacbtslieb :  „£)  drifte  wahrer  ©otteS  ©obn,"  beffen  rbötbmifcber  S3au  (ba§  Ausgeben  bes"  breU 
tbeiligcn  9J2aaßes  in  bas  jweitbeilige)  neben  bem&rnft  ber  Sonart  and)  biegefteSfreube  binburcbflingen  läßt ; 
bas  Sieb:  ,,2ob  fen  ©Ott,  bem  ber  ©aame  Hbxalja  »erbeißen  ift  nun  fommen"  »on  @brifti  S3efd)neibung; 
ba§  SDlorgenlieb :  ,,Ser  Sag  bricht  an  unb  jeiget  fieb,"  ba3  ^rebigtlieb :  ,,£)  Grifte,  Sßabrbeit  unb 
geben,"  bas  @beftanbslieb  „Saßt  unS  fingen,  unfre  ©timmen  ju  ©Ott  ergeben;"  ein  mehr  ernfter,  oft 
ftrenger,  aber  aud)  f  räftigerer  Son  berrfebt  in  biefen ©ingweifen  als  in  ben  genannten äolifeben.  ^)l)rr;gifd) 
ift  bie  SBeife  be§  Siebes  »om  jüngften  Sage:  „£>  ir>r  alle  bie  if>r  euch  bem  £errn  »ereiniget;"  bie  ber  Unv 
fd)reibung  bes  fßater  Unfer  „Saßt  uns  fcfyreien  alle  gleich,"  unb  bie  freilief;  balb  »erbrängte  bes  33egräbniß-= 
liebes  :  9cun  laßt  un§  ben  Seib  begraben.  3nt  Umfange  »on  H  enblid)  bewegt  fieb  ba§  SOIorgenlieb :  „Ser 
Sag  vertreibt  bie  finftre  Stacht"**).  Sa§  ©epräge  biefer  Sonreibe  ift  »on  ÜJZicfyaet  9>rätorius  in  ber  Wleio- 
bie  treulieb  beibehalten,  bat  er  fie  auch  in  ben  Umfang  von  A  mit  »orgejeidmetem  b  werfest,  benn  er  febreibt 
im  britten  Saft  bie  falfcbe  £luinte  es  »or;  Solenn  ^ermann  ©djein  bagegen  unb  bas  Erfurter  ©efang= 
buch  »on  1663  haben  biefes  ihnen  mißfällige  Son»erbältniß  getilgt,  unb  nur  ben  legten  ©cblußfall  beibe= 
halten,  ben  bie  Seiter  »on  H  mit  bem  ^)h^gifd)en  theilt.  Saburch  ift  aber  bie  SCßetobie,  welche  fonft  einer 
in  ber  älteren  Sonfunft  unbenannten  Sonart  angehört,  jener  ftreng=fird)lid)en  angeeignet. 

3Bir  finben  hienad)  bei  ben  aus  bem  S3rübergefange  aufgenommenen  ©ingweifen  bie  gebräud)ü= 
eben  gormen  ber  fird)lid)en  Sonarten  in  jwedmäfjiger  ^(nwenbung,  boch  bürfen  wir  nicht  behaupten,  baß 
ber  eoangelifche  Äirchengefang  eine  wefentliche  ^Bereicherung  baburd)  erfahren  habe.  @r  nahm  in  ihnen  nur 
bemjenigen  ©leichartiges  auf,  bas  er  febon  befaß.    Sie  einzige,  feltene  gorm  aber,  bie  als  eine  neue  in 


  292   

ihn  überging,  mixte  balb  in  eine  f tx*dt?Itct>  berfbmmlicbc  umgebilbet,  verfd)roanb  alfo  gänjlid),  fo  weit  fie 
eine  eigentümlich,  auSgcjeicbnete  war. 

^Betrachten  wir  bie  ©tropfen  be§  böl)tnifd)en  S^eileö  ber  ©ingweifen  be§ 33rübergefanges>,  unb 
beren  rl?ptt)mtfd>en  33au,  junäd)ft  im  Allgemeinen,  wie  e§  eben  bei  beren  Tonarten  gefd)ab,  fo  tritt  un$ 
bierin  eine  große  SKannicbfaltigfeit  von  Salbungen  entgegen.  Svoetjeiligen;  bis!  vierjebnjeiligen  ©trogen 
begegnen  wir  in  jteter  gortfcfyreitung,  ja,  auch  brei  einzelnen  SBeifpielen  einer  18;,  27=,  28jeiligen  5  biefe 
ftnb  jebod)  3ufammenfe^ungen  ruberer,  in  ftd>  felbfiänbiger  ©tropfen.  Sie  18jeiligc  befrebt  au§  jwei 
ft'ebenjeiltgen  unb  einer  vierteiligen  ©tropbe;  bie  27jeiltge  au§  brei  neunjeiligen;  bie  28jeilige  aus?  jwei 
acht-,  unb  jmei  fed)6jeiligen.  Um  meiften  auSgebilbet  aber  ftnb  bie  brei=  big  ad)tjeilige  ©tropfe;  bie  brei= 
unb  bie  fünfteilige  erfd)einen  in  neun,  bie  fed)3=  unb  ftcbenjeilige  in  jwblf,  bie  achtteilige  in  bretjebn  Jor« 
men;  am  bäuftgften  bie  vierteilige,  in  beren  funfjefm.  SSon  allen  biefen  finb  jebod)  eben  bie  eigentümlich 
ftcn  auch,  einjeln  jler;enbe ;  bie  am  bäuftgften  vorfommenben  aber  bem  bbbmtfcben  roie  lutl)erifd)en  Äird)en-- 
gefange  gemeinfame.  ©0  erfcbeint  bie  vierteilige  ©tropbe  be§  ßiebeS:  „2Bo  ©ott  jum  .£>auf'  nicht  giebt 
fein'  ©unjl"  —  eine  jener  furtfjetjn  gormen  —  in  28  galten.  Sie  ftebcnjeilige  ©trovbe  beä  ßiebeS:  ,,(£3 
ift  ba§  £eil  un§  fommen  her"  roar  urfvrünglich  wohl  bem  bbl)mifd)en  Siebergefange  fremb;  unter  neun 
Sailen,  in  benen  ft'e  in  bem  S3rübergefangbud)e  von  1566  vorfommt,  erfcbeint  fte  in  ad)t  ju  Sftelobieen, 
bie  bem  lutberifcben  itird)engcfange  entlehnt  ftnb,  unb  nur  in  bem  neunten  begleitet  fte  eine,  fonft  nirgenb 
anjutreffenbe,  ihr  anbequemte  ©ingroeife.  9cal)men  aber  bie  33rüber  mannid}fad)e  mclobifd)e  Überflcibun* 
gen  biefer  einen  gorm  ber  ftebenjeiligen  ©trovbe  von  ben  2utl)erifd)en  an,  fo  haben  biefe  bagcgen  anbere, 
ben  23rübern  eigentümliche  formen  biefer  ©tropbe  fid?  angeeignet,  ohne  bei  einer  berfelben  vorjugSweife 
fiebert  ju  bleiben.  3n  »ter  ©ingroeifen  biefer  ©trophengattung,  bie  fie  bafyer  fcbbvften,  haben  fte  tugleicb 
eben  fo  viel  verfcfyiebene  'tfuSgeftaltungen  berfelben  aufgenommen.  Srei  unter  ihnen  bieten  ben  volfs>mäßU 
gen  Söecbfel  be3  9?l)»tbmu3.  3uerft  bie  Söielobie  be§  Abenbliebeö  Sie  Wacht  ift  fommen*).  ©eben 
mir  auf  bie  bloße  ©wlbenjabl  ber  einzelnen  3eilen,  fo  roecfyfelt  in  tfjr  regelmäßig  eine  fünffnlbige  mit  einer 
fecb§fr>lbigen.  (üben  fo  regelmäßig  entfpreeben  einanber  auch  bie  gleid)fvlbigen  Seilen  in  ihrem  rlmtbmifcben 
S5aue.  3n  ben  fünffwlbigen  beginnt  ba§  breitl)eilige  Sftaaß,  unb  e§  folgt  ba§  jweitbeilige;  in  ben  fecbSfpl* 
bigen  (lebt  jenes  ungerabe  jmifd)en  bem  geraben  in  ber  Sftitte.  (StwaS  anberS  bat  ©djein,  ber  unfer  Sieb 
mit  feiner  SJMobie  aufnahm,  biefen  urfprünglicbcn  S5au  geftaltet;  ihm  geboren  bie  fünffwlbigen  Seilen  bem 
jroeitbeiligen,  bie  fed)§fplbigen  bem  breitl)eiligen  an :  eine  nid)t  unglüdlid)e  Umbilbung,  roeil  ftatt  ber  ver= 
febiebenen  9)cifcbung  beiber  9Jcaaße  in  jeber  Beile,  nunmehr  wecbfelnb,  balb  ba§  eine,  unb  balb  ba§  anbere 
überwiegt,  unb  über  ba§  ®anje  fo  eine  größere  9?ul)e  verbreitet  roirb,  ber  ftille  griebe  nad)  einem  bewegt, 
aber  fromm  verlebten  Sage.    'Kbnlicben,  rl)t)tbmifd)en  33au  jeigt  bie  SBeife  beö  fiiebeä:  ,,Sen  SSa t er 


in 


IV 


a-ö- 


Sie  9la^t  ift  fom men  bttn  reit  ru  =  ^n   fol--  ten  ©ott  roattg      frommen  nadj  feim  Sffiotjlge » fal  =  ten  bagrcir 

 .        VI  VII 


uns   te     gen    in  feim  ®ieit  unb  ©eegen     ber  Mut)  ju   ppe  =  gen. 


  293   


bort  oben."*)  Sr>\ex  wecfyfelt  in  ber  erften  bi§  vierten  Seile  —  beren  erfle  betbe  fecfySftjlbig  ftnb,  r>on 
ben  testen  beiben  bie  erfte  fieben=,  bie  jweite  wicberum  fed)§fr;lbig —  ber  9?ln;tbmu§  bei  Swet  unb  Srei. 
Sie  fünfte  Seile  ftel)t,  als  nad)  gerabem  Safte  gemeffen,  einzeln  in  berSJlitte;  fie  fann  aber  auch,,  if)ren 
21nfang3=  unb  Crnbton  ausgenommen,  für  eine  Sufammenfefjung  jweier  breitfyeiligen  Safte  gelten,  in  beren 
erftem  bie  Sange,  in  bem  jweiten  bie  Äürje  üoranftef)t.  Sie  legten  beiben,  fteben=  unb  fed)3fr;lbigen  Seilen, 
erneuern  ben  frühem  2Bed)fel.  Sn  anberer  Stellung  enblid)  fmben  wir  eben  einen  folgen  in  ber  2Beife  be§ 
(SbeftanbSliebeS :  „Saft  unS  fingen,  unfere  ©timmen  ju  ©Ott  erbeben."**)  ©eine  ©tropfe  jeigt 
in  il)rcm  erften  ©efäfje  jwetmabl  eine  fünffylbige  Seile  einer  adjtfplbigen  nad)ftef)enb ;  im  jweiten  folgen  jwet 
fed)Sfi)lbige  einer  won  ad)t@r;lben.  Sie@ingweife  bietet  im  erften  ©efäfce,  3eile  um  Seile,  juerft  ben  dttytffy* 
muS  ber  Srei,  unb  nad)  il)m  ben  ber3wei,  in  ben  beiben  erften  Seilen  be§  jweiten  jundcbft  baS  gerabe,  in  ber 
legten  wieberum  ba§  ungerabe  SJJaafj.  Sie  üierte  §orm  ber  ftebenjeiligen  ©tropfye  jeidjnet  ftd)  nid)t  burd) 
rb»)tbmifd)en  2Bed)fel  biefer  31rt  auS  ;  tl)r  @igentl)ümlid)e3  gewinnt  fie  burd}  baS  S3erf)älmifi  ber  Seilen  an 
ben  ungeraben  unb  ben  geraben  ©teilen,  roo  benn  bie  vorlebte,  furje,  unb  bie  jweite,  längere  3eile  befon= 
bers?  bejeidjnenb  berüortreten.  Sie  erfte,  britte,  fünfte  ©teile  nimmt  nämlid)  eine  ft'ebenfylbige,  bie  ftebente 
eine  fed)3ft)lbige  3eile  ein;  bie  jweite,  vierte,  fed)fte,  in  ftetem  21bnel)men  eine  adb>,  fed)3=,  breifylbige, 
unb  eben  biefeS  21bnel)men  ift  eS,  baS,  bei  anfänglichem  Überwiegen,  gegen  bie  ©leicfymäfugfeit  ber  übrigen 
Seilen,  ber  gefammten  ©tropfe  ii>r  befonbereS  ©epräge  üerleil)t***). 

SSon  ben  übrigen  ©tropfen  beben  wir  nur  biejenigen  IjerauS,  bie  in  if)rem  S3aue,  jumabl  wie  er 
in  ben  ©ingweifen  erfdjeint,  etwas  33emerfenSwertf)eS  jeigen.  Ser  ©t)lbenjal)l  nad)  wäre  bie  in  ad)t  Bal- 
len bem  Äird)engefange  ber  SSrüber  entlehnte  r> i er j eilige  ©tropfye  überall  biefelbe,  nämlid)  »on  burd)l)in 
ad)tfr,lbigen  Seilen.  3n  biefem  ©inne  laffen  ftd)  aber  nur  bie  ßieber  anfefyen :  Sftun  lafjt  unS  ben  Seib 
begraben  tc.,  £)  Sfftenfd)  betrad)t,  wie  bid)  bein  ©Ott  :c,  ©d)au,  fünbiger  9Kenfd),  wer  bu  bift  x.,  211S 


■)  '  _ 


et 


-©-tr 
")  I 


V 

155 


VII 


ß=tp- 

E=±$= 


ri 


rrp-T4-e- 

Cob  fei  bir  gti  5  tisger  ©Ott  bafi  bu  mir  ijaft  of:fenba  ;  retbeinen@ob^mein£eitunb£ortb£rfid)fetb6nicr;t 


fpa;tet     fcnbetn  gab  in      @;(etib  grcf,  mir  ot)n  maaf  bis  in  S£ob  roill  =  faf) :  ret. 


  294   


3eful  (SfyrijhtS  ®otteS  @0&n  ic,  2) er  Sag  bricht  an,  unb  geiget  ft'ci?  ic. ,  bereit  britteS  jebod)  burd)  ben  in 
fehlet  ©ingvoetfc  oonvaltenben  ungeraben  Saft,  ba3  le£te  burd)  rt>v>tf>mif4>en  2Bed)fcl*),  ein  befonbereö 
Gepräge  erhält,  ©anj  abweid)enb  aber  jeigen  fid)  bie  SSBeifen  unb  ©tropfyen  ber  brei  übrigen  Sieber.  Sie 
Gelobte  bc3  £>jlerliebe3 :  ,,9)cit  greuben  wollen  wir  fingen"  betrachteten  wir  fd)on  juüor  it>rer  Tonart 
nach;  ben  barin  corwaltenben ,  batb  iambifd)=,  balb  trod)äifd)=baftt)lifchen  9?bt)thmuS  fann  man  aus>  ber 
Dort  aufgezeichneten  SGBetfe  leicht  erfennen,  in  ber  freilich  burch  ©pneopen  ba3  SQcaaf?  ber  Skrfe  oft  werwifd)t 
wirb.  Sie  ©troppe  be§  Sel)rliebe§ :  „Sßtr  glauben  an  ©Ott  ben  Skter"  —  wenn  auch  nicht  bie  erfk,  bod) 
bie  meinen  ber  folgenben,  benn  berfetbe  S3au  ifi  nicht  überall  gleichmäßig  feftgehalten  —  weicht  fepon  burd) 
ihren  anapäftifdHambifcpen  SipptpmuS  ab  von  ber  gewöhnlichen,  üierjeilig=achtfi;lbigen,  iambifchen.  3n 
Der  ©ingweife")  haben  bie  brei  erjien  3cilen  gletd)en  rpptpmtfchen  S3au:  jwei  porfcplagenbe  Äürjen,  jwei 
Bangen,  eine  Sänge  cor  jwei  jtürjen  unb  wieberum  jwei  Sängen ;  bie  lefcte  3eile  bagegen  beginnt  mit  bem 
9cieberfchlage,  unb  bewegt  fid)  gemeffen  im  mertpetligen  Safte  fort :  eine  auf  anbere  Sieber  nicht  ju  übertrat 
genbe  ©ingart,  ©ben  fo  wenig  fann  biefeS  bei  ber  SBeife  be3  Sifcpliebeg  gefchehen :  Allmächtiger,  gütiger 
©ott  ic.  Sie  bid)terifcpe  ©troppe  (jufolge  ber  beutfehen  Übertragung)***)  befiept  in  ben  erften  jwet  3et= 
len  au»  einem  3ambuS,  bem  ^wei  Anapäften  folgen,  in  ber  britten  auS  einem  Sambuö  jwifepen  jwei 
Anapäften,  in  ber  legten  au3  einem  Sambuö  hinter  jweien  Anapäffen.  ©epon  pieburd)  wirb  rppthmifeper 
SBecpfel  angedeutet,  nur  baß  bie  ©ingweife  ihn  in  etwas  anberer  Art  auSbitbet.  ©ie  jeigt  in  ber  erflen 
Seile  ba§  unbebingt  perrfepenbe  ÜJiaafj  ber  3wei :  einen  Auftaft,  unb  ©cplußtaft,  unb  bajwifcpen  einen 
Anapäfi  unb  Saftplus ;  in  ber  ^weiten,  britten  unb  vierten  Seile  oon  je  pier  Saften,  ben  ^weiten  unb  brit= 
ten  ungerabe,  burd)  gerabe  umfd)loffen -J-). 

Sie  aufgenommene  ©ingweife  ju  ber  jwcijeiligen  ©tropbe  bes>  StebeS:  ,,Sanfet  bem.£>erren,  benn 


Diefcr  23au,  mufifatifö)  niajt  anberS  baräuftctlen,  roürbe  inbep  feine  cöllige  SRccfitfcrtigung  tt>of>t 

burd)  bie  Skrglcidjung  ber  Gelobte  mit  bem  bbf)mifd)en,  urfprüngtid)en  Siebe,  ba  üieteS,  bem  beutfehen  nicht 
t)ier,  »nie  in  anberen  gälten,  in  ber  SMangclfjaftigfcit  ber  Übertragung  liegen  lemn. 

")  . 


erft  erhalten 
2tngemeffene, 


'Jl  Um  ästiger,  gütiger  ©ott, 
X?u  etviger  Jptrr  3cbaott). 

itUtr  2fugcn  roärten  auf  bid) 
Unb  bü  fpe'ife'jt  fie  gnabiglFd). 


a  1  @~e= 

mrd-d-<4-\-£>  ]  -  A  A  A  boi^r 

— .— 1   — 1  — ff  

  295   


er  ift  fefyr  freunblich"*,),  roeid>t  in  foroeit  »ort  ben  berfbmmlichen Intonationen  ab,  nad)  benen  einige^falme, 
unb  jumabl  bte  2obgefange  ber  9Jiaria  unb  be3  3acharia§,  noch  jefet  in  Wielen  et>angelifd)en  .ftirchen  gefun= 
gen  werben,  unb  benen  fte  bei  bem  erften  2lnblicfe  fict)  anjufchliefjen  fcheint,  bafj  fte  befiimmt  melobtfcb  unb 
rbptbmifch  auSgeftaltet  ift,  unb  nicht  eine  blofje  2lnfang3=  unb  Schlußformel  jeigt,  in  beren  SOiitte  auf  einem 
Sone  ber  grbfsefte  Sheil  ber  SBorte  in  fangabnltcber  Sfebe  auSgefprochen  roirb.  (Sine  jebe  biefer  beiben  3ei= 
ten  f>ebt  im  geraben  Safte  an,  unb  fcfyließt  im  ungeraben;  berfelbe  3ibr;tbmuS  fefjvt  in  ber  einen  rote  ber 
anbern  wieber,  nur  in  ben  melobtfchen  SBenbungen  unterfcheiben  fte  fict) :  für  ein  furjeö  Sanfgebet,  wenn 
e3  gelungen  fepn  foll,  eine  f?bct>ft  angemeffene  gorm. 

Sie  breimahl  erfcheinenbe  bretjeilige  ©tropfe  giebt  in  ihrer  rbhtbmifchen  SSefcbaffentjeit  ju 
feinen  befonberen  ^Betrachtungen  2lnlafj.  Sie  wegen  ihrer  ungewöhnlichen  Sonart  ausgezeichnete  ©ingweife 
beS  9Eorgenltebe3 :  Der  Sag  oertreibt  bie  finftre  Stacht,  beren  ©tropbe  hieher  gebort,  unb  bie  ganj  im 
ungeraben  (1)  Saft  gefegt  tft,  haben  wir  in  jener  erflen,  allein  bemerfenSwertben  33ejief)ung  fdwn  jur>or 
betrachtet.  Sie  im  lutberifcben  itirchengefange  fo  oft  üorfommenbe  ach, tjeilige  ©tropfe  ift  in  feiner  non 
ben  breijehn  formen,  in  benen  fte  bei  ben  SSrübem  beimifcb  war,  in  jenen  übergegangen ;  nur  eine,  bie 
au§  lateinifd)em  Äird)engefange  entlehnte  bes>  2iebe§ :  ,,@briftu§,  ber  un§  feiig  macht, "  ift  ben  SBrübern 
unb  ben  Sutr^erifdjen  gemeinfam,  unb  bie  einjige,  bie  bei  jenen  in  boppelter,  melobifcber  gorm  erfcheint, 
ba  fonft  alle  übrigen  nur  in  einer  einzigen  »orfommen.  Sie  SÖtelobte  ber  fecbSjeiligen  ©tropfe  be§  erft 
fpat  aufgenommenen  $)rebigtliebe3 :  „£)  <5f)rtfi:e,  SSabrbeit  unb  geben  tc."  bewegt  fict)  in  gleichen  9?oten 
fort,  unb  hat  nichts  riwtfnnifd)  2luggejeict)nete§.  Sie  jehnjetltge  ©tropfe  t>e§  2lbt>ent3liebeS :  „2ll§ 
2lbam  im  $)arabie§  ;c."  gehört  bem  au§  latetntfebem  Äircbengefange  ftammenben  Siebe  an:  Dies  est  laeti- 
tiae  ;  fte  ift  t>on  ben  SSrübern  unb  ben  gutberifeben  auö  gleicher  £luelle  entlehnt,  unb  erfcheint  hier  nur  mit 
neuen  melobifcben  gormen.  Sie  elf  jeilige  be3  ©efangeS  t>om  jüngjten  Sage:  „£)  ihr  alle,  bie  ihr  euch 
bem  £errn  oereiniget"  erfcheint  ju  einer  ©ingweife  t>on  Sbnen  ganj  gleicher  Sauer,  unb  »erbient  nur 
roegen  ibreSSBaueS  im2lllgemeinen  erwähnt  ju  werben,  ©ie  befteht  au§  einem  »ierjeiligen,  einmahl  wie= 
berholten  (Uefafee,  beffen  brei  erfte  Seilen  breijehnfplbig  ftnb,  bie  »ierte  jroblffplbig  ift,  unb  auS  einem  br  et= 
j eiligen,  oon  einer  acht*,  fech$>=  unb  ftebenfwlbtgen  Seile.  3ßir  fbnnen  un3  bei  allen  jenen  formen  mit 
biefer  flüchtigen  3lnbeutung  begnügen,  unb  gebenfen  jum  ©chluffe  allein  noch  mit  einiger  2lu6führlichfett 
ber  fünfteiligen  ©tropbe be3 2lbüent§ltebe3 : ,, ©laubige ©eef  fchau bein #err unb Äöntg wirb fommen"K. 
3h"  erfte  Seile  ift  gegen  bie  übrigen  anfehemeub  »on  unüerbaltnifjmäfjiger  Sange,  breijebnfylbig,  fo  wie 
gegen  fte  bie  jweite  auffallenb  furj,  t>on  ft'eben  @t)lben,  faft  nur  halb  fo  lang,  ©in  angemeffenereg  S3er= 
hältnif?  haben  bie  brei  lefjten  Seilen,  eine  acbtfylbige  jwifchen  jwei  neunfplbigen.  Sag  rechte  9Kaag  inbefj 
ftellt  fich  leicht  auch  bei  ben  erften  ^wei  3eilen  hei",  wenn  man  bie  fünf  ©ptben  ber  brei  erften  SBorte  ber 
beginnenben  Seile,  bie  eine  bcfonberS  nacbbrücfltcbe  2lufforberung  unb  Ermahnung  enthalten,  als  bebeut^ 
fam  erwetternben  Sufa'fe,  al§  feierlichen  Eingang  betrachtet.  Sann  ftimmt  auch  t>er  r£)V)tf)mifd>e  S3au  ber 
einjelnen  Seilen  in  ber  9ftelobie  harmonifch  überein.  Sie  jweite  unb  üierte  ftnb  lebiglich  nach  ber  3wei 
gemeffen ;  bie  erfte,  britee,  fünfte  heben  mit  einem  anapäftifchen  StypthmuS  an  (jwei  Äürjen  einer  gange 
in  gerabem  Safte  ttoranftebenb)  unb  ihnen  folgen  jwei  trochäifdje,  breitheilige,  in  einen  ©ponbäuS  (jwei 


SanEet    bem  Herren   benn  er   tfi   fetjr  frcunbtid)    benn  fei  ;  ne  ©ut  unb  2Bahrt)eit  bleibt  e :  rcig;tic^. 


  296   


gindu-  fangen.)  auegebcnbe;  benn  bic  bei  bcr  Aufzeichnung  jule^t  gebrauste  gönn  ber  £3reoi$  beutet  nur 
auf  ben  ©cbluß  ber  Seile,  unb  ba$  übliche,  n>tUFüt?rItd?e  SScrweilen  auf  bemfelben*). 

SBStv  fonnen  an  ben  fo  eben  betrachteten  ©ingweifcn  unS  überzeugen,  wie  eigentümlich  ber  böh- 
mtft&e  Äird^cngefang  in  mclobifcber,  rbvthmifcher,  unb,  bafj  wir  fo  fagen,  tonifcbcr  ^inftd)t  auSgebilbet 
gcrocfcn ;  unb  bürfen  un§  bcS  feinen  ©inneS  freuen,  mit  bem  bie  Sutherifcben  eben  bie  heften  feiner  ©ing= 
weifen  ftdb  aneigneten,  unb  faum  eine  bebeutenbe  gorm  übergingen.  Au3  bem  oon  ihnen  Aufgenommenen 
tonnen  mir  feine  »efentltcfyenfBotjage  erfennen,  wenn  auch,  freilid)  nid)t  alle;  mir  mußten  un§  hier  begnügen, 
unferem  3we<f  jufolge,  fein  83crhältniß  ju  bem  lutberifchen  bargelegt  ju  haben.  £>l)ne  bie  aud)  auf  bie 
83rübergemeine  oerberblid)  rüdroirfenben  golgen  bes>  böt)mifd)en  AufftanbeS,  ohne  bie  üerheerenben  folgen 
bess  breißigjährigen  .Krieges!,  tjatte  aud)  mobj  ein  innigeres,  burd)greifenbcrc3  ä$erl)ältniß  be3  einen  ju  bem 
anbeten  .fiird)engcfange  fid)  gebilbet,  »on  bem  mir  bis>  babin  manche  einzelne,  fpäter  erjh'dte  jteime  wahr* 
nehmen.  Mieles?  nämlich  enthalt  bcr  Ätrchengcfang  ber  bbl)mifch=mäbrifchen  SBrüber,  ba§  auf  ein  lebenbi= 
ge3  äSerbältniß  binbeutet  jmifdjen  bem  Siturgen  unb  ber  ©emeine  bei  bem  ©ottegbtenjle.  £>iefe  antmortet 
bier  ben  won  3cnem  im  ©cfange  oorgetragenen  SBerrünbigungen,  2el)ren,  Sobgefängcn  aus«  ber  ©chrift,  mie 
in  ber  fatbolifcben  Äirdie  ber  @)or  bem  $)riefkr.  £)aß  eine  ndbere  S5ejiel)ung  jmtfd)cn  ©emeinegefang 
unb  Äunftgcfang,  mie  fte  l)ierauö  l)dtte  entfielen  fonnen,  auch  in  ibj  mirflid)  ermad)fen  fei;,  mollen  mir 
nicht  magen  ju  behaupten;  allein  bie  in  ber  Xfyat  geijh'ciche  Art,  mie  bie  23rüberfnd)e  hier  an  bie  alte 
anhumfte,  mie  fic  jumabl  bic  oon  biefer  auf  fte  übertragenen  gcifHid)cn  ©ingweifcn  lebenbig  erneute  unb 
burebbilbete,  läßt  mit  Siecht  oorauSfcfjen,  baß  eine  folcbe  23ejiebung  unfehlbar  mürbe  cntjknben  fetm,  wäre 
il)r  in  biefer  9cicb,tung  eine  längere  3eit  ruhiger  (Sntwidlung  vergönnt  gemefen.  iDaburd)  aber  würbe  aud) 
bie  lutbcrifd)e,  mit  ibr  bereite  in  näheren  SBerfefct  getretene  .Kirche,  fid)  geforbert  gefeben  haben,  unb  il)r  wie= 
berum  burd)  ben  größeren  9veid)thum  bcr  .Kunfientwicfumg  in  ihrem  ©d)Ooße  förberlid)  geworben  fepn. 
25enn  Ähnliches*  als  baSjcnige,  wot>on  wir  reben,  unb  woran  eine  gegenfeitige  (Sinwirfung  ftcb,  b,ätte  eintet 
ten  laffen,  befaß  fte  nod)  ju  Anfange  bes>  17ten  3al)rl)unbertsv  unmittelbar  »or  bem  breißigjäf)rigen  .Kriege. 
3n  ber  SKegalpnobia  bcS  93iicb,aet  sPrätorius>  ftnben  mir  einige  mehrftimmige  Sonfä^e  besi  ßobgefangeä  ber 
beiligen  Jungfrau,  beffen  einzelne  (ganze  ober  halbe)  lateinifche  SSerfe  beftimmt  ft'nb,  »on  bem  ©ängerchore 
uorgetragen  ju  merben.  2}ajwifd)en  werben  bezügliche  gefttieber  gefungen,  in  welche  bie  ganje  ©emeine 
mit  einftimmen  fann.  Sener  ßobgefang,  ber  bamaB,  nact;  ©itte  ber  alten  .Kirche,  nod)  ben  Abenbgotte3= 
bienft  an  fefilieben  Sagen  befd)lo^,  würbe  babureb  in  neue,  frifcb,e  S3ejicbung  gebracht  ju  ber  jebe§maligen 
Jefte^feier.  2Bae>  in  J^ofnung,  auö  liebenbem,  gläubigem  ©emütbe,  bie  Butter  unfere§  ^)eilanbe§  einjl 
weiffagenb  gefungen,  ba§  wirb  nun  an  bem  ©ebenftage  einer  jeben  ber  großen  ^Begebenheiten  ber  ©rlbfung 
alö  ein  erfüüteö  »on  feiner  ©emeine  mit  2)anf  unb  Anbetung  gepriefen.  3n  äl)nlich,em  ©inne  ftnben  wir 
bie  alte  ©equenj  für  baö  geft  ber  äSerfunbigung  -Kariä:  Mittit  ad  virginein  (Als»  ber  gütige  ©Ott  t»ollen= 
ben  wollt  fein  2öort)  bei  eben  jenem  Söceifter  mit  beutfcb,en  fiebern  burch,moben.    Auch  bie  ältere  S3rüber= 


-o  -  i  -  o 

©läubuge  Secl  fdjaubein^ert  unb  Äbnig  rei'U  fommen 

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bir  ?u  Srofl  unb  ju 
5 


frommen      tr  left  fid) 


bir  oorbin  an 


ficbba^buibm  mirft 


tja.-gen      unbfeimgrieb  »on  Jpcrjcn  nod)  =  gen. 


  297   


firchc  hatte  ben  gobgcfang  ber  SHaria  wie  ben  beS  3acharta3  (ba§  Magnifioat  unb  Benedictas)  beibehalten, 
unb  fie  war  beftrebt,  jene  gobgefonge  ber  heiligen  ©chrift  unb  bie  ihrer  eigenen  geijiücfyen  £)id)ter  in  ein 
nähere»  SBerbältnip  ju  bringen.  S3eibe  ©ebriftgefänge  würben  in  it>r  »on  jwei  Sporen  vorgetragen :  ben 
erften  SSerS  berfelben,  fo  fc^etnt  eS,  ftimmte,  wie  in  ber  alten  .Kirche,  ber  Siturg  etnlettenb  an,  unb  bann 
trug  wecbfelnb,  unb  wohl  nur  im  Einf lange,  ein  Ztjeil  ber  ©emeine  baS  ©dbriftwort,  ber  anbere  eine 
gereimte  Umfdjreibung  unb  Erflärung  beffelben  vor:  jeneS,  nach  litt  ber  alten  firef) liefen  Intonationen, 
biefe,  in  volfSmäßiger  SBeife.  £)em  evangelifeben  ©inne  um  Mieles  angemeffener  tjt  biefe  2lrt  beS  ©efan= 
geS,  als  bie  bei  $)rätoriu3  vorfommenbe ;  benn  bie  ©timme  ber  Schrift  unb  il)re  Auslegung  ertönen  b ier 
in  einer  ber  ©emeine  verjfänblicben  ©pradje,  fie  felber  hält  fich  eines  unb  baS  anbere  vor;  bort  wirb  mit 
bem  ©efange  in  einer  fremben,  nur  SEBenigen  jugängltcben  Sprache,  unb  in  vaterlänbifeber  gewechselt,  unb 
nur  ein  Sfyeil  ber  ©emeine  gewinnt  von  bem  ©inne  ber  Seier  baS  volle  33erftänbnifj.  (Sine  nähere,  in 
frieblicfyer  3eit  gepflegte  ^Berührung  beiber  .Kirchen,  eingeleitet  fdwn  burd)  bie  große  ^Beliebtheit  beS 
SBrübergefangbucbeS ,  würbe  für  bie  Siturgie  ber  ßutberifeben,  unb  ben  lebenbigen  3ufammenf)ang 
ber  ©efangeSfunft  mit  il;r,  fo  wie  beren  reichere  Entfaltung,  l)bd)(it  fruchtbar  gewefen  fepn;  allein  fie  war 
ib,nen  ntdjt  vergönnt,  ES  wäre  alSbann  auch,  ju  hoffen  gewefen,  baß  bie  finnige  %xt  ber  SSrüberfircbe, 
einzelne  SBeifen  beS  alten  gregorianifchen  ©efangeS  jlircbenliebem  in  ber  SanbeSfpracbe  anjueignen,  fie  im 
bebeutfamften  ©inne  für  ben  ©emetnegefang  ju  gewinnen,  feftere  SBurjel  in  ber  lutherifchen  gefaxt  hätte, 
unb  baß  ber  ©efang  ber  ©emeine  mit  ber  Äunfi,  als  haftet  SBlüthe  ber  gemeinfamen  geier,  in  bie  engfte 
S3ejiel)ung  getreten  fepn  würbe.  SBir  ftnben  bei  geftgefängen  ber  SSrüberfircbe,  jumal)t  folgen,  bie  auf 
bie  SJlclobieen  alter  lateinifcher  Äircbenlieber  fid;  grünben,  bie  eigentbümlid)e  Einrichtung,  baß  jwet  ober 
auch  brei  ©tropben  berfelben  abwechfelnb  von  7lbtl)eilungen  ber  ©emeine  gefungen  werben.  £>ann  folgt 
ein  2ob=  ober  Sanfruf,  eine  SBarnung,  eine  33efräftigung,  von  ber  ganjen  ©emeine  angeftimmt,  unb  ein 
SBechfel  folcher  Zxt  febrt  burch  ein  ganjeS  längere^  ßieb  wieber.  ©o  in  Michael  SBeiffe'S  SBeilmacbtSlieb, 
baS  er  auf  bie  SEJZelobie  ber©cquenj  Grates  nunc  omnes,unb  beS  ihr  angehängten  9?efponforiumS  grünbete, 
unb  baS  wir  auf  33cranlaffung  berfelben  bereits  besprachen.  ES  ijt  ein  frommes  ©efpräd)  ber  ©emeine  in 
fid)  felber,  eine  in  ber  S£f)etlung  unb  Bereinigung  um  fo  wirffamere  gemeinfchaftlid)e  2lnbad)t  im  ©efange. 
Sänger  balb,  unb  halb  fürjer,  ft'nb  in  anberen  Stehern  folcher  lixt  jene3wifd)engefänge  ber  ganjen  ©emeine; 
balb  ein  unveränbert  wieberfehrenber,  ober  auch  wecbfelnber  9?uf  von  wenigen  Seilen ;  balb  eine  eigenthüm= 
lieh  geglteberte  ©trophe,  beren  lefjte  Betten  bureb  überetnfttmmenbc  SSetonung  bod)  wieber  auf  bie  ihr  voran= 
gegangenen  jurüdweifen,  unb  biefe  einzelnen  Steile  beS  ©efangeS  ju  einer  einigen,  größeren  ©trophe 
gehalten.  Sn  biefer  legten  5lrt  ift  jener  Sobgefang  gehaltet,  beffen  9Jielobie  auf  baS  lateinifche:  Ave  pul- 
cherrima  regina  fid)  grünbet: 
1.  2ob  unb  Ehr  mit  jtetem  £>anfopfer  2.  Sem  heiligen  ©eift  gletdjer  weife, 

©ep  ©ort  unferm  83ater,  'Mmächtigem  ©dwpfer  Ser  mit  feiner  ©abe  bie  ©eelen  fann  fpeifen 
©ampt  feinem  ©ohn,  Unb  fein  ©efeg 

2)er  hie  für  unS  t)at  genug  gettjan !  ©^reiben  in  ber  3luSerwählten  ^>erj ! 

3.  Diefem  ©ort,  bem  einigen  ©ebaoth  2fuf  bem  ganjen  Erbreich 

©ep  ju  allen  3eiten  Sanffagung  unb  Klarheit 

2ob  unb  Ehr  wm  ganjen  himmlifchen  ^)eer     ?>reiß,  ^eiltgf'ett, 
Unb  auf  allen  ©epten !  Senebeiung,  Äraft  unb  ^errlichfctt ! 

38 


298 


jDft  muffen  mir  aber  aud)  an  ein  SSorftngen  be§  Siturgen  benfen,  bem  bie  ganje  ©emeine  folgt,  ©o  in  bem 
'2lufcrjiehung§gcfange :  „freuet  euer;  heut  alle  gleid)."  @r  beginnt  mit  vier  3eilen,  angeeignet  ber  ^>f>rt>gi= 
feiert  SBetonung  be§  erffen  2>tfttd?on§  ber  alten  ^fierfequenj :  Salve  festa  dies.  Sann  folgt  eine  fieben-- 
jeiligc  ©trophe  auf  bie  SDielobie  be3  nad)  tf>r  gebilberen  2luferftehung3liebe3 :  „2llfo  heilig  ift  ber  SSag  ic." 
3ene  erffen  Seilen  enthalten  fietS  eine  tfufforberung,  eine  Ermahnung ;  bie  folgenbe  ©tropfe  ein  Sanf lieb, 
ein  ©ebet.    ©o  in  bem  legten  "Kbfa^e  bicfeS  SiebeS : 


S3alb  nachher  fd)on,  als  Sof)ann  .£om§  ßantional  ber  33rüber  juerft  erfd)iencn  mar,  ft'nben  mir 
in  bem  mit  SutherS  SBorrebe  herausgegebenen  ©efangbud)e  Valentin  SBavjtS  (1545)  ba§  2Beifmad)t3lieb 
Widjael  üJüeifjVö  aufgenommen,  beffen  erffe  ©trophenfette  mir  früher  mitteilten ;  auf  er  ihm  erfcheint  von 
Siebern  dl;nltd>er  ©efkltung  nur  baS  juvor  angeführte,  von  S3re3ler  1618  gefegte  Sieb  vom  jüngjten  Sage: 
,,£)  tt>r  alle,  bie  il)r  eud)  bem  £erm  vereiniget,"  baS  mir  aud)  als  eine  golge  von  jmei  achtteiligen  ©tro= 
pl)en  betrachten  fbnnen,  benen  fobann  ein  breijeiliger  Smifdjenruf  folgt.  S5ei  biefen  beiben  ift  eS  aber  aud) 
geblieben,  unb  nur  baS  erfte  von  ihnen  f)at  eine  etmaS  größere  Verbreitung  in  ber  lutf)erifd)en  Ätrd)e  gemon= 
nen,  baS  ^meite  ft'nben  mir  fonff  nicht  mieber,  unb  fie  (jat  fid)  biefe  ganje  2lrt  ber  SBecfyfelgefdnge  nid)t 
bauernb  angeeignet,  eS  ft'nb  feine  ärmlichen  Sieber  von  ihren  Sichtern  üerfuebt  morben. 

©o  groß  alfo  aud)  in  mannid)fad)er  3?ücfftd)t  bie  SSorjüge  beS  SBrübergefangeS  femi  mögen,  fo 
erfreulieb  ber  ©eminn  erfd)einen  mag,  beffen  ber  lutl)crifd)e  Äird)engefang  burd)  ba§  au§  il)m  Entlehnte 
tfjeilbaft  mürbe,  ja,  fo  viel  beträchtlicher,  felbff  an  3abJ,  aud)  bei  nur  befd)ränftcm  Entlehnen,  baS  von 
baher  Tingeeignete  fid)  jeigt,  ale>  ba§  auS  bem  alten  rbmifd)en  jtird)engefange,  unb  ben  §3olf3meifen  blcibenb 
$erübergenommene ;  bennod)  ift  bie  ©inmirfung  biefer  legten  beiben  ©ebiete  eine  um  fo  SSielcS  bebeutenbere 
gemefen,  als  fie  eine  lebenbige,  fd)bvferifd)  rücfmirfcnbe  mar,  mogegen  hier  nur  bie  33erüf)rung  jmeier 
benachbarter  ©ebiete  erfd)eint,  in  anerfennenber  Neigung  unb  Siebe,  aber  ohne  innige  2Bed)felmirfung.  3n 
beiben  ©ebieten  erfennen  mir  auf  ähnliche  2Beife  ben  (Sinfluf  be§  Ttltfirchlichen  unb  beS  S3olf3thümlid)en ; 
bie  ^Beziehungen,  bie  S3ergleid)ung§punftc,  bie  baher  entfielen,  fommen  aber  nid)t  von  gegenfeitiger 
(5inmirf  ung  her,  fonbern  von  ben  gemeinfamen  Quellen,  auS  benen  beibe  fd)6pften,  unb  burd) 
fie  erfrifd)t  unb  belebt,  ein  jebeS  eigentümlich,  von  bem  anberen  unabhängig,  gebiehen.  33etrad)ten 
mir  bie  au§  beiben  hervorgegangenen  ©ingmeifen  nad)  ihren  Tonarten,  fo  ift  im  "JlUgemeinen  ba§S3ormal= 
ten  ber  meid) en  für  bie  bbhmifd)en  SCRclobieen  bejetebnenb ;  fonft  fmben  mir  in  beiben  bie  f  ird)ltchen  gor= 
men,  bie  feiner  bem  anberen  verbanft :  eine  auf  ergcmbhnlid)c,  bie  mir  in  bem  bbhmifd)en  jtird)engefange 
antrafen,  unb  bie  ber  lutherifd)e  mit  ber  barauf  gegrünbeten  SUtetobie  fid)  aneignete,  blieb  bort  eine  ehv 
jelne,  hier  mürbe  ihr  eigentl)ümlid)ffer  3ug  balb  au§gelbfd)t,  fte  mürbe  ju  einer  ihr  nahe  ftehenben, 
ftrd)lid)en  umgebilbet.  ©teilen  mir  ihre  ©tropben  gegeneinanber,  fo  ft'nben  mir  nur  einjelne,  in  VolfSlie- 


£)  mie  loblid)  unb  gut, 

©o  ber  SQlenfch  recht  S3uße  tl)ut, 

©ein  Äreuj  auf  fid)  legt,  unb  ßhrijto  nachträgt, 

©o  lang  er  fiel)  regt ! 


Siturg. 


©emeine. 
£3  mie  große  £errlid)feit 
Sff  im  Himmelreich  «Uen  bereit, 


Sie  tfct  mit  einfältigfeit 
Semen  ©otteS  SEBahrheit 


Unb  verlangen  ßhrifti  ©erechtigfeit. 
©o  hilf  nun  ©Ott  unb  fleh  unS  bei, 
Saß  aud)  biefe  greub'  unfer  fen,  2lmen. 


  299   


Dem  uorfommente,  betten  gemeinfam,  im  Übrigen  f>at  jeter  feine  eigenen,  unb  wo  einmafjt  Seilen  unb 
©plbenjabl  übereituuftimincn  fcfyeinen,  febwinbet  btefe  Übcveinfttmmung  bei  ber  näheren  33cobad)tung,  ober 
eS  fbmmt  nur  bie  3al)l,  nid)t  baS  ®ewid)t  ber  ©Dlben  überein,  twUenbS  aber  wirb  turd)  ben  befonbern 
StyptbrnuS  ber  bbbmifd)en  9Dielobieen  jebe  S3ejicbung  wieberum  aufgehoben.  Den  r(n;tr)mifd>cn  2Bed)fel 
cnblicb  bat  feiner  von  bem  anbern  geborgt,  fonbern  in  ben  SBolfSwetfen  ber  Deutfd)cn  roie  ber  33bb= 
men  war  er  in  gleicher  SBeife  beimtfd).  DaS  burd)  aüe  btefe  btlbcnbcn  33eftanbtbeile  —  ober  wollen 
wir  «Kräfte  fogetl  —  t>ier  wie  bort  eigentümlich  £ert>orgebracbte,  bleibt  aber,  wo  eS  binübergenommen 
wirb,  immer  alS  ein  grcmbeS  einjeln  fteben,  eS  erzeugt  feine,  ihm  in  irgenb  einer  SSejiebung  ähnlichen  83iU 
Hungen ;  an  feiner  Ungletcbartigfcit  bleibt  eS  leidet  ju  erfennen. 

2fl>er  vielleicht  fanb  eine  mebr  lebenbige  unb  fruchtbare  (Sinmirfung  beiber  Ätrchengefänge  auf  ein= 
anber  flatt  burd)  bie  l)armonifd)e  S3el)anblung  ibrer  SJlelotieen,  ober,  wie  wir  eS  am  liebften  nennen,  ibre 
Entfaltung,  bie  «ollftänbige  Offenbarung  be§  in  ibnen  webenben  ©etfteS  burd)  mebrftimmigen  Sonfalj? 
£ier  brängt  fid)  benn  aud)  bie  grage  auf:  ob  ber  Äird)engefang  ber  S3rüber  jemals,  wie  ber  lutberifebe, 
einbeimifd)e  SEonfeljer  gefunben,  bie  tl)n  in  biefem  ©tnne  bearbeiteten,  fo  bafj  neben  bem  einfad)en,  fpäter 
oft  wieber  aufgelegten  ©ingebuebe,  aud)  mel)rft immige  vorbauten  gewefen  waren?  9)Ian  fyat  eS  viel* 
fad)  t>eiftd)ert,  wobl  mit  9iüdftd)t  auf  bie  Siebe  ber  33bbmen  jur  SEonfunft,  unb  il)r  grofieS  ©efd)td  für 
biefelbe,  bod)  ift  mir  niemals  eine  bejh'mmte,  auf  eigene  2lnfd)auung,  ober  fiebere  3cugniffe  gegrünbete 
9cad)rid)t  barüber  befannt  geworben.  Sri  beutfd)er  ©pracbe  ift  vor  bem  Sabre  156G  wobl  fd)wertid) 
eine§  erfebienen;  felbft  an  bem  Dafevn  eineS  bbbmifd)en  bürfte  ju  jweifeln  fenn.  Die  §3orrebe  beS  Sie= 
Derbud)eS  ber  S3rüber  nennt,  wie  wir  faben,  beren  eigentümlichen,  ursprünglichen  Äird)engefang  nur  einen 
mebr  als  fjunbertiätjrigen,  ber  alfo  etwa  umÜjobanneS  $uf3  3"ten  begonnen  haben  wirb.  Daf?  in  ben  Seiten 
gewaltiger  Aufregung,  glübenber  Begeiferung,  neue  Sieber  unb  ©ingweifen  cntjtanben,  tft  erflärlicb,  aber 
für  bie  Äunjl,  im  engeren  ©inne,  namentlich  beS  Sonfa^eS,  waren  folebe  Seiten  faum  fbrberlicbe,  wie 
benn  bie  ibnen  folgenben  ber  Unterbrüdung  unb  Verfolgung  eS  eben  fo  wenig  fewn  fonnten.  Die  Seiten 
gerbinanb  beS  ©rjten  unb  SJiarimilian  beS  Steifen,  felbft  bie  folgenben  bis  jur  <&d)laö)t  am  weisen  SSerge, 
waren  bie  einjigen,  von  benen  öorauSgefefjt  werben  fbnnte,  bafs  bte-Eunft  teSSEonfafjeS  bamalS  aud)  bieSBei- 
fen  ber  SBrüber  in  beren  #eimatb  fid)  als  Aufgabe  gejMt  habe.  Darüber  tft  unS  jebod)  nid)tS  berichtet;  baS 
etwa  vorbanben  ©ewefene  bat  wobl  ber  nad)  S3eftegung  beS  bbl)mifd)en  2fufftanbeS  waltenbe  fanatifebe 
SSefebrungSeifer,  entweber  gänjtid)  jerftbrt,  ober  bod)  unjugängltd)  unb  völlig  unwirffam  gemacht.  SBir 
ftnben  aber  aud)  eineS  fold)en  mebrftimmigen  geiftlicben  gieberbudjeS  ber  SBrüber  bei  beutfd)en  ©cbriftftellem 
beS  16ten  unb  beginnenben  I7ten  3abrbunbertS  ntrgcnb  gebad)t;  felbft  $)rätoriuS  fd)weigt  barüber  gänjlicb, 
fo  viel  geiftlid)e  SEomneijier  er  in  feinen  jablreicben  2Serfen  aud)  nennt,  ober  auf  fie  als  SSorbilber  unb  Speh 
fer  bei  me()rftimmiger  S3el)anbtung  geijtticber  fiiebweifen  bmbeutet.  Tin  einer  lebenbigen  (Sinwtrfung  beS 
bbbmifd)en  geiftlicben  ßiebcrgefangeS  auf  ben  lutberifd)en  von  ©eiten  ber  Äunft  beS  ©a£eS  her,  ift  r)tenad> 
billig  ju  jweifeln.  ©c£en  wir  aber  voraus,  wie  wir  eS  bürfen,  bie  (Snfwidlung  tiefer  Äunft  fei)  unter  ben 
83bbmen  nad)  eben  ben  ©efe^en,  unb  in  gleicher  golge  gefd)eben,  wie  wir  fie  bei  ben  Deutfcben  an  ben  unS 
glüdlid)  erhaltenen  Dcnfmal)len  tutt)erifd)en  mebrftimmigen  Äird)engefangcS  vollftänbig  ju  überfd)auen  ver= 
mögen ;  fo  fjdtten  wir  ben  Sicrluft  eineS  l)armonifd)en  Äird)engcfangbud)eS  ber  S5rüber  —  war  namlid) 
überall  ein  folcheS  »orl)anben  —  jwar  immer  ju  beflagen,  bod)  bürften  wir  ihn  nid)t  einen  uaerfe^ltcben 
nennen.    £bd)tf enS  wäre  babei  bie  Entbehrung  einer  erbeblid)en  Äunftanfd)auung  ju  betauern,  wenn  wir 

38* 


  300   


annehmen  müjjten,  ber  fo  reiche,  rb*)tbmtf  che  SBeftanbtbeil  be§  bbbmifchen  .KircbengefangeS  fep  wohl  in 
mebiftimmigcn  Säben  ber  ihm  angcl)brigen  Sieber  auch,  in  eigentümlicher  ©ntwidlung  hervorgetreten.  25en 
'2fnblicf  einer  folcfyen  bietet  un§  inbefj  aud)  ber  lutberifte  Äircbengefang  in  fo  retd>ltd)er  gülle,  bafj  rotr 
nicht  beforgen  bürfen,  für  unferen  gegenwärtigen  Stanbpunft,  ben  einer  ©efd)id)te  be§  evangetifch=beutfcben 
GboralgefangeS,  ein  bebeutenbeS  gefcbicbtlicfyeS  Senfmabt  ju  vermiffen. 

@S  wäre  alfo  nur  noch  von  b  cutfeh en  Söletflern  ju  banbeln,  welche  b6()mifd)e  SDiclobieen  geijb 
lieber  Sieber  ju  Aufgaben  ibrer  Sonfäfje  geroäblt  haben.  @3  ftnb  beren  fed)§,  fo  viel  ich  habe  ft'nben  !bnnen: 
3obann  Ccccarb,  unb  fein  Schüler  StobäuS,  beibe  Gjapellmcifter  ju  Äonigöberg  in  ^Preufjen;  93iid)aet 
9)rätoriu3  ju  33raunfd)wetg;  Sanbgraf  SKoruj  »on  Reffen;  «Samuel  33re3ler,  Terror  ber  Schule  jum  bei= 
ligen  ©etji  unb  ©.  33ernbarbin  ju  SSreSlau;  Sobann  ^ermann  Schein  unb  ©ottfrteb  SSopeliuS,  ßantoren 
in  Seipjig.  £>ocb,  ift  ju  bemerfen,  bap  bergleid)cn  Singweifen  bei  ihnen  nur  gelegentlich  vorkommen,  fofern 
nämlicb  in  ben  Äircbengefang  ihrer  Sßohnorte  aud;  Sieber  bbbmifchen  UrfprungS  aufgenommen  waren,  bafj 
aber  feiner  von  biefen  SOteiflern  jene  9)Mobieen  etgenbS  unb  auSfcbliefslicb,  für  feine  Sonfäfje  gewählt  bat. 

3obann  (Sccarb  fe£te  bie  SSBeife  be3  £od)jeitj>ltebe3 :  „Safjt  um>  fingen,  unfereStimmen  ju©ott 
erheben"  vicrjrimmig  im  Sah«  1603,  at§  ©elcgcnbeitSgcfang  für  ba§  £ocbseit§fejt  Sorenj  Sauferä,  £>ia= 
fonuS  am  £om  ju  .Königsberg,  unb  ber  Dorothea,  SBittwe  .Knaufnaget.  £>b  er  bie  SBeife  felber  gewählt,  ob 
ft'c  von  einem  ber  ^Brautleute  ihm  vorgefd)rteben  war,  ift  nicht  ju  fagen.  (5r  bat  fte,  wie  alles,  wa§  er 
gemacht,  mit  Sinn  bebanbelt,  unb  jumabl  bem  rbvtbmtfdjcn  S3aue,  wie  wir  ibm  juvor  befchrieben,  fein 
9?ed)t  wiberfabren  laffen.  £)amit  hat  er  aber  nichts  geletftet,  wag  wir  nicht  in  ben  SBerfen  feiner  reifften 
Seit  in  viel  höherem  Sföaafje  antreffen,  jumabl  wo  bie  behanbeltcn  SBeifen  einen  größeren  inneren  9feid)thum 
an  £armonieen  barboten,  als  bie  eben  befprochene.  @S  ift  eine  einzelne  willfommene  2tnfd)auung,  bie  er 
unS  gewährt,  aber  nicht  eine  fruchtbare,  tiefer  wirffame :  fein  £onfa£  nimmt  eine  ehrenvolle  Stelle  ein  in 
bem  gefammten  Äreife  feiner  SBerfe,  bie  wir  fünftig  näher  werben  fennen  lernen,  allein  baS  2lnrcgenbe, 
S3elebenbe  in  ihnen,  woran  ft'cb,  bie  ffieftrebungen  einer,  faft  ein  halbes  Safn'bunbert  fortlebenben,  burd)  ihn 
gegrünbeten ^)reufifd)en  Sonfchule  fnüpfen,  ft'nben  wir  hier  nicht  eben  in  eigentümlicher  SScife.  StobäuS 
fünfftimmige  Sälje  über  bie  SBeifen  ber  Sieber:  „SenSSater  bort  oben"  unb  ,,2)anf  fen  bir  gütiger  ©ort, " 
beren  lefeter  er  ein  Sterbelieb  feines  greunbeS  ©eorg  SDtyliuS  unterlegte,  haben  vielleicht  bahin  mttgewirft, 
beibe  bem  lutl)erifd)cn  Äirchengefange  bauernb  ju  erhalten,  inbem  fte  beren  rhpthmifchen  93au,  wie  ihren 
harmonii"d)en  ©ehalt  eigentümlich,  ausprägten ;  fte  fyaben  ihm  aber,  ber  3ahl  nach,  nur  SBenigeS  gewon= 
ncn.  üßegen  ber  Sonfä^e  9)ctchaet§  ^>rdtoriu§  unb  be§  Sanbgrafcn  93Zori^  bürfen  wir  auf  baSjenige  oer= 
weifen,  waö  über  beibe  SKeijter  ba  ju  fagen  fewn  wirb,  wo  von  ihrem  83erl)ältniffe  ju  ber  (Sntwicflung  be§ 
lutherifchen  ßhoralgefange§  gehanbclt  werben  mufi.  ^)rätoriu§  hat/  Wie  f$on  vorläufig  bemerft  Würben, 
eine  SDielobie  au§  einer  ungebräud)lid)en  Tonart  gefegt*),  unb,  waö  von  feinen  Nachfolgern  nicht  gefchahe, 
ihre  eigenthümliche  Seiter  unverleljt  erhalten.  (Sö  ift  biefer  Seiter  eigen,  bafj  fte,  wenn  einmahl  harmonifd) 
bebanbelt,  bie  "Mrt  bes  Sonfchluffe§  mit  ber  pb^S'fd^n  gemein  hat-  Nur  baä  hervorheben  biefeö  befon= 
beren  Schluffeö,  auch  burd)  bie  bcgleitenben  Stimmen,  hätte  ba§  SSßefen  ber  SEonart  erft  fühlbar  gemacht. 
<Prätoriuö  hat  bieö  ju  thun  verfäumt,  er  begleitet  bie  Sd^lujjtöne  ber  SBeife,  —  bei  ihm  b  unb  a,  — 

')  Da  Sag  oertreibt  bie  finflre  9la^t.  S.  ftinen  Sonfnfe  über  bie  SKrlobie  btefcS  Cicbes  Uro.  101  ber  SBei-- 
fpielfammtung. 


  301   


burcb  ben  weisen  £)retflang  auf  G  unb  ben  garten  auf  D,  ba  er  ftatt  beS  legten  ben  garten  r>on  A  f>ätte 
wählen  follen.  Saburd)  flingt  nun  aber  bie  2Beife  als  eine  in  G  mit  ber  fleinen  SEcrj  unb  ©ecbSte  gefegte, 
in  ber  £berquinte  ober  Dominante  fdjliefsenbe,  unb  ber  £brer  ahnet  faum,  welche  Sonreibe  ihr  witflid) 
ju  ©runbe  liege,  ©o  fonnte  eS  benn  aucfy  leicht  gefcbcben,  baß  ©pdtere  auch  nod)  bie  t-erminberte  £Utinte 
biefer  Sonrcibe,  eben  tf>r  SSejeidjnenbeS,  in  bie  reine  uerwanbetten ;  unb  baS  feltenc  33eifpiel  ber  in  ifyc 
bargcffcüten,  als  ungebräud)lid)e  nicht  einmal)!  mit  einem  befonbern  tarnen  genannten  SEonart,  ift  ganj  ohne 
allen  (Einfluß  geblieben.  83on  Schein  haben  wir  bereits  ber  rljptbmifdjcn  Umbilbung  ber  SBeife  beS  2lbenb= 
liebeS  gebadet:  „Sie  Stacht  ifi  fommen  brin  wir  ruhen  follen;"  feine  einfache  merftimmige  SSebanblung 
berfelben  ift  würbig  unb  fcbon,  aber  eS  ifi  bie  einer  einzelnen  SDMobie,  bie  nicbt  einmabl  einem  eigentlich 
fircblicbcn  Siebe  angehört,  fonbern  einem  51t  bäuSltd)er  (Erbauung  beftimmten.  §3opeliuS  bat  feine  Sonfäfce 
meiji  aus»  ©cbeinS  ßantional  entlehnt,  wäre  alfo  hier  allein  mit  SKücfftcbt  auf  bie  oon  ihm  fclber  üierftimmtg 
gefegte  Söeife  beS  2lufcr|W)ungSticbeS  ju  nennen:  ßhrijiuS  ift  erftanben,  hat  übcrwunben;  biefe  gebort 
inbeß  nicht  einem  urfprünglicb  böhmifcben  Siebe  an,  fonbern  einem  lateinifcben :  „Surgit  in  hac  die  Chri- 
stus Dominus,"  iji  alfo  hier  nicht  ju  faefprechen,  fo  merfwürbig  fonfi  fte  auch  ift  burcb  ihre  Tonart,  bie, 
roenn  gletd)  augenfcbeinlicb  eine  weiche,  uon  3of).  'S.  33acb  fpäter  als  mirolobifd)  gefaßt  roorben  iji. 

derjenige  Söteifter,  ber  oerbältnißmaßtg  bie  meiften  SOtelobieen  beS  SSrübergefangbucbeS  mebrfiinv 
mig  gefegt  hat,  ift  ©  amuet  SSreSler.  ßr  gab  im  Sabre  1618  bei  ©eorg  S5aumann  ju  SSreSlau  unter 
bem  Stiel:  Äircben  unb  .ipauS  SKuftca  (Concentus  Ecclesiastico-doraesticus)  50  geijtlicbe  Sieber  in  jmei 
SSbeilen  heraus.  2Mefe  Sieber  ftnb  mit  ihren  üEßeifen  tbeitS  aus»  lutberifcben  ©efangbücbcm  genommen, 
theil»  ftnb  eS  Sobwafferfd^e  ^Pfalmen  mit  ihren  franjoftfcben  SBeifen;  mir  begegnen  hier  einem  »ier= 
Gimmigen  ©a^e  über  bie  SBeife  beS  alten  wn  Friller  umgebilbeten  DfterliebeS :  2)u  Senje  gut,  fo  wie 
einem  über  bie  50ielobie  won  SBurcarb  SÖßalbtS  98ften  ^falrn ;  enblich  mehren  über  SSBeifen  beS  S5rüberge= 
fangbudjcS.  2Bie  weit  biefeS  lefcte  bamalS  in  ©cblefien  (Eingang  gefunben  habe,  namentlich  in  ben 
gürftenthümern  Siegni^  unb  SSricg,  —  bercn  ^)erjoge  ©eorg  3?ubolph  b&  crfte  £betl  gewibmet  ift,  — 
unb  in  83reSlau,  —  beffen  gürftentbumSbauptmann  Qlbam  Dobfchü^,  unb  beffen  S3ürgermeijier,  ©tmbifuS 
unb  ©tabtfcbreiber  ber  Sonfe^er  ben  jweitcn  jufdn-ieb,  ■ —  fonnen  wir  barauS  erfehen.  £>er  SKeifter  nennt 
feine  Sonfä&e  eine  geringe  SSeifieuer  jum  ©d)mucfe  beS  SabernafelS,  bie  er  als  armer  ©cbulmeijier  unb 
SJluft'cuS  bargebracht;  wir  tl)un  ihm  nicht  Unrecht,  wenn  wir  in  biefeS  fein  eigenes  Urtbeil  einftimmen. 
Sin  gewiffeS  ©treben  nad)  Sebenbigfcit  in  gührung  ber  einjelnen  ©timmen  barf  man  ihm  jugeftehen,  er 
hat  biefelben  jeboch  ju  oft  als  für  ft'd)  beftehenbe  betrachtet,  unb  baburcb  ber  SSebeutfamfeit  ihrer 
©efammtwirfung  gefd?abet,  ja,  felbjl  baS  wiberwdrtigfre  DJiißjlimmen  »eranlaßt,  baS  man  nicht  immer 
ben  Srutffehlem  fd)ulb  geben  fann,  bie  fein  2Berr  entftellen.  %l$  Äunftwerf  ift  feine  ©abe  nicht  oon 
SSebeutung;  eine  (Erwähnung  oerbiente  fte  hier  nur  wegen  eineS  SheileS  ber  Aufgabe,  bie  er  ftch 
gejteat  hatte. 

2Bir  burften  ben  Äirchengefang  ber  S5rüber  als  eine  an  ftch  merfwürbige  @rfd)einung  nicht  umge= 
ben,  um  fo  weniger,  als  er  mit  bem  lutberifcben  in  SSejicbung  getreten  iji,  unb  beibe  »on  einanber  geborgt 
haben.  2lber  feine  ßinwirfung  auf  biefen  legten,  wenn  wir  eine  fdjbpferifcbc,  neu  geftaltenbe,  allein  biefeS 
9camenS  werth  halten,  war  nur  eine  geringe,  oorübcrgebenbe.  gür  ft'd)  genommen  jeboch  (wir  wieberholen 
eS)  »erbient  er,  feiner  S3ebeutfamfeit  wegen,  eine  felbfldnbige  gorfd)ung  unb  ausführlichere  S3ehanb= 
lung,  als  ber  3wecf  biefer  SSldtter  ihm  hier  angebeiben  ju  laffen  erlaubte. 


  302   

fttittet  Slbfdjttttt* 

t)te  ftvcblict)en  2Äel0biembü<$et  beg  IGten  Safyvfyuubeitg. 

Die  geifilicben  SSJlelotieenbüdjcr  beS  16ten  SahrhunbertS ,  bis  gegen  beffen  erfie  ^>dlfte  bin, 
haben  mir  in  bem  ä5orangef)enben  fd)on  Ijduftg  ermähnt,  felbji  ausführlich  über  fte  berichtet  @S  mar  babei 
bie  'tfbftcht,  bie  älteren,  metobtfcben,  ber  Sßorjett  entlehnten  ©runblagen  beS  et>angelifd)en  .EircbengefangeS, 
in  ihnen  nachjunmfen,  fepen  fte  ftrcbltcben  ober  oolfSthümlid)en  UrfprungeS  gemefen ;  bte  früheften  eigenen 
©cbbpfungett  ber  erneuten  £ird)e  auf  bem  ©ebiete  beS  heiligen  ©efangeS  in  ibrten  aufsuchen,  fte  in  ihrer 
urfprünglicben  ©eftalt  roieberjuftnben ;  mo  benn  »or  allen  bie  ßieber  SutberS  unb  ü)re  ©ingmeifen  unfere 
Äufmerffamfeit  in  'tfnfpruch  nahmen.  Dem  crften  2fuffeimen,  ber  frübeften  23lütbe  beS  neuen  Äircbenge= 
fangeS  forfcbten  mir  nach  in  ihnen ;  ein  ausführlicher  23ertd)t  über  fte,  als  befonberen  3meig  beS  S5ücber= 
wefcnS  jener  3eit,  lag  außerhalb  unfereS  3medeS.  Zud)  jefct  ift  eS  nicht  bie  2fbficbt,  fte  »on  biefem 
©eftcbtSpunfte  auS  »orjugSmeife  jum  ©egenftanbe  unferer  Betrachtung  ju  machen,  unb  etma  eine  »oEftäm 
bige  Überficht  btefeS  SbeileS  ber  Literatur  ju  geben,  din  anbereS  3iel  haben  mir  unS  geftecft  bei  ber  jufam= 
menbaugenbcn  23etrcd)tung  ber  tiorjüglichftcn  S3üd;er  biefer  Hxt,  »ort  bem  3eitpunfte  an,  mo  mir  fte 
früherhin  »erließen,  ©te  foIX  unS  ein  23ttb  gemähten  »on  ber  großen  SSbätigfeit  ber  ©oangelifchen  auf 
biefem  ©ebiete,  bis  hin  zu  bem  ©d)luffe  beä  3«brb"nbertö ;  fie  foE  unS  baS  SSerbältntß  beS  ©emeinege= 
fanget  anfcbaulicb  machen  ju  bem  neuen  ©otteSbienjte,  fo  mie  beffen  befonbere  2ütSgeftaltung.  Denn  biefe 
23 ü eher  ftnb  bie  »orjügltchfte  £lucEe,  auS  ber  mir  unfere  Äcnntniß  über23eibeS  ju  fd)bpfcn  haben.  ©o  finb 
benn  auch  nur  9J£elobieenbüd)er,  nicht  geiftlid)e  ©efangbücher  überhaupt,  baSjenige,  maS  unS  hier 
befchäftigen  mirb,  eS  märe  benn,  baß  eines  ober  baS  anbere  biefer  legten,  menn  eS  auch  feine  ©ingmeifen 
enthalt,  boeb  iftachmeifungen  gemährte,  bte  unS  über  ben  Urfprung  üblicher  Äirchenmclobiecn  unterrichteten, 
tfber  auch  unter  ben  SOielobieenbüd)crn  fcbließen  mir  einige  abftcbtlicb  auS  »on  unferer  gegenmärtigen  Dar-- 
fteUung.  3unächft  bie  mehrftimmigen  überhaupt;  biefen  mibmen  mir  einen  befonberen  Ttbfchnitt,  in 
melchem  mir  oon  ben  ©e|ern  früherer  Jtirdbenmeifen  mährenb  btefeS  SeitraumS  hobeln  merben.  @ben  fo 
beftimmen  mir  bem  23erichte  über  bte  (Sntfiehung  neuer  SCRelobieen  feit  ber  SOlttte  beS  16ten  3>abrbun= 
oertS  eine  eigene  ©teUe,  fofern  mir  beren  Urheber  namentlid)  fennen,  ober  boch  bie  befonberen  Umjtänbe 
aufgezeichnet  ftnben,  unter  benen  fte  entftanben ;  eS  möge  nun  Did)ter  unb  ©änger,  »ieEetcbt  auch  ©e(jer, 
in  ber  Sperfon  ihrer  Urheber  ftd)  vereinigt  finben  ober  nicht.  (Srbebliche  ©rünbe  cerantaffen  unS  ju  biefer 
tfnorbnung.  9ftebrftimmige  SQtclobieenbücber,  finb  fte  auch  meift  gemifebte  ©ammlungen  für  Ftrdblt- 
d)en  ©ebrauch,  mie  jene  einfachen,  bie  uns  hier  befchäftigen  merben,  ftnb  boch  »orjüglich  geeignet,  über 
baS  S^erbaltniß  ber  Aunft  beS  £on faires  ju  bem  ©emeinegefange  unS  ju  belehren,  unb  bie  Sntmicflung 
ihreS  ©eifteS  unS  anfchaulid)  ju  machen;  fte  eignen  ftd)  alfo  jum  ©cgenjlanbe  einer  befonberS  abgegrenzten 
DarfieUung,  welche  eben  biefe  Aufgabe  ftd)  fteEt.  9ceue  SDcelobieen  treffen  mir  jumeift  in  ©ammlun= 
qen  eigener  .öcroorbringungen  einjelner  SDleifter,  bie,  menn  aud)  benimmt  ben  Steber-  unb  SÖMobiecnfchafj 
cer  Äirche  ju  mehren,  boch  nid)t  ©ingebücher  unmittelbar  für  ftrd)lid)c  3mecfe  genannt  merben  bürfen. 
Unter  biefen  begreifen  mir  nur  folebe,  bie  baSjenige  umfaffen,  maS  bie  Äirche  ftd)  bereits  angeeignet  hatte, 
ma?  in  ihr  eingebürgert  mar.  '2luS  jenen  ©ammlungen  neuer  lieber  unb  ©ingmeifen  lernen  mir  baS  eigem 
tbümliche  Sierbienft  beftimmter  ©änger  fennen,  gemtnnen  eine  '.ünfcbauimg  ihreS  S^erhältniffeS  jur  Äird)c, 
unb  belebten  uns  über  bie  ©rünbe,  meShalb  biefe,  mäblenb  ober  »ermerfenb,  ihren  neuen  ^erüorbringttngen 


  303 


gegenübertrat.  2Btrb  nun  baburd)  ein  in  ftct>  gefcbtoffencr,  befonterev  33ericbt  über  fie  wünfcben?wertb, 
fo  ifl  bie»  um  fo  mebr  noch,  ber  JaU,  weil  jene  Sänger  mit  ihrer  ©abe  oft  auch  bic  te3  Dicbtcrf,  ntd>t 
feiten  aud)  te§  SeljerS  verbinten,  unb  taturd)  ju  einem  längeren  Verweilen  bei  tf>nen  auffortem,  aß  ber 
©eficbtSpunft  unb  bie  ©renjen  unferer  gegenwärtigen  Darjrctlung  e§  geftatten.  Denn  tiefe  bat  bie  SJIcb^ 
rung  teS  SchaljeS  an  geiftlicben  Sietweifen  jum  ©egenftante,  wie  fie  au»  firdjlicb  anerfannten  Somni= 
lungen  beroorgetjt. 

Den  Urfprung  einjelncr,  feit  2utber§  Auftreten  enrjianbener,  unb  in  ber  cvangelifcben  .ftirebe 
beimifcb  geworbener  geiftlicher  Sieber  unb  ibrer  SKelotieen  fönnen  wir  allerttngS  bis"  jum  Jahre  15*23 
jurüdfübren,  nach  bem  Seugniffe  jener  febon  früber  befprochenen  Sammlung  von  acht  Siebern  au§  bem 
Jahre  1524.  Die  allgemeinere  Verbreitung  be$  beutfeben  gcifllid)en  ©efangc§  tureb  eine  Sicibe  nabmbafter 
Sammlungen  bciliger  Steter  unb  ihrer  93Zelobiecn  beginnt  inbejj  erft  im  Jahre  1525.  Jene  acht  üieber,  bie 
Erfurter  Chicbiritien,  waren  bie  Vorläufer  be§,  wobl  gegen  tas>  ©nbe  teS  JahrcS  1524  erfchienenen  2Balter= 
feiert  ©efangbudieS ;  tiefet  brudte  9>eter  Scbbffer  1525  ju  Strasburg  nacb,  unb  nun  traten  im  norbbfh 
lieben,  im  fübwefilicben  Deutfcblanb,  fo  wie  im  9Kittelpunfte  be$  9ieicb§,  geiftlicbe  Singbücber  an  ta? 
Siebt,  bie  ber  .Crbnung  unb  bem  Inhalte  nach,  mit  wenigen  2üislafjungcn  ober  3ufä£en  örtlicher,  geifilicbcr 
Dichtungen,  ber  SBalterfcben  Sammlung  fich  anfcbloffen.  Von  SBittenberg  her  ging  bie  Anregung  au$; 
bie  bebeutenben  Santftätte  unb  ^)auptorte  Grrfurt  unb  ^Breslau,  bie  mächtigen  9?eicbsftätte  Dürnberg  unb 
Strasburg  folgten  nach,  ber  Vorrath  ber  Druder  war  halb  erfebbpft ;  viele  tiefer  SSücher  mögen  tureb  ben 
häufigen  ©ebrauch  ©runbe  gegangen  fepn,  ober  man  mag  fie,  bei  ben  feit  ber  SJiitte  te§  16ten  Jahrbum 
terti  ftattgehabten  ©egenwirfungen  in  fatbolifcbem  Sinne  auch  wohl  abficbtlicb  vernichtet  höben.  3weifello6 
gehören  fie  jefet  $u  ben  größeren  Seltenheiten,  fo  verbreitet  fie  auch  früher  waren.  Diefc  Seltenheit,  fo  wie 
bie  nur  unvotlftänbigen,  oft  nicht  auo  eigener  2(nfd)auung  berrübrenben  Nachrichten  über  mandie  unter 
ihnen,  unb  über  bie  in  ben  nächsten  Jahren  erfchienenen  gleichartigen  Sammlungen,  vergönnen  un$  von 
Vielem  nur  muthmaapenb,  unb  nicht  mit  voller ©ewifjheit  ju  berichten,  unb  fiebern  un£  nicht  vor  unrichtigen 
Solgerungen  auS  ber  3ufammenfteUung  einjclner,  mel)r  ober  minber  fefjgcfjcllter  Sbatfacben.  So  viel  aber 
ift  alS  gewif?  anjunebmen,  tag  jenen  SBücbcm  in  jebem  ber  nächften  Jahre  anbere,  in  gleichem  Sinne 
jufammengetragene  nachfolgten.  @in  um  1526  ju  Nürnberg  erfchieneneä  33üchlein  unter  bem  Sitel : 
,,Da§  teutfd)  ©efang  fo  in  ber  SQief  gelungen  wirbt,  ju  nu£  unt  gut  ten  jungen  Lintern  getrudt"  nahm 
auS  tem  im  vorangehenten  Jahre  tafelbjt  bei  £an$  £ergott  gebrudten  ,,£anbbücblem  geiftlicher  ©efänge" 
teren  jebn  auf,  unt  fügte  jmölf  antere  binju.  @3  enthält  nach  9fieberen>  Verfkherung  feine  Singjeichcn, 
unb  ift  für  un§  nur  beSbalb  bemerfenSwertb,  weit  e§  wohl  ju  einer  umfangreicheren,  im  folgenben  Jahre 
1527  erfchienenen  Sammlung  veranlaßt  hoben  mag.  Sie  war  überfebrieben :  ,,Die  evangelifch  SftefB 
teutfeh-  %uä>  babei  ba»  ^)anbbuchlein  geiftlicher  ©efänge,  al»  ^Pfatmcn,  Sieber  unt  Sobgefänge,  fo  am 
Sonntag  oter  gewertag  im  tfmpt  ber  SEftefj,  begleichen  vor  unt  nach  ber  9)retig  in  ter  Gf>rtftltd)en  Ver= 
fammlung  im  newen  Spital  ju  Nürnberg  gefungen  werben."  DiefeS  ©efangbuch  enthielt  nicht  allein  bie 
38  Steter  te£  5mei  Jahre  juvor  tafelbft  erfchienenen  JpantbücbleinS,  miftfuSnabme  teS^falmS:  5öohl  tem, 
ter  in  ©ottS  gurebte  fleht,  alfo  ten  wefentlichen  Jnbalt  teS  SBalterfcben,  unter  Sutherä  tfugen  gcfammclteu 
©efangbucheS ;  fontern  auch  '3,  im  Jahre  1526  befonter§  erfchienene  $)falmlieber  von  ^)an§  Sachö,  unb 
16  anbere  geifjlich.  e  Sieber  verfdu'ebener  Dichter,  unter  ihnen  neun  Umbichtungcn  weltlicher  ©efänge  auf  ihre 
urfprünglid)en  SBeifen  ju  fingen.    SBahrfcheinlid)  war  e§  tiefe  Sammlung,  welche  Suther  »,u  feiner  ^weiten 


  304   


SSocrebe  veranlagte,  t>ie  freilid)  bityex  nur  bB  auf  bie  1533  ju  SBittenberg  erfd)ienenen  ,,©eiftl.  lieber, 
aup  neu)  gebeffcrt"  bat  jurücf  oerfotgt  werben  fönnen,  allein  ebne  3wcifel  früheren  UrfpmngS  ift,  unb 
mobl  in  ba3  3al)r  1528  ju  fe^en  fepn  möchte.  Sutber  beginnt  in  biefer  SSorrebe  mit  bem  £obe  derjenigen, 
,,bie  ftd)  wobl  beweifet,  unb  bie  Bieber  gemebret,  fo  baf?  fie  ibn  weit  überträfen,"  aber  aud)  ber  *2lnbern 
gebenft  er  tabelnb,  „bie  wenig  ©uB  baju  getban;"  er  befebroert  ftd)  barüber,  baf?  be3  3utl)unö  fein  Gmbe 
werbe,  bafj  bie  erfreu  Sieber  be$  SBittenberger  ©efangbud)e§  je  länger,  je  falfcfyer  gebrueft  würben,  unb 
ermabnt  aüe,  bie  ba§  reine  SBort  lieb  baben,  btefeS  33üd)lein  binfort  ol)ne  SBiffen  unb  Sßiflen  feiner  Urbeber 
nicht  fjü  beffern  unb  ju  mebren.  £>as?  ernfie  SBort  be§  bccbgead)teten  SJtanneS  fonnte  nid)t  obne  SBirfung 
bleiben.  3oad)im  ©lüter,  Pfarrer  ju  Siojrocf,  ber  für  9>ciebcrbeutfd)lanb  ba§  SBittenberger  ©efangbud), 
unb  ben  grbfjeftcn  S£t;eit  jenes  Nürnberger  £anbbüd)lehB,  in  ber  SDiunbart  jener  ©egenb  Verausgab,  trennt 
beiber  Snbalt  auf  ba3  SSejtimmtefte  von  einanber,  aB  jwei  werfebiebenen  ©ingbüd)ern  angebbrenb,  unb 
nimmt  in  feinem,  bem  jweiten  oorangcftcliten  Vorworte  auf  2utber3  S3orrebe  atBbrücflid)  ffiejug.  ©o  ftn« 
ben  wir  es  in  ben  ju  ÜKagbeburg  (1534,  1538,  1540,  1543)  erfd)ienenen  3tbbrücfen  biefe§  nieberbeutfd)en 
DoppelgefangbücfyeS;  fo  in  ber,  burd)  ^ermann  33onnu§  „©uperattenbenten  su  Cübecf"  »erbefferten,  bei 
3ebann  23alll)om  bafclbft  1545  gebrueften  2uBgabe  beffelben,  wie  eö  benn  überhaupt  in  biefer  ©cfialt, 
brtlid)c  'tfnberungen  unb  3ufä£e  abgeregnet,  im  Horben  2)eutfd)lanbs>  allgemeine  ©eltung  erbalten  ju 
baben  fd)cint,  unb  in  eben  bem  SDiaafje  ftd)  mebrte,  aB  bie  Söittenberger  ©efangbüd)er  anwud)fen.  9cun 
ift  aber,  nad)  ©cbbber§  3eugniffe*),  3oad)im  ©lüter  bereitö  um  ba§  %at)x  1532  ju  Stoftocf  geftorben;  bie 
von  il)m  in  S3ejug  genommene  SSorrebe  2utl)er§  muß  alfo  vor  biefem  %d)xe,  in  bem  fünftägigen  3eitraumc 
von  1527  bB  bal)in,  bereite  be!annt  geworben  fepn.  2uB  biefem  3eitraume  heften  wir  jwar  fein  3Bitten= 
berger  ©efangbud),  wo()l  aber  ftnben  wir  eine  9cad)rid)t  von  einem  fold)en,  aB  im  Sabje  1528  bei  £an§ 
Sßevffe  bafclbft  erfd)ienen,  ba§  bisher  nod)  nid)t  wieber  jum  S3orfd)ein  gefommen  iji**)-  25tefeä  wirb, 
aller  SSal)rfd)einlid)fcit  nad),  bie  erwäl)ttte  SSorrebe  £utber§  entl)alten  baben,  bie,  wenn  fte  aud)  nod)  in 
ber  von  3ofevb  .Klug  1535  beforgten,  im  ©inne  ber  Söittenberger  Sbeologen  vermehrten  2UBgabe  bee>  bor= 
tigen  ©efangbucbeS  ,,eine  neue  SSorrebe  2).  9Ji.  2utl)er3"  genannt  wirb,  bod)  wol)l  nur  mit  Sße^ug  auf 
Die  frühere  ju  Söatterö  ©efangbud)e  fo  Ijet^tt,  unb  nid)t  bttyalb,  weil  fie  eben  bamaB  guerfl  erfd)ienen 
wäre.  SBie  nun  ÄlugS  ©efangbud)  bie  ßieber  2utl)er§  allen  anbern  vovanfMIt,  —  bie  gefigefänge  juerft, 
bann  bie  &ated)BtmB=,  bie  SOfalm*,  bie  2el)r=,  S3et=  unb  Soblieber;  nad)  tiefen  ,,anbere  ber  unferen  2ie= 
ber"  folgen  läßt  mit  beigefügten  Namen  tfjrer  £>id)ter;  ältere  lieber  barattf,  „jum  3eugnip  etlicher  from= 
men  6f)riflen  (aufgerafft;  fo  vor  un3  geweft  ftnb  in  ber  großen  ginfternif?  ber  falfd)en  £ebre;"  enblid)  mit 
iiobgefängen  au§  ber  beiligen  ©d)rift  in  ungebunbener  3?ebe  fd)licpt ;  fo  ftnb  wol)l  aud)  bie  früheren  2Bit= 
tenberger  ©efangbüd)er  feit  1528  —  von  bem  1533  erfdjienenen  bejeugt  e§  ©d)bber***)  —  auf  äbnlid)e  '2frt 
georbnet  gemefen ;  wie  benn  biefe  £rbnung  nod)  in  bem  legten  unter  2utbcr§  'itugen  erfd)ienenen  unb  mit 
einer  britten  SSorrebe  von  ibm  verfebenen  ©efangbud)e  beobachtet  i%  ba§  SSalentin  S3a»ft  ju  Seipjig  1545 
herauegab.  Surd)  biefe  2lnorbnung  follte  einem  jeben  fein  9fed)t  werben.  2Bae>  von  ßutber  unb  ben  ©eü 
nett  herrührte ,  follte  üoran(rel)en,  aB  ben  ©rünbem  be§  neuen  Äird)entbum§  angeborig;  baö  in  ber 

•)    ©.   Beitrag  jut  Ctcbtrtjiftone  ©.  79  mit  Sfjug  auf  ©rofd)ii  Sßirttjcibigung  ber  a>angeltfa>n  Äirdie 

e.  tu.  23.). 

")   Wicberer  §.  18.  llnm.  d.  ©.  144.  1  46. 
—)    @.  63  f. 


  305   


Soweit,  ober,  wenn  aud)  in  ber  ©egenwart,  bod)  aufjer  bem  engeren  Äreife  ber  Wittenberger  ©ntftanbene, 
foüte  ntdr>t  au3gefd)loffen  bleiben,  fofern  eS  bem  eoangelifcben  «Sinne  jufagte.  Tillein  eben  fo  roenig  wollten 
bie  Wittenberger  mit  fremben  fiebern  ftd)  fd)müd'en,  al»  maS  fte  nid)t  billigten,  unter  ihrem  Sd)u£e  au§= 
geben  laffen.  3n  33a»ft3  ©efangbud)e  ift  jebod)  außer  ber  fo  eben  befcfyriebenen  golge  oon  Siebern,  welche 
beffcn  .Kern  bilben,  nod)  eine  beträchtliche  9JM)rung  enthalten  gegen  bie  früher  ju  Wittenberg '  crfd)ienenen 
S5ücb,er  biefer  lixt.  63  umfaßt  nicht  allein  ben  ooüftänbigen  Inhalt  ber  oon  Suther  brei  %at)xe  früher 
(1542)  herausgegebenen  33egräbnifjgcfänge,  fonbern,  gleich,  ben  nicberbeutfdjen  Sammlungen,  aB  Anhang 
noch,  ein  jweiteS  Singbüd)lein,  unter  ber  beförderen  2£uffci>rift :  ,,^)falmen  unb  geiftlid)e  Sieber,  welche 
oon  frommen  ßljrifren  gemacht  unb  jufammen  gelefen  ftnb."  Daffelbe  weicht  jebod)  in  feinem  Inhalt  völlig 
ab  oon  jenen  nieberbeutfd)en.  ©iefe  nahmen  neben  ben  Biebern  beS  bei  jeber  neuen  Auflage  allgemad)  oer= 
mebrten  Wittenberger  ©efangbucbeS  jumeift  alle§  basjcnige  in  ftd)  auf,  waS  in  bem  Nürnberger  ^>anbbüd}= 
lein  oon  1527  enthalten  roar,  namcntlid)  bie  breijebn  spfalmc  be»  JpanS  Sad)3,  unb  jene  neun  (»on  ihnen 
burd)  anbere  nod)  vermehrten)  Umbicbtungen  roeltlid}er  Sieber  mit  ^Beibehaltung  ihrer  SKelobteen.  So 
gefd)al)e  eS  in  bem  ©efangbudje,  baS  £an3  kalter  1543  ju  9Jiagbeburg  fyerauSgab,  fo  aud)  in  bem  bei 
3of)ann  S5aUf)orn  1545  gebruiften  Sübcder  (Snd)iribion.  3n  ber  S3a»jtfd)en  Sammlung  bagcgen  finb  biefe 
Sieber  oerfcbmäf)t,  unb  an  ihrer  Statt  anbere  au§  bem  ©efangbudje  ber  mäf)rifd)cn  S5rüber  von  1531, 
meift  ton  SSKicfyael  Weiffe,  aufgenommen,  unb  ©efänge  anbcrer,  nid)t  ju  bem  Wittenberger  Äreife  gehören: 
ber  geiftlid)er  Sichrer,  jumal)l  Q)falmlieber  oon  Subwig  Öler,  Wolfgang  Dacbftein,  SRattbäuS  ©reifer 
unb  anberen ;  Sieber,  bie  ftd)  im  ©anjen  aud)  allgemeiner  in  ber  eoangetifd)en  Äircbe  oerbreitet  unb  länger 
erhalten  haben.  Wie  man  nun  auch,  wählen  mod)te  l)1er  unb  bort,  jugeftelien  muffen  wir,  bafs  bie  Samm= 
iungen  jener  3eit  nidjt  engherzig  auf  einen  fleinen  Ärei§  beftimmter  örtlicher  Sichtungen  ftd)  befd)ränften, 
bafi  bie  £oangelifd)en  im  Süben  unb  Horben  DeutfcblanbS  mit  SScjug  auf  ben  Äird)engefang  in  naher 
Berührung  blieben,  ba£  Sutt)er  biefe  in  Feiner  2lrt  abwies,  roenn  er  im  prüfen  unb  Sid)ten  ber  unter  fei* 
nen  tfugen,  mit  feinem  Vorworte  herausgegebenen  Sieber  aud)  ftrcnger  fenn  mod)te  aß  anbere  Sammler. 
Darum  erfd)eint  bie  Tlnjahl  ber  burd)  ihn  gebilligten,  in  S5apftS  ©efangbud)e  (1545)  enthaltenen  Sieber 
allerbingS  geringer,  als  bie  beS  Sübeder  @nd)iribionS  oon  bemfelben  Safjre.  9?ed)nen  roir  »on  jenen  nur 
ad)t  lateinifche  JBegräbnifjgefänge  ab ,  bie  feine  liebmäfugen  Weifen  haben,  unb  nehmen  fo  bie  3«f)t  ber 
Siebter  beS  £au»tgefangbud)e3  auf  81,  bie  beS  Anhanges  auf  40  an,  fo  beträgt  bie  @efammtjaf)l  aller  nur 
121,  wogegen  baS  Crnd)iribion  beren  199  enthält.  Wollte  man  nun  aud)  ntdjt  in  9tüdftd)t  ber  Waf)l  ber 
Steber  ber  S5apftfd)en  Sammlung  ben  SSorjug  geben,  fo  wirb  man  ihr  biefen,  als  üßelobteenbud) 
angefehen,  unbebingt  gugeftetjen  muffen.  DaS  Walterfcbe  ©efangbud)  enthält  35  Singweifen  ju  32 
beutfd)en  geiftlid)en  Siebern ;  in  bem  83apftfd)en  finben  ftd)  beren  113  ju  121  Siebern,  mit  Ginfd)luf3  ber 
Sdjriftgefänge  in  ungebunbener  9?ebe  unb  ber  baju  gel)brenben  Intonationen,  nur  bie  juoor  gebad)ten  ad)t 
lateinifd)en  IBegräbni^gefänge  aufgenommen.  Werben  nun  felbft  jene  Intonationen  —  15  an  ber  3abJ  — 
al§  blefie  oon  TllterS  f)crgebrad)te  ©efangSformcln,  unb  nid>t  im  ©injelnen  auSgebilbete  SCRelobieen,  eben= 
falls  mit  abgerechnet,  fo  bleiben  une>  immer  bod)  98  Singweifen  nod)  übrig;  im  Saufe  von  20  fahren 
hätten  alfo  bie  unter  Sutl)erS  ZuQen  erfd)ienencn  getftlid)en  ©efangbüd)er  faft  um  baS  Dreifache  an  liebhaf= 
ten  Singweifen  ftd)  oermehrt.  £>iefe  ftnb  nun  in  33apjt3  ©efangbud)e  forgfältig,  genau,  mit  fd)öner 
fd)arfer  Schrift  gebrucft,  wie  benn  überhaupt  biefe  'tfuSgabe  burd)  wol)lgewählte  Snpen,  jierliche  9ianb= 
leiften,  beigegebene  auf  ben  Inhalt  bezügliche  ^>oljfd)nitte,  unb  faubern  Tlbbrud  ftd)  auSjeicfanet.  %em 

v.  äßintftftlb,  ber  etangel.  S^oratgtfong.  39 


  306   


ntcterbeutfchen  ©ingebücher  bagegen,  wenn  aud)  an  ßiebern  reid)er,  finb  bod)  an  ©ingweifen  ol)ne  SScr- 
a,leid)  armer.  SaS  von  .£>anS  SBatter  1543  ju  Sftagbeburg  gebrucfte  hat  nur  20,  baS  von  ^ermann 
fBoitnuS  ju  Sübcd  herausgegebene  Ghichiribion  (1545)  nur  19  SKelobieen,  beren  Srud,  anfcheinenb  nid)t 
mit  beweglichen  Svvcn,  ol)tie  ©orgfalt  unb  ©auberfeit  gemacht  ifh  3n  ber  Sübetfer  (Sammlung  flehen 
fcie  ©ingjeichen  balb  auf  fd)warjem  ©runbe,  roetf?  auSgefvart  wie  bie  Sinien,  balb  in  gewbl)nlid)er  2Beife, 
eng  jufammengevüdt,  oft  unleferlid).  Über  ben  Sicbcni,  benen  feine  ©ingweifen  beigegeben  f.'nb,  nament* 
lieb,  benen  bcS  SBittcnberger  ©efangbud)eS,  fi'nbet  fiel)  metft  feine  SBcjugnafyme  auf  tf>ve  SJiclobie  al6  eine 
allgemein  befannte,  unb  beSbalb  nicht  beigefügte  5  oft  finb  eben  bie  gebräud)lid)jten  2Beifen  beigejeichnet, 
wie  unter  anbern  bie  bcS  Siebes?  „CrS  ift  baS  £et'l  uns?  fommen  her/'  fo  bafj  ber  ©runb,  weshalb  eben  nur 
bie  vorhanbenen  jur  Aufnahme  in  bie  (Sammlung  gewählt  worben,  nicht  einleuchtet.  9cur  burd)  bie  9?ejug= 
nalime  auf  bie  SBeifen  ber  umgebichteten  weltlichen  Sieber,  welche  jene  nieberbeutfd)en  ©efangbüd)er  ent* 
halten,  werben  biefe  unS  wichtig,  inbem  fie  unS  eine  ©pur  gewähren,  benfelben  in  ben  Sammlungen  weltli= 
eher  Sieber  jener  3eit  nachjuforfchen,  unb  fo  ben  Urfprung  mancher  fpatern  ßhoralmclobie  ju  ermitteln. 
SeStjalb  hatten  wir  an  biefem  £>rte  ihrer  ju  gebenfen,  unb  weil  fie,  bie  älteften  Senf  mahle  evangelifd)en 
JtircbengefangeS  in  9cieberbeutfd)lanb,  unS  jugleid)  beffen  5?erl)ältnifj  erfennen  laffen  ju  bem  oberbetitfehen. 
SaS  von  33avft  herausgegebene  ©efangbud)  erfd)ien  fväter  in  vielen  SÖßieberabbrüden,  aud)  9cad)brütfen. 
Stn  3af)re  1586  gab  3ad)ariaS  SSerwalbt  ju  Seivjig  (41  5al)rc  nach  beffen  erjtem  (Srfcheinen)  eS  abermals 
heraus,  um  SßiclcS  vermehrt,  jebod)  fo,  baß  alles  neu  ^injugefommene  in  einem  ^weiten  Anhange  jufam= 
mengcftellt,  von  bem  urfvrünglid)en  5nl)alte  bcS  33ud)eS  alfo  gänjlid)  gefonbert  war.  So  l)ßd)  ehrte  man, 
lange  nach  feinem  Äobe,  ben  SSunfd)  SutherS,  ber  baS  ihm  unb  ben  ©einigen  2i"ngel)brcnbe  nicht  mit 
grembem  vermifd)t  ju  fel)en  wünfd)te,  bafi  man,  waS  aud)  nur  unter  feinen  2tugen,  mit  feinem  Vorworte, 
SigeneS  unb  grembcS  gefonbert  umfaffenb,  erfd)ienen  war,  wieberum  als  ein  ihm  felbftänbig  2lngcl)örenbeS 
betrad)tete,  unb  waS  man  hinjuthat,  forgfältig  bavon  trennte.  Siefer  zweite  Anhang  enthält  jebod)  nur 
eine  einjige  neue  SRelobie  beigebracht,  bie  unS  ju  feiner  ^Betrachtung  veranlagt;  wichtiger  ift  er  burd)  $>in- 
weifung  auf  elf  weltlidje  ©ingweifen  für  geifilid)e  Sieber. 

Unter  ben  erf)eblid)eren  9)Zclobieenbüd)ern,  bie  bereits  ju  Sutl)erS  Sebjetten  erfd)ienen,  finb  nod) 
bie  von  ©Langenberg  um  1545  ju  SDiagbcburg  herausgegebenen  Äird)engefänge  anzuführen*).  sJcid)t 
ihreS  9feid)tl)umS  halber;  fie  enthalten,  bie  ZUax=  unb  Giborgefängc  ungerechnet,  nur  24  für  ben  ©efang 
ber  ©emeine  geeignete  ÜDMobteen,  unb  unter  ihnen,  ftreng  genommen,  nur  eine  einjige,  bie  wir  in  bem 
gleichzeitig  erfd)ienencn  33ap1tfd)cn  ©efangbud)e  nid)t  ftnben;  bie  bcS  beutfd)en  'tfgnuS  bei:  ,,*D  Samm 
©otteS  unfchulbig."  Senn  bie,  obgleich  liebhafte,  bod)  für  jebc  ©trophe  wechfelnbe  Sßeifc  beSSiebeS: 
„2CIS  ber  gütige  ©Ott  votlenben  wollt  fein  SBort"  —  bie  SERelobie  ber  ©equenj:  Mittit  ad  virginem  — 
fbnnen  wir  in  ber  ©eftalt,  wie  fie  hier  erfd)eint,  unter  bie  eigentlich  volfSmäfjigen  ntdjt  red)nen ;  unb  bie 
Sßcife  beS  SiebeS :  Sanffagen  wir  alle  (ber  ©equenj  Grates  nunc  omnes  entlehnt)  ftnben  wir,  wenn 
aud)  nicht  ju  biefem  Siebe,  bod)  ju  bem  2Seif)nad)tSgcfange  von  Michael  SBeiffe :  ,,Sobet  ©Ott  0  lieben 
Ghriften"  in  bem  S8apjtfd)en  ©efangbud)c  angewenbet.  Siefe  Äird)cngefänge  finb  vielmehr  baburd)  wichtig, 
baj?  fie  unS  ein  S3ilb  ber  bamaligen  einrid)tung  beS  fonntäglid)en  unb  gejt=©otteSbienjtcS  gewähren,  baS 
wir  auS  ihnen  hier  entlehnen,    eine  jebe  geicr  biefer  Tlxt  würbe  mit  bem  ©efange  beS  SiebeS  begonnen  : 

')  Äirdjcngcfcngc,  beubfd),  auff  bie  (Sonntage  fnb  fürnemliaje  gcjte,  burd)«  gan^e  3ar,  jum  2fmpt,  fo  man 
bo«  t)o^roirbige  ©acrament  bc6  Mbtnbmats  Citjrifii  tjanbelt,  auffs  fürjcft  burd)  3of;an  ©Langenberg  »erfafftt. 


307   


.Romm  beiliger  ©ctfr,  Jperre  ©Ott, 

@rfüü  mit  betner  ©naben  ®ut 

deiner  ©laubigen  Jperj,  €Diuth  unb  Sinn  ic. 
iftacb  einem  beutfdjen  ©ebet,  (dollecte),  obne  ©efang,  ober  nur  in  ben  gebräuchlichen  rebedbniicben  ®efang= 
formeln  vorgetragen,  folgte  bann  ba3  Kyrie  summum ,  ein  breifacber  SBittgefang  an  ©ort  33ater,  ©obn 
unb  heiligen  ©eifr : 

Jtprie,  ad)  58ater,  aUerböd)(rer  ©Ott, 
2Bie  flein  ad)t'  man  bod)  bein  ©ebot, 
SJerfcbon'  unfre  SBlinbbeit,  bie  »iel  ©unb'  tbut, 
Cnrbarm'  bieb  unfer  ic. 
Danad)  bie  beutfdje  Intonation  beS  ©lorta  : 

«Preis  fei;  ©Ott  in  ber  Jpbbe, 

worauf  bie  ©emeine  ba3  Sieb 

Allein  ©ott  in  ber  Spotf  fep  @br', 
anfhmmte.    9cacb  einem  ©ebete  mürbe  bann  bie  ©piftel  be§  ©onntagä  üor  bem  Altäre  gelungen,  unb  tl>r 
fd)lofj  ein  bejüglicbeö  Sieb  fxd>  an:  fo  am  erften  "tfbttentSfonntage  ber  ©efang  be3  burd)  Sutber  oerbeutfebterr 

9?u  fomm  ber  Reiben  4?eilanb  ic. 
$lad)  beffen  ©eenbigung  trat,  an  bie  ©teile  be§  ©rabuale  unb  ber  ©equenj,  ber  Qfyox  mit  bem  ©efange 
be$  Siebet  t»on  ber  ©enbung  bes  ©ngelS  an  9Jiaria  ein,  ba§,  roie  für  ben  erften  ^bsentsfonntag,  fo  aueb 
für  ba§  geft  ber  83erfunbigung  99tariä  bejeidmenb  ift : 

ber  gütige  ©Ott  oollenben  roollt  fein  2Bort  ic. 
tflSbann  mürbe  ba3  Grvangelium,  beutfd),  mie  allcSSSorangebenbe,  oor  bem  lltare  gelungen;  ftatt  beö  latei= 
nifeben  Credo  ftimmte  bie  ©emeine  SutberS  Sieb  an 

2ötr  glauben  all'  an  einen  ©ott 
©djbpfer  Rimmels  unb  ber  (Srben  ic. 
auf  ba§  bie  ^rebigt  folgte.  £>iefer  reifte  ftd?  bann  bie  2Ibenbmaf)l3feier  an.  ©ie  begann  mit  ber  »erbeutfd}= 
ten  ^räfation :  „SBafjrlid)  e§  tjt  billig  unb  recht,  nüfclicb,  unb  auch  fjeilfam,  bafj  mir  bidi  ^)err,  aümäcbtü 
ger  ©ott,  aüjeit  loben,  unb  (btr)  banfen  burd)  Sefum  ©jriftum  beinen  ©obn  unfern  £txm,"  meldte  ben 
©efang  beS  beutfeben  ©anctuS  einleitete,  beä  Iutf>ertfd)en  Siebeä : 

Sefaia  bem  9)ropbrten  ba3  gefebab, 

£)aß  er  im  ©eift  ben  £erren  ft'fcen  fat)  ic. 
baö  mit  bem  dreimal --£eilig  ber  dberubim  enbet,  meldje  bem  betligen  ©eber  in  feinem  ©eftebte  erfd)ienen. 
I)em  ©anetuä  folgte  bie  SJorlefung  einer  Umfcbreibung  be3  äkter  unfer,  „bie  ßommunicanten  ju  Germanen 
jum  ©ebet,"  ber  ©efang  ber  (SinfeljungSroorte,  unb  bann  bie  #benbmabl3feier  felbft;  roäbrenb  tt>rev  mur= 
ben  bie  Sieber  gefungen:  „SefuS  ßbrifjuS  unfer  £eilanb,  ber  t»on  un§  ben  ©otte§  3oxn  roanb"  ober  ,,©ott 
fep  gelobet  unb  gebenebetet,  ber  un3  felber  i)at  gefpeifet"  ober  enblid)  ber  lllte^Pfalm  ,,xscb,  banfe  bem 
£errn  won  ganjem  ^erjen"  nad)  Sutyerä  ungebunbener  Überfe^ung,  unb  in  ber  befannten  ©efang&form  beö 
»PilgertoneS.    2)aS  beutfebe  2fgnu§  bei: 

39' 


308  ,  


£3  Samm  ©otteä  unfd)ulbig, 
Um  ©ramm  beS  ÄreujeS  gefd)lad)tet  ic. 
trat  am  ©cbluffe  ber  ßommunion  ein:  es>  folgte  ein  beutfd)ee>  ©ebet,  ber  ©egen,   unb  ber  ©efang 

beS  Siebet 

SSerleib,  une>  grieben  gnäbiglid) 

£)  ©ort  ju  biefen  3ettert  k. 
£>a$  ©anjc  enblid)  würbe,  nach,  einem  abermaligen  ©cbcte,  burd)  ba§  Sieb : 

grfjalt  un§  $m  bei  beinern  Söort  it. 
befd)loffen.  Äfmlid),  nur  bafj  ©piftel  unb  (Stangclium,  ©ebete  unb  Sieber  nad)  ber  jebeömaligen  feftlicben 
SSeranlaffung  wecbfelten,  würbe  ein  jeber  fonn*  unb  feiertägliche  ©otteSbtenft  begangen,  unb  fo  folgt  ©pan= 
gcnbcrg  bem  Saufe  beS  ganjen  Äircbenjabreg.  ©ein  SGBerf  enthalt  aber  auch  lateinifd}e  ilircbengefänge, 
älmlid)  gcorbnet,  wie  benn  Sutber  ja  ben  lateinifchen  getftlichen  ©efang  neben  bem  beutfcfyen  aufred)t  erf)al= 
ten  haben  wollte  in  ber  ewangelifcben  Äirdje*).  ©ie  nehmen  ben  erften  5£l)eit  be§  ©anjen,  ungcfäbr  beffen 
£älfte  ein,  unb  ©Langenberg  äußert  fid)  über  fte  in  ber  SSorrebe  bej>  beutfdjen  S^eileS  batjin :  „weil  ber 
allmächtige  ©ott  in  allen  ©prad)en  unb  jungen  will  gelobt  unb  gepriefen  fepn,  ift  bie  lateinifd)  unb  beutfd) 
bei  einanber  geftellt,  baS  lateinifd)  umb  ber  fd)üler  unb  gelerten,  baS  beutfd)  um  ber  lat)en  tmb  ungelerten 
willen,  auf  baö  ein  iglidjer  habe,  bamit  er  fein  bcrfj  in  ©otteS  bicnft  erquide."  3n  gleichem  ©inne,  unb 
Sutberö  oft  wiebcrljolter  (Srmabnung  jufolge,  blieb  benn  aud)  im  Saufe  be§  16ten  3abrb"nbert3  bcr  latei5 
nifche  £ird)engefang,  neben  bem  beutfchen,  ja  felbft  mit  tf)m  üerbunben,  fjeben,  unb  wir  befugen  eine  9teif)e 
oon  SBerfcn,  bie  baS  ©ebeibjn  jenes  erften  bcabftd)tigten.  £>as>  bei  weitem  wid)tigfte  unter  ihnen  ift  bie 
Psalmodia  be§  Süncburger  ©uperintenbenten  Suca3  Soffiuö,  ju  SEBittenberg  bei  ben  ßrben  ©eorg3  9tb<m 
juetfl  1552,  fobann  in  uiclen  fpäteren  Ausgaben  erfd)ienen,  mit  einer  SSorrebe  5DMand)tl)on3  uom  Ijten 
Januar  1550,  unb  einer  3ueignung  be3 -Herausgebers  v>om  12ten  2tuguft  1552  an  bie  ^Prinjen  griebrid) 
unb  Johann,  ©ölme  Äönigg  <5l;rtfttan  beö  dritten  non  £>änemarf.  3n  »ier  33üd)ern  werben  unS  hier  bie 
üorncbmften  ©efänge  ber  alten  .Kirche  bargeboten,  in  ihren  9JMobieen  unoeränbert,  in  ihren  SBorten  nur 
oon  bemjenigen  gereinigt,  wa§  ber  ©trenge  be§  eüangelifcfyen  ©innee>  anftbfjig  erfdbien.  3n  bem  erften 
Suche  erhalten  wir  "tfntipbonicen,  9?efponforien,  ^mnen  unb  ©equenjen  für  bie  ©omv-  unb  hohen  gejt= 
tage  beä  Äirchenjabre§,  nad)  £>rbnung  beffelben;  in  bem  jweiten  bie  ©efänge  für  bie  beibehaltenen  gefte 
ber  heiligen  Jungfrau,  Sierfünbigung,  Reinigung,  £etmfuchung,  ©eburt  ber  9Jiaria;  für  bie  Sage  ber 
S5efel)rung  $)auli,  flippt  unb  Sacobi,  ©eburt  SohanneS  beä  Säuferö,  ^)eter  unb  $)aul,  9JJaria  9)iagba= 
lena,  3obanni§  (Sntbauptung,  93iid)aeli§,  Allerheiligen,  unb  ber  Apoftel  unb  SJcärtprcr  inggemein;  in  bem 
brüten  bie  ©efänge  für  baä  £od)amt  —  ben^)auptgotte§bienft,  mit  bergeier  be§  heiligen  Abenbmahleä  t»er= 
bunben  —  benen  ftd)  auch  bie  SBegräbnifigcfänge  anfd^liepcn ;  in  bem  legten  enblid)  bie  ^)falmen  mit  ihren 
Antipbonieen  unb  Intonationen,  bie  brei  ecangelifd)en  Sobgefänge,  ber  SJZaria,  be§  3ad)arta§  unb  ©imeonS 
nach  ibren  ad)tfad)en  ©efang§formeln,  ba§  Te  Deum,  unb  bie  üerfchiebenen  9Jielobieen  beS  95ften  ^)falmö 
rVenite  exsulteraus  Domino)  nad)  ihrer  tfnwenbung  bei  t>erfd)iebenen  geften.    9lur  neun  beutfehe  Sieber 


')  CantioMl  eecleuutieaa  latinae,  dominicis  et  festis  diebns  in  commemorationc  Coenae  Domini,  per  totios 
aoni  circulom  cantandae.  Per  Joannem  Spangenhergum  Herdcssianum  ,  Bcclesiae  Norlliusiaoae  Ecclesiasten ,  col- 
ieciae  et  io  ordioem  redactac.  (2fm  ©chluffc:  ©ebrudt  ju  tWagbeburg  burd)  SOJidjQCl  Cotttjer.  «Dl.  £>.  jrl.  o.) 


  309   

mit  ihren  9ftelobieen  jtefyen  neben  tiefen  lateinifchen  ©cfdngen.  9cod)  gegen  ba3  (Snbe  bee>  :3ahrbunbert£ 
finben  wir  ähnliche  SBerfe.  Äeucbentbaß  fpdter  auSffobrltdh  ju  befprecbcnbcS  (iantional,  ju  Wittenberg 
1573  erfcbienen,  giebt  lateinifcbe  wie  beutfcbe  ©efänge,  für  bie  ©onn=,  gejt*  unb  2fpoftettage  beö  ganjen 
jtircb enjabreS ;  DpfopoeuS  511  SDIüblbaufen  (1583)  nur  lateinifcbe  ©efänge,  im  ©inne  beö  2uca§  goffiuö; 
granj  61er  511  Hamburg  (1588)  eine  gleichartige  Sammlung,  unb  all  bercn  Anhang  eine  3Jeil)e  beutfcber 
geiftlicber  Sieber,  mit  83ejeidmttng  ber  Äircbentone,  benen  fte  angeboren.  (Sinjelne  ©elebrte  verfud)ten  ft'd> 
an  Überfettungen  gebräucblid^cr  beutfd)cr  Äird)en[ieber  mit  ^Beibehaltung  ihrer  Wlaafye,  SKcimjtellung  unb 
ÜJielobieen:  fo  ©leiban  an  Sutbers.  $)falmliebe  ,,ßin'  feffe  33urg  ift  unfer  ©Ott;"  ©tigeliuS  an  beffcn  33itt= 
liebe  um  ^Bewahrung  be§  achten  eoangeltfcben  ©laubenä :  „Grrbalt  und  £err  bei  beinern  SBort;"  ©clneccer 
an  feinen  Siebern  über  ben  12tcn  unb  Uten  3)faän  „2lcb  ©Ott  com  £immel  fiel)  barein"  unb:  fpridit 
ber  Unmeifcn  SKunb  wohl;"  SBolfgang  2lmmontu$,  ^Pajtor  ju  iDinfelöbübl  in  graulen  unternahm 
enblid)  bie  Übertragung  einer  ganjen  SJeibe  folcber  Sieber,  burcb  bie,  in  SSerein  mit  ben  beibehaltenen  ©e= 
fangen  ber  alten  .Äircbe,  ein  volljfänbiger  lateinifd;er  ©ottcybienft  „für  bie  ©datier  unb  ©elebrten"  im 
Sinne  ber  euangelifcben  j?ird)e  auSgefkttet  werben  fonnte.  ©ein  Sffierf,  00m  britten  £jtertage  1578  bem 
^arfgrafcn©eorg'griebricb  von53ranbenburg  =  2lnöbad)  jttgefebrieben,  unb,  rote  eS  fd)eint,  juerft  in  eben  bem 
3abre  burcb  T>.  ßbriftian  ©gcnolf  ju  grantfurtb  am  SOcain  öffentlich  gemacht,  erfchien  brei  %ai)xe  fpäter, 
1581,  bei  ben  (Srben  jenes1  erften  £erau3geber§  auf  Soften  ber  £>octoren  2lbam  ßonif'er,  Johann  Äniep  unb 
$aul  Steinmeper,  in  vier  33ücbem,  welche  jufammengenommen  fechS  unb  acbtjig  lateinifd)e  Überfettungen 
bekannter  Äird)enlieber  enthalten ,  bie  ihnen  in  ihrer  beutfd)en  Urgewalt  nebft  ihren  SJiclobieen  beigebruef t 
ftnb.  iDaS  erfte  33ucb  giebt:  „Äirchcngcfäng"  Dom  @atecbi§mo  unb  ben  befonberen  £aupfftücfen  d>rtfi= 
licher  2el)re  ("19  Sicbcr);  baö  jmeite,  „•Eircbengefäng'  von  etlichen  fürnchmen  ^»falrnen  £>acibs>  (27£ieber); 
baä  britte:  ,, jUrcbengefäng'  von  gejten  unb  (%iftlicben  3tifammenfünftcn"  (18  2teber);  baS  vierte  enb= 
lieh  :  Äirchengefdng',  welche  aue>  ben  alten  lateinifchen  oertcutfd)et,  ober  ber  gleiche  gleidjen  entgegengefefct 
unb  jefeunb  brdud)lich  ftnb"  (22  Sieber).  Die  S3orrebc  »erbreitet  ftd)  über  ben  ^u^en  von  Übertragungen, 
wie  fte  hier  geboten  werben;  unter  ben  ©rünben  bafür  fprid)t  2lmmonius>  auch  folgenben  aus»:  würben 
geiftlicbe  Äernlieber  (fagt  er)  mit  Beibehaltung  ihrer  9Jiaafje  unb  ©ingweifen  tateinifch  umgebilbet,  fo 
fbnnten  fte  auch  2tu5länbern,  bie  ber  beutfd)en  ©prad;e  unfunbig,  ber  lateinifchen  aber  mächtig  fenen,  ju 
frommem  ©ebraud)e  bienen;  auf  fotehe  2frt  mürben  biefe  enblid}  mit  ben  eoangelifchen,  hochgelobten  Äirchen 
ju  rechter  Sinmütl)igfeit  in  ber  wahren  Sehre  jufammenmachfen,  unb  ©Ott  mit  ihnen  einftimmig  »erfünbi- 
gen  unb  »reifen.  Sötr  miffen  nicht,  ob  biefer  SwecE  irgenbmic  erreicht  morbenfet);  ben  Äatholifchen  ba- 
gegen  erregte  ber  &>erfuch,  bie  eüangelifche  Äirche  burd;  fold)e  SQZittet  ju  mehren,  großen  Unwillen,  wie  er 
ftch  namentlid)  in  ber  S^orrebe  »on  ßaspar  Ulenbergerö  ^)falmlicbern  (6bln  1582)  lebhaft  au§fprid)t,  ber 
hierin  einen  greoel  erblicft  gleich  bem  alter  fe^erifcher  ©eften,  bie  burd)  amrtutbige  SKelobieen  ihren  in  ßieber 
gebrachten  t»erberblid)en  Svrthümern  allgemeinen  Eingang  ju  »erfchaffen  gefirebt  hatten. 

©roperen  Umfangeä  noch  als  bie  lateinifd;e  ßicberfammlung  beö  2lmmoniu§  ift  So  bann  2«u= 
terbach§  Cithara  Christiana  Psalmodiarum  sacrarum  C<5l)rtfi:ltcl>e  ^arpfen  geijrlicher  ^)falmen  unb  2ob= 
gefeng),  bie  ju  Seipjig  um  1585  in  fiebert  Suchern  erfchien.  £>a3  erfte  berfelben  enthält  9>falme,  ba§ 
jweite  geftlieber,  ba§  britte  Äatechi§mu6gefdnge,  ba§  vierte  „bie  J^aupttafel  von  aller  heiligen  £)rben  unb 
©tänben  2lmpt  in  biefer  SBelt  ;"  baS  fünfte  führt  ben  Sitet  be3  S5uche§  ber  ©ottfeeltgfeit,  ba§  fed>jte  ber 
feeligen  ©terbefunjt,  baö  ftebente  enblich  begreift  bie  ^)»mnen,  jumeift  alte,  urfprünglich  lateinifche.  Siefe, 


 310   

wie  bie  gc^ilicter,  ftnb  ber  jablreid)jte  %ty'ü  beS5Bud)eS,  baS  im  ©anjen  175  Sieber  giebt  mit  94  SUlelobieen 5 
ba  Herausgeber  felber  bat  oon  jenen  44  beigesteuert,  unb  alle  Sieber  SutherS,  fo  wie  bie  meifren  Sodann 
$errmannS  in  lateinifdjen  Übertragungen  feinem  SBerfe  einverleibt.  "Kn  SSKelobieen  geben  2lmmoniuS  wie 
l'auterbadi  nichts,  baS  unS  nid)t  fcbon  burd?  frühere  ober  gleichzeitige  geijtltche  ©efangbüdjer  befannt  wäre, 
wenn  mir  eine  9ftelobie  auS  ber  verfemten  borifcfyen  Sonart  ju  bem  (»ierjeilig  abgeheilten)  Siebe :  ,,$m 
3efu  (Übrift  wahr'  Sölenfdj  unb  ©ort"  ausnehmen,  bie  (auf  ber  Sfücffeite  beS  67ften  SBlatteS)  ton  2fmmo* 
niuS  mitgeteilt  wirb,  jcbod)  Feinen  'tfnFlang  gefunben  ju  l)aben  fer/eint. 

Wir  haben  baSjenige,  waS  im  Saufe  beS  lCten  3ahrf)un&ert§  in  ber  ecangelifchen  .Kirche  auch  für 
larcinifcbcn  gcifilidien  ©efang  gefdiahe,  bei  ©elcgenl)eit  unfereS  ^Berichtes  über  baS  SBevF  ©pangenbergS 
in  tiefe  gebrängte  Sarftcllung  faffen  wollen,  um  jenen,  unS  fremben  ©egenftanb,  ben  mir  bod)  nid)t  außer 
äät  laffen  burften,  t>ier  im  Sufammenhange  abjuhanbeln,  bann  aber  ofme  Unterbrechung  unb  ^bfchwetfe 
unferer  eigentlidjcn  Aufgabe  unS  wibmen  ju  Fbnnen.  3>u  biefer  Fef;ren  mir  nun  jurücF,  ju  ben  beutfcfyen 
geiftlichen  9)Mobieenbüd)ern,  bie  im  Saufe  beS  16ten  S«l)r^iinbert§  unb  namentlid)  nad;  SutherS  Heimgänge 
erfdnenen. 

Unter  tiefen  blieben  bie  üon  Wittenberger  Sljeologcn  beforgten,  überhaupt  bie  in  ©achfen,  ber 
Wiege  ber  Äird)etmerbefferung,  erschienenen,  auch  jefct  noch  bie  l)auptfdd}lid)jten,  auS  benen  bie  £erauS= 
geber  in  anberen  ©egenben  fchbpften,  unb  bie  ben  Äern  il)rer  jtird)engefangbüd)er  bilbeten.  ©er  fpdteren 
Ausgaben  unb  9cad)brücFe  beS  33apftfd)cn  ©efangbucheS  ift  fd)on  Erwähnung  gefcheben;  von  einem  ju 
Wittenberg  (1562)  burd?  ben  bortigen  ©uperintenbenten  tyaul  Grber  überfein  unb  »ermehrt  t)txau& 
gegebenen  SCRelobieenbud)e  ftnbe  ich  nur  bie  9cad)rid)t  feines  £)afer;nS.  2fuS  eigener  2l"nfd)auung  bagegen  ij! 
mir  baS  1573  burd)  Äeuchenthal  bei  bem  bortigen  S5ud)l)änbler  ©amuel  ©eclfifch  herausgegebene,  burd) 
Sorem?  ©d)wencf  gebrud'te  befannt.  (SS  führt  ben  Settel:  „Äirchen©efenge,  latinifd)  unb  beubfeh,  fampt 
allen  ßuangelien,  EptfMn  mib  @otlecten,  auff  bie  ©onntage  mib  gefk,  nach  Srbnung  ber  3eit,  burdjS 
gan^e  3h<*r,  jum  2fmpt,  fo  man  baS  (>od)tx»trbtge  ©acrament  beS  2lbenbmalS  unfereS  Jperm  3efu  ßhrifri 
hanbelt,  ober  fonft  ©otteS  mort  prebiget,  in  ben  euangelifchen  Puchen  breuchltd).  #uS  ben  heften  ©efang* 
büchern  unb  Egenben,  fo  für  bie  Euangelifchen  Kirchen  in  beubfeher  fprach  gcfiellct  tmb  uerorbnet  ftnb,  fru-- 
fammengebracht,  SSnb  ifjunb  erftltd?  auff  biefe  gorm  in  S5rud  ausgegangen."  ©ine  Furje  Erinnerung 
ßbjiftoph  ^efjeß  an  ben  ührifllichen  Sefer,  gegeben  Wittenberg  am  Sage  33tid)acli§  'Kuno  1573,  belehrt 
unS,  in  welchem  ©inne  baS  S3ud)  jufammengetragen  fc»;.  (SS  fei;  nid)t  für  eine  einzelne  Äird)e  ge= 
fchehen,  fonbern  um  bem  oft  auSgefprod)cnen  S5ebürfniffc  cineS  allgemeinen  eöangelifd)en  ßantionalS 
abzuhelfen.  3uerft  habe  eS  3oha"n  Äeuchenthal,  ^)farrl)err  auf  @.  2(nbreSberge,  etlid)ermaaf  cn  3ufammen= 
gebracht,  nachmals  fep  eS,  mit  w'el  anberen  ©efdngen  vemtfyxt,  burd)  ben  gegenwärtigen  Serleger  „»ff 
biefe  gorm  in  £>rucf  »erorbnet"  unb  auf  feine  Soften  herausgegeben.  @S  folgt  bannÄcuchenthalS3ufch"ft : 
er  wibmet  fein  SBerF  SolFmar  SBolffen,  $mn  ju  Sora  unb  Plettenberg,  unb  9?id)tern  unb  9?atl),  S3erg= 
meinem  unb  ©efchwornen,  33iertelSmeiftern  unb  eiteften  ber  löblichen  freien  SBergftabt  ©.  2(nbreSberge, 
unb  fUftlä  biefe  5Sibmung  „am  25flen  ÜKartii  linno  1573,  auff  weld)en  Sag  'tfbam  foll  fct;n  erfd)affen, 
onb  auch  unfer  lieber  ^)Grr  SefuS  (5l)rifiuS  in  bem  jüd)ttgen  Seibe  unb  geheiligten  ©eblüte  bcr  £odjgclobten 
jungfrawen  SOiartc,  burd)  überfd)attung  beS  2ttlevl;üd?ften  SDicnfd)  worben,  onb  hernad;  an  felbigem  Sage 
ftd)  felbS  feinem  himmlifchenSater  ju  einem  füfjen  ©erud?  auff  bem^)ohcn?(ltar  bcSßreu^eS,  jur  uerfünung 
für  rnifere,  onb  ber  ganben  Weit  ©ünbe  auffgeopfert  hat,  bem  fep  lob,  ehr  ünb  preis  gefagt,  in  (Swigfeit, 


  311  ' 

ju  (Swigfeit,  2lmen."  <5o  fotlte  biefeö  33ud),  ber  gefammten  e»angelifd)en  £trd)e  benimmt,  jum  greife 
beö  <Sd>ö^fer§  unb  (SrlbfcrS,  an  bem  Sage,  ber  fo  »iel  geheimnifwolle  2ßunber  in  ffd>  Bereinigte,  bem 
Sdmfce  berjenigen  empfohlen  ferm,  unter  beren  Lütgen  eS  cntjknben  war !  ©6  fd)liefjt  ftd)  ber  £)rbnung  be$ 
•ftird)eiijahrej>  an,  Dorn  elften  XbocntSfonntagc  bis  jum  2Gften  Sonntage  nad)  SrinitatiS ;  alSbann  folgen, 
üon  ber  Öfucffeite  beö  458flen  35latte3  ab,  ©efänge :  am  Sonntage  nad)  bem  Gfyrijltage ;  nad)  bem  neuen 
3fl$£tage;  antreffe  ber  Saufe  6J)rifti ;  an  ben  Sagen  ber  tfpoftel,  alS:  ©.  "tfnbreaS,  Sl)oma§,  $auli 
S5efe{)rung,  9J?atthia§,  ^l)itippt  unb  Sacobt,  ^eter  unb  ^aul,  Sacobi,  ^Bartholomen,  ©.  SDiatthäuS, 
Simon  unb  3"baS,  jroifd)en  welche  aud)  foldje  eingefIod)ten  ft'nb,  bie  ftd)  auf  bie  Sage  SERatta  9Diag= 
balcna,  ©.  ßorenj,  Johannis  Enthauptung,  9)iid)acli§  bejicben.  liefen  fchlicficn  ftd)  an:  bie  £itanct), 
lateinifd)  unb  beutfd);  einige  Jaunen,  jum  ©ebraud)  an  ben  Sonntagen  nad)  ber  ^Prebigt;  $)auß  üort 
©pretten  SSet-  unb  S3uflieb:  „4?ilf  ©oft  wie  ift  ber  SOienfd)en  9cotl)  fo  gvofj ; //  $od)jeit3pfalmen;  bie  brei 
eoangc!ifd)en  ßobgefänge;  ^»pmnen  jum  9JZorgengcbet  auf  bie  2Bod)entage;  2£ntiphonieen  auf  bie  ad)t 
Äird)ent6ne.  Sin  genaues  S3er$eid)ttif3  orbnet  ben  reichen  Snfjalt  bee>  ©anjen  nad)  Hxt  unb  JBeftimmung, 
unb  erleichtert  bie  'tfufft'nbung  aüeS  Einzelnen  burd)  eine  jweite  SufantmenfteUung  ber  ßieber  nad)  ben 
'#nfang3bud)ftaben  i()rer  erftett  Seilen. 

35er  ßieber  ft'nb  im  ©anjen  212,  ber  SJlelobieen ,  foroeit  fte  beigejeicfynet  ft'nb,  165;  beibeS  um 
SSieleS  mel)r  atS  in  SSapftS  ©efangbud)e.  9Jlan  erfennt  beutlid)  bie  SSenuljung  ber  beften  bis  bal)tn  erfd)ie= 
nenen  ©efangbüd)er  unb  3Igenben,  wie  ber  Sitel  fte  üerft'd)ert;  fo  ift  unter  anbern  SieleS  auS  ben,  bamatS 
erft  feit  einigen  %at)tm  an  baS  ßid)t  getretenen  üottftänbigen  Äird)cngefdngen  ber  bbfjmtfcl)  =  mdl)rifd)en 
33rüber  entlehnt,  bod)  mel)r  an  ßiebern  als  eigentümlichen  ©ingweifen  berfelben,  ba  bie  meiften  ber  auf- 
genommenen  ju  benen  gel)6ren,  bie  auS  altem  lateinifd)en  Äird)engefange  ftammen.  2Btr  treffen  hier  aud), 
fooiel  mir  bewufst,  jum  erften  SCRal)(e  in  einem  eüangelifd)cn  Äird)engefangbud)e,  ,,bie  $)affion,  beubfd)  in 
-Perfonett  gefteüt, "  baS  heifst,  üorjutragen  burd)  ben  6t>angcliften,  als  ßrjäl)ler;  burd)  bie  in  feiner  @r= 
jäljlung  rebenb  eingeführten  ^)erfonen ;  —  ßhnffum,  einzelne  ber  Singer,  feine  9cid)ter  tc.  —  unb  burd) 
anbere,  als  sDZehrf)eit  barin  auftretenbe,  —  bie  jünger  als  ©efammtl)eit,  baS  SSolf,  bie  £riegSfned)te, 
u.  f.  ro.  (turbae  nad)  bem  lateinifd)en  2ütSbrucfe).  (Sine  SOJittetgattung  entftanb  burd)  biefe  2trt  beS 
Vortrags  jroifd)en  einfacher  Srjähtung  unb  lebenbig  gegenwärtiger  Sarftellung,  unb  baburd)  wirb  biefer 
fo  wichtige  Sl)eil  ber  (Süangelien  oor  allen  anbern,  in  bem  fird)lid)en  Greife  oorfornmenben  ausgezeichnet. 
(SS  mag  femt,  bafj  man  eben  bamalS  juerft  begann,  bie  ßetbcnSgcfd)id)te  beS  £errn  beutfd)  oorjutragen 
auf  biefe  2Crt:  ihren.  lateinifd)en  SSortrag  in  jener  herrommlid)en  SOBetfe  h«tte  man  wol)l  an  üiclen  £)rten  au§ 
ber  alten  Äird)e  her  beibehalten,  fd)on  feiner  SSebeutfamfeit  wegen;  etnmal)t  befeitigt,  würbe  man  il)tt  faum 
wieber  eingeführt  haben,  ©ie  hier  mitSingjeichett  aufgenommene  2ciben§gefd)id)te  in  beutfd)er  Sprache  ift  bie 
in  Üftatt()du§  ßoangelium  aufgejeid)itete :  eine  furje  oierftimmige  ©inteitung  gel)t  il)r  »oran,  ein  gleichartiger 
Schluß  folgt  il)r:  aufjer  beiben  ft'nb  nur  noch,  bie  turbae  üierftimmig  behanbelt,  aEe§  Übrige  ift  im  (Sfjoralton 
gehalten.  SSierjehn  %at)xe  fpdter,  in  X),  9licolau3  ©elneccer§  1587  ju  Seipjig  herausgegebenen  „Gi^rtftlic^en 
sPfalmen,  Siebern  unb  Äirchengefdngen,"  »on  benen,  ba  ein  großer  Sheit  berfelben  unb  ihrer  ©ingweifen 
»on  bem  Herausgeber  herrührt,  fp&ter  bie  Sfebe  fepn  wirb,  finben  wir  auch  ^ie  2eibenägefd)ichte  nad)  bem 
ßiHtngeüftat  Johanne»  auf  ähnliche 2Beife  behanbelt*),  fonnen  jebod)  auö  ber^rt,  wie@elneccer  biefe  unb  bie 


")    ©.  285  —  380. 


  312   


bee>  Matthäus  einführt,  unb  auS  bem  Unterricht,  ben  er  über  beiber  SBortrag  giebt,  abnehmen,  bafj  fte  in 
Wefa  SBetfe  m'd?t  in  ollen  Äircfcen  eingeführt  gcroefen  fcr>.  ,,2Bir  mollen  fyiefyer  feiert,  fagt  er,  bie  SBeife, 
mit  mir  in  etlichen  Äirdjen  bie  ^Paffion  aus  ben  Csoangeltftcn  Sftatthäo  unb  Johanne  pflegen  ju  fingen: 
ba  ber  @v>angeliji  alljeit  ijl  eine  «Perfon,  bie  ben  SEert,  ober  historicam  narrationem  finget,  mie  aud)  Qi)xu 
ftuS  ein"  fonberbare  SPetfon  im  ©tngen  fewn  foll.  T>ex  6l)or  aber  repraesentirt  ber  Süben,  unb  ber  Zpo- 
jteln  ftebe  mit  einanber,  unb  finget  juglcid}  Stgural.  Der  anbern  ^Perfonen ,  als  Subä,  ßaiphä,  ^Petri 
u.  f.  m.  Sieben  unb  Antwort  tonnen  burd)  ein'  einige  ^erfon  aud)  »errichtet  werben.  ©Ott  gebe  fein  ©nab, 
baS  fold)3  aud)  ju  feinem  2ob  unb  (£t)xen  gereichen  möge,  Timen."  2Bäre  biefer  ©ebraud)  ein  nod)  atl- 
gemeiner  gemefen,  fo  hätte  e§  jener  gingerjeige  offenbar  nid)t  beburft.  ©o  fjattc  aber  ßutfyer  baS  Abfingen 
ber  2eiben§gefd)id)tc  nad)  allen  vier  ©oangetiften ,  wie  cS  juwor  fiatt  gefunben,  in  bem  Vorworte  ju  feiner 
beutfeben  9Kcffe  für  ein  äufkrltd)e§  SBerf  erflärt,  an  beffen  Übung  feftjuhalten  feine  33er»flid)tung  bor* 
hanben  fep;  nur  bie^)affion  in  ber9)?artcrmod)e  ju  prebigen,  mtnbeftenS  am 6b,arfreitage,  hatte  er  gebo= 
ten.  liefern  jufolgc  mod)te  benn,  je  nad)  bem  befonberen  2Bertl)e,  ben  man  auf  tiefen  gotte§bienjtlid)en 
©ebraud)  legte,  berfelbe  in  einigen  euangelifd)en  itird)en  ganj,  in  anberen  tbeilmetfe  gefallen  fenn :  fpäter 
mod)te  l)in  unb  roieber  ©ebalb  £ettbene>  befannteS  Sieb  ,,£>  SKenfd)  bemein' betn'©ünbe  groß,"  beffen  brei 
unb  jvoanjig  ©tropfen  bie  ganje  2eiben3gefd)id)te  in  9?eime  faffen,  bie  ©teile  ber  »on  ben  ©eiftlid)en  unb 
bem  ©ängerd)or  vorgetragenen  biblifd)en  (Stählung  eingenommen  fyabm.  ©ebunben  mar  man  an  baö 
Tüte  nur  burd)  freie  Überjeugung  von  feiner  @rbaulid)feit;  behielt  man  eS  l)ier  bei,  roeil  man  ftd)  lebhaft 
unb  l)eilfam  angeregt  fanb  burd)  ben  bisherigen,  etgenthümlid)  bor  2(nberem  au6gejeid)neten  SSortrag  beS 
33erid)te3  von  ber  Sollcnbung  bee>  emigen  £>pfer§  G>l)rtfti,  fo  l)ielt  man  bort  es>  bagegen  l)cilfamer,  biefe 
@rjdl)lung  ber  ©emeine  in  2iebform  in  ben  SOiunb  ju  legen,  bamit  ba§  von  allen  einmütig  ©efungene  ftd) 
ben  ©emütl)crn  tiefer  unb  bleibenbcr  einpräge. 

9cäd)fi  Äeud)entl)al§  ©efangbud)e  ijl  unter  ben  in  ©acbjen  erfd)ienenen  ba§  üon  ben  ßl)iirfürjilid)en 
£ofprebtgcrn  X).  Martin  SDiiruä  unb  9Kattl)äu3  Srage  ju  ©reiben  5ufammengebrad)te,  burd)  ben  ^)ofmu= 
jtfuö  Martin  gritTd)  unb  ben  S5ud)brudcr  ©imel  S5ergen  bafclbjl  im  %d)xe  1593  herausgegebene,  ba§  mid)= 
tigfte  unb  rctcbhaltigfie*).  ©S  ift  am  24fren  Wlai  jerteS  SahrcS  üon  ben  genannten  beiben  Herausgebern 
bem  bamaligen  #bmtniftrator  be§  Gfjurfiu-ftentljumg,  grtebrid)  2Bill)elm,  ^erjog  ju  ©ad)fen,  ßanbgrafen 
in  Thüringen  unb  SKarfgrafcn  5U  beißen  gemibmet,  unb  enthält,  —  baS  23efd)luf3lieb  nid)t  gerechnet  — 
241  ßteber  mit  180  baju  gcl)örenbcn  ©tngmetfen:  »on  jenen  alfo  29,  von  biefen  15  mel)r  alS  baS  Sleufyen-- 
thalfche.  5)ied)nen  mir  jebod)  btcoon  fieben  lateintfd)e  Begräbnifjgcfänge  unb  bereu  9Kelobiecn  ab,  meld)e 
bem  £)reSbner  ©efangbud)e  mit  bem  33apftfd)en  gemeinfd)aftlid)  finb,  unb  bie  mir  au»  gleid)em  ©runbe 
mie  bort,  aud)  hier  nid)t  in  'tfnfd)lag  bringen,  fo  oerminbert  ftd)  bie  '2lrtjal)l  ber  in  jenem  mel)r  enthaltenen 
Sieber  unb  ©ingmeifen  auf  22  unb  8,  unb  f'ann  namentlich,  roaS  biefe  legten  angel)t,  nicht  beträchtlich 
genannt  werben.    Sagegen  enthält  unferc  ©ammlung  einige  Üicber,  bie  bem  Snl)alte  unb  2Bertbe  nad)  eine 

')  ©cfangbud)  bannnen  6t)rifKid)e  ^»falmcn  unb  Äirdjcn  Cicbcr  D.  Martini  Luihcri  unb  anbercr  frommen  prü- 
ften. Me  fampt  mit  ben  SKotcn  »nn  itjrcn  rechten  SERctobcycn,  roie  fotetje  in  ber  Sf;urfüf)ttid)cn  ©ädjjifchen  ©djtoß- 
firc^c  ?u  Bresben  gefungen  «erben.  3e^  aufg  ne»  nad)  ben  geften  unb  nac^  D.  Lutheri  SntcdjtSmo,  aud)  2tuff  bie 
SBegräbntfi,  Lateinisch  onnb  beubfd) ,  fein  orbentltd)  »erfaffet,  »nb  jiifammcn  gebradjt,  bcSgteidjcn  juoor  niemals  ge= 
fd)e()cn.  XUen  Gbrifttidjen  ^aupoä'tern  onb  Jpaufmüttcrn  inn  jtjrcn  ^eufern,  mit  if)rcn  Äinbcrtcin ,  fo  rool  als  in  Äir= 
d)en  t>nb  edjuten  fetjr  nü^[id)cn  onb  bknftttdjen.  ©ebrudt  in  ber  6f)urfürfttid)en  ©tabt  Bresben,  bei  ©imet  S3ergen. 
Cuiu  privilfigio  Friderici  Wilhtlmi  Elecl.  Sax.  Admiuist.  Aodo  MDXCII1.  1593. 


  313   


wahrhafte  ^Bereicherung  ceS  evangelifcben  Ärrcbengefangeä  finb,  unb  rodele,  fo  weit  meine  gorfebung 
reicht,  eben  fte  jum  erften  9)iablc  aufgenommen  bat.  3d)  nenne  nur  jene  betten :  ,,4?erjlicb  lieb  bab'  td) 
btcb  o  Jperr,"  teffen  Sftelotie  minbeftens>  mir  jum  erften  9Jiablc  hier  in  einer  fircblid)en  Sammlung 
begegnete,  unb  „§3on  ©ort  will  ich  niebt  laffen"  von  SRarttn  Scballing  unb  Sutwig  «öelmbolb  gebietet; 
beibe  bamalo  niebt  lange  erft  entftanben,  allein  turd)  tf>re  SBabrbaftigfcit  unb  ^nnigfeit  fo  allgemein  anfpre= 
cbenb,  bap  fte  fogleid)  ©ingang  fanben  in  bie  .Strebe*).  So  erfebeint  aud)  hier  jum  erfien  Sftable  abS  in 
bicfelbe  aufgenommen  ba£  Sieb:  ,,Sobct  ben  £>emt,  benn  er  ift  febr  freunblidi,"  beffen  SSeife,  unb  beren 
vierftimmiger  iXonfafj,  von  bem  bamal»  in  SreSben  angcftclltcn  ßapcllmciftcr  Scanbclli  herrührt,  fo  wie 
wohl  aueb  ber  von  ber  93Iclobic  bei?  Siebe;?:  „£)  Samm  ©orte»  unfdntlbig"  ihm  angehören  wirb;  beibe 
ftnt  bie  einzigen  Säöe  tiefer  2ht,  meldte  unfer  ©efangbud)  enthalt,  "ilm  Gjnbe  be§  alpbabetifcben  33er = 
jeiebniffes  ber  ©efange  btefes»  33ud)e3,  womit. baffclbc  fcbliefjt,  finben  mir  bie  Unterfd)rift :  ,,@nbe  beS 
erften  ^beilS  tiefe»  ©e|angbucbes>.  Feslina  lente."  (53  ift  faum  ju  glauben,  bafj  bie  Sammler,  von 
tamt  baffelbe  jufammengetragen  mar,  fd)on  bamalS  einen  fo  bebeutenten  Sicbervorratf)  gehabt,  um  einen 
2ten  Sbeil  ihrer  Sammlung  bamit  auSjuftatren ,  wie  benn  aud)  von  ber  Herausgabe  eine»  fold)en  nirgenb§ 
eine  9?ad)ricbt  fieb  ft'nbet.  SBabrfcbeinlicb  mar  mit  jenen  2B orten  nur  eine  £ofnung,  unb  ein  SSorbebalt 
auSgefprocben.  Sem  Srcstner  ©efangbud)e  ift  offenbar  ba6  SJapftfcbe,  bas>  lefjte  bei  Sutl)er§  Scbjeiten 
erfchienene,  ju  ©runbc  gelegt;  ift  tod)  9Kand)e§  von  beffen  innerer  (Einrichtung  in  baffelbe  übergegangen, 
aud)  Sutberi?  Siorrebe  ju  jenem  ihm  vorangefteUt.  Um  fo  weniger  fonnte  c§  ben  Herausgebern  entgehen,  tafj 
feit  jener  ^cit,  innerhalb  ^Sabten,  ber  Steter  =  unb  SRelobteenfftafe  ter  evangelifdien  Äirche  um  ba$ 
doppelte  fid)  vermehrt  habe;  um  fo  gemtffer  Durften  fte,  bei  ber  Svuftigfeit  ihrer  3citgenoffen  auf  bem 
©ebiete  be»  fircblid)en  Sichtend  unb  Singeng,  ber  Jpofnung  Staunt  geben,  jener  Scba£  möge  halb  in  tem 
9JZaaf?e  anwaebfen,  bafi  eine  jweite,  gleich  umfangrcidie  Sammlung  ber  ihrigen  ftch  anfd)liefjen  renne.  93coch= 
ten  auch  3ab™  barüber  hingehen  ;  mit  SB  ei  le  ei  lent,  meinten  fte,  werte  tiefeS  3iel  fid)  wobt  erreichen 
laffen ,  unb  fte  fprad)en  bie3  in  jenem  gemeinen  Sprüdnvortc  auS,  mit  tem  fte  ihr  SBcrf  befd)loffen.  Sie 
haben  ftcb  barin  nicht  getäufdtf,  wenn  auch  eine  gortfe£ung  teffetben  in  ihrem  Sinne  nicht  fiart= 
gefunben  bat. 

Über  tie  bamaligc  ©inriduung  ter  fird)lid)en  Jeier  giebt  unfer  ©efangbud)  un3  feinen  beftimmten 
tfuffcblufj ,  wenn  es"  aud)  «ne  3ufammcnftctlung  ber  barin  enthaltenen  lieber  mit  9?ücfftd?t  auf  ihren  ©e= 
braud)  an  geft=  unb  Sonntagen  giebt.  £afj  ber  ©ebraueb  btS  "Jlbfingcnä  ber  ^affion  in  ber  Gbarwocbe 
nadi  tfrt  ber  alten  .Sircbe,  in  Bresben  nicht  beibehalten  worben,  unb  man  oorgejogen  habe,  bie  Seitens^ 
gefd)ichte,  in  Siebform  gefaßt,  in  ben  ©emeinegefang  aufzunehmen,  türfen  wir  tarau»  fd)lief3en,  bafj  ftatt  ber 
teutfeben  äff  tonen  wie  .Seucbentbal  ttnt  Selneccer  fte  bieten,  f>ier  nur  9)affion3lieber  in  tiefem  Sinne 
gefunten  werten:  $ftf  ©ort,  bafj  mir  gelinge,  —  ©  SSKenfcb  bewein'  tein'  Sünte  grofi,  —  S)a  ter  #err 
©htift  Sifd)e  fafj,  —  SSollt  ihr  hören  ein  neu  ©etid)t  :c,  ein  Siet,  au$  ter  ßrjählung  ter  vier  ©oam 
geliften  von  tem  Seiten  te»  ^>errn  jufammengetragen. 

Unter  ten  oberteutfd)cn  Stätten  hatte  Strasburg  mit  juerft  taö  ju  SBittenbcrg  getrudre 
9Salterfche  ©efangbueb  vervielfältigt,  unb  eine  neue  felbftänbige  Sammlung,  meift  von  9)falmlietern,  ju= 


•)    Sie  entjtttjung  biefer  Sicbcv  unb  tt)rcr  SKclobiccn  wirb  im   porlcfctcn  2(bfd)nitte  au6füf>tttd)  bcfprod)cn 

»erben. 

».  SBintctfttt,  »tt  cDangcl.  (S^otalgcfang.  40 


  314   


fommengeftellt.  Siieberer*)  nennt  un§  unter  ben  bei  SutberS  Sevelten  erfd)ienenen  ©efangbüd)em  aud) 
cm,  bafclbft  um  1537  burd)  #an§  3)reuffe  im  SSerlagc  SBolff  £6pl)l3  berau3gcgebenee>,  obne  jcbod)  ba= 
bei  ju  bemerfen,  ob  e§  <£tngjeid)en  enthalte  ober  niebt.  33icllcid)t  meint  er  bamit  ein  in  jenem  SSertagc 
erftytenateg,  in  ber  33rcslauer  Uniüerfttat'obibliotbef  aufbewahrtes  Sftclobieenbud),  bem  jcbod)  feine  3abj= 
jabi  beigefügt  ift.  (53  fübjt  ben  SEttel:  „$Pfalmcn  unb  ©et)ftlid)e  Sieber,  bie  man  ju  ©trajHutrg,  onb 
aud)  bie  man  inn  anbem  Äird;en  pflägt  ju  fingen.  $oxm  unb  gebet  jum  einfegen  ber  @e,  bem  beitigen 
SEauff/  'tfbcntmal,  33cfud)img  ber  itranfen  mib  SBegrebnüS  ber  abgeworbenen.  2ttles>  gemert  vmb  gebeffert." 
22olfgang  Äbpbl/  ber  Verleger,  fübrt  btefcä  83ud)  mit  einem  Vorworte  ein.  Seit  etlichen  Sauren ,  fagt 
er,  fei)  e3  ber  33raud)  in  ber  ©emeine  ju  Strasburg,  bie  @l)e  auf  fd)riftmäf?ige  2lrt  einjufegnen,  unb  fo 
aud)  Saufe  unb  2lbcnbmaf)l  ju  feiern;  man  finge  $)falmen,  unb  geiftltd)e  Sieber  ,,fo  aud)  febriftlid),  onn 
au§  bewertem  geijt  angeftellet  fet)n,  rote  ba3  lcid)tltd)  üerftanben  roürt  t>on  allen,  fo  nitt  mit  rumfücbtigem 
jantf  bie  fad)  erroegen  t>nb  rid)ten."  (5r  tjabe  jene  £ird)em'tbungen  oft  gebrudt,  unb  allemabt  neue 
^)falmcn  unb  Sieber  f)irtjugetl)an,  ,,fo  fyie  ober  anbcrfjroo  aufgangen,"  bamit  burd)  fte  ber  ©emeine 
Übung  unb  gleifj  crfrtfd)et,  unb  fte  ju  roeiterer  Srf'enntnif  @l)rijti  geretjt  unb  getrieben  werbe.  £afj  bie 
©emeine  baburd)  mit  ©efangen  überfd)üttet  ober  üerwirrt  werben  mod)te,  fei)  nid)t  ju  befürd)ten.  Äein 
9>falm  bleibe  obne  Srud)t,  wenn  er  mit  2lnbad)t  bee>  ©cmütbes»  gebanbelt  werbe,  unb  ©otteS  ©nabe  ba= 
bei  fei),  „ft'ntcmal  an  allen  orten  baS  eynig  lebenbtg  roort,  @briftue>  üMue>,  mit  ben  winblen  beS  bud)= 
(laben  oerwidlet,  fürgetragen  ift."  SBeil  aber  $aulu3  nid)t  allein  ju  ^Pfalmen,  fonbern  aud)  anbem 
gcift(id)en,  lieblid)en  Biebern  ermal)ne,  fepen  aud)  beren  in  biefeö  ©ingebud)  aufgenommen.  $reilid)  nur 
bie  beroäbrten,  ,,bie  nit  allein  ben  reinen  fd)riftlid)en  ftnn  in  ftcb  balten,  fonber  aud)  bie  art  onn  rWt  bee> 
^eiligen  ©cijteS  etwas  gewaltiger  beweifen;"  beim  mit  Siebern,  weld)e  bie  red)te  getjllid)e  2frt  unb  Siebltd)= 
feit  nid)t  bitten,  ober  Sebren  einführten,  weld)e  bte  Sauterfeit  beteiligen  Gbangelii  betrüben,  unb  oer= 
unreinen  würben,  bürfe  bie  ©emeine  G>brifti  nid)t  befd)wert  werben.  —  Sem  S5ud)e,  wie  eS  mir  vorliegt, 
ift  aber  aud)  ein  2lnbang  beigebunben ;  ob  tirfßrimglid)  baju  gcl)örenb,  ob  nur  ju  S3equemltd)feit  beS 
33eft£er$  beigefügt,  ift  nid)t  ju  entfd)eiben.  SDRan  bürfte  ba§  Sefcte  oorauSfcljen,  benn  unfer  Steberbud) 
bat  <£eiten$ablen  (331),  ber  "Knbang  »lattjablen  (151).  @r  ift  überfd)rieben :  ^fairer.  £>aö  femibt 
alle  ^Pfalmen  £amb3,  mit  jren  SKelobteen,  fampt  uicl  @d)bnen  6l)riftlid)en  Siebern  onb  Ä»)rd)en  übun= 
gen,  mit  feimem  9icgi|tcr,  2ln.  MDXXXVIH  (1538;.  2Bolf  Äopl)l,  ber  Herausgeber,  bemerft:  er  r>abe 
früber  bie  *Pfalmen  unb  ©eiftlid)en  Sieber,  wie  man  fte  in  ben  6l)rifi(id)cn  ©emeinen  l)in  unb  roieber  pflege 
$u  fingen,  ftüdroeife  gebrudt,  wie  er  fte  ju  jeber  3eit  babe  befommen  tonnen.  9cun  fen  burd)  oiet  berül)mte 
Did)ter  ein  ganjer  ^)fa[ter  bi§  anS  @nbe  r>ollbrad)t,  unb  biefen  l)abc  er  famt  ben  üorigen  Äird)enübungen 
unb  geifilieben  Siebern  jufammen  in  bie§  S3üd)lctn  gebrudt.  'Km  ©d)luffe  be§  ©anjen  l)cift  e§  bann: 
,, folget  ba§  anber  Sbepl  ber  ^)falmen  onb  6bviftlid)cn  Sieber."  SSKan  fbnnte  annebmen,  ba3  l)ier  vm 
anftebenbe  Sieberbud)  bilbe  biefen  anbem  S£t>eil :  biefeS  ift  aber  aud)  mit  ben  SBorten:  „Sa§  @rji  Sepl" 
bejeid)nct.  So  roal)rfd)einlid)  e§  alfo  aud)  fetjn  mag,  baf  beibe  S5üd)er  ftd)  auf  einanber  begeben,  fo 
roirb  man  bod)  annebmen  müffen,  baf  in  bem  oorliegenbcn  ßvemptare  jroei  t»erfd)iebene  'tfuSgaben  berfelben 
oerbunben  finb,  unb  e§  roirb  bie  be§  <£ingebud)e§,  baö,  nad)  bem  S5orroorte  be§  $falter§,  roobl  febon  o  or 
bemfelben  corbanben  roar,  oieüeid)t  in  baö  3abr  1537  gefefjt  werben  bürfen. 


']    §.  21.  Not.  m.  ©.  164.  1G5. 


  315   

25a»  ©efaugbucb  enthält  87  SOIelobteen  ^u  130  Siebern,  an  tiefen  alfo  mehr,  an  jenen  weniger 
als  ba3  83apftfcbe.  25ic  Singweifen  erfebeinen  jumeift  in  Giboralnoten ,  wenige  ausgenommen ;  ju  biefen 
geboren  bie  ber  lutberifd)en  Sieber:  „(Sin'  fefie  S3urg  ift  unfer  ©ott"  unb  Später  Unfer  im  $immelreid), " 
beren  lefete  icb  i)iex  jum  erfren  9)table  gebrueft  fabe.  25er  9)falter  enthält  148  Sieber,  alfo  feine»weg$  ein 
»ollfttjnbige»  ^falmbud),  jumabl  unter  jenen  aud)  noeb  anbere  gciftlid)e  Sieber  begriffen  finb,  „bin  tmn 
miber  aa$  ber  f  ehr  ift  gebogen,  fampt  benen  bie  nacb  anmutung  be»  gepftcS  gemaebt  finb  worben."  25er  9)ie; 
lobieen  finb  30,  bie  bis  auf  eine  einjige  in  Gboralnoten  aufgejeiebnet  finb;  bei  ben  mäßen  Siebern  werben 
befannte  Singweifen  in  S3e3iig  genommen,  auch  wcltlicbe,  als  „Stoftna  wo  warb  ein'  ©cffalt;  ber  Unfall  reut 
mich  gan;  unb  gar;  -ÄbnigSafjlinSSon  k."  S5eibeS5üd)«'  gingen  nur  um  wenige  Jahre  einem  umfaffenben 
StrapburgerjUvcbengefangbudv  eoran,  Don  beffen  25afeon,  unb  feinem  ßrfebeinen  um  154 1  eine  fpäterc  Ausgabe 
un$  Aunbe  giebt;  au»  eigener 'tfnfd)auung  ift  bie  frühere  mir  nid}t  bef'annt.  25ie  fpäterc  führt  ben  Sitel: 
„25a§  ©ro»  Äird)en©efangbucb,  barinn  begriffen  finb  bie  allerfürnemften  unb  heften  Dfalmen,  ©eiftlicbc 
Sieber,  Äpmnen,  vmb  alte  6l)orgefenge,  'tfu»  bem  Üöittenbergifcben,  Strasüburgifcben,  vmb  anberer  Jtircben 
©efangbücblein  jufamen  brad)t  vmb  mit  »leiS  corrigirt  unb  gebruefet.  .!pat  nahe  an  L  Stücfen  jefeunb 
mehr,  bann  ba»  Crrfte  Äircbengefangbud),  2tnno  XLI  allbie  au»gangen,  beren  etliche 
gan§  new  b'nju  getban  finb.  Sur  (äbriftlid)e  Statt  unb  25orff  Äircbcn,  Satinifcbe  pnb  beubfebe  Schulen 
•,ugericbt.  ©ebrueft  ju  Strasburg,  bei  ©eorgen  Ü3cefferfcbmib ,  Anno  31DLX.  (1560.)"  2Btr  feben, 
bas  SBittenbergifcbe  ©efangbueb  blieb  bas  SSorbilb  unb  bie  ©runblage  für  bie  fpäteren  Sammler,  auch  im 
füblicben  25eutfd)lanb ;  aud}  bort  fachte  man  nun  nicht  mehr  an  BufammenfteUung  eine»  bt t  lieben, 
fonbern  allgemeinen  evangelifcben  ©efangbud)c».  25as"  uorlicgenbe  wirb  burd)  eine  SSorrebe  2).  Martin 
JßucerS  eingeleitet.  iJcacbbem  er  Äraft  unb  2Bürbe  ber  Sonfunft  gebübrenb  gepriefen,  jeigt  er,  um  wie 
mel  fünblicber  alfo  ber  Sftifjbraudi  berfelben  fei)  ,u  ffiublliebern ;  er  rebet  cinbringlicb  oon  ber  sJcotbwenbig= 
feit  biefe  ,u  oerbrängen,  ber  fangesluftigen  Jugenb  »on  frühe  an  heilfame  ©efdnge  in  bie  £anb  ju  geben, 
unb  fie  babei  aufjuerjicben ,  wojii  bann  bie  (Sltem  ernfrlicb  unb  bringenb  ermahnt  werben.  25a§  S5ud)  ift 
in  £od)  Jolio  mit  grofjen,  febbnen  Schriftformel!  gebrueft.  tfbtt)eilungen,  £aupt  =  Überfcbriften,  Anfange 
ber  gerieben,  3eilen,  Strophenabfa^e,  finb  burd)  rotbe  Schrift  ausgezeichnet :  rotbe  Jnitialen,  aud)  wohl 
InfangSworte  bienen  bem  ©anjen  $ur  3ierbe.  25ie  Sonjeicben,  burebbin  fchmar^e  dboralnoten ,  fteben 
auf  Srjftemcn  oon  fünf  rotben  Sinien.  25a»  ©anje  bietet  une>5ucrft:  „Etliche  fchöne  £r>mni,  reimwei» 
oerbeutfd)t;"  es  finb  beren  26,  mit  eben  fottiel  baju  gehörigen,  meift  au»  altem  lateinifeben  .ftirebengefange 
ftammenben  Singweifen.  Übertragungen  be£  .Kprie  eleifon,  ©loria,  bes  ©laubens>befenntniffe§ ;  bas 
JÜaterunfer;  SutberS  beutfd)e§  SanctuS:  Jefaia  bem  ^»ropbeten  baS  gefebab,  werben  t)'m  ebenfalls  unter 
ben  ^>pmnen  mit  aufgeführt.  25er  übrige  Inhalt  bes>  5Bud)e§  ift  in  brei  'übtheilungen  'lUfammengefaft. 
,,2)er  erftc  Sbeil  haltet  in  fid)  bie  "'Pfalmengefenge"  lautet  bie  Überfcbrift  fceä  erften.  Gr  bringt  41  Q)falm= 
lieber,  mit  42  baju  gehörigen  Singweifen;  bie  brei  eoangelifd)en  Sobgefänge,  aud)  wohl  bie  größeren 
dfalmen  genannt,  finb  barunter  mit  begriffen.  25er  Sobgefang  ber  ÜJJaria  erfd)eint  b'"'  wie  in  ^bpbl& 
Singebud)e  in  ber  gereimten  Umfdireibung  beö  Snmphortan  s])oUio :  ,,9)Jein'  Seel'  erbebt  ben  sperren 
mein"  mit  feiner  fd)bnen,  ber  SERelobie  be$  Siebe»:  ,,25urcb  3(bam»  §all  ift  gan,  oerberbt"  etwas  an= 
flingenben,  borifeben  SSeife,  bie  aber  hier  regelmäßig  enbet,  unb  in  ihrer  Alraft  unb  Erhabenheit  ber  nur 
unbebolfenen  25id)tung  weit  überlegen  ift.  25ie  Soblieber  be»  3acbariaS  unb  Simeon  finb  in  Johann 
(Snglifd)  25id)tungen  aufgenommen:  ,,©ebenebeit  fep  ©ort  ber^jerr,"  unb  ,,3m  griebe  bein,  o  £erre 

40* 


  31C   


mein,"  bod)  ift  neben  bem  legten  aud)  gutfyerS:  „Sftit  grieb'  unb  gmtb'  id)  fal)r'  babjn"  mitgegeben, 
unter  ber  SBemcrfung:  „baS  erfrgefefjtc  Sobgcfang  ©imeontS  beS  altoatterS  beffer  in  reimen  bameben." 
tiefer  elfte  'tfbfdinitt  fd)liefjt  mit  ben  £)orologicen  (Gloria  patri  etc.  (Sfyre  fe»  bem  SSater  unb  bem  ©ol)n, 
unb  bem  ^eiligen  ©cijic),  „bie  uon  etlidjcn  Sinfyen  ju  (Sttbe  ber  ffalmen  angefyenfet  fetjen fte  [inb  jebod) 
mit  feinen  ©ingroeifen  »eiferen.  Sie  2te  '2lbtl)cilung  tji  überfd)rieben :  „25er  jroeite  Sfyeil  galtet  in  ftd)  bie 
@eiftlid)cn  lieber. "  (£S  ft'nb  hierunter  bie  ilated)tSmuS*,  2ob=,  S5et=  unb  2el)rlieber  begriffen,  23  an  ber 
3af)l,  mit  eben  fo  fielen  ©ingroeifen.  „SaS  ßngltfd)  2obgefang,  Gloria  in  excelsis,  in  ein  Sieb  unb  reimen 
gefaffet,"  befd)liefjt  biefen  2lbfd)nitt:  nid)t  jenes?  bekanntere:  „"Mein  ©Ott  in  ber  «£>öl)'  fen  @f)r',"  fonbern 
baS  frühere,  mit  il)m  gleiche ©ingroeifc  fyabenbc:  „211T  @tyt'  unbßob  foü  ©otteS  fecn."  „£>cr  britte  Xi)til" 
enblid)  „galtet  in  ftd)  bie  gefuieber,"  20  im  ©anjen,  mit  Smfötuf  jroeier  Segräbnißgefange,  rooju 
13  SOielobiecn  beigegeben  ft'nb.  2Bir  ermatten  fyienad),  'MeS  jufammcngered)net,  110  ßieber  unb  106 
©ingroeifen,  alfo  um  ein  ©eringeS  weniger,  al§  baS  15  3<ri)i'  jusor  crfd)ienene  S3a:pfrfd)e  ©efangbud) 
gebrad)t  f;atte.  2BaS  in  biefer  äroifcfyenjeit  oeraltet,  unb  aufer  ©ebraud)  gekommen  roar,  oielleid)t  rool)l 
überall  in  jenen  ©egenben  feine  allgemeine  'tfufnal)me  gefunben  f)atte,  roar  befeitigt  roorben,  bie  bloS  auS 
ber  ©d)rift  roörtlid)  entlehnten  ©efange  fyatte  man  roeggelaffen,  weil  fte  bort  bereits  ju  finben  roaren; 
rennen  roir  aber  biefe  legten  ab  (nebft  ben  baju  gehörigen  f)ergebiad)tcn  ©cfangSformeln)  von  bem  Sntjalte 
jener  alteren  geiftlid)en  Sieberfammlung,  fo  bleiben  biefer  ju  100  Biebern  98  SDielobiccn,  unb  baS  Strafe 
burger  ©efangbud)  erfd)eint  an  jenen  um  »ier,  an  biefen  um  ad)t  fogar  reid)er. 

®etrdcl)tlid)er  ftellt  biefe  S3ereid)erung  fid)  bar  in  einem,  nur  neun  3al)re  fpäter,  in  Utu 
nem  gormat,  bei  £l)eobofiuS  Reichel,  ebenfalls  ju  Strasburg,  jierlid)  gebrückten  ©efangbucfye  (1569;. 
(2S  fünbigt  ftd)  nid)t,  rote  jenes,  als?  ftrd)lid)eS  ©efangbud)  an,  voenn  eS  offenbar  aud)  jene  33eftim= 
mung  l)at,  fonbern  nennt  ftd)  nur:  „ffalmen,  genftlid)e  Sieber  mib  ©efange,  fambt  etlichen  ©ebeten 
2).  SOiar.  2utl).  2lud)  Ruberer  ©ottfeligcn  Serer  »nb  Banner,  auffS  fleijngft  r>on  neroem  äugerid)t, 
rmb  in  eine  rid)ttge  orbnung  gebracht."  Stefer  rid)tigen  Srbnung  jufolge  ft'nb  bie  Sieber  in  fed)S 
Steile  gefontert.  £er  erffe  begreift:  ,,bie  |>r>mnoS  unb  6l)orgefenge,  fampt  etlichen  ßobliebera, 
roeld)e  man  auff  bie  fürnetnbfte  geft  bttrd)S  gan£e  %ax  pfleget  ju  fingen."  3n  il)rer  Bufammenficllung 
ift  bie  golge  ber  gejte  com  ^Beginne  tes?  jiird)enjal)reS  ju  ©runbe  gelegt.  @S  finb  il)rcr  54,  mit 
35  SEßelobieen ;  biefer  £l)eil  für  ftd)  genommen,  enthalt  alfo  bereits  22  Sieber  mel)r,  als  baS  45  3ab.re 
ju»or  erfd)icnene  2Balterfd)e  ©efangbud),  unb  eben  fo  btel  93iclobicen  alS  baffelbe.  gn  bem  jtveiten 
Steile  finben  roir:  „bie  fed)S  Stüde  6l)rifilid)er  2el)rc  barin  ber  6ated)iSmuS  furj  gefaffet  ift,  in 
lieblid)e  ©efenge  unb  lieber  gebracht."  öS  finb  beren  22  mit  17  9)ielobiccn,  bei  benen  nid)ts  SSefonbereS 
ftd)  ju  bemerfen  finbet.  Ser  britte  Sl)eil  begreift  in  ftd)  „eitel  fd)bne  ^)falmcn  beS  Äöniglid)en  ^)ro^l)eten 
SasibS,  in  liebliche  ©efäng' 3ieimen  rociS  gefteUet."  'iluper  ben  ^falmliebern  2utl)erS,  bie  roir  in  jebem 
.  eoangelifd)en  ©efangbud)e  jener  3eit  aufgenommen  finben,  treffen  roir  beren  f)ier  »on  2.  öler,  '^InbreaS 
Änoppcn,  }J<att[)äus>  ©reiter,  2ßolf  Sad)ftein,  Äol)lro^,  £l)omaS  S3laurer,  ©rljarb  ^egenroalb,  SSeit 
Dietrid),  £cinrid)  ä5ogtb,er,  ©ebalb  ^>et;ben,  9i.  ©clncccer,  ^eter  Äe^mann,  faul  r>on  ©pretten, 
3ol)ann  "2lgricola,  3ujluS  3onaö,  ßonrab  Hubert,  2eo  Sub,  unb  beren  elf  auS  bem  f  fattcr  beS  äßtncarb 
2öalbi6,  barunter  fieben  mit  ben  itmen  bort  beigegebenen  Söielobieen ;  roir  fel)en,  bap  beffen  £id)tungen, 
roie  im  Cfjcn  beö  beutfdjen  9feid)eS  unter  ben  bbl)mifd)en  S3rübern,  fo  aud)  an  beffen  2Bcjlgrdnje  bereits 
in  ber  Äird)e  Eingang  gefunben  Ratten.    Sie  ffalmlieber  bilben  ben  am  meifien  nor  ben  anbern  übcr= 


  317  — 


wiegenben£l)eil  unferer «Sammlung,  unb  ben  gegen  ba§  neunmal)«  früher  erfchtcnene,,©rof!e  fStrafwurgcr; 
©efangbud)"  am  erhcblid)ften  bereicherten :  eS  ftnb  ihrer  im  ©anjen  CG  über  58  %rlmen  (ba  ihrer  acht  in 
boppeltcn  ^Bearbeitungen  oorfommen)  mit  52  baju  gehbrenben  SÖMobieen.  3n  bem  merten  Steile  ftnb 
enthalten:  ,,£ie  Schrift  üieber,  aufj  bem  2Uten  onb  Heroen  Scftament,  Wit  ben  St)mboli§  unb  Te 
Deum  laudamus ,  Sambt  anbern  fümemen  £aubtftücfen  @l)rijtlid)er  vmb  ©uangclifcher  2et)rc,  2n  liebliche 
©efänge  r>nb  Sieber  gefteUet."  Unter  ben  Sd)riftliebem  erfcheint  hier  an  ber  erften  Stelle  Sutl)er»  Sieb  nach 
bem  Sobgefangc  ber  ßberubim  bei  bem  spropfyeten  3efaia3 ;  beffelben  Propheten  ©ebet  im  33jien  ßapitel, 
oon2Bolfgang  SJibfel  in  ein  Sieb  gcfafjt:  „£  Sfrmt  ©Ott  erbarme  bich 3ad)aria3  unb  SQiaria'S  Sobgcfang 
burd)  Johann  (Englifd)  unb  Spmpborian  |>oUio  in  Keime  gebracht,  benen  wir  mit  ihren  Sötclobieen  fchon 
in  bem  großen  £ird)cngefangbuche  begegneten;  ein  jweiteS  Sieb  auf  ?0iarid  4?cimfud)ung,  in  weld)em  beren 
Sobgcfang  mit  enthalten  tft:  „SKaria  ba§  Sungfrärolem  jart"  unb  Simeone  Soblieb  nad)  Sutf)er  unb 
Johann  (Englifd).  Sutl)en>  Sieb  nach  &em  12tcn  ßapitel  ber  Offenbarung  3ol)annt3:  „Sie  ift  mir  lieb  bie 
roerthe  ÜDJagb,"  befchliejjt  ben  ÄrciS  biefer  geiftlicben  au§  ber  Schrift  unmittelbar  gefebbpften  £>id)tungen. 
£iefe,  unb  bie  Sob  =,  M)x-  unb  33etlieber  biefes  2ibfd)nittes>  geben  jufammen  52,  mit  37  baju  gehbrenben 
SKelobieen ;  nach  ben  $>falm  *  unb  geftliebern  bie  beträd)tlid)jte  "^njaf)!.  Sie  beiben  legten  Steile  biefer 
Sammlung  bagegen  ftnb  üon  nur  geringem  Umfange.  25er  fünfte  Sheil  ,, haltet  in  ftd)  Älag'  unb  £roft= 
gefänge  wom  Sob,  S3egrdbmfs,  2tufcrftet)ung  unb  jüngftem  ©erid)t":  19  mit  12  5DRelobieen;  ber  fechfte 
unb  lefjte  Xfytil  „haltet  in  ftd)  bie  9Korgen=,  2(benb  =  unb  3)tfd)=©efäng,  Unb  wie  man  ©Ott  umb  3et)tlicbe 
unb  ©et)ftlid)e  Nahrung,  erhaltung,  wol)ltt)at  anrufen,  loben  unb  banfen  foüe;"  ber  f)ief)er  gehbrenben 
lieber  finb  1(5,  mit  10  93Jelobieen.  3m  ©anjen  erhalten  wir  fonad)  in  biefen  fed)3  2l~bfd)nitten  unferer 
Sammlung  229  Sieber  unb  1C3  SJielotieen ;  eine  2Cnjahl,  bie  ber  beä  24  3al)re  fpätern  ^Drcsbncr  ©efang- 
bucheö  oon  1593  beinahe  gteid)fommt.  3(ud)  hier,  wie  in  bem  ©roßen  &ird)engefangbud)e,  vertritt  baS 
Sieb:  „£)  SDienfd)  bewein'  betn'  Sünbe  groß"  bie  Stelle  ber  nach  ben  Soangetiften  gefungenen  Seibem>= 
gefchichte:  überhaupt  ftnb,  big  auf  wenige,  —  ba3  fonntdgliche  unb  bfterlid)e  Äprte,  bie  Sitanct),  unb  baS, 
gar  nicht  für  ben  ©efang  beftimmte  2fthanaft'anifd)e  ©laubenäbefenntnifs  —  alle  ©efdnge  biefeS  33ud)e? 
liebhaft,  fo  wie  ihre  SJJclobieen.  — 

£inter  ben  fübbeutfehen  9ieid)3ftäbtcn  bleiben  auch  bie  et>angelifd)en  dürften  biefeö  Steiles  öon 
Deutfchlanb  in  33eförberung  be§  Äird)engefange3  nid)t  jurücf.  2Ba3  »on  ihnen  in  biefer  2lrt  gefchahe,  be= 
trachten  wir  nun  junachft,  nod)  ehe  wir  ber  ju  granffurtl)  am  SQIain  erfd)ienenen  9)ielobieenbüd)er  gebenfen, 
wohl  ber  umfangreichften  biefer  3eit ;  benn  tiefe  haben  jum  Äbeil  aud)  ben  ^Bemühungen  benachbarter  Jür= 
llen  ihre  SBoUfiänbigfeit  unb  9?eid)haltigfeit  jtt  banfen  gehabt.  S3cfonbere  OTufmcrffamfeit  oerbient  hiev  bie 
für  bie  Sürftenthümer  3weibrü<f  unb 9ceuburg,  burd)  ben^)faljgrafen  23olfgang  errichtete  £ird)en=£rb= 
nung.  Schon  beffen  am  3ten  Secember  1532  »erftorbener  SSater,  ^faljgraf  Subwig,  war  bem  er>angelifd)en 
SSefenntniffe  jugethan  gewefen ;  er  felbft  liefi,  ju  ffiefbrberung  ber  dinigfeit  in  Seljre  unb  ©ottcSbicnft,  biefe 
Äird)enorbnung  entwerfen,  legte  fte  ^l)ilipp  SKeland)tl)on  unb  Johann  33rcn(j  jur  ^Begutachtung  wor,  unb 
liefi,  nad)bem  biefe  fte  gebilligt,  biefelbe  juerft  am  Ifien  3uni  1557  jtt  3wcibrücf,  fobann  am  2ten  Januar 
1500  jtt  9ceuburg  an  ber  £>onau  öffentlid)  »erfünbigen  unb  einführen,  'ftachbem  er  fd)on  im  3abje  1508, 
nad)  (Errichtung  feines  lefeten  2Billen3,  ftd)  nad)  granfreid)  begeben  hatte,  bort  aber  im  folgenben  3^I)rc  1509 
am  Ilten  Sunt  mit  £obe  abgegangen  war,  folgten  ihm  in  ber  Sfegierung,  unb  jwar  ju  9ceuburg  fein  älterer 
Sohn,  Philipp  ßubwig,  ber  Stammvater  ber  jüngeren  pfdljifd)en  Gtjurlinie ,  ju  3weibrücf  ber  jüngere, 


 318   


Johann.  33eibe  ließen  eS  eine  ihrer  erften  ©orgen  fenn,  btc  fird)tid)en  Angelegenheiten  it>rer  Sänbev  ju 
ordnen,  ©cbon  ber  Langel  an  ©rcmplaren  ber  son  ihrem  £>atcr  eingeführten  .Ktrcbenorbnung  hätte  eS  notl)wen= 
Dig  gemacht  für  eine  neue,  ausreichende  Auflage  berfelben  ju  forgen.  @S  war  aber  nicht  bie  SRothburft  allein, 
weldje  fte  baju  beftimmte,  fie  würben  nod)  *>on  einer  höhten  9füdftd)t  geleitet.  3n  ifyca  am  Sage  ber 
heiligen  (flifabetl),  bem  19tcn  9cot>ember  1570,  crlaffcnen  5Bcf'anntmad)ung,  burd)  weld)e  fie  bie  £ird)en= 
orbnung  ibreS  SSaterS  in  einem  neuen  Abbrucfe,  ein  jebcr  in  feinem  SanbeStbeile,  abermals  befannt  machten, 
unb  beren  Beobachtung  einfchärften ,  theilen  fte  jitnad>ft  baS,  bem  legten  SEBillen  ibreS  SSaterS  einverleibte 
©laubenSbcfenntniß  beffelben,  wörtlich  unb  bud)ftäbltd)  mit;  als  ein  SSorbilb,  fagen  fie,  um  bie  ihnen 
oon  ©Ott  befohlenen  Unterthanen  befto  mehr  ju  erinnern,  ,,waS  ein  jeber  ßhrift  in  biefen  legten  gefährlichen 
unb  unruhigen  3eiten  in  ©laubenSfad)en  ju  bebenfen  fchulbig  fep,  nemltd)  biefcS,  baß  wir  unS  in  biefen 
beben  ^anblungen,  fo  ©otteS  @br  unb  unfer  aller  ©eelcn  ©eeltgfeit  betreffen,  nicht  einen  jeben  2Sinb 
bewegen,  ober  auff  ein  anbere  Meinung,  bann  mir  juvor  burch  ©otteS  2Bort  grünblid)  unterwiefen,  ober 
in  unnötig  gebend,  baburch  bie  arme  gewiffcn  betrübet  (werben)  unb  bie  marljeit  »erbunfelt  unb  verfelfcbt, 
füren  laffcn  follen."  ©ic  halten  eS  nun,  bem  9iatf)e  erfahrner  ©otteSgelef)rten  jufolge,  aud)  für  notl)men= 
big,  alS  6t>rtflltd?e  gürften  ju  biefer  £ird)enorbnung  unb  ben  barin  angebogenen  2ebrfri)riften  fich  auS= 
brürflich  ju  befennen.  Senn  ein  jeber  ßbrift  fei;  fchulbig,  feinen  ©lauben  frei  unb  lauter  an  ben  Sag  ju 
geben;  jebcrmänniglid)  folle  auch  wiffen,  unb  erfennen,  baß  in  allen  ©rüden  d)riftlid)en  ©laubenSbefennt= 
niffeS,  Abminiftration  unb  9feid)ung  ber  heiligen  ©acramente,  unb  (Zeremonien,  „wie  bie  biß  anhero  im 
dhriflenlichen  SBerfianb  frommen,  *>nb  gebräuchlich  gewefen"  nid)tS  geänbert  fc»,  fie  aud)  nichts  ju  än= 
bem  gebächten,  wobei  fie  ,,bte  eingefallenen  ©ejend,  9J2ißt>erftenb ,  unb  ungewöhnliche  £)ifputationcn, 
beren  fich  erlief)  biefer  3eit  theilhaftig  machen,  unb  biefelbigen  anberen  Äirchen  einzuhängen  unterftehen, 
gar  nicht  irren  laffen."  ©ie  träten,  t>erftd)crn  fie,  in  bie  gußtapfen  il)reS  feeligen  SkterS,  ber  fold)e  Ätr= 
chenorbnung  ftattlid)  beratl)fd)lagen  laffen,  unb  festen  Demjenigen  nach,  fo  oorlängft  burch  gottfeelige, 
gelehrte,  unb  erfarne  Theologen  unb  Äird)enbiencr  bebad)t  unb  erwogen  few.  Die  abermalige  Verausgabe 
war,  biefen  3.$erftd)erungen  jufolge,  jugleid)  ein  erneutes  SSefenntnif?  beS  väterlichen  ©laubenS,  eine  wie* 
berholte  ßrflärung  treuen  geftl)altenS  an  allem  bemjenigen,  waS  auf  ©runb  beffelben  ju  Erbauung  ber 
.ftird)e  ©ottcS  angeorbnet  worben,  unb  baS  jeM,  wie  eS  auf  bem  Sitelblatte  beS  S3ud)eS  beißt,  „one 
ainige  oerfclfchung  ober  »erenberung  wieberumb  erholet"  werbe.  Diefe  Anorbnungen  betrafen  aber  ben 
.ftirchengefang  nicht  minber,  als  anbere  S£l)ctle  beS  bffentlid)cn  ©ottcSbicnfteS.  S5ci  ©elegenheit  ber  üxtyab 
tung  chriftlicber  ©cbulen  wirb  anempfohlen*),  bie  Äinber  jur  SOtuftca  unb  jum  ©ingen  anzuhalten,  woju 
für  bie  Änaben  täglich  bie  erfte  ©tunbe  nad)  SöZittag  alS  ÜbungSjeit  befjimmt  wirb  **).  Die  jtirchenbiener 
Collen  baS  23olf  ermahnen,  baß  fie  bie  verorbneten  ©efäng'  lernen  ;  bie  .fttrd)cngefänge  follen  in  ben  Äir= 
d)en  beS  gürftentbumS  teutfd)  gefungen  werben,  ,,wie  aud)  bie  anberen  (Smpter  mit  fürlefen  unb  fürfprechen 
in  teutfeher  fprad)  gefchehen  follen.  3ebod)  nad)bem  ©.  ^auluS  bie  frembbe,  bod)  etlichen  befanbte  fprad) 
\u  feiner  3eit  in  ber  Äirdjen  $ur  S5effcrung  juleft,  ©o  mögen  bie  ©chüler  ju  jeiten  lateinifd)  gefang  auf 
ber  heiligen  ©chrifft,  ober  berfelben  gemeß,  jnen  jur  übung  in  ber  &ird)cn  fingen,  fürnemlid)  aber,  bie^ 
weil  bem  größeren  &f)eil  ber  Äirchen  allein  bie  £eutfd)e  fprad)  befant,  foll  aud)  ber  mehrer  theil  ber  ©efang 
Seutfcb  »errichtet  werben."    Durch  ben  ©efang  foll  ein  jeber  an  ©otteS  2Bort,   baS  barin  »erfaßt, 


•)  CL 


••)  cxinb.  cxim. 


  319   


erinnert,  unt>  barauS  an  rechter  &rfenntnij}  ©otteS,  an  ©laube,  Siebe,  ©ebulb  unb  allen  anbeten  Sugen= 
ben  c^ebcfTert  roerben. 

Die  alteren  Abbrütfe  biefer  jlircbenorbnung  au§  ben  fahren  1557  unb  1560  habe  ich  jmar  nte= 
maß  gefeljen,  nach  bem  3uoor,  unb  jum  großen  Sbeil  wörtlich,  Angeführten ,  ftnb  wir  jebocb  ju  ber  gol= 
gerung  berechtigt,  baß  bie  Aufgabe  oon  1570  ihnen  im  SBefentticfycn  obllig  übcreinftimme,  bafj  jene  alfo 
auch  in  einem  Anhange,  roie  biefe,  biejenigen  oerorbneten  Äird)  engefänge  enthalten  haben  roer= 
ben,  roelcbe  ju  lernen  bie  Diener  ber  Äirche  baeS  S5olf  ermahnen  follen ;  ein  Anhang,  ber  vielleicht  in  ber 
fpäteren  Ausgabe  oon  1570  nur  um  Dasjenige  wirb  oermehrt  worben  ferm,  wa3  innerhalb  ber  13  Sah" 
feit  ber  erjten  Sefanntmachung ,  beS  6infübren3  in  bie  Äirdie  würbtg  geachtet  mürbe.  3n  biefem  neuen 
Abbrucf  führt  er  ben  Sircl:  ,,Äirchengefang,  Seutfcb  onb  Üateinifcb ;  baoon  in  9ceuburgifcber  onb  3wer>- 
brucfifcher  gleichförmiger  Äircbenorbnung  melbung  gefcbicbt.  SBelcbe  auch  in  betben  gürftentbumben  alfo 
in  allen  .Kirchen  onb  Schulen,  nach  gelegenheit  ju  jrer  jeit  orbenlich  gelungen  unb  gebraucht  roerben  follen. 
Damit  3ung  *>nb  Alt  ber  rechten  reinen  Sert,  fo  ©ottlicher  ©chrifft  gemcjj  ftnb,  gewöhnen,  onb  alle 
fcbeblicbe  neroerung,  mipoerftanb  onb  oerfelfchung  oermitten  bleibe.  MDLXX." 

Die  beutfdien  SQcefjgefänge  madjen  ben  Anfang:  e§  ftnb  ihrer  funfjebn,  ein  boppelteä  Äprie  unb 
©loria  eingerechnet,  bie  mit  bem  ßobgefange  be§  3acbaria§:  ,,©elobet  feo  ber  £err,  ber  ©ort  Sfvaele»,  benn 
er  bat  befucbt  unb  erlbfet  fein  SSolf"  äfö  3ntroitu§  ("Eingang  ber  f'ird)Iichen  geier)  beginnen,  baö  äkterunfer 
unb  bie  GrinfefjungSworte  in  fkb  begreifen,  unb  mit  ben  Siebern:  ,,.£>  2amm  ©otteS  unfcbulbig"  unb 
„Sbriffe  bu  Samm  ©otte§"  fcbliefjen,  als>  bem  beutfcben  Agnu§  Dei,  nach  ber  ßommunion  ju  fingen. 
3bnen  ftnb  bie  beutfcbe  SHtaner;,  unb  ba§  .Jperr  ©Ott  bich  loben  mir  angehängt;  jeber  biefer  ©efänge  hat 
feine  eigene  9Kelobie  beigebrudt.  Sin  jroeiter  Abfchnitt  umfaßt  bie  ^Pfalmlieber :  eä  ftnb  beren  23  mit  25 
Singweifen,  inbem  ßuther§  „Ach  ©Ott  oom  Gimmel  fteh  barein"  über  ben  I2tcn  ^Pfalm  eine  boopelte 
ÜQielobie  bat,  bie  gebräuchlichere  phrngifohe,  unb  bie  im  ©üben  Deutfdilanbs"  gangbare  mirolnbifd)e,  unb 
eben  fo  bem  ^)falmliebe:  ,,Au§  tiefer  9?otb  ftyrei  ich  ju  bir"  fowobl  feine  »hmgifche  als  ionifcbe  2Beife  bei- 
gebrudt  ift.  Die  itatecbrömuSlieber,  5  an  ber3abl,  bilben  ben  3ten  Abfchnitt:  auch  hier  ift  ber  9Kelo= 
bieen  eine  mehr,  inbem  ba6  Sieb :  DieS  ftnb  bie  beifgen  jebn©ebot,  fomobt  biemirolpbifcbe,  bem  alten  2Ball= 
fabrtSliebe:  ,,3n  ©ottcS  tarnen  fahren  mir"  entlehnte  Singmeife  neben  ftcb  hat/  al§  feine  fübbeutfcbe, 
borifche.  Acht  Sehr*,  Söet=  unb  ßoblieber  folgen  nun,  unter  ihnen  ba3  Sieb:  „s7cun  freut  euch 
lieben  dbriftengmein"  mit  feiner  alten  unb  neueren  -DJelobie.  ©tl  unb  jwanjig  gejtlieber  mit  eben 
fo  oielen  SJZelobieen  enthält  bann  ber  näcbfte  Abfchnitt:  für  bie  AboentSjeit,  ba§  2Beibnacbt$>feft, 
'Maria  Steinigung,  bie  2eiben§jeit,  baö  T(ler  =  ,  JpimmelfabrtS  *Pfmgjt  =  unb  DreieinigfeitSfeft,  oon 
benen,  nad)  ben  SBefiimmungen  ber  Äird)enorbnung ,  jebeS  ber  brei  hohen  fiefte  bureb  biet  Sage 
gefeiert  roerben  foll.  Aujjer  ihnen  rechnet  ft'e  noch  bü  ^  5cften  ßbrifti  ben  Sag  ber  S5efchneibung 
((]ircumcisionis),  ber  ©rfebeinung  ßbriftt  (Epiphanias)  ober  hef'9C11  bxei  Äbnige  Sag,  ber  S$er= 
fünbigung  9Äariä  ober  ©mofängnifj  ßhrifti;  ft'e  mill  auch  bie  Aoofteltage,  ben  Sag  SobanniS  bee 
Säuferg,  Ataxia  ^>eimfud}ung  unb  Sfticbaelij,  burd)  oormittägige  g)rebigt  unb  Ausheilung  be§  Abenb= 
mahle»,  roenn  ßommunicanten  oorhanben  fepen,  gehalten  roiffen;  boch  ftnb  au^er  ben  Sobgefängen  ber 
sHRaria  unb  beö  «Sachariaä,  bie  aber  eine  anbere  allgemeinere  S3eftimmung  erhalten  haben,  befonbere  geft= 
lieber  für  biefe  nicht  oorhanben.  AIS  einjigeS  9)affion3tieb  ftnben  mir  <£ebalb  ^>ep6en§:  ,,S  SKenfch  be= 
mein'  bein'  ©ünbe  groß,"  unb  bürfen  borauS  fchlic§en,  —  ba  auch  unter  ben  lateintfcben  Äirdiengefängen 


  320   

bie  &eibenSgef$i$te  nach  einem,  ober  allen  (Soangeliften  nid)t  enthalten  ift  —  baß  biefeS  bie  ©teile  beS 
altberfommlidu'n  SSortragS  ber  Rafften  oertreten  tjabe.  dagegen  wirb  wäbrenb  ber  SeibenSjeit  brtngenb 
empfohlen:  „bie  #iftorien  be§  SeibenS  ßbrtfti  aud)  an  ben  2Berftagen  (ju)  prebigen  (ba  man  fonft  ju  pre= 
tigen  pfleget)  unb  fleifj  (ju)  haben  biefclbige  £tjforien  bem  SSoH  recht  einjubtlbcn."  Damit  foü  man  febon 
balb  nadi  Batate  beginnen,  unb  ba3  SSüdjlein  vom  Setbert  ßbrifti,  au§  ben  (Soangeliften  jufammert  gebogen, 
Dabei  ju  ©runbe  legen:  am  sPalmtage  foll  eben  biefc  ©efebichte,  „ju  breimablen  ausgefeilt"  bem  jungen 
S>olfe  früh  um  feebö,  Nachmittage,  unb  jur  SSefiwrjett  »orgclefen,  unb  am  grünen  Donnerfiage  unb  6bar= 
freitage  SSor  =  unb  9cad)mittag§  barüber  geprebigt  werben:  ja,  in  ben  ©täbten  rönne  biefeS  bie  ganje 
(Muimocbc  binbureb  gefd^eben.  Wlan  wollte  alfo  biefe  fo  wichtige  (Stählung  auf  anbere  SBeife  als  bisher  in 
ber  ÄirdK  lebenbig  erhalten,  fte  ben  ©emütbern  ber  ©emeine  nicht  fowof)l  barftellenb,  alö  auslegen  b, 
einprägen.  WS  ,,ä>efpergefang"  fcbließcn  ben  geftlicbern  ftd)  an:  ber  Sobgefang  ber  9J2aria  (mit  ber  Danf= 
fagung:  ßbriftum  unfern  $eilanb),  unb  beS  Simeon,  beibe  nach  ber  Schrift,  im  ^ilgertone,  unb  ber 
fed)ftcn  f'ird)lidien  Intonation  ju  fingen;  enblid)  ©wmpborian  ^PolIio'S  Sieb  über  baS  9J2agnift'cat,  beffen 
mir  öfter  fchon  gebaebt  höhen,  in  welchem  hier  einige  gärten  beS  2utSbrucfS  gemilbert  erfcheinen.  SSter 
Segräbnißgefänge  mad)en  ben  33efd)luß,  unter  benen  nur  ein  latetnifdjer,  jeboeb  mit  einer  liebhaften  ©ing= 
roeife  fid)  beftnbet,  ber  <£>9trmuS  beS  ^PrubentiuS  :  Jam  nioesla  quiesce  qucrela. 

2i>ir  erhalten  alfo  hier  im  ©anjen  86  SQcelobieen  ju  82  ©efängen,  eine  ßahl,  bie  jwar  bie  ber 
©ingweifen  ju  S3apjlS  ©efangbud)e  noch  nicht  erreicht,  unb  hinter  ber  beS  nur  biet  3abre  fpäteren  Meuchen; 
tbalfchen  um  Mieles  jurüeffteht,  jebod)  in  ber  Sbat  baS  (Srlcfenfte  hegreift,  waS  um  jene  Seit  porbanben  war. 
2lud)  mar  eS  hier  nicht  bie  2lbffd)t,  ein  allgemeines  ettangelifcbeS  ©efangbud)  jufammenjufiellen ,  fon= 
bern  ein  ben  S3cbürfniffen  jener  Bänber  gemäßes,  unb  jwar  junäd)ft  bem  ttrd) liehen,  mit  '2luSfd)luß 
Neffen,  was  mehr  ju  fitller,  häuslicher  Erbauung  geeignet  mar.  Namentlid)  ftnb  ber  S  ehrlicher  im  enge- 
ren ©inne  nur  fet>r  wenige,  wenn  wir  bie  ÄatechiSmuSgefänge  abrechnen;  ftreng  genommen  nur  jwet, 
eben  biejenigen,  in  benen  ber  Äern  ber  lutherifchen  Scbre  gefaßt  war:  „@S  ift  baS  Spell  tmS  fommen  her," 
oon  ber  Svecbtfertigung,  unb  ,, Durch  2lbamS  gall  ijt  ganj  Derberbt"  von  ber  ©rbfünbe  unb  ©rlöfung. 
Die  4?crjen  feilten  bureb  ben  ©efang  ju  innerer  ©infebr  unb  jum  ©ebet  erwetfet  werben;  bie  2 ehre  ben 
©emütbern  einjuprägen  fehlen  bie  Stebe  geeigneter,  lin  ben  hohen  geften  füllten  bie  $)rcbiger,  wenn  fte 
bie  $>rebigt  anfingen,  alte  beutfebe  bem  SSolfe  fd}on  bef'annte  gejllieber  auf  ber  Jtanjel  anftimmen  unb 
mit  ihm  fingen;  als  einer  ©emeine  mit  ihm,  follten  fte  feine  geftfreube  in  althergebrachter  SBeife 
theilcn.  £ier  werben  unä  bie  Sieber  genannt:  ©in  jtinbclein  fo  lohelid);  CEbrift  ift  erftanben;  2tlfo  heilig 
ift  ber  Sag;  9cun  bitten  wir  ben  heiligen  ©eift  '^Itt  ben  ^)rebigten  ber  SOBerftage,  93iittwod}§  unb  §rei= 
tagö,  weld^e  ber  Auslegung  ber  ^)falmen  unb  ßpifjcln  gemibmet  waren,  follten  vor  unb  nad)  ber  ^3rebigt 
teutfd)e  Sieber  gefungen  werben,  bamit  fte  bem  Siolfe  gemein  unb  bef'annt  würben;  biefc  Sage  alfo  waren 
beftimmt,  weniger  überall  gangbare  Sieber  erft  allgcmad)  auszubreiten ;  bie  3ßl)l  Deffen,  waö  ju  biefem 
3wecfe  torforglid)  jufammengeftellt  war,  fonnte  beöhalb  nicht  beträd)tlicb  fepn.  Dennoch  war  ffiebacht 
genommen,  namentlid)  bei  ben  ^)falmliebern,  jumabt  benen  üher  bie  wid)tigftcn  ©efänge  bc$  ^falterö,  nicht 
beren  eineö  allein,  fonbern  auch  anbere  baneben  511  heftigen,  in  meldten  ber  eine  ober  anbere  Sbeil  be§  Sn= 
baltö  cinbringlicher  heroorgehohen  war.  ©0  ift  ber  I4te,  ber  51fte,  124fte,  127fte  in  hoppelten  33ear= 
beitungen  worhanben,  unb  auf  biefe  2lrt  ift  mittelbar  für  größeren  9Jeid)tbum  von  ©ingweifen  ebenfalls 
geforgt.    (*S  ift  bieö  aber  auch  unmittelbar  babureb  gefiebert,  baf3  ju  wed)felnbem  ©ebrauche,  befonberen 


  321   


äSeranlaffungen  jufolge,  boppelte  SOßelobieen  für  baffelbe  ßieb  aufgenommen  ftnb,  wie  bat>on  fdion  juüor  bie 
Sfebe  gewefen  ift.  —  £en  beutfd)en  ßiebern  folgen,  nacb,£rbnung  ber  heiligen  3eiten  unbgefte,  bie  lateinifdjen 
©efdnge  in  alten  ßfwralnoten ;  bie  für  bie  2(pofteltage  beftimmten,  unb  bie  9J2eßgefänge  fte()en  jule^t.  2>n 
35efd)luß  macht  baö  Süiagniftcat,  ber  ßobgefang  ber  Jungfrau,  uierftimmig  in  bcn  acht  Äirchentonen ;  ju= 
erft  in  einfacher  auf  aUe  ^falmen  anwenbbarcr  ©cfangform*),  bann  in  feftlichen  Intonationen,  welche  fei= 
ner  2tcn,  4ten,  6ten  Strophe  unb  fo  ben  folgenben  angepaßt  ftnb ;  in  ber2(rt,  baß  bem  einfad)  angc= 
ftimmten  Vortrage  einer  Strophe  immer  ber  oierftimmige  ©efang  ber  folgenben  auf  bie  glcid)e  SJJelobie  ft'cb 
anfcbließt.  Diefe  (ateinifdjen  ©efdnge  waren  jumeift  für  bie  Sefper  beftimmt,  wenn  für  ben  näd)ffen  Somu 
ober  geiertag  feine  ßommunicanten  ftd;  gemelbet  Ratten,  ©3  mar  worgefchrieben,  baß  aßbann  oon  ben 
Schülern  etliche  lateinifche  ^)fa(mcn  mit  einer  lateinifcfyen  "tfntiphonie,  unb  einem  ^>pmnu»  gelungen  werben 
follten:  barauf  folle  ber  jlirchenbiener  ein  (Sapitel  au§  ber  heiligen  Schrift  beseiten  unb  teilen  £eftament§, 
„fampt  jren  Suminaricn,  orbentltd)  nach  einanber  bem  gegenwärtigen  S3olf  ju  tcutfd)  uorlefen"  unb  bann 
ber  ©efang  be§  beutfd) en  SJiagnificat  folgen ,  ba§  juweilen,  ber  Schüler  wegen,  auch  latctntfd?  gefungen 
werben  fönne,  woju  benn  wohl  jene  m'erftimmigen  Intonationen  beftimmt  gewefen  fei;n  werben.  Sie 
ßieber :  @rf)alt  un§  4?crr  bei  beinern  SBort,  unb  SSerleib.  un3  grieben  gnäbiglid),  blieben  allejeit  jum 
Schluffe  ber  firchlichen  geier  beftimmt.  25a$>  SSilb,  bae>  mir  hienacb,  »on  berfelben  im  ©anjen  gewinnen, 
ftimmt  im  SEßefentlichen  bemjenigen  überein,  ba3  un§,  25  %al)xe  früher,  So^nn  SpangenbergS  geiftliche 
©efdnge  gewährten. 

Um  SBenigeS  nur  reidjbaltiger  an  beutfcfyen  ©efdngen  war  ba§  Äirchengefangbuch,  bas>  ßubwig, 
£er$og  ju  SBürtemberg,  13  %d)xe  nach,  ber  legten  S5efanntmad}ung  ber  äroeibrücf  =  9ceuburger  £ird)en= 
orbnung,  für  feine  Sanbe  $u  Bübingen  um  1583  Verausgab;  lateinifche  ©efdnge  enthält  e§  nicht.  3ch 
fenne  baffelbe  ntd)t  in  biefem  urfprüngltchen  2lbbru<fe,  fonbern  in  einem,  81  %at)te  fpäter  (um  1664)  $u 
Stuttgart  im  £>ru<f  unb  SSerlage  Sohann  SBeprid)  SibßltnS,  gürftlid)  Sßürtembergifchen  33ud)brucfer§, 
erfchienenen.  Doch  fann  man  auS  bemfelben  über  ben  Snljalt  jeneS  früheren  ftd)  hinlänglich  unterrichtet 
galten,  weil  baSjenige,  waS  bie  fpätere  2üt§gabe  t)injugetl)an  hat,  in  einen  befonberen  Anhang  jufammen= 
gefaßt  ift.  Sftur  ba§  ift  ju  bebauern,  baß  ber  neue  Verleger  bie  Sjorrebe  ^jerjogö  ßubwig,  welche  bem 
erften  ©efangbuche  beigefügt  gewefen  fet;n  foll,  nicht  mitgegeben,  fonbern  fid)  begnügt  fyat,  bae>  SSorwort 
be§  erften  DrucferS,  ©eorg  ©ruppenbach  ju  Bübingen,  aufzunehmen,  burch  bas>  man  nur  bie  äußeren 
Schicffale  bes>  SSucfyeS  erfahrt,  unb  nicht  über  ben  Sinn,  in  welchem  eä  jufammengefteUt  worben,  unter= 
richtet  wirb,  liefern  83orworte  jufolge  ließ  2ubwig,  £erjog  bü  2Bürtemberg,  ber  »on  1568  bis  1593 
regierte,  bie  reinften  unb  beften  geiftlicb,en  ©efdnge,  welche  in  feinem  £erjogthume  hi§  bahin  gebräuchlich 
gewefen,  auch  anbere,  bei  Äirchen  unb  Schulen  3tug§burgifcher  ßonfeffion  übliche,  jufammentragen,  fte, 
wo  e§  bie  9cothburft  erforberte,  mit  befonberem  gleiße  berichtigen  unb  beffern,  unb  um  1583  für  bie  j£ir= 
dien  unb  Schulen  beä  £erjogthum§  2Bürtemberg  in  gorm  eineä  fleinen  ©efangbucheä  jufammenbruefen. 
2)er  83orrath  bawon  war  jeboch  balb  erfchbpft,  man  bejeigte  aud;  an  anberen  £)rten  2fug§burgifchen  S3e= 
FenntniffeS  ein  Verlangen  nach  biefem  S3uche,  unb  begehrte  nur  eine  größere  gorm.  So  würbe  e§  benn 
mit  S3orwiffen  £erjog§  griebrich,  ber,  nach  bem  #u§jterben  be§  3)^ann§ftamme§  feineä  SDt;etm§  UIrtd> 
in  ber  $)erfon  feines  83orgdnger§ ,  jur  Nachfolge  in  bie  SBürtembergifchen  Sanbe  gelangt  war,  in  größerer 


')  Isomelra  symphonia  ad  psalmum  quemlibet  accomodabilis  irirb  fic  genonnt. 
r.  ffiintttfttk,  ttr  e?angel.  d^crnlgefang. 


41 


  322   


Seffolt  (golto)  herausgegeben:  wann?  iffc  auS  ber  SBorrebe,  welcher  Sag  unb  Sahrjabl  fehlen,  nid)t  ju 
afdnn,  bod)  wirb  eS  jwifchen  1593  unb  1608,  ber  SJegierungSjeit  jeneS  gürften,  gefd)ef)en  fepn.  SBobl 
bamalö  fdwn  führte  e$  benSttel,  unter  bem  e$  1664  aufs  9ceue  aufgelegt  würbe:  „©roß  £irchen=©efang= 
23udi,  baiinnen  außerlefene,  reine  ©eifilid)c  Sieber  unb  spfalmen,  auch,  lehrhafte  unb  troftreiche  ©eiftliche 
©efängV  für  bie  Äirchen  unb  Sd?ulen  im  löblichen  ^erjogthumb  SBürtemberg,  auch,  anbere  reiner  Aug-- 
fpurgifdw  ßonfeffion  oerwanbte  Kirchen,  jufammengeorbnet,  unb  in  tiefer  großen  §orm  mit  fchönen 
fanbtlid)en  gigural=9coten,  unb  groffen  leßltchen  (Schriften  mit  gleiß  gebrueft  fepn."  Der  3ufal§  „Sambt 
einem  Anhang  ober  3ugabe  etlicher  fdjöner  Sieber,  fo  »orbin  in  biefem  ©efangbueb,  nicht  gewefen"  gehört 
benn  wol)l  bem  neueren  Abbrude  an.  Siefer  Anhang  würbe  überhaupt  hier,  wenn  er  auch  nicht  mchreS, 
urf'unblich  um  SSieleS  (Spätere  enthielte,  bei  ben  9JMobieenbüd)em  nicht  in  Betracht  fommen  fbnnen,  ba 
unter  ben  43  Siebern ,  bie  er  mittheilt,  fein  einjigeö  mit  einer  (Singweife  üerfehen  ijf.  Der  ältere,  unb 
wie  »orauSjufefecn  ift,  urfprünglichc  Sheil  beS  ©efangbudheS ,  ba  bie  3ug<we  oon  ihm  getrennt,  unb  mit 
einem  befonberen  Settel  »erfehen  ift,  enthält  fünf  Abfchnitte.  Der  erjie  umfaßt  „©eiftliche  Sieber  auf  bie 
fteft'  unb  geiertäg'"  mit  ginfcbluß  ber  brei  chriftltdjen  Sobgefänge  —  ber  SKaria,  3ad)aria3,  (Simeons  — 
in  ben  Dichtungen  SomphorianS  ^ollio  unb  SohannS  ßnglifd).  (SDßein'  SeeF  erhebt  ben  Herren  mein — 
©ebenebeit  fep  ©Ott  ber  Spexx  —  3m  griebe  bein,  o  $erre  mein  — ).  @S  ftnb  biefer  Sieber  28  mit  24 
Singweifen.  %i)nen  folgen  12  Äated)iSmuSgefänge  mit  eben  fo  üiet  SSÖeifen,  aB  2ter  Abfchnttt.  Der  3te 
enthält  bie  9>falmlieber,  36  an  ber  3ah^  mit  30  SJcelobieen,  ben  2ten,  51fien,  124fkn,  127ften  $>falm 
in  jwei  Bearbeitungen,  ben  130(ten  (AuS  tiefer  9coth  fdjrei  ich  ju  bir)  mit  feiner  phrngifchen,  wie  ionifchen 
9ftelobie;  einige  Sieber  ohne  (Singweifen,  ober  mit  bloßer  4?inweifung  auf  fchon  uorgefommene;  baher 
bie  Abweichung  jwifchen  ber  3ah'  btx  Sieber  unb  SÖMobieen.  Sn  bem  4ten  Abfchnitte  ftnben  wir  „Anbere 
©eiftliche  Sob  =  ,  Sehr=  unb  33et  =  ©efäng'"  jufammengefaßt ,  unter  benen  t)ier  auch  SutherS  beutfcheS 
SanctuS  s  „3cfaia  tem  Propheten  ba§  gefdbah"  unb  baS  ,,^)err  ©Ott  bich  loben  wir"  feine  Stelle  ftnbet. 
63  finb  beren  19  mit  eigenen  (Singweifen,  unb  brei  ohne  biefelben,  unter  ihnen  bas>  leljte  $)aul  CjberS : 
,,4?err  3efu  ßbrijt  wahr'  SDienfcb.  unb  ©ort"  nach,  fed)Sjeiligen  Strophen  abgeheilt,  mit  SSerweifung  auf 
bie  Singweife  beS  SiebeS:  „SSater  unfer  im  £immelreid)."  Der  fünfte  Abfdmitt  befaßt  fünf  „ßhrifiliche 
©efäng'  jum  Begräbniß,"  beren  jeher  feine  eigne  50ielobie  hat;  baS  ©anje  befchü'eßt,  für  ftch,  allein 
ftchenb,  bie  beutfehe  Sitanep.  3u  104  Siebern  erhalten  wir  alfo  hier  91  SKetobieen;  fünf  *>on  biefen,  ad)t= 
jehn  oon  jenen  mehr,  als  in  bem  Anhange  ju  ber  3weibrüd  =  9ceuburger  Äirchenorbnung  ftd)  ftnben. 

(5in  %ai)r  oor  ber  neuen  Auflage  biefer  Äirchcnorbnung,  unb  gleichzeitig  mit  ber  jiwor  befproebenen 
Straßburger  Sammlung  geifllid)er  Sieber  unb  ^falmen,  um  ba§  %al)x  1569,  erfd)ien  ju  granffurtl)  am 
SQiain,  wohin  wir  nunmehr  unS  wenben,  bei  Johann  SBolf,  bie,  fo  weit  meine  §orfd)ung  reicht,  an  ©e= 
fängen  unb  9Jielobieen  reichfie  geiftliche  Sieberfammlung  beS  16ten  3nh^»nt,e^*)-  Sie  war  mit  Äaifer= 
Itcher  Freiheit  auf  6  3ab"  begnabet,  unb  führte  benSitel:  ,,Äird)engefäng,  AuS  bem  2Bittenbergifd)en 
unb  allen  anbem  ben  bejten  ©efangbüd)ern  fo  biß  anhero  hin  unb  wteber  außgangen,  colligirt  unb  gefam= 
melt,  3n  eine  feine,  richtige,  unb  gute  Drbnung  gebracht,  unb  aufS  fleißigft  onb  nad)  ben  heften  @renv 


')  Xitv  größere  Weic^ttjum  an  Cicbern  bei  anberen,  oon  benen  fpätcu  bie  Siebe  feyn  roirb,  entfdjeibct  tjter  nidjt, 
ba  biefe  an  SKelobiecn  um  fet>r  ffiiele«  ä'rmtt  ftnb. 


323   

plaren  corrigiret  unb  gebeffert.  gürnemlid)  ben  *Pfarrberrn,  ©d)ulmeiftern  tmb  @antoribu§,  fo  fiel?  mit 
jren  Äird)en  ju  t>er  @briftlid)en  '#ugfpurgifd)en  ßonfeffion  befennen,  »nb  bei  benfelben  ben  ßbor  mit  fingen 
regieren  vmb  oerforgen  muffen,  ju  bienft  ütib  jum  SSeften."  Die  Vorrcbe  unb  3ueigmtng  be§  93ud)brutferS 
Sodann  SBolf  an  33ürgermeifter  unb  9?atf)  ju  granffurtt)  am  SCRain  oom  ljien  September  156U  ift  nur  eine 
(Erläuterung  be»  SiteB  »on  biefem  33ud)e,  unb  fagt  im  2Befenttid)en  baS  allein  au3,  roaS  au§  biefem  fd)on 
ju  erfeljcn  ift.  ÜJhlt  bei  ben  ^pfalmliebern  ift  ju  bemerfen,  baß  ber  JperauSgeber,  feiner  33erftd)erung  jufolge, 
ba§  Ungebräuchliche,  ober  „nid)t  fonberlid)e"  au3  anbern  ©efangbüd)ern  binroeggetban,  unb  ,,ba  man 
einen  ganjen  ^faltet  gefang  j>roei§  fyaben  roo II X,"  anbere  feine  ^»falmen  aue>  ben  ©efangbüd); 
lein,  fo  ber  roürbige  unb  rool)lgelebrte  £err  3ol)anne3  SJlagbeburgicuS  ju  Hamburg  gcmad)t,  baju  gefegt 
f)abe;  ein  3ufa£,  ber  fretlid)  für  bie  Vergrößerung  be3  ?Kelobieenreid)tl)ums>  nid)t  auSgtebig  fenn  tonnte, 
rocil  bie  $}falmlieber  biefeS  getftlicfyen  Did)ter3  inSgefammt  nad)  ben  Sttelobiecn  gefungen  werben  fonnen, 
roelcbe  auf  baö  ton  if)m  burd)l)in  angeroenbete,  fel)r  gangbare  fiebenjeilige  Sföaaß  paffen,  in  beffen  elftem, 
oierjeitigen  ©efätj  jweimal)t  eine  ftebenfrjtbige  iambifd)e  3eile  einer  ad)tfnlbigen  folgt,  in  feinem  ^weiten, 
breijeiligen  bagegen  jmei  ad)tfr>lbige  Beilen  biefer  7£rt  einer  ftebenfnlbigen  t?orangel)en.  Deshalb  ift  aud)  bie, 
fonft  beträd)tlid)e  3af)l  ber  ©ingroetfen,  um  mefyr  aB  ein  Drittel  geringer  gegen  bie  ber  Sieben  biefer  ftnb  im 
©anjen  375,  jener  200.  3n  fed)§  #bfd)nitte  ift  ber  3nl)alt  jufammengefaßt.  Suerft  ftetjen  bie  geftlieber, 
nad)  SDrbnung  be§  .Äircfyenjafyreä ,  114  im  ©anjen,  mit  79  ©ingroeifen;  fobann  bie  Äated)i§mus>lieber, 
30  an  ber  ßabl  mit  22  9Jielobicen.  Der  jal)lrcid)fte  2lbfd)nitt  ift  ber  bie  ^)falmlieber  befaffenbe,  britte; 
er  giebt,  rote  ba§  Vorroort  »erbeißt,  einen  ganjen  $Pf  alter,  gefang$wei§,  manchen  ^Pfalm  in 
boppelter  Bearbeitung:  im  ©anjen  171  Sieber  biefer  %tt,  oon  beuen  jebod)  faft  nur  ein  Drittel,  58,  mit 
eigenen  SJielobiecn  üerfcfjen  ift.  Die  bret  legten  2lbfd)nitte  geben  juerft  Sefyrlieber,  24,  mit  17  SSBeifen; 
ßobgefange  fobann,  8,  mit  6  SJielobieen ;  enblid)  SS  etgefdnge,  28,  mit  18  ©ingroeifen.  Begräbnis 
lieber  fehlen  ganj,  roenn  mir  nid)t  ba3  £icb:  ,,9)titten  roir  im  £eben  ftnb"  bafyin  rechnen  roollen.  Da? 
S3ud)  ift  auf  fd)bnem  ftarfen  Rapier,  mit  großer  ©cfyrift,  unb  fd)arfen,  fetten,  aud)  in  jiemlicfyer  @ntfer= 
nung  nod)  erfennbaren  £on$etd)en  gebrudt:  £aupt  =  unb  Unterabteilungen,  jumabj  ber  geftlieber,  ftnb 
mit  jierlid)cn  2(nfang3bud)ftaben,  unb  bezüglichen  £otjfd)nittcn  gefebmüdt,  bie  in  einigen  *Prad)teremptaren 
mit  leud)tenben  fiaxben,  beren  2id)ter  mit  ©olb  gef)bl)t  finb,  ftd)  au3gemal)lt  ft'nben.  @ö  mar  bie  2lbftd)t, 
ein  allgemeine^  ßieber  =  unb  ©ingebud)  für  bie  etiangetifcfye  Äird)e  ju  geben ,  unb  e§  in  mürbigfter  3£u§= 
ftattung  erfdjeinen  ju  laffen.  Dennod)  fanb  ftd)  l)ier  SCRand)e§  jufammengerafft ,  ba§  bie>t)er  eine  allge= 
meine  fird)lid)e  ©ültigfeit  nod)  nid)t  erlangt  f>atte,  unb  man  oermißte  bagegen  9Rand)e§,  bem  man  eine 
©teile  geroünfd)t  f)ätte.  Daburd)  aller  2Bal)rfd)einlid)feit  nad),  rourbe  bie  ^eraulgabe  be§  nunmehr  ju 
befpred)enben,  ebenfalls  ju  granffurtl)  am  Wlain  erfd)ienenen  ©efang=  unb  SDtelobieenbud)eS  veranlaßt, 
obgleid)  in  beffen  SSorrebe  biefe§  früheren  nid)t  au^brüdlid)  gebad)t  rotrb.  ©d)on  ber  Sitel  btefeS  neuen 
läßt  bie  nab,e  S3ejiel)ung  aufjeneS  ältere  nid)t  oerfennen.  @r  lautet:  Ätrd)engefäng,  ©o  bei  ber  prebigt 
be§  ©örtlichen  2Bort§ ,  mtb  außfpenbung  be§  ©acramentä  in  ben  Äird)en  "Jlugfpurgifd)er  Gonfeffton 
gebraucht  werben,  2tuß  bem  2Bittenbergifd)en,  t»nb  anbern  ben  beften  ©efangbüd)ern  gefammelt,  in  eine  xid)- 
tige  gute  .Crbnung  gebracht,  tmb  jum  fleißigften  corrigiret  mtb  gebeffert,  burd)  ben  moljlgelaljrten  ^>errn  931. 
(Sud)arium  3inf  eifen,  $Pfarrl)errn  ju  ßangen.  gürnemlid)  ben  Äird)en  =  unb  ©d)ulbienem,  fo  ftd)  mit 
ibren  ^ird)en  jur  gemelten ßohfeffion  befennen,  tmb  bei  benfelben  »orft'ngen  muffen,  ju  bienft  onb  jum  beften. 
©ebrudt  ju  granffurt  am  STtapn,  3n  Verlegung  ©igmunb  geperabenb  MDLXXXHII.  a584.) 

41* 


  324   


©08  S3ud)  ifi  jugeeignet  „ben  ©eftrengen,  ©blen,  ©mocften,  &od)*  unb  rootjtgetaf>rten  auch  ei)x\a- 
men  unb  fürftchtigen  #errn  Slathmännern  ber  jtattferlichen  fyofylbbtifym  unb  weitberhümbten  Stabt 
93rej?law  :c.  meinen  grofsgünfh'gcn  unb  vielgeliebten  £errn  »nb  görbcrern"  burd)  ben  SSerleger  Sigmunb 
generabenb,  33ürger  unb  S3ud)hänbler  ju  granffurt  am  SERarm.  @3  fei)  bieS  gefd)el)en,  fagt  berfelbe  am 
Schluffe  feiner  Siorrebe ,  wegen  ber  33erbicnfte  jener  Stabt  um  görberung  be3  reinen  ©laubenS  2lug3= 
burgifeber  ßonfeffion,  wooon  bie  bort  wol)lbeftellten  Äircl)cn  unb  Schulen,  beren  feine,  lbblid)e,  dt>rtfl= 
liehe  £}rbnung,  bie  rechte  ginigfeit  ber  Selker,  bie  ftattltche,  herrliche  Unterhaltung  ber  .Kirchen  =  unb 
Sc^ufbienet  öielfältig  unb  genugfam  jeuge;  ju  33ejeugung  einer  herzlichen  greube  barüber,  unb  2lufftellung 
eineS  löblichen  33eifpteB  ber  Nachahmung.  2lud)  wolle  er,  ber  SSerleger,  baburd)  ftd)  bantbar  bezeugen, 
weil  er,  um  1583  feiner  ©cfd)afte  roegen  in  SSreeilau  anroefenb,  oon  »ielen  fürnehmen  unb  anfetmlicfyen 
£errn  ©unfi  unb  greunblichfcit  empfangen,  jumafyl  t»on  Sacob  9v6tinger,  Sacob  9Konau,  9Jlcld)ior  Setljo 
unb  2Tnbein.  21B  Quellen  ber  (Sammlung  werben  namentlich  bezeichnet :  ba§  ©cfangbüd)lein  £>.  SutherS, 
fo  nod)  bei  feinem  Sieben  aufjgangen,  —  alfo  wahrfd)cinlid)  bas>  33apftfd)e,  aB  ba§  lefjte  burd)  ihn  über= 
fetjene ; —  ba3  anbere,  fo  Ttnno  1562  ju  Wittenberg  gebrueft,  unb  »on  bem  £errn  ^)aulo  ©bero  (auch  feel. 
©cbächtnifj)  uberfehen  unb  gemehret  roorben :  bei  ben  $>falmen  ber  ^Pfalter  be3  33urff)arb  SBalbB  (aB  ju 
großem  Steile  fchon  juüor  in  ber  Kirche  braud)ltd));  bie  Steber  Nicolai  $ermann6,  aiB  gleichem  ©runbe, 
unb  roeil  er  ft'e  mit  anberer  gottfeeliger,  gelehrter  Seute  ^)ulfe,  unb  nicht  allein  gemad)t;  bie  bes>  Johannes 
SftagbeburgioB,  ba  er  bie  SBorte  ber  teutfd)en  S3ibel  mit  allem  gleifi  behalten,  unb  nicht  weit  vom  Sert 
abgangen,  ßnblid)  roirb  auch  nod)  ke3  neuen  83üd)leüB  gebadet,  ba§  ßubroig,  £erjog  ju  SBürtemberg  burd) 
feine  Theologen  habe  jufammentragen ,  unb  mit  feiner  eigenen  SSorrcbe  ju  Bübingen  1583  bruden  laffen. 
£ier  ift  nun  allerbingä  r>on  biefen  33üd)ern  mehr  aB  Quellen  für  bie  Sieber  felbft,  aB  für  ihre  SOJelobteen 
bie  $ebe;  fte  roaren  3?id)tfchnur  für  ba§  ,,corrigiren  unb  beffern"  berfelben,  mit  roelchen  beiben  Sßorten 
feineSwegS  nur  Saffelbe  in  weitfehwetftger  SBieberholung  gefagt  roerben  foll.  6§  roar  bie  ^bftcht,  theiB 
bie  Äcrnlicber,  namentlid)  bie  lutherifchen,  in  urfprünglid)er  ©efklt  herjuftellen ,  SSerunftaltungen  ju  üb 
gen;  in  biefem  Sinne  bie  entjMlt  fortgepflanzten  ju  corrigiren;  anberen  bagegen  ba§  bem  frommen 
Sinne  ^nftöjjige,  ober  auch  nur  nicht  '2lnmutf)enbe  ju  nehmen,  baö  minber  S3erjtänbltche,  halb  2uB= 
gebrüdte,  flarer,  einbringlid)er  ju  machen,  fte  baburch  ju  beffern.  £atte  ^od)  auc^  be'  ben  ®t"9; 
weifen ,  bem  S3ebürfniffe  ber  äSolfömdfHgfeit  jufolge,  roie  bem  ©ebote  ber  £ird)lid)fcit,  eine  Umgejtal= 
tung,  eine  Jßefferung ,  eintreten  müffen!  '^luch  hatte  ba§  Seffern  an  ben  Stetem  felbft  fd}on  mit  ben 
erflen  Anfängen  be§  neuen  ÄirchengefangeS  begonnen.  @ö  rourbe  juerfi  an  Siebern  ber  alten  Äird)e 
geübt,  beren  Inhalt,  bei  Spielern,  ba§  eine  blcibcnbc  S3cbeutung  hatte,  bod)  an  Manchem  baneben  litt, 
baS  bem  er»angelifd)en  Sinne  roiberfhebte ;  roie  nun  allgemad)  au6  ber  neuen  Äird)e  felbft  ein  urfprünglid) 
ihr  angehörenber  heiliger  ©efang  errouchö,  roenbete  e§  ftch  auch  an  biefen ,  um  ihn  erfi  recht  ju  einem 
©emeinguteju  geftalten,  ihm  jebengledcn,  jttmahl  jebe  jibrenbeSkfonberhcit  abjuftrcifen,  bie  etroa  aB  eine 
'2(broetchung  gelten  tonnte  oon  bem  gemeinfamen  ©laubensSbef'enntniffe ;  baoon  hatten  bie  3roeibrüder  unb 
2ßurtemberger  Äirchengefangbücher  bamaB  ein  neuefteS  S3cifpiet  gegeben.  2(uö  bem  Fortgänge  ber  S5or= 
rebe  unfereö  granffurther  ©efangbud)e§  fehen  wir  aber,  bajj  bamaB  auch  gegen  bie  SSRelobepen  S3ebenfen 
erhoben  würben,  bie,  wenn  freilich  bamaB  noch  nicht,  bod)  fpdter,  $u  angeblichen  SBcffeumgen  führten, 
burd)  bie  enblid)  alle  SUJannichfaltigfett  beö  eüangelifchen  Äird)cngefangeä  auf  gleiche  %vt  ju  ©runbe 
geben  mujjte,  wie  fpäterhin  burd)  SÖUfeln  an  ben  Siebern  felbft  oft  ber  ganje  Äern  berfelben  jerftort  würbe. 


  325   


,,£>ie  9Jielobepen  betreffend , "  beißt  e3  in  jenem  Vorworte,  „baj?  »«  batwn  auep  berichten,  laffenS 
ihnen  etliche  fcf>r  mißfallen,  bafj  biefelben  etwa  frewbtg;  unb  were  jwar  ju  wünbfcpen,  nad)bem  e3 
in  ber  &ird)en,  »nb  bep  bem  ©otteSbienjt,  orbenttid),  ernfiltd),  anbäd)tig,  vnb  niept  leichtfertig  jugepen 
foll,  ba§  etliche  ?9ielobepen,  wepl  bie  ©efeng  an  ihnen  felbfi  repn  unb  gut,  anberS  weren  bann  ft'e 
ft'nb.  Aber  umb  ber  9coten  willen,  laffen  wir  Pn3  bebünfen,  f;abe  man,  waS  fonften  gut,  angenom^ 
men  »nb  brdud)lid),  niept  wcgjuweiffen ;  <5£  ift  bod)  niemanb  gezwungen,  biefeS  ober  ein  anber  Sieb 
ju  fingen,  viel  weniger  ift  man  an  bie  SDielobepen  gebimben.  2Bir  backten ,  e3  mod)t'  ein  SSorfänger 
nach  feiner  anbacpt,  pnb  willrubrltcpem  gefallen,  onb  nad)  gelegenpept,  wo  bie  gefegte  SEftelobepen  ber 
Autorum  jm  onb  feiner  £ird)en  niept  anmutig,  anbere  weilen  pnb  nemen,  wie  benn  auch,  ber  feiige 
Wann  ©otteS,  SutberuS,  in  feinem  ©efangbüd)lein,  von  ben  ©rabliebern  faft  ber  Sftepnung  mit  »ns 
ift.  3n  Saronia,  »nb  an  anbern  etlichen  orten,  ba3  mir  rühmen  muffen,  tompt  bas>  junge  polcf  auff 
bie  geiertagenacpmittage,  ba  man  fonften  in  bicfen  Sanben  allerlei)  Spiel,  Seichtfertigfept  pn  tän£  ge= 
ftattet,  in  bie  jUrcben,  onb  fingen  bie  Dorfanger,  ef>e  bie  Scpulmeifter  mit  ben  jpren,  pnb  ba§  anbere 
gemepne  SSolcf  jufammenf ommen ,  bem  jungen  SSolcf  nad)  ©elegenbept  eine  tjalbe  Stunb,  langer  ober 
fürfjer,  etliche  ©ciftlicbe  Sieber  für,  bamit  eä  biefelbige  lepmen  pnb  bcgrepffen,  pnb  pernacper  bapepmen, 
in  ben  Jpaufern  ober  auff  bem  gelbe,  bei)  jf>rer  Arbept,  anftatt  ber  fd)n5ben,  leichtfertigen  pnb  ärger= 
lieben  S5uU  onb  SBubenlieber  naepfmgen  möge.  Sa  man  nun,  berfelbigen  ©rempel  nad),  e3  enblicp 
einmapl  anfaben  wollte,  wie  man  warlid)  fcpulbig,  pnb  beffer  nid)t  tbun  tonnte,  fo  achten  wir,  man 
möcpt'  bie  gcpfilidien  ©efang'  pn  Sieber  mit  ben  freubigen  SOtelobepen  bapin  galten  pnb  fparen,  ba  man 
jn  biefelbigen  SDielobepen  juenben  (anjuwenben)  epn  33ebenfen3  traben  wollte,  wepl  wir  fepen,  ba§  auch 
bep  ber  rechten,  alten  pnb  repnen  Äircpen,  bie  SDcelobepen  ber  Äinberlieber  frölicher  unb  freubiger,  bann 
anberer,  gewefen."  @3  ijt  bie  (Stimme  eine3  gefunben  frommen  Sinnes,  welche  fid?  f)ter  gegen  baö 
Schelten  weniger,  einzelner  (Sifcrnben  erbebt,  inbem  ft'e  biefelben  an  2utpers>  SSort  erinnert,  bap  eine 
jebe  jUrcpe  tf>re  Noten  nach,  ihrem  SSucb  unb  S3raucp  JU  balten  babc,  unb  bafi  e3  nid)t  bie  Meinung 
fep,  bie  gegebenen  SOielobepen  müpten  fo  eben  in  allen  .Streben  gefungen  werben.  SSorforglid)  war 
beSpalb  auep  mandie  Stngweife  mit  örtlichen  Abweichungen  gegeben.  Mein  wenn  man  einmapl  ein 
allgemeines  (SpriftticpeS  ©efangbuep  ju  geben  trachtete,  wie  benn  gegen  ba§  dnbe  be§  16ten  3öprpunbert§ 
ein  folcpeS  Streben  fyerDortrat,  fo  patte  man  niept  allein  ba$  6rtlid)^>erfbmmlicbe  allein,  man  batte  auep  ben 
naep  Sitten  unb  SSerpältniffen,  wie  nad)  urfprünglid)er  geiftiger  Sticptung  nerfepieben  entwicfelten  fird)= 
liepen  Sinn  ju  beaepten,  ber  l)iex  ftrenger  unb  l)erber,  bort  milber  unb  frcunblicper  l)eroortrat,  fyier  ba§= 
jenige  perwarf,  wa§  man  bort  mit  g^rtb-m  in  ben  Ärei§  ber  gemeinfamen  Srbauung  b,tneinjog.  ©n 
oermittelnbeä  2Bort,  ba§  einiget  meljr  für  pduälicpe  *2inbad)t,  unb  fromme  peilfame  ©rgb^ung  bei 
ben  manniepfaepen  iJJcü^en  be§  Sebent  geeignet  erflärt,  unb  e§  baf)in  Perweift,  wenn  man  einmab.1, 
wie  man  niept  foüte,  eö  ber  Äircpe  für  mipjiemenb  annepme,  fuept  f)ier  bie  Stelle  ju  rechtfertigen,  bie 
in  bem  geijilicpen  Singebudje  bem  einen  neben  bem  anbern  gegönnt  fep;  ein  permittelnbeS  Umgeftalten 
bat  im  Allgemeinen  i>itt  nod)  ntd)t  begonnen.  £>iefe§  unterfepeiben  wir  auf  ba§  S5ejtimmtefte  »on  jenem 
anberen  Um bi Iben,  burd)  baä  wirflid)  eine  neue  Scpbpfung  hervorging,  bie  baö  Äird)lid)e  bem  SSolfö= 
mäßigen  oerfchmolj,  einem  inneren,  allgemeinen  Crange  folgenb,  nid)t  aber  bapin  trachtete,  »erfchiebenen 
2£nftd)ten  burd)  Ausfd)eiben  unb  Abflachen  gerecht  ju  werben,  gür  biefe§  war  bie  3cit  noch  nid)t  ge= 
f ommen,  e3  beutete  fid)  nur  au§  ber  gerne  erft  an. 


  326  

2Bie  bas  funfjebn  Sabje  früher  erfchienene,  juoor  befvrocbene  ©efangbucb,  ift  ba§  3inf= 
eifenfdje,  ba§  ihm  auch  in  ber  äufjeren  Ausartung  jumeijt  übereinfommt,  in  fecb§  Abfcbnitte 
getbeilt.  £>en  erften  bilben  bie  ©efänge  für  bie  heiligen  Seiten  unb  gejle  be§  £trcbenjabre§ ,  wie 
fort;  e§  ftnb  jebocb  ber  Sieber  hier  nur  93,  ber  9)Jelobieen  nur  65,  von  jenen  olfo  21,  von  biefen 
14  weniger  als  in  jener  alteren  ©ammluttg.  ßwar  fcat  bie  3infeifenfd)e  jtuei  Sieber,  eines  von  ber 
Auferftebung,  ba£  anbere  von  ber  Himmelfahrt  beö  Jperrn,  mit  ihren  ©ingweifen  aufgenommen,  welche  in 
jener  nid)t  enthalten  waren:  „3e|u§  GtyrifhiS  unfer£err  unb  £eilanb, "  unb  „AB  vierzig  Sag'  nach,  Dfiern 
warn;"  bagegen  ft'nbcn  wir  12  geftliebcr  be§  SBrübergefangbucbeS,  jwei  von  SEfwrnaS  unb  eben  fo  viel 
von  AmbroftuS  SMaurer,  fo  wie  anbere  anberer  Siebter  nebft  ihren  ©ingroeifen,  nicht  wieber,  waf>r= 
fcbeinlicb  weil  fie  in  ber  Ätrcbc  nid)t  beimifd)  geworben  waren.  <5ine  gleiche  Serminberung,  t)ter  aber  nur 
um  jwei  Sieber  unb  eben  fo  viel  SJMobieen,  jeigt  ber  jweite  Abfchnitt,  bie  Äated)i§mu§gefdnge;  eö  ftnb 
von  jenen  hier  nur  28,  von  biefen  20  vorbanben,  weit  ba§  Sieb:  „Ach  Skter  unfer  ber  bu  bift,"  von  So= 
bann  3wicf ,  unb  ein  jweiteö:  „Saft  un£  febreien  alle  gleich."  auö  bem  SSrübcrgefangbucbc  nebft  ihren 
©ingweifen  auögefd)ieben  ftnb.  3n  ben  übrigen  Abfcbnitten  aber  jeigt  3infeifcn§  ©efangbucb,  überall  eine 
Bereicherung;  wenn  auch  ber  3«bl  nach  nicht  eine  febr  beträchtliche,  boeb  jufolge  be§  Snbaltee»  unb  ber 
größeren  SDiannicbfaltigfcit  ber  gorm  be§  Aufgenommenen,  ©o  ftnb  ber  $)falmlieber  —  im  3ten  Abfcbnitte 
—  bie  einen  votlftänbigcit  $>faltcr  geben,  hier  174  mit  61  9J£elobieen,  bort  waren  jener  nur  171,  biefer 
nur  58.  @»  ftnb  nämlich  12  spfalmlieber  mit  5  9Jielobieen  au§gefd)ieben,  unb  bagegen  15  anbere  mit  8 
9Jielobicen  neu  binjugef ommen ;  ftatt  Sieber  biefer  Art  von  SBolfgang  50Zofel,  Sfubolf  SÖJalter,  Stomas 
S5laurer,  unb  Sohann  V011  9Hagbeburg,  ftnb  beren  von  ©tiefet,  SBolfgang  AmmoniuS,  ©eorg  Ämiliue> 
jumabl  aber  von33urcarb2Balbi3  aufgenommen,  unb  eine  grbfjcre  Abwechslung  an  biebterifeben  unb  metobü 
feben  formen  ift  bamit  gewonnen.  Der  Sehrlieber  ftnb  ferner  ftatt  24  mit  17  SERelobiccn,  nun  29  mit  beren 
20;  ber  Soblieber  9,  mit  7  ©ingweifen,  ftatt  8  mit  beren  65  ber  SSetgefdnge  30  mit  18  5Diclobieen, 
ftatt  28  mit  eben  fo  vielen.  SSet  allen  biefen  Abfd?nitten  ftnb  mehr  ober  weniger  Sieber  be3  älteren  ©efang^ 
buebeö  befeitigt,  unb  neue  binjugetban :  bafj  unter  biefen  Sieber,  wie:  Äommt  ber  ju  mir  fvriebt  ©otteS 
©obn;  Jperr  ßbnft  ber  einig'  ©ott'ö  ©obn;  2Beltlicb  @br'  unb  seitlich  ©ut;  Ach  ©Ott  rhu  bieb  erbar= 
men  k.  befinblid)  ftnb,  bie  jum  Äbetl  noch  ben  dlteften  Betten  ber  Äircbenverbefferung  angeboren,  unb 
burd)3nf)alt  roieSO^etobte  ftcb  gleich  auszeichnen,  wirb  man  unbebingt  alS  eine Sßerbefferung  betrachten  bürfen. 

3tnfetfen§  ©efangbuch  ift  hienacb,  wenn  aud)  nicht  baS  umfaffenbfte,  bod)  baS  reicbbaltigfie  aller 
sJKelobieenbücher  beä  16ten  SahrhunbertS ;  baeijenige,  auö  bem  wir  am  ft'cherften  erfeben  tonnen,  wa§  an 
Siebern  unb  ©ingweifen  gegen  bas>  @nbe  biefcS  3eitraum§  in  ber  evangelifchen  .Kirche  (Singang  gefunben, 
unb  eine  ©tdtte  in  berfelben  behalten  hatte,  ginben  wir  manche  bamalä  fd)on  crfd)ienene  ©ammlung  geift= 
licher  Sieber  unb  ihrer  ©ingweifen  —  wie  etwa  bie  fvätcr  ju  befvred)cnbcn  Subwig§  J^elmbolb  unb 
3oad)im5  von  SSurgE  —  hier  nicht  benu^t,  fo  ift  bie  Urfacbc  bavon,  bafj  ihr  ^nbalt  um  jene  3eit  noch  nicht 
firchlich  geroorben  war,  namentlich  nid)t  im  ©üben  ScutfchlanbS.  9Rtt  bem  15  3al)re  juvor  herauögege^ 
benen  Sieberbuche  gleicher  Art  tbeilt  eö  aber  ben  SBorjug,  Sieber  unb  9Kelobieen  }U  geben,  bie  wir  fonft  in 
wenigen  Sammlungen  finben.  ©0  jeneö  Sieb  auf  baS  SKognificat  ,,9Jcein'  ©eef  erhebt  ju  biefer  grift"*) 
mit  einer  febbnen  mixolpbifchen  Sßeife  5  fo  ein  anbereä  über  biefen  Sobgefang,  von  Gfradtratä  Alber,  einen 


■)    ©.  Seifpiet  9lro.  95  bie  «Wclobic  biefe«  Cicbcfi  in  SOi.  ^ratotiu«  oicrjtimmigcm  Äonfafec. 


  327  — - 


feiner  beften  geiftlidien  ©efänge,  unb  auszeichnet  burcb  eine  liebliche  iontfdje  SÜielobie,  bte  man  bei 
M.  ^taiomtä  oierftimmig  finbet,  bocb  auf  bas1  £ieb 

,,9Jiein'  ©eel",  o  ©ort,  mup  loben  btcb" 
angewenbet,  »on  beffen  cierjeiligen  ©trophen  babei  je  jwei  unb  jroei  jufammengejogen  werben,  um  bie 
achtteilige  tiefer  ^lelobie  unb  ibreö  hier  in  feiner  erften  ©tropfe  folgenben  2iebe§  ju  bilben : 

Wein  lieber  4?err,  ich  preife  btcb  *), 

2>on  ganjem  Jperjen  freu  ich  mich, 

Safj  td),  bein'  arme  Wienerin, 

Mit  ©naben  angefeben  bin ! 

2CU'  ©orte»  ilinber  werben  micb, 

25ep  feelig  fprecben  ewiglich, 

SM  baft  mich  burd)  bein'  grofje  Stacht 

3u  foldben  hoben  (Ihren  bracht  ic. 
ä>ergletd)en  mir  bie  -Dftelobie  biefeS  SiebeS,  mie  unfer  ©efangbuch  fte  giebt,  mit  ber  oon  $Prätoriu3 
»ierfiimmig  gefegten,  fo  mod)te  einer  jener  wenigen  gdlle  £>ier  uorbanben  fcbemen,  mo  auch  ber©efang 
eine  wmittelnbe  Umgeftaltung  erfuhr.  Sie  SOtelobte  unferes  SBucbeS  enthält  ben  wefentlicben  ©ang,  alle 
©runbjüge  ber  oon  ^rätoriue  bebanbelten  5  aber  ber  rb^tbmifche  2Becbfel,  ber  biefe  fcbmüdt,  bie  ÜJieliSmen, 
welche  fie  gieren,  eben  ba»  greubtge,  mangelt,  unb  mürbe  oielleicht  barum  bem  ©efange  abgeftreift,  meil 
bie  SJtelobte  eine  noch,  neue,  weniger  allgemein  uerbreitete  mar**).  5lllein  e§  ift  fcbonenb,  üielleicbt  an  biefer 
einen  Stelle  ausfcbliepenb  gefcfaehen. 

2Ba3  über  3mfeifen$  treflicbe»  SJZelobieenbucb  fonft  noch  ju  fagen  fepn  möchte,  fparen  mir 
auf  bis"  ju  einem  oergleidbenben  ©djlufjworte  über  bie  f>ier  befprochenen  michtigften  be§  16ten  3abr= 
bunberts  im  Allgemeinen.  SSir  menben  uns  gegenmärtig  ju  ben  wenigen  Suchern  biefer  2£rt  aus"  bem 
Horben  £eutfcblanb3,  beren  eigene  Tlnfcbauung  bem  SSerfaffer  biefer  S5ldtter  gewährt  war. 

3m  Storbweften  Seutfchlanb»  begegnet  uns?  f>ter  jundebft  eine  £ieber=  unb  5ERelobieenfammlung, 
bie  nicht,  wie  bte  »on  uns?  eben  betrachteten,  ein  allgemeines"  geiftlicbeä  ©ingebuch  ju  geben  beabfiebtigt, 
fonbern  einem  örtlich;  en  S5ebürfniffe  entgegenjufommen  trachtet,  ©ie  erfchien  ju  Hamburg  bei  Sacob 
SBolf  im  3«hre  1588,  herausgegeben  t>on  granj  @ler  au£  Ülfeen***).  3unädbft  bietet  fte  lateinifefae  heilige 


')   @.  SBetfptet  9Jto.  93. 


***)  Cantica  sacra,  partim  ex  sacris  literis  desnmpta,  partim  ab  ortbodoxis  patribus  et  piis  eeclesiae  docto- 
ribus  composita,  et  in  usum  eeclesiae  et  juventutis  scholasticae  Hamburgerisis  collecta,  atque  ad  daodecim  modo.« 
ex  doctrioa  Giareaai  aecomodata  et  edita  a  Francisco  Elero  Ulysseo.    Accesserunt  in  fine  Psalmi  Lutberi  et 


  328   


©efänge,  tfyctlS  au§  ber  ©chrift  unmittelbar  entnommen,  tr)etl§  »on  rechtgläubigen  SSatern  unb  frommen 
Sturmi  ber  Äircbe  gebtcbtete;  bann  aud)  bcutfcbe  geiftlid)e  ßiebcrSutbers»  unb  anberer  frommen  Siebter  feiner 
ocir ;  bn&eS  $um  ©ebrauche  bei  Äirche  unb  ber  ©djuljugenb  #amburg§.  2Ba3  aber  biefem  33ud)e  einen 
befonberen  SBcrtb.  giebt,  ift  bie  33ejeid)nung  ber  f trd>itd>en  Sonart  eines  jeben  ©efanges»  nad)  ber  Setjre 
©lareanS  t>on  ben  jvoblf  Zonen.  Qctyalb  lobt  auch  Sa»ib  ßf)»;trau§  in  einem  bem  33ud)c  worgebrueften 
©enbfdbjreiben  beffen  Herausgeber.  (53  lautet  vom  2ten  Suli  1588,  welchen  Sag  @hv>tväu§  folgenber= 
maafjen  bezeichnet:  ,,%m  Sage  ber  3ufammcnfunft  ber  heiligen  grauen  ßlifabetr;  unb  SJiaria,  welche  ba 
war  bie  erfte  ©pnobe  be3  neuen  33unbeS,  beren  S3efd)luf?  »on  bem  bereits  gemährten  unb  empfangenen 
SOiefftaö  SJIaria,  in  einen  gobgefang  eingefd)loffen,  üerfünbigte  im  ^axjxe  ber  SBelt  3962."  2Bol)l  mochte 
tiefer  Sag,  an  wcld)cm  einft  baS  erfte  cbrtjtliche  ßoblieb,  bie  33lütl)e  einer  gläubigen,  reinen  bemütbigen 
©eele  ertönte,  ihm  ein  bcfonberS  geeigneter  fcheinen,  üon  heiligen  ©efängen  an  il)m  ju  reben,  ju  fchreiben, 
unb  bte§  freubig  ju  befennen,  tyat  ex  e§  aud)  in  erwae>  pomphafter  "Kxt  nad)  ©itte  feiner  Seit  getl)an.  (§in= 
fad)er  lauten  feine  Söorte  an  granj  ßler.  „Sieb  mar  eS  mir  (fagt  er),  au3  Seinem  ©riefe  an  mich  ju  »er; 
nehmen,  baf  Su  bie  2lbftd)t  l)abefl,  in  Seinem  33ud)e  bie  ©efänge  nad)  ben  jmolf  Sonarten  ju  unter= 
fdjeiben,  wcld)c  ben  »crfd)iebenen  ^rten  ber  £>ctat>e  jufolge  ba§  2£ltertf>um  annahm,  unb  fte  mit  ben  tarnen 
frer  S3ölfcr  bejeid)netc,  benen  fte  gemein  maren ;  bafj  Su  aud)  bei  jebem  ©efange  furj  anbeuten  wolleft, 
welcher  »on  biefen  Sonarten  er  angehöre.  Siefer  Sein  funbiger  gleiß  ift  mir  unb  2lnbern,  nicht  ganj  ber 
Sonfunft  gremben,  um  fo  willkommener  unb  erfreulicher,  al$  ich,  felber  t>ormals>  grofie  9Rüf)e  gehabt  habe, 
t>ie  geiftlid)en  ©efänge  biefen  ihren  jwölf  Sönen  jujutheilen,  unb  babei  fel)e,  tote  bie  gewöhnlichen  ©chrift 
fjeller  über  Sonfunfl,  unb  bie  meiften  ©änger,  biefen  tieffmnigften  Sheil  ber  Äunft  werabfäumen  unb  »cr= 
nad)läfftgen,  ber  bie  ©runblage  ber  jtenntnifi  t>on  ben  t>erfd)iebenen  Sönen  unb  ^armoniecn,  ihren  @igen= 
fchaften,  ihrem  SBefen  unb  Unterfd)iebe  in  fid)  begreift.  SBelche  roürbigere  Aufgabe  für  einen  Sonfünftler, 
aß  jene  ßetjre  ju  betrachten  con  ben  Sonarten,  burd)  welche  bie  ©efänge  halb  erregt  unb  fräftig,  balb 
feierlich  unb  gemeffen,  trauerooll  unb  flagenb,  ungeftüm  unb  Ijefttg,  brol)enb  unb  eifemb  erfcheinen,  unb 
von  ben  ©rünben,  burch  welche  fo  abweiebenber  tfuSbrucf,  fo  verfchiebene  ©igenfebaften  ber  ©ingwetfen 
entgehen!"  23on  weiteren  Unterfud)ungcn  hierüber  ift  freilid)  in  bem  33ud)e  nicht  bie  9tebe,  obgleich  & 
bem,  ber  eine  Neigung  baju  hatte,  bafür  al3  ©runblage  bienen  fonnte  burd)  bie  beigefügten  JBejcichnungen 
ber  Sonarten.  —  Ser  Herausgeber  begnügt  ft'd)  in  feiner  3ufd)rift  üom  Cftertage  1588  an  bie  Hamburger 
Senatoren  unb  ©chuloorfteher  S.  ßbriftopl)  Älinghaufen  unb  Sohann  ©d)ulten,  unb  bie  Äird)entoorjtcher 
S.  ©imon  Sf)o  SBcftcn,  S5artl)olb  S5ufd)  u.  f.  m.,  nad)bem  er  ba§  £ob  einer  guten  S)rbnung  unter  S5eru= 
fung  auf  göttliche  unb  menfehliche  3eugniffe  aüägefprochen,  ben  3mecf  feincS  2Berfe§  bal)in  ju  bezeichnen, 
oa§  er  eine  folche  Srbnung  ju  beförbern  ftrebe.    @r  habe,  bamit  fte  in  ©ottee»  ^)aufe  hevrfche,  bie  alten, 


aliorum  ejus  seculi  Doctorum,  itidem  Modis  applicati.  Humburgi  Excudebat  Jacobus  Wolf  Anno  MDXIIC.  2>iefer 
Mnbang  führt  ben  befonberen  SEitet:  Psalmi  Martini  Lutberi  et.  aliorum  ejus  seeuli  I'salmistarum,  itidem  Modis 

applicati. 

Ut  quos  Lutherus  Psalmos,  Germanicus  Orpheus 
Qnosquc  patres  alii  concinuere,  canas 
Hos  quoque  Francisci  solertia  reddit  Eleri 
Ordinc  digestos,  applicitosque  raodis. 

C.  S.  H. 

Ilamburgi  per  Jacobum  Wolhum  MDLXXXVIII. 


  329   


in  Den  .Kirchen  .Hamburgs  gebräuchlichen  geifilicbcn  ©efänge  fleifjig  gefammelt  unb  gefiebtet,  unb  fte  in 
gereinigter  ©eftalt  herausgegeben  ,um  ^cufcen  ber  Äirchen  unb  Schulen,  in  benen  nun  eine  gute  Überciiv 
ftimmung  im  ©efänge  eingeführt  roerben  fbnne.  ©ine  Überficht,  bie  geier  be§  werftäglichen,  bes"  fonn= 
unb  fefhägli*en  ©ottesbienfteS  mit  S3ejug  auf  ben  ©efang  betreff  enb,  jeigt  uns,  bat?  btefelbe  ber  in  anberen 
eoangelifcben  Äirdn'n  eingeführten  im  2ßefentlichcn  übereinftimmenb  war. 

£>ie  Sammlung  lateinifcher  ©efänge,  bie  bem  ©anjen  ooranftebt,  hat  im  'Jfllgemeinen  gleichen 
Inhalt  unb  gleite  Einrichtung  mit  ber  ^falmobia  bes  SitcaS  Soffüts,  nur  ift  balb  fte,  halb  jene  reicher, 
jene  namentlich  in  ^jpmnen  unb  Sequenjen.  9cur  jehn  Steber  in  nieberbeutfeher  SJiunbart  finben  roh- 
unter  biefen  latetnifchen ;  tbeils  SOiefjgefänge,  —  ba$  beutfehe  Sanctus :  Scfatö  bem  Propheten  bas  gefdjab; 
ba§  beutfehe  'tfgnus  Sei :  dhrifte,  bu  Samm  ©ottes,  —  tbeils  geftlieber :  Sofepb  lieber  ^ofepb  mein,  jeneS 
alte  2Biegenlieblein  bes  ßbriftfinbes 5  Momm  ©oft  (Schopfer  heiliger  ©eift;  %l\o  heilig  ift  ber  Sag;  — 
allgemeine  fird)licbe  Sob--  unbSSefenntniplieber:  jroeiSSearbcitungen  bes£e£eum  laubamus; —  ben^falm: 
Da  Sftael  aus  'tfgopten  jog  —  ben  Sobgefang  ber  heiligen  Jungfrau  5  enblich  bas  SSufjlieb :  9timm  oon  uns 
Sperre  ©ort  :c,  alle  oon  unmittelbar  fircblidw  Schiebung,  unb  meijl  Übertragungen  lateinifcher  ©efänge. 
Die  im  Anhange  mitgetbeilten  Äircbenlieber  finb,  brei  gereimte  lateinifche  aufgenommen,  ebenfalls  in  nieber= 
beutfeher  SJtunbart.  Sh™  9Kelobieen  finb  nur  einftimmig  aufgezeichnet,  mit  alleiniger  "tfuSnahme  be? 
^ftngftliebes  für  bieÄinber:  Spiritus  saneti  graüa,  roelchcs  oierftimmig  ift.  .Reine  9Jielobie  crfd)eint  in  bem 
oerfefeten  Umfange  ihrer  Sonart,  fonbern  jeberjeit  in  beren  urfprünglichem;  bie  Angabe  ber  Sonart  fehlt  nur 
bei  jroei  Siebern:  jenem  latetnifchen ^fmgftliebe,  unb  einem  anbern,  bem  lateinifeben  $rmtnus  ,,Viia  saneto- 
rum  decus  angelorum"  nachgebilbeten :  ,,Der  Jpilligen  Seoenb  x."  rrbnen  mir  biefe  ein  an  bie  ©teile, 
bie  ihnen  nach  ©lers"  ©runbfä^en,  jufolge  ihrer  Tonarten,  gebühren  mürbe,  unb  nehmen  babei  auch  9Jü<f= 
ficht  auf  bie  in  ber  erften  'tfbtbeilung  bes  SBerfe»  enthaltenen  beutfeben  ©efänge:  fo  befaßt  tiefet  ad)tjebn 
9)ielobieen  bor if eher  Sonart;  acht  hhpoborifcher;  fed)S  pbrpgifcber;  acht  b  pp  op  hrpgif  cb  er 5 
brei  mirolpbifcber;  fteben  hhpomtrolpbifcher;  neun  doli f d> er;  acht  bppoäolifcfyer;  neun  toni= 
fcher,  unb  einunbjmanjig  hhpoionifcber  Sonart:  im  ©anjen  97  firchliche  9Kelobieen  unb  Sieber  neben 
ben  latetnifchen  ber  älteren  £irche.  Unter  ihren  Tonarten  aber  erfepeint  ein  bebeutenbe»  Übergewicht  ber 
ro eichen  (57)  über  bie  harten  (40),  jumahl  auch,  tiefer  legten  jroei  weniger  finb  al3  jener  erften,  inbem 
bie  mbifche  unb  bppolpbifcbe  Sonart  gar  nicht  oorfommt.  Über  einige  befonbere,  hier  oorfommenbe  ©ing= 
meifen,  roerben  mir  bei  bem  33erid)te  von  ben  Sehern  ber  legten  4?ätftc  be§  16ten  Sabrbunberts,  auf  %$er-- 
anlaijung  be»  fpäter  herausgekommenen  oierftimmigen  Hamburger  üftelobieenbuches"  reben.  @§  genügt  hier 
bie  SSemerfung,  baß,  foroeit  bie  gorfchung  bes  SSerfafferä  reicht,  bie  hier  erfcheinenbc  ^Bezeichnung  ber 
9Relobieen  nach  ihren  Tonarten  bie  frübefte  ift,  bie  er  in  einem  eoangelifd)en  SKelobieenbucbe  angetroffen  hat. 

©eben  mir  nun  über  ju  bem  iftorboften  Deutfcblanbs,  unb  junachft  ju  ber  9KarE  SSranb  en bürg, 
fo  fcheint  oor  bem  Söhre  1552,  fteben  %abre  nach  Verausgabe  beS  S3apftfd)en  ©efangbucbeS,  unb  jmblf 
nach  (Erfcheinen  ber  erften  Äirchenorbnung  für  biefe  Sanbe,  ein  felbftänbige§,  ihnen  beftimmte»  9JMobieen= 
buch  nicht  erfchtenen  ,u  fetm.  früher  alö  1540  (ba  erft  im  Scooember  1539  ber  SanbeSherc  bort  ju  ber 
gereinigten  Sebre  fich  bekannte;,  mürben  mir  auch  ein  folchcs  nicht  haben  ermarten  bürfen;  biö  ju  bem 
©rfcheinen  beS  nun  ju  befchreibenben  SBuches  mag  man  ber  SSittenberger  geijtlid)en  Sieberfammlungen 
fid)  bebient  haben.  ©5  erfchien  jenes  S3udi,  mie  bemerft,  im  3ahre  1552  ju  Jranffurth  an  ber  £  ber  bei 
Sobann  ©ichborn  unb  führt  ben  Sitel:  ,,©eiftlid)e  Sieber  D.  sDiart(in)  Sut(herö)  onb  anberer  fronten  Qlyri- 

b.  SBinterfelc,  tcr  tvangel.  E^OTOlgcfaag.  42 


  330   

ften,  nach  orcmung  ber  Sarjeit  New  jugerid)t."  Sie  2lttjaf)l  bei:  bann  enthaltenen  Sieb  er  Ijabe  ict)  mu 
nicbt  angemerft,  wol)l  aber  bie  ber  Sing  weifen  :  e£  ftnb  beren  57,  üon  bcnen  23  geftliebern  angehören, 
unb  jel)n  ^falmtiebem :  fo  baß  alfo  bie  SRelobteen  biefer  2lrt,  jufammengenommen,  ju  ben  übrigen,  ber 
'tfnjabl  nad),  ungefähr  wie  4  ju  3  (genau  11  ju  8)ftd) »erhalten.  @3  ift  bcfrembenb,  baß  bem Siebe:  „Grin'fejte 
SurgijtunferSott"  feine  Singweife  nicpt  beigefügt  ift;  eineSSeranlaffung  baju  tfl  nid)t  ju  erfeben,  baanbere, 
»oiauöfefcüd)  bomalö  eben  fo  befannte  93ielobiccn,  ihren  Biebern  bcnnod)  betgejetdjnet  ftnb.  3u  bcfonberen 
33emerfungen  geben  bie  in  biefem  33ud)e  enthaltenen  Stngweifen  nid)t  2Cnlaß;  boppelte  für  ein  Sieb 
enthält  e§  nid)t,  unb  wo  bergleichen  oorbanben  waren,  tyat  es>  nur  beren  eine  gewählt.  So  für  ba3  $)falm= 
lieb:  „2CuS  tiefer  Notf)  fchrei  id)  ju  bir"  beffen  ältere,  pbrwgtfcbe;  für  ba3  Soblieb:  „Nun  freut  euch, 
lieben  ßbriftcngmein, "  bie  fpätere  unter  feinen  beiben  ionifdjen,  bie  in  ber  golgejcit  gewöhnlich  bem  Siebe: 
,,(£3  ift  gewißlid)  an  ber  Seit"  angeeignet  würbe.  Um  ba3  %a§x  1569  ftnbe  id),  bei  bemfelben  Verleger 
crfdjienen,  einen  SBicbcrabbrucf  btefcö  33ud)e3,  mit  170  Siebern  unb  02  9Jcelobieen,  an  biefen  alfo  nur  um 
fünf  vermehrt,  unb  mit  einer  SSeigabc  von  ßollecten  unb  diebeten.  Seltene  ^bweid)imgen  in  ber  Srbnung 
ber  Sieber  unb  9Jlelobieen  abgerechnet,  jlimmen  beibe  'tfbbrücfe  im  SBefentlichen  überein.  ßine  ähnliche 
Übereinftimmung  bcrfclben  finbet  aber  aud;  ftqtt  mit  einem  anberen  9JMobieenbud)e,  ba§  unter  gleichem 
SEttel/  mit  gleicher  SSorrebe  um  1571  bei  Dietrich  ©erlafj  ju  Nürnberg  erfchien.  S§  fehlen  biefem  jw..r 
wer  SOZelobieen,  bie  wir  in  jenen  beiben  ftnben,  e§  bat  aber  beren  fed)jef)n  mehr  ju  Siebern,  bie  jenen  man= 
geln,  unb  fünf  Umbid)tungen,  tbeils?  älterer  geistlicher,  rpetlä  weltlicher  Sieber,  unter  3urücfweifung  auf 
ihre  5CRelobieen.  2Babrfd)etnlid)  haben  alle  brei  eine  gemeinfd)aftlid)e  £Htelle,  vielleicht  ein  ältere§  Nürn= 
berger  Singebuch ;  unb  jene  beiben  norbbeurfeben  wie  bicfeS  oberbeutfdje  ©efangbud)  werben  ju  bemfelben 
ftd)  etwa  fo  »erhalten,  wie  bie  t>on  un§  früher  betrachteten  nieberbeutfehen  geiftlichen  Sieberfammlungen  ju 
bem  Nürnberger  von  1527  unb  biefe  5U  bem  Sßalterfdjen  ©efangbud)e  von  1524. 

gür  Bommern  ftnbe  ich  "1*  24  ^ahre  fpäter  ein  eigeneö  SCJMobieenbucb,  unb  ein  jweite§  biefer 
%xt  lO^ahre  nachher;  anbere  au§  bem  lOten^ahrhunberte  außer  biefen  beiben  ftnb  mir,  ungeachtet  aller  gor- 
fchungen  an  £)rt  unb  Stelle,  unb  in  ben  nabmbafteften  SBücbcrfammlungen,  nicht  befannt  geworben.  Da3 
ältefte  beiber  erfchien  ju  Stettin  im  Sah«  1576  in  plattbeutfcher  Sprache  unb  führt  ben  Äitel:  „'jPfalme, 
©einliefe  Sebe  onb  ©efenge,  von  D.  SSJZartmo  Suthero  £>cf  Velen  anberen  ßbnjiltcfen  Seerern  vnb  ©obtfe= 
[igen  Zennern  geftcllet.  Wit  flpte  thofamenbe  gelefen,  borchgefeen,  vnb  in  gube  SDrbeningc  gebracht.  9)Zit 
einem  richtigen  3?egifier  ber  ©efenge,  bie  up  be  Sonbagc  vnbe  geftbage  gefungen  werben,  SSnb  mit  ben 
(Svangclten  vnb  geften  averein  famen.  £)rbeninge  ber  ©efenge  in  beffem  S5ofe  oinbefttt  na  ben  SSörreben. 
©ebrueft  tho  «jlben  Stettin  boreb  tfnbream  Äellner.  MDLXXVI."  2)oS  S3üd)lein  beginnt  mit  Sutherö 
SBorrebe  ju  bem  5Balterfd)en  ©efangbuche  (r>on  1524),  ber  alSbann  bie  ju  bem  S5apjtfd)en  (1545)  folgt, 
beibe  in  ptattbeutfeher  Sprache.  Die  leiste  ift  jebod)  nicht  »oüftänbig  abgebrtteft;  e§  fehlen  tyt  bie  beiben 
_  lefeten  ÄbfÄ%e,  in  benen  Sutljer  r»on  bem  Siebe  „Nun  laßt  unä  ben  Scib  begraben"  unb  „Tfoß  tiefer  Notl) 
fchrei  id)  ju  bir"  rebet,  unb  ft'e  cnbet  mit  bem  bureb  TLmm  befräftigten  2Bunfd)c  beö  aiorrebnerä,  baß  ©Ott 
burd)  be§  SSaltin  JßapftS  luftigen  £)rucf  bem  rbmifchen  S5apft  »iel  Abbruch  möge  gefchehen  laffen.  Über 
bie  '2lnjaf)l  ber  Sieber  habe  id)  bei  SSenufjimg  biefe§  S5uche§  mir  feine  SSemerfung  gemacht ;  fte  übertrifft 
jebod),  bei  beffen  beträchtlichem  Umfange  »on  454  SBlättem  (908  Seiten),  of;ne  3weifel  nod)  bie  beS  fonfl 
inhaltrcid)ften  granffurther  ©efangbucbeö  »om  3a()re  1569,  unb  bürfte  leid)t  über  400  hinauägehen.  Die 
Sieber  ftnb  in  fünf  Steile  jufammengefiellt.    Der  erjte  befaßt:  „Die  oornemefte  ^falme  Daüibä  fampt 


  331   


öen  ©efengen  in  9Jioft  unb  ben  Propheten."  £tefe  legten,  fo  roie  bie  ihnen  folgenbe  beutfdic  SieSper  unb 
Letten,  ftnb  ohne  SKelobieen;  bei  ben  spfalmlicbern  bagegcn  ftnben  ftd)  beren  18  beigejetdinet;  unter 
ihnen  elf,  bie  SJlebjjahl,  auS  SBurcarb  SBalbiS  ^Pfalmbud)e,  ihren  von  boviner  entlehnten,  nur  in  platte 
beutfdje  SDiunbart  gebrachten  Siebern.  25er  jroeite  ift  überfd)rieben :  „2)at  anber  £)eel  beffeS  ©efancfbofeS 
£efft  in  fief  be  (Sbfj  fiücfe  beS  @ated)ifmi,  com  £.  SDlartino  Sutrjero  tmb  anberen  ©efangeS  n?t)fe  foroatet, 
fampt  bem  borgen  unb  Aocnbt  Segen,  33enebicite  »nb  ©rariaS."   9lur  jroei  beutfehe  Sieber: 

So  roafjr  id)  leb,  fpricht  ©Ott  ber  <§>crr, 

2>S  SünberS  SEob  id)  nid)t  begehr  u. 
unb  SBolfgang  ßapifo"S  9KorgenIieb  : 

Sie  9cad)t  ijt  hin, 

fmb  hier  mit  üDcelobieen  uerfehen,  baS  letzte  mit  ber  bcS  latemifdjen  £r;mnuS  :  Jam  lucis  orto  sydere ;  bie 
übrigen  brei  Singroeifen  —  eS  (t'nb  tl;rer  im  ©anjen  fünf  —  befielen  auS  einem  Amen  auf  baS  Sater 
unfer,  unb  ben  Sttetobieen  beS:  0  sacrum  convivhim  unb  Discubuit  Jesus,  ftnb  alfo  nid)t  eigentlich.  lieb- 
hafte. „2>at  brübbe  Deel  beffeS  ©efancfbofeS  —  heißt  eS  bann  metter  —  2Belc?eS  in  fiel  ijblbt  ß&rtfWcfe 
.^pmnoS  vmb  ©efenge  up  be  »ornemften  geftbage  unb  etlicfe  fonbere  h)be  im  Sare."  —  25er  3ftelobieen 
ftnb  hier  bei  SBeitem  bie  gröfkfte  Anja!)!,  33  im  ©anjen.  3u  ben  geftliebern  werben  hier  auch  gmei  (Spott* 
lieber  auf  ben  ^Papft  gerechnet,  t»on  benen  bahingeftellt  bleiben  mag,  ob  jemals  ein  fird)lid)er  ©ebraud) 
baxron  gemacht  ift,  unb  beren  93lelobieen,  unjroeifelf)aft  üolfSmafjigen  UrfprungeS,  ftd)  beigejetchnet  ftnben. 
2>aS  erffe  ift  eine  Umbid)tung  bcS  alten  Siebes  com  Austreiben  beS  SobeS,  bie  hier  ju  Unrecht  mit  SutherS 
Stamm  bezeichnet  ift: 

„9cu  brroe  rot)  ben  ??at>cft  berutb,  k." 
Seine  jroeite  Strophe  vornehmlich  bejeidjnet  eigentümlich  ben  herben  ©ctfi  beS  ©egenfafjeS,  ber,  roie  über* 
haupt  in  bem  fräftigen  pommerfchen  Siolfe  in  jenen  aufgeregten  Seiten,  fo  inSbefonbere  gegen  bie  alte 
?>riefterf)errfd)aft  ttorroaltete : 

Srull  bp  heruth,  bu  oorbambe  Son 

2)u  robe  S5rut  t>on  58abilon, 

25u  bifi  be  ©ruroel  onb  Anticbrijt 

S3ull  Sogen,  morb  m  arge  Sift  u.  f.  tt>. 
Stttfianben  ift  jroar  baS  Sieb  nicht  tri  jenen  ©egenben,  allein  feine  Aufnahme  in  eine  fird)lid)e  Sammlung 
roerben  mir  biefem  ©eifte  immer  jufebreiben  müffen,  ba  eS  bis  bahin  in  feiner  anbern  angetroffen  wirb. 
DaS  jroeite  tiefer  Spottlieber  ift  eine  ^arobie  beS  SiebeS :  < 

25er  Äucfucf  hat  ftd)  ju  tobe  gefall"n  tc. 

in 

2)cr  ^aoeft  beft  ftcf  tbo  bobt  gefaUn, 
rote  roir  berfelben  fd)on  in  83eSpaftuS  Umbidbtungen  begegneten. 

Außer  ben  9JMobieen  tiefer  beiben  Steber,  bie  ich  hier  jum  erften  SD^able  antraf,  habe  id)  in  bie* 
fem  Abfcfmitte  feine  befonberS  bemerfenSroerthen  gefunben.  S3ei  SutberS  Siebe :  „Sefaia  bem  Propheten 
baSgefcbab,"  bem  beutfeben  «SanctuS,  baS  hier  aud)  unter  ben  gotteSbienfilid)en  Siebern  ftebt,  roirb  auS* 
brücf lieb  t>orgefd)rieben :  bie  ©emeine  foüe  baS  £eilig  breimahl,  tangfam,  mit  Anbaut  unb  großer  @hrer* 

42* 


  332   


btetung  fingen;  in  ©fäbten,  wo  Änaben  fei)en,  möge  eS  von  biefen,  uor  bem  Altare  fnieenb,  gefunden 
»erben,  unb  bie  ©cmeine  ihnen  antworten.   9cad)  bem  britten  Stahle  befd)liefje  berßfjor  mit  ben  2Borten  : 

©ein'  El)r  bie  gange  SOßelt  erfüllet  l)at  k. 
©iefe  S3cmerhmg,  als  einen  5£f>etl  ber  ouferen  Einrichtung  bc6  ©otteSbicnfteS  betreffend  unb  namentlich 
bcS  ©efangeS,  burftc  hier  nicbt  übergangen  werben. 

©er  vierte,  öorleejte  Zty'ü  bicfcS  ©efangbucbeS  führt  bie  Überfcbrift:  „£>at  Beerbe  Deel  beffeS 
33ofeS,  in  welcferem  tl)ofamen  gebracht  fmi  ßl)vtfrlt<fe  fyne  gefenge  »on  ben  übrnemjten  Artikeln  unfer  (5(;rtft= 
liefen  Scer."  3weiunbjwanjig  ©tngweifen  finben  wir  hier,  unter  il)nen  feine  fonft  unbefannte,  wenn  aud) 
meift  nur  minber  gembt)nlid)e.  Der  leiste  £l)eil  enblid)  fünbigt  feinen  3nl)alt  uollftänbtg  an, ,  als  ein  ganjeS 
früheres  ©ingbud)  Butlers  in  fid)  begreifenb,  beffen  SSorrebc,  nur  inS  spiattbeutfche  gebracht,  f;ier  aud) 
wieberum  abgebrueft  ift.  „3m  hofften  onb  leften  beele  r)§  gefettet  —  i)ei$t  eS  i)iet  ■ —  £>.  Söcartini  ßutberi 
SBbfclin,  bat  infonbcrl)eit  Anno  XLII  f)cft  laten  t>tf)gan,  mit  beffem  Titel :  ßbrifilicfe  ©efenge,  latinifd) 
onb  bübefd),  ti&om  SBegreffmS  k."  Außer  ben  aud)  in  33apftS  ©efangbud)e  aufgenommenen  lateinifd)en 
Biebern  biefer  Art,  finbet  fiel)  l)ier  aud)  $tobS  Siebe:  „Spähen  wir  baS  ©ute  empfangen,"  lateinifd)  unb 
beutfd),  jebcSmal)l  mit  einer  befonbern9)ielobte ;  baS  Media vita in  morte  sumus;"  ber©pruch  ,,In  pace 
simul  dormiam  et  mjuicscam,"  ber  ben  4ten  $)falm  befchliefit;  enblid)  SfacolauS  Hermanns  £ieb  mit 
feiner  ©ingweife:  ,,©ant  ^auluS  bie  Gorintf)ter"  nad)  1  Gor.  15,  »on  Aufcrjtebung  ber  Tobten. 

33ei  feinem  beträd)tlid)en  Umfange  ijl  biefeS  ©efangbud)  an  ©ingroeifen  nur  arm ;  eS  ft'nb  beren 
im  ©angen  nid)t  mehr  als  85,  oon  benen  bie  2DM)rgal)l,  51,  §ejl=  unb  ^falmliebem  angeboren.  Auf 
AuSbilbung  unb  9Kannid)faltigfeit  beS  ©efangeS  fd)eint  man  an  ber  bftlidjen  9lovbgrenje  £)eutfd)lanbS 
bamalS  nid)t  große  ©orgfalt  werwenbet  ju  haben.  Auch  bebanbett  bie  SSorrebc  biefen  ©egenfranb  nur  oben= 
bin.  SBcgcn  ber  ftebenjeiligen  2ieber  üerweift  fte  auf  bie  SSeife  beS  ßiebeS :  „SRun  freut  eud)  lieben  Gf)ri= 
jtengmein"  unb  nod)  fünf  anbere  gleichen  SSKaafieS ;  wegen  ber  »ierjeiligen  auf  bie  beS  ßiebeS  ,, Erbalt  unS 
Spm  bei  beinern  2Bort"  unb  ebenfalls  anbere  fünf;  über  bie  mehr*  ober  weniger=gciligen  fet;  ,,eine  funbrige 
sJcota  gefettet."  2Bem  fte  nicht  gefalle,  möge  fid)  nad)  einer  anbern  umthun.  SCßuftci,  GantoreS,  Gompo= 
nijien,  fonnten  in  biefem  Salle  jur  Ausbreitung  unb  Erhaltung  ber  Ehre  ©otteS  ,, anbere  gube  lefflife  9cota 
malen,  unb  ben  benachberben  Äercfen  mitbeelen."  Qin  unb  wieber  ft'nb  weltliche  SJiclobiecn  in  S3ejug 
genommen*),  als :  „2Son  ebler  Art  tc.  ,^cf  gtnef  einmal  fpafceren  ic,  2öol  hpr  baS  Elenb  bauwen  will  tc, 
"vrf  armeä  S3rbberltn  ic. ;  bei  bem  &ebc  „Ewige  Skber  im  ^)emcln)f"  wirb  auf  „beS  SSernerS  5El)on" 
verwiefen;  aud)  auf  SBeifcn  älterer  fatl)olifd)cr  Sieber  finben  fid)  J^inweifungen,  alS  ,,9Karia  gart,  »on  ebler 
Art  ic,  Sic  grau  üorn  Jpimmel  ruf  id)  an."  Eine  forgfame  ©efangeSpflege  wie  ©achfen,  Thüringen, 
baS  füblid)e  Scutfchlanb,  ja,  ber  wc(tlid)e  Äl)cil  beS  nbrblichen  fte  erfennen  laffen,  legt  biefeS  S3ud)  nid)t 
iu  iagc,  eS  ift  aber,  wenn  aud)  als  SSKclobiecnbud)  »on  geringerer  S5cbeutung,  bod)  beSbalb  wichtig,  weil 
-    e?  über  bie  gortfdjritte  beS  ÄirchengefangeS  in  jenen  ©egenben  unS  belehrt. 

Gin  ähnliches  Ergebnis  gewährt  unS  ein  jweiteS,  ebenfalls  pommerfd)eS  ©efangbud).  Sem  von 
mir  beiluden  Abbrucfe  beffelben  fehlte  baS  Titelblatt;  bie  ©d)lupbemerfung  auf  feiner  legten  ©eite 
„©nwhi^walt,  ©ebrueft  burch  Auguftm  Serber,  Anno  31DXCII  (1592)"  jeigt  jebod),  ba^  eS  für  jene 
©tabt  beftimmt  gewefen  femi  werbe;  baS  gebruefte  SSerjcidjni^  ber  ©reifSwalber  UnwerfttätSbibliothef 


')    Bf.  1U9.1'  IM.  303.  303.  328.  331.  342. 


  333   

bezeichnet  e§  (9cro.  6975)  al$  „$)ommerfcheS  ©cfangbud)  burd)  griebrid)  9?unge,"  üielleicbt  auf  ben 
©runb  bcfonberer,  barüber  oorhanbener  Nachrichten.  Da3  33ucb  felbfi  jeigt,  aufier  jw6tf  *Pfalmtiebem 
»on  griebrid)  Stunge  tue  e3  enthalt,  feinen  weitern  Äntbeil  ben  berfelbe  baran  genommen,  e3  müßten 
benn  bie  „(Sbriftlicben  ©ebctlein,"  womit  e§  fcbliefit,  oon  ihm  fjerrüfjrcn,  bie  jeboeb  nicht  mit  feinem 
tarnen  bejeidmet  ftnb.  3n  ber  'tfnorbnung  fommt  e3  bem  eben  befebriebenen  (Stettiner  ©efangbuche  über^ 
ein,  nur  bafj  bie  SBegräbnifjlieber  in  feinem  werten  2tbfcbnitte  mit  enthalten  ftnb.  beginnt  mit  III 
9)fa  Im  liebem,  in  hod)beutfd)er  Sprache,  wie  ber  gefammte  Snbalt  be§  SBud)e3  ;  Der  tjte,  2te,  13te,  15te, 
23fie,  25fie,  37fte,  51fte,  79fte,  91fter  H7te,  124fie  unb  127fte  9>falm  ftnben  ftd)  in  boppelten  33ear= 
beitungen,  »on  bem  119ten  ^Pfalm  ftnb  brei  Steile  in  Sieber  gebracht;  für  biefe  beträchtliche  2£njal)l  üon 
©efängen  werben  nur  13  SKelobieen  mttgetf)eilt.  £)er  .£atecht$>mtte>lteber,  benen  ftd)  hier,  wie  in  bem 
(Stettiner  ©efangbudje,  „bie  9)iorgen=  unb  Äbenbfeegen,  aud)  baö  S3enebicite  unb  ©ratiag,  gefangSweife 
gefegt"  anfcbliefjen,  ftnb  47,  mit  nur  fünf  beigefef'ten  SSJcelobteen ;  für  baößieb:  //9f?u  mad)  unö  f>etttg, 
^»erre  ©Ott"  ift  bie  SDtetobie  be§  134fiert  ber  franjoftfetjen  ^)falme  beigejeidmet ;  ßieb  unb  SEJielobie  „Stu 
laßt  unä  ©ott  bem  Herren"  werben  bem  Dr.  9cicolau§  ©elneccer  äitgefchrieben.  Sie  gefigefänge,  unter 
benen  aud)  „bie  ©cfdnge,  fo  in  oflicio  missae  pflegen  gefungen  (ju)  werben/'  mit  begriffen  ftnb,  belaufen 
ftet)  auf  119,  14  nid)t  liebmäfjige  ober  bloße  ^Profett  ntd;t  mttgered)net.  Nur  25  (gingweifen  ftnb  für  bie= 
felben  üorb,anben.  '2üid)  l)ier  fd)lief?en  bie  fd)on  bei  bem  (Stettiner  ©efangbud)e  erwähnten  Spottlieber  auf 
ben  ^Papft  ben  ^Cbfctjnitt  ber  gefttieber.  £>ae>  t>on  bem  Austreiben  beS  ^PapfteS  —  l)ier  jeboch  neben  2utf)er 
aud)  nod)  bem  SftattbeftuS  jugefcfyrieben,  v>on  bem  eS  wohl  herrühren  mag  —  in  feiner  ganjen  urfprüng= 
liefen  Jg>erbf>ett,  unb  mit  feiner  Singweife ;  ba§  jweite  etwas  gemilbert,  unb  ohne  SDielobie : 

Der  Skpft  hat  ft'd)  ju  tobte  gefalln 

S3on  feinem  höh™  Stule, 

Wit  wem  foll  um  mein1  arme  Seef 

S3ortan  nun  weiter  bitten? 

SefuS  ßbriftuS  ber  foll  e§  feim, 

Äein  anber  lieber  werben, 

9JZad)t  unS  »on  aller  Sünben  frep 

3m  Gimmel  unb  auf  (Srbcn  k. 
25er  eierte  Sbeil  „barin  jufammengebrad)t  allerlei;  ßbrifiliche  ©efänge  von  ben  fürnembften  Jpauptartifeln 
(5f)riftlicher  Sebrey/  begreift  146  Sieber,  bie  unter  t>erfd)iebene  2Cbtbetlungen  jufammengefafjt  ftnb.  @s> 
beginnen:  ©efdnge  r>om  nufjen  mtb  frafft  göttlichen  SBortS,  unb  ihnen  folgen :  ©cfdnge  v>on  ber  (Srfcbaffung 
aller  Kreaturen  —  SSom  galt  "2tbam§  —  SSom  ©efe£  unb  (Süangelio  —  S3on  ßhriftt  SBobtthaten  —  SSon 
ber  S5uf  —  SSon  ber  Äraft  beä  ©laubenS  —  SSon  d)riftlicb,er  £tebe  unb  guten  SBerfen  —  SSom  d)riftlid)en 
geben  unb  SSBanbel  —  SSon  ber  ebrifitieben  Äirdjen  —  SSom  Äreuj  unb  Reiben  berßb,^"  —  SSom  ©ebet; 
'Äbtl)eilungen,  wie  fte  fpäter  in  ©efangbüchern  immer  häufiger  werben,  unb  je  länger  je  mehr  an  Umfange 
wachfen.  £>en*93  Biebern,  bie  hier  barin  befafjt  ftnb,  fchliefjen  fid>  an:  16  „etlicher  Äontge  unb  Herren 
d)riftlid)e  lieber, "  brei  barunter  auf  SBablfprücbe  pommerfcher  gürften,  wie  benn  auf  begleichen  ©prüche 
bie  meiften  biefer  Sieber  gebid)tet,  aud)  wohl  bie  2tnfang3bitchftaben,  ober  ÄnfangSfytben  ihrer  <Btxopi)m  fo 
gewählt  ftnb,  ba£i  fte  bie  tarnen  berer  bilben,  bie  ft'd)  jene  Sprüche  angeeignet.  @3  folgen  „©eifttiche 
ßieber  »om  ©heftanbe  unb  d)riftlid)er  Haushaltung,"  fiebert  an  ber  Safyt  uon  TOcotauS  ^errmann  unb 


  334   

SDfottyeftuS;  ßlmfiltcbe  ©efänge  „uon  ber  SBergänglicbfeit  biefeä  jeitlicben  SebenS,  aud)  t>om  £obe  unb 
SSegräbnifj, "  16,  bie  fleinen  lateinifcben  ©prüd)c  nicht  gerechnet ;  hier  begegnen  wir  aud)  bem  Siebe  $>aul 
©berS  „£err  Sefu  Gbrift  mal)r"  Sftenfdb  unb  ©Ott"  in  ©tropfen  ju  r>ier  Seilen  abgeheilt,  ohne  5!JZeIobie= 
angäbe,  unb  bem  Siebe  SKarttn  ©cballingS  „^erjlicr;  lieb  l)ab'  ich  bid)  o  £err,"  bei  bem  auf  bie  SSBeife: 
&  ftnti  bod)  feiig  alle  bie  k.  (welche  aud)  bem  36ften  unb  G8ften  ber  franjofifcb^n^falme  eignet)  bjngewiefen 
wirb.  Den  33efcblujj  machen  14  „ßbriftlicbe  ©cfdnge  »on  ber  tfuferfrebung  ber  lobten,  ttom  jungten 
©eriebt  unb  ewigem  Sehen."  gür  biefe,  fo  beträd)tlid)e  ^Injabl  »on  Biebern  werben  nur  fieben  SSKelobieen 
gegeben;  hier,  wie  bureb  ba3  ganje  23ud)  wirb  meifi  nur  auf  wenige,  be?annte,  S5ejug  genommen,  ©ine 
.pinmeifung  auf  weltliche  99cclobiccn  fanb  id)  nur  in  uier  fallen;  ba3  Sieb:  „3"n  traur'ger  ^)ein  ich  muf? 
jefjt  feijttt,"  ol)ncl)in  febon  Umbidming  etneä  gleich  beginnenben,  weltlichen,  foll  gefungen  werben  im  £on: 
3d)  wei§  ein  23lümtein  bübfcb  unb  fein;  .pclmbclbS:  „S3on  ©Ott  will  ich  nicht  laffen"  nach:  Sdb  jümb 
an  einem  SKorgen  :c;  ba§  Sieb:  „SSon  aller  SSBclt  üerlaffen"  nach:  Sie  ©onn  tft  »erblichen;  enblich 
Johann  grriebrid)§  v-on  ©aebfen  Sieb:  „Seh  1)ab§  gejtalt  in3  ^)errn  ©emalt"  nach:  33efd)affens>  ©lud  u. 
Die  ©efammtjabl  ber  Sieber  be»  ganjen  SBucbeS,  423,  größer  noch  al§  bie  beS  fonjt  umfangreicbjteft  granN 
further  Sicberbud)e3  von  1561),  hat  an  mitgegebenen  ©ingweifen  nur  52  fieb  gegenüber,  faum  ben  achten 
£beil  berfelben.  greilicb  bürfen  wir  annehmen,  man  werbe  bei  bem  Äircbengefange  fich  nicht  auf  biefe 
befchränft  haben,  ba  ft'c  nid)t  alle  SSerSarten  be§  ganjen  95uche§  umfaffen,  unb  man  habe  bie  nid)t  beige= 
festen,  nur  in  SSejug  genommenen  9Jcelobieen,  all  befannt  t-orauSgcfefjt.  Allein  aud)  unter  biefer  SSorau3= 
feijung  würbe  fich  ftetS  nur  ein  geringer  3uwacb§  an  gangbaren  SRelobicen  ergeben,  ba  bie  grofie  2lnjabl 
oon  Siebern  fieben«  unb  vierteiliger  Strophen,  —  beren  in  jeber  ©attung  bie  weiften  finb,  —  unb  bie  9Q?bg= 
lichten,  biefe  nad)  benfelben  SDMobieen  ju  fingen,  bie  einen  nach  ber  SSBeife :  @§  ifi  baS  £eil  un§  fommen 
her,  bie  anbem  nach,:  Crrfyalt  un3  .perr  bei  beinern  SSBort,  immer  auf  einen  Ä  ird)engcfang  uon  befd)ränftcm 
melobifchen  Umfange  beuten.  Daö  23efanntejte,  ©angbarfte  wirb  immer  vorjugSwcife  gewählt  werben, 
wo  nid)t  ein  größerer  Sicicbtbum  jur  Auswahl  unmittelbar  geboten,  unb  mit  ihm  SSeranlaffung  gegeben  ijt, 
auch  "ifteucS  fid)  anzueignen. 

SSBir  bcfcbliefjen  l^iemit  unferen  ^Bericht  über  bie  »ornebmjtcn,  einfachen  93ielobieenbücher  be§ 
lGtcn  3abrhunbert§.  Die  JCnfangS  nur  geringe  3abl  an  ©ingweifen  geijtlidier  beutfeber  Sieber,  benen  wir 
in  2ßalter§  ©efangbuche  begegneten,  hatte  gegen  ba§  ©nbe  be§  3al)rhunbert§  fich  fajt  um  baö  3el)nfacbc 
»ermehrt;  felbjl  in  bem  3wifd)enraume  »on  1593  —  bem  ga^te  beg  fpatcjlcn  ©cfangbucheö,  baö  wir 
befprachen,  be3  Dreöbner  —  biö  jum  3«bre  1000,  entjtanb  nod)  mand)e  neue  ©ingweife  (wie  wir  an  feU 
nem  Crte  ba»on  berichten  werben;,  bie,  wenn  auch,  wohl  febon  örtlich  im  ©ebrauebe,  bod)  fyäter  erft  in 
firchliche  ©cfangbüd)er  aufgenommen  würbe. 

Uberfd)auen  wir  nun  ben  gefammten  9?eid)thum  geiftlid)er  ©ingweifen,  ben  bie  cüangelifefae  Äirche 
in  liefern  Seitraume  gewann,  fo  ft'nben  wir,  bafj  bie  ge  jimelobicen,  unb  bie  Sßcifen  ber  f almlieber 
unter  ihnen  bie  SWebrjabl  bilben,  wie  benn  biefeö  XJerhdltnip  febon  in  SBaltere;  ©cfangbud)e  ju  bemerfen 
war,  unb  noch  in  bem  S3a»(tfd)en  fortbauert,  wo  eö  obugefäbr  wie  7  ju  5  —  genau  57  ju  39  —  fich  bar= 
jtellt.  '2tm  bebeutenbjien  erfcheint  biefeä  Übergewicht  in  bem  britten  Viertel  be§  3«hvhunbertö ;  in  ben 
©efdngen  ju  ber  9ieuburg=3weibrüder  Äirchenorbnung  (1570)  unb  bem  ©trapburger  ©ro^en  Äircbenge^ 
fangbuebe  (1500)  bilben  gcfi;  unb  ^)falmwcifen  faft  baö  Vierfache  ber  übrigen  (04  :  17 ;  —  87  :  23), 
in  bem  granffurtber  Sieberbuche  ton  1509  baö  Dreifache  (285  :  90);  nur  baö  ©trafwurger  ©efangbud) 


335   

uon  bemfelben  Sab"1  jlellt  un$  ein  weniger  bebeutenbeS  Überwiegen  jener  SBeifen  bar  (127  :  102,  ungefähr 
7  :  6).  ©egen  ba§  leiste  SSiertel  bee>  ga^r^tmbertS  unb  innerhalb  bcffelben  hält  ft'd?  ein  83erl)ältnip  feft, 
woburd)  baS  doppelte  niä)t  mehr  erreicht  wirb.  Äeud)entbal§  ©cfangbud)  jetgt  ba3  33orwalten  ber 
gefi»  unb  fjfalmwetfen  ungefähr  in  bem  SJcrbdltniffe  r>on  8  :  5  (128  :  84),  ba3  SBürtemberger  ©cfangbud) 
von  1583  (teilt  biefeö  53erbältnifj  ganj  genau  bar  (64  :  40) ;  in  bem  3infeifenfd)en  t>on  1584  erreicht  eS 
fajt  wieberum  baS  2>retfad)e  (2G7  :  96),  in  bem  £>rcSbncr  t>on  1593  jebod)  bort  jene§  Übergewicht  ganj 
auf-,  ber  geft»  unb  Q)falmmelobieen  finb  bort  104,  gegen  137  anberer  2lrt.  Äonnen  wir  aber,  biefem  allem 
gnfiolge,  bod)  att  gewiß  annehmen,  bafj  jener  beiben  Birten  uon  (Singweifen,  im  Saufe  bes  löten  %atyctym> 
bertS,  bie  meijten,  tbeilS  im  ©ebr aud) e  waren,  t^etK  entftanben  finb,  fo  ift  bamit  auch  ba§  ©epräge 
gcred)tfcrtigt,  ba£  bie  meijten  9)ielobieen  biefeS  3eitraum3  an  fid)  tragen :  Äraft,  SBürbe,  gebcimnifwolle 
5£iefe.  SBie  tfjre  Sieber  felbfl,  gingen  ft'e  benwr  auS  bem  ßrgriffenfewn  von  S()atfad)en  d)rijllid)cr  ©efd)id)te, 
ober  oon  propbctifd)en  2lnFlängen  uralter  bciliger  ßieber,  beren  ewige  S5ebeutung  ber  bewegten  ©egenwart 
aufS  9?eue  lebenbig  aufgegangen  war,  unb  in  manniebfacben,  jeitgemafien  9cad)=  unb  Umbilbungen  jener 
XSorbilber  fid)  betf)ätigte.  Stefe  2faflänge,  bie  burd)  Sehr»,  burd)  2ob»  unb  33etlieber  eben  fo  manntebfad) 
bintönen,  geben  benn  aud)  ihnen,  wie  ihren  (Singweifen,  einen  ähnlichen  2tu3brucf,  eine  übereinfommenbe 
gärbuug.  Sene  ©djilberungen  befonberer  ©celenjuftänbe,  wie  fte  in  bem  ebriftlicben  SSewufitfenn  aEer- 
bingS  oorfommen,  unb  in  ben  Siebern  wie  SJMobieen  fpätercr  Seit  fid)  abspiegeln,  ftnben  wir  bamalS  feite» 
ner  nur;  allgemad)  erft  gewannen  ft'e  ba3  Übergewicht,  unb  üeränberten  bann  ba$>  ganje  ©epräge  be6 
geiftltdien  ©efangcö ;  ja,  fte  würben  SSeranlaffung,  ba§  ber  früheren  SBeifen,  aud)  wenn  man  ft'e  beibehielt, 
allgemad)  au§julöfd)en,  unb  feinen  (Srjeugniffen  eine  anbere,  ber  nun  Überwiegenben  9fid)tung  mehr  gemäfje 
gdrbung  $u  geben.  ß3  ift  wahr,  ein  grofjer  Sbeil  ber  gejlmelobiecn,  weld)e  bie  befprod)encn  £ieberbüd)er 
un$  bieten,  geboren  einer  alteren  3cit  an,  unb  fbnncn  nid)t  grüd)te  ber  Äird)enüerbefferung  genannt  wer» 
ben;  fo  bie  SBeifen  ber  SBetbnacbtSIieber:  ©clobet  fc»ji  bu  SefuS  Styttft;  Der  Sag  ber  ift  fo  freubenreieb; 
ßbnfium  wir  follen  loben  fd)on ;  ba§  Resonet  in  laudibus,  al3  SBtegenlteb  (5t)rtftt  umgebilbet: 

Sofepl),  lieber  Sofepl)  mein, 

£ilf  mir  wiegen  mein  Äinbelein  IC. ; 
baS  Quem  paslores  laudavere,  unb  Nunc  angelorum  gloria,  beutfd)  übertragen  in  ,,®en  bie  Ritten 
lobten  febre,"  unb  ,,£eut  finb  bie  lieben  Ghigelein  ;"  be3  DfterliebeS  ,,ßbrijt  'tf  erfianben;"  ber  ^Pftngft» 
gefdnge:  „Äomm  beiliger  ©eijt  £erre  ©Ott,"  unb  ,,9cun  bitten  wir  ben  heiligen  ©eift,"  unb  anberer. 
83iele  anbere  SBeifen  alteren  UrfprungS  aber  ftnb  baburd)  wieberum  ber  Äird)enüerbefferttng  angel)brige, 
wir  bürfen  fagen,  neue  geworben,  bafs  il)rer  uralten  fird)lid)en  ©runbform  baä  eolfSmdpige  ©eprdge  auf-- 
gebrüeft  würbe,  wie  bei  ben  Siebern:  9^un  fomm  ber  Reiben  J^eilanb;  Äomm  ©ort  (Sd)6pfer  beiliger 
©eifi ;  £)er  bu  bift  brei  in  (Sinigfeit,  unb  anbern.  Sa,  e3  gefd)abe  wobl,  bap  bei  Umbilbung  eines  ßiebeö 
aud)  feine  SEJMobie  eine  fold)e  erfahren  mupte,  woburd)  fte,  felbft  wenn  ihre  ©runbjüge  bewahrt  blieben, 
mehr  bie  Färbung  jener  3eit  gewann,  wie  unter  anbern  bie  be3  £iebe§:  ,,©f)rijt  i(t  erfianben,"  bei  beffen 
Umwanblung  in  „ßhrift  lag  in  Äobeäbanben."  S3ilbeten  nun  aud)  jene  älteren,  jene  umgefchaffenen  (Sing» 
weifen,  allerbingä  eine  breite  unb- reiche  ©runblage  be3  bamaltgen  Sejlgefange§,  fo  barf  bod)  jene  3eit  aud) 
neuer  bebeutfamer  Schöpfungen  auf  beffen  ©ebiete  ft'd)  rühmen.  (So  ber  SBeife  be§  2Beihnad)t§liebeö 
,,9Som  Gimmel  l)od)  ba  fomm  td)  her,"  —  wäre  ft'e  aud),  wie  wir  uermutbet,  üon  einem  SBiegenliebe  auf 
baffelbe  übertragen  —  unb  :  „greut  eud)  i()r  lieben  ühriften;"  ber  SDfterüeber  ,,Sefu§  6hriftu§  unfer  -!pei= 


  336   


tanb,"  „£eut  triump&tret  ©otte8  ©obn,"  ,,ßrfd)tenen  ift  ber  f)errlid>  Sag;"  ber  ^immelfabrrSlieber : 
^■Dlun  freut  euch  ©ottes  Äinber  all/'  ,,2luf  biefen  Sag,  fo  benfen  wir/'  „2tl§  vierzig  Sag  nach  £}jtern 
mar  n,"  unb  anberer,  bie  näher  ju  befvrecben  f«?n  werben,  wenn  wir  ihrer  @ntjtehung  unb  tt>rcr  Urheber 
gebenfen.  ©o  geboren  eben  ihr  SRelobieen  j«  Siebern  nad)  ben  coangeltfcfjert  Sobgefängen  ber  ©ebrifr.  ©3 
enrftanben  in  il)r  bereu  vier  ju  Siebern  auf  ben  Sobgefang  berSDiaria:  ,,9Jlein'  ©eef  ergebt  ben  ^erren 
mein;  9Kein'  ©cef  erbebt  ju  biefer  grijl;  SReiti  lieber  ^>err  ich  greife  bich;  SJlein'  ©eef,  o  ^)err,  muf? 
leben  bid);  bie  erjle  burd)  ©rbabenbeit  unb  28ürbe,  bie  jroeite  burd)  milben  Grmft,  bie  britte  burd)  2lnmutf) 
unb  .^eiterfeit,  bie  vierte  burd)  greubigfeit  in  Scmutb.  ausgezeichnet*).  £>iefe§  ©evräge  ermatten  fte  burd) 
ihre  firdilid)en  ©runbtonarten,  bie  borifebe,  mivoh)bifd)e,  ionifd)e,  äolifd)e;  e3  bilbet  ftd)  aber  aud)  burd) 
ihren,  bem  3>olF3gefange  angehorenben  33efranbtbeil.  Senn  bie  erfje  unter  ihnen  gebt  gleichmäßigen  ©cbrit= 
tes  fort,  in  gcrabem  Safte,  unb  in  ber  fo  volfSmäfjigen  ad)tjeiligen  ©trovbe,  roo  acht  unb  fiebert  iambifd)e 
feilen  mit  einanber  roecbfeln;  in  ber  jmeiten  unb  britten  maltet  rbvthmifcher  SBecbfel  auf  finnige  SBeife  vor; 
bie  vierte  bewegt  fid)  ganj  im  breitbeiligcn  Safte ;  biefen  brei  legten  liegt  bie  vierjeilig=ad)tft)lbigc  ©tropfe  be3 
SSolfSliebeö  ju  ©runbe,  bie  nur  bei  ber  jweiten  unb  britten  verbovvelt  ift  ©3  geboren  biefer  3eit  ferner 
iwei  Sieber  auf  Simeons  Sobgefang :  ,,Wlit  gtieb'  unb  greub'  id)  fafjr'  baf)in,"  unb  „3n  griebe  bein,  o 
#errc  mein"  mit  tfjrert  Sßeifen;  unb  eben  fo  jwei  auf  3acbaria3  Sobgefang:  ,,©ebcnebeit  fco  ©ott  bei- 
den-, "  unb  ,,©elobet  fen  ber  £crr,  ber  ©ott  ic."  3n  allen  biefen  SBeifen,  bie  iftre  Sieber  inSgefammt 
überflügeln,  waltet  ein  fräftiger  ©cbwung  neben  ernfter  §eier;  bie  greubigfett,  über  bie  ein  befchränfter 
©inn  gegen  bae>  @nbe  be§  SahrfmnbertS,  boeb  nur  hin  unb  wieber,  murrte,  möchte  eher  in  ben  alteren,  in 
bie  evangelifcbe  .Kirche  l)erübergebrad)ten  ©ingweifen  jit  ftnben  fepn,  oIS  in  biefen  au§  ihm  hervorgegangen 
nen,  obgleid),  im  redeten  ©inne,  fte  in  itjrtert  allen  vorwaltet.  (Sin  büfteres>  ©evräge  wirb  man  vielleicht 
in  einigen  spfalmliebern  ftnben,  bod)  wanbelt  bie  @igenthümlid)feit  ber  pforpgtfchen  Sonart,  fraft  beren  fte 
bem  ^onifdien  fo  nahe  ftefjt,  biefeS  allejeit  wieber  um  in  feierlichen  (Srnff  unb  in  (§rl)abenl)eit ;  fo  werben 
bem  unbefangenen  ©inne  bie  SJielobieen  ber  Sieber:  ,,Grrbarm'  bich  mein,  o  £erre  ©Ott,"  unb  „2fu3  tiefer 
-}?otb  fchvet  id)  ju  bir"  erfcheinen,  bie  über  ben  ölften  unb  130ften  *Pfalm  gebietet  ft'nb.  ©chon  früher, 
bei  näherer  Betrachtung  bcS  2Balterfd)cn  ©efangbucbeS,  bemerften  wir,  bafü  fein  ^afftonglieb  in  ihm  ent= 
halten  fev,  affo  auch  feine  SSJMobie  eineS  folcben.  'Um  ©ebluffe  be§  3abjhunberte>,  bei  äufammenftellung 
ber  mandjerlei  Quellen  be§  jUrcbengefangeS,  bie  wir  fo  eben  befvrachen,  ftnben  wir  freilich  mehre  Sieber 
biefer  äxt.  Pehmen  wir  aber  bie  ©ingweifen  ber  Sieber:  „£)  Samm  ©otte§  unfchulbig"  unb  ,,(5briffe  bu 
Samm  ©otteö"  au§,  bie  erff  nach  ber  jtirchenverbefferung  entfranben  ft'nb;  bie  ber  Sieber:  ,,£>ilf  ©Ott, 
ba§  mir  gelinge,"  unb 

£)  Sefu  ßhrifi,  bein  Slam'  ber  ift 

fo  gwaltiglich,  bafür  aud)  fid) 

ein  jeglid)  Änte  mufj  beugen, 
welche  für  älter  ju  halten  feine  S3eran(affung  vorhanben  ift;  fo  möchte  feine  9Jlelobic  ju  finben  fepn,  bie  ju 
einem  ^)afft'onöliebe  erfl  in  biefem  äeitraume  entjfanben  wäre.    Die  aüerbingö  fbfrltchen  ©ingweifen  „£>a 
3efus  an  bem  Äreu^e  ftunb,"  ,,(Shriflu§  ber  un§  feiig  macht,"  „£>  wir  armen  ©ünber"  ft'nb  hier  nicht  ju 


")  Die  erfte  1525  (3B.  Aöp()(6  Aird^enamt,  l.)5  bie  gweite  unb  beitte  1569  (granffurttjer  ©efangbuch);  bie 
sierte  am  6nbe  bce  3at>rf)unbert6.    ©.  bie  SSeifpielc  9lro.  50.  95.  93.  94. 


  337   


nennen ;  fte  waren  febon  in  ber  alten  .Strebe  üblieb,  bie  leiste  geborte  urfprünglicb  bem  Subasltebe.  'tfueb 
Dürfen  mir  jene  juerft  genannten  Steter  faum  bier  in  33etracbtung  jieben;  fte  waren  nicbtetgcntlicbe^Pafftons^, 
fonbem  SDiejj  lieb  er,  nad)  bem  tfusbruefe  jener  3eit,  fte  nabmen  bie  ©teile  ein,  bie  bas  Agnus  Dei  in 
Dem  alten  ©otteäbienfte  behauptet  hatte  3  bie  ©emeine  fang  biefelben  jefct  nacb  bem  Empfange  bes  ^eiligen 
'^bcnbmabß.  Sie  Sßeife  bes  Siebes:  „4?ilf  ©Ott,  bajj  mir  gelinge"  eignete  wol)l  urfprünglicb  einem 
SolBliebe.  33etrad;ten  mir  überbauet  tic  bamalS  gebräucblid)en  $>affionslteber,  fte  mit  benen  ber  fpate- 
ren  3eit  oergletcbenb,  fo  meieben  fte  in  tfuffaffung  unb  Sinn  bebeutenb  »on  ibnen  ab.  Sie  SDlcbrgabl 
oon  ibnen  ftnb  einfad)  erjäblenbe,  ben  ^jü)<üt  bes"  ßrjäblten  mit  wenigen  SBorten  an  bas  £erj  legenbe; 
bejiimmt,  im  ©emeinegefange  bie  Stelle  ber,  in  ber  alten  Ätrd)e  oon  ben  ^riejicrn  unb  bem  ©ängerdjorc 
auf  eigentbümlicbe ,  barjieUcnbe  SSetfe  vorgetragenen  Sctbensgefcbicbte  ju  »ertreten.  Sabin  geboren  bie 
Sieber:  „£)  ÜKenfcb  bewein'  bein'  ©ünbc  groß  —  £ilf  ©Ott  bafj  mir  gelinge  —  £)  ©ott  53arer  in  @wig= 
fett  —  Sa  ber  #crr  @b"it  5"  Sifcbc  faß  —  ©ott  bem  SSater  Sob  unb  bem  ©obn  —  ßbrijius  ber  uns 
feiig  maebt  —  £>  Sefu  ßbrift  bein  9iam'  ber  iji  tc."  83on  biefen  baben  bie  SJlebrjabl  feine  eigenen  ©ing-- 
wetfen.  @3  ftnb  bem  erjien,  bem  britten,  werten,  fünften,  bie  SDielobieen  bes  119ten  Claims :  ftnb 
boeb  feiig  alle  bie,"  ber  Sieber:  Safer  unfer  im  ^immelreid) ;  .Kommt  l;er  ju  mir,  fpriebt  ©ottes  ©obn; 
(ibrifte  ber  bu  biji  Sag  unb  Siebt,  angeeignet,  Söetfen  alfo  »on  urfprünglid)  anberer  33cjtimmung.  SSon 
bem  britten  unb  ftebenten  iji  fd)on  juüor  gerebet;  bie  ©ingweife  be§  fed)jien,  allerbings'  eine  urfprüngtiebe 
9)afftonsmelobie  älterer  Seit  —  bem  Siebe  Palris  sapienlia  eignenb  —  erbält  burd)  bie  pbrpgifd)c 
Sonart  jene§  eigentbümlicbe  ©epräge,  beffen  mir  gebadeten,  woburd)  bie  Süjterbeit  ausgefcbloffen  mirb; 
erji  bureb  melobifcbc  Umbilbung  unb  mtjwcrjianbene  b^rmonifebe  S3et)anblung  t;at  fte  in  neuer  3eit  jene 
garbung  ber  Srauer  unb  .Klage  erl;alten,  bie  ibu  urfprünglicb  nidjt  eignet.  tfnbere  Sieber  com  Setben 
ßbrifti  bebanbeln  einen  beftimmten,  bebeutfamen  ^ugenblicf  beffelben.  ©0  l;aben  jene  betten :  „Sa  %t)\x$ 
an  bem  Äreuje  ftunb,"  unb  „Sa  Stfus"  ßbriji  gefreujigt  mar"  bie  fiebert  SBorte  be§  £erm  am  üreujc 
}um  ©egenftanbe;  fte  geben  einfacb  beren  Snbalt,  unb  fd)liepen  mit  ber  2(ufforberung,  ihn  mol)l  ju  erwä= 
gen,  unb  mit  bem  ©ebet,  bafj  biefe  SSetracbtung  gefegnet  fepn  möge.  3&«  Pbftlidbe  alte,  beiben  gemein* 
fame  SBctfe,  nid}t,  mie  man  roobl  irrig  behauptet,  urfprünglicb  bie  eines  mcltlicben,  fonbem  gewijjltcb 
eines  getfilid)en  Siebes,  eben  »on  btefer  23eftimmung,  ift  pbrpgifcber  Sonart,  gleicben,  meüeid)t  noeb  ernjier 
erhabenen  ©eprägeS,  als  bie  jule^t  ermähnte,  mit  ber  fte  örtlich  gleicbes  <Scbtcffal  gehabt  bat.  Sa3  Sieb: 
„Saßbriji  fein' jünger  gefpeift"  banbelt  t>omgujjwafd)en  berSünger;  es  berichtet  ben  Vorgang,  bie  Sieben 
bes  Jperm  unb  bes  Petrus,  unb  forbert  bann  auf,  bem  SSeifpiele  be$  (Srlbfers  nachzugeben ;  gelungen  foll 
es  roerben  nad)  ber  fdjon  genannten  Sßeife:  ,,^>ilf  ©Ott,  bafj  mir  gelinge."  Sas  Sieb  :  „Sie  ^»ropbeten 
ban  propbejeit"  rebet  in  wenigen  ©tropben  oon  ben  SSerbeipungen  ber  alten  ©eber  über  ßbrifli  üerfölmen= 
bes  £?pfer,  betraebtet  baä  t)ß^xie^cxü6)e  Zmt  bes  ßrlöfers  im  ©inne  bes  £cbräerbriefes,  jumabl  jener 
Sßorte  „dbriftuö  iji  bureb  fein  eigen  Blut  einmabl  eingegangen  in  bas  ^eilige,  unb  bat  eine  ewige  drlö- 
fung  gefunben,"  unb  ftytieft  bann  mit  ©ebet  unb  @rtnal)nung  gleich  bem  oorigen.  Sine  eigene  ©ingmeife 
hateänid)t;  einige  ©efangbüd}er  beftimmen  ibm  bie  SQSetfe  „ßbrijie  ber  bu  b iji  Sag  unb  Sicht,"  anbete 
bie  bes  alten  £r;mnu$ :  Vexilla  Regis  prodeunt.  Sa§  Sieb :  „£)  SKenfcb,  betract)t'  wie  bieb  bein  ©Ott 
aus  ber  9Kaapen  geliebet  bat"  lärjt  ©ebet  unb  (Ermahnung  in  ernjiem  Zone  über  bie  (Srjäblung  oorwalten; 
in  biefem  ©inne  wirb  ba§  Seiben  bes  £erm,  nid)t  im  (Sinjelnen,  fonbem  im  Qfllgemeinen,  in  Erinnerung 
gebraebt.   Sie  9Jlelobie:  „Erbatf  unä  |)err  bei  beinern  SSSort"  iji  für  baffelbe  oorgefcblagen.    Saö  Sieb 

».  ÜBintttfelb,  *tt  tocingtt.  ßboratgifang.  43 


  338  


enblid)  von  .Iperrmann  S3onnu§  „£)  wir  armen  ©ünber,"  nach  ber  SBeife  be§  SubaSliebeS  ju  fingen, 
erwägt  ba§  Dvfer  @hrtjh'  als  Quelle  beS  £eile3,  al§  Urfach  beS  £)anfe$,  unb  biefeS  ©evräge  trägt  auch, 
ferne  tvcfiicbc,  mixolpbtfd^e,  alte  ©ingweife;  baS  .Kvrie,  <5t)rtfter  Änrie  eleifon  fctjlte^tt  Sieb  wie  Sßeife  als 
bemüthigeS  ©ebet.  SencS  fromme  Vertiefen  in  ben  Abgrunb  beS  ßeibenä  unfereS  .£>errn,  jene  3lnbad)ten 
ju  feinen  SBunbcn,  wie  fte  in  fvätcren  9)afftons>licbem  erfcheinen,  fannte  jene  3eit  nid^t,  ein,  biefer  ©innes- 
unb  ©efüblSweife  gemäss  ©evräge,  baS  bie  3)affton$melobieen  vor  anbera  auSgejeidmet  hätte,  fonnte  in 
ihr  nid)t  entfielen.  «Sie  nahm  jwei  ©ingweifen  ju  Siebern  von  bem  Seiben  beS  Spmn,  bie  wir  bereits 
genannt,  auS  ber  älteren  .Kirche  herüber,  allein  beren  eigentümlich.  SBejeidmenbeS  war  anberer  Art,  wie 
wir  e§  anjubeuten  verfugten.  9teue$  f)at  fie  an  SJielobieen  foldjer  JBejtimmung  nicht  gefchaffen,  aber 
fte  t>at  in  barmontfci)er  Entfaltung  baS  auS  ber  SSorjeit  (Entlehnte,  gleich  bem  in  anberer  Stiftung  von  ib,r 
©efd)affenen,  feiner  tiefjten  33cbeutung  nad)  gefünbet;  auf  fold)e  2lrt  l)at  fie  jene  beiben  ©ingweifen  belebt, 
unb  in  biefem  ©inne  war  fte  aud)  fjtev  fchopferifd). 

25iefe  allgemeinen  Anbeutungen,  beren  weitere  Ausführung  bem  Solgenben  vorbehalten  bleiben 
mufj,  mögen  bjer  genügen.  2)en  ÄreiS,  ben  unfere  Aufgabe  an  biefem  Site  unS  vorjeidmete,  l>aben  wir 
burd)tneffen,  unb  gehen  ber  Sbfung  einer  neuen  entgegen,  bie  unS  allgemach  aud)  bahtn  führen  wirb. 


SSiettet  mfdmitt. 

Sie  <©e§cv  früherer  geiftltcfyer  Siebwetfen  um  bie  jwette  J^älfte  beS  16ten  ^afyrijunberte. 

£)aS  SBejeidmenbe  beS  Sonfa^eS  geijtlicher  Siebweifen  um  bie  erjie  ^älfte  beS  16ten  3<ihrf)un= 
bertS  war  bie  runftlid)e  ©timmenverwebung,  welche  Anfangs  bie  in  ber  Senorftimme  erfdjeinenbe  £ird)en= 
melobie  umgab,  im  Sortgange  ber  3eit  aber,  je  länger  je  mehr,  von  ü)r  in  ber  fybdjjten  ©timme  befjerrfcht 
würbe.  SSlit  biefem  Übergange  ber  Gelobte  bahin,  wo  fte  in  ben  fjellften  unb  flangreidjjten  SSönen  am 
meiften  ftd)  geltenb  machen  fonnte,  bahnte  ftd)  allgemad)  eine  neue  Art  beS  SonfaljeS  an,  burd)  ben  fväter 
jener  ältere,  funfrreid)e,  erft  feine  redete  33ebeutung  gewann.  @S  war  ber  einfache,  auf  l)armonifd)e  (Snt? 
faltung  ber  ©ingweife  gerichtete,  unb  wir  fallen,  wie  berfelbe  burd)  baS  auS  ber  §3orliebe  ju  bem  f lafftfetjen 
Alterthum  gewedte  SSeftreben,  bie  Sftaafje  gried)ifchcr  unb  rbmifdjer  Siebter  in  einfad)  mel)rfiimmigen  %on- 
fäljen  barjuftellen,  vorbereitet  würbe.  2Bir  fnüvfen  nunmehr  unfere  Sarftellung  ba  wieber  an,  wo  wir 
von  ben  Sonfe^ern  ber  erften  Jpälfte  beS  3af)rhunbertS  fd)ieben;  unb  wenn  wir  b,  offen  btirfen,  bie  irrten 
gemeinfame  tunjtlerifche  Siichtung  einigermaafen  jur  Anfd)auung  gebracht  ju  haben,  werben  wir  fürjere 
3eit  nur  bei  jenen  fväteren  SKeijtern  verweilen  bürfen,  bie,  wenn  aud)  fonft  auSgcjeichnete  Äünftler,  bod)  auf 
bem  ©ebiete  fird)lid)en  SiebergefangeS  jene  3ftd)tung  nur  weiter  verfolgten,  ober  im  Gnnjclnen  weiter  auS* 
geftalteten.  2Bo  wir  einen  Äeim  neuer,  frifdjer  ßntwidlung  ftnben,  werben  wir  ihm  aufmerffam  nachju- 
gehen  haben,  fo  unfdjeinbar  er  auch  f«9  in  feinen  Anfängen,  bis  bahin,  wo  man  mit  SSewuptfepn,  neben 
bem  »Üben,  auch  mit  2öorten  ausbricht,  baf  man  ein  9tcue§  wolle. 

^ie  2onfe^er  am  Ghurfmitlid)  ©äd)ftfchen  ^)ofe  ju  Dreöben,  Sofjann  SBalterö  Amtsnachfolger, 
gingen  meift  auf  bem  2ßege  fort,  ben  biefer  geebnet  hatte.  fgftattl)ta$  le  Mai  fite,  Stomlänber 
von  ©eburt,  in  Italien  unter  bem  tarnen  Maestro  Matteo  Fiammingo  hochgefd)ä^t,  bem  SEitel  eineS  feiner 


  339   


SGBerfe  $ufolge  fogar  Gapellmeiflcr  am  £>ome  ju  SSJIailanb  (1552),  mürbe  burd)  ben  ßburfürften  Ttugufi, 
nad)  Unteren  fcbon  burd)  beffen  Vorgänger  SÖRoriö,  an  2Balter3  ©teile  jum  ©ängermeifter  nad)  Bresben 
berufen.  2Bir  beft^en  SBerfc  »on  ibm  auS  ben  %ai>nn  1552,  57,  63,  66,  73,  74,  77;  allein  nur  eines 
oon  i()nen  tann  fjter  in  33errad)t  fommen,  feine  burd)  3obann  ©djmartel  ju  SBittenberg  1566  gebrudten : 
,,©eiftücbe  unb  25eltlid)e  Seutfdje  ©efang,  mit  vier  unb  fünf  Stimmen  fünjtlid)  gefegt  unb  genta d)t." 
(§3  ift  feinem  ©önner  unb  £>ienfiberrn,  bem  ßfmrfürfjenTtuguji  gemibmet,  unb  beutet  fd)on  burd)  feine  2luf= 
fd)rift  an,  meld)e  @efe£te3unb©emad)te3  unterfd)eibet,  bafj  ber  9Jteifier  nid)t  ©efjer  allein,  fonbern 
aud)  ©dnger  gemefen,  fo  wie,  baf?  man  funftreid)  üerf!od)tene  ©dfce  »on  ibm  ju  ermarten  b,abe.  2BaS 
er  nun  aud)  als  ©dnger  gefebaffen  tjat,  fo  meit  eS  bem  geiftlid)en  2iebergefange  angehört  —  eine  merftim* 
mige  SDßelobie  $u  ©elneccerS  Siebe  ,,^)ilf  ^)err,  mein  ©Ott,  in  biefer  Nott),"  unb  eine  eben  fo  bebanbelte 
SBeife  beS  SiebeS  „£err  Sefu  6f)rift,  mabr'  SKenfd)  unb  ©ort"  nad)  vierteiliger  2lbtbeilung  —  barf  unS 
hier  nid)t  befd)dftigen,  ba  eS  niemals  in  fird)lid)en  ©ebraud)  gekommen  ift.  2113  <5e£er  bebanbelt  er  manche 
SQlelobie,  bie,  roenn  aud)  fd)on  »orbanben,  bod)  bei  SBalter  nid)t  angetroffen  mirb;  fo  bie  beS  ßiebeS 
,,2fllein  ju  birJperr3efu  (Sbrift  tc."  (9fro.  21),  bie  fydtereSBeife  oon  SutberS:  ,,9cun  freut  eud)  lieben  @f)ri= 
ftengmein"  (3lro.  22),  bie  beS  $t)mnuS:  „Gjbrifte  ber  bu  b ift  Sag  unb  ßiebt"  u.  f.  m.;  allein  meift 
motettenbaft,  bie  melobifcben  SBenbungen  ber  einzelnen  Seilen  befonberen  2luSful)rungen  ju  ©runbe  legenb, 
unb  biefe  burd)  3mifd)cnbarmonieen  verfettenb,  fo  bafj  bie  ©runbmelobie  nirgenb  als  fefter  ©efang,  unjer= 
trennt  unb  jufammenbdngenb,  erfebeint.  hierin  gebt  er,  baS  (Sinjelne  fortbilbenb,  roeiter  fcbon  als  2Bal= 
ter,  ber  mit  2CuSfübrungen  foleber  'tfrt,  menn  aud)  nid)t  von  gteid)er  SSreite,  bod)  nur  ben  feften  ©efang 
ber  ^auptftimme  umgiebt.  tfbnlid)  verbdlt  eS  ftd)  mit  feinem  2lmtSgenoffen  unb  fvdterem  Sftacbfolger, 
Antonio  (Scancelli,  von  bem  mir,  ba  er  aud)  ©dnger  fird)lid)  anerfannter  SBeifen  mar,  unter 
tiefen  auSfübrlid)er  berid)ten  merben.  2lnbem^)ofe  beS  £anbgrafen  von  Reffen  tritt  3  a  CO  6  Wteilattb 
mitttuS^eicbnung  auf  5  man  rübmt  ibm  mobl  ein  mebrftimmig  gefefjteS  geiftlicbeS  ßieberbud)  nad).  2)ie2luS= 
arbeitung  eines  foteben  tyA  aEerbingS  in  feiner  2lbftd)t  gelegen,  fie  ift  jebod)  nie  jur  SSollenbung  gebieben. 
Dennod)  veranlaßt  unS  bie  grofje  S3erebrung,  bie  er  bei  feinen  SUtitlebenben  genof?,  fein  unleugbarer  Ghnflufs 
auf  bie  geiftlid)en  ©dnger  unter  ibnen,  ju  etwas  längerem  SSermeilen  bei  i()m.  ©eboren  vor  ber  SDiitte  beS 
3abrbunbertS  —  mir  bürfen  baS  3abr  1542  annebmen,  benn  unter  einem  1575  im  4?oljfd)mtt  von  ibm 
erfd)ienenen  SSilbe  mirb  er  ein  2)reiunbbrei^igjäl)riger  genannt  —  nad)  ©inigen  ju  ©enftenberg  in  ber  Ober* 
lauftfc,  nad)  2tnberen  in  SKeiffen,  mit  einer  fd)önen  ©ingftimme  begabt,  fam  er  in  jartem  Hilter  aB  ©ing= 
fnabe  in  bie  2)re§bner  ^)ofcapelle,  unb  mag  bort  mobl  nod)  ben  Unterrid)t  beS  greifen  SBalter  genoffen 
haben.  3n  ben  ftebjiger  3abren  beö  S<Jf)rbunt>crt5  *)  ftnfcen  mir  ibn  im  Sienfte  beö  SERarfgrafen  ©eorg 
^riebrid)  oon  3lnf»ad} ;  biefer  entlief?  ibn  nid)t  lange  naebb«  auf  fein  Sitten,  feinem  eigenen  2lu3brude 
jufolge,  „ebrlid)  unb  gnabig"**)  au§  feiner  ^ofcacelle,  unb  nun  begab  er  ftd)  nad)  Jranffurtb  am  SSKain. 
^)ier,  mie  er  fagt,  mollte  er  bie  Äräfte  feineä  ©eiftel  ber  alten  ©emobnbeit  beS  Sonfa^eä  mieber  mibmen, 
morauä  mir  fd)lief  en  bürften,  er  fep  am  ^)ofe  feineg  legten  ©önnerä  nid)t  als  febaffenber  SEonfunftler,  fon= 


")  ©.  bie  3ufd)rift  fu'ner  selectae  cantinnes  5  et  6  voc.  Norib.  1572  an  ben  Gburfürften  Mugurt  oon 
Saufen. 

")  dementer  et  honeste.  ©.  bie  3ufd)rift  feinet  sacrae  qaaedam  caotiones  latioae  et  germanicae  5  et  4 
voc.    Fraocof.  ad  Moeoum  1575.  an  ben  Sanbgrafen  3Bili)elm  oon  Reffen. 

43* 


  340   

fern  dS  ©ängcr  angejtellt  gewefen.  3n  granffurtb  ermunterte  ihn  .gjieronnmuS  ©lauburger,  ^atricier 
cafeibft  unb  SJoctoi  Betbec  Sickte,  ben  beutfeben  ^falter  ßutl)er§  —  üielleicbt  ba§  erjt  fürjlid)  bort  bei 
Jobann  Sßolf  (15G9)  erfebienene  geijllicfye  ©efangbud)  —  burd)  feine  £onfä|e  ju  fcbmücfen.  ©ern  unter= 
nahm  er  biefeö  SBerf,  hatte  auch,  febon  mehre  ^falmen  gefegt,  als  jener  fein  befter  ©bnner  burch  einen  ülbfc; 
lieben  S£ob  babingerafft  würbe,  dx  felber  fiel  in  fcfyroereS  ©iecbtbum,  fein  anbertljalbjäljrigeS  Äranfenla= 
gei  brachte  bog  begonnene  SBerf  in  ©tod'ung,  fein  SBoblfranb,  feine  £ofmmgen  auf  bie  Sufunft  jerrannen 
auf  betrübte  SBeife.  ©o  oft  ihm  nur  öergbnnt  war  aufjuatbmen ,  befestigte  ib,n  ber  ©afj  oon  Motetten; 
er  ooUcnbete  beren  33,  19  latetntfdje,  14  beutfebe  ju  fünf  unb  wer  Stimmen,  unb  roibmete  fie  bem  2anb= 
grafen  SBtlbclm  von  Reffen  (1575).  *)  SStelleicbt  biefe  Sueignung,  ohne  3wetfel  fein  allgemein  begrünbeter 
JRuf,  brachten  ihn  an  ben  £of  jencö  ©bnnerS.  ©ebon  bamal§  rühmte  man  ifym  nach,,  er  unb  £>rlanbuö 
ÜaffuS  hatten  bie  Sonfunfi  auf  bie  bbcbftc  ©rufe  gebracht,  Bon  Seutfcblanb,  Stalten,  granfreidb,  (Snglanb 
fclbft,  werte  feine  unuerglcicbltd)e  Äunjl  »erfünbigt  unb  gepriefen;  Q)aul  SJMiffuS  ftanb  nicht  an  ju  »er= 
fiebern,  märe  DrlanbuS  ßaffuS  hingefchieben  ju  ben  @l)bren  ber  (Enget,  fo  mürbe  man  glauben  müffen, 
biefer  habe  ben  SDicilanb,  ben  ihm  fo  gleichenben,  al§  ©rben  feiner  Äunft  bintcrlaffen.  Sie  wenigen  ©ä£c 
über  fircbjicbe  Söeifen,  welche  ba3  jule^t  erwähnte  SBerf  enthält  —  SSrümmer  uielleicbt  be§  utwollenbet 
gebliebenen  geiftlichen  9Jiclobieenbucbe§  —  finb  freilich,  nicht  geeignet,  fo  bof)e  ßobfprüche  ju  rechtfertigen**). 
Unter  acht  ©äf^cn  über  Ätrchenlteber  hat  nur  beren  einer  bie  SSJMobie  in  ber  Sberftimme,  mere  thcilen  fte 
bem  Senor  ju,  bie  übrigen  brei  bem  5weiten  SMSfcmt,  ber,  feiten  über  bie  anberen  binauSfcbreitenb,  unb  fte 
fenntltch  beroorbebenb,  metfl  nur  als?  SSftittelfttmme  erfebeint.  Ser  motettenbaftc  ©a(j  ber  SKeijter  aus>  ber 
eilten  4?älftc  oeö  SabrbunbertS  tritt  etwas  jurücf,  unb  mit  ihm  bie  tunftoolle,  bebeutfame  ©lieberung, 
Dagegen  wirb  Sülle,  bracht,  ttrd)ltd)e  gcierlicbfeit  ber  Harmonie  ftcfytlicb  erftrebt.  Siefe  erfd^eint  jeboch 
nicht  immer  rein,  bie  #ärte  »erbedter,  verbotener  gortfcfyreitungen  wirb  oft  uerlejjenb  emüfunben.  ©in 
anbereä  2Berf  SÖZetlanbS,  eine  ©ammlung  teutfeber  weltlid)er  ©efänge  —  breijehn  ju  wer,  fünf  ju  fünf 
©timmen  —  gab  in  bemfelben  Sabre  (1575),  unter  SSorwiffen  be§  SKeijkrS,  ber  S5ud)brucrer  ©eorg  Stab 
$u  granffurtl)  am  5ERain  bcraus>,  ein  Söerf,  ba6  burch  bie  9ccubeit  ber  SSehanblung  S5eifall  gewann,  unb 
auf  ben  %m\<x\\  fircfylicber  SBeifen  mittelbar  nicht  ohne  ©inwirfung  blieb.  2Bir  ftnbcn  hier  mehre  ältere 
beutfebe  Steter,  bie  wir  burch  ©eorg  gorftcr  fennen,  ober  aus>  anberen  gleichzeitigen  Sammlungen ;  nirgenb 
aber  begegnet  unS  bie  urfprüngltcbe  SDZelobie  auch  nur  eineö  biefer  ©efänge.  einen  jeben  bat  9Keilanb  neu 
betont,  boeb  nicht  in  ber  2£rt,  bap  er  in  einer  eigenthümlid)  au6geftalteten  SUlelobie  ein  3lbbilb,  ein  ©egen= 
bilb  beö  ©ebidbteS  gegeben  hätte,  ©eine  S3el)anblung  ift  burchweg  rb,i)thmifch=beclamatorifch,  etwa  ben 
um  feine  3eit  beliebten  muftfalifch=l)armonifchen  5Jcad)bilbungen  antüer  SKaape  %w  oergleichen,  nur  baß  hier 
nicht  ber  Siebter  eö  war,  beffen  gegebenem  3?fwtl)mu3  ber  ©änger  nachging,  fonbem  biefer,  ber  ben, 
annäljernb  freilich,,  »on  il>m  felber  erfunbenen  auf  ba§  ©ebid)t  übertrug***).  Tille  biefe  ©äfce  waren, 
nach  ber  S3erftd)erung  beö  ^>erau§geber§,  bereits  längere  3eit  »or  beren  Öffentlicbwerben  entjianben,  aud) 
,,bin  unb  wieber  in  ehrlichen  9Jcal)hjCiten  unb  3edben  »ielmalö  »robirt  unb  gefungen;"  man  batte  fte  mit 
SJeifall  aufgenommen  unb  nachgeahmt,  unb  il)re  (Sinwirfung  fnüüft  ftcb  baber  nicht  juerft  an  ba§  %ai)x 

')  Q6  finb  bie  in  ber  oorangcljcnben  2tnmertung  crroätynten,  bei  ©eorg  5»ab  unb  ©icgmunb  geterabenb  1575  ju 
^rantfurtl)  q.  SO?,  gebruetten. 

")   ©.  SRro.  43  ein  SBcifpiel  eine«  biefer  <S%. 
"•)    <S.  bai  Scifpiet  SRro.  ii. 


  341   


ibreS  (SrfcbeinenS.  Seutlid)  wahrnehmbar  ift  ue  aber  am  frübeften  an  Den  SHelobieen  Des  Soacbim  von 
35urgf,  fpärcr  Denen  Sobann  SteurleinS,  tie  wir  unter  Den  fircblicben  (Sängern  DiefeS  3eitraumS  in  ber 
golgc  werben  fennen  lernen;  fte  oerfcbmiljt  bcrr  jugleicb  tem  ©nfluffe  ber  melfchen  SSiÜanellen,  unb  es 
wirb  eine  (Seßweife  DaDurcb  cr$eugr,  auS  ber,  fo  wenig  fte  in  ihren  Anfangen  alS  eine  erfreuliche  erfcheinen 
mag,  fo  wenig  ihr  tbeilweifeS  SSorbilD  bei  SRcilanD,  wahren  ÜKeloDicen  gegenüber,  unS  anmutbenD  fenn 
fann,  bod)  bie  ächte,  tjarmonifebe  Entfaltung  )ule$  ftd>  bercorgebilbet  hat.  2Cuf  SDScilanbS  näd)fte  Umge= 
bung  febeint  übrigens  feine  befonbere  Se^weife  nidjt  unmittelbar  eingewirkt  ju  baben.  ©eorg  £>tto, 
gürftlicb  .öerfifeber  ßapcUmeifter  511  Gaffel,  fein  tfmtSgenoffe  unb  oielleicbt  Reifer  juerfi,  fpäter  fein  9cacb= 
feiger,  gab  1588  eine  Sieibe  »on  Sonfäßen  über  geiftlicbe  SJIclctieen  b«au§,  welcbe,  turchweg  motetten= 
baft,  mehr  an  bie  genannten  Sonfünftler  in  Sacbfen,  alS  an  SJieilant  erinnern. 

Sie  dantoren  an  ber  Schule  gu  SJiagbeburg ,  von  benen  wir  in  tem  oerangebenten  Zeiträume 
bereite  bem  SKartin  2fgricola  begegneten ,  jeigen  bei  großen  SSertienften  nur  SSoranteutungen  tes  fpäter 
erftEnrnncfelten.  Öalluö  ^  teilet,  iftacb  folger  2Igricola"S  in  Demßanterat,  giebt  in  feinen  uml575 
unb  1580  ,u  Dürnberg  erfebienenen  „auSerlefenen  teurfeben  Siebern  ju  sier  unb  fünf  (Stimmen"  meift  nur 
nach  SDZetettenart  bebanbelte  ffiibelfprücbe  in  furjen  (Säfcen,  unb  wenig  SietbafteS,  DaS  aber,  wenn  eS  er= 
febeint,  nur  bem  Serte,  niebt  aber  ber  tonfünftlerifcfjen  Sßebanblung  nacb  auf  tiefen  tarnen  2fnfprucb 
machen  fann;  fo  fein  vierftimmiger  Sonfaß  über  bie  erfie  Sitropbe  teS  SieteS:  ,,.&erc  Sefu  (Ibrifi  wahr' 
SRenfcb  unt©ort''fiftro.23Dafclbft).  UmäSieleS  widriger  tft  £epttl)ar&  Schröter,  Denwirwobl 
Da3  «öaupt  ber  magbeburger  Schule  im  IGten  3^brhunberte  nennen  Dürfen.  @r  war  511  Sorgau  geboren; 
ein  SöeitereS  »on  feinen  Sebensumftänbcn  tft  unS  nid}t  berichtet.  Seine  üier  =  unb  mebrftimmig  behanbelten 
lateinifchen  Äfrcbenhr.mnen  geboren  ju  ben  heften  Sonwerfen  feiner  Seit*).  X>ie  merftimmigen  unter  tiefen 
•Säßen  geigen  Die  90£elotie  ^umeift  in  Der  Cbcrfiimme;  fo  bie  Jptjmnen:  Veni  creator  spiritus ;  0  lux 
beata  trinitas;  A  solis  ortus  cardine  etc.:  feltener  gefebiebt  DiefeS  bei  Den  mebrftimmigen,  ebgleicb  es 
auch  Dort  rorfommt,  roie  bei  Dem  «önmnus :  Vita  sanetomm  decus  angelorum.  2fUejeit  ift  fte  ber  rubenbe 
©runDgeDanfe  Des  ©an$en,  Der  fefre  ©efang,  fte  febroebe  nun  über  Den  anberen  «Stimmen,  ober  werDe 
»on  ibnen  umgeben;  felbft  in  ber  ©runbftimme  finDen  mir  fte,  unjerrrennt,  als  Trägerin  Des  gefammten 
SongebäuteS,  wie  in  Dem  feebsftimmigen  Veni  creator**),  roo  Der  Senor,  »orangebent,  bie  5Jcelobie  Des 
4?pmnuS  in  bem  urfprüngltcben  Umfange  teS  ÜJiirolptifcben  ergreift,  ber  ä>a£,  nacbfolgenb,  fte  in  bem 
»erfe^ten,  um  eine  £Utinte  riefer,  boren  Id^t.  (Sin  Sufaß  an  ihrem  Scbluffe  oerbinDert  aber  hier  DaS  Spin-- 
überjieben  DeS  ©anjen  in  tiefen  perfekten  Tonumfang ,  unD  ftellt  für  Daffelbe,  für  Die  ©efammtbeit  Des 
Sufammenf  langes,  Den  urfprünglicben  mieDer  her.  2)aS  »Streben  nacb  Entfaltung  Der  ©runDtonart  briebt 
hier  überall  mächtig  bercor,  Die  Harmonie  ift  reich,  flar,  ooll  roürDigen  CrrnjleS,  ein  gorrfebrirt  auf  ber 
33abn  ber  älteren  Sonmeifter  ift  unleugbar.  üftoeb  enrfebtetener  tritt  baS  S3efrreben,  ejne  neue  S3abn  ju 
breeben,  beroor  in  Schröters  „^eibnacbtSlieblein,''  bie  in  eben  bem  Sabre  (1587)  ju  Jg)eimfldtt  bei  Jacob 
SuciuS  erfebienen ;  ein  SBerf,  bas  bei  nur  geringem  Umfange  bech,  eine  große  fKannichfaltigfeit  Der  gormen 
beS  SaßeS  jeigt.  Einige  tiefer  Steter  ftnt  mehr  oter  minter  einfach  gefegt,  juroeilen  nur  Son  gegen  %on, 
toeb  tient  ibnen  auch  roieberum  eine  freiere  S5eroeglicbfeit  ter  SRittelftimmen  5U  größerem  (Scbmucfe,  ohne  ben 


')  ©ie  erfc^tenen  1587  ju  ©tfutt  bei  ©corj  Saumann 
")   aBcifpiel  9lrc.  40. 


  342   


Anfpruch  auf  fünftlicfye  Ausführung;  fo  erfdjeinen  bte  Sföelobieen:  „greut  eud)  ihr  lieben  Gfjriften  tc.  *); 
gin  Äinbelein  fo  löbelicb  w. ;  "Mein  ©Ott  in  bet  £öh'  fep  ©fnV  2>r  fünfjiimmige  ©afe  über  bie  SBeife: 
,,2obt  ©ort  ihr  Gtyriften  alljugleichK."**)  geftaltet  biefe  Stimmen  ju  einem  brei=,  unb  einem  fünfjiimmigen 
5Bed>feld>ore;  ber  breijtimmige  burcb  bie  h oberen  Stimmen  gebilbete,  geht  »oran,  unb  tragt  bie  SDielobie 
in  ber  höchjren  berfelben,  berüollere,  fünffiimmige,  folgt  nach,  unb  umgiebt  bie,  bem  Senor  jugetb, eilte. 
So  ertönen  im  SBecb, felgefange  je  jroei  unb  jroei  Beilen  beS  öierjeiligen  SiebeS  in  einfacher  Harmonie,  Son 
gegen  SSon,  unb  erft  bie  SBieberholung  ber  ©chlufjjeite  bringt,  wie  in  ben  meiften  biefer  ©äfce,  eine 
runftlidjere  Ausführung.  £)aS2ieb:  „Sofeph/  lieber  Sofeph  mein,"  eine  Umbicfytung  beS  alten,  latei= 
nifd)en:  Resonet  in  laudibus  etc.  ju  einem  SBiegenliebe  (Sfjrifti,  in  baS  einige  Seilen  beS  urfprünglichen 
©efangeS  roieber  eingestreut  finb ,  ftnben  roir  einmal,  unjertrennt,  in  einfachem,  uierftimmigen  ©a^e,  bie 
SDielobie  in  ber  Sberftimme ;  ein  anbereS  9ERaf)l  ftnb  einjelne  ©teilen  feiner  ©ingweife  in  einem  acb.  tjiimmi= 
gen  für  jroei  üierftimmige  SBed)feld)öre,  ber  eine  fyoijer,  ber  anbere  tiefer  ©ttmmen ,  benu^t.  £>er  t)bf>ere 
läfjt  jene  Steile  ber  SJlelobie  in  ber  SDberfrimme  ertönen,  ber  tiefere,  unabhängig  »on  allem  ©egebenen, 
fingt  bajwtfcben:  „©aufe  liebe  9Wnne;  dx  fagt,  baS  jtinb  foll  heifj'n  Immanuel;  9Dlaria  ift  bie  SDßutter 
fein;  ©Ott  ber  SSater  roill  beS  ÄinbeS  SienerS  ßofyner  fepn  ic."  unb  biefe  3wtfd)enfä^e  greift  bann 
balb  ber  obere  ßfjor  auf,  balb  weinen  beibe  fid)  ju  beren  ©efange.  Auch  baS  SSeihnachtStieb :  Ia  dulci 
jubilo  etc.  ftellt  fid)  bar  in  bem  SBechfel  eines  t>of>eren  unb  tieferen  (5f)oreS ,  nur  bafj  biefe  bie  einzelnen 
Seilen  ber  SKetobie  einanber  abnehmen,  nicht  fie  bloS  wieberholen,  unb  bafj  bie  SKetobie  felbft  t)on  ber 
^weiten  ©timme  jeben  @hore§,  —  einer  SÖftttelftimme  alfo  —  geführt  roirb.  SSebeutfame  SBorte,  wie: 
,,unb  leuchtet  tute  bie  ©onne  2c.  Alpha  es  et  0  Sfc.ie  werben  von  beiben,  »ereinten  ßhören  »orgetragen. 

Unter  ben  9Keiftern,  bie  noch  in  ber  legten  Hälfte  beS  SafjrhunbertS  bie  altere  Dichtung  beS  £om 
faljeS  bei  bem  geiftlichen  ßiebe  »erfolgten,  gebührt  ßeonharb  ©chroter  ohne  3weifel  bie  oorjüglichfte  ©teile, 
auch  jeigt  er  fid?  als  ein  ©old)er,  burd)  ben  eine  neue  ©ntwtcflung  biefer  Äunft  angebahnt  roirb.  £)rlan* 
buS  SaffuS,  Sacob  © a 1 1  u S  (4?anbl),  bie  £eroen  ihrer  3eit,  in  beren  SBerfen  roir  roohl  einzelnen, 
^erftreuten,  motettenhaften  Sonfäfcen  über  altere  geiftliche  SKelobieen  auS  ber  Seit  wor  ber  Äirchenoerbeffe-- 
rung  begegnen,  fbnnen  roir  in  biefer  einzelnen  9?ücfftcjbt  ihm  nicht  an  bie  ©eite  ftellen. 

Allein  alle  biefe  9EReifter  arbeiteten,  mehr  ober  minber,  bod)  nur  an  einem  ©chmude  beS  @otteS= 
oienfteS  für  bie  Äunbigen.  Sie  ©chule  freilich,  fofern  ber  Unterricht  im  ©efange,  unb  bie  Übung  in 
bemfelben  an  ben  Äunftwerfen  jener  3ett,  eifrig  in  ihr  gepflegt  rourbe,  roirfte  roohl  baju  mit,  allgemach 
eine  größere  Anjahl  von  SJiitgliebem  ber  ©emeine  ju  itunbigen  heranjubitben :  für  bie  SötehrjabJ  berfelben 
beftanb  jeboch  fein  lebenbigeS  83erhältnif3  jroifdjen  bem  allgemeinen,  unb  bem  Äunfigefange.  Auch  roar 
biefer  in  ben  meiften  gälten,  bei  feiner  bamatigen  33efd)affenheit,  felbft  unter  ben  itunbigen,  bem  £heil; 
nehmer  an  ber  Ausführung  erft  recht  jugänglid),  weniger  bem  $örer;  unb  roie  nun  erft  ben  fo  »iel 


*)  25icfes  Sieb  fanb  ich,  ieboet)  ofjnc  SOcclobic,  guerfl  in  ben  burch  SRictjaet  Cottfjer  ju  93Jagbeburg  1540  gebruet- 
ten  ©ciftlidjen  Cicbern  unb  ^falmcn.  ®g  fjat  bie  ©troptje  be6  93ot€gticbeS :  „entlaubt  ift  uns  ber  2Balbc,"  bafjer  es 
root)l  Anfange  auch  auf  befTcn  OTetcbic  gefungen  reorben  feijn  mag,  roaS  um  fo  roabrfcheinticher  ift,  at6  es  in  bem  er= 
roä'fjnten  fiieberbuche  bem  Siebe:  ,,3d)  ban!  bir  liebet  Jperre"  ooranfteljt,  ba6  auf  biefe  Sötelobie  auSbrücflich  oerraiefen 
wirb.  Die  oon  (Schröter  gefegte  SBeifc  tjabe  ich  frütjer  als  in  beffen  SBeifjnachtSlicbern  nicht  angetroffen.  ©.  bae  SBci-- 
ipiel  9tro.  4t. 

JBcifpiel  9tro.  42. 


  343   


jaf)lreid)eren  Unfunbigen  unter  irmen!  ®afj  tiefet  als  ein  Langel  empfunden  werten  mufjte,  leuchtet  ein, 
unb  Daraus  mufjte  Das  Streben  erroad)fen,  nid)t  nur  ben  einfad)  barmonifdjen  Sonfafc  ber  fünftlicpen 
Stimmenoerflecbtung  oorjujieben,  fonbern  auch,  ber  9J}elobie  ihre  Stelle  burebaue  in  ber  £)berftimme  an= 
juroeifen,  tamit  auch,  ber  Unhmbige  fie  üernepme,  roäfjrenb  fie  juoor,  als  SJiittelftimme ,  ipm  meift  uner= 
fennbar  geblieben  fep.  Saß  aber  babureb  eine  Entfernung  »on  ber  Äunft  nur  feb, einbar  hervorgegangen, 
Daß  fie  vielmehr  ju  höherer  33lütbe  auf  biefem  SBege  gebieten  fep,  bürfen  mir  an  biefer  Stelle  nur  an* 
beuten,  auf  basjenige  bjnroeifenb,  roas  wir  am  Scbluffe  bes  erften  33ucbes  barüber  ausfprachen,  unb 
oon  bem  Sortgange  biefer  DarfteHung  »erbieten. 

Sie  größere  einfach beit  ber  Harmonie  hatte  fcfyon  3>at>  t  b  3*5  o  If  c  nfi  c  t  n  »on  Breslau 
fieb  unbebingt  als  Aufgabe  geftellt;  in  ber  S>orrebe  feiner  ,,$>falmen  für  Äircbenunb  Schulen"  fagt  er  tiefes 
mit  ausbrüdlichen  SBorten.  Der  Aufnahme  ber  Söielobie  in  bie  £berjtimme  gebenft  er  freilich,  nicht  in  glei- 
cher 21rt,  er  bejeugt  inbeß  bureb  bie  Sbat,  baß  tiefe  Stelle  ihr  »orjugsroeife  gebühre.  Sene  $>falmen 
,,auf  bie  gemeine  Söielotepen  fpüabenroeiß  ju  vier  Stimmen  gefegt"  erfchienen  ju  Strasburg  1583,  bei 
3ciclauß  SBpriot.  Sn  feinem  gereimten  SSonvorte  ju  benfelben  fagt  ber  Sonfefcer,  baß,  tute  2Clle$  orbent- 
lich,  ,ierlicb,  einträchtig  in  ©ottes  ©emeine  angeftellt  fepn  folle,  bamit  bie  Unorbnung  nicht  unanbdeptig 
mache : 

,,alfo  )oü  auch  angftellet  fepn 

bas  Äircbengfang  einballig  fein, 

5ßon  fplben  vnb  roort  einerlep 

ba3  es  nicht  fd)etn  ein  vogelgfchrep 

ba  einer  biß  für  fid>  nur  fingt, 

ber  anber  viel  ein  anbers  flingt, 

Sonber  jr  ftimm  jufammen  richten 

SSBte  fie  jr  ber^  in  ©ort  verpflichten  2c." 
dr  bat  bies  auch,  meiji  burebgefübrt,  rcenige  verjterte  Schlußfdlle  aufgenommen,  ober  beibehält 
tene  Splbenbebnungen  ber  von  ihm  gefegten  fiiebroeifen.  Unter  ben  64  Sonfd^en  feinet  SBerfcbenä  fmb 
beren  36,  mehr  als  bie  ^)dlfte,  welche  bie  SJlelobie  in  ber  Sberftimme  jeigen;  in  beren  fiebert  erfebemr  fie 
im  Senor;  bie  übrigen  21  laffen  uns  ungetviß  über  tf>re  Stelle.  Denn  bie  behanbelten  Singmeifen  fd)einen 
nur  örtlich,  übliche  ju  fepn,  unb  es  ldf3t  fiep  nicht  entfeheiben,  ob  fie  bem  Senor,  ob  ber  höcbften  Stimme 
jugetbeilt  finb.  2£ucb  ift  unfer  3roeifel  ohne  anbere  £ülfe  febon  besbalb  nicht  leicht  §u  löfen,  roeil  bas 
Äennjeichen,  an  bem  bie  £auptmelobie  fonft  fid>  uns  funb  geben  mürbe,  ber  regelmäßige  Umfang  ber 
SEonart,  oft  roeber  in  ber  einen,  noch  ber  anberen  Stimme  benoortritt.  Überhaupt,  auch  roo  bie  Sber= 
ftimme  entfd)ieben  bie  b.errfcr;enbe  ift,  erfcheint  in  ihr  bie  9Relobie  nicht  immer  ungefdlfcht,  fie  hat  nicht 
feiten,  jumat)l  bei  ben  ScblußfdUen,  ben  S5ebürfniffen  bes  Sonfafjes  in  ber  .£>anb  eineS  nicht  eben  gemanb= 
tenSetjerS,  mie  SBolfenftein,  fieb  fügen  müffen*).  (5in  e^renmerther,  menn  auch  mangelhafter  §3erfucb, 
ift  biefes  SBerfd)en;  von  ungleich  größerer  SBichtigfeit,  »on  entfepiebener  ßinmirfung,  ift  ein,  brei  3abre 
fpdter  (1586)  ju  Dürnberg  erfcb.ienenel.  <£$  rührt  oon  einem  Spanne  b,er,  beffen  9came  an  einen  Urheber 
—  minbeftens  eine  S3eranlaffung  —  üon  mancherlei  2Birren  in  ter  ecangelifcb,en  Äirchc  erinnert,  unb  ber 


')   ©.  SRro.  49  cm  SSetfpiel  beö  SGäotfenjtetnfc&en  Sonfa^cS. 


feinerfeitS  ein  unermüdlicher  SBarner  war  *>or  ben  Stänfen  t»cr  Sefuiten,  unb  ein  tüftiget  .Kämpfer  für  bie 
Feinheit  beS  lutherifcben  ©laubenS  gegen  9>äpjtifd)e  unb  (Saluinifche,  beten  Reibet  Sefjre  et  in  feinem  Qjifer 
fogar  bem  .Koran  beS  falfcben  Propheten  übereinftimmenb  hielt.  @S  ifi  D.  ßucaS  SDfianber,  SBürtem; 
bergifdjer  £ofprebiger.  Sieben  Safjre  früher,  um  1569,  hatte  et  nebft  feinem  tfmtSgenoffen,  83althafar 
33ibcnbad),  als  SSorrebner  ein  SBerf  eingeleitet,  baS  bamalS  füt  ein  »orjüglicr;  jeitgemäfjeS ,  tteflicb.eS, 
galt,  ein  SBerf ,  baS  fdjon  langete  3eit  juttot  in  bet  gürftlid)  2Bürtcmbergifd)en  Gapelle  ju  Stuttgart  im 
©ebraueb  gewefen,  beffen  öffentliche  Bekanntmachung  uon  gremben  unb  ginf)etmifd)en  btingenb  gewünfebt 
worben  war.  SamalS  erft,  1569,  nad)  bem  Jpinfchetben  feines  Urhebers,  erfd;ien  eS,  bei  Ulrich  9JJorl>art§ 
©ittib  ju  Bübingen  gebtuc!t,  untet  bem  Sitel:  „Set  ganfe  ^faltet  Sam'bS,  wie  betfelbig  in  teutfebe 
©efeng  uerfaffet,  SQitt  »iet  «Stimmen  Funftttct)  tmb  lieblich,  t>on  newem  gefegt  bureb  (&tegntunb 
Semmeln,  feiigen,  gütjtlicbSBittembetgifcljenSapellmeijtet,  begleichen  juttor  inSrucf  nie  autjgangen." 
3n  bet  Sbat  war  biefeS  ^falnrroerf  baS  erfte,  baS,  noch  »or  bem  ßobmafferfchen,  mit  üicrfitmmigen  £on= 
fäfeen  in  Scutfchlanb  erfebien;  bie  3ufammenftellung  cineS  ßollftänbigen  ^PfalterS  auS  ben  bamalS  am  mei- 
ften  gefcbä|ten  <Pfalmltebem  unb  tyxm  SJMobteen,  wie  beibe  im  Verlaufe  bet  etftcn  fünfzig  Sabre  feit  bet 
•ftirchenoerbefferung  entftauben  waten.  Scn  Siebem  nad)  mar  eS  alfo  ein  ©efammtroerf ,  meift  überbeut = 
fcher  Siebtet,  t>on  ,£>anS  Sad)S  bis  herab  auf  SbomaS  SBlaurer;  ben  Sonfdfjen  nad)  gehörte  eS  nur 
einem  Steiftet,  bet  unS  eben  butd)  biefeS  eine  SBerf  allein  befannt  geworben  ift.  SBie  einer  roftlidjen 
©abe  fab,e  man  bamalS  biefem  erften  wollftänbtgen,  beutfehen,  üierjtimmigen  9)falmbucbc  entgegen,  baS 
einem  allgemeinen  33egef)ren  genugthun  werbe;  unb  bod),  wie  balb  I>at  man  eS  üergeffen,  fo,  bafj  ju  2üv 
fange  beS  folgenben  ^abrbunbertS  kaum  ber  üftame  beS  Sonfe^crS  noch,  gefannt  war !  2Btr  haben  bie  Ur^ 
fad>e  biefeS  fcbnellen  VergeffenwerbenS  nicht  eben  in  beS  SfteijfcrS  Unfähigkeit  ober  Ungcfd)icf  ju  fucfyen. 
Gr  beftfjt  im  ©cgenthetl  eine  nambafte  ©ewanbtheit  im  S£onfa|e,  barum  giebt  er  in  ben  wenigen  fallen,  wo 
biefelbe  SDielobie  $u  «erfdji ebenen  Siebern  wieberfehrt,  aueb  ftetS  neue  33ef)anblungen  betfelben.  Sie  SSlaü)-- 
abmungen  in  feinen  begleitenden  Stimmen,  mögen  ft'e  biefelben  nun  auS  bet  Vauptmelobte  febbpfen,  ober 
felbftänbige  SOßotroe  frei  gegen  biefelbe  ausführen,  ftnb  flat,  lebhaft,  felbft  geiftreid);  man  begreift,  wie 
um  bie  Seit ,  wo  biefe  Sonfä^e  entftanben,  innerhalb  ber  legten  SJegicrungSjahrc  £erjogS  Ulrich,  unb  ber 
Jg>evrfdbaft  feines  SobneS,  (5f)vtftopt)  »on  SBürtemberg  —  1548  bis  1568  —  fte  bei  ben  Äunbigcn  gropen 
Jßeifall  gewinnen,  unb  ben  SEBunfd)  nad)  il)rer  Verausgabe  rege  machen  fonnten.  2fllein  eben  fo  erfldrlid) 
ifl  eS,  ba§  ber  Sauber,  ben  fte  eine  SBeile  geübt  hatten,  balb  nad)  il)rer  Verausgabe  wieber  »erfchwanb. 
Senn  weber  ben  Äunbigen,  nod)  bem  SSolfe,  fonnten  ft'e  bauernb  genügen.  Spemmel  tl;cilt  bie  SJJclobic 
feiner  ^)falmlieber  fietS  bem  SSenore  51t,  nur  nier  gälle  ausgenommen,  in  beren  einem  fte  in  ber  ©runb= 
fiimmc,  in  ben  übrigen  bret  in  ber  £>berftimme  erfdbeint.  Scr  gröf^re  %v)til  ber  ©emeine  fonnte  alfo  in 
ben  gälten  vielleicht,  wo  bie  begleitenben  Stimmen,  etnanber  mit  SSejug  auf  bie  4?<uwtwctfe  nachabmenb, 
berfetben  vorangingen,  wohl  ahnen,  auf  welche  9Kelobie  baS  Sieb  gefungen  werbe,  ohne  jeboch  im  Stanbc 
i,u  femi,  ihr  mit  Sicherheit  ju  folgen;  oft  aber  mufjte  felbfl  eine  folche  IHmung  unmöglich  bleiben,  eben 
in  ben  terbältnifjmäfjig  einfacheren  Sä^en  —  ber  kleineren  Hälfte  beS  ©anjen  —  wo  bie  S3cglcitftimmen, 
mit  ber  SJtelobie  ^gleich  eintretenb  unb  fortgehenb,  boeb  ihrem  SfhpthmuS  ftch  nicht  anfchloffen.  Si ef en 
^orern,  bie  nicht  zugleich  'üuSführenbe  fepn  fonnten,  benen  baS  tiefere  eingehen  uerfagt  war,  »erfchwanb 
baher,  nad)  ber  allgemeineren  Verbreitung  biefer  Sd^e,  mit  bem  3Teije  ber  Neuheit,  ber  bnrd)  fcltnereS 
Ünbören,  bei  fejilicben  Veranlaffungen,  unter  feierlicher  Umgebung,  ftd)  erhalten  hatte,  aud)  ber 'ilntheil 


für  fte;  wäbrenb  für  t>ie  Äunbigen  bie  eben  bamals  rafcb  fortfcbreitenbe  Jtunft  Oes  Tonfatjes  jenes  frühere, 
für  feinen  JKubm  leiter  ju  fpdt  erfcbjenene  2Bcrf  fcbnell  überwucbs.  Denn  oon  achter,  barmonifcber  6nt= 
faltung  ift  in  ibm  nicht  bie  Svebe;  ja,  bie  Harmonie  #cmmels  gicbt  einzelnen  50ielobieen  nicht  feiten  einen 
ganj  anberen  Sinn  als  ben,  ihnen  urfprünglicb  beiwolmenbcn.  So  erfdieint  ber  94jie  ty\alm  in  bem  Zon- 
umfange  son  C  unb  c  mit  »orgejeidmeter  fleiner  Septime,  »orausfefclich  alfo  ber  mirolpbifcben  Tonart  in 
ibrer  SBafegung  angebbrenb.  3n  ber  SJtelebie  waltet  aber  jugleicb  bie  f leine  Ter,  überwiegenb  r»or,  ja,  fte 
macht  am  Sdiluffe,  ber  »on  ihr  aus  in  fcbrittweifem  2lbftcigen  ,u  bem  ©runbtone  gebilbct  wirb  (es  d  cj 
auf  bas  ©ntfdn'ebenfre  ficb  geltenb.  Diefe  brei  Scblujnöne  begleitet  nun  Rommel  im  S3affe  burch  bie 
Caave,  grope  Unteiterj  unb  Huinte  (es  b  f)  auf  biefe  2£rt  einen  halben  Schluß  in  F  bilbenb.  Durch  feine 
Harmonie  alfo  erwedt  er  bas  (Gefühl  beS  SJZirolpbifcben  in  einem,  ihm  fonjt  fremben  Tonumfänge,  tjon  f 
mit  fleiner  fiebenter  Stufe  (es).  Der  immer  mehr  erwacbenbe  Sinn  für  einen  inneren,  engen  äufammem 
bang  jmifchen  SSJtetobte  unb  Harmonie,  ber  unfcrem  SDteijier  in  anberen  gällen  jwar  feineswegs  fremb  ift, 
aber  becb,  nur  fern  bei  ihm  aufbämmert,  lief  alfo  im  gortgange  ber  3eit  immer  mehr  ba£  Ungenügenbe 
feiner  Arbeit  empfinbcn,  unb  Derminberte  ben  2Intbeil  für  biefelbe.  Daju  fommt  noch,  bie  Dürftigfeit  ber 
rfyptbmifcfycn  gönnen  feiner  Sftelobieen  felbji,  bie  freilich,  mit  ber  feiner  Sieber  jufammenhdngt.  Über  bie 
Jpälfte  aUer  gehören  jroeierlei  SJtaapen  an:  bem  ftebenjeiligen  bes  Siebes:  „66  ift  bas  Speil  un§  fommen 
her"  unb  bem  jwblfjeiligen  bes  9)falmes :  ,,(is  ft'nb  boch  feiig  alle  bie;"  jene§  fommt  in  fünf  unb  fecbjig, 
biefes  in  brei  unb  ,wan$ig  gallen  uor.  Die  übrigen,  feltener  erfd)einenben  gormen  (fteben  unb  jvoanjig; 
geigen  ficb  theilS  mit  SSftelobieen ,  »on  benen  es  fdjon  bamals  beffere  harmonif che  SSebanblungen  gab,  ober 
mit  Siebern,  bie  allein  ju  ©rganjung  be§  »ollftanbigen  *Pfalter§  aufgenommen,  nicht  geeignet  waren,  ILn-- 
tbeil  ju  gewinnen.  Gnblicb  haben  bie  SJMobieen  felbft  nicht  feiten  ben  2lnforberungen  be§  Sonfafces  fid) 
bequemen  müffen,  vielleicht  aucb  einer  gerben,  ftrengen  Anficht  oon  bem  fircblid)  ©ejiemenben;  wie  benn 
feine  9)ielobie  oorfömmt,  beren  ©runbgeftalt  auf  rbptbmifchem  SSechfel  beruhte,  unb  nur  eine  einjige  — 
bie  bem  ^fairer  bes  S3urcarb  SBalbis  entlehnte  bes"  90ften  ^falms  —  bie  bem  breitheiligen  Safte  angehörte. 
Daneben  ift  biefe  oieUeidjt  bie  einzige,  beren  rhhtbmifcber  S5au  burch  bie  harmonifebe  SSehanblung  wirffam 
hervorgehoben  wirb,  wa3  bei  ben  übrigen,  nach  ber  S5efd)affenbeit  biefer  lebten,  ber  gaCC  nicht  ferm  fann. 
£>b  es  einer  folchen  Strenge  ber  2inftd>t  beijumeffen  ift,  bafj  bie  fejtlicb  freubigeSJlelobie  bes  103ten  *Pfalm3  : 
,,9tun  lob  mein'  Seef  ben  Qmen"  einer  etwaS  trodenen,  aus  ber  borifeben  Tonart  b.at  weichen  müjfen, 
ober  ob  bie  SJerftümmelung  biefes  Siebes  um  feine  neunte  unb  elfte  3eile  bie  Veranlagung  bacon  gewei'en, 
laffen  wir  unentfebieben. 

9hm  müjjte  es  befremben,  wie  nur  wenige  Sahre  nachher  ber  Sobwafferfcbe  ^)falter  einen  fo 
Cauernben  S5eifall,  eine  fo  allgemeine  Verbreitung  b,abe  ftnben  fennen,  beffen  einjelne  Sieber  boeb;  ben  mei= 
ften  bes  ^emmelfchen  nicht  ju  »ergleicben  ftnb,  beffen  fünftlichere  Tonlage  an  gewanbter  35ebanblung  unb 
gjiannicbfaltigfeit  benen  biefes  5Dteifters  unbebingt  nachgeben,  bie  einfacheren  aber  an  gleichen  ©ebredjen 
franfen:  ba§  nämlid)  bie  con  höheren  unb  tieferen  Stimmen  umbaute  SEJielobie  eben  baburd)  oerbunfelt 
wirb.  Der  ©runb  biefes  febeinbar  ungerechten  Sorjuges  ift  aber  lebiglid)  in  bem  größeren  Keichtbume  ber 
rhntbmifcben  gormen,  unb  barin  ju  fi'nben,  baf  biefe  burch  ben  vorwaltenb  einfachen,  ben  Schritten 
ber  SOßelobie  genau  ftd)  anfchliepenben  Sonfa|  ft'cb  überall  geltenb  machen,  wenn  auch  bie  melobifche 
gorm  burch  bie  Aufnahme  ber  ^auptweife  in  eine  ÜJiittelftimme  unter  ben  begleitenben  »erfchwmbet.  9Jlan 
erhielt  fo  ein  burch  Neuheit  2(njiehenbes ,  burch  bie  33ebanblung  auch  bem  allgemeinen  Sjerftänbniffe  näher 

«.  SBinteifctS,  ttr  crangtl.  Q^ctatgtfang.  44 


©cbrachteet,  unb  halb  »raren,  wie  nriv  bereite  gefeiert,  and)  Sonfeljer  »on  9?uf  befebäfttgt,  ber  SJcelobie 
nicht  mtnber  ihr  9xed)t  wiberfabren  ju  laffen.  Sn  £cmmel>o  SBcrfe  bagegen  ftellten,  eben  bureb  fein  fpdteö 
(Mcbcincn,  bie  allgemad)  crf'annten  SJiangel  ber  ©egenwart  im  Allgemeinen,  ^ufammengenommen  mit  feU 
nen  befenberen,  ft'd)  erft  recht  beutlicb  in  ba§  2id)t.  9JJit  bem  gortgange  ber  3eit  mußte  biefeä  jumabl  bei 
einem  SRanne  bergatl  femt,  rote  &  fianbev,  ber  e§  felber  in  bie  Öffentlich  eit  eingeführt  hatte,  bem  ba3 
SBofy!  ber  Äirdie,  ber  ©efang  ber  ©emeine  alö  fräfttge?  (SrbauungSmittel  lebhaft  am  ^erjen  lag,  ber  bie 
Äunfl  aufrichtig  liebte,  unb  fofern  fte  jenem  nid)t  ©intrag  tbue,  fte  feineSwegS  auS  ber  jtirebe  oerbannen 
wollte.  2Bic  er  für  beren  Erhaltung  neben  bem  allgemeinen  Äircbcngefangc  geftrebt,  möge  er  felber  burdi 
fein  nunmebr  ju  bctrad)tenbe§  SBerf ,  unb  fein  SSorwort  ju  bemfelben  unS  fagen.  3cnc3  oem  ihm  früher 
eingeleiteten  $Pfalter3  gebenft  er  babei  nicht  auSbrüdlid),  er  beburfte  überall  nur  allgemeiner  ^Betrachtungen, 
um  fein  Unternehmen  51t  red)tfertigen. 

Sein  für  bie  Schulen  unb  Äirchcn  bc§  gürjkntbumS  SBürtemberg  bcjttmmte§  Singebuch  führt 
t>en  SSitcl :  „gimfjtg  ©eiftlicbc  Sieber  unb  Salinen  mit  oicr  Stimmen  auf  contrapunctSweife  alfo  gefegt, 
baß  ein'  gange  Gbrifllidie  ©emeine  burd)attS  mitfmgen  Fann."  SDie  3ufd)rift  beffelben,  am  lften  Januar 
158(5  Don  Stuttgart  au§  an  bie  „Ehrenhaften,  Sßohlgclabrten  .Ipemt  Scbulmetjter  in  ben  Stäbten  beS 
löblichen  gürftentbumei  SBürtemberg,  feine  lieben  unb  guten  greunbe"  gerichtet,  bewahrt  bie  SSoraujU 
feijung,  baß  er  ber  Erjle  gewefen,  ber  mit  SBewußtfcrm  unb  Überzeugung  jenen  neuen  SBSeg  gewählt  habe, 
auf  welchem  bie  SBcftrebungen  ber  SEonfefjer  gciftlidjcr  ßiebweifen  »on  ba  an  gleichmäßig  fortgehen,  ©aß 
Sänger  neuer  SEJMobieen  biefer  Art,  wenn  fte  juglcid)  beren  Se^er  waren,  S3eibe§  alfo,  bie  SBeife 
unb  beren  «öarmonie  tynen  gleichzeitig  entflanb,  barin  um  einige  Sabre  $m  vorangingen ,  wie  wir  fpäter 
feben  werben,  cntfdjcibet  hier  nicht.  Sie  würben  »on  bem  rtdjtigen  ©efübl  geleitet,  baß  nur  auf  folche 
Art  ihre  Grftnbung  ftcb  geltenb  machen  tonne,  unb  bennoeb  ftnb  fte  fpäter  nicht  feiten  mißoerftanben  worben, 
inbem  man  ihre  SDRelobteen  ba  noch  fachte,  wo  fte  bisher  in  mcbrftimmt'gcn  Seiten  ihre  Stelle  gehabt 
hatten,  nämlid)  im  Senor.  £>ftanber  bagegen  »erfuhr  nach  überbaebten  ©runbfäljen,  mit  ber  bewußten  Ab= 
ficht,  ben  bisherigen  2Beg  ju  oerlaffen,  unb  einen  neuen  ju  betreten,  wooon  feine  3ufcbrtft  uns>  bie  Über= 
Zeugung  geben  wirb. 

Gr  beginnt  fie  mit  ber  SSemerfung:  ber  bunbert  unb  funfjigfte  ^falm  enbe  mit  ben  SBorten: 
„  AUeS  wa§  £>bem  bat  lobe  ben^errn."  SBenn  btcfeS  nun  aller  Ereatur  gebühre,  wie  oiel  mehr  bann 
bem  SDJenfd)cn,  ben  ©ott  nad)  feinem  Sbenbilbe  erfd)affen,  ihn  burd)  ben  ewigen  Sohn  erlöfet,  burd)  ben 
heiligen  ©eijt  gebeiligct  habe.  £)c3batb  müffe  all'  unfer  £bun  unb  Saffen  ber  heiligen  £>reifaltigFeit  ju  Sob 
unb  Ehre  gereichen.  Auch  forbere  ©otteS  SBort  un§  »iclfältig  auf,  ihn  ju  »reifen  mit  lieblichem  ©efange 
bc§  9Jlunbe§;  jumaf)l  un3  bie  ©abe  »criieben  fc»,  beö  ^erren  2ob  ju  oerfünben  mit  oielen  Stimmen  ju= 
gleich,  bie  boch  alle  wohl  unb  lieblich  ^ufammen  gingen.  9cun  fe»  aber  in  ber  Äonfunft  bie  heilige  £)xei- 
faltigfeit  felber  abgebilbet,  inbem  nid)t  mehr  al§  brei  Stimmen  gebad)t  werben  tonnten,  bie  wohl  jufam= 
men  lauteten;  wolle  man  ihrer  mehr  haben  alS  brei,  fo  müßten  biefe  mit  ilmen  in  bie  Sctaoe  fallen,  ba  eS 
benn  gleich  oiel  fep ,  alö  wenn  ber  breien  Stimmen  eine  wicberbolet  ober  gcbo»»elt  werbe.  9(un  gebe  eS 
oiel  h^liche,  lateinifche  ©efange,  boch  nur  für  bie  ber  Sprache  Äunbigen  braud)bar;  auch  »iel  trcflid^c 
beutfehe  geiftlicbe  Sieber  iu.mebr  Stimmen,  allein  »evfiebe  man  auch  gelobte  unb  Zext,  fo  fönne  bod) 
„ein  2ap,  fo  ber  gigural9Kuftf  nid)t  beridjtet,  nid)t  mitfmgen,  fonbern  müffe  allein  juhören."  ©ero^ 
wegen  rfdbrt  ber  ä>erfaffer  fort)  id)  oor  biefer  3eit  9cachbenfen§  gehabt,  wie  bei  einer  ebriftlichen  ©emeine 


  347   


eine  folcbe  SJluftc  einzurichten  wäre,  ba  gleichwohl  mer  Stimmen  jufammen  gingen,  unb  bennocb  ein  jeber 
Gbrifl  wohl  mitfingen  fönnte.  £ab*  berwegen,  all  jur  fycobe  (in  benen  Stunbcn,  ba  id)  fonften  von  on= 
bern,  wichtigem  ©efcbäften  müb  gewefen)  biefe  50  geiftlid)en  lieber  unb  Statinen  mit  uier  (Stimmen  alfo 
gefegt,  baß  ein  gan£e  cbriftlicbe  ©emem,  aud)  junge  jtir.btr,  mitfmgen  fönnen,  unb  bennod)  biefe  9Jtuftc 
barnebcn  ,ur  3ierbc  biefcs  ©efangeö,  ihren  gortgang  hat.  SBie  auch,  mit  ber  3eit  anbre  dergleichen  mehr 
ßompofttionc*,  welche  ich,  aübereit  unterhanben,  erfolgen  mögen.  Unb  bin  ber  tröftlidien  3iwerfid)r,  baß 
burch  folcbe  meine  ringfüge  Arbeit  ba§  6h  rijllid)  al  lg  emein'  ©efang  in  berÄtrdben  nicht  allein 
nicht  gehinbert,  fonbern  auch,  bic  gutherjige  (5r>xiftert  burch  folcbe  lieblid)e  SKelobeien  noch  mtty  jum  *Pfal- 
menftngen  angereiht  werben  foÜen. 

3d)  jweifle  aber  nid>t,  es  werben  etlidie  ßomponiften  unb  SDiufici,  ihnen  biefe  meine  ringfüge 
Arbeit  Anfangs  nicht  allerdings  gefallen  laffen.  Serowegen  id)  hierüber  furjen  ^Bericht  thun  will,  warumb 
ich  biefe  ßompofttiones'  eben  fo,  unb  nid)t  anberft,  gemad)t  fjab.  3d)  weiß  wohl,  baß  bie  Gomponiften 
fonften  gewöbnlid)  ben  ßboral  im  Senor  führen.  23cnn  man  aber  ba§  tbut,  fo  ift  ber  ßhoral 
unter  anberen  Stimmen  unfcnntlicb,  ber  gemeine  9Jknn  verfielet  nid)t,  was"  es?  für  ein  ^falm  ift,  unb 
fann  nicht  mit  fingen.  Stemm  habe  ich,  ben  Gborai  in  ben  Riskant  genommen,  bamit  er  ja  fenntlid),  unb 
ein  jeber  garte  mitftngen  fbnne.  SOiir  ift  auch  unt>erborgen ,  baß  ber  gemeinen  Siegel  unb  ©ewobnbcit 
nach  bie  anber'  Scoten  nad)  bem  signo  $  nidn  füllte  unter  ftd),  fonbern  über  fich  fteigen.  Siewcil  aber 
in  einem  Gontrapunct,  ber  nur  oier  Stimmen,  unb  nidn  mehr  haben  foll,  entweber  ein  großer  Sbeil  ber 
fiieblicbfeit  abgehen  würbe,  wenn  biefes  seniitonium  r-ermieben,  ober,  ba  e§  gebraucht,  unb  bie  folgenbe 
•iftoten  über  fich  gehen  (bitte,  bie  ein'  Stimm'  oerloren  würbe,  unb  in  einen  unisonuin  gertetbe,  unb  alfo 
in  ben  Gaben,cn  nur  brei  Stimmen  blieben ;  bah  ich  obgemelte  gemeine  regulam  (bie  perfectas  eoncordan- 
tias  in  ben  Gabcnjcn  ju  erhalten),  wiffentlid)  etlid)  mahl  überfchritten.  Senn  es  wirb  fid)  in  ber  Übung 
befinben,  baß  foldicS  im  Singen  ja  fo  wenig  Langel  bringet,  als  wenn  man  fonften  ron  bem  nri  ins  ut 
herabfinget.  SSie  auch  ber  fitrtreffentid)  Gomponift,  dominus  £)rlanbuö,  nach  obgemeltem  semitonio  mit 
einer  fchrrarjen  9cotcn  unter  ftd)  ju  weichen  in  feinen  berrlid)en  Couipositionibus  nit  33ebenfen§  bat.  3d) 
weiß  audi  wohl ,  wie  ber  Senor  gegen  ben  SiScant  in  ben  Gabenjen,  ber  gemeinen  2Beife  nad) ,  claufuliren 
follte.  SBenn  man  aber  in  einem  Gontrapuncte  in  ben  Gabenjen  will  vier  Stimmen  perfecte  erbalten,  unb 
der  ©efang  nur  auf  wer  Stimmen  gefeket,  fo  fann  bie  gemeine  9?egula,  bas  claufuliren  belangenb,  nicht 
ftatt  haben.  Gs  uerfteben  aber  alle  Gomponiften ,  wie  fdiwer  es  iff,  einen  fold)en  Gontrapunct  ju  machen, 
ba  man  jwifeben  bem  Gborai  im  SMscant,  batton  man  fein'  Stotcn  ändern  barf,  unb  jwifeben  bem  S3aß, 
bem  man  nicht  gern,  mit  Abwechslung  ber  Goncorbanjcn ,  fein'  gramtatem  unb  Sieblicbfeit  nehmen  will, 
gleich  al§  jwifeben  jweien  ©räben,  in  ber  Straßen  bleiben  muß,  unb  bod)  nichts  befto  weniger  eitel 
perfectas  concordantias  haben  will,  unb  fo  uiel  befto  mehr,  wenn  man  bie  ganje  9ioten  (propter 
laciliorem  applicationem  textus)  nid)t  gern  refowiren  will*).  Saber  unterweilenS  bie  Snteroalla 
im  2flt  unb  Senor  etwas  ungewöhnlicher  werben,  wiewobl  id)  mich  aud)  befliffen,  biefelbige  alfo  ju 
machen,  baß  fte  bie  Änaben  leichtlich  lemen  mögen.  Sarumb  id)  aud)  bie  Serien,  als  bie  ben  Änaben 
ju  treffen  etwas  fd)wer,  nid)t  mel  gebraucht.  GS  wirb  aber  bie  täglid)'  Übung  alle§  leicht  machen, 
wenn  man  ben  .Knaben  erftlid)  nur  ein'  9>falmen  fürgiebt,  unb  fte  benfelben  laßt  wobl  lernen,  biß  ein  jeber 


')  b.  i.  roenn  man  bie  Stellung  ber  9totcn  in  flcincrc  rermeiben  roill,  bamit  bem  Sänger  bic  Untcrtegung  ber 
3Bcrte  um  fo  teiebter  »erbe. 

44' 


  348   


rein'  Stimm  gleich  attSwenbig  fann,  unb  alle  ©efäfc  beS  oorbabenben  *PfalmenS  barunter  weifj  ju  appli; 
riren.  —  3d)  will  über  euch,  alS  meine  lieben  4?erm  unb  guten  Sicunb,  ganj  fleißig  gebeten  haben,  wenn 
ibr  tiefe  ^falmen  in  bet  £trd)en  gebrauchen  wollet,  bafj  xt>r  eS  ja  allerbtngS  baf)in  richtet,  bamit  bie  ganje 
d)rifrlid)e  ©emein  mitfinge,  unb  nid)t  burd)  eine  fold)e  Stufte  baS  ©efang  ber  ganzen  ©emein'  in  ber  Äir= 
eben,  weld)S  »iel  nötiger,  gel)inbert  werbe.  SBic  id)  aud)  alle  $>farrl)errn  freunblid)  erinnert  l)aben  will, 
baß  fte  mit  gelegener  6rmaf)nung  bei  ihren  d)riftltd)en  ©emetnen  anhalten,  bamit  baS  ^Pfalmenfüigen  nicht 
abgebe,  fonbern  vielmehr  junehme.  Senn  ba  burd)  biefe  meine  6ompofttioneS  füllte  am  gewöhnlich  $Pfalmen= 
fingen  einige  Sierbinbentuf;  entftehen,  wollte  id)  wünfd)en,  bajj  ich  9loten  nie  baran  gefegt  hatte. 
2Bie  aud)  tiefe  meine  ringfüge  Arbeit  nicht  für  treffliche  SRuficoS,  fonbern  für  bie  ©d)ulen  unb  (S^rtftltcbe 
©emeinen  fürgenommen  worben.  Sarumb  hab'  id)  auch  unterwetlenS  bie  ©efdng  in  ber  erften  9coten  auf 
einen  6laoem,  in  allen  vier  ©timmen  gerichtet,  ober  ja  nur  ein  £luint  gemeinlid)  barjn)ifd)en  mitlaufen 
laffen,  auf  bafj  alfo  bie  6hrifilid>e  ©emein'  bejlo  leid)ter  unb  lieber  mit  ben  .Knaben  anfaf)e  ju  fingen,  unb 
eS  h^nad)  burd)auS  mit  ihnen  continuire.  6S  follen  aud)  bie  anbern  (Stimmen,  fonberltd)  ber  "Kit  unb 
&enor,  nid)t  atlju  laut  gefungen  werben,  bamit  »or  allen  anbern  ©timmen  ber  ßhoral  weit  ben  83orjug 
habe,  unb  aufs  wenigft  jwcimahl  fo  fiarf  alS  ber  anbern  «Stimmen  eine,  gehört  werbe.  Unb  wirb  ein 
sJcotl)burft  fepn,  baß  bie  SDtenfur  im  Sact  nad)  ber  ganzen  ©emein'  gerichtet  werbe,  unb  alfo  bie  Schüler 
fich  in  ber  SDlenfur  ober  Sact  nad)  ber  ©emein'  allerbingS  richten,  unb  in  feiner  9coten  fchneller  ober  lang* 
famer  fingen,  benn  ein  d)riftlid)e  ©emein'  felbigen  £)rteS  ju  fingen  pfleget;  bamit  ber  ßfjoral  unb  figurata 
musica  fein  bei  einanber  bleiben,  unb  33eibeS  einen  licblidjen  6onccntum  gebe,  jur  @f)re  unfereS  lieben  ge= 
treuen  ©otteS,  unb  ju  Erbauung  ber  6hrifilid)en  ©emeine,  2lmen." 

Sie  Söichttgfett  biefer  3ufd)rift  für  bie  @efd)id)te  beS  eoangelifchen  6t;omtgefartgeS  ift  bie  S3eran= 
laffung  gewefen,  ben  legten  £f)eil  berfelben  ohne  tfbfürjung  hier  aufzunehmen.  Senn  fte  belehrt  unS  über 
SJieleS,  bie  bamalige  2Crt  beS  ©efangeS  ber  ©emeine  in  ber  Äird)e  33etreffenbe.  SSBenn  junäcbj  baS  S5eftre= 
ben  offenbar  barin  ausgebrochen  ift,  ben  ©emeinegefang  mit  bem  htnjlmäfjigen  in  lebenbige  SSerbinbung 
,,u  bringen,  unb  baburd)  bem  ganzen  ©otteSbienfie  eine  würbigere  ©eftalt  ju  geben;  fo  bürfen  wir  barauS 
fchliejjen,  bajj  eine  folche  SSerbinbung  bis  baf)tn  nicht  beffanben  habe,  ja,  auch  nicht  ein  ihr  ähnliches 
Sierhältnifj,  nämlich  bie  ^Begleitung  ber  £)rgel  ju  bem  allgemeinen  ©efange.  Siefer  le^te  ftanb 
offenbar  ber  fogenannten  giguralmufif,  ber  funftmäfjig  gefegten  unb  ausgeführten  üieljlimmigen,  in 
feiner  ©infrimmigf  ett  fheng  gegenüber,  unb  würbe  eben  wohl  nur  burd)  bie  6antoren  geleitet,  nicht 
burd)  bie  £rgel,  welche  entweber  ben  jtunftgefang  begleitete,  ober  felbftänbig  mit  funftgemäfjem  «Spiele 
jwifchen  einzelne  Sheile  beS  ©otteSbienfteS  eintrat.  6S  wirb  biefeS  befonberS  wahrfcheinlid)  burd)  bie  am 
Schluffe  unferer  3ufd)rift  an  bie  9)farrf)errn  unb  ©chulmcifter  geftcUte  Srmahn'ing,  bahinjufehn:  „bafj 
ber  Giboral  unb  figurata  musica  fein  bei  einanber  bleiben,  unb  33eibeS  einen  lieblichen  Concentum  gebe." 
Senn  wir  fefjen  barauS,  bafj  man  bamalS  einen  jeben  mehrfiimmigen  Sonfa^,  auch  ben  einfachfien,  wie 
ber  unfereS  SJerfafferS,  ber  giguralmuftf  beigerechnet,  unb  ihn  bem  (5h  oral  alS  ber  fd)lid)ten  SCßelobie 
eines  geistlichen  üiebeS,  gegenübergejlellt  habe;  baf?  auch  S3eibeS  eben  nur  im  Äunftgefange  bis  bahin  r»er= 
bunben  gewefen  fep,  wo  jener,  ber  Choral,  ju  bem  mehrff immigen  ©a^e,  unb  ebenfalls  t»on  gefdjulten 
©ängern,  ausgeführt  würbe.  SKehrffimmige  Crgelbegleitung  würbe  nun  in  biefem  ©inne  bem  ©efange 
ber  ©emeine,  bem  6h oral,  wieber  aud)  als  giguralmuftf  jur  ©eite  geftanben  haben;  unb  wäre  fte 
bereits  allgemein  üblich  gewefen,  fo  hätte  eS  faum  einige  ©d>wierigfeit  haben  fönnen,  ben  mehrfiimmigen 


  349   


©efang  eines  ©diülerchores  an  ihre  ©teile  ju  feigen ;  es  würbe  aber  aud)  aisbann  bas  SSebürfni^  bat>on 
nid)t  eben  bringenb,  unb  eine  äkrbinbung  bes  ©emeinegefanges  mit  funfhnäjjiger  SCRufif Übung  bereite  vor- 
bauten gewefen  femi. 

©in  ^weites,  worüber  wir  burd)  ©ftanbers  Zueignung  belehrt  werben,  ijl  bie  Crntfiebung  £es= 
jenigen ,  was  wir  gegenwärtig  in  ooU|timmigem  gciftlidien  ©efange  6  b  oral  ftp  l  ju  nennen  pflegen,  im 
©egenfafc  bes  figuralen.  @s  ijt  bem  juoor  ©efagten  jufolge  flar,  bajj  "Dftanbers  3eit  biefen  ©egenfafj 
in  bem  Sinne,  ben  mir  gegenwärtig  bamit  uerbinben,  gar  nid)t  fannte,  bafj  *>ielmef)r  ein  jeber  mef)r= 
ftimmige  Sonfalj,  ohne  Ausnahme,  it>r  ein  figuraler  war.  2fllein  feit  man,  wie  wir  fei) en  werben, 
nad)  feinem  Vorgänge  bemüht  war,  ben  6l)oral,  unb  bie  giguralmuftf  in  lebenbige  Serbinbung  ju  bringen, 
unb  jenen  babei  als  herrfd) enb  hervorzuheben ,  mufjtc  allerbings  eine  3lrt  bes  Sonfaljes  ftd)  bilben ,  ber  im 
©egcnfaijc  bes  früheren,  beffen  ^aupt^wed  bie  fünftlidie  SScrwebung  unb  Verflechtung  ber  ©timmen  gerne* 
fen  war,  auf  biefes  neue  3iel  ftd)  richtete.  S  ief  er  burfte  nun,  jenem  älteren  gegenüber,  allein  ftets  inner= 
halb  bes  ©ebietes  ber  giguralmuftf  im  weiteren  ©inne,  ßfjoralfa^,  fein  (Sigenthümliches  unb  5Bejeicb= 
nenbes,  ©boralftul  genannt  werben:  für  ihn  aber  mufjte  bie  einfad) s barmontfd)e  S5el)anblung  beöbalb 
als  bie  angemeffenfte  erfdjeinen ,  weil  es  barauf  anfam,  alles  ju  entfernen,  was  bie  Sftelobie  verbunfein, 
unb  bie  Sfyeilnafyme  ber  ©emeine  febmieviger  machen  fonnte.  2Bar  biefes,  aud)  neben  jenem  hmftlicfyen 
Sonfafce  möglich,  war  es  ju  erreichen,  bafj  aud),  mit  ihm  »erfnüpft,  ber  (Sboral  niebt  aEetn  berrfebent- 
beroorflang,  fonbern  burd)  if)n  in  allen  feinen  Söenbungen,  feiner  »ollen  S3ebeutung  nad),  hervorgehoben 
würbe;  fo  blieb,  feinem  Sßefen  nad),  ber  ßhoralftpl  niebt  allein  ungefährbet,  fonbern  würbe  fogar  in 
höherer  SSebeutung  nod)  in  bas  ßeben  gerufen,  gür  eine  S3eb,anblung  tiefer  2lrt  war  jebod)  bie  3ett  nod) 
nid)t  reif,  fie  fonnte  burd)  jene  einfachere  erft  ben  ©runb  legen  jum  tieferen  SSerjlänbniffe  ber  hamioni= 
fchen  S3ebeutung  ber  Äirchenweifen,  unb  fo  allgemad)  erft  biefen  poipphonifchen  (Sboralfrpl  erreteben, 
wie  wir  ihn  nennen  mochten,  jenem  hontopf)  onifdjen  gegenüber.  25ie  einfache,  Son  gegen  Son  in 
allen  Stimmen  jumeifi  einführenbe  ©ejjweife  unb  ihre  Gmfwtdlung  wirb  in  bem  gegenwärtigen  2lbfchnitte 
uns  befd)äftigen :  ber  funffoolleren,  immer  jebod)  bas  ©epräge  bes  ßhoralftyls  bewahrenben,  wibmen  wir 
fpäter  eine  befonbere  ^Betrachtung. 

©in  drittes,  worauf  unferes  SSerfafferä  S3ertcbt  hinweift,  ijt  bie  immer  mehr  erwad)enbe  £uft  bes 
3eitalters  an  bem  Jtlangreid) en  in  ber  mehrftimmigen  SSehanblung  geifflid)er  ©ingweifen,  gegenüber 
ber  früheren  9Jid)tung  auf  bas  in  mannid)facher  ^Bewegung  unb  2lusgejtaltung  bes  ©injelnen  in  einanber 
©efd)lungene,  unb  nur  eben  nicht  SEHipflingenbe.  Huf  bas  £)eutlid)fte  thut  ftd)  bies  funb,  wie  in  £)ft'an= 
bers  SEonfä^en,  fo  in  demjenigen ,  was  er  fagt  ju  feiner  SFfecbtfertigung  barüber,  bafj  er  bei  ihnen  »on 
einigen  gebräueblicben  Siegeln  abgegangen  fei).  25enn  biefe  waren  eben  fold)e,  bie  barüber  wachten ,  bafj 
jebe  einzelne  ©timme  ein  in  ftd)  2lbgefd)loffenes  fet),  unb  für  ftd)  genommen,  bie  gehörigen  ©d)lufjfälle 
barftelle  mit  S5ejug  auf  ihren  ©runbton,  als  ben  einer  einjelnen  SEelobie.  Tin  biefe  SSorfcr/rtften  will  er 
nicht  gebunben  fepn,  unb  oor  Willem  t>ermeiben,  bafj  ber  £)reif lang  eines  feiner  nothwenbigen  ©lieber  erman* 
gele;  er  ftrebt  bahin,  bafj  jener  fietS  coli  unb  reich  hwrtone,  möge  es  babei  mit  ber  regelrechten  2fusge= 
fialtung  ber  einjelnen  ©timme  werben,  wie  es  wolle,  fofern  ber  wefentlid)e  S^beil  ber  9?egel  nur  burd) 
bas  ©an je  ftd)  bewähre.  Unb  hieoon  geht  er  nur  ab  wegen  eines  bbberen  3wedes,  ber  £3eförberung  bes 
Äird)engefange5  ber  ©emeine;  bamit  biefe  nicht  etwa  burd)  einen  wollen  ©reif lang  gleid)  beim  ^Beginne 
bes  ©efangeä  gehinbert  werbe  am  ftd)ern  unb  reinen  (Imftimmen ,  fo  wählt  er  bort  ben  ©inflang,  bic 


  350   


£)cto»e,  bbdhfienö  eine  mit  betben  inniger  »erfcbmeljenbe,  nid)t  gleich  Öer  SSerj  felbflänbtger  ftdj  machenfce 
£luinte  jur  Begleitung.  Unb  bennod)  wirb  e3  ihm  fd)wer  ju  leiten,  wag  er  erftrebt,  unb  er  gefiebt  treu= 
berjig,  bafj  er  jtvtfcben  &ber  =  tmb  ©runbfiimme  ftd>  eingeengt  finbe  wie  gtuifcben  jroei  ©räben,  innerhalb 
beren  er  bie  ©trafje  halten  folle. 

©o  geringen  Umfangt  nun  aud)  DjtanberS  SSücblem  ift,  fo  tonnte  er  bod)  in  ben  ÜJJielobieen,  bie 
er  nach  feinen  ©runbfdfjcn  mcrfitmmig  bel)anbclte,  genügenbe  ©elegenbett  ft'nben,  biefelben  auf  mannid)facbe 
sSSetfe  anjuwenben.  3unäd)fi  bat  er  unter  biefen  fünfzig  Sötelobteen  beren  au£  jebem  bamalS  gebräucbli= 
eben  Umfange  ber  fachlichen  Sonarten  gegeben,  ja,  in  jwei  galten  einen  in  ber  Äeget  nicht  öorfommenben 
Tonumfang  angewenbet  für  beftimmte  Tonarten;  fo  ben  Don  F  mit  worgejeiebnetem  b  für  bie  mirol»= 
bifebe  ©ingweife  beö  SiebeS :  ©elobet  fe»fi  bu  Sefu^  (Shrtfi*) ;  fo  ben  von  D  mit  SSorjeicbnung  von  b, 
unb  'tfnwenbung  von  es  für  bie  fpätere,  »brwgtfcbe  SERelobie  be§  *Pfalmtiebe3 :  wollt'  un§  ©Ott 
genäbig  fenn."  2Mefe  bat  er  jebod)  in  ber  ©runbftimme  mit  G  gefdbloffen,  wie  benn  überbauet  unter  ben 
oier  bei  il)m  uorfommenben  33eif»ielen  ^Ijrpgtfdber  SQZelobteen  urfprünglicben  UmfangeS,  nur  eine  am 
©cbluffe  tongemäfj  bebanbclt  ift,  bei  ben  anbern  aber  jeber^eit  A  bie  ©runblage  bc§  legten  3ufammenflan= 
ge§  bilbet.  @§  ift  biefeö  eine  2lrt  pbrngtfdben  £onfcbluffee>,  bie  jwar  auch  r>on  ben  beften  SEonfe^ern  bin 
unb  wieber  angewenbet  wirb,  unb  burd)  ba§  ä3erhatttttfj  beS  ©runb=  unb  (SnbtonS  ber  SOZelobie,  ju  bem 
©d)lufjtone  ber  Harmonie  im  ©äffe,  ben  ^hrt>gifd;en  Sonfalj  immer  nod)  wefentlid)  unterfchetbet  twn  bem 
äolifcben,  aber  bie  S5ebeutung  ber  SEonart  bod)  nicht  genügenb  auSprdgt,  ja,  burd)  bie  barin  gegebene 
3urüdweifung  auf  D  etwas  ©d)wanfenbe§  t)at  unb  Swetfelhafteö.  2Bir  ftnben  bei  ihm  ferner  SKelobieen, 
Die  aus  altem  latemifd)en,  aus>  altbeutfdjem  itirebengefange  ftammen,  neben  fold)cn,  bie  ftd>  auf  33olBwei= 
fen  grünben ;  wenn  aud)  im  ©anjen  bie  meiften  bem  erften  halben  Sabrbunberte  ber  Äircbenüerbefferung 
angeboren.  ©3  liegen  unö  ©ingweifen  »or  ju  ßiebern  auf  alle  i)oi)m  gejte;  jti  ben  jwei  eüangetifeben 
Sobgefdngen  ber  Ataxia  unb  be3  ©imeon,  —  ben  befannten  ßiebern  oon  ©wmpborian  ^Dollio  (SKein'  ©eel' 
erbebt  ben  sperren  mein**)  unb  ßutber  (SDlit  grteb'  unb  greub'  id)  fahr  bahtn) ;  —  SDRelobieen  ju  ^)falm= 
liebern,  Äated)i$>muSliebem,  ßebr=  unb  SBetliebern***),  einem  SLftorgengefange,  einem  ©terbeliebe,  fo  bafj 
mit  ihnen  bem  fird)lid)en  SSebürfnifje  febon  einigermaafjen  genügt  wirb.  9lun  wirb  man  allerbingS  nicht 
lagen  tonnen,  bafj  £)ftanber,  bem  eigentfjümltchen  ©epräge  jufolge,  baö  bie  einzelnen  SBeifen  burch  il)re 
tfbftammung,  t£?re  SEonart,  tfjre  Beftimmung  tragen,  auch  feinen  SonfaJj  eingerichtet  habe.  2113  überall 
gleichmäßig  befolgter  ©runbfafj  jeigt  ftet)  ber,  einen  jeben  SEon  ber  SKclobie  ju  ber  ©runbfiimme  in  bem 
SSerbältniffe  ber  £>ctaue,  £luinte,  Serj,  feiten  einer  ©erte,  nod)  feltener,  unb  im  Durchgänge  nur,  einer 
Jüuarte  erfebeinen  ju  laffen,  unb  fo  in  ber  Jparmonie  eine  3?cibe  von  £>reif'ldngen  barjuftellcn,  bie  juweilen 
nur  burd)  einen  ©ertenafforb  unterbroeben  werben.  3lud)  bei  ©plbenbel)nungen  ber  9}Jelobic  ift  beren  ein- 
zelnen Sönen  fafi  jeberjeit  ein  £>rciflang  jugctbeilt.  SSJiufj,  ju  SSermeibung  fehlerhafter  gortfd)reittingen  in 
ben  dufkrften  ©timmen,  eine  ©»Ibcnbehnung  im  S5affe  erfolgen,  fo  ftnbet  fte  aud)  in  ben  9Kittclftimmen 
ftatt,  unb  ju  bem  ungebrochenen  Sone  ber  9Jietobie  ertönen  bann  jwei  Sreiflänge,  ju  benen  biefer  in  wed)= 
felnben  Ü>erbältniffcn  ftel)t.    'Übnlich  wirb  aud)  ba  »erfahren,  wo  bie  gortfebrettung  einer  einzelnen  9JiittcU 

')  6.  SBcifpicl  9lro.  51. 
")    ©.  SBcifpicl  9cro.  50. 

•••)    ©.  »ctfpirt  9lco.  53  fsinen  ionfa^  über  bie  OTelobie  be6  ttiebefi:  gröblid)  »oUen  ttir  Meluta  fingen. 


  351  

ftimme  gegen  ben  33aß  in  unmittelbarer  golge  von  SDctaven  ober  Sluinten  ocrfjutet  werben  foll.  £m  unb 
wiebcr  fommen  burd)gel)cnbe,  verbinbcnbe  Zone  vor  in  bcn  SCRittelfttmmen,  auch  tnof)l  in  ber  Unterfiimme, 
meldte  bie  ©runbbarmonie  nid)t  veränbern ;  ober  eS  tritt  bie  golge  einer  £luinte  unb  Serte  ein  in  einer 
93iittclfttmmc  gegen  ben  rubenben  SSafj,  wäbjcnb  aud)  bie  anberen  (Stimmen  ben  £on  feftl)alten,  fo  baß  ein 
(Sertenafferb  einem  Srciflange  ftd)  anfd)ließ t.  Sjt  baö  ?yovtfd>vctten  ber  SWctobic  in  bem  ä$cr()ältniffe  einer 
Üuartc  gegen  ben  SBafj  ttnvermeiblid),  fo  wirb  biefe  in  ber  ©egenbemegung  im  Heuere  verbovvclt,  unb  bem 
^flt  bie  ©beroctave  jugetheilt,  fo  baß  fein  £luartfertenaccorb  ftd)  bilbet.  (Selten  ft'nben  ftd)  angefd)lagene 
Scrtenaccorbe;  St)nco»en,  burd)  welche  vorgehaltene  £)iffonanjen  entftänben,  niemals.  @S  fommen  aber 
aud)  £onfä£e  vor,  bie  uns,  ofme  alle  Untcrbrcdntng,  eine  ftrenge  golge  von  Sreiflängen  entgegenbringen  5 
fo  bie  ber  Singweifett  von  ben  Siebern:  ,,^fuf  biefen  Sag  bebenfen  voir;  3n  bid)  bab'  id)  gel)offet  £err; 
£>er  Sqcyx  ift  mein  getreuer  £irt;  63  ift  ba£  Jpcil  uns?  fommen  Ijex*),  unb  anberer,  in  benen  felbft  nicht 
eine  burchgcl)cnbe  9tote  einmabl  angetroffen  wirb.  £aß  £/ft'anber  bei  biefen  SKetobiccn  nid)t  abft'cbtlid)  nach, 
einer  fold)cn  Strenge  ber  33cl)anblung  geftrebt  l)at,  wirb  baburd)  fd)on  wal)rfd)einlid),  baß  feine  berfelben 
ju  ben  altertl)ümlid)en,  urfird)ltd>en  gehört,  eine  von  ihnen  fogar  wal)rfd)einlid)  bem  S5olf6gcfange  ent= 
ftammt.  £>ennod)  bat,  bei  biefer  im  Allgemeinen  gleichmäßig  angeroenbeten  äSchanbtungSwctfe,  unfer  £on= 
feljer  ein  rid)tige£  ©efübt  bewährt  für  bie  (5igentl)ümlid)fett  ber  Sonmeifen,  unb  wo  ihn  nid)t  einmahl  eine 
melobifd)e  9iüdftd)t,  etroa  bie  SSermeibung  eineS  SritonuS  ober  eineS  nid)t  biatontfd)en  SkrbältniffcS  in  ber 
Solge  ber  Sbne  einer  einzelnen  Stimme,  ju  einem  £luecrjtanbe  verleitet  l)at,  ober  einer  fd)roffen  3ufammen= 
fteüung  von  £>reif längen  ohne  innere  5Sejiel)ung,  ftnb  feine  ^)armonieen,  fird)lid),  würbig,  unb  babei 
flteßenb.  6r  b.at  bie  für  einzelne  fird)licbe  Sonartcn  bcscicfmenbcn  Sonftufen,  namentlich  bie  mirolnbifd)e 
flehte  Septime,  bie  uf;r«gifd)e  fleine  Secunbe,  bie  borifd)e  große  Serte,  burd)  feine  bcglcitcnben  (Stimmen 
fräftig  unb  bebeutfam  hervorgehoben,  nid)t  minber  aud)  ben  volfStl)ümlid)en  rl)»tl)mifd)en  2Bed)fel  burd)  fte 
nod)  etnbringlicber  gemacht,  unb  man  barf  il)m  in  ber  Sl)at  nacb,rül)men,  baß  er,  tote  bem  ©emeinegefange, 
fo  ber  Äunft  barmonifd)er  Entfaltung  ber  Äird)enmeifen  burd)  fein  SBerf  förberlid)  geworben  ift. 

üfianberS  früherer  Nachfolger,  foviel  mir  roiffen,  mar  3  am  11  et  ffllavf  d)  all  ju  S5afel,  in 
feiner  um  1594  ju  Seivjig  herausgegebenen  vierfiimmigen  ^Bearbeitung  ber  franjbftfd)en  ^Pfalmmelobieen. 
£b  feine  (eben  mie  biefeä  SBerf  fväter  aud))  um  1606  ju  S3afel  bei  Äonig  erfd)ienenen  Äird)engefänge  unb 
geijtlid)en  Sieber  ic.  ju  vier  Stimmen,  fd)on  mit  beffen  früherer  Aufgabe  gleichzeitig  an  ba§  Siebt  traten, 
ift  mir  burd)  eigene  Anfd)auung  ntd)t  befannt.  Sd)  fal)e  fte  nur  in  jener  fpäteren  Aufgabe,  beren  Zueignung 
jebod)  barauf  ju  beuten  fd)eint,  baß  fte  fogar  früher  fd)on  al§  ber  2obmaffcrfd)e  ^)falter  burd)  9J?arfd)alI 
bearbeitet  unb  herausgegeben  maren.  3tt  biefer  SBibmung  an  9Kcld)ior  £amlod)er,  oberften  3unftmeifter, 
Sebaftian  Sporlin,  <Sd)olard)en  ju  S3afel,  unb  3oI)a"«  Sflubolf  gäfd),  beS  93ieifterS  bewährten  greunb 
unb  ©eoatter,  heißt  e§:  9cad)bem  er  ben  Sobmafferfchen  ^)falter  auf  eine  neue  lixt  gefegt,  unb  „auf  ba§ 
gemeine  Q.i)oxal  im  £>ifcant  gerichtet,"  tjabe  man  ihn  erfud)t,  „bie  jttvor  in  vier  unterfchiebenen 
(Stimm)büd)lein  gebrudten,  feinen  genannten  ©önnern  gemibmeten  J^armonieen  anberer  'jPfalme  unb 
geijtlicher  Sieber  X).  SutfyerS  unb  fonjt  gotteSgelehrter  Seute  wieber  ju  überfehen,  unb  wo  eS  nbthig,  ju  ver= 
beffern,  „bamit  bie  Harmonie  befto  lieblicher  jur  2fnbad)t  inS  ^)erj  fließe;"  biefer  SSitte  habe  er  nunmehr 
ftd)  gefügt.  £)iefe  Sieber  mögen  alfo  juerft  balb  nad)  Sft'anberS  <Singebud)e  erfd)ienen  fevn,  vielleicht,  ba 


*)   <3.  SBsifptel  9cro.  54. 


man  bie  von  biefem  verheißenen,  fein  SBerf  ergänjenben  £onfä(se  eine  Sßßeile  »ergebend  erwartet  hatte,  um 
t>cm  Sebürfniffc  entgegenkommen,  bcffcn  man  burcb  baffelbe  fid>  erft  völlig  bewußt  geworben  mar.  3bnen 
folgte  bann  ber  9)falter,  bie  franjbftfcben  SJWobieen,  einen  beliebt  geworbenen  neuen  ßrmerb,  beibehalten^ 
aber  bie  ©ebrecben  ihrer  früheren  33ebanblung  burcb  eine  neue  tilgenb ;  eine  33ebanblung,  burcb  bie  er  nun 
erft  feinen  3wecf  ganj  ju  erreichen,  unb  langgehegte  SBünfcbe  311  erfüllen  fchien,  benen  ba3  SBürtemberger 
"Pfalmbucb  nk&t  genügt  batte.  23on  bem  Waltet  SDßarfcbaUS  haben  mir  bei  ©elegenbeit  be§  «Rircbengefan= 
geö  ber  ßalviniften  gerebet.  Unter  ben  geiftlicben  Biebern  biefeS  9Jteiftcrs>  mad)cn  bie  $)falmlieber  ben  Anfang ; 
es  finb  beren  38,  verfd)icbener  Sichter,  mit  35  SDielobiccn  unb  SEonfä^en,  ber  reich fte^lbfcbnttt  be§  gefamm= 
ten  SSBerfeS.  Sbnen  folgen  fecbS  Sobgcfänge,  jeber  mit  feiner  vierfh'mmigen  SDMobie ;  fünf  biblifcbe,  ber 
Spanna,  ©amuelS  SKutter,  ber  SJiarta,  be§  3<3cbaria§,  unb  be3  ©imeon,  in  jwei  Biebern;  neben  ihnen 
baS  „Jperr  ©ort  bid;  loben  wir."  3wblf  ÄarccbiSmuSlteber  fobann,  mit  10  SJMobieen  unb  ©äfcen, 
29  geftlieber  mit  beren  20,  enblicb  20  anberc  Bieber  mit  beren  17,  unter  ben  2lbtbeilungen :  ßebr=  unb 
Srofigefänge,  ©ebetlieber,  SBegräbntßlieber,  SRorgengefänge,  Sifcblieber.  Sa3  ©anje  umfaßt  alfo  105 
Sieber  mit  88  baju  gebbrenben,  vierftimmig  einfach  gefegten  9JJelobieen,  bie  nun  in  ein  einziges!  SSücblein, 
bie  Stimmen  je  jwei  cinanber  gegenüber,  jufammengebrueft  ftnb*).  2Bir  ftnben  bei  biefen  £onfä£en  mit 
wenigen  Ausnahmen  biefelben  ©runbfäfee  beobachtet,  bie  £)ftanber  fich  vorjetebnete.  Sie  SretflangSbar; 
monie  ift  auch  hier  bie  vorberrfebenbe,  boeb  wirb  ft'e  häufiger  burch  ©ertenaecorbe  unterbrochen;  bei  bem 
^Beginnen  ber  einzelnen  ©al^e  ertönt  ft'e  meift  vollftänbig,  im  Baufe  berfelben  wirb  nicht  feiten  bie  Serj,  unb 
mit  ihr  ba3  SSejcicbnenbe,  ber  firengen  3?egelrechtigfeit  aufgeopfert.  Ser  SSorbalt  ber  £hiarte  auf  ber  fünf* 
ten  (Stufe  ber  SEonart,  in  welche  ausgewichen  ober  jurücfgefebrt  wirb,  erfebeint  faft  regelmäßig  bei  ben 
©cblußfällcn.  3»  ber  pr)rtjgifd)ert  Sonart  werben  biefe  auch  hier,  wie  bei  £>ftanber,  meift  auf  ber  £)ber= 
quarte  beS  ©runbtoneS  —  A  ober  D,  je  nach  kern  gewählten  Umfange  —  gebilbet;  unter  jw 6 If  Sailen, 
wo  biefe  SEonart  erfebeint,  gefebiebt  biefeS  neunmahl.  3u  ben  felbfiänbigen  görberem  ber  itunft  barf  SDlar* 
fchall  nicht  gerechnet  werben.  SÜBir  fel)en  bei  ihm  lebiglich  ein  Sortgeben  auf  neu  gebahntem  SBege,  unb 
nur  frühere  ©ewbbnung  unb  unbewußte  Vorliebe  führen  il)n  juweilen  ab  von  ber  gewählten  ^Richtung. 

Um  S3ieleS  wichtiger  erfcheint  <Sct()  ©alöifittö.  Siefer  trefliche  99ieifterwaram21fiengebr. 
1550  ju  ©orfchlcben  unweit  ©aebfenburg  in  Thüringen  geboren,  ber  ©obn  eineS  BanbmannS  bafelbfl, 
3acob  Äalwifj.  3ur  Schule  gehalten  in  granfenbaufen,  burd)  gleiß  unb  gute  ©rimme  empfohlen,  gelangte 
er  nach  SJiagbeburg  als  (Sborfcbüler,  unb  wußte  von  feinem  SSerbienfte  foviel  ju  erfvaren,  baß  er  fpäter  bie 
Univerfttäten  £elmfiäbt  unb  Beivjig  befueben  fonnte.  3n  ber  legten  biefer  ©täbte  verwaltete  er  furje  3eit 
bas  "Kmt  eineS  9Kuftfbireftor3  an  ber  ^aulinerfircbe,  würbe  1582  jum  ßantorat  in  ©cbulpforre  berufen, 
unb  von  ba  enblid)  um  1594  nach  Beivjig  aB  ßantor  unb  SSJJufifbireftor  ber  SEbomaSfircbe  befbrbert,  wel= 
cbeS  'ämt  er  am  erften  ^fingfitage  biefeS  3ar)re§,  ben  29ften  2Diai,  antrat,  unb  einunbjwanjtg  3tobre,  biS 
ju  feinem  am  24ften  November  1615  im  fed^igfien  3«hi"e  erfolgten  Sobe,  rübmlictjft  verwaltete.  Sie 
SSerbienfte  biefeö  au§gejeid)neten  5CRanne§  al§  ©clehrter,  namentlich  um  ©ternfunbe  unb  3eitredmung, 
fbnnen  un$  hier  nicht  befchäftigen,  unb  eben  fo  wenig  feine  fcbäl^baren  SBerfe  über  Sonlehre  unb  Sonfunft. 
9lur  eineä  berfelben,  feine  um  1600  erfebienene  2lbhanblung  über  bie  richtige  Äenntniß  ber  Sonarten 
(ExerciUtio  de  modis  musicis  recte  cognoscendis)  ifi  unö  hier  wichtig  wegen  ihrer  nahen  SSejiebung  auf 

•)    ©.  mto.  45.  46  SSeifpicte  »on  SKarfc^QU6  Xonfa. 


  353   


fein  ju  8eipjig  bei  3acob  "2fpel  herausgegebenes ,  burcb  Jranj  Scbnellbolj  bafelbfi  mit  ben  Schriften  ber 
33et)erfcben  Erben  um  1597  gebrudteS  Eborahoerf :  Harmoniae  eantionum  ecclesiasiicarmn :  benn  er 
bezeichnet  bort  feine  ßboralfä^e  meijt  alle  ihren  Sonarten  jufolge,  nacbbem  er  beren  Sßefen  unb  Äenn= 
midien  erflärt  bat,  unb  giebt  un3  babureb  ©elegenbeit,  feine  Stiftungen  nach  feiner  eigenen  ßebre  ju  prüfen, 
auch  roobl  ben  SEonlebrer  burcb  ben  Sonfünfiler  ju  berid)tigen.  £>ie  Zueignung  tiefe»  dboralroerfS, 
am  lOten  Noocmber  1596  ju  Seipjig  niebergefebrieben,  unb  an  SBürgermeifter  unb  Siatb  bafelbft  gerichtet, 
belehrt  un§  weniger  über  bie  Sfegeln,  nacb  benen  unfer  SÖJeiflec  bei  feinen  SEonfä^en  oerfubr,  aß  fie  uns 
oon  feinem  frommen  unb  ernften  (Sinne  3eugnif3  giebt.  Er  rübmt  böcblid)  ben  9?ui?en  bes>  ^eiligen  ©efan= 
ge3,  fofern  er,  nacb  ben  5B orten  bes>  2(poftel3  ^auluS  an  bie  ßoloffer,  in  geiftlicben  unb  lieblicben 
Siebcm  geübt  werbe.  3n  geijtlicben  Biebern,  ba3  t)ri$e  in  foleben,  bie  au3  bee>  fjeiltgen  ©eijteö  33ucb, 
ber  Schrift,  genommen  fepen,  unb  bem  ©efe£e  unb  3eugnifj  übereinkamen ;  benn  fonft  gefalle  ©Ott  baS 
auch  Wt  ber  S3ernunft  nod)  fo  febön  Sautenbe  nid)t,  unb  fct>affe  feinen  Stufen.  Sn  lieblicben  Siebern, 
bamit  ber  Äeij  ber  2lnbad)t  baburd)  vermehrt  werbe;  wie  benn  auch  hier,  bei  ben  Sötelobepen,  ber  Ijeilige 
©eift  £irecror  unb  SEBerfmeifter  gemefen,  wag  unter  oielen  anbern  au§  ber  freubigen  SfKetoben  be§  febbnen 
■»PfalmeS :  (Sin'  fefte  S5urg  ijl  unfer  ©Ott,  mit  SSerrounberung  ju  oernebmen  fen.  Solche  Sieber  habe  er 
\u  ©ottes  Ehren  einfaltig,  bod)  richtig  gefegt,  unb  jugleid)  mit  einigen  anbern,  bis  anhero  gebräuchlichen 
Biebern,  fo  oon  bekannten  autoribus  oor  biefer  Seit  gemacht  worben,  unb  bie  er,  ihrer  ©üte  unb  £>rbnung 
roegen  hingenommen  habe,  ausgeben  laffen. 

2)iefe3  S3ucb  rourbe  ju  feiner  Seit  fehr  boebgefebä^t,  unb  erlebte  feit  feinem  erften  Erfcbeinen  big 
ium  Sabre  1622  fünf  Auflagen.  £ie  le£te  berfelben  ift  um  elf  ßieber  reicher  oiä  bie  erfte ;  benn  bat  fie 
auch  beren  im  ©anjen  oierjebn  mehr,  fo  fehlen  ihr  bod)  wieberum  brei,  roelche  in  ber  früheften  befinblicb 
fvnb.  £iefe  bietet  nun  fchon  127  gieber,  wenig  minber  als  ba3  dreifache  von  bem  Inhalte  beä  .Cftanber^ 
fchen  2Serfd)ens,  unb  umfaßt  ben  gefammten  ÄreiS  beS  .Kirchenjahres,  unb  beS  fachlichen  Sebent  über= 
baupt.  2Bir  erfennen  in  ihr  ben  gelehrten,  benfenben  £onfe£er,  ber  Einfachheit  beS  SafceS  ungeachtet ; 
nur  baf?  babureb  eben  EaloifiuS,  wie  er  manches  juin  Scbmud  feinet  SBerfeS  ©ereichenbe  fanb,  auch  8" 
einigen  ^rrthümem  oerleitet  voorben  ift,  roelche  feinem  Vorgänger  fremb  geblieben  fmb,  ber  bei  feinem 
Unternehmen  lebiglicb  burd)  baS  JBebürfnip  ber  ©emeine,  unb  baS  Streben  nach  SüUe  unb  SBoblflang  fich 
leiten  lief?.  SMefe  betten  hat  EaloiftuS  unbebingt  jurüdgeftellt  tymtex  Sangbarfeit  unb  Sfegelmäfjigfeit  ber 
Stimmenführung,  unb  fmb  babureb  juroeilen  auch  leere  £armonieen  entftanben  —  roir  mochten  fie  bohle 
nennen,  benn  bie  SSerboppelung  beS  ©runbtonS  unb  feiner  Huinte  ohne  bie  Serj  erregt  in  ber  Shat  baS 
©efühl  ber  £oblbeit,  eines  mangelnben  .KerneS  —  fo  fmb  bod)  auf  biefem  SBege  juroeilen  auch  Sonoer= 
binbungen,  oietleicht  unberouft,  heroorgegangen,  migflingenbe  Sonoerbältmffe  oon  eigenthümlid)  herbem 
3?eij,  bie  feine  Nachfolger  fpäterhin  abftebtlich  aufgefud)t,  unb  mit  S3orliebe  angeroenbet  haben.  Einige 
Söeifpiele  werben  bienen,  biefeä  näher  ju  erläutern.  Sn  bem  oierftimmigen  Sa^e  ber  alten  2Beife  be§  2ie= 
be§:  <S f> r i ft  ift  erftanben*)  finbet  fich  mehre  SJiale  bie  SSerbinbung  ber  großen  SEerj  ber  ©runbftimme 
mit  beren  fleiner  Serte,  auf  ber  Dominante  ber  SEonart,  für,  oor  bem  Sd)luffe.  Sie  entfielt  auf  bop= 
pelte  SEBeife.  Sie  oier  Stimmen  tönen  ben  harten  £>reiflang  au§  auf  ber  fünften  Stufe  ber  ©runbtonart ; 
bie  £berftimme,  roelche  bie  £luinte  beä  S3affe§  hören  läfjt,  fteigt,  roäbrenb  bie  übrigen  fortflingen,  um 


')   SBecEer  unb  SBillrot^ :  Sammlung  oon  Gborälen  :c.  9cro.  3. 
k.  SCtntttfeU,  6et  eiangct  G^cralatfaiig.  45 


  354   


einen  falben  Zon  auf,  unb  fenft  ftd)  bann  melobiegemäß  um  eine  f leine  Serj,  ben  Sd)lußfatl  ju  bilben. 
üCber  eine  ber  SKittclftimmen,  jumahl  bev  211t,  ftatt  bie  große  Serj  unmittelbar  anjujtimmen,  tritt  erft  burd) 
bie  vorgehaltene  Sluarte  in  biefelbe  ein,  woburd)  nun,  inbem  bei  ber  2ütflbfung  biefeS  legten  S£onüert)ält= 
niffeS  §ugleid)  ber  juoor  befchriebene,  aufwärts  gel)cnbe  Schritt  ber  SDZelobie  auS  ber  Slutnte  in  bie  fteine 
Sertc  erfolgt,  jene  Seiwcrbinbung  nod)  unerwarteter  eintritt  unb  herber.  (Sine  regelmäßige  tfuflbfung  ber 
CarauS  t)croorgel)enben  oerminberten  £luarte  erfolgt  in  beiben  gälten  nid)t,  unb  beShalb  erfd)eint,  jumar;l 
in  bem  lefcten  gälte,  ber  Eintritt  biefeS  gerben  SRißftangeS  nur  als  jufälttgeS  Crrgebniß  ber  Stimmführung. 
£cm  £bre  miberftrebt  jebod)  beffen  £crbf)eit  nid)t,  wenn  aud)  bie  flehte  Serj,  baS  auflbfenbe  S£onoerf)ält= 
niß,  nid)t  gehört  wirb :  eS  ift  eine  unfanfte,  bod)  nid)t  wiberwärtige  33erüt)rung  beffelben,  bie  eines  gewiffen 
9?ei$eS  nicht  entbehrte,  unb  beSfjatb  nidjt  ohne  33eifatt  blieb. 

dm  ganj  ähnliches  (§ntftef)en  beffelben  9JlißftangeS  finben  mir  gleich  in  bem  erfien  Sonfafce  beS 
2BerfS  über  bie  Singwetfe  beS  2tb»entSticbeS :  9cun  fomm  ber  Jpeiben  4?ettanb*).  $ier  erfd)eint 
ber  Eintritt  beffelben  nod)  unerwarteter  unb  herber.  SSei  bem  ^Beginne  ber  -.weiten  3eile,  ju  ben  SBorten : 
„£>er  Jungfrauen  jtinb  erfant"  fdbreitet  bie  SDiclobie  »on  bem  ©runbtone  ihrer  Sonart,  G,  eine  fleine 
£er$  fjinauf  nach  *V  »on  bort  auS  aber  um  einen  Son  weiter  hinauf,  unb  bann  abwärts*,  über  ft'd) 
nad)  c  unb  wieberum  jurüd  nach  b.  Sie  ©runbftimme  begleitet  biefe  vier  Sbne,  abfteigenb,  mit  ber 
£luinte  (es),  ber  Serte  (d),  ber  £>cta»e  (c)  unb  ber  flehten  £erj  (g),  währenb  ber  "Kit,  juerft  im  @in* 
flange  mit  ber  SERctobte  (in  g),  bann  einen  Schritt  unter  ftd),  unb  oon  ihm  wieber  hinauf  nad)  g  tritt.  SSei 
biefem  abwärts  gehenben  Schritte  ift  nun,  wegen  eineS  regelmäßigen  SonfatteS  nad)  g/  wohin  bann  auch 
am  Schtuffe  ber  Seite  bie  gefammte  Harmonie  ftd)  wenbet,  ein  (SrhbhungSjeichen  angewenbet,  fo  baß  fyex 
ein  gleicher  3ufammenflang  ft'd)  bitbet  wie  in  bem  vorigen  gälte.  9Rit  großartiger  SBirfung  macht  er 
ft'd)  geltenb  burd)  feinen  Eintritt  unmittelbar  nad)  bem  harten  Sreif lange  auf  ber  großen  Unterterj  beS 
©runbtoneS,  hinter  welchem  ein  Söiißf  lang  weniger  nod)  ju  erwarten  war ;  fpannenb  aber  burd)  bie  »erjo- 
gerte  2tufl6fung,  bie  nicht  burd)  ben  näd)ftcn  Schritt  ber  SJMobie,  bei  beren  StufwärtStreten,  erfolgt,  fonbern 
erft  bei  bem  folgenben,  wo  biefelbe  ft'd)  wieber  jurüdwenbet.  2tud)  biefe  SBirfung  beruht  augenfd)ein= 
lid)  auf  bem  Streben  nad)  regelmäßiger  Stimmführung,  jumaht  bei  ben  £onfd)lüffen  ber  einzelnen  Stirn = 
men,  unb  faum  ift  fte  wohl  beabftd)tigt  worben,  wenn  aud)  gewiß  nicht  üerfd)tnät)t  ober  unbeachtet  gebtte= 
ben,  nad)bem  fte  auf  biefem  2Bege  gefunben  worben  war. 

3n  einem  britten  gälte  entftel)t,  eben  wieber  auf  biefelbe  SGßeife,  ein  um  jene  3dt  nod)  feltenereS, 
unb  wie  baS  ber  »erminberten  £luarte,  nid)t  biatonifd)eS  33erf)ältniß  in  bem  3ufammcnflangc  ber  Stimmen. 
@S  ift  in  bem  Sonfa^e  über  bie  SJletobie  beSSiebeS:  2BaS  mein  ©Ott  will  baSgfd)ef)  alljeit**). 
Diefe  Singweife  ift  einem  franj6ft'fd)en  SSolfSliebe  entlehnt:  II  me  suffist  de  tous  mes  maulx,  wie 
fd)on  bemerft  worben.  Seth  Gatüift'uS  hat  aber  aud)  faft  unoeränbert  ben  Sonfaf-***)  aufgenommen, 
mit  bem  wir  fie  in  einer  ju  9)ariS  (1530)  gebrudten  Sammlung  oierftimmiger  fratijöftfd)er  Sieber  ft'nben, 
beren  ebenfalls  junor  bereits  gebad)t  ift.  £in  unb  wieber  hat  er  einige  gärten  beffelben  gemilbert,  unb  bie 
a)crfcfjungS^eid)en  beigefügt,  wo  er  eS  nbtbjg  fanb.  £>ieS  ift  nun  namentlich  bei  bem  Ausgange  ber  britt= 
leßten  3eile  gcfd)et)en  ju  ben  2ßorten  : 

uno  jüd)tiget  mit  SKaaßen. 


•)   <3ben  ba  9cro.  15. 


")   ßbtn  ba  9cro.  20. 


"*)    6.  Seifpid  STCro.  138". 


  355   


$ter  bilbct  bie  tfltftimme,  für  ftcb  genommen,  einen  ©cbtufjfall  nad)  d ;  in  eben  biefen  £on  (bie  £ber= 
quinte  be3  ©runbtoneö)  fteigt  ber  S3ajj  fd)rittweife  binab.  9cun  war  e3  eine  gemeine  (burd)  biefen  ganjen 
©afc  in  ben  brei  tiefern  Stimmen  auch  frreng  befolgte)  9?egel  um  biefe  3eit,  bafü  in  einem  folgen  Salle  ber 
unmittelbar  über  ber  £htinte  liegenbe  SEon  ba£  83erf)ältnifi  eine§  #albton3  bü  'br  haben,  alfo  um  fo  mel 
erniebrigt  werben  muffe.  Qetydb  bat  benn  hier  baS  e  be§  SBaffeS  bie  SSorjeichnung  eines  b  erhalten,  ba§ 
c  aber,  unmittelbar  »or  d,  bem  ©d)lufjtone  ber  2(ltjiimme,  tft,  al§  ßeitton,  burd)  ein  Äreuj  gefcbärft  wor= 
ben.  ©o  entftel)t  nun  bie  unmittelbare  golge  jweier  Sftifjflänge :  juerft  bie  über  bem  33af?tone  in  ber  2Ht= 
ftimme  vorgehaltene  fleine  ©epttme;  biefe  loft  ftd)  bann  auf  in  bie  übermäßige  ©erte,  weld)e  bei  bem 
Jortfcbritte  beiber  Stimmen  in  bie  Sctaoe  übergebt;  ju  ifjr  laffen  bie  Dberftimme  unb  ber  SEenor  bie  Quinte 
unb  fleine  SEerj  froren,  biefer  mit  bem  2llte,  jene  mit  ber  ©runbftimme  in  gleicher  ^Bewegung. 

.Rann  man  bie  SKifjflänge,  von  benen  wir  eben  gerebet,  eine  jufäüige  2Bürje  ber  Harmonie  nen= 
nen,  fo  finben  mir  boeb  aud)  beren  bei  unferem  SOZeifter,  bie  auf  ähnlichem  SBege,  aber  unter  anberen  33er = 
bältmffen  gebilbet,  ju  augenfcbeinlid)en  SJiifsftänben  werben,  ©ie  finb  e§  tbeil§  melobifcb,  tbeilS  barmo= 
nifch.  (Sinem  melobifcben  SJiifjftanbe  biefer  %xt  begegnen  roir  in  bem  »ierjtimmigen  ©a^e  ber  @boral= 
roeife:  <5 t^r t ft  unfer  Qtxx  jum  Sotban  fam*).  £)ie  erfte  Seile  biefer  borifeben  SRelobte  roeiebt  in 
bie  Dberquinte  au§,  jeboeb  im  2(b(teigen,  fo,  baß  ber  Seitton  nid)t  berührt  mirb.  ßawiftuS  bat  burd)  feine 
Harmonie  biefe  SJlobulation  nad)  ber  Dbertevj  be§  borifeben  ©runbtonS,  f,  gemenbet;  biefen  Son  legt  er 
bem  ©d)lußflange  ber  erfien  3etle  unferer  SEBeife  (a)  unter.  SOZag  e§  nun  fepn,  bafj  er  bennod)  in  ber  SSJMobte 
bie  urfprünglicbe  2lu3wcid)ung  bat  auSbrücfen  wollen,  mag  bei  bem  au§  alter  3eit  bekömmlichen,  felbftän* 
bigen  33etrad)ten  ber  einjelnen  ©timmen  mobl  baö  2Baf)rfcheinlicbfte  tft ;  genug,  er  bat  bem  fünften 
SEone  in  ber  £berfiimme  (g),  ber  Quarte  be§  ©runbtonS,  ju  melcber  fte  bier  »on  ber  Quinte  au§  abftetgt, 
um  bierauf  mit  einem  £luartenfprunge  beffen  fleine  ©eptime  ju  erreichen,  von  ber  fte  bann  febritfroeife  wie= 
ber  ju  ber  Oberquinte  berabfteigt  —  er  bat  biefem  g  ein  jlreuj  »orgejeidbnet,  unb  inbem  er  eS  fo  ju  gis, 
bem  ßeittone  »on  a,  umbilbete,  melobiemibrig  in  bie  Cberftimme  baS  Sonuerbdltnifs  einer  »erminberten 
£tuarte,  ein  nietjt  biatonifd)e§,  eingefebmärjt.  Offenbar  tjt  ber  Sonmeifter  in  biefem  §aüe  von  bem 
gelebrten  Äonforfcber  verleitet  morben,  inbem  er  bie  ©elbffänbigfeit  ber  ©tngweife  antajiete,  unb  fte 
gewiffermaaßen  wie  eine  SDiittelftimme  bebanbelte.  3ugfeicb  möchten  mir  barauS  fließen,  er  babe  nicht, 
wie  Ofianber,  cor  Willem  ba§  33ebürfntß  ber©emeinen  im  ©inne  gebabt  bei  feinen  SEonfä^en,  meil  er 
fonft  einen  fo  febmer  ju  treffenben,  aueb  unoolfSmäßigen,  melobifcben  gortfehritt  »ermieben  baben  mürbe. 

©anj  ähnlich,  gefebiebt  e3  in  bem  SEonfalje  ber  SDßelobie:  4?erjtid)  lieb  bab'  td)  btd)  o 
^)err**).  ©etb  6al»iftu§  bejeiebnet  biefe  SSKelobte  aU  ber  btwoionifcben  Sonart  angebbrig,  bemerft  aber 
babei,  bafj  fte  ibrert  Umfang  in  ber  J^>bbe  ntebt  erretebe,  unb  nacb  ber  Siefe  bin  benfelben  überfebreite. 
2)iefe§  ijt  aud)  rid)tig,  benn  fte  fdbrettet  um  eine  fleine  SSerj  binauö  über  ibre  tiefere  Songrenje,  unb  bleibt 
oon  ber  bbberen  nod)  um  ba§  SSerbältnif?  eineä  ganjen  Soneö  entfernt.  2Bar  nun  g,  bie  Unterquarte  be§ 
urfprünglid)  Sonifd}en,  bie  ©renje  ber  bt)^otontfcben  Sonart  in  ber  SEiefe,  fo  geborte  biefer  SEon  offenbar 
ju  ben  unt>eränberlid)en,  ober  boeb,  ju  ben,  niebt  obne  bringenbe  SSeranlaffung  ju  üeränbernben,  meil  er  ein 
ber  Sonart  mefentltcb  er  mar.  ©leid)  bie  erfte  2fu§meid)ung  ber  5E5ielobie  nad)  tbrer  Unterquarte  hatte 
alfo  ntdb.t  »erwifcht  werben  bürfen.    Sa  aber  nad)  ber  SGBieberbolung  ber  erften  melobifchen  3eite  burd)  bie 


")   (Sbcn  ba  9iro.  -4. 


")   ©.  SSeifpicl  5Rro.  56. 


45* 


  356   


zweite,  auf  leneS  g  in  ber  britten  Beile  unmittelbar  a  folgt,  fo  ijt  ber  ÜKetfter  t)ier  roiebcrum  oerleitet  worben, 
eine  SHobulation  anzunehmen  in  biefen  julefct  erwähnten  £on,  ober  in  ba§  '#olifd)e,  unb  tjat  be§t)alb  burd) 
ä>orjeid)nung  eineS  ÄreujeS  jeneS  g  um  einen  falben  £on  gefd)ärft,  eS  jum  Seitton  umjubitben.  9hm  ift 
e»  aber  babci  wieber  auffallenb,  baß  er,  in  ber  britten  Seile,  bennod)  jene  oorauSgefekte  SEftobulation  burd) 
bie  Harmonie  nid)t  ausgeprägt,  fonbern,  ber  befferen  Stimmenfüf)rung  wegen,  unb  um  nun  roieberum  im 
*2£ltc  eine  Sölobulatton  nad)  g  ju  bilben,  baS  a  beS  33affe§  in  jener  9Jhttclfiimme  ftatt  mit  ber  £>berquinte, 
mit  ber  großen  Dberfcrte,  bem  Seittone  nad)  g,  begleitet  l)at.  So  ift  il)tn  auch,  fn'er,  —  freilich,  weniger 
auffaEenb  unb  ftörenb,  als  in  bem  vorigen  JBeifpiele,  roeil  ber  üeränberte  Son  aud)  eine  melobifd)e  3eile 
fcbließt,  unb  nid)t  in  ber  SDhtte  einer  folgen  vorfommt,  —  ein  nid)t  biatontfcbeS  Skrbältniß  jwifeben  bem 
2Cue>gangc  ber  erften  unb  bem  Anfange  ber  jweiten  Seile  melobieroibrig  entftanben.  (Sine  fpdtere  S3eränbe= 
rung  biefer  ILxt  in  ber  £>berfrimme,  roo,  roegen  beS  folgenben  d,  baS  c,  rooburd)  bie  3eile  ,,9Jlein  ©Ott 
unb  £err"  abfcbließt,  um  einen  halben  Zon  ert)6r>t  ift,  l)at  eine  gleiche  Skranlaffung  unb  entftellt  einen  ber 
©runbtonart  roefentlid)en  £on  unb  ben  ©ang  ber  SJMobie,  wenn  aud)  baburd)  nid)t  ein  gleicher  Übelftanb 
beroorgebraebt  roirb. 

@in  tabelbafter  unb  übelflingenber  barmonifd)er  gortfebritt  ft'nbet  ftcb,  ebenfalls  auö  einfeiti= 
ger  (Sorgfalt  für  bie  (Stimmführung,  in  ber  SSebanblung  ber  bekannten  alten  SJhlobie:  ©ott  ber  SSater 
wobn'  un§  bei*),  an  brei,  uöUig  übereinfommenben  ©teilen.  (Einmal  ju  Anfange  be§  ^wetten  SSbeileS 
ber  Singweife,  bei  ben  SBorten:  „gür  ben  Teufel  unS  bewahr;"  ein  jroeiteö  9Jhihl  im  S3eginn  beS  jw>et= 
ten  2lbfalje3  oon  eben  biefem  Steile,  reo  eS  beißt:  „£)ir  unS  laffen  ganj  unb  gar;"  enblich  in  ber  oor= 
legten  Seile,  welche  lautet:  „3lmen,  2lmen,  baS  fet)  wahr."  £)ie  £)berftimme  fteigt  hier  jebeSmabl  oon 
bem  ©runbtone  c  ftufenweiS  auf  ju  beffen  SDberterj  e ;  33aß  unb  2llt,  in  ber  ©egenberoegung,  laffen  c  ju 
biefem  legten  Zone  crfltngcn ;  ber  5£enor  gel)t  nad)  g,  won  bem  oorbergebenben  Zone  fd)ritlweife  auffteigenb. 
Diefe  euworfcbreitenbe  ^Bewegung  roirb  nun  roieber  angefeben  als  felbftdnbige  2tu§weid)ung  nad)  g,  welche 
Iis  aß  Seitton  erbeifebt,  baS  benn  aud)  jebeSmafjl  auSbrüdticb  beigefd)rieben  roirb ;  unb  fo  bilbet  ftcb,  bar= 
monieroibrig,  unb  ber  Seitcr  ber  Sonart  entgegen,  ftatt  bc§  2lccorbe3  ber  großen  Serte  mit  fleiner  Serj, 
ein  fold)er  mit  ber  großen,  ohne  baß  er,  als  3ufammcnflang,  irgenb  beabft'cbtigt  rodre,  ober  roiUf ommen 
erfd)einen  fönnte,  inbem  eben  biefe  frembe,  baS  ©anje  ftörenbe  9J£obulation  einer  einzelnen  Stimme  uns 
notbwenbig  oerle^t.  SBir  ftnben  bergleid)en  jwar  aud)  bei  anberen  Seitgenoffen  bcö  ßaloifütS,  felbjl  aus>= 
gezeichneten  SQleiftern ;  eS  fallt  aber  weniger  auf  in  Säfeen  oon  fünftlicber  SSerflecbtung  ber  Stimmen,  als 
in  foleben  einfachen,  eine  befannte  Singroeife  barmonifcb  befyanbelnben,  wo  bie  (SntfteUung  um  fo  wibriger 
empfunben  wirb,  jemebr  fte  bie  wal)re  9Jcobulation  ber  £auptftimme  uerbunfelnb,  eine  nur  begleitenbe 
^ubringlid)  in  ben  S3orbergrunb  rücft. 

Sonft  beruht  ber  Sonfa^  bcS  Setl)  GatoiftuS  jumeift  auf  gleichen  ©runbfdfecn  mit  bem  £>fianbers>. 
Seltener  freilich,  ftnb  bei  il)m  foldje  ^armonieen,  bie  nur  auS  einer  Sfeitje  »on  2)reif längen  befteljen,  aber 
c5  giebt  beren  bod),  wie  bie  ber  SUielobieen :  „SSotn  ^immel  Ijod)  ba  fomm  id)  b,er**);y/  Vit* 
laactorum  decus  angeloram  u.  f.  w.  3Bir  fonnten  aud)  bie  ber  SBBeife  beS  alten  SiebeS  über 
<5t>rifti  fieben  2ß orte  am  Äreuje  nennen,  „£)a  SefuS  an  bem  ßreuje  ftunb***),  wenn  l)ier  nid)t  im 
Senor  unmittelbar  oor  bem  (Snbe,  ju  bem  üorleljten  S3aßtone  (ber  Unterquinte  beS  pl)rr;gifd)en  ©runbtoneS), 


•)   ©.  SBcifpiel  Wxo.  57.         ••)   eben  ba  9tro.  19.    '    —)   eben  ba  9lro.  5. 


  357   


auf  welchem  Der  weiche  £)rciflang  ruht,  in  einer  melobifcben  2lu3$ierung  bie  große  Serj  beä  folgenben  pbrp; 
gtfdbcn  ©cblußtonS  fid)  im  S>orau$  f>bven  liege.  £ie  ©runbbarmonie  wirb  jwar  burd)  fte  nicht  geänbert; 
ju  bem  rubenben  Sone  ber  ©runbftimme,  über  bem  fte  als  bcffen  burcbgebenbe  große  ©eptime,  ju  feiner 
großen  ©erte  berabfteigenb,  erfdheint,  roirb  fte  nur  flüchtig  »ernommen,  unb  tritt  bann  ju  bem  pf;rt>gtfcr;ert 
©runbtone  E  unmittelbar  roieber  in  ihr  rechtes  S3ert?dltntf?.  Mein  fte  trübt  bocb  ben  reinen  £)reiflang  auf 
bem  »orlefeten  Sone,  unb  üergonnt  alfo  nid)t  oon  biefem  ©afje  ju  fagen,  baß  er  nur  au§  folgen  ^)armo= 
nieen  beftebe.  ©ben  fo  häufig  als  bei  Sftanber  ftnb  bie  ©ä|e,  in  benen  nur  feiten  erfcbeinenbe  ©erten= 
accorbe,  ober  burcbgebenbe,  uerbinbenbe  Söne  bie  Sfeibe  ber  25reiflänge  unterbrechen.  S3iel  öfter  als  bort 
fommen  jebod)  ©yncopen  vor,  unb  bie  baburcb  cntftcbenben  aSorbalte.  ©ehr  gewöhnlich  ift  bie  auf  ber 
Unterquarte  (Dominante)  be3  ©runbtonä  »or  bem  ©cbluffe  erfcbeinenbe  Quarte  al§  33orbalt  ber  £erj.  Sn 
bem  ©a(5e  über  bie  9Jielobie  be3  £)fterliebe§ :  „Surrexit  Christus  hodie"*)  bilbet  ft'cb  burd)  bie 
beiben  £)berftimmen,  welche  im  \  Saft  trocbäifcb  fortfcbreiten,  wäbrenb  bie  untern  iambifcb  ftd>  bewegen, 
ber,  bann  regelmäßig  in  bie  große  ©erte  (mit  Keiner  Serj)  aufgelbf'te  SSorbalt  ber  fleinen  9cone  unb 
©eptime.  ßine  längere  Steide  r»on  S3inbungen  erfcbeint  in  ben  beiben  ©cblußjeilen  (ber  fünften  unb  fecbjlen) 
ber  (miroltjbtfcben)  SSetfe  be§  2iebe§:  #err  Sefu  ßbrift  wahr'  Söienfcb  unb  ©ott**),  wo  bie 
beiben  £)berfttmmen  juerft  eine  9?etbe  fid)  auflofenber  ©ecunben  bilbcn,  ber  2llt  aber  gegen  bie  Unterftimmc 
'Anfangs  eine,  in  bie  £)ctat>e  binabfcbreitenbe,  9?one  barjiellt,  bie  burd)  Fortbewegung  be§  SkffeS  bann 
in  eine  Saiarte  oerwanbclt,  in  bie  große  Serj  at§  ßettton  übergebt ;  jule^t  Dberfjimme  unb  £enor  in  bem 
aSerbaltniffe  oon  ©cptimen  flehen,  bie  in  ©erten  ftcb  lofen,  wabrenb  jene  erfte  ju  bem  83affe  in  SJinbungen 
2lnfang§  eine  ©eptime  unb  ©evte,  bann  eine  Quarte  unb  große  Serj,  al§  ßeitton,  jeigt.  £at  @etb  €al= 
mftu§,  wie  wir  faben,  ben  eigentlich  melobifcben  Sbeil  ber  con  ihm  gefegten  fird)ticben  ©ingweifen 
juweilen  angetaftet,  fo  ift  bieS  bocb  mit  bem  rbptbmtfcben  nirgenb  gefd)cben;  hierin  haben  alle  ihre 
ursprüngliche  ©eftalt  bewahrt.  Sie  ©igentbümlicbfeit  ber  Sonart  ift  burd)  bie  begleitenben  ©timmen  meift 
einbringlid)  hervorgehoben,  felbft  ba,  wo  fte  burd)  SSerdnberung  ber  SQlelobie  tierwifcbt  ju  fewn  fd)einen 
mochte,  ©ben  ba3  juoor  befprod)ene  Sieb  :  4?erjlicb  lieb  bah'  ich  bid)  o  .!perr,  giebt  bat>on  ein  SSeifpiel. 
25er  erfte  ©d)lußfaü  ber  SDielobie  wirb  burd)  bie  S3eranberung  ber  tieferen  SEongrenje  bee>  .^ppoionifcben,  g, 
in  gis  nun  ein  pbttjgifcber,  unb  fo  ftellen  ihn  auch  bie  anberen  ©timmen  ganj  regelrecht  bar;  er  ift  alfo 
fein  ber  Sonart  frember,  »ielmebr  tterwanbter,  unb  bie  $ol$e  be§  h^ten  25reiflangö  auf  bem  pl)rt)gifd)en 
©runbtone,  E,  unb  beä,  ebenfalls  harten  auf  bem  ionifchen,  C,  fyat  fogar,  eben  biefer  SSerwanbtfcbaft 
wegen,  etwaä  erhaben  feierliches,  fo  baß  man  fid)  gebrungen  fühlt,  ben  SEonfe^er  felbft  ba  ju  loben,  wo 
man  il)m  fonft  ben  gerechten  SSorwurf  machen  muß,  bae>  JBebürfniß  ber  ©emeinen  t>emacblafftgt  ju  höhen, 
©inige  9Kal)le  hat  er,  bei  pbrpgifcben  9Kelobieen,  beren  ©cblußton  mit  feiner  Unterquinte  begleitet,  wie  bei 
bem  9)falmliebe :  %&)  ©ott  tiom  ^immel  fleh  barein,  bem  J^t)mnuS :  A  solis  orlus  cardine,  unb  anberen ; 
eine  %xt  be§  ©afje§,  üon  beren  S!JJangell)aftigfeit  wir  früher  fd)on  rebeten;  auch  fömmt  bei  ihm  ein  burch 
bie  Harmonie  ionifd)  gebilbeter  ©d)lußfaü  einer  mirolpbifcben  SBeife  »or,  ber  bes>  3lbenbmahl§liebe§ : 
©Ott  fep  gelobet  unb  gebenebeiet.  Suweilen  finb  üon  ihm  in  feiner  2lbf)anblung  bon  ber  rechten  Äenntniß 
ber  Tonarten  einzelne  SÖZelobieen  feinet  SBerfeS  nicht  ganj  richtig  nad)  ben  ihrigen  bezeichnet,  öießeicbt  nur 
nad)  bem  ©ebdd)tniffe.  ©o  foll  bie  SEBeife  be§  2iebe§ :  9JJag  td)  Unglüd  nit  wiberftahn,  bem  urfprünglichen 


•)   (56en  ba  9tto.  18. 


")   SBeifptcl  5«ro.  55. 


  358   


(regelmäßigen)  ^Phrwgtfchen  angehören,  ba  fie  boeb,  äolifcher  Tonart  ift;  fo  t)at  er  bte  SJlelobie  be§  ^)t>mnu§ : 
Rex  Clirisie  f;ictor  omnium*)  bem  üerfeljten  SRirolpbifcben  jugetbeilt,  ba3  nur  einen  abweichenben 
©cblufs  habe,  ba  fie  boeb  in  ttjrer  Urgeflalt  (namentlich  wie  fie  in  ßueaö  £offiu3  Psalmodia  aufgezeichnet 
ift)  bppomirolpbifdjer  SSonart  ijt**;,  in  ber  Aufzeichnung  unfereS  SEßeifterS  aber  burd)  S3orjeicb,niincj 
eines  b  in  baS  verfemte  Dortfeh  e  fieb  umgewanbelt  ftnbet,  unb  nur  in  ber  biemit  nicht  ju  »erwifebenben 
Ausweichung  nad)  ber  Unterquinte  noch,  einen  mirolnbifcben  Anflang  behalten  bat.  £>urcb,  ihn  ijt  vielleicht 
daloifiuS  verleitet  worben,  il)re  Semart  ju  befitmmen,  wo  er  benn  allerbingS,  wenn  er  bie  SJcelobie  in  ber 
©eftalt,  wie  er  fie  giebt,  an  feinem  SSBobnorte  al§  gebräuchlich,  »orfanb,  unb  fie  nicht  felber  oeränberte,  eine 
richtige  Ahnung  ir>rc§  urfprünglicben  ©eprägeS  gehabt  haben  würbe. 

Nach  biefer  Darlegung  ber  ©e^weife  unfereS  9JJeifter§  muffen  wir  berfelben  zugefteben,  bafj  fie 
auf  folgerecht  angewenbeten  ©runbfäfjen  beruhe,  unb  ber  feince>  33orgängers>  an  Sftannicbfaltigfeit  ber  $ar= 
monieen  überlegen  fet).  3Cucl;  ift  fie  auf  anbere  Sonfe^er,  bie  fieb  eine  gleiche  Aufgabe  ftellten,  oon  bebeu= 
tenbem  (Sinfluffe  gemefen;  fo  namentlich  auf  feinen  Seitgenoffen  £anS  8eo  Rapier,  ber  hin  unb  wieber 
gleiche  fehler  mit  ihm  tbeilt,  unb  auf  feinen  Nachfolger  Sobann  ^»ermann  Schein,  beffen  SSerbältnijj  ju 
ihm  erft  im  folgenben  17ten  Safjrfmnberte  ju  befpreeben  fei?n  wirb.  Dfianber  hatte  junächjt  ba§  ©an je 
unb  beffen  ©efammtwirfungin  .Klang  unb  Sonfülle  im  Auge  gehabt,  unb  be§halb  war  ihm  bie  ein= 
Z eine  Stimme,  unb  ihr  guter  Fortgang  weniger  wichtig  gewefen,  ja,  er  hatte  fid)  für  berechtigt  gehalten, 
feinem  ©eficbtSpunfte  jufolge,  herkömmliche  Regeln  beS  S£onfal[3e3  unbcbenflicb  ju  überfchreiten.  GEawifütS 
bagegen  fafje  ba3  (Sinjelne  mehr  wieber  an  ale>  lebenbigeS  ©lieb  beg  ©anjen,  unb  hielt  e§,  eben  beSbalb, 
auch  bei  ber  größten  Schlichtheit  beS  ©a^eö,  für  einen  ©egenftanb  genauer  Aufmerffamfeit.  £>ft  i(i  e3 
ihm  gelungen,  bie  boppelte  Svüdficbt  für  33eibe3  ju  vereinigen ;  zuweilen  ijt  burch  ba§  ©heben  nach 
geftaltung  be§  ^injelnen  auch  für  ba§  ©anje  ihm  Neues  f)eroorgegangen  unb  Unerwartetes ;  anbere  SJlable 
hat  er  ba3  ©anje  barüber  eingebüßt,  ja,  e§  ift  gefcheben,  baf  er  ben  nächsten  ©egenftanb  feiner  Aufgabe, 
bie  SJMobie  in  ihrer  9?einbeit,  babei  angetaftet  hat.  Allein  ihm,  bem  finnreteben  SDieifter,  ift  felbft  ba  noch, 
neben  bem  9Jlif3jtanbe,  auch  fcae3  ©chöne  unb  (Srhebenbe  hervorgegangen ;  ftbrt  un3  jener,  wenn  wir  ber 
©eftimmung  feiner  SEonfäfje  gebenfen,  fo  toerfbbnt  un§  biefeS  wieberum,  aB  lebenbige  23etbatigung 
ihreö  jtunjtmertheS.  ©o  ift  ihm  mit  »ollem  9?ed)te  nachzurühmen,  bafj  bie  Äunft  beö  einfachen  6f)oraI= 
fafee§  burch  ihn  lebenbig  fortgefebritten  few;  unb  ift  er  hod;juhalten  wegen  beffen,  wa3  ihm  gelang,  unb 
ber  Äunft  angehört,  —  wie  feine  treflicben  SEonfäfce  ber  SJMobieen :  Sin'  fefie  S3urg  ic. ;  £eut'  triumpbiret 


')   Seifpiel  SRro.  59. 
")    Lucas  Lossius  Psalm.  331.  9i. 
M.  Praetor.  HymDodia  XI. 


pla  -  ca  -  re       vo  -  tis      sup.pli  -  cum       te    lau-di-bus  co     -     leu  -  ti  -  um. 


  359   


©otteS  ©olm  ;c.  uno  vieler  anbeten,  —  fo  bleibt  er  aud)  ba  nod)  belel)renb,  roo  er  fehlte,  roeil  ©inn  uno 
©ehalt  fefneS  ©treben»  fclbft  burrf)  bal  Mißlungene  un§  offenbar  werben*)- 

SBele^renb  in  biefem  ©inne  ijl  ein  3eitgenofTe  bc§  ßalviftuä,  3}  a  rt  b  o  l  o  m  ä  u  $  (*J>efe, 
ober  wie  er  ftcb  fpatcr  nennt,  Wcfillö.  @r  roar  ju  9DZund)eberg  in  ber  9Kittelmarf  geboren,  roahrfcheinlid) 
in  ber  legten  £älftc  fco  lOren  3af)rbunbert3.  Um  1588  ft'nben  roir  tön  ju  Wittenberg,  von  roo  au§  er  am 
Sage  be§  "tfvofteß  Matthias  eine  von  ifym  5»et<  bis  fünfflimmig  gefegte  Rafften  nach,  bem  (Svangelijien 
3ob,anne§,  SSürgermeiffern  unb  9Jatl)  ber  .Kaiferlichen  ©tabt  ©brli£  jueignet;  eine  SBibmung,  burd)  bie  roir 
erfahren,  caf?  er  von  Sugenb  auf  in  ber  Sonfunft  geübt  rvorben,  baß  er  eine  äeitlang  bem  4?an3  ©eorg 
von  ©d)onaid)  gebient,  unb  beffen  ©d)u^e§  fich.  erfreut,  aud)  theiß  unter  beffen  tarnen,  tl)etl§  fonfi, 
viel  fd)6ne,  herrliche  Sertc  gefegt  habe,  ©cgen  bae>  @nbe  bee>  SahrhunbertS,  um  1598,  erfcfyeint  er  aß 
(Santor  ju  granEfurtl)  an  ber  £)ber,  von  roo  aus>  nod)  im  %at)xe  1624  fünf*,  fed)§=,  ad)t=  unb  mefyrjiimmige 
£>od)$etßgefänge  von  ihm  in  ben  25rud  gegeben  ftnb.  9cad)  ber  ^affton,  bem  früheften  ber  von  ihm 
gebrudten  SBerf  e,  gab  er  um  1594  geiftlid)e  Sieber  ju  vier  ©timmen,  1595  fünfftimmige  lateimfcfye  ^pvmnen 
für  bie  ^auvtfäcr;lid)fien  gejte  be§  Sab.re§,  1598  anbere  fünfjtimmige  Sonfdfce  b,erauö;  er  gehört  beSfjalb, 
unb  aud)  fünft  feinem  ganjen  ©treben  jufolge,  bem  16ten  Sabjfyunbert  an,  mögen  feine  ^auetroerfe  aud) 
erjt  in  ben  fvüf)efien  3abjen  bes>  17ten  erfd)ienen  ferm.  25a§  erfte  berfelben  gab  um  1601  Sofyonn  $art= 
mann,  33ud)führer  ju  granffurtf)  an  ber  ©ber  heraus,  unter  bem  SEttel :  ©ei(tlid)e  beutfd)e  2ieber  25.  SJiar-- 
tini  ßutberi  unb  anberer  frommen  @l)rifien,  welche  burdß  ganje  %ai)x  in  ber  G>l)riftlid)en  Äird)cn  ju  fingen 
gebräuchlich,  mit  vier  unb  fünf  ©timmen  nad)  gerobbnlid)en  6boral=9Kelobieen  richtig  unb  lieblich,  gefefcet 
ourd)  Bartlioloniaeum  Gesium,  Francofurtensiura  ad  Oderara  cantorem.  25er  33erfaffer  roibmete  biefeS 
2Berf  ,,2ftlen  .Kirchen  unb  ©d)uten,  aud)  allen  d)riftlid)en  £auSvätern  unb  ber  MufifFunji  £iebl)abern  in 
ber  ganjen  Mardt  (fo  fd)reibt  er)  aß  feinem  lieben  SSaterlanbe"  unb  bemerft  in  ber  SSorrebe,  er  l)abe  bie 
9>falmen  unb  lieber,  bie  man  barin  ftnbe,  vor  etlichen  Sauren  in  vier  unb  fünf  ©timmen  gefefjt,  unb  vor= 
neljmlid)  baf)in  gefeiert,  baß  bie  gebräuchliche  unb  gerobf)rtltd)e  ßboralmelobte  im  25ifcant  behalten,  unb 
unveränbert  geblieben,  bamit  bie  d)riftlid)e  ©emeine  mitfingen  fonne;  rote  auch  biefelben  biöfjer  in  ber 
Äird)e  unb  ©emeine  ju  granffurth  an  ber  £)ber  ju  ©otteS  2ob  unb  @b,ren  gebraucht  roorben  feven.  2£uf 
gutfjerjiger  2eute  Inhalten  unb  33egehren  l)abe  er  fie  nun  in  ben  25rud  gegeben.  25ie  ßantoren  in  ben 
©d)ulen  unb  £ird)en  mbd)ten  aber  erinnert  fenn,  unb  biefeä  merfen,  „ba^  fold)e  ßieber  bei  ber  (5r)riftlid)en 
©emeine  fonberliclben  angenel)m  aud)  lieblid)  unb  nüfelid)en  anjubbren  fevn,  rvenn  ftealternatim  in  choro  unb 
orgauo  gebraucht  roerben,  alfo,  baß  ein  Änabe  mit  lieblicher,  reiner  ©timme,  einen  SSerS  im  organo  mitfinge, 
barauf  ben  anbern  SSerö  ber  chorus  musicus,  unb  alfo  jebermann  neben  bem  concentu  aud)  bie  verftemb- 
lid)e  SBort  in  gebräuchlicher  unb  gewöhnlicher  SJielobie  hören  unb  mitftngen  fann,  roeld)e§  benn  ohne  großen 
unb  merflid)en  9lu^en  nicht  abgehet."  25er  Sonfdf^e  ftnb  im  ©anjen  97,  ber  ßieber  einige  mehr,  roeil  hin 
unb  roieber  auf  befannte  S^elobieen,  roie  fie  hier  mehrftimmig  erfd)einen,  verroiefen  roirb.  (Sä  fdjeint,  baf 
biefe  ©ammlung  mit  Beifall  aufgenommen  rourbe,  benn  nur  wenige  %ar>xe  fyatex,  um  1605,  erfebjen  eben 


')  25er  Sonfä^e  beS  ßatoift'ug  bem  spfalml>ud)e  beS  25r.  SornetiuS  SSecter  roerben  roir  in  bem  Scripte  über 
ba$  17te  3aJ)rt)unbevt  gebenfen,  roo  oon  it)ncn  äroecEmäfigcr  im  3ufammenl)ange  mit  bem  ©ctjictfatc  biefcß  SBudjcS  ju 
reben  ijl,  als  tjier,  roo  oon  iijnen  ntc^tö  2fnbcreS  gefagt  roerben  fönnte,  at€  oon  feinen  fo  eben  befprodjenen  einfachen 
Stjoralfä^en. 


  360   

Ca,  gleichfalls  im  Berlage  ^obatm  £artmann§,  unb  bei  feinem  ©ohne  griebrid)  gebrucft,  eine  gortfefeung 
berfettot,  unter  bem  SEitet:  „©in  anber  neu  £tyu§  ©eiftlicber  bcutfcbet  Siebet  35.  Martini  Süthen,  9cico= 
lai  .£>ermanni  unb  anberet  frommet  ßf)riften,  abgeteilt  in  jwei  SSbeile;  im  erften  Sheile  bie  auf  alle  £obe= 
feit,  unb  alle  Sonntage,  2lpoftet=  unb  Seiertage  burd)ö  ganje  3<$*,  im  anbeten  Steile  bie  »on  ben  fürnem= 
ften  ^auptartifeln  cbrijtlicber  2ef)rc,  in  Jlirdjen,  bei  ber  ©emeine  ©otte§,  unb  fonften  cbriftlidjen  .^ausüätern 
in  Käufern  ju  fingen  ganj  bequem,  unb  in  allerlei  üJcotfy  unb  Greulje  febr  trbftlicben  unb  mißlichen.  9Kit 
vier  unb  fünf  Stimmen  fehlest  Gontrapunftsweife  nach  befannten  gewöhnlichen  Äitcbenmelobeien  gefegt 
bureb  Bartholomaeum  Gesium  u.  f.  w."  25er  erfte  S£beil  biefer  Sammlung  enthält  66,  ber  jweite  54 
Sonfätse,  beibe  alfo  120,  unb  mit  ber  früheren  jufammengenommen  217  SEonfä&e.  25tefe  frühere  wirb 
burd)  fte  ergänzt,  inbem  mebre  altere,  in  berfelben  mangelnbe  ©ingwetfen  l)ter  aufgenommen  ftnb,  unb 
aud)  fyätere,  ber  Seit  be§  33erfaffcrS  angebbrige,  nun  mitgeteilt  werben;  e§  fommen  aber  auch  Sölelobieen, 
bie  in  jener  bereite  enthalten  waren,  mit  anberen  Biebern  unb  in  neuen  ^Bearbeitungen  üor.  Jg>ter  haben 
mir  nun  ntd)t  eine  ganj  allgemeine  Sueignung  wie  bei  bet  erfien ;  ©eftus  hat  ftd)  bier  an  befonbere  ©bnner 
gemenbet,  bei  bem  erften  Steile  an  ben  SSüvgermetflcr  ber  ©tabt  gtanf'furtb  an  ber  £>bcr,  griebrieb  ©cbaum, 
bei  bem  jmeiten  an  ben  bortigen  SfatbSoerwanbten  ©trt  ©anbreutter,  unb  feine  ältefien  ©ohne,  Sofyann 
©eorg  unb  ©irt;  an  beibe,  ale>  ber  9ftuftftunft  mächtige  görberer,  an  jenen  erften  ,,al§  barauf  fo  geübet, 
bag  er  mit  berfelben  aufm  ^nftrument  ftd)  oft  unb  »iel  ergeben  fann,  auch  ohn  allen  Sweifel  feine  »ielgeliebte 
beibe  ©bbne  neben  ben  anbern  freien  fünften  bjeju  halten  unb  auferstehen  wirb,  ©internal  bet  lieben 
3ugenb  eine  grofje  3ier  unb  @bre,  wenn  fte  neben  ihrem  ©tubiren  mit  ©ingen,  unb  auf  muftfalifchen 
jnftrumenten  ftd)  üben,  unb  ©Ott  loben  unb  rühmen  fbnnen,  baju  benn  fo£d>e  ©eiftlicbe  Sieber  unb  com- 
positio  contrapuneti  simplicis  nid)t  unbienftliclben."  SSSir  mürben  ungerecht  fet)n,  wenn  mir  ben  wad'ern 
©inn,  unb  ben  gleiß  btefes  braoen  9JJanne§  uerfennen  mollten.  Grr  bat  nach,  Gräften  in  feinem  3lmte  für 
feine  jtirebe  gemtrft;  erbat,  mie  mit  au§  feinet  etfien  83orrebe  feben,  ft'cb  angelegen  fcpn  laffen,  neben  bem 
©emeinegefange  auch  bie  Äunft  ju  fbrbern,  ein  lebenbigeä  3Sctf)ältnif!  ju  erhalten  jmifchen  jenem,  bem 
Orgelfpiele,  bem  ©ängerd)ore ;  unb  menn  mir  ihn  nun  freilich  merben  tabeln  müffen  rcegen  ber  meiften 
feiner  Sonfäf^e,  unb  megen  2lntaften§  bet  Sftelobieen,  fo  bürfen  mir  —  fo  miberfprecbenb  e§  flingen  mag 
beim  erften  "tfnblicf  —  ihm  boch  glauben,  baf?  e§  feine  '#bftd)t  gemefen,  bie  gewöhnlichen,  gebrauch; 
lid>en  ©ingweifen  unüeränbert  ju  geben.  Senn  bat  er  auch  atlerbingS  manche  SSerfefcungäjeidjen  ein* 
gefebmärjt  in  biefelben,  fo  gefebabe  es  bod)  immet  nur  in  bem  ©inne,  bie  9Jcobutattonen  ber  ©ingmeife 
auszulegen,  fte,  ihrer  S5ebeutung  nad),  hert>orjul)ebctt,  wie,  feiner  Überzeugung  nad),  es?  burd)  ben 
Sänger  gefd)ehen  müffe,  wenn  aud)  bie  urfprüngltcbe  '^ufjeicbnung  bergleichen  (5rbbbung3=  ober  (Srniebri; 
gung%icben  nicht  üorgefcfyrieben  habe.  GttwaS  baran  ju  anbern  war  nid)t  feine  SJceinung ;  er  bat  an 
bem  bie  auf  ihn  gortgepflanjten,  auch  wenn  e3,  üon  SJJunbe  ^u  SOZunbe  gebenb,  eine  Umbilbung  erlitt 
ten  hatte  gegen  feine  frühere  ©eftalt,  felbft  in  feinet  ©runbtonart  —  wie  bie  SBeifen  ber  beiben  ^afftons= 
lieber  beren  wir  früher  gebachten :  GbtiftuS  ber  un§  feiig  macht  tc. ;  25a  Sefuö  an  bem  Äreuje  ftanb  — 
nicht  ba§  wirflid)  unb  wefentlich  Umgeftaltete  wieber  jurücf  bringen  wollen  auf  ba§  Urfprünglicbe, 
fonbern  baö,  was,  umbilbenb  ober  forrpflanjenb,  ju  rechter  Ausprägung  ber  ©eftalt  oerfdumt  werben  fet), 
ergdnjen.  ©o  fbnnen  wir  ihn  benn  aud)  als  Quelle  annehmen  für  bie,  ju  feiner  3eit  in  ber  50iarf 
23ranbenburg  üblid)e  ©ingart,  freilid)  mit  ber  aus  bem  Vorigen  üon  felbft  ftch  ergebenben  JSßefchrdntung  ; 
als  Ctuelle  ndmlid)  für  bie  gewöbnlid)  unb  üblid)  geworbene  Umbilbung,  nid)t  aber  bie  Auslegung 


  361   

Der  SJlelobieen.  Denn  e§  möchte  ju  bcjroeifeln  fcwn,  baß  man  fdjon  vor  il)tn  einzelne  ©teilen  ber  üblid)en 
geijtlicben  SEßelotteen  ftd)  fo  gebeutet  fjabe,  rote  e§  in  feinen  Sonfäfcen  gefd)iebt,  unb  e§  ift  roabrfd)einlid)er, 
baß  ber  große  Einfluß,  ben  er  in  ©d)ule  unb  jUrdje,  unb  all  ©efanglebrer,  auf  gefijMung  ber  ©ingart 
haben  mußte,  baju  beigetragen  habe,  biefelbe  fo  ju  berotrfen,  wie  »tr  fic  bei  ihm  finben,  unb  bem  ©eroöf)n= 
liefen  unb  ©ebräud)lichen  eben  biefen  2Beg  tiorjujeid)nen. 

@be  wir  nun  roeiter  bietion  banbeln,  baben  rotr  auf  baS  (Smjelne  feineö  SonfafccS  jutior  näher 
einjugeben,  um  unfer  Urtbeil  über  tt)rt  gehörig  ju  begrünben.  3unäd)ft  fann  feinen  mebrftimmigen  33el)anb= 
lungen  Unftd)erbeit  unb  ©d)roanfung  im  ©tple  mit  3ved)t  »orgeroorfen  roerben.  dr  nimmt  juroeilen  einen 
tfnfafc  jur  ©timmenoerflecbtung  (?)olv)pbonie) ,  wobei  er  bie  melobtfd)en  ©runbgebanfen  bem  Choral  ent= 
lehnt,  fte  erfebeint  aber  nirgenb  grunbfa^ltd)  unb  folgerecht  burd)gefül)rt.  Sn  ben  meiften  gäüen  aber 
mangelt  auch  bie  großartige  SSreite  unb  Klangfülle  beS  einfad)en  @boralfh)te§ ;  bie  begleitenben  ©timmen 
ftnb  mit  burebgebenben  9coten  unb  tierbinbenben  Sroifcbenroenbungcn  überfüllt,  ol)nc  babureb,  barmonifd)  rei= 
d)er  ju  roerben.  ©er  Sonfe^er  mbd)te  ber  ©emeine  genugtl)un  roie  ber  Äunft,  allein  bie  Stifte,  bie  er 
}tt>ifd)en  beiben  hält,  jeigt  ftd)  meift  ab3  leerer  Surchfchnttt.  Sie  jroeite  Stimme  in  feinen  fünfffimmigen 
©äljen,  inbem  fte  bie  Sdtelobie  häufig  überfd)rcitet,  »erbunfelt  biefe  oft,  unb  binbert  fo  bie  S£betlnal)me  ber 
©emeine  bei  bem  ©efange,  roäbjenb  b^b^en  Tlnforberungen  bennod)  fein  ©enüge  gefd)ief)t.  Sie  83erdn= 
berung  einiger  »brtigifeben  SBeifen  in  äolifd)e  roirb  man  ibm  nid)t  jurecfynen  bürfen,  fte  berul)t  offenbar  auf 
örtlicher  ©ingart,  unb  fefct  ein  Sttiß bebagen  tiorauS  an  ben  gebetmnißuoll  fd)roebenben  £onfd)tüffen  be§ 
sPbn>gifcr;en ,  unb  einen  Srang  nad)  oolfSmäßtg  befttmmter  abfd)ließenben  metobtfd)en  SBenbungen  am 
6nbe  ber  ©efdnge.  Sri  titer  gälten  fommt  eine  fold)e  Umroanblüng  tior.  S3ei  ben  SKelobieen  ber  fd)on 
früber  bef»rod)enen  jroei  ^)afft'on§lieber :  ,,@f)riftu3  ber  un§  feiig  mad)t,"  unb :  „Sa  SefuS  an  bem  Äreuje 
ftunb"*);  bei  ber  ftidteren  SBeife  be§  ^falmliebeS :  roolf  un§  ©Ott  genäbtg  fecn, "  enblid)  bei  ber 
be§  2tebe3  tiom  jungften  Sage : 

©ott  bat  ba§  (Stiangelium**) 

©egeben,  baß  roir  roerben  fromm; 

Sie  SBelt  ad)t  folcfyen  ©d)a&  nicht  hoch, 

Ser  mebrer  S£f)eil  fragt  nid)t3  banacb; 

Sa§  ift  ein  Säfyen  tion  bem  jüngfien  Sag! 
Sie  Strophe»  btefeä  ©efangeS  enben  fdmmtlicb  mit  einer  gleiten  Seile,  bie  bal)er,  roegen  ihres  »ro»beti= 
fd)en  SnbaltS,  einer  befonberen  2lu3$etd)nung  bebarf,  unb  fte  eben  burd)  ben  auffteigenben,  »l)rr;gifd)en 
£onfd)luß  ftnbet.  Sie  fonft  gewöhnlich  im  Umfange  biefer  Sonart  in  ibrer  §8erfe^ung  —  ber  Sonletter 
tion  A  mit  SSorjeidjnung  tion  b  als  fleiner  ©ecunbe  —  gebräucblicbeSKelobie  erfd)eint  bier  in  bem  Umfange 
oon  D  mit  fleiner  ©ecunbe  unb  ©erte,  inforoeit  alfo  lettergemäf?,  «nb  ber  »olle  S£onfd)lup  burd)  eis  ftatt 
c  roirft  um  fo  auffallenber,  ba  er  ba§  b  tior  bem  eis  beibehält,  unb  baburd)  ba§  nid)t  biatonifd)e  S3erbält= 
niß  einer  übermäßigen  ©ecunbe  in  bie  SKelobie  einführt.  Sa3  botitielt  angefcblagene  b  ber  ©ingroeife  ftellt 
ftd)  in  ber  Harmonie  juerft  bar  alä  fleine  S£erj  be§  roeid)en  Sretflangä  auf  G,  bann  als  oerbotitielte  £)cta»e 
beS  ©ertenaecorbeä  auf  B ;  ba§  folgenbe,  ebenfalls  jroeimabl  hinter  einanber  geborte  eis  bilbet  bie  große 


")   <5»  Sßeifpiet  9lto.  62. 
")   ©.  Seilpiel  9cro.  60. 
r.  SBinUrfete,  tec  etanget.  C^oralgefang. 


46 


  362   


iSerj  be§  barten  £>rciflang§  auf  A,  oB  nunmehriger  Dominante,  bei  (einem  erjien  SBorfommen  bält  aber 
oer  "Kit  (bie  britte  Stimme  von  oben  in  biefem  funfjlimmigen  ©a£e)  ber  £htinte  jenes  3ufammenHangeS 
bie  fleine  ©evte  vor,  rooburd)  gegen  bie  £)berftimme  ba$  frei  eintretenbe,  unb  regelmäßig  aufgelbfte  SSer- 
hältniß  ber  übermäßigen  (Unter=)£iuinte  entftel)t.  9JJan  fiebt,  ©eftuS  t)at  fn'er  barmonifd)  bebeutfam  ferm 
wellen,  unb  baSjenige  vergüten,  ma§  biefer  ©d)luß  burd)  feine  melobtfd)e  Umbilbung  fonft  an  9?ad)brucf 
verloren  l)ätte ;  fein  f"ird)lid)  gebeimnißvolleS  ©epräge  bat  er  freilief)  auf  biefem  Söege  nid)t  erfe^en  fonnen. 
£b  man  bamaß  in  ber  9Diarf  mirflid)  jenen  ©d;luß  fjerfommltdjer  SBeife  fo  gebilbet  babe,  mie  er  nun  i)iex 
uns>  vorliegt ,  ober  nid)t  vielmehr  ganj  einfad)  burd)  bie  Sone  unferer  aufftetgenben  meid)ett  Seiter  (hier 
h  eis  d)  fortgefdm'tten  fer;?  mochte  fd)n»er  ju  ermitteln  fewn.  §3olf§mäßtg  allerbing§  ift  ein  ©d>lußfall 
nid)t,  roie  ber  von  ©eftusü  aufgejeid)nete,  er  fonnte  aber,  bei  bem  SBiberftrette  ber  ftd)  nacbbrüdttd)  geltenb 
mad)enben  vl)rvgifd)cn  gortfd)reitung,  unb  be§  £)range3  ju  einem  vollen  £onfd)luffe,  mol)l  ftatt  gefunben 
baben,  bann  aber  gcroifi  mit  fdnvanfenber  Intonation  bes>  brittle^ten  unb  vorlebten  Sones>,  roo  fie  einan= 
ber  begegnen,  fo  baß  ber  Sonfefcer  i)kx  ber  SSermittelnbe  gewefen  märe.  Saß  bin  unb  rvieber  in 
ben  93ictobicen  ein  rlmtbmifcber  SBccbfel  ba  eintritt,  roo  mir  ibn  in  beren  urfprünglid)cr  ©eftalt,  unb  aud) 
bei  anberen  brtlicben  ©ingarten  nicfyt  ft'nben;  baß  er  bei  anbern  mangelt,  roo  er  fonft  gewbbnttd)  ift  (mie 
in  ber  be§  üiebe§  „£5£amm  ©otte§  unfdwlbig"),  ober  baß  an  bie  ©teile  be3  fonft  gebräud)licben  ungeraben 
£afte§  einiger  ©ingweifen  hier  ber  gerabe  getreten  ift  (wie  in  ber  beö  £iebe§ :  „2(llein  ©Ott  in  ber  $bb' 
fep  ©br'");  baß  enblid)  nid)t  feiten  fwneovirte  £onfd)luffe  in  ben  SJielobiecn  vor!ommen:  alle§  biefeS 
mbd)te 'tfnfangS  an  ber  SEreue  ber  2lufjeid)nung  be§  brtlid)  .!perrommlid)en  bei  ©eftuä  jweifeln  laffen, 
fänben  mir  nid)t  fonft  aud)  in  biefen  Singen  fo  Ijauftge  Abweichungen  «ju  feiner  Seit,  baß  mir  bie  fyter 
bemerften  nid)t  eben  erft  ibm  jufdjreiben  bürfen.  Allein  bie  25 eutungen  ber  SEftobulationen  ber  von  ibm 
aufgenommenen  SBeifcn  geborten  ol)ne  Smeifel  ihm  allein  ju.  Qm  nun  ftnben  mir  in  einer  fef>r  großen 
9Jlenge  von  gälten,  von  benen  mir  nur  einige  l)eraue>beben,  ein  gänjlid)c§  Skrfcnnen  mefentlidjer  "ilu& 
roeiebungen  ber  von  il)m  bel)anbelten  93Mobieen,  intern  er  bergleid)en  meift  in  berSKitte  ber  einzelnen 
3eilen  fud)t,  jtatt  bie  Siubcpunfte  ju  beachten,  weldje  burd)  beren  ©d)lußtbne  bezeichnet  merben.  (53 
ift  mabr,  baß  er  jumeilen  bie  @rbbl)ungen  einzelner  Sone,  bie  er  vorfd)rcibt,  be3l;alb  angeorbnet 
baben  fann,  um  auf  bie  mirflid)e  SJJobulation  am  (Snbe  ber  3eile  bureb  fie  bt'njubcuten ;  gewbl)n= 
lid)  aber  ft'nb  fie  auf  folebe  2lrt  nid)t  ju  erf'lärcn,  unb  führen  Unterbalbtbne  ba  ein,  mo  gar  feine 
Ausweichung  vorbanben  ift.  ©o  ift  in  ber  jmeiten  Seile  ber,  im  Umfange  von  F  ftel)enben,  tont-- 
fd)en  SDielobie :  ,,6in'  fefte  S5urg  ijt  unfer  ©Ott"*)  ber  vierte  Son,  c,  in  eis  vermanbelt,  weil  d 
Darauf  folgt,  ol)nerad)tet  bier  feine  ^u§meid)ung  nad)  d  ftatt  ftnbet,  fonbern  bie  Seile  in  f,  bem  ©runbtone 
beö  verfemten  3omTd)en  fcbließt.  Hud)  läßt  ©eftu§  ju  jenem  eis,  d,  ben  33aß  von  A  nad)  B  l)inauffd)rei-- 
ten,  vrägt  bie  9Jlobulatton  alfo  in  ber  Harmonie  nid;t  au§,  fonbern  jerftört  fte  mieberum  burd)  einen  S£rug= 
febluß.  Sie  ftebente  Heile,  ober  bie  britte  be§  jmeiten  Sbeileg  enbet  er  nid)t  mit  ber  Dbcrquinte  beö 
©runttoneö,  c,  fonbern  in  eis,  meil  d  bie  näd)fte  Heile  beginnt,  unb  leitet  nun  aud)  burd)  feine  Harmonie 
ben  SScginn  biefer  legten  mirflid)  nad)  d.  Qx  nimmt  aber  baburd)  ungehöriger  Söeife  bie  erft  folgenbc, 
pbn)gifd)e  SOiobulation  biefer  fväteren  3eile  (burd)  b  a)  vorauf  inbem  er  ben  ©d)lußtbncn  ber  vorangeben^ 
ben  Cd  eis;  ben  meid)en,  unb  ben  barten  Sreiflang  von  ben  SBaßtönen  G,  A,  unterlegt,  mit  benen  er  fie 

')   ©.  SBeifptct  9?ro.  Gl. 


  363 


begleitet.  Siefpätere,  wirf  liebe  Ausweichung  bief er  Art  beutet  er  fobann  burd)  bie£öne  GunbF  in  ber  @runb= 
jtimme  völlig  ionifd),  verwirrt  baburd)  bie  SRobulationen,  unb  entfMt  bie  Singweife.  3n  ber  p f>r»j= 
gifd)en  SBeife  bes  QMalmlicbeS :  Ad)  ©Ott  »om  Jpimmel  fiel)  barein,  bie  t)ier  in  ber  äJerfefjung 
jener  Sonart,  mit  bem  ©runbton  a  unb  beffen  fleincr  Secunbe,  b,  erfd)eint,  iji  ber  britte  Zon  ber  legten 
3eile,  b,  in  h  veränbert,  weil  c  barauf  folgt;  e$  ijl  jebod)  von  einer  Ausweichung  l)ier  nid)t  im  geringften 
bie  Siebe,  unb  bie  be,eid)nenbe  fteine  Secunbe  wirb  überbem  nod)  burd)  biefe  Sorjeicbnung  ausgemerzt. 
3n  ber  borifeben  SÖJelobie  be$  £fterliebe£:  ,,Sl)rijt  lag  in  SEobeSbanben"*)  fönnte  bie  SSerfo 
berung  beä  jweiten  SoneS  ber  erften  3eiler  g,  in  gis  baburd)  gerechtfertigt  erfd)einen,  baß  biefe  3eile  nad) 
a,  ber  STberquinte  bc§  ©runbtones,  ausweicht.  SBenn  aber  in  ber  folgenben  Seile,  leiterwibrig,  bie  f leine 
Serj,  f,  in  Iis  vcrwanbelt  wirb,  wegen  beS  folgenben  g;  wenn  ein  ©leid)eä  in  ber  erften  Seile  be§  jweiten 
&f)eile3,  anfd)einenb  aus  gleidier  Sjeranlaffung  gcfd)iel)t ;  wenn  in  ber  folgenben,  jweiten,  c  ju  eis  werben 
muß,  weil  es"  einen  Sd)ritt  über  fid)  gel)t,  fo  ift  »on  allen  tiefen  Grrl)bbungcn  feine  einjige  aus"  einem 
foleben  ©runbe  ju  erflären,  unb  namentlich  ftnb  bie  beiben  er(!cn  völlig  entftcllenb,  weil  fte  wefentlicbe 
äSerbältniffc  ber  Sonart  ,erftoren.  3?od)  verte^enber  wirft  eine  äl)nlid)e,  enrjtellcnbe  SSeränberung  in  ber 
SBeife  be§  ÄatecbismuslicbeS :  Qfyxifi  unfer  £err  jum  Sorban  fam,  weil  eben  bas"  erjte  SEon-- 
verbältniß,  ba§  ber  gortgang  ber  9)Zelobie  barfteüt,  bie  f  leine  Serj  (0,  ein  ber  borifcfjen  Sonart  wefent= 
licbeS,  leiterwtbrig  in  bie  große  (Iis;  verwanbelt  wirb,  bie  Harmonie  aber  gar  niebt  einmal  eine  Au3wei= 
ebung  barftcllt  in  ben  folgenben  SEon  g,  fonbern  bie  erften  vier  SEone  ber  SKelobie  —  wie  fte  l)ier  fteben, 
d,  Iis,  g,  a  —  in  ber  Unterftimme  burd)  D,  D,  C,  F  begleitet,  ©ans  übereinftimmenb,  unb  mit  eben  fo 
übler  SSirfung  verfahrt  ©eftu»  in  ber  erften  3eile  ber  SEßelobie :  SSater  unfer  im  4?immelreid).  ®*e 
miroh)bifd)e  SBcife  bes"  alten  ^pmnuä:  Der  bu  bift  brei  in  ßtnigfeit  wirb  burd)  Erhöhung 
be£,  ihr  leitergemäß  wefentlicben  SEonverbältniffes  ber  fleincn  Septime  ol)ne  wirflid)en  £onfd)luß  nad)  g 
ihres"  cigentl)ümlid)en  ©eprägeS  beraubt.  5n  ber  erften  Seile  ber  2Beife  beä^)pmnu§:  ßbrijie  ber  bu 
bift  Sag  unb  2id)0  wirb  ber  fünfte  %on,  f,  in  fis  verdnbert,  wogegen  nichts  erinnert  werben  fbnntc, 
mit  33e$ug  auf  bie  fpdtere,  ohne  SSerübrung  bes  Unterl)albtone>,  nad)  g  gewenbete  Aufweichung.  £>a$ 
biefem  Iis  folgenbe  g  wirb  bann  mit  bem  harten  £>reiflange  begleitet,  anfeheinenb  au§  feinem  anberen 
©runbe,  als  weil  in  bem  Scnor,  ber  beffen  große  SEerj,  h,  enthalt,  wegen  be§  folgenben  c,  baS  b  bem 
Sonfefeer  unftattl)aft  erfdicinen  mod)te.  Nun  geht  aber  ber  Alt  mit  ber  £>utnte  biefeS  Dreiflangö,  d,  um 
einen  Schritt,  nad)  e,  aufwärts,  unb  läßt  bie,  wegen  bee>  folgenben  Dreiflangö  auf  f,  wibrige  S3erbin= 
bung  ber  großen  Serj  unb  Serte  hören;  boppelt  verlefeenb,  weil  b,  ber  Son,  in  welchem  ba§  erfte  SSer= 
bältniß  fid)  barftellt,  bie  übermdfjige  £hiarte  von  bem  ©runbtone  jeneS  £reiflangs  ift.  9cad)  allem  biefem 
cnblid)  weidit  nun  bas>  @nbe  ber  3eile  nid)t  einmaht  regelmäßig  auf  nad)  g;  bie  harten  £)reiflänge  von 
f,  b,  f,  g  fteben  nebeneinanber,  burd)  bie  gar  feine  SDiobulation  auageprägt,  in  benen  ber  Unterhalbton  von 
g  nicht  berührt,  ja,  burd)  ba£  boppelt  angcfd)lagene  f  fogar  ba5  ©efühl  beffelben  verwifd)t  wirb,  ©leid) 
ber  erfte  SEon  ber  SQielobie  bes  SiebeS:  bitten  wir  im  fieben  finb,  g,  wirb  mit  einem  Äreuj  be$eid)= 
net,  weil  a  folgt ;  biefe»  gis  unb  a  ftellen  fid)  aber  in  ber  Harmonie  bar  als"  bie  großen  SEerjen  ber  SEbne 
E  unb  F,  unb  e§  ift-  feine  Ausweichung  nach  a  auggeprägt.  3n  ber  vierten  unb  fünften  3eile  be§ 
^weiten  5£f>eiteö : 


")    SScifpiet  9?ro.  63. 
aSeii'pt'cl  9tro.  64. 


46* 


  364  • 


Jpeiliger  Sperre  ©Ott, 
.^eiliger  fiarfer  ©Ott! 

roirb  bie  leitergcmdfje  fteine  Secunbe  be§  $Pbi'99ifd)en,  f,  wegen  be§  folgenben  g,  §u  fis  umgeflaltet,  bie 
Sonart  alfo  eineS  »efentlu$m  SSer^äftttiffeS  willfül)rlid)  beraubt.  £>ie  33ef)anblung  ber  9Jietobie  25urd) 
Äbomö  Sali  ift  ganj  uerberbt  führt  in  ber  cvfien  3eÜe  gis  ein  anftatt  bee>  oierten  SoneS  g,  in  ber 
jmeiten  3ette  eis  ftatt  beö  jweiten  SSoneS  c,  »eil  a  unb  d  auf  biefe  urfprünglid)en  SSone  folgen,  allein  ohne 
burd)  eine  fpdtcre  SSJiobulation  eine  Berechtigung  ju  ftnbcn  für  biefe  Umdnberung,  ba  bie  erfte  Seite  nad)  d, 
bie  jroette  nad)  a  ausweid)t.  9Jlan  wirb  an  biefen  neun  gällen  ft'd)  hoffentlich  genügen  laffen ;  üiele  ät)n- 
licbe  bieten  ftd)  t>on  felbft  bar,  ol)ne  bafi  man  banad)  ju  fud)en  braucht.  91un  f'bnnte  man  in  ©eftuS 
S5ebanblungen,  biefem  allem  jufolge,  fd)on  einen  58  er  fall  beS  einfachen  6f)oralfa(3cS  finben  wollen.  So 
SBteleS  aud)  biefe  SRcinung  mochte  ju  unterfiüfcen  fcheinen,  fann  id)  if>r  bod)  nid)t  beipflichten;  id)  finbe  in 
©cfüB  Salden  ein  anbereö  Skrbdltnif?  ju  ber  ©ntmtd'lung  jener  2frt  be3  mel)rftimmigen  Sonfa^eS,  unb 
voill  mid)  ndl)cr  bariiber  erfldren. 

£>afj  bie  erfte  4?dlfte  beö  lCten  ^ß^rljunbertS  in  ber  Äunft  beS  Sonfa^eS  alS  bie  ber  @ompo= 
ntjien,  ber  Sufammenfügenben,  angefefjen  werben  fbnne,  bie  jweite  bagegen  aB  bie  ber  l)armo= 
nifd)en  (Entfaltung,  ift  öfter  fcfyon  bemerft  worben.  Sn  jener  früheren  Seit  würben  bie  einjelnen 
Stimmen,  beren  SJZclobiecn,  für  ft'd}  genommen,  meifl  in  irgenb  einem  bebeutfamen  33erl)dltniffe  ju  einan= 
ber  flanben,  fünftlid)  mit  cinanber  üerbunben,  um  fo,  ohne  S3erle|ung  bee>  £)l)rc3,  eine  jebe  ungetrübt 
burd)  bie  anbere,  mit  einanber  ju  erflingen.  Sag,  aB  fold)e3,  gewiffermaafsen  jufdllige  ©anje  baute 
au3  bem  (Einzelnen  ftd)  jufammen,  jeber  Stimme  für  ft'd)  würbe  9Jiobulation  jugefchrteben,  unb  eine  eigene 
Sonart,  bie  aB  eine  »erwanbte  ftd>  anreihte  an  bie  beS  SenoreS,  ber  $auptf!imme,  beffen  SEonart  baber 
aud)  für  bie  be§  ©anjen  galt,  So  war  eS,  wenn  bem  Senore  irgenb  ein  fird)lid)er  ©efang,  ober  eine 
«Singweife  anberer  2ut  jugetljeilt  war,  bie  man  burd)  ein  ©ewebe  »on  mehren  Stimmen  verherrlichen 
wollte;  fo  auch  aBbann,  wenn  er  feinen  feften  ©efang  in  biefem  Sinne  enthielt,  fonbern  nur,  ben  übrigen 
ähnlich,  einen  gaben  biefeä  fünfilid>en  @ewebe§  bilbete.  25a$  ©efefc  beS  einzelnen  waltete  l>ter  gebie= 
tenb  cor,  unb  fd)affenb;  gab  e3  ein  fold)e3  aud)  für  ba3  ©anje,  fo  war  beffen  £l)ättgfeit  nur  eine 
oerbütenbe,  ben  Übelflang  abwebrenbe.  2fober§  verfielt  e3  ftd)  um  bie  3cit  l)armonifd)er 
(Entfaltung.  £ier  gab  e§  nun  eine  ©runbtonart  beä  ©an jen,  aB  foldjen,  unb  SJcobulation  in  bie= 
fem  Sinne,  bie,  wenn  aud)  burd)  baö  ©injelne,  bod)  in  bem  ©anjen  erfolgte,  unb  in  il)m  erfl  jur 
'^nfd)auung  fam,  bie  alfo  nid)t  mel)r  angefe^en  werben  fonnte  aB  üorljanben  in  bem,  für  ftd),  aB  felb= 
ftdnbig  betrachteten  einzelnen.  2)a§  gebietenbe,  fd)affenbe  ©efe^  offenbarte  ft'd)  alfo  in  bem  ©anjen, 
bem  jebeS  einjelne  untertljan  blieb;  unb  gab  e§  ein  S3efonbereö  für  biefeS  ©injelne,  fo  war  eö  wieberum 
nur  ein  »erbütenbeä  unb  abwefyrenbeS,  baö  bab,in  gerichtet  war,  bem  eigentümlich  au^gepalteten  Xi)t\k 
bie  Schränken  anjuweifen,  in  welchen  er  ein  gntfattenbeS  fei)  für  ba§  ©anje.  9lun  war  wol)l  ba§ 
@efe%  für  baä  (Sinjelne,  bis  über  bie  Sötttte  be§  3al)rf)unberB  hinauö,  in  ber  Sehr e  genügenb  jur  (Srfennt= 
nig  gefommen,  unb  feftgcftcllt  worben;  baö  ©efef^  für  baö  ©anje  bagegen  beruhte,  aB  fold)e§,  allein  in 
bem  inneren  ©efühle  unb  triebe  beö  Äünftlerg,  in  feinem  richtigen  Safte  unb  Snftinft,  wenn  wir  e§  lieber 
fo  nennen  wollen;  in  baS  2ßort  war  e§  nirgenb  genügenb  niebergclegt.  £)ic  2el)re  fpann  lebiglid)  auf 
bem  bisherigen  2Bege  ftd)  fort,  unb  jeigt  nur  hin  unb  wieber  lichtere  S3tide.  Mein  im  Sinne  ber  alteren 
geiftlichen  Sonfunfl,  ber  bie  Äird)entöne  in  ber  Crntwid'lung  be§  biatonifchen  Älanggefd)led)teä  ©runb; 


  365   


formen  geworben  roaren,  unb  burd)  barmonifebe  Entfaltung  biefeS  in  noch  üiel  tieferem  ©inne  mürben, 
fam  eine  genügenbe  Üetjrc,  bie  bas»  ©efel?  be§  ©anjen  oerfünbet  unb  gebeutet  hätte,  überall  nicht  ju 
©tanbe.  Senn  mit  bem  S3eginn  be§  folgenben  17ten  Sabrbunberts»  trat  jener  Umfcbmung  ein  in  ber 
Äunft,  ber  bie  bisherigen  ©runbformen  burd)brad),  inbem  er  bie  4?errfd)aft  bes>  biatonifchen  Älangge= 
fd>led>tes?  aufhob,  unb  bie  be3  d)romatifd)en  an  feine  Stelle  fe|te.  Sie  3abl  ber  SSonv-crbälrmffe,  bie  auS 
ber  SufammenfieUung  ber  einjelnen  ©lieber  ber  biatonifchen  Setter  fiel;  bilben,  vermehrte  fiel)  nun  um  23ic= 
le3,  burd)  Scharfen  unb  2lbftumpfen,  Erhöben  unb  Erniebrigen  biefer  ©lieber;  mar  tiefet  bisher  nur  in 
bcjtimmten  ©renjen  gefebeben,  meldte  burd)  bie  9catur  be3  Siatonifcben  gefteeft  maren, '  fo  gefd)abe  e3  nun 
olme  alle  Siücfficbt  auf  biefelben,  meil  bereit  ©eltung  aufgebort  f>atte.  ©o  entftanb  eine  gülle  oerminbertcr 
unb  übermäßiger  Sonoerbältniffe,  unb  burd)  fie  eine  Spenge  ber  mannid)fattigften  SJiifjf länge,  bie  aB 
envünfd)te  93iittcl  für  neue  £onfd)öpfungen  aufgcfud)t  unb  angemenbet,  ein  ganj  neues»  SSerfabren  für  ben 
mebrjtimmigen  Sonfa|  mie  für  bie  SJMobiebilbung  bebingten,  unb  ber  S5etrad)tung  bei»  3)onlebrers»  eine 
ganj  anbere  9?id)tung  gaben.  ^)iemit  hing  allerbingS  ein  jeitiger  Verfall  ber  alten  fird)lid)en  SEonfunft 
jufammen;  ein  trübes»  ©emifd)  bei»  Gilten  unb  be3  9Zeuen  ging  baraus»  Ijeroor.  ©puren  eines»  folgen 
S3erfalles»  aber  ftnben  mir  bei  ©efius»  nicht;  mie  mir  aud)  faum  »orau6fe^en  bürften,  in  ben  legten  fahren 
bes»  16ten,  unb  ben  erjten  be3  folgenben  3abrbunbert3,  einen  folgen  in  Seutfd)lanb  bereits?  anzutreffen. 
Senn  am  früb eften  in  Stalten,  unb  bort  aud)  erft  um  jene  le^tgenannte  Seit,  bahnte  jene  9?icbtung  fid)  an, 
bie  »on  bort  aus?  bann  meiter,  jumabl  über  Seutfd)lanb,  fid)  »erbreitete,  unb  ben  SS  er  fall  bes»  Gilten  jur 
golge  hatte,  ©efius»  aber  fud)t  melobifcb  feine  neuen  Sonücrbältniffe,  jtrebt  in  feinen  £armonieen  nid)t 
nad)  fremben  ^Dttflf langen,  unb  mo  mir  35eibee»  bei  ihm  ftnben,  tonnen  mir  e3  auf  anbere  ©rünbe  juruef* 
führen.  Sie  Littel,  beren  er  fid)  bei  feinem  SSerfabren  bebient,  bie  erhöhten  ober  erniebrigten  Sone,  bie 
er  einführt,  finb  lebiglid)  folche,  mie  fie  burd)  bie  Enrmicflung  bes»  biatonifd)en  Älanggefcblecbts»  fd)on  v»ot 
ihm  gegeben  maren ;  über  fie  geht  er  nicht  hinaus».  2Ba§  uns»  bei  ihm  ftort  als  Unflarbeit  unb  SSermorrem 
heit,  hat  einen  ganj  anberen  ©runb.  Senes»  fünjtlerifd)  richtige  ©efübl  nämlich,  jener  fieber  leitenbe  Srieb, 
ber  bas»  ©efefi  für  bas»  ©an  je  eines»  mebrjtimmigen  Sonfa^es»  in  ber  Äunjtübung  erfennen  unb  beobachten 
lehrte,  aud)  ohne  in  SBorten  barüber  Sfecbenfcbaft  geben  ju  fonnen,  mar  nur  ben  in  »ollem  ©inne 
bilbungs»f  räft igen  Sonfe^ern  ber  jmeiten  £älfte  bee>  16tcn  Sabrbunberts»,  nnb  allerbtngS  in  t>orjüg= 
lid)em  SJiaafje  eigen,  ©elten  nur,  unb  auSnabmSmeife,  »erläßt  fie  berfelbe,  bann  aber  fallen  fie  einem 
unreifen  ©rübeln  anheim,  unb  fo  entfielen  bie  fleinen  glecfen  ihrer  SBerfe,  bie  uns»  anfiofitgen  ©teilen 
berfelben.  2lu§  ntebts?  3lnbcrem  alfo  gehen  fie  hervor,  al§  aus»  bem  SBiberftreite  jmifchen  bem»@efe|e  bes» 
(Sinjelnen,  ba£  bereite  in  ba3  SSort  niebergelegt  mar,  mit  bem  ©efefje  für  ba3  ©anje,  bas»  nur  in  bem 
ermachten,  höheren  Äunftfmne  beruhte,  unb  mofür  ba§  beutenbe  SBort  noch  nicht  gefunben  mar.  Sie 
ßöfung  tiefet  SBiberftreite§  mar  aber  allejeit  nur  in  jenem  ©inne,  ©efübte,  Sriebe,  beä  ÄünfflerS  gegeben, 
unb  mo  biefemeniger  mächtig  maren,  fonnte  ft'e  nicht  ermartet  merben.  Sie  befchränftere  33ilbung§= 
fr aft  bes>  Sonfe^erä  alfo  brachte  nothmenbig  einen  9Jiangel  an  fünftlerifcher  Sicherheit  hettmr,  unb  hatte 
bas>  überhanbnehmenbe  .Ipeimfallen  jur  Solge  an  bie  ungenügenbe  ältere  2ebre,  unb  an  bie  Folgerungen, 
bie  burd)  unreifes»  ©rübeln  aus»  berfelben  hergeleitet  mürben,  ©o  ift  e§  mit  ©efius»  gefebehen,  unb  bie 
"Srt,  mie  biefes»  bei  ihm  herbortritt,  ift  lehrreich,  fo  menig  Sßefriebigung  unfer  Äunftfüm  auch  babei  finben 
mag.  ift  eigenthümlich,  in  ber  £hat,  ju  fehen,  mie  er  balb  ba§  ©anje  über  bem  ©injelnen  oerliert, 
bann  aber  aud)  mieber  ba§  ©njelne  über  bem  ©anjen.  3nt  (5l)oralfa&e  ift  allerbingö  auch  bie  £auptftimme 


  366   


nur  ein  etnjelneS  ©lieb  bcS  ©anjen,  fie  ftebt  aber  baburcb  ben  übrigen  üoran,  baß  fie  eS  ift,  aus  ber  biefe 
ftd)  entwitfeln,  unb  burd)  ihren  Sufammenflang  bie  innerfte  Seele  jener  .Ipauptftimme  offenbaren  foUen. 
Ohm  finb  beren  AuSweid)imgen  in  ibsen  einzelnen  Seilen  entweber  feb on  benimmt  ausgeprägt,  inbem  ben 
Sd)lufHbnen  ihr  Untcrbatbton  »Orangeat;  ober  fie  ergeben  ftd?  au§  bem  3ufammenbange  beS  gortgangeS 
ber  SJiclobie,  unb  bebürfen  nur  noch  einer  fd)ärferen  Ausprägung  burd)  bie  begleitenben  Stimmen,  beren 
eine  nun  ibrcrfeitS  ben  erforbertid)en  Untcrbalbton  einführt.  Sber  enblicb,  fie  finb  jweibeutig ;  bann  ent= 
fd)cibet  bie  Gngcnthümlicbfcit  ber  ©runbtonart,  unb  ber  SEonfefcer  bat  fie  nach  beren  83erwanbtfd)aften  ju 
ben  übrigen  burd)  bie  anbern  Stimmen  ju  beuten,  unb  fo  entweber  » o II e  SEonfcblüffe  ju  bilben  burd)  bie 
gehörigen  Unterbalbtone,  ober  halbe,  inbem  er  irgenb  ein  S£ont>erbältnif  in  ben  begleitenben  Stimmen 
fdjdrft  ober  erniebrigt,  foweit  er  beffen  bebarf.  Sie  SSeränberung  einzelner  £om>erbältniffe,  jumabl  für 
bie  Sßilbung  von  Unterbalbtönen,  f)at  alfo  nur  für  baS@anje  einen  Sinn;  fofem  nun  biefeS  burd)  bie 
$auptftimme  bebingt  wirb,  fann  fie,  ber  Sfegel  nad),  in  biefer,  als  einem  ©egebenen,  nicht  flatt  haben, 
eS  wäre  benn,  baf$  in  ihr  nur  baS  3eid)en  ber  fd)on  ü  orauSgefe^ten  Scbärfung  eines  einjelnen 
SoneS,  ber  wirf ltd?  Unterbalbton  ift,  mangelte;  wo  bann  aber  nur  bie  ©rgdnjung  einer  fehlenben  Anbeu= 
rung  ftatt  ft'nbcn  würbe,  ntct;t  eine  wirtliche  33eränberung.  Sonfd)lüffe  in  ben  einzelnen  Stimmen, 
fofem  fie  nid)t  auS  bem©anjen  hervorgehen,  finb  im  6boralfa!=5e  einUnbing;  Unterl)albtöne  in  ihnen, 
bie  feine  AuSweidmng  beS  ©anjen  barftellen,  ftbrenb,  unb  ungehörig.  biefem  Sinne  bat  nun  ©efiuS 
felbft  bie  4?auptjtimme,  bie  ju  entfaltenbe  SSJJelobie,  ju  einer  ein  je  Inen  Stimme  gemacht  in  befebränftem 
Sinne ;  er  bat  i()r  Unterbalbtone  jugetf)eilt,  wo  feine  5öiobuIation  üorbanben  war,  ober  bie  üorauSgefeljre 
ben  wefcntlid)jtcn  SScbingungen  ber  ©runbtonart  wiberfprad),  inbem  fie  Anbcrungcn  erforberte,  burd)  bie 
bejeiebnenbe  SScrbältmffe  jener  jerftbrt  würben,  G>r  l)at  bann  aber  jene  SJlobulation  nid)t  einmal)!  burd) 
bie  Harmonie  ausgeprägt,  beSjenigen  alfo,  baS  ben  j£cm  feiner  Aufgabe  enthielt,  als  Littel  ju  Grrret= 
ebung  eines  fremben  3wedeS  ftd)  bebient.  £)a§  ©anje  ift  ihm  in  bem  einzelnen  »erloren  gegangen, 
aber  aud)  baS  Crinjclne,  baS  ben  Äeim  bcS  ©anjen  in  fid)  trug,  über  einem  fremben  ©anjen.  Am  auffaU 
lenbften  wirb  biefeS  ba,  wo  er  eine  am  Gmbpunfte  einer  Seile  ber  SJJclobie  mit  SScftimmtbeit  bargejMltc 
Ausweichung  üerwifebt,  unb  beS  werdnberten  Sd)lufstonS  fid)  bebient,  um  baburd)  eine  ganj  anbere  einju= 
führen,  wie  wir  biefeS  in  feiner  83ebanblung  ber  SSBeife:  ,,6in'  fefte  S5urg  ift  unfer  ©Ott"  bemerften.  So 
will  er  bilben,  entfalten,  aber  er  ttmt  eS  in  bem  ©injclnen  ftatt  beS  ©anjen*,  eS  fd)webt  il)tn  ein  ©anjeS 
cor,  aber  eS  ift  feiner  Aufgabe  fremb ;  biefe  entjieht  fid)  unaufhörlich  feinem  ©rübeln,  er  ift  jerftbrenb,  wo 
er  entfaltenb  fepn  will.  SSBaS  bei  bilbungSfräftigcn  Sehern  feiner  Seit  Ausnahme,  ift  bei  if)m  baS  SSor= 
waltenbe;  bei  bem  Langel  genügenber  2ef;re  einesteils  Unftd)erbeit  jeneS  fünftterifd)ctt  SEafteS,  ber  biefen 
Langel  erfeijen  tonnte,  anberntl)eilS  Unreife  ber  ^Betrachtung;  unb  fo  entftebt  ifjm  jumeift  baS  Ungehörige. 
Doch,  biefeS  freilid)  nur  ba,  wo  er  ein©egebeneS  entfalten  foll,  wie  in  feinen  ßboralwerfen ;  wo  er 
felbjtdnbig  erfinbenb  ift,  ba  fef)rt  il)m  aud)  bie  fünftlerifd)e  Sid)erf;eit  jurüd,  ein  ganj  Anberer  jeigt  er 
ftd)  bann,  unb  fo  ift  benn  aud),  i()rem  Äun(twertl)e  nad),  feine  ?)affion,  eine  freie  Sd)öpfung,  feinen 
geiftlid)en  Siebem  um  XSicleS  »oranjufteUen.  AUein  biefe  belehren  unS  bod)  wieber  über  baS  Streben  feiner 
3eit  bureb  alle  ihre  ©ebreeben,  benn  biefe  finb  burebweg  in  beren  befonberen  33erbälrniffcn  gegrünbet,  unb 
wir  burften  ihm  beSbalb  aud)  nid)t  uorübergeben.  Um  fo  weniger  fonnte  bieS  gefebeben,  weil  wir  fpdter, 
wo  ein  58  er  fall,  ben  wir  bei  ibm  noch  nicht  finben,  nicht  mehr  abzuleugnen  ift,  an  ihn  mieberum 
anfnüpfen  werben.    Senn  an  feinem  Streben  unb  Srren  wirb  unS  bann  erft  red)t  beutlich  werben  fönnen, 


  367   


wie,  bei  bem  £injutritte  anderer,  in  feinen  Sagen  nod)  nid)t  oorbanbener  33ebingungen,  ba$  Silben  jener 
fpdteren  3eit  eben  fo  fief?  babe  geftalten  muffen,  wie  wir  eS  aßbann  [eben  werben. 

Sfteben  ©ctl)  ßaroift'uS  unb  ©eftuS  maren  im  norblidjen  Seutfd)lanb  für  ben  einfachen  ßboralfaij 
aud)  anbere  SSonfeljer  nod)  tf)dtig.  Unter  btefen  jeid)nen  fid)  au3  bie  oier  £amburgifd)en  Drganijten 
.ÖieronnmuS  9)rdtoriu3  (ober  ©dmlfc),  3acob  ^rdtoriuS,  Satub  ©djeibemann  unb 
3oad)im  Seder.  Sa3  SBerf,  an  voclcfjem  btefe  vier  gemetnfd;afttid)  S£f)ctl  I^aben,  erfcfjien  jmar  erft  in 
ben  früheren  Sagten  be3  17ten  3abrbunberts>,  um  1604;  bennod)  gebenfen  mir  beffelben  abft'd)tlid)  an 
biefem  £rte.  £ierom)mu3  9)rdtoriu§,  ber,  jwar  nid)t  ber  3af)l,  bod)  bem  Sßcfen  nad)  baran  ben  »orjüg= 
lid)jten  2lntl)eil  bat,  mar  um  1560  ju  Hamburg  geboren,  ®elfyn  be§  bortigen  £rganijten  Sacob  ©d)ulfj ; 
von  biefem  feinem  Skter  rübren  mobl  bie  mit  bem  tarnen  Sacob  ^rdtoriuS  bezeichneten  ßboralfd^e  jenes 
25ucbe§  ber,  benn  ber  gleichnamige  ©ol)n  unfere§  £ierom)mu3  fann  if>r  Urheber  nicht  fenn,  ba  er  erfl  um 
1600  geboren  mürbe.  Über  bie  beiben  anberen  fehlt  un§  jebe  nähere  9tod)rid)t.  ^einrieb,  ©d)eibemann, 
um  bie  SJiitte  be§  17ten  Sabrbunbertä  t^n'9/  9Kitfd)üler  be3  jüngeren  Sacob  9)rdtoriue>  im  £)rgelfpiele  bei 
$>eter  ©weelind,  mar  ein  ©ofm  #an3  ©d)eibemann§,  oorauSfeljltd)  alfo  etne§  2tlter3genoffen  unfereö 
£ierom)tnu3 ;  Saoib  ©cheibemann,  uon  bem  bier  bie  9febe  ijt,  tonnte  ber  SSater  biefeS  legten,  alfo  3eit= 
genoffe  beS  alteren  Sacob  ^)rdtoriu§  gemefen  fewn.  Joachim  Seder  lernen  mir  allein  burd)  ba§  ju  bef»re= 
chenbe  SÜßcrt  fennen.  £)l)ne  3meifel  »erlebten  alle  btefe  Scanner  bie  Idngfte  unb  frdftigjte  3eit  tfjre§  SafennS 
im  lOtcn  Sabrbunterte.  83on  £icrom)mu$  *Prdtoriu§  miffen  mir  bie6  benimmt,  ba  er,  wie  bemerft,  um 
1560  geboren,  mit  bem  (Eintritt  be§  17ten  3abrf)unbert3  alfo  bereits  ein  83ierjiger,  um  1629  jtarb;  fein 
XSater  unb  beffen  WterSgenoffe  Sam'b  ©cheibemann  geboren  alfo  um  fo  mein-  bem  16ten  Sal)rl)unberte  an; 
mit  ibnen  allen  tbeilt  Seder  ein  »oUfommen  gleid)c<j  ©treben  im  ©inne  jener  merfmürbigen  3cit.  See>f)alb 
ijt  aueb,  obne  9iüdfid)t  auf  bie  Sabrjal)l  il)re3  fpdter  gebrudten  @efammtmerfe§,  von  ihnen  bier  ju  reben. 
Siefen  2Berf  fübrt  ben  Settel :  93ielobci)en©efangbuch,  barein  Sr.  2utf)er3  unb  anber  (griffen 
gebrdud}lid)fte  ©efdngc,  ibren  gemblmlicben  SUMobieen  nad)  burd)  ^ieronpmum  Oratorium,  Soadn'mum 
Sederum,  3acobum  Oratorium,  Saüibem  ©ebetbemannum,  SJRuftcoS  unb  »erorbnete  £>rganiften  an  ben 
vier  @afpelftrd)en  ju  Hamburg,  in  »ier  ©timmen  übergefe^t,  begriffen  ftnb.  ©ebrudt  ju  Hamburg  burd) 
©amuel  9?tebinger,  3£nno  ßbrijtt  1604.  @§  enthalt  88  Sonfd^e  im  ©anjen:  5  von  nicht  genannten 
9Reijiern,  21  oon  ^)ieronnmuä  $)rdtoriu§,  30  »on  3oad)im  Seder,  v>on  beiben  bie  95Zet)rjaf)l  beö  ©am 
jen ;  üon  Sacob  sprätoriuS  19,  t»on  Saöib  ©cbeibemann  13.  ©ie  ftnb  fdmn  it)rer  golge  nad)  alpbabetifd) 
georbnet,  bi§  auf  bie  5,  am  ©d)luffe  ftel)enben  ©d^e  ungenannter  SSJJeifter.  3flle  biefe  ©efdnge  baben, 
ber  S3orrebe  jufotge,  bie  ju  Hamburg  ben  Iften  ©ept.  1604  gefd)rieben,  mit  bem  tarnen:  ©abriel  ^>uäbu= 
»iu§  9ttobberanuS  unterjeid)net  ijt,  mit  ten  gleichartigen  SBerfen  be§  Sft'anber,  9Jiarfd)all,  ßaloifiuS  unb 
©eftu§  benfelben  3med.  ,,©ie  ftnb  in  vier  ©timmen  alfo  abgefegt  <t>etf3t  e§  bort),  baß  ben  SiScant  aud) 
ein  jeber  Gtjrtft,  mann  er  fd)on  ber  Stufte  unerfahren,  unb  nid)t  fdjriftfunbig,  bennod)  mit  ben  anberen 
breien  unterfd)ieblid)en  ©timmen  fein  übereinlautenb,  gleid)  mit  mufteiren,  unb  neben  unb  fammt  ibnen, 
im  füßen  unb  lieblid)en  5£ono  ©otte  bem  £errn  fingen,  unb  mit  ^>er5en  unb  Sföunb  ib.  n  l)errlid)  loben  unb 
greifen  fann.  Senn  e§  f>at  unb  finget  ber  SBcant,  meld)er  ftetä  oben  an  ftetjet,  bie  gemöljnlicbe,  unb 
fonberlid)  biefer  Örter  befannte  SDielobep,  meld)e  benn  aud)  gar  nid)t  mit  (Soloraturen  unb  weit  umberfab= 
renben  Äunftgdngen  fd)wer  gemacht  unb  verlängert,  fonbern  fein  fd)led)t,  wie  fte  auf  un§  fommen  ftnb, 
unb  bem  gemeinen  SSolfe  in  Äird)en  unb  Käufern  üblid),  obne  aud)  bie  geringfte  fßerdnberung,  allste 


  368   


behalten  werten."  Über  bie  Verherrlichung  be3  ©otteSbienjfeS  burch  folgen  ©efang  äußert  ftd>  ber  §3or= 
rebner  mit  S3ejug  auf  Äimfifptcl  unb  Äunftgefang  auf  eigentümliche  SBeife.  fet>  fetjr  anmutbig,  fagt 
er,  flinge  lieblich,  tbue  einem  cbriftlicben  $erjen  fanft,  unt>  helfe  nicht  wenig  jur  2lnbacbt  be§  SEBorteS  (bei 
fleißigem  tfufmerfen  eincä  auf  ben  anbern),  „wenn  fold)e  cbriftlicbe  ©efange  entweber  bic  liebe  Sugenb 
aufm  (Sbor  her  quinfeliret,  ober  auch  ber  Organift  auf  ber  Orgel  fünjflicb  fpielet,  ober  fie  beibe  ein  6f)or 
machen,  unb  bie  .Knaben  in  bie  Orgeln  fingen,  unb  bie  Orgel  binwieberum  in  ben  ©efang  fpielet,  aß 
nunmehr  in  biefer  ©tabt  gcbräucblid)."  Uber,  fährt  er  bann  fort,  ,,aßbann  mag  auch  ein  jeber  @brift 
feine  fditecbte  Saienftimme  nur  getroft  unb  laut  genug  erbeben,  unb  alfo  nunmehr  nicht  aß  bae>  fünfte, 
fonbern  aß  ba3  vierte  unb  gar  füglid)c  Sfab  ben  SRufifwagen  beS  2obe3  unb  *Preife§  göttlichen  SRamenö 
gemaltiglicb  mit  forrjieben,  unb  bß  an  ben  2CUcrf)bct>ftert  treiben  unb  bringen  helfen."  Sule^t  wirb  noch 
betn  Älügling  eine  2el)re  gegeben,  weld)er  bergleichen  für  ,,ein  fchlecht  thun"  halte,  unb  wa»  S5effere§  unb 
.RunjtrcicbcreS  gern  haben  wolle.  £ier  beißt  e§  nun:  ,,.Kunft  will  e3  allejeit  nicht  aufmachen,  fonberlid), 
wenn  man  für  ©ort  ju  fchaffen  hat.  Sempet  ober  Archen  unb  fcfylecbte  ßbrijfen  laffe  man  mit  überaus 
großer,  angemaaßter  Äunfi  unverworren,  man  fpare  biefelbe  viel  lieber  auf  anbere  Orter.  Safelbjf  muß 
unb  foll  alle§  fd)lecbt  unb  recht,  langfam  unb  gravitätifcb  im  2efen,  ^rebigen,  ©ingen  unb  ©fielen  juge= 
ben.  2Bo  nicht  feine  ernfihafte  Motetten  unb  berjrübrenbe,  bewegliche  ^Pfalmen  unb  ©efange,  fonbern 
leicbtfertiglicb  einher  büpfenbe  (Stüde  unb  ßieber  auf  Gtyor  unb  Orgeln  gefungen,  unb  mit  fremben  welfcben 
S3ublenfprüngen  unb  Sidtaden,  ober  wunberlicben  Sugen,  aß  wemß  jum  S£anj  ginge,  gefpiclct  werben, 
ba  fann  nicht  allein  feine  2lnbacbt  folgen,  fonbern  muß  auch  rcobl  bamit  ein  ©fei  für  ber  lieblichen  unb 
herrlichen  SDiuftca  in  bie  anwefenben  £erjen  hinein  gefeboben  unb  gepfropfet  werben.  Unb  wäre  jwar  biefen 
vier  9Jluftcß  allbie  ju  Hamburg,  unb  fonberlid)  «Ipcrrn  ^)icronwmo  ^rätorio  fold^S  gar  wohl  ju  thuti  gemeft, 
ja,  fte  hatten  auch  viel  lieber  baran  ein  jeglicher  feine  Ättnft  beffer  fehen  laffen,  bann  wie  gefebeben,  wenn 
fte  nicht  auf  frommer  ßbriften  rreuberjige§  Ermahnen,  um  ^nbaebt  willen,  berfelben  $u  bienen,  fieb  ber 
lieben  ßinfältigfeit  alfo  befleißigen  müffen."  2}iefe  SSorte,  wenn  fte  auch,  nur  ben  Sftißbraucb  ber  Äunff 
ju  ftrafen  fcheinen,  laffen  boch  auch  nicht  unbeutlich  ein  Mißfallen  burchbliden  an  berfelben  überhaupt. 
Vielleicht  waren  fie  veranlaßt  burch  ba3  fo  fel)r  überfyanbnebmcnbe  ©efallen  an  ben  italienifd)en  ©efange 
formen  ber  33itlanellen,  ßanjonen,  unb  anberen  biefer  2lrt,  weld)e  bamaß  häufig  auf  beutfdic  2ieber,  felbft 
geglichen  Snbalß,  angewenbet  würben;  formen,  beren  rafcb  bewegter,  melobifcbcr  gortfd)ritt  aud)  bem 
fünftltcberen  Sonfa^e  größere  Belebtheit  gab,  von  biefer  Seite  alfo  nid)t  minber  ben  Grrnff  fachlicher  geier 
mit  ©efäl)rbung  ju  bebrohen  febien.  S3on  baher  befonberS  mochte  man  SSerberben  fürchten  für  bie  beilige 
Sonfunft,  baS  man  von  3(nwenbung  ber  SOtelobieen  vaterlänbifclber  weltlicher  ©efange  bßber  nicht  beforgt 
hatte;  beSbalb  mochte  man  —  jumabl  aud),  bamit  burd)  bie  immer  freier  unb  reid)cr  fid)  entwidelnbc 
Äunjl  bem  ©efange  ber  ©emeine  nid)t  ©intrag  gefebebe  —  auf  bie  altbcrfbmmlicben  SJielobicen  verweifen, 
unb  ihre  einfache  JBebanbtung.  Smmer  waren  e§  jebod)  bamaß  nur  S3eforgniffe  wegen  möglichen  8Ser= 
falleö,  benn  aud)  in  ben  fünftlicheren  ©efängen  für  firchlichen  ©ebraud)  fönnen  wtr  in  jener  3eit  üon  einem 
folcben  nid)ß  wahrnehmen,  ©oviel  barf  inbeß  jugegeben  werben,  baß  minbefteiß  ^teron^nttte 
^Prätortuö,  wie  er  überhaupt  glüdlicher  war  in  f  ünff  lid)en  aß  einfachen  ©äfecn,  bergleichen  aud)  wol)l 
lieber  gearbeitet  haben  würbe.  Gr  iff  barin  ba§  SEBiberfpiel  feine§  9camenggenoffen  9ERicbael,  oon  bem  fpäter 
]u  reben  ferm  wirb.  2)ic  fd)lid)ten  @boralfäl?c  biefeö  SKeifferä  flehen  ben  feinigen  weit  voran,  vorjüglid)  in 
bem  feinen  ©efüble  für  bie  ßigentbümlicbfeit  ber  firchlid)cn  ©runbtonart  jeber  bebanbelten  gjjelobie ;  in 


  360   


tunjtltd)er  gearbeiteten  ©efängen  wirb  £teronr;mit3  bagegen  bei  weitem  nid)t  von  iljm  erreicht.  '  25ennocb 
gebührt  ben  üierfiimmigen  35ebanblungen  be§  ^)ieronmnu§  ba§  Sob  einer  reinen,  fltefienben,  oft  bebetttfa= 
men  Harmonie  bei  untabelicher  ©timmenfübrung.  ©ie  ift  (wenn  wir  ben  bin  unb  wieber  »ortommenben 
Langel  ber  Serj  aufnehmen,  ber  auch,  bei  ben  anbern  brei  Hamburger  £)rganiften  un§  juweilen  unange= 
nehm  berührt)  frei  von  allen  ben  Sflängeln,  bie  wir  bei  ©etl)  CjawifütS  unb  ©efütS,  wenn  auch,  au§  »er* 
fchiebenen  ©rünben,  ju  rügen  fanben.  Überall  f)errfd)t  eine  grofje  fünftlerifche  Sicherheit  cor,  unb  eine 
gleiche  tfufmerffamreit  auf  ba§  ©injelne,  wie  ba§  ©anje,  nur  baß  biefeS  in  feinen  wefentlicben  33ejiehun= 
gen  nicht  immer  uöllig  t>erftanben  unb  burcbbrungen,  nicht  in  tiefflem  ©inne  barmonifch  entfaltet  ift.  25ie§ 
gilt  jumaf;!  »on  feinen  ©äfjen  au§  firengcr  fird)lid)en  SEonarten,  wie  ba3  SSRirofybifche  unb  ^)[)n;gifd)e. 
25abei  ift  jeboch  ju  erwägen,  baf?  in  feiner  SSaterfjabt  manche  SQMobieen  aus?  jenen  Sonen  im  Verläufe  ber 
3eit  nicht  unerhebliche  SSeränberungen  erfahren  hatten,  bie  fte  ben  weltlicheren  Sonarten  näher  brachten, 
unb  bafj  er,  feiner  Aufgabe  jufolge,  an  ba§  ^erfommlidje  ft'ch  halten  muffte.  S3etfpiel3weife  ft'nb  hier  bie 
alten  ©efänge  ju  nennen:  ,,2(ch  wir  armen  ©ünber,"  unb  „25a  SefuS  an  bem  Äreuje  ftunb;"  jener  hatte 
einen  borifchen  unregelmäßigen  ©chluf?  erhalten,  in  biefem  waren  (Erhöhungen  einzelner  Sbne  eingefchlichen, 
bie  ba3  ftrenge  ^f>rx)gifcf;e  ©epräge  milberten.  ©ingweifen  au§  ber  borifchen,  äolifchen,  ionifchen  Sonart, 
wie  bie  von  ben  Stebem:  2ßa§  mein  ©Ott  will,  ba6  gfdjeh  atljeit*)  —  Mein  ju  bir  #err  Sefu  Qfyxift  — 
£5  Sptm  ©ott  bein  göttlich  SBort  —  £)at  er  bagegen  angemeffen  unb  würbig  behanbelt,  unb  fte  fmb  jenen 
anbern  oorjujtefjen. 

Sftod)  mehr  als  fmnbert  Sabre  nach  bem  ©rfcr/einen  unfere§  9J2etobieenbud)e»  ftanb  ^>ieronmriuö 
9)rätoriu3  in  bem  9?ufe  grofkn  GriferS  für  ben  Äircr/engefang  feiner  S3aterfjabt.  SOiatthefon  erjagt  un§ 
nämlich"),  er  habe  mit  eigener  £anb  ein  üoüjtänbigeS  Qtjoxalbud)  auf  Pergament  in  alten  Sonjetcben  fehr 
fauber  gefchrieben,  bie  SEonart  eines?  jeben  ©efangeg  richtig  oabei  gejeid)net,  unb  e§  auf  ben  ©cbülercbor 
ber  ©t.  Sacobi=Äirche  feiner  SBaterfiabt  geftiftet;  er  leitet  von  ba  ben  Urfprung  ber  um  1588  erfchienenen 
6lerfd)en  ©ammlung  tjex,  JpieronpmuS  war,  al§  biefe  berauSfam,  28  Saint  alt,  unb  bamalS  ohne  3wei= 
fei  fchon  im  25ienfte  jener  Äirdje;  e§  ift  alfo  SSKattbefonS  S3ermutfmng  nicht  ohne  ©runb.  25aju  fommt 
bie  ft'chtbare  S5e$ief)ung  ber  (Slerfchen  ©ammlung,  unb  be§  SKelobieenbucheS  »on  1604,  an  welchem  Sbiexo-- 
npmuS  boch  worjüglichen  Sheil  hatte.  S5eibe  enthalten  genau  biefelbe  3£njahl  oon  Siebern  unb  SDMobieen, 
nämlicb  88 ;  in  68  baoon  ftimmen  beibe  ttblltg  überein,  in  jwei  anbern  haben  fte  nur  bie  Sieber,  nicht  bie 
Seifen  mit  einanber  gemein,  bei  ben  18  übrigen  weichen  fte  ganj  üon  einanber  ab;  boch  nur,  weil  ba3 
SKelobieenbuch  oon  1604  ältere,  meift  au§  lateinifchem  Äirchengefange  ftammenbe,  ober  nicht  eigentlich 
firchliche  Sieber,  auSfchieb,  unb  anbere,  $um  S£f>eil  erft  fett  1588  entfjanbene,  bafür  aufnahm,  wie  bie 
beiben  Sieber  ^Philipp  91icolai'§ :  „SBie  fchon  leuchtet  ber  Sflorgenftern"  unb  „SBachet  auf,  ruft  unS  bie 
©timme."  ^)ierom)mu§,  mag  er  auch  fünftlid)  üerwobene  SEonfä^e  lieber  gearbeitet  haben,  als  einfache, 
hat  baher  an  bem  fchlicbten  Äird)engefange  bennod}  mit  wahrer  Siebe  gehangen.  (5r  hat  für  ihn  gefammelt, 
bie  erfje  SSeranlaffung  ju  einem  berichtigten  Gbor--  ""b  Siebergefangbuche  für  feine  Skterftabt  gegeben,  unb 
bem  2tttar=  wie  bem  ©emetnegefange  bamit  auf  gleiche  llxt  gebient ;  er  l)at  biefem  legten  fpäter  angeeignet, 
waä  bie  golgejeit,  jumahj  in  ber  9^ähe  »on  Hamburg,  hervorgebracht  hatte,  unb  gern  auch,  felbjt  gegen 


')    S.  SBnfpicl  5Jro.  66. 
*•)   (Sljrcnpfotte,  <S.  325. 
d.  SBinterftlt,  ttr  tranget.  e^oralgcfans. 


47 


  370   


fein«  Steigung  für  ba§  .Rünfllichere,  einen  SEfyetl  be3  ©cfammclten  einfach  bearbeitet,  um  feinen  SanbSleuten 
ftd)  nü^lid)  ju  crmcifen,  unb  ben  ©ottcSbienft  ju  »erf)errlid)cn.  £>a§  ßob,  bas>  fein  fpäterer  SanbSmann 
ihm  erteilt,  ift  baher  gcwifj  ein  wohl  verbienteS. 

3rtCP&  rät  o  tritt  ber  33ater  be§  Jpieronmrmg,  wie  wir  »oraugfe^en,  tjat  unter  ben 
19,  meift  alten,  von  if)m  behanbelten  Sföclobteen  auch,  eine,  erfi  ju  feiner  Seit  mit  ihrem  Siebe  entftanbene 
gefegt.  ES  ift  bie  befannte  ju  Philipp  TOcolai'3  Siebe :  „SBadjet  auf  ruft  unS  bie  ©timme"*).  2Beil 
fein  iJiame  über  biefem  Sonfa^e  ftel)t  —  Jacobus  Praetorius  composuit  —  fo  t>at  man  il)n  aud)  wol)l  für 
ben  ©änger  ber  SBeife  gehalten,  ohne  ju  erwägen,  bafj  auS  biefem  SSermerfe,  für  fid>  genommen,  bafür 
nid)t§  folge ;  etnmaf)l,  rocil  ba§  SSBort  composuit  nach,  bem  bamaligen  ©pradjgebraudje  ftd)  lebiglid)  auf 
ben  Sonfafc  bejief)t,  bann  aber  aud;  ein  äf)nlid)er  33ermerf  über  folgen  Sonfä^en  ficht,  beren  2Jfelobieen 
urfunblid)  weit  über  bie  ©eburt  ber  ©el^er  hinaus  jurüefreichen.  Über  Sieb  unb  SBcife  wirb  im  näd)ftfol= 
genben  "Mbfdmitte  näher  ju  reben  fepn.  2Ba3  ben  £onfa£  betrifft,  fo  f>at  Sacob  sprätoriuS  ftd)  treu  an  bie 
2tufjeicb,nung  ber  SOielobie  gehalten,  wie  mir  ft'c  am  ©d)luffe  »on  Philipp  9cicolai'3  „greubcnfptegel  be§ 
ewigen  Sebent"  finben.  Sftur  einige,  ben  Sthpthmue»  entftellenbe  9cad)läfftgt'etten  bcs>  £)rude3  im  ^weiten 
S£b.eile,  t)at  er  mit  9fed)t  werbeffert.  ben  melobifd)en  SBenbungen  erfdjeint  fte  ganj  fo,  wie  fte  nod) 
gegenwärtig  an  ben  meiflcn  £)rten  im  ©ebraud)e  ift.  3Sf)r  rhpthmifd)er  S3au  nur  ift  im  gortgange  ber 
3eit  unfenntlid)  geworben,  unb  entbehrt  jefet  ber  majeftdtifd)en  SSreite  unb  bracht,  womit  gleid)  ber  Anfang 
in  il)rer  urfprünglid)en  ©eftalt  ftd)  anfünbet,  unb  burd)  welche  fpdtev  bie  Aufrufe : 

wo  lauf  ber  23rdutgam  fommt, 
ftel;t  auf,  bie  Sampen  nehmt, 

4?aUeluja ! 
mad)t  euch  bereit  ju  ber  4?od)äett, 

im  jweiten  Steile  ftd)  auszeichnen;  wo  bann  ber  rafcfyere,  unb  bod)  feierliche  gortfetyritt  be3  golgenben 
eine  eigentl)ümlid)e  ^Belebtheit  gewinnt.  £>er  Sonfafj  entfprid)t  vollkommen  bem  Söerthe  ber  treflid)en 
SJlelobie.  Gr  ftel)t  in  F,  in  ben  oerfefeten  £onfd)lüffeln,  unb  hat  bal)cr  wof)l  in  bem  Umfange  unfercö 
heutigen  D  dur  ausgeführt  werben  follen,  ber  ihm  aud)  ber  angemeffenfte  ift.  Sie  «Harmonie  befielt  meift 
auS  Sreiflängcn  unb  ©ertenaecorben,  nur  einige  £onfd)lüffe,  bod)  nicht  am  Enbe  ber  beiben  Steile  beS 
©anjen,  machen  eine  Ausnahme,  ©leid)  ber  erfte  jeigt  cor  Einleitung  beS  ©d)luffeS  in  bie  Dominante 
beS  ©runbtonS,  in  welche  ber  SSafj  eon  beren  Sberquinte  auS  tjmabftetgt,  auf  bem  Unterhalbtone  biefer 
legten,  ben  in  jener  Seit  feiten  t-orrommenben  ßufammenflang  ber  fleinen  ©erte  unb  »erminberten  Gutnte, 
ber  um  fo  wirfungSwotler  ftd)  l)eroorl)ebt,  ot§  il)m  fteben  Streif  lange  »orangegangen  ftnb,  unb  er  nur  burd) 
einen  if)m  unmittelbar  t>oranftel)enbcn,  bie  »erminberte  Quinte  twrbereitenben  ©ertenaecorb  eingeleitet  wirb. 
%n  jwei  anbern  ©teilen  wirb  auf  ber  erften  ©tufe  üon  bem  ©runbton  auö,  unb  jwar  im  'tfbfieigen  ju  ber= 
felben,  bie  ©eptime  im  Senore,  unb  bann  im  tflte  t>orgel)alten,  unb  in  ben  Sufammenflang  ber  Serj, 
©erte  unb  Guarte  aufgelbft,  »on  benen  jeboeb,  bie  lefete  in  beiben  Sailen  weggelaffen  ift.  Sie  ein  anbereö 
SKal  ber  Za^  auf  ber  Dominante  üorgel)altene  Quarte  bebarf,  alö  eine  bamalö  febr  gewöhnliche  <Sä)lup 
formel,  nur  einer  »orübergehenben  Erwähnung. 


•)    0.  SBcifpict  9lro.  69. 


Die  Sonfdfce  I$at>t&  eibemann  ^  jeidmen  fxd>  auf  burd)  eine  geroiffe  SBelebtbeit 
unb  griffe;  fafi  immer  hat  er  baf  rhvtfnriifcb,  @igcntr;ümlid)e  ber  von  i()m  bemäntelten  SDielobicen  glücfltd) 
aufgefaßt.  SSon  tym  ift  eine  jroeite,  ju  feiner  Seit,  wenn  aud?  wof)l  nttyt  entftanbene,  bod)  für  fird)= 
lid)e  3wecfe  juerft  verrvenbete  Singmeife  vierftimmig  gefegt;  bie  bef  giebef  :  ,,3Bie  fd)ön  leuchtet  ber  SOior; 
genftem"*),  baf  ben  'Anhang  bef  juvor  genannten  SBcrfef  von  Philipp  Nicolai  cröfnet.  Dafj  tiefe 
SJielobic  urfprünglid)  bie  einef  beliebten  weltlichen  Siebeö  gewefen,  haben  wir  fchon  früber  ju  jeigen  gefucht. 
Ob  fte  nun  bei  ibrer  Übertragung  auf  beffen  Umbicbtung  ju  einem  gciftlichcn  irgenb  eine  Umbilbung  erfahren 
habe,  miffen  wir  nicht;  fo  viel  ift  gewifj,  bafj  ©d)cibemann  ju  feinem  Sonfafce  fte  ganj  in  ber  ©eftalt 
aufgenommen  hat,  rote  er  fte  in  9cicolai'f  2Berfe  fanb.  3srt  i£>ren  melobifdicn  2Benbungen  ftimmt  fte  — 
eine  geringe  'tfbmeidmng  ju  Anfange  bef  jweiten  Sbeilef  aufgenommen  —  ganj  ber  nod)  je£t  gebräudilid)en 
*Singart  überein;  nicht  fo  in  ihrem  rl)t;tl)mifd)cn  S3au.  Denn  bei  Scheibemann  beginnt  fte  feierlid)  unb 
prachtvoll,  mit  einer  Steilje  von  Sbnen  ju  vier  Vierteln,  bie  faft  bie  ganje  erfte  Seile  einnehmen,  unb-  beren 
3eitbauer  beinahe  verboppeln  gegen  bie  ber  jweiten,  beren  einjelne  Zone  nur  halb  fo  lang  finb  aB  bie 
irrigen,  bie  alfo  um  Sßieles  rafcher  fortfebreitet.  Die  britte  Seile  bewegt  fict>  bann,  bis  auf  bie  ©cblupformel, 
rhvthmifd)  wcdjfelnb,  im  brcitheiligen  Safte.  SSon  ben  vier  furjen  3etlen  ju  Anfange  beS  jweiten  SbeileS 
jeigt  bie  erfle  abermals  bie  langgebebnten  Söne  ber  erfreu  Seile  beS  ©anjen;  bie  brei  anbern  verfürjen  biefe 
Sbne  um  bie  £dlfte,  bie  33ervcgung  befd)leunigenb ;  fobann  gel)t  bie  lefcte  Seile  be6  ©anjen  roieberum  glet- 
cben  Schrittes  fort  mit  fetner  erften.  Sn  biefem  Ausbreiten  unb  3ufammenbrängen,  ba  eS  nach  einer 
beftimmten,  ebenmäßigen  ©runbform  gefd)iel)t,  füllen  mir  fein  unruhige»  ©d)wanfen,  fonbern  eine  gülle 
unb  OJIannicbfaltigfeit,  bie  ben  begeifterten  Son,  ben  baS  Sieb  anfd)ldgt,  wohl  beffer  noch,  trift  als  biefeS 
felber.  Die  SJielobie  beS  ßiebeS  vom  jüngften  Sage,  baS  in  vielen  ©efangbüchern  je£t  nicht  mehr 
gefunben  wirb, 

SBacbt  auf  il)r  ßl)rijten  alle**;, 

2Bad)t  fleißig  in  bem  Streit 

3n  biefem  Santmerthale, 

SSadjt  auf!  eS  ift  mehr  benn  3eit! 

Der  £err  wirb  balbe  fommen, 

Der  Sag  will  ein'  Abenb  h«n, 

Die  Sünber  wirb  er  verbammen, 

SGßer  mag  für  ihm  beftab,n!  ***> 
tritt  ebenfalls  triftig  bemegt  auf  bei  unferem  SDieifter.    3n  ihren  brei  erften  3eilenpaaren  beroegt  bie  frühere 
Seile  ftd)  jeberjeit  in  gerabem,  bie  fpdtere  in  breitheiligem  Safte,  georbneten  rlwthmifchen  2Bed)felS ;  bie 
beiben  legten  3eilen  fd)reiten,  bie  Schlußformel  ber  früheren  aufgenommen,  in  ungerabem  Safte  fort.  Diefer 
S3au  ift  burd)  bie  Harmonie  einbrtnglid)  aufgeprägt,  nur  bürfte  an  tiefer  ju  rügen  ferm,  baß  fte,  bie 


')  ©.  SSetfpiel  9lro.  70. 
")   ©.  äkifpiel  9lro.  71. 

"')  2)qS  Ctcfa  ftctjt  in  nicberbeutfdjcr  SOJunbart  in  bem  SübecEer  (Sndjiribion  oon  1545,  iebod^  ofine  Gelobte.  Sic 
oon  ©aoib  ©djeibemann  gcfc|te  bürfte  fpäteflcnö  ber  jroetten  Jpälfte  bei  16ten  3atjrt)unbert6  angehören.  S5iS  ju  ttjrem 
(Stfc^einen  irirb  man  ba§  Cteb  nac^  ber  SBolBroeife :  „©nttaubt  ift  un6  ber  3Balbe"  gelungen  Ijaben,  bie  mit  ihm 
gleicher  ©tropljt  ift. 

47* 


  372   

brittlefcte  3eile  ausgenommen,  bie  voüfommen  eine  Ausweichung  in  baS  Sorifche  barftellt,  bie  ©runbtonart 
bcr  93lelobie,  bie  mirolvbifche,  faft  burdjgdngig  verwifd)t,  unb  biefelbe  tüte  unfer  G  dur  behanbelt  tjat. 

3  o  ad)  int  Werfer,  ber  vierte  unter  ben  Teilnehmern  an  unferem  9J2elobieenbud)e,  von 
bem  ber  grbfefte  $£f)eil  ber  barin  enthaltenen  SEonfcuje  t>evrül)rt,  hat  für  bie  feinigen  faft  auSfchltefjenb  fold)e 
©ingweifen  gemault,  bie  aus  altem  latetnifchen  unb  beutfehett  Äirchengefange  flammen,  unb  tf)r  altertf)üm= 
licbeS  ©evräge  bureb,  feine  £armonieen  wohl  wiebergegeben.  @r  liebt  babei  eine  golge  von  Sreiflängen, 
bie  er  feiten  nur  burd)  ©ertenaecorbe  unterbrid)t.  SBürbe  eine  Solge  biefer  Art  ihn  ju  £)ctaven=  unb  £luin= 
tenfortfehreitungen  ber  SDZitteljlimmen  gegen  ben  33af?  führen,  fo  pflegt  er  beffen  Zone  gern  ju  teilen,  um 
eine  ©egenbewegung  ju  gewinnen,  burd)  bie  ein  folchcr  geiler  vermieben  werbe.  Selten  bebient  er  ftdb 
etneS  anbern  SSorhalteS  als  beS  ber  £luarte  bei  feinen  ©chlufjfällen.  Auffallenbe,  unerwartete  ©d)ritte 
ber  Harmonie  fommen  juwcilen  bei  ihm  cor;  SKifjlanbe,  wie  mir  fte  bei  (klviftuS  unb  ©eftuS  ju  rügen 
fanben,  niemals.  Unter  ben  von  ihm  bchanbelten  2Beifen  fallt  eS  auf  bei  ber  fd)önen  beS  ßtebeS  „£)  2amm 
©otteS  unfchulbig,"  bafj  fte  ganj  auf  baS  ©leid)maaf?  beS  geraben  SSafteS  jurücfgebracb,t  tfi,  unb  ber,  eben 
bei  il)r  fo  bejeid)ncnbe  rfwthmifd)e  2Bechfel  hier  gänjlid)  mangelt*).  Siefe  nid)t  t?ortf>eitt?afte  Anberung 
bürfen  wir  inbefj  nid)t  il)m  jufd)reiben ;  fte  gehört  wof)l  ber  örtlichen  ©ingart  an,  wie  benn  eine  gleiche 
aud)  bei  ©eftuS  gefunben  wirb,  vorauSfcklid)  alfo  in  ber  9J2arf  SSranbenburg  üblich  mar. 

SEBir  ftnb  bei  unferer  Betrachtung  beS  einfad)en  ßhoralfafjeS  mit  S3orherrfd)cn  ber  £)berftimme, 
bisher  von  ©übbeutfd)lanb,  mo  mir  beffen  ©puren  jucvft  antrafen,  ber  Seitfolge  feiner  AuSbilbung  nach,, 
junäd)jl  in  baS  norblid)e,  »roteftanttfd)c  £>eutfd)lanb  geführt  morben :  nad)  ©ad)fen,  ber  SQtarf  95ranben= 
bürg,  ben  ©eeftäbten.  (Iben  biefer  golge  gemäf?  fehlen  roir  nun  jurücf  in  baS  fübltd)e  £)eutfd)lanb,  um 
bort  jene  ©puren  weiter  5U  verfolgen.  3u  ben  ad)tbarftcn  Sonfef^em,  bie  f)ier  für  tlm  tf)dtig  waren,  gehört 
Jg>an$  Sco  >>aMcr.  (Sr  war  ju  Dürnberg  um  1564  geboren,  ein  ©ol)n  beS  von  3oad)imS= 
tbal  in  33ohmen  baf)tn  gezogenen  SonfünfllerS  3faac  Rapier.  Siefer  fanbte  tl)n  in  feinem  20(ien  Satire 
(1584)  nad)  SSenebig,  um  bort  »on  bem  berühmten  AnbrcaS  ©abrieli  in  ber  ©e^funfl  unterrichtet  5U  wer= 
ben,  wo  er  bann  mit  beffen  Neffen,  3ol)anne3  ©abrieli,  feinem  9Jlitfd)üler,  eine  enge  greunbfd)aft  fd)lof?, 
unb  aud)  fväter  mit  biefem  ausgezeichneten  Söieifter  in  fletem  33crfef)r  blieb,  ©ein  Aufenthalt  in  S3enebig 
wirb  inbep  räum  langer  als  ein  %abx  gebauert  haben,  benn  um  1585  franb  er  bereits  in  ben  Sienften  beS 
©rafen  £ctavian  Buc^tx  ju  Augsburg,  als  £>rgantfh  (Sine  S^et^e  von  Sonwerfen,  theilS  ju  Augsburg, 
theilS  in  Dürnberg  erfchienen,  in  ben  Sahren  1590,  1591,  1596,  1597,  1599  jeigt,  baß  feine  tonfünft= 
lerifd)e  Shätigfeit  jumeift  nod)  bem  löten  3al)rf)unbertc  angehöre,  wie  fte  benn  aud)  bis  an  baS  @nbe 
feines  SebenS,  bem  Seifte  unb  ©tnne  nad),  ber  9tid)tung  biefer  benfwürbigen  Seit  fortbauemb  nachgeht, 
©eit  bem  Anfange  beS  %abxe$  1602  ft'nben  wir  ihn  in  9)rag,  an  bem  #ofe  beS  fimfiliebenbcn  ÄaiferS 
SRubolfS  beS  3weiten.  3n  SfiegerS  Ard)rö  ber  ©efd)id)te  unb  ©tatijitf  von  SSöh^en**)  wirb  unS  eine 
sJlad)rid)t  mitgetheilt  über  ben  £ofjlaat  jenes  gürfien,  wie  er  bei  feinem  am  20jtcn  Sanuar  1612  erfolgten 
-  £obe  gewefen,  nad)  einer  von  SÖZid)aet  ©dh<»vb,  beS  ÄaiferS  ,,^)of  ßontralor  AmbtSbienern"  gefertigten 
Abfchrift.    ^)ier  ficht  ^)anS  ßeo  ^jaßler  aufgeführt  unter  ben  „Stenern  auff  jwei  ^)ferbt"  neben  mehren 


3n  bt'efct  rfjorfjmifd)  auSqcbt'Ibetcn  «c(tatt  f.  biefc  «Kclobic  SRro.  96  bcr  SBcifpictfammtung  in  SS.  *prcitoriuS 
Dtcrftimmigcm  Xonfa^e. 

")    II.  (VII.;  pag.  103  u.  f. 


  373   


Jreiberrn  unb  (Sbelleuten,  mit  einem  ©ehalte  von  monatlich  funfjclm  ©ulben  feit  bem  erfkn  Januar  1602 ; 
bei  oer  ßapcüe  gefd)tcl?t  feiner  feine  (Srroälmung.  Orr  mag  ba£)er  rootyl  oon  bem  Äaifer  in  ben  tfbelftanb 
erhoben  roorben  fepn,  roie  un$  berichtet  roirb;  ein  ebrenbeS,  roob>erbiente3  'tfncrfennmiß  feine»  auögejeid)- 
neten  9Bertb,e»  aU  SEonfünftler.  Nach  ©erber,  ber  feine  (ürjablung  uon  .^aflerS  gebenSoerbältniffen  aus 
Srcbcr^  Theatrum  unb  DoppelmeierS  Nachrichten  fcbbpfte,  roäre  unfer  SJJcifier  im  Sabre  1608  alä  Spo\ox-- 
ganift  in  ben  ^icnft  bes  @burfürftcn  ßhrijtian  beS  3meiten  »on  Sad)fcn  getreten.  Damit  ftimmt  bie  eben 
mttgctbeilte  Shatfache  nicht  überein,  baß  er  nod)  am  20fjten  Januar  1612  ju  bem  £offtaate  SfutolfS  be$ 
3meiten  gehört  habe ;  auch  nennt  ftch  £afjler  felber  auf  bem  Sitel  bei?  fpdter  ju  cnväbnenben  2Berfe3,  um 
1608  fortrodbrenb :  Sfbmifd)  Äaiferlicher  SJJajeftät  £ofbiener.  Dafj  er  jeboch  uon  bem  ßburfürficn  ßfyriftian 
feiner  großen  jtunft  roegen  bocbgefcbäfjt  roorben  fei),  unb  ihn  als  feinen  33efd)Ü£er  geehrt  babe,  fehen  roir 
aus"  ber  Zueignung,  gegeben  ju  Ulm  ben  lOten  'tfuguft  1607,  roomit  ^>afjler  bemfelben  feine,  in  biefem 
%at)xe  ju  Nürnberg  bei  ^)aut  Kaufmann  gcbrudten:  ,,^)falme  unb  chrtjtlid)e  ©efänge  mit  t>ier  Stimmen, 
auf  bie  Söielobeoen  fugroeiß  componiret"  überrcid)te;  ein  SBerf,  von  bem  170  %abxc  fpdter,  Äirnberger, 
ber  auf  SSeranlaffung  ber  ^rinjeffin  tfmalia  von  Greußen  eS  aufS  Neue  bem  Drude  übergab,  ein  SDiann, 
fehr  fparfam  fonft  mit  feinem  2obe,  ftch  bahin  äußert,  e§  fep  , durchgängig  befonberö  fchon,  ber  Äunft 
gemäß,  erbaben,  unb  mit  meiern  ©efdbmad  bcfjanbelt;"  unb  t>on  bem  er  bie  .ipofnung  auäfpricb,t,  e3  werbe 
bahin  mitroirfen  belfen,  „baß  bie  .ftunft  ber  SSJiufif,  welche  beut  ju  Sage  burcb  ungeteilte  ßomponifien  fo 
jämmerlich  mißbanbelt  vuerbe,  oielIeid)t  roieber  empor  fomme  unb  au»  ben  SiSolfen  ber  Umrüffenbeit  unb 
©efdnnadloftgfeit  ficb  fyeröortbue."  Die  52  funftreid)en  Säfce  über  27  ßfjoralmelobieen,  roeldje 
biefe»  2ßerf  enthalt,  bürfen  unS  hier  inbeß  nidrt  befcfyäftigen.  gür  um>  ift  baS  im  nächsten  Sabre  1608  bei 
bemfelben  Verleger  ju  Nürnberg  erfdn'cnene  SSerf  hier  baS  wichtigere,  nämlid)  #aßler3 :  „£ird)engefäng, 
fyfalmen  unb  geiftlid^e  ßieber,  auf  bie  gemeinen  9)telobei;en  mit  vier  Stimmen  ftmpliciter  gefefjt.  "  @3  ift 
bas"  lefete,  beffen  mir  t)on  ihm  gebacbt  ftnben,  —  fpdtere  Auflagen  früherer  Söerfe  ungerechnet;  —  auch 
fcbieb  er  wenige  %al)xe  nachbe-r,  am  8ten  3uniu$  1612,  faum  ein  falbes  Sabr  nach  Äaifer  SaibolfS  SEobe, 
an  ber  Scbwinbfucbt  bereits  au3  biefem  2eben.  @j>  mar  ju  granffurtb  am  SJiain,  moljin  er  im  ©efolge 
beä  ßhurfürften  Sodann  ©eorg  oon  Sachfen  ftch  begeben  l)atte,  in  beffen  Dienfte  er  wohl,  nach  2utflöfung 
feinet  früheren  83erhaltniffeä  ju  bem  Äaifer,  getreten  fepn  mag.  dv  mirb  mit  Siecht  ju  ben  gröpeften  Som 
meijtern  ber  lefeten  ^dlfte  be§  löten  3ahrlmnbert§  gejdhlt,  unb  auch  feine  einfachen  ßboralfä^e  gereichen  ju 
feinem  Scubme.  @r  mibmete  fte  fechö  SSürgern  feiner  SSaterftabt  Nürnberg,  unb  9JZitgliebern  beä  großen 
Sfatbeö  bafelbft;  feine  Sueignung  an  fte  bezeugt  un§,  ba^  feiner  Arbeit  eine  gleiche  2(bftcht  ju  ©runbe  lag, 
al§  ber  Sfianberö.  @S  Ijeifat  bort :  „Nachbem  ich  v»or  menig  %<il)xm  nur  etliche  teutfd)e  geifttiche  ©efdng 
auf  ben  contrapunctum  simplicem  mit  vier  Stimmen  folcher  %xt  unb  SCRaafsen  gefeilt,  baf?  biefelbigen 
auch  in  ben  chriftlid)en  SSerfammlungen  von  bem  gemeinen  Spanne  neben  bem  gigural  mitgefungen  merben 
fbnnen;  barüber  felbften  auch  oermerft  unb  erfahren,  baf?  folcheS  in  ben  Äircben  ju  Nürnberg,  allermeift 
aber,  unb  jmar  anfänglich  in  ber  .Kirchen  bei  unferer  lieben  grauen,  fo  ooln  in  meiner  als  anberer  berglei= 
eben  compositio»  t>on  ber  lieben  gemeinen  Jßürgerfchaft  mit  fonberer  3(nmuthung,  ßbrijtlicher  2uft  unb 
(Stfet  gefebehen;  t)ab  ich,  jmar  ju  feinem  anbern  ßnb,  benn  ju  2ob  unb  6hr  beS  2nimdd)tigen,  mebrer 
Ermunterung  unb  Erhebung  gottfeliger  ^)erjen,  unb  Srmechtng  größerer  3(nbad)t  jum  ©ebet,  unb  Danf= 
fagung,  auch  bie  anbern  ©efdng'  unb  $)falmen,  fo  man  beren  nicht  allein  in  ben  Nürnbergifchen,  fonbern 
aud)  anbern  Ühriftlidjen  .Kirchen  burd)§  ganje  Sabr  ju  fingen  geübt  unb  gemobnet,  auf  gleichmäßige 


  374   

ÜJlanier,  nicht  jwar  ber  fubtilen  unb  großen  Äunfi  nad),  fonbern  als  für  einfältige  dfyrifilicfye  £er$en, 
(bieweil  bicburcb  gro£e  (£t)x,  wie  ftd)  mancher  gebünfen  laffen  mochte,  ganj  unb  gar  ton  mir  nicht  gefucbt 
wirb)  compontren,  unb  ic  männiglicb  jum  33ejien  in  Srud  auskommen  laffen  wollen."  ©iebenunbfed)äig 
SDtelobieen  geiftlicber  ßieber  t)at  Rapier  auf  biefe  2lrt  »ierjtimmig  bearbeitet ;  nur  eine  fünffiimmt'g  gefegte 
beftnbet  ft'd?  unter  ihnen,  bie  be§  2iebe§:  ,,9tun  bitten  wir  ben  heiligen  ©eiji."  Srci  acbtjiimmige  ©ä£e 
("unter  ben  Stummem  68.  69.  70)  fmb  bann  ber  SUtclobie  be§  SiebcS:  „^crjlid)  lieb  t>ab'  id)  bid),  o  £err" 
gewibmct,  beffcn  brei  ©tropbm,  eine  jebe  befonberS,  ju  jmei  »ierftimmigen  ßbbren  auf  jene  ©ingweife 
gearbeitet  fmb.  Scn  33cfd)lup  mad)t  ein  ad)t(timmiger  ©afe  auf  bie  SDielobie  be§  9teujabrs;gefang3:  „Sa3 
alte  %at)t  »ergangen  iji,"  bie  jebod)  hier,  ber  fünfilicben  Sachführung  wegen,  mit  einigen  (Einfcbaltungen 
uon  3mifd}cnfä§cn  erfd)eint.  "XUc  übrigen  ©tngwetfen  ftnb,  bem  £itel  be3  2Berfe§  gemäfj,  ganj  einfach, 
gefegt,  unb  faji  bttrcbgängig  mit  feinem  ©inn  für  bie  Grigentbümlicbfcit  ihrer  ©runbtonarten,  unb  ihres 
rtirjtljmifdjen  33aue§.  ©ne  9tetbe  »on  Sreiflängcn  bilbet  bie  ©runblage  eines»  jeben  biefer  @ä£e,  fte  iji 
jebocb  nicht  burd)  ©ertenaccorbe  allein,  fonbern  aud)  burd)  anbere  3ufammenflänge  juweilen  bebeutfam 
unterbrochen,  ber  ffiinbungen  unb  ber  Siorbalte  bei  ben  Sonfcblüffen  nicht  ju  gebenfen.  ©o  erfd)eint  bei 
2lu3weid)ungen  in  ba§  'Üolifdbe  unb  Sorifd)e  nicht  feiten  ber  3ufammenflang  ber  fleinen  Serj,  reinen 
Sluinte  unb  großen  ©erte,  auf  ber  Sberquarte  ber  Tonart  in  meiere  ausgewichen  wirb,  wie  j.  S5.  am 
©cbluffe  ber  erjien  3eile  ber  SJtelobie  ber  Siebet :  ßbrift  lag  in  £obe§banben*),  unb:  ßfmji  unfer  .Iperr  jum 
3orban  fam,  unb  am  ©nbe  ber  erften  Seile  bc§  ^weiten  SSbeiles»  ber  SBeife :  9tun  freut  euch,  lieben  @l)ri= 
jiengmein.  'Kuf  ber  fiebenten  ©tufe  ber  tonifeben  SSonatt  bagegen ,  wenn  bie  SOtelobie  bie  £luarte  ibreS 
©runbtonS  berührt,  wirb  ber  £luartfertaccorb  burebgängig  üermieben,  bamit  niebt  ba§  Sonocrbältnifi  ber 
oerminberten  Quinte  (ber  Umfebrung  be3  SrttonuS)  burd)  bie  äu§ erjien  ©timmen  entfiebe,  wenn  aud) 
bie  unuermeiblicbe  SBilbung  be3  £ritonu§  felber  burd)  bie  9Jt ittelfit mmen,  wie  in  ben  juüor  angeführten 
Sailen,  überfeben  wirb.  Unter  jener  SSorauSfefcung  be§  33erübven§  ber  £)berquarte  ber  ©runbtonart  burd) 
bie  SOtelobie  wirb  üielmebr  beren  ftebente  ©tufe,  wenn  fte  in  ber  ©runbfiimme  begleitenb  erfd)einen  foll, 
um  einen  halben  SSon  —  ber  urfprünglicben  ßeiter  ber  SSonart  entgegen  —  erniebrigt,  unb  fo  baS  S3erbält; 
nijj  ber  reinen  Quinte  gebilbet,  ber  £luintfertenaccorb  aber  mit  einem  hatten  ©reiflange  v>crtaufd)t.  Sie 
unferem  £)bre,  ba§  unter  gleichen  SBebingungen  an  jenen  erjien  3ufammcnflang  gewohnt  iji,  unerwartete 
©rfebeinung  biefeS  legten  hat  benn  freilich  etwas  S5efremblid)e§ ,  bei  unferem  SOteijter  aber  bureb  bie  '2lrt, 
wie  er  ben  Sretflang  einführt,  jugletd)  etwas  ©roßartigeS  unb  ©rbabeneS ;  e§  ifi  ein,  immer  bebeutfam 
benwrtretenber,  miroh)bifd)er  "Jlnflang  innerhalb  be§  Sonifd)cn,  wegen  be§  melobifchen  5ortfd)ritteä  ber 
©runbftimme  burd)  bie  fleine  jiatt  ber  großen  ©eptime.  Sie  SSehanblungen  ber  Söeifen  „(Sin'  fejie 
S5urg  ifi  unfer  ©Ott"**)  unb  „Allein  ©Ott  in  ber  £bb'  fep  @hr'"***)  jeid)nen  ftcb  eben 
baburd)  auö,  unb  gewinnen  ein  eigentf)ümlid)eS  ©eprdge  beg  geierlicben  unb  Äird)lid)en,  ba§  in  ber  erjien 
burd)  ben  fühnen  rht)thmifd)en  2Bed)fel  ibre3  "MufgefangeS,  bem  in  ber  jweiten  unb  britten  furjen  3eile  be3 
'übgefangeö  langgehaltene  Sone  gleid)er  Sauer  nad)brüdlid)  entgegentreten,  in  ber  legten  burd)  ben  |ietig 
oorwaltenben  breitheiligen  Saft  fräftig  belebt  wirb.    Sie  ionifebe  SEonart  erfdjeint  in  biefer  SSebanblung, 

*)  ©.  SBetfpict  Stto.  74. 
")  <Z.  SSeifptel  9lro.  76. 
"•)   ©.  »cifpicl  "31x0.  77. 


  375   

burd)  bie  Unflätige  be3  ^rpgtfcfyen  unb  SCRirotpbtfc^en,  al§  eine  oon  unferen  fjarten  Tonarten  wefentlid) 
oerfd)iebene,  unb  ber  Äird)e  angel)6rige,  in  ber  fte  mit  frtfdjer  .Kraft  auftritt,  unb  bod)  mit  einem  "tfnl)aud)e 
bc§  ©cljeimnißüollen.  ©o  f>at  aud)  unfer  Söieijrer  bie  tonifdje  SBeife  be3  £iebe3  „#err  ßljrijt,  ber  einig' 
©ott'S  ©ofm"*)  wortrcflid)  unb  bod)  0&$fi  einfad)  bebanbelt;  bem  fo  ftnrwoU  in  il)r  üorwaltenben 
rl)t)tt)mifd)en  Sßecbfel  gefd)iel)t  fein  wolljtcä  9fed)t,  unb  ber  unerwartete  ®työ$  nad)  ß  ftott  D  am  Snbe 
ber  erjien  3etle  —  man  fonnte  tljn  eine  2lu3weid)ung  nennen  in  ba3  £t)bifd)e  jtatt  in  ba3  "tfolifcfye"), 
wie  bie  9)ielobie  fie  erwarten  läßt  —  ift  burd)au3  glücfltd) ;  er  iji  ungezwungen,  wenn  aud)  unerwartet,  er 
trift  in  jeber  Strohe  auf  bebeutenbe  SBorte,  fte  l)ert>orl)ebenb,  unb  lapt  bie  in  ber  vorlebten  Seile  enblid) 
erfdieinenbc  aolifcfye  SDRobulation  bann  um  fo  befriebigenber  eintreten.  —  2tud)  in  83el)anblung  ber  anberen 
fird)lid)en  Sonarten  ijl  #aß (er  glücflid)  gewefen.  ©o  üornefjmltd)  in  ber  bortfd)en;  ein  entfdjtebeneS 
SBeifpiel  baoon  gewahrt  ber  £onja|  ber  SJMobie;  „ßfyrijl  unfer  Qexx  jum  Sorban  fam"***), 
gleid)  in  ben  öier  erjien  3ufammenflangen.  Die  SBetfe,  in  ber  ©ingart  wie  fte  tjter  erfcfyeint,  fleigt  t>on 
bem  ©runbton  be§  Dorifcfyen,  d,  nad)  beffen  fleiner  SDberterj  f,  unb  Dem  ba  jlufenweife  burd)  g  nad)  beffen 
©berquinte  a  auf.  Der  weid)e  Dreiflang  t>on  d  in  t>erfd)tebenen  Sagen  erfd)eint  ju  ben  erjien  beiben  S£bnen 
ber  SKelobte ;  bas>  folgenbe  g  wirb  in  ber  ©runbfltmme  burd)  feine  f leine  Unterferte  (aber  äugleid)  bie 
große  borifcfye  Sberferte)  begleitet,  worauf  bemnad)  ber  3ufantmenflang  ber  fleinen  £erj  unb  ©erte 
rul)t ;  t>on  ba  au§  wirb  in  ben  weichen  Dreiflang  auf  a  fortgefd)rittcn.  9tun  fann  bie  Sonart  nid)t  nad)= 
brücflid)er  bejeidmet  werben,  als  burd)  biefe  legten  beiben  3ufammenflange,  beren  früherer  (eine  S3erfe|ung 
be§  mirolt)bifd)en,  b, arten  Drei? langet)  auf  ber  borifd)en  großen  ©erte,  als  ©runblage,  ruf)t,  ber  jweite 
ben  äolifdjen  weichen  Dreiflang  jeigt,  beibe  aber  bie  jwei  £<utptrid)tungen  be§  Dorifcfyen  nad)  »er= 
wanbten  Tonarten  unmittelbar  neben  einanber  ftellen.  @3  iji  bieg  eine  berjenigen  ^armonieen,  burd)  welche 
bie  »olle  (Sigentbiimltcfyfeit  bej>  Dorifd)en  fid)  red)t  einbringlid)  entfaltet,  unb  bie  bei  aller  2lbweid)ung  oon 
ber  2lrt,  wie  wir  in  ben  weichen  Tonarten  ber  ©egenwart  fortjufcfyreiten  pflegen,  burd)  ifyre  große  Unge= 
jwungenfyett  unferem  ©efüfjle  ft'd)  bennod)  fofort  als  gültig  bewährt.  Da§  aber  mag  an  unferem  SJieijier 
als>  juweilen  oorfommenbe  sparte  in  SBefyanblung  ber  borifd)en  SEonart  gerügt  werben,  baß  bei  einer  2ut3= 
weid)ung,  eö  fep  nun  nad)  bem  3£olifd)en  f)in,  ober  t>on  bort  nad)  bem  Dorifd)en  jurücf,  wenn  fte  burd) 
eine  abjteigenbe  fletne  SEerj  gefd)iel)t  (c  a  im  erjien,  f  d  im  jweiten  Salle),  wie  in  ber  jweiten  3cile  ber 
SJMobieen:  Durd)  2£bam3  galt  ijl  ganj  »erberbt,  unb  ßfjrijl  ijl  erjlanben,  er  am  ©d)luffe  bie  groß  e  SSerj 
gegen  bie  unmittelbar  t>orl)erget)enbe  f  leine  anwenbet,  jumafyl  biefe  burd)  il)re  Sage  in  ber  Sberjlimme  ft'd) 
befonberS  geltenb  mad)t.  Diefer  plö^licfye  2Bed)fel  be§  SBeidjen  unb  garten,  veranlaßt  nur  burd)  bie  bamalö 
obwaltenbe  ©ewoljnb,  eit ,  5£onfd)lüffe  am  @nbe  einer  2£btf>etlung  ober  beä  ©anjen  eine§  mel)rjlimmigen 
©a^e§  jletö  mit  ber  großen  Serj  ju  bilben,  üerlefjt  notb.wenbig  unfer  ©efül)l,  bem  ein  gall  ber  2lu§nal)me 
eben  l)ier  bringenb  angejeigt  ju  fetjn  fd)etnt  burd)  einen  fold)en  SDiißjtanb.  Unter  ben  pljrpgifcfyen  Son= 
fä^en  $aßler3,  »on  benen  befonberö  bie  ber  9JJelobieen :  ,,%&)  ©Ott  vorn  Gimmel  ft'ef)  barein,"  ,,'iluö 
tiefer  9}otI)  fd)rei  id)  ju  bir"-^)  unb  „(Srbarm'  bid)  mein  o  sperre  ©ott^ff),  alle  t>on  ^)falmliebern,  au3-- 

•)   @.  Setfptet  Stro.  78. 

")  SBeibeS  in  ber  S3erfe§ung,  tpeil  bie  5Ketobie  in  bem  Umfange  beS  oerfe^ten  Sonifc^en  (F  mit  93orjeid)nung 
eines  b)  fidj  bercegt. 

"*)  ©.  SSeifpicl  SRro.  75. 
f)  <S.  S3eifpie(  SRro.  79. 
+|)   ©.  SScifpiet  5Rro.  73. 


jujeidmen  ftnb,  »erbtmt  eine  ©feile  beä  gule^t  genannten  befonberS  unfere  tfufmerffamfeit.  3n  ber  ^wetten 
3eile,  ju  ben  SBorten : 

nach  beiner  groß'  n  S5avmf)cr§igfeitr 
ftnb  bie  fünf  elften  Töne  ber  Sftelobie,  g  c  h  c  a,  welche  burd)  bie  33erbältniffe  einet  £luarte,  etneg  ob= 
unb  wieber  auffjeigenben  £albton§,  unb  einer  nieberfteigenben  f (einen  Ter$  fortfet) retten,  in  ber  ©runb= 
ftimme  burd)  C  A  G  F  f,  bie  golge  einer  f leinen  Terz,  unb  jroeicr  ©anjtone  im  2£bfieigen,  fo  wie  einer 
auffteigenben  £)cta»e,  begleitet,  welche  ju  ber  £>berfh'mme  eine  £lumte,  eine  f leine  unb  große  Terz,  unb 
roieberum  eine  £luinte  unb  gvofje  Terz  bilben.  Sie  beiben  erften  SSaßtbne  ftnb  bie  ©runblage  eines  fyavten 
unb  weichen  £>rciflange§,  ihren  Tonleitern  gemäß ;  auf  bem  britten  rubt  ber  Sufammenflang  ber  großen 
Terz  unb  ©erte,  eine  33erfefmng  bc§  pbrpgifcben  2)reiflange6 ;  nun  bleibt  aber  e,  baS  im  2Üt  bie  ©erte 
bilbet,  unb  auch  nicht  rool)l  aufzeigen  barf  nad)  f,  wenn  nicht  verbotene  £htintenfortfd)rettungen  entjteben 
follen  gegen  bie  £berjtimme,  liegen,  unb  fo  bilbet  ftd)  auf  f  ber  3ufammenflang  ber  großen  ©eptime,  SEerj 
unb  Sluinte,  regelmäßig  vorbereitet,  unb  bann  in  ben  iDretflang  »on  f  aufgelbf't;  eine  feltene  ©rfebeinung 
ju  biefer  3eit,  unb  zumabl  im  ßboralfa^e,  in  feiner  ^>erbt)ett  aber  t>on  großer  SBirfung,  üorzüglid)  ju  ben 
SBorten  ber  erften  ©tropbe: 

beiner  groß'n  SSarmberjigfeit  k. 
id)  fenn  mein  ©unb'  unb  ift  mir  leib, 
Daber  benn  aud)  biet  wobl  feine  abftd)tlid)e  Sinfübrung  »ermutigt,  unb  fein  SDrudfebler  üorauSgefefct 
werben  barf,  für  weld>en  überbem  eine  befriebigenbe  SSerbefferung  fchwer  ju  ftnben  fetm  bürfte.  2Beni= 
ger  befonbers?  Ausgezeichnetes)  ift  üon  ben  33el)anblungen  ber  mirolpbifchen  SJMobieen,  beren  überbem 
nur  eine  geringe  3£njabl  »orfommt,  zu  rühmen;  bod)  ift  aud)  hier  überall  bie  bejeiebnenbe  ft'ebente  ©rufe, 
bie  fleine  ©epttme  (f),  nacfybrüdlid)  in  ber  Harmonie  geltenb  gemacht,  unb  ba3  ©epräge  be§  £)orifcben 
bei  einer  Aufweichung  in  baffelbe  genügenb  hervorgehoben,  wie  bie  Söielobieen:  ©elobet  fepft  bu  SeM 
dbrift,  unb :  ©ott  fet)  gelobet  unb  gebenebeiet,  beutltcb  zeigen.  Grine  melobtfcbc,  geroanbte  Sübrung  ber 
©timmen  zeichnet  alle  btefe  (Sljovalfdr^e  au6,  burd)  welche  einSeber,  ber  an  leicht  überftcbtlicbenäScifpielen  »on 
ber  6igentbümlid)feit  ber  nrcblicbcn  Tonarten  unb  ibrer  barmonifd)en  SSebanblung  ftd)  untemebten  will,  bie 
gewünfd)te  S3etel)rung  auf  befriebigenbe  2Beife  erhalten  wirb,  ©ie  zeigen  ben  ächten  Äünftler,  ber  in  bem 
oollen23erftänbniffe  be§©mnee  unb  Umfanget  feiner  Aufgabe  ftd)  bewährt,  unb  in  bem  rechten  ©ebrauebe  ber 
Littel,  biefelbc  ju  lofen;  gleichviel,  ob  berSBau  feinet  SBSevfeS  ein  nur  einfacher  fei),  ober  ein  nad)  jener  ,,fub-- 
tilenÄunft"  eingerichteter,  welche  £aßler  bier  tterfebmäbte,  fo  febr  er  bod)  oor  SSielen  bcrfelben  Söieifter  war. 

Jpaßler  junäcbft  ift  (3vtt1)a.vb  (&vptf)väu$  zu  nennen,  dt  war  ju  ©traßburg  gebo= 
ren,  ftubirte  ju  Altborf,  wo  er  im  3af)re  1587  bie  2D?agifterwürbe  erhielt,  würbe  um  1595  ju  bem  ßantorat 
bafelbft  berufen,  womit  ber  Unterriebt  in  ber  Tonhtnft  bei  ber  bortigen  gelehrten  83tlbung§anftalt  »erbunben 
roar,  fam  enblicb  um  1009  an  bie  tortige  ©tabtfcbule  al3  Sfector,  welche  ©teile  er  ad)t  Sab™/  bi§  ju 
feinem  im  3abrc  1017  erfolgten  Tobe  befleibete.  @§  ftnb  un§  jwet  feiner  SBerfe,  beibe  im  3<thre  1608 
erfebienen,  aufgezeichnet,  von  benen  jeboeb  nur  etneS  hier  in  Betracht  fommt.  ©ein  Titel  lautet:  „£errn 
D.  SUcartini  Sutberi  unb  anberer  gotte§fürd)tigen  SKänner  ^falmen  unb  geiftlid)e  Steber,  welche  man  fonften 
alä  bie  fürnembften  burd)  baS  ganje  3al)r  in  ber  cbriftlicben  ©emeine  pfleget  ju  fingen,  jefct  ju  mehrem 
©ebraud)  in  oier  ©timmen  gebracht  burd)  M.  Gotth.  Erythraeum,  Argentinensem,  Cantorcm  ju  2(lttorf. 
©ebrudt  ^  Dürnberg  burd)  Abraham  Sßagemann,  1008."   Siefe  Tonfäfee  ftnb  »on  "illtborf,  ben  17ten 


  377   


2Cprt£  jeneS  Sa&teS,  33urgeimeifrern  unb  SRafy  bei-  3feid)3flabt  Dürnberg  jugefd)rieben,  unb  aud;  au$  biefer 
3ufd)rift  gef)t  hervor,  baß  ber  Sonfefcer  eine  gleiche  '#bftd)t  fjattc  bei  feinem  SBerfe,  wie  bie  Urheber  ber 
juwor  befprochenen.  „Sieweit  id)  t>or  ber  3eit  (fagt  @rwthrdu§)  etwa  in  meinen  Srübfaten  unb  &ümmer= 
niffen,  ettid)  wenig  ^Pfalmcn  unb  geifilid)er  Bieber  trojhetdje  Sert  unb  einjetne  SJMobieen  ju  ©emütf) 
genommen,  Ijab  id)  mich  unterwunben,  nad)  meinem  geringen  Skrmbgen  biefelb'  in  üier  Stimmen  ju 
bringen,  bod)  alfo,  baß  ber  Stwn  ober  SKelobie  in  bie  höchjtc  Stimme  gebogen,  bamit  biefelbigen  jum 
bequemlidjjicn  unb  bejlen  SSraud)  »on  jcbermdnnigtich,  aud)  bem  gemeinen  SJcann,  tetd)ttich  mögen  erfannt 
unb  gefungen  werben."  Siefe  Arbeit,  fahrt  er  bann  fort,  fei)  »on  einigen  Siebhabern  göttlichen  SBorteS 
unb  ber  lieblichen  SJJiuftc  für  gut  geartet  worben,  man  habe  if)n  ermahnt  bamit  fortzufahren,  unb  fo  habe, 
unter  göttlichem  S3eijtanbe,  enblicb,  ein  ,,t>olIfommigere&'  SBerf"  fid>  jufammengefunben,  bas"  burd)  baS 
ganje  Satyr  füglich  in  ber  ctyrijttictycn  ©emeine  ju  gebrauchen  fe».  SSon  biefem  ©eftd)tS»unft  au§  iji  aud} 
baS  3ufammcnget)brcnbe  nebeneinanbergefteUt,  unb  fo  ba§  ©anje  georbnet.  @3  beginnt  mit  ben  9>falm= 
liebern,  21  im  ©anjen,  nad)  ber  golge  bes>  ^Pfalter»;  ihnen  ftnb  angereiht  üon  ber  3af)t  22  big  51  (biefe 
eingerechnet)  „bie  ©efdng',  welche  man  in  gefttagen  burd)ä  Satyr  m  ttyriftlictyer  ©emein  ju  fingen 
pflegt."  liefen  fd)ließen  ftety  an  bie  ÄatedjiSmuSgefdnge  (52 — 59),  Sob=  unb  SSittgefdnge  (60—78),  ein 
Sieb  »om  jüngjlen  Sage  (79)  unb  ihrer  fed)§  »on  S£ob  unb  SSegrdbniß  (80 — 85).  25er  SSonfd^e  finb  tyie= 
nach  85,  unb  eben  fo  tuet  aud;  ber  9Jielobieen ;  benn  rommt  auch  «n  Sieb  boppelt  »or  (ber  Sobgefang  ber 
SRaiia  nach  ©»mphorian  spollio  unter  ben  Sagten  31  unb  50),  fo  finb  bod)  unter  ber  3al)l  52  jwei  »er= 
fchiebene  SBeifen  unb  Sonfdfce  beS  Siebet:  „£)ie§  jtnb  bie  heit'gen  jel;n  ©ebot"  aufgeführt,  unb  bie  9cum= 
mein  59  unb  32,  ebenfalls  bem  2Befentlid)en  nad)  in  9JMobie  unb  Harmonie  übereinftimmenb,  jeigen  bod) 
gegen  ben  Schluß  hin  eine  wefentltd)e  Abweichung,  fo  baß  ft'e  bennod)  nicht  für  eine  jdhlen  fbnnen. 
betrachten  wir  ba§  SBerf)dttniß  beSSntyalts'  »on  @n;tl)rduö  ©efangbuche  gegen  ben  be3  £aßlerfd)en,  fo  haben 
beibe  53  Sieber  unb  9Jie(obieen  gemeinfchaftlid).  Rapier  hat  beren  13,  weld)e  bei  @rttttyrdu6'  nicht  ju  finben 
finb,  unb  eine  9E)celobie  tjt  in  beiben,  jebod)  ju  »erfetyiebenen  Siebern  anzutreffen ;  worauf  fid)  benn  bie  3al)t 
07  ergiebt,  aB  bie  ber  einfach  behanbelten  ©ingweifen  bei^ajjler;  benn  bie  »ier  actytfttmmigen  ©dlje, 
bie  fein  2Berf  als  Anhang  enthalt,  ftnb  Riebet  nicht  mit  in  Anfd)lag  gebracht.  CrruttyrduS,  bem  jene  13  man-- 
geln,  hat  bagegen  29  Sieber  unb  Söeifen,  unb  eine  SBeife  beffetben  SiebcS,  mehr  al§  Häßler.  9limmt  man 
nun  baju,  baß  er  einmaht  eine  bei  Rapier  »orfommenbe  5Dcelobie  einem  anbem  Siebe  juttyeilt  aB  biefer, 
unb  einmaht  für  jwei  Sieber  üerfctyiebcncn  SntyaltS  eine  gleiche  ©ingweife  hat,  fo  finben  wir  bie  juoor  ange= 
gebene  Saht  »on  85  Sonfdfjen  bei  ihm  gerechtfertigt.  3m  ©anjen  bieten  uns>  bienacb  in  ihren  Sonfdfjen 
beibe  SJieijter  eine  3ot)I  uon  96  9JJelobieen,  welche  ft'e  behanbelten,  unb  bie  wir  atS  bie  gangbarflen  ihrer 
Seit  in  bem  ©ebiete  ber  9fcid)Sfiabt  Dürnberg  annehmen  muffen.  2BiU  man  ©rwthrduö  ben  SSorjug  juge= 
ftehen,  baß  fein  2öerf  eine  größere  ßaht  geiftlicher  ©ingweifen  enthalt,  unb  namenttid)  mand?e,  weniger 
beJannte,  fübbeutfdje  SOZelobie  mittheilt,  fo  muß  bod)  £aßler  jletS  eine  größere  Feinheit  beö  ©tplS,  unb 
eine  geijlreid)ere  SSehanblung  nachgerühmt  werben.  ©rttthrduS  ©timmfül;rung  ift  mit  ber  feinigen  nid)t  ju 
vergleichen,  unb  biefem  fehlen  bie  bejeichnenben  3üge,  an  benen  bie  (§igentl)ümlid)feit  jeber  Sonart  fofort 
her»ortritt.  ©eine  begteitenben  ©timmen  ftnb  hin  unb  wieber  mit  burd)gehenben  %bnm  unb  SSerjierungen 
auögcfchmüdt,  wie  in  feiner  SSehanblung  ber  SJlelofcie  beö  Siebe»:  „Sanffagcn  wir  aCe;"*)  ein  ©d)tnud, 


•)    ©.  Scifpict  9Jro.  81. 
s.  SBinterfelt,  tet  esangcl.  G^cratgefang. 


48 


  378   


ben  wir  unbebeutenb  nennen  muffen,  weil  er  ein  willftthrlicb.  aufgetragener  ifi.  Senn  burd)  tiefe  fct)mucf= 
reiben  äßenbungen  ber  untergeorbneten  Stimmen  werben  weber  btefe  felbft  eigentümlich  auägeftaltet,  nod) 
erfd)eincn  jene  au§  ber  ©runbmelobie  gefd)bpft,  unb  it)r  ein  fünftlicheS  SSongcwebe  unterbreitenb,  nod) 
wirfen  fie  enblicb,  bahin,  bie  Harmonie  reicher  ju  entfalten ;  e»  ifi  alfo  feine  wefentliche  SScranlaffung  ju 
entbeefen,  weshalb  ber  STCeifier  uon  feiner  fonfligen  litt  ber  S3ehanblung  hätte  abweiden  bürfen.  3n  Säfcen 
fold)er  2frt  nähert  ©tt)tr)rau8  fidj)  ber  SBehanblungSweife  be§  ©efütS,  obgleich  er  fonft  über  ihm  fleht  in  grb= 
fjerer  9?eitu)eit  ber  SQMobicen,  unb  SSermcibung  ber  garten  in  ber  Harmonie,  burd)  bie  jenes  9JJeifter§ 
£onfä£e  fo  oft  entfiellt  voerben,  weil  e3  ihm  an  Sicherheit  funftlerifchcn  ©efüf)B  mangelte.  2Mefe§  beftfjt 
(Srpttjräuö  in  viel  höherem  9Jcaafjc ;  er  barf  ftetS  mit  Ghrcn  neben  £afjler  genannt  werben,  wenn  er  ihn 
aud)  nicht  erreicht,  unb  mir  beftfeen  an  biefen  betten,  fo  wie  an  Oftanber,  bie  heften  Sölufier  be§  einfachen 
(ShoralfafjeS  in  Sübbeutfd)lanb  um  ben  Ausgang  be§  16ten  3at)rhunbert§.  9J2tchacl  $}rätortu3,  in  ber  33or= 
vebe  feiner Urano-Chorodia  nennt  unS  noch,  »IC« breast  Stafcltttö  unter  ben  fübbeutfcfyen Sonfunfb 
lern,  bie  in  biefer  Sfichtung  fid)  ausgezeichnet,  unb  beren  SBerfe  er  empfiehlt.  Siefer  mar  in  Imberg  gebo* 
ren,  unb  mir  finben  ihn  um  ba§  Sfafa  1383  als  SDZagifter  ber  9)l)ilofopl)te,  (5l;urfürflttd>  spfäljifchen  #ofs 
capeümeijier,  unb  Sehrer  an  bem  $>äbagogium  ju  $cibelberg.  9htr  ein  Saht  barauf,  um  1584,  erfdjeint 
er  aber  ju  SfegenSburg  alS  @antor  unb  College  am  Gymnasio  poetico,  hochgeehrt  megen  feiner  Äenntniffe, 
feiner  Äunfrfertigfeit,  feiner  ÜDtilbe  unb  greunblidjfett,  burd)  bie  er  bei  Äött)olifdjen  mie  sproteffanten  fid) 
gleiche  ©unfi  erwarb.  Wit  bem  Ausgange  beS  SabrlrnnbevtS  foll  er  in  feine  frühere  Stellung  nad)  ^>eibel= 
berg  wieber  jurücfgefefyrt  fepn  unb  bort  fein  Üeben  befchloffen  haben,  dasjenige  2Bcrf,  wegen  beffen  biefer 
trefliche  SRann  hier  ju  nennen  fepn  mbd)te,  wäre  baS  t>on  ©erber*)  unter  folgenbem  SEitet  angeführte: 
,,9?egenfpurgifcher  Äird^en  (Sontrapunft.  2CUerlep  üblid)e  unb  in  d)riftlid)cn  SSerfammlungen  gebräuchliche 
geijrlid)e  *Pfalmen  unb  ßieber  D.  ßutherS  unb  anbercr  gottfeligen  Scanner,  mit  fünf  Stimmen.  Stegenfpurg 
1599."  Sd)  renne  baffelbe  inbeß  ntdjt  auS  eigener  2tnfd)auung,  unb  ber  eine  Sonfafe,  ben  ^rätortuS, 
wahrfcheinlid)  eben  bafjer,  in  feinen  Sionifd?en  SDiufen  mitteilt,  genügt  nid}t,  um  über  ben  Sßertb,  beS 
SonfefcerS  ju  entfdjeiben,  um  fo  weniger,  alS  l)ier  nid)t  einmal)!  bie  £>berftimme,  fonbern  ber  SSenor  bie 
ÜHelobie  führt. 

@be  wir  nun  übergeben  ju  bem  9Jieifter,  beffen  reiche  Sammlung  einfach  gefegter  getftlicher  Sing= 
weifen  wobj  2lUe§  umfaffen  bürfte,  waS  »on  biefen  im  Saufe  beS  löten  bis  in  bie  erften  Saf)re  beS  17ten 
3ahrfmnbertS  in  ber  lutfjerifcfyen  .Kirche  fjeimifd)  geworben  war,  ju  SDlidjael  sprätoriuS  nämlich, ;  bleibt  ein 
£onfc(jer  unS  nod)  ju  erwälmen,  ben  wir,  weil  er  ber  3?id)tung  ber  legten  ^älfte  be§  16ten  Sabrt)unbert6 
folgte,  bter  ju  befpred)en  haben  werben,  wenn  aud)  2ÜIe3,  waö  er  öffentlich,  gemacht,  erft  in  ben  früheren 
3at)«n  beö  17ten  3ahvhunbert§  erfchien.  @ö  ift  $£fceld)iot  &tttp  tuö.  @r  war  ju  SÖJafungen  in 
ber  gürfllichen  ©raffd>aft  J^enneberg  geboren,  wahrfcheinlict)  in  ber  jweiten  ^älfte  be6  löten  Sahrh"nbert6, 
unb  mag  wohl  gegen  beffen  2(u3gang  bereits  bie  Stelle  al§  ßantor  ju  SBeimar  erhalten  haben,  in  ber  wir 
ihn  biä  an  fein  Sebenöenbe  (1G16)  finben;  benn  baö  2ßerf,  oon  bem  wir  ju  reben  t>ben,  erfchien  bereits 
J«m  ff*™  9Kal)le  um  1(503,  unb  erfl  1609  in  ber  ©ejlalt,  wie  wir  eS  in  »ielen  S3üd)erfammlungcn  finben. 
eö  würbe  ju  3ena  burd)  Johann  SBeibner  gebrueft  für  ben  83erlag  be§  ©uchhänblerö  ^einrieb,  S3irnftiel  ju 
granffurth,  unb  führt  ben  Zxtd :  Gin  fd)6n  geiftlid)  ©efangbuch,  barinnen  Äirchen=©efange  unb  geiflltche 


•)    ÄS.  II.  Col.  233.  231. 


ßieber  25.  ÜRatttni  Süthen  unb  anberer  frommen  ß[)riften,  fo  in  ben  chrijtlichen  ©emeinen  &u  fingen 
gebräuchlich,  begriffen.  Wit  »ier,  etliche  mit  fünf  Stimmen,  nid)t  allein  auf  eine,  fonbern  beS  mehren 
3$gft§  auf  J^et  Dtier  breicrlci  2lrt  mit  fonberem  gleiß  contracunctSmeife  gefefjer,  im  £>ifcant  ber  Ghoral 
richtig  behalten,  unb  jum  anbcmmabl  feftr  vermehrt  unb  »erbcffert  in  £>rucf  »erfertiget  (1609).  ©S  ift 
»on  bem  2Beimarfd)en  ©cneralfimerintenbentcn,  ©.  XntontuS  9)robuS,  mit  einer  SSorrebe  begleitet, 
„gefchrieben  ju  2öeimar  ben  17ten  Sag  SecembriS,  im  %at)X  ber  legten  3eit  1603/'  roeld)e  für  bie 
©efd)icbte  beS  S3ud)eS  tute  beS  SonfcfscrS  nichts  ScnfroürbigeS  enthalt;  eS  f»rid)t  ft'd>  eine  aufrichtige  Siebe 
für  ben  heiligen  ©cfang  barin  au»,  bod)  nur  als  fd)voad)er  sJcad)flang  ber  begeiferten  Sobrebe  SutfjerS  auf 
bie  Sonfunft,  »on  ber  faft  in  allen  83orrcortcn  ©eiftlicher  ju  fird)lid)en  Sieberfammlungen  jener  3eit  etr»aS 
roicbertönt.  folgt  eine  3ufd)rift  beS  SonfefcerS,  »on  SSBeimar  auS  am  lften  9Kai  1609  gerietet  an 
bie  ©eiftlichen  ju  Coburg,  £clbburg,  ©otH  GriSfelb,  4pil»er[)aufen,  9?6l)mhelb,  9ceuftabt,  2BalterSf)aufen, 
ftobad),  unb  mehre  Cjble  jener  ©egenb,  9Reld)tot  »on  S3obcnI;aufen,  Urban  »on  (Sfdjroe,  £)i»»olb  »on 
©d)önfelb,  u.  f.  ».  GS  roirb  »on  ihm  barin  berichtet,  bafj  er,  um  nid)t  in  bie  ©ünbe  beS  §3ergrabenS 
feineS  ^PfunbeS  ju  fallen,  jroci  Steile  lateinifd)cr  ©efänge  in  bffentlidmi  Srucf  oerfertigen  laffen,  unb  nun 
in  gleichem  ©inne  aud)  biefeS  3Berf  herausgebe,  über  baS  er  ftd)  fonjt  nid)t  näher  »erbreitet.  @S  enthält 
135  sJcummern,  unb  unter  ihnen  157  ©mgroetfen,  unb  266  Sonfäfce.  Senn  »erfd)iebene  SJcelobieen 
beffelben  Siebes,  unb  abroeid)enbe  SEonfäfce  aud)  gleicher  ©ingroeifen  jtcf)en  allejeit  unter  berfelben  3al)l 
nebenetnanber,  baljer  benn  bie  2lnjal)l  beibcr  bie  3al)l  überfd)retten  muf?,  unter  ber  fte  baS  33ud)  aufführt; 
unb  roenn  biefe  Überfd)rtitung  nid)t  nod)  beträchtlicher  Jji,  fo  rührt  biefeS  baber,  roeil  b,in  unb  roieber  aud) 
SDMobie  unb  Sonfafc  fid)  ju  »erfd)iebenen  Siebern  roieberbolen,  neben  benen  fte  aber  bann  »ollftänbtg 
roieber  abgebrucft  finb.  SBenn  $ProbuS  unfern  83ul»iuS  einen  febr  roeitberübmten  SKuficuS  nennt,  ,,alS 
ber  mit  ben  excellentissimis  artificibus  superioris  et  hujus  saeculi,  Orlando,  Meilando,  Gallo,  unb 
anbercn  gleid)  ge()c,  rote  feine  herrliche,  im  Srucf  ausgegangene  composiliones  bezeugten, "  fo  ijl  biefeS 
Sob  mehr  auf  feine  üftotctten  ju  bejteben,  als  bie  einfad)en  ßt)ora[fdfje ,  roelcbe  fein  burd)  ben  SSon-cb= 
ner  eingeführtes1  S3ud)  unS  bietet.  SSutpiuS  liebte  ben  funjfreid)  »erf!od)tenen  SEonfafe,  ben  er  treflid) 
bebanbelt,  unftreitig  »iel  mehr,  als  ben  einfad)  barmonifchen.  Diefer  franft  bei  il)m  nid)t  forool)l  an 
gärten  im  3ufammenf lange,  aB  an  mangelhafter  ©timmenfübrung.  gajl  burd)gängig  in  feinen  5£on= 
fäfcen  ju  »ier  gleichen  ©timmen,  fo  wie  in  ben  meiften  fünfftimmigcn,  überfd)rettet  bie  jroeite  35i§fant= 
ftimme  bie  in  ber  erften  eingeführte  ^»auptmelobie,  unb  »erbunfelt  fie  baburd)  mehr  noch,  oX%  menn  fte, 
roie  bei  ben  älteren  9Keiftem,  in  bie  Senorftimme  gelegt  roäre.  Senn  bort  fann  fte,  »»eil  biefe  ©timme 
»on  jvoci  ihr  ungleichartigen  umfdjloffen  mirb,  fd)on  burd)  beren  eigentümliche  Sonfarbe  herauögeho^ 
ben  ruerben,  roie  fte  benn  aud),  meift  ernfter  unb  gemeffener  einherfchreitenb,  alö  bie  fte  begleitenben,  fd)on 
baburd)  »or  ihnen  mehr  heroortritt.  ^)ier,  in  einer  ©timme  ftd)  beroegenb,  bie  »on  einer  gleichartigen,  fid) 
meift  Son  für  £on  in  gleichem  gortfehrttte  il)r  anfd)lief?enben  überfd)rttten  roirb,  »erftnft  fte  »bllig  in  bie 
©efammtheit  be§  3ufammenflange§,  ohne  h«au§gel)6rt  merben  ju  fbnnen,  fo  ba^  jenes  „richtige  Schalten 
be§  ühoralS  im  SiScant,"  beffen  SSulpiuS  ftch  rühmt,  ju  einem  ganj  leeren,  bebeutungölofen  58orjuge 
roirb.  Durch  eine  eigentümliche  S5ehanblung»art  unterfd)eiben  fid)  übrigens  roeber  bie  fünffiimmigen, 
nod)  bie  hin  unb  mieber  »orfommenben  fed)S=  unb  ftebenftimmigen  SEonfälje  beS  S>ulpiuS  »on  benen  ju  »ier 
©timmen.  %n  feiner  S3el)anblung  beS  lutberifd)cn  SiebeS  ,,3efflia  bem  tyxoyfyetm  baS  gefchah,"  be§ 
beutfehen  ©anctuS,  (teilt  er,  beS  ßontrafleS  roegen,  dergleichen  ©ätje  ju  »ier,  fünf  bis  fieben  ©timmen 


  380   


jufommoi  mit  einzelnen  jmciftimmigcn,  ja,  ganjen  Siethen  foldjer  2frt;  abmcchfclnb  tritt  auch  etnmahl 
ein  oierfiimmiger  ©a£,  ober  eine  einfach,  befyanbelte  Intonation  ba$rotfd)cn.  Mein  nur  bie  gübrung 
Der  Stimmen  ft'nben  »vir,  mie  c§  nid)t  anbers?  fewn  fann,  bebtngt  burd)  bie  größere  ober  geringere 
'tfnjabj  ber  mitwtrfenbert/  bie  SBebanblung  bleibt  bem  SBefen  nad)  biefelbe. 

2>er  an  9J}elobieen,  mie  an  Sonfdljen  geipeber  ßieber  unjtreitig  rcid)ffr  itünjtler  biefes?  3eit- 
raumS,  S9ltd)<tcl  ^JratorutS,  i(t  in  ber  Sbat  auch  einer  ber  bebeutenbftcn  auf  bem  ©ebtere  be$ 
einfachen  Gihoralfa^eS.  dv  fielet,  im  eigcntlid)jten  ©inne,  an  ber  ©renjfdbeibe  beiber  3>abrhunberte,  be§ 
16ten  unb  17ten,  unb  trenn  man  aud)  nid)t  fagen  fann,  baf?  er  in  ber  Äunftrichtung  bes?  einen  ober  bes? 
andern,  febaffenb  unb  erfinbenb,  aB  gübrer  unb  #aupt  gelten  fbnne,  fo  haben  bod)  beibe  9?id)tungen  in 
ibm  ein  finniges?  SScrftänbnifj  unb  eine  funftgeübte  £anb  gefunben.  £)arum  fchliefsen  mir  hier  unfere  2)ar= 
ftellung  mit  ihm,  roie  wir,  in  bem  folgenben  Sflbvbunberte,  fie  an  il)n  roieberum  fnüpfen  merben.  @r  mar 
ju  ßreujburg  an  ber  SBerra  in  SEbüringcn  geboren,  am  15ten  S^ruar  1571,  unb  fd)ieb  an  eben  bem  Sage 
be§  3abre3  1621  aus?  biefem  ßeben,  follenbete  alfo  eben  funfjig  Sabre,  unb  nicht  43,  voie  au3  ber  bei 
©erber  mitgeteilten  Unfcrfd)rift  feines?  SSilbes?  ju  fd)liefjcn  mdre,  bas?  ftd)  in  ber  jlird)e  ffieatae  SCJZartae 
83irginiö  ju  SBolfenbüttcl  beft'nbet.  £>iefe  Unterfd)rift  nennt  ihn  $rtor  be§  ©tifteä  9?ingelt)eim,  ßa!peU= 
meifkr  unb  @ammerorganift  am  33raunfcl)mcig:2üneburger  .£>ofe,  unb  al§  aud)  von  anberen  @burfürftlid)en 
unb  .^erjoglicben  Spbfm  mit  bem  Stiel  ihres?  (Sapellmeijters?  beel)rt.  ©ebon  feit  1596  befletbete  er  fein  'tfmt 
ju  SSBolfenbüttel ;  SSBcrfmctflcr  führt  il)n  an  mit  feinem  SEitel  unter  ben  Sonfünjtlcra,  meldje  bie  in  jenem 
Sabre  wollenbete  neue  £>rgel  ju  ©roningen  prüften  unb  ihr  ©utad)ten  barüber  gaben.  Und)  als?  ©el)eim= 
fdjreiber  ber  #erjogin  (Slifabetb,  ©emal)lin  Heinrichs  SultuS  von  33raunfcbmeig,  mirb  er  genannt,  '#ufjer 
feinen  ndebfren  5ßefd)ü^ern  unb  ©onnern,  ben  .^erjogen  ^einrieb  Sulius?  unb  griebrid)  Ulrid),  gelten  aud) 
anbere  gelehrte  unb  funfiltebenbe  gürften  feiner  Seit  tt)n  in  hoben  (Sbren,  unb  nahmen  bie  £)arbringung 
feiner  jablrcicben  2Berfe  gern  auf.  ©o  l)at  er  feine  Hymnodia  Sionia  bem  Abnige  3acob  bem  (Srften  von 
Gnglanb  jugeeignet,  feine  Missodia  bem  ßburfürften  Johann  ©igis?munb  von  S5ranbenburg,  feine  Urano- 
Chorodia  bem  ^)erjoge  Johann  griebrid)  von  SBürtemberg.  @r  war  einer  ber  tbdtigjten  unb  jtrebfamjten 
SKdnner  feiner  3cit;  faum  gab  e3  ein  ©ebiet  ber  Sonfunft,  mobin  fein  forfd)enber  ©eift  unb  fein  unermüb-- 
lid)er  glcip  md)t  gereid)t  l)dtte,  unb  nid)t  leid)t  wirb  man  ^entanb  ft'nben,  ber  gleid)  il)m,  in  fo  großem 
Umfange,  mit  ben  grjeugniffen  feiner  SSorjeit  unb  ©egenroart  befannt  geroefen  rodre,  unb  il)r  SBefen  mit 
gleicher  ©rünbltdifeit  ftd)  angeeignet  f)dtte.  SBa6  bem  ©efd)id)tfd)reiber  ber  Äunfl  fo  roertl)  fe»n  muf, 
eine  gültige  ©timme  über  ben  (Sinbrucf,  ben  if>ve  ^erttorbringungen  auf  bie  3eitgenoffen  ber  Aünjtlcr  mad)= 
ten,  ba§  ft'nben  mir  bei  il)m,  unb  bttyalb  ift,  jufammengenommen  freilid)  mit  ben  Äunftmcrfen  felbjt, 
namentlich  ber  britte  Sbeil  fetneS  Syntagma  musicum  eine  ber  fdjdfjbarften  Quellen  für  bie  ©efd)id)te  ber 
Sonhtnff,  jumalil  er  un§  aud)  barüber  belehrt,  auf  roeld)e  SBeife  man  Sonmcrfe  um  feine  ßeit  jur  £)ax< 
Teilung  brad)te.  T>ie  genaue  unb  grünblid)c  SBeurt^eilung  biefeö  gelehrten  unb  umfaffenben  2Berfe§  barf 
jebod)  hier  un§  nid)t  befd)dftigen,  fo  mand)e§  SSelchrenbe  mir  audb  für  unferen  3mecf  barau§  febbefen  mer= 
ben.  äud)  fbnncn  mir  nicht  auf  jebeS  ber  25  2Berfe  eingehen,  meiere  ©erber  im  britten  S5anbe  feines? 
neuen  Sericon§  ber  Sonfünjtler  (Col.  758—761),  freilid)  nid)t  ganj  genau,  won  ^)rdtoriu§  anführt,  unb 
bie  au§  bem  3eitraume  von  1600  big  1621  herrühren.  91id)t  genau  nennen  mir  jene  Angabe;  benn  mollen 
mir,  gleid)  ©erber,  jeben  £f)eil  eines?  umfaffenben  SBerfeö,  menn  er  einigermaafjen  als  für  ftd)  befiehenb 
betrachtet  merben  fann,  für  ein  befonberes?  2ßerf  jdhlen,  fo  mürben,  aufjer  beren  fecbjebn,  bie  entmeber 


  381   


nicht  geglichen  3tu)altS  ftnb,  ober  bocb  mit  beutfcbcm  unb  lateinifcbem  ßboral  ftd;  nicht  beschäftigen,  an 
SBerfcn  biefer  legten  TSxt  15  vorbanben  ferm,  von  benen  jebn  ba§  beutfd)e  geijllidje  Sieb,  fünf  bagegen  ben 
(atetmftyen  Äircbengefang  jum  ©egenftanbe  haben,  fo,  baß  wir  alfo  beren  31  im  ©anjen  jäblen  müßten. 
(?$  ft'nb  nun  jene  erflen  vornehmlich,  über  bie  mir  ju  berichten  haben,  menn  mir  auch  Cegten  nicht  ganj 
vorübergehen  bürfen.  3mei  fpätcre  SBerfe,  eine  neue  SBebanblungSart  be§  @boraß  bietenb,  merben 
mir  bann  in  unferer  Darjlellung  be§  evangelifd)en  ÄirdiengefangeS  im  17ten  Sabrbunberte  näher 
befpreeben. 

SOcidbacl  tyxittami  begann  feine  Arbeiten  über  ben  beutfcb=cvangelifcben  Gshoralgefang  juerft  um 
ba$  3abr  1605  bffentlid)  ju  machen;  bei  ihrem  großen  Umfange  haben  fte  ihn  gemip  längere  3eit  vorher 
febon  befebäftigt.  3n  bem  gebadeten  3abre  erfebien  von  ihm  ju  9iegen3burg  ein  SBerf,  beö  Sitelö:  „Masae 
Sioniac  ober  gciftlicbe  Cmnccrtgefänge  über  bie  fürncmbften  £erm  Sutberi  unb  anbercr  teutfehe  spfalmcn, 
mit  acht  Stimmen  gefegt,  unb  jugleid)  auf  ber  £rgel  unb  ßbor  mit  lebenbiger  «Stimme  unb  allerhanb 
3nftrumenten  tri  ber  .Kirchen  ju  gebraud)en;  3"  Srud  verfertigt  burch,  9Jiict)aelem  Oratorium,  gürjllid) 
33raunfcbroeigifd)cn  ßavellmciftcr  unb  ßammerorganifkn.  ©rfter  Xtjeil."  tiefem  folgten  jmei  Sabre 
fväter,  um  1607,  brei  anbete  nach;  jmeite,  acbt=  unb  jmblfftimmtgc  Giboräte  entbaltenb,  ju  3ena; 
ber  britte,  adjt- ,  neun=  unb  jmolfjtimmige,  ber  vierte,  nur  ad)tjtimmige  mittheilenb,  ju  ^"petmffdbt 
gebrudt.  £iefe  vier  Sheile  bieten  un§  jmei=  unb  mehrd)brige  ^Bearbeitungen  ber  gebräud)lid)ften  Sing= 
meifen  beutfeher  geifilicher  Sieber,  hunbert  an  ber  3abX  untcr  bemn  23  Sonfäfce  ?OZelobieen  Sobmafferfcber 
"Pfalmen  jum  ©egenftanbe  Gaben.  3m  ©anjen  ijt  babei  meniger  auf  eine  gelehrte,  erfcbbpfenbc  £)urcb= 
führung  gefehen,  mie  etma  bei  £an§  Seo  £ajjler§  fugmeife  gefefjten  ^Pfalmen,  al§  auf  eine  feftlicb 
prachtvolle  SÖSirfrtng  gcgenübcrjtebenbcr  ßbove.  9cacb  ber  Sitte  ber  Seit  bcS  SRetßerS  mürben  biefe  entme= 
ber  mit  ©efang  unb  3nih'umentcnfviel  einanber  burchmeg  entgegengefcfjt,  unb  auf  folche  Ztt  eigentbümlicb 
hervorgehoben,  ober,  theilmeife  burch  Stngftimmen  unb  verfd)iebenartige  3nftrumente  befetjt,  mechfelten 
fte  bebeutfam  mit  einanber.  So  ftellte  man  Streich*  unb  S3laöinjlrumcnte  alS  ^Begleiter  be$>  ©efangeä  in 
bem  einen  unb  anberen  G>bore  gegenüber,  ober  fonberte  bei  brei  dljören  biefe  legten  mieberum  nach 
unb  9JietalI»feifen,  ober  auch  nach  Saiteninfbrumenten  verfdjiebcncr  2frt,  jenad)bem  biefe  burch  SSogcnjfrtcb 
ober  burd)  Steifen  jum  Soncn  gebradjt  mürben.  3n  einigen  gällen  führt  nun  ^rätortuS  einjelne  Beilen 
ber  Singmeife  in  ben  gegenübergcfiellten  ßboren  juerft  nachahmenb  burd),  bevor  ber  eigentliche  2Becbfel= 
ßborgefang  beginnt,  mie  j.  @.  in  bem  Siebe:  ,,©elobet  fcr>fl  bu  3efu3  ßbvijt;"  ober  e3  gehen  folche  9cacb= 
abmungen  Anfang?  auch  mobl  burch  ad)t  Stimmen  fort,  bis  biefe  ftcb  in  Sböre  fonbem,  mie  in  SutberS 
Siebe  über  ben  Sobgefang  Simeons :  ,,Wlit  grieb'  unb  greub'  ich  fahV  babin;"  ober  gemählte  Stimmen 
aus  jebem  ber  jufammenmirfenben  ßbbre  bilben  in  ber  SÖRitte  be£  (Sborgefangcs>  an  bebeutfamer  Stelle  einen, 
au§  bemfelben  hervortretenben  (Sinjelgefang,  ohne  ben  gortgang  beä  ©anjen  ju  unterbrechen,  mie  in  bem 
breichbrigen :  ,,-Öerr  ©ott  bieb  loben  mir"  bie  £bcrftimmen  ber  ßhbre,  ju  ben  SBorten:  „^»eilig  ift  unfer 
©ott,"  bie  bann  miebermit  ber  vollen  ^)rad)t  aller  Qfybxe  ertönen.  3fl  nun  ber  Snbalt  biefer  vier  erften 
Sheile  beS  SBerfeS  mehr  für  bie  SSebürfniffe  be§  Sängerchorö,  unb  fejtliche  3(u5fchmüdung  be§  ©otteS= 
bienjteS  benimmt,  fo  haben  bie  vier  fpätern  bagegen  mehr  baS  S5ebürfnip  beS  ©emeinegefangeS  bebacht, 
jumahl  bie  brei  legten  unter  ihnen ;  benn  ber-  fünfte  hält  |tcb  theilmeife  an  ba3  (Sine  unb  bae>  2lnbere.  gür 
bie  brei  früheren  Steile  h"tte  ^)rätoriuä  fürftlicbe  ©önnerinnen  unb  ©bnner  gefucht :  bie  beiben  erften  ft'nb 
ber  ^erjogin  ßlifaberh  oon  S3raunfchmeig  unb  ber  ßhurfürftin  «^ebmig  von  Sacbfen,  gebornen  ^3rinjefft'nnen 


von  Sänemarf,  ber  britte  ifi  bem  ©rafen  (Srnft  »on  $oljiein  jugeeignet,  nur  ber  »ierte  ifi  ofyne  2Bibmung. 
Sie  üicr  lefeten  ftnb  ju  2Bolfenbüttel  in  ber  fürfilid)cn  Sruderei  aufgelegt,  in  be§  §3erfaffer§  Selbfberlag. 
Ser£itcl  be$  fünften  runbigt,  unter  ber  allgemein  beibehaltenen  ^Benennung  Musae  Sioniae  ,,©etftlid)e 
beutfcbe  in  ber  (5l)rijilid)en  Äird;e  üblid)e  2ieber  unb  ^Pfalmen"  an,  mit  2,  3,  4,  5,  6,  7,  8  Stimmen, 
unb  fübjt  ebenfalls  bie  3abrjal)l  1607.  dx  ifi  allen  £ird)cn  be§  ^eiligen  romifd)=beutfd)en  9?etd)e3  gemib= 
met,  unb  33afüiu§  Sabler,  bamaß  4?ofprebiger  ju  SBolfcnbüttel,  bat  eine  SBorrebe  baju  in  mürbigem 
frommem  Sinne  gefdjrieben,  bie  jcbod)  über  einjelneS  S33 1 ffen 6n> evtl; e  uns>  nid)t  belehrt.  25er  Sonfä^e  ftnb 
166,  beren  oft  fteben  big  neun  biefelbe  SDMobie  bebanbeln,  fo,  baß  ber  Singmeifen,  bie  mir  bjer  mitge= 
tbeilt  erhalten,  bebeutcnb  weniger  ftnb.  Sd)on  f)ier  beginnt  aud)  bie  3ufammcnfiellung  meiner  örtlicher 
Singarten  berfelben  SKelobte,  bemerfenämertl)  burd)  bie  2(nfd)auung,  bie  mir  baburd)  t>on  ber  SBeife  ermat- 
ten, mie  bie  ©emeinen  in  t>crfd)icbenen  ©egenbcn  bie  gctfilid)cn  Singmeifen  auffaßten  unb  nad)  ihren  befon= 
beren  33ebürfntffcn  fogar  umbilbcten.  greilid)  haben  ftd)  baburd)  bie  SSonfäfje  oft  gehäuft,  meil  ber 
gemiffenbaft  genaue  Herausgeber  felbfi  ganj  unbebeutcnbe  Abweichungen  aufzunehmen  für  Pflicht  gehalten 
f>at;  mir  l)aben  ihm  jebocb  immer  ju  banfen  für  ba§  treue  S3ilb,  baS  er  unS  baburd)  gemährt  von  bem 
S5ilbung§gange  bee>  geifilid)en  33olBgcfange§  in  bem  beutfd)en  6f)oral.  Aud)  einige  Sd^e  älterer  ober 
gleichzeitiger  Sonmeifier  werben  un§  t)iex  mitgetbeilt:  toon  3ol)ann  SBalter,  SacqueS  be  2ßert,  Johannes 
SBaptifia  (S5onometti?),  AnbreasS  JKafeliuS,  ^Bartholomäus?  ©efüß,  unb  von  ^rätortus>  Schüler,  Heinrich, 
©rimm,  bamaß  einem  Knaben  »on  Merheim  fahren.  ®er  fecbfte  Styeil,  um  1609  erfd)ienen,  enthält  nur 
»ierftimmige  Sonfä^e,  unb  jmar  gleid)  bem  fünften,  über  bie  bamaß  gebräuchlichen  gejimelobieen.  @r  ifi 
$PbWpP  Sigßmunb,  ^)erjoge  von  33raunfd)weig,  pofiulirtem  33ifd)ofe  ju  £>3nabrüd  jugeetgnet,  unb  bringt 
unö,  eben  mie  ber  »orangebcnbe,  unter  befonberen  Bahlen,  mancherlei  örtliche  Singarten  aus>  ben  metfien 
protefiantifcben  2anbfd)aften :  SDZeiffen,  33raunfd)meig,  ber  9Karf,  S£l)üringen,  ben  Seefiäbten,  granfen 
unb  Schwaben  —  unter  weld)er  ^Benennung  ber  bamaß  proreftantifd)e  5£l)eil  S3aicrn§  mit  begriffen  ju 
fet>n  fd)eint  —  unb  Greußen,  ma3  aud)  ferner  in  bem  fieberten  unb  ad)ten  Steile  geflieht.  3n  bem 
3nbaltöoerjeid)niffe  merben  aud)  bie  tarnen  ber  £icberbid)ter  bemerft,  ober  bod)  ber  Urfprung  ber  ßieber  im 
Allgemeinen  angegeben,  namentlich,  berer,  bie  au§  fatbolifcber  Seit  (lammen.  SSonfd^e  frember  SKeifler 
werben  burd)  Angabe  ibreö  Samens  über  benfelben  au§gejeid)net,  SBerfe  unbcfannter  Urbeber  burd)  bie 
Überfdnift  „Incerti"  al§  folcbe  angebeutet.  SCBir  begegnen  bier  mieber  bem  3ob«nn  S5aptif!a;  einem  fonfl 
nid)t  »orf ommenben  83alcntin  9ccanbcr ;  am  bfterjten  bem  Soad)im  a  S5urgf,  bcffen  Warne  aber  jumeilen 
über  Säfeen  feine§  'tfmtSgenoffen  unb  greunbeö  3obanrt  ©ccarb  flebt.  Sie  "Kxt,  mie  ^)rdtoriuä  biefe  legten 
bebanbelt,  merben  mir  ndber  befprecben,  menn  mir  über  jenen  Sfteifter  befonber§  bcrid)ten.  35er  fiebente 
Sbeil,  in  bemfelben  3al)re  (1609)  berauSgegeben,  enthält  244  Sonfä^e,  jebod)  nur  240  für  ben  ©efang 
beftimmte.  S8on  ben  oier  legten  fagt  ber  S3erfaffer :  er  l)flbe,  auf  etlicher  Srgantjten  injldnbigeö  Inhalten, 
oier  beutfd)er  ^)falmen  ohne  SEert  hinten  anbruden  laffen,  bamit  ein  angebenber  Örganifi,  melcbem  fte  erma 
gefallen  möd)ten,  biefelben  alfo  jttm  ©ebraud)  au§  ben  5Jcoten  mieberum  in  bie  Sabulatur  bringen  möge. 
<5ö  ftnb  bie  gjielobieen  berßieber:  (Sin'  üejle  5ßurg  ifi  unfer@ott;  ßbrifi  unfer  ^)err  jum  3orban  fam; 
2Bir  glauben  all'  an  einen  ©ott ;  Wun  lob'  mein'  Seef  ben  Herren.  Sie  lefete,  aß  bie  eineS  Sobliebeg, 
unb  üon  frifd)er,  belebter  SSemegung,  bat  bem  SDZeifier  nur  ju  allerbanb  melobifd)en  2Cu§jierungen  in  ber 
^auptfiimme  unb  ben  begleitenben  ©elegenbeit  gegeben,  an  benen  ein  Drganifi  feine  ^anbfertigfeit  jeigen 
{ann  ;  für  bie  anbern  bat  er  bagegen  bie  Darlegung  feiner  contrapunftifcben  Äunfi  aufgefpart,  inbem  er  bie 


0 

  383   

einzelnen  3etlen  ber  ©ingweifen  theiB  in  fugirten  ©äf^cn  oon  mancherlei  Art  burchfübjt,  theilS  fte  al$  fejlen 
©efang  benufjt,  meijl  inbem  er  ein  SEongcbäube  über  tränen,  aU  beffen  ©runblage,  aufrichtet.  Siefe 
©älje,  mit  gleiß  unb  ©eroanbtheit  gearbeitet,  jetgen  un8  bic  ©rufe,  auf  ber  bie  Äunft  beS  ^rganiften  am 
©cbluffe  beä  lfiten  unb  beginne  be3  17ten  Sahrhunbcrtö  flanb,  unb  finb  bc6f;alb  nicht  ohne  SBStchtigfett ; 
»vir  werben  funftig  fel)en,  wie  9)rätoriuS  in  fpäterer  Seit  bei  feinen  gefchmücften  SSehanblungen  ganjer  Stc= 
ber  unb  ihrer  SQiclebiecn,  für  ©efang  unb  ^njlvumente,  ftch  ihnen  wieberum  angcfd)loffen  hat.  SEBaS  bie 
eigentlichen  Sieber  biefeä  ftebenten  Zljcitt  betrifft,  fo  flehen  unter  ihnen  bie  .KatechiSmuSlteber  ooran ;  ihnen 
folgen  Sieber  oon  ber  SBufje,  9ied)tfertigung,  bem  2£benbmahl,  25anfgefänge,  unb  Steter  oom  chrifllichen 
geben  unb  SBanbel.  3<>hann  SBait«/  ßhrifaph  S3uel,  3oadn'm  a  33urgf,  25.  9cicolauS  ©etneccer  erfcr>et= 
neu  hier  at3  Urheber  ber  aufgenommenen  fremben  Sonfäfje.  Siefer  S£f)eil  ift  ben  weiblidjen  unb  männlichen 
SSorjlebern  aller  Älbfler  unb  ©tifter  in  ben  S3raunfchweigifd)en  üanben  gewibmet,  gürjlinnen,  'tfbtiffmnen, 
Sechantinnen,  ßanonifft'nncn ;  Prälaten,  '#bten  u.  f.  n>.  2tm  reid)jlen  an  Sonfa^en  ift  ber  achte  Sheil 
be§  SBerfeS,  ber  um  1610  erfchien;  er  enthält  beren  302,  unb  tfl  ben  ßanbfiänben  be3  £er$ogthums 
S3raunfd)weig  jugefd)rieben.  25er  Sitet  btefeS  Steiles?  belehrt  uns»,  baß  er  nicht  allein  Ätrchenlieber  ent= 
halte,  fonbern  auch  folche,  bie  ,,in  Käufern"  gefungen  werben,  auf  bie  gemeinen,  unb  anbere,  an  unter- 
fchiebenen  Drten  gebräudjliche  SJJelobeoen ;  er  bcmerft,  bafj  biefe  alle  „contrapuncto  simplici,  nota  contra 
noiam"  gefegt  feoen  (roie  mir  e§  fchon  in  ben  oorangebenben  ^heilen  finben),  unb  baß  ftch  barunter 
„einuntjroanjig  an  ber  3ahi/  unterer  GEomponijlen"  befänben.  25iefe  ft'nb:  Joachim  a  S5urgf,  @r»= 
tbräuS,  ©eftuS,  Valentin  £au§mann,  Sacob  SÜRcilanbuS,  unb  25.  ^icolauö  ©elneccer,  über  beren  brei 
mir  furj  juoor  berichteten,  unb  oon  anbern  noch  hobeln  werben.  25ie  ©efänge  ft'nb  unter  folgenbe 
TCbtheilungen  gebracht:  oon  ßreuj,  SSerfolgung,  Anfechtung;  oon  ber  christlichen  .Kirchen;  oon  £ob 
unb  (Sterben;  oom  jüngften  Sage;  9Korgen=  unb  2lbenbgefange;  ©chlufsgefänge.  @S  finb  unter  ihnen 
brei,  beren  Sichter  $)rätoriu3  ohne  Sweifct  ift,  ba  er  ftch  felber  al§  folchen  nennt.  Suerft  SRxo.  32  über 
ben  23ften  «Pfalm : 

55er  £err  ijl  mein  getreuer  Q\xt, 

lin  bem  mir  nichteS  mangeln  wirb, 

SBeib'  mich  auf  grüner  3tuen, 

3um  frifchen  2Baffer  er  mich  fett'/ 

gür  mem  follt'  mir  benn  grauen? 
25iefe§  Sieb  ijl,  roie  feine  fünfteilige  «Strophe  jeigt,  beS  gleichen  2(nfang3oerfe§  ungeachtet,  bod)  oon  benen 
beö  Söolfgang  Sttofel  unb  25.  ßorneliuS  S3ecfer  über  benfelben  $falm  auch  in  feinem  S3aue  ganj  oerfdn'e* 
ben,  welche  beibe  bie  ftebenjeilige  tambifche  «Stropbe  be3  ßtebe§  „9cun  freut  euch  lieben  Gihrijlengmem" 
haben ;  man  barf  e3  baher  nicht  mit  ihnen  oerwechfeln,  mie  wohl  juweilen  gefctjeöen  tfl.  (Sin  jweiteS  tfl 
bat»  befannte  SEßorgenlieb  (9lro.  25) : 

Sd)  banf'  bir  fchon  burd)  beinen  ©ohn  k. 
ein  britte§  (9lro.  291),  oon  nur  einer  ©tropfe  lautet: 

2Bir  banfen  ©ort  für  feine  ©oben, 

25ie  mir  oon  ihm  empfangen  haben. 

2Bir  bitten  unfern  lieben  ^)ern, 

(Sr  moll'  unä  hinfort  mehr  befchern. 


@S  bleibt  nur  bie  Srage:  ob  9)rätoriuS  auch  alS  ©änger  ber  Söielobieen  tiefet  ßtebev  gelten  fönne?  Am 
mahrfcbeinltd)flen  möchte  biefeS  »on  bem  erflen  berfelben  anjunehmen  fepn.  Senn  bie  AnfangSbuchftabw 
beS  Samens  unfereS  9)lcijlerS  flehen  übet  bem  Sonfa^e  (99c.  unt)  auf  btefe  SBcife  pflegt  er  gewöhnlich, 
beren  Urheber  ju  bejeicbnen.  Sp'ux  aber  fbnnte  eine  fo(d>e  SSejeicbnung  immer  nur  auf  bie  Gelobte  ju 
begehen  fepn,  weil  bie  Urbeberfchaft,  ben  Sonfafc  betreffenb,  boch  »orauSgefefct  werben  mußte.  Allein 
tiefe  SJe^cicbnungSart  cntfcbeibet  bennod)  nicht,  benn  ^PrätortuS  ift  iabn  nicht  immer  folgerecht  »erfahren, 
juweilen  beutet  er  auf  biefe  SSSetfe  auch  bie  Sieberb  id) tcr  an,  wie  benn  über  einigen  Sonfä^en  ber  9came 
beS  3oad).  93iagbeburg  fleht,  »on  bem  nicht  hefannt  ifl,  baß  er  irgenbwie  auSübenber  Sonfünfller  gewefen, 
roenn  wir  ihn  auch  alä  Sieberbicbter  fennen*).  S3et  bem  jweiten  unb  brittcn  Siebe  aber  ifl  eS  noch  weniger 
wabrfcbeinlid),  baß  er  ber  «Sänger  ihrer  SOMobieen  fetj.  ^PrätoriuS  fjat  nämlich  in  feinem  StibaltStterjeid); 
niffe  »or  ben  3ablen  unb  Anfängen  ber  Siebet  juerft  eine  ßolonne,  überfchrieben  :  ,,Autores  compositionis 
unb  Äirchenmelobep, "  bie  in  ben  meiflen  gällen  ganj  unauSgefüüt  bleibt,  ober  in  ber  boch  nur  bie  tarnen 
ber  ßanbfdbaften  flehen,  in  welchen  bie  mitgetbeilten,  örtlichen  (Singarten  üblich  fmb.  £inter  ben  erPen 
Siebjeilen  !ommt  bann  eine  jweite  ßolonnc,  worin  bie  ,,Autores  textus"  aufgeführt  fmb.  ginbet  eS  ftd> 
nun,  baß  Sichter,  «Sänger  unb  Sonfe^er  ftd)  in  einer  ^erfon  »ereinigen,  fo  fleht  beren  9came  in  ber  erflen 
fowohl  als  legten  ßolonne,  wie  5.  35.  im  ft'ebcnten  SSbeile  9cro.  236  bei  bem  Siebe:  ,,£ilf  £crr  mein 
©ott/'  ber  9came  S.  Sttcol.  «Selneccer  in  beiben  ßolonnen  $u  ftnben  ifl;  wogegen  er  im  achten  £beile 
9cro.  272  bei  bem  Siebe:  „SQun  laßt  uns  ©ott  ben  Herren"  nur  in  ber  erflen,  nicht  ber  legten  fleht,  in 
welcher  ber  9came  SubwigS  ^»elmbolb,  als  bcS  SichterS,  angetroffen  wirb.  SSei  ben  legten  beiben,  hier 
eben  besprochenen  Siebern  enthält  aber  nur  bie  leiste  ßolonne,  nicht  bie  erfle,  bie  SSucbflaben  Wl.  9).  6., 
beren  leljter  auf  beS  83erfafferS  SSaterjlabt  ßrcujbnrg  beutet,  wie  tiefet  benn  auch  wohl  allen  breien  jufam= 
mengenommen  bie  Deutung  gu  geben  pflegt,  baß  fein  wahres  SSaterlanb  ber  Gimmel  fen,  in  feinem  2öabl= 
feruebe:  Mihi  pairia  coelum.  9Kan  wirb  vielleicht  einwenben,  baß  eS  bei  ihm  ber  Ausfüllung  ber  erflen 
(Solonnc  nicht  erfl  beburft  habe;  baß  ein  SSonmeifter,  ber  ein  geifllicheS  Sieb  bichte,  baffelbe  aud)  wohl  mit 
feiner  «Singwcife  jugleicb  werbe  erfunben,  unb  biefe  unmittelbar  mit  ihrer  barmonifeben  AuSgeftaltung 
erbacht  haben.  'Mein  biefe  SBorauSfefjung  ifl  nicht  cntfdbeibenb.  3n  bem  ft'ebenten  Sbcilc  (9cro.  66)  nennt 
^rätoriuS  ftd)  als  Sichter  beS  SiebeS:  „50cein  ©Ott,  mein  ©ott,  0  Skter  mein,"  beffen  Sftclobie  ifl  aber 
bie  bekannte,  alte,  beS  SiebeS:  An  Sßafferflüffen  äkbolon.  @r  l)at  alfo  auch  für  feine  Sieber  frembe 
Sftelobteen  entlehnt,  unb  fann  beShalb  bei  ben  julefet  genannten  beiben  eS  ebenfalls  gethan  haben.  Sarum 


•)  3oact)im  ättagbeburg  gab  im  3al)rc  1572  (bei  ©eorg  SSaumann  ju  ©rfurt)  ein  äßertdjen  in  »icr  <Stimm= 
büdjern  fjerauS,  unter  bem  Sitel:  ,,G>f)riftlid)c  unb  troftlicfjc  £ifd)gcfa'ngc  mit  SSicr  (Stimmen,  bamit  man  »or  unb  nad) 
Sifd)  ben  lieben  @ott  anrufen,  unb  für  feine  »a'tcrlidjc  @ütc  etyren,  toben  unb  banfen  mag.  35er  lieben  3ugcnb  ju  gut 
jufamm  gcfdjricben,  <8nb  mit  Seit,  fo  baju  bient,  jum  Sfjett  oerenbert  onb  oerbeffert.  Surd)  Soadjimum  5Dfagbcbur-- 
gium,  ©arbekbenfem."  es  ift  feinen  beiben  ©bi)ncn,  SOcatttjt'ag  unb  3oad)im,  am  2Jftcn  ?Kni  1571  con  Srfurt  au$ 
mit  einer  fdjöncn,  berjlidjen,  cfyriftlidjcn  Grmaijnung  ju  gottfecligem  Seben,  in  gorm  cine6  Seftamente,  gercibmet,  unb 
enthält  ©efänge  ju  oier  (Stimmen  für  ben  (Sonntag  unb  alle  SBodjentagc,  SOcittagS  unb  2tbenb6  }U  fingen.  5Son  roem 
bie  2onfä^c  tjcrrütjrcn,  ift  nidjt  gefagt.  Sie  finb  meift  einfach,  wenige  nur  jeigen  einen  S?erfud)  funftooltcr  2tu$füt>-- 
rung;  oon  SBebeutung  ift  reiner  berfelben.  ©6  ift  tjier  bie  einjige  ©elegenfjeit,  biefeS  3BerEd)en6,  baä  meljre  befanntc 
6l)oralmelobiccn  enttjalt,  ;u  gebenfen.  ©enn  unter  ben  Sehern  biefcö  3eitraumä  burften  roir  Soadjim  »on  9Jcagbeburg 
nidjt  aufführen,  ba  er  fid)  fclbcr  als  foldjcn  nid)t  nennt ;  für  fid)  genommen  aber  ocranlapten  bie  Sonfägc  feine«  58ud)e« 
ju  feiner  ßrwafjnung.  SDäcnn  ^)rätoriu6  einen  ober  ben  anbtrn  berfelben  entlehnt  unb  ifjn  mit  bem  9tnmcn  bc6  £crau6-- 
geberg  bejeidjnct,  fo  bat  er  bamit  mobl  nur  bie  Cuclle  anbeuten  troUcn,  morauß  er  ü)n  fdjöpftc. 


  385   


bürfen  wir  beren  ©ingweifen,  weil  fie  unö  in  feinem  Sßerfe  jum  erften  SEJlabJe  Vorrommen,  nod)  nid)t  bie 
feinigen  nennen,  um  fo  weniger,  weil  wir  fmben  werben,  baß  bei  ihm  bie  ©abe  be§  ©efcerS  bie  be§ 
©ängerS  bei  weitem  überwog,  unb  baß  jene  in  ber  9Dtef)r$af;l  feiner  umfangreichen  SBerfe  bie  auöfdjlie- 
ßenb  hervortretenbe  ifi.  —  Sn  bem  neunten  Steile  ber  ©ionifchen  SDZufen,  ber  um  1610,  ju  SSBolfenbüttel 
gebrucft,  erfcfyien,  verläßt  $>rätorius>  wieber  bie  in  bem  fed)ften,  ftebenten  unb  achten,,  jum  5£l)eit  auch  bem 
fünften,  beobachtete  SSSeife ;  bie  ©efänge  in  bemfelbcn  ftnb,  wenn  auch  auf  fivd>Iid>e  SEBetfen  gefegt,  nicht 
fowohl  für  ben  ©ebraud;  in  ber  Äircfye  bcftimmt,  für  ben  ©ängerdwr  ober  bie  ©emeine,  fonbern  jum 
£au3gebraud)e.  £)em  SEitel  zufolge  ftnb  fie  „mit  jwei  unb  brei  ©timmen  auf  SDcutetten,  mabrigaltfche, 
unb  fonften  nod)  eine  anbere  vom  autore  erft  erfunbene  2£rt  gefe^et,  wie  bavon  in  ber  nota  autoris  ad 
lectorem  musicum  wahrer  S5erid)t  ju  beft'nben."  Siefe  neue  "Kxt  bes>  ©a£eS  befiehl,  nach  be3  SSerfaffer§ 
^Berichte,  barin,  baß  „etwa  eine  ßtauful  mit  bem  Serte  aus  bem  <5boral  genommen,  unb  biefelbe  contra= 
»unftäweife  jum  ganjen  6b, oral  burch  unb  burchgefüfjrt  ifi."  ©o  gefd)ieht  bie§  unter  anbern  bei  ber 
breijrimmigen  33el)anblung  ber  13ten  ©trovhe  von  bem  Siebe: 

„@§  ijt  ba§  Jpeil  un§  fommen  her/'*) 
für  jwei  SiSfante  unb  einen  "Kit.   Sfur  bei  ber  erften  Seile : 

„©en  2ob  unb  @f)r  mit  hohem  9)ret§" 
führt  tiefer  lefcte  ben  feften  ©efang ;  mit  ber  jweiten  Seile  berfelben : 

„Um  biefev  @uttf)at  willen" 
ergreift  ir>rt  bie  Dberjlimme,  unb  gegen  fie  führen  nunmehr  bie  beiben  anberen  bie  melobifchen  SSBenbungen 
ber  jweiten  unb  vierten  Seile  burch,  welche  bie  SSBorte  begleiten : 

„Um  biefer  ©utthat  willen" 

unb 

,,2)er  woll'  mit  ©nab'  erfüllen," 
welche  legten  auf  bie  ber  » oranger; enben  Seile:  ,,©ott  SSater,  ©ohn  unb  ^eiliger  ©etfl/y  fid?  bejiehen. 
Die  geringe  Sahl  ber©timmen,  bie  melobifchen  Musterungen  in  benfelben,  ihre  Verflechtung  in  9cad)ahmun= 
gen,  il;r  meifi  bewegter  gortfchritt,  alle§  biefeS  beutet  bahin,  baß  biefe  ©efänge  ju  häuslicher,  geiftlicher 
(Srgofcung  funflgeübter  ©änger  beftimmt  gewefen.  9cur  juweilen,  unb  nicht  ohne  fünjllerifche  Mbficht, 
tritt  eine  größere  ©timmenjahl  ein,  ale>  bie  gewöhnlich  angewenbete  von  jwei  ober  brei  Mue>füf)renben. 
3n  biefer  lixt  hat  ^rätoriuö  bie  vier  erjien  ©trovl;en  be§  2iebe3  bebanbelt:  2Bie  fchbn  leudbtet  ber  Wov- 
genftern.  SSon  jwei  £>i$>fantfiimmen  wirb  bie  erfte  ©trophe  aufgeführt;  bie  jweite  von  einem  Mit  unb 
$wei  Senoren ;  bie  brttte  tragen  bie  vier  gewbl)nlid)en  ßhorpimmen  in  einfachem  ©afee  vor,  boch  fo,  baß 
bei  ber  SEBieberholung  ber  SJMobie  ber  erjten  brei  Seilen  ju  ber  vierten,  fünften  unb  fechjten,  ftatt  ber 
anfänglichen  Fortbewegung  im  geraben  Safte,  unb  in  langgehaltenen  SEönen,  nunmehr  in  9loten  geringerer 
©eltung  ber  gortfchritt  rafcher,  unb  burch  rhwthmifchen  SBechfel  mannigfacher  wirb,  big  ju  bem  jweiten 
Sheile  ber  SKelobie  ber  breitheilige  SSart,  burd)  ben  vorangehenben  3?hwthmu§  angebeutet,  bis  an  ba3 
@nbe  herrfchenb  hevvorbricht.  Sie  vierte  ©tro»t)e  „SSon  ©Ott  fömmt  nur  ein  greubenfcbein"**)  wirb 
nun,  in  ftetS  anwachfenber  ©timmenfüUe,  einem  fünfjtimmigen  @hore,  ebenfalls  in  einfachem  ©afce  juge* 


•)  ©.  IBcifpia  SRro.  98. 
")   ©.  SBetfpiet  9tro.  99. 

3ßmt«tf(lb,  *tt  esangtl.  S^cjalgefinij.  49 


  386   

tbeilt.  gür  bie  fecbS  erjten  3eilen  bauert  ber  »orangegangene,  ungerabe  Saft  fort;  erjt  mit  bem  jweiten 
Sbeile  bcr  ©ingweife  ju  ben  SBorten: 

glimm  mid)  freunblid)  in  bein'  2lrme 
tritt  bcr  gerabe  ein;  mit  großem  9>cad)bru<f,  langgebalten,  wirb  ba3  2Bort  freunblid)  gcfungcn;  twn 
ba  wirb  bic  ^Bewegung  etwas  rafcher,  bis  am  ©cbluffe,  ju  ber  Seile : 

2fuf  bein  5Bort  fomm  id)  gelaben 
bcr  immer  breiter,  feierlicher  geworbene  ©efang  in  üollem  Sonjtrome  bem  dnbe  entgegen  fcbreitet.  '^Cr)nltd> 
fcrfatjrt  ^)ratoriu§  mit  ben  brei  ©tropfen  beS  2iebe3  :  „3Bad)et  auf,  ruft  unS  bie  ©timme."  (Ein  Senor 
unb  33aß  tragen  bie  erfle  cor,  bie  einzelnen  Seilen  ber  SSJJelobie  in  jvoeifttmmigen  gcad)al)mungen  gegenein= 
anber  auSfübrenb.  S5ci  ber  jweitcn  crfcbeincn  jwet  £>te>fante  unb  ein  Senor;  ju  ben  gtachabmungen  jener 
bilbet  bicfer  Anfangs  einen  fejten  ©efang  mit  ben  brei  erften  Seilen  bcr  ©ingweife;  ju  ben  brei  folgenben 
tritt  eine  anberc  SBcbanblungeSart  ein,  hier  nehmen  bie  Stimmen  bie  einzelnen  Süßenbungen  bcr  5Jcelobie 
cinanber  ab,  fo  baß  biefe  fidt)  jwifeben  ft'e  ücrtbeilt,  unb  aus>  tt)rev  Skrflechtung  immer  nod)  herausgehört 
roerben  Fann.  £>er  jwettc  £l)cil  (flbgefang)  beS  Siebes  beginnt  mit  ganj  einfacb,  %on  gegen  £on,  t»orge= 
tragenen  breiftimmigen  ©ä£en,  bie  auS  ben  SBenbungen  ber  ©mgweife  ju  ben  brei  näcbften  Seilen  beS 
JHebcS  gefdjöpft  ft'nb,  unb  ft'e  in  allerbanb  8Serfe|ungen  boren  laffen.   Wlit  ben  SBorten : 

SBir  folgen  aU'  jum  greubenfaal 
tritt  bie  tiefere  ©timme  ben  leeren  woran,  welche  ifjr  bann  in  jwetjttmmigem  ©efange  nachfolgen ;  erfi 
mit  ber  legten  Seile : 

Unb  galten  mit  baS  '2fbenbmal)t 
ergreift  bie  crjtc  ©timme  bie  ©cblußjeile  bcr  SJMobic  als  feften  ©efang  unb  roirb  nun  »on  ben  anbern  bei= 
ben  umfptelt.   £>ie  britte  Strophe  ift  einem  üierjiimmigen  ßbore  jugetbeilt ;  ibre  brei  elften  Seilen  ertönen, 
prächtig  unb  beroegt,  in  breitbeiligem  Safte : 

©loria  fep  bir  gefungen  ic. 
,u  ben  näcbjten  brei  wecbfelt  biefer  mit  bem  graben,  unb  erjt  ju  ben  legten  beiben  Seilen  tritt  jener  wteberum 
ein,  unb  befd)ließt  baS  ©anje. 

gür  unferen  unmittelbaren  Swccf,  unb  an  biefem  £rte,  bitten  wir,  febeint  eS,  bei  biefen  ©ä£en 
fo  lange  nicht  verweilen  bürfen.  2Bir  jler)en  jebod)  bei  ibnen  an  bcr  ©renje  ber  älteren  fünjtlerifcben  9fid)= 
tung  unfereS  SfteifterS ;  ft'e  beuten  bereits  bie  fpätcre  an,  unb  werben  babureb  ein  ^nfnüpfungSpunft,  wenn 
wir  in  ber  £>ar|rcllung  beS  eüangeltfcben  ÄircbengefangcS  in  bem  folgenben  3abrf)unberte  SBertdjt  über 
ibn  wieber  aufnehmen.  £ier  aber  Ratten  wir  oon  ibnen  ju  b<*nbeln,  weil  ft'e  fein  umfangreiches  2Berf 
befd)lteßen,  bem  er  wobl  nur,  um  ber  9tcunjal)l  ber  SSJcufen  willen,  biefen  neunten  Sbeil  noch  beigereebnet 
bat.  er  entbält  21«  Sonfäfee  im  ©anjen,  unb  ijl  bem  ßburfürften  ßbrijtian  won  ©aebfen,  unb  beffen 
beiben  Srübern,  Johann  ©eorg,  unb  2fugujt,  Jpcrjogen  ju  ©aebfen,  gewibmet.  3m  folgenben  ^al)re  1611 
bat  ibn  *P*ätoriu§  unter  einem  neuen  Sitel:  Bicinia  unb  Tricioia  Micliaelis  Praetorii  C.  in  eigenem 
Sßerlage  einzeln  herausgegeben,  unb  9Jiid)ael  geringen  ju  Hamburg  beffen  SSerfauf  übertragen ;  baburd) 
fdjeint  er  fclber  einjugefteben,  baß  bie  barin  enthaltenen  Sonfäfee,  aueb  unabhängig  üon  feinem  größeren 
Sßerfe,  eine  eigene  ©ammlung  bilben. 

2Bir  jäl)lten  in  ben  erften  oier  Steilen  ber  ©ionifeben  9Jlufen  beö  Michael  9)rätoriuö  100  Zon- 
fäl^/  in  bem  fünften  166,  in  bem  fechten  200,  in  bem  ftebenten  244,  in  bem  achten  302,  unb  216  in 


  387  — 

Dem  neunten;  bas  ganje  SBerf  enthält  alfo  Die  bebeutenbe  'tfnjabl  von  1248  £onfäl*eu.  2>a  Oer  Sierfaffer 
von  »teten  füftelobieen  nicht  allein  mehre  SEonfäfce  giebt,  fonbern  auch  bei  jenen  oicle  örtliche  ©ingarten 
mittbeilt;  ba  ju  oerfebiebenen  fiebern  oft  biefelbe  Gelobte  angewenbet  wirb ;  fo  ift  leicht  ju  erachten,  baß 
bie  3abl  ber  SKelobieen  ber  oon  ben  Sonfäljen  nicfyt  gleichkommen  werbe,  jumabl  menn  biejenigen  ©älje 
nicht  mitgerechnet  werben,  welche  rtidjt  fowobl  blos  motettenbafte  33ehanblungen  befanntcr  geijtlicfyer 
©ingweifen  ftnb,  als  melmebr  überall  feine  fird)lid)e  SBeife  als  ©runbmelobie  burcbjübren  ober  begleiten. 
Da  es  nicht  ohne  ^ntereffc  feytl  fann,  ju  überfein,  in  reellem  9Jkaße  bie  3al)l  ber  £ird)enmelobieen  in 
ber  lutberifd)en  .Kirche  im  Saufe  bes  erften  9fcformations=3abrbunberts  angemaebfen  fen,  unb  mir  in  ^rä= 
torius  SBerfe  unbcjwcifelt  bie  üollftänbtgfte  Sammlung  ber  um  bas  ßnbe  biefes  3eitabfd)nittes  in  berfelben 
gebräud^licben  befifeen,  fo  §ät>Ite  td)  bie  in  bem  fünften  bis  ad)ten  Sbeile  ber  ©tonifchen  Stufen  gefegten 
©eifert,  meil  eben  biefe  oorjugsweife  für  fird)lid)en  ©ebraud)  jufammengcftcllt  ftnb,  nahm  aber  babei  auf 
jene  örtlichen  'tfbmeicbungen ,  bloßen  SBieberbolungen,  unb  ©älje  ohne  f ircbliche  SBetfen  in  jfrengerem 
©inne,  feine  9fucffid)t.  ©s  bebarf  ju  einer  fold)en  3äl)lung  einer  genauen  Vorarbeit,  ba  bem  SBerfe  ein 
allgemeines"  SBerjeicbniß,  ja,  ben  einjelnen  Steilen  beffelben  ein  al»habetifd)es  fel)lt,  bie  Sieber  vielmehr 
in  ben  befonberen  83erjeidmiffen  jeben  S£l>eileä  nach  ihrem  Inhalte  jufammengeftellt  ftnb,  ohne  aud)  nur 
in  biefen  einjelnen  2lbfd)tiitten  bie  alpbabetifcfye  golge  ju  beobachten,  ober  bas  SBieberf  ehren  berfelben 
©ingweife  ju  oerfch,  iebenen  Siebern  anjubeuten.  SDZan  fann  alfo,  auch,  bei  aller  ©orgfalt,  nicht  oollfom= 
men  vor  einem  Srrtbume  fteber  fenn,  barf  aber  boch  ein,  aud)  nur  im  2fllgemeinen  richtiges  ©rgebniß  für 
ben  hier  obwaltenben  3mecf  als  genügenb  annehmen.  3cb  jäfylte  nun  in  bem  fünften  Sbeile  68,  in  bem  fechften 
109,  tn  bem  ftebenren  167,  in  bem  achten  193,  im  ©anjen  alfo  537  9Jielobieen.  (Enthielt  nun  Sobann 
SBalters  ©efangbud)  oom  3«bre  1524,  bie  erfte  oolljtänbigere,  geiftlicfye  Sieberfammlung  Des  16ten  3ahr= 
bunberts,  für  32  beutfebe  Stebcr  in  38  Sonfäfcen  nur  35,  altere,  ober  bamals  entjlanbene,  ©ingmeifen; 
fo  feben  mir,  baß  ber  SDßelobieenfcfyafj  ber  Äircfye  in  ben  folgenben  85  Rohren  big  1610,  mo  *Prätorius 
SBerf  erfchien,  ftch  um  beren  502  oermehrt  habe,  eine  3at)l,  bie,  auch  oorausgefefct,  baß  bei  ber  2lufred)= 
nung  in  biefem  SBerfe  fein  3rrtbum  oorgefallen  fei),  freilich  immer  nicht  ganj  genau  fepn  mirb,  meil  $rä= 
toriuö  manche  auch  ältere  Sftelobieen  aufgenommen  hat,  bie  mir  bei  SBaltcr  noch  nicht  ftnben,  wogegen 
oon  ben  bort  gefammelten  mieberum  manche  fpäter  außer  ©ebraud)  gefommen,  unb  oon  ^)rdtortus  feinem 
S3ucbe  nicht  einoerleibt  ift.  @s  fyanbelt  ftch.  f)ter  aber  aud)  nur  um  Dasjenige,  mas  ju  einem  befttmmten 
3eitpunfte  in  ©ebraud)  mar,  unb  ba»on,  um  mie  r>iel  biefes  ©  ebraud)  Ii  d)e  innerhalb  eines  gewifTen 
Zeitraums  ftd)  vermehrt  habe,  gleichviel,  ob  bas  fpäter  .£>injugefommene  in  jenem  früheren  3eitpunfte 
febon  oorhanben  mar,  ober  nid)t;  untcrfdn'eben  mir  ja  bod)  bei  biefem  Vermehren  eine  anetgnenbe  £bä= 
tigfeit,  unb  eine  febaffenbe!  SBas  aber,  burch  bie  eine  mie  bie  anbere  Sh.ätigfett,  in  biefem  3eittaume 
gefamtnelt  ober  entjlanben  mar,  bas  fef)en  mir  in  ^)rätorius  SBerfe  ju  einem  ©efammtbilbe  jufammenge= 
(teilt,  bei  bem  er  nicht  »ergeffen  hat,  bie  eigentümliche,  oft  fonberbare  SBeife  aufjubemabjen,  mie  es,  »on 
9Kunbe  ju  9Jiunbe  gehenb,  burch  £bren  unb  ^Jladjftngen  oerbreitet,  ftch  ausgemalter,  oft  auch  ju  feinem 
^acbtbeile  oeränbert  f;at,  boch  ftets  bas  ©epräge  einer  befonberen  ttuffaffungsmeife  noch,  trägt,  bie  ftch 
halb  hinneigt  ju  ben  ©runbformen  bes  alten  geijlltd)en  ©efanges  ber  SSorjett,  halb  ju  benen  bes  58olfsge= 
fange?,  in  mcldie  es  basjenige  umfchmiljt,  bas  urforünglid)  jene  erften  an  ftd)  trug.  £>aram  fiellen  mir 
ihn  mit  9fed)t  an  bas  Snbe  biefes  merfmürbigen  3eitabfd)mttes,  ben  mir  bei  ihm,  mie  tmn  einer  ^>öhe 
überfd)aucn,  bie  einen  weiten,  mannicbfaltigen  Überbltcf  gewährt,  wie  wir  benn  auch  bas  innere  Sehen, 

49' 


  388   


bie  harmonifche  SBebeutung  ber  big  ju  feiner  Seit  entjfanbenen  ©ingmeifen  in  feinen  einfachen  ©äfcen  auf 
ba§  Erfrculichfie  entfaltet  fef)en,  unb,  mir  bürfen  e§  fagen,  in  if)m  unb  ben  juvor  befvrochenen  SEJceijtern, 
—  nur  völliger  bei  il)m,  feines»  größeren  9ceid)tl)um3  megen,  —  alle  bie  eigentümlichen  3üge  burd)  bie 
Harmonie  au§gebrüdt  finben,  meld)e  bie  ältere  geifilid)e  Sonfunft  auszeichnen,  bie  im  16ten  Sahrhunberte, 
unter  ber  Jperrfdjaft  ber  ,£ird)entbne,  tt>rc  vollfie  äMütfye  erlebte.  2Ba3  aud)  in  fvätercr  Seit  ©roße§  unb 
JperrlicheS  gefcfyaffen  mürbe  auf  bem  ©ebiete  bes>  beutfch*evangeltfd)en  SiebergefangeS,  e§  tragt  bod)  biefe 
garbe  nicht  mehr,  weil  feine  S3lütb,e  rntyt  mehr  auf  gleichem  S3oben  ermächjt,  unb  ma3  mir  von  fpäteren 
©äfcen  älterer  Jtirdjenmelobiecn  befugen,  jumahl  au§  ber  frühejien  Jpälfte  be§  folgenben  Sabjfyunbertl, 
fann  böchftenS  ein  chrenmertheS  gortbilben  in  bem  früheren  ©inne  genannt  merben,  ofme  baß  bas>  barauS 
hervorgegangene  an  fein  SSorbilb  reichte.  E  i  n  SJieiftcr  nur  betrat,  t)vmicxt  Sal)re  fpäter,  einen  ganj  neuen 
2Bcg,  inbem  er,  feine  3ett  abfviegclnb,  unb  bennod)  feine  burd)  ft'e  bebingte,  aber,  fomeit  ba3  überhaupt 
von  irgenb  einem  Jtünftler  gefagt  merben  fann,  von  ü)r  bod)  felbftänbig  gelbf'te  Eigentümlichkeit  in  ganjer 
gülle  offenbarenb,  auch,  ein  SSilb  feiner  SSorjeit  unb  ihrer  £onanfd)auung  jurüdftrahlte.  ES  ijt  Scharm 
©ebafftan  &5ad),  auf  ben  mir  l)inmeifen,  nicht  um  irgenb  einer,  eben  hier  burd)aus>  nid)t  ftatthaften  SSer= 
gleichung  millen,  fonbern  um  anjubeuten,  baSjemge,  ma§  mit  *Prätoriue>  feine  lebenbig  fortfchreitenbe 
Entfaltung  ju  enben  fd)eine,  fe»  ein  3ahrl)unbert  fpäter  noch  ganj  neuer,  veränberter  ©ejtalt  einer  folchen 
bennod)  mieberum  tl)eill)aftig  gemorben. 

9)rätoriu3  höuötfächlicheS  SSerbienjl  bejief)t  in  ber  finnig  angemenbeten  ©abe  be§  ©efcerS;  al§ 
Erfinber  jtel)t  er  um  SSieleS  jurüd  gegen  bie  ^Begabteren  unter  feinen  Seitgcnoffen.  5Cßag  er  jene  ©abe, 
bie  mir  ihm  nachrühmen,  mit  9Qland)em  unter  biefcn  theilen,  mag  er,  im  Einzelnen,  felbjt  von  ihnen  über= 
troffen  merben ;  mögen  feine  Sonfä^e,  eben  meil  ihrer  eine  fo  große  2Injaf)l  ijt,  meil  ft'e  über  fo  manche, 
nur  in  ganj  unmefentlichen  3ügen  verfcbjebene  ©ingmeifen  fid)  verbreiten,  nicht  alle  von  gleichem  2Bertf)e 
fe»)n:  er  mirb  unter  Tillen,  bie  fid)  eine  gleidje  Aufgabe  {teilten,  immer  ausgezeichnet  bajtef)en,  meil  er  ft'e 
in  fo  großem  ©inne  gefaßt  hat.  S5ei  feinem  ft'nben  mir  einen  gleichen  9fcichtf)um  an  93celobieen  fo  mannid)- 
fachen  UrfvrungS ;  er  bietet  uns  beren  aue>  allen  ben  £luellen  beä  evangelifchen  Äird)engefange3,  bie  mir 
juvor  befvrachen,  unb  bie  erlefenften  unter  ihnen,  bie  burd)  ihre  SBcnbungen  unb  2lu3meid)ungen  am  mei= 
ften  hervorragenben,  l)at  er  aud)  ftetS  mit  ber  grbßejten  Siebe  gefegt;  von  vielen  unter  ihnen  finb  feine 
SSehanblungen  bie  einigen,  bie  mir  auS  feiner  Seit,  ja,  bie  mir  überhaupt  befugen.  Einige  fanben  mir  ju 
betrachten  bereits  früher  ©elcgenheit,  al§  mir  jene  Quellen  unfereö  JUrd)engefange§  betrachteten,  ihren 
SEBerth  prüften,  ihre  S3ebeutung  ju  entmidcln  ftrcbten ;  e§  genüge,  an  baS  bamaß  ©efagte  ju  erinnern. 
Dort  galt  eS,  baS  eigenthümlid)e  SBcfen  beSjenigen  barjujlellen ,  maS,  als  Erjeugniß  einer  bejiimmten 
9Jid)tung  ber  Jtunjttl)ätigfeit  auf  einem  anbern  ©ebiete,  ber  evangelifche  JUrd)engefang  ftd)  angeeignet 
hatte;  ift  eö  an  feiner  ©teile  burd)  unfereS  SKeijlerS  SSehanblung  in  feinem  vollen  2id)te  erfd)ienen,  fo  mirb 
biefe  um  fo  mel)r  ihm  hier  jum  Sfuhme  gereichen,  unb  fein  SSerbienft,  mit  bem  mir  un£  h^r  vorjugSmeife 
befchäftigen,  recht  hervortreten  laffen.  £>k  alten  lateinifchen  ©efänge :  Grales  nunc  omnes,  unb  Mittit 
ad  viipnem,  in  ihren  Übertragungen :  £>anffagen  mir  alle  ©Ott,  unferem  ^erren  ßhrifto,  unb:  2fß  ber 
gütige  ©Ott  voUenben  moüt  fein  SSBort;  ba§  beutfdje  3ubaölieb,  unb  jene!  von  ber  9?ofe  auä  jarter  SBurjel 
entfvrungen,  bie  ba5  heilfame  SfbSlein  brachte;  bie  au§  bem  geiftlichen  ©efange  ber  trüber  herübergenom= 
menen  ©ingmeifen ;  viele  anbere  außer  ihnen,  merben,  ftnb  ft'e  nur  erjl  allgemein  gefannt  unb  gemürbigt, 
feinem  tarnen  auch  alö  Jtünftler  bie  Ehre  mieber  geminnen,  bie  ihm  gebührt.    Er  ijt  reich  an  eigentl)üm= 


  389   


liefen  tfuffaffungen  ber  Kopulationen  feiner  9Jcelobieen,  unb  prägt  biefe  in  einer  SBetfe  aus?,  bie  bemjeni= 
gen,  ber  nur  bie  5£onjetd)en  lieft,  ober  auf  bem  fd)neü  oerflingenben  Planiere  ben  ©ang  ber  Harmonie 
ftd>  beutlich  macht,  att  £ärte  erfcheinen  fann.  9JZeijt  aber  »erfdjroinbet  alle  £erbigfeit,  roenn  feine  ©äfce 
burd)  finnige  ©änger  mit  jartem  Serfdjmeljen  ber  5£one  vorgetragen  roerben ;  ein  £aud)  be§  geierlid)en, 
©eheimnipreid)cn,  roebt  un$  bann  au§  folgen  ©teilen  entgegen.  ©o  am  ©chluffe  ber  crjten  SKelobieseile 
be§  Siebes  über  ÜRaria'S  ßobgefang :  ,,9Jtein'  ©eel'  ergebt  ju  biefer  grijt.''*)  SJian  erroartet  t>ter  einen 
©d)lufj  in  ben  ©runbton  be$  9Jiirolr;bifd)en ;  nur  fo  fd>etnt  unfere,  biefer  SEonart  angehorenbe  Kelobie 
oerftanben  roerben  ju  fonnen,  alle  »orangebenben  ©dritte,  bie  ganje  (Sntrotdlung  ber  Harmonie  beutet 
barauf  bin.  2fllein  biefe  menbet  ftd)  nad)  c ;  eine  2fu$roeid)ung,  in  ber  eben  Ijter  ein  jtiller,  ^eiliger  griebe, 
eine  tiefe  Feinheit  bes-  ©emütheS  ftd}  abriegelt,  rote  fte  bem  fird)lid)en  ©efange,  unb  jumafjl  biefem  erften 
aller  e»angelifcb,en  ßieber  vor  tfUem  gejiemt.  Saju  fommt,  baß  fte  ber  Sonart  uollfommen  angemeffen 
ift,  ihre  @igenthümlid)feit  lebenbig  jur  #nfd)auung  bringt,  unb  ben  unmittelbar  folgenben  ©d)ritt  nad)  f, 
—  ber  ftebenten,  eben  f  i  e  bejeidmenben,  ©tufe  t>on  ihrem  ©runbtone  aus,  —  ungejmungen  einleitet. 

93itd)ael  ^PrätoriuS  große  SSebeutung  für  ben  einfachen  Gthoralfafe  roirb  red)t  anfd)aulicb,  roenn 
roir  ihn  mit  feinem,  als*  Srftnber  um  fo  SSieleS  begabteren  9camene>genoffen  ^)ieront)muä  ^)rdtoriu6  t>erglei= 
d)en,  ben  er  in  jener  %rt  beö  ©afceS  fo  fetjr  überragt.  S3eibe  galten  ftd;  frei  im  ©anjen  von  ben  glecfen, 
bie  roir  bei  anberen  mitlebenben  Sonfünjtlern  ft'nben,  bie  ftd}  in  biefer  ©e&roeife  t?erfud)ten ;  eine  8Serglei= 
dutng  jroifcben  beiben  fann  alfo,  ba  in  ber  größeren  ober  minberen  §rett)ett  t>on  folgen  geilem  ber  SSorjug 
be§  einen  »or  bem  anbern  nicht  ju  fudjen  ijl,  um  fo  reiner  ifyren  voirflid)en  SBertb,  in  ba§  2id)t  jMIen. 
SBeibe  traben  eine  ©ingroeife  gefegt,  bie  außer  bei  ihnen,  fo  roeit  meine  §orfd)ungen  reichen,  im  mefyrjtim* 
migen  Sonfa^e  nur  einmaf)l  noch  angetroffen  roirb**):  bie  bem  Siebe  Süthen?:  ,,©ie  ijl  mir  lieb,  bie 
roerthe  9Jiagb,"  unb  bem  ber  SSrüber:  „heilig  unb  jart  ift  ß^rijti  9JIenfd)b.eit//  gemetnfd)aftlid)e,  aus 
beutfd)em  SiolfSgefange  ftammenbe.  ***)  ©ie  ift  äotifcher  Sonart,  unb  betrachtet  man  fte  für  fiel)  felbft, 
ohne  9?ücfft'd)t  auf  eine  beiber  Bearbeitungen,  fo  ift  leid)t  ju  ernennen,  baß  biefe  ihre  ©runbtonart  jnnfd)en 
ihren  jroei  4?auptbejiehungen,  ju  ber  ionifd)en  unb  ber  pb,rr>gifct)en  Äonart,  ftd)  fortbauernb  bewegt,  neben 
benen  f)tn  unb  roieber  nur  bie  ju  ber  miroh)bifd)en  erfcheint;  baß  fte  alfo,  aud)  melobtfd)  bereits,  auf  bas" 
SMfommenfte  auggeprägt  ift.  JpieromjmuS  foroof)l  aß  ?Qiid)ael  ^)rdtoriu§  haben  bieg  auch  roob.1  beachtet; 
baSjentge  aber,  rooburd)  fte  im  dinjelnen  ftd}  unterfdjeiben,  jeigt,  bap  SQiidjael  bie  (Stgentb,ümlid)feit  ber 
Sonart  finniger  aufgefaßt  tyabe.  @r  beginnt  mit  bem  meieren  Sreiflange  auf  bem  ©runbtone  A,  roeldjem 
er  ben,  ebenfalls  meieren,  oon  beffen  Dberquinte,  E,  anfd)lie§t.  Sie  Sberfiimme,  bie  in  ber  urfprüng^ 
liefen  Sftelobie  v>on  c  um  eine  £luarte  nach  o  h^abjteigt,  fdjreitet  nid)t  unmittelbar  fo  fort  in  ber  ©ejtalt, 
bie  fte  burd)  dlerS  Einrichtung  für  baä  Sieb  2uther3  geroonnen  hat,  unb  ber  beibeSEonfefcer  ftd)  anfd)liepen; 
fte  thut  e3  in  einer  auf  bem  legten  SSiertheil  beö  beginnenben  Soneö  angebrachten,  fchrittroeife  burd)  h  a 
nad)  g  hinabeilenben  !Hu§jierung.  2IIS  fold)e  behanbelt  fte  Michael;  fo  geht  fte,  bei  üerroeilenber  ©runb= 
barmonie,  leicht  unb  flüchtig  vorüber,  ohne  bie  "JCufmerffamfeit  in  %ri}pxud)  ju  nehmen,  unb  erfcheint  nicht 


•)    ©.  SBcifpiet  9lro.  95. 

")   SSet  Qtimiä)  ©rimm,  in  feinen  SEonfä&en  ju  SremcoroS  Cithara  Davidica  Luthero-Becceriana.  25en  Slonfa^ 
be6  urfprüngltch  rceltiic^en  Siebes,  rote  mir  ft)n  juerft  1512,  unb  bann  bei  g°rfter  antreffen,  tjabe  ich  mcht  mitgejablt. 
'")   ©.  SSeifpicl  9tro.  87  unb  68  biefe  beiben  Sonfäfce. 


  390  — 


iii»  wcfcnrlicher  5£t)eil  t>er  9Eelobie,  wie  ft'e  e§  benn  aud)  nid)t  ift.  ©anj  anberS  #ieronr;mu3.  ©aß  er 
t>en  beginnenben  £on  ber  9JMobie,  c,  nid)t  als  Fletne  £>berters  beö  ©runbtonS  anfahe,  fonbevn  ihm  feinen 
bauen  ©reiflang  untergelegt  hat,  wirb  man  nicht  tabeln  bürfen :  man  f önnte  eher  ber  ^etterfeit  pdf)  freuen, 
bie  ber  Anfang  bc§  ©anjen  baburd)  erhält.  2lber  nun  wirb  jene  blofie  '^uSjiertmg  mit  9tod)brucf,  ja,  man 
bürfte  fagen,  mit  ©d)werfälligfeit  befyanbelt;  eine  neue  Harmonie  wirb  bei  ihrem  Eintritte  eingeführt,  alle 
Stimmen  fefcen  ftd>  baju  in  ^Bewegung,  ja  eS  wirb  ein  ©ewtd)t  gelegt  auf  jeben  einzelnen  ttjrer  Zone, 
beren  erftem  ber  3ufammenflang  ber  fleinen  Serj  unb  großen  ©erte,  bem  jweiten  ber  ber  fleinen  ©eptime, 
fleinen  SScrj  unb  Sumte  fid)  untergelegt  ftnbet,  ein  mißflingenber,  wenn  aud)  nur  »orübergehenb  erfd)ei= 
nenber,  bocb  regelmäßig  aufgelöfter.  3n  gleid)cm  ©inne  bel)anbclt  .Jpteronnmuä  ben  Tonfall  be3  2£ufge= 
fangeä  ber  SOielobie,  nad)  ber  ionifd)en  SEonart:  bie  aud)  l)ter  in  auf=  unb  abftcigenben,  fd)rittweifen 
©ängen  worfommenbc  "tfuSjierung  wirb  mit  ärmlichen  in  allen  anbern  Stimmen  begleitet.  ©ie  Unterjttmme 
fd)reitet,  bis  ju  bem  gewöhnlichen  ©d)lußfalle  burd)  £Utinte  unb  £)ctat>e,  terjenweife,  Xon  gegen  SEon, 
mit  ber  SJielobie  fort ;  bie  SDitttelftimmen  auf  äl)nlid)e  2lrt  in  ber  ©egenbewegung.  ©a§  ©cwid)t,  ba§  auf 
btefe  ©teile  baburd)  gelegt  wirb,  jerftört  ganj  bie  Einmuth,  bie  jener  ©dnnuc?  fonft  in  ber  £>bcrfttmmc 
gewinnt,  wenn  er  wie  ein  eben  erft  frei  erfunbener  erfd)eint.  ©o  läßt  ihn  9CRidt>aet  erfd)einen;  bis  bie 
Dberftimme  bie  äußerfte  £onl)öhe  erreicht  hat,  ju  ber  fie  auffteigenb  gelangt,  tönen  bie  begleitenben  ©tmv 
men  mit  blcibcnbcr  Harmonie  fort ;  erft  bann,  wäln'enb  nun  jene  fortfallt,  führen  ft'e  eine  leichte,  entfpre* 
d)enbe  2luSjiemng  bagegen  auS,  bie  tjarmonifd)  genommen,  aud)  nur  auf  baS  @infad)fte  ben  ©d)lußfall 
einleitet.  3n  tiefer  2lrt,—  wie  if)m  gegenüber  #icronnmu3  in  ber  feinigen,  —  t>at  er  jebe  im  SJaufe  beS 
©anjen  nod)  uorfornmenbc  melobifd)e  'Muöjierung  gefaßt,  unb  baburd),  wie  bem  ©efange  größere  ßinfacb^ 
heit,  fo  ber  Oberftimme  erl)öl)te  33ebeutung  gegeben,  »or  jenem  alfo  ohne  SSebenfen  ben  $>reiS  gewonnen. 
(Eben  fo  gebührt  if)m  biefer  be§halb,  weil  er  bie  üorfommenben,  bejetefmenben  2lu3wetd)ungen,  fchärfer, 
befiimmter,  ausgeprägt  bat.  9tur  bei  ihm  finben  wir  bie  eigentl)ümlid)e  2trt  ber  S3ebanblung  pl)rt)gifcb,er 
£onfcblüffe  in  il)rer  boppetten  ©eftalt.  2ll§  halben  ©d)luß  juerft  in  ber,  aud)  anberen  weichen  SEonarten 
gemeinfamen  'tfrt,  burdi  ben  garten  ©reiflang  auf  bem  pbrogifdjen  ©runbtone,  nad)  bem  weichen  auf  bem 
äolifd)en;  fo  in  ber  jweiten  3etle  beS  2lbgefangc§  ber  SQielobie,  ober  ber  jweiten  #älfte  ber  erften  Seile 
bee>  ©ebid)teS  an  eben  bem  £>rte.  211S  SSereinigung  fobann  beS  ab-  unb  beS  auffteigenben  pl)rwgifd)en 
Tonfalls  im  barmonifdien  3ufammenflange,  am  ©d)luffe  ber  folgenben,  britten  3ette  beS  2iebe§.  3n 
biefer  Sßeife  t)at  ^»ieronwmuä  feine  ber  »orfommenben  pb.rngifd)en  "2lu§weid)imgen  bel)anbelt,  fonbern  fie 
entweber  ganj  äolifd)  genommen,  ober  vorfommenbe  9J?obulationen  anberer  2lrt  pl)rngifdi  gefaßt,  wie  bie 
mixolr;bifd)e  am  ©d)luffe  ber  britten  melobifd)cn  Seile  be§  2lbgefange§,  wo  bann,  wegen  ber  eingeführten 
üwei  weichen  Sreif länge,  beren  lefcter  burd)  ben  miroh)bifd)en  ©runbton  fg)  bebingt  wirb,  ba§  ©epräge 
oeö  halben  ©djluffeS,  unb  bamit  aud)  eineS  pl)rt)gifd)en,  notbwenbig  »crloren  gebt,  ©aß  9ttid)ael§  ©inn 
umSSieleä  feiner  unb  ftd)erer  gewefen,  wie  für  bie@igentl)ümlid)feit  berSKelobieen  unb  il)rer  SBenbungen,  fo 
für  beren  barmonifd)en  ©ehalt,  baß  er  SBeibeä  burd)  feine  begleitenben  ©timmen  meifterlid)er  l)er»orjub,eben 
gewußt,  jeigt  fi'd)  auf  baö  ©eutlid)fte  an  biefem  ffieifpiele.  @§  tritt  nid)t  minber  h^ox  bei  SSergleicbung 
ihrer  Xon^e  ber  mirolpbifcben  ©ingweife  beö  Subaöliebe§*).  5!Kan  barf  eingeftehen,  baß  £ieronmnuev 
ber  ftd)  h«er  einer  örtlichen  ©ingart  mit  einem  unregelmäßigen,  borifchen  Ausgange  anjufd)ließen  hatte, 


•)    ©.  beibe  2onfä^c  9(ro.  'Jl  unb  07  bfr  ©vifpiclfammlung. 


  391   


weniger  begünftigt  gcwefen  fen  5  bodi  ftimmen  bis  auf  biefe,  bie  Stenart  uerbunfelnbe  Abweichung  in  beut 
angebängten:  „Jtprie  eleifon,  (ir;rifte  eleifon"  bie  r<on  beiben  Sonfünftlem  bebanbclten  SJcelobieen  im 
SBcfentlicben  überein.  £ier  war  nun  bie  "Aufgabe,  burd)  bic  Jparmonie  baS  ©epräge  ber  Sonart  fofort  im 
Anfange  bebeutfam  hervorzuheben.  Senn  bei  unferet  Singweife  uerjogert  ficb  bie  ber  mirohibifcben  Sonart 
eigentümliche  'Ausreichung  in  bie  Sberquarte  Ujreä  ©runbtonS  —  in  baS  3ontfd)e  —  bis  jum  gebluffe 
ber  britten  Soppeljcile,  bie  erfte  aber  fcbliefu  in  bem  ©runbtone  felbft.  SQttdjael  bat  tiefe  Aufgabe  erfannt: 
er  fehltest  bie  £älfte  ber  elften  Seile  mit  bem  roeieben  Sreiflange  von  d,  ber,  auch,  abgefehen  t>on  feiner 
trefiieben  SBirfung  nach  jroei  harten  Sreif  längen,  febon  baburch  bie  »olle  digentbümlidjfeit  beS  SJcirolpbi- 
fchen  barlegt,  bafj  bie  ihn  bejeichnenbe  Fleine  SEerj  jugletd)  bie  ftebente  Stufe  biefer  Sonart  ift,  burd}  welche 
fie  ihr  wefentlicbcS  ©epräge  erhält.  $ieronpmuS  hat  in  biefer  ganjen  Soppeljeite  eine  Sfeibe  harter  Srei- 
flänge,  an  ber  bejeidmeten  ©teile  aber  ben  Sertaccorb  auf  ber  britten  mirolpbifdjen  «Stufe  in  ber  ©runb= 
ftimme;  man  vernimmt  bei  ihm  nur  eine  harte  Sonart  unferer  ©egenwart,  unb  feine  f trd?Itct>e.  dagegen  ift 
unter  ben  vielen  Motetten  sDiid)aelS  feine,  bie  an  gei(rreid)er4  bebeutfamer  Anorbnung  unb  Äraft  beS  AuS= 
brucfS  ficb  einer  beS  .JpieronmnuS  vergleichen  fönnte,  namentlich  unter  benen,  bie  er  um  1599  ju  Hamburg 
bei  Philipp  be  £)br  herausgab. 

SJctcbael  9)rätoriuS  hat  aber  aud)  bem  lateinifchen  Äirchengefange  nicht  minberen  gleifj  gewibmet, 
als  bem  beutfehen  5  mar  boeb  um  feine  Seit  jener  ju  großem  Sbeile  noch  in  ber  evangeli|"cben  Äircbe  heimifch 
geblieben,  wie  eS  bie  SBerfe  beS  SucaS  SofftuS,  £pfopbuS  unb  ßler  unS  jeigen.  ©leiebjeitig  mit  feinen 
erften  Arbeiten  über  beutfdie  Äirdxnmelobieen,  um  1605,  erfebten  bei  SBagemann  ju  Dürnberg  unter  bem 
Sitel:  Musae  Sioniae  latinae  eine  Sammlung  lateinifcher  Motetten  von  feiner  Arbeit  ju  üter  bis  fecbjefm 
Stimmen,  tbeilS  freie  (Srfinbungen,  meift  auch  auf  alte  latcinifd)e  (ihoralmelobieen  gearbeitet.  Allein  erfi 
mit  ber  ä>ollenbung  feiner  beutfehen  Sionifcben  SSKufen  burch  beren  neunten  Sheil,  um  1611,  gab  er  feine 
Lciturgodia  Sionia  heraus,  in  vier  felbftänbigcn  Sheilcn:  ber  Missodia.  Hyrnuodia,  3Iegalynodia  unb 
Eulogodia.  Sie  erfte  enthält,  nach  ber  Skrfd)iebenbeit  ber  SJfelobieen  an  ben  hohen  geften,  benen  ber 
SDJaria,  ber  Apcftcl,  unb  ben  gewöhnlichen  Sonntagen,  bie  £auptgefänge  ber  SKeffe  fowobl,  als  bie  babei 
oorfommenben  dotierten,  Otefponforien,  ^»räfationen  u.  f.  w.  bis  ju  acht  Stimmen.  Sie  Hymnodia 
bringt  unS  mehrftimmtge  ^Bearbeitungen  von  24  Spinnen,  beren  SJielobieen,  bis  auf  jmei,  auS  ber 
Psalmodia  beS  SucaS  SofftuS  entlehnt  finb.  Siefe  ©ehanblungen  erftreefen  ficb,  auf  alle  einjelnen  Strophen 
ter  .önmnen,  unb  beginnen  ftetS  mit  einem  einfad)  vierfhmmigen  ßboralfake,  bei  welchem  bie  alte  jtircben= 
weife  in  ber  £>berftimme  erfcheint.  Sann  wirb  fie  auf  bie  mannid)fad)fte  Art  weiter  burebgefübrt.  So 
finben  wir  von  bem  £mnnuS  ber  heiligen  Sreifaltigfeit:  ,,0  lux  beala  trinitas,"  ber  nur  brei  Strophen 
bat,  vierjebn  ^Bearbeitungen,  von  benen  bie  erften  fünf  nur  bie  erfte  Strophe  jum  ©egenftanbe  haben,  bie 
feebfte  alle  brei  Strophen,  bie  übrigen  halb  bie  zweite  unb  britte  allein,  ober  bie  beiben  legten,  ober  bie 
erfte  unb  britte.  Sie  Gboralmeifc  erfd)cint  in  tiefen  jwet=,  brei=,  vier=,  fünf,  fecbS*  unb  ad)tfiimmigen 
Säften  balb  als  fefter  ©efang,  balb  in  canonifcher  ^Durchführung  verfd)icbener  Art ;  in  freier  S5ehanblung 
mit  brei=  ober  oierftimmigen  3Bcchfetchbren,  ober  in  ihren  einjelnen  SBenbungen  unter  alle  mitwirfenbe 
Stimmen  oertheilt,  fo  bap  jene  bic  ©runbgebanfen  ber  eingeführten  Nachahmungen  hüben.  Auch  S^ci  für 
bie  STrgel  beftimmte  ffiebanblungcn  ftnben  wir  hier,  beibe  ju  »ier  Stimmen,  unb  mit  ber  ßboralweife,  als 
feftem  ©efange,  in  ber  tiefften;  in  ber  legten,  bie  jugleid)  bie  ganje  3?eibe  biefer  Sonfä|e  befchliefjt,  führen 
bie  brei  höheren  im  \  unb  f  Safte  (wir  würben  ihn  gegenwärtig  mit  f  bejeichnen),  einanber  nachahmenb, 


  392   


ein  von  Der  ©runbweife  unabhängiges  ©ewebe  au§.  £>af?  $)rätoriu§  bei  Durchführungen  fotcher  2£rt  ein 
in  fich  jufammenbängenbe§  ©anje  rttdjt  geben  wollte,  iji  aufjer  3weifel;  er  wollte  nur  jeigen,  auf  wie 
oerfcbicbene  2lrten  eine  fachliche  SSJielobie  fich  behanbeln  laffe,  e3  einem  jeben  freifrellenb,  von  biefen  ©äfcen 
auszuwählen,  unb  an  einanber  ju  reihen,  wa§  ihm  für  ben  ©ebraudb,  bei  einer  feierlichen  Äirchenmuftf  am 
jroecfmdgigilen  fcheinen  möchte.  Sie  Megalynodia  befcf)äftigt  fich  mit  Dem  SJcagniftcat,  bem  Sobgefange 
ber  heiligen  Jungfrau,  burch  ben  ber  ^auütgotteöbienjt  be§  2Cbenb§  befchloffen  wirb,  ©ie  enthalt  14 
©äfce,  von  benen  jeboch  nur  2,  ber  12tc  unb  ber  13te,  bie  CEboralmelobie  be§  Sföagniftcat  jur  Aufgabe 
haben,  ben  neunten  ober  fogenannten  ^ilgerton,  hier:  „Chorale  melos  germanicum"  genannt,  weil  nach 
ihm  herkömmlich  in  bem  beiitfch=eoangclifchen  ©otteSbienfte  biefer  heilige  ©efang  vorgetragen  würbe,  ©ie- 
ben  von  ben  anbern  ©ä^en  finb  nach  hergebrachter,  früherer  2Beife,  auf  SJielobieen  beliebter  italienifcher 
SERabrigale,  jumetjl  bee>  2uca  SERarenjio,  gearbeitet,  einer  barunter  auf  eine  franjöftfche  SDielobie;  vier  grün= 
ben  fich  a"f  SQZottoe  aus  lateinifchen  SSJiotetten,  ba3  lefcte  hat  ?>rätoriu§  auf  bie  Tonleiter  gefertigt,  unb 
barüber  allerhanb  ©rftnbungcn  angebracht;  ernennt  e§  ,,meae  ipsius  phantasiae."  Um  wemgften  alfo 
ift  in  biefem  SBerke  ber  alte  .Kirchengefang  feine  Aufgabe  gewefen;  boch  fyat  er  biefen,  unb  jumahl  ben  auö 
ihm  entwicfeltcn  geifilichen  jtimfigefang  hier  auf  eigenthümliche  2Beife  in  SSerbinbung  gebracht  mit  bem 
beutfchen  ©efange  ber  ©emeine.  S5ei  ben  erften  brei  SQiagntficat  nämlich,  bie,  für  ba§  2Beihnacht§feji 
beftimmt,  auf  einzelne  9Jlelobieen  gearbeitet  finb  au§  ben  SCRotetten:  „Angelus  ad  pastores  ait  etc.,'- 
,,Ecce  Maria  genuit  nobis  etc.,"  „Sydus  ex  claro  etc.,"  fo  wie  bei  bem  folgenben,  ba§  auf  bie 
SJiotette  für  ba6  Dfterfeft:  „Surrexit  pastor  bonus"  fich  grünbet,  finb  beutfche  geiftliche  ßieber  jwifcben 
bie  ©trophen  eingefchaltet,  bie  auf  jene  gefte  SSejug  haben,  ©o  wirb  nun  eine  ganje  ober  halbe  Beile  be§ 
lateinifchen  9Kagnift'cat  juerfl  einfach  angeffimmt  in  ber  ©efangSformel  eineS  Äirchentone§,  wie  fte  bem 
folgenben  mehrjtimmigen  ©al?e  am  heften  übereinkommt;  biefem  fchliefjt  bann  bie  ©trophe  eine§  2Beib= 
nachts  ober  £)jterliebes>  fich  an,  in  beffen  bekannte  -UZelobie  auch  bie  ©emeine  mit  einftimmen  kann,  ßiturg, 
©ängerchor  unb  jule^t  bie  ©emeine,  mit  biefem  oereint,  follten  fo  in  lebenbiger  SÜBechfeltbätigkeit  erfcheü 
nen  bei  ber  kirchlichen  geter.  "Much  biefeS  SBerk  alfo  tritt,  nicht  bem  ©egenftanbe  allein,  fonbern  auch  ber 
gorm  nach,  in  ben  .KreiS  ber  übrigen  wefentlid)  mit  ein.  Sie  Eulogodia  enblich  feat  bie  ©efange  jum 
©egenftanbe,  welche  in  ber  alten  .Kirche  ben  täglichen  ©otteSbienjl  befchloffen :  bie  9)falmen  be3  ßom»leto= 
riumS,  bie  in  evangclifchem  ©inne  umgebilbeten  2lnti»h<>nieen  ber  heiligen  Jungfrau  nach  ihren  alten 
OJielobieen,  bie  ßenedicamus  für  verfdbiebene  Seiten  unb  gefte.  ©o  finbet  man  bei  SDiichael  *Prätoriu§ 
tfUeS  jufammen,  wa§  bamalS,  an  Überliefertem  unb  Sceugcfchaffenem,  in  ber  alten  Äirchenfürache  unb  ber 
beö  S3olke3,  einen  Sbeil  beS  JlirchengcfangeS  bilbete,  unb  alles  biefe§  im  ©inne  beS  erften  SahrhunbertS  ber 
.Kirchenverbefferung  harmonifd)  auSgeftaltet;  ba$  voUftänbigjte  SBilb  aller  Dichtungen  ber  geglichen  £on-- 
funft  in  jener  merkwürbigen  Seit,  unb  ber  aus>  ihnen  hervorgegangenen  SSilbungen.  freilich  erfcheint  biefeS 
aUeS,  ba  bie  wenigen,  burch  ben  9Jteifter  mitgeteilten  SSBerke  frember  Sonkünftler  hier  nicht  in  33etracht 
kommen,  nur  in  ber  ©eele  eineS  einzelnen  SDZanneS  abgeriegelt,  aber  eineä  eben  fo  finnigen,  al§  kunjige= 
lehrten,  mit  beffen  «Berken  wir  baher  am  würbigften  unfere  Sarjtellung  biefeS  3eitabfchnitte3  befehlen, 
unb  auf  beffen  weitgreifenbe  SBirkfamkeit  wir  fväter  jurücfkommen  werben. 


  393   


fünfter  2ll»fdmitt. 

Sänger  unt>  Seßcr  neuer  j?ir<§em»etfen  in  bev  legten  -§älfte  beS  16ten  3ar)rljunbett8. 

SBenn  mir  in  ben  r>orangebenben  betten  '^bfcbnitten  bie  größeren  Sammlungen  geijtlid)er  Bieter 
unb  ihrer  SSonmeifcn  betrachteten,  bie  in  ber  jmeiten  «Stifte  beS  16ten  SabjbunbertS  unmittelbar  für  fach- 
lichen ©ebraud)  $ufammengetragen  mürben,  unb  bie  ^Bemühungen  ber  Sonfünftlcr  befprachcn,  bie  ju  glei- 
chem 3mede  jene  93ie(obieen  burd)  einfachen  roie  funftreicheren  Sonfab  fcbmüdten,  fo  werben  unS  hier 
biejenigcn  SJJeifter  befd)äftigen ,  meld)e,  eS  fer>  als  Sänger,  ober  auch.  Sefjer  jugteid),  ben  »orhanbenen 
Schafe  geiftlid)er  SEonmeifen  burd)  neue  bereicherten.  SSReift  merben  mir  beibeS,  ben  Sänger  mie  ben  Sefeer, 
in  ihnen  Bereinigt  finben..  auch  mobj  ben  Siebter  nod);  ober  in  beiberlei  Gngcnfdiaft  fd)licf3t  ftd)  ber  5£on= 
fünfiler  an  einen  uor  allen  r>on  ihm  gefd)äfcten  Siebter,  gembl)nltdi  einen  l)eimatl)tid)en. 

9£tcoIau$  »<3errtnann,  Giantor  ju  SoacbimSthal  in  ^Böhmen,  auf  ben  mir  juerft  hier 
unfere  2fufmerffamfeit  richten,  barf  unter  bie  nahmbaften  SEonfefeer  feiner  3cit  smar  ntd)t  gerechnet  merben; 
als  Sänger  unb  Sichter  jeboch  gebührt  ihm  eine  ehrenvolle  ©teile.  SBenn  er  fie  hier  ftnbet,  ba  ber  grbgefte 
%t)äl  feines  tbätigen  Sebent  bod)  in  bie  erfte  £difte  beS  SabrbunbertS  fällt,  fo  ift  eS  barum,  meil  feine, 
'Anfang»  bie  fleine  ©emeine  beS  33ergftäbtd)cnS  3oad)imStbal  allein  umfaffenbe  SSirffamfeit,  burd)  4?eraus= 
gäbe  feiner  Bieber  nach  ber  SJiitte  beS  SabrbunbertS  erft  auf  einen  größeren  ÄreiS  fid)  auSbebnte,  unb  er 
beren  (Srmeiterung  noch  erlebte.  SBenig  tfnbereS  miffen  mir  mit  Sicherheit  über  feine  SebenSumftänbe,  alS 
maS  in  ben  SSorrctcn  feiner  fpäter  ju  ermälmenben  SBerfe  er  felber  unS  fagt,  unb  fein  greunb,  ber  bortige 
^farrberr9ftattheftu».  Söalter,  in  feinem  2Bbrterbud)c  ber  Sonfunft,  hat  über  ihn  nichts  2lnbereS  ju  berichten, 
als  bap  er  „jur  3eit  SEatthefü  ein  guter  SKufiruS  unb  9>oet  gemefen,  unb  alS  9)obagricuS  anno  15G0  ben 
3ten  9Raji  in  hohem  Hilter  geftorben;"  mobei  er  fid)  auf  SBeßjlS  Sieberf)iftorie  bejiebt  (S.  413  u.  folgenbe). 
ein  SRehjeS  ju  erforfchen,  ift  auch  bem  fleißigen  ©erber  nicht  gelungen;  maS  er  in  feinem  alten  unb  neuen 
2B6rterbuche  mittheilt,  ift  nur  eine  bürftige  SSieberholung  beS  SBalterfchen  S3erid)teS,  uerbunben  mit  ber 
Angabe,  bafj  auf  ber  SBibliothef  ju  ©otha  üier  v>erfd)iebene  Ausgaben  ber  ©efdnge  $errmannS  ju  ft'nben 
fepen,  in  ben  Sahren  1560  ju  Wittenberg,  1562  unb  1581  ju  Seipjtg,  1576  ju  Dürnberg  erfd)ienen, 
mobei  aber  Sitel  unb  3nf)alt  biefer  2Berfe  nid)t  angegeben  ift.  2BaS  märe  aber  auch  »on  biefeS  SDßanneS 
einfachem,  bemütr)tg  frommem  Seben,  baS  in  ber  bemegteften  Seit  ftill  unb  rul)ig  bal)infIof3,  anberS  ju 
fagen  gemefen,  als  maS  feine  eigenen  SBorte  funb  geben,  bie  er  alS  bod)betagter  ©reis  nieberfchrieb,  freu» 
btgen  SRutbeS,  menn  auch  fcurd)  .Kranfbett  <*n  feinen  Sebnjtubt  gefeffelt;  ftd)  anberö  nicht  nennenb,  als 
,, ber  alte  (Santor"  nach  feinem,  ihm  fo  mertben  £eben§berufe?  2BaS  anberS,  als  maS  SKattbefütS  unS 
aufbemahrt  hat  auS  feinem  SJiunbe  t?on  feiner  innigen  Siebe  ju  ber  Sonfunft,  beren  gortbauer  auch  jenfeitS 
ju  feinen  heften  ^)ofnungen  geborte?  „2Beil  im  fünftigen  Sehen  —  fo  febjeibt  SCRattl)efiuS  —  alle  Sreatur 
fd)bner,  unb  alle  greube  größer  unb  herrlicher  fepn  merben,  ftehet  auch,  ber  Sichter  biefer  ©efänge  in  ber 
£ofnung ;  mie  ich  benn  oftmals  »on  ihm  gehöret  hab :  eS  merbe  ein  £rganijt  ober  Sutenift  in  jenem  Sehen 
auch  ein'  heiligen  SEert  in  fein  £ rgel  unb  Sauten  fd)!agen,  unb  ein  jeber  mirb  allein  unb  auSmenbig  auf 
oier  ober  fünf  Stimmen  fortiftren  unb  fingen  fbnnen.  GS  merbe  auch  ff  in  Sehlen  unb  Gonfufton  mehr 
merben,  melche  je%t  manchen  guten  SKuficum  unluftig  machet,  jumahl  menn  man  oft  mufi  anheben."  §rei-- 
lid),  überall  mag  eS  eine  $>lage  fepn,  ein  ebleS  ©eifteSmerf,  baS  erjt  burd)  üereinte  ^Bemühungen  S3ieler 
jur  Grfchcinung  fommen  fann,  mie  mehrftimmiger  ©efang  unb  Sonfpiel,  ungenügenb  unb  oerftümmelt 

s.  SEBintttftlb,  bet  eioangtl.  CS^ctJtgefang.  50 


  394   

burcb  ben  Sftunb  unb  burd)  bte  .Ipänbe  ber  (Sänger  unb  Spieler  fyertwgefyen  ju  feiert :  am  meiften  aber 
bod)  für  einen  ©old)en,  ber  bieSEonftmft  als  ba3  ebelfte@otte§gefd)öpf  fromm  unb  gläubig  im  ^erjen  trägt, 
unb  ber  für  baS  m'elfad)  SSerlefcenbe,  ba3  fein  23eruf  notfjmenbig  mit  ftd)  bringt,  mol)l  nur  mit  ber  4?ofmmg 
nd)  tröfien  mag,  bafj  aud)  fie  einft  in  »oller  Sßerflärung,  ohne  gel)l  unb  SEabel,  Verborgenen  merbe  ju  ©ot= 
te§  @hre.  Sarum,  lächeln  mir  immerhin  über  bie  tjalb  unmutige  2lrt,  momit  er  feine  Erwartungen  au$= 
fprid)t,  aber  freuen  mir  un§  aud)  über  bie  innige,  treue  Siebe,  au§  ber  fie  flammen.  Senn  Dichten, 
©ingen,  mar  ihm  ©otteäbienft,  bie  tnnigfte  greube  in  bem  #erm ;  in  bem  ©inne  feines  §reunbe§,  mie  in 
feinem  eigenen,  fprid)t  SKattfyeftuö  ftd}  barüber  au§.  „3ad)aria3,  3ol)anne§  SSater  (fagt  er  in  ber  S>or= 
rcbe  ju  .frerrmannS  £iftoriett  von  ber  ©ünbfluth),  unb  bie  merbe  Jungfrau  9Karia,  unb  ber  alte  Simeon 
haben  aud)  ba$  neue  SEeftament,  unb  ben  £errn  Sefum  G>l)riftum  angefungen,  unb  fiel  groS  ©el)eimnifj  in 
ihre  furje  unb  liebliche  ©efänglein  gefd)loffen,  barju  ber  heilige  ©eift  als  ber  oberfte  ©ang=  unb  ßapellmeü 
fter  felber  geholfen,  mie  &uca§  bezeuget,  bafj  3«d)aria3  »oll  be§  heiligen  ©eifte§  gemefen  fei),  ba  er  fein 
23cticbictu3  fange.  Senn  ber  heilige  ©eift  ift  ein  fonberer  2icbl)aber  ber  merben  9)iuftca,  menn  man  jumab,l 
©ort,  feinen  ©ofm,  unb  momerbiente  Seilte  bamit  lobet  unb  greifet.  —  Sie  SEert  ber  heiligen  ©d)rift  finb 
jroar  an  ihn'  felber  bie  allerliebltd)fte  SDiuftca,  bie  SEroft  unb  Seben  in  Sobesmbthen  giebt,  unb  im  $erjen 
mahrhaftig  erfreuen  fann.  SBenn  aber  ein'  füpe  unb  fel)nlid)e  Sßeife  baju  fommt  —  mie  benn  ein'  gute 
belobet)  aud)  ®otte§  fd)on  ©efd)öpf  unb  ©abe  ift  —  ba  bekommt  ber  ©efang  ein'  neue  Äraft,  unb  geriet 
tiefer  ju  #erjen.  2Bir  müffen  Snffrumenten  if>re  @l)r  unb  9)rei§  aud)  laffen,  menn  man  fie  ju  ehrlicher 
greube,  unb  ju  ermeefen  ber  3uf)örer  £erjen  in  Ätrd)en  unb  ehrlichen  Kollationen  gebrauchet.  3lber  9Jien= 
fdjen  ©timme  ift  über  2flle3."  —  ©o  mar  benn  unferee*  alten  ßantorö  ©inn  aud)  bafjin  gerichtet,  bafj  mo 
freubiger  unb  lieblicher  ©efang  ertöne,  in  if)m  aud)  cor  3lllem,  ja,  allein,  ©otteS  S5arml)crjigfeit  gepriefen 
merbe,  mie  im  alten  unb  neuen  SSunbe  bie  ©djrift  fie  un§  offenbare."  Sd)  table,  fagt  9Kattheftu3  a.  a.  £)., 
ber  alten  SKeifter  ©efänge  unb  S5ergreit)en  aud)  nid)t,  benn  id)  t)aV  viel  fd)öner  alter  ©etid)t,  barin  man 
gute  unb  d)riftlid)e  £eut'  fpüret,  gefefjen,  al§  ba3  vom  ^elifan,  t»on  ber  SJlühle,  unb  anbere.  "über  ma3 
lehret,  unb  men  trbftet  ber  alte  £ilbebranb,  unb  ber  9?ief  ©igenot?  Ser  heilige  ©eift  hat  9ioe  £tftorien 
auffd)reiben  laffen,  bie  ift  mahr,  unb  befd)reibt  ©otteS  grimmigen  Soxn  brinnen,  miber  bie  SSeräd)ter  feines 
2öort3  unb  treuer  Siener.  ©o  giebt  fie  aud)  geben  unb  SEroft,  meil  fie  von  Sefu  ßlmfto  flar  jeuget,  baf; 
©ort  um  biefeS  einigen  9Renfd)en  unb  feeligen  Siegenbogenä  millen  bie  SQSelt  nimmer  »erflud)en,  fonbern 
um  be3  einigen  SBeibeö  ©aamen  millen  alle  ©efd)led)t  auf  Erben  feegnen  unb  annehmen  will."  —  Suerft 
oon  #errmann§  ©efängen  auS  ber  ©chrift  fd)einen  feine  ©onntagö  ©»angelia  erfd)ienen  ju  fe»n. 
Die  worliegenbe  "MuSgabe  berfelben,  ju  Seipjig  1574  burd)  Johann  S3e»er  gebrueft,  führt  jmar  eine  fpätere 
3ahre§jahl  al§  bie  ber  2(u§gabe  feiner  Sq ift orien  »on  ber  ©ünbfluth/  melche  eben  ba  1569  erfd)ien ; 
allein  bie  3ufd)rift  jeneö  SBerfleinä  „an  glorian  ©riefjpeden  won  ©riepbad)"  ift  am  SErinitätSfonntage 
1559  gefchrieben,  bie  ßueignung  biefeö  anbern  „an  SBürgcrmeifter  unb  9?ath  ber  faiferlid)  freien  S3ergftabt 
-  3oad)im§thal"  aber  erft  im  folgenben  %ab,xe.  Ser  »ollftänbige  SEitel  be3,  l)ienad)  mol)l  früheren,  lautet: 
,,Sie  ©onntag§  Eoangelia  unb  »on  ben  fürnembftcn  geften  über  ba§  ganje^at/  Sn  ©efenge  gefaffet  für 
d)riftlid)e  ^auötäter  unb  ihre  Äinber.  9Kit  flcip  corrtgiret,  gebeffert  unb  gemehrt  —  alfo  aud) 
beShalb  fd)on  früher  bagemefen  —  burd)  Slicolaum  ^»errmann  in  3oad)im§tl)al.  [Ein  S5erid)t  auf  maS 
Shcm  unb  93Zelobp  ein  jebeö  mag  gefungen  merben.]  üflit  einer  58orrebe  S.  ^)ault  (Sberi,  ^farrherrenö  ber 
Äirchen  ju  SSBittemberg."      Äird)enlieber  mollte  inbep  unfer  ßantor  feine  Sichtungen  nicht  angefehen 


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wiffen.  ©ie  waren  ihm  nad)  ben  SSebürfniffen  ber  fleinen  ©emeine,  in  beren  £)ienfle  et  wirfte,  unmittel- 
bar au$  bem  geben  Terror  entftanben;  fie  füllten  bem  gcifligen  Verlangen  ber  ©lieber  berfelben  entgegen* 
fommen,  beren  9J?ef)r§af)l  er  perfönlicb  befreunbet  gewefen  fe»>r.  wirb.  £>ie  Äleinen  follten  fid)  baran 
nähren,  bie  (Srwachfenen  im  traulichen  Äreife  be3  £aufe§  fi<*>  bamit  erquid'en,  unb  burd)  feine  treuen 
^Bemühungen  feilte,  neben  benen  beS  eigentlichen  ©eelforgerg,  ber,  rote  feine  ^rebigten  über  fiutberS  geben 
jeigen,  aud)  an  beiliger  ©teile  ju  feinen  ^farrfinbem  rcbete,  wie  ein  SSater  frbfjlid)  in  ber  SÖfttte  ber  ©eini= 
gen  rebet,  ba$  2Bort  reichlich  wohnen  unter  ihnen.  3n  biefem  Sinne  bot  er  fie  bar,  in  biefem  wollte  er 
fie  aufgenommen  wiffen.  „£5arumb  id)  —  fagt  er  —  auch  biefe  unb  anbere  meine  ©efänge  nur  für  Ätn= 
ber=  unb  £au3lieber  ausgebe  unb  gehalten  haben  will.  2ld)t  fie  jemanb  würbig,  baß  er  fie  in  ber  Äircben 
brauchen  will,  ber  mag§  thun  auf  fein  Abentheuer. "  §ür  bie  Jtinber  fjatte  er  in  feinem  ftnbtid)  freunb* 
liehen  (Sinne  ein  rechtes  £erj.  ©ern  erinnerte  er  fid),  baß  feine  Sugenb  eine  freublofe  geroefen  fei)  unb 
gequälte,  unb  erjäblt  unä  baoon,  roie  geplagt  bie  Änablein  geroefen  mit  meiern  ittrebenbienft  unb  Qi)ot- 
fingen  bei  rauher  SabreSjeit,  roie  fie  oon  ©cbule  ju  ©cbule  gebogen  in  SKübfal  unb  junger,  ihren  2cben3= 
unterhalt  ju  erbetteln  ober  gar  ju  fteblen ;  bod)  junächfl  nicht  einmahl  für  ftcb,  biefe  armen  kleinen,  ober 
©cbüfjen,  roie  fte  bamaB  genannt  würben,  fonbern  für  bie  größeren  ©dwler  ober  33ad)anten,  beren  ©ebu^e 
fte  befohlen  waren,  meift  aber  ihnen  ÄnecbtSbienjle  leiten  mußten,  unb  ba§  mit  faurer  9flübe  Erbettelte 
ober  ©rfcblicbene  genbthigt  waren,  ,, ihnen,  als  eim  brachen,  in  ben  SpalZ  ju  fteden,  unb  babei  maulab 
ju  fepn,  unb  ju  barben."  9cun  aber,  in  ben  neu  errichteten,  cbriftlicben  ©cbulen,  waltete  eine  ftrenge 
jwar,  boch  üäterlicbe  3ud)t,  bie  be§  göttlichen  SSorteS,  ba§  aud)  unfer  ßantor  nach  feinem  SBerufe  al§ 
fruchtbaren  ©aamen  in  biefe  jungen  ©emüther  auäjujtreuen  bemüht  war;  unb  fo  preif't  er  fröhlich  biefe 
beffere  3eit,  bie  nun  gefommen  fet?,  für  ihn  be§  ©eben§,  für  bie  üinblein  be§  6mpfangen§.  2lber  nicht 
für  bie  Knaben  allein,  auch  für  bie  SKägblein,  bie  SDiütter,  bie  leiblichen  wie  geiftigen  Pflegerinnen  eines 
fünftigen  ©efcblecbtS,  war  fte  gefommen,  auch  für  biefe  febafte  er  treulich  burd)  feine  ßieber.  ©o  bid)tete 
er:  „für  bie  3ungfräulein  in  ber  SJiepblin  ©cbul  ju  SoacbimStbal"  ben  noch  iefct  unter  um?  al§  Äird)en= 
lieb  üblichen  ©efang  „üon  ber  fröhlichen  Qluferftebung  unfereö  4?etlanbe§  3efu  ßbrifti:"  @rfd)ienen  tft 
ber  t)crrtid)'  Sag*),  nad)  ber  SQielobie  be3  soranftebenben  £iebe§  r>on  gleicher  SSejlimmung: 

"Km  ©abbatb=£ag  Marien  bret) 
.Samen  junt  ©rab  mit  ©pecerep  tc. 

mit  bem  auch  baS  ßieb:  ,,2tlS  öierjig  S£ag'  nad)  £>ftern  tc."  bort  gleiche  ©ingweife  hat.  ©o  fang  er 
„einen  cbrijtticben  3lbenbreien  oom  Seben  unb  2lmt  SohanniS  be3  SäuferS,  für  cbrifHicbe  unb  jüd)tige3ung= 
fräulein,"  beffen  fröhlich  anmutbige  SBeife  er  aud)  anberen  Siebem  jum  öfteren  angeeignet  bat,  jumabl  bem 
oon  ihm  ebenfalls  gebiebteten  2Beibnacbt3ltebe :  ßobt  ©ott  ihr  Cübrijten  all jug leid)**),  ©o 
ftnben  wir  in  ben  balb  naher  ju  befebreibenben  ,,^)ijtorien  üon  ber  ©ünbfluth  ic."  einen  Tlbenbreien  »om 
^)errn  ßhrifto,  »orjufingen  für  „bie  ©chwejterlein, "  bie  barin  aufgeforbert  werben,  beS  ^eilanbeä  8ob 
ertönen  ju  laffen;  fo  enblid)  „(Sin  ©efpräd)  jweier  d)rijtlid)en  3ungfrdulein  t>om  9(u^  unb  Äraft  ber  f>eilt= 
gen  Sauf,  in  ein'  3lbenbreien  gefaßt  unb  in  grage  unb  Antwort  geftellet."   3mmer  waren  bie  5Jlelobieen 


")  ©.  9lro.  82  ber  SBetfptete  biefe  SKetobte  in  @ottf)arb  @rptl)tauS  üierftimmigem  Sonfa^e. 
")   @.  biefe  SWetobie  5tro.  4i  ber  SBcifpicle  in  Seontjarb  (Schröters  fünfftimmigem  SEonfafce. 

50* 


  396   


fafjlid)/  bewegt,  frontet)  unb  frifd) ;  bie  bet  juerft  genannten  2luferftef)ungtliebet,  Anfangt  im  Sripeltaft 
munter  Jraluu-rdn-citenb,  l)at  erfi  fpäter  burd)  2lutlbfd)en  tiefer  urfprünglicfycn  ©eftalt  ein  berberet,  ftrengeret 
©eprdge  gemonnen.  25ie  greube  an  bem  ©eiftltcfyen  feilte  ftd)  anfnüpfen  an  t>ie  gemormten  6rgb|ungen 
ber  jtlcincn,  bie  Erinnerung  an  bie  f)od)fkn  ©üter  foUte  eine  ftete,  tägliche,  lieblid)e  ^Begleiterin  bet  Sebent 
ferm,  nicht  eine  fmflcve  SDlafynerin  an  ein  äußerlid),  pflidjtmdßig  auferlegtet  Sagemerf.  £)rei5ef)n  9JMobteen 
enthalt  riefe»  SBücfylein,  »on  benen  mir  oorautfe^en  bürfen,  baf?  fte  auch,  »on  bem  Siebter  fjerrüfyren ;  if)t 
»olftmdfjiget  ©epräge  ift  biefer  S>orau§fef|ung  nid)t  entgegen,  benn  ein  finblicfyet  ©emütf),  mie  .Sperr* 
mannt,  fonnte  ben  finblid)  einfachen  Zon,  mie  in  Siebern,  fo  in  SBeifen  mof)l  leid)t  treffen,  jumabl 
unter  einem  gefangreid)en  SSölFcfyen  mie  feine  SBcrgflabter  unb  ©rubenleute;  obmofyl  er  aud)  »on  if)ren33erg= 
reiben  mol)l  geborgt  baben  mag.  @in  mcfyrftimmtger  Sonfafj  ifi  l)ier  nid)t  ju  ftnben.  £urd)  fpätere  ©amrm 
lungen  geiftlicfyer  Sieber  f)aben  mand)e  feiner  SKelobieen  ftd)  meiter  fortgepflanzt;  eine  allgemeinere  SSerbrei= 
tung  baben  nur  bie  beiben  jimor  genannten  erfahren,  bie  noch,  gegenmdrtig  in  unfern  G>lmralbüd)ern  fort= 
leben,  menn  aud)  entftellt.  ©ein  fpdteret  juwor  fd)on  angebeutetet  ©ingbücfylein  befd)äftigt  ftd)  jumeifl 
mit  bem  alten  Seftamente  unb  feinen  ©cfd)td)ten,  alt  SBciffagungen ,  SSorbilbern,  ber  (Srlbfung  burd) 
Sefutn  ßbrijium.  @t  ift  genannt:  „Sie  £tj}orien  »on  ber  ©ünbflutf),  3ofepf),  SSJlofe,  Stella,  @lifa, 
unb  ber  ©ufanna,  fampt  etlichen  ^»ijtorien  aut  ben  (Süangelien ;  aud)  etliche  $)falmen  unb  geiftlicfye  Sieber 
ju  lefen  unb  ju  fingen  in  9ieime  gefaffet,  für  d)riftlid)e  .£>autt>äter  unb  jre  Äinber,  burd)  9ficolaum  .Sperr* 
mann  in  Soacfyimttfjal.  SJttt  einer  SSorrebe  Sobannet  9Äattl)efii ,  ^)farrl;errn  in  Soacbjmttfyal.'' 
©d)on  ber  Sitel  —  mie  mir  um  jene  Seit  oft  finben  —  forbert  bie  S3efifjer  bei?  33üd)lcint  auf  ju  beffen 
rcd)tem  ©ebraucfye;  l)ier  mit  ben  SBorten  bet  SBriefct  ^auli  an  bie  (Spfyefer:  (C.  5.)  ,,©epb  »oll  ©eijlet, 
unb  rebet  unter  einanber  t>on  $)falmen  unb  Sobfängen,  unb  gciftlid)cn  Siebern,  finget  unb  fpielet  bem  .Sperrn 
in  euren  «Sperjen."  2>n  Anfang  machen  bie  ©efd)id)ten  bet  alten  SBunbet,  menn  aud)  nid)t  befctjranft  auf 
bie  allein,  meld)e  ber  Sitel  nennt,  bod)  oorjüglid)  mit  2Baf)l  ber  alt  vmrbilblid)  erfd)einenben;  ©prücfye 
folgen  fobann,  einbringlid),  mid)tig  cor  Willem  für  bie  erneute  d?rtftttd>e  Sefjre,  mie  jenet  2Bort:  2lbrab,am 
glaubet,  bat  ift  il)m  jur  ©cred)tigfeit  gerechnet ;  9M)nungen  an  bie  £)ürftigtett  menfd)lid)en  ©cfd)led)tet ; 
Sßarnungen  miber  bie  ©td)erl)eit,  unb  bet  Seufelt  Sift  unb  ©efcb,minbigfeit.  3b,nen  fd)liefjen  fiel)  an 
©regoriutlieber,  ©efdnge,  menn  man  am  Sage  ©regorii  bie  jungen  ©d) üler  in  bie  <Sd)uf  ju  fjolen  pflegt, 
in  benen  fte  erinnert  merben,  baß  ber  .Sperr  felber  bat  Seb,ramt  bestellt  l)abe,  bap  er  geheißen,  feiner  ©timme 
ju  folgen,  ba  er  geboten,  bie  Äinblein  ju  t^m  fommen  ju  laffen,  um  nad)  feinem  2Billen  ber  jungen  3ab,re 
mabrjunebmen.  T>m  S3efd)luß  mad)en  S3rautlieber ;  £>ier  begegnen  mir  abermalt  ber  2Beife  bet  2Beib,= 
nad)ttgefanget :  „Sobt  ©ott  il)r  6l)riften  alljugleid)''  ju  bem  Siebe:  ,,©raf  2lnbret  ©d)ticf,  ber  eble 
•Sperr,"  ein  Seugnifj  für  if>rc  S5eliebtl)eit.  3lud)  ein  ^»aar  jmeifiimmige  Sonfdfee  ftnben  ftd)  b.ier,  jmei  neue 
S5ergreil)en.  2)er  eine  ijl  gerichtet :  ,, miber  bie  rfyumretigen  Sb^fon^  ""b  rad)girtgen  Seut,  unb  bie  jeber= 
mann  autrid)ten  unb  oerbamen,"  unb  fd)ärft  unt  ein: 

£>rei  9?  gebüren  ©Ott  allein, 

9?l)ümen,  9?ed)en,  9?id)ten  idt)  mein; 

Sat  ©rid)t,  bie  9rad),  unb  aller  9?l)um, 

25ie  brei  ftnb  ©ottet  (gigentljum. 
S5er  imeite:  „58on  S3efd)eibenb,eit  unb  ©anftmutb.  ber  Regenten  unb  Seb^rer,  miber  bie  ©dutarger  unb 
eigenftnnigen  Äbpfe"  oerftebert: 


  397   


2Ber  fcbnurrt  unb  putrt  alljeit  im  $aus, 

£er  rid)t'  bamit  gar  menig  aus>, 

(Sin  freunblid)  2Bort  mehr  grommen  fcbaft, 

SBeib,  ©finb  unb  Äinb  e§  milfger  macht. 
2>ie  jmeiftimmigen  Sonfäfce,  in  melden  tiefe  Ermahnungen  oorgetragen  merben,  haben  nid)t3  ^uögejcid)-- 
nete§;  anbere  mebrftimmige  JBehanblungen  ihrer  ©runbmetobieen  ijabe  id)  ntcrjt  aufftnben  fonnen,  eben 
fo  roentg  als  id)  beren  £<nmtmenbungen  in  anbern  geiftlichen  Siebern  angetroffen  habe,  liefern 
jufolge  bürfen  mir  9ficolaud  4?errmann  nur  unter  bcn  ©an gern  eoangelifd)er  Äird)enmeifen  nennen,  aber 
auch,  nur  jener  beiben  bed  oon  ihm  aud)  gebid)teten3Beihnad)tS=  unb  Sjierliebed.  9ftan  pflegt  ifnnmohl  aud) 
bie  9Kclobieen  ber  gieber  ju,ufd)reiben :  ,,7lu$  meineö  ^)erjenä  ©runbe,"  unb:  „2Benn  mein  <StünbIein 
oorhanben  ift."  2£tlctn  jeneS  erfte  ftel)t  fo  menig  alS  feine  SJielobte  in  ben  und  berannten  SBerfen  £err= 
mannS,  unb  eine  anbere  Quelle  für  feine  Url)eberfd)aft ,  ber  ju  oertrauen  märe,  ift  und  nid)t  genannt. 
Später  finben  mir  ÜJZatttjeftuä  al§  ben  Urheber  biefeS  2iebe3  genannt,  mie  er  ed  in  ber  Sfyat  fenn  mag. 
Daher  ftammt  benn  mo()[  aud)  bie  S3orau§fe|ung,  bafj  fein  tfnberer  als  fein  greunb,  ber  alte  ßantor,  eine 
SJlelobie  baju  gefungen  haben  merbe.  £ad  jmeite  ifl  jmar  in  ben  £iftorien  bon  ber  ©ünbflutf)  ju  finben, 
mit  ber  Überfdjrift :  ,,6in  geijtlid)  Sieb,  barin  man  bitt'  umb  ein  feeligcd  Stünblein"  (2tu§  bem  Spruch 
'tfuguftint:  Turbabor  scd  nou  perturbabor,  quia  vulnerura  Christi  recordabor),  eä  folgt  aber  bie  S3emer- 
fung:  ,,3m  Sl)on:  mie  oon  ber  Sünbflutl),  ober  @d  ift  bad  $eil  und  fommen  her, "  unb  bie  erfte  biefer 
beiben  Singroeifen  ift  eine  ganj  anbere,  ald  bie  be§  £errmannfd)en  SterbeliebeS*). 

(5rfd)eint  uns  in  4?errmann  ber  Sänger  unb  Sefjer  im  Vereine  mit  bem  £>id)tcr,  fo  finben  mir, 
um  menigeä  fpäter,  in  Joachim  öon  SSttrgf*  jene  erften  beiben  ©aben  be3  £omatnftler§  allein 
mit  einanber,  beibe  aber  mit  feltener  Sreue  nur  einem  einzigen  Siebter  gefeilt,  bem  ©önner  unb  greunbe 
bed  9Jteifter§,  Superintenbenten  Submig  ^elmbolb  ju  9Jiüf)lhaufen.  Joachim  mar  ju  S5urg  im  9)iagbe= 
burgifdjen,  mafjrfctjeinlid)  1546")  geboren,  um  oieled  alfo  jünger  als?  4?errmann.  ©einen  Familiennamen 
fennen  mir  nicht,  unb  bafi  ber,  ben  mir  bafür  annehmen  fonnten,  nur  feine  4?erfunft  bezeichne,  mirb  und 
oon  4?elmbolb  in  oielen  feiner  83orreben  unb  3ueignungen  bejeugt,  namentlich  in  ben  latetnifd)en  83erfen, 
mit  benen  er  feine  oon  3ohann  decarb  (1596)  gefegten  £)ben  in  gleicher  Sprache  über  einige  SBerfe  bed 
Schbpferd,  ben  S3ürgermei|iern  unb  bem  Statte  ber  freien  9?eid)Sftabt  50Züf)lf)aufert  mibmete.  Über  Joachims 
frühere  Sebendoerhältniffe  unb  namentlich  feine  SSorbilbung  für  bie  Sonfunft  gebricht  eS  und  an  allen  9cad)= 
richten,  mie  uns"  benn  auch  urfunbliche  Beugntffe  über  feine  2fmt3thätigfeit  ju  SO^ühtbaufen  mangeln,  inbem 
bie  häufigen  jerftbrenben  S3ränbe,  meldje  biefe  «Statt  im  Saufe  be3  17ten  unb  im  Anfange  bed  18ten  3ahr; 
hunbertä  betmfuebten,  ben  grbpten  Sheil  ber  Urfunben  üerjcbrt  haben,  bie  und  barüber  2Tue>funft  geben 


")  Sie  Angabe  einet  fd)on  um  1550  oon  3.  a  SBurcE  ju  (Srfutt  gebtueften  ^affion  (©erbet  9c.  C.  I.  Cnl.  570) 
l'djeint  auf  einem  Srttfjume  ?u  betufjen. 


  398   


tonnten.  Sarauä,  baß  t>aS  erfte  von  ibm  ju  SDH ü t) I Raufen  gebrückte  SBSerf  (f.  ©erber  a.  a.  £).)  bie 
3ab,rjab,l  1569  trägt,  f>at  man  folgern  mollen,  baß  er  in  biefem  3af>re  borten  als  ßantor  unb  £>rganijt  an 
ber  £auptfircbe  ju  ©.  SBlafien  berufen  morben  fen.  @r  mar  inbeß,  menn  aud)  öielleicf)t  nod)  niebt  in 
biefem  tfmte,  fd)on  um  1566  bafelbft  etntjermifd),  wie  mir  au§  ber  Sueignung  feiner  ju  Dürnberg  bei  9?eu= 
ber  unb  ©erlad)  erfd)ienenen  Harmoniae  sacrae  an  Sftdjarb,  ^faljgraf  bei  Sityein  (SBrubcr  be§  ßtjurfürfren 
griebricbS  be§  ©ritten  von  ber  ^)fa(j)  erfetjen.  Sie  nid)t  unbebeutenbe  2Cnjaf)l  üon  2Ber!en,  bie  er  in  feiner 
neuen  £cimatf)  berauSgab,  jeugt  von  feiner  großen  SJjätigfeit  für  feine  ÄunfL  3bm  mirb  bie  ©rünbung 
beS  9Küblb,aufer  ©ingcboreS  jugefcfyriebcn;  niebt  obne  SBabrfcbeinlicbfeit,  ba  meiere  feiner  geblieben 
©efangSmerfe  für  ben  ©dmlgebraud)  beflimmt  maren.  Unter  feinen  Mitbürgern  genoß  er  eines  großen 
'ifnfeljenä,  fo  baß  er  fclbft  in  ben  SJatl)  berufen  mürbe;  in  biefer  SBürbe  ftnben  mir  ibn  am  2ten  Secember 
1583  als  SBräutigam  ber  "Unna  gaber,  SEocbter  feines  'tfmtSgenoffen  @bnfio»b  gaber;  ba3  ^ocbjeitölieb 
biebtete  ibm  fein  greunb  £elmbolb,  er  felber  fefcte  e§  t>ierfiimmig  unb  ließ  e§  um  1596  in  feinen  beitfnbreaS 
^jan^fcb  ju  SJh'tblbaufen  "berauögegebenen  41  Siebern  t»om  t>et(tgen  (5t)eflanbe  mieber  abbruden.  (Sin 
ffieitereS  als  biefeS  SBenigc  ift  über  feine  äußeren  33erf)ältniffe  mit  ©tcberljeit  nid)t  ju  berieten.  SSon  ben 
fecbjebn  SBerfen,  melcbe  ©erber  al§  oon  ibm  bevrübrenb  nennt,  geboren  nur  fiebert  bieber,  als?  mit 
beutfebem  geijilicbem  ßiebergefange  fieb  befcfyäftigenb.  £>b  bie  jmei  SSänbe  geifllicber  £)ben,  angeblid)  20  an 
ber  3ab'/  ber  erfie  ju  Arfurt  1572,  ber  jmeite  ju  SEJcüblbaufen  1578  erfebienen,  beibe  Sonfäfje  nad)  S3iüa= 
neHemtfrt  entbaltenb,  ber  te^te  ju  brei  (Stimmen,  ebenfalls  t>iel) er  ju  rechnen  finb,  fann  id)  megen  9Kam 
gelS  eigener  2£nfcbauung  nid)t  mit  ©evx)tf  t>ett  behaupten.  Surfte  es>  gefdjeben,  fo  mdren  fie  bie  frübeften 
Jpervorbringungcn  3oad)ime;  auf  jenem  ©ebiete,  unb  e§  f  bnnte  uns>  babei  nid)t  irren,  baß  ber  SSonfalj  nad) 
einer  2£rt  melfcber,  gemeiner  lieber  bejeiebnet  mirb,  ber  Aufgabe  alfo  miberfprecbenb  fdjeinen  möcbte.  (5§ 
fofl  baburd)  nur  angebeutet  merben,  baß  bie  ©ingmeifen  fcbmudloS,  üolfs>mäßig,  faßlieb,  bemegt  fenen, 
bie  Ausführung  be§  mebrftimmigen  ©a^eS  obne  ©cbmierigfett,  unb  biefer  niebt  von  fünftlicber  unb  breiter 
Anlage,  mie  etma  in  ben  für  gcfdbulte  ©änger  bejlimmten  Sttabrigalien.  Siefe  Gngenfcbaften  batten  ben 
©a£  nacb  SSiUanellen^rt  barnaB  in  3t«lien  febr  beliebt  gcmad)t,  unb  man  menbete  ibn  obne  Unterfcbieb 
auf  ßieber  meltlicben  unb  geiftlicben  SnljaltS  an;  beutfebe  SQZeifter  abmten  ibn  mit  ©lüd  unb  ©eifall  nad), 
unb  Soacbim  bürfte  unter  ben  frübejien  von  ibnen  ju  nennen  fenn.  Sie  "Kxt,  mie  er  ibn  geübt,  mirb  inbeß, 
menn  mir  von  feinen  fpäteren  2Berfen  jurüdfcbließen  bürfen  auf  feine  früberen,  bamalS  febon  biefe  eber 
ben  ©äfeen  3acob  Mcilanbö  über  beutfebe  meltlicbe  ßieber  gleicbgefieüt  b^ben,  al§  ben  SMllaneUen  italieni= 
fdjer  9JZeifler.  S3ei  aller  (Sinfacbbeit  ift  in  biefen  legten  eine  gemiffe  ßierlicbfeit,  ein  leidster  ©cbmud,  nid)t 
auSgefcbloffen.  3oad)im3  f»ätere ,  liebbafte  Sonfä^e  gleicben  ibnen  etma  in  ben  4?au»tmelobieen  felbfi, 
melcbe  mebr,  mie  9Jceilanb3,  al§  SKelobieen  in  eigentlichem  ©inne  au§gejlaltet  finb,  menn  aueb  in  ibnen 
ba§  Seflamatorifcbe  oorberrfd)t ;  biefeS  aber  mirb  bureb  bie,  allen  ©cbmud  Derfcbmäbenbe  S3egleitung, 
enblicb  boeb  al§  ba§  SBefentlicbe  beroorgeboben. 

Siefen  ©efängen  junäcbft  ftcl)en  jmanjig  beutfebe  ßieblein,  meld)e  Soacbim  ,,auf  ßr>rtfllicr;e  9iei^ 
men  M.  Ludovici  Helmboldi,  lieblicb  ju  fingen,  t>nb  auf  ^njtrumenten  ju  gebraud)en,  appliciret  unb 
gemaebt,"  unb  bie  bei  ©eorg  Sßaumann  ju  Arfurt  1575  gebrudt  finb.  er  bat  fie  bem  bamalö  13jabrtgen 
^erioge  griebrid)  2Bilbelm  ju  ©ad)fen='«ltenburg,  @nfel  be3  ßb"rf"^en  3obann  griebrid)§  beö  ©roßmü= 
tbigen,  jugeeignet,  .unb  beginnt  mobl  be§balb  ba§  SBerfcben  mit  bem  2Bablfarudbe  beffen  S3aterö,  ^erjog 
jobann  SBilbelmö  Don  ©acbfeiuSSeimar :  ,,^)err  ©Ott  regier'  mieb  burd)  bein  SBort,"  unb  mit  feiner 


  399   

©rabfcbrift:  ,,3cb  weif},  bafj  mein  (Srlöfer  lebt, "  ber  mir  in  ben  balb  ju  erwäbnenben  breiig  geiftlicben 
Siefcern  (1585)  wieber  begegnen  werten.  Überbauet  bat  ber  ©efammtinbalt  fciefer  jwanjig  Siefcer  in  äbn= 
liebe  fpätere  (Sammlungen  unfereS  SJZeifterS  ftcb  jerftreut ;  fünf  ftnb  in  jene  breifjig  geiftlicben,  meift  geft- 
lieber,  übergegangen ;  eineS  in  bie  Crepundia  sacra  (1577)  5  ein  anbereS  in  bie  merjtg  2ieber  vom  beiligen 
Cfbeftanbe  (1595);  bie  breijcbn  übrigen  bilben  bie  juerft  ftel)enben  unter  22  fiiebern  Joachims,  melcbe  1599 
'tfnbreaS  «Ipanfcfcb  ju  Sttüblbaufen'mit  18  anberen  Sobann  @ccarb§  jufammen  bruefte.  2Bir  behalten  un$ 
vor,  biefe  ßieber  bei  ibrem  fpdteren  (Srfcfyeinen,  wo  fte,  meift  nach,  beftimmteren  ©eft'cbtgpunften  georbnet, 
in  genauerer  S5ejiebung  ju  einanber  fteben,  ju  befüreeben,  unb  wenben  unS  fogleicb  ju  ber  Crepundia 
sacra,  SoacbimS  näcbftem  SBerfe.  ©ie  befaßt  jum  grbfjeften  Sbeile  fogenannte  ©regoriuSlieber,  wie  mir 
beren  febon  bei  9cicolau§  J^errmann  gebaebten,  lateinifcb  unb  beutfd),  von  £ubwig  £elmbolb  gebiebtet,  unb 
von  ibm  bereite  am  20ften  gebruar  1577,  mdbrenb  er  noeb  JRector  unb  £)iacomt£  an  ©.  SSlafien  ju  SQlüf>l= 
baufenmar,  fünf  bofnungSü  ollen  ©cbülern  jugeeignet:  ©ittieb  von  33erle»fcb,  unb  ben  4  jüngeren  ©bb= 
nen  be§  fcamaligen  ©uperintenbenten  ©ebaftian  ©tarefe  bafelbft,  ©ebaftian,  9catbanael,  (Srnft  unb  Sacob 
£>antel.  SBabrfcbeinlicb  erfcfn'enen  fie  bamaB  febon  aueb  mit  SoacbinB  9Jielobieen.  "fteunjebn  Sabre  fpä= 
ter,  um  1596,  bruefte  fie  2lnbrea§  £an&fcb  ju  SQRüblbaufen  abermaB  mit  einigen  3ufäi?en  für  ben  S3erlag 
beS  S5ucbbänbler§  SpkxonymuZ  Sfeinbart  bafelbft,  unb  noeb  um  etwaä  »ermebrt  ftnben  mir  fte  um  1626  in 
einer  bei  Sobann  ©tange  berauSgegebenen  ©efammtauSgabe  mebrer  SEBerfe  £elmbolb3  mit  3oacbmB  unb 
3obann  ßccarbä  SUielobieen,  unter  bem  Stiel:  ,,Odae  sacrae  M.  Ludovici  Helmboldi  Mulhusini,  Theo- 
logi  et  poelae  &c."  £)iefe  öfteren  #bbrü<fe  jeugen  von  ber  großen  äBeliebtbeit  jener  ©efänge,  bie  ftcb  aueb 
über  einen  Sbeil  be$  nbrblicfyen,  proteftantifcbenSeutfcblanbS  verbreiteten.  Unter  ben  von  SJiicbael  ^rätoriuS 
in  bem  feebften  Sbeile  feiner  beutfdjen  ©ionifeben  9Jiufen  mitgetbeilten  ©regoriuSliebem  ft'nbet  ftd>  aueb 
(9tro.  93.)  eines  (ba3  neunte)  au§  ber  Crepundia*);  beren  vier  (ba£  jmeite,  britte,  neunte,  jebnte)  nabm 
fca§  febr  gefefyäfcte  ©otbaifebe  Gantional  in  feinen  jmeiten  Sbeil  auf**),  (1655,  9cro.  22.  23.  27.  25.); 
bie  SJlelobie  beS  legten  unter  biefen  ift  noeb  gegenwärtig  ju  SDZüblbaufen  in  firebücbem  ©ebrauebe,  roenn 
aueb  mit  einem  anberen  Siebe.   9Kan  fingt  bort  gegenwärtig: 

.Kommt  Äinber,  Sefu  weibet  eueb, 

©ebt  ein  ju  Sefu  ßbrifti  Stetd> ! 

©ort,  ©ott  tft  bi«r-  «bebt  ben  ©eift 

3u  ©Ott,  ben  (£rb'  unb  ^immel  »reift, 

ftatt  be$  urfprünglicben : 

£6ret  tbr  eitern,  ebrtffai§  fprtcljt :  ***) 
2)en  Äinbern  follt  tbr  webren  niebt, 
©onbern  fte  laffen  ju  ibm  fomm'n, 
Dafj  fte  von  ibm  werb'n  aufgenomm'n. 


•)  £ert  ©Ott,  bu  bt'ft  in  Sroigfeit  it.  eben  baS  aus  jenen  §man§tg  Webern  (1575)  fierübergenommene. 
")    2.  Referre  nihil  pntatnr  etc. 

3.  Agite  nanc,  o  pueri  etc. 

9.  ©.  ba6  juoor  genannte. 
10.  Jpöret  tt)t  eitern,  et)ri|ruS  fprtcbt  x. 

@.  SBeifptel  Slcro.  104. 


  400   


gjeltebtet  nocfe  unb  üerbrettetev,  bi§  in  bie  SDlitte  be§  folgenben  Saferfeunbertä  Eminem,  waren  JpelmbolbS 
unb  Soacfeimä  breiig  getftltd?e  Sieber,  bie  wir,  wenn  auch,  ber  Seitfolge  nach,  nicfet  bie  nädfeften  be§  %fleu 
jlerS,  bocfe  beäljalb  eben  Ijier  befprecfeen.  Sfev  toollfidnbiger  Sitel  lautet:  Streif  ig  ©eiftlicfee  Sieber  auf  bie 
geft'  burd?§  gan^e  Safer,  auefe  fünften  bei  ßferiftlicfeen  SScrfammlungen  unb  ßeremonien  ju  Übung  ber 
©ottfeeligfeit,  mit  SSier  Stimmen  lieblicher  #rt,  auf  befonbere  baju  t>on  M.  Ludovico  Helmboldo  t>erorb= 
nete  textus  ju  fingen  geftellt,  unb  außgangen  von  Joachimo  a  Burck  Symphonista  Mulhusino.  Sie 
vom  21fren  SKdrj  1585  batirte  3ufcferift  an  ©ebaftian  ©cferoellenbergen  unb  ©tepfean  gürer,  bamalige 
SBürgermeiflcr  OTcüblfeaufcnS,  laßt  vermutfeen,  baß  btefe§  2Berf  in  jenem  Safere  jum  erjten  SSKaftle  gebrueft 
worben  fet> ;  eine  jroeite  3tuägabe  erfefeien  im  Safere  gebrueft  burefe  2Cnbrea$  £an£fcfe ;  enblicfe  bilbet 

aud)  biefeS  SBerf  einen  Sfeetl  ber  jueor  gebaefeten  ©efammtauSgabe  »om  Safere  1626.  83on  ben  Sftelobieett 
unb  Sonfdfccn,  bie  e§  befaßt,  rüferen  uier  »on  Sofeann  ©ccarb  feer,  bie  übrigen  von  Soacfeim  a  S5urgf. 
35ie  Sieber  »erbreiten  ft'cfe  niefet  allein  über  bie  feeiligen  Seiten  unb  feofeen  gefte,  fonbern  auefe  auf  bie  Sage 
Sföariä  fBerfünbigung,  Reinigung,  £eimfucfeung,  ben  Sag  SofeanniS  be§  SduferS,  bie  2lpofieltage  in§ge= 
mein,  ba3  gejt  SJlicfeaeliS  be§  (SrjengelS ;  auefe  ft'nben  wir  unter  ifenen  ein  2lbenbmafeBlieb,  eineä  für  bie 
Äinberlcfere,  jroei  »om  $>rebigtamt,  je  eine§  für  feocfejeitlicfee  Sage,  unb  vom  ©tanbe  ber  £>brigfeit,  ein 
£>anflieb,  unb  julefct  unter  bem  Sitel  ,,ein  gemein  (Spttapfeium  unb  Srojtlteb  wtber  ben  Zoo"  jene  ©rab= 
feferift  £er$og  Sofeann  2Bilfeelm§  »on  ©aefefen  au§  ben  jwanjig  Siebern  von  1575: 

Scfe  weif,  baß  mein  (Srlbfer  lebt*), 

£)b  id)  fcfeon  feie  auf  @rben 

4?ab  ©ünb'  getfean,  unb  fierbe. 

Till  meine  getnbe  ft'nb  erlegt, 

liefet  einer  fann  mir  fefeaben, 

©0  groß  ift  ©otte§  ©naben, 

SBelcfeer  mir  feinen  lieben  ©ofen 

Sefum  Sferiftum  feat  gefefeenfet, 

SieberS  mar  ntcfetS  in  feinem  Sferon, 

hieran  mein  ^>erj  gebenfet. 
©ecfeö  r>on  biefen  Siebern  unb  SBeifen  nafem  SOiicfeael  ^rätoriuS  in  ben  feefeften  Sfeeil  feiner  beutfefeen  ©iont= 
fefeen  9Jcufen  (1609)  auf**),  alle  bi§  auf  eine§  (ba3  Sieb :  (B  liefen  t>or  ©otteS  Sferone)  auefe  mit  iferen 
unoerdnberten  Sonfdfjen,  unb  mit  beffen  2lu3nafeme  alle  fcfeon  1575  in  ben  jmanjig  Siebern  erfefeienen. 
(Sben  biefe,  mit  2lu3nafeme  be§  ^weiten,  ft'nben  mir  in  bem  erften  Sfeette  be§  ©otfeaifcfeen  6antional3,  ba3 
breißigfte  in  beffen  brittem  [1647  (51)  1657],  unb  außer  ifenen  nocfe  üier  in  beffen  erftem  Sfeeile***)  unb 


')    ©.  SSeifpiel  SRro.  103. 

•')   9lto.  1.  (88.),  2.  (91.),  18.  (179.),  21.  (188.),  2C.  (92.),  30.  (200.) 

1.  9tun  ift  ee;  3et't  ju  fingen  f>eU.  —  2.  3f)r  lieben  Äinber,  freuet  euefe.  —  18.  ©er  3acfearias  ganj  oev-- 

ftummt.  —  21.  (5g  ftcbn  für  ®otti$  Sfjrone.  —  20.  SSBie  (iebtiefe  unb  roie  fcfeöne.  —  30.  3cfe  met'g,  ba§ 

mein  Srlöfet  lebt  :c. 
-)   9lro.  6.  (47.).  9.  (62.).  23.  (119.),  25.  (120.) 

6.  «Maria  fommt  $ur  «Reinigung.  —  9.  5Bie  follt'  iefe  nun  niefet  fröbjid)  fenn.  —  23.  gifdjer  unb  3öUner 

finb'e.  —  25.  ®u  tieber  Jperre  3efu  dljrift. 


}jpei  in  fernen  ^iveiten  *)  j  fünf  von  tiefen";  erfdmnen  miebentm  in  bem  1663  ju  (Srfurt  berausgefommenen 
©efangbucbc,  unb  aufjer  ihnen  nod>  ba$  je^nte  bei  3oad)im,  ein  £>fterlieb :  ,,Ser  £etlanb  ift  erftanben." 
2Bir  feben,  fte  oerbreiteten  unb  erhielten  fid)  in  Binningen  geraume  3eit ;  ft'e  blieben  aber  auch,  nid)t  auf 
beffen  ©renken  bcfdirantt.    Sa$  erfte,  mit  bem  unfere  Sieberfammlung  ftd)  eröfnet: 

iftun  ift  eS  Jett  ju  fingen  hell***), 
©eborn  ift  uns>  Immanuel, 

pflanze  fid)  mit  feiner  Singroeife  fort  in  3-  ßrügerS  ©efangbud)  von  1(5-49  (sJho.48),  unb  mir  begegnen  ilnn 
noch  in  ber  29ftcn  'tfuSgabe  ber  praxis  pictaiis  melica  biefeä  maefem  Sonh'injtters  (33erlin  1702).  SaS 
Sroftlieb  :  ,,3d)  roeifj,  baf?  mein  ßrlbfcr  lebt,"  unb  ba§  Sieb  von  ben  (Ingeln: 

(58  ftefjn  vor  ©orteS  £l)rone-j-), 
Sie  unfre  Siener  ftnb, 
Ser  in  feim  lieben  Sol)ne 
Siebt  aller  «ÖIenfd?ert  Äinb, 
Safj  er  aud)  nidjt  ber  eines 
33erad)t  roill  f>an,  fo  Flein  es 
"Mud)  jemals  ift  geborn, 

ftnb,  beibc,  Sieb  unb  SScife,  auch,  in  baö  5retlingei()aufenfd)e  ©efangbud)  übergegangen  ('tfusg.  von  1741 
"Jtro.  397.  1385)  unb  leben  brtlid)  nod)  unter  un§  fort.  ^>elmbolb§  Sanflieb:  „9hm  lafjt  un3  ©Ott  ben 
Herren  lobfingen  unb  il)n  ebjen,"  fielet  jvoar  aud)  in  tiefen  breifjig  Siebern,  allein  3oitd)im3  SKelobic  hat 
ftcb  nicht  mit  ihm  verbreitet;  eine  anbere,  Don  ber  fpater  bie Siebe  fewn  roirb,  hat  tf>r  benä>orjug  abgewonnen. 

9Zur  einer  uorübergel)enbcn  ©rroäbnung  bebürfen  bie  jroei  Sammlungen  ^>elmbolbifd)er  Sieber  „vom 
heiligen  ßbeftanbe"  mit  5oad)im»  pierfiimmigen  SEonfdfcen.  Sic  erfte  «Sammlung  bcrfelben  erfd)ien  roal)r= 
fcheinlid)  jum  erften  Wlat)k  um  1583:  bie  gereimte  Zueignung  4pelmbolb3  unb  3oad)tmS  an  Johann 
Süberen,  beiber  3fed)te  Soctor  unb  ^)atricicr  ju  £ilbe3t)eim,  ift  mit  biefer  Sabjjafjl  bejeichnet.  3um  anbe= 
ren  »Ifiabjc  brudte  2tntrca$>  ^anf^fd)  511  SOiübüiaufen  tiefe  Sieber  um  1595  unter  bem  Stiel:  SSom  ^eiligen 
(Iheftanbe  SBierjig  Sieblein,  in  leibhaftige,  trbftlichc,  freubenreiche  unb  benfmürbige  Steinten  aufj  göttlicher 
$Bal)rl)eit  von  901.  Subovtco  £elmbolbo  gefaffet,  unb  mit  wer  Stimmen  lieblicher  tyct  ju  fingen,  aud)  auf 
^nfirumenten  ju  gebraud)cn,  abgefeilt  von  Joacliimo  a  ßurck,  Symphoncta  Mulhusino.  ©in  %a\)x  fpäter, 
um  1596,  folgte  biefer  Sammlung  eine  jmeite,  unter  gleichem  SEitel,  eben  ba  gebrudt,  von  Sin  unb  SSier* 
iig  Siebcrn.  Sie  erfte  beiber  mirb  mit  einem  ©etid)te  erbfnet:  De  nuptiis  Adami  et  Evae;  biefem  fd)lie^ 
gen  ftd)  ^)od)jeit§lieber  an  auf  bie  @t)rentage  von  ©bnnern  unb  greunben  beS  Sid)ien>  unb  Sonfefcerä, 
feit  bem  %at)xe  1574.  Sie  ftnb,  wie  man  ftef)t,  alle  gelegentlich  entjlanben,  fpäterhin  gefammelt,  unb  be$ 
lehrhaften  Snhaltä  ber  Sieber  roegen,  beffen  fchon  ber  Sitel  gebenft,  ju  einem  ©anjen  vereinigt  roorben. 


•)   9cro.  8.  (123.)  24.  (1.) 

S.  SEBtr  haben  ©ottes  3Bort  gehört.  —  21.  -öerr  ©ett  erhalt'  uns  für  unb  für  :t. 
")    1.  2.  18.  21.  24. 
•")   ©.  SSeifpiel  9lro.  102. 
+)  <S.  SSeifptet  9cro.  105. 

ÜBintttftl*,  tet  eoangel.  (J^oralgefang.  51 


  402   


An  btefeS  reibt  ficb  bie  jroeite  «Sammlung,  melcbe  bie  von  So«d)tm  gefegten  ^odjjettögebidjte  #elmbolbs 
fett  1583  bis  1595  umfaßt,  unb  von  bem  Sonfefjer  bcm  bamaligen  SmtbicuS  ber  9ietd)3ftabt  9Küf)lbaufen 
.^Benjamin  Sileftus, feinem  günjiigcn  $ettn  unb  freunblicbem  lieben  ©eoattern"  jugeeignet  ift.  (Hines"  unb 
baS  anbete  btefet  Sieber  crfd)eint  mit  feiner  SBeife  »orübergebenb  in  geijilicfycn  ©efangbüdjern  be3  folgenben 
3ab,rf>unbert§5  bauernb  tjt  feines'  in  bem  coangelifd)en  jtircfyengefange  beimifcb  gemorben,  nrie  mir  e§  bei 
Rateten  ©clcgenbeitsliebcrn  erji  ft'nben.  SKerfroürbig  bleibt  bennod)  biefe  (Sammlung;  fie  füfyrt  un3  in 
rie  inneren  äkrbältntffe  ber  bamalS  blül)enbcn  9rcid)§jtabt  9[Jlür;lr;aufert  ein,  unb  gerodet  maneben  Auf= 
fcbltiß  über  bie  Seben3umjianbe  ad)tbarer  SOtdnner  jener  Seit,  roie  mir  benn  barauS  über  bc3  Sonfe^erS  S5er= 
mdblung  bie  vieüeid)t  einjig  uorbanbene  3lad)xiä)t  fd^opfen,  unb  aud)  erfahren,  baß  Submtg  Jpelmbolb 
menige  Safere  »or  feinem  Sobe  jmei  £6d)ter  üerbeiratbete,  33arbara  (am  Ilten  Suli  1591)  an  ben  Sftagijter 
Quirin  £>»malb,  ßatbarina  (am  28ften  9M  1592)  an  ben  *Paftor  Sodann  Stepban;  beibe  alfo  an  ©ot= 
tesgelcbrte,  eine  weit  oerbreitete  gcifilid)e  gamilie  grünbenb,  roie  e§  oft  in  jener  Seit  gefebabe.  2Bir  tonnen 
tiefe  Sieber  aud}  mit  als?  bie  erjien  betrachten,  in  benen  bie  fpdter  fo  verbreitete  Siicbtung  üon  bem  ©injelnen 
aus  auf  baS  'Allgemeine  ft'd)  beroortbut,  unb  burd)  meiere  bergleicben  ©elegenbeitsgefdnge  allein  eine  tird)= 
liebe  S3ebeutfamf'eit  geroinnen,  unb  felbjt  in  ben  jftrebengefang  übergeben  formten.  £>er  Siebter  gebenft 
oarin  jmar  ber  perfbnlid)cn  SSerbdltniffe  ber  neuen  (Seeleute,  jebod)  immer  nur  unter  allgemeineren,  d>rift= 
lieben  S5ejiebungen.  So  bürfen  mir  aue>  bes"  SonmcijicrS  ^eb^eitSlt'cbc  fcblicßen,  baß  er  früher  eine  geliebte 
©attin  verlor ;  allein  biefe  SSejiebung  mirb  in  ben  $intcrgrunb  geftellt,  unb  ©otteä  2öcis1)eit  unb  ©nabe 
oor  Allem  gcrübmt,  mie  im  ÜJiebmen,  fo  im  ©eben,  beren  (SineS  unb  bas>  Anbere  im  ©lauben  unb  ber 
Siebe  bem  9Kenfcben  jur  Seeligfeit  gereid)en  folle,  mie  an  «£nob3  SSeifm'elc  fiel)  ermeife.  (Sinen  großen 
etebterifeben  SSBertl)  tonnen  mir  biefen  Siebcm  nid)t  beimeffen,  allein  fte  ftnb  ein  erfreulid)e§  3eugniß  djrift; 
lieben,  fejicn  Sinnet  unter  ben  Gnxtngelifd^cn  jener  Seit. 

3m  %a\)x  1599  enblicb.  erfdjiencn,  von  bem  oftgebad)ten  AnbreaS  #ankfcb.  ju  9Kül)lbaufen 
gebrueft,  im  Berlage  £ieronttmu§  9teinl)art§  bafelbjt  „äSicr^ig  beutfdje  @brijilicbe  Sieblein  901-  Subovici 
Jpclmbolbi ;  Auf  fd)6ncn,  rrbftlicfjcn  Serten  ber  ^eiligen  Sd)rift,  artlid)  unb  liebltd)  ju  fingen,  unb  auf 
allerlei)  3nftrument  ber  SDZuft'ca  ju  fpielen,  in  vier  Stimmen  abgefegt;  bie  erjien  22  bureb.  3oad)im 
a  SBurgf,  bie  legten  18  bureb,  3ob<mn  Crccarb."  Sie  maren,  roie  auSbrüdltd)  beigefügt  ftef)i,  „auf§  neu 
i,ufammcn  gebrudt,"  alfo  früber  bereits  erfd)ienen;  mie  mir  benn  febon  bemerften,  bap  bie  breijelm  erjien 
Hummern  unter  ibnen  auä  ben  1575  gebrudten  Smanjig  Siebern  l)iel)cr  übergegangen  ftnb.  Aus?  berSufcfyrift 
ce§  £3erleger§  »om  15ten  Sflooember  1599  an  ben  9Jtagijtcr  9Rattl)dug  Stolberg,  Pfarrer  ju  Sd)bnjiebt,  ben 
SKagijter  95iattbia§  Sftetb,  unb  Sobann  unb  (Sfaiaö  Stiefel,  S3ürgcr  ju  Sangenfalje,  entnehmen  mir  ein 
abermaliges  3eugnifj  r>on  ber  S3eliebtbeit  3ofld;im§;  c§  beißt  barin,  baß  feine  unb  3c>bannc§  @ccarb3  ©e-- 
fänge  fo  mobl  abgegangen  fepen,  baß  fein  ©remplar  bcrfelben  mel;r  ju  erfragen,  nod)  ju  üerfaufen  gemefen, 
unb  baß  fie  besl)alb  mieber  aufgelegt  unb  jufammengebrudt  morben  fepen.  2)ie  neun  legten  Soad;im§  (vom 
14ten  biö  22jien;  finb  mieberum  ^)ocb,jeit§gefdnge,  unb  von  ibjtcn  bie  früheren  fiebert  au3  bem  %ai)xe  1596, 
bie  übrigen  von  1597;  mabrfcbeinlid)  für  bie  befonberen  ©elegenbeiten,  auf  bie  fte  ft'd?  be3iel)en,  juoor 
einzeln  gebrudt,  unb  biet  jum  erjien  9flable  gefammelt.  SSon  ibnen  finben  mir  feincä  in  fpäteren 
Sammlungen  geiftlicber  Sieber  unb  SBeifen  für  fird)lid)en  ©ebraud);  au§  ben  brei^ebn  übrigen 
Stebern,  meldte  tl)ei(ä  gejigefänge,  tbeilä  Sebrlieber  ftnb,  t)at  9JJid)acl  ^>ratoriuö  bie  9SKebrjabl,  ibrer 
ft'eben,  bem  fed)jien,  ft'ebenten  unb  aebten  Ebeile  feiner  beutfdjen  Stonifcben  9Jlufen  mit  ibren  SDielo« 


  403   


Dieen  unb  Benfofen  ctnoerleibt  *j ;  bod)  nur  eincS  tavon  f>at  ficb  längere  3eit  in  ber  .fiircbe  erhalten,  ba$ 
©eibnaduSlieb : 

Un3  ift  ein  Äinb  geboren, 
bef?  freu'n  wir  un§  ju  I)6ren, 
fonft  roär*n  wir  all'  verloren, 
ja,  ewiglich  geftorben  ;c. ; 

e*  begegnet  unS  noch  in  greiling§baufcn§  (Mangbucbe  mit  feiner  Widobit  (1741.  9iro.  89.).  3n  ba£ 
©otbaifebe  Ganticnal  ift  nur  eme§  pon  ben  übrigen  Siebern  übergegangen,  ba§  pierte:  „3dj,  ict>  bin  euer 
Srbfrer,"  baS  in  beffen  jweitem  Sbeile  (1655.  9?ro.  12.)  fleht.  3wblf  anbere  Sonfdfee,  angeblich, 
Joachim^  a  33urgf,  enthält  eben  biefeö  geiftliche  Sieberbud)  in  feinen  erften  beiben  Sheilen,  bod)  ftammen  fie 
weber  au3  ben  bi^I^er  besprochenen  SlueHen,  noch  b^ben  ihre  Sieber  ober  93ielobieen  eine  roeiterc  Verbreitung 
geümben,  ober  fich  im  epangelifcben  ßboralgefange  erhalten. 

2Baö  au»  eigener  2lnfcbauung  ber  Quellen  über  ^oacbimS  a  S3urgr  Bemühungen  für 
Bereicherung  be§  ÄircbengefangeS  ju  berichten  roar,  haben  wir  in  bie  porangebenben  Blätter  nie* 
bergelegt.  3n  neueren  SJielobieenbücbern ,  unb  namentlich  in  ben  1834  erfchienenen  ßboralmelobieen 
für  bas  9Rüblt)aufer  ©efangbuch,  werben  ihm  noch  onbere  geiftliche  ©tngwetfen  jugefd)rieben ,  jeboeb 
ohne  Quellenangabe.  3uerft  bie  be§  SefuSliebeä :  „Sefu  meinet  4?erjen3  Sreub**),  füfjer 
Seftt"  unb  jwar  biefelbe,  bie  man  auch,  in  SreilingsbaufenS  ©efangbuebe  von  1741  (3fro.  856; 
ftnbet.  £as>  Sieb  ift  bie  Überfefeung  einc§  alteren  lateinifchen :  Salve  cordis  gaudiuru,  salve  Jesu  etc., 
allein  in  biefer  S3crbeutfchung  habe  ich  «8  erft  in  ben  lefjten  fahren  be§  17ten  3abrbunbert$  auffinben 
fbnnen,  unb  e§  ift  alfo  nicht  mabrfcbcinlicb ,  bafj  bie  SKclobie  für  tiefe  erfunben  fep.  SJibglich,  ba£ 
bie  lateinifche  Urfchrift  bc3  Siebet  in  einem  ber  mir  unbekannt  gebliebenen  SBerfe  2oad)im§  mit  einer  mebr-- 
ftimmig  gefegten  SJMobic  von  ihm  fich  ftnbet;  boeb  fann  auf  eine  fo  unverbürgte  SSermutbung  bin  bie  eben 
bezeichnete  Singweife  ihm  nid)t  beigemeffen  werben.  9locb  unn>abrfd)einlicber  ift  e3,  bafj  bie  Sflelobieen 
ber  Sieber  ,,#err  ich  habe  mipgebanbelt"  unb  ,,2lcb  wie  nichtig,  ach  wit  flüchtig"***) 
oon  ihm  herrühren.  3u  tiefen  Siebern  unmittelbar  b<rt  er  fie  taneswegS  erfunben,  benn  ber  dichter  beS 
erften,  3ob<mn  granf,  mürbe  um  1618,  ber  be§  jweiten,  Sigiämunb  pon  Bircfen,  um  1626  geboren, 
beibe  alfo  erfi  nach  Joachime  SSobe.  Beibe  Singweifen  tonnten  alfo  nur  pon  anbern  feiner  Sieber  entlehnt, 
unb  auf  jene  fpateren  übertragen  fepn.  £>urcb  feine  jupor  besprochenen  SBerfe  wirb  jeboch  tiefe  £3orau3= 
fefeung  nicht  beftätigt,  unb  fie  ift  audi  fonft  unhaltbar.  S)cnn  bie  3eit,  wo  jene  Sieber  gebiebtet  mürben, 
brachte  jumeift  auch  eine  neue  Singweife  mit  jebem  neuen  geiftlichen  ©efange;  nur  in  feltcncn  gällen,  unb 
meift  bann  allein,  wenn  beffen  Strophe  einer  febr  beliebten  unb  perbreiteten  alteren  SSKelobie  angepaßt  wer= 
ben  fonnte,  nahm  man  ju  biefer  feine  3uflucbt,  unb  permarf  bie  neue,  eben  bte§  bürfte  nun  hier  faum 
gefcheben  fepn  j  benn  bie  fecbejeilige  «Strophe  be3  Siebet :  #err  ich  habe  mifjgebanbelt,  ift  bemfelben  nur 
mit  fpateren  gemeinfcbaftlicb,  unb  ftimmt  ber  feineS  älteren  überein;  bie  be3  BiebeS  ,,2lcb  wie  nichtig,  ach 

•)   SEI).  VI.  9tro.  1.  (88.)  2.  (90.)   UnS  ift  ein  Äinb  geboren.  —  2>cr  enget  bringt  wahren  SBcrictjt  :c. 

Sb.  VII.  9t».  7.  (216.)  11.  (234.)  13.  (233.)  £crr  (Sott  bu  fjafi:  mir  geben.  —  3$  reünfebe  roeber  (Sbr 

noeb,  ©ut  :c.  —  £)  SDlenfcb,  beben!'  bein'  2fnfang  tc. 
Sf).  VIII.  31td.  i.  (83.)  9.  (82.)   3$,  icb,  bin  euer  Sröfter.  —  SDBaS  frenctjtu  bidj,  rcaS  fcb,rcctftu  mieb  tc, 
")   9tro.  2.  (I32.a) 
-)   «Rro.  127.  139. 

51* 


  404   


wie  flüchtig"  ficht  aber  ganj  etnjeln  ba  im  eoangctifchen  Äirchengefange.  £>ie  betbcn  «Singweifen  bce 
$elm&oU>f$en  ßtefceS  ,,9?un  laft  un3  ©Ott  ben  Herren/'  welche  in  ben  ^ül)lhaufet  Qhoralmelo- 
bieen  ftebn*),  unb  oon  beren  ^weiter  balb  näher  ju  b.anbeln  fc»m  wirb,  ftimmcn  nicht  berjenigen  überein, 
bie  Joachim  «I  feinen  breifjig  geifiltd)en  Siebern  baju  gefegt  hat,  ja,  fie  haben  nicht  bie  minbefte  S5ejieb,ung 
jit  berfclben.  SBirb  ihm  enbüch  nod;  bie  ÜÖMobie  eines  SSufjticbeS  jugefd)ricben  „2lu§  ber  Siefe  rufe 
idr*),  fo  fmbet  ftdj  auch  bafür  feine  SSefiättgung,  *umahl  aud)  biefeö  Sieb  etne§  unbekannten  33erfaffer§ 
con  neuerem  Urfprunge  ju  femt  fd)eint***). 

Soadu'm  a  Sßurgf  erbfnet  eine  9feil)e  tüchtiger,  ja  ausgezeichneter  Kantoren  unb  Organifien  ju 
3Rür)Ü)iiufen  an  ber  bortigen  .^aiwtfrrche  @.  33lafü,  unter  benen,  wenn  freilich  nur  ein  Sah*  lang 
(1707—1708),  aud)  Solenn  ©ebafitan  Sßaä)  eine  ©teile  einnimmt,  ©eine  treue  Sl)ätigfeit  für  feine 
Äunft,  jumabj  bureb,  bie  ©rünbung  ber  noch  bort  befiel)enben  tfnftalten  für  biefelbe,  macht  ilm  ehrwürbig : 
feine  geifilid)en  SERelobieen  unb  ^onfa^e  gewannen  ben  S5eifall  ber  SJiitlebenben,  unb  erhielten  ftch,  wie  wir 
auä  ibrer  Aufnahme  in  gefd)äfete  getfUtcfye  ©efangbüchet  fd)ltefjcn  bürfen,  langer  al§  ein  I;albeö  Sahrbunbert 
in  fird)lid)cin  ©ebrauche.  3a,  einige  berfelben  ftnb  bis  gegen  bie  Witte  be§  »ergangenen  Sahrbunberrev 
vielleicht  bis  $u  unferen  Sagen,  in  bemfelben  geblieben.  Allein  ju  ben  ausgezeichneten  ©magern  unb  ©efjern 
fird)lid)cr  ©ingweifen  bürfen  wir  ihn  nicht  §df)lert  in  feiner  Seit.  £>ie  feinigen  ftnb  fltcfjenb,  im  ©anjen 
richtig  betont,  bie  Sonfäke  fehltet)!,  fird)ltch  ernft;  eine  gewiffe  Srocfenl;eit  macht  inbefj  bie  meiften  berfelben 
unerfreulich-  SKan  mochte  fie  ben  treujtcn  ©ptcgcl  ber  ßieber  beS  £)id)terS  nennen,  bem  er  al§  ©dnger 
unb  ©e&er  fo  manbelloS  ftd>  angefcfyloffcn  hat,  unb  ber  bei  waefrer,  männlidjcr  ©efmnung,  unb  dd)ter 
Srbmmigfeit,  bie  ihn  eb,renwcrtl)  machen,  bod)  nid)t  minber  an  einer  ähnlichen  25ürre  leibet,  auS  ber  nur 
zuweilen  er  ftd>  mit  einiger  gvtfdt>e  unb  Snnigfeit  ergebt.  SBie  hier  Sodann  ©ccarb,  fein  SanbSmarm,  frei- 
lid)  jumeifl  in  feinen  fpdtcren  ©ingweifen  unb  ©ä£en  erft,  tf)n,  wir  möchten  fagen,  belaufcht,  burch  feine 
Zone  ihm  baS  rechte  SBort  erft  in  ben  SDhmb  gelegt  habe,  werben  wir  in  bem  2lbfdmitte  naher  befprechen, 
ben  wir  biefem,  in  fo  oielem  ^Betracht  ausgezeichneten  SSonmeifter  wibmen,  ber,  ein  greunb  unb  ©enoffc 
3oad)im§,  fein  Mitarbeiter  an  ben  meiften  feiner  ©ammlungen,  Anfangs  feiner  befonberen  £)arfteü"ungS= 
weife  fid)  anfchliefjenb,  ilm  boeb,  fyäterbjn  fo  weit  überflügelt  hat. 

Joachims  a  33urgf  nur  wenig  älterer  Seitgenoffe  war  9?tcoIau§  «Selneccer,  geboren 
am  6ten  £)ecember  1532  ju  ^erf^brud  bei  Dürnberg,  geftorben  ju  Seipjig  am  24fjen  Sölai  1592  als  £>r.  ber 
Rheologie,  ©uperintenbent  unb  Pfarrer  an  ©t.  ShomaS,  nach  einem  oielbewegten  ßeben,  beffen  dm^eh 
heiten  wir  hier  nicht  folgen  bürfen.  @S  genüge,  ju  bemerfen,  baf?  gleiche  ©efmnung  mit  SKelanchthon, 
feinem  ßefjrer,  unb  innige  greunbfd)aft  für  benfelben,  il)n  in  bie  mancherlei  #änbel  »erwidclten,  welche  auS 
bem  heftigen  SBiberftreitc  ber  Anhänger  firengen  2utherthum§  entftanben  gegen  feinc§  grcunbeS  unb  feiner 
©chüler  milbere  2lnftd)ten,  bie  mit  bem  tarnen  „üerftedter  ßabiniömuä"  fchmähenb  bejeichnet  würben; 
bafj  er  baburd)  im  Saufe  weniger  %at)xe  raftloS  umhergetrteben  würbe,  biö  er,  in  fein  "Kmt  ju  Seidig  wieber 
eingefe^t,  bort  feine  Saufbahn  enbete.  Spiet  befd)äftigt  er  un§  oorjüglid)  alö  ©änger  geiftlicher  Äirdjen- 
weifen,  beren  einige  ihm  jugefchrieben  werben.    ©d)on  frühe  foll  Neigung  unb  grofe§  ©efehief  für  bie 


•)  9Jro.  180.  199. 
")   Ulto.  210. 

T)a6  alte  S3rc6lautv  fiicfangbud)  nennt  als  SScrfaffer:  ©.  6.  @d)n)ämlein.   <Son(t :  MnbrcaÄ  Änaut. 


  405   


Sonfunft  bei  ihm  ftd?  entwidelt  haben.  Sobann  'AnbreaS  ©leid),  in  feiner  SJeformattons^^ifiorte  (iijüt- 
fddiftfcbs'tflbertinifcher  Sinie,  erjagt  unS  (S.  92.  93j,  Setneccer  fep  fdwn  als  Änabe  »on  12  fahren 
beftellt  worben,  bie  Orgel  in  ber  Surgcapelle  ju  Dürnberg  ju  fpielen,  unb  habe  bafür  feinem  SSater  acht 
£baler  jährlich  unb  jwei  guber  4?olj  »erbient.  Daburch  fet?  er  bem  römifchen  .Könige  gerbinanb  bei  feinen 
öfteren  Anwefenheiten  ju  Dürnberg  befannt  geworben ;  fein  munteres,  aufgewedteS  SBefen  habe  ihm  bie 
©unft  ber  Sänger  beffelben,  ja  feines  SSeichfoaterS  SJialoenba  gewonnen;  ber  Äönig  felber  habe  »erlangt, 
baf?  er,  mit  feinen  Sängern  wed)felnb,  baS  9Kagniftcat  in  ber  SSefper  öot  ihm  fpicle.  Zn  biefem  Spiele 
beS  Änaben  fer>  nun  beffen  ©efallen  fo  grop  gewefen,  bafj  er  ihn  heimlich  habe  mit  fortnehmen  wollen,  was 
auch  gefcheben  wäre,  wenn  man  feinen  SSater  nicht  gewarnt  hatte,  ben  jtnaben  ferner  ju  beS  £bntgS  Sän-- 
gern  fommen  ju  taffett.  Dürfte  man  biefe  Stählung  als  hmlänglid)  »erbürgt  annehmen,  fo  wäre  freilich 
iener  SSarnung  bie  Erhaltung  SclneccerS  bei  bem  ewangelifchen  ©lauben,  unb  feine  fpätere  Sljdtigfeit  für 
ben  heiligen  ©efang  feiner  Äircbe  ju  banfen.  ^ebenfalls  erkennen  wir  barin  ben  9?uf  SelneccerS  als  früh^ 
reifen  SalenteS  für  bie  Sonfunft,  unb  bafür  bürgt  unS  jenes  ©efd)id;tchen  felbjt  bann  noch,  wenn  eS  auch 
nicht  in  allen  angegebenen  Umftdnben  richtig  fenn  foUte.  ÜZBäbrenb  SelneccerS  Aufenthalt  ju  Bresben  als 
^»ofprebiger  in  ben  fahren  1558  bis  15G1  foll  er  für  bie  SSilbung  beS  bortigen  kirchlichen  SängerchorS 
befonberS  thdtig  gewefen  femt;  ihm  war  bie  'tfufficht  über  bie  Schüler  anvertraut,  auS  benen  baffelbc 
gebilbet  würbe.  Der  $auptort  feiner  SSBirffamfeit  fcheint  inbep  Seipjig  gewefen  $u  fe»n ;  hier  erfdn'en  im 
3ahre  1587,  bureb.  Sohann  S3ct>cr  gebrudt,  fein  gcifilicheS  ©efangbuch,  unter  bem  Sitel:  „ßbriftlicbe 
iPfalmen,  Steter  unb  jtirchengefenge,  3n  welchen  bie  @hrijtlid)e  Schre  jufam  gefaffet,  »nb  errleret  wirb, 
'.Xrewen  ^rebigem  in  Stetten  »nb  Dörfern,  Auch  allen  frommen  dbrijten  ju  biefen  legten  »nb  fehweren 
jeiten,  nüfe  unb  trbftlicb.  k."  ©ewibmet  ift  bieS  33ud)  ber  fpäteren  @hurfürjh'n,  bamaligen  ÜXftarfgrä; 
ftn  »on  S3ranbenburg,  @atbarina,  ©emahlin  Soadn'm  griebrichS;  unb  auS  ber  folgenben  ,,Sreuherjigen 
(Erinnerung  an  ben  chriftlichen  Sefer"  erfehen  wir,  bafi  bamalS  fchon  einige  Sieber  SelneccerS  ft'ch  weiter 
»erbreitet  hatten,  in  ©efangbüdjer,  $u  Seipjig,  Strasburg,  in  $)reuf?en  gebrudt,  aufgenommen,  auch 
bereits  ,,»on  fürnehmen  SöiuficiS"  alS:  SQiarthäuS  ßemaifrre,  Scanbelli,  33accuftuS  (ju  ©orha)  gefegt 
waren ;  weshalb  er  benn  leichter  ju  »ermögen  gewefen,  bieS  Büchlein  ju  »erfertigen,  »on  bem  wir  oorauS; 
fe|en  bürfen,  bafi  eS  2CXXe§  enthalten  werbe,  waS  er  bis  bat)in  gebietet  unb  gefungen,  neben  ben  »on  ihm 
aufgenommenen  fremben  ßiebern.  Denn  auch  bergleichen  hat  er  nicht  »erfchmäbt,  feinem  33uche  einju»er-- 
leiben;  meijienS  »on  ßeitgenoffen,  feltener  »on  Älteren  ©ebichtetcS.  Suther,  als  rechter  Stifter  beutfehen 
geglichen  ©efangeS,  wirb  »on  il)m  hoch  gepriefen;  tfmbroftuS  Sobwaffer  in  ^reufjen,  9cicolauS  ^errmann 
in  3oachimSthal  „fampt  feinem  frommen  ^»farhern,  D.  9JJatthefto  feeligen,''  SSurcarb  SBalbiS,  bie  Äir= 
chengefdnge  ber  SSrüber  in  SSöhmen ;  bod)  geht  er  an  ihnen  jumeift  worüber;  »on  „beS  frommen  ^)aupt= 
mannS  (©eorgii?)  5Jlegibii*)  fchönen  9Kelobeien"  befennt  er  „eine  in  ben  79jlen  ^Jfalm  gefegt  ju  i)abm." 


')  £iemtt  ift  otellct^t  fotgenbc§  SBerf  gemeint:  Geminae  undeviginti  odarnm  Horatii  melodiae,  quatuor  voci- 
bus  probe  adoroatae,  cam  selectissimis  carminum,  partim  sacrorum,  partim  prophanorum ,  coocentibus:  additis 
circa  fioem  aliis  item  cantiooibus,  matutiois,  meridiaois  et  serotiois  :  Paedagogiis  recte  iostitutis,  ac  scholis  qui- 
buslibet  pro  exercenda  iuventute  literaria  aecomodatissimis.  2fm  ©cljUtfl'e:  FraDcoforti,  apud  Christiaoum  Egenol- 
phum  Hadamarium.  Anno  M.D.LII.  (1552.)  Mense  Maio.  25icfeg  SBcr!,  cincö  berjenigen,  bag  bie  Sugenb  an 
SBetonungen  antifer  SKaa^c  ju  bilben  trachtete,  fjat  ^>cter  9tigibiuS  am  erften  2tuguft  1550  oon  SKarpurg  aus  einem 
bofnunggoollen  ©c^üler  (Guolfgango  a  Thanne)  jugeeignet.   2i)  errcabne  befielen  mit  jRücrftc^t  auf  bie  am  ©djlufie 


  406   


Qx  berietet  im$  aber  ausführlich,  baf?  man  2utl;er§  Steber  »or  allen  in  ßetpjtg  beibehalte,  unb  wie  man 
ihrer,  nebjt  benen  v>on  anberen  erleuchteten  Sölännem,  an  ©onn=  unb  gcfltagen  ftd>  bebiene.  Spitt  erfcbeint 
eS  nun  bebeutfam  untev  'tfnberm,  bafj  am  $alm(fonn)tage,  ehe  bic  ©efd?td>te  be§  SeibenS  unb  ©tcrbenS 
unfere§  .^eilanbeS  nach  bem  ßüangelifien  9fJiatt£)äu§  beutfcb  gefungen  wirb,  bie  ©emeine  SutberS  $Pfalmlieb 
anftimmt:  2ut3  tiefer  iTiott)  fdjret  icb  Z"  bir,  jeneä  gläubige,  innige  ©ebet  um  ©rlbfung ;  am  ßbarfreitage 
aber,  oor  bem  ©efange  ber  SeibenSgcfcbichte  nacb,  SobanneS,  au£  ber  be§  Sr>mn  SBort  am  Äreuj:  tji 
vollbracht"  un§  tjevoortont,  wie  auS  jener  fein  Sfuf  au§  bem  22fien  $>falm:  ,,9JJein  ©Ott,  mein  ©Ott, 
warum  baft  bu  mid)  »erlaffen, "  ba§  frol)lid)e  Sieb  gefungen  wirb:  „Scun  freut  euch  lieben  ßbviftengmein, " 
t>er  9)rei3  ber  oollcnbeten  ßrlbfung.  ©o  erfebjen  ber  8eiben§tag  be§  Spexxn  nicht  al§  büftercr  Srauertag 
allein,  auch  aB  ber  beb"  Sag  ber  33oüenbung  feineä  großen  SBerfeS,  als>  ein  Sag  d)rifHid)er  greube  in 
©anf  unb  Anbetung.  9cad)bem  un§  ©elneccer  fo  »on  bem  fortleben  älterer  geiftlicber  ßieberbiebter  in 
feiner  ©emeine  erzählt  fyat,  ber  mit  feinem  S5üd)lein  er  einen  neuen  Beitrag  ju  t'brer  (Erbauung  nad) 
feinen  Gräften  ju  roibmen  gebenft,  fährt  er  fort:  er  habe  nicht  unterlaffen,  feinen  grünen  unb  ©efängen 
auch  einige  fd)6ne  9>falmen  beizufügen  r>on  etlichen  feiner  geliebten  S3rüber,  bie  nun  bei  @hrijb  fernen:  als 
,,©octori3  ©eorgii  2fcmtlti,  unb  Sol).  SBal^ü,  ber  ja  ein  woloerfucbter  unb  geplagter  SDlann  geroeft,  bem 
£crrn  ©octori  Jpieronumo  SBeller  gottfeeligem,  unb  ihm  felber,  fehr  lieb  unb  wertb;"  auch  bake  er  einige 
alte  ©equeni,*  unb  $Profas>,  wie  fte  genannt  werben,  mit  aufgenommen,  boch  gebeffert  unb  ohne  galfd), 
aud)  bisweilen  etliche  beutfebe  6l)oral  auS  ben  Äird)engcfängen  be§  altern  .£>errn  3ob<mn  ©Langenbergs  baju 
gethan.  ©eine  ßieber,  bie  ben  Äern  beS  ©anjen  bilben,  t)at  er  mit  ben  S5ud)ftaben  ©.  9c.  ©.  bezeichnet, 
bie  auf  feine  ©octorwürbe,  feinen  Sauf*  unb  Familiennamen  beuten,  bie  übrigen  t^etlS  mit  ben  ganzen 
sJcamen  ihrer  -Dichter,  tbeilS  mit  beren  2lnfangSbud)jtaben ;  aud)  wol)l  fte  burch  Überfchriften  t-or  ben  feini= 
gen  ausgezeichnet,  unb  nur  hin  unb  wieber  fte  ohne  alle  nähere  ^Bezeichnung  gelaffen. 

©aS  Jßuch  fclbjl  bat  ©elneccer  in  bret  Sheile  unb  einen  2M)ang  georbnet.  ©er  erjle  Sbeil 
enthält  $>falmlieber,  ber  zweite  jtatechiSmuSgefänge,  ber  britte  Sieber  auf  bie  »ornehmfien  gefle.  Söir 
ftnben  barin  bie  alte  ©equenz  am  Sage  ber  SSerfünbigung  SEJiariä:  „211S  ber  gütige  ©Ott  wollenben  wollt" 
fein  SBort  k."  bie  ßeibenSgefcbicbte  nach  ben  dvangeliften  ÜJJcattbäuS  unb  SobanneS,  bie  Älaglteber  2ere= 
miä;  bazwifchen  wieber  ©cfänge  ©elneccerS.   ©er  Anhang  beginnt  mit  furzen  Sprüchen  auf  alle  ©oniv 


ber  tfnmcrfung  §u  ©citc  287—290  aufgeftelttc  SSermutfjung,  baf  bic  9Jcelobie  be§  CtebeS  ber  SSrüber:  ,,£>ic  Stacht  ift 
fommen,  brin  mir  rut)cn  fotten"  rcoljl  einer  SSetonung  beö  fappfjifcbcn  SJZaafieS  urfprünglich  angehören  möge.  2Mefc  Sßer- 
mutljung  fjat  fi'tf»  fpätcr,  im  SSerlaufe  be§  2tbbruct6,  beftatigt.  Senc  50letobie  (mit  menigen,  unertjebtichen  2tbmeid)ungcn) 
finbet  fieb  in  bem  eben  angeführten  Stßcrf c  unter  ben  Stummem  XXX.  XXXI  $u  einer  £>bc  Hermanns  oon  bem  SSufd)c : 
,,De  contemnendo  mundo,  8f  amanda  sola  virtute"  in  jmei  Sonfä'^cn,  mit  ber  Überfcfjrift : 


Vetus  raelodia  sapphici  carminis. 


Dis-par  et  cn  -  ras  si  -  bi    dis  -  si  -  den  -  tes    cas  -  sa-que  vo  -  ta. 

fcf)icn  t)icr  ber  jmectmagigfte  Ort,  biefc  SSemcrrung  nacbjuijolcn,  roenn  gleich  einiger  3rccifcl  bleibt,  ob 
Selneccer  a.  a.  C.  ba6  fjicr  befchriebene  XBert  gemeint  Ijabe,  weit  er  einen  anberen  Saufnamen  bc6  ^erauggcbcrS  nennt. 


  407   


tagö=  unb  §ejieuangelien .  ^nm  f0(gen  fceurfd;e  unb  lateinifcbe  Äird)engefänge,  vx»ie  fte  in  »ielen  &ird)en  oor 
bem  Altäre  gelungen  werben.  Sie  Überfielt  t>e§  ©anjen  mirb  burd)  ben  SKanget  eine§  9?egifter3  fcljr 
erfd)mert.  £en  SSefdjlujj  machen  m'er  lotetntfdje  ©efänge  ju  uier  Stimmen*)  auf  baä  2Betbnad)t§fejl, 
Sföaria  Reinigung,  Dftern  unb  9)fingfrcn,  unb  ein  fünfftimmigeS  £)anf lieb  ©elneccerS : 

©Ott  bir  fep  £>anf,  Sob,  ^Jreiö  unb  dt)X, 

(Srljalf  un3  nun  bei  beiner  Setyr', 

Unb  unfer  #erj  ju  bir  befebj', 

2£men ! 

Unmittelbar  oor  biefen  fünf  legten  ©efdngen  ftnben  mir  auf  23  eng  gebrueften  Seiten  „©in  ßbriftltd)  alt 
©efpräd)  vom  jüngften  ©ertd)t."  @§  tft  in  20  2lbfd)nitte  geseilt,  beren  jeber  aue>  einer  längeren  ober 
förderen  Sfeibe  Soppeljeilen  ju  wer  S^mben  bcftct>t,  unb  für  beren  ©efang  eine  ^Pfalmobie  »orgefebrieben 
ijr,  äbnlid)  ber  bei  ben  Soppeljeilen  ber  SBeife  be§  ,,#err  ©Ott  bid)  loben  mir"  angemenbeten.  Gmgel 
rufen  mit  9)ofaunenfd)alIe  jum  ©erid)t :  Stimmen  ungläubiger,  uerbammter  ©eelen  erbeben  ftcb  junäd)ft, 
bann  bie  ber  ©laubigen;  mit  ben  (Sngeln  mecbfeln  SEeufel,  ©efeg,  bie  3uben,  Reiben,  Surfen  unb 
Umgriffen,  ^)cmfte,  anbere  päpftlid)e  9)erfonen,  Äeger,  nad)läfftge  Sekret,  Scannen,  gottlofe  Sßeltleute, 
fünbige  (Sbriflen,  bis  ber  3?id)ter  2sefu3  @l)rijtu§  erfd)etnt.  Sfm  »ernennten  mir  juerji  im  2Bed)fetgefpräcb 
mit  ben  ©laubigen,  bie  fobann,  jur  .£>errlid)feit  eingebenb,  baS  ,,^)err  ©Ott  biet)  toben  mir"  anjn'mmen; 
plegt  boren  mir  tt)n  bas>  SBort  ber  SSermerfung  reben  ju  ben  Ungläubigen.  @tngerid)tet  für  ben  ©efang, 
mie  biefcS  ©efyräd)  hier  gefunben  mirb,  fcfyeint  e3  faft,  al§  fjabe  man  aueb  mobl  einen  fird)lid)en  ©ebraud) 
baoon  gemad)t,  fo  jmeifelfyaft  bteS  aud)  mieberum  mirb  burd)  feine  gro£e  Sange,  bie,  trog  beS  SBecbfel^ 
ber  spfatmobieen  für  bie  rebenben  ^erfonen,  bod)  crmüben  mufj. 

25er  mit  ben  33ud)jkben  D.  N.  S.  unb  einfad)en  SKelobieen,  obne  ©runbjfimme,  werfebenen 
lieber  finb  28  in  biefem  33ud)e;  ungeredjnet  biejenigen,  bie  jmar  jene  äSejeidnumg  füt)ren,  benen  aber 
feine  ©ingmeife,  ober  eine,  al§  entlebnt  genannte,  beigefügt  ift.  9Jleij}  flammen  bergletd)en  entlebnte 
2Beifen  au3  bem  alten  lateinifdjen  Äird)cngefange  unmittelbar,  ober  beffen  Umbilbungen  in  bem  geiftlid)en 
©efange  ber  böl)mifd)en  S5rüber.  2fud)  fold)e  Sieber  b<*ben  mir  nid)t  mitgejdblt,  bie,  obgleid)  burd)  jene 
S5ud)jiaben  bcjetcfynet,  bod)  nur  mit  einer  pfalmobifd)cn  gormel,  nid)t  aber  einer  georbneten  SJMobie  beglei- 
tet finb.  SSon  jenen  28  SUlelobieen  nun  bürften  mir  annebmen,  baß  fte  üon  «Selneccer  berrübren :  feine  un§ 
befannte  ©efcbicflid)feit  in  ber  SSonfunjt,  unb  jene  33e$etd)nung  läßt  e§  mutbmaafsen,  menn  aud)  feine 
23orrebe  un3  feine  2(nbeutung  meiter  barüber  giebt.  2Cuper  ben  fd)on  jut»or  ermdbnten  fünf  w'er=  unb  fünf= 
ftimmigen  SEonfägen  be§  2(nbang§  entbalt  aber  unfer  ©efangbud)  nod)  beren  toter  ju  »ier  (Stimmen. 
3uerjl  nennen  mir  Submig  ^>elmbolb§  Sieb : 

9tun  laßt  uns»  ©ort  bem  $erren**) 

25anffagen,  unb  ir)n  ebren 

SSon  megen  feinen  ©aben, 
 2)ie  mir  empfangen  baben. 

•)    Puer  natus  in  Bethlehem  8fc. 

Ex  legis  observantia  Sfc. 

Surrexit  Christus  hodie  §c. 

Spiritus  saneti  gratia  §*c. 
")   ©.  139.   ©.  SScifpiel  5lro.  106. 


@5  ift  überfcbrieben :  „^erjog  Sodann  grtet>rtd>en  ju  ©acbfen  II  ßieb  unb  Gratias?"  roeber  ber  9tame  be§ 
Siebter^,  noch  be§  ©e^erS  ift  genannt,  auch  mangeln  bie  S5ud>fiabert  D.  N.  S.  Sie  ©ingroetfe,  einfach,, 
burcbbin  9cote  gegen  9cote  gefegt,  ift  bie  noch  unter  un3  fortlebenbe,  jumeifi  für  $>aul  ©crf>orbg  Söiorgen- 
lieb:  ,,2Bacb'  auf  mein  ^>erj  unb  finge"  angeroenbete.  9Kan  pflegt  fie  ©elneccer  jujufdjreiben,  wofür 
inbefj  Fein  anberer  ©runb  »orbanben  ift,  al§  ihr  evfieS  Ghfcbeinen  in  feinem  ©efangbucbe;  bie  mangeinbr 
^Bezeichnung  laßt  feine  Urbeberfcfyaft  voieberum  bezweifeln.  2ßal)rfd)etnlicber  ift  biefelbe  bei  einem  anbern 
oierftimmigen  Siebe,  über  bem  jene  S3ud)ftaben  ftebens 

Saß  mich  bein  fepn  unb  bleiben, 

2)u  treuer  ©Ott  unb  £err, 

SSon  bir  laß  nichts  midb  treiben, 

4?alt'  mid)  bei  reiner  Setjr. 

$err  laß  mich,  nur  nid)t  wanfen, 

©ieb  mir  SSejiänbigfeit, 

Safür  will  ich  bir  banfen 

Sn  alle  ßwigfeit. 

©leid)  ber  oorigen  bat  biefe  ©ingweife  rbtjtbmtfcben  SBecbfel,  bie  2lrt  beS  £onfa£eS  läßt  auch,  wohl  auf 
einen  gleichen  Urheber  fcbließen.  £)od)  ift  33eibe$',  SBetfe  rote  @a&,  weniger  anfpreebenb;  jene  minber 
fließenb,  biefer  bureb  ben  Langel  ber  Serj  jumeilen  leer,  aud)  fehlt  e§  bem  ©cblußfa^e,  ber  fid)  in  S3inbmv 
gen  bewegt,  an  ©eroanbtbeit.  £)aß  biefe  SJielobie  fpäter  in  fird)licbem  ©ebraucfye  geblieben  fet),  habe  ich 
nid)t  ft'nben  fonnen ;  man  tjat  für  bas>  ßieb  jumeift  bie  fo  trefltcbe,  auö  weltlichem  ©efange  ftammenbc  bes 
©tetbeliebeS :  ,,^>erjlid)  tl)ut  mid)  »erlangen"  angewenbet. 

£)a§  britte,  mit  üierftimmigem  Sonfafj  begleitete  Sieb  füljrt  bie  Überfdbrift:  ,,'Knno  1565,  ©ott 
weiß  warumb, "  unb  feine  weitere  S5ejeid)nung.    @§  lautet: 

£tlf  #err  mein  ©Ott  in  biefer  9totb, 

£)u  treuer  £eilanb, 

Erbarm'  biet)  mein,  idb  bin  ja  bein 

Zto%  SSBelt,  Teufel  unb  ©ünb'. 

3d)  trau'  auf  bid)  o  Qm, 

3Ba§  will  id)  mehr. 

Sd)  bab'  ja  bid;,  ^)err  Sefu  (Sbrift, 

£)u  mein  Erretter  bift! 

Sd)  fing',  bin  frbt)lid),  guten  9SJ}utb£ 

Unb  harre  bein. 

2tmen,  t)ilf  #err,  2lmen ! 

©d)on  feine  roenig  oolBmäßige,  nicht  leid)t  faßlid)e  ©tropbe,  tonnte  biefem  Siebe  feinen  Eingang  gewüv 
nen  in  ben  Äircbengefang ;  ber  baju  mitgetbeilte  Sonfafe  erfebeint  aud)  feineöroegeö  al§  mebrftimmtgr 
SSebanblung  einer  liebbaften  ©ingweife.  ©eine  Sberfiimme  führt  jmar  wof)l  ben  £auptgefang,  unb  wenn 
wir  au§  biefem  bie  SSBieberholung  einzelner  SEBorte  unb  ber  ihnen  gleichmäßig  angepaßten,  melobifchen  2Ben 
bungen  auöfdbeiben,  unb  fo  ba3  ©an je  jufammenbrdngen,  laßt  ftch  enblid)  eine  einfach  beflamatorifcbc 
^Betonung  barauS  herftellen,  allein  immer  feine  SJlelobie,  ein  in  fieb  übereinftimmenb  geglieberteS ,  auch 


  409   

otjne  Die  SBorte  verjiänbltcheS  SSonbilt.  2Bte  ber  Sonfafc  vorliegt,  hält  er  ftd>  an  bert  rebegemäfjen  2£uö' 
brucf  ber  2Borte,  unb  fucht  nicht  in  funffreicher  SSerflecbtung  ber  (Stimmen,  fonbern  nur  juwetten  in  2Bed)= 
felgefängen  ber  oberen  unb  tieferen  Stimmen  einige  SSftanntchfaltigfeit.  Sieb  unb  Sonfafe  werben  aber,  ber 
fehlenben  SSuchftabenbejeichmmg  ungeachtet,  bennocb  von  Selneccer  herrühren.  £)ie  Überfchrift  beutet  auf 
eine  beftimmte,  verfonliche  SSejiefyung  bes>  £iebe3,  auf  einen  83orfaU  in  bem  barüber  gefegten  3af)re,  ben  ber 
Siebter  nicht  nennen  mag.  Daß  Selneccer  ein  ötel  angefochtener  9Rann  mar,  bafs  man  ihm  wie  feinem 
ßefyrer  unb  greunbe  Sftelancfytfyon,  ßauigfeit  unb  t)etmltcr;eä  hinneigen  ju  (SalvtnS  2ef)re  fchmähenb  vorwarf, 
roiffen  wir;  in  bem  Siebe  felbft  trbftet  ein  Angefochtener  ftch  mit  bem  S5eiftanbe  be§  ^>errn,  feines  drlbferä, 
Erretter»,  S5efd)üfeer6 ;  faum  bürften  wir  einen  anbern,  aB  Selneccer,  für  feinen  Urheber  hatten,  ber 
wohl,  in  einem  Augenblicke  bitterer  Äränftmg,  £roft  fuchte  mit  ben  ihm  verliehenen  ©aben  bei  Sem,  aB 
beffen  digenthum  er  ftch  muffte,  ,,trofc  SBelt,  Seufel  unb  Sünb,"  wie  ba3  Sieb  verftchert.  ßefen  wir  nun 
in  feiner  SebenSbcfchveibung  von  ©leid),  bafs  er  im  Sabje  1565  feines  Amtes?  aB  ^»oförebiger,  fo  fehr  auch 
ber  ßhurfürft  Auguft  unb  feine  ©emahlin  ihn  liebten,  aB  ein  hart  S5efchulbigter  entlaffen  worben,  unb 
£onnerftag3  ben  loten  SUZärj  £>re§ben  verlaffen  habe,  fo  bewährt  ftch  biefe  SSorauSfefjung  um  fo  mehr. 

2)a§  vierte  2ieb  enthält  ein  ©ebet  an  ©ott  SSater,  Sohn  unb  heiligen  ©eifjt,  in  brei  fedBjeiligen, 
in  ber  SRitte  reimenben  Strophen,  beren  erfte  folgenbermaafüen  lautet : 

£>  4?erre  ©Ott  in  meiner  9coth 

9?uf  ich  ju  btr,  bu  hilfeft  mir, 

SJiein  ßeib  unb  SeeF  ich  bir  befebj' 

Sn  beine  £änb',  bein'  @ngel  fenb', 

25er  mich  bewahr,  wenn  ich  f)tnfal>r 

S3on  biefer  SBelt,  £err,  wennS  bir  gfält. 
@§  ift  aber  nicht  von  Selneccer,  fonbern,  ber  Überfchrift  jufolge,  von  Sacob  ^änbl  (Gallus)  gefegt,  einem 
gefchä^ten  SKeifter  feiner  3ett,  au£  @rain  gebürtig,  ber  um  1587  am  £ofe  Äaifer  9?ubolf§  be§  3weiten  ju 
9)rag  lebte,  unb  vier  3al)r  fväter  (am  4ten  Suli  1591)  in  noch  blübenbem  Alter  ftarb.  £)a3  2ieb  ft'nben 
wir  noch  in  Sreiling^Jjaufen^  ©efangbuebe*),  bod)  mit  83erweifung  auf  bie  SQWobie:  83ater  unfer  im 
Himmelreich;  £änbl  hatte  für  jebe  Strophe  eine  eigene,  einfache,  würbig  behanbelte,  aber  nicht  volf§= 
mäßige  «Singweife  angewenbet ;  ich  habe  nicht  finben  können,  bafs  eine  berfelben  in  ben  evangelifchen  jtir-- 
chengefang  aufgenommen  wäre. 

Aufier  biefen  vier  Siebern  fchreiben  bie  Nachrichten  von  älteren  unb  neueren  ßieberverfaffern  aB 
Anhang  ju  $reiling3baufen3  ©efangbuch,  noch  einige  anbere  nebft  ihren  SDlelobieen  unferem  (Selneccer  ju, 
mit  SSe^ug  auf  fein  eben  befvrocheneS  ©efangbuch.    So  ba3  (Sterbelieb : 
@in  Söürmlein  bin  ich,  arm  unb  flein, 
SSon  SobeSnotb  umgeben**). 
@3  ift  auch  wirklich  bort  (S.  182)  ju  ft'nben,  allein  ohne  betgefefjte  9Jielobie,  mit  ber  Überfchrift:  „Durch 
Bartholomaeum  grohlich,  pastorem;"  hat  alfo,  nach  SelneccerS  eigenem  3eugniffe,  einen  anberen  Urt)e= 
ber.    (5ben  fo  wirb  bort  bas>  Sieb : 


•)   9?ro.  1405.  (1741.) 
~)   «Kro.  1365.  (1741.) 
i.  SBintttfetb,  ttr  esajtätt.  C^otafgefanj. 


52 


  410   


2Ccb  bleib'  bei  un§,  £err  3efu  S^riji, 
SBeil  e§  nun  tfbenb  worben  iji, 
al§  ba3  feinige  genannt*).  SSiele  feiner  Sieber,  ja,  bie  meiften  fonnen  wir  fagen,  haben  bie  ©tropfe  biefeö 
Siebes,  bie  »ierjeilig=ad)tft)lbige,  tambtfdjc,  für  bie  »tele  allgemein  bekannte  ©ingwetfen  »orbanben  ftnb, 
unb  für  bie  aud)  ©elneccer  in  feinem  ©efangbudbe  mel)re  neue  giebt.  2UIetn  Weber  Sieb  nod)  ©ingweife, 
wie  §reilingSb<*ufen  fie  mittbeilt,  beftnben  ftcb  in  bemfelben;  eben  fo  wenig  ftnb  fte  in  $rätoriu§  umfang* 
reifer  ©ammlung  »on  Äircbengefängen  anzutreffen.  Sa3  Sieb,  jebod)  mit  einem  motettenbaften  3)onfa|e, 
|tebt,  »ielleidbt  jum  erften  9Qcable,  in  9Qccld)ior  grattfS  Rosetulum  musicum  (Coburg  1627)  ;  ber  erfte  Ztyil 
be§  ©otbaifd)en  ßantionaB  (1646)  giebt  c§,  obne  ben  Siebter  ju  nennen,  mit  einem  fünfftimmigen  Zon-- 
fafce  »on  SBiereigen ;  erjt  (Srbarbt'S  9Qluftcalifdb.eS  @bor=  unb  gigural=©efangbudb  (1659)  nennt  ©elneccer 
all  ben  Siebter  beS  SiebcS,  neben  bem  jebod)  eine  anbere  ©ingweife  fleht,  als  bie  »on  SreilingSf)aufen  mit* 
geseilte.  £)b  eS  nun  gleich,  moglid)  bleibt,  baß  ©elneccer  Sieb  unb  Sßeife  jroifdben  1587  unb  1592,  bem 
Safere  feines  ^tnfdbetbenl,  gefungen  baben  fonne,  fo  ijt  boeb  fein  3lntb.  eil  an  beiben  ju  wenig  »erbürgt,  um 
S5eibe§,  nad)  fo  »iel  fpäteren  3cugniffen,  ü)m  jufd)reiben  ju  fonnen.  Csben  fo  beißt  in  ben  angefügten 
sJcad)rtd)ten  ©elneccer  aueb  SSerfaffer  be§  S£tfd)ltebe3: 

£err  ©ott  nun  fe»  geöreifet. 
SQlit  einer  eigenen  ©ingweife  erfetjemt  biefcS  ßieb  bei  greilingSbaufen  (9^0.  1537)  nidbt;  es>  roirb  bort  auf 
bie  be3  Siebes?:  ,,$err  ßbrift,  ber  einig  ©Otts  ©ol;n"  bingewtefen,  mit  bem  e§  eine  gleicbe  ©tro»be  bat. 
©elneccerS  ©efangbueb,  auf  baS  ftcb  jene  9^ad>rtd?ten  aB  £luelle  beziehen,  enthalt  aber  aud)  ba§  Sieb  felbfi 
nid)t,  ja,  niebt  einmal  beffen  ©tropbc  Sic  Angabe  jener  SRadbridbten  ift  baber  eine  unju»erldfftge.  (Sben 
fo  ift  c§  mit  einer  »ierten  ©tropbe  biefeS  StebeS,  einer  furjen  Umfdjreibung  bei  SSaterunfer  befebaffen : 

£)  SSater  aller  grommen, 

©ebeiligt  werb'  bein  9lam'  :c. 
bie  in  einigen  ©efangbücbcrn  ilnn  beigefügt  ift,  obgleich  biefe  ©tro»be  auch  roobl  bem  ^Bartholomäus  3cing= 
roalb,  ober  SSincent  ©dbmud  jugefebrieben  ju  werben  pflegt.  —  SaS  9QJüblbaufer  9Qcelobieenbud)  nennt 
©elneccer,  ohne  feine  Quelle  anjugeben,  als  Urbeber  ber  Sßeife  beS  £ifd)liebeS : 
©ingen  wir  auS  4?er£engrunb, 
Soben  ©ott  mit  unferm  90lunb  »c. 
SaS  Sieb  felbft  gebort  aber  nicht  ibm,  wie  wol)l  einige  angeben,  fonbern  bem  ^Bartholomäus  3?ingwalb 
an ;  feine  ©tropbe  »on  fiebert  trod)äifd)en  ftebenfplbigen  Seilen  f ommt  unter  allen  9Qielobiccn  in  ©elneccerS 
©efangbuebe  aud)  nicht  ein  einjigeS  90cabl  »or,  wie  fte  überbaust  im  folgenben  Sab^hnnbert  erjl,  wiewobl 
immer  nid)t  häufig,  im  Jtircbengefange  erfebeint.   "Xuä)  In'er  haben  wir  alfo  eine  Annahme  ohne  bejiimmteS 
3eugnij5,  bie  ftd)  allein  auf  ber  S3orau§feljung  grünbet,  bap  ber  angeblid)e  Siebter,  ba  er  jugleicb  SEom 
fünfter  gewefen,  aud)  wobl  Urbeber  ber  2Beife  feineä  SiebeS  fe»n  werbe, 
enblid)  gilt  ©elneccer  auch  all  Siebter  beS  S^eujabrgliebeS : 
Sefu  nun  fe»  ge»reifet, 

unO  ©änger  ber  Gelobte  beffelbcn ;  bevjenigen  namlid),  bie  aud)  Johann  ©ebaftian  S3ad),  feinen  (Sboval 


')   «Kro.  481.  eben  ba. 


411 


gefangen  jufolgc,  dreimal  bearbeitete,  unb  bie  bort  jebeSmabl  ionifd)er  Tonart  erfcfyeint.  SSon  tyr  finbet 
ft'cb  bei  Sodann  ^»ermann  ©dbein  (1627)  eine  Umbilbung,  meld)e  fie  jutefet  nad)  bem  2>ortfd)crt  binmenbet. 
£>urcb  ©elneccerS  ©efangbud)  wirb  jene  33ebauptung  ntd)t  bemäbrt,  benn  biefcä  enthält  meber  Sieb  nod) 
SSeife.  £a3  Sieb  fanb  idb  juerft  in  33ulm'u$  ©eifilid)en  ßiebem  (1609),  jebod)  mit  einer  ganj  »erfdjiebe; 
nen  SDtelobie,  bie  mobl  uon  biefem  Sonfefeer  tjerrütjren  bürfte.  SSulpiuS  nennt  ben  £)id)ter  be3  ßiebeS 
ntd)t,  eben  fo  wenig  Schein ;  33opeliu$,  ber  <Sdjein§  9Dielobie  imb  Sonfafc  unter  Nennung  feinet  Samens 
aufgenommen  bat*),  bejeidmet  ben  Siebter  beS  ßiebeä  burd)  bie  nid)i  ganj  beutlicfyen  SBorte :  Johanuis 
Hcrmanui  Itali  Senioris,  au3  benen  aber  minbefjcnS  in  feiner  Zxt  auf  ©elneccer  gefd)loffen  werben  !ann 
al»  25id)tcr,  ober  gar  ©änger").  2mbere  nennen  Sacob  .Ipänbl,  beffen  mir  jimor  gebadeten,  aB  Siebter  unb 
©änger ;  noch  'tfnberc  meinen,  er  fep  nur  bas>  legte  gewefen,  unb  bafyer  rubre  bie  falfd)e  SSoraueSfeljung, 
er  babe  aud)  ba3  ßieb  gebiet) tet,  biefeS  fep  aber  t>on  ©elneccer  gefdbeben.  Scirgenb  ft'nben  mir  aber  babei 
Die  ^Berufung  auf  eine  beftimmte  Quelle.  3n  ben  Sonmerfen  4?änbB,  bie  mir  bisher  jugänglid)  maren, 
babe  td>  meber  ba3  Sieb  gefunben,  nod)  einen  SSonfag  ber  bejetc^neten  SDZetobtc ;  aud)  läßt  fid)  au3  bem 
£itel  feine§  ber  mir  unbefannt  gebliebenen  »ermutben,  baß  e3  fie  entbalten  fbnne. 

35ie  ©tropbe  be§  ßiebeS,  mie  fie  in  ben  be5etd)neten  ÜKelobieen  gefaxt  morben,  ift  eine  jmbifjei; 
lige  iambifdje,  »on  regelmäßigem  2öed)fel  einer  fiebern  unb  einer  fed)§f»)lbtgen  Se'üe ;  fie  fann  aber  aud) 
finngemäß  fo  gefaßt  merben,  baß  fie,  »ierjetlig,  mit  gleichem  2Bed)fel,  burd)  ba§  ganje  ßieb  fjingeljt,  mo 
Dann  bie  ©ingweife:  „GbrifnB  ber  ift  mein  ßeben"  fid)  ü)r  anfdbließt.  ©o  febr  nun  aud)  ©elneccer  bie 
furjen  ©tropben,  namentlich,  bie  tierjeilig  aebtfr/tbige  tambifebe,  geliebt  bat,  bie  am  öfterften  in  feinen  ßie= 
Dem  vorkommt,  fo  ft'nben  mir  boeb  bie  ©tropfe  be§  ßiebeS:  ,,3efu  nun  fep  gepreifet"  in  ber  legtgebacbten 
Raffung  niemals  bei  ibm.  9cad)  allem  biefem  mangelt  e§  an  genügenben  Seugniffert  feiner  Urfjeberfcbaft,  fetj 
e3  DeS  ßiebeS,  fep  e$  ber  ©ingweife. 

Giner  SBiberlegung  ber  SBebauptung,  baß  ©elneccer  ©änger  ber  SSeife:  „Mein  ©Ott  in  ber 
$6^  fcp  Gl)r'"  gemefen,  mirb  e§  faum  bebürfen.  Gr  müßte  fie,  ba  fie  fdjon  um  1540  in  ben  t>on  2ottt)er 
ju  Söiagbeburg  berauSgcgebenen  9>falmen  unb  geifilieben  ßiebern,  bann  (1545)  in  SSalentin  33apfB  ©efang- 
buebe,  aud)  bei  ©Langenberg,  »orfommt,  als  .Knabe  oon  8  Sabren  gefungen  baben.  9cun  mirb  er  jmar 
aB  frübreifeS  Talent  für  Sonfunft  gefebilbert,  in  fo  jarten  Sabren  aber  nur  aB  fertiger  £>rgelfm'eler 
gerübmt;  ba3  ßieb  felbft  mirb  aud)  nicht  aB  ein  im  ©üben,  fonbern  im  9lorben  SeutfcblanbS  enrftanbeneä 
genannt,  fo  baß  jebenfalB  ©elneccerS  Urf)eberfd)aft  ju  bejmeifeln  ift. 

Ginige  ßieber  ©elneccerS  follen,  nad)  feiner  83erfid)erung  in  ber  SSorrebe  feines  ©efangbucfjeä, 
febon  »or  beffen  Grfd)einen  »on  „fürnebmen  SKufwif"  gefegt  morben  fepn,  beren  er  brei  nennt:  9Kattf)äu3 
le  5Kaijtre,  ©canbeüi  unb  SkccufiuS.  Sn  meld)em  tfjrer  SSBerfe  fie  ju  finben  fepen?  fagt  er  nid)t;  id;  t)abe 
nur  eineä  berfelben:  ,,^)ilf  £erre  ©Ott  in  meiner  9cotb"  unter  ben  geiftlidjen  unb  meltltd)en  beutfd)en 
©efängen  be§  ?Kattbäug  le  SDZaiftre  gefunben.  %ud)  merben  mir  babei  nid)t  fomobl  an  liebmäßige  9Kelo= 
bieen  unb  einfache,  mebrftimmtge  S3ebanblungen  berfelben,  aU  an  fünftltdjere  Sonfäge  „nad)  SJiotetten- 


')    ©SS.  1682.  p.  94—  96. 

")  2)qS  ©orfjatfdje  ßantional  in  ber  früheren  2CuSgabe  fetnc§  erjten  StjetleS  (1646)  läf t  ben  Urfjebec  ber  oon 
itjm  mitgetfjeüten  SBcife  unb  iftreö  SonfafceS  ungeroipj  in  ber  fpateren  (1651)  nennt  eS  SSutpiu«,  obgleid)  SeibeS  nic^t 
auS  beffen  Äirc^engefd'ngcn  entnommen  ift. 

52* 


ort"  ju  benfen  haben,  dürfen  (lifo  attd)  ntctjt  hoffen,  ben  Sföclobieenüorrath  fea  er>angelifd)en  £ird)e  baburd) 
vermehrt  ju  fernen,  ober  2(uffd)lüffe  über  t>ie  Urheber  fdjon  in  bcnfelben  aufgenommener  ©ingmeifen  ju 
erhalten. 

£>afj  in  ©elneccer  btc  ©abe  beS  £>ichterS  unb  ©ängerS  in  »ielen  gälten,  feltener  bie  beS  Severe 
mit  beibcn,  ober  einer  »on  irmen,  »ereint  gemefen  fei;,  haben  wir  in  bem  Vorigen  gefefyen.  SSJiit  einiger 
Sicherheit  rönnen  mir  jebod)  nur  eine  einzige  ©ingmeife  nennen,  bie,  mit  einer  geringen  33eränberung, 
noch,  gcgcnmdrtig  unter  unS  fortlebt,  ©ein  TTnbenfen  als  etneS  frommen,  milben,  treuen  SDlanneS,  wirb 
ber  eoangelifchen  Äird)e  immer  efnwürbig  bleiben. 

Äurje  3eit,  nad)bem  ©elneccer  feine  ©teile  als  .!pofprebiger  51t  £)reSben  oerlaffen  hatte,  mürbe 
•21  nt  Dilti»  Z  £  an  bellt,  ein  Italiener,  bort  5um  £>irector  ber  ßhurfürfilidhen  ßapellc  ernannt, 
gegen  3Beil)nad)tcn  1562.  @S  ift  ungemifj,  ob  er  nicht  bereits  jur  Seit  beS  @l)urfürften  SJiorig  eine  ©teile 
al§  SSonfefcer  bort  befleibete;  SBalter,  unb  nach  il)m  ©erber,  nennen  eine  Don  il)m  gefegte,  fed)Sftimmigc 
SJieffe,  unter  bem  SSirel :  Epitaphium  Mauritii,  welche  ©eorg  gabriciuS  herausgegeben  t>abe,  morauS  min* 
bejtenS  bieäkrmuthung  »on  einem  §3erl)dltniffe  bcS©bnnerS  unb  ©d)ü£lingS  entftcl)t  jmifd)en  il)m,  unb  bem 
in  ber  ©d)lad)t  oon  ©icoerShaufen  (1553)  gefallenen  ßhurfürjten  SJZorifc.  3n  bie  Seit  feiner  fpäteren 
Amtsführung  fallt  bie  Verausgabe  jmeier  »on  il;m  herrühjenber  2iebcrbüd)er,  megen  beren  er  hier  eine 
©teile  uerbient.  £)aS  erfte  berfelbcn  erfd)ien  ju  Dürnberg  bei  £>ietrid;  ©crlafj  um  1508  unter  bem  Sitel : 
Werve  teutfeibe  ßieblein  mit  SSier  unb  §ünff  ©timmen,  melcfye  ganj  lieblid)  ju  fingen,  unb  auf  allerlei) 
3nftrumenten  ju  gebrauchen,  burd)  Antonium  ©canbellum,  ßhurfürftltcher  ©naben  ju  ©achfen  (Sapellmei* 
fter,  »erfertigt.  @S  ift  bem  ßhurfürften  Auguft  jugeeignet,  unb  enthalt  jmblf  geiftlidje  ©efdnge,  jel;n  ju 
»ier,  unb  jmei  ju  fünf  ©timmen,  alle  motettenhaft  behanbelt,  bis  auf  bie  einfad)  gefegten  Sieber:  „gobet 
ben  ,£>errn,  benn  er  ift  fefyr  freunblid)"  (9cro.  5.)  unb  „SBenn  mir  in  f)bd)ften  9lbtl)en  fetm"  (9cro.  7),  für 
bie  er  aud)  bie  ©ingmeifen  erfunben  hat.  £>enn  ju  biefem  legten  t>at  er  ftd)  nid)t  ber  fpäter  erft  üblichen 
bebient,  bie  urfprünglid)  bem  140(ien  ber  franjbfifcfyen  $)falme,  unb  ben  ihnen  angehängten  jel)n  ©eboten 
eignet;  biefe  bat  inbef;  nad)malS,  burd;  einige  SSeränbcrungen  bem  ßiebe  nod)  eigener  anbequemt,  bie  feinige 
übermogen,  bie  faum  irgenbmo  örtliche  ©eltung  erlangte,  ©eine  SSJielobie  jenes  anberen  SiebeS  bagegen 
fanb  fofort  tfnflang,  ja,  ft'e  pflanze  bis  in  baS  17te  3al)rhunbcrt  hinein  mit  ihrem  einfad)  mürbigen  SEom 
fafce  unoeränbert  fid)  fort,  unb  fchmücft  nod)  gegenwärtig  ben  ©efang  in  unferen  Äirdjen.  3hr  Sieb  ift 
über  ben  147ften  $)falm  gebid)tet,  unb  feine  erfte  ©trophe  lautet: 

Cobet  ben  sperren,  benn  er  ift  fel)r  freunblid), 

es  ift  fehr  fbftlid),  unfern  ©Ott  ju  loben; 

©ein  £ob  ift  fd)bn  unb  lieblid)  anjufjbren, 

ßobet  ben  sperren!*) 

©canbeüTS  ©ingmeife  ift  mehr  pfalmobifd)  als  liebhaft  gehalten;  auS  bem  33eftreben  beS  SftetjterS,  jebem 
2Sorte,  jeber  ©t)lbe  bie  richtige  unb  angemeffene  S3etonung  ju  geben,  ergiebt  ftd)  rhpthmifcher  SBechfel  oon 
felber.  3n  anberer  SSebeutung  freilich  erfd)eint  er  hier  als  bei  »olfSmäfjigen  ©ingmeifen,  mo  er  auch  melo* 
bifd)  geftaltenb  unb  bejetd)nenb  ift.  £)ennocf)  hat  er,  obgleich  beflamatorifd)  herüortretenb,  bei  bem  ange^ 
nehmen  gtuffe  ber  ganjen  2Beife,  berfelben  ©unft  unb  ©auer  gemonnen.  @in  jmeiteS  IMeberbud),  baS  unS 


')    ®.  Scifpitl  9Jro.  39. 


  413   

ben  SOtetftcr  jebocb  nur  all  Sonfefter,  unb  nicht  als  Sänger  jeigt,  erfriert  1575  ju  £)reSben  bei  ©trael 
Sergen,  unter  bem  SEitel  :  „9ceue  fchöne  aufjerlefene  beutfehe  gcifllidje  2ieber,  ganj  lieblicf)  ju  fingen,  unb 
auf  allert)anb  Jnffrumenten  ju  gebrauchen,  Samvt  einem  dialogo  mit  ad>t  Stimmen.  25urd)  'tfntonium 
Scanbellum,  ßf)urf.  Surchlaudjt  ju  Sachfen  ßavellmcifter  comvoniret,  auch  von  ihm  fclbft  corrigiret  unb 
in  iSrttcf  verfertiget."  6S  enthält  im  ©anjen,  —  bie  fünfmal)!  vorfommenben  jroeiten  Steile  einzelner 
©efänge  nicht  mitgerechnet,  —  23  £onfdl|e:  19  fünfflimmige,  jroei  fcchSftimmige,  einen  ju  fteben  unb 
einen  3U  acht  Stimmen,  roeld)e  mit  alleiniger  tfuSnar/me  breier  (Rxo.  4.  14.  18.)  geiftliche  £teber 
behanbeln.  £>iefe  S3el;anblung  ift  faft  burdnveg  eine  motettenfjafte  5  bie  vollftänbige,  unjertrennte  9Kelobic 
erfebeint  in  feiner  ber  verbunbenen  Stimmen,  bie  vielmehr  nur  bie  einzelnen  SOMobtejcilen  nacbafjment 
bureb, führen.  So  ijl  eS  unter  2lnberm  bei  bem  ftebenjttmmigen  Safte  über  bie  fvätere  Sftelobie  beS  lutherü 
fd)en  ßtebee :  „9hm  freut  euch,  lieben  ßhrifiengmein";  roirflich  Ijarmonifdrj  entfaltet  begegnet  biefe  unS 
erft  in  3-  EccarbS  fünffiimmigem  Safte  (1597).  9htr  in  fteben  gällen  giebt  Scanbelli  bie  SJielobie  bem 
Zmot,  als  einen,  von  ben  anberen  Stimmen  umfchloffenen,  feften  ©efang.  Allein  auch  hier  iff  fte  feiten 
frei  von  SBieberholung  einjelner  Beilen,  unb  von  3n?tfd>enfd^en.  2lm  reinjien  noch  erfdbetnt  fte  in  bem 
&ebe:  ßhrijle  ber  bu  bift  5£ag  unb  Sicht,  roo  nur  bie  lefeje  Seile  voieberholt,  unb  baburd)  baS 
innere  SSerhättnifj  ber  SSeife  nicht  getrübt  roirb ;  in  anberen  gällen  bagegen  treten  2Bicberl)olungen  biefer 
Kxt  in  ber  Sötitte  ein,  juroeilen  nach  bem  2üifgefange,  jtbrenber  noch  w  SOZitte  beS  2lbgefangeS,  jumal)! 
roenn  noch  @infd)iebfel  hinjufommen,  rote  bei  ben  Söielobteen  ber  2ieber:  £err  r ifl  ber  einig 
©Otts  Sohn  je,  SBo  ©ott  ber  Spexx  nicht  bei  unS  hält  2c,  £)  £erre  ©ott,  bein  gbtt= 
lieh  SB  ort  tc.  liefern  allem  jufolge  ftef?t  Scanbelli  in  mehrjtimmigen  Säften  über  geiftliche  Singroeifen 
lebiglid}  auf  bem  Stanbvunfte  ber  SEJieijler  auS  ber  früheren  ^älfte  beS  Jahrhunderts,  unb  roenn  er  auch 
einige  berfelben  an  ©eroanbtheit  ber  Stimmenführung  übertreffen  mag,  fo  ijl  bod)  ein  roefentltdber  gort-- 
fchrttt  in  wahrhaft  harmonifchcr  Entfaltung  ihm  nicht  nachzurühmen,  unb  nur  ba,  roo  er  felber  auch  Sän= 
ger  ber  SJlelobie  tjt,  ein  Streben  banach  ftchtbar. 

Sie  brei  ©aben  beS  Richters,  SängerS  unb  SefterS,  ftnben  roir  vereinigt  in  Johann 
3teurletn.  2öaS  mir  von  feinen  2ebenSumjiänben  roiffen,  befebranft  ft'ch  faft  einjig  auf  bie  tfmter 
unb  ©brenftellen,  bie  er  ju  verfdn'ebenen  Seiten  befleibete.  6r  roar  im  Juli  154G  ju  Schmalfalben  geboren, 
ein  Sohn  beS  erften  evangelifchen  ^»aftorS  bafelbft.  Um  1580  fi'nben  roir  ihn  als  Stabtfchreiber  ju  3Bafun= 
gen  in  ber  Jürfltichen  ©raffdjaft  Spenneberg ;  fväter,  roohl  erft  nach  1588,  benn  in  biefem  Jahre  führt  er 
nod)  jenen  Settel ,  rourbe  er  ßanjlew  s  SecretariuS  ju  SJieinungen,  um  1604  Stabtfchultheifj  bafelbft. 
Äaifer  9fubolf  ber  ßvoeite  oerlieh  ihm  bie  £>ichterfrone  unb  baS  limt  eineS  öffentlichen  faiferlichen  Notars ; 
als  fein  SobeStag  roirb  ber  5te  Wlai  1613  angegeben.  So  bürftig  btenacb  unfere  Äunbe  von  ihm  aud)  ift, 
fo  reicht  fte  bod)  hin,  unS  bie  Überjeugung  ju  geben,  baff  £icb>  unb  Sonfunft  nicht  fein  SebenSberuf 
roaren,  fonbern  baf  er  an  beiben  als  Erholung  von  feinen  tfmtSlaften  f<ct>  erfreute  unb  ftärfte.  Seine 
SBerfe  geben  3eugnifi  bavon,  baß  er  in  ber  legten  eS  ju  einer  achtbaren  gertigfeit  gebracht  batte,  unb  auch 
alS  SSonfünjiler  gefehlt  roar.  S3on  ihnen,  wie  SSBalter,  unb  ©erber  in  feinem  alten  unb  neuen  £onfünfiler= 
ßericon  fte  anführen,  h^e  ich  nur  ei"  einjigeS  gefebert  unb  genau  unterfudjt,  vielleicht  roohl  baS  roichtigfte 
unter  allen,  fofern  nach  ben  Sitein  ber  übrigen  mit  Sicherheit  barauf  ft'ch  fd)liefjen  laßt.  Wit  Übergehung 
berer,  bie  fdjon  banad)  nicht  fn'eher  gehören  mürben,  jeichnen  roir  biejenigen  auf,  bie  für  ben  evangelifchen 
Äircbengefang  von  Erheblid)feit  fevn  bürften.    Unter  ben  Jahren  1571  unb  1578,  juerjl  ju  SSittenberg, 


tarni  ju  Dürnberg  (vielleicht  als  neue  Auflage)  gebrucft,  werben  üier=,  fünf*  unb  fed)§ftimmtge  ©efängc, 
Iatcinifcb  unb  beutfd),  genannt;  1573  ein  @brültid)cr  SOßorgem  unb  2lbenbfegen  au§  ßutfyerS  £ated)temus 
gejogen,  burd)  9cicolau3  Jperrmann  reimvocife  »erfaßt,  unb  mit  ttier  Stimmen  jufammengefefct;  1574  ba§ 
trcftlicbe  ©ebetletn:  ^)err  Sefu  ßbrtft,  ma!)t'  Sftenfd)  unb  ©Ott,  ju  »ier,  fünf,  fed)S  Stimmen, 
in  (Erfurt  gebrucft;  1575  baS  beutfd)e  S3enebicite  unb  ©ratiaS  ju  fünf  Stimmen,  unb  XXI  geijtlicfye  Ste= 
Der  von  »ier  Stimmen,  ben  gottfeeligen  ßfjrtflen  jugertdjt  burd)  9Ji.  gubroig  4?etmbolb  aus  gERütjIfjaufen, 
ju  (Erfurt  erfd)ienen;  1588,  nad)  einem  längeren  Zeiträume,  menn  nidbt  melleid)t  frühere  Ausgaben  ooram 
gingen,  juerff,  unter  bem  SSitel  Epithalamia,  eine  Sammlung  beutfcfyer  unb  lateinifcber  £od)seit3gefänge, 
mabrfdieinlid)  bei  früheren  ©elegenbciten  einjeln  gebid)tet  unb  gefegt,  unb  nunmehr  jufammengeftellt,  unb 
baSjentge  SBerf,  uon  bem  f)ier  allein  au3  eigener  2lnftd)t  gerebet  «erben  fann.  @3  ftnb  27  geiftltd)e  ©e= 
fange,  ju  Arfurt  bei  ©eorg  S5aumann  gebrucft,  unb  t>on  &;riacu§  Scbneegafj,  Pfarrer  ju  grtebrich§roba, 
bureb  ein  SSormort  eingeleitet*).  SSon  biefen  ©efängen  ftnb  beren  brei  mit  SteurleinS,  als  be§  Std)ter§ 
tarnen  bejeiebnet  (ber  4te,  6te,  17te),  oier  in  eben  biefem  Sinne  mit  bem  be§  ßpriacuS  Sdmecgaf,  beS 
SSorrebnerS  (ber  5te,  Ute,  12te,  16te),  jroei  mit  bem  be§  (SraSmuS  tflber  (ber  22jte  unb  23jte),  ben 
übrigen  fehlt  jebe  9iamenbejeid)nung.  (Elf  unter  biefen  SEonfä^en  ftnb  auf  Söiotettenart  gerichtet,  bie  übrü 
gen  fechjelm,  bie  SOßehrjabl,  haben  liebmäfjige§  ©epräge.  SSefannte  SCßelobieen  fommen  barunter  nicht 
oor;  bod)  ift  e3  merfroürbig,  ju  bem  ßiebe  SutbersS :  ,,3efuö  SbriftuS  unfer  £eilanb,  ber  ben  £ob  über* 
roanb"**)  (iftro.  10)  eine  mirolpbtfdje  2Beife  ju  ft'nben,  welche,  bie  Tonart  abgeregnet,  in  ihren 
melobifd)cn  SBenbungen  jumeijt  ber  borifd)en  ftd)  anfcbltefit,  mit  ber  baö  ßieb  in  ÄlttgS  unb  SSalenttn 
S5apft§  ©efangbüdjern  (1535,  1543,  1545)  erfdbeint.  Siefer  »on  ihm  mtroltjbtfdb,  umgeftalteten  SDlelobte 
bat  aber  Steurlein  am  Ausgange  burd)  bie  Harmonie  einen  tonifeben  Sd)luf3  nad)  C  gegeben,  wäbrenb 
mir  nacb  ber  gortberoegung  ber  tieferen  Stimmen  ju  bem  legten  fortflingenben  Sone  ber  £)berftimme  einen 
balben  mirolt)btfcben  Schluß  erwartet  hätten.  So  ift  bie  Umbilbung  ber  SJMobte  in  eine  »eroanbte  £on; 
art  burd)  beren  näcbfie  mobulatorifebe  33ejiebung  faft  mteberum  »eroifebt !  ein  jroetteä  motettenbaft  beban= 
beltcS  £ieb  ßutberS:  ,,SDiit  grieb'  unb  greub'  id)  fahr'  babin"  (üftro.  14)  bat  eine  oon  feiner  urfprünglicben 
ganj  oerfd)iebene  Singmeife,  beren  3eÜen  bie  melobifcben  ©runbgebanfen  be§  SEongeroebeS  bilben.  2tHe 
sJKclobieen  biefe§  2Berfd)en$>  bürfen  mir  bienad)  unferem  Steurlein  als  erfunbene,  ober  bod)  umgejlaltete 
beimeffen. 

Sie  ftnb  fangbar,  unb  in  ben  einfad)  gefegten  tritt,  eben  roie  bei  3böd)im  von  SSurg!  nad)  %<xtob 
Meilantö  Vorgänge,  ba3  S5eftreben  berüor  nad)  fpracbgemäp  richtiger  S5etonung  ber  SSBorte  unb  Selben, 
moburd)  aud)  b'"  iumeijt  rfwtbmifcber  SBecbfel  ft'd)  bilbet.  Siefer  jebod),  —  unb  barin  übertrifft  Steurlein 
beibe  SKeifter,  —  ift  b,'m  mit  bem  eigentlich  melobifcben  S3e(tanbtheile  ber  SBeifen  mehr  »erfchmoljen,  fte 
erfcheinen  fangbarer,  ftnb  in  ber  Harmonie  aud)  reicher  unb  mannichfaltiger.  Sie  meifien  biefer  SBeifen, 
menn  fte  ihre  erjte  Bette  mit  rht)thmifd)em  SBechfel  beginnen,  mieberholen  biefe  mit  berfelben  melobifcben 


•)  Sieben  unb  3rocnjigf  SKeue  ©eijltiche  ©efängc  mit  »ier  Stimmen  tompbnirt,  unb  in  2)ruct,  ber  lieben 
3ugenb  ju  ©ut  oerorbnet  bureb,  Johanncm  Steurlein  ScbmalkaldeDsem,  ©tobtfcb,rciber  ju  2Bafungen  in  ber  prftlicben 
«raffchaft  £ennebetg.  5Wit  einer  SBorrebe  beS  (Sbrnürbigen  Jperrn  SOc.  Stiriaci  ©ebneegaf,  «Pfarrer  ju  gricbricbSroba, 
unb  ber  2Beimartfd)en  ©uperintenbenj  adjnocii,  1588.  ©ebruett  Srfurbt  bureb  ©eorgium  SSaromann,  »of)nf)aftig 
atf  bem  gifcb,marctt. 

")   ®.  Seifpiet  9cro.  107. 


SBenbung,  aber  nunmehr  mit  £önen  gleicher  Sauer ;  juweilen  fommen  dergleichen  SBStebertjolungen  aud) 
am  dnbe  be3  Aufgefangen  ber  SERetobie,  ober  am  ©cbluffe  t>or;  an  biefer  ©teile  bleiben  felbft  längere  ©nl= 
bcnbeljnungen  bem  ©efange  nidjt  fremb.  (§3  fmb  biefeS  Eigenheiten,  bie  bem  oolfSmäfiig  liebhatten 
©epräge  be§  ©efangcS  ber  Siegel  nacb,  entgegen  fmb,  bod)  würben  fte  ber  Aufnahme  biefer  SJielobiecn  in 
ben  Äirdbengefang  nicht  binberlicb  gewefen  fenn,  ba  alles  biefeS,  tf>rer  ©runbgeftalt  unbefcfyabet,  ju  befei= 
tigen  mar.  dennoch,  läfst  ft'cb,  nicbt  nadjweifen,  bafj  eine  ber  SEftelobieen  aus  biefem  SBcrfe,  ober  fonft  eine 
»on  ©teurlein  berrübrenbe,  in  ben  Äircbengefang  übergegangen  wäre,  ©ewbrmlicb  wirb  ibm  bie  SBeife 
be§  9ceujabr3liebe3 :  „Sa§  alte  SUb*  »ergangen  ift,"  ba3  er  felber  bietete,  unb  bie  ju  tyaul 
(SberS  Siebe:  „4?err  Sefu  &i>xifi,  wahr'  SKenfcb,  unb  ©Ott"  jugefcbrieben.  Sa3  erfte  ftebt 
allerbingS  mit  einer  SDMobie  oon  ©teurlein  in  bem  eben  befproch  enen  SBerfe,  wo  e§  bie  erfte  ©teile  ein= 
nimmt;  allein  jene  ift  nicht  bie  nod)  je^t  gebräuchliche,  bie  angeblich  oon  ilnn  berühren  foll.  Siefe  ftnb» 
ich  nicht  früher,  al§  in  bem  erften  Sheile  be3  ©othaifchen  GanttonaB  (1646,  9cro.  19),  wo  fte  mit 
©teurleinS  tarnen  bezeichnet  ift.  Allein  baburch  wirb  nichts  entfchieben,  weil  jener  burch  biefe  SSejcicrr 
nung  wohl  nur  als  Sichter  be§  StebeS  genannt  werben  foll,  wie  benn  überhaupt  jenes  ßantional  bie 
Urheberfchaft  als  ©änger  ober  ©efeer  gewöhnlich  burch  bieSöorte:  autor  melodiae,  ober  autor  compo- 
sitionis  anjubeuten  pflegt.  Sie  ^Bezeichnung  biefer  9Jielobie  mit  ©teurlcinS  üftamen  burch  ben  fo  tuel  fpä= 
teren  SSopeliuS  (1682)  \)at  noch  »tel  weniger  ©ewiebt.  SaS  Sieb :  „£err  Sefu  Gbrift,  wahr'  SKenfch  unb 
©Ott"  bichtete  ^aul  gber  im  Sah"  1557  für  feine  Jtinber;  Hambach  [Anthologie  II.  122]  fanb  e3  juerft 
in  einem,  noch  bei  be£  Sid)ter§  Seben  erfchienenen  Hamburger  ©efangbuche  oon  1565,  wo  e3  bie  Über* 
febrift  führt:  D.  P.  Eberus  filiolis  suis  faciebat,  1557.  (Sine  eigene  SBeife  wirb  e§  bamalä  noch  mch* 
gehabt  haben,  fonbern  nach  ber  SDielobie :  „SSater  Unfer  im  Himmelreich/'  gefungen  worben  fepn,  welcher 
feine  fechSjeiltg^acbtfwlbige,  iambifche  Strophe  fid>  anfcbließt.  Ser  (Srfte,  fo  üiel  ich  fmben  tonnte,  ber 
ihm  eine  felbftänbige  SDlelobie  gab,  jeboch  nach  »ierjeiligen  ©tropben,  war  SKattbäuS  te  SQtaifjre,  um  1566, 
in  feinen  ©eidlichen  unb  ©Seitlichen  Seutfcben  ©efängen  mit  toter  unb  fünf  Stimmen  (Sero.  61)  5  fte  ift 
ionifcher  Sonart*),  imb  erfcheint  fpäter  in  feinem  ber  ©ingebücber  beS  16ten  Sahrh"n^ertS  wieber.  Senn 
biefe  oerweifen  entweber  —  wie  bie  ju  ©traf  bürg  bei  SbeoboftuS  Reichel  1569  erfdjienenen  „9>falmen, 
geiftliche  Sieber  unb  ©efänge,"  in  benen  ba§  Sieb  auf  bem  222ften  ^Blatte  ftebt  —  bei  fccbSjeiliger  ©tropbe 
auf  bie  SQielobie  oon  SutberS  eben  genanntem  Äatedn'ämuSliebe ;  ober,  wenn  baei  Sieb  nach  »ierjeiligen 
©trophen  abgetheilt  wirb  (beren  eS  bann  jwblf  ftatt  jefm  erhält),  neben  jener  erften  auf  „fonft  eine  gemeine 
SEßelobie  mit  wer  ßlaufeln,"  wie  e3  in  bem  Anhange  ju  ben  Äirchengefängen  ber  böbmifeben  SSrüber 
(1566,  Sßlatt  70)  gefd)ieht.  9cun  wirb  un3  als  oon  ©teurlein  ju  oier,  fünf  unb  fech§  ©timmen  gefefet, 
unb  ju  ©rfurt  1574  gebrueft,  ba§  juoor  fdjon  erwähnte  2Berfd)en  genannt:  „Sa§  trbftltche  ©ebetlein : 
$err  3efu  <5t)rtft,  wahr'  9)cenfch  unb  ©Ott,"  ohne  weiteren  SSertdjt  barüber  ju  geben;  ju  feiner  eigenen 
Anfchauung  habe  ich,  t^ofe  aller  gorfdnmg  banad),  nicht  gelangen  tonnen.  Au§  bem  Sitel  biefes  S3üch- 
leinä  folgert  man,  ©teurlein  habe  eine  Söielobie  ju  unferem  Siebe  gefungen,  ohne  biejenige  unter  ben  breien, 


2Mefe  9Ketcbte  erfdjeint  oierftimmig  bei  SKtc^acl  ^rdtoriug  (Mus.  Sion.  VIII.  1610.  9Zro.  173.).  (Sr  füf>rt 
inbef  biefelbe,  fo  rok  anbete  für  btefeS  Sieb,  nur  als  oorfyanbene,  nid^t  als  ort  lieb  9  ebr  ä' ud)  lieb  c  «"f/  *oit  er 
ti  fonft  ju  tljun  pflegt. 


c-ie  nod)  jc§t  fafür  in  ©ebraud)  fmb,  näher  ju  bejetdjnen.  Allein  junächft  fann  tiefe  bloße  2(uffd)rift  eben 
io  wobl  auf  mehrftimmige  ©ä^e  nad)  Slftotettenart  gebeutet  »erben,  al§  auf  liebbafte;  biefen  fann  aber 
auch  eine  ber  für  baS  Sieb  früher  fd)on  in  "JCnfprucb  genommenen  fremben  ©ingwtifen,  e£  fann  ihnen  bie 
t<e?  Matthäus  le  SJJaijfre  ju  ©runbe  gelegen  haben,  ©teurlein  alfo  blofi  Sonf  er,  ntdjt  ©änger  gewe= 
fen  fcrm.  %ud)  bleibt  bie  Vermittlung  nicht  auSgefchloffen ,  jene  ©äfce,  wenn  motettenf)aft,  fetjen  auf 
freien  Srftnbungen  be§  SonfünftlerS  gegrünbet  gemcfen,  unb  e3  f;abe  eine  äufammenbängenbe,  fliefenbe 
füMobie  burd)  bie  3ufammenjretlung  ihrer  SJcotiüe  nid)t  bargefMt  werben  fbnnen.  (5inen  ©afe  foldjer  2frt 
beft'feen  wir  über  unfer  Sieb  namentlich,  r>on  ©alluS  krepier,  ju  üier  Stimmen,  unb  ^l)rpgifd)er  Sonart,  in 
feinen  51t  Dürnberg  1580  gebrucftcn  ,,au§erlefenen  teutfchen  Siebern. "  £)aju  fommt,  baß  felbjl  um  1584 
nod)  —  alfo  jel;n  %a[)xe  fpätcr  atö  ©teurlein  feine  neue  SJZetobie  gefungen  haben  foll  —  ba§  an  ©ingweifen 
fo  reid)  unb  luVllftänbig  auSgcftattcte  3infeifenfd)e  ©efangbud)  immer  nod)  eine  ähnliche  Surüdweifung  auf 
ä  1 1  e  r  e  ?Ketobieen  für  unfer  Sieb  enthält,  al§  bie  früheren,  unb  baß  fogar  nod?  um  1593  ba§  £>re3bner 
©efangbud)  nur  eine  fold)e,  unb  feine  eigene  ©ingweife  bafür  giebt.  ©elbftdnbtge,  unb  allgemeiner  »er= 
breitete  SDtelobieen  unfereS  StebeS  ft'nbe  ich  erft  gegen  ba§  @nbe  be3  3af)rhunbert§ :  jmei  berfelben  erfcbeinen 
gleicbjeitig  um  1597,  eine  mtrolpbtfdjem  ©etb  ßalüifiuS  Harmon.  cantionum  ecclesiasticarum*), 
nad)  fed)§jeiliger  ©trophenabtbeilung,  unb  eine  i  0  n  i  f  d)  e  in3>ol)ann@ccarb§  fünffitmmigen  itird)en= 
gefangen**;,  nad)  üierjeiliger.  2Bal)rfd)einlid)  tfjt  bie  eine  rote  bie  anbere  »on  bem  9Jieifter  gefungen,  bei 
oem  fte  hier  jum  erften  9Kable  erfcbeint;  namentlich  bürfen  wir  biefeS  t»on  ber  beiS.  ©ccarb  uns>  begegnenben 
annehmen,  ©ein  ©onner  unb  2)icnftl)err,  SERarfgraf  ©eorg  grtebricb  »on  33ranbenburg=2(nfpad),  33erwal= 
ter  be§  ^)erjogtt)um§  Greußen,  liebte,  wie  ba§  beutfcbe  #gnuS  Sei:  „£)  Samm  ©otteS  unfdmlbig,"  fo  »or 
allen  ba§  Sieb :  ,,Sr>m  Scfu  @brift,  roal)r'  SJienfd)  unb  ©ort"  als>  erbebenb  unb  troftticb.  ©ein  Seidben-- 
veoner,  '2(bbia3  5ßicfer3,  erjdblt  uns>,  er  habe  e§  in  bie  meijfen  feiner  ©ebetbücber  einfchreiben  laffen,  um 
eS  ftetS  jur  £anb  ju  haben ;  bie  i()m  liebften  ©tropben  beffelben  habe  er  in  anbere  mit  eigener  £anb  einge= 
tragen ;  er  habe  beffen  nod)  in  feinen  legten  ©tunben  gebad)t.  £>a§  Sieb  mar  in  Greußen,  wie  in  #nfpad), 
nad)  incrjeiliger  2(btl)eilung  gebräuchlich ;  biefer  ift  auch  bie  ©ingmcife  angepaßt,  bie  mir  bei  Grccarb  ftnben. 
55romme,  heitere  3u»erfid)t  brüdt  fid)  in  ihr  au$,  ber  rhpthmifcbe  2Bed)fel  am  ©cbluffe  ihrer  jmeiten  unb 
inerten  3eile  tritt  jugleid)  frdftig  unb  belebenb  ber»or.  Äaum  bürfen  mir  jmeifeln,  bap  in  ber  Vorliebe 
fetneS  gürften  ber  9)ieijter  eine  S3eranlaffung  gefunben  f;abe,  biefem  Siebe,  ba$  bisher  nur  fremben  9JMo= 
bicen  angepaßt  »orben  mar,  eine  ihm  eigene,  feinen  Äon  eigentümlich,  anflingenbe,  ju  gefeiten.  Sine  äbn= 
liehe  95emanbtnip  mag  e§  mit  ber  bei  ©etl)  ßalüiftu§  für  bie  jmeite,  fech^jeilige  gorm  unfereS  Siebet  juerfi 
erfcheinenben  ©ingmeife  haben.  Von  beiben  ftnbct  ftcb  früher  feine  ©pur,  fpdter  bebient  man  ftcb  ihrer 
für  bie  eine  unb  anbere  ©tropbenart  »orjug§meife;  follte  man  fte  alfo  nicht  juöor  fd)on  angemenbet  haben, 
menn  fte  mirflid)  vorhanben  gemefen  mären?  ©an5  millführlicf;  hat  man  wohl  bie  ionifdbe,  »terjeilige, 
c-em  ©ottharb  (S:rr;tbräu3  beigemeffen ;  benn  nicht  aüein  bap  (Sccarb§  Äird)engefänge  ben  feinigen,  bie  erft 
1008  erfdjienen,  um  elf  3at)te  »orangegangen  waren,  fo  ifl  auch  weber  Sieb  nod)  SKelobie  in  biefen  entl;al= 
ten.  (Sine  britte,  ebenfalls  jefct  noch  übliche  SKelobie  beffelben,  auä  ber  pbrp gifd)en  Sonart,  wirb  mit 
eben  fo  wenigem  Stecht  als  ©teurteinä  (grftnbung  genannt,    ©ie  erfd)eint  am  früfjeften  erft  1009,  in 


•)  S.  SBcifpicl  9lro.  55. 
")   <3.  Stitpiet  9lro.  125, 


  417   


a>ulptus>  geiftlid)cn  Üiebern'j,  unb  mag  aud)  wol)l  biefem  angehören.  (Sine  üierte,  aus  bei  »erfefcten 
borifdjen  Tonart,  —  ober  fünfte,  wenn  wir  bie  »on  le  9JJaiftre  berrübrenbe  binjuredmen,  —  t>at  SBolfgang 
'2fmmoniui?  in  feiner  Psalmodia  nova  Germanica  (1578.  1581.  9cro.  19,  33latt  67\),  fte  t>at  inbefj  eben 
fo  wenig  Unflätig  gefunben  alS  jene"). 

liefern  allem  gufolge  fbnnte  ©teurlein  nur  alSbann  für  ben  Urheber  einer  noch,  gegenwärtig  ju 
unfererh  Siebe  gebräuchlichen  Singweife  gelten,  wenn  ftd)  naebweifen  ließe,  —  wa3  nicfyt  wabrfcbetnlicb 
ift,  —  baf?  jene  mirolpbifcbe  ober  ionifebe  Sftelobie  bei  ßalmftuS  ober  (Sccarb  fdwn  feinen  Sonfäfjen  uom 
3abrc  1574  ju  ©runbe  liege.  33i3  biefeS  gefebtebt,  bleibt  bie  SBcbauptung,  bie  ilm  im  Mgcmeinen  bafür 
auSgiebt,  auf  einem  blofjen  SBüdjertitel  begrünbet,  biejenige  aber,  bie  tl)m  eine  beftimmte,  einzelne  beimißt, 
unwal)rfd)einlicb  unb  unbaltbar. 

Vlaä)  tiefer  Unterfucbung,  bie  un3  für  eine  SBeile  »on  ber  betrad)teten  ßieberfammlung  ©teurleinö 
entfernt  bat,  fetjren  wir  ju  berfelben  jurüd',  um  mit  ibr  abzufließen.  Sie  Sötelobieen,  welcbe  biefelbe 
enthält,  fanben  wir  ibm  obne  2lus>nabme  angebörig,  bie  meiften  al§  eigene  drftnbungen,  eine  als  UmbtU 
bung  einer  älteren.  9Zod>  einer  ^weiten  bürfen  wir  biefen  tarnen  beilegen,  ber  ju  ber  Umbicbtung  beS 
alten  SSolfsliebc»  gehörigen : 

Sie  SBrünnlein  bie  ba  fliegen,  bie  fotl  man  trinfen  tc. 

ba§  nunmebr  lautet : 

25er  ©nabenbrunn  tbut  fliegen,  ben  foH  man  trinfen***), 
welcbe,  bie  ©runbjüge  ber  melobifcben  Sßenbungen  ber  alten  SBeife  bebaltenb,  eine  neue  barauS  febafft, 
unb  in  beren  barmonifdw  58cl)anblung  ba§  ©epräge  ber  Sonart  wieberberfteüt,  ba3  brei  frühere  Sonfefcer 
bei  jener  älteren  burd)  feltfame  Überfleibung,  ol)ne  fte  boeb,  melobifcb,  anjutajten,  völlig  umgewanbelt  batten. 
2Bir  bürfen  un3  mit  biefer  'tfnbeutung  begnügen,  ba  wir  früher  fd)on  ausführlich,  barüber  berichteten.  9tor 
biefeeine,  umgebilbete  SEftelobie,  bie  jeboeb,  bei  abermaliger  Umfcb,affung  bes>  2iebe§,  einer  anberen  wei= 
eben  mußte,  fo  wie  biefe  enblid)  wieber  ber  befannten  unb  beliebten  „£)  ©ort  bu  frommer  ©Ott"  ü)re 
©teile  räumte,  tonnen  wir  in  biefem  befd)ränften  ©inne  als>  eine,  ©teurlein  angebbrige,  in  bie  .Kirche 
aufgenommene  bezeichnen,  unb  unfere  ©ammlung  als>  beren  Quelle  nennen. 

2>en  eben  befproebenen  fünf  Sonmeijtcrn  faben  wir  manebe  bebeutenbe  ©ingwetfen  geiftlidb  er  2ieber 
jugefebrieben,  unbboch  tonnten  wir  in  ben  meiftengällen  biefe Sßebauptungenburcb,  genügenbeßeugniffe  nicht 
bewäbrtfinben;  bei  ber  SCßebrjabl  biefer  50ielobieen  gewannen  mir  nur  bie  Überzeugung,  baß  fte  ber  legten  #älfte 
be§  16ten  SabrbunbertS  angebörten.   9cun  ftnb  aber  beren  noeb  »tel  mebrere,  bei  benen  unfere  gorfdmng 


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feinem  anberen  Cirgebniffe  gelangen  fann,  unb  für  bie  wir  feinen  tarnen  aufzeigen  vermögen.  2lQetn 
üiicb  bte  nur  ungefähre  3eitbcjlimmung  bleibt  immer  t>on  (Srfyeblicfyfeit,  benn  roir  geroinnen  baburd)  eine 
2fnfdbauung  »on  bem  eigentfyümlicpen  ©epretge,  baS  eben  biefer  3ettabfd)nttt  ben  geijllidjen  ßiebweifen  auf= 
brüdte,  bie  in  il)tn  entjlanben.  £>arum  fep  e§  »ergonnt,  nod)  einige  berfelben  r>orüberjufüf;ren,  unb  baS« 
ienige  abgeben,  wa§  über  bie  Seit  unb  SSeranlaffung  J&teS  @ntflel)en3  un3  aufbehalten  ift. 

2>a§2ieb:  „^erjlict)  lieb  l)ab'  ich,  biet)  o  Sfrtxx"  unb  feine  Sttelobie  geboren  unjwcifel= 
haft  ber  legten  £älfte  be§  16ten  3«f)vf)unbert§  an.  SeneS  rül)rt  »on  SJlicfyael  ©Galling  l)er,  ber  am 
21flen  Tfpvtl  1532  geboren,  um  1550  ju  SBittenberg  ber  ©otte§gelal)rtl)cit  oblag,  bann  ^rebiger  in  SJegenS-- 
burg  würbe,  Pfarrer  ju  SStlfjecf,  einem  Sftarftflecfen  ber  £berpfal$,  barauf  £)iafonu3  unb  ©upertntenbent 
,u  Imberg,  feines  bortigen  tfmteS  oerluftig  ging,  roeil  er  bie  Unterfcfyrift  ber  ßoncorbienformel  verweigerte, 
aber  ju  Dürnberg  SBieberaufnafjme  fanb,  roo  er  im  3al)re  1608  als  ^rebiger  an  ber  Mixä)c  Unferer  Sieben 
grauen  flarb.  SiealtcfteSUtelle  für  unfcrSieb  ijl,  fo  weit  meine gorfdjung  reicht,  eineim Saint  1571ju9?ürn^ 
berg  bei  iSietrid)  ©crlalj  erfcfyienene  (Sammlung  »on  ©efdngen  unter  bem  £itel:  „Äurfje  onb  fonberlicfye 
sJi*cwc  Symbola  etlicher  gürjlen  unb  £erren,  neben  anbern  mel)r  fcfyonen  Siebletn  mit  fünf  unb  uier  ©ttm; 
men,  auf  alle  3>njlvument  ju  gebrauten  gan£  bienjllid),  componirt  burd)  atth  tarn  ©atfttfc." 
J^ier  fmben  roir  an  ber  jefjnten  ©teile  unfer  Sieb*),  in  ber  Senorjiimme  allein  mit  ben  33ucbjabcn  9JL  ©., 
fonjl  aber  nid)t  aI6  2Bal)l=  unb  ©innfprud)  eines?  gürften  ober  ^>errn  bejeidmet.  (53  ift  fünfftimmig,  einfach 
gefegt,  in  ber  oerfefcten  tonifcf>en  Sonart  (F  mit  b);  bie  ^atiötmelobie  fuf>rt  ber  SEcnor  aB  feflen  ©efang, 
unb  nur  bei  ifyrem  Eintritte  erfcfyeint  aud)  bie  ©runbflimme,  bie  ju  bem  Eingänge  unb  ben  ©afeen  ber 
übrigen  brei  Stimmen  jwifdjen  ben  Beilen  fcfyweigt.  Sie  brei  &ikn  bes>  Aufgefangen  gelten  ol)ne  3iül)e= 
punfte,  alfo  auch,  ofme  3wifd)enfd£e  ber  anberen  Stimmen  fldttg  fort,  unb  nur  jwifcfyen  ifmen  unb  iijxex 
SBieberfyolung  werben  bergleicfyen  gel)brt;  ber  2lbgefang  üerbinbet  bie  britte  unb  toierte  Sieb=  unb  9Jielobie= 
$eite,  trennt  bagegen  bte  erfite  ^älfte  ber  fünften  »on  ber  fpdtercn,  unb  fügt  biefe  an  bie  fecbjle;  baburd) 
bebingt  ftd>  ba§  Sorfommen  ber  Swifdjenfä^e.  @3  fann  jugegeben  werben,  bafi,  wenn  einmabj  l)tx-- 
rbmmlid)  ber  SSenor  bie  melobicfüfyrenbe  Stimme  fepn  foll,  biefe  Zxt  ber  S3cl)anblung  ganj  wol)l  geeignet 
ijl,  feinen  eintritt  unb  ba§  (Srfcfyeinen  ber  ^auptmclobie  fenntlicb,  ju  machen;  aber  bie  Stropbe  be3  £>id)= 
ter§  unb  tfn-  innerer  S3au  werben  burd)  biefeS  wtüfüljrltcfye  3ufammenjiel)en  unb  brennen  unbeutlid) 
gemacht,  unb  alfo  bem  SSerjldnbntffe  ber  Steiften  entjogen.  Sep  c3  nun  beäfyalb,  fep  e3  wegen  Langel 
anfpredjenben  ©efangeS  unb  an  SDiannicfyfalttgf  eit  in  ben  SBenbungen  ber9J2elobie:  genug,  biefe  v>on©ajlru> 
erfunbene  unb  gefegte  fanb  feinen  Anflang,  ft'e  erfdjeint  in  feinem  ber  mir  au§  eigener  Anfcfyauung  befann= 
ten  geijllid)cn  2ieberbüd)er,  unb  diejenigen,  bie  jenem  Sonfünftler  bie  jef^t  allgemein  gebrdud;ltd}e  unfereS 
SJiebeS  beimeffen,  f)aben  entweber  beffen  eben  befd)riebene§  SBerf  niemals  gefeiten,  ober  nur  nacb,  beffen 
SnbaltSanjeige  beriebtet,  ober  »ielleid}t  grünben  fte  il)re  S5el)auptung  auf  ein  anbereS  SBerf  beffelben,  baö 
fte  aber  bann  hätten  nennen  follen.  ©ooiel  ijl  gewif?,  man  fanb  ftd)  üeranlajjt,  weil  baS  ßieb,  nid)t  aber 
bte  ifjm  beigegebene  SD^elobie  gefiel,  eine  anbere  für  baffelbe  aufjufud)en.  Sn  bem  ©reifSwalber  ©efang= 
bud)e  von  1592,  in  welchem  id)  unfer  Sieb,  aber  ob,ne  eigene  SJMobie  bafür,  juerjl  antreffe,  wirb  auf  bie 
beS  ^3falmliebeS:  „Grs  finb  bod)  feiig  alle  bie"  babei  S5ejug  genommen.  @S  leuchtet  aber  ein,  ba^  biefe 
nur  für  beffen  tfufgefang  genügen  fonnte.  3war  wäre  bie  abweid)enbe  ©plbenjal)l  ber  britten  unb  fedjjlen 


*)    @.  Seifpia  9iro.  109. 


  419  

3eile  beS  tfbgefangeS  —  fiebert  flatt  ad)t  —  für  ft'd>  genommen/  fein  fo  erbeblidjeS  ^)tnberni^  bei  bem 
2fnpaffen  gewefen ;  atiein  in  biefer  entlehnten  9Kelobie  orbnen  ft'cb,  bem  ©ebtebte  jufolge,  je  brei  unb  brei 
Seilen  jufammen,  einen  größeren  (Sinfdmitt  bilbenb,  in  SdballingS  2lbgefange  bagegen  treten  beren  jwei 
unb  jwei  ju  einanber,  bie  (Sinfcbnitte  erfebeinen  alfo  nid)t  an  gleicher  Stelle,  bie  frembe  SSMobie  fcblof? 
ft'cb  bem  neuen  Siebe  nicht  geborig  an,  unb  eS  würbe  SSebürfniß,  eine  paffenbere  bafür  ju  erft'nbcn.  2)ie 
nunmehr  gebrducbltd>e  erfebeint  aber  fd)on  ein  3al)r  fpäter,  1593,  in  bem  £>reSbner  ©efangbuebe  t»on 
eben  biefem  Sa()re,  unb  ich  wüßte  nicht,  baß  feitbem  je  eine  altere,  ober  eine  fpäter  erji  erfunbene,  für  baS 
Sieb  angeroenbet  worben  wäre ;  einen  früheren  Sonfafc  berfelben  als  ben  beS  Seth  GEalmft'uS  in  feinem  jupor 
befproebenen  ßboralwerfe  (1597)  habe  id)  nicht  aufjufmben  üermoebt.  SSSir  bürfen  ft'e  ju  ben  treflicbjten 
beS  eiiangelifcbcn  ÄircbengefangeS  rechnen;  ft'e  trägt  baS  ©epräge  beS  Snntgen,  ^»eiteren,  unb  bod)  §eier= 
lieben,  einer  rechten  ©laubenS=  unb  SiebeSfreubigfett,  ben  2Borten  be§  SiebeS  übereinftimmenb : 

^>erjlid)  lieb  bab'  id)  bid)  o  «£>err, 

Scb  bitt,  wölljt  fein  »on  mir  nit  ferr 

9Kit  beiner  güt  unb  gnaben. 

£>k  gan^e  SBelt  nit  freroet  mid), 

9Zad)  bimel  r>nb  erb  nit  frag  ich, 

SBenn  id)  bid)  nur  fan  b<*ben. 

SSnb  wenn  mir  gleid)  mein  tyrfy  jerbrid)t, 

©o  biji  bod)  bu  mein  ju»erfid)t, 

SERein  tf>etl  önb  meinet  bergen  troft, 

25er  mid)  burd)  bein  blut  fyaft  erloft! 

#erc  Sefu  Gübrift  mein  ©Ott  unb  Sgm, 

Sn  fd)anben  laß  mid)  nimmermebr! 
3Bir  fonnen  ©afrri£  nad)  bem  ©efagten  nicht  ju  ben  etfangelifd)en  Äirchenfängern  rechnen,  benu^en 
inbeß  bie  unS  hier  gewährte  ©elegenbeit,  über  ihn  unb  fein  2Berf  (SinigeS  beizufügen.  Über  feine  SebenS= 
oerbältniffe  ftnb  wir  nicht  unterrichtet,  aud)  giebt  er  felbft  fo  wenig  auf  bem  Sitel  feines  SBerfeS  über  feine 
Stellung  (StwaS  an,  als  in  bejfen  Bufchrift.  £>iefe  ijl  an  bie  brei  bamalS  lebenben  «Sohne  griebrid)S  beS 
©ritten,  ßhurfürjien  t>on  ber  ^falj,  »on  Arnberg  (ben  14ten  gebruar  1571)  auS,  gerichtet:  an  Subwtg, 
ben  nad)berigen  ßhurfürjien,  ju  jener  Seit  «Statthalter  ber  £)berpfalj,  Sobann  CEafünir,  unb  @briffopb. 
©er  Reiftet  greift  bie  SEonfunft  als  eine  göttliche  ©abe,  ber  eine  Sobrebe  ju  fchreiben  er  ftcb  unwürbig 
erfenne,  von  ber  aber  feinen  ©onnern  ,,auS  bod)erleud)tem  fürflticbcn  SSerftanbe"  ju  reben  gegeben  few. 
gür  fte  habe  er  bie  Sinnfprüd)e  feines  83ucbeS  nebjt  anberen  fd)bnen  geiftlicben  Herten  jufammengejiellt, 
unb  ft'e  ju  fünf  unb  vier  Stimmen  gefegt,  in  ber  Meinung,  fte  ju  ehren,  unb  ihnen  etwas  SiebeS  baburd) 
ju  erweifen.  (SS  ftnb  junädbj  bie  SOBahlfprüd>e  beS  Ghurfürften,  SBaterS  feiner  ©bnner;  ihre  eigenen;  ber 
Don  beS  ßburfürften  griebrichS  beS  ßweiten  Söittwe,  ©orothea  »on  ©änemarf,  SEodbter  ßbriftianS  beS 
3wetten;  mehrer  9Jätf)e,  Siener,  Angehörigen  beS  ^Pfäljifcben  ^aufeS,  alle  in  Sieber  gebrach,  t ;  baneben 
anbere  geijilicbe,  meift  «Schriftlieber,  bod)  nur  jwei,  beren  9Kclobieen  in  bem  e»angclifd)en  Äird)engefange 
heimifd)  waren:  „@l)rijt  ift  erftanben,"  unb  Snmpborian  ^ollio'S  Umfcbreibung  »on  Simeons  Sob= 
fpruebe:  „Sm  griebe  bein,  o  #erre  mein."  ©ie  meinen  ber  Sonfäfje  (23)  ftnb  fünfjtimmig,  nur  einer 
(baS  genannte  2£uferjlebungSTieb)  ju  fecbS,  bie  übrigen  jwolf  ju  t>ier  Stimmen.   2)ie  SSebanblung  ift 

53* 


  420   


gcwanbt,  woblflingenb,  würbtg,  ber  Senor  bie  mclobiefü^rent'e  ©timme ;  boch  bürfen  wir  bei  bev  gerin- 
gen 2lh$ahl  ftrcblid)er  SRelobieen,  bie  wir  hier  ftnben,  ben  Sttcifter  faum  ju  ben  fachlichen  Sonfe^ern  red)-- 
nen,  tonnen  auch  einen  (Sinfluß  feiner  S3ef)anblungöweife  auf  anbere  Sonfünfiler,  bie  mit  meiern  9ted)te 
auf  tiefen  tarnen  2tnf»rud)  haben,  nicht  nad)weifen.  2>aju  fömmt,  baß  eben  jene  jwei  ftrcb/liche-n  9J}elo= 
bieen  nid>t  einmal^  als  ftetig  fortgehenber,  fefter  ©efang  erfchemen,  fonbem  burd)  (Sinfchiebfel  unb  SBieber^ 
holungen  zertrennt  werben,  baß  alfo,  wenn  auch  bie  ©ewanbtheit  be3  Söletftevö  in  fünftlid)=motettenhafter 
©timmenverflechtung  unb  Durchführung  einzelner  SEelobiejeilen  als  9ftufter  gelten  fbnnte,  bod)  von  b,armo= 
nifeber  (Entfaltung  in  eigentlichem  ©inne,  burd)  bie  er  vorbilblid)  hätte  werben  fonnen,  bei  ihm  bie  9?ebe 
nidjt  fevn  barf. 

Dag  fd)öne  Sieb:  SSon  ©Ott  will  id)  nicht  laffen  rührt  von  bem  ©uvermtenbenten 
Subwig  £etmbolb  au3  9jjüt)tf)auferi  h"-;  faß  ^  unt  1563  f«*  Regina  Qdbiü)  ju  (Erfurt  gebietet,  unb 
eS  bann  in  feinen  ©ciftlichen  Siebcm  über  etliche  ^falmcn  (1572)  öffentlich  befannt  gemacht  haben*).  3n 
eben  biefem  3al)re  erfcheint  e§  auch  unter  btn  von  3oad)im  von  9Jlagbeburg  gefammelten  Sifchgefängen, 
mit  einer  vierftimmigen  Sonweife  aue>  ber  verfemten  borifd)en  Tonart.  (Erft  vierjef)n  Sahre  fväter,  um 
1586,  ftnbe  ich  &  in  einer  fachlichen  ©ammtung,  in  bem  zweiten  Steile  ober  Anhange  eines  in  biefem 
3af)t'e  erfd)ienenen  SBieberabbrucB  von  Valentin  Saffig  ©efangbuche,  ben  3ad)aria§  33erwalbt  zu  ßeipjig 
beforgte.  (Eine  eigene  93ielobie  hat  e3  bort  aber  nicht,  e§  wirb  verwiefen  auf  bie  be§  SiebeS :  ,,3d)  ging 
etnmal)l  freieren."  SÖZtt  ber  bei  3oad)tm  von  SJlagbcburg  ihm  angeeigneten  erfcheint  c§,  fo  weit  meine 
5orfd}ung  reicht,  juerjt  wieber  in  bem  DreSbner  ©efangbuche  von  1593  (9lro.  175);  bod)  tl)eilt  e3  bie= 
felbe  bort  mit  bem  9ceujal)r3gefange  $aul  (SbcrS :  ,,^)elft  mir  ©Otts  ©üte  greifen,"  nur  baß  fte 
bei  biefem  im  Umfange  be3  verfemten  Dorifchen  erfcheint,  bei  ihm  in  bem  be3  urfvrünglichen.  (E§  ift  jene 
©mgweife,  bie  am  ©d)luffe  ihrer  erften  beiben  ßettenvaare  burch  ben  Abfall  in  bie  Unterquarte  ihres 
©runbtonS  von  beren  ©berquinte  auö  —  einen  feltenen  SKelobieenfvrung  —  ftd)  auszeichnet**),  ©väter, 
in  ©erb.  ßalvifiuS  ^armonieen  getftlicher  ©efänge  (1597),  hat  unfer  Sieb  allein  biefe  ©mgweife,  nur  baß 
fte  wieber  in  bem  Umfange  be3  verfemten  £>orifd)en  aufgezeichnet  ift;  bem  erwähnten  9?euiaf)rSliebe  bagegen 
ift  eine,  ihr  jroar  anflingenbe,  boch  feineSwegS  übereinftimmenbe,  beigegeben.  9hm  ift  e§  zweifelhaft,  welchem 
von  beiben  Stebern  biefe  Gelobte  urfprüngltd)  angehöre?  eine  §rage,  bie  in  fofern  von  (Erl)eblid)feit  ift,  als 
beren  Beantwortung  un§  vielleicht  ben  Urheber  unferer  SBeife  entbeefen  fönnte.  3unäd)ft  läßt  ftd)  nid)t 
beftimmen,  weld)e§  beiber  Sieber  baö  ältere  fei).  $)aul  @ber  bid)tete,  wie  e£  heißt,  fein  Sieb  für  feine  SEocb^ 
ter  Helena,  beren  9came  auch  ^i^d)  t>te  '^nfangöbuchftaben  ber  ©tro»hen  beffelben  fich  bilbet;  wann  er  eS 
bietete?  ifl  un§  nid)t  berichtet.  Allein  ba  er  um  1509  ftarb,  fo  war  c§  vor  biefem  Sah"  unbejweifelt 
vorhanben.  5Dtel)r  läßt  fich  nicht  angeben  über  beffen  'Hilter,  baö  alfo  nicht  unbebingt  über  baS  be§  Spclm-- 
bolbfchen  hinaufreicht.   2tuf  welche  ÜJKelobie  eS  2lnfang§  gefungen  werben,  wiffen  wir  nicht,  boch  niag  e§, 


')   ©.  Kambac^e  2£nttjofogie  Zt).  II.  <S.  148,  unb  beffen  SScrufung  auf  SDätmmerS  SicbererÜä'tung  Zi).  IV.  ©.  lüü. 

n  : 


A  f  |i'  |  '  |  n    p  ,  j  =d=d-f-f^ 

■A4  <<.l 

  421   


al§  Äinberlieb,  roofjt  juerft  auf  t>ic  jeneS  weltlichen,  bamalS  gangbaren,  »ermiefen  werben  femt,  bie  man 
fpäter  auf  baS  4?elmbotbfche  anmenbete.  2fllein  biefeS  erfebeint  früher  als  baS  (Sberfcbe,  mit  ber  juüor 
befdbriebenen  et g enen  -iBielobie;  14  Sabre  nachher  mirb  eS  bann  auf  bie  jeneS  meltlichen  öermtefen;  erft 
ein  3ahr  fpäter,  1587,  in  Schröters  äBeibnacbtSlieblein,  ft'nben  mir  $aul  ßberS  Sieb  mit  einem  SSonfafje 
über  bie,  juoor  bem  Jpelmbolbfcben  angeeignet  gemefene  SÖJelobie;  1593  mirb  ft'e  mieber  beiben  gemein* 
fcbaftlich,  1597  aber  eignet  ft'e  bem  ^elmbolbfcben  auSfcbließenb.  99ian  b,at  nun  mobl  bie  «Behauptung 
aufgeteilt,  jene  5!Ketobie  fep  für  beibe  geiftlid)e  ßieber  eine  entlehnte,  urfprünglicb  gehöre  fte  eben  bem 
roeltlicb, cn  Siebe  an :  Scb  ging  einmahl  fpajieren,  »on  baber  fer;  ft'e  1586  für  baS  £elmbolbfcbe  in 
S5ejug  genommen.  ©S  ift  auch  richtig,  bafj  mir  in  bem  elften  Shetle  ber  geijilicben  Sieber  ju  »ier  unb 
fünf  Stimmen  von  ^Bartholomäus  ©efiuS  (granffurtb  a.b.£>.  1601  CXI)  ein  geifflicbeSSieb  ft'nben,  beffen 
erfte  3eile  fo  lautet,  unb  bafj  eben  biefeS  in  bem  ftebenten  Steile  ber  ©tonifeben  SKufen  beS  Michael  ^)ra= 
toriuS  (9iro.  199)  oorfommt ;  auch  ift  beibe  ÜJlabte  für  baffclbe  bie  ©ingmetfe  angemenbet,  »on  ber  mir 
reben.  2tllein  beibe  Stahle  mirb  fte  ber  £on  beS  Sieben :  Helft  mir  ©ottS  ©üte  preifen"  genannt, 
unb  bamit  bezeichnet,  bajj  ft'e  ihm  entlehnt  fei).  Sft  alfo  auch,  mie  nicht  bezweifelt  merben  fann,  jeneS 
geiftlichc  £ieb  bie  Umbichtung  eines  meltlichen  gleichen  Anfangs,  fo  folgt  barauS  boch  nicht  unmittelbar, 
bafj  bie  SJielobie,  mit  ber  eS  in  biefer  ©eftalt  erfcheint,  bie  ber  urfprünglichen  Dichtung  fet>,  zumabl  feine 
Überfchrift  ein  ganz  tfnbereS  befagt,  unb  bie  fo  oiel  frühere  SSermeifung  auf  jene  altere  SSJielobie  nichts  bage= 
gen  entfeheiben  fann.  2ütcb  pflegte  man  ©ingweifen  meltlicher  Sieber,  bie  man  geiftlichen  gnpafjte,  ftetS 
mit  ben  2lnfangSw  orten  ihrer  urfprünglichen  Dichtungen  zu  bezeichnen,  wie  ^rdtortuS  namentlich  alle- 
zeit tlmt;  man  fefjte,  bei  gleichem  Anfange  beiber  Sieber,  beS  umgebichteten  meltlichen,  unb  ber  geiftli- 
chen Umbichtung,  entmeber  bann  nod)  eine  folgenbc  3eile  beS  urfprünglichen  hinzu,  ober  mar,  mie  eS  oft 
gefchahe,  bem  meltlichen  Siebe  in  bem  SRaafe  nachgegangen,  bafj  etma  nur  ein  SBort,  ober  boch  menige, 
in  fpäteren  Seilen  erfcheinenbe,  ben  neuen,  geiftlichen  ©inn  bezeichneten,  fo  ließ  man  mol)l  bie  alSbann 
unnbtbige  Sßerweifung  auf  bie  meltliche  SDWobie  ganj  meg.  Senem  alteren  beutfehen  meltlichen  Siebe  mirb 
alfo  unfere  ©ingweife  nicht  angehören ;  eine  anbere  SSermuthung  miU  fte  auf  bie  eineS  franjbftfchen  Siebes 
Surücf führen.  SSalter  nämlich  fanb  in  bem  ttierten  Suche  »on  Soh.  Sapt.  JBefarbi'S  Thesaurus  harmo- 
nicus  (Solln  1603,  ©ette  73)  ein  folcbeS  Sieb,  beS  Anfanges : 

Ma  belle  si  ton  ame 

Se  sent  or  allumer, 

beffen  SKelobie  er  unS  auch  auf  ber  brttten  SSeifpielStafel  ju  feinem  SQiuft'falifcben  SBörterbucbe  F.  5.  mit* 
theilt.  2Cuf  biefe  führt  er  bie  Sßeife  unfereS  SiebeS  jurücf,  inbem  er  bemerft,  bafj  beibe  in  ihren  zweiten 
Sbeilen  faft  burchmeg  übereinftimmenb,  unb  nur  in  bem  erften  etmaS  abmeichenb  fepen.  DaS  ©rfte  ijt  nicht 
in  2(brebe  ju  ftellen,  menn  auch  allerbingS  örtliche  Abweichungen  »orfommen,  wohl  aber  baS  Se£te.  Denn 
eben  in  ihrem  erften  Sbeile  trägt  bie  ©ingmeife:  „SSon  ©Ott  will  ich  nicht  laffen"  ganz  eigentümliche 
3üge,  namentlich  ba$  2lbfaEen  in  bie  Unterquarte  ibreS  ©runbtonS  r>on  beren  Dominante  auS ;  ihre  #bn; 
licbfeit  mit  jener  franjoftfeben,  meltlichen,  ift  hier  eine  nur  gan$  oberflächliche,  burch  bie  gleiche  SEonart 
allein  bebingte,  ihre  äkrfcbiebenbett  bagegen  eine  wefcntltcbc.  Daju  fömmt,  bafj  bie  Quelle,  in  ber  unfere 
SJielobie  unS  nachgemiefen  merben  foll,  um  zehn  3«hre  jünger  ift,  als  beren  erfteS  @rfcbeinen  in  einem  fireb* 
liehen  Sieberbuche,  ja,  um  t>olle  24,  als  ihr  frühefteS  83orfommen  in  einem  geiftlichen  ©ingebuche  jum 
Hausgebrauch-   SJlöglicb,  bleibt  eS  immer,  ba  jene  Sluelle  eine  SBlumenlefe  oon  atlerbanb  für  bie  Saute 


  422   


eingerichteten  ©efängen  ift,  bajj  ftc  auch,  früher  33orbanbeneS  aufgenommen  habe,  unb  baS  Sabr  ttjrcS 
GhfcheinenS  wirb  alfo  nicht  für  baS  Alter  jebeS  einzelnen  in  if)r  enthaltenen  jeugen  rontten.  Über  biefeS 
jebod),  wenn  eS  in  eine  längere  33ergangcnbeit  binaufgerücft  «erben  foll,  mürbe  immer  mieber  eine  anbere 
^Beweisführung  nbtf)ig  werben,  wcld;e  hier  mangelt.  S3ei  einer  fo  wefentlichen  Abweichung,  eben  in  bert 
be$etcbnenbften3ügcn,  jwifcbcn  unferer  geiftlid)en£onweife  unb  ber  weltlichen,  bie  auS  jener  Quelle  gefdwpft 
werben  foll,  fann  inbefs  eine  weitere  gorfdntng  faum  lobnenb  fe»n. 

Die  SBorauSfefjung  alfo,  bafs  bie  SJlelobte,  meiere  $aul  ßberS  9?eujahrSliebe  unb  bem  ©ebiebte 
Subwig  4?elmbolbS  jule^t  gemeinfehaftlich  ijt,  einem  weltlichen  entlehnt  fe»,  fönnen  wir  für  begrünbet  nicht 
annehmen.  3br  eigenthümlichcr  Schlttfjfall  am  ©nbe  ihreS  erften  SSbeileS  läfst  auch  barauf  fchliefjen, 
bafj  fie  »on  einem  gelehrten  Sonfünftler  erfunben  fe».  @S  fehlt  nun  feineSwegS  an  SSermutbungen,  bte 
einen  folgen  bafür  angeben,  ßinige  reben  »on  Joachim  a  33urgf,  ohne  nachweifen  ju  fbnnen,  in  welchem 
feiner  jahlrcidjcn  Sonwerfe  fie  ft'ch  ftnbc,  in  benen  ich  fte  »ergebend  auffuchte.  Diefe  grünben  ftd>  auf  bie 
33orauSfe£ung ,  einmahl,  fie  gehöre  urfprünglich  4?elmbolbS  Siebe  an,  unb  ferner,  ft'e  fbnne  bann  »on 
feinem  anberen  Sonmeifter  herrühren,  alS  bem  genannten,  ber  bem  Dichter  beS  ßiebeS  am  treuften  unb 
beftänbigften  ftd>  angefchloffen  habe.  Die  erfte  ift  nicht  gerabehin  abjuweifen;  benn  bafü  $aul  ©berS  Sieb 
baS  ältere  fc»,  ift  nicht  ju  behaupten,  eS  erfcheint  mit  unferer  9Jielobie  juerjt  achtjehn  5af)r  nach  beS  Did)= 
terS  £obe,  baS  Jpelmbolbfcbc  bagegen  ift  in  früheren  Quellen  nacbjuweifen,  unb  wir  ft'nben  eS  in  bemfelben 
3ahre,  wo  ber  Dichter  eS  ber  Öffentlichkeit  übergeben  haben  foll,  bereits  in  einer  anberen  (Sammlung  geifb 
licher  ©efänge  mit  jener  SBeife.  Die  jweite  SSorauSfefjung  aber  würbe  nur  bann  ft'ch  begrünben  laffen, 
wenn  wir  einen Sonfal?  über  fie  »onSBurgf  befäpen,  benn  alSbann  tonnte  man  biefen  auch  für  ben  (Sänger 
ber  SBeife  halten;  einen  folchen  hat  man  inbep  nicht  nad^uweifen  »ermocht.  Anbere  nennen  bie  Sab^bl 
1571,  aber  nicht  ein  mit  berfelben  bezeichnetes  SSerf ;  fie  erfcheine  fchon  bamalS,  fagen  fie,  mit  ber  S3emer= 
hing,  bafj  ein  fonft  unbekannter  Sonfünfiler,  £anS  »on  ©bttingen,  fie  »erfertigt  habe.  9tun  habe  ich 
unter  jener  Sabril  —  bie  eben  bef»rod)enen  Symbola  nicht  gerechnet  —  nur  jwet  geiftliche  ßieberbücber 
aufjufinben  vermocht,  bie  Umbichtungcn  weltlicher  Sieber  nämlich  »on  ilnaujt  unb  SBeSpaftuS,  beren  wir 
fchon  früher  gebachten.  3n  ben  legten  fommt  allerbingS  ein  Sieb  »or,  beffen  erfte  3eile  bem  flüchtig  ^)in-- 
börenben  ober  SBetracbtcnben  wie  bie  unfereS  SicbeS  flingen  fonnte:  „£)  ©Ott,  wem  foll  ich  klagen,"  unb 
bort  finbet  ft'ch  eine  ^)inbcutung  auf  „be  w»fe  »an  $anS  »on  ©öttingen."  Diefe  hat  unS  nun  auch 
©eorg  JorfterS  ßieberbueb  in  feinem  fünften  Steile  (91ro.  38)  aufbehalten ;  fie  gleicht  jebod)  ber  SDlelobie 
unfereS  JHebeS  nur  ganj  oberfIäd)lid)  burch  bie  gleiche  Sonart,  wenige  melobifche  SBenbungen,  unb  baS 
übereinftimmettbe  SSJiaaf?  ihrer  erften  »ier  Seilen ;  bie  legten  »ier  bagegen  ft'nb  hierin  ganj  abweichenb,  fo, 
bafj  eben  nur  ein  fo  flüchtiger  4?örer  ober  ßefer  als  ber,  bie  SSBorte  ber  erften  3eile  mifjoerftehenbe,  beibe  für 
übereinftimmenb  halten  fönnte.  Sd)  jtelle  biefen  SSermutbungen  eine  anbere  entgegen,  bie  id),  weil  ft'e  eine 
folche  ift,  eben  hier  »ortrage,  unb  nid)t  bei  bem  S3erid)tc  über  ben  au§gejeid)neten  Sonfünjiler,  ben  ft'e 
betrifft.  SBir  beftfjen  nämlich  einen  Sonfa^  unferer  9ftelobie  »on  Johann  eccarb,  ber  bem  Dichter 
nicht  minber  nahe  befreunbet  war,  als  3oad)im  »on  SSurgf.  ©ebrueft  erfcheint  biefer  ©afe  freilich  erfi 
1634,  in  einer  fpäteren  Ausgabe  ber  fünfjtimmigen  geiftlichen  Sieber  @ccarb3,  welche  juerfi  1597  erfebie* 
nen,  unb  »on  beffen  (Schüler  StobäuS  in  bem  erftgenannten  Sahre  auf's  9ceue  bem  Drucf  übergeben  wur= 
ben.  3n  bem  früheren  Abbrucfe  war  er  nicht  enthalten  gewefen,  ift  alfo  ein  3ufafc  ju  bem  füäteren.  ^)ter 
war  eS  bie  Abfid)t,  alle  ßboralfäfce  beS  9)ieifterS  (benen  auch  ber  Herausgeber  feine  eigenen  beigefügt  hat) 


» 


  423   


»olljiänbig  ju  geben,  fofem  if>re  ßieber  in  Greußen  fircblicb  waren;  rote  benn  außer  ihm  noch  einige  anbere 
binjugefornmen  finb.  9cun  fann  er  auS  einem  früheren  noch  nicht  mieber  aufgefunbenen  Söerfe  geiftlicber 
©efänge  »on  (Sccarb  flammen,  mo  er  als  einzelner  liebbafter  Sa£  ftanb,  er  fann  aber  auch  innerhalb  beS 
SeitraumeS  feit  ber  erften  Verausgabe  jener  geiftlichen  lieber  (1597)  bis  jum  SSobe  beS  SCßetfterS  (1611) 
entjlanben  unb  bem  fpäteren  tfbbrucfe  beigefugt  femi.  £>aS  dürfte  ift  mir  auS  inneren  ©rünben  baS  2Babr= 
fcbeinlicbere.  GüccarbS  £onfa&  nämlich,  ein  fünfftimmiger,  trägt  beutltcbe  Spuren  etneS  erften  33erfucbeS 
in  biefer  Se|art,  bie  bem  9Keift«r  fßäter  fo  febr  geläufig  mürbe,  in  ber  mir  'tfuSgejeicbneteS  »on  ihm  beftljen. 
£>k  Rührung  ber  einzelnen  Stimmen  jeigt  jmar  bereits  ©efebtef,  allein  ihre  Skrmcbung  bringt  nid)t  jene 
bebeutfamen  SERobulationen  ber»or,  bie  mir  in  ber  golgejett  an  ihm  bemunbern ;  fie  ftebt  barin  felbfl  ben 
Sä^en  nach,  bie  er  im  Sab,re  1578  Verausgab.  2tuf  ber  anberen  Seite  aber  ift  mieberum  mabrfcbeinlicb, 
baf?  ber  Se^er  jugleicb  ber  Sänger  gemefen  fet> ;  mir  erfennen  eS  an  bem  beutltcb  beroortretenben  Streben, 
bie  SSebeutung  ber  einzelnen  melobifcben  SBenbungen  auch  in  ber  Harmonie  auSjuprägen,  menn  btefeS  auch 
bem  SDieifter  bamalS  nicht  in  bem  SJlaafJe  gelang,  mie  fpäter,  felbft  an  fremben  SERelobieen.  Namentlich 
tft  biefeS  ber  gall  bei  ber  Scfylufiroenbung  beS  erften  £heileS.  £>er  eigentbümlidje  Abfall  ber  Singmeife  ift 
l)ier,  eben  als  foleber,  auf  baS  £)eutltchfte  beroorgeboben,  mäbrenb  bei  ßeonbarb  Schröter  (ber,  mie 
bemerft,  um  1587  biefelbe  gefegt  bat)  bie  jmeite  Stimme  bie  erfte  überfteigt,  unb  babureb  eine  anbere, 
gewöhnlichere  SBenbung  nach  bem  ©runbtone  bin  für  baS  ©efybr  geltenb  macht,  fo,  bajü  bie  ber  Gelobte 
al§  eine  blofi  begleitenbe,  in  ben  Schatten  tritt.  SMefeS  nähere  33erl)ältnifs  »on  GüccarbS  Sonfafee  ju  ber 
SKelobie,  unb  auf  ber  anberen  Seite  beffen  innere  25efcbaffenbeit,  bie  ihn  hinter  feine  älteren  Arbeiten 
jurinffteHt,  entfebeiben  mich,  bafür,  tf>n  älter  ju  galten  als  ben  Scbroterfcben ;  unb  biefeS  »orauSgefel^t,  fo 
hat  nunmehr  bie  Annahme  feine  Sdbmierigfeit  meiter,  baß  ber  9Reifter  ju  bem  ßiebe  beS  ilmr  nahe  befreum 
beten  2)id)terS  aud)  jene  Singmeife  erfunben  fjabe.  £ieS  mochte  bann  um  1571  ober  1572  gefchebert 
fepn,  ehe  Sieb  unb  Sttelobie  noch  in  SoacbimS  »on  SJZagbeburg  Stfcbgefänge  aufgenommen  mürben.  S5iS 
babin  mag  jeneS  in  ber  SEbat  im  £one:  „Scb  ging  etnmabl  fpajieren"  gefungen  morben  fe»n,  unb  baf)er 
nod)  bie  ^inmeifung  auf  biefen  in  bem  ßeipjiger  ©efangbuebe  »on  1586  rühren.  Cüccarb,  um  1553  gebo^ 
ren,  mar  1571  erft  achtzehn  3<*bre  alt,  bureb  Soacbtm  »on  S5urgf  aber  bem  Siebter,  mie  fpäter  in  greunb= 
fdjaft,  fo  bamalS  in  Verehrung  unb  tfnbänglicbfett  »erbunben;  fein  jugenblicbeS  Hilter  erflärt  um  fo  et)er 
bie  SSKängel  feines  SafceS*).  £)eSbalb  hielt  ber  SQZeifter  benfelben  aud)  mobl  ber  Aufnahme  unter  feine 
reiferen  SBerfe  biefer  2Crt  ntd)t  mürbig,  unb  fd)lo£s  if>n  auS  »on  beren  Ausgabe  um  1597 ;  eine  Überarbei- 
tung mochte  er  beSbalb  nicht  für  notbig  achten,  meil  er  nur  bie  in  Greußen  bamalS  gebräuchu'cbften  2Bei= 
fen  geijilicher  Sieber  mit  feinen  ^armonieen  h^auSgeben  mollte,  baS  ßieb  aber  um  jene  Seit  noch  nicht  ju 
ben  allgemein  »erbreiteten  geborte.  Sein  Schüler  aber  fammelte  nach  bem  SEobe  feines  SKcifkrS  2llIeS, 
maS  ihm  ber  2trt  noch  «^anb  mar,  auch  grühereS;  ihm  mar  eS  um  »olljtänbige  Sufammenjtellung  feiner 
(Shoralfäfje  ju  thun,  mie  er  benn  auch  noch  einige  anbere  feiner  neuen  Ausgabe  binjugetban  hat,  bie  beShalb 
bem  befproebenen  noch  nicht  gleichjeitig  gemefen  ju  femt  brauchen,  unb  beren  2llter  ju  erforfchen  mir  feine 
Seranlaffung  fyabm,  um  baburch  unfere  83ermuthung  näher  ju  rechtfertigen.  25er  bei  Joachim  »on  SSRagbe^ 
bürg  erfcbjinenbe  Sonfa^  ijr  ein  »ierjtimmiger,  f>od)fi  bürftiger;  bie  Anlage  feines  SSerfchenS  erlaubte  ihm 
mabrfd)einlicb  nicht  einen  mebrjiimmigeren  aufjunehmen;  bie  SÄelobie,  als  in  Thüringen  (ju  5Kül)lhaufen) 


•)  ©.  benfelben  9tro.  110  ber  SSeifptelfammtung. 


 424   


entftanbet,  formte  ju  ihm,  t>cr  ftd)  bamalS  in  Arfurt  auffielt,  leicht  ihren  SBeg  fmben,  et  gtebt  fte  aud), 
bie  unerheblid)c  'Abweichung  bei  einem  einjigen  Sone  aufgenommen,  ber  (§ccarbfd)en  ganj  übereinftimmenb. 

©iefe  Gelobte  ift  aber  nicht  bie  einzige  für  Jpetmbolb§  Sieb  geblieben.  Sn  ber  SJiarf  SSranbem 
bürg  menbete  man  bafür  bie  t  o  n  t  f  d>  e  ©ingmeife  be§  faft  gleich  alten  SiebeS  üon  Sodann  SKattheftuS 
an:  meine§  ^erjenS  ©runbe"*);  fpäter  (1640)  erfanb  3ol)ann  Grüger  baju  eine  neue,  bie  neben 

ber,  bie  mir  Crccarb  beimeffen  ju  bürfen  glauben,  noch  jefjt  in  biefen  ©egenben  gebräuchlich,  ift**).  25er 
©runbton  bes*  ©ebtrf>teö  mar  hier,  mie  in  anberen  gällen,  auf  boppelte  SBeifc  ju  cmpft'nben :  al§  fromme, 
bemütl)ige  3tmerftcbt  im  Seiben,  al§  gobgefang  auf  Den,  ber  alle§  Übel  in  $eil  unb  greube  üerfeljre ;  unb, 
voeil  S3eibeö  mit  gleicher  33cred)tigung  gefd)chcn  fonnte,  l)aben  aud)  bie  beiben  julefct  genannten  SJMobieen, 
bie  baS  ©ine  unb  ba$  tfnbere  auSbrücfen,  neben  einanber  ©ültigfeit  behalten. 

£>a§  Sieb:  „25  u  griebefürft,  £err  3efu  ß^rift,  beffen  ©ingmeife  mir  jundd)ft  betrad)= 
ten,  mirb  nicht  »on  Allen  bcmfelbcn  25td)tcr  jugefdjrieben.  (ginige  nennen  Submig  ^elmbolb  (1532 — 1598) 
unb  eben  be§l)alb  mol)l  nur  Joachim  a  33urgf  als  ben  ©änger  ber  2Seife;  in  ber  SSorauSfefcung,  bafj 
fein  Anbercr,  als  biefer,  jenem  25id)ter  fo  treu  anl)dngenbe  Sonfünftler,  ftd)  il)m  hier  gefeilt  haben  merbe. 
3d)  ftnbe  fte  jebod)  am  früheren,  eben  fo  mie  ba§  2ieb,  in  ben  »on  ^Bartholomäus  ©eftuö  t>ier=  unb  fünf- 
fttmmig  gefegten  geiftltd)en  Stebcrn  ***;  (granffurtl)  a.  b.  £>.  1601.  S3latt  198),  unb  hier  ftef)t  ber  9came 
Dr.  Jacobus  Ebcrtus  al§  ber  be§  25id)ter§  angemerft,  eine§  $rofeffor§  ber  ©otte§gelaf)rtl)eit  ju  granffurtli 
a.  b.  ber  bort  am  5ten  gebruar  1614,  65  %at)X  alt,  ftarb,  tjorauSfellid)  alfo  1549  geboren  mar. 
Am  fid)erften  merben  mir  alfo  mobj  aud)  tr)n  bafür  ju  galten  ^aben,  ba  für  £elmbolb  fein  juöerldffigef 
3eugnifj  torl)anben  ift;  momit  aud)  bie  Annahme  Einfallt,  bafi  3oad)im  aSBurgf  bieSJJclobie  unferee»  2tebe§ 
erfunben  l)abe.  @§  mürbe  fid)  nur  nod)  fragen,  ob  nid)t  vielleicht  ©efiuS,  bei  bem  mir  fte  juerft  ftnben, 
für  beren  ©änger  ju  galten  fep?  Mein  feine  fonftige  9lad)rid)t  nennt  il)n  a!3  fold)en,  unb  in  ber  SSorrebe 
ju  feinen  t?ier=  unb  fünfftimmigen  Sonfä^en  bemerft  er  felber  nur:  ,,er  l)abe  fold)e  ^falmen  unb  ßieber 
nad)  feiner  geringen  ©abe,  fo  il)m  ©ott  »erliefen,  in  öier  unb  fünf  Stimmen  f  efc  en  mollen,  unb  fürnetm 
lid)er  bahin  gefehen,  bafi  bie  gebräuchliche  unb  gembhnliche  6l)oralmelobie  im  25i3cant  behalten, 
unb  unoerdnbert  geblieben,  bamit  alfo  bie  d)riftlicf)e  ©emeine  mitft'ngen  fbnne."  Siefen  feinen  eigenen 
Sßorten  jufolge  geboren  ihm  nur  bie  mel)rftimmigen  ©äfce  an,  nicht  bie  SERelobteen,  bie  er  gebräuchliche  unb 
gemöl)nliche  nennt,  bie  alfo  al$  früher  fchon  worljanbene  anzunehmen  ftnb.  Aud)  bemerft  er,  bafj  jene 
©äfce  fd)on  feit  etlichen  Sohren  oon  ihm  aufgearbeitet  gemefen  fepen,  me§h<*lb  um  fo  mehr  bie  ©ingmeifc 
unfereö  giebeö  ber  legten  ^älfte  be^  16ten  S^hrhunbertS  angehören  bürfte.  ©ie  brüeft  in  ber  mohlgemdhl- 
ten,  ionifchen  Sonart,  heitere  Suoerficht  au§,  mie  e§  ben  SBorten  beä  25ichter§  gekernt : 

25u  griebefürft,  Jg)crr  Sefu  Qi)xi% 

2ßahr'  SSJlenfch  unb  mahrer  ©ort! 

@in  frarfer  9iotl)helfer  bu  bift 

3m  üeben  unb  im  £ob, 


')  ©.  q)rätoriug  Siontfdje  OTufen,  Zt).  VIII.  9lro.  7. 

")  OTan  finbet  beibe  Singroeifen,  mie  man  fic^  if^rer  je§t  bebtent,  Slro.  31  unb  301  ber  fünften  2tu6gabc  oon 

Hüljnau'ä  Cfjoralbudje. 

"•)  ©.  «efiuö  Sonfafc  ber  SWelobie  biefc«  CiebeS  9tro.  05  ber  SSeifpictfammlung. 


  425   


rvumb  mir  allein,  im  SRatnen  betn 
3u  beinern  föater  febrepen. 

9?ed>t  große  9cotb  imi  ftbpet  an 
Sott  .Krieg  unt  Ungemach, 
Saraue  uns  üRtemanb  helfen  fann 
Senn  bu,  brumb  führ'  bein'  ©ad), 
Sein'  §8ater  bir,  baß  er  ja  nit 
3m  3onr  mit  uns  mollt  fahren, 
öu  ten  übbnften  unt  erbabenfien  ihrer  Äirchcnmeifen  jählt  bie  eoangelifcbe  Äirche  mit  Stecht  t>ie 
Oes  i'ietes : 

SBachet  auf,  ruft  unö  bie  Stimme 
Ser  SEBächter  fehr  hoch  auf  ber  3tnne, 
2Sach  auf  bu  Stabt  IJerufalem! 
Mitternacht  beißt  tiefe  Stunbe, 
Sie  rufen  all  mit  hellem  SOtunbc: 
23o  fewb  ihr  !lugen  Jungfrauen? 
2Bolauf,  ber  S3räutgam  fommt! 
Steht  auf,  bie  Rampen  nehmt ! 
£aUeluja ! 

S&iacbt  euch  bereit  ju  ber  ^odijett, 

3hr  muffet  ihm  entgegen  gehn! 
Das  iiieb  ift  uon  Sr.  Philipp  Nicolai,  unb  fleht  im  Anhange  einer  üon  ihm  1599  erfd)ienenen  Schrift, 
beren  Sitel  mir  unabgefurjt  hier  folgen  laffen,  meil  er  über  ihren  Inhalt  jugleich,  bie  uoUftänbigjte  Siech en- 
febaft  giebt.  @r  lautet:  greroten  Spiegel  teß  emigen  Sehens,  tas  ijt:  ©rünttlicfye  S5efd)reibung  teß 
berrlicben  Sßcfens  im  eroigen  ßeben,  fampt  allen  beffelbigen  Sigenfchaften  »nb  3ufianben,  auß  ©ottes  SSBort 
richtig  vmb  verftanttlicb  eingeführt:  "tfucr;  fernere,  molbegrüntete '2£njeig  ont  ©rfldrung,  mas  es  allbereit 
für  tem  jüngfte'n  Sage  für  feböne  mit  herrliche  Gelegenheit  habe  mit  ben  außermebjten  Seelen  im  bimmlü 
fehen  ftoabtej).  Hillen  betrübten  CJbriften,  fo  in  tiefem  Sammertljal  tas  Grient  auf  mancherlei  Söege  bamen 
müffen,  $u  feeligcm  unb  lebenbigem  SBtofi  jufammengefaffet  burch  Pliilippum  Nicolai,  ber  benligen  Schrift 
Soctor,  Dnb  Liener  am  Söort  ©ottes  ju  Hamburg,  (©ebrueft  ju  granffurtb  am  SDiapn,  burch  (Srafmum 
Äempffcr,  3n  Verlegung  Johannis  Jacobi  Porsii.)  Ser  mir  »orliegente  "tfbbrucf  führt  bie  Sabril 
1617,  er  ift  aber  ohne  3rocifcl  eine  überall  unoeranterte  SBietcrauflage  tes  früheren  oon  1599,  ba  nichts 
barin  auf3ufäee  metcr  tesS>erfaffcrs  noch,  Herausgebers  beutet.  Sie  33orrete  unb  3ueignung,  unterzeichnet 
Unna  am  lOten  tfuguft  1598,  unb  gcridnet  an  JBürgermeifter,  Siatb  unb3mölfen  ber  löblichen  Statt  Soeft, 
giebt  über  tie  ©ntftcbung  unt  ten  3me<f  tes  33ucbcs  SJecbenfcbaft.  Ser  SSerfaffer  febrieb  fte  im  %at>xc 
1597,  als  in  Unna,  mo  er  bamals  Gjccleft'aft  mar,  eine  furchtbare  Seuche  mütbete,  unb  nachher  über  einen 
großen  Sheil  üöeftpbalens  unb  ber  umliegenben  2antfchaftcn  ftcb  verbreitete.  Unferes  Siebes,  unb  ber  trei 
anteren,  tie  ihm  gefeilt  ftnt,  mirt  tarin  jmar  nicht  austrüeftieb  getacht,  allein  ta  ter  SSorrebner  in  ihnen 
tichtent  tarftellte,  mas  er  in  tem  SSuche  felbft  trbftcnb  lehrt,  fo  werben  mir  terfelben  gern  eine  furje  2fuf- 
merffamfeit  fchenfen,  ^urnabl  fte  ein  3eugniß  ablegt  von  bem  frommen  Sinne  ter  3eit,  in  ber  fte  gefcbrie= 

t.  SBimtrfclt,  cer  evrniQf!.  G&eralgtfang.  54 


  426   


ben  würbe.  .Spören  wir  ben  SScrfaffer,  fo  viel  möglich,  mit  feinen  eigenen  SBorten.  >,3n  folgern  Sammer 
unb  (Stent*  (fagt  er)  als  eS  f)ie  ju  Unna  in  allen  ©äffen  rumorte,  unb  oftmals  etliche  Sage  an  einanber 
über  bie  jwanjig,  nun  wer,  fiebert,  acht,  ober  neun  unb  jwanjig,  unb  bis  in  bie  breiig  Sobten,  nit  weit 
von  meiner  2Bobnung,  auf  ben  Ätrdbbof,  unter  bie  (Erben  »erfebarrt  worben,  l)ab'  id?  mit  SobeS  ©eban- 
fen  mich  immer  fd) lagen  muffen,  unb  mar  mir,  nit  einmal)!,  ju  9Kutf)  wie  bem  Äonig  .Spißfia,  ba  er 
fpracb :  iftun  muß  id)  nit  mehr  feiert  ben  Spdrxn,  ja,  ben  ^)@rrn  im  ßanb  ber  Sebenbigen,  meine  3eit  ift 
babin,  unb  von  mir  aufgeräumet,  wie  eines  ^irten  .Spürte,  unb  reife  mein  geben  ab,  wie  ein  SBeber, 
3cfaiä  38.  —  (5S  überfiel  bie  $)efte  mit  ihrem  ©türm  unb  SBütben  bie  ©tabt  rote  ein  unverfebnlicber 
SjMafjregen  unb  Ungewitter,  ließ  balb  fein  .SpauS  unbefebäbiget,  brach,  enblicb  aud)  ju  meiner  SBobnung 
hinein,  unb  gingen  bie  2eute  mcificS  SfyeiteS  mit  »erjagtem  ©emütb  unb  erfebrodenem  .Sperren,  als  erftar- 
ret,  unb  balb  tob,  einher,  baß  einer  hatte  mögen  bieber  sieben,  waS  9JlofeS  febreibet  (Deuteron:  28)  mit 
nacbfolgenben  SBorten :  Der  .Sperr  wirb  bir  ein  bebenb  .Sperf.5  geben,  unb  verfd)mad)te  2lugen  unb  verborrete 
©eele,  baß  bein  2eben  wirb  für  bir  fd)weben.  9cacbt  unb  Sage  wirft  bu  bid)  fürchten,  unb  beineS  Sebent 
nit  fieber  fepn;  beS  Borgens  wirft  bu  fagen:  %<S),  baß  ich  2lbenb  erleben  mbd)te;  beS  "tfbenbS  wirft 
bu  fagen,  ach  baß  id)  ben  borgen  erleben  mochte,  für  furcht  beineS  ^>erjen6,  bie  bid)  fd}reden  wirb,  unb 
für  bem,  baS  bu  mit  beinen  3lugcn  fel)en  mirji.  —  3u  ßübef,  Hamburg,  Süneburg,  .SpilbeSbcim,  ©ottin- 
gen  ic,  teSgleicbcn  in  SJtieber^effen,  unb  in  ber  ©raffd)aft  Söalbed,  meinem  lieben  S3aterlanbe,  ju  ßor= 
bach,  SSilbungcn  unb  SJiengertcbbaufen,  fehlet  eS  aud)  nicht.  Unb  waS  einer  an  folchen  £>rten,  bin  unb 
wieber,  von  bekannten  Sreunben  hatte,  bavon  hbret  er  faft  nichts,  benn  von  ihren  Äranfbeiten,  unb  tbbli= 
ehern  2lbfcbieb  von  biefem  ßcben.  Smnaaßen  benn  aud)  mir  eitel  traurige  Seitungen  unb  traurige  SSotfchaft 
ju  Sbren  tarnen  von  etlichen  meinen  @d)roejrevn,  SBlutSfreunbcn  unb  Schwägern,  burd)  bie  9)efk  erwürget 
unb  hingeriffen,  welcbeS  nur  meine  SBefümmerniß  vermehrte,  unb  fo  viel  weitläufiger  "itnlaß  gab,  all  mein 
Datum,  £er$  unb  ©ebanfen,  oon  ber  2Belt  abjuwenben.  —  Da  mar  mir  nichts  füßereS,  nichts  lieberS  unb 
angenebmerS,  als  bie  ^Betrachtung  beS  eblen,  hohen  3lrtifelS  vom  emigen  Seben,  burd)  ßbriftuS  5ßtut 
erworben.  Siefs  benfelben  SagS  unb  Nachts  in  meinem  «Spcrjen  mallen,  unb  burd)forfd)te  bie  ©ebrift,  maS 
ft'e  bievon  jeugete,  lafe  auch  beS  alten  ßehrevS  ©.  2luguftini  lieblid)e  Sractätlein,  barin  er  bieS  hohe  ©ebeim= 
niß  als  ein  Scüßlein  aufbeißet,  unb  ben  wunberfüßen  Äern  l)erauSlanget.  35rad)te  barnad)  meine  medita- 
tiones,  von  Sage  ju  Sage,  in  bie  geber,  befanb  mich,  ©ottlob,  barbei  febr  mohl,  von  .Sperjen  getrofi, 
frbblid)  im  ©eijt,  unb  wobl  jufrieben,  gab  meinem  scripto  ben  tarnen  unb  Sitel  eines  greubenföiegelS, 
unb  nähme  für,  benfelben  «erfaßten  greubenfviegcl  (ba  mid)  ©Ott  von  biefer  SÖSelt  abforbern  mürbe)  als  ein 
3eugniß  meines  frieblid)en,  frbblicbm  unb  d)rififeeligen  3lbfd)iebeS  ju  binterlaffcn,  ober  aber,  ba  er  mid) 
gefunb  fparete,  anbern  notbleibenbcn  Gbriften  (meieren  er  bie  ^Deft  aud)  ju  Jg)auS  fenben  mürbe)  auS  chriji= 
lieber,  fchulbiger  Siebe  bamit  ju  bienen,  unb  gleid)  als  mit  gegenwärtigem  Srojl  beijuwol)ncn.  —  9hm 
hat  mich  ber  gnäbige,  fromme  ©ott,  mitten  unter  ben  (Sterbenben,  für  ber  graufamen  SOcjt  allcrgnäbigft 
bewahrt,  unb  mein  geben,  über  alle  meine  ©ebanfen  unb  £ofnung,  wunberbarlid)  gefrifiet,  baß  id)  mit 
bem  Propheten  Davib  ju  ihm  fagen  fann :  SEBie  groß  ift  beine  ©üte,  bie  bu  verborgen  haft  benen,  bie  bid) 
fürchten !  Sperr,  bu  haft  meine  «Seele  auS  ber  Rollen  geführet,  bu  baft  mid)  lebenbig  behalten,  ba  bie  in 
bie  £blle  fuhren.  Sb*  ^eiligen,  tobfinget  bem  ^>errn,  banfet,  unb  »reifet  feine  £errlid)feit.  Denn  fein 
3orn  währet  einen  Tlugenblirf,  unb  er  bat  ßuji  jum  ßeben.  Den  2£benb  lang  währet  baS  2ßeinen,  aber 
beö  Borgens  bie  greube ;  bu  haft  mir  meine  Älage  verwanbelt  in  einen  Steigen,  bu  baft  meinen  ©ad  auS= 


  427   

gejogen,  unb  mid)  mit  greuben  gegürtet.  ($f.  30.  31.)"  £>a  nun  unferem  £>id)ter  fo  große  ©nabe 
gefcfyeben  war,  unb  er  fid)  fragt,  wie  er  bem  £erm  feine  SBobttbat  »ergelten  folle,  bie  er  an  if)tn  getban, 
bietet  ftd?  ifmt  oon  felbfi  bie  Antwort,  wie  ber  ^falmtjr  fie  giebt  auf  eine  gleite  grage:  ,,Jd)  will  ben  beil= 
famen  Äeld)  nehmen,  unb  bcS  £erm  Flamen  prebigen."  ©o  bringt  er  benn  feinen  ©bnnem  feine  ©eban= 
fen  bar  com  eroigen  geben,  „baß  fte  unb  alle  gottfeelige  SSürger  unb  Bürgerinnen,  wlaffene  Stßittroen 
unb  SBaifcn,  traurige  unb  befümmerte  ^»erjen,  fo  iljrer  naben  greunbfcbaft  in  wäbrenben  9)eftilenjläuften 
burd)  ben  jcitlid)en  SEob  auf  biefer  2öelt  beraubt  ftnb  worben,  ftd)  bierin  ergoßen,  ben  feeligen,  freubenreU 
d)en  3ujtartb  aller  2lus>erwäl)lten  bei  unferm  lieben  ©ott  in  feinem  9?eid)  beS  ©d)auen3  barauS  »ernebmen, 
ftd)  beffen  trbjten,  unb  bal;er  aud)  all'  if>re  ©ebanfen  oon  ber  Söelt  ab,  ju  ©ott  im  Gimmel,  unb  nach, 
bem  eroigen  SSaterlanb  bjnroenben  mögen."  2lu3  einer  foldjen  ©inneS*  unb  ©efüblSwcife,  wie  unfer  2Md)= 
ter  in  ben  mitgetl)eilten  Söortcn  fte  barlegt,  unb  wie  fte  wäbrenb  einer  fo  fdjvoeren  Prüfung  ftd)  entroicfeln 
mußte,  ftnb  aud)  bie  gieber  (jeroorgegangen,  bie  er  feinem  SBerfe  angehängt  l)at.  £>er  ©ebanfe,  baß  ber 
näcbfte  'tfugenblicf,  roenn  aud)  ntdjt  unmittelbar  ber  lefjte,  bod)  berjenige  fepn  fonne,  ber  ben  2BebrIofen 
ber  SOiad)t  ber  furchtbaren  ©eucbe  übertiefere,  bie  in  fuvjer  grift  fein  irbifd)e3  £)afet)n  oernicbte,  unb  tt>n 
feinem  9fid)ter  gegenüberjtelle,  leitete  ben  an  ber  heiligen  ©cbrift  ftd)  Sröftenben,  burd)  fte  fid)  Vorbereiten^ 
ben,  leid)t  auf  bie  ©leid)nißrebe  oon  ben  flugen  unb  t()brid)ten  Jungfrauen ;  auf  bie  Scotbwenbigfeit,  ftd) 
ftetS  bereit  unb  gerüftet  ju  galten,  roenn  bie  abrufenbe  ©timme  un»erfef)en§  ertöne.  SBenn  er  aber  babei 
nun  bie  .Kraft  be§  eroigen  Söorteä  an  ftd)  empfanb,  roenn  er  bei  ftd)  erwog,  baß  jene  (Stimme,  eben  aud) 
jener  ©(eidjnißrebe  jufolge,  tljn  nid)t  abrufe  auS  einem  bellen,  bewußten  Safepn,  $u  einem  büjiern,  bäm-- 
mernben,  fonbern  ju  einem  erbosten,  einem  wabren  unb  ewigen  geben :  fo  fabe  er  aud)  nid)t  ferner  mit 
beforglid)er  2lngjt,  fonbern  felbfi  mit  freubiger  ©el)nfud)t  tf>r  entgegen,  unb  baS  ©cpräge  einer  folcben,  bie 
nun  tt>r  3iel  gefunben,  trägt  aud)  unfer  gieb,  bae>  ber  2)id;ter  überfd)rieben  bat:  ,,8Son  ber  ©timme  ju 
9Jlittemad)t  unb  ben  flugen  Jungfrauen,  bie  ibrem  bimmlifdjcn  Bräutigam  begegnen.  (SDlattb.  25.)"  @S 
ift  nid)t  o()ne  Bebeutung,  baß  bie  9)2clobie  ber  erften  3etle  beffelben  ber  Intonation  be§  gobgefangeS  ber 
heiligen  Jungfrau  nach  bem  fünften  Jttrd)entone  übereinjtimmt,  ja,  bie  erfte  Hälfte  berfelben  ganj  unoeräm 
bert  barftellt.  Gnnem  jeben,  bem  biefe  in  jener  3eit  gegenwärtig  war  —  wie  gewiß  ben  meiften  bei  fort' 
wäbrenber  3lnwenbung  jene§  Zb.e'ti§  be3  alten  rbmifchen  £ird)cngefangc§  —  mußte  mit  bem  fräftigen, 
majejtätifcben  Aufrufe  be§  ©efangeä  ju  ben  erften  SGBorten  be§  giebeS :  „SBadbet  auf,  ruft  un3  bie 
Stimme,"  jugleid)  ba§  ©efübj  be$  eigenen  «^erjenS  antwortenb  wieberflingen  in  jenen  befreunbeten Sbnen : 
SJieine  ©eele  erbebet  ben  £errn,  unb  mein  ©etjf  freuet  ftd)  ©otteS  meines  ^)eilanbe§,  beffen  ©timme  mid) 
nunmebr  ruft  ju  feiner  greube.  (Sben  biefer  3ug,  ber  bem  greunbe  unb  Jlenner  be§  ^eiligen  ©efangeS 
nid)t  leid)t  entgeben  fann,  unb  ber  »on  bem  innigften  3ufammenbange  jeugt  jwifdjen  bem  Siebe  unb  feiner 
SBeife,  begrünbet  bie  Vermutbung,  baß  biefe  le^te  wol)t  bem  S)id)ter  angeboren  werbe,  mag  er  aud)  ber 
£ülfe  eine§  befreunbeten  SSonfünftlerS  ju  ibrer  2lufjeid)nung  ftd)  beiimt  baben ;  benn  faum  anberS  al§  auä 
feiner,  oon  i()m  felbfi  befd)riebenen  ©timmung,  unb  unmittelbar  mit  bem  giebe  felbjt,  wirb  ein  foldjer 
3ug  entftanben  fepn.  (Sine  au§  bem  SSotBgefange  jlammenbe  SBeife  baben  wir  gewißtid)  bier  nicht  nor 
klugen,  wenn  wir  e3  aud)  bcebalb  oermutben  mbd)ten,  weil  ber  Didbter  bie  beiben  anbern,  bem  unfern 
ooranftebenben  unb  nacbfolgenben  gieber,  weltltcben  50telobiecn  angepaßt  bat.  ©anj  ju  gcfcbweigen,  baß 
bie  ©tropbe  bes  unferen  mit  ibm  überbaupt  jum  erfien  SDtable  crfd)eint,  unb  namentlid)  bem  SSotfSgefange 
bis  babin  burd)auS  fremb  war,  fo  fireitet  gegen  bie  (Sntlebnung  feiner  ©ingweife  auS  bemfelben  fd)on  beren 

54* 


  428   


fo  augenfcheinlidbe  ©rünbung  auf  ben  alten  £ird)engefang,  Deren  (innige  Hxt  auf  -ben  Dichter  felbfl  alS 
Urheber  bcr  Sftclobic  beutet.  Sie  mag  bann  wol)l  unter  ben  #änben  beg  Sacob  ^)rdtoriuö,  »on  mU 
tyem  wir  ben  erfien  »ierftimmigen  £onfa£  berfelben  in  bcm  Hamburger  SKelobieenbuche  »on  1G04 
(9tro.  80)  heften,  bie  ©eftalt  gewonnen  haben,  in  bcr  ft'e  gegenwärtig  in  ber  e»angelifd)en  Ätrct^e  üblich, 
ift.  9Kit  il)rem  fcfilid)  prächtigen  S3eginn  ftcl)t  alles*  golgenbe  in  innigftem  (Stnflange,  e3  entroicfelt  ftch  auö 
ihm  auf  bie  ungejwungenfte  2Beife,  in  lebenbigcr  ©licberung,  fo  baf,  bid>tertfd>  unb  tontunfUertfd)  bctrach^ 
tet,  bie  SJJelobie  als?  ein  »ollf'ommcneS  ©anje  erfd)cint,  unb  wir  aud)  in  bem  entlehnten  Sbeile  berfelben 
nur  SSeranlaffung  ft'nbcn  rönnen,  ihren  Urheber  ju  greifen. 

©in  jwcitcS  Sieb  Philipp  ^kolafS,  baS  mit  feiner  ©ingweife  ebenfalls  noch,  unter  uns  fortlebt, 
ift  übcrfcbricben :  (Sin  gciftlid)  SBrautlicb  bcr  gläubigen  ©celen  »on  Sefu  6l)rifto,  ihrem  l)immlifd)en  S3räu= 
tigam,  gcffcllet  über  &cn  45ften  $>falm  be3  $)ro»l)eten  DaoibS.  @§  geht  bem  eben  besprochenen  »oran,  unb 
ift  in  gleichem  ©mite  gebietet.  £tcr  »reifet  ber  Did)ter  bie  Sieblichr'eit,  grcunbltcfyf'eit,  £errlid)feit  bee  bimnv 
lifchen  SSräutigamS  ber  ©ecle,  beffen  abrufenbe  ©timme  in  bem  nad)folgenben  er  mit  Jamben  »ernimmt : 

2Bie  fchon  lcud)t'  un$  ber  Sttorgenftern 

SSoU  @nab  unb  2BaJ;rt)ett  »on  bem  £errn, 

Die  füfjc  SSBurjel  Scffe! 

Du  ©ol)n  Da»ib§  au§  3acob3  ©tamm, 

SKein  Äbnig  unb  mein  ^Bräutigam, 

$aft  mir  mein  ^)erj  befeffen ! 

Sieblich,,  freunblid),  fd)bn  unb  l)errlid), 

©rof?  unb  ehrlich,  reich  an  ©aben, 

£ocb  unb  fel)r  prächtig  ergaben. 
SBir  fahren  bereite;  früher,  als  wir  une>  mit  Umbidjtungcn  weltlicher  Sieber  in  gciftlid)e,  unb  mit  bem  ©ntlcl): 
nen  »olfemäfjiger  ©ingweifen  für  fird)lid)en  ©ebraud)  bcfd)äfttgtcn,  bafj  bicfeS  Sieb  auf  einem  SiebcSge= 
fange  jener  3eit  beruhe,  unb  mit  beffen  ©trophe  aud)  feine  SKelobie  entlehnt  h^e.  Der  Zon  ber  @nt= 
-,ürtung,  ber  in  ihm  »orberrfd)t,  unb  ber,  mel)r  noch,  »ielleid)t  im  ©inne  be§  lwl)en  SicbcS,  alö  be3  in  SSejug 
genommenen  45ftcn  ^)falm§,  bie  ©d)meid)elwortc  trbtfd)cr  Siebe  anwenbet  auf  ben  ©rlbfcr,  wirb  in  ihm 
vielleicht  am  ©d)luffe  bc§  3flf)rr;unbertg  jum  erften  Stahle  in  biefer  'ilxt  »ernommen,  unb  ift  in  bem 
folgenben  ntd>t  ohne  reichen  9cad)flang  geblieben.  3«  jener  Seit  ber  S£rübfal  unb  bc£  ju  jeber  ©tunbe 
brohenben,  fchmerjwollcn  SobcS,  in  ber  biefcö  Sieb  entftanb,  einer  3eit,  wo  bieäkrgänglichr'cit  bcö  3rbifcben 
auf  bie  herbfte  SSBeife  fict>  geltenb  mad)te,  unb  wo,  wenn  leichtfertig  unb  frech  ©efinnte  jene  ©üter  unb 
©enüffe  in  aller  ^)aft  nod)  fiel)  anzueignen  fuchten,  um  ben  flüd)tigcn  'tfugenblid  ju  erhafchen,  ernfte  unb 
fromme  ©emüther  bagegen  auf  bie  ewigen  ©üter  ihren  33lid  richteten,  um  un»ergänglid)e  ©chäfec  p  fam= 
mein  als  Nahrung  unb  Sroft  ber  ©eele;  in  einer  folchen  3eit  lag  e3  nal;e,  bag  SBeltlichc  umjuwanbcln  in 
ba§  ©eiftliche,  um  feiner  »erführenben  9)iad)t  fid)  ju  entgehen,  unb  bie  ganje  ©luth,  mit  ber  baö  Svbifche 
in  feiner  fchbnftcn  (!rfd)einung  erfaßt  worben,  überjutragen  auf  ba§  ©wige,  um  bejto  fefter  in  ihm  ju  wur- 
zln. TOerbingö  in  biefem  gaUe  ein  gefährlicher  äkrfuch,  wie  aud)  an  bem  S5eifüiele  unfereö  Siebeö  fid) 
gezeigt  hat.  (5ö  ift,.fagt  ©chameliuö  in  feinem  eoangelifd)en  Sieber=ßommcntariuö  (£1).  ©•  428)' 
wegen  feiner  herrlichen  SDiaterie  unb  lieblichen  9ftelobie  fehr  gebräuchlich  bei  unö,  man  fingetö  unb  f»ielet6 
in  ber  Äird)e,  baheim  auf  ber  SBerfftatt,  man  läfjt  cö  »on  hohen  Stürmen  unb  ©»ifjcn  ben  SEobten  nad)= 


  429   


fpielen,  braucbetä  in  grcub  unb  Üeib.  ©chabe  nur,  bafj  cö  unuerftänbiger  2ßeifc  oft  übel  gebeutet  wirb,  fo 
bap  eö  beSbalb  auf  ^oebjeiten  ju  fingen  »erboten  morben.  —  Grben  jeneä  »erjücfte  SicbeSfcbmärmen,  ba3  in 
ihm  fx'ct)  auSfpricbt,  ueranlafjte  jene  üblen  ©Ortungen ;  e€  braute  ben  flcifd)lich  ©eftnnten  entmeber  feinen 
Urfprung  roieber  in  ba§  ©ebaebtniß,  ober  vermittelte  bod?  ein  fred)e§  33erjUnbni§,  unb  e3  trat  an  bie  ©teile 
ber  Crrbauung  Hn]io$,  bem  bie  Äircbe  mehren  mußte,  roenn  fte  auch  fonfi  ba§  Sieb,  al§  ein  fo  allgemein 
beliebtes,  gern  beibehielt.  SSielleicbt  bat  aud)  ber  Sidjter  fclbft  abficbtlicb  üermieben,  an  beffen  Urfprung  ju 
erinnern,  um  nid)t  ju  @ntmeibungen  2(nlafi  ju  geben,  unb  beStjatb  lieber  bie  SKelobie  in  ©ingjeieben  neben 
feine  UmbidHung  fe^en,  als  tiefe  bureb  aSe^ugnabme  auf  ba$  urfprünglicbe  Sieb  unb  feine  ©tngmeife  au3= 
brücflid)  <ÜS  folebe  bezeichnen  mollen.  Senn  bei  bem  britten  feiner  Sieber,  ba3  auf  bie  jmei  fo  eben  befprod)enen 
folgt,  hat  er  jenes  unbebenflid)  getban,  roeil  hier  ein  SQZißbraud?  nid)t  leicht  ju  beforgen  mar.  @$  ift 
überfebrieben :  ,,Ser  SBelt  '•tfbbanf  für  eine  bimmelburftige  ©eele.  ©eflellt  über  ben  24jten  (42?;  9>falni 
Sa»ib3,  im  SEbon:  ©o  münbfcb  ich  ihr  ein  gute  üftaebt."  Sie  hier  angebeutete  ©ingmeife  finben  mir  im 
erflen  Sbeile  uon  ©eorg  gorfterS  frifeben  Siebtem  (iftro.  130)  mit  ihrem  Siebe,  unb  mit  einer  Umbicbtung 
beffelben  auch  am  ©ebluffe  »on  SSalentin  Frillers  geiftlicbem  ©ingebuche ;  nur  ift  e3  auffallenb,  baf  bie, 
beiben  angeborige  ©tropbe  um  jmei  Seilen  länger  ift.    Senn  lautet  9ltcolat'§  geiftlicheS  Sieb  : 

©o  münfeb  ich  nun  ein'  gute  9lacbt 

Ser  SBclt,  unb  laß  fte  fahren, 

£)b  fte  mir  gleich  *>tel  SammerS  macht, 

©ott  wirb  mich  wobl  bemabren, 

3cb  meint'  bie  SBelt  mar'  eitel  ©elb, 

SSeft'nb'  e3  nun  piel  anberS; 
fo  heißt  eö  in  bem  urfprünglicben,  mettlichen  Siebe : 

©o  münfeb  ich  ihr  ein'  gute  9cacbt 

3u  bunberttaufenb  ©tunben, 

©o  ich  ihr  Sieb'  erft  recht  betracht, 

3ft  all  mein  Seib  perfebmunben, 

SBenn  ich  fte  feb,  erfreut  fte  mich, 

«£>at  mir  mein  ^)erj  befeffen. 

Srumb  id)  in  meinem  .Iperjen  brenn 

Unb  fann  ihr  nicht  »ergeffen. 
£>iefe  tfbroeiebung  bei  fonftigem  Übereinjtimmen  be§  9Kaaße§  mag  juerfi  SSeranlaffung  gegeben  haben,  bie 
legten  Seilen  jeber  ©tropbe  bej>  9ttcolaifcben  Siebes?  JU  mieberholen,  um  fte  ber  SJJelobie  anzupaffen,  bann 
aber  eine  neue  bafür  ju  erfinben,  mit  ber  mir  baö  Sieb  in  greitingSbaufenä  ©efangbuche  ftnben  (1741. 
sJlro.  876.  ©eite  580),  unb  bureb  roetche  »oUenbei  jeber  ^frtflang  an  feinen  Urfprung,  ben  fein  Inhalt  obne-- 
bieö  nicht  aufruft,  »erfebminben  mußte. 

3u  ben  gegen  ba§  (Snbe  bes>  16ten  SabrbunbertS  entjknbenen  geijUtcben  ©ingmeifen  gehört  auch 
bie  be§  £>fterliebe§ : 

Sgeut  triumphiret  ©otte§  ©ohn, 
25er  je^unb  ijt  erjtanben  fd)on, 
mieluja,  mieluja! 


  430   


9Kit  großer  bracht  unb  Jg>errltct)fett, 
2)eß  banfen  wir  in  ©roigfeit, 
^alleluja,  4?afleluja! 

©cbameliuS  (Langel.  Sieber=(5ommentariuS,  I.  9cro.  124.  pag.  196)  fcbeint  geneigt,  baS  3af)r  1594  ober 
ood)  1596  aß  baS  ibreS  (5ntjler)enS  anzunehmen,  roeil  bie  Sufcbrift  ber  oon  bem  Gantor  SUSI,  gricbrid) 
S3ieB  ju  ©rimma  (roenn  auch,  erjt  1604)  herausgegebenen  4?9mnen,  in  benen  baS  Sieb  jtebt,  jene  erjle 
3abr$abl  trage,  tiefer  ©runb  würbe  jebod?  eben  (o  roenig  entfd)eiben,  aß  ber,  baß  bie  Sueignung  ber 
£armoniccn  geiftlid)er  ©efänge  oon  ©erb,  ßabiftuS,  roelcbe  ebenfalls  baS  Sieb  unb  eine  fecbSjtimmige 
Bearbeitung  feiner  SJWobie  mitteilen,  bie  3af)rjal)l  1596  enthält;  benn  in  ber  frübejten 'tfuSgabe  biefeS 
SieberbucbeS  von  1597  ijt  SBeibeS  noch  nicht  ju  ftnben,  fonbern  erjt  in  einer  fpäteren  »on  1622  (9lro.  130), 
con  roo  33eibeS  untteränbert  in  Sof).  ^ermann  ©cbetnS  ßantional  (1627,  9cro.  54)  übergegangen  ijt.  2Bie 
bienacb,  Sieb  unb  SKelobie  eine  3ugabe  ft'nb  ju  ben  fpäteren  Ausgaben  ber  ©efange  beS  ©erb.  GialüifiuS,  fo 
(bnneri  bcibe  eben  fovoobl  bem  SBerfe  beS  ermähnten  33iefS  b,injugefommen  fewn  bei  einer  erneuten  Auflage. 
Jtm  frübejtcn,  fo  viel  ich  tjabe  ft'nbeit  fonnen,  erfcbeintSSeibeS  um  1601  in  ben  üier=  unb  fünfftimmigen  getjtlü 
eben  Siebern  beS  Bartholomäus  ©ejtuS  (Blatt  41)  mit  ber  Überfdjrift :  ein  neu  Sfterlieb ;  beSbalb  9Rcmd) e 
auch  biefem  Sonfe^er,  ben  roir  aß  3Md)ter  fonft  nicht  roeiter  fennen,  BeibeS  §ufd)retben  wollen.  Mein  er 
felber  hat  an  bem  ermähnten  Orte  roeber  aß  Siebter  noch  ©dnger  ftd?  genannt,  unb  eben  fo  roenig  bejeid)-- 
nen  u)n  GatwfmS  unb  ©d)ein,  9Kid)ael  «PrätoriuS  (M.  S.  VI.  1609.  9lro.  142),  noch,  baS  ©otbaifdje 
ßanttonal  (3Jr)«  I.  1646.  9cro.  63)  aß  folgen :  bie  (erstgenannte  ©ammlung  nennt  ©d)ein,  aber  als  Son= 
fefcer,  roeil  fte  ben  SSonfa^  uon  ihm  entlehnt  bat.  3n  bie  legten  3af)re  beS  16ten  SabrbunbertS  roerben 
aber  bennoeb,  fo  Sieb  aß  ©ingweife  hinaufreichen,  auS  benfelben  ©rünben,  bie  roir  bereits  bei  bem  Siebe: 
,,£)u  griebcfürjt  £err  Sefu  ßbrift"  angeführt  haben.  £)ie  SJZelobie  ijt  feftlich  unb  prächtig,  roie  eS  einem 
'tfuferjtehungSgefange  jiemt:  fte  beroegt  ft'd)  burebroeg  im  breitheiligen  Safte,  beginnt  in  ber  ionifchen  Son- 
art,  bie  im  Serlaufe  beS  ©anjen  fich  roiebcrbolt  mit  fräftigem  9cachbrucfe  geltenb  macht,  unb  enbet  mürbe: 
ooll  nach  einigen  2CuSroeicbungen  in  baS  'tfolifebe  mit  einem  pbwfcben  Sonfcbluffe.  ©anj  in  biefem 
©inne  bat  ©erb.  CEafoiftuS*)  fte  gefaßt  in  feinem  fechSjtimmigen  Sonfa^e.  S)aS  4?alleluja  nach  ben  erjten 
jroei  3eilen  läßt  er  breiftimmig  burch  bie  höheren  ©timmen  ausführen,  in  beren  flaren  SSbnen  eS  einem 
©efange  ber  (Sngel  gleicht;  nach  bem  pbrpgifcben  £onfd)luffe,  mit  bem  eS  enbet,  erflingt  ber  »olle  Gbor  in 
bem  ionifchen  Dreiflange  um  fo  mächtiger,  ben  SiebeSroorten  gemäß,  unb  baS  jroeite  $alleluja  aller  ©tim= 
men  mit  bem  rücffehrenben,  roeitauShallenbcn  pt)rpgifd)crt  ©chluffe  front  baS  ©anje  auf  bie  roürbigjic 
2Beife.  2Bie  biefe  9JJelobie  felbjt  ben  bejien  beS  16ten  3ahrhunbertS  an  bie  ©eite  ju  jtellen  ijt,  fo  erfcheint 
auch  'b*  Sonfafc  aß  einer  ber  »orjüglichjten  beS  ©eth  ßafoiftuS. 

©leid)  biefer  SKelobie  unb  ihrem  Siebe  pflegen  noch  jroei  anbere,  mit  eben  fo  roenig  ©runb,  bem 
Bartholomäus  ©eftuS  jugefebrieben  ju  roerben.  25aS  eine  ijt  eine  9cachbichtung  beS  SobgefangeS  ber 
beiligen  Sungfrau ; 

SHein  ©eef,  o  £err,  muß  loben  biet), 
2)u  bift  mein  £eil,  beß  freu'  ich  mich, 


')    0,  beifen  2onfa£  ber  25?cIobie  biefeß  Cicface  9cto.  58  bet  aStifpielfammluna. 


  431   


©afj  bu  nid)t  fragji  nad)  welttid)'  ^ract>t, 
Unb  fjaft  mid)  2£rme(n)  nid)t  »erad)t; 

Unb  angefebn  mein'  ÜJltebrigfett, 

S3on  nun  an  wirb  bann  weit  unb  breit 

9Jiid)  feiig  greifen  jebermann, 

23u  {jafl  grofi  25ing'  an  mir  getban. 

25a3  Sieb  unb  ein  merfiimmiger  Sonfafj  feiner  9JMobie  ftnben  ftd)  allerbingS  in  bem  1605  erfd)tenenen 
^weiten  Steile  ber  geijitidjen  Sieber  biefeS  9KeijicrS  (SSI.  125)*),  t>on  wo  fte  tt>ot>I  in  ben  fünften  SSfjetl 
ber  <2ionifd)en  SJiufen  beS  9Jlid)ael  ^PrdtoriuS  (9lro.  61)  übergegangen  ftnb ;  allein  an  beiben  £)rten  bejeugt 
feine  SSemerfung  bie  Urbeberfdjaft  beS  ©eftu§,  unb  nur  bieg  erjte  SSorfommen  in  feinem  2Berfe  fönnte  für 
tyn  entfebeiben.  £>a$  3eugnij3  beS  ©otbaifcfyen  CEantionalS  (£b-  I-  1646.  9tro.  116)  ift  won  feinem 
©ewid)t,  benn  eS  nennt  ©eftuS  offenbar  nur  als  Sonfe^er,  unb  biefe  feine  (§igenfd)aft  iji  nid)t  ju  be^wei= 
fein,  weit  ber  bort  mitgetbeilte  £onfa£  au§  feinem  SBerfe  entlebnt  ift. 

SBirb  enblid)  mit  SSerufung  auf  bie  erwdbnten  SBerfe  bem  ©eft'uS  aud)  ba§  Sieb :  ,,2Senb'  ab 
beinen  3orn,  großer  ©Ott  in  ©naben"  unb  feine  SJMobie  beigemeffen,  fo  fann  bieS  nur  burd)  eine  23er- 
wed)3lung  gefebeben  fetm,  ba  beibe  roeber  baS  eine  nod)  bie  anbere  enthalten. 
3weifeu)aft  ift  eS,  ob  Sieb  unb  9Ketobie : 

2ld)  ©ott  unb  Jperr,  wie  grofi  unb  fdjwer 

©inb  mein'  begangne  ©ünben ! 

25a  iji  niemanb,  ber  Reifert  fann, 

Auf  biefer  SBelt  ju  ftnben ! 
ber  ^weiten  £älfte  beS  16ten  3al)rbunbert§  angeboren,  ober  erft  in  ber  früberen  beS  folgenben  entjiam 
ben  finb.  SBenn  wir  ber  ©ingweife  biefeS  StebeS  i)kx  fo  ganj  im  Allgemeinen  gebenfen,  fo  iji  ju  bemerfen, 
bafj  bamit  jene  b  o  r  t  f  d)  e  gemeint  iji,  weld)e  am  aUgemeinjien  in  ber  Äirdje  Eingang  gefunben  bat,  unb 
bie,  t»on  ber  £>beroctaüe  beö  ©runbflangee»  ibrer  Sonart  erft  fdjrittweife  ju  beffen  Sberquinte  fyexab,  unb 
bann  eben  fo  tion  bort  wieberum  ju  bem  beginnenben  Sone  binaufjieigt.  2Mefe  wollen  (Sinige  fd)on  aus 
bem  Äircbengcfange  ber  bbf)tntfd)en  SSrüber  ableiten,  unb  behaupten  breiji,  fte  finbe  ftd)  bereits  in  bem  von 
SKidjaet  SBeijfe  um  1531  berauSgegebenen  Santional.  3d)  fann,  nad)  genauer  gorfd)ung,  t>erftd)ern,  bafi 
weber  biefeS,  nod)  bie  burd)  3ol)ann  4?om  fpdter  überfebene  unb  t>ermef)rte  Aufgabe  beffelben,  noeb  enblid) 
bie  üoUjidnbtgen,  um  1566  bem  Äaifer  9Jiartmilian  bem  3weiten  überreizten  Äird)engefdnge  ber  S3rüber 
ein  Sieb  entbalten,  beffen  ©tropbenbau  bem  be§  angegebenen  glid)e,  ober  baS  aud)  nur  gleiche  Anfangt 
worte  mit  ü)tn  bdtte,  unb  bafj  eben  fo  feine  SÖMobie  barin  ju  ftnben  iji,  bie  mit  ber  feinigen  übereinfäme. 
ߧ  iji  nid)t  abjufefyen,  wober  biefe  Meinung  rübren  fönne,  ba  ibr  aud)  nid)t  eine  einige  S£batfad)e,  nod) 
ein  erbeblidjeS  3eugnij?  jur  Seite  jiebt.  Anbere  feljen  ben  Urfprung  be§  Siebes  tief  hinein  in  baS  17te 
Sabrbunbert:  fte  nennen  al§  feinen  Urbeber  Sobann  ©ölbel,  ber  um  baS  Sabr  1685  als  Pfarrer  ju  X>im-- 
jidbt  an  ber  3lm  bei  SSeimar  fiarb.   ginbet  ftd)  aber  fd)on  um  1627,  nad)  @d)ameliuS  3eugniffe**),  eine 


•)    ©.  9iro.  94. 

")  ©oangel.  2tcber=(Sommcntartu6  9lro.  165.  ©.  280.  St).  I. 


  432   


tatcinifcbc  Überfefcung  unfereö  Ütcbefv  unb  läßt  fxd>  barauS  fchtießen,  baß  eS  bartialö  minbeftenö  einige 
3abre  febon  befannt  unb  beliebt  gewefen  fewn  muffe,  fo  werben  wir  baburd)  entweber  genötigt  anzunehmen, 
baß  ber  Siebter  in  ben  erffen  Sauren  be§  3abrl)imbert§  geboren  fe»,  unb  ein  fefjr  I)obe§  2Clter  erreicht  f>abe, 
ober  gelangen  ju  ber  Überzeugung,  baß  er  überhaupt  nidjt  beffen  Urheber  fevn  tonne,  weil  baS  (gntftetjen 
beffelben  in  feine  frübeften  Ätnberjahre  fallen  müßte,  ©laubbafter  ift  bagegen  bie  Meinung  derjenigen,  bie 
tä  fem  SDlartin  SRutUtuS  jufd)reiben,  ber  um  1550  geboren,  feit  1586  basi  %mt  eines  2l"rd)ibiaconu3  ju 
Sßeimar  befleibcte,  wo  er  um  1618  ftarb.  2lucb  wirb  fie  burd)  eine  aufgefttnbene  #anbfcbrift  unfereS  2ie= 
be$  noeb  untcrßüljt,  welche  mit  bem  29ßcn  5Diai  1604  bezeichnet  fetjn,  unb  bie  Angabe  enthalten  foll,  baß 
JKutiliuS  es  felbft  gefertigt  unb  eigenbänbig  gefebrieben  habe,  ©ine  ©pur  fcineS  33orl)anbenfe»n§  lagt 
außerbem  bi£  jum  %av)xe  1607  ft'd)  jurüeffübren.  Gürbarb,  in  feinem  #armonifd)en  &>ox-  unb  gigural= 
gcfangbudic  (1659)  bringt  uns  baS  Sieb  mit  einer  vierßimmtg  gefefjten  SDMobie  von  3ob<*nn  Seep, 
einem  SEonfefeet  au§  ben  legten  Saferen  bc§  16tcn  unb  ben  erften  be3  17ten  3al)rf)unbert§ ;  eine  SOfclobic, 
roelcbe  wol)l  au§  beffen,  um  1607  ju  Dürnberg  gebrueften  gcißltcben  ^Pfalmen  unb  Äird}engefängen  entlehnt 
femi  tonnte,  »aS  bei  mangelnbcr  eigener  2lnfid)t  btefeS  ä3ucbe£  mit  voller  ©emißbeit  nicht  verfiebert  werben 
fann.  Sicfc  SDielobic  iß  jebod)  nid)t  bie  zuvor  bezeichnete  au§  ber  b  orifd)  en  Sonart,  fonbern  ftc  get)ört 
ber  pbrpgifdicn  an,  unb  bat  fid),  foutel  idb  ft'nben  fonnen,  nicht  weiter  verbreitet.  3cne  erfte  begegnet 
un?  am  frübeßen  um  1627,  in  Johann  ^ermann  ©djeinS  ßantionat,  nur  baß  fie  in  C  mit  ber  fleinen 
in;  gefefet  ift.  3"  D  erfdicint  ftc  um  1638  bei  Sobann  ©tobäus?  (ben  mir  fväter  werben  fennen  lernen) 
;m  einem  fünfßtmmigen  33cgräbnißgefange,  bem  jebod)  nid)t  ihr  urfprünglid)c§  Sieb,  fonbern  ein  ©elegen= 
beit^gebidit  unterliegt.  'Mein  aud)  jenes-  bat  berfelbe  SCJZetfter,  in  eben  bem  %ät)xt,  ju  einem  gleid)en  3wecfe 
gclegcntlid)  benutzt,  unb  baju  eine  neue  ©ingwetfe  (aue>  ber  verfemt  n  borifchen  Sonart)  erfunben, 
bie  er  ebenfalls  fünfßimmig  gefefct  bat.  ©lcid)jeitig  mit  ©c!bein§  ßanttonal  ft'nben  wir  bas  Sieb  in  9)ield)ior 
fixanU  SRufifaltfcfyem  9?ofengärtlein  (Coburg  16§f),  wieberum  mit  einer  neuen  ©ingweife,  au§  ber  ioni= 
fcbenSonart,  fünfßimmig  gefegt.  £>on  biefen  vier  SJiclobieen  bat  jebod)  nur  bie  borifebe  allgemeineren 
Eingang  gefunben:  wir  treffen  fie  in  bem  zweiten  Steile  be§  ©otbaifeben  ßantionalS  (1655.  9cro.  Hl), 
in  bem  Erfurter  ©efangbudje  ( 1(563.  ©.  322)  unb  fo  fort,  bi£  gegen  bas  Grnbe  be§  3al)rl)unberts.  SSKag 
fie  nun  aud)  nid)t  bie  urfprüngli'-be  gewefen  fevn,  worüber  nicht  ju  entfd)eibcn  ift,  fo  bat  fie  bod)  gcroiß  ben 
Zon  bes  Siebes  am  beften  getroffen,  unb  besl)alb  beS  meißeti  BriftangS  fid)  erfreut.  #13  eine  fünfte  9)Jelo= 
bie  fonnten  wir  enblid)  bie  Umwanblung  anfehen,  welche  ftc  fpäterl)tn  erful)r.  Sn  bem  Sieipjiger  ©cfang= 
bud)e  von  3ol)ann  äSopetiuS  ndmlidj  (1682),  beffen  »orjüglicbfte  Quelle  ©cbeinö  ßantionat  gewefen  ift, 
ftebt  fie,  unter  SSeibebaltung  aller  il)rer  mclobifd)en  SBenbungen  in  ber  harten  SSonart  von  C;  wir  roiffen 
nid)t,  ob  abftd)tlid)  fo  umgebilbet,  ober  jufdllig,  au§  9)Jif?verjtanb  ihrer  tfufjeidmung  bei  ©cbein,  wo  fie 
eben  jene  SEonbbbe  bat,  olmc  Süorjeicbnung  neben  ben  @d)lüffeln,  unb  wo  bie  fleine  Serj  erft  bei  jebem 
einzelnen  SSorfommcn  burch  ein  Sierfetningejeid^en  angebeutet  wirb.  Sem  feu  nun  wie  ibm  wolle:  biefe 
Umbilbung  bat  feitbem  faft  gleiten  SSetfoU  geroonnen  alö  bie  urfvrünglid)e  2ßcifc,  unb  ift  von  ba  an  neben 
ihr,  aud)  mobt  mit  Vu6f$tufi  berfelben,  in  viele  (Sl)oralbüd)er  übergegangen;  fo  namentlid)  in  greiling§= 
baufenö  ©efangbud)  (1741.  SSlxo.  599.  p.  392.).  d'm  eigentbümlichcr  SSerfud)  Sobann  ©ebafiian  S3ad)?, 
ihr,  felbft  in  biefer  ©eftalt,  burd)  bie  Harmonie  allein,  il)r  urfvrünglicbeä  ©evrdgc  wieberjugeben,  mirb 
^u  befvreeben  fevn,  wenn  biefer,  aud)  auf  bem  ©ebiete  bc§  Äircbengefangeö  fo  große  SEonmcißcr  unö  näher 
befd)äftigen  wirb. 


  433  — - 


DaS  SScbeutenbfte  beSjenigen,  wa§  t»ie  leiste  £älfte  beö  IGten  Sa&t&unbatl  Dem  SJMobieenfcfyaije 
ber  eoangeltfdjen  .Kirche  bereid)ernb  $ubrad)te,  eS  fet>  burd)  bie  (Srftnbung  fimfhrtäßtg  gebilbeter  Sonmeifier, 
ober  bod)  ntd)t  of)ne  beren  33cil)ülfe,  haben  wir  in  ben  uorangebenben  SBldttern  betrachtet.  9lur  einem  biefer 
SJieifter,  Johann  ßccarb,  ftnb  wir,  jroar  nicht  gdnjttd)  »orübergegangen,  benn  wir  haben  bie  5ßorau§fe^ung 
aufgehellt  unb  wrtbetbigt,  er  fonne  ju  jwei  getftlichen  ßiebern  tt;re  in  ber  eoangelifchen  .ftirdje  gebräuchlichen 
SKelobieen  erfunben  haben;  boch  ftnb  wir  ihm  fünft  nicht  naher  getreten.  2Bir  unterließen  biefcS  aber  mit 
tfbftcht;  benn  feine  bi§b>  nicht  genugfam  gewürbigte  SBebcutfamfeit  erheifcht  eine  au§fü^rlid;ere,  in  ftd> 
gerunbete  unb  gcfd)loffene  £)arftellung  fetneS  SBirfenS.  2H§  ©änger  neuer  itird)enweifen  hatten  wir 
hier  »on  ihm  5U  reben  gehabt;  wir  befchränften  un3  barauf,  nur  in  foweit  twn  ihm  ju  hanbeln,  al§  wir 
ihn  mit  SBahrfcheinlichfeit,  wenn  auch  nicht  urfunbltd),  a£S  fotehen  rühmen  burften.  111$  ©eljer  ber 
alteren,  in  ber  erften,  begeiferten  Seit  ber  Äirchenoerbefferung  entftanbenen  9Jlclobieen,  hätte  feiner  ba 
gebacht  werben  muffen,  wo  wir  bie  Sonfünjtter  befprad)en,  bie  auf  folche  SBeife  um  ben  euangcltfd)en  Äir= 
chengefang  fid)  »erbient  machten.  3n  jeber  biefer  beiben  Sigenfchaften  ift  fein  SBirfen  aber  »on  eigenthüm^ 
licher  S3ebeutung.  @r  ift  wichtig  al§  ©änger  in  boppelter  33ejiehung,  inbem  er  neben  bemjenigen,  wa§ 
er  baburch  war  für  ben  ©emeinegefang,  auch  einen  lebenbigeren  3ufammenf)ang  beffetben  begrünbete 
mit  bem  Äunftgefange;  aB  ©e£er  jeigt  er  fid)  in  ganj  neuem  ©tnnc,  ttbllig  anberS  aB  bie  efjren= 
roerthen  SJJeifjer,  bie  wir  früher  befprachen.  Mancherlei  gäben  fnüpfen  fid)  an  ihn;  bie  95ejtrebungen 
untergeorbneter  SQieifter  feiner  Seit,  bie  burd)  ihn  erft  SBebeutung  unb  SBerth  erhalten;  gepriefene  @rfd)eü 
nungen  fpäterer  Seit,  bie  fid)  auf  ihn  grünben.  Ratten  wir  feiner  nun  an  fo  uerfduebenen  Srten  gebenfen 
wollen,  fo  würbe  au§  einer  jerfplitterten  iSarfiellung  biefer  "Kxt  ein  reines  S5ilb  eine§  fo  begabten  unb  ein= 
Ausreichen  SDZanneS  nicht  haben  hervorgehen  fönnen,  wie  wir  c3  bod)  ju  geben  wünfd)en.  ©elingt  un3  nun, 
baffelbe  anfd)aulid)  ^irijujcic^rten,  fo  erreichen  wir  bamit  wohl,  wa3  wir  an  biefem  £)rte  nod)  nicht  »er* 
mochten :  bie  SBirffamfeit  ber  fpäteren  ^älfte  be3  löten  Sal)fl)unbertä  auf  bem  ©ebiete  bc§  e»ange= 
üfchen  Äirchengefangeä  in  einem  ©efammtbilbe  üor  ba3  2£uge  ju  bringen. 


Zed>\tcv  ^bfcfmttt« 

3of)auneg  (Sccarb. 

Über  ba§  geben  be§  oorjüglid)en  SOfamneS,  beffen  tarnen  wir  biefen  SSldttern  t-oranftellen,  mangelt 
un§  eine  Sfeihe  jufammenhängenber  9cad)rtd)ten,  wenn  wir  aud)  über  ßintgcS  in  bemfelben  urfunblid)e 
SSelege  aufjujeigen  im  ©tanbe  ftnb.  2Bae>  wir  beft^en,  iji  hinreichenb,  einen  allgemeinen,  leichten  Umriß 
feiner  2eben§ereigniffe,  ber  äußeren  ©infaffung  feiner  geifttgen  Ähätigfeit,  ju  gewähren;  genügenb  freilich 
nicht  für  ben,  ber  eine  ihm  werth  geworbene  ©eftalt  in  allen,  aud)  ihren  fleinften  ^Beziehungen,  aufjufaffen 
wünfd)t.  Söir  »erfud)en,  wo  e3  thunlid)  ift,  burd)  Skrfnüpfung  unb  3ufammenftellung  bc3  gefd)id)tlid) 
©ewiffen  in  ben  SSericfjten  über  t'hn,  aud)  bem  nur  allgemein  unb  fchwanfenb  une>  Überlieferten  größere 
S3eftimmtheit  unb  .Klarheit  ju  geben. 

5 Planne©  ©ccarb  würbe  im  Saht*  1553  in  ber  thüringifchen  9feid)3ftabt  9JZüb> 
häufen  an  ber  Unftrut  geboren.   2Btr  würben  weber  fein  ©eburt3jaf)r  fennen,  nod)  ba3  feines  ^ttu 

0.  SBüitttfetb,  itr  esangtL  (S^cralgcfang.  55 


  434   


f$dbm§,  befafen  mir  nicht  fein  SBilbniß  als  3terbe  eines  fetner  Sonwerfe,  baS  31  Sabre  nach  feinem 
Sobc  wietcr  aufgelegt  würbe.  £>iefeS  33ilb  würbe,  wabrfcbetnlid)  nach  einem  vorbanbenen  ©emälbe,  bureb 
3obann  Jperrmann  geftodjen,  unb  feine  Unterfcbrift  bejeugt  unä,  baß  unfer  SJccifter  im  %dt)xe  1553  geboren, 
mit-  1611  ferfdueben  fe».  Über  ben  Sag  feiner  ©eburt,  ben  ©tanb  unb  bie  SSerfjdltntffe  feiner  (Altern, 
finb  wir  nid)t  unterrichtet.  Öftere  S5ränbe  in  feiner  SSaterftabt  mäbrenb  beS  17ten  unb  18ten  SabrbunbertS 
haben  .Sircbenbüd)cr  unb  anbere  Urfunben  jerftbrt,  aus  benen  9cäbereS  Darüber  ju  fd^bpfen  gewefen  roäre. 
3m  3abre  1837  lebten  ju  9D(üblbaufen  noch  jwei  SDiänner  fetneS  StamenS,  ein  ©ärtner  unb  ein  ©erber, 
bei  benen  jeboeb  feine  Ättnbe  über  tf>n ,  noch  über  tfjve  35lutStterwanbtfd)aft  mit  ihm  ftd)  ermatten  bat. 
SBorauSfeisen  tonnen  wir  jebod;,  baß  feine  (Sltern  nidjt  ganj  unbemittelt  gewefen,  weil  fte  im  ©tanbe 
waren,  feine  tonfünjtlerifd)e  33ilbung  bem  berühmten  9iolanb  be  Sartre,  befannter  unter  bem  9iamen 
SrlanbuS  2affuS,  ju  übertragen,  unb  itjven  ©obn  ju  biefem  3med  nach  SJcüncben  ju  fenben.  2>aß  bteS 
gefebeben  few,  erfahren  mir  gclegentlid)  burd)  ßccarbS  Schüler,  Sobann  ©tobäuS,  unb  bureb  beffen  greunb 
unb  S>erebrer,  ben  befannten  gcijtlidjen  unb  weltlichen  Siebter,  Simon  £)ad).  3cner,  bie  Verausgabe 
beS  SBerfeS  einlcitenb,  burd)  baS,  wie  mir  ermähnten,  feines  SKeifterS  SStlbniß  unS  erhalten  worben  tji, 
nennt  it>n  ,,beS  meltberufcncn  Orlandi  diseipulum;"  biefer,  nad)  ©itte  jener  Seit  ju  beS  ©d)ülerS  unb 
£erauSgeberS  ßobe  bem  SBerfe  einige  lateinifcbe  £>ijtid)en  beifügenb,  fdulbert  in  ihnen  baS  fünftige  3ufam= 
mentreffen  feines  ©tobäuS  mit  ßccarb  unb  £)rlanbuS  unter  ben  ©ecligen.  £)ort,  fagt  er,  wirb  (Sccarb 
beine  ©cbläfe  mit  bem  Sorbccr  umwtnben,  ben  er  auf  ben  buftenben  ©eftlben  für  bid)  erjog ;  er  wirb  bid) 
mit  Sbränen  umfangen,  wenn  anberS  jener  SDrt  fit  nod)  gemattet.  Sann  wirb  er  bid)  bem  £)rlanbuS 
jufübren,  ju  ihm  fpreeben :  biefer  ift  eS,  t>on  bem  ich  bir  oft  gefagt,  mag  er  nun  eine  $robe  ablegen  ber 
Äunft,  beren  mir  unaufhörlich,  gebenfen;  AlleS  werbantt  er  mir,  feinem  SSater,  bir,  feinem  Ahn!  2)er 
eble,  gemütfwolle  2>acb  hat  hier  nicht  bloS  bid)tcrifchcn  Traumen  ftd)  überlaffen,  er  wußte  cS,  weld)e  berj= 
liebe  2iebe  fein  greunb  feinem  „frommen  9)räceptor"  bewahrte;  felbft  geflaut  hat  er  biefen  wohl  niemals, 
benn  ehe  er  noch  fein  »ierteS  2cbcnSjabr  jurüdgelegt,  hatte  ßccarb  .Königsberg  bereits  üerlaffen.  Mein 
beffen  ©cbülcr,  fein  älterer  greunb,  wirb  ihm  oft  erzählt  haben,  wie  innig  fein  Server  bem  berühmten 
9Kei(ler  angehangen,  beffen  v>äterlid)cr  ©orgfalt  er  feine  S3tlbung  oerbanfte;  unb  fo  mag  in  feinem  Innern 
baS  S3ilb  beS  3ufammentreffenS  biefer  brei  auSgejeid)neten  Sonfünftler,  »on  bem  er  fang,  ftd)  gehaltet 
haben.  £>iefe§  fo  fd)öne  83erl)dltnip  be§  9DieifterS  unb  ßchrltngS,  wie  eS  ftd)  lebenbig  fortpflanzt,  wenn 
biefer  jenem  nad)wäcbfi,  unb  in  baS  eben  nur  bineinjubliden  unS  ^ter  gewahrt  ift,  erregt  un§  freilich  ben 
2ßunfch,  Näheres  barüber  ju  wiffen;  aber  hier  üerftegen  unfere  £luellen,  unb  nid)t  einmahl  bie  3ett  »on 
©ccarbS  Aufenthalt  in  9Künd;cn  wirb  unS  berichtet.  SSSir  glauben  fte  in  ben  3eitraum  jwifdjen  ben  %ai)xm 
1571  bis  1574  fe^en  ju  bürfen,  unb  lehnen  unS  bei  biefer  Annahme  an  folgenbe  £batfad)cn  unb  @rwcu 
gungen.  ©eit  bem  %at)Xt  1557  befanb  ftd)  DrlanbuS  ju  9Künd)en  an  bem  ^>ofe  £erjog  Ulberts  beS  ©rop=' 
müthigen  t>on  S3aiern;  im  %al)xe  1562  hatte  ihn  biefer  ju  feinem  erjlen  6apcUmcijler  ernannt.  25er  9?uf 
feiner  großen  Äunfi  hatte  ad)t  3ah"  fydter  ganz  ®eutfd)lanb  erfüllt;  auf  bem  9?cid)Stage  ju  ©peier  »erlteh 
Äaifer  SCRarimilian  ber  Sweite  burd)  bie  Urfunbe  »om  7ten  Secember  1570  ihm  ben  SKeicbSabel  aus  eigenem 
Antriebe,  unb  nid)t  für  feine  $>erfon  allein,  fonbern  für  feine  rechtmäßigen  Äinber  unb  beren  eheliche  5iad>= 
fommen  beiberlci  ©efchled)ts.  einem  fo  bodjgccbrten,  allgemein  gefeierten  SOJcijler  burfte  ein  auswärtiger 
©djüler  faum  anberS,  als  febon  mit  einem  gewiffen  gortfehritte  ber  (gntwtrfelung  überwiefen  werben,  wo 
er  bem  SBielbefcbäftigten  ^ugleid)  ©ehülfe  fepn  fonnte ;  benn  baß  jener,  wo  fein  Amt  ihm  nicht  unmittelbar 


  435   

Die  Pflicht  tagH  auferlegte,  einen  noch  rohen  Anfänger  merbe  in  Die  üebre  genommen  haben,  ift  nidjt  glaube 
lieb.  SBir  fef?en  alfo  voraus,  Sccarb  werbe  als  fcfwn  f)eranrcifenber,  in  ben  AnfangSgrünben  feiner  Äunjl 
bereit?  unterrichteter  Jüngling  ju  ihm  gefommen  femi.  SKbglicb  ift  eS,  baf;  er  feine  früf>cfle  Unterwcifung 
Dem  Joachim  von  S5urgF  ju  banfen  hatte,  mit  bem  mir  ihn  fpäter  in  nal)en  33erbältniffen  mieberft'nben,  unb 
ber,  funfjefm  3al)r  alter  als  er,  bereits  feit  15G6  ftch  ju  SOcüblbaufcn  auffielt,  in  mclcfycm  3abre  er  von 
bort  auS  bem  ^Pfaljgrafen  Sficharb  bei  3?hein  fein  erfteS  Sonmerf"  mibmete.  3m  Sabve  1571  mürbe  SDrlam 
buS  in  Q)ari5,  mobin  er  gereift  mar,  von  ßart  bem  Neunten  ehrenvoll  empfangen ;  mir  befifeen  vier  2Berfe, 
Die  er  mäbrenb  biefeS  feines  Aufenthaltes  gefegt,  unter  ihnen  auch  ein  33ucb  fünfftimmiger  franjöfifcher 
©efänge.  Sftun  ift  eS  mabrfd)ctnlid),  baf?  ber  bamalS  achtzehnjährige  Eccarb  ihn  auf  biefer  STcife  begleitete, 
mo  ein  ©ehülfe,  jumabl  ein  tbätiger,  lebensvoller,  aufgemedter,  mie  biefer  »on  Seitgenoffen  gcfcbilbert 
mirt,  ihm  befonberS  crmünfd)t  fepn  mußte.  (Sin  fünfftimmigeS  franjbftfcheS  £ieb  EccarbS  —  baS  einzige, 
fo  viel  mir  befannt  gemorben,  baS  mir  von  ihm  befigen  —  fcheint  eine  §rud)t  biefer  Sfcife,  ober  bod)  eine 
Erinnerung  an  biefelbe  ju  fewn.  Sie  ßaune  unb  SBemeglicbfcit,  bie  in  ihm  vorberrfd)t,  beutet  auf  eine 
unmittelbare  Anfd)auung  bcS  Sebent  in  ber  ^auprftabt  granfreicbS,  bie  bem  Jünglinge  mohl  faum  anberS 
als  burd)  feinen  SD^etjlcr  mochte  gemährt  morben  fe»n,  bem  er  bafür,  nach,  ber  AuSbrudSmeife  jener  Seit, 
feine  SBcrfe  „in  £)rud  verfertigen"  half,  unb  Dabei  angeregt  mürbe,  auch,  einmahl  auf  gleichem  gelbe  mit 
ihm  ftch  ju  verfuchen,  moju  mir,  eben  in  biefer  Dichtung,  in  feinen  anberen  SBerhältniffen  feinen  Antrieb 
entbeden  fonnen.  %m  Sahre  1574  mürbe  von  Sari  bem  Neunten  DeS  SDrlanbuS  ©egenmart,  ja,  fein  fort; 
mahrenber  £>ienft  an  feinem  £ofe  lebhaft  verlangt,  ©ein  fürftlid)er  £err  unb  33efd)ü£er  willigte  nicht 
allein  in  biefe  Skränberung  feiner  bisherigen  SSerbältniffe,  er  forberte  ihn  felbft  baju  auf.  SSBenn  nun  auch 
tiefe  Überfiebelung  fpäter  burd)  ben  S£ob  beS  ÄönigS  vereitelt  mürbe,  ben  SrlanbuS  auf  ber  Sieife  nach 
^Pavt6  erfuhr,  unb  foglcich  nad)  9JIünd)en  umfebrte,  fo  mag  ftc  Doch,  für  Eccarb  eine  Söeranlaffung  gemorben 
fewn,  fd)on  vor  ber  Abreife  feines  gehrerS  von  biefem  ju  fcheiben,  bem  er  bauernb  in  bie  grembe  ju  folgen 
nicht  münfebte.  ©o  merben  mir  benn  auf  jenen  3eitraum  beS  3ufammenlebenS  S3eiber  geführt,  ben  mir 
jiiüot  annahmen ;  mir  vermögen  jmar  nicht,  ihn  mit  voEer,  gefdn'chtlid)cr  ©emifibeit  fejtjujlellen,  halten 
unfere  Annahme  inbefs  einigcrmaafjcn  für  gerechtfertigt.  Auch  bie  näcbften  ßebenSverbältniffe  unfereS  SJieü 
fterS  liegen  im  2)unfeln.  Einiges  Siebt  mürbe  vielleicht  fein  erfteS,  um  1574  ju  SJiübthaufen  erfd)ieneneS 
iöevf  un§  barüber  gemäbren  fonnen,  menn  eS  nämlich  eine  SSorrebe  ober  Sueignung  enthält,  bie  feinen 
Damaligen  Aufenthalt  unb  feine  Stellung  nennt.  ©S  tfl  unS  jeboch  nur  fein  Sitel  aufbehalten,  unb  trog 
aller  gorfebung  iji  eS  bisher  nid)t  aufjuftnben  gemefen.  S3ermuthen  bürfen  mir  nur  auS  bem  £rte  feines 
@rfd}einenS,  ba^  Eccarb  bamalS  auf  einige  Seit  in  feine  äkterftabt  jurüdgefehrt  mar,  unb  bort  ben  25rud 
DiefeS  feineS  ErftlingSmerf eS  leitete.  9lur  ju  vermuthen  ift  eS ;  benn  ein  fpätereS,  vier  Sah"  nachher  eben 
Dort  erfchjeneneS  jeigt  burd)  feine  3ucignung,  bap  er  nicht  am  £)rte  ber  Verausgabe  anmefenb  mar.  Allein 
Damals  hatte  er  febon  einen  tarnen  unb  Anfehen;  bei  biefem  frübeflen  feiner  2Berfe  beburfte  eS  mohl  noch 
feiner  »erfbnlichen  Anwcfcnheir,  unb  ber  Unterftü^ung  geachteter  ©onner,  um  bemfelben  Eingang  ^u  ver= 
fdiaffen.  Äehrte  htenad)  Eccarb  mabrfcbetnlich  im  Sahre  1574  jurüd  nach  SSJlüblhaufen,  fo  ift  eS  boeb 
rool)l  !aum  auf  bem  graben  2Bege  gefd>ehen;  unb  menn  mir  bie  SSermutbung  magen,  er  fet?  über  Augsburg 
nach  Senebig  gegangen,  unb  einige  SDionatc  nad)  feiner  Abreifc  von  SDZüncben  erft  in  ber  ^eimatl)  einge= 
troffen,  fo  fehlt  eS  für  biefelbe  nicht  an  ©rünben.  3unäd)ft  hat  er  9Künd)en  mohl  fchon  mit  Dem  grüblinge 
1574  verladen,    ßarl  ber  Neunte,  ber  am  30ften  SDiai  btefeS  Lahres  ftarb,  harte  feinen  Sßunfch,  EccarbS 

55» 


  436   


L  ctnnnifrcr,  CrlanbuS,  an  feinem  £ofe  ju  feljen,  obnfcblbar  febon  längere  Seit  jusor.  ausgebrochen;  treffen 
tfbfcbicb  au6  feinen  bisherigen  a3erbältniffcn,  bie  Trennung  be§  SebrerS  unb  ©cbülerS  waren  befcbloffcn, 
uni  auf  baö  IDjlafeji  mag  bie  2lbreife  bicfeS  legten  benimmt  gemefen  fepn.  2Bir  finben  ihn  fpätcr  in  5ugge; 
rifeben  Dienficn,  offenbar  burd)  ß-mpfeblung  be3  £>rlanbu3 ;  biefen  ©bnnern  ftd?  perfonlid)  »orjufteUen, 
roirb  er  für  Pflicht  gehalten  haben,  beS^alb  fein  SSSeg  über  2lug3burg.  3n  SSenebig  fianb  bie  SEonfunft 
bamoIS  in  bober  S3lütbe:  Sofepb  3avlino  alS  ©ängermeifter,  ßlaubio  SDJerulo  unb  2lnbrea§  ©abrteli  als 
£}rganiften,  ftanben  an  ber  (£pi£e  feiner  berühmten  SEonfcbulc;  biefe  Banner  ju  feben,  ibreS  Umganges 
iu  genießen,  ihrer  ^Belehrung  ftd>  ju  erfreuen,  mar  für  unfern  ftrebfamen  jungen  Äünftter  bie  lodenbfie, 
erfrculidifre  '.HuSftcbt,  unb  wie  leicht  fonnte  Sacob  Sugger,  fein  fpäterer  Dienftberr,  ihm  ben  SÜBcg  in  biefeS 
gelobte  2anb  bahnen !  (Sin  etnjetneS  fünfffimmtgcS  Sonftüd  unfcreS  9)ceifterS  üeranlafst  unS  noch  mehr  ju 
glauben,  baß  bie  eigene  tfnfdiauung  jener  rounberbaren  9JIeereSjrabt  ihm  gemährt  mar.  @S  flellt  eine  ©cene 
oor,  bie  in  bem  (betriebe  bcS  9DiarcuSplaf,5eS  üorgebt,  unb  er  f)at  eS  „Zanni  e  Magnifico"  überfebrieben. 
3mci  SSettler  beifeben  mit  Ungcfiüm  ein  2Hmofen  t>on  einem  ffolj  »orübergehenben  ßbeln,  einanber  im  Grifer 
Das;  2öorr  quS  bem  90iunbe  nebmenb : 

0  messir,  o  patru,  o  non  pos  plu  cantar, 

perclie  crep  dclla  fam, 
Diefer  berrfebt  ihnen  entgegen : 

Che  distu,  che  fastu,  che  vostu,  ah  bestion  etc. 
3n  biefcö  ©efpräd)  binetnrufcnb,  mie  eS  fd)eint  mit  einer  befannten  SSolfSroeife,  fud)t  ein  SSierter  ftd)  v>er= 
ftanblicb  51t  madien,  bei  jeber  SBtebcrbolung  feines  ßtebcS  einen  höheren  Anlauf  mit  ber  ©timme  nebmenb, 
big  er  bei  ber  legten  genbtbigt  roirb,  ftd)  roteber  berabjufttmmen,  meil  er  bis  an  ihren  äußerfien  Umfang 
gelangt  ift : 

Ella  bella  franceschina,  ninina, 
huflua,  la  iili  bustachina  etc. 
£>ae  ©an$e  ruht  in  ber  ©runbftitnme  auf  bem  bchaglid)en  Srinf'liebe  eines  beutfd)en  ©blbnerS: 

Mi  slar  bon  compagnon, 

Mi  trinckere  col  flascon, 

Mi  piasere  Moscatelle  etc. 
Die  frifebe  ßaune,  mit  ber  baS  ©anje  gefegt  ift,  baS  bei  rafeber,  belebter  2luSfül)rung  auch  gegenwärtig 
nicht  feine  SSÖtrhtng  verfehlen  mürbe,  beutet  auf  eigene  'tfnfcbauung  bcS  SebenS,  baS  in  ihm  ftd)  abfpiegelt, 
unb  baS  in  feinen  eigcntl)ümlid)cn  3ügen  rennen  ju  lernen  bamalS  nicht,  mie  jeljt,  jahllofe  S3erid)te,  Sße- 
fchreibungen,  auch  roobl  mtmifchc  Darftellungen,  bem  5U  £ülfe  famen,  ber  feine  £eimatl)  niemals  »erlaffen 
hatte.  2lUerbingS  befifjen  mir  für  (SccarbS  Sieifen  außer  £)cutfd)lanb  fein  roeitereS  Bcugnifj,  alS  baSjenige, 
baS  mir  neben  anberen,  begleitcnbcn  Umftdnben,  aus»  biefem  unb  bem  jtroor  befproebenen  Sonftücfe  herneh- 
men. S5eibc  erfd)eincn  jeboch,  eben  meil  einzeln  ftcbenbc,  unb  auö  bem  gcmbl)nlichcn  Äreife  franjbftfcber  unb 
ttalienifcher  ©efänge  jener  3cit  hcrauötretenbe,  alö  ein  fo  üiel  mcl)r  lebenbiger  ©piegel  ber  fremben  3uftänbe, 
welche  bie  empfängliche  ©eele  beS  3üngling§  anregten.  SSeibe  treffen  mir  jmar  erft  in  einer  fpäteren  oer-- 
mifebten  Sammlung  »on  ©efängen,  bie  eccarb  im  Sahre  1589  ^u  Äbnigöberg  herausgab,  ihre  frühere 
Gntftebung  mirb  aber  babureb  nicht  auögefchloffen. 

(5ccarb§  erfteS  Slonmerf,  baö,  mie  ermähnt,  um  1574  in  feiner  SSaterftabt  9föühlbaufen  erfchien, 


  437   


enthalt  unter  Dem  Sitel  Odae  sacrae  jwanjtg  geiftlid)e  ©efänge  ju  fünf  unD  mein-  Stimmen,  oon  feinem 
Sanbsmanne  Subwig  £clmbolb  gebicbtet.  Siefer,  bamals  fett  brei  %at)xm  (1571)  Siector  ber  bortigen 
Stabtfd)ule,  unb  feit  ,weien  (1372)  Siafonus  an  Der  £auptfird)e  $u  @.  SSlaft'en,  trug  sugleid)  ben  Sorbeer 
bes  Std)ters,  mit  bem  Äaifer  Sftarimilian  ber  3weite  auf  bem  3feid)Stage  ju  Siegensburg  (1566)  tl>n 
gefrönt  hatte.  2Sol)l  mochte  es  bem  jungen  SQtcijter  ein  würbiger  Anfang  feiner  fünftlerifd)cn  Saufbabn 
erfd)einen,  wenn  er,  ber  Egling  etneS  SEonfünftlers ,  bem  fein  9tuf  ben  OfeidjSabel  »erbient  l)atte,  ftd) 
einem  hcdigeacbteten  ©ciftlicben  feiner  SSaterftabt  juerft  anfd)lo{5,  ben  biefelbe  faiferlidbe  Sganb,  bie  jenen 
ju  einem  bolleren  Stanbe  hinaufgehoben,  mit  bem  Äranje  bes  Sid)ters  gefd)tnüdt  hatte.  So  ftiftete  ftd) 
Denn  aud)  jwifdmt  Stetten  eine  nähere  §reunbfd)aft  unb  ein  geiftiger  ä>erfcl)r,  ber  bis  ju  Jpelmbolbs  Sebent 
enbe  (am  12ten  2fprit  1598)  fortbauerte,  unb  aud)  burd)  gccarbs  Entfernung  feine  Unterbrechung  erlitt, 
wie  wir  in  ber  gclge  fcben  werben.  Safj  ßccarb  bie  frühefte  Untcrwcifung  in  ber  Sonfunft  von  Soachim 
twn  33urgf  erhalten  haben  möge,  würbe  »on  uns  fcfyon  juwor  als  Skrmutbung  aufgeftellt;  jeijt  fehen  wir 
ihn  mit  bicfem,  baraall  elftem  @antor  unb  .Crganifteu  ber  SSIaftcnrirc^e,  als  Mitarbeiter  unb  ©ebülfen  in 
näherem  Verhältniffe,  wenn  wir  aud)  bie  Stellung  nicht  anjugeben  wiffen,  bie  er  nunmehr  in  feiner  SSatei^ 
ftabt  einnahm.  Vermittler  war  aud)  l)ier  jumeift  $elmbolb ;  an  feinen  latcinifcbjn  unb  beutfdjen  Sid)tun= 
gen  für  .Kirche  unb  Schule  oerfuchten  ftd)  SSeibe  gemeinfd)aftlid).  SGBtr  begnügen  uns  für  jeljt,  über  ©ccarbs 
£eroorbringungen  nur  im  Allgemeinen  ju  berichten,  unb.fo  in  Umriffcn  ein  33tlb  feiner  fünftlerifchen  £h> 
tigfeit  $u  geben,  inbem  wir  eine  jufammenhängenbe  Sarftellung  feiner  geifttgen  ßntwidelung  in  feinen  2Ser= 
fen,  aus  ber  auch  bie  Stelle  ftd)  rechtfertigen  wirb,  bie  wir  ihm  in  ber  Äunftgefd)id)te  anweifen,  bis  bah.in 
oorbchalten,  wo  wir  ihn  burd)  alle  äujjeren  8Serh,ältniffe  feines  Sehens  werben  begleitet  l)aben.  Sas  erffe 
2Berf,  an  welchem  Gccarb  in  ©emeinfehaft  mit  33urgf  arbeitete,  erfd)ien  ju  9Jtül)ll)aufen  im  ^at;re  1577 
jum  erflert  9Jcaf)le,  t>on  bem  Sid)ter,  ^elmbolb,  fünf  hofnungsiwllen  Schülern  jugeeignet,  unb  führt  Den 
Stiel:  Crepundia  sacra  Ludovici  Helmboldi :  ßhriftlicbe  Sieblein,  An  S.  ©regorii,  ber  Sd)üler  gefttag, 
unb  fonfien  ju  fingen,  mit  oier  Stimmen  jugerid)t.  9cur  brei  vierftimmige  ©efänge  ßccarbs  ftnb  barin 
enthalten  (ber  erfte,  ftebente  unb  adjte),  ein  lateinifd)er  unb  jwet  beutfebe;  bie  übrigen  rühren  alle  oon 
Joachim  uen  23urgf  f)cr.  Sas  2Berfd)en  würbe  beifällig  aufgenommen  burd)  .£)ieront)mus  3?einhart,  Sßuä)- 
hänbler  in  9Jcül)lhaufen,  19  Sabre  fpäter  mit  einigen  3ufäl3en  wieber  aufgelegt  (1596)  unb  30  3<tf)re  fpäter 
in  bie  1626  ju  SSJiüblhaufen  erfd)iencne  ©efammtausgabe  ber  Sichtungen  -Öelmbolbs  mit  ben  Sonfäßeit 
beiber  SJieifter  wieber  aufgenommen.  £b  (Sccarb  bei  bem  erflert  ßrfd)einen  tiefes  Sßerfchens  noch  in  feiner 
Skrerftabt  anwefenb  war,  ift  wieberum  zweifelhaft ;  nur  fouiet  wiffen  wir  mit  Sicherheit,  taj?  er  ein  Sahr 
fpäter,  um  1578,  fich  ju  2lug6burg  alä  SKuftcuö  im  £>ienjle  ^acob  Suggers  befanb.  Senn  »on  bort  aus 
eignet  er  am  Sage  S3artbolomäi  (ben  24ften  2luguft)  tiefe»  3ahre§  24  beutfehe  Sieber  ,,mit  »ieren  unb  fünft 
Stimmen,  ganfj  lieblich  ju  fingen,  unb  auf  allerlei)  9Jiufifalifd)en  Snftrttmenten  ju  gebrauchen"  ben  brei 
SSrübern  SJcarr,  ^anfen  unb  %uob  gugger  ju,  „als  ju  folcher  löblichen  Äunfr,  wie  aud)  ju  allen  anbern 
bodwerftänbigen  ^>errn."  Sod)  ift  bieö  2Berf,  wie  fein  erftes,  in  SDJühlhaufen  bei  ©eorg  £an(3fd)  gebrudt; 
fein  bloßer  S£itel  alfo  würbe  Aufenthalt  unb  Stellung  bes  9Keijters  ungewip  laffen.  dntjtanben  ift  es  aber 
ohne  3weifel  bereits  in  feinem  neuen  £>erl)ältmffe,  benn  er  fagt  es  ju  Anbeginn  feiner  3uetgnung,  bie  uns 
fonft  feine  weiteren  Auffchlüffe  giebt,  mit  ausbrüdlid)en  SSBorten. 

SSon  langer  Sauer  war  biefes  S3erhältnip  ju  ben  guggern  nicht  5  ber  Stuf  eines  funftliebenben 
gürften  entfernte  ihn  weit  »on  feinem  bamaligen  Aufenthalte  unb  oon  feiner  SSaterftabt,  unb  wies  ihm  bie 


  438   


©teile  an,  wo  feine  frifd)e|te,  erfolgreiche,  in  tyren  SBirfungen  weit  über  feine  ßebenSjeit  binauSreid)enDe 
Sbätigfeit  ft'd>  entfalten  follte.  SDiaifgraf  ©eorg  griebrid)  üon  58ranbenburg=#nfpad),  33erwalter  beS  Sptx- 
jogtlntmS  Greußen  für  beffen  gemütbSfranfen  «£erjog  Ulbert  griebrid),  nafmt  tfm  nad)  .Königsberg  mit  in 
feinen  Dienft.  ©o  wirb  unS  »on  ©tobäuS,  bem  ©d)üter  (SccarbS,  berichtet;  biefer  foll  mit  bera  Wlaxb 
grafen  auS  £>eutfd)lanb  gefommett  fepn.  9hin  leuchtet  eS  aber  ein,  bafi  biefeS  nid)t  bei  ©eorg  griebrid)S 
etjla  Wnfunft  in  Königsberg  gcfdjcfyen  ferm  fbnne.  Siefer  §ürft,  nad)bem  er  feit  bem  %at)xe  1573  aner= 
Fannter  ffiormunb  2llbred)t  Sricbrid)S,  jweiten  ^>erjog§  »Ott  Greußen,  gewefen,  erhielt  am  27ften  gebruar 
1578  ju  2Barfd)au  bie  9Jiitbelel)ntfd)aft  über  baS  ^crjogtbum,  unb  ging  r>on  bort  nad)  Königsberg  bie 
t>ormunbfcbaftltd)e  Sfegierung  anzutreten,  bie  er  bafclbft  ad)t  ^avixe  perfbnlid)  verwaltete,  bis  er,  ber  ©rret- 
tigfeiten  unb  3«würfmffe  mit  bcn  Gtänbcn  mübc,  um  1586  roieberum  nad)  granfen  ft'd)  jurüdjog. 
(Sccarb  mar  aber  im  ©patfommcr  1578  nod)  im  ©ienfte  Sacob  guggerS,  er  fann  alfo  in  ben  erften  9Jiona= 
ten  beffelben  SatyreS  nicfyt  als  £>iencr  ©eorg  grtebrid)3  nach,  Greußen  gekommen  ferm.  ^Begleitete  er  tt>n 
aber  auS  £>cutfd)lanb  bortbin,  fo  muj  eS  bei  einer  fyäteren  2lnwefenl)eit  biefeS  gürften  bafelbft  gefd)ef)en 
fetm.  (Sine  foldje  f»at  nun,  fow'el  roir  wiffen,  nur  einmabj  ftattgefunben ;  ©eorg  griebrid),  ber  in  fei* 
nen  ©rblanben  eine  eigene  ©tattl)alterfd)aft  angeorbnet,  alfo  feine  SSeranlaffung  f)atte,  fte  perfbnlid)  ju 
befud)en,  tjat  Königsberg  nur  im  %avjxe  1579  werlaffen,  um  nad)  25cutfd)tanb  unb  bann  auch,  wobl 
feinen  fränfifd)en  S3eft£ungen  ju  geben.  'tfm  8ten  9J2ärj  1578  trotte  er  feine  erflc  ©emablin  —  (Sltfabetb, 
£od)ter  beS  SRarfgrafen  Sofjann  in  ßüftrin  —  »erloren;  am  brüten  9Kai  beS  folgenben  SabreS  nermäblte 
er  ft'd)  ju  DreSben  ber  $)rinjeffüt  ©opf)ie,  £od)ter  £erjogS  2Biu)clm  ju  33raunfd)weig=2üneburg.  @et) 
eS  nun,  bafj  er  »on  bort  auS  aud)  Jvanfen  befud)te,  um  feine  neue  ©emal)lin  bafelbjl  einjufül)ren,  ober 
unmittelbar  nad)  Greußen  jurüdfel)rte ;  immer  ift  bie  9Jlbgltd)feit  gegeben,  bafj  er  mit  (Sccarb,  ben  er  für 
feinen  iDienfr  geworben,  trgenbwo  in  £>cutfd)lanb  jufammentraf,  unb  baß  biefer  nun  feinem  ©efolge  ftcb 
anfd)lof$.  SBann,  unter  weld)en  Umftänben  er  tJ)n  geworben?  wiffen  wir  nid)t;  bafj  aber  ber  SSefüj  eines 
9ReifterS,  ber  als  ber  üorjüglid)jte  unter  beS  l)od)gefeicrten  CrlanbuS  ©djülern  gerül)mt  würbe,  unb  ber 
bereits  burd)  jwei  nabmbafte  ÜJBerfe  ft'd)  ausgezeichnet  fjatte,  tl)m,  bem  äd)tcn  Kunfjtfreunbe,  münfd)enS= 
wertb  ferm  muß te,  leibet  feinen  3weifel. 

©cwö()nlid)  nennt  man  baS  3al)r  1583  als  baS  ber  tfnfunft  (SccarbS  in  Königsberg,  unb  grün= 
Det  ftd)  babei  auf  baS  3eugnifj  ^MfanSfi'S  in  feiner,  leiber  nur  jur  #älftc  erfd)ienenen  £iterargefd)id)tc 
»Preu^enS.  (5in  fo  beftimmteS  3eugnif?  jcbod),  als  man  üorauSfe^t,  ift  bei  ^ifanSfi  nid)t  ju  finben.  @r 
fagt,  Crccarb  fet)  nacf)  feiner  'tfttfunft  in  Königsberg  1583  bem  SEbcobor  Sftccto  als  SSicecapellmeifter  beige= 
geben  movben,  woraus  nur  bann  $u  folgern  wäre,  aud)  feine  3(nfunft  fet)  in  biefeS  %al)x  ju  fe^en,  wenn 
man  bie  Saf)rjar)t  mit  bem  üorangel)cnben  2Borte,  ftatt  mit  bem  folgenben  ©al^e,  in  Sktbinbung  ftellen 
wollte,  woju  feine  83cranlaffung  worbanben  ift.  llu&)  barf  nid)t  unbemerft  bleiben,  ba§  aller  #nfd)ein 
oorbanben  ift,  ^)ifanSfi,  Der  bie  Quelle  feiner  9lad)rid)t  vcrfd)weigt,  l)abe,  feiner  fonfiigen  ©enauigfeit 
ungeacbtet,  eben  i)iex  geirrt.  (Srft  um  baS  3afyr  1585  nämlid),  üom  30ften  %uti,  ft'nbet  ft'd)  in  bem  7lrd)be 
ju  Königsberg  ber  Entwurf  einer  S5e|lallung  beS,  mit  ©eorg  griebrid)  nad)  ^)reupen  gefommenen,  jum 
eoangetifd)en  ©lauben  übergetretenen  Sbeobor  Kiccio  auS  Sßrefcia,  alS  ßapcümeifter,  woburd)  ibm  ein 
jdbrlid)er  ©ebalt  »on  360  ©ulben  (ipreu^ifd)),  freie  2Bol)nung  unb  jwei  Kleiber  jäbrlid)  jugeftd)ert  werben; 
febr  mäßige  JBortbeile,  wenn  man  bie  'ilnforberungen  ber  ©egenwart  unter  äbnlid)en  SScrbaltniffen  bamit 
rrrglficbt,  unb  ein  SKaajiftab  für  baSjenige,  was  (Sccarb  als  fein  ©ebülfe  unb  Vertreter  ju  begeben  baben 


  439   


,mod>re !  Sap  er  tiefet  aber  wirflieb  gewefen  fe»,  leibet  feinen  Zweifel,  obgleich,  feine  SBeftallung,  weber 
als  SSicecapellmcifter,  noch  als  ßapellmeijter  mehr  bat  aufgefunben  werben  fbnncn.  ds  bejeugen  bie  Sitel 
aller  feiner  größeren,  wie  gelegentlichen,  fleineren  SSonwerfe  feit  bem  Söhre  1389  (von  wo  an  wir  ber- 
gletct>cn  in  Königsberg  erfebienene  beftgen),  auf  benen  er  bis  in  bas  3abr  1603  „gürjtlidjer  Surcblaucbt  in 
"Preupen  SJiuficuS  unb  ajicecapellmeifter"  genannt  wirb,  Ciapellmeifter  aber  nennt  er  fieb  erft,  nad)  bem 
Sobe  ©eorg  griebriebs,  auf  bem  Sitelblatte  bes  ^ochjeitsgefanges,  bureb  ben  er  bie  am  29ften  'tfpril  1604 
gefeierte  äkrmäblung  ber  "Prinjcffm  iÜJaria,  jweiten  Softer  bes  gemütbsfranfen  £erjogs  'tflbrecfyt  griebrich 
»on  'preupen,  mit  ÜHarfgraf  Gtjriftian  von  S3ranbcnburg-ßulmbad)  befang,  bem  Sohne  bes  ßburfürjten 
Sobann  ©eorg,  unb  jüngeren  ffiruber  bes  bamals  regierenben  ßburfürjten  Soacbim  griebrid)  von  33ram 
benburg;  unb  es  ifl  febr  wabrfcbeinlicb,  bap"  er  bei  biefer  fefttid?en  ©elcgenljeit  jene  höhere  SSejMung 
erhielt,  naebbem  bie  ßapellmeifterftelle  um  1599  bureb  Siiccio's  Sob  erlebigt  morben  war. 

(Sine  günftige  Stimmung  erwartete  unferen  (üccarb  nicht  bei  feiner  2lnfunft  in  ^reufjen.  9Kan  hegte 
bamals  in  Königsberg  ein  SSorurtbeil  gegen  bie  'tfuslänber;  man  hatte  felbft  ^erjog  Wibrecht,  bem  ©rünber 
ber  borrigen  .Jpocbfcbule,  gejürnt,  bap  er  beren  in  fjo  groper  2lnjahl  borthin  berufen  habe,  weil  ihnen,  nicht 
mit  Unrecht,  ein  grofjer  Sheil  ber  bort  entftanbenen  heftigen  Streitigfeiten  beigemeffen  würbe,  jumahl  bie 
3erwürfniffe  unter  ben  ©ottesgelebrten ;  man  grollte  je^t  bem  SCftarfgrafcn  ©eorg  griebrid),  megen  ber 
„granfen,"  bie  er  mit  in  bas  2anb  gebracht.  Sin  befto  ehrenvolleres  3cugnip  mar  es  für  biefe  —  unter  bie 
man  aud)  wohl  ßccarb,  als  Siener  bes  aus  granfen  gefommenen  neuen  £errn,  gerechnet  f)aben  mag  —  bap" 
mehre  unter  ihnen  balb  atigemeine  Siebe  unb  Achtung  ermarben.  So  gefdjabe  es  ©ccarb,  wegen  feines  freunb* 
liehen  SBefens  unb  feiner  fünftlerifchen  £üd)tigf  eit ;  ja,  felbft  ben  4?ofbtafonus  unb  Beichtvater  ©eorg 
griebriebs,  Sebajtian  2lrtomebes,  erbat  ber  Äneiphöfer  Stabtratr;  von  ihm,  meit  er  ihm  bie  eben 
erlebigte  ©teile  bes  Pfarrers  an  ber  bortigen  Somfircfye  ju  übertragen  münfehte.  Ser  gütige  gürfi  gemährte 
biefe  SMtte,  verfieberte  aber  bie  2Ibgeorbnetcn,  bie  fte  ihm  vortrugen :  fie  follten  nur  glauben,  bap  er  ihnen 
bamit  ben  grbfjeften  Sbeil  feines  ^)erjens  hingebe.  @s  mar,  bei  SSBürbe  ber  ©eftnnung  unb  einem  frieb= 
fertigen  ©emüth,  bas  biefen  madern  ©eiftlichen  von  allen  Streitigfeiten  fern  hielt,  unb  feine  ungeteilte 
Sbätigfeit  auf  bas  Sßohl  ber  Äircbe  unb  Schule  lenfte,  wohl  auch  ber  treuherzige  Son  feiner  ^rebigten, 
ber  ihn  balb  empfahl,  auch  wo  er,  felbft  von  ber  Kandel  herab,  feinen  ganbsleuten  bas  2Bort  rebete ;  wie 
er  benn  einmahl  wiber  bie  9>ejt  ber  ©elbfucht  „bas  liebliche,  fräftige,  tugenbbafte  .Kräutlein  ©enügfamfeit" 
gerühmt  h^hen  foll,  „bas  in  Seutfchlanb,  unb  fonberlich  im  granfenlanbe,  mohl  gebeihe,  wo  man  ehe 
bunbert  jwitlerne  Kittel  finbe,  benn  einen  2Bolfsbel£,  unb  wo  biefes  Kräutlern,  bas  bie  ©riechen  uvtu(j%üuv 
genannt,  in  teutfeher  Sprache  beifie:  ©Ott,  unb  genug!"  Sticht  allein  als  ©efäbrte  unb  Siener  beffelben 
£errn,  fonbern  auch  als  geijtlidw  Siebter  fam  2(rtomebes  mit  ßccarb  balb  in  näheres  S3erhdltnip ;  wir 
werben  bavon  ju  reben  haben,  wenn  wir  unferes  Söleifters  Sonwerfe  näher  betrachten.  9cäcbji  3(rto= 
mebes  traten  als  beutfebe  2ieberbid;ter  fpäterhin  jwei  anbere,  jüngere  SOiänner  mit  ihm  ju  Königsberg  in 
engere  SBejiehung.  ©eorg  Jeimann,  um  1570  ju  ßeobfchü^  in  £bcrfcblefien  geboren,  mar  Anfangs 
ßebrer  an  ber  Stabtfcbule  ju  Sägernborf  gewefen,  unb  hatte  fich  bann  nach  SBittenberg  gewenbet,  wo  er 
im  Söhre  1595  bie  SOkgifterwürbe  erhielt.  5m  folgenben  Söhre  1596  würbe  ihm  bas  aufserorbentlicbe 
Üehramt  ber  33erebtfamfeit  ju  Königsberg  übertragen,  unb  hier  fehen  wir  ihn  balb  mit  unferem  (Sccarb 
befreunbet;  1599  erhielt  er  bie  Stelle  eines  2lrchipäbagogen,  unb  1601  bie  orbentliche  ^)rofeffur  ber 
S3erebtfam!eit.   9)eter  ^)agen,  ober  ^)agius,  aus  bem  Sorfe  ^>enneberg  bei  ^)eiligenbeil  gebürtig,  wirb 


  440   

l"d)on,  währenb  er  in  .Königsberg  jtubirte,  unferem  93ieijler  befannt  geworben  fema  5  naher  jeboeb,  wohl  erfi, 
Halbem  er  feit  1594  @d)iifoorftef)er  bafelbft  geworben  war.  ^rtomebeS  SSobeSjafjre,  1602,  würbe  er 
jura  Siector  ber  Äneipljbfcr  ©chule  befiellt;  (eine  ferneren  (Scfyicffale  ftnb  unS  unbekannt.  Siefe  brei  nennt 
un§  (StobduS  als  feinem  SKeifter  innig  SSerbunbene,  „ben  »ortreflichen  ShcologuS  unb  ^oeten  2(rtomebeS, 
teil  weitberufenen  $)rofeffor  Sieimann,  ben  frommen  ©djulrector  $agiuS,"  unb  bemerff,  baß  er  „biefelben 
mit  feiner  freunblichen  @otwerfation  unb  licblidjen  ßompofttionen  bahin  bewogen,  bafj  fte  bann  unb  wann 
ihm  mit  einem  geifilichen  Siebe  bebienlich  erfchtenen."  Sn  feinen  näd}jlen,  wdfjrcnb  fetncS  ÄbnigSberger 
•itufentbalteS  in  9Küf)If)aufen  erfd)tcnenen  #ert>orbringungen  fehen  wir  tf>n  aber  noch  mit  feinem  SanbS= 
manne  £clmbolb  uerbunben.  ©S  ftnb  tner  Sonfd^e,  bie  einen  5£b,eil  ber  »on  3oad)im  uon  35urgf,  wahr= 
fdicinlid)  juerfi  1585,  herausgegebenen  brctfjig  geiftlid)en  Sieber  bilben,  unb  wir  werben  fpdter  fehlen,  bafj 
von  ihnen  unb  ben  brei,  in  bie  Crcpundia  beffelben  SOieifterS  aufgenommenen  ©d^en  ©ccarbS,  mehre,  theilS 
im  Saufe  beS  17ten  SahrljunbertS  in  fircfylicfyem  ©ebrauche  blieben,  theilS  noch  ie£t,  6rtttdf>  minbeftenS, 
t>em  ©emeinegefange  angehören. 

Um  1589  erfdu'enen,  ju  jtonigSberg  bei  ©eorg  £>fterberger  gebrueft,  in  fünf  ©timmbücfyern 
"25  tbcils  fünf=,  theilS  merfttmmige,  getftltd)e  unb  weltliche  Sieber  GrccarbS,  unter  einem  ähnli- 
chen £itel  wie  bie  fcfyon  1578  ju  SEJiühlfKUtfen  üon  ihm  herausgegebenen.  25eS  SEftetjrerS  3ufd)vift 
oom  13ten  2fpril  1589  an  „ben  ^Burggrafen,  bie  SBürgermcijrer,  Sfathmanne,  9?id)ter  unb  ©erid)tSt>er= 
wanbten  ber  .Königlichen  ©tabt  ©anjigf"  belehrt  unS,  bafj  berfelbe  früher  wie  fpäter  CrntftanbeneS  in  biefe 
©ammlung  vereinigt  habe.  @r  fagt  hjer:  „SBenn  id)  benn  bie  Seit  her  weif  ich  tn  ^i)m  gürftl.  £)urch- 
laucht  ju  ^reufsen,  meinet  gndbigften  gürffen  unb  £errn  Capellen,  für  einen  83ice=@apellmcifier  mich 
gebraud)cn  laffen,  neben  anberen  (SonwofttionibuS  auch  gegenwärtige  ©cfänge  verfertigt,  habe  ich  *>iel= 
fältiges  Inhalten  unb  ^Bitten  meiner  guten  £errn  unb  greunbe,  ber  9Jluftc  Sicbhabern,  biefe  in  £>rucf  ju 
geben  mich  bereben  laffen,"  unb  giebt  bamit  ju  erfennen,  baß  wenn  er  feinen  ©onnem  aud)  9Jland)eS 
biete,  was  ju  üerfd)tebencn  Seiten  entftanben  fet)  —  wobei  wir  nicht  im  firengften  SSevftanbc  werben  anneh= 
men  bürfen,  bafs  nichts  barunter  t>or  bem  3 eitpunfte  feiner  Ernennung  a!S  33icecapeUmeiftcr  gefegt  wor= 
oen  —  boch  TOcS  erft  jefjt  jum  erften  9Kaf)le  an  baS  Sicht  trete. 

Eingeleitet  werben  biefe  ©efänge  burch  einen  lebenbig  bewegten,  funftreichen  S£onfa£  »on  fünf 
Stimmen,  auf  ein  Sieb,  baS  fchon  fein  Vorgänger,  .£>anS  Äugelmann,  für  <£>erjog  Ulbert  breiftimmig 
gefegt  hatte;  auf  eine  befannte  33olfSmelobie,  wie  eS  fcheint,  wäbjenb  (Sccarb  nunmehr  eine  felbfterfunbenc 
motettenhaft  baju  burchgeführt  hat : 

„Frölich  will  ich  fingen,  fein  Sraurigfeit  mehr  pflegen, 
Seit  thut  3?ofen  bringen,  bie  ©onn'  fcheint  nach  bem  Stegen, 
^ach  bem  2Binter  falt,  fo  fommt  ber  ©ommer  mit  ©cwalt, 
9lach  ber  ftnftern  9cacht  ber  heUe  Sag  anfad)t  mit  9Kad)t, 
3tlfo  hoff  id)  roerb  ftct>  baS  ©lücf  auf  mich 
3n  furjer  Seit  wohl  wenben, 
£>arumb  id)  will  ferm  ftia,  bis  ftd>  erfüll', 
darnach  mein  ^>erj  thut  lenben." 
Diefem  folgen  jwölf  geiftlid)e  unb  eben  fo  viel  weltliche  Sieber,  bie  fünfftimmigen  juerfl,  unb  bann  bie 
oierftimmigen,  wobei  immer  bie  geiftlichen  »oranftehen.   S3on  biefen  legten  werben  wir  fpdter  ju  reben 


  441  


haben,  jene  freilich,  ft'nb  unferem  gegenwärtigen  3wede  fremb,  wir  werben  fie  aber  nidbt  ganj  übergeben  bür= 
fen,  »eil  unfereS  9Jceijter3  %xt  unb  Jtunjr,  wie  fein  ©emütb  unb  feine  ©efmnung  barau§  erfannt  werben 
tonnen.  5Ba§  jene  betrifft,  fo  jeigt  ft'cb  Sccarb  tytx  aß  gewanbter  3&gling  ber  33elgtfcben  ©dbule.  50Ztt 
meiern  ©efdu'cf  weiß  er  »erfebiebene  SEficlobtecn  ju  üerfnüpfen,  unb  nicht  allein  eine  9Jiannid)fattigr'eit  ber 
£armonieen  bamit  b«»orjubringen,  fonbern  auch,  brollige,  erbeitembe  ©egenfäfce.  daneben  jeigt  fieb 
überall  eine  ehrenhafte,  reine  ©eft'nnung,  ber  ©cber^  tji  burdjweg  barmlo§,  unb  allein  ba§  mit  aufgenotru 
mene  franjöft'fche  ßieb  —  baäjenige,  beffen  wir  früher  gebauten,  unb  ba§  wir  nebft  jenem  anberen,  üenebi= 
feben,  hier  wieberftnben  —  enthält  ein  $aar  mutbwillig  verwegene  SSBorte.  3"  jener  Seit/  bie  fo  öiel 
©d)limmere§  »ertrug,  waren  bergleidjen  atlerbingä  nicht  auffällig,  aber  ft'e  ft'nb  boeb,  bie  einzigen  biefer 
2£rt  bei  unferem  SEReifter  geblieben,  bafyer  wir  aud)  t>orau3fe£en  müffen,  e§  möge  biefeS  Sieb  in  jüngeren 
3abren,  unb  unter  bem  unmittelbaren  Gnnfhtffe  be§  8eid)tftnne§  ber  franjbftfchen  ^auptjlabt  entjranben 
fepn;  Sccarb  aber  fyabe  bennoeb  aud)  btefenSonfa^,  aß  einen  geiftreich.  belebten,  nicf)t  jurücff)alten  wollen,  fo 
wenig  aß  fein  SJieijter  £>rlanbu§  feine  „SOZoreSfen  unb  SBillanellen, "  bie  um  gar  S3tele§  leichtfertiger  ft'nb, 
unb  bie  er,  fcfyon  alternb,  herausgab,  mit  bem  ©eftänbniffe :  e§  würbe  ihm  beffer  gekernt  haben,  in  feinen 
jüngeren  Sabren,  wo  er  fie  gemacht,  bamit  berworjutreten.  ©ern  begegnen  wir  hier  ben  SBeifen  unb  3Bor= 
ten  einiger  33olf§lieber,  beren  Anfänge  wir  fonfl  gewöhnlich,  nur  in  jenen  £Utoblibeß  ftnben,  an  benen  bie 
frühere  3eit  ftd)  ergö^te,  wie:  ,,£)er  SBtnter  falt  ijt  oor  berSSbür;"  „9hm  febürj  bid),  ©retlein,  fchürj 
bieb,"  unb  anbere.  2Me  Srinflteber,  beren  mehre  hier  t>orfommen,  ft'nb  ganj  ber  2trt,  wie  fte  jene  Seit 
„bei  fröhlichen  Conviviis  ju  ehrlicher  ßrgb^ung"  gern  gebrauchte;  ntrgenb  t)errfd)t  rofjc  ober  tobenbe 
Sujtigfeit  in  ihnen,  aber  berbe,  gefunbe  grbhlicbfeit.  ©o  fingen  in  einem  fünffttmmtgen  ©a|e  biefer  "Kxt 
oier  Stimmen  jene  befannten  lateinifdhen  &ikn*),  ben  ©aft  ber  Sraube  rühmenb,  wte  er  ben  Pfaffen  ba§ 
bejte  Catein  reben,  bie  3tlten  mit  Seichttgfeit  tanjen  lehre,  wie  er  bie  tfrmen  reich,  bie  Sahnten  geljenb,  bie 
©tummen  berebt,  bie  Sauben  bbrenb  mache;  unb  baju  läßt  bie  fünfte  ©timme  bie  SBorte  ertönen: 

3d)  bring  meim  £errn  ein  ooiIe3  ©kß, 
ex  bona  caritate, 

er  fefct  baä  ©leßlein  an  ben  SSJiunb, 
ex  bona  caritate, 

dx  txanU  beraub  bß  auf  ben  ©runb,  :c. 

@r  hat  fein'  Singen  wobl  getban,  it. 

©ein  SRacbpaur  foll  ein  volles  t)an,  :c. 
er  fefet  2C.  dx  tranfö  ic. 

dx  {>at  jm  lejben  wol  gethan,  :e. 

£)a£  ©leßlein  ba§  foU  umbber  gan, 
  ex  bona  caritate! 


')    Fertur  in  conviviis 
Vinus,  vina,  vinum  : 
Maskulinum  displicet. 
Placet  femininum, 


Volo  inter  omnia 
Vinum  pertransire; 
Vinum  facit  vetulas 
Leviter  salire  ; 
Et  ditescit  pauperes, 
Ciaudos  facit  ire, 
Mutis  dat  eloquium 
Sardisque  audire ! 


Sed  in  neulro  genere 
Vinum  est  divinum  ! 
Loqui  facit  clericum 
Optimum  latioum  ! 


».  3Bintcrfelb,  1er  esanjtt.  (S^oratgefang. 


56 


3ch-  riefet  geilen  tragt  fte  in  etnev  munteren  5DMobie  »or,  beven  ©runbjüge  wir  noch  bis  auf  biefen  Sag 
im  SOiunbc  beS  SSolfeS  mieberfmben,  mobureb,  bei  ben  mecfyfemben  ^armonieen,  baS  ©anje  ungemein 
belebt  wirb.    3n  einem  anberen  Siebe  biefer  2£rt  ju  toter  Stimmen  betfit  eS: 

Vinum  quae  pars,  toerfie^ftu  baS? 

3jf  auß  latent  gejogen,  — 

Sa,  nur  ganj  wol,  id)  bin  eS  »ol, 

3ft  waf;v,  tft  nicht  erlogen, 

Sn  bem  £>onat,  ber  Sfeiflein  bat, 

#ab  id?  eS  oft  gelefen; 

Quod  nomen  sit?  eS  fef)It  ftch  nit, 

9JJan  trinft  jn  auS  ben  ©lefem! 
2lber  allcS  btefeS  beutet  nicht  auf  müftc  Scbmelgerci,  auch  wirb  bie  fietjre  auf  Weitere  SBeife  baneben  gcftcHt. 
,,2Benn  baS  £aupt  oon  bem  geftrigen  ©elage  fcfymerjt,"  fagt  ein  britteS,  lateinifd)cS  Sieb,  „maS  bann? 
erbebe  baS  ©laS  unb  trinfe  roteber!  unb  bann?  fänftige  ben  Schmerz  immer  auf  gleiche  2lrt!  aber  jule^t? 
wirft  bu  ein  SEbor  fetm  gleich,  mir,  pflegte  ßlauS  S^arr  ju  fagen!"  —  @S  fann  nicht  gleichgültig  femt,  ju 
betrachten,  in  welchem  Sinne  eben  ber  Sittann,  ben  mir  in  geiftlicben  Siebern  baS  Sicffte  unb  Sattefte  bureb 
feine  £6ne  werben  fünben  feben,  auch  unter  fröhlichen  ©efäbrten  feiner  barmlofen  SDiuntcrfett  ftch  hingab ; 
ja,  eS  gebort  ju  SMcnbung  feines  33tlbeS,  unb  barum  haben  mir  nicht  »erfebmäbt,  ben  Snbalt  jener  Sie* 
ber,  bie  er  für  folebe  Äreife  gemdhlt  unb  gefegt,  hier  anzuführen.  Stacht  bie  Sonfunft  bei  heiteren  ©ela- 
gen,  rote  es  burd)  ©ccarb  gefchabe,  in  ber  Sbat,  als  folebe,  ftch  geltenb;  bringt  ber  £örer  ein  offenes  £)br 
für  fte  büi5U,  unb  fann  bie  greube  an  ber  SBiebcrbelebung  ihrer  ©rjeugniffe  nur  bann  in  »ollem  SCßaafj e 
obmalten,  rcenn  bie  QluSfübrcnben,  ihrer  itunflfertigfcit  uollfornmcn  mäd)tig,  in  alle  bie  feinen,  launigen 
3üge  eingehen,  an  benen  bie  Sonfa^e  unfereS  SOZeifterS  fo  reich  ftnb,  unb  jumabl  auch  über  baS  lefcte 
Sieb ;  bann  ift  gewißlich  ber  £ang  ju  roher  Schlemmerei  entfernt,  bie  bamit  nicht  befteben  fann ;  ein  ^)ang, 
oon  bem  mir  leiber  nicht  leugnen  tonnen,  bafi  er  oft  genug  bie  ©efelligfett  jener  3cit  gefchänbet  habe,  dnb- 
lieh  hat  unfer  SDicijter  auch  feinen  2Bablf»rudb : 

„Scblcd)t  unb  recht  behüte  mich !" 
nach  bem  Siracb,  auf  eigenthümliche  SBeife  gefegt.   (§r  wiebcrbolt  ihn  fiebenmabl;  baS  erfte  9JJabl  leitet  er 
feinen  fünfftimmigen  Sonfafj  ein  burd;  beffen  einfache  SOMobie  oon  fiebert  Ebnen;  nach  fiebert  Raufen  (tein- 
poribus)  läßt  er  ihn  regelmäßig  mieber  eintreten  in  baS  ©emebe  ber  übrigen  vier  Stimmen,  unb  bicfeS  flicht 
ft'd;  jufammen  in  bem  Vortrage  folgenber  lateinifchcr  £)t(licbcn  ju  jenem  feften  ©efange  beS  SScnorS: 
Altum  alii  sapianl,  numerosa  voluniina  condant, 
Foecundique  crepent  dotibus  ingenii ; 
Unica  mi  faveat,  siüjue  comes  una  fidelis 
Simplex  integritas,  integra  simplicitas. 
,,9Jcbge  Tlnberen  bobeS  SBiffcn  befd>eert  fcon,  mögen  fte  jabltofe  33änbe  febaffen,  mögen  fte  fcbmctlenb  auf/ 
brechen  oon  ben  ©aben  beS  fruchtbaren  ©eijteS  s  mich  begünftige  allein,  mir  fcp  einige,  treue  ©efäbrtin, 
rechtliche  einfalt,  einfältige  Siedjtlicbfeit."  3n  biefem  Sinne,  ftetS  bie  Kufoabm  fetner  Äunjl  »or  ^ugen, 
niemals  fid)  felber ;  feine  reichen  ©aben  nie  überfcbäfjenb ;  als  ihren  £luell  jtetS  ben  erfennenb,  »on  bem 
aUein  alle  gute  unb  uollfommene  ©abc  fomint;  ihm  bie  (Ihre  gebenb  in  bet  berjlid)en  unb  rechtlichen 


443   


greut-c  an  tan SSSoblgelungencn, beffcn  it)in  ötel  gewahrt  würbe;  fo  hat  unferSSJlcifter  in  ber  %{)at  fein  fciebe= 
lang  gcftrcbt,  unb  wir  bürfen  fagen,  baß  er  wahrhaft  gelebt  habe ! 

Seit  ber  Verausgabe  biefeS  SBerfeS  gingen  fiebert  Safjre  t)\n,  er)e  ßccarb  wicberum  mit  einem 
neuen  hervortrat.  2üir  bürfen  aber  ntcfyt  glauben,  baß  biefe  Swifcbcnjeit  ihm  eine  muffige  gewcfen.  "2(u§= 
gefüllt  würbe  fic  cl)ne  Sweifcl  mit  Vorbereitungen  ju  feinen  vorjüglicbfien  «Schöpfungen,  bie  bann  htrj 
nach,  einanber  an  baS  Std?t  traten,  unb  burd)  gelegentliche  4?eroorbrmgungen,  wie  man  beren  von  bem 
gefeierten  sKiciftcr  bei  fcftlid^cn  Veranlaffungcn  oft  »erlangte.  £)cn  näheren  Bericht  über  baS  nun  ju  erwäb= 
nenbe  SBerf  verweifen  wir  ebenfalls  in  bie  jufammenhaugenbe  £>arjtcllung  ber  fünftlcrifdKn  ©ntwict'lung 
unfercö  (fecarb,  unb  eS  fe»  hier  nur  angebeutet,  baß,  wie  bem  begabten  Äünfiler  baS  Verfehlen  feiner 
Aufgabe  oft  jur  'tfufflarung  über  fid)  felbjt  gereicht,  unb  baS  fruebtbarfte  ©Clingen  vorbereiten  hilft,  eben 
biefeS  SSßcrf  in  folchem  Sinne  unS  bcfonberS  merfwürbig  erfcheinen  wirb.  @S  finb  20  latcinifd)c  £)ben 
Üubwig  VelmbolbS*),  "ber  einige  SBerfe  beS  ScbbpferS  nach  bem  erften  Kapitel  beS  erften  BucbeS  9)lofe, 
bie  oon  ©ccarb  oierftimmtg  unter  Beobachtung  ihrer  Svlbenmaaße  (pro  scansione  versuum)  gefegt  wur= 
ben.  SSir  fel)en  in  biefen  ©ebichten  bie  Söerfe  ber  Schöpfung  allgemad),  bis  ju  ben  $)flanjen  ^tn,  ent= 
flehen,  unb  hören  fie  »reifen;  nur  bie  fechjelmte  .Cbc  unterbricht  bie  9?ei£)e  ber  übrigen  burch  einen  fremben 
©cgenftanb,  inbem  fie  ein  2ob  beS  SBanbernS,  jumahl  ber  Schüler  enthält,  um  neben  ber  (Sinfammlung 
nü^licher  Äenntniffe  auch  an  2e'b  unb  ^eele  fid)  gefunb  ju  erhalten.  £>icfe  Sonfäfse  erfchienen  um  1596 
ju  9)cüblbaufen  bei  VterotmmuS  Steinhart.  (Sccarb  hatte  fic  feinem  greunbe,  bem  Diditer,  von  ÄonigS= 
berg  auS  jugefenbet,  mit  ber  Bitte,  fie  ben  Bürgermeiftern  unb  bem  fRatijc  feiner  Vaterftabt  ju  überreichen, 
waS  von  biefem  in  jierlid)en  lateinifchen  Verfen  gefchahe.  „So  weit  ift  ber  kregel  von  ber  Unftrut  ent= 
fernt,"  fagt  er  bort,  „baß  biefe  jenes  tarnen  faum  oon  .£>brcnfagen  fennt;  boch  finb  meine  £>ben  mit 
gefunben  güßen  ju  mir  jurücfgelangt,  fangreid?  l;üpfcn  fic,  ba  bie  Sbne  ilmen  »affenb  angelegt  finb,  lob- 
würbig  ift  fo  tonoolle  Beobachtung  beS  SDiaaßeS.  @ucb,  3hr  Väter  unferer  Stabt,  hat  (Sccarb  bie  gruebt 
feines  Bemühens  weihen  wollen :  benn,  ift  er  auch  bem  2eibe  nad)  von  unS  entfernt,  fo  will  er  boch  b«n 
©eifte  nach  bem  Vaterlanbe  ftdE?  nahe  jeigen,  wie  eS  allen  Verehrern  beS  wahren  ©otteS,  allen  Pflegern 
ber  Äunft  gejiemt.  dt  ift  ein  93iühll)aufer,  er  ift  Sontunftter  am  £ofe  Greußens,  er  ift  aUbefannt  auf  ben 
Vöhen  beS  fönigtidien  BergeS ;  wer  von  ben  Unferen  ift  wohl  bis  bal)in  gebrungen,  fo  in  ber  jtunft  auS= 
gejeidmet?  Selten  finb  feine  ©aben,  feiner  unter  ben  Söhnen  unferer  Stabt  hat  vor  ihm  »erftanben,  fo 
anmutl)ig  bie  £one  ju  verbinben,  bie  lebenbige  Gelobte  fo  ben  SBortcn  anjufebmiegen."  So  fährt  er 
bann  fort,  er  freut  fid),  bie  Sonhmjl  f)iet  fo  würbig  ju  ©otteS  2obe  angewenbet  ju  ft'nben,  er  forbert  bie 
Väter  ber  Stabt  auf,  il)reS  Crccarb  9Rüt)c  ju  lohnen,  unb  barin  ßhrifti  Beifpiele  ju  folgen,  ber  bem  ju 
geben  verheißen,  ber  ba  habe,  unb  ber  würbige  ©aben  auch  würbig  verwenbe !  —  Saß  man  biefeS  SBerf, 
wie  ber  dichter  gethan,  mit  Beifall  aufnahm,  ift  barauS  ju  erfennen,  baß  breißig  Sabre  fßäter,  als  jener 
fowohl  als  fein  Sonfe^er  fchon  lange  babjn  gegangen  waren,  BeibeS,  bie  £)ben  wie  beren  Betonung,  ber 
(1620  ju  93tül)lhaufen  erfd)tenenen)  ©efammtauSgabe  Vclmbolbfcher  Sichtungen  wieber  einoerleibt  würbe; 
jener  frühere  tfbbrucf  war  bamalS  gänjlid)  verfauft,  unb  nirgenb  mehr  aufzutreiben,    eben  fo  war  biefeS 


')  Odae  sacrae  LudovicL  Helmboldi  Mulüusini  de  quibusdara  creatoris  operibus,  G«d.  I.  Harmonicis  oumeris, 
pro  scansione  versuum  ornatae,  et  compositae  quatuor  voeibus  a  Johanne  Eecardo  Mulbusino  etc.  Impensis  Hie- 
roDvtni  Keinhardi  Mulbusini  Anno  MDXCVI. 

56* 


  444   


mit  a$$e$n  tcutfd?en  Biebern  (Sccarbg  gefdjet^cn,  »on  beren  erftem  (Srfcheinen  wir  feine  juwerläfftge  9cad)-- 
rieht  haben.  «Sie  bilben  ben  Heineren  Zljc'ü  einer  «Sammlung  4?elmbolbifd)er  Sieber,  unter  bem  Sitel : 
„Stetig  beutfehe  ßb,ripd)e  Sicblcin  SER.  Subom'ct  .Ipelmbolbi,  auf  fchbnen  trbftltd)en  Herten  ber  heiligen 
©chrift,  ertlich  unb  lieblich,  ju  fingen,  tmb  auf  allerlei)  ^nftrument  ber  SDZuftca  ju  fm'elen,  in  t>ier  ©tim» 
men  abgefefeet;"  unb  bic  erjten  22  berfelben  ftnb  burd)  Soadn'm  »on  S5urgE  betont.  £ieronr;mu§  9?einhart, 
ber  Verleger  biefeg  SBerfeg,  wie  beg  eben  befprochenen,  fagt  in  ber  Sufcfyrift,  womit  er  baffelbe  im  Sahre 
1599  einigen  ©bnnem  überreicht,  baß  beffen  2Bieberf)erauggabe  burd)  häufige  Nachfrage,  bei  völligem 
Abgänge  ber  früheren  2lbbrücfc  veranlaßt  worben  fet),  unb  baß  bie  Sieber  nunmehr  jufammengebrueft  erfdtjie= 
nen;  ohne  babei  ju  bemerfen,  mann  ber  unferem SKeijfer  angefjbrenbe  SÖEjett  berfelben  juerji  herauggefommen 
fe».  SBafjrfcheinlid)  bilbete  biefer  ein  felbjtänbigeg  2Berf,  mie  eg  minbefteng  mit  ben  Sonfäfcen  S3urgfg  ber 
gall  tjt,  bie  mit  ihm  hier  ju  einer  ©efammtauggabe  »ereinigt  ftnb.  3Cuf  tt>n  paßt  oorjüglid)  ber  SSttel  biefer 
legten,  ber  bie  Sieber  auS  frönen  unb  trbftlid)en  ©d)riftftellen  gezogene  nennt.  Über  bem  Sonfalje  eineg 
jeben  biefer  acb^tjelm  Sieber  ijt  bie  ©d)riftffelle  angejeigt,  aug  ber  eg  gefdjbßft  ift,  unb  baneben  fielen  nod) 
jmei  auf  beffen  Snfjalt  bezügliche  Sieimjeilen.  ©o  ftnben  mir  über  bem  erjten  Siebe,  bag  f)ter  mieber,  mie 
in  jener  gemifd)ten  Sammlung  t>on  1589  bag  Gängangglieb,  jur  gteube  aufforbert: 

©e»b  fröhlich,  in  bem  #erren 

Unb  bienet  if)tn  ju  @l)ren, 
bag  fünfte  Sapitel  beg  33riefeg  an  bie  (gpfjefer  angezeigt,  mit  befonberer  3?ücfft'd)t  auf  beffen  17ten  big  19ten 
SSerä,  mo  S3orftd)t  im  SSanbel,  9Käß  igfett,  bie  greube  im  ©eift  unb  am  ßobe  ©otteg  in  heiligen  Siebern 
empfohlen  mirb;  unb  baneben  flehen  bie  §3erglem: 

Sing  mie  ©ott  min, 

£>ber  fcrjwetg  ftill. 
So  f)at  bag  üierjehnte  Sieb,  eine  SBamung  »or  bem  falfchen  ^rieben : 

„Der  grieb'  ift  gut  nach,  ©otteg  SEBort, 

©onjl  ift  er  drger  alg  ein  Sföorb," 
bie  23ejugnabme  auf  bag  neunte  (Eapttel  in  Sucag  Gbangelium,  unb  namentlich  beffen  23flen  bis  25jlen 
33erg,  mo  ber  Sr>m  bie  jünger  jur  ©elbftüerleugnung  ermalmt,  ju  miUiger  tfufnabme  beg  .ÄreujeS,  jur 
Nachfolge,  unb  bann  augruft:  „Unb  wag  9htk  hätte  ber  SKenfd),  ob  er  bie  ganje  2Belt  gewönne,  unb 
oerlbre  fid?  felbjl?"  Daneben  ftnben  mir  bie  Seilen : 

Der  grieb'  obn'  SBafjr^eit  tobt'  bie  ©eel, 

©Ott  ung  bafür  behüten  mbH'. 
£>b  biefe  tfnbeutungen  ber  heiligen  ©d)rift  alg  Quelle  ber  Sieber,  unb  biefe  33erglein,  ber  Dieter  beigefügt 
habe,  ober  ber  Sonmeifler,  miffen  mir  nid)t ;  fte  fielen  über  jebem  Siebe,  ja,  über  beffen  einzelnen  SEbeilen, 
mo  eineg  bereu  jmei  bat,  unb  fo  bilben  biefe  nunmehr  eine  in  fid)  gefcfyloffene  gleichmäßig  georbnete  ©amm= 
lung  in  if)rer  neuen  2luggabe,  auf  ähnliche  'üxt  »ieUeid)t  mie  bei  tf)rem  erjren  (5rfd)einen.  S3orlduft'g  fet> 
bie  SBermutfmng  f)ter  aufgepellt,  jene  fyätere  2luggabe  fet?  eine  Erneuerung  beg  früfjeften,  um  1574  gcbrucf= 
ten  2Berfeg  unfereg  (Sccarb ;  mir  werben  bei  ber  ^Betrachtung  feiner  SEBerfe  nad)  ttjrer  3eitfolge,  unb  ber 
inneren  (Snrmicfelung  feiner  Äunft  in  benfelben,  wieber  barauf  jurücHommen.  Der  lateinifdje  SEitel  jeneg 
älteren  DrucfeS  fleht  biefer  Jücrmuthung  nid)t  entgegen,  benn  ein  folcher  mürbe  nicht  feiten  auch  bei  ©amnv 
tungen  beutfeher  üieber  alg  nolltbnenber  öorgejogen. 


  445   


2Bir  fommen  nun,  in  ber  vorläufigen  Aufzeichnung  unb  duneren  33efchreibung  ber  SBerfe  Gfccarbö 
ju  feinen  betben  testen  unb  groß eften,  burd)  bie  er  feinen  9fubm  oorjüglid)  gegrünbet,  unb  als  ©änger  wie 
©eljer  ben  'tfnfprud)  gewonnen  bat  auf  bie  ©teile,  bie  wir  ihm  in  ber  ©efd)id)te  beS  eoangelifd)en  Kird)en= 
gefangeS  anweifen.  9Karfgraf  ©eorg  griebrid)  hatte  ihm  t>or  feiner  Greife  auS  Königsberg  im  Safjre 
1586  ben  Auftrag  gegeben,  über  bie  SSBeifen  ber  in  Greußen  gebräud)(id)fien  Kirchengefänge  fünfftimmige 
Sonfäfce  anzufertigen.  £>ieS  fjatte  er  nun  nad)  unb  nad)  getban,  unb  fie  in  jroei  Steile  gebracht,  beren 
erfier  unter  23  Hummern  24  £onfälje  enthielt  über  3eit=  unb  geftlteber,  ber  jweite  beren  31  unter  299cum= 
mern  über  Kated)iSmuSlicber,  ^Pfalmlieber,  Sehr*,  33et=  unb  ßobgefänge,  fo  baß  in  betten,  tflleS  jufanu 
mengenommen,  55  SDielobieen  bebanbelt  waren.  SSeibe  erfebienen  ju  Königsberg  bei  ©eorg  £>jlerberger, 
im  Sabre  1597.  2>en  erjten  S£b,eit  batte  er  feinem  gürften  unb  £errn,  ben  jweiten  ben  S3ürgermeij!ern 
unb  9?atbmannen  ber  brei  ©täbte  Königsberg  zugeeignet ;  feine  greunbe  "JfrtomebeS  unb  Sfeimann  hatten 
ben  erfien  5£f)eit  mit  einigen  lateimfehen  25tfttd>en  ju  feinem  Sobe  begleitet,  Grin  eigenes  Vorwort  beS  Wleu 
fierS,  an  Sonfünftler  unb  ©änger  gerichtet,  giebt  aber  aud)  S^ecbenfcbaft  barüber,  waS  er  mit  feinem  SBerfe 
ju  leijten  geftrebt  habe.  2Bie  wir  nun  bei  jenen  jwanjig  Iatetnifcbert  £>ben  #elmbolbS,  beS  Dichters  lobenbe 
SBorte  über  ©ccarb  anfübrten,  um  ju  jeigen,  wie  t>on  3ettgenoffen  feine  ©chöpfungen  aufgenommen  unb 
gewürbigt  würben,  fo  mögen  bter,  tbeilS  im  2£uSjuge,  tbeilS  urfunbltcb,  beS  StteijterS  üffiorte  fiebert,  burd) 
bie  er  ein  richtiges  SSerftänbniß  feines  SBerfeS  einzuleiten  fud)te.  2llIeS  biefeS  wirb  unS  einen  gaben  gewäb= 
ren,  an  welchen  wir  fpäter  bie  näbere  ^Betrachtung  beS  inneren  ©ehalteS  feiner  ßeijtungen  fortleiten  fönnen. 
Einige,  beginnt  er,  bitten  wobt  früber  fd)on  bic  SJWobieen  ber  gebrducbltcbften  Ktrcbenlieber  in  eine  folcfye 
Harmonie  gebracht,  baß  ber  Qfyoxal,  wie  er  an  ftd)  felbft  gebe,  in  ber  Sberftimme  beutltd)  gebort  werbe, 
unb  bie  ©emeine  benfelben  jugleicb  mit  einftimmen  unb  fingen  tonne.  S)iefe  gutherzige  Meinung  few  fei« 
neSwegeS  ju  fcbelten,  fonbern  höchlich  ju  loben,  ©ine  folebe  Arbeit  gereiche  zu  rtü^ltcber  Übung  ber  ©ot= 
teSfurcbt,  jur  3ierlid)feit  unb  jum  SSBoblftanbe  beS  ©otteSbienjieS  in  ber  Strebe,  vornehmlich  aber  ju  Sob 
unb  @bren  ber  göttlichen  SOiajeftät.  £)ennod),  fdbrt  er  fort,  „i(t  bod)  nod)  jur  3eit  fein  ßantional,  barin 
nad)  mufifalifdjer  2lrt  waS  anmutbigeS  unb  ber  Kunft  gemäßes  enthalten  wäre,  ju  unS  anf)ero  in  Greußen 
gelanget."  £)eSbalb,  beißt  eS  bann  weiter,  habe  er,  auf  Inhalten  etlicher  günfiigen  #errn  unb  guten 
greunbe,  infonberbeit  aber  auf  feines  gnäbigjten  gürften  unb  4?errn  S3efeb)t  jene  SDielobieen  in  eine  beffere 
unb  richtigere  ßompofitton  gebracht,  unb  fte  in  öffentlichen  £>rucf  herausgegeben,  @r  hoffe  bamit  ber 
djrijttichen  ©emeine  gebient  ju  haken,  „welche  bie  gewöhnliche  Kirchen=5DZelobe»  auS  bem  Discantu  wohl 
unb  Berjidnblich  hören,  unb  bei  ftd)  felbjf,  nach  'hrer  ^nbad)t  fingenbe,  imitiren  fönne;"  aber  aud)  erfahrne 
Äünfller  würben  „ihnen  fold)e  Arbeit,  angewenbete  SWühe  unb  gleip,  günftig  gefallen  laffen."  6r  fd) liegt 
bann :  „Sn  gührung  beS  Chorals  habe  id)  mid)  nad)  unferen  ^)reuf  ifeben  Kirchen  in  Königsberg,  wie  ber= 
felbe  barin  gefungen  wirb,  gerichtet.  SBofern  aber  an  auSldnbifdjen  Srtern,  wie  eS  benn  wohl  fepn  mag, 
eine  variatioa  an  einem  ober  anberm  gefpüret  würbe,  bitte  id)  bienftlid),  mir  folcheS  nicht  ju  impuüren,  als 
ob  td)  »ielleid)t  ben  Gfyoxal,  in  SKeinung  anbeten  ©timmen  baburd)  ju  fügen,  ober  ju  belfen,  studiose 
unb  data  opera  »erdnbert  hätte,  fonbern  —  wie  erjl  gemelbt  —  wie  er  aUbie  gebraucht,  alfo  bab'  id)  ihn 
auch  behalten.  (Snblid)  unb  jum  SSefcbluf  will  id)  einen  jeglichen  Cantorem  hiemit  obiter  ganfc  freunblid) 
erinnert  haben,  baf  er  im  fingen  biefer  Kird)enlieber  ftct>  eines  feinen  langfamen  SafteS  befleißigen 
unb  gebrauchen  wolle.  £)aburd)  wirb  er  juwege  bringen,  baß  ber  gemeine  SJiann  bie  gewöhnliche  melodiam 
bejlo  eigentlicher  hören,  unb  er  mit  feiner  ßantore»  umb  fo  mel  beffer  unb  leichter  wirb  fortfommen  fön= 


ncn."  59t<m  Kirf  tiefe  leiste  Girmabnung  nidjt  bahtn  verfteben,  als  habe  bet  SSJceifter  einen  jbgernben, 
fcblevvcnbcn  SBortrag  feiner  ©efänge  bamit  vorfchreiben  wollen ;  fte  ift  vielmehr  erft  bann  richtig  ju  würbU 
gen,  »erm  man  bie  ju  feiner  Seit  übliche  2trt  ber  ßettung  mebrftimmiger  ©efänge  babei  in  Betrachtung 
jieht.  £ätte  man  §w  jene  alte  Vorfcbrtft  angemenbet,  wonach  eine  semibrevis  —  eine  Vicrviertelnote  — 
oie  ©eltung  eincS  © cblageS  hatte,  fo  würben  GrccarbS  Sonfä^c,  ba  bie  gortfebritte  ber  SJcelobie  barin 
jumeift  burch  Viertelnoten  auSgcbrüd't  fmb,  einen  übereilten  ©ang  erhalten  haben,  bei  bem  jcbcS  Gnnjelne 
untergegangen,  unb  Verworrenheit  an  bie  ©teile  wohllautenber  Harmonie  getreten  wäre,  deshalb  empfiehlt 
er  bie  langfame  Bewegung;  er  burfte  ftcher  fetjn,  baf?  bei  ber  gewählten  Bezeichnung,  woburch  fonft  9fafch- 
heit  unb  Belebtheit  im  ©inne  ber  alten  Sonfcbrift  angebeutet  würbe,  BeibeS  auch  bem  würbig  entfielt  3kt= 
trage  nicht  fehlen  tonne,  weil  jene  fchon  von  felber  bahnt  leiten  werbe.  £>cr  naebbrüeftiebe  Vortrag  beS 
SBorteS,  ohne  jbgernbeS  Verweilen ;  bie  völlige  £>cutlicbfcit  beS  gortfchrittcS  ber  SJielobie,  bie  bei  großer 
ßangfamfeit  leicht  ganj  verloren  geht,  äumabl  wenn  jener  burch  eigentümliche  rhvtbmifcbe  Beziehungen 
ftch  auSjeidmet :  biefeS  BeibeS  giebt  für  bie  ju  wäblcnbe  Bewegung  ben  rechten  SDcaa^ftab,  mit  bem  man 
nicht  leicht  beS  SJceifterS  Meinung  verfehlen  wirb.  25te  %xt  ber  Beljanblung  beS  Chorals,  wie  fte  in  biefem 
SBerte  erfcheint,  unb  beS  geftliebeS  in  engerem  ©inne,  wie  fte  in  bem  nunmehr  ju  befebreibenben  hervor= 
tritt,  ift  biö  über  bie  SEJcitte  beS  17tcn  SabrbunbertS  hinaus,  in  ber  burch  Grccarb,  vornehmlich  burch  beibe 
Sßerf'e,  gegrünbeten  9)reuf3tfcben  Sonfcrmle,  ein  dufter  geblieben;  ihre  nähere  Betrachtung  wirb  ben  50cit= 
telvunft  unferer  folgenben  Darjtcllung  bilben.  Gibe  wir  baju  übergehen,  vollcnben  wir  ben  Umrifi  ber 
äußeren  ßebenSereigniffe  unfereS  SEJieifterS  unb  ben  vorläufigen  Bericht  über  feine  Stiftungen.  25aS  zweite 
jener  4?<mvtwerf"e  GjccarbS  erfcfjien  nur  um  ein  Saht  fpäter,  als  feine  Giboralfäljsc,  um  1598,  in  jwei  %x)e\- 
len  von  fechS  ©timmbüchern,  unb  führt  ben  Äitel:  ,,$PrcufHfd)e  Sefilteber  burcbS  ©anje  Sabr,  mit  fünf, 
fecbS  bis  acht  ©timmen."  2lller  angewanbten  5SÄüf)e  ungeachtet  I;abe  ich  tiefe  erfte  (von  ^MfanSfi,  ©eite 
329  fetner  ßiterargefchichtc  Greußens  angeführte)  2CuSgabe  nie  §ur  2Cnftd;t  erhalten  tonnen;  ich  fenne  nur 
ihre  fvätere,  von  GjccarbS  ©d)üler  unb  Nachfolger,  ©tobäuS,  beforgte  Auflage,  ebenfalls  in  jwei  Sbeilen, 
beren  erjter  um  1642  ju  Gflbing  bei  ffißenbel  Bobenbaufen,  ber  zweite  ju  Königsberg,  1044  bei  Johann 
Sieufjner  erfchien,  burch  ©tobäuS  Sonfäfce  ähnlid)er  2trt  bebeutenb  vermehrt.  GjS  ift  ju  bezweifeln,  bafj, 
auch  nur  an  ©efängen  von  Gjccarb,  jene  erfte  2tuSgabe  alles  baSjenige  enthielt,--  waS  unS  in  biefer  zweiten 
geboten  wirb.  £>iefe  enthält  im  ©anjen  27  Sonfdfee  unfcreS  9JleifterS,  13  im  elften,  14  im  jweit'en 
SSbcile;  eine  3abl,  bie  ftd)  noch  vermehrt,  wenn  wir  in  2fnfd)lag  bringen,  bafj  ein  Sieb  beS  erften  SheileS, 
von  ©ebaftian  'tfrtomebeS,  baS  ftd)  fchon  in  ber  um  1589  von  Grccarb  herausgegebenen,  gcmtfd)tcn  ©amm= 
lung  befmbet,  in  fecbS  ©ä£e  von  ziemlich  bebeutenbem  Umfange  geseilt  ift.  Nun  feben  wir  aber  Grccarb 
hier,  aufier  mit  ßubwig  ^elmbolb,  ©ebaftian  2£rtomebeS,  ©eorg  Sfcimann,  $>etcr  Spaden  unb  anberen 
ungenannten  Did)tern,  auch  mit  ©eorg  SBeiffet  unb  Valentin  Sbito  in  Verbinbung,  mit  jenem  in  vier  gäl= 
len,  mit  biefem  in  einem;  unb  bod) ift eS unmöglich, ba^ Beibe, benen  fein ©d}üler©tobäuS oft fid)  anfcblojj, 
ihm,  beffen  ÜJieijter,  fchon  um  1598  einrieb  bid)ten  fonnten.  ©eorg  Sßciffcl  würbe  ju  Somnau  in  Greußen 
erft  um  1590  geboren,  unb  trat  erft  am  britten  3(bventSfonntage  beS  SahreS  1023,  alfo  nach  (SccarbS  Sobe, 
lein  ILmt  alS  Pfarrer  an  ber  neuerbauten  9fopgärtifchen  Äird)e  ju  JlbnigSberg  an;  SSalentin  SEbilo  ber 
ältere,  —  benn  von  beffen  ©ohne  gleichen  SiornamenS  fann  bie  Sfebe  hier  nicht  ferm,  ba  er  erft  am  19ten 
äyxil  1007  ju  Äbnigsberg  geboren  würbe,  —  war  von  ßinten  in  ^reufjen  gebürtig  (ben  2ten  S«nuar 
1579;,  würbe  um  1003  Pfarrer  ju  ßilau,  unb  ftarb  1020  ju  Königsberg  als  DiafonuS  ber  altftäbter 


 .  447   


■ftivcbc.  £r  formte  MB  mobl  Ott  neunjebnjäbriger  Jüngling  unfcrcm  Sfteiftcr  fcbon  ein  geiftlicbeS  Üteb 
gerichtet  haben,  auch  jiartb  er  unzweifelhaft  mit  t'bm  in  ^Berührung,  wie  mir  beim  ftnbcn,  bag  ßeearb  für 
ben  20ftcn  Xpril  1007  ein  fünfftimmige?  bfctntföeS  SJiotctt  fegte  ,ur  geier  ber  ©rtbcilung  ber  Sectertvürbe 
an  $cbn  jüngere  unb  altere  Scanner,  unter  benen  ftd?  auch,  Valentin  Sbilo  unb  ^)cter  .fragen  befanben. 
20Iein  tt  mar  bem  in  ber  £bat  nicht  fo.  Sic  ÜSeife  beS  Sbilo'fcben  2£tt>entSlicbeS :  /,25er  grofje  Sag 
be3  Herren"  geborte  urfprunglich  einem  .öod^citglicbe  an,  ta§  Grccarb  um  1004  für  bte  J&ocb;eit  be$ 
UnfrttniHfiffcH  £cbalb  SRMtec  unb  ber  tfnna,  Söittme  hageln  feste,  unb  erft  fpäter  bat  man  ft'e  mit 
ibrem  Sanfa|e  für  jenes,  angemenbet.  Qjben  fo  verhält  tä  )iä)  mit  fünf  anbeten  ©efängen  GrccartS  in  biefer 
fpätcren  Ausgabe  feiner  gefttietcr.  3mei  bcrfelben  erfebienen  in  ben  fahren  1003*)  unb  1004**)  als  «öoeh* 
jeitslieber,  unb  ©eorg  Jeimann  verfab  ft'e  erft  nachher  mit  geiftlichen  Sichtungen;  ein  britter  mar  urfprüng-- 
lich***)  für  bie  S3crmäblung  SDtartinä  von  23atlenrobt  mit  SRaria  Srciin  von  Äirtlife  beftimmt  (1005)  unb 
©eorg  SBetffel  hat  erft  in  ber  geige  ihm  ein  Cftcrlieb  angepaßt;  noch  jmei  anbere  entlief;,  ebenfalls  .£och= 
jeitsgefänge  au§  ben  Sahren  1002  f)  unb  1007  77),  erhielten  burch,  unbef  antue  Siebter  eine  f trci>ltd>e 
S3eftimmtmg.  £bne  3meifel  mirb  c§  mit  bem  fünften,  ftebenten  unb  ftcbjebnten  Siebe  be§  erften  Sh,eileä, 
bie  von  SBeiffel  gebietet  finb,  eben  fo  befchaffen  fepn : 

2Bcr  burch  fein  eigne  Söunbcrrraft 

Sen  SSlinben  ba3  ©cft'cbt  verfdiaft  :c. 

©td)  einen  ßhriffen  nennen, 
Unb  CEbrijhim  nicht  befennen  k. 

9hm  liebe  Seel',  nun  ift  e§  3eit 
nur  habe  id;  bieber  bie  ©elegenfjeit^gefänge  noch  niebt  aufjufinben  vermocht,  bie  ju  tiefen  £enfäfcen  unfereä 
SRetfterä  urfprünglicb  geboren.  SBir  hätten  bienacb  anzunehmen,  bafj  ber  erfte  Sl)eil  ber  gcftlieber  fünf, 
ber  jmeite  vier  Sonfäfce  meniger  enthalten  habe  in  ber  frül;effen  Aufgabe,  al§  in  ber  fpätcren  be3  @tobäu§, 
alfo  nur  fechjehn  im  ©anjen.  Sagegen  ift  c§  mahrfcheinlicb,  bafj  er  noch  einige  ßhoralfätje  enthielt,  bie 
von  decart,  entmeter  meil  er  ftcb  tfjvev  nid)t  erinnert,  ober  ft'e  erft  nad)  1597  gefertigt  hatte,  in  bie  beiben 
Sbeilc  feiner  geiftlichen  Sieber  auf  gemeine  Äircbenmclcbieen  nid)t  aufgenommen  morben  maren,  unb  bie 
StobäuS  bei  beren,  burch  eigene  Sääje  biefer  2frt  vermehrten  SBiebcrauflagc  um  1034  mit  ihnen  3ufammcn= 
juftellen  gcratbener  fanb.  ft'nb  beren  feebsv  ju  ben  Siebern:  Sie  Propheten  han  propbejeit  ic ;  S3on 
©ott  mill  ich  nicht  laffen  :c. ;  SBaS  mein  ©ett  will,  ba£  gfd)eh  alljeit  :c. ;  Stadl  bir  verlangt  mich,  Sgen, 
mein  ©ott  :c.  (von  D.  ßonteliuS  JBccfer  auf  ben  25ften  ^falm),  unb  ju  bem  £vmnu$  be§  ^rubentiuä: 
Jam  moesta  quiesce  querela  etc.,  fo  mie  beffen  teutfd)er  Überfe&ung:  ,, frort  auf  ju  trauern  unb  flagen." 


")  9B i r  fingen  all  mit  lautem  <3d;atl  u.,  auf  bic  SSermätylung  SBilbelmö  oon  klaren  mit  92largarctl?a 
SfferS,  1603.  (II.  1.) 

")  SDtaria  rommt  gut  Steinigung  —  auf  bie  Jpocfocit  2tntonä  oon  Äoljlen  mit  dorbula  Sommers 

1604.  (I.  19.) 

•")  9So  ift  bein  Stapel  nun,  o  Sob  :c.  (II.  3.) 

+)  5Rir  ift  ein  geiftlid)  Äircbelein  IC,  1602  auf  bie  $Qd)i<it  grtebric^g  cen  3Beinbecr  mit  Zfnna  SRcTen-- 

firt^.  (II.  13.) 

tf)  Scn  fröhlich  allcseit  bu  rcert^c  ©otteSftabt,  1607  für  SKic^ael  Sölfeöffel  unb  Mnna  SBagner. 
(II.  33.) 


  448   

iflimmt  man  biefe  f)inju  —  vielleicht  nur  mit  Ausnahme  beS  jmeiten,  über  ben  mir  juoor  eine  anbcrc  2Cnftd>t 
aufhellten  —  mie  cS  benn  nicht  unmahrfchemlicb,  ift,  ba£  fte  mit  ben  gefttiebern  um  1598  erfdnmen,  fo 
enthält  bie  2luSgabe  berfelben  t>on  biefem  %at)n  20  SEonfäfje,  ober  beren  24,  menn  mir  bie  einjelnen  SStfjeite 
beS  SiebeS  von  2lrtomebeS  befonberS  mitwählen.  33on  biefen  geborten  bann  beren  fteben  ^)elmboIbfd)en 
Sichtungen  an,  jmei  Siebern  von  2trtomebeS,  je  brei  unb  biet  beren  von  Jeimann  unb  ^)agen,  bie  übrigen 
älteren,  ober  unbefannten  Dichtern.  SBenn  unS  nun  auch,  olme  3meifel  in  ber  fpäteren  QluSgabe  nichts 
entjogen  ijt  an  SBerfcn  unfereS  SDictfterS,  maS  bie  frühere  enthielt,  ja,  biefer  baS  SBerbienft  gebührt,  burd) 
Unterlegungen  fpäterer  Sieber  SKancheS  erhalten  ju  haben,  maS,  als  ©elegenbeitSmerf,  fonft  leichter  verloren 
gebt,  fo  haben  mir  bod)  immer  ju  bebauern,  bafj  ©tobäuS,  mie  er  bei  ber  fßdteren  Verausgabe  oon  ßccarbS 
ßborälen  beffen  SSorrebe  mcgließ,  fo  aud)  biejenige  unS  nicht  erbalten  fjat,  bie  fein  Scl)rer,  neben  einer 
3ufd)rift  an  ©bnner  ober  greunbc,  gerotfs  auch,  biefem  2Berfc  woranfefcte,  um  über  bie  neue  unb  ganj 
eigentümliche  3£rt  ftd)  auSjufprechen,  in  ber  beffen  ganjer  3nr)alt  befjanbelt  ift,  vielleicht  aud)  über  beffen 
aümäblicbeS  Sntfteben.  5>on  ©tobäuS  erfahren  mir  barüber  nur  menig :  eben  nur,  maS  mir  fchon  ange= 
führt,  bafi  (Sccarb  burd)  SDZarfgraf  ©eorg  §riebrid)  unb  feine  9cad)folger  in  Greußen,  bie  ßburfürjten 
3oad)im  griebrid)  unb  Johann  ©igiSmunb,  eben  fo  mie  auS  eigenem  Antriebe,  veranlagt  morben,  vorjüg; 
lid)  gciftlicbe  Sieber  $u  fe^en;  bafj  er  beren  von  feinem  SanbSmanne  Submig  £elmbolb  mit  nad)  Greußen 
gebracht,  aber  aud)  an  2lrtomebeS,  9?eimann  unb  .£>agen  bort  befreunbete  Siebter  gefunben,  unb  bafj  fo 
biefe  (Sammlung,  meil  in  Greußen  entjtanbcn,  mol)l  red)t  ben  tarnen  9)reufHfd)cr  gejtlieber  »er= 
biene.  2Bir  müjfen  unS  l>ier  baran  genügen  laffen,  unb  merben  an  feinem  £)rte  »erfud)en  barjujtellen,  mie 
in  ben  ßborälen  mie  geftliebem  unfereS  SöieifterS  ein  reid;er  ©d)a|  von  Äunji  niebergelegt,  unb  in  ihnen 
vor  allen  ju  ernennen  ift,  in  melcbem  ©inne  er  ben  ©otteSbienft  feines  SSaterlanbeS  baburd)  ju  fdnnüden, 
unb  mieberum  aud)  feinen  beften  unb  reifften  Schöpfungen  burd)  t'bn  eine  höhere  S55ett)e  ju  erteilen  geftrebt 
babe.  —  3um  ©d)luffe  unfereS  S3erid)teS  über  fein  Seben  unb  SBirfen  in  ^reufjen  bleiben  unS  nur  nod) 
einige  SBorte  beizufügen  über  feine  ©elegenbeitSgefänge.  3n  ber  2Ballenrobtfd)en  S5tbliotbcf  ju  ÄbnigS* 
berg  ftnb  beren  30  aufbemabrt,  leiber  nur  nid)t  in  allen  baju  gehörigen  ©timmbüd)crn :  ber  Senor  unb 
S3af3  fehlen.  Unter  ihnen  beftnben  ftd)  31  £od)jeitSgefange,  von  benen  10  im  SDZotettenftnle  gefefet 
ftnb,  bie  übrigen  21  in  ber  litt,  bie  mir  fpäterf)in  als  geftliebfivl  merben  fennen  lernen,  jener  eigen* 
thümlichen  23ebanblungSmeife,  burd)  meldje  baS  fo  eben  befprod)ene  SßSetf  ßccarbS  ftd)  auSjeichnet.  2Bir 
begegnen  hier  befannten  unb  geehrten  9tamen :  33ot)en,  ^»laten,  SBaüenrobt,  SDiölIer;  fo  aud)  ber  S£od)ter 
eineS  3oad)im  SSäthocen,  2lbnocaten  ju  @lbing,  bie  ftd)  bem  Pfarrer  ©cbaftian  »om  ©anbe  bafelbft  t>er= 
mahlt,  unb  beren  ©h^entag  unfer  ßccarb  befingt ;  ft'nben  ihn  alfo  in  SSejiebung  ju  einem  9tamen,  ber  unter 
ben  erften  ber  Sonfünftler  unferer  3eit  glänjt.  ©o  fyat  er  aud)  feinem  greunbe  Jeimann  einen  neunftinv 
migen  ^)od)jeitSgefang  gemeiht,  bei  feiner  jmeiten  &>t  mit  ©ibplla  ton  ©ehren  (1002);  einen  ftebcnftiim 
migen  ber  SBitfme  feines  3lrtomebeS  bei  ihrer  jmeiten  S3ermdhlung  mit  ©imon  SSöhmc,  ©enator  ju  Änetp= 
hof ;  feinem  ©d)üler  ©tobäuS,  bamalS  SEKufifbireFtor  an  bem  Some  bafelbft  bei  feiner  ^jeirath  mit  6lifa= 
beth  ^auSmann  rl007)  ein  fed)SftimmigeS  SSttotett,  auf  bie  SBorte:  ©Ott  fennet  bie  Sage  ber  Unbefledten 
unb  ihr  Girbtbeil  mirb  ein  emigeS  fet)n  ;  fte  merben  nid)t  ju  ©d)anben  merben  in  ber  böfen  3eit  unb  gefät= 
tiget  merben  in  ben  Sagen  ber  Steuerung.  2n  allen  biefen  ^)od)jeitSgebid)ten,  bie  (Sccarb  fefete,  menn  fte 
nicht,  mie  manche  unter  ihnen,  nur  SSerfe  ber  lateinifchen  ©chriftüberfelmng  ftnb,  bilbet  jeberjeit  ben 
©runbgebanfen  bie  groge  ©nabe,  bie  ber  £err  burd)  ©tiftung  beS  @beftanbeS  ben  9Dienfd)en  ermiefen  hebe. 


  449   

3ft  einer  t?on  beiben  Steilen  oerwittwet,  fo  wirb  er  bamit  getröftet,  baß  ©Ott  nidbt  ewig  jürne,  fonbern 
bie  Sraurigfeit  in  greube  verfebre.  Sfleift  geben  bie  tarnen  ber  SSrautleute  ju  Tlnfptelungen  ©etegenbeit, 
jumabl  griebrid)  unb  Sorotbea;  ba  beißt  e§,  baß  bie  berrlicbe  ©Ott e 3 gäbe  Sem  gewährt  wirb,  ber  in 
gläubigem  ©ebete  barum  flebt;  ba^  6f>riftuö  un$  ben  grteben  erwarb,  unb  bie  Siebe,  bie  ju  ©otteS 
Äinbfdjaft  führt.  33erbinbet  ft'd)  Sfetnfjoib  SSotjen  mit  #nna  Stbmerin,  fo  ermahnt  tr)n  ber  Siebter, 
in  3udbt,  £eufd)beit,  Steinzeit  ber  S3raut  t) olb  ju  fepn,  benn  föfttid)er  fep  S3etbeä  al§  ©otb  unb  dUU 
ftein;  ©eipio,  ber  tapfere  3f  6  nur,  babe  barauf  gehalten,  ßufi  unb  Sßegier  babe  er  in  ftd>  ntebergeranwft, 
er,  ber  £eibe,  wie  mel  mehr  müffe  e3  ein  ßbnft!  ©ebafh'an  gröbner  bat  83eronica  9f  autter  als  SSraut 
gewonnen,  ba  ift  fte  ba<>  Äräutlein  @I;ren^ret§,  bie  ebte  3?  a  u  t  e,  bie  ben  jungen  gelben  heilt,  ber  an  febwe* 
rem  ©iecfytbum  barnieberlag ;  ein  jarteS  eble§  gräulein  brad)te  Sem  ©enefung,  bem  niebt  ^riefte,  nicht 
3?echt§anwalb,  nid;t  9JJatbematicu3  belfen  fonnte!  SSon  btebterifebem  SBertbe  ift  faft  feineö  biefer  ßieber, 
aber  ein  woblwollenber,  reiner,  ebrenfefter,  treuherziger  ©inn  berrfebt  oor  in  ihnen  allen,  frifd)  unb  wob> 
tbuenb.  <3o  haben  benn  auch,  alle  in  unfereS  SKetfterS  Sonfäfjen,  wenn  ber  ©cherj  in  ibnen  üorwaltet, 
etwa§  gefällig  2lnfprecbenbe3,  wenn  ber  (Srnft,  etwaS  fräftig  @rbebenbe§,  fo  baß  leicht  ber  SBunfcb,  entfte= 
ben  fonnte,  biefen  ©efängen  bureb  Unterlegung  eines  geiftlicfyen  SerteS  eine  längere  Sauer  ju  fiebern,  als 
ibre  anfängliche,  gelegentlicbe  SSeftimmung  ju  tbun  im  ©taube  war.  S5ei  ben  »on  ©eorg  Jeimann  beforg= 
ten  Unterlegungen  biefer  %xt  bat  wobl  ber  SReifter  felbfi  noeb  bie  SSeranlaffung  baju  gegeben,  unb  biefen 
feinen  jweiten  Stüter  babei  geleitet ;  bei  benen  ©eorg  SSBeiffeß  unb  83alentin  SEbilo'3  mag  e3  ©tobäuS 
getban  haben ;  überall  aber  finben  wir  bie  unterlegten  SBorte,  aueb  wo  wir  ibnen  felbftänbigen,  biebterifeben 
SBertb  nieb,  t  jugefteben  fonnen,  boeb  ben  Sbnen  fo  wobj  angepaßt,  fte  fo  treftieb.  beutenb,  baß  wir  faum 
anfteben  würben,  wenn  wir  ben  3ufammenbang  niebt  wüßten,  jene  fpäter  angeeigneten  ©ebtcfyte  für  bie 
urfprünglicben,  biefe  bagegen  für  einen,  ber  SBürbe  beö  SEonwerfS  nicht  angemeffenen,  fte  für  frembe  3">ede 
in  2fnfyrud)  nel;menben  Sert  &u  halten,  ©o  ft'nben  wir  unter  ben  geftliebern,  »on  9?eimann  gebietet, 
(I.  19.)  eine§  auf  5!Jiariä  Reinigung: 

Söiaria  fommt  jur  Reinigung, 

2Bie  baS  ©efefce  lehret, 

Unb  fdbiefet  ftd)  jur  Opferung, 

3wei  Sauben  fte  »erebret, 

Unb  ftellt  bem  £erren  ein 

3br  Sefulein; 

©ottlob,  fpridbt  ©imeon, 

SSJlit  grieb'  unb  greub'  fahr'  ich.  batton! 
©ein  fed)3ftimmiger  Sonfafj  geborte  aber  urfprünglicb  einem  ©ebiebte  an  auf  bie  im  3abre  1604  gefeierte 
SSermäblung  tfntonS  üon  Äobten  mit  Gorbula  ©ommerS,  baö  lautet: 

greu'  bieb,  bu  frommer  SBräutigam, 

Sieweil  bu  baft  begebret 

Sie  tugenbreiebe  (Eorbulam, 

Spat  fte  bir  ©Ott  gewäbret ; 

Stach  @br'  unb  Sfeblicbfeit 

#aft  bu  gefreit, 

».  SBmttrfetk,  Mt  wangtl.  ß^ctalgefang.  57 


  450   


2Bol)l  bir,  bu  baft  bein  &beil, 

©ott  geb'  bir  ©lud  unb  £eit! 
-Dm*  bell  ©lücfwunfd)  an  ben  ^Bräutigam,  womit  biefeS  ^>od)jeit§licb  enbet,  iß  für  ben  «Sänger  unb 
Sonfefeer  bereite  ein  befonbcreS  ©lieb  beS  ©anjen  angebeutet,  baS  bei  ber  Unterlcgung  für  ben  eintritt  »on 
Simeons?  Sob-  unb  ©cbeibelicb  bettlet  werben  formte;  Jeimann  fyat  ba§  iijm  ©egebene  glucfltcb;  aufgefaßt, 
mit  finnigem  Einbringen  in  bie  £6ne  feines  greunbeg,  bie  wal)rlid)  ein  beffereS  «Scbicffal  »erbienten,  al$ 
^Begleiter  jener  troefenen  Sfeimerei  ju  fetm.  2Bo  bie  Sorte,  bie  »or  Eintritt  jener  ©teile,  ju  einzelnen, 
mechfelnben  @borjcilen  weniger  (Stimmen  vereint,  ft'cb  gegenübertraten,  nun,  in  eine,  flangreid)e  ©emein= 
febaft,  tiefer  ftetS  anfcfywellenb  ju  präd)tiger  gülle,  wieberum  jufammenftreben,  unb  ba§  ©epräge  be6 
©ebeteS  in  ernfter,  frommer  SDemutb  bennoeb  bewahren;  ba  pafit  er,  würbig  unb  bebeutfam,  tbnen  bie 
SSBorte  be§  glaubig  boffenben  tfltüatcrS  an. —  3lu^erbiefen^ocbjeit§liebern  begegnet  un§  in  ber  befprocfyenen 
«Sammlung  noeb  SolgenbeS:  ein  fünfftimmigeS  lateinifcbeö  SKotett  (1598)  auf  bie  (Sinweibung  einer  neuen 
Orgel  in  ber  Äircbe  ju  Stemel ;  ein  gleid)e§  (1607)  auf  bie  ©rbebung  t>on  jebn  alteren  unb  jüngeren  Sfilan-- 
nern  ju  £)octoren,  unter  benen,  wie  jufcor  gefagt,  aud)  ber  ältere  Valentin  £l)ilo  unb  $)eter  ^)agen  ftcb 
befmben ;  ein  fecbs>ftimmigce>  Sieb  Dorn  trojtlicbcn  tarnen  Sefu,  »on  grof  er  Snnigfeit,  obne  anbere  äußere 
S3eranlaffung  nur  „ju  ©bren  unb  SBoblgcfaöen,"  bem  «Stabtfcbreiber  Sobann  ^)änifcb  ju  SBeblau,  wobl 
einem  greunbe  unfereS  SJZcijterS  (1604),  gefegt: 

Sd)  fc*>  an  wclcbem  SDrt  td?  woll, 

So  ift  mein  ^erj  Verlangens  »oll 

SSlaä)  Sefu  meinem  lieben  4?errn, 

T>m  id)  wollt'  feben  f>er§ltd>  gern ; 

SD  wie  werb'  tdt>  fo  frolict)  fepn 

SBei  feim  lieblichen  "tfugenfcbein, 

©efretjet  aller  2lngjf  unb  ^3ein. 
önblicb  (1604)  ein  fünfftimmige§  Sßaletlieblein  „3u  &t)xm  unb  SBol)lgefalIen  bem  erbarn  unb  wolgeacbten 
©corgio  Scbubart  t»on  ^)ricbu§  auö  ©djleften,  gewefenem  Äorufcbreiber  auf  bem  gürflltcben  £aufe  ©alga 
in  $>reufjen,  feinem  freunblid)en,  lieben  «Sd)wager,  componiret."  Qt§  bat  allen  2lnfcbein,  bafi  biefeS  Sieb 
an  einen  jüngeren  S3ruber  ber  ©attin  unfeteS  Sccarb  gerichtet  ift;  ©atte  feiner  Scbwejler  fann  ber  S5efun= 
gene  niebt  fepn,  benn  ba§  ©ebiebt  ift  offenbar  an  einen  ganj  jungen  SSKann  geriebtet,  ber  einem  fünftigen 
SBerufe  unb  ber  ©rünbung  eincS  eigenen  £aufe§  erft  entgegengebt : 

SD  SJienfcb  ber  bu  geboren  biß 

ein  e^rtjl  burd)  ©otteä  ©nabe, 

Sieb'  ©otteSfurcbt  obn'  golfcb  unb  Sijt, 

(So  trift  bid)  gwift  fein  ©d)abe, 

2Beil  bu  bijt  jung,  nadb.  3ud)t  unb  dty 

Unb  Sugenben  tl)u  jlreben, 

2ln  falfcbe  ©fellfcbaft  bid>  niebt  febr 

Unb  fübr'  ein  reblicbS  Seben. 

SD  junge§  S5lut,  mit  ©ott  unb  @l)r 

Sin'  freien  gjtot&  tl)U  lieben  ?c. 


  451   


Saß  (Sccarb  üerbcirathet  war,  lernen  wir  aus  feiner  fpätcr  ju  erwabnenben  JBcftalluiig  als  6burfüvfilid)er 
ßapcllmeifter  ju  SSerlin,  worin  feiner  ©attin  nach  feinem  Sobe  ein  ©nabengehalt  jugeft'd)evt  wirb;  au§ 
biefem  ©ebid)te  föttnen  wir  mutbmaaßen,  baß  fie  eine  Schlcficrin,  eine  geborne  Schubart  war.  Seine 
hat  er  wohl  erft  in  Greußen,  unb  nicht  fd)on  in  Söiüblbaufen  gefd)loffen,  benn  unter  ben  jahl* 
reichen,  von  feinem  bortigen  Äunftgenoffen  unb  greunbe  3oacbim  von  S3urgf  gefeiten  4?od)äeit3liebern 
—  bereit  wir  91  befugen  —  ifi  feinet  an  ihn  gerietet.  2Babrfd)einlid)  fegte  gecarb  feine  .!pod)$cit?gefängc 
fid>  felber,  wie  e§  aud)  SSurgE  getban,  unb  e§  fönnte  fevjn,  baß  jwei  Sonfä^e  biefer  'Xx\,  bie, 
wenn  aud)  ohne  weitere  33ejeicbnung ,  in  ber  »on  ihm  1589  herausgegebenen,  gemtfehten  (Sammlung 
ftd)  befmben,  feine  eigene  äScrmäblung  feiern.  SBeibe  ft'nb  fünfftimmig :  ber  eine  auf  ben  128ften  ^Pfalm, 
nad)  SobmafferS  Überfefcung,  jebod)  nid)t  beffen  gewöhnliche,  bem  franjöfifd)en  $>faltev  entlehnte  ©mg* 
weife,  fonbern  eine  frei  erfunbene  gerichtet ;  ber  anbere  auf  Sirad)3  SBorte:  SBobl  bem,  berein  tugenbfam 
SBeib  fjat,  beß  lebet  er  noch,  ein»  fo  lang.  S>on  beiben  werben  wir,  als  au§gejeid)ncten  SBerfen  unfere? 
SEJieifterS,  noch  fpäter  ju  reben  haben,  unb  wir  jweifeln  nicht,  baß  bie  troftreichen  SScrbcißungen  beiber  SEertc 
an  ihm,  ber  beffen  fo  würbig  war,  ftd?  werben  erfüllt  haben. 

äöeniger  reich  an  ©elcgenbeitSliebern  (Sccarb»  ifi  bie  UniocrfitätSbibliotbef  ju  JtbnigSberg.  Q.Z 
fmb  bereit  nur  fünf  bort  ju  finben,  aber  mit  allen  Stimmbücbern ;  jwei  lateinifche,  fünfftimmige  SKotertett 
auf  Soctorpromotioncn  —  ba§  eine  bavon  baS  fdwn  erwähnte  —  unb  brei  £od)$eitSlteber,  von  benen  jwei 
fünfftimmige  auf  jtirebengefänge  gefegt  ftnt,  eines  auf  ben  128ften  spfalm  nach  ßobwaffer  mit  beffen  fran= 
;öftfd)er  5)telobie  (1598),  ein  anbercs  (1603;  auf  ein  (^belieb  ber  mäbrifdjen  33rüber  unb  feine  Singwetfe: 

Saft  un3  fingen, 

Unfer'  Stimmen 

3u  ©ott  erheben  tc. 

bie  wir  alfo  beibe  feinen  6l)oralfatjcn  werben  betjurcctjnen  haben,  £a&  britte,  nur  oiaftimmige,  (1598; 
auf  SSalthafar  Ben  Sangerhaufen  unb  SRaria  Üorenfjcn,  ift  freie  (Srfinbung. 

SSStr  fehen  auS  biefer  allgemeinen  Überftd;t  ber  ©elegenheitSgefänge  (SccarbS,  baß  fie  inSgefammt 
fröhlichen  unb  feftlich-feietlichen  SSeranlaffungen  ihre  (Sntftebung  verbanfen.  (Sin  ©rabe§=  ober  Sterbelieb, 
beren  fpaterbin  fo  viele  vorfommett,  finben  wir  barunter  nicht;  war  e»  nun,  baß  man  bei  SterbefäUcn  an 
ber  fird)licbcn  geier,  unb  ben  babei  angewettbeten  geiftlichett  ©efängen  ftd)  bamalS  genügen  ließ,  unb  bie 
pcrfönlicben  ^Beziehungen  ber  2eid)enrebe,  unb  bem  babei  ju  gebenben  ßebtnSabriffe  be£  33erftorbenen 
auffparte;  fex?  e$,  baß  jene  3eit  überhaupt  mehr  jum  grobfüme  hinneigte,  al»  jur  Srauer.  2fud)  war  biefe 
3eit  ber  vormunbfd)aftlicbcn  Regierung  SEftarfgraf  ©eorg  griebrid)3  in  Greußen  im  ©anjen  eine  glüdliche, 
gebeiblicbe  ju  nennen.  2)er  burd)  ^)erjog  Wibrecht  ben  ©rften  auSgeftreute  Saame  in  SBiffenfchaft  unb 
Äunft  hatte,  nach  vorübergegangenen,  heftigen  Stürmen,  nachhaltige  grüd)te  getragen;  bie  burch  ihn 
geftiftete  4pod)fd)itle  blühte  fort,  ba§  2anb  erfreute  ftd)  be»  griebenS  unb  eines  junehmenben  SBoblftanbee», 
unb  war  auch  für  ÄönigSberg  bie  feit  bem  Setober  be3  3abre3  1601  biö  in  bie  legten  Sage  be§  9cot?ember& 
im  folgenben  ^aljxe  wüthenbe  ^)eji,  welche  im  Saufe  be6  2luguft  biö  650  £pfet  rcbchentlid)  bahinraffte,  eine 
fchwerc  ©eißel,  fo  fcheint  ihr  bamaß  bod)  fein  bebetttenbeg  £aupt  gefallen,  nod)  bie  Stabt  in  bem  SDfoaße 
»erbbet  worben  ju  fepn,  alä  bei  fpdteren  plagen  ähnlicher  2lrt.  So  gewährt  unS  benn  freilich  ba§  Saht 
1601  feinen  ©elegenheitsgefang  unfere»  SöJeijler^,  ba§  folgenbe  beren  nur  »ier;  aber  in  ihnen  jeigt  ft'ch 
boch  wieber  ein  fchnelle?  ?lttfathmen  nad)  überftanbenen  ßeibett,  unb  fröhlichere  J^ofnung  für  bie  3ufunft. 

57* 


  452   


Sftarfgraf  ©eorg  gricbrid)  mar  UnZbaü)  am  26jten  2fpril  1603  gefiorben.  9cad)  mancherlei 
Verbannungen  mit  bem  .Ronige  von  9)olcnr  bem  aB  ßehnSherrn  bie  mieber  crlebigte  33ormunbfcf)aft  über 
ben  noch,  lebenben  gemüthBfranfen  ^)crjog  Wibrecht  griebrtd)  gebührte,  mar  biefe  burd)  ben  Vertrag 
vom  Ilten  SJiarj  1605  auf  Soad)im  griebrid),  @f)iirfürficn  von  33ranbenburg,  übertragen  morben.  tiefer 
hatte  nad)  bem  (am  30ften  ©evt.  1602  erfolgten)  Sobe  fetner  erjlen  ©emahlin,  .Katharina,  fid?  mit  ber 
vierten  Socbter  ber  £erjogin  9Jiarie  Eleonore  von  Greußen  vermählt  (23jten  £>ct.  1603),  unb  au3  biefer 
eije  mar  am  22jten  Sflärj  1607  eine  Softer,  SJlarie  Eleonore,  ber  etnjige  Sprößling  berfelben,  geboren 
morben.  £)er  ßburfürjt  jeigte  bie§  frohe  ©reigniß  ben  ^Pratßifcben  Oberrathen  burd)  ein  gnäbigeö  ©dbreü 
ben  an,  ba3  er  noch  bemfclben  Sage  von  ßolln  an  ber  (Spree  auS  an  ft'e  erlief,  unb  bem  er  eine  eigene 
■hdnbige  Nacbfcbrift  beifügte,  bie  mir,  meil  ft'e  unferen  Stteifter  unb  fein  ferneres  ©cbicffal  nahe  angeht,  hiev 
mittheilen.  „SBeil  2Bir  auch  ba$  fürftlicbe  Äinbttattfen  ©onntagS  £luaftmobogeniti  angejlalbt  (beißt  ee 
barin)  unb  ant'^o  in  unfercr  ßaveGen  allbter  nid)t  gar  viel  $)erfonen,  alfo  begehren  2Bir  ganj  gnebtglid), 
rooüet  in  ungefeumbter  evl,  nicht  allein  ben  *Preußifcben  Giapelnmeifter,  Sobann  ßefbarten,  mit  feinen  heften 
Änaben  vnb  DBcantijlen,  fonbern  aud)  Soban  ßrofern  (bamaB  SBicecapellmeifter  unb  ©ccarbS  Nachfolger 
in  biefer  Stellung)  fambt  einem  guten  2tttiften,  vnb  ben  heften  £>Bcant=©eigem  vnb  3infcnblafern,  alfo 
anhero  nad;  vnferem  4?oflager  abfertigen,  baß  ft'e  fobalb  möglich  vor  angeheiltem  Äinbttaufen,  vnb  vB 
lengjte  ben  neunten  ober  jebnten  2(pritB  bei  vn§  gewiß  anlangen  mögen,  ©ie  foltert  in  vnferen  Neunter; 
fifchen  ßanben  von  Sfmbren  ju  "Umbtin  fchleunig  vortgeforbert,  auch  nach  verrichteter  .Rinbftaufe  mieberumb 
hinein  gefd)icfet  werben.  Unb  ihr  werbet  fold)e§,  Unferer  gnebigften  3iwerftd)t  nad),  mit  gleiß  anorbnen 
vnb  bejiellen.  £)e§  ßapellmeifterS  bebürfen  SSBir  auch  juvorberft,  baß  er  einrathen  helfe/  wie  vnfer  @apeln= 
wefen  alf)ier  wieberumb  etmaS  in  Orbnung  ju  bringen.  6r  foll  ftd)  bejio  fcbleuniger  mieberumb  bei  euch 
ju  .Königsberg  einfallen." 

tiefem  S3efe£>Ie  mürbe  ©etwrfam  geleiftet,  aber  bie  2fbgefenbeten  fanben  fein  fröhliches  Äinb= 
tauBfeft;  3oad)im  griebrid),  ber  in  feinem  ©d)reiben  an  bie  9>reußifd)en  9fatl;c  ft'ch  fo  berjlicb,  freut,  „ba§ 
ber  allmechtige,  getreue  ©ott  gnebiglid)en  Vorlieben,  baS  33eibe§,  Butter  vnb  Äinbt,  nad)  folcber  ©elc- 
genheit  ftd)  bannad)  bei  jimblicher  SeibeSvcrmbgcnbeit  entpft'nbet,"  mar  neun  Sage  fpdter,  am  31ftcn  9JZdrj 
1607,  jum  jweiten  9)ial)lc  Sßittwer  geworben.  @§  ift  nid)t  ju  bezweifeln,  baß  für  33cibe3,  bie  traurige 
unb  bie  fejftid)e  geier,  bie  burd)  biefe  (Srcigntffe  veranlaßt  würbe,  ©ccarb  mit  ©clcgenhciBgefdngen  aufge* 
treten  fevn  werbe;  e§  r;aben  ftd)  biefelben  inbeß  nid)t  attfftnben  laffen.  £>ie  ^Berufung  unfereS  9JJeiftcr§ 
verbanfte  biefer  feinem  bamaB  erworbenen,  wol)lverbicnten  großen  9?ufe:  feine  $Perfbnlicf)feit,  wie  bie 
3wecfmdßigfeit  ber  für  Aufnahme  ber  ßburfürftltcbcn  ßavelle  von  il)m  gegebenen  9fatl)fd)ldge  fd)cint  il)m 
aud)  bamaB  bie  3uneigung  unb  baS  Vertrauen  beS  ßburfürffen  gewonnen,  unb  beffen  SBJunfd),  il)n  für 
.  immer  an  feinen  £of  nad)  S5erlin  ju  jiehen,  veranlaßt  ju  haben.  @3  fam  bamit  aber  erft  am  4ten  3ul« 
1608  —  nur  14  Sage  vor  bem  Sobe  be§  Gf;urfürften  —  jum  ©d)luffe.  2)iefcr  fd)reibt  betyalb  an  jenem 
Sage  von  Sangermünbe  au3,  unter  eigen()dnbigcr  SSolljiehung,  unferem  9JJetjler,  unb  mir  theilen  biefe§ 
(gehreiben  unb  ba§  folgenbe  Soh«""  ©igi^munbg  um  fo  lieber  mörtlid)  mit,  aB  fte  über  bie  bamaligen 
SBerhältniffe  ber  Gavellmeifter,  ihre  ßinfünfte,  it)re  Obliegenheiten,  millfommenen  '2(uffd)luß  geben,  unb 
nicht  allein  altertümliche,  fonbern  aud)  bclcl)renbe  Senfmale  ftnb. 

3n  bem  crjtcn  Jßriefc  h«ißt  e6  :  Unfer  ßammermeiffer  ^>an§  gri^e  berichtet  UtB,  ma§  er  auf  Unfer 
©ehetß,  beiner  S3cflallung  halben,  mit  bir  gerebet,  unb  barauf  erhanbelt,  baß  bu  mit  200  Sblrn.  5BcfoI- 


  453   


bung,  ein  ©ewiffcS  jum  Äleibe,  2  2BtnfpeI  Dorfen,  2  SBinfpel  ©erfie,  12  ©Reffet  £afer,  1  £>d)fen, 
2  feifte  (Schweine,  ±  Sonne  SSutter,  1  Sonne  Ääfe,  3  £ammel,  2  (Steffel  (grbfen,  2  Steffel  33ud)wei= 
jengrülje,  1  Sonne  @alj  unb  1  (Stein  Saig  jum  Deputat  jährlich,  jufrieben,  welches  2Btr  bir  auch  nebft 
freier  Söobnung  in  bem  £aufe,  tarin  4?err  Sofyan  33uffeniuS  ftd>  bisher  aufgehalten,  gnäbigft  gcwilliget, 
unb  beine  83eftallung  barauf  forberlicbft  ju  verfertigen  oerorbnen,  barin  aud)  üorfefyen  laffen  wollen,  baß 
bir  fotdjer  Unterhalt  gänjlid)  ad  vitam  üerbleibe,  unb  beine  £auSfrau  nach  beinern  Abfall  gleichfalls  mit 
einem  notbbürftigen  Deputat  oerfeben  roerben  foll.  Die  fed)S  Gapellfnaben  anreiebenb,  Ratten  SEBtr  bafür, 
wenn  2Bir  bir,  eins  sor  alleS,  auf  biefelben  120  Sf)lr.  ausfegen,  nebft  2  SBinfpel  9?oden  jdf>rltd>,  baß  bu 
bamit  wobt  frteblicb  fepn  ronneft,  wollen  aud)  jebem  jährlich,  ein  Äleibung,  bamit  ft'e  ftch  bereifen  tonnen, 
bureb  unfern  #offd)neiber  verfertigen  laffen.  Den  anberen  *Perfonen,  fo  jur  SJcuftca  notfjtg  fennb,  SBir  ein 
SKebrereS  nid)t  benn  jebem  85  Shaler  jur  83efotbung,  1  SSBinfpel  9?ocfen,  1  SSmfpcl  ©erften  unb  25  gute 
©ulben  jum  Deputat,  wie  fie  bisher  gehabt,  ju  geben  gemeint.  33egebren  bemnad)  in  gnäbigem  SSefef)l 
an  bid),  wolleft  mit  benen,  fo  im  £oflager  allbereit  fe»nb,  bafem  fie  jur  Musica  genugfam,  bergeftalt 
hierauf  fcbließen,  unb  bie  anbern,  fo  bu  auS  Greußen  mitzubringen  gemeint,  alfo  unfertroegen  behanbeln, 
unb  fbnnen  mir  hierüber  gefchehen  laffen,  baß  überbem  3obann  @rofern  (roeil  er  33ice=C>apellmciffer  fepn, 
unb  auf  ber  Keife  bei  uns»  aufwarten,  aud)  bie  Änaben  mit  unterrichten  helfen  foll)  herüber  etwas,  wie  bu 
bich  mit  ihm  aufS  ©enauefte  ju  »ergleichen,  jugelegt  roerben  möge.  (Sonften  haben  SBir  bir  für  beine 
bisher  geleiftete  Dienfte  in  Greußen,  foroohl  aud)  jum  jefeigen  Anjuge  unb  bisher  gefebebene  Aufwartung, 
aud)  baß  bu  bein  Anberjieben  befto  baß  ju  beftellen,  etnS  üor  alles,  ein  ©ewiffcS  jur  33egnabigung  gewil= 
ligt,  welches  bir  unfere  £berrätbe  rc.  in  Greußen  ifco  baar  entrichten  laffen  werben.  SSerfehen  UnS  hingegen 
ju  bir,  bu  wirft  eS  an  beinern  gleiß  inSfünfttge  nichts  erwinben  laffen,  unb  bie  Musica,  baß  eS  UnS  jur 
3ier  unb  bir  felbft  jum  9vubm  gereicht,  anrichten,  auch  beibeS  in  unb  außer  4?oflager  untertbänigji  gebül;r= 
lief)  aufgewartet  werben  möge/'  u.  f.  w. 

Dtefem  „Unferm  ßapelmeifter  unb  lieben  ©etreuen  3ob<"w  Eccarten"  überfchriebenemCfrlaß  war 
noch  eine  9cacbfd)rift  beigefügt,  welche  ben  §3icecapellmetfter  betraf.  „Damit  (heißt  eS  barin)  bu  aud)  befto 
eher  mit  3ob<mn  ßrofern  auf  baS  S3icecapellmeifter=Amt  fannft  jur  .£>anbtung  fommen,  laffen  SBir  gefd)ebcn, 
baß  bu  ihm  100  Sblr.  S3efolbung  unb  baS  Deputat  unb  Sifcbgelb,  wie  bie  anbern  3nftrumentiften  haben, 
verfprechen  mogeft,  foll  er  barauf  ju  feiner  SSieberberauSfunft  fd)riftlid)e  33eftallung  erlangen,  feonb  aber 
vor  beiner  Abreife  eines  fehrifttteben  S5erid)teS,  wie  bu  ihn  unb  anbere  behanbelt,  gewärtig.  @S  bat  aud) 
juoor  ermelter  @rofer  an  unS  fupplicirt,  ihn  in  Greußen  an  beiner  Statt  jum  @apellmeifter  ju  beftellen, 
fbnnen  aber  noch  jur  Seit  berfelben  ßapell  halb,  weil  eS  aud)  ohne  baS  in  ber  Srauerjeit,  (wegen  beS  am 
23ften  SJcap  1608  erfolgten  Ablebens  ber  #erjogin  SKarie  Eleonore)  nichts  gereiftes  verorbnen,  berwegen 
wolleft  bu  ihn  nur  allbier  ju  unfern  Dienften  auf  obbemelte  SQlaaß  behanbeln." 

SÖStr  lernen  hieraus,  baß  nur  ber  ßapellmetfter  unb  fein  Vertreter,  ber  SSicecapellmeifter,  in 
unmittelbarer,  G>hurfürftlid)er  SSeftallung  ftanben.  Die  anberen  Sonfünftter  ber  ßapelle,  fo  tttel  ber  @apell= 
meifter  ihrer  notbig  fanb,  würben  »on  ihm,  nach  einem  ihm  »orgefd)riebenen  SSJcaaßftabe  ber  hbd)(ien,  für 
fie  ju  bewilligenben  gorberung,  gebungen,  hingen  ganj  von  ihm  ab,  unb  empfingen  »on  ihm  ben  mit  ihm 
werabrebeten  2ohn  an  ©elb  unb  ßebenSmitteln,  ben  er  für  ft'e  bei  ber  ßfmrfürftlichen  Kentfammer  erhob. 
Da  eS  bei  ihm  geftanben  haben  wirb,  ft'e  ju  entlaffen,  unb  anbere  anjunebmen,  worüber  er  nur  Bericht  ju 
erftatten  hatte,  fo  war  ihr  ©eborfam  ihm  gefiebert,  fo  wie  ihre,  t>on  ihm  allein  ju  prüfenbe  Süchtigfeif,  für 


  454   


cie  er  cinjujiehen  harte.  Sie  ßapellfnabcn  aber  befanben  fid>  in  feiner  Kofi  unb  Pflege,  er  batte  fte  ju 
unterrichten,  unb  empfing  bafür  eine  im  ©anjen  fcfigefefcte  SSergütung  an  ©clb  unb  SebenSmitteln. 

Gfmvfürjt  Seacbim  griebrid)  flarb  am  18ten  Sult  1608,  ef>e  er  (SccarbS  33ejMung  vollziehen, 
unb  ten  von  ihm  erforberren  33erid)t  wegen  be£  33icccapellmciftersi  empfangen  fonnte.  Unfer  Stteifter 
mar  beSbalb  an  ben  neuen  @l)urfürjten,  Sodann  ©tgiSmunb,  verwiefen.  Siefer  fanb  fid>  aud)  geneigt, 
bie  Sufage  feines  83ater§  ju  erfüllen,  ©r  fdjreibt  beS^aCb  am  Ilten  September  beffelben  Sabrcä  an  feinen 
©ebeimen  9fatb,  Abarn  ©ans?,  (Sblcn  von  ^uttlife :  „£>cr  alte  (üapellmeifter  l)at  une>  angezeigt,  welcher = 
geftalt  er  fieb  mit  Unferm  £erm  SSatev  cbrtjlmilber  ©ebädjtmf}  in  SSefMtmg  eingelaffcn;  wenn  5Bir  bann 
nicht  vorbei  fonnen,  feiig  gebadeten  UnferS  Sgcxm  SSaterS  £anblung  ju  galten,  SSSir  auch,  einen  Üapellmcifier 
baben  unb  galten  müffen,  unb  er  von  männigltdb  gerühmt  wirb,  bafi  2Btr  fo  leidjt  feines?  ©(eichen  nicht 
haben  fonnen,  unb  ein  alter  friebfamer,  piller  SKann  tjt,  bie  SSejkllung  auch  feinen  Qualitäten  nach,  nicht 
fo  gar  hoch,  als  haben  SBir  ihm  jufagen  laffen,  biefclbe  unfercs?  S£beil§  ju  continuiren,  unb  banacb  befolg 
len,  ftcb,  nunmehr  einen  SBeg  wie  ben  anbem  bjnauS  ju  begeben  unb  baffelbe  anzufangen  unb  ju  verrichten, 
was  er  bteSfaUS  fdjulbig  unb  obligirt  ift.  SBann  aber  Shr  au3  bem  aufgerid)ten  ßontraft  ju  erfehen,  bajj 
ifjm  freie  SBohnung  jugeftchert,  unb  ein  fonberltd)  |>au§  baju  benominirt  worben,  fo  wollet  befehlen,  bafi 
fold)  J£)au3*)  aßbalb  geräumt,  unb  ju  feiner  ÜJJ  otl)burft  aecomobiret  werbe,  inmaaften  er  c§  mit  bemSSotctu 
maßet  »erfofien  fyabcn  foll,  bamit  er  zu  feiner  fbrbcrlidjften  Anfunft  aBbalb  hineinziehen,  unb  zu  Unferei 
gtüdlicben  SBtebcrfunft  mit  feinen  Sad)cn  fertig,  unb  gebührlich  aufwarten  fönne,  u.  f.  w. 

S5iö  Richer  reichen  unfere  9fcad)rid)tcn  über  ßccarb,  unb  wir  wiffen  nur  noch,  bafi  er  bic  ibm 
geworbene  ©teile  nicht  lange  bef leibet  habe,  unb  im  3<d)re  1611  geftorben  fe».  darüber  unterrichtet  uns 
aber  nur  bie  Unterfchrift  feines  S3ilbcä  vor  ber  fpäteren  Aufgabe  feiner  gefilieber;  Urfunblicbes'  befifjen  wir 
öarüber  nid)t.  Ser  alte  £>om  zu  (Solln  an  ber  Spree,  an  bem  er,  vermöge  feiner  Stellung,  vorjüglid) 
tbätig  gewefen  fevn  wirb,  ift  nid)t  mehr  vorhanben,  bie  Kirchenbücher  beffelben  retchen  nur  bis  jum  Sabrc 
1614  jurüd,  wo  Gburfürft  Sol)ann  SigiSmunb  ftcb,  zum  reformirten  ©lauben  bekannte.  Unter  ben  ©rab= 
benfmalen  beffelben  aber,  bie  uns"  in  Äüfterä  altem  unb  neuem  SSerlin  befdjrieben  werben,  ft'nbet  ba$ 
unfereS  SKeijferS  fid>  nicht  erwähnt.  Unb  wäre  vielleicht  anzunehmen,  (Sccarb  habe,  feiner  SBobnung 
Zufolge,  ju  bem  Sprengel  ber  ehemaligen  $})etrifircf;e  in  bem  Stabttbeile  Solln  al6  (Singcpfarrtcr  gehört; 
fo  i fi  biefe  Äirchc  feitbem  mehrmals  burch  geuer  jerftbrt  worben,  alte  Senl'mäler  unb  Urfunben  berfelben 
ftnb  babei  ju  ©runbe  gegangen,  unb  bie  £ofnung  ft'nbet  ftcb  getdufcfyt,  e§  möge  vietleid)t  burch,  S'cach.ridbten 
über  beS  SQZeifrerS  perfbnlid)e  SSerl)altniffe,  —  wie  man  fte  um  jene  Seit  wohl,  ebrontfenartig,  in  bie  .Kircbem 
bücher  eintrug,  wenn  von  au§gejeid)neten,  eine§  längeren  ©ebächtniffeS  würbigen  5)crfonen  bie  Siebe  war,  — 
ein  90ßebre§  über  ihn  erhalten  worben  fevn,  al§  wir  auä  anberen  Quellen  ju  fchbpfen  vermod^ten. 

Allein  wir  mögen  un$  barüber  trbjlen,  ba  ber  25eft£  be§  SBichttgeren  un§  geblieben  ifi,  feiner 
äßerfe,  bie  von  feinem  SBollen  unb  SSolIbringen  un3  baä  vollflänbigfie  ffiilb  gewähren,  freilich  l;aben 
niebt  alle,  manche  auch  nur  brud^ftüdweife,  ft'd?  aufft'nben  laffen,  unb  über  bie  Sbdtigfeit  feiner  legten 
3abre  ftnb  wir  gar  nidbt  unterrichtet;  c§  fcheint,  als  fen  er  in  ber  faum  breijal^rigen  Seit  fetneö  S3erliner 
Aufenthalts  mit  feinem  größeren  2ßerfe  mehr  öffentlich  hervorgetreten.  SBäre  etwa§  SBebeutenbeS  biefer 
Art  vorbanben  gewefen,  fo  bürften  wir  vorausgehen,  fein  Schüler  Stobäuö  werbe  c§  ber  S3ergeffen= 


")   DicfcS  Jg>Qu6  roar  in  ber  jefcigen  iHofcnflrafe,  in  bim  &ird)fprcngit  ®t.  spetri  belegen. 


  455   


beit  endogen  fyaben,  ba  tiefer  fein  33ejieS  mit  fo  treuer  Siebe  gefammelt,  unb  aud)  baS  SSorjüglicfyjle 
unter  bloß  gelegentlichen  vlperoorbringungen  ju  erhalten  gefucfyt  bat,  inbem  er  bemfelben  eine  rjbfyere  unb 
allgemeiner  gültige  SSeftimmung  gab.  2ütd)  wirb,  felbji  wenn  mir  einjelneS  S£reflid)e  bennod)  entbehren 
foütcn,  eine  neue  9iid)tung  tunjtlerifd)cn  ©trebenS  barin  nictjt  beruorgetreten  fewn,  minbeftenS  nid)t  eine 
fold)e,  bie  auf  bie  gotgejett  üon  erbeblid)er  SBiri'ung  gcroefen  mdre.  SBaS  mir  »on  einer  foldjen  ßinmb 
fung  mabrnebmen,  läßt,  obne  AuSnabme,  auf  feine  unS  befanntcn  SSBerfe  ftd)  jurücffüfjren.  -Die  23ergeb= 
liebfeit  unferer  gorfdmngen  nacb,  Sonmerfen  auS  feinen  legten  Salden  laßt  unS  baljer  aud)  nid)t  ben  Broeifel 
jurüd,  oIS  möge  baS  33ilb,  baS  mir  »on  il)tn  als  Äünftler  ju  geben  nimmebr  t>erfud)cn,  in  irgenb  einer 
mefentltd>en  SSejiebung  unüollftänbig  geblieben  fepn ;  eS  mdre  tenn,  baß  bie  jträfte  beffen,  ber  biefe  £>ar= 
jtellung  unternimmt,  feinem  ©egenftanbc  nid)t  gemacbjen  maren. 

Sie  eigene  '2lnfd>iuung  beS  SöerfeS,  baS  alS  ©ccarbS  frür)ejieS  genannt  mirb,  jmanjig  geiftlid)er, 
ju  SKüblbaufen  1574  berauSgefommener  geijtltdjer  ©efdnge  ßubmig  £elmbolbS  $u  ötec,  fünf,  unb  mebren 
©timmen,  mar  mir  nid)t  gewährt.  3d)  l)abe  inbeß  bie  33ermutl)ung  aufgehellt,  baß  mir  in  ben  acfytjebn 
Siebern,  bie  als  SBieberabbrud  ebenbafelbft  (1599)  bei  ^»ieronpmuö  9feinr)art  erfcfyienen,  mal)rfd)einlid) 
einen  großen  £l)eil  uon  bem  Snljalte  biefeS  SBerfcS  befugen.  3116  frühere  £cruorbriugungen  nennt  fte 
fd)on  ber  Settel  jener  neuen  Ausgabe;  nur  über  bie  Seit  if>reS  erjien  (SrfdjeinenS  merben  mir  burd)  ihn  nid)t 
belehrt,  ßine  Söermutfmng  barüber  auS  äuß  eren  ©rünben  giebt  unS  tt)re  Bufammenftellung  mit  £on= 
fallen  3oad)tmS  von  SSurgf,  bie  nuV  um  ein  Satyr  fpäter,  1575,  erfd)ienen;  mir  folgern  barauS  leicht, 
baß  fte  mit  tiefen  ungefähr  gleiten  Alters  gemefen,  unb  merben  fo  auf  jencS  ältere  SSÖerf  jurüdgeführt. 
25iefe  Folgerung  mirb  aber  aud)  burd)  innere  ©rünbe  betätigt.  3undd)ft  fbnnen  bie  Sonfäfje,  bie  unS 
jene,  als  SBieberabbrud  angefünbigte  Ausgabe  bietet,  nicht  fpater  alS  1589  entfianben  fenn.  SSon  biefem 
Sabje  an  ernennen  mir  in  ben  SBerfen  unfereS  SJieifterS,  mie  mir  baoon  in  ber  §olge  unS  überzeugen  merben, 
ein.  fo  frifcbeS  SSorwärtSftreben,  baß  jene  um  jetyn  Satyre  fpäter  aufs  9ceue  erfd)ienenen  Sonfä^e,  menn  mir 
fte  innerhalb  biefeS  BeitraumeS  festen,  unS  einen  ©ttlljtanb,  mo  niebt  einen  9?üdfd)ritt  jeigen  mürben,  ber 
allen  unferen  (Srfafjrungcn  über  ben  SBilbungSgang  (SccarbS  miberfpräd)e.  SMefeS  angenommen,  fo  über= 
jeugen  mir  unS  aud)  balb,  baß  fte  noch,  bober  hinaufreichen  müffen  als  jener,  nur  wergleid)ungSmeife  ange= 
nommene  Beityunft.  £)ie  ©efdnge,  meld)e  ber  SBieberabbrud  toon  1599  enthält,  ftnb  ttyeilS  einfad), 
ttyeilS  mit  fünftlid)er  33erfled)tung  ber  (Stimmen  gefegt,  unb  bie  einmal)l  gewählte  2Crt  ber  S3ebanblung  tji 
aud)  ba  beibehalten,  mo  bie  meiji  cinftropbigen  Sieber  einmal)l  auS  jmei  ©efd^en  befteben,  unb  jebem  berfet= 
ben  ein  befonberer  £onfa£  geroibmet  ift.  ©infad)  betyanbelt  erfd)etnt  ber  <2afe  oon  jetyn  Siebern,  beren  eines 
jmei  ©tropfjen  bat,  fünjilid)  t>erflod)ten  ift  er  bei  ben  übrigen  ad)t,  beren  »ter  auS  jmei  ©troptyen,  alfo 
aud)  jmei  SEtyeilen,  bejieben.  (Slf  einfache,  jmolf  fünftlicfye  ©dfee  alfo  fiebert  einanber  gegenüber.  %me 
erflen  nun  muß  man  im  Allgemeinen  mel)r  beflamatorifd)  nennen  als  melotifd).  «Sie  gleichen  benen  beS 
3acob  SSKeitanb  unb  Soad)im  »on  SSurgf ;  eS  i(i  in  ibnen  bie  ©inmirfung  einer  fremben  ßigentl)ümlid)feit 
beutlid)  ju  erfennen,  bie  eigene  beS  S[ReifterS  tritt  jurüd,  ober  richtiger,  fte  tfi  nod)  unentmidelt.  Um  SSie= 
leS  bebeutenber  ftnb  bie  übrigen,  motettenbaften  ©d|e,  fte  ermangeln  triebt  einzelner  geiftreid)er  Büge,  aUein 
gecarb  gebt  bier  auf  bem  ebenen,  betretenen  SSege  beS  Sonfa^eS  mit  feinen  Beitgenoffen  fort,  unb  böd)jienS 
erfennt  man  bei  itym  bie  lebenbige  ßtnmirfung  feines  SetyrerS,  ben  mir  motyl  bieSSlütfoe  ber  belgifd)en  ©d)ule 
nennen  bürfen.  2flleS  biefeS  beutet  auf  einen  jungen  Äünftler,  ber,  maS  er  bisher  bilbenb  gelernt,  mit 
©id)erbeit,  felbft  mit  ©eiji,  fortübt,  unb  baneben,  meil  er  ju  bem  »ollen  S5emußtfepn  ber  ibm  eigene 


  456   


rbümlichen  ©abe  noch  nirfjt  gelangte,  baSjenige  ergreift,  was  bie  ©egenwart  olS  S^euefteö  if)tn  entgegen; 
bringt,  unb  baran  fortbilbet.  ©elbjt  an  bem  Vergreifen  in  ber  Aufgabe  mochten  wir  einen  folgen 
jungen  Äünjller  erfennen.  Siebe  unb  SSerefjrung  gegen  feinen  greunb  unb  ©onner  #elmbolb  haben  ihn 
rvohl  vermocht,  beffen  Sichtungen  für  feine  SSonfäfce  ju  wählen.  2TCtetn  er  hat  babei  überfeinen,  baß,  aller 
ehrenwerthen  ©cfinnung  feines  SichterS  ungeachtet,  burch  alle  bie  Sieber,  welche  t>ter  erfcheinen,  eine  gewiffc 
trocfene  Sef)rhaftigfeit  l)ingel)t,  bie  Weber  ©änger  noch,  ©e^cr  ju  begeiftern  vermag.  .Keine  ber  SJMobieen 
jener  einfach,  liebmäßig  behanbelten  ©ä£e,  in  benen  @ccarb  3acob  SJleitanb  unb  Joachim  von  S3urgE  mä)-- 
ging,  ift  firchlicb,  geworben,  wie  auch,  faum  ju  erwarten  war.  S3emerfenSwerth  ift  in  ber  ganjen  ©amm= 
lung,  wie  fte  unS  jefet  vorliegt,  baS  Übergewicht  ber  harten  Tonarten  über  bie  weichen,  fo  wie  ber  jirenger 
fachlichen  —  beS  ^irolvbifcljen,  ^tjx^ifäjen,  Sorifchen  —  über  baS  Sonifcr/e  unb  'tfolifche:  bort  fteüt 
ftch  baS  SSerhältniß  bar  wie  12  ju  6,  hiev  wie  11  ju  7. 

©et  3eitfolge  nach  müßte  unS  nunmehr  junächfi  ber  2lntf)eil  befchäftigen,  ben  ©ccarb  an  ber  juerft 
1577  von  Joachim  von  S5urgf  herausgegebenen  Crepundia  hat.  2Btr  wenben  unS  jeboch  lieber  ju  jenen  24 
beutfehen  Siebern,  bie  er  um  1578,  währenb  feines  SienfieS  als  guggerfcher  9JluftcuS,  ju  9D2üf;l^aufert  er= 
fcheinen  ließ,  Senn  biefe  fließen  ftch  fät  bie  ^Betrachtung  leichter  an  jene  julefet  befprochenen  Sonfäfce,  eben 
wie  ©ccarbS  33eifteuer  ju  SBurgfS  Crepundia  beffer  bemjenigen  ftch  anreiht,  waS  er  biefem  feinem  greunbe  ju 
beffen  fpäter  erfchienenen  breißig  geijllichen  Siebern  lieferte.  3ene  24  Sieber  ftnb  jum  f teinften  Steile  geijtlichen 
3n^«ltS :  folcher  ft'nbcn  wir  nur  jwei.  Sag  eine  ift  ein  bloßer  Sceimfpruch,  ober  heimgehet,  motettenl;aft  gefegt : 

fO>  Sqcxx  burch  beinen  bittern  Sob 

©teh  unS  h'e  &£9  m  aHer  ^oth/ 

Unb  alles  Unglüc!  von  unS  wenb, 

SBef)üt  unS  auch  am  legten  @nb. 
SaS  anbere  ift  bie  erfie  ©trophe  beS  alten  SDfterliebeS :  „ßhrift  ift  erftanben,"  in  gleicher  SSehanblung  unb 
auf  beffen  SJielobie  ftch  grünbenb,  bie  jeboch  m  von  ben  verflochtenen  Stimmen  aB  fefler  ©efang 
unjertrennt  erfcheint.  (Sin  @r>elieb,  ein  Sfeirnfprud)  über  Heuchelei  unb  galfchheit  ber  SJJcnfchcn,  ein  anbe= 
rer  über  ihr  vergebliches  brachten  nach  Äunft,  (ivjx  unb  ©ut,  beren  33eft£e,  wenn  erreicht,  ber  SEob  balb 
ein  Grnbe  mache,  flehen  jenen  geifttichen  als  ernffe  jur  ©ette.  Sie  anberen  ftnb  meift  fcherjhaften,  felbft 
»offenhaften  Inhalts,  bie  SiebeSf tagen  ausgenommen,  einige  auS  ©eorg  gorftcrS  ©ammlung  unS 
bekannte  Sieber,  benen  wir  hier  begegnen,  haben  nicht  ihre  alten,  gebräuchlichen  SDcelobieen ;  ©ccarb  hat 
neue  baju  erfunben,  wie  eS  auch  &on  SJlanchem  feiner  unmittelbaren  Vorgänger  unb  feiner  ßeitgenoffen 
gefchahe,  von  Sacob  SDieilanb,  Seonharb  Sechner,  Sacob  9tegnart,  Sacob  Sfaincr,  Melchior  ©chramm, 
unb  Anberen,  beren  2Berfe  baher,  eben  fo  wenig  als  bie  feinigen,  unS  Quellen  fevn  tonnen  für  bie  volfS- 
mäßigen  SEeifen  älterer  Seit.  9htr  einen  einzigen  vierftimmigen  ©efang  finben  wir  einfach  gefegt,  meifi 
Zoxi  gegen  SEon,  faft  bänfclfängcrifch :  bie  gäbet  von  einer  ftoljirenben  jungen  elfter,  bie  burch  eine  alte 
£enne  in  einem  Sßafferfruge  erfäuft  würbe,  eine  fcherjhafte  S5ejiel;ung  vielleicht  auf  ein  bamalS  befannteS 
(Sreigniß.  3n  ben  übrigen  ©äfcen  geht  bie  einfache  SSehanblung,  wenn  fte  im  SSeginne  auch  bie  vorwaU 
tenbc  ift,  bennoch  balb  in  bic  fünfllichere  über.  Sie  SKehrjahl  aller  ift  burchweg  motettenhaft  behanbelt, 
unb  burch  SüUe  beä  ÄlangeS  unb  9?cichtf)um  ber  Harmonie  ben  eben  juvor  betrachteten  überlegen,  bie  wir 
auch  beSfjalb  fchon  für  älter  halten  möchten.  3n  bem  unS  jefct  vorliegenben  SGBerfe,  baS  feinem  4>auvtin= 
halte  nach  nicht  hieher  gehört,  unb  baS  unS  alfo  nur  vorübergehenb  befchäftigen  barf,  ft'nben  wir  (Sccarb 


  457   


rüftig,  ftrebfam ;  matmicbfaltigeren  Aufgaben  gegenüber  als  jiwor,  mit  fid)erem  ©efül)lc  ben  rechten  Son 
treffenb ;  ber  funftlertfdjcrt  Sufammenfiellung  »ort  ©egenfäfjen  mächtig,  bie  ernft  baf)erfd)reitenbe  metobifdje 
SBenbung  ber  lebhafter  bewegten  glücflid)  »erbinbenb,  bie  funfiticfye  33erfled)tung  ber  Stimmen  unterbre* 
d)enb,  mo  burd)  einfädln,  rl)»tf)mifd)  beroortretenben  ©cfang  ein  bebeutfamer  Sputd)  auSjujeid)nen  ift, 
eS  fet>  in  ernftem  ober  fd)erjf)aftem  «Sinne;  bod)  immer  nur  fortbilbenb  in  bem  ©eijte  fcineS  33orgängerS 
unb  SDieifterS,  als  ein  roürbigeS  ©lieb  ber  üon  bicfem  gcfitftetcn  Schule.  #f)nlid)  jetgt  er  ftd)  aud>  in  einer 
fünfftimmtgen  SJteffe,  bie  ebenfalls  in  bie  Seit  feines  SienfieS  als  SJiuftcuS  %acob  SuggerS  gehört.  Sie 
beftnbet  ftd)  unter  ben  muft'falifcfyen  $anbfd)riften  ber  itbniglicfyen  äSibliotfyef  ju  9)?ünd)en  (S^ro.  57)  unb 
eS  barf  unS  nicfyt  befremben,  unferen  Söicijter  auf  beren  Sitelblatte  nad)  jenem  Sienftoerbältniffe  noch, 
genannt,  unb  bennod)  baS  %al)t  1598  beigefügt  ju  fefyen,  in  meldjem  er  lange  fd>on  als  33icecaßeHmeifrer 
in  bem  Sienfte  beS  SSJiarfgrafen  ©eorg  griebrid)  ju  Königsberg  ftanb.  £>enn  biefeS  3ab,r  bejeid)net  l)icr 
unjroeifelfjaft  nur  bie  Seit  ber  »ollenbeten  ^>anbfd)rtft,  meld)e  auf  ftarfem  Rapiere  in  fef)r  grofsem  gormat 
fd)6n  unb  forgfältig  gefd)rieben  ift.  "Küe  einzelnen  Stimmen  (leben  J)ter  auf  jroei  S3lattfeiten  einanber 
gegenüber,  fo  bafj  man  ft'ebt,  bie  2(bfd)rift  mar  jum  ©ebraud)e  ber  Sänger  bejtimmt,  bie  of)ne  einjelne 
Stimmbücfyer,  baS  ©anje  auS  ifyr,  bie  auf  einem  itirdjetmulte  in  if?rer  SDZitte  lag,  abjuftngen  Rattert; 
rooju  bie  großen,  für  SSiele  roeitbin  erfennbaren  Singjeid)cn  ft'e  leid)t  befähigten.  Sonft  tft  biefelbe  ofyne 
Sdjmud,  nur  bei  jebem  4?auötabfa£e  ber  9fteffe  finb  2lnfangSbud)j!aben  mit  ^)ei(igenbilbern  —  S.  3Tn= 
breaS,  Mauritius,  Scbaftian  ;c.  —  rotfy  eingebrucft.  @ccarb  mirb  biefe  SJleffc  roäf)renb  feines  2lufentl)al= 
teS  ju  2lugSburg  feinem  Söietfter  DrlanbuS  SaffuS  nad)  9Künd)en  gefenbet,  fte  mirb  33eifall  gefunben  fjaben, 
unb  jule^t  ber  2lufnal)me  unter  bie  für  ben  ©ottcSbienft  in  ber  £erjoglid)en  ßapelle  bcfiimmtenSonfrücfe  für 
roürbig  erachtet  morben  fenn.  9?ad)  ber  Sitte  einer  früheren  Seit,  bie  »on  ber  jftrcbetmerfammlung  ju  Srient 
jroar  verworfen  mar,  jebod)  außerhalb  9?om  lange  nod)  fortbeftanb,  ift  fte  auf  bie  SJMobie  eines  meltlid)en 
ßiebeS  gefegt :  Mon  coeur  se  recornmande  ä  Vous  ;  ofyne  S^eifel  meil  fte  ein  2Bet'bgefd)enf  beS  Sd)ülerS 
an  feinen  geliebten  SEßeijler,  t>ielleid)t  aud)  eine  Erinnerung  an  bie  in  $)ariS  gemeinfdjaftlid)  »erlebten  Sage 
ferm  follte.   SSon  ar)nlid)en  Arbeiten  beS  £>rlanbuS  ijt  fte  faum  ju  unterfdjeiben. 

Sie  allgemad)  reifenbe  Selbjtänbigfcit  ßccarbS  erfennen  mir  juerft  in  ben,  ibrem  Umfange  nad) 
freilid)  nur  geringen  Beiträgen,  bie  er  feinem  greunbe  3oad)im  t>on  SBurgf  ju  beffen  Crepundia  (1577) 
unb  feinen  breiig  geifrlidjen  ßiebern  (1585)  lieferte:  bort  brei  SMobieen  unb  SEonfcujen,  bibberen  öier, 
alle  einfad),  SSon  gegen  Son,  mit  menigen  SSinbungen  gefegt.  £)ie  brei  alteren  in  ber  Crepundia  gefjören 
©regoriuSliebern  an,  beren  2lrt  unb  S5eftimmung  in  ben  folgenben  gleichzeitigen  Stroßben  ftd) 
auSfprid)t: 

ßin  alter  SSraud)  bei'n  ßbrijlen  ift, 

25aß  man  ju  tiefen  Seiten 

2)ie  2ugenb  burd)  bie  Stabt  auflieft 

Unb  in  bie  Sdjul  ti)ut  leiten. 

9Kit  Älang,  ©efang,  lieblid)em  Son 

2(ud)  mebren  (Zeremonien  fd)on 

25ieS  Sd)ulfejt  mirb  begangen. 

Sn  meinen  Äleibern  treten  ein 
Sie  Änaben,  f>übfd?  gejieret, 

s.  SBtnttrfttb,  itt  tsangtl.  S^otalgcfang.  58 


  458   


#dnben  füfyr'n  fte  gdfynelein, 
©ar  füfj  wirb  ifyn'  fjoftret  :c. 

3wei  berfelben  ft'nb  beutfd)e : 

£>aß  nod)  viel  9Kenfd)en  werben 
3u  biefer  Seit  gebofym  tc.  (Kto.  7.) 

Sfyr  2£lten  pflegt  ju  fagen 

SSon  euren  Äinberlein  ic.  (9?ro.  8.) 

etne6  ijt  ein  latemifd)e§: 

Age  nunc  parve  puer,  dum  viret  aetas  etc.*)  (9lro.  1.) 
alle  t)at  $clmbolb,  felber  bamalS  ©d)ulüorftef)er,  für  ba§  ©regortuSfcft  unb  CrccarbS  öierjtimmigen  Sonfaft 
gebid)tet.  3n  tiefen  Siebern  wirb  ©Ott  gepriefen,  ber  bie  SDZenfdjen  tagltct)  mehre,  unb  in  ifynen  fein  9?eid) 
auf  (Srben  grünbe,  wenn  ber  gleiß  ber  Sefjrer  nid)t  ermtibe,  ber  ©el)orfam  ber  Schüler  tfmen  folge,  unb 
burd)  ©ottc§  ©nabe  ber  alte  SEKafel  ber  ©ünbe  »ertilgt  werbe;  e3  wirb  eingefd)drft,  baß,  ber  bie  2flten  in 
ben  jungen  erneue,  tl)nen  aud)  gebiete,  btefe  bann  iftre  ©teile  einnehmen  ju  laffen;  unb  ber  junge  Änabe 
wirb  ermabnt,  in  frühen  Sagen  tüd)tig  ju  fd)affen  in  gleiß  unb  ©el)orfam,  bamit,  wenn  er  einjl  wieberum 
weichen  muffe,  er  feinen  9Jad)bleibenben  einen  rechten  ©d)a£  ber  2Bei§f)eit  f)interlaffe.  Sic  fnüpfen  ftd>  an 
eine  befh'mmte,  nid)t  eigentlich,  fird)ltd)e,  aber  bod)  in  ben  Äreiö  bee>  ©otteSbienfteS  in  weiterem  ©inne 
gef)6renbe  SSeranlaffung,  unb  ft'nb  in  biefem  ©inne  geiftlidje  Sieber.  3&re  ©ingweifen  ft'nb  faßlid)  unb 
anfprecfyenb;  bie  be§  erften  ift  gleichen,  geraten  SKaaßeS,  wogegen  in  ber  beä  jweiten  rl;ptt>mifd>er  28ed)fel 
t>orl)errfd)t,  bie  be§  legten  aber  bem  anapdf!ifd)  =  baftwJifcfyen  SSKaaße  il;re§  lateinifcfyen  SerteS  ftd>  treu 
anfdjließt,  unb  fo,  manntd)fad)  belebten  @d)ritte§  etnfjerger^enb,  bem  ©d)üler  jugleid)  eine  lebenbige  2Cn= 
fd)auung  be§  in  ber  Betonung  bargejletltcn  SJJaaßcS  gewahrt.  SSJir  ft'nben,  faft  fyunbert  3al)ve  nad)  ifjrem 
frül>eften  ßrfcfyeinen,  bie  erften  beiben  nod)  in  fird)ltd)en  ©efangbücfyern,  jumeift  &f)tirtngen§,  unb  alle  brei 
mögen  roofjl,  wenn  fte  aud)  feitbem  in  biefen  nid)t  mefyr  angetroffen"  werben,  bod)  ba,  wo  dl)nlid)e  ©d)ul= 
fefte  ftd)  nod)  erhalten  l)aben,  bis  auf  biefen  Sag  im  ©ebraud)e  geblieben  fet;n.  93Zid>ael  $rdtoriu§  b,at  in 
ben  fed)ften  Zvjeil  feiner  ©ionifd)en  Stufen  (1G09,  9lro.  94.  95)  bie  beiben  erften  aufgenommen,  benen  er 
nur  eine  anbere  Harmonie  gegeben  l)at ;  in  einer  fpdteren  3(u§gabe  ber  üierftimmigen  Äird)engefdnge  beS 
©etf)  Gjaluift'uä  (1622)  ift  ba§  jweite,  in  SSBeife  unb  SEonfafc  mwerdnbert,  al§  SSefgabe  mitgeteilt 
(9cro.  127) ;  ber  jweite  Sfjeil  be3  ©otl;aifd)en  GantionalS  (1655,  9lro.  26)  enthalt  e6  ebenfalls  in  feiner 
urfprünglid)cn  ©cflalt,  unb  baö  Erfurter  ©efangbud)  t>om  3af)r  1663,  baS  feine  mel)rftirmnigcn  Sonfdfee 
giebt,  bietet  bod)  beibe  Sieber  mit  il)ren  9JJelobieen  (p.  655.657);  ein  3eugniß  für  ben  S5eifall,  ben  fte 
lange  ftd)  erhielten.  Sof)ann  ^ermann  ©d)ein,  ber  in  feinem  Gantional  wn  1627  beibe  Sieber  aufnahm 
CülxQ.  281.  282.)  unb  auf  tl)re  bekannten  SJlelobieen  uerweif't,  »erfud)te  ifynen  neue,  eigene  anjupaffen, 
bie  ftd)  aber  nid)t  weiter  oerbreitet  ju  haben  fd)einen. 

Die  »ier  Sonfdfee  (SccarbS  in  ben  breißig  geiftlidjen  Siebern  3oad)im$  »on  S3urgf  fd)lief  en  ftd) 
Mgefängen  ^)etmbolb§  an.    3undd)ft  einem  SDfterliebe: 

3u  btefer  öflerlid)en  3eit**) 

Saßt  fahren  alle  Sraurigfeit, 


')  <S.  bic  SBcifpicte  SRto.  111.  112. 
")    S.  Seifpul  9{ro.  113. 


  459   

3fr  muffeligen  ©ünber, 

©ort  bat  getban  grof?  2Bunt>er  ic. 

einem  ^>immclfaf>rt6Itebe : 

©en  Gimmel  fdfrt  ber  £erre  ßtjrijl, 
©ein'  üftiebrtgfeit  fürüber  ift  tc. 

einem  ^ftngfiliebe : 

25er  f)eilig'  ©eift  vom  ^immel  fam*), 

9Jiit  SBraufen  ba§  ganj'  SgauS  einnahm, 

Sarin  bie  Sürtger  fafen, 

©Ott  mollt'  ft'e  nieft  »erlaffen! 

£>  meld)  ein  feelig  geft 

3ft  ber  spfmgefttag  gemeji  tc. 
enblid)  einem  Siebe  auf  ba§  geft  ber  Jpeimfud)ung: 

Über'3  ©ebirg  SOßaria  gebt  ic. 
2flle  biefe  Sieber  faben  eine  fird)u'd)e  S3eftimmung  in  engerem  ©inne ;  aud)  ift  ifre  SBefanblung  mefentlid) 
unterfd)ieben  »on  ber  jener  brei  ©cfullieber.  3n  ben  SKelobieen  felbft  mie  in  ber  begleitenben  Harmonie  ift 
ein  «Streben  fteftbar  nad)  fefttiefer  9>rad)t  unb  reid)erem  ©efmuef.  Sie  SBeife  be3  £)fterliebe3  bemegt  ftd) 
bureb;  gängig  im  breitfeiligen  SDZaafj e ;  bie  83erbinbung  erweiterter  Sityjfymtn  in  ben  begleitenben  Stimmen 
mit  S3inbungen  in  ber  £>berfh'mme  gerodbrt  ber  britten  unb  vierten  Seite  einen  eigentümlichen,  ben  SBorten 
angemeffenen  2fu3brud,  auf  ben  bie  Harmonie  aud)  burcfgdrtgig  gerichtet  ift.  Sie  t ont f d) e  Tonart  ift 
bie  beS  ©anjen ;  in  ber  borifefen  bemegt  ftd)  ba3  folgenbe  ^)immelfal;rt6lteb.  £ier  maltet  ba§  gerabe 
9Kaafs  »or,  bod)  mirb  bie  SDMobie  burd)  rbt)tbmifd)en  2BecbJel,  unb  bei  ber  ©teile: 

groflocFet,  froblocfet  mit  Jpdnben  all'  tc. 
burd)  beftimmt  auSgefprocfenen  ©egenfag  be§  breitfeiligen  SEJZaafjcS  (in  ber  gorm  beä  £  Saftet)  belebt,  mie 
benn  aud)  in  ber  Jparmonie  33inburtgen  unb  einfache  Sufammenflärtge  einanber  bebeutfam  gegenübergefteüt 
ftnb.  ©ben  biefer  2Bed)fel,  be§  9it)\)tt)mu§,  ber  SBinbungen,  be§  einfachen  3ufammenflingen§,  burd)  ba§ 
jumeiff  ber  rbi)tf)mifd)e  2Bed)fel  ferttorgeboben  mirb,  fmbet  fid?  aud)  in  bem  ^)ftngftliebe.  ©einer  £)ber= 
ftimrne  jufolge  mürbe  feine  ©runbtonart  bie  mirolübtfd)e  fepn,  in  bem  Tonumfänge  »on  C  mit  fleiner 
Septime,  allein  bie  Harmonie  begleitet  ben  ©cftufjton  be§  SisfantS  in  ber  ©runbftimme  mit  feiner  Unter* 
quinte,  F,  unb  mirb  baburd)  ju  einer  ionifefen,  mie  fte  benn  aud)  im  Saufe  be3  ganjen  ©afceö  nirgenb 
ba§  ©epräge  ber  mirolpbifcben  Tonart  tragt,  dagegen  ftellt  bie  Tenorfhmme  (für  ftd)  genommen  fdjon 
ton  anfpreefenbem  ©efange)  in  il;rem  gortfd)ritte  bie  ionifefe  Tonart  »ollfommen  bar,  auf  meld}e  auch,  »on 
ber  Harmonie  bingebeutet  mirb.  Safer  mirb  e§  gefommen  fepn,  bafs  9Jiid)ael  ^)rdtoriu§,  beffen  ©ionifdje 
5Diufen  alle  biefe  m'er  Sieber  ßccarbS  (menn  aud)  nidjt  unter  feinem  9camen)  in  ifrem  feefften  Tfetle  (1609. 
Sfro.  148.  152.  161.  181)  entfalten,  eben  ben  Tenor  für  bie  ©timme  genommen  bat,  melcfe  bie  QaupU 
melobie  füfre,  unb  baß  er  beämegen  biejenige,  bie  er  bort  »orfanb,  in  bie  Sberftimme  »erfefct  unb  ifr  eine 
neue  Harmonie  gegeben  bat**);  mie  er  benn  bicfeS  le^te  überhaupt  bei  biefen  oier  Äircfenliebern  eben  fo 


")  ©.  SSeifpiet  9iro.  114. 
")  @.  SSeifpiet  SRro.  IHK 


58* 


_   460   

\voi)l  al§  bei  ben  bcfprod)enett  brei  ©d)ullicbem  gctf)an,  2Ba§  tton  bem  jweiten  unb  britten  unferer  Sieber 
getagt  worben,  gilt  im  ©anjen  aud)  üon  bem  werten:  feine  ©runbtonart  ift  bie  t>erfe£te  borifd)e.  Dreien 
tiefer  ©efänge  —  baS  |>tmmetfa&rt§lteb  aufgenommen  —  werben  wir  in  @ccarb§  gejiliebcm  mit  neuen 
Sftelobicen  unb  eigcntr)um[id;cr  33cl)anblung  ber  Jparmonie  wieber  begegnen,  unb  fte  abermals  ju  befpredjen 
haben.  Sene»  £immelfal)rtSlieb  habe  idt>,  außer  bei  9)rdtoriu§,  in  (Sammlungen  be§  17tcn  3af)rt)ttnbert£! 
fpätcr  nicht  wiebergefunben.  Sag  $)ftngft=  unb  £eimfud)ungSlieb,  in  SÖMobie  unb  Sonfa^  unoerdnbert, 
nur  mit  Unrccbt  bem  Soacl)im  üon  S5urgf  $ugefd)rieben,  enthält  ber  erfie  £I)eil  beS  <Sotf>aifcf>en  ßantionalS 
(1646,  9iro.  90.  III);  in  baS  Erfurter  ©efangbud)  üon  1663  ift  nur  bie  9ftelcbie  beS  erften  mit  ihrem 
Siebe  aufgenommen  (pag.  1/6),  jebod)  nicht  bie  be§  SenorS,  fonbern  ber  £)bcrfttmme,  bie  aud)  wol)t  t>on 
(Eccarb  al§  bie  £auptmelobie  gemeint  fev>n  mag,  ba  er  biefe  fonjt  nirgenb  einer  SDZittclftimme  jujutheiten 
pflegt.  Söiit  biefer  SBeife  ift  ba§  Sieb  aud)  in  grcilingShaufenS  ©efangbud)  übergegangen  (1741,  SRxs>.  318) 
unb  fte,  eben  wie  bie  @ccarbfd)e  be§  ,!pelmbolbifchen  £)fterliebe3,  lebt  bis  auf  biefen  Sag  in  bem  ,Ktrd)en= 
gefange  feiner  Skterftabt  -DZüblhaufen  fort.  SSeiben  SKelobieen  hat  man  aber  bort  neue  Dichtungen  unter* 
legt.   Der  beS  .SfterltebeS  bie  folgenbe  (91x0.  57  beS  9Jlül)ll)aufer  9Dtoobieenbud)eS) : 

SSergefH  bie  Seiben  biefer  ßeit, 

Der  greube  fei)  baS  geft  gemeint  ic. 
unb  ju  ber  beS  9)ftngjt[iebeS  (eben  ba  9?ro.  71)  fingt  man  gegenwärtig: 

Sftun  banfet  ©Ott  bem  tjeil'gen  ©eift, 

Der  .Kraft  unb  S5eiftanb  unS  t>erf)eifit 

3u  eblen,  guten  SBerfen  ic. 
©he  wir  nun  t>on  biefen  fteben  Siebern,  bei  benen  (Sccarb,  Sttelobieen  in  achtem  ©inne  baju  erftn= 
benb,  bie  ©abe  beS  ©dngerS  mit  ber  beS  ©e^erS  erft  wahrhaft  Bereinigte,  ju  feinem  ndcbjen  SEÖerfe  über* 
gehen,  füllen  wir  unS  gebrungen,  für  eine  SEBeile  unferen  SSlicf  in  bie  SSorjett  unfereS  932eifterS  jurüc!  ju 
wenben,  unb  unfere  Darfiettung  ber  fortfd)reitenbcn  ©ntwidelung  feiner  2Trt  unb  Äunft  burd)  bie  folgenben 
S5etrad)tungen  einzuleiten. 

@o  lange  jene  beiben  ©aben  beS  ©dngerS  unb  beS©e£crS  nod)  getrennte  waren,  unb  t»on  ben 
3eitgenoffen  eigentlich,  nur  ber  üollfommenen  tfuSbilbung  ber  legten  ber  SRame  einer  Äunft  jugeftanben 
würbe,  befanb  fidt>  ber  Sonfcfeer,  ber  nad)  bamaliger  ©itte  über  eine  gegebene  SCJMobic  arbeitete,  meift  in 
einem  boppelten  galle.  ßntmeber  legte  er  fte  unsertrennt,  unserdnbert,  feinem  Sonfa^e  ju  ©runbe,  ober 
er  lieg  in  bemfelben  nur  tfjre  fenntlid)flen  Jpauptjüge  anflingen,  bamit  er  baS  ©eprdge  berfelben  trage,  unb 
fo  auf  fte  gegrünbet  erfcheine.  Diefe  ©runbmelobie  war  aber  im  ©inne  feiner  3ett  il)m  jwar  ein  fbftlicheS 
3uwel,  ju  welchem  fein  Sonfafc  bie  fun(treid)e  ßinfaffung  bilbete,  ober  wollen  wir  fte  einen  feltenen  Duft 
nennen,  ber  it)rt  würjen  füllte;  allein  wir  fonnen  bod)  nid)t  fagen,  fte  fet?  eigentlich  ber  ©egenftanb 
feiner  Aufgabe  gewefen.  ©ie  war  eine  SSeranlaffung  »on  2Cufen  f>er  ju  Darlegung  feiner  Äunjt, 
jugleid)  aber  ein  biefelbe  Sebingenbeä,  il;m  befiimmte  ©d)ranfen  8Sorfd)rcibcnbeä.  Dal) in  alfo 
war  fein  ©treben  oorjüglid)  gerichtet,  wie  er  innerhalb  biefer  S5egrenjung  bie  mbglicbje  greil)eit  ber  S5cwe= 
gung,  unb  für  feine  Äunfi  genügenben  Sfaum  gewinne;  benn  t t>r e  Darlegung  in  ftnnreid)em  5ßerfled)ten 
meljrer  Stimmen  betrachtete  er  al§  feine  eigentliche  Aufgabe,  ©in  ganj  anbercö  S3crl)altnip  trat  l)eroor, 
al§  bie  beiben  ©aben  be§  ©ängerS  unb  be§  ©efcerS  mit  bem  gortgange  ber  3eit  in  bemfelben  5DJeifter  ftcb 
aUgcmad)  »ereinigten.    Dicfem  würbe  e§  nun  Aufgabe,  burd)  feine  Äunft  eine  eigene  ©d)bpfung,  bie 


  461   


oon  ihm  erfunbene  9)ielobie,  von  3nnen  ^erauö  ju  entfalten,  Sie  war  if)tn  nicht  länger  ein  oon  2luß  en 
ijer  SBebingenbeS  unb  S3efd)ränfenbe3 ;  burcb,  fte  empfing  feine  .Kunft  erft  ©eftalt,  —  SBebeutung,  geben, 
greilid)  hätte  e§  von  Anbeginn  alfo  fepn  füllen,  aber  jc£t  erjt  fonnte  e3  böllig  erfannt  »erben,  wo  33eibe3, 
Singen  unb  Scfjen,  untrennbar  in  berfelben  ^erfon  «erfchmoljene  ©aben,  eineÄunft,  nur  in  boppelter 
2lu§jrraf)lung  geworben  waren.  3weterlei  aber  waren  bie  nothwenbigen  folgen  biefer  neuen  (Stellung  be§ 
&onrunftler$>.  3unäd)jt  ber  Übergang  bee>  ^)auptgefangc§  in  bie  £)berftimme,  bamit,  waS  nun  wahrhaft 
©egenftanb  ber  Aufgabe  geworben  war,  vernehmbarer  werbe;  baneben  aber  bie  größere  Vereinfachung  be3 
Sa^eö,  bie  vermehrte  (Sorgfalt  für  bebeutfames?  Verhältniß  ber  einzelnen  3ufammenflänge,  welche  in  bie 
©lieber  ber  SRelobie,  al3  tf)re  hoebfte  Spilje,  ausliefen ;  benn  fo  nur  fonnte  bem  Sinne,  in  bem  ber  Äünfi= 
ler  nunmehr  ju  febaffen  hatte,  genügt  werben.  2Cnbeutungen  biefer  neuen  fütifilerifcbcn  9?icl;tung  treffen 
wir  aHerbingS  fd)on  in  jenen  früheren  Seiten  ber  Trennung  beiber  ©aben.  Sie  mußte  in  bem  naturge* 
mäßen  SntwidlungSgangc  ber  barmonifdjen  Äunft  fd)on  beSbalb  allgemach  hervortreten,  weil,  mochte  man 
auch,  juoor  e§  anberS  angefeben  haben,  bod)  bie  gewählte  SUMobie  ben  Sonfafe  ntdjt  nur  bebingte,  fon= 
bern,  bem  Selker  unbewußt,  auch,  geftaltete;  allein  erft  burd)  ben  Verein  jener  beiben  ©aben  vermochte 
fte  wirffam  fich  Söahn  ju  brechen,  Damit  hatte  jugleicb,  bie  Aufgabe  mebrjtimmiger  ^Betonung  auch  einer 
gegebenen,  fremben  SOZclobte  eine  wefentlicb,  veränberte  ©eftalt  empfangen,  e3  jeigte  fiel)  bie  fRothmn- 
bigfeit,  baß  aud)  biefe  überall  in  bie  £berftimme  übergebe,  wie  es>  benn  von  ba  an  immer  allgemeiner 
gefebabe.  Sollte  eS  aber  bei  jener  Vereinfachung  be3  £onfa£c§,  bie  bamit  fo  nahe  jufammenf)ing,  nun 
überall  fein  Verbleiben  behalten,  fo  ftanb  ju  befürchten,  baß  bie  Se^funft  in  bem  bisherigen  Sinne  barüber 
ju  ©runbe  gebe.  Denn  ba§  bloße  £)rbnen  unb  ßrft'nben  angemeffener  Sufammenflänge  für  bie  einzelnen 
Schritte  ber  SRelobie,  ol)ne  eigentf)ümlid)e,  melobifd)e  'tfuSgeftaltung  ber  verbunbenen  Stimmen,  in  benen 
jene  bargeftellt  würben,  ohne  ftnnreidje  S5ejieljungen  berfelben  ju  einanber,  festen  biefen  tarnen  nicht  ju 
verbtenen.  2lls>  nun  um  1589  Crccarb  mit  feinem  nächsten  Söerfe  hervortrat,  war  e§  mit  ber  Äunft  be3 
SSonfefcerS  fo  befetjaffen ;  fte  betrat  eine  neue  SBafyn,  aber  mancherlei  3weifel  befmgen  babei  notbwenbig  ben 
Äünftler,  unb  auch,  unferem  SOieijler  fonnten  fte  nicht  fern  bleiben. 

2flle  feine  in  biefem  SBerfe  enthaltenen  geiftlid)en  ©efänge  ftnb  ju  einer  ober  mehren  gereimten 
ßiebftrovben  gefegt,  big  auf  einen  (^cro.  2;.  tiefem  liegen  einige  Verfe  (ber  erfie  bis  vierte)  aus>  bem 
26jten  ßapitel  beS  SefuS  Siracb,  ju  ©runbe:  ,,3Bob,l  bem  ber  ein  tugenbfam  SBeib  bat,  beß  lebet  er  noch 
eins  fo  lang  tc."   Unter  ben  übrigen  tritt  ein  furjer  Sfeimfprucb  unS  entgegen  (Hlxo.  8.) : 

2lUeS  von  ©Ott, 

Unb  wenn  bie  9cotb. 

SSBär  wie  ber  SEob, 

4?ilft  bod)  ber  treue  ©Ott. 
SSter  anbere  ftnb  über  ^Pfalmlieber  gearbeitet:  9fro.  3  über  eine  gereimte  9cad)bilbung  beS  33fien,  üftro.  5 
be§  128flen,  9tro.  6  beS  löten,  9tro.  16  be3  23jien  ?>falm§.   3wei  haben  Äirdjenlieber  unb  ihre  Sing= 
weifen  jum  ©egenftanbe:  ,,9JJag  ich  Unglüd  nid}t  wiberjlahn"  (5cro.  17),  „SerSag  ber  iji  fo  freuben= 
reich"  (Rro.  18) ;  ein  britter  behanbelt  jwar  ein  befannteg  Äirchenlteb  (<Rxq.  4) : 
©rweeft  hat  mir  mein  #erj  ju  bir, 
#err  ©Ott,  bein  SBort  ber  ©naben  tc. 
aber  nicht  feine  SCRelobie :  je  einer  jeigt  eine  einzelne  Strophe  5  9fao.  14  eines?  Sifd)liebeS : 


  462   

2Bir  Kernten  ©ort  für  feine  ©ab'n, 

Sie  mir  »on  ifym  empfangen  l)ab'n, 
•ftro.  15  eines  Siebet  t>on  33erad)tung  ter  Söeltlufl: 

@S  trau'r  ma§  trauren  foll, 

SJiein  ^)crj  ifl  freubenooll; 

%ic  bu  fdmbbe  mit, 

Sein  ©inn  mir  nidjt  gefällt, 

Sd)  Jjab'  ma§  befferS  funben  ic. 
Ser  auSgefübrtefle  unter  allen  tfl  ein  spafftonSlicb  oon  2lrtomebe§  (9lro.  7): 

SOtein  ©ünb  mich,  fränft,  ba§  ©fefc  mid)  bringt, 

SKcin  ©miffen  jagt,  ber  5£ob  mid)  jagt  tc, 
Deffen  fed)3  ©tropfen ,  batb  brei=,  balb  wer*  ober  fünfflimmig  befjanbelt,  jebe  einen  befonberen  SEonfa^ 
bilben.  Unter  biefen  jmblf  ©efängen  jeidjnen  mir  beren  »ier  aus>,  bie  mir  für  unferen  3mecf  näber  ju 
betrauten  l)aben,  unb  begnügen  un3  megen  ber  anbern  mit  ber  allgemeinen  SBcmerrung,  bafs  fte  im  SSJioret« 
tenflple  gefegt  ftnb,  unb  forfmäf)renb  ein  3cugnif?  baoon  ablegen,  baf;  unfer  (Sccarb  burd)  bie  ©d)ule  bee> 
tüd)tigflen  belgifd)en  SSKeifterS  feiner  Seit  gegangen  mar. 

Um  nun  ben  SJiotettcnflpl,  mie  mir  benfelben  l)iet  üerflefyen,  näber  ju  bejeidjnen,  bamit  mir  bann 
prüfen  rönnen,  miefern  bie  5Bcl)anblung  ber  übrigen  ©efänge,  benen  mir  einen  eigentümlichen  33au  nad)= 
rühmen,  ftd)  baoon  unterfd) eibe ;  fo  fet>  barüber  golgenbeS  bemerft.  3m  SCRotettenflple  mirb  jebem  ©a|e 
lex  betonten  Sprüche,  ober  jeber  Seile,  aud)  mobl  -ipalbjeile  be§  bebanbelten  Sieben,  menn  fte  einen  in  ftd) 
abgerunbeten  ©ebanfen  enthalten,  eine  eben  fo  in  ftd)  felbftänbige,  mclobifd)  jufammenbängenbe  9?cif)e  r>on 
Könen  angepaßt.  Siefe  mirb  nun  in  mel)r  enger  ober  meiter,  freier  ober  flrenger  9tad)al)mung  bttrd)gefül)rt, 
mo  e§  bann  aud)  gefd)iel)t,  bafj,  menn  ein  ©prud),  eine  3eile,  jmei  einanber  gegenübcrflebenbe  SEtjetlc  jetgt, 
mie  bei  Herfen  ber  ©d)rift  nid}t  feiten  ber  Sali  ifl,  biefe,  ein  jeber  einer  befonberen  Sonmcife  angepaßt,  att 
©a£  unb  ©egenfa^  gegen  einanber  geflellt  merben,  unb  burd)  tb,re  ©lieberung  eigentümlich,  unterfebieben, 
ftd)  med)fet§roeife  im  3ufammenflange  beroorjubeben  bienen.  SBenn  nun,  nad)  ä3efd)affcnl)cit  ber  jebe$ma= 
ligen  Aufgabe,  ein  foleber  melobifcfyer  ©a£,  langer  ober  fürjer,  in  ben  »crfd)iebenen  ©timmen  burd)gefül)rt 
tfl,  unb  biefe  2lu3fübrung  bem  ©djluf  falle  ftd)  jumenbet,  fo  erfd)eint  aßbann  ber  näd)jle  ©a(^,  bie  neue 
S5etonung  ber  folgenben  Seile  be§  SScrtcS,  eb,  e  ber  2lbfd)luf3  erfolgt,  in  einer  ©timmc,  bie  bis  babin  eine 
SÖBeile  gerubt  bat,  ober  bed)  geeignet  ifl,  biefen  neuen  (litttritt  befonberä  fül)lbar  ju  machen;  unb  ber  Zon-- 
meifler  flrebt,  fomeit  fein  ©prud)  ober  fein  ©ebid)t  ein  'tfnbereS  nid)t  erbeifd)t,  in  biefer  2lrt  fortgel)enb, 
babin,  bafj  fein  Sonfafj  obne  Unterbrechung,  obne  eigentlid)cn  9?ul)epunft,  bis  jum  ©ebluffe  ftd)  gleid)mä= 
f?ig  forfroebe.  3n  biefer  SSebanblung,  als  Sftotett,  jeid)nct  ftd)  nun  jener  fünfflimmige  ©efang  über  oier 
33erfe  auS  3«fuS  ©irad),  jum  ßobe  etneS  tugenbfamen  SöeibeS,  befonberS  auS,  Don  bem  mir  juoor  bie  SSer= 
mutbung  auSfpracben,  (Sccarb  möge  ibn  für  fein  eigenes  £ochjeitSfeft  gefegt  baben.  3u  biefem  ©afce  gebort 
offenbar  aud)  ein  ebenfalls  fünfflimmiger  ju  SobmafferS  Sieb  über  ben  128flen  ^falm  : 
©elig  ifl  ber  gepreifet*) 
£>er  ©ott  für  Lütgen  f>alt  tc. 


')  ©.  Seifpiet  9tro.  113. 


  463   


unb  bei  bem  erften  2CnbIt(fe  fd>cint  er  gang  gleid)  angeorbnet  ju  fepn.  dine  nähere  Prüfung  geigt  jebocb,  eine 
wefentlid)e  33erfd)iebenl)eit  gwifctjen  beiben.  gobwafferS  9cad)bid)tung  beS  oort  Clement  5Diarot  umfd)riebe= 
nen  128ften  9)falm3,  ba  fte  ftd)  ber  ©tro^tjc  unb  Sötaobie  il)re3  UrbilbeS  genau  anfcfyließt,  bat,  rote  biefeS, 
eine  ad)tjeilige,  iambifd)e,  ftd>  breimabj  wieberfyolenbe  ©tropfe,  unb  enbet  mit  einer  ^>albftropf)e  von  nur 
oier  Seilen,  bie  ben  erltert  Doppeljeilen  ober  bem  2tufgefange  ber  t>orangef)enben  ©tropfen  übereinfommen. 
tiefem  33au  be§  SiebeS  jlimmt  aud)  ber  beS  Xon)aty$  überein.  Suerft  im  ©anjen;  er  wieberl)olt  fid> 
breimaf)l  unocränbert,  erneuert  ftd)  aber  gänjlid)  bei  ber  fdjliefjenben  ^albjtropbe.  %m  Qt  in  je  Inen;  benn 
bie  erften  beiben  ^eilenpaare  jeber  ©tropfe  fjaben  aud)  biefelbe  35etonung,  unb  nur  bie  gweite  unb  britte 
©timme  med)feln  unter  ftd)  mit  bemjenigen,  waS  fte  baS  erfleSQtat>t  oortrugen.  9lun  ift  jwarbie25el)anblung 
nad)  SERotettenart,  aber  bod)  erbeblid)  unterfd)ieben  von  ben  gewöhnlichen  Sonfäfjen  biefeS  ©rt)l3.  9tid)t 
allein  läßt  fte  in  jenen  allgemeinen  ©runbgügen  bie  2iebform  binburd)fd)einen ;  biefe  tritt  nod)  befiimmter 
baburd)  fyevoov,  bafj  bie  melobifcben  SEonretben,  bie  ben  einjelnen  Beilen  ftcb,  anfd)liefsen,  fobalb  man  in  ber 
£berfttmme  il)nen  baSjenige  abftreift,  waS  nur  3wifd)enfajj  gur  gortfül)rung  beä  SongewebeS  ift,  ftcb  hü 
einer  Itebfjaften  in  ftd)  gufammenl)ängenben  ©tngmeife  »erbinben  laffen,  bie,  als  (5tnE>ett  beS  ©angen,  er= 
fennbar  burd)  baffelbe  ftd)  ()ingief)t.  Siefe  auf  fo!d)e  'Kxt  in  ben  Sonfafj  oerwobene  9JJelobte  ifi  beS  SOZetflerS 
eigene  Ghftnbung,  fte  ift  »on  ber  beS  franjoftfcfyen  *Pfalm§  gänjlid)  t>erfd)ieben,  wie  fte  benn  fd)on  in  ber 
©runbtonart  von  ifyr  abweicht,  ba  fte  in  ber  tonifd)en,  jene  in  ber  verfemten  borifd)en  ftd)  bewegt.  £)iefd)lie= 
penbe  Jpalbftropbe  enblid)  ifl  einfad)  unb  liebmäfjig  gu  fünf  Stimmen  gefegt,  von  benen,  fo  ber£)isfant  wie 
ber  Senor,  eine  gleid)  anfpred)enbe,  bejlimmt  auSgebilbete  ©ingweife  geigen,  —  wenn  jebe  aud)  in  ibjen 
©runbgügen  ber  anbern  ä()nlid)  ift,  —  baf  man  rool)l  gweifeln  bürfte,  welche  oon  beiben  als  ^attptftimme 
gemeint  fet),  wenn  ntd)t  bie  beftimmter  ausgeprägte  9Jiobulation  enblid)  bod)  für  bie  £)berfh'mme  entfd)eiben 
liefe.  Siefer  S5au  beS  ©angen,  biefeS  Skrbältnifi  feiner  Steile,  giebt  unferem  Sonfa^e,  ijl  er  aud)  im  2111= 
gemeinen  ein  motettenl)after,  bod)  ein  eigentümliches  ©epräge.  Sie  mufifalifd)en  ©runbgebanfen,  burd) 
weld)e  baS  Songewebe  eines  SEUotettS  in  engerem  ©inne  ftd)  gufammenflid)t,  werben  feiten  burd)  9?ebenein= 
anberftellen  gu  einer  wtrfltd)en,  eine  @inl)eit  barftellenben  ©runbmelobie  ftd)  gehalten.  Um  fo  weniger  wirb 
bie§  möglid)  fevjn,  als  in  ben  meiften  fallen  bie  S5elebtl)eit  unb  2lnmutl)  biefeS  SongewebeS  eben  baburd) 
eneid)t  wirb,  ba£  jene  in  melobifd)em  S3au,  in  SQiobulation,  nid)t  allein  abwetcfyenb,  fottbern  fogar  einanber 
entgegengefe^t  ftnb,  um  burd)  if)ren  Eintritt  bem  Sonftrome  eine  anbere  SBenbung  gu  geben,  bie  ©införmig* 
feit  feine§  gluffeS  gu  unterbred)en,  burd)  2Bed)fel  unb  9ccul)eit  ju  ergoßen,  ©o  freien  benn  bie  beiben  £od)= 
jeitägefänge ©ccarbS  ftd)  gegenüber;  ber  eine,  als  einS3ilben  auf  bem  biSl)er  betretenen SBege,  ber  anbere  al§ 
SSerfud)  eine  neue  SSaf)n  ju  ftnben,  wo  bem  ©dnger  wie  bem  ©efcer,  bie  in  unferm  9Keifter  ftd)  »erbanben, 
in  gleicher  3lrt  ©enüge  gefd)et)e;  eine  S5af)n,  auf  ber  jener  waf;rl)aft  einer  SSerflärung  be3  von  ibm  @rfun= 
benen  tt)eilbaft  werbe,  unb  biefer,  inbem  er  biefelbe  erjlrebe,  baburd)  aber  bienenb  ftd)  unterorbne,  bod)  feine 
Äunft,  ale>  fold)e,  nid)t  barüber  einbüße.  (Sine  Soranbeutung  biefer  neuen  9fid)tung  erfd;eint  allerbingS 
fd)on  früher,  nid)t  fowobl  in  ben  Steffen  über  geiftlid)e  ©efänge  ober  SSolfSweifen,  weil  ältere  Sonfünjtler 
bergleid)en  feiten  gang,  fonbern  nur  einzelne  SBenbungen  berfelben  tfyren  Sonfd^en  ju  ©runbe  legten,  als  in 
jenen  SJlotetten  beS  le  9Jiaijtre,  ©canbelli,  unb  tfnberer,  bie  über  »ollftdnbige  SQielobieen  beutfdjer  gei|!lid)er 
Sieber  gearbeitet  ftnb.  £>er  wefentlid)e  Unterfd)ieb  ifi  nur  ber,  baf?  biefe  9JZeifier  über  ein  ©eg ebenes 
arbeiteten,  ßccarb  aber  für  feine  gegenwärtige  Arbeit,  unb  mit  berfelben,  ein  SfteueS  erfanb,  baS  um  fo 
wefentlid)er  unb  lebenbiger  beSfjalb  ben  Äern  beS  ©anjen  bilbete.   üftur  mit  ber  fd)6pferifd)  bi Ibenben 


  464   


.Rtaft  formte  bie  in  gleichem  (Sinne  auSgejtaltenbe  erroad)cn,  unb  ber  Äünfiler  befähigt  roerben,  bann 
auch  in  ba$  ©cgebene,  gleict)  einer  eignen  ©d)bpfung,  fiel)  belebenb  ju  vertiefen. 

2iuf  einem  embern  SBege  l)at  Grccarb  ein  ©teid)e3  erreichen  gefud)t  in  bem  üierjtimmigen  Sonfafee 
eines  fiiebeS  über  ben  23ften  ^falm.  £>iefe§  Sieb  I;at  jroei  ft'cbenjeilige  ©tropfen,  übereinfttmmenb  benen 
be§  befannten  ,Kird)enlicbc3 :  „(53  ijt  ba3  £eil  unS  fommen  f)er".  9cun  fyat  aber  ber  SJteijter  jeber  biefer 
©trogen  eine  befonbere  9JieIobie  gegeben,  ja,  felbft  bie  erften  beiben  Beilenpaare  berfelben,  bie  in  ben  §aE>l= 
reichen  ©ingroeifen,  roeld)e  biefem  ftebenjeiligen  5Cßaafje  fiel)  anfcfyliefjen,  jeberjeit  gleid)  betont  ftnb,  auf  »er- 
febjebene  SSBeife  gefimgen.       ber  erften  ©tropfe 

Der  #err  SefuS  mein  Jpirte  ift, 

£>cr  @r$trt  unfrer  ©eelen  ic. 
iji  bie  33el)anblung  grofjentbeilS  ganj  einfad);  bie  SÖWobic  —  rote  überbauet  burd)  baS  ©anje  f)in  — fd)rei= 
tet  in  gerabem  Safte  fort,  ber  juroeilen  burd)  vl)t;t£;mifcf)cn  2Bed)fel  belebt  wirb ;  9fad)al)mung  unb  ©tim- 
menüerflecbtung  tritt  erft  mit  ben  legten  Seilen  ein : 

er  beut  mir  »olle  ©nüge  an, 

foll  l)ie  unb  eroig  leben. 

Sie  jroeite  ©tropfe  bagegen 

Unb  ob  id)  fdjon  im  ftnfiem  £t)al 

in  2lngft  unb  9cotl)  foUt'  roanbern  it. 
jeigt  un§  fofort  9lad)al)mungen  ber  beginnenben  Sberjtimme  burd)  bie  übrigen©timmen,  bie  ft'd?  bt§  in  ben 
tiefften  S3eretd>  if)rer  SEöne  fyinabfenfen,  bie  gtnfternifj  auSjubrücfen ;  roie  benn  aud)  S3inbungen  in  ber  9fte= 
lobie  roäljrenb  gletd^mäfjigen  langfamen  gortfcfyritteS  ber  tieferen  ©timmen  burd)  bie  Steile  bee>  Safts,  unb  • 
ein  pfjrpgifcfyer  £onfd)luf3,  ba§  S5ilb  ber  SSeängftigung  burd)  ba3  Sunfel  gewähren  follen.  ©o  fdireitet 
benn  biefer  jrociteSfyeil  fort,  melobifd)  mcl)r  inS5tnbungen  al§  rb,r;tl)mifd)em 2Bed)fely  barmonifd)  mebr 
in  ©timmem>erfled)tung  als  einfachen  Sufammenf  längen,  bie  nur  f)in  unb  wieber  ftd)  l)ören  laffen.  Die  2Bie= 
berfjolung  einzelner  Seilen  ift  in  ber  ^Betonung  nid)t  uermieben,  fte  ftnbet  ftd)  jebod)  in  beiben  feilen  regel= 
mäßig  auf  bie  merte  unb  ftebente  Seile  befdjränft,  unb  nid)t  ofyne  SBebeutung.  @ben  .biefe  3eilen  fpred)en 
in  beiben  ©tropfen  befonberS  trbftlid)c  ©cbanfen  au3.    @o  fyeifjt  c3  im  erften  Sbeile,  nadi  ben  2Borten: 

£>er  gute  4?irt  fem  Seben  lagt 

in  ber  werten  3eile: 

Sur  mid),  roaS  fann  mir  fel)len? 
biefe  ©tropfje  aber  enbet  mit  ber  Skrfyeifjung : 

©oll  bje  unb  eroig  leben. 
-  3n  äl)nlid)er  %xt  fprid)t  bie  üierte  Seile  ber  jroeiten  ©tropl)e  bie  3uftd)erung  auS : 

£>u  fannft  c§  balb  ueränbern 
—  2)aS  Unglücf,  baö  mid)  febreefen  möd)te  —  baö  ©anje  aber  fd)liefjt  mit  ben  2Borten : 

Sein  ©teef  unb  ©tab  mid)  tröften. 
Siefe  2Bieberb,olungen  nun  Ijcben  jugleid)  bie  roefentlid)ftcn  @infd)nitte  ber  ©tropfe  l)er»or,  baö  @nbe  beö 
oier=  unb  beö  brcijeiligen  Sbeileä  berfelben,  beS  2luf=  unb  bcö  'tfbgefangeS;  bei  bem  erften  biefer  dm 
fd)nitte  treten  fie  b,er»or  burd)  einfachen  SBecbJel  ber  mehren  ober  minberen  SIMftimmigfcit  —  brei^  unb 
»ierftimmigen  ©efang  -  -  ein  2Bed)fcl,  ber,  jcnad)bem  bie  größere  gülle  r>orangeb,t  ober  folgt,  bie  2Bie= 


  465   


berbolung  aB  9?ad)f)aU  erfdjeinen  tapt,  ober  S3efrdftigung.  2(m  Sd)luffe  ber  Strophen  bagegen  empfmben 
mir  ftc  nur  aB  ein  volleres  2üBtbnen  be§  ©efangeS,  ber  ohnehin  bort,  bt§  er  fein  3iel  erreicht,  burd)  feinen 
einfcfynitr  unterbrochen  wirb,  So  bleiben  wir  benn  im  Stanbe,  baS  Wlaa$  ber  ©tropfe,  auch,  bei  biefer 
33ef)anblung§art,  noch  burcbjuempfinben,  unb  vertieren  nicht  baS  ©efübl  be§  Siebmdfjigen.  Sie  ©runb= 
tonart  beiber  Steile  ijt  bie  mirolvbifcbe,  mit  einem,  gegen  ba§  @nbe  beiber,  burd)  2lnwenbung  ber  fletnen 
£er$,  recht  benimmt  unb  abftd)tltd>  aiBgefprod)enen  ^nflange  be§  £>orifd)en.  (S§  fann  nicht  geleugnet 
roerben,  baf?  in  biefem  Sa£e  mehr  noch,  ba3  Streben  unfere»  9J?cifter3,  feine  21  b ficht,  hervortritt,  aB 
ba§  Erreichen  feinet  3iele3,  bajj  roir  in  mancher  ©teile  iljn  nicht  frei  fi'nben  fonnen  von  gärten.  Mein 
jenes  Streben  nach  einer  fünjrlerifcbcn  SSebanblung,  bie  in  gleicher  ILxt  volfSmdjjig  fen,  wie  bem  Kenner 
genügenb;  bie  bem  £iebf>aften  fein  3?ed)t  wiberfabren  laffe,  aber  e3  bod)  auf  mannid)fad)e  SÜBeife  jur  Ttn> 
fckniung  bringe;  einer  Äunjt,  bie  burd)  ben  ©otteSbienft  geroeiht,  ihn  auf  bebeutfame  SBeife  fchmücfe, 
aber  ganj  in  evangelifd)em  Sinne,  bem  baS  Sieb  in  bie  SDßitte  getreten  war,  aB  bie  §orm,  in  ber  ba§ 
©efammtgefübl  ber  ©emeine,  aB  folcher,  ftd)  ausbreche,  auf  beffen  gorm  alfo  auch,  bie  fird)lid)e  Sonfunjt 
ju  grünben  fev ;  jeneS  ©treben  ift  e§,  rooburd)  unfer  Sieb  mB  voerth,  für  bie  Crntrotdelung  ber  Äunji  unfe= 
re§  €QtetfterS  aber  befonberS  feba^bar  roirb. 

S5etrad)teten  roir  biefen  nun  bei  jenen  jwei  ©efdngen,  bie  mir  befpracben,  aB  freien  Gjrfinber, 
fo  haben  mir  tbn  nun  auch  in  &ew  SScrljaltniffc  aB  2ödf)lenben  noch  in  ba$  2fuge  ju  faffen,  um  ju  erfen= 
nen,  wie  er,  einer  gegebenen  SSJielobie  gegenüber,  feine  Äunft  geübt  habe.  £>aju  bieten  feine  Sieber  vom 
3ahre  1589  un£  jwei  galle,  bie  um  fo  millfommener  finb,  aB  mir  in  beiben  eine  ganj  verfd)iebene  33ebanb= 
lungshveife  wabmebmen. 

2Bir  ftnben  unter  9cro.  17  einen  vierjiimmigen  Sa£  über  bic  SBeife  be§  bekannten  Jtird)enliebe§ : 
„SQtag  ich  UnglücE  nicht  wiberftafm."*)  Siefe  SSJielobie  liegt  in  ber  £berj}imme  bem  S£onfa|e  unjertrennt 
ju  ©runbe,  nur  baf}  bort  ihre  erfte  3eile  mit  verrurjten  Sbnen  unb  einem  etwas;  abmeichenb  gemenbeten 
Sonfd)luffe,  unmittelbar  nach  ib^m  eintritt  ein  jweiteS  9Jtal)l  mieberholt  wirb.  Diefe  SBieberholung,  bie 
ftd)  inbefj  nur  auf  ba§  erfie  Crrfcbeinen  biefer  melobifd)en  #nfang§jeile  befcbrdnft,  unb  bei  beren  SEBieberein; 
tritt  ju  ber  vierten  3et£e  be§  2iebe3  nicht  ferner  ftatt  ftnbet,  erfldrt  ftd)  leicht  au3  bem  SSau  be»  ganjen  £on= 
fafeeS.  ßr  ijt  burchmeg  fugirt  gehalten;  bie  einzelnen  SDielobiejeilen  erfcheinen  meijt  in  jeber  Stimme  nach= 
geabmt,  unb  fobalb  von  biefen  bie  eine  ber  anbern  ßtnjugetreten ,  unb  fo  ber  volle,  vierfttmmige  Sa£ 
gebilbet  ijt,  ftnbet  feiten,  unb  jumetfi  nur  in  ber  melobieführenben  £>berjtimme,  ein  furjer  SJubepunft  jtatt, 
unb  ber  £onfa£  mebt  ftd)  ohne  Unterbrechung  big  an§  (5nbe  fort.  5lun  tft  ber  Sa|  3lnfang§  jweijtimmig, 
wobei  ber  Senor  bie  erjte  Seile  ber  SÜMobie  führt,  bie  ©runbjitmme  einen  ©egenfa|  baju  bilbet;  bann  wirb 
er  breijiimmig,  mo  nun  biefelbe  melobifche  3eile  in  bie  rberftimme  übergeht,  unb  ein  bovvelter  ©egenfag 
baju  im  3llt  unb  Senor  erfcheint;  erft  bann  beginnt  ber  vierftimmige  Sa^,  moju  ba6  83orangehenbe  nur 
bie  Einleitung  gewefen  ift.  (5r  jeigt  ben  gewanbten,  erfahrnen  Sfteifter,  unb  nähert  ftd)  ben  fvdteren  6horal= 
fd^en  (SccarbS,  von  benen  ihn  jeboch  eine  roefentltcbe  S3erfd)iebenheit  trennt,  bie  willführlichen,  nicht  eben; 
mäßigen  SJuhepunfte  jwifchen  ben  Seilen.  (Ein  jweiter  vierfiimmiger  Sa^  über  bie  SBeife  be6  2Beihnad)B-- 
liebeS:  „Ser  Sag  ber  ijt  fo  freubenreid),"  nur  für  hohe  Stimmen  (9tro.  18),  ift  ganj  abmeichenb  georb= 
net.   25ie  einzelnen  3eilen  ber  9Kclobie  ft'nb  burd)  alle  Stimmen  hin  jerjlreut,  au§  benen  ftc  enblich  wohl 


*)   <S.  aScifpiet  3lto.  116. 
t.  SBintttf«!*,  tet  «anget.  S^otalgefojig. 


59 


  466   


wicber  jufammcngeftcllt  werten  tonnten,  aber  boch  nid)t  ju  fortgebendem  gtuffe,  weit  fie  oft  in  höherem, 
rann  wieber  in  tieferem  Tonumfänge  ftd)  bort  hören  laffen.  3n  il)rcr  83crfled)rung  ftnb  bie  vier  Stimmen 
motettenbaft  bcbanbclt,  bie  einzelnen  Steile,  aus>  benen  ba£  SDZotclt  ftd)  jufammenwebt,  erhalten  tl?re  ©e= 
ftaltung  burd)  bie  Seilen  ober  ©lieber  ber  ©runbweifc,  bie  jebod)  weniger  lebhaft  al§  folebe  emvfunben 
wirb,  weil  fte  burd)  bas>  ©anje  bin  ftd)  ju  fet>v  jerfpltttert,  aud)  ben  SSebürfniffen  be§  Safjeö  an  vielen 
Stellen  fieb  bat  fügen  muffen.  (Srfcnnbar  bleibt  inbep  bie  urfvrüngltdje  ßtebform  immer  nod)  an  ber  über= 
cinftimmenben  S3etonung  ber  erften  beiben  Seilenpaare,  unb  ben  burd)  fte  fenntlid)  gemad)ten  (üinfd)nittcn. 
0tt  biefer  33cbanblung3art  feigen  wir  Grccarb  nicht  wieber  jurüdfeljren;  wogegen  wir  bebittgter  SQSetfe  fagen 
tonnen,  bafj  auf  ber  eben  juvor  bcf»rod)enen  bie  feiner  reifjien  unb  treflid)fkn  ßfjoralfäfee  beruhe. 

3n  ganj  anberer  *2fvt  bemerfcnSmcrtt),  ab3  bie  ©efange  @ccarb§,  von  benen  wir  jefjt  febeiben, 
finb  bie  jwanjig  lateinifcfeen  Dben  $elmbolbS,  bie  mit  feinem  Tonfafec  ju  2ö?ül)lbaufen  1596  herauskamen. 
(Sie  ftnb  jwar  gcifUid)en  Sn^aftS,  ba  fte  von  einigen  Söerfen  be§  Schöpfers  fyanbeln,  unb  fromme  33etraa> 
tungen  an  biefclben  fnüvfen ;  eine  fircblidje  S5e|timmung  jebod),  unb  namentlid)  für  ben  ©emeinegefang, 
tonnten  fie  niemals  l)aben,  unb  nur  ju  baulichem  (Srgöfjcn,  böd)ften§  jttm  Sd)ulgcbraud)e  bienen,  e§  fep 
bei  bem  Singunterricbte,  ober  in  ben  Siuljepunften  ber  2el)r(tunben,  etwa  wie  bie  von  3oad)im  von  35urgf 
gefegten,  für  alle  2Bod)cntage  beftimmten,  lateinifd)en  £)bcn  «IpclmbolbS.  <Sie  ftnb  aber  unferer  gegcnwdr= 
tigen  Darftcllung  bennod)  nid)t  fremb ;  weniger  freilid)  l)dngen  fte,  für  ftd)  genommen,  mit  beren  ©cgen= 
ftanbe  jufammen,  als>  burd)  bie  S5etrad)tungen,  weld)e  ftd)  baran  fnüvfen,  unb  biefe  bebürfen  abermaß 
cinee.  einleitenden  Sfüdblideö  in  bie  Soweit  unfereS  9JJciftcr§. 

Sn  ber  ^Betonung  anttfer  SKaape  — ■  unb  biefer  2lrt  ftnb  bie  jener,  von  ©ccarb  gefeöten  £)ben  — 
t)atte  in  ber  erften  #dlfte  be§  IGten  3af)rl)unbertev  nad)  bem  Vorgänge  beS  $eter  TritoniuS,  vor  2£Uen 
ßubwig  (Senfl  ftd)  auSgcjeicfynet.  Sein  völlig  einfacher,  au§  Snfammcnflängen  von  Tönen  gleicher  Dauer 
bcjtebenber  Tonfalj,  beren  jeber  eirtjelne  ber  Sange  unb  Jtürje  ber  Splben  bc3  betonten  ©ebicbteS  genau  ftd) 
anfcblofj,  l)atte  auf  biefe  Zxt  §üße,  83erfe,  ben  gefammten  9?l)ntt)mu§  bc3  Dichter»,  jur  2£nfd)auung 
gebracht,  unb  ba  bei  biefer  S3ebanblungeiwcife  bie  Äunft  be§  TonfefjerS,  bis  auf  bebeutfame  3ufammenjtel= 
lung  ber  'Äccorbe,  unb  ftnn=  wie  fvracbgcmafje  SSctonung,  aller  Littel  ftd)  entäufem  mufüte,  burd)  weld)c 
fte  fonft  $u  berrfeben  pflegte,  fo  war  fte  gebrungen  gewefen,  eben  ba3,  waS  ib,r  vergönnt  geblieben  war,  um 
fo  met)x  geltenb  ju  mad)en.  2öa3  aud)  für  einfach.  t)armonifd)e  S5el)anblung  einer  gegebenen  SJZelobic  bamit 
geleiftet  werben  fönne,  war  fo  erft  red)t  jur  2tnfd)auung  gefommen,  unb  baburd)  für  bie  geiftlid)e  Tonfunjt 
nicht  minber  fruchtbar  gewefen. 

@§  ift  nid)t  ju  bezweifeln,  bafj  ©ccarbS  S5ctonung  ber  £>bcn  ^elmbolbS,  bereit  '#uffd)rift  febon 
anjeigt,  bafi  fte  unter  33cobad)tung  ber  9)iaafjc  gefegt  fet)  (pro  scansione  versuum),  beabftebtigt  l)abe, 
bem  £id)ter  unb  feinen  gönnen  völlig  ju  genügen,  unb  wir  baben  febon  juvor  gel)ört,  mit  wie  beifälligen 
SSorten  jener  über  biefe§  ^onwert  ftd)  au6gefvrod)en  l)abe.  Allein  nad)  biefen  'Xufjcrungen  cinc§  grcunbcS, 
ja,  auch  nach  ber  Stimme  ber  SDlitlcbenben,  werben  wir  ben  SBertl)  biefer  58erfud)e  unfereö  9Jieifter§  nicht 
meffen  bürfen.  Denn  SB  er  fu  che  ftnb  e§  geblieben  ;  ber  Sinn  feiner  Aufgabe  bat  xi)\n  nidbttlar  vor  ber  Seele 
geftanben,  unb  ihre.übfung  alfo  auch  nid)t  gelingen  tonnen*).  Sene  Selbflentäufjerung,  vermöge  beren 
ber  Sonfe^er,  bis,  auf  bie  £ü(fs>queUe  ber  einfachen  Jparmonie,  allen  ben  Mitteln  entfagen  mufj,  bie  fonft 


<3.  SScifpicl  9tro.  117,  bie  fünfte  ber  £c(mbolbfd)cn  Oben  in  (SccarbS  3:onfa^c. 


  467   


feiner  Äunft  ju  ©ebote  freien,  unb  fingenb  felbft,  ber  Siebe,  unb  ihren  Hebungen  unb  ©enfungen  be& 
SoneS,  ein  Dienenbcr  nur,  nachzugeben  bat;  jene  ßntfagung  war  baju  nbtf)ig,  unb  Ujt  bat  Sccarb  ftd> 
nicht  unterwerfen  wollen,  ßr  backte,  wie  cs>  febeint,  bilbenb,  ficf>  felber  ju  belegen,  wie  weit  er  feiner 
Äunft  baöjenige  erhalten  fbnne,  wa§  tfnbere  willig,  —  feiner  2fnft'rf)t  nacb  wobt  voreilig,  —  aufgegeben ; 
boeb  hat  ihn  ber  ©rfolg  bie  9Jich,tigfeit  ihreä  Verfahrens,  wenn  niebt  als  Sorfch er,  bod)  alS-Künftler 
gewig  emfeben  gelebrt.  3u  billigen  tjt  eS,  bag  bie  £berftimme  in  feiner  SSetonung  burebgängig  bie  me(obie= 
führenbe  £auptftimme  ift,  wdbrenb  biefeS,  nacb  alter  SSeife,  bei  Subwig  ©enfl  noch  eine  SQftttclfHmme 
gewefen  war").  2Bir  bürfen  aud)  jugefieben,  —  wenn  wir  einige  Dehnungen  auf  langen  ©plben  au3nef)= 
men,  bie  baS  jireng  profobifche  fBerbdltnig  überfd) reiten,  unb  anbere,  geringe  Unregelmdgigfeiten  über- 
feinen, —  bag  bie  Sföaage  beS  Did)terS  in  allen  einzelnen  Stimmen  fid>  meift  beobachtet  fmben.  Dabei 
inbeg  l;dtte  ber  Äünfiler  ftd)  noch,  nicht  berubigen  bürfen.  DtefeS  2lnfd)tiegen  an  feine  Aufgabe  im 
einzelnen  ftellte  nod)  immer  niebt  baS  jufammenfltngenbe  ©anje  bar  als  ein  burd;  feine  Sbne  abge= 
fpiegelteS  S3ilb  ber  SJJaage  beS  Dtd)ter3.  5n  ber  ©efammtbeit  aller  ©timmen  erfebien  vielmehr  ein  völlig 
tfnbereS,  bei  ber  2lrt  ber  33ef)anblung,  bie  er  geweilt  fyatte.  3undd)ft  waren  Nachahmungen,  S5inbun= 
gen,  unb  anbere  £ülfSmittel  beS  SSonfageS,  bie  er  anwenbete,  fd)on  ganz  unjuläfftg.  Sene  fe^en  baS  Gim 
treten  ber  Stimmen  nach  einanber  »orauS,  »erfd)rdnfen  alfo  bie  in  ibnen  bargeftellten  tonfünftlerifd)=bidjte= 
rifeben  Sitwthmen,  unb  inbem  fte  baburd)  üerbmbern,  bag  biefelben  flar  jur  2lnfd>auung  gelangen,  finb  ft'e 
bem  Sinne  ber  Aufgabe  beS  SonfefcerS  entgegen,  welcher  zufolge  eben  baö  9?f;tjtf)mtfct)e  geltenb  gemacht 
werben  foll.  Nicht  anberS  oerbdtt  es  ftd)  mit  ben  SSinbungen.  Diefe  beruben  wefentlid)  auf  bem  £onge= 
wicht;  auf  bem  befonberen  Nacbbrude,  ber  einzelne  ©teilen  ber  regelmäßig  wieberfel)renben  3eitabtbetlun= 
gen  cineS  SonftüdS  auszeichnet  t>or  ben  übrigen,  jene  als  gute  Safttbeile  bejeidjnenb,  tiefe  alS  f d> l e cf> t e. 
Die  SSinbung  (©pneope),  inbem  fte  biefeS  SSerbdltnig  in  einer  ober  mebren  Stimmen  aufbebt,  wdbrenb  eS 
oon  ben  übrigen  feftgebatten  wirb,  erhalt  tljren  Sieij  »on  ber  barauS  beroorgefjenben  ©chwebung  unb 
©d)wanfung  beS  gortfdjrttteS.  Dem  rbptbmifcben  gortfdjreiten  in  ftrengerem  Sinne  jebod),  wie  wir, 
nach  bem  SSorbilbe  ber  antifen,  burd)  Sange  unb  Äürje  geregelten  5üiaage  eS  uns  ju  benfen  baben,  ift  tiefer 
rein  tonfünftlerifcbe  EReij  wollig  fremb ;  ein  ungebbriger,  dugerlicb  aufgebrungener  ©ch. mud,  weil  er  eS  »er= 
wirrt  unb  »erbunfelt.  Crnblid)  bewdbren  beibe,  Nachahmungen  wie  S3tnbungen,  if>re  rechte  Äraft  nur  ba, 
wo  eS  bie  Entfaltung  einer  93ielo bie  im  eigentlichen  S3erftanbe  gilt.  Damit  meinen  wir  baS©egen= 
bilb  ber  Dichtung  im  ©efange;  ein  fold)eS,  baS  burd)  bie£bne  bie  ©runbempfinbung  beä  ©ebid)te3 
wieberfpiegelt,  wie  fte  bort  in  bem  SB  orte  niebergelegt  ift.  Sri  biefem  ©tnne  ifi  bie  SDielobte  freie 
©d)öpfung  beS  SonfünftlerS,  boch  t>aftet  fte  an  bem  Siebe  burd)  beffen  ©tropbe,  wie  eben  3abl  unb  SDZaag 
in  tiefer  walten ;  beibe  leiten  ben  SNuftfer,  fie  geben  ibm  bie  dugeren  Umriffe  feineS  Sonbilbeä,  jwingen  ibn 
aber  nicht,  ber  Dichtung  im  einzelnen  nachzugeben.  Dtefe  empfangt  burd)  beibe  wefentlid)  ihre  dugere 
©eftalt.  Die  3abl  waltet  bei  ber3ufammenfügung  ber  2Borte  in  3eilen,  ba§  SQJaag  in  ben  SSerbdltniffen 
ber  ©ptben  nach  ihrer  3eitbauer;  bod)  erftredt  ftd)  beiber  Jjperrfcbaft  nicht  weiter  auf  beren  ©ebiete, 
nur  auf  bem  ber  Sontunfi  ifi  ihnen  feine  ©chranfe  gefeljt,  bort  nur  ft'nb  fie  unbebingt  geftaltenb.  3lber 
baä  23ort  tont  aud);  e3  ft'nb  Saute,  bunfter  ober  beller,  reiner  ober  gemifd)ter,  bie  wir  in  ihm  »ernehmen  ; 
für  bie  9?ebe,  fetbft  beä  Did)ter3,  freilich  nid)t  megbare  nach  ^g>bf>e  unb  Stefe;  nur  abnungSooll 


•)   £cr  iiceite  SiSfant:  secundus  discaotos,  teoorem  agens,  t)at  er  tfjn  übcrfcfjneben. 

59* 


  468   


cämmern  bette  in  ihr  auf,  ein  Anhauch  beS  9J2ufifalifd)en,  ber  fut  bie  Sületobie,  bie  freie  Schöpfung  beS 
ScnmcijfcrS,  bcm  Siebe  gegenüber,  l)öd)ftenS  ein  SSermittelnbeS  fci;n  fann.  33on  einer  SDlelobte  in  engerem 
Sinne  fann  aber  bei  einer  Aufgabe,  wie  fte  unS  eben  bcfd)äftigt,  bie  Siebe  ntctjt  fetjn»  £)cnn  l)ter  tft  ber  SEom 
fünjtler  an  bflS  ©inline,  als  foldjcS,  auSbrücflid)  gewiefen,  nid)t  an  jenes  Skrmittclnbc.  (Sr  foll  ntdt;t, 
ber  ri*titng  gegenüber,  in  bem  jarten,  ihm  5U  ©ebote  ftefyenben  33ilbungSftoffe  fetbftänbig  [Raffen,  unb 
bod),  vermöge  beS  tf)m  mit  tt>r  ©emeinfamen,  unb  burd)  jene  SBcrmittclung,  in  fte  aufgeben.  @S  ift  i()m 
geboten,  an  baS  ©emeinfame  jtreng  fiel)  anjulc()nen,  jenen  verwanbten  Anl)aud)  aber  burd)  Betonung  beS 
SßorteS  —  mufifalifdje  T>  cf  lamation  —  in  cntfd)iebene  gdrbung,  ausgeprägte  ©cjtaltung  umjufd)af= 
fen.  So  entfielt  jmar  ein  SEonbilb,  allein  nur  ein  mit  bem  SBorte  vollftänbigeS,  nicht,  roie  bort,  eines 
von  aud)  felbftänbiger  ©cltung  unb  ©cbeutung.  £>arum  fann  beim  bei  biefem  legten  allein  bie  volle 
.Kraft  ber  SSilbungSmitrel  beS  SonfafccS  l)crwortreten ;  jenes  erl)eifd)t  beren  Aufopferung,  mett  burd)  fein 
SBefen  bie  tlntcrorbnung  ber  Äunff  beS  SefccrS  unmittelbar  bebingt  ift.  üftag  nun  unferem  9J?eifter  feine 
3eit,  unb  felbjt  fein  £id)ter  eS  als  SSerbienfi  angerechnet  haben,  baß  er  baS  gcroagt  habe,  maS  frühere 
Sonfünjtler  unter  ähnlichen  S3erf)ältniffen  üermteben,  fo  muffen  mir  bod)  mit  Überzeugung  biefem  Urteile 
miberfprcd)en,  weil  baS  von  jenen  äkrmiebene  burd)  bie  Sad)e  felbft  verfagt  mar.  Allein  gefcf)ärft  unb 
gereinigt  mürbe  ohne  allen  3meifel  burd)  biefe  S3erfud)e  (SccarbS  bilbenbe  .Kraft,  er  gewann  l)ier,  felbft  burd) 
baS  SJiißlingcn,  bie  gäl)igfeit,  auf  glänjenbe  SBeife  eine  anbere  Aufgabe  ju  löfen,  unb  babei  nid)t  allein 
bie  ganje  Sülle  ber  ihm  als  Sonfünftlcr  verliehenen  ©aben,  fonbern  ben  9Jeid)tl)um  an  ©eift  unb  ©emütl) 
ju  offenbaren,  burd)  meld)c  ber  mürbige  ©ebraud)  jener  ©aben  erft  geftdjert  mirb. 

2>aS  2Berf  nun,  baS  mir  l)iebei  junächft  im  Sinne  fyaben,  ftnb  feine  fünfjlimmigen,  im  %al)xe  1597 
ju  Königsberg  erfd)ienenen  6horalfä£e.  gür  biefeS  2Berf  J>atte  eS  il)m  an  äußeren  unb  inneren  Anrcgum 
gen  nid)t  gefehlt.  (Sine  äußere  SSeranlaffung  mar  baS  ©ebot  feines  gürften  —  SftarfgrafS  ©eorg  grieb= 
rid)  —  beffen  er  in  ber  3ueignung  an  biefen  auSbrüdiid)  gebenft;  eine  innere,  jene  Bereinigung  ber  ©abc 
beSSängerS  in  il)m  mit  ber  beSSef^erS,  unb  bie  neuen  Anforderungen  an  feine  Äunjt,  bie  il)m  barauS  unmtt= 
telbar  ermud)fen.  3e  mehr  in  biefem  Sinne  er  nun  ju  bilben  fortfuhr,  um  fo  bringenber  fühlte  er  ju  einem 
Unternehmen  ber  Art  fid)  oeranlaßt,  wie  wir  eS  je£t  betrachten  moUen;  baju  famen  aber  nod)  bie  (Sinbrücfe, 
bie  er  Don  SSerfen  Anbercr  empfing,  weld)e  in  ben  näd)ft  vorangef)cnbcn  3«l)«n  mit  mel)rftimmigcn  33ear= 
beitungen  gebräuchlicher  jtird)enweifen  hervorgetreten  waren,  ihre  Aufgabe  aber  fid)  anberS  gejMlt,  fte 
enger  umgrenjt  hatten. 

3u  biefen  legten  gehörte  junäd)ft  ßucaS  Sfianber,  beffen  50  vierjltmmige  ßhovalfäfee  um 
1580  erfd)iencn  maren,  eben  bem  3al)re,  mo  93tarfgraf  ©eorg  griebrid)  Greußen  verließ,  unb  feitbem  bie 
Regierung  beS  SanbeS  von  AnSbad)  auS  leitete.  @S  ijt  nid)t  ju  bejmeifeln,  baß  biefe  Sonfä^e,  bie  fid)  in 
£cutfd)(anb  überall  oerbreiteten,  balb  aud)  nad)  Greußen  l)in  gelangten.  Sd)on  ber  wol)lbefannte  9(ame 
beS  SEonfefcerS,  —  war  biefer  aud)  nid)t  berjentge,  ber  in  ©utem  unb  Sd)limmcm  fid)  bort  einen  9?uf 
erworben  hatte,  —  mußte  bie  Aufmerffamfeit  auf  fte  leiten.  SDftanber  h«tte  bei  feinen  Chorälen  bie  S3ebürf= 
niffe  ber  ©emetnen  worjüglid)  im  Auge  gehabt,  unb  ihnen  bie  Anforderungen  ber  .Runfit  untergeorbnet. 
3enen  ju  Siebe  hatte  er  bie  Sföetobie  überall  ber  £berjitmme  jugetheilt,  bamit  fte  beutlid)  vernehmbar  fcv. 
Denn  eS  war  feine  Abfid)t  gewefen,  baß  bie  ©emeine,  mitftngenb,  feinen  Sonfäfeen  fid)  anfd)lteße;  baß 
biefe  bem  d)ri(tlid)en  allgemeinen  ©efange  in  ber  Äird)e,  ohne  tt>n  ju  hinbern,  jur  Sterbe  gereichen  möchten. 
6r  hatte  bie  Pfarrer  ermahnt,  auf  biefen  vorjugSweife  ju  halten,  unb  nad)brücflid)  ausgebrochen :  wenn 


  469   


er  befürchten  müßte,  baß  burdb.  feine  Sonfäfje  „am  gewöhnlich,  *))faltnenfingen  einige  SSerbinberniß  entftchen 
fbnne,  wolle  er  wünfcben,  nie  eine  9?ote  baran  gefebt  ju  haben."  Sic  "tfiBgeftaltung  ber  einjelnen 
Stimmen,  aB  fold>er,  hatte  er  babei  jeberjeit  ber  Tonfülle  iljreS  3ufammenf  lingenS  nadjgefcfjt.  Sa§ 
©anje,  bas?,  jttmetft  burd)  Sreiflänge,  fet?r  fetten  in  bereit  SSerfcljungen,  feltener  noch  in  SMnbiingen  ober 
mit  burd^geknben  Sbnen  einberging,  burfte  niemaB  auch,  nur  eines  ber  notbwenbigen  ©lieber  be§  Srei* 
flangeS  entbehren,  barmt  jebcr  gortfchritt  ber  SDietobte  eine  foldje  in  fid)  genügenbc  .Klangfülle  bringe.  9lur 
bei  bem  erften  Anheben  be3  ©efangeS  war  baoon  eine  2UBnahme  gemacht,  be§  leichteren  2(nfttmmen3  wegen.  » 
(So  trat  btcfcs  neue  Gboralwerf  unferem  (Sccarb  entgegen,  dt  lobte  bie  fromme  %b)iä)t  be§  £onfeljer§,  bie 
oerftäneigc 'tfiBfübrung,  allein  er  uermißtc  bie  Äunft  in  höherem  Sinne,  bie  lebenbige  ©lieberung  be§ 
(Sinjelnen  ju  einem  ©anjen.  ©egen  feine  ©bnner  unb  greunbe,  feinen  gürften  unb  £erm,  wirb  er  biefe 
feine  3(nftd}t  ausgebrochen  haben,  unb  wof)l  mag  eS  gefd?ef)en  feun,  baß  febon  bamaB,  »or  feinem  Hbfökbe 
aiB  Greußen,  9)iarfgraf  ©eorg  Sriebrtd)  it)n  aufforberte,  felber  baSjenige  ju  leiften,  wa§  er  in  £)ftanbers> 
SBerfe  nid}t  erreid)t  ftnbe.  ©eben  wir  bod)  »on  ba  an  jene  neue  Aufgabe  tt)n  fortbauernb  befd)äftigen ; 
ftnben  mir  bod)  in  feinen  2Bcrfen  feit  jenem  %ai)xt  Sonfä^e,  bie  un3  aB  Vorübungen  erfd)einen  müffen  ju 
beren  ßbfung.  2lud)  werben  bamaB  fd)on  einzelne  ßboralfäi^e  oon  ihm  entworfen  femi,  jenad)bem  Sieber 
unb  9JWobiccn  ilm  anjogen;  wie  e§  benn  auch,  nicht  unwaf)rfd}einlid)  ift,  baß  feine  SSerfucfye  metrifdjer 
SSebanbtung  jener  20  lateinifd)en  £ben  Subwt'g  ^elmbolbä  gleichzeitig  gewefen  fei;n  werben  mit  btefen 
Arbeiten.  SSBaren  bod)  bie  latcinifcb,en  geijllid)en  Sben  biefeS  Sid)ter3,  nach  beffen  Sufdjrtft,  womit  er 
33ürgemeiftern  unb  3?atl)  51t  S01üt)Ir)aufen  ©ccarbS  ^Betonungen  berfelben  überreichte,  gleid)jeitig  entftanben, 
unb  40  bauon  in  ben  Salden  1572  unb  1578  bereite  üon  Joachim  von  JBurgf  gefegt,  ßccarb  fonnte  bal)er 
febon  in  bem  fpäteren  biefer  %al)xz  in  bem  SSeft'fje  jener  legten  jwanjig  fepn,  unb  ft'd)  mit  beren  £onfa|se 
befchäftigen.  2Bäbrenb  biefer  Arbeiten  erfd)ien  ein  jweiteS  2Berf,  ba3  feine  2fufmerffamfeit  erregen  mußte; 
bie  »ierftimmigen  £onfä£e  be§  Srganiften  Samuel  SSJlarfd) all  über  bie  Sttelobieen  ju  £obwaffer§  $Pfal= 
men,  welche  jum  erften  SOial)le  in  Seipjig  um  ba3  Satyr  1594  gebrudt  würben.  Sene,  ben  franjbftfchen 
^falmliebem  SKaroB  unb  33eja'3  nachgebildeten  beutfd)en,  waren  in  *))reuß en  am  £ofe  -^erjog  'Mred)t3 
t>e§  älteren  entfianben,  unb  biefem  eine  Sßeile  eigenbä  gewtbmet  gewefen;  bann  aber,  burd)  öffentlichen 
2)rucf  befannt  gemacht,  mit  S3eigebung  ber  ju  ber  Urfctyrift  gehörigen  Sonfä^e  ©oubimeB,  bem  |)erjoge 
Wibrecht  griebrid)  »on  bem  Sichter  jugeeignet  worben.  £)a  fte  nun  in  .Königsberg  beSbalb,  unb  aB  ein 
ooUftdnbiger,  beutfeher  ßiebpfalter,  hochgehalten  würben,  fo  fonnte  ein  fold)e3  SSerf  bort  nicht  unbemerkt 
bleiben,  wie  SDiarfchalB,  ber  c§  unternommen  hatte,  ityre  SOZelobteen  in  gleid)em  Sinne  wie  £)ft'anber  jum 
9lu^en  ber  ©emetnen  üierftimmig  ju  bearbeiten.  2tud>  hier  mußte  (Sccarb  ftnben,  baf  er  bie  SSafjn,  bie  er  . 
fudje,  fid)  felber  ju  ebnen  habe,  benn  e3  würbe,  bem2Befentlid)en  nad),  nid}B  2fnbere§  gegeben  aB  SDftanber 
bereiB  geleiftet  hatte,  ©r  burfte  ,,bie  gutherjige  SORetnung"  beiber  Sonfe^er  £?6cf>licf>  loben,  aber  muf  te 
bennoch  eingeftehen,  bap  jur  3eit  fein  ßantional  nach  Greußen  gelangt  fep,  „barin,  nad)  mufifalifcher  "Kxt 
wa§  anmuthigeS  unb  ber  Äunfl  gemäßes?  enthalten  wäre."  freilich  war  bie  SBafm,  bie  er  fuchte,  um  biefeS 
ju  erreichen,  i)\ex  leichter  5U  ftnben  aB  bei  feinen  juttor  befprochenen,  metrtfehen  ^Betonungen.  Senn 
hier  waren  e§  SOielobieen,  in  bem  erläuterten  engeren,  eigentlicheren  «Sinne,  — ©egenbilber  berSich= 
tungen,  —  bie  burd)  jebeS  »ergbnnte  SQitttel  ber  Sonfunft  höhet  belebt  werben  füllten,  fo,  baß  bei  aller  reis 
eben,  mächtigen  Klangfülle  ber  Harmonie,  boch  bie  ©lieberung  ber  einjelnen  Stimmen  ungefährbet  bleibe, 
ja,  in  ihr  erft  ihre  oolle  ßigenthümlichfeit  entfalte.  2fUetn  bie  toornehmfte  Schwierigfeit  babei  beruhte  barin, 


  470   

t>afj  nun  in  engen  9faum  jufammcngcbrcmgt  werben  mußte,  waS  ba,  wo  t>ie  Seitung  bet  ©emetne,  ber 
fird)lid)e  ©ebraud),  nid)t  in  ber  Aufgabe  lag,  nad)  ©efaUen  breiter  auögebelmt  werben  burfte,  ju  ge= 
febmeigen,  baß  e3  in  bem  SOtotctt  uollfommen  frei  unb  ungel)inbert  fid)  ergeben  tonnte.  Siefe  ©ebrängt= 
beit  ber©timmenoerwcbung  mußte  erreicht  werben,  ofyne  baß  fie ©puren  irgcnbeine»3mange§  an  fid}  trage; 
für  bic  Bereinigung  be§  3icicbtbuirB  im  Sufammenflange  mit  ber  'Äu6ge)ialtung  bc§  (Sinjelnen,  mar  in  bem 
fünfftimmigen  ©afjc  lcid)t  ein  Littel  gefunben.  Sem  erften  Entwürfe  bot  £)fianber  eine  crwünfd)te 
©runblage;  bic  'tfnfcfyauung  ber  einfad)en,  l)armonifd)en  SBcbeutung  ber  gegebenen  ©ingweifen,  mie  fte  ber* 
vortrat  in  bem  äkrbaltniffe,  tf)eiB  i()rer  einzelnen  Sßcnbungen  ju  ben  Sreiflängcn,  momit  fie  begleitet  wur= 
ben,  tbeiB  bc3  ©anjen,  ba§  in  biefen  mclobifd)=f)armonifd)en  gortfd)ritten  fid)  barfiellte,  ju  ber  ©runbtom- 
arr.  ^ierin  ftimmte  Sccarb  oftmaB  mit  £)fianber  nid)t  überein.  Sie  93Wobic  festen  il)irt  eine  anbere  golge 
oon  äufammenflängen,  unb  in  biefen  ein  entfd)iebnerc§  £ert>orbeben  berjenigen  Sonfhtfen  ju  erforbern, 
bie  in  ben  jUangreibcn,  wetd)c  bie  ©nmbtonarten  ber  ©ingweifen  barftellten,  aB  wefentlid)e,  iljr  eigem 
tl)ümltd)e6  ©epräge  bejeidjnenbe,  gelten  mußten,  tfuf  biefem  SBegc  be§  §orfd)cn3  unb  S3ergleid)en3  bilbete 
fid)  in  il)trt,  waS  bei  Dftanber  unb  SEJiarfcball  aB  ba§  3tel  ü)reS  ©treben§  erfd)icnen  mar,  aB  ©runb* 
Jage  be£  feinigen  au3,  auf  ber  fein  S£onfaf}  nunmehr  fid)  weiter  fortwebte;  au§  Zweifeln,  au3  Erwägen, 
au§  bem  ©ud)en  ber  redeten  SOiittcl,  um  baö  33ilb  be§  meljrftimmigcn  .Kird)enliebe3,  wie  e§  in  feinem  Sn= 
neren  lebte,  ju  flarcr  2(nfd)auung  ju  bringen,  erwud)§  cnblid)  fd)bpferifd)es>  ©eftalten,  in  jener 
erfreulid)en  Äbjtufung  unb  9Kanmd)faltigf'eit,  wie  fte  bamit  jeberjeit  »erbunben  ijt.  @ntfd)eibenb  war  bafür 
fid)erlid)  bie  bei  ber  früheren  unb  tbeilweife  gleichzeitigen  Arbeit  an  .£>elmbolb§  20  £)ben,  allgemad)  gewon= 
nene  Jlare  Änfcbauung  be§  wefentltdjen  Unterfd)iebee>  jwifd)en  mctrifd)=beflamatorifd)er  ^Betonung  unb  SDie-- 
lobie  in  Iwberem  ©inne.  3n  üol!e§  2id)t  trat  nun  mit  £eid)tigfcit  jener  Unterfd)ieb.  Sie  $R  e  l  o  b  i  e  f)atte 
ber  SKeifler,  aB  ein  fd)on  ©cgebeneS,  bei  feiner  gegenwärtigen  Arbeit  fid)  gegenüber;  jene  anbere  5trt  ber 
^Betonung,  bie  bei  ber  früheren  il)m  bie  ©teile  ber  SEftelobie  üertrat,  fjatte  er  felbfi  jutwr  fid)  bilben  müffen; 
bie  Aufgabe,  bie  er  für  beibc  fid)  gcftellt,  —  runftreiebe  t)armonifd)e  Entfaltung  —  war  eine  gleiche.  SRun 
fanb  er  aber,  baß  biefer  Aufgabe  bie  eigene  £croorbringung ,  ir)rer  befonberen  S5cfd)affenl)eit  jufolge, 
wiberftrebt  babe,  wäfyrcnb  baS  üon  'tfußen  ber  ©egebene  beren  gbfung  fid)er  »erbeiße.  Stefem  begeg= 
nete  er  mit  ungetrübtem  ffilid'e,  benn  Aufgabe  unb  ©egenjknb  traten  fyex  beutlid)  auSeinanber;  befangener 
batte  fein 'Äuge  für  jene  bleiben  müffen,  benn  bie  Sbätigfeit  be3  GrfinbenS  unb  be3  2tu3gejtalten3 
mar  in  feinem  inneren  faum  eine  getrennte  gewefen.  Sel^t  fonnte  eS  für  beibe  fid)  offnen,  unb  jcmeb,r  bie 
'.tfnfdjauung  if)re§  eigentl)ümlid}en  SBefeiB  fid)  ibm  erl)ellte,  jemebr  bie  wabrbafte  SBebcutung  ber  SDielobie 
fid)  ibm  entbüllte,  »erfcbmolj  nun  biefer  fein  ganjeö  Silben  unb  ©treben,  unb  waä  er  an  t£>r  geleiftet, 
i<t  fein  eigen tfeS  2öerf,  mebr,  aB  ba§  an  bem  ©elbftgebilbeten  nurSSerfud)te. 

©eine  Aufgabe  war  aber  febon  an  fid)  ber  mannid)faltigfien  ILxt.  Sn  ben  54  Sölelobieen ,  bie  er 
in  biefem  2ßerfe  bebanbelte,  treffen  wir  alle  S5ejlanbtl)eile  be§  eoangelifd)en  Äird)cngcfangeä.  ©ine  9)fal* 
mobte,  bie  beä  neunten,  ober  *)Mtgcrtone$,  auf  ba§  beutfd)e  50iagniftcat  angewenbet,  nebjl  einer  baju  gebb-- 
rigen  Äntipbonie;  fünf  Qymnen  ber  alten  rbmifd)en  Ätrd)c,  meift  von  Sutber  terbeutfebt,  tl;eiB  mit 
ibren  urfprünglidnn,  unoeränberten  £Dtelobieen,  tbeiB  »olf§mäßigen  Umgeftaltungen  berfclben  ;  »ier  SBeifen 
mittelalterlicber  lateinifd)er  Äird) enlieber,  ju  fpateren  a>crbeutfd)ungen  berfelben,  unb  fieben 
berglcidjen  ju  älteren  beut f  eben  Äircben  gefangen ;  S3olBweifen,  auf  geiftlid)c  Sieber  übertrat 
gen,  minbeftetB  brei,  beren  ^abl  eine  eigenbg  bicrauf  gcrid)tctc  ftorfd)ung  nod)  t-ergrößern  büvftc;  bieSDcebi  = 


  471   


jal)l  ber  ßtebev  2utf>et§  (breiig),  bie,  fofem  ffe  nid;t  ^Bearbeitungen  älterer  lateinifd)er  ober  beutfdjev 
©cfänge  finb,  unb  ityce  (Singweifen  von  ba^er  entlehnten,  mit  ben  9JMobiccn  erfdjeinen,  bie  man  woljl  bem 
Did)tcr  beijumeffcn  pflegt,  unb  bie  minbeflenS  gcwifj  ju  feiner  3eit  entftanben.  3n  biefen  ©ingweifen  treten 
un»  alle  fircblidien  SEonarten  jener  3eit  entgegen,  meijr  aud)  in  il)rem  boppelten  Umfange,  bis  auf  ba39Jliro= 
Iwbifdje  unb  '#olifd)e;  jenes  erfcbjint  in  feiner  urfprünglid)ett  SEonweife  allein,  biefeS,  unb  einmal^  nur,  in 
feiner  uerfefcten.  £>em  3nb,alte  nad)  f)aben  wir  Sieber  auf  alle  f)ol)en  geffe,  jwet  eoangeltfd)e  Sobgefänge,  — 
ber  Söiaria  unb  be3  ©imeon,  —  ^falmlieber,  unb  in  ifjnen  ©ebet,  Sefyre,  Sobgefang;  ÄatedjtSmuSlieber; 
—  in  allen  bie  S3lütb,e  be§  ewangelifdjen  Äird)engefange§  im  löten  Sabrfnmbert.  £>ie  fjter  vereinigten,  üer= 
fdnebenartigen  ©ingwetfen  finb  jum  grbficfiett  Sljetl  mit  funjrreid)er  8SerfIed)tung  ber  ©türmten  gefegt :  nur 
wenige  machen  bawon  eine  2lu3nabme,  wie  il)re  innere  S3efd)affenl)eit  fte  erl)eifd)te.  Sie  *))falmobie  be§  beut* 
fd)en  Sttagniftcat,  unb  bie  ju  il)r  gehörige  'tfntiplwnie 

ßb,rijium,  unfern  £ettanb, 

(Swigen  ©ort,  9)larien  ©ofyn, 

greifen  wir  in  ßwigfeit,  2lmen 
finb  beibe  einfad),  Sota  gegen  SEon,  gefegt ;  jene,  nur  gefangäf)nlid)e  9?ebe,  erforderte,  itjrer  ffieftimmung  ju= 
folge,  eine  foldje  S5el)anblung  *,  biefe,  ju  if)r  gehörig,  ijatte  fd)on  ber  Übereinftimmung  wegen  fiel)  barin  if>v 
anjufd)liefjen.  9iod)  ein  SSeifptel  biefer  2lrt  uon  ßccarb  gewahrt  un3  bie  fpätere,  »on  ©tobäuS  (1634)  oer-- 
anftaltete  "tfuSgabe  feiner  Gljoräle,  in  bem  äkgräbnifbnmmtS  bc§  ^)rubentiu§: 

Jam  moesta  quiesce  querela,  *) 

Lacrymas  suspendite,  matres  etc. 

unb  beffen  beutfd)er  Übertragung 

^>ört  auf  ju  trauern  unb  f lagen, 

£)b  bem  £ob  niemanb  »erjage  ic. 
ben  er,  burd)weg  bem  Söiaafie  ber  Urfdjrift,  unb  ber  alten,  baju  gehörigen  SBeife  ftd>  anfdjltef  enb,  einfach, 
fünfftimmig  fejjte.  3>n  vollen  3ufammenfldngen,  meiji  nur  im  SBecbfel  fjarter  unb  weicher  25reiflänge,  von 
benen  jene  jeboeb  bei  weitem  überwiegen,  »ragt  ber  9?lwtbmu3  be§  ©ebicbteS  lebhaft  ftd)  auS,  getragen  »on 
bem  anmutbig  melobifd)en  gortfd)ritte  bei?  ©efangeS.  Stacbft  biefen  beiben  finb  es>  bie  SJielobieen  im  unge= 
raben  Safte,  beren  begleitenbe  Stimmen  niebt  fowobl  SSerwebung  jeigen,  alö  lebenbige,  mannid)fad)  ge= 
fdbmücfte  ^Bewegung ;  fte  überfebreiten  einanber,  burebfreujen  ftd),  gefellen  ftd)  ju  gemeinfamemgortwanbeln 
in  5Bol)lftcmgen,  entfernen  ftd)  bann,  unb  nähern  ftd)  wieber,  bi§  fte  am  ©cbluffe  mit  einanber  oerflingen. 
©o  in  ben  beiben  3Beibnad)t3liebem :  Ia  dulci  jubilo**),  unb  Resonct  in  laudibus,  beren  lefcteS  in  cin= 
jelnen  9cad)abmungen  fd)on  ber  eigentlichen  ©timmenoerfled)tung  ftd)  ndbert;  fo  in  bem  Siebe  ,,2llleüt  ©Ott 
in  ber  ^)bb'  fcr>  Qjbt",  bem  beutfd)en  ©loria;  fo  enblid)  in  bem  Sobpfalm: 

9tun  lob'  mein'  ©eel'  ben  £erren***), 

2Ba3  in  mir  ijt  ben  Tanten  fein  tc. 

2lud)  bie  SKelobte  be§  Siebes 


*)  ©.  SBcifpiel  9lro.  139. 
")  ©.  SSeifptel  9tro.  120. 
"*)   ©.  SSeifptel  9lro.  136. 


  472  

(SbviftuS,  ber  uns  feiig  mad)t, 
Mein  S56f  i)at  begangen 

bewegt  fid>  faft  auSfcblicfsenb  in  einfad)em£onfa£e  fort,  ber  nur  gegen  bie  Schlußfälle  bin,  jumaf)l  berjwei= 
ten,  werten,  fccbjren,  achten  Seile,  bei  benen  benimmt  auSgefprocbene  9?ul)epunfte  eintreten,  in  ben  9Rittel= 
ftimmen  größere  ^Beweglichkeit  gewinnt.  -Denn  bicfeS  Sieb  enthält  bie  Skrfünbigung  üon  ben  ßeiben  beS 
4?errn  nad)  ben  t>icr  <&><mgeltjten,  unb  forbert,  fd)on  als  Crrjählung,  einen  gleichmäßig  ernften  gortfd)vitt 
aller  Stimmen.  S5ei  ben  übrigen  ÜDMobieen,  für  fid)  betrachtet,  haben  mir  eine  jweifaebe  2lrt  ber  ©eflal- 
tung  ju  unterfd)eiben.  Sie  enthalten  in  ihren  Strophen  entmeber  einen  £>oppelfa£  ober  S£f) eil,  beren 
erfter  bureb  eine  wieberfebrenbe  3?eil)e  metrifcb  unb  melobifch  gleicher  3eiten  gebilbet  mirb,  ber  anbere  bann 
mit  einer  gleichen  ober  ungleichen  3eilenjal)l  ft'd)  ihm  anfchließt  (2lufgefang  unb  3lbgefang) ;  ober  eS  tritt 
eine  folche  Sbeilung  nicht  beroor,  unb  bie  3eilen  ber  SfKelobie  fonnen  nur,  infofern  fie  melobifche  (Entfaltung 
eines  ©runbgcbanfenS  finb,  einanber  ähnlich  genannt  werben.  2>iefer  legten  %xt  finb  jumeijl  alle,  auS 
altem  latcinifcben  ober  bcutfd)en  jlirchengefange  ftammcnbe  SEBctfen.  S5ei  biefen  flicht,  ber  9?egel  nach,  bie 
Stimmenoermcbung  fid)  fort,  ohne  unterbrochen  ju  werben,  fo,  baß  wenn  auch  Vit  einzelnen  geilen  burd) 
Sd)luf?fälle  fcnnfltd)  gemacht  finb,  in  biefen  boch  fofort  eine  ber  begleitenben  (Stimmen  mit  einem  Sone  ein= 
tritt,  an  wcld)en  baS  ©ewebe  fid)  weiter  fortfnüpft.  *)  2ttS  Ausnahmen  fonnen  hier  nur  genannt  werben 
jene  beiben,  fo  eben  erwähnten  latcinifcben  2öeibnad)tSlieber,  unb  baS  Sieb  »on  bem  ßeiben  beS  Jperrn : 
„(SbrijtuS,  ber  unS  feiig  mad)t".  Söte  überhaupt,  im  eigentlichen  Sinne,  bei  ihnen  feine  SSerwebung  bei- 
stimmen ftattft'nbct,  bie  nur  auf  Nachahmungen  unb  ©ngführungen  beruht,  fo  haben  fie  aud)  bejtimmter 
auSgefprod)ene  9?ul)epunfte,  bie  jebod)  nur  burd)  gcmeinfchaftlicheS  längeres  SSerweilen  ber  Stimmen  fid) 
bilben,  unb  nicht  burd)  Raufen.  £)iefeS  le^te  gefchieht  nur  bei  einer  SJMobie  biefer  2lrt,  ber  beS  ßiebeS: 
„2Bof)l  bem,  ber  in  ©Otts  gurd)te  ficht",  unb  nur  einmahl,  nach  ber  »erlebten  3eile:  „bein  eigen  £anb 
bich  nähren  foll";  als  fei)  eS  bie  2lbftd)t  gewefen,  auf  biefe  SBorte  befonberS  bie  2lufmerffamfeit  ju  richten, 
unb  bann  ber  Scblußjeile 

So  lebflu  recht,  unb  geht  bir  wohl 
um  fo  größeren  9cad)brud  ju  geben.  S5on  ben  brei  Strophen  beS  ßtebeS  „ßl)rifl  tft  erftanben",  beren  britte 
in  ber  erjten  $älftc  ihrer  SJielobie  aud)  von  ben  übrigen  abweicht,  ijt  eine  jebe  befonberS  l)«nnonifd)  bel)an= 
belt.  4?ier  gebenfen  wir  enblid)  auch  beS  ^)pmnuS  '„4?err  ©Ott,  btd>  loben  wir".  Nur  uneigentlid)  fann 
feine  SDWobie  ju  benen  ber  hier  bcfprod)cnen  "Kxt  gerechnet  werben,  fie  bilbet  vielmehr  eine  eigene,  für  fid) 
beftebenbe,  in  unferer  Sammlung  nid)t  weiter  twrfommenbe.  Sbje  fed)S  unb  jwanjig  £)oppcljeilen,  —  me^ 
lobifd)  betrachtet,  auf  etwa  bie  Jpälftc  jurüd  ju  führen,  weil  bie  SBeifc  von  einzelnen  biefer  Seilen  jwcü, 
brei=,  fed)Smal)l  fid)  wieberholt,  aud)  eine  berfelben  fpäter,  ju  erneuerter  SBieberbolung,  noch  einmal  jurücf= 
fefyrt, —  biefe  beträd)tlid)e  3eilensahl  crl)cifd)t  fd)on  beShalb  beftimmtere2lbfchlüffe,  weil  in  bie  gleichen  £älf= 
ten  jeber  einzelnen  Bette  antwortenbe  Gl)öre  ft'd)  tl)eilen,  unb  unterfagt  eine  fortgefefete  SBcrmebung  berStim= 
men.  Sie  finbet  alfo  aud)  hier  nid)t  jtatt,  unb  eS  wechfelt  nur,  je  nad)  bem  Inhalte  ber  Beilen,  ber  mit  t>oI= 
lern  9cad)brud  von  allen  Stimmen  jugleid)  begonnene  ©efang,  mit  aHmählid)em2lnfd)WcUen  beffelben  burd) 
3ufammentreten  einzelner  Stimmen,  ober  Stimmenpaare;  wie  benn  aud)  bie  £onfd)lüffc  halb  fürjer  balb 
breiter  gehalten  finb,  bei  mehr  ober  minber  langem  gortballcn  ber  Sd)lußtbne,  ju  benen  fie,  üerweilenber 

")   SSergteidjc  fjicr  Beifpitt  9tro.  122  bie  SSctjnnblung  ber  SBct'fc  bce  ficbeS:  58om  Gimmel  fjoci)  ba  fomm'  t'd)  tjer. 


ot>er  rafcper,  üon  ben  begleitenden  «Stimmen  gebildet  »erben.  2Ba3  bie  SDWobieen  üon  groei  Steilen  betrift, 
welcpe  bem  größeren  S£petle  nach,  entweber  au3  bem  SSolfSgefange  Rammen,  ober,  mit  2ut3napme  weniger, 
um  bie  3ett  ber  jürepenoerbefferung  entjianben  ftnb,  fo  ftnb  bei  beren  fünfftimmtger,  barmontfeper  33epanb= 
lung  bie  ©timmen  jumetft  funftreiep  uermoben,  unb  gewöhnlich  in  ber  Tlxt,  bafj  ber  erfle  Spetl  (2utfgefang) 
bei  feinem  früheren  ©rfepeinen  »öllig  abfcpliefjt,  bei  feiner  fpätercnSSÖicbcrbolung  aber  baSÖewebe  ber  Stim- 
men an  ben  ©d)lafjfaU  unmittelbar  fich  weiter  fortfliegt.  9cur  fccpS  gatle  mad)en  baoon  eine  Ausnahme, 
unter  benen  wir  bie  SSebanblung  ber  SBeife  bc§  ütebeS :  „Allein  ©Ott  in  ber  £bb'  fev>  (5pr'",  bie  wir  fepon 
früber  befpradben,  nicht  mitjäblen.  Unter  biefen  fecbS  wirb  bei  ben  Sonfäfcen  ber  Sieber:  „©ott  ber  SSater 
wohn'  un3  bei;  ©Ott  fep  gelobet  unb  gebenebeiet;  jD  ^>erre  ©ott  betn  göttlich,  SBort;  3d)  banf  bir  lieber 
£erce"  auch  bei  2Bteberf)olung  be§  erften  SbeileS  beftimmt  abgefcploffen,  unb  fobann  ganj  neu  begonnen, 
©djon  bie  33efcbaffenbett  ber  SERelobieen  unb  ber  Inhalt  ber  Söorte  beftimmt  ju  biefem  SSerfabjen,  inbem 
nach  bem  erflen  SSbeile  ein  gememfcbaftlicberG'tntritt  aller,  ober  boeb  meiner  ©timmen  erbeifd)t,  baburd)  aber 
ein  gortweben  in  bem  angegebenen  ©inne  unterfagt  wirb.  ÜJcametittid)  werben  bei  bem  2lbenbmabl3liebe : 
,,©ott  fep  gelobet  unb  gebenebeiet"  bie  beiben  SEbctle  ohnehin  burd)  ein  ,,Äpriceleifon"  getrennt,  ba§  aud) 
am  ©cbluffe  be§  legten  wieberfebrt,  in  berSDfttte  aber  einen  Stubepunft  notbwenbtg  bebingt.  3n  bemßiebe: 
„3cb  ruf  ju  bir,  .iperr  Sefu  (übrijl"*)  webt  bie  SSerflecbtung  ber  ©timmen  burd)  ba3  ©anje  fiep  fort  ohne 
Unterbrechung,  unb  felbft  bie  2Btebcrl)olung  be3  erften  SbeilcS  wirb  auf  biefe  Hxt  eingeführt»  25a§  $falm= 
lieb  enblid)  „S'cun  lob'  mein'©eef  ben  sperren"  jeigt  hinter  jeber  »on  feinen  fecpSiDoppeljcilen  ben  entfd)ie= 
benfien  tfbfcfytufi,  niept  allein  burd)  einen  fortpallenben  £>rctflang,  fonbern  burd)  jwei  ihm  folgenbe  Raufen, 
welche  bie  erften  beiben  Steile  be§  nad)ften  SaftcS  einnel)men,  fo,  bafj  fünf  93Zal)le  ber  ©efang  gänzlich 
fdjweigt;  ber  einjige  gaü  biefer  2frt,  ber  in  GsccarbS  ßboralfäfjen  oorfommt  unb  nur  burd)  genaues  2£nfd)lie= 
fsen  an  bie  SEßelobie,  wie  er  fte  fanb,  ju  erklären  ift.  Senn  fett  if)rem  frübeften  SSorfommen  ftnb  bort  jene 
Raufen  übcretnjiimmenb  t>orgefd)riebcn,  unb  würben  baper  aud)  wobt  im  ©efange  ber  ©emeine  beobachtet. 

£iefe  33emerfungen  geben  freilich  nur  bte  allgemeinen  3üge  be§  (Sccarbfcben  @poralfafee§ ;  bie 
waljrbaft  eigentümlichen,  bejeiepnenben,  »ermag  ba§  SBort  be3  SSericbterftatterS  nur  anjubeuten,  unb  erft 
baS  SBerf  felbft  bringt  fte  frifcb  unb  lebenbig  entgegen,  ba  fte  notpwenbig  an  bie£3efd)affenl)eit  unbS5ejlim= 
mung  ber  einzelnen  9Jielobteen  ftd)  nutpfen.  3"  ben  meiften  Sailen  beginnt  ber  ©efang  mit  allen  ©timmen, 
jumapl  bei  trdftig  fd)wungwollen  SBcifen ;  ober  e3  bleibt  nur  eine  ©timme  jurücf  hinter  ben  übrigen,  um 
burd)  ihren  eintritt,  gewöhnlich  mit  ber  erften  Sftelobiejeile  in  »erfürjten  SEönen,  eine  nachbarlichere 
güüe  be§  Älangeö,  ein  2(nfd)weUcn  be§  ©efangeg  ju  erreid)en.  **)  SEreten  bie  ©timmen  naepeinanber  ein, 
fo  gefd)iebt  e§  feiten  in  gorm  eineS  fugirten  ©a(^e§  —  wie  etwa  in  ben  SBetfen :  „Äomm  ©ott  ©ebbpfer 
heiliger  ©eift;***)  3efu§  ßl)rijlu§  unfer  ^eilanb,  ber  »on  un§  ben©otte§  3om  wanb";  —  juwcilen  burd) 
©onberung  ber  ©timmen  in  jwei=  unb  breijlimmtge,  einanber  naepahmenbeßpbre,  aud)  wol)l  jwei  breijlim= 
mige  biefer  2lrt;  wobei  benn  eine  ber  ©timmen  (gewbhnltd)  bie  ticfjte)  beiben  6l)bren  gemetnfcpaftltcp  bleibt, 
unb  ber  ©afc  nur  burd)  Säufchung  bc§  al§  fed)öftimmig  crfd)cint,  inbem  fo  ber  nad)gealjmte  wie 

nad)al)menbe  ßl)or  al§  breiflimmige  gehört  werben.   SSie  lebenbig  ber  2fu3brucf  innigen  glebenS  burcp  eine 


•)   ®.  SScifpicl  SRro.  129. 

")    ©.  bte  erfte  SKclobiejctlc  oon  SSetfpiel  9tro.  135. 
'")   @.  Seifpül  9iro.  119. 
».  SBinterftlb,  t«  «angel.  S^otalgefang.  60 


  474   

folcbc  SBcbanbiung  hervortritt,  jcigcn  bic  betten  ^falmlicber:  ©ort  vom  £immel  ficb  barein ;  *)  6? 
wollt'  un3  ©ott  gen&btgj  feon".  ©ben  fo  mannigfaltig  aB  bie  'tfrt,  bcn  ©efang  anjubcbcn,  jcigt  fid)  (eint 
rtortfüimmg  nach  ben  einjelnen  melobifd^en  Seilen.  £)ft  ift  eS  mir  eine  einjelne  Stimme,  bie  in  bcn  »et* 
batlenben  ©cbluffall  bet  ttotanget)enben  Seile  bincinruft,  unb  bie  äbtigen  nach  ftcb  jiefyt;  bann  fmb  e3  jwei 
SRitteljlimmen,  bie,  einanber  überflägelnb,  in  enger  SRacfyabmung,  ober  31t  gemeinfamem,  gleichmäßig  fort* 
febreitenbem  ©efange  oeteint,  bic  folgcnbc  mclobifcfye  Seile  in  »ecfarjten  S5onen  fct)on  öorau8nel)men,  anbete 
ju  ihrer  SRadbfolge  aufforbemb,  bis  cnblich  ernfter,  feierlicher,  bebeutfatner,  bterberftimme  ben  ©efang  fort= 
n-i-t  \u  biefem  SEongeroebe.  So  (tnb  unter  anbetn  in  ben  Siebeens  ift  bas  4?cil  im§  fommen  t)er**) ; 
©ciobet  fenft  bu  3eful  S^tiil***)  —  bie  Stellen  gefungen:  ,,011?  ©nab'  unb  lauter  ©utc :  von  einer  3ung= 
trau,  ba8  ift  wahr."  'tfuf  ba8  ©lütflicbfte  weif;  @cearb  fiel)  ber  ©runbfh'mnte  ju  bebienen,  um  bengluf;  be€ 
©efangeö  ftetig  fottjuleiten,  unb  juglcicb  bie  bebeutfamften  mclobtfcbcn  Sügc  nacbbrüd'licb  hervorzuheben; 
fo  bie  Stelle:  „fonfi  müßten  wir  verjagen"  in  bem  jmeiten  Steile  b«ä  8iebe8:  ,,{D  Samm  ©ottes"  tmfctml* 
big*'****)?  fo  bie  Dotierte  3eite  be$  ßiebeS  ,,S5So  ©ott  311m  $anf  niebt  giebt  fein'  ©unjt"  bei  ben  SBorten: 
„wo  ©ott  bie  ©tabt  nicht  felbfl  bemadjt"  unb  anbete.  (Sin  83orau8net)men  bet  folgenben  mclebifcbcn  Seile, 
nie  wirecsuvorbcfchricbcn,  tnüyft  auch  oft  ben  jwcitcnSEbcil  einet Sölelobie  an  ben  elften,  nad)  beffenSBiebet« 
holung.  .pbchft  großartig  gefebiebt  bie8  in  bem  Siebe:  ,,Sr>m  CEbrtjt,  ber  einig'  ©ott-3  (Sohn"-!-);  bie 
SBSorte  „et  ift  ber  SDtorgenfterne"  tönen  bei  ber  JBieberl)o(ung  be-o  elften  SKr/eileS  febon  in  beffen  eben  ficb 
bilbenben  iSe^luffaB  binein,  bis  bann  auch,  bic  rübn  aufftrebenbe  SDberfh'mme  fte  ergreift  unb  ben  ©efang 
maieftätifcb  auf  feinen  böcfyftcn  ©ivfel  erbebt,  aufbeut  er,  bcii9ibvtbmu3  mccfyfctnb,  in  breitem,  breitbeiligcm 
93iaafjc  verweilt,  baß  ficb.  bann,  juerft"  trocbäifcb,  bann  iambifcl)  wieberum  verturjt.  3n  ber  Sarftcllung  ber 
rbiitbmifcben  (iigcnthüntlicbrcit  feiner  s?)Mobiecn  tft  @ccarb  jumabl  vortrcflicb:  mit  feinem  Sinne  weif  er  311 
unteifcbeiben,  wo  ber  8Be<r)fel  be83?r)tttl)mu8  febarf  unb  entfebteben  bervorjubeben  ift,  wie  etwa  bei  ben2Bor= 
reu  „fein'  gtaufam  JRüfhing  ift"  in  bem  Siebe:  „(Sin  fefte  33urg  ift  tmfer  ©ott"-H-);  —  wo  er  in  Sß'm- 
bungen  unb  Durchgängen  pief  enbet  erfebeinen  batf,  unb  weicher,  wie  in  bem  5Diorgenlicbc :  ,,3d)  banf  bir 
lieber  sperre"  fff),  — wo  er,  bei  einfacher  Harmonie,  burd)  oeränberte  Sage  ber  ©lieber  forthallenber 
Sreiflänge,  0011  aller  Schärfe  frei,  t'langrcid)  unb  feierlich  ertönen  muf;,  wie  bei  jenen  JUÖOI  angeführten 
SBortcn  „er  i|l  ber  ^iorgenfterne".  2Bo  ber  Inhalt  bei  8iebe8  unb  bie  23cfchaffenheit  feiner  93Jclobic  einen 
ftetigen,  gleicbmäf;igen  ^btf  be>o  ©efangeS,  einen  gemeinfamen  gortfehritt  aller  Stimmen  gebietet;  wo  bie 
Singweife  bie  Wrunbtonart  faimt  cinmahl  oerläfit,  unb  '^uyweiebungen,  bie  tUfi  ihrem  inneren  ,3ufammcn~- 
hange  nidu  hei'iwrgehcn,  ib,r  nur  äufierlid)  burd)  2Billh'tt)r  bc§  S£onfel^er§  aufgebrungen  würben ;  wo  aHeS 
biefc§  fid)  ftnbct,  wie  bei  ber  fpäteren  Singweife  beö  Iuthcrifcben  ßiebeÖ  „9hm  freut  euch  lieben  öhriften^ 
9mein//-l-f-H-j)/  jeigt  unfercö  53Ieiftcr§  finnige  '^luffaffung,  feine  gereifte  Jtunft  fid)  im  fdibnftcn  Sichte.  35er 
gemeinfam  fortfehrcitenbe  ©efang  aller  Stimmen  jeigt  in  jeber  einzelnen  von  ihnen  bie  cbclfte,  auöbrucf^wollfte 


*)  ©.  SBcifpict  9iro.  IX.  bc«  MnljangcS  mebefHmniigM  2onfä(ic  ju  CutJjerö  ijcijtl.  fiebern. 

")  S.  »cifpkl  9t»,  13'.>. 

"*)  ®.  Sctfpicl  9ito.  121. 

"")  ©.  SJcifpicl  TKro.  12 i. 

t)  ©.  Scifpicl  Vivo.  133. 

H)  ©•  Scifpicl  9tro.  XIII.  bc$  Knljangc«  mcljvftimmigcr  2onfä?c  ju  CutbcrS  geifll.  Sicbern. 

U-r)  ©•  Scifpicl  9lro.  137. 

■r+tr)  ®.  «eifpiel  9iro.  134. 


9JZelobie ;  fo  tont  aus  ihrer  Öcfammtbeit  ein  ItcbcooUcr  herein  frommer,  uon  gleichem  @efüt)le  tief  ergriffener 
©emütber  uns  entcicc^cn,  eine  rechte  <5inf)eit  im  Weifte,  fiüx  bie  Sd)lufifäUe  ber  3ei(en  bes  i?iebes,  roo  es 
gilt,  ben  ftetigen  Stuf  bes  ©an^en  ju  fiebern,  tfl  jenes  aUmäblid)e  Gintreten  ber  Stimmen  ausgefpart,  roo= 
burdi  bie  Harmonie  ein  fo  cigcntbümlid)es  iieben  gcroitmt,  roenn,  roie  es  hier  ftets  gcfd)iebt,  ber  Sßieberein- 
tritt  ein  für  fie  bebeutfames  SEonücrbättnifj  berührt.  £>bglcid)  nun  am  Scbluffe  einer  jeben  Beite  ber  9JieIo= 
bie,  bie  fünfte  ausgenommen,  immer  nur  bie  ©runbbarmonie  ertönt,  fo  roirb  man  boeb  nirgenb  eine  Ginför^ 
migfeit  gemahr  roerben ;  bie  immer  mannicbfaltige,  unb  bod)  gleid)  einfache  'äxt  ben  ©efang  fortyuleiten,  »er* 
binbert  bicfclbe.  3a/  in  bex  worfelten  Bette,  roo  bie  ©cfammtbarmonie  fafi  ausfcbliefienb  nur  ben  Sretflang 
ber  ©runbtonart  barfteüt,  entfielt  burd)  bie  anmutige  gortberoegung  ber  Stimmen,  bic  ftd)  überforderten 
unb  bann  roieber  binabfenfen,  fclbft  unter  folcbe,  bie  tieferen  Tonumfanges  mit  ibnen  fortgeben,  ein  reges 
ikben,  ein  2ßellcnfd)lag  bes  ©efanges,  erquid'cnb  unb  evfrifd)enb.  "tfnbereSJZable  roeifj  ©ccarb  burd)  fübnen, 
unerroarteten  ftortfd)ritt  baö  ©ebcimnifrooUe,  Srernbe  aus^utbnen,  bas,  roenn  ber  erfte  ä3ltcf  aud)  ein  folebes 
aus  ber  SEßclobie  nicht  berausgelefen  hätte,  bod)  allezeit  in  il)r,  jumabl  ibrer  fircblicben  ©runbtonart,  notb= 
roenbig  berubt,  ftd)  aus  i()r  tebenbig  entfaltet,  unb  nid)t  al§  Scbmuct  tfjr  »on  'tfufien  ber  aufgetragen  roirb. 
So  in  ber  »orleljtcn  3eile  besllicbcs:  ,,&omm  ©ott  Sd)bpfer  bctl'ger  ©eift"*),  roenn  ju  ben  2ßorten 
,,mit  ©naben  fie  füll',  roie  bu  roeifjt"  ber  SEJleijter  bie  '2(u5roeid)ung  nad)  ber  £berquarte  bes>  ©runbtones 
alä  eine  »erroanbelnbe  9Jiobulation  bes  urfprünglt  d)cn  9Jcirotr;bifd)en  in  feinen  üerfefjten  SEon= 
umfang  betrad)tet,  unb  bcsbalb  bei  bem  Scblufifalle  ben  X>reiftang  ber  ftebenten  Stufe  beffelben  (B)  bem 
bes  ©runbtons  (C)  fübn  üoranfebreiten  läfjt.  3eber  3ug  biefer  Ttxt  erfd)eint  aber  entroeber  burd)  bie  Wie- 
tobie  felbft  in  ber  £auptftimme  nad)brüd'lid)  beroorgeboben,  ober  gefd)iel)t  bies  burd)  eine  ber  begleitenben, 
fo  erreicht  ft'e  es  ebenfalls;  burd)  einen  melobifcb  bebeutfamen  ^ortfd)ritt,  in  roelcbem  fie  bas  £otroerl)ältnif3 
berührt,  bas  für  bie  jebesmablige  ©runbtonart  unb  beren  9Kobulationen  eben  ba§  SSejcicbnenbe  ift.  So  in 
ber  britten  Beile  bes  2Seil)nad)tsltebes :  ,,©elobet  fepft  bu  3cfuö  ßbrift"**;.  2ßenn  in  biefer  bie  Singroeife 
berabfteigt  in  1),  bie  £berquinte  bcö  miroh)bifcben  ©runbtones,  fo  berührt  ber  erfte  Tenor,  bie  melobifcbe 
ÜBenbung  bes  Anfanges  jener  BeÜe  nachabmenb,  in  feiner  böcbften  ilage  bie  fleine  SEerj  biefes  Tones,  unb 
prägt  es  beutlid)  aus :  bie  SQiobulation  fet>  nicht  bie  hergebrachte  einer  hörten  Tonart  in  bie  gleichartige  ihrer 
£berquinte,  fonbem  bes  SDZirolpbifcbcn  in  baö  £)orifd)e.  2ln  eben  biefer  Stelle  roirb  unmittelbar  barauf, 
nicht  minber  leid)t  unb  ohne  3roang,  nad)  bem  Sd)luffe  ber  »Orienten  Bette  ber  ©efang  fortgeleitet  ju  ber 
legten  burd)  eine  'tfusroeiebung  in  bas  »erfeljte  <Phn)gifd)e,  in  r'räftig  rbptbmifcber  ^Betonung  ber  Sßorte 
,,befj  freuet  ftd)  ber  öngel  Schaar",  unb  fo  noch  eine  ^roeite  Steigung  beä  9Kirolt)bifd)en  ju  einer  t»erroanb= 
ten  Äirchentonart  jur  'tfnfcbauung  gebracht.  Unb  roa§  follen  roir  ber  'äxt  nod)  ausführlich  gebenfen,  roic 
unfer  SJicifter  ba5  9)brr)gifcbe  unb  Sortfche  gleich  treflich  pi  bebanbeln  roeig?  roie  er  bie  SKelobie  be5  ^)af= 
ftoneliebee 

25a  3efus  an  bem  Areu^e  ftunb**'; 
Unb  il)m  fein  ßeichnam  roarb  »errounbt 
fo  gar  mit  bittern  Schmerlen 


*)  @.  Scifpiet  9Cro.  ll'J. 
")  @.  iBeifpiel  9lro.  121. 
•'•)   ©.  »eifpiet  SRro.  123. 


fiO* 


  476   


faß  ßetS  in  gememfam  fortfd)reitenbem  ©efange  aller  ©timmen  ertönen  läfst,  unb  nur  bei  ben  hinüber  leu 
renCen  Stellen  an  bem  ©chluffe  ber  einzelnen  Seilen  baoon  eine  Ausnahme  mad)t;  rote  er  am  Enbe  ber  jwei= 
ten  fo  träftig  ausweide  in  baS  3onifd)e,  fo  fchwungvoll  burd)  ben  Senor,  ber  l)ier  ben  Ult  überflügelt,  ju 
Der  britten  Einleitet;  wie  er  in  ben  SBinbuttgcn  beiber  Senore  ju  bem  ©d)luj} falle  ber  SKelobte  (ben  er  hier 
äoltfd)  unb  erfl  am  ©d)luffe,  wo  eine  gleiche  S5el)anblimg  wiebcrfel)rt,  »hrpgifd)  gehaltet)  auf  ba§  2eben= 
bigfte  ben  Sinn  ber  Motte  auSbrüdt 

„fo  gar  mit  bittern  ©chmerjen" 
unb  bod)  feierlich  ernft  bleibt,  ohne  alle  falfcfye  Empftnbfamfeit,  bie  fein  3eitalter  überall  nicht  fannte.  Sie 
l>eJ)ve  SOtajcftät  feiner  S5el;anblung  ber  borifd)en  Sßeife  „Surd)  2lbam§  gaE  ift  gan$  »erberbt"*)  hat  faum 
ihres"  ©teidjen;  trofj  ber  fortgel)cnben,  engen  9cad)al)mung  aller  ^auptjüge  ber  ©runbmelobie  burd)  bie 
begleitenden  ©timmen,  erfdjeint  ba§  ©anje  nur  als"  ein  gewaltiger,  bod)  flarer  ©trom  einfacher v^armonieen, 
mcld)e  bie  Eigentf)ümlichfett  ber  ©runbtonart  fr&ftig  abfm'egeln.  Sas"  ift  ee>  aber  auch,  wobureb,  mehr  ober 
minber,  alle  biefe  Ehoralfdfje  ftd)  anzeichnen,  ©ofem  ihnen  ein  finniger  Vortrag  nur  volle  ©erecr/tigfeit 
wiberfa()ren  läfjt,  unb  bieSöiclobie  burd)  eine  verhdltnifjmdfjig  ftatfeS3efefeung  genügenb  hervorgehoben  wirb, 
mad)cn  jte  burdbgdngig  ben  Einbrud  bes>  Einfachen ;  bie  funftvolle  ^Begleitung  bient  ftetö  nur  ber  £au»t= 
ftimme;  fie  ift  il)r,  map  einem  wohlgebauten  Selbe  feine  innere  ©lieberung,  in  ber  feine  @d)6m)eit  erjt  voü= 
fommen  jur  2lnfd)auung  gelangt.  Scs1)alb  ftnb  ft'e  aud)  ßl)oralfd(je  im  dd)ten  ©inne,  wenn  man  ftd) 
über  bie  SSebeutung  biefe»  SBortes"  red)t  vcrjtdnbigt.  Senn  felbjt  bei  völlig  einfacher  Entfaltung  —  fjomo= 
pl)onifd)  er  S3el)anblung,  roie  mir  e§  jel^t  nennen  mürben  —  müffen  mel)rftimmige  Sonfd^e  über  Ätrd)en= 
melobteen  allerbing§  ber  giguralmuftl  bcigcred)net  werben;  ber  S5egriff  bes"  Qit)oiaH,  wie  er  gewöhnlich, 
gefaxt  wirb,  ber  fclbfi  auf  einfache  9JMobieen,  fofern  man  il)nen  aud)  nur  rl)t)thnttfd)en  2Bed)feI  ju= 
geftel)t,  nid)t  mehr  anwenbbar  ift,  erfcf>etnt  für  ft'e  vollenbei  unpaffenb.  ©el)en  wir  jebod)  ab  von  biefem 
©egenfaf^e  be3  Chorälen  unb  giguralen,  ber  innerhalb  ber  SSttehrfttmmigfeit  überhaupt  feine  Skbeutung  ver= 
liert,  unb  halten  uns"  ftatt  feiner  an  ben  bes"  8tebf)aften  unb  SDlotettenartigen,  wo  bann  ber  ßl)oral 
alö  ge  ift  liehe  §  ßieb  auf  jener  erften  ©eite  feine  ©teile  ftnbet;  fo  mufü  uns"  ein  jeber  mehrftimmige  ©afc 
als"  wahrhafter  ßl)oralfa£  erfcheinen,  ber,  bie  SBeife  eines"  geiftlid)en  Siebes"  behanbelnb,  il)re  rhpthmifche 
S5cfd)affenheit,  eben  al§  bie  eines  £iebe3,  vollfommen  jur  2lnfchauung  bringt,  bie  9Jlelobie  als"  fold)c  alfo 
nicht  jertrennt,  fonbern  erft  völlig  unb  nad)brüdltd)  aufragt,  unb  babei  ihre  harmonifche  SSebeutfamfeit, 
wie  ft'e  burd)  ihre  ©runbtonart  bebingt  unb  offenbart  wirb,  lebenbig  entfaltet.  Sie  reid)ere,  bie  einfachere 
©lieberung  ber  begleitenben  ©timmen  fann  hiebei  nicht  entfd)eiben;  unb  will  man  aus"  anberen  ©rünben 
biefer  legten  ben  S3orjug  geben,  fo  wirb  man  immer  geftehen  müffen,  wo  in  ber  funftretd)en  Stimmen* 
verwebung  wefentlid)  unb  vorjüglid)  bod)  bie  Entfaltung  hervortritt,  wo  bie  $)olt)»honte  in  ihrer 
©efammtwirhmg  ba6  ©evrdge  ber  Homophonie  tragt,  ba  fet),  was"  man  als"  2lnforberung  hingeftellt,  im 
bbd)ften  ©inne  erreicht. 

Siefeö  nun  ju  erreichen,  war  unferem  (Sccarb  gegeben.  §ür  jebe  ber  9ftelobieen,  bie  ihm  aB 
Aufgabe  geftellt  war,  hat  er  bie  ihr  oerwanbten  ©eifter  ber  Sbne  aufgerufen,  unb  ft'e  f^ben  ihm  gehorcht; 
hier  ift  er  baö  erfte  SKahl  jum  »ollen  SBewu^tfenn  ber  ihm  verliehenen  fd)b»ferifchen  Äraft  gelangt,  benn 
biefe  beruht  nicht  atlein-im  Erftnben,  fonbern  aud)  im  Entfalten.   SBie  aber  biefe§,  baä  Entfalten, 


•)   0.  SScifpict  Kro.  128. 


  477   


überall  her»orging  bei  ihm  au§  bcm  Surchbrungenfewn  »ort  bem  ©eijie  ber  lieber  imb  SJlelobieen,  erf'ennen 
wir  beutltch,  roenn  wir,  an  feinen  ©efdngen  un3  ju  erfreuen,  ol;ne  bod)  bie  ganzen,  oft  längeren  üieber 
burchftngen  ju  wollen,  innert  eine,  auch  wohl  jwci  jufammenl)dngenbe  ©trophm  fpdterer  ßieber  unterlegen, 
in  welchen  ber  roefentlicfye  Sn(;alt  tt)rer  urfprüng(id;en  gebrangt  jufammengefafjt  ijl.  4?ier  empftnben  roir 
lebhaft,  baft  biefe  SEonfdfce  nicht  an  ben  SBorten  ihrer  Sieber  haften,  fonbern  belebt  ftnb  »on  ihrem  ©eijle; 
unb  haben  roir  anbcrs?  wobJ  gerodelt,  fo  wirb,  wer  nicht  ju»or  baoon  unterrichtet  ift,  nicht  leicht  eine  Unter= 
legung  ahnen,  ©o  hat  ber  SSerfaffer  biefer  SSldtter  CrccarbS  Sonfafe  über  bie  SSBeife  be3  2lb»ent§liebe3 : 
,,9iun  fomm  ber  Reiben  £eilanb"  gern  angewenbet  auf  bie  folgenben  jwei  ©tropfen  be§  gleichartigen  2ie= 
be§  »on  Heinrich  #elb:  ,,©ott  fe»  Sanf  in  aller  SBelt": 

2BaS  ber  alten  SSdter  ©djaar*) 

^)bd)fter  SBunfd)  unb  Seinen  war 

Unb  wa§  fte  geprophejeit, 

Sil  «füllt  in  Jperrlichfeit ! 

©ep  wtllfommen  bu  mein  £eil, 

$oftanna,  o  mein  Sl)eil! 

3iiä)tt  nun  aud)  eine  S3alm 

Sit  in  meinem  4?erjen  an! 
So  fcfyien  ihm  bie  herrliche  SSetonung  ber  9JMobte  „9cun  freut  euch  lieben  G^riftengmein"  ber  »ierten 
©trophe  be§  SBcifmachtSIiebeä  »on  ^)aul  ©erljarb :  „Sd?  {leb,  an  beiner  Grippen  tn'er"  »ollfommen  ftd) 
anschließen : 

Sd)  lag  in  tiefer  £obe§nad)t**) 

Su  warefl  meine  ©onne, 

Sie  ©onne  bie  mir  5ugebracht 

Sicht,  Seben,  greub'  unb  SBonne! 

£)  ©onne,  bie  ba3  wertb.e  Sicht 

Se§  ©laubenS  in  mir  jugeridjt, 

SSBie  fdjbn  ftnb  betne  ©trabten! 
©o  glaubte  er  in  ber  folgenben  ©tropfe  be§  SiebeS:  „2öer  ©ott  »ertraut,  l>at  wohlgebaut"  baSjenige 
auägebrüdt  ju  ftnben,  wa§  SajaruS  ©pengier  in  bie  neun  ©trophen  feines  Siebes :  „Surcb,  2lbam§  galt 
ift  ganj  »erberbt"  niebergelegt  hat : 

Sein  trofl  ich  mid?  ganj  ftcherlid)***), 

Senn  bu  fannjl  mir  wohl  geben, 

SBa§  mir  ijl  Sftorh,  bu  treuer  ©ott, 

Sn  bief'm  unb  jenem  geben. 

©ieb  wahre  SJeu,  mein  £erj  erneu, 

Anette  Seib  unb  ©eele! 


•)  @.  Setfpiel  STCro.  118. 
')  @.  SBetfptel  SRro.  134. 
')   @.  SBeifpiel  9tro.  128. 


  478   


2lcb  höre  Sperr,  bieg  mein  33egcbr, 

Unb  lafj  mein'  S5itt'  nict>t  fehlen ! 
■9?t<±>t  bap  hier  unb  in  ben  früher  angeführten  SBeifvielen  eine  folcbe  einjetne  ©tropfe  ben  ganzen  Snljalt  ber 
urfvrünglicben  Sieber  in  ftd)  fafjte,  ober  bicfe  überflüfftg  machte,  fonbern  baf?  fte,  für  fich  allein  verftänbticb 
unb  voüftänbig,  ben  Xon  jener  Üieber  im  ©anjen  treu  abriegelt,  unb  tarier  geeignet  ift,  aud)  einzeln  ftd) 
tcn  Säljen  unfereä  SOicifterö  anjufd)liefen,  bamit  ber  fpätere  Sporn,  ber  bem  älteren  Siebter  nicht  burcl) 
ein  ganjeg  fold)e§  Sieb  folgen  will,  ftd)  baran  erquiefe  unb  erbaue. 

Die  von  ßccarb  in  biefem  SBerfe  neugefebaffene  "ilrt  ber  SSebanblung  bcS  ßboralS  ftnben  wir,  bet- 
auteren §orm  nad),  in  gleid)artigen  Säften  fetrieä  Sd)ülere>  StobäuS  fortgepflanzt,  unb  burd)  beffen  (SÖJs 
flufj  in  ber  von  beiben  gegrünbeten  ^reufjif  eben  Sonfdjule  noch  über  bie  Hälfte  be3  folgenben  17tcn 
3abrbunbert§  hinaus  fortlebenb.  S>on  biefer  Schule  ift  gegenwärtig  nicht  näher  ju  berid)ten.  Sie  erfor 
bert  eine  befonbere,  i()r  eigcnbS  geroibmete  £>arftellung,  äumabl  fte  aud)  mit  ber  ju  StobäuS  Seit  aufblü= 
benben  $)reuf3ifcben  £>td)terfcbule  nal)e  zufammenbängt,  ber  wir  fo  mand)eS,  big  auf  unfere  3eit  fortlebenbe, 
geiftlid)e  Sieb  verbanden,  ju  welchem  bie  ben  Diestern  nahe  befreunbeten  Sonrunfiler  bann  bie  50celobiecn 
fangen.  2)afj  von  anberen  beutfeben,  mitlebenben  ober  fväteren  Sonfefjcra  ein  'ÜbnlicbeS  geleiftet  ober  aud) 
nur  mit  einigem  ©rfotge  verflicht  worben  fei),  als  baS  von  (Sccarb  (Srreidhte,  habe  id)  nid)t  ftnben  rönnen. 
25ie  fünfftimmigen  ßboratfätje  von  SJlartin  3euner  (Dürnberg  1616),  bie  gleichartigen  von  '.JlnbrcaS  .Jperbft, 
in  (Srbarbi'S  l)armonifd)em  ©efangbud)c  (granf'furtb  a.  1659)  unterfebeiben  fich  f)od)ftenS  burd)  eine 
ctwa§  lebhaftere  Sübrung  ber  9)2ittelfiimmen  von  benen  ihrer  3eitgenoffen,  unb  namentlid)  gebrid)t  il)nen 
baSjenige,  wobttrd)  SccarbS  Säf^e  biefer  2Crt  fid)  auszeichnen,  bie  ftete  Sortleitung  beS  ©efangeS  am 
Scbluffe  ber  SJMobiejetlen.  £)icfe  ftnben  wir  freiliefe  in  ben  fiebert  Sonfä^en  „in  coutrapunclo  compo- 
siio,"  welche  3ob.  ^ermann  «Schein  in  feinem  ßantional  (Seidig  1627)  neben  feine  übrigen,  einfachen 
geftetlt  hat.  Allein  fd)on  t£)rer  befchränften  3al)l  wegen  bleiben  biefe  ein  nur  unerbebltd)cr  SSerfucb,  wenn 
fie  auch  beSbalb  fcbäfjbar  ft'nb,  weil  wir  an  ihnen  bie  Zrt  unb  Äunft  ihres  neueren  Urhebers  mit  ber  beS 
älteren  SJleifterS  vergleichen  fönnen,  ba  fte,  bis  auf  bie  Ausnahme  einer  eitrigen,  nur  SEJZelobieen  bcbanbeln, 
bie  aud)  Gsccarb  gefegt  hat.  3u  einer  Skrgletcbung  berfelben  wirb  bie  geeignete  Stelle  fid)  ba  ftnben,  wo 
wir  von  SdjcinS  Sicrbienften  um  ben  evangelifcben  ßboralgefang  hanbeln  werben,  wo  ftcb  bann  aud) 
ergeben  wirb,  bafj  er  jwar  rege  aSeweglicbfeit  in  feinen  SJitttelftimmen,  unb  wed)felnbe  Harmonie  51t 
erreichen  gewufjt  habe,  nicht  aber  jene  ernftc  Stetigfeit  bie  bei  allem  lebenbigen  gortfebritte  aud)  baS  20ian= 
nid)faltige  nod)  als  @infad)eS  erfebetnen  läfjt,  wie  wir  feinem  SSorgängcr  fte  mit  3icd)t  nachgerühmt  haben, 
"tfnbere  9J£eifter  beS  17ten  SabtbunbcrtS,  wie  etwa  dbrifiovl)  Sbomaä  SBallifer  in  feinen  Ecclcsiodiis 
(Strasburg  161-4)  bel)anbeln  ben  ßboral  ganj  motettenl)aft.  Sie  erlauben  ftd),  ehe  fte  bie  £au»tftimme 
eintreten  laffen,  ein  langet  SSorfviel  ber  übrigen,  fte  geftatten  am  Sd)luffe  ber  93tclobiczctlen  fürjere  ober 
längere  3wtfcbenräume  jur  äkqucmlicbteit  ber  'tfuSfübrung ;  ober  fie  zertrennen  bie  SDWobie  burd)  3mi^ 
fchenfä^e  unb  Sßieberbolungen,  wie  fte  benn  aud)  nid)t  feiten  biefelbe,  nad)  älterer  Söeife,  bem  Scnor 
jutheiten.  %t)re  Sonfä^c,  beren  Sßerth  hier  ganj  auf  ftd)  beruhen  mag,  ftellen  ftd)  baber  eine  ganj  anberc 
Aufgabe,  alö  bie  unfercä  SOieifterä,  unb  e§  mangelt  eine  jebe  SScjiebung  jwifd)en  biefen  unb  it)nen. 

Scheint  nun  öccarbö  ßinflufj  auf  bie  Skbanblung  be§  6l)oral§  tjienad)  ein  nur  örtlicher  geblieben 
üu  fepn,  fo  tritt  er  bod)  in  einer  anberen  Skjiebung,  wenn  aud)  nur  mittelbar,  um  fo  bebeutenber  hervor, 
ßccarb  hat  auf  baö  Crgelfpiel  alä Begleitung  beö  ©emeinegefangeä  eine  febr  erhebliche ßinwirfung geübt. 

% 


  479   


2Bir  werten  freilich  faum  behaupten  bürfen,  baß  jwifeben  beiben,  bem  OrgelfptcCe  unb  bem  JUr= 
cbengefange  ber  ©emeine,  fchon  jur  3ett  unferes  SOlcifterS  ein  folebe»  SSerbältniß  ftatt  gefunben  habe,  wie 
gegenwärtig  befteht.  Jg>atte  bie  £rget  nicht  noch  in  ber  elften  Jpälfte  be£  lßten  SabrbunterB,  wie  toor 
ber  Äirchenoerbefjerung,  allein  jur  Begleitung  be$  .£  u  n  ft  gefangeS,  unb  für  felbftänbige  Seifhmgen  be§ 
Ürganiften  gebient;  wäre  fte  bamaB  fchon  bei  bem  ©efange  ber  ©emeine  angewenbet  worben,  ihn  ju  ku 
ten,  ju  »erftärfen,  fo  würben  jene  febwärmenben  Bilber=  unb  Äirchenftürmer  nicht  gegen  fte  gewütbet,  unb 
mit  ben  Söerfen  bilbenber  Äunft  auch  bie  fcbbnften  SBerfe  tiefer  2Crt  jerftbrt  haben.  £ätte  man  in  ber  lefe= 
ten  Jpälfte  be3  SahrbunberB,  naebtem  jene  wilben  Bewegungen  beruhigt  waren,  bem  allgemeinen  ©efange 
auch  üollftimmigcn  £rgelflang  gefeilt,  fo  würbe  e§  um  1586  bem  waefern  Üucaö  £ftanber  nicht  fo  »iel 
^aebbenfen»  gemacht  haben,  „wie  bei  einer  @briftlicben  ©emein  eine  folche  ÜRuft'c  anjurichten  wäre,  ba 
gleichwohl  oier  Stimmen  jufammen  gingen,  unb  bennoeb  ein  jcberßbnft  wohl  mitfingen  fönnte";  e§  würbe 
ihm  auch  nicht  aB  ein  neuer  gunb  erfchienen  fenn,  bureb  einen  merftimmigen  ßbor  bie  ©emeine  leiten  §u 
laffen,  um  ihrem  ©efange  auf  biefem  SBege  eine  größere  gülle  unb  Einmuth  ju  verleiben.  2Bar  aber  biefer 
2Beg  einmahl  gewählt,  unb  in  bem  Sinne,  wie  £fianber  ihn  betreten,  fo  mußte  bie  Begleitung  ber  £Drgel 
felbjt  aB  unpaffenb  erfcheinen.  2kne  golge  bloßer  Sreiflänge,  mit  gleicher  Stärfe  auSgetönt,  wie  bie 
£rgel  e§  nicht  anbers  vermag,  unb  mit  burchbringenben  Stimmen,  wie  fte  für  bie  Leitung  einer  beträcht- 
lichen Spenge  Singenber  erforberlich  gewefen  wären,  hätte  etwas?  ÜberwältigenbeS,  unb  babei  bennoch  $al= 
tung§=  unb  garbtofe»  gehabt;  ganj  anberS  wie  bei  bem  reinen  ©efange,  bem  bie  manniebfaebfte  2tbfcbat= 
tung  be§  £one$  vergönnt  ift.  9lun  hatte  e§  unferem  SKeijier  gefchienen,  aB  ermangele  ein  foleber  leitenber 
ßborgefang  ber  Äunft  in  engerem  Sinne;  er  hatte  babin  getrachtet,  ihn  auf  eine  höhere  ©rufe  ju  erheben, 
©rbßere  SSollftimmigfeit  war  ihm  Bebürfniß  geworben,  ein  bewegter,  bebeutfam  gefchmücfter  gortgang, 
ein  2lbfe£en  unb  SStebereintreten  ber  begleitenben  Stimmen,  ein  fteteS  gortletten  be3  ©efangeS :  2flle§  ber 
2frt,  baß  e$  auch  bem  £rgelfptele,  aB  Begleitung  gebacht,  eine  beftimmtere  gärbung  unb  größere  Tännich; 
faltigfeit  geben  fonnte,  trolj  ber  nicht  ju  befeitigenben  Mängel  beö  SnftrumenteS.  Sem  Gibore  SftanberS 
hätte  bie  £rgel  nur  atS  ein  einiger,  üieljtimmig  erflingenber  Körper  jur  Seite  ftehen  fbnnen;  ©ccarbä  @hore 
gegenüber  bürfte  fte  erfcheinen  aB  ein  SSerein  melobifcb  eigentümlich  geglieberter  Stimmen,  bie  nun  auch 
bureb  9?egtftrirung  unb  2lnwenbung  ber  »erfebiebenen  SKanuale  unb  be3  9)ebaB  auSeinanberjubalten  waren; 
nicht  mehr  farblos,  bei  ber  möglichen  SSerbinbung  üerfchieben  gefärbter  Älänge ;  nicht  mehr  untüchtig  jur 
Leitung  ber  ©emeine,  ba  für  bie  SDZelobie  burchbringenbere  Stimmen  gewählt  werben  fonnten;  felbft  ber 
Ibfchattung  fähig,  bureb  ba§  2lbfe|en  unb  SBiebereintreten  ber  »erbunbenen  Stimmen.  Sie  burfte  fo 
erfcheinen;  benn  e§  fann  allerbingS  nicht  oerftebert  werben,  baß  fte  bamaB  fchon  fo  erfchienen  fen,  baß 
man  fte  in  biefem  Sinne  angewenbet  habe,  'tfüem  eS  liegt  in  ber  Statur  ber  Sache,  baß  eine  folcfye  2lnwen= 
bung  nun  nicht  lange" ausbleiben  fonnte.  Sie  Sbeitnabme  ber  ©emeine  an  ßboralgefängen  wie  bie  unfereS 
SJieifteB,  fefct  eine  nicht  geringe  unb  jugleicb  allgemeine  2üBbtlbung  be§  ©efangeä  bei  berfelben  »orau§, 
felbft  wenn  wir  annehmen,  baß  bafür  in  jener  Seit,  wo  man  mit  größerer  Siebe,  mit  tieferer  2tnbacht  in 
ber  .Kirche  fang,  bureb  bie  Schule  bereiB  eine  größere  SSorbilbung  ber  ©emeineglieber  ftattgefunben  r)abe. 
Unb  wenn  wir  auch  jugeben  müffen,  baß  ber  SSJlelobie  in  CrccarbS  Sä|en  ihr  »olleS  Stecht  gefebehen  fei),  baß 
er  ffcb  ber  üblichen  Singart  angefchloffen,  unb  ftch  nirgenb  wtüführliche,  ben  gleichmäßigen  gortfehritt  be§ 
©efange^  ftörenbe  SJuhepunfte  erlaubt  habe,  ba  feine  fortleitenben  äwifcfyenfäfee  niemaB  hinaufgehen  über 
ba§,  bem  rechten  SJiaaße  ber  SJlelobie  gesiemenbe  2(uSflingen  ber  Schlußtöne  jeber  einzelnen  3eile ;  —  wenn 


  480   


wir  aud)  alles  tiefet  eingegeben  muffen,  fo  fann  un3  t»od?  bte  Schwierigkeit  eines  fortbauernb  rechten  @in= 
ftimmenS  bei:  ©emeine  ntdit  verborgen  bleiben,  ba§,  wo  e3  einmal)t  unterbrochen  war,  aud)  ben  leitenben 
Sdngerd)or,  bei  fo  grofter  Übermacht  jener,  notbwenbig  in  Verwirrung  bringen  mußte.  2Bie  wir  nun 
balb  fd)on  nad)  unfere»  93leifter3  Eingänge  ftnben,  namentlich  in  ben  Sonfd^en  be§  9Kid)ael  $Prdtoriu3, 
baß  bei  bem  ©ottesbienjtc  ein  2Scd)fel  ftattgefunben  habe  im  ©ebrauebe  geifjlid)er  Sieber  jwifd)en  reinem 
©cfange  bes  SdngcrchorS,  ^Begleitung  einzelner  Stimmen  burd)  bie  Srgel,  unb  vollem  Sufammenfh'mmen 
biefer,  bei?  ßl)orc3  unb  ber  ©emeine,  fo  lafst  e§  fiel)  leidet  benfen,  baf  man,  wot)l  fd)on  bei  Sebjeiten 
(SccarbS,  wabrfd)einlid)  eben  bann,  aß  man  feiner  Seitung  entbehrte,  bei  feftttd)cr  ©elegcnf)eit  gewechselt 
haben  werbe,  Strophe  um  Strophe  jwifeben  reinem  Vortrage  feiner  Sonfä^e  burd)  ben  Sdngercbor, 
wobei  bie  ©emeine  bem  Siebe  leid)t  ju  folgen  vermochte,  unb  allgemeinem  ©efange  jur  Orgel,  bie  im  Sinne 
be§  SJJeijterS  begleitete,  aud)  nur  feinem  Sa£e  ft'cb  genau  anfd)ließen  burfte.  Senn  wie  wir  fat)en,  war 
biefer  ganj  geeignet,  auf  ihr  mit  2Btrrung  unb  3wecfmdfig!eit  vorgetragen  ju  werben,  ja,  er  entbehrte 
ber  Smifcbenfviele  nid)t,  bie  bei  ber  befonberen  ä3cfd)affenf)eit  ber  .Orgel  febon  unentbehrlich.  erfd)einen, 
wenn  ft'e  nid;t  ftetS  in  gleicher  gülle  unb  Starte  ermübenb  fortbraufen  foll;  3tt>ifd)enf»iele,  bie  hier  in  einer 
©eftalt  eingeführt  ftnb,  bie  ft'e  nid)t  aB  wuchembe  unb  fjorenbe  2lu3wüd)fe  barfiellt,  wie  ungefebidte  ober 
eitle  SDrganijlen  fiel)  barin  wohl  ju  gefallen  pflegen. 

2n  bem  treflieben  SBerfe,  von  bem  wir  bisher  gebanbelt  baben,  unb  von  bem  wir  nunmehr 
febeiben,  war  e§  bie  2lbftd)t  unferes»  5öieifter§,  aud)  bem  ©emeinegefange  bie  .Runft  ju  gefellen;  follte  ft'e 
bod),  nach  SutberS  2lu§f»rucbe,  burd)  ba§  Evangelium  nid)t  ju  S3oben  gefd)lagcn  fenn,  wie  2lbergeiftlid)e 
vorgaben,  fonbern  tbdtig  im  £)ienfte  iDcffen,  ber  fte  gegeben  unb  gefebaffen  habe.  Aber  auf  einem  anberen 
SBege  nod)  wollte  (Sccarb,  bap  fie  jum  Sobe  if)re3  Schöpfers,  tf?reä  ©eben?  gereiche,  inbem  ft'e,  aud)  in 
ihren  tiefftnnigjlen,  reichten  ©rjeugniffen,  bod;  ©eift  unb  ©emütb  ber  ©emeine  in  Anfprucb  nel)me,  unb 
nid}t  allein  nad)  bem  SSeifaUe  ber  Äunftgelel)rten  ringe ;  inbem  fte,  bem  allgemeinen  JUrd)cngefange  ftd) 
ndber  anfd)liefenb,  als  beffen  l)bl)ere  SBlütbe  erfd)eine.  35iefe§  ju  leiften,  eine  fird)lid)e  Äunfi  in  dd)t 
evangelifebem  Sinne  ju  fdjaffen,  bat  (Sccarb  in  feinem  legten  SBerfe  geftrebt,  feinen  ?J) reu fnfeben  §ef> 
Ii e bem,  in  welchem  bie  ©abc  bee  SangcreS  unb  be§  Selkers  in  il)m  ftd)  vereint;  unb  von  tiefem  2Berfc, 
bem  Scblufjftcine  feiner  Äunjltbdtigfeit,  gebenf'en  wir  nunmel)r  $u  bmibeln. 

Über  beffen  äußere  (Sinrid)tung,  feinen  Snl)alt,  b,aben  wir  juvor  bereits  im  Allgemeinen  berid)tet, 
unb  tonnen  il)tn  nun  fofort  nd!)er  treten.  2Bir  bemerrten  fd)on,  al»  wir  bie  geifllid)en  ©efdnge  @ccarbs>  in 
feiner  gemifd)ten  Sammlung  vom  Sabre  1589  bcfprad)en,  ein  beutlid)  bervortretenbeö  Streben  be3  93cei= 
fterS,  bei  Anwenbung  ber  für  Äunjtgefang  bamalS  allgemeinen  SDtotett en form  bießiebform  l)inburd)= 
febeinen  ju  laffen.  9?un  ifl  eä  biefe  le^tc,  auf  welcher  ber  allgemeine  Äird)engefang  in  evangelifd)em  Sinne 
beruht,  unb  jenem  Streben  GrccarbS  lag  bamalS  fd)on,  wenn  aud)  minber  bewupt,  bie  2lbfid)t  ju  ©runbe, 
Äunftgefang  unb  ©emeinegefang  in  ein  Icbcnbigcree»,  inntgereö  SScrl)dltni(3  ju  bringen.  SJitt  9icd)t  ftnben 
wir  in  jenen  früheren  SScrfudien  bie  Äeime  begjenigen,  wa§  fvdtcr  in  ben  Jeftliebern  3U  voller  5ßlütbe  ft'd) 
entfaltete,  gretlid)  war  biefe  Entfaltung  in  ber  Seele  unfereä  SDicifterä  nothwenbig,  wefentlid)  vorbereitet ; 
es  fehlte  aber  aud)  an  dufteren  SSeranlaffungen  nid)U  ft'e  JU  befbrbern.  3u  tiefen  gehörte  bie  im  Saufe  be§ 
lOten  Sahrhunbertö  immer  mehr  wad)fenbe  Siebe  jur  SSonfunjl,  burd)  weld)e  fte  ftd)  über  Greife  vcrbrei= 
tete,  benen  ft'e  früher,  wenn  aud)  nicht  fremb,  bod)  weniger  jugdnglid)  gewefen  war.  Sn  älterer  3eit  Ijatte 
man  bes  mehrftimmigen  ©efangeS,  neben  feiner  geiftigffen  unb  würbigfjen  Anwenbung  in  ber  Aird)e,  faum 


  481   


anberö  fid)  bebtent,  als  „jur  3iecreation  bei  eljrltdjen  Conviviis"  ober  beim  SEanje,  ftd)  mebr  fmnltd)  baran 
wergnügenb.  2fllgcmad)  aber  fanb  er  als  eble  Sterbe  nun  aud)  Eingang  bei  feftltd)en  ©elegenbeiten,  bte, 
junddbft  nur  £au3  unb  gamilie  angebenb,  in  biefen  bod)  an  bie  bödmen  S3ejiel)ungen  erinnerten,  baS  Seben 
be3  (Singeinen  al§  innig  »erbunben  barjMten  mit  ber  Äird)e,  bie  in  ibren  Wienern,  fegnenb  ober  trbjtenb, 
babei  eintrat.  £ier  nun  erfdn'en  ba§  funftreidje  SDiotett,  wo  e§  triebt  etroa  burd)  einen  .Kunftgelebrten  au§= 
brüdlid)  geforbert  mürbe,  ju  anfprud)3ooll,  gu  feterlid),  bie  Siebform  bagegen  heiterer,  allgemeiner  fajjlid) ; 
aud)  lag  ber  SSttittetroeg  nafje,  biefe  gorm  einer  tontuttftlerifd)  forgfälttgeren  £>urd)fül)rung  aB  ©runblage 
gu  geben,  mie  mir  eS  bei  jenem  .£>od)gett3liebe  unfere§  SRetfterS  über  ben  128ften  *Pfalm  roabrnabmen.. 
£)iefe  ©elegenbcitSgefänge  ftnb  ntd)t  of)tte  roefentlicben  dinfluß  geblieben  auf  bie  ZCuäbilbung  ber  gorm  be$ 
JeftltebeS;  fte  bat  an  ibnen,  al§  Vorübungen,  bei  unferem  SDieijler  ftd)  allgemad)  entroidelt.  SBte  in  ben 
allgemeinen  Äircbengefang,  neben  jenen  uralten,  ^eiligen  SBeifen,  aud)  bie  SKelobte  be§  roeltlicben  StebeS 
©ingang  gefunben  batte  unb  burd)  ibn  geroeü)t  roorben  war,  rote  auf  biefem  SBege  eine  Sermittelung 
groifd)en  ber  £ird)e  unb  bem  Seben  ftd)  gebilbet  batte,  fo  erbfnete  ftd)  nun  aud)  ber  SBeg  gu  einer  äbnlicben 
S3ermittelung  groifd)en  Äunfrgefang  unb  getftlid)em  33olfSgefange.  Sener  füllte  niebt  länger  biefem 
febroff  entgegenjteben ;  ba§  SQiotett  follte  nid)t  etwa  serfebwinben  aus>  ber  Jtird)e,  benn  e§  mar  bie 
feierlid)jte,  feftlicbite  gorm  be§  ©efangeä,  bod)  follte  e§  auf  ber  ©runblage  beruben,  bie  für  ben  e»ange= 
lifeben  Äircbengefang  einmabl  fdbtert  bie  allgemeine  fet;n  gu  müffen,  ber  be§  SiebeS.  £>afj  alle  Sonfäge 
6ccarb§  in  biefem  SBerfe  in  ber  £l)at  auf  fte  gebaut  ftnb,  geigt  fd)on  ber  iJlame  „gefilteber,"  ben  er 
ibm  beigelegt  bat;  unb  bod)  roie  mannid)fad)  tritt  fte  in  tl)nen  b^oor!  (SS  ftnb  beren,  roo  bie  einfad)e 
9J2etobte  unbebingt  berrfd)enb  waltet,  unb  bie  begleitenben  Stimmen  ttjr  nur  bienen,  roo  fte  alfo  aud)  für 
ben  ©efang  ber  ©emeine  geeignet  ijl,  roie  bei  jenem  Siebe  tton  $eter  #agen  für  baS  gejt  ber  SSerfünbigung 
ber  SKaria : 

greu  bid)  bu  roertbe  Gbriftenbett*), 

£>ein  £eil  ijt  jefct  »orbanben  tc. ; 
anbere,  roo  baS  Sttotett  in  allem  ©lange  retdber  2lu3fübrung  »or  unS  ftebt,  unb  baS  ©ange  bennod)  ©eftalt 
unb  35ebeutung  erji  burd)  bie  Siebform  empfängt,  wie  jener  SBeibnacbtSgefang  ©eorg  9?etmann3 : 

JD  Sreube  über  Steub!**) 

£>a  ift  fte  nun  bie  3cit/ 

25  a  unS  gum  £eit  unb  Rommen 

£5er  eroig'  ©Ott  ift  fommen 

Sn'S  gleifd)  obn'  alle  «Sünben, 

SDßit  uns  ftd)  gu  öerbinben, 

Sungfrau  SEßaria  auSerfor'n, 

Sie  bat  ibn  in  bie  2Belt  gebor'n; 
anbere,  roo  balb  mebr  bie  eine,  balb  bie  anbere  gorm  ftd)  geltenb  mad)t,  immer  im  innigjlen  (Sinflange 
mit  bem  Snbalte  be§  SiebeS.   Um  btefeS  beutlid)er  ju  mad)en,  t»erfud)en  roir  an  einigen  SSeifpielen  e§  ju 
erläutern,  fo  febroer  e§  aud)  fevjn  mag,  eben  an  drjeugniffen  ber  Sonfunfl  bie  dinbeit  beä  ©eijie§  unb  ber 


•)   ©.  SSeifptet  9iro.  140. 
")   @.  SSeifptet  9lro.  143. 
b.  SBinterfelb,  ket  esongtl.  (S^erotgefang. 


61 


  482   


gorm  beizulegen,  unb  baäjentge  in  SBorte  ju  faffen,  »a§  in  feiner  ganjen  gülle  nur  in  Sbnen 
fieb  aufriebt. 

:Da3  erfte  ßieb,  ba§  nur  baju  wallen,  ift  eineö  bon  ßubroig  #elmbolb  auf  ba3  Seft  ber  Jpeim; 
fuebung  ber  Wlaxia : 

Über'§  ©ebtrg  9Raria  gebt 

3u  ibrer  S5af  (Slifabetb.*) 

25a  büpft  ba§  Äinb  in  beren  ©eboofj, 

3n  ©eifteS  Drang'  ibr  SSBort  ertönt: 

De»  Reiten  Sttuttcr,  fct>  gegrüßt! 

SKaria  warb  frbl)lid)  unb  fang: 

SJiein'  ©eel'  ben  £erm  ergebet, 

5SKein  ©eijt  ftcb  ©otteS  freuet, 

(§r  ifi  mein  Jpetlanb,  fürchtet  ibn! 

Qx  will  alljeit  barmfjerjig  fetm!**) 
5Öir  feben,  baö  ©ebiebt  tbeilt  fid),  ber  gorm  nad),  in  jroei  2£bfd)nttte,  ber  erjie  ju  vier,  ber  leiste  ju  feebs 
3eilcn  5  bem  Stielte  nad)  würben  mir  e§  anberS  orbnen,  unb  bie  erften  fecb§  3eilen,  welcbe  nur  erjäblenb 
ftnb,  als  ben  erften  Sbeit  betrachten,  bie  folgenben  bier,  bic  au§  bem  ßobgefange  berSöiaria  bie  bebeu-- 
tenbjien  Süge  berborfyeben,  ol§  ben  jroeiten.  ©ebr  finnig  f>at  (Sccarb  bier  eine  SSermittelung  treffen 
genügt.  Die  beiben  erften  3eilenpaarc  Ijaben  in  feinem  fünf ftimmigen  ©a^e  gleiche  SSetonung ;  baS 
erfte  fcbliefjt  böllig  ab,  in  ben  @d)lufjfaU  be§  ^weiten  mebt  ber  ©efang  ber  folgenben  fünften  Seile  ftcb 
binein ;  biefe  aber  unb  bie  fecbjle  erfd)einen  nur  als-  einleitenb  ju  bem  Sobgefange,  bem  Äerne  be§  ©anjen, 
ber  in  feinen  erften  brei  Seiten,  faft  burd)gdngtg  Son  gegen  Zon  gefegt,  »or  allem  Übrigen  fid)  au$jeid)net, 
unb  in  ber  werten,  legten  Seile  erft  bie  motettenl)afte  33ef)anblung  wieber  ergreift.  £)urd)  ba§  ©anje  bin 
fkllt  bie  £berjiimme  eine  in  fid)  genügenbe  SDMobte  bar;  unb  wie  bebeutfam  roirb  fie  bureb  bie  übrigen 
t>ier  (Stimmen  entfaltet!  Sucrft  vereinen  fid)  biefe  ju  einem  felbftänbigen  ßfjorgefange,  biefem  gefeilt  fid) 
bann  bie  £)berjiimme,  um  einen  Saft  il)nen  nad)tretenb,  unb  fd)tt>ebt  leid)t  unb  anmutig  über  ibnen. 


')  Sie  aroeire  bis  fünfte  3eilc  lauten  urfprüngltcf) : 

3u  ber  fcfjrcangcrn  (Slifabetf). 

Dag  Ainblein  tjüpft  in  ibrem  2cib, 

Der  beilig  ©etft  bureb/g  SBort  fie  treibt, 

25afj  fic  beg  Herren  «Kutter  nennt  2c. 
Die  leifc  tnberung  bei  bem  Unterlegen  beg  SertcS  in  bem  mitgeteilten  SSeifpiele  bat  nur  bie  2tbfid)t  gehabt,  bureb, 
Tilgung  einiger  Unebenheiten  beg  ©cbicfjteg  ben  burcf)roeg  unocrä'nbcrtcn  Sönen  beg  9Keiftcrg  Dotiere  ©credjtigfeit  roiber-- 
-  fahren  ju  laffen.  Die  urfprünglicfjen  SBortc  ftcfjen  bjer,  bamit  nirgenb  ber  biftorifdjen  SSreue  Sintrag  gcfcfjefje.  einem 
Seben  bleibe  fo  bie  SBafjl,  rocldje  er  bei  bem  ©efange  cor^cn  woUe.  —  2£uc^  bie  zweite  ©ttoptje  unfereS  Ct'ebeö  ift 
ber  Mufbercaljrung  wertt).    ©ie  lautet : 

2BaS  bleiben  mir  immer  bafjeim? 
2Cud)  ung  laßt  auf'ö  ©ebirge  gefjn! 
£>a  cing  bem  anbern  fpreetje  ju, 
Deg  ©eifteg  ©ruß  bag  >^erj  au'ftbu', 
Saoon  cg  freubig  «erb'  unb  fpring, 
Der  ©eift  in  «abrem  ©lauben  fing: 
«Kein'  ©eel'  ben  ^errn  erfjebet  it. 

")   @.  Seifpiel  9lro.  141. 


  483   


Sie  ahmt  ben  ©efang  ber  jweiten  Stimme  nach,  ber  gübrcrtn  jerteö  ihr  »orangehenben  ßhoreS,  aber  fte 
jkigert  ihn  jugleicb.  auf  jarte  SOBeife,  ftd)  höher  binauffcbwingenb  als  jene;  eS  ift  wie  eine  innigere  Antwort 
auf  ben  juoor  oernommenen  ßiebeSruf.  Unb  wenn  am  Gmbe  ber  jweiten  unb  werten  Seile  bie  Dberftimme, 
bat  fte  gleich  bie  eigentliche  melobifd)e  Scblufjwenbung,  bennoer;  fiel)  binabfenft  unter  bie  zweite,  unb  biefe 
nun  mit  einem  leeren  Tone  über  ifjr  fd)webt,  gleid)  bem  burchftebtigen  Spiegel  einer  flaren  Quelle,  ber 
baS  »on  if>r  Überjlrbmte  nicht  »ertjüüt,  fo  empft'nben  tr>ir  wohl  etwas  bem  gleid),  waS  £utf)er  in  bem  3Bed)= 
felfpiele  ber  Stimmen  eines  ©efangeS  „Jperjen"  nennt,  unb  „liebliches  Umfangen";  baS  lebenbigjte  SSilb 
frommen  JpeimfucbenS,  freubigen  33eretnenS,  wie  bie  SiebeSmorte  eS  befd)reiben.  SiefeS  33  Übliche, 
'tfnfchaulicbe  ift  eS,  baS  unfern  ©efang,  wie  fo  ttiele  anbere  in  gccarbS  geftliebern,  fo  ungemein  anjicfjenb 
mad)t.  SOitt  bem  ©rufe  ber  Slifabetb  an  9Jlarta,  bem  oermittelnben  ©liebe  jroifd)en  (Srjäblung  unb  ßob= 
gefang,  gewinnt  baS  ©anje  einen  l)6l)ercn,  fül)neren  Schwung,  greubig  ftreben  beibe  Tenore  empor, 
bie  ©runbjtimme  folgt,  nad)al)menb,  bie  Dberftimme,  in  tijrert  tieferen  Tonen,  leitet  bie  SJiobulation 
in  baS  ^tjrrjgtfdje  hinüber,  bie  jweite,  fte  überflügeint»,  wenbet  fte  »on  ba  ju  bem  '#otifd)en  bin; 
nun  ergebt  ftd)  bie  erfte  Stimme  wieberum  über  jene  in  hohen,  gellen  Tbnen,  unb  fd)ritfroetfe,  in 
fanften  SSinbungen,  ftd)  fenfenb,  ben  »ollen  ßhor  bel)crrfd)enb,  ftnbet  fte  baS  3onifd)e,  bie  ©runbton= 
art,  wteber.  Sie  bemütl)ige  Jungfrau  beugt  ftd)  ttor  bem  ©rufe  ber  älteren  greunbin,  im  33eroufitfewn 
ihrer  9tiebrigfeit,  aber  mit  bober  greube  erfüllt  fte  jugleid)  baS  ©efül)l  ihrer  geheimnisvollen  33egnabigung, 
unb  fo  bfnet  fte  bie  Sippen  ju  begeiftertem  Sobgefange.  Sie  einfachen  Sreiflänge,  in  benen  biefer,  er(t 
brei=,  bann  fünfjiimmig,  in  fortgebenber  Steigerung  erflingt,  bilben  gegen  baS  SSorangegangene,  worin 
burebgängig  faft  bie  Stimmenüerroebung  beS  SSJiotettS  »orberrfd)t,  ben  bebeutfamften  ©egenfa^,  unb  (äffen 
eben  hier  ben  SJiittelpunft  beS  ©anjen  erfennen.   Sie  erftert  jwei  Seilen  biefeS  TbeileS : 

SKein'  Seet'  ben  £erm  erbebet, 
«Kein  ©eijr  ftd)  ©otteS  freuet, 

ftnb,  in  bem  Tonumfänge  won  C,  mtrolpbifd)  gefungen;  bie  2tuSweid)ung  nad)  ber  britten  Heineren 
Stufe,  abwärts  »on  biefem  Tone,  baS  ^)er»orl)eben  ber  ft'ebenten,  ebenfalls  fleineren  Stufe  aufwärts  »on 
ihm,  prägen,  in  bem  geringen  Umfange  weniger  Safte,  bie  ©igentbümlid)!ett  biefer  ftrd)lid)en  Tonart  auf 
baS  £3efiimmtejte  auS ;  mir  würben,  olme  bie  SEBorte  ju  üemehmen,  bod)  empft'nben,  baf  eS  ein  heiliges 
Sieb  fen,  baS  in  tiefen  Tonen  erflingt.   9JJit  ber  Seile : 

(ür  ift  mein  4?etlanb,  fürchtet  ihn ! 
erbebt  ftd)  baS  ©anje  auf  ben  bbebfien  ©ipfel ;  aud)  bie  ©runbtonart,  —  bie  ionifebe  in  bem  Umfange  Bon 
F,  —  empfängt  in  bem  mäd)tig  auSgetönten  Sreif lange  if>rer  ft'ebenten,  t>ter  fleineren  Stufe  aufwärts  (Es), 
einen  mtrolpbtfcfoen  2£nl)aud),  ber  bebeutfamer  nod)  berüortritt,  ba  aud)  rfyntfymifcber  SBechfel  ihm 
gefeilt  ift;  unb  nun,  ftd)  wieber  abwärts  netgenb,  fcbliefit  baS  ©anje  in  lieblicher  Stimment-erwebung 
mit  ben  trbiilid)en  SBorten : 

(Sr  will  alljeit  barmherzig  fe»n. 
^)ier  wirb  bie  £berfiimme  nid)t  allein  t>on  ber  jweiten,  fonbern  aud)  ber  britten  Stimme  überflügelt;  unter 
beibe  fenft  fte  bemütfug  ftd)  hinab,  allein  ihre  Sd)lufwenbung  wirb  bennod)  beutlid)  »ernommen,  unb 
gefiebert  nod)  erfd)etnt  hier  am  gnbe  beS  ©anjen,  waS  an  bem  ber  erften  beiben  Seilenpaare  unS  fdjon  fo 
anmutbig  unb  finnig  erfchien. 

61* 


  484  

<5in  lebent>tge§  33ilb  beffen,  wa$  bte  2Borte  bc§  Stebcä  un3  entgegenbringen,  erfcfyetnt  in  biefen 
Sönen,  aber  ^gleich  eine  fromme,  geiftooEe  Erinnerung  an  bie  SBorte  ber  heiligen  Schrift,  bie  fid>  auf 
ba§  geff  bejiehen,  ba§  burch  unferen  ©efang  gefeiert  werben  foll.  Sene  fd)one  @rjdf)(ung  t>on  bem  S5efud)e 
ber  ^eiligen  Jungfrau  bei  ihrer  greunbin,  balb  nach  ber  SSerfünbigung  be§  (Engels  an  fte,  »on  bem  begei= 
{taten  ©rufje,  womit  biefe  fte  empfing  al3  SERutter  be§  Jpcrrn,  t>on  ihrem  erhabenen,  bemütf)igen  2obge= 
fange,  wirb  in  ben  ttr$fi$en  2£bfeJ?nittcn  ber  (Schrift  für  ba§  geft  ber  #cimfuchung,  mit  Bielen  anbern, 
prophetifeben,  bichterifchen,  lehrenben  unb  ermal)nenben  ©teilen  berfelben  in  SSerbtnbung  gefegt.  Sunäcbji 
mit  jenen  Sßorten  be§  3efata3/  wo  er  üerfünbet,  baß  ein  Sweig  ber  SBur^el  Scffe  grud)t  bringen,  bafi  auf 
ibm  ber  ©eijt  be§  #errn,  ber  SBetSheit,  be§  9?atl)3  unb  ber  ©tärfe  ruhen  werbe  (XI.  1.  2.);  bann  mit 
jenen  bcj>  £ohen  2icbe§,  ba  mit  bem  l)erbeige?ommcnen  Senje,  ben  fyerüorgefprofsten  S3lumen,  bie  ©timme 
be§  greunbeä  laut  wirb,  ben  nach  ben  lieblichen  Sbnen  ber  greunbin  »erlangt  (II.  8—14.) ;  mit  ber  Sefyre 
bes>  StomerbricfeS  enblich,  meldte  bie  SSrünftigfeit  be§  ©eiftesi  empfiehlt,  bie  -£>erjltchfett  ber  brüberticfyen 
Siebe,  bie  juüorfommenbe  @l)rerbietung.  Clingen  nicht  alle  biefe  5£6ne  an  bei  unferem  SJJeifier,  in  ber 
anmut[)igjien  83erfcb,me[jung,  füblen  wir  nicht,  baf?  bem  tatest  fo  fepn  würbe,  wenn  ba3  SBort  nicht  lebem 
big  geworben  wäre  in  feinem  Innern?  Sa,  wir  bürfen  ihm  nachrühmen,  baft  wenn  jene  2lufforberung  beS 
'ilpoftcB,  baS  SBort  immer  reid)lid)er  wohnen  ju  laffen  in  ber  ©emeine  be3  #errn,  ntdtjt  allein  »on  bem 
gefprochenen  ober  gefd)riebenen,  fonbern  vornehmlich  aud)  bem  in  SErjat  unb  2eben  übergegangenen  ju  »er= 
flehen  tft,  er  burd)  bie  Äunft,  al§  feine  etgenfte  Sl)at,  eS  geleiftet  l)abe,  fo  m'el  an  ib,m  war. 

Äbnnen  wir  biefeS  Sieb,  wie  unfer  50ieifter  e3  fang  unb  feljte,  einen  ©efang  heiliger  Siebe  nen-- 
nen,  fo  trägt  ein  anbereS,  auf  ba§  gejt  Rannte  be3  SäuferS,  ba§  ©epräge  eincS  ©laubenSliebeS. 
©ebid)tet  ift  e§,  wie  ba§  vorige,  von  ßubwig  ^elmbolb,  unb  jieEt  in  ärmlicher  SSBeife,  erjählenb  unb 
ftngenb,  ben  ßobgefang  be3  3  a  ch,  a  r  i  a  3  bar : 

£)er  3ad)arta§  ganj  vermummt*), 

33i§  baf  von  feinem  SÖßeibe  fummt 

©in  ©of>n  burd)  ©otteS  ©üte; 

S3on  welchem  bie  3ufag  gefdjehn, 

£)af  er  follt  vor  bem  Spexxn  ftevgebn, 

£>efj  freut  ft'dj  fein  ©emütf)e; 

©er  ©eijl  bie  ©prad)  il)m  wieberbringt, 

SJZit  greuben  I;ebt  er  an  unb  fingt: 

©elobet  fep  ber  £erre, 

©anj  Sfwel  if)n  el)re! 

©r  b«t  befucb,t,  er  I;at  erlof't 

©ein  SSolf,  glaubetö,  unb  fepb  getrofi! 
2)er  S5au  won  bem  S£onfa^e  unfere§  9Keifter§  über  biefeä  ßieb  ift  in  feinen  allgemeinen  3ügcn  bem  beö  juoor 
befprodjenen  äbnlid),  bei  aUer  großen  &crfd;iebenf)eit  beö  einjelnen.    @r  ift  fünfftimmig  wie  jener;  wir 
untertreiben  in  ifjm,  übereinjlimmenb  mit  ber  ©tropbe  be§  Siebe§,  ju  Anfange  je  bret  unb  brei  gleich, 
betonte  3eilen,  beren  erfte  brei  benimmt  abfd)ließen,  bie  jweiten  aber  bei  ihrem  ©chluffalle  fid)  mit  bem 


•'   6.  »etfpiel  9lro.  143. 


  485   


©efange  ber  folgenben  beiben  3eilen  oerfetten,  bie  als  fermittelnbeS  ©lieb  hinüberleiten  ju  bem  gobgefange, 
ben  bie  üicr  lefcten  uns  bringen.  2lud)  tjter  {teilt  bie  SDbcrftimme,  boch  nur  bis  hin  ju  ber  legten  #ätfte 
beS  fediften  SafteS  »om  dnbe  beS  ©anjen,  eine  für  ftd)  bejiehenbe,  »ollftänbige  SKelobie  bar;  biefe  gef)t 
inbejj  an  ber  bejeid)neten  ©teile  über  in  bie  jweite  Stimme,  inbem  ft'e  bort  ihren  ©chlufjton  burd)  bie  legten 
brei  Safte  fortfallen  läfüt.  ©onft  f)errfdjt  ft'e  burd)  baS  ©anje  hin  unbebingt  über  bie  anberen  Stimmen, 
üon  benen  feine  ft'e  überfcfyreitet.  ©anj  einfachen  ©a£,  Son  gegen  SEon,  laffen  nur  bie  erfte  unb  britte 
Seile  in  tMerjtimmigcm  ©cfange  unS  hören,  wdhrenb  bie  britte  ©timme  fd)weigt;  wirffamer  unb  einbringe 
lieber  burd)  rh>)thmifd)en  2Bed)fel,  inbem  baS  bewegtere,  breitheilige  Sföaaf?  finüberleitet  in  baS  ernjtere, 
jweitheiltge.  2Sie  bie  3weifel  beS  betagten  ^PriefrerS  an  ber  ifym  gefchchenen  S5erl;eipung  übergeben  in  wolli- 
ges 58crjtummen,  unb  fein  inneres  ©fr  nun  ben  »erflungenen  SBorten  berfelben  laufet,  bie  bajwifchen, 
in  funjtreidjer  SSerflechtung  ber  ©timmen,  ertönen;  roie  fein  ©emütf)  baoon  beroegt  wirb,  fct)ilbern  unS 
lebenbig  biefe  Seilenpaare.  311S  aber  ber  ©eift  bie  SSanbe  ber  3unge  bem  33erj!ummten  wieber  Voft, 
fdbwingt  ftd)  ber  ©efang  mactjtig  auf,  bis  baS  Soblieb  felbft  beginnt,  Anfangs,  im  ©egenfafee  ju  bem 
SSorangegangenen,  mehr  auSgejetdjnet  burd)  ben  TluSbrucf  tiefer  SSeugung  unb  £)emutf),  als  burd)  eine 
abroeidjenbe  gührung  ber  ©timmen.   Sod)  nun,  in  ber  3etle: 

„©anj  Sfrael  tf)n  ehre" 

erregt  ein  felteneS  SSerhdltnij?  ber  £berfttmme  gegen  bie  tieferen  unfere  »olle  'tfufmerffamfeit.  £)tefe  bewegen 
ftd)  fort,  rfr;tl)mifd)  wed>felnb,  auS  bem  breitheiligen  SÜJaafje,  Son  gegen  Son,  übergel;enb  in  baS  jwei= 
heilige,  bei  beffen  (Eintritte  bie  jweite  ©timme  in  Serjengängen  ber  oberen  ftd)  anfcfyliefjt;  jene  bagegen 
bewahrt  wäbjenb  biefer  ganjen  Bette  unüeränbert  baS  jweitheilige.  S)ie  eigentl)ümlid)fte  SBirfung  mad)t 
biefe  83erfnüpfung  feierlicher  ©tetigfeit  mit  fortjirebenber  ^Bewegung.  £>iefe  erfetjeint  bei  ber  tiefen  Sage 
ber  ©timmen,  in  benen  fte  bargejlellt  wirb,  bennod)  ernjt  unb  gemeffen;  cS  i|t,  wie  ein  rafcfyerer  ©d)lag 
beS  £erjenS,  währenb  baS  2Bort  nur  tiefe,  fttUe  Anbetung  auSbrüdt,  ober  wie  bie  in  (Styrfurdjt  jurüdge* 
haltene,  ftaunenbe  ^Bewegung  ber  juhord)enben  Spenge,  als  nad)  langem  ©d)weigen  bie  ßippe  beS  $)riefterS 
ft'e  wieberum  aufforbert  ju  heiligem  Sobgefange.  Smmer  frdftigeren  ©diwungeS  ergebt  ftd;  biefer  ju  ben 
SBorten:  ,,@r  tjat  be\u<i)t,  er  l;at  erlbft  fein  33olf,"  bis  bie  tieffiten  ©timmen,  in  lang'  auShallenben 
Sönen,  auf  bem  SSorte:  „glaubt'S"  it)m  bie  würbigfte  unb  feierliche  ©runblage  bilben.  £at  nun  bie 
in  bie  jweite  ©timme  übergegangene  SDMobie,  jufammenflingenb  mit  bem  jweiten  Senore,  ben  ©d)lu§ton 
hören  laffen,  ber  bis  jum  @nbe  beS  ©anjen  in  t£>r  fortflingt,  fo  rufen,  t)iet  wieberum  gleichgefellt,  bie 
übrigen  ©timmen  mit  9}ad)brud  bie  SBorte  nod)  einmaf)l  baju  auS:  ,,©laubt'S,  unb  fei)b  getroji," 
unb  fronen  fo  unferen  ©efang.  (§r  tragt  nicht,  wie  ber  »orige,  baS  ©epräge  jarter  Einmuth,  fonnenf)eller 
£  eiterfeit,  ntd)t,  wie  bort,  blüht  baS  ßoblieb  f)«oor  gleich  einer  S3lume  auS  bem  uon  ßiebe  burd)brungenen 
©emüthe.  $ier  f)errfd)t  Stefftnn  t>or  unb  fettiger  @rnft ;  auS  bem  35erftummen  beS  3weifelS  ergebt  ftd) 
ber  ßobgefang  beS  ©laubenS.  Sie  ©runbtonart  tjt  baS  £>orifd)e  in  feiner  SSerfe^ung ;  bis  auf  bie  auSge= 
zeichneten  ©teilen  herrfd)t  überall  bie  ©timmenoerwebung  beS  9KotettS  oor,  bie  in  Nachahmungen  ftd)  bar= 
ftellt,  in  benen  jumeiji  ©timmenpaare  einanber  gegenüberjtehen,  ober,  wenn  einzelne  ©timmen,  alSbann 
biefe  gegen  einen  breiftimmigen  6hor  geftellt,  woburd)  eine  feltenc  Sülle  unb  .Kraft  entftef)t. 

9?eihen  wir  für  unfere  ^Betrachtung  ber  geftlieber  CrccarbS,  ohne  unS  an  bie  golge  ju  binben,  wie 
beffen  ©d)üler  fte  nebeneinanberftellt  in  ber  2TuSgabe  feineS  SBerfeS,  biejenigen  jufammen,  bie  in  ndchfter, 
innerer  SSejtehung  »erfnüpft  ftnb,  fo  hohen  wir  jefct  tton  jenem  2Bethnad)tSliebe  ©eorg  SfeimannS  ju  reben : 


  486   


£>  greube  über  greub,  *) 

DcfTen  2Borte  roir  fcfyon  volljtdnbig  mitteilten,  unb  fein  ©evrdge  in  unfereS  SOletftcrö  Sonfafce  bereits  im 
'ifllgemeinen  anbeuteten.  $ier  begegnet  un§  ein  fDiotett  ju  jwei  vierftimmigen  ßbören,  ber  eine  von  fioben, 
Der  anbere  von  tiefen  Stimmen,  beibe  von  manniefefaefifter  33efianblung.  SEBo  fte  mit  einanber  rveefifem, 
unb  burd)  ifiren  Tonumfang  febon  ftcfi  gegenfeitig  fiervorfieben  in  biefem  SBecfifel,  fierrfefit  einfache  33eto= 
nung  vor;  rvo  fte  bauemb  ftcfi  verbtnben,  tritt  bie  funjtreicfie,  motettenfiafte  SSerroebung  ein,  boefi  fo,  bafü 
nun  niefit  mebr  ein  £)  ovvelcfior,  fonbern  ein  »oller,  acbtjtimmiger  ftcfi  bilbet,  in  roelcbem  ©timme 
um  «Stimme,  nicfyt  ßfior  gegen  ßfior,  fiel)  nadjabmenb  bewegen.  SBcnn  im  ^Beginne  be£  ©efangeä  bie 
l>ot)e  greube  laut  roirb  über  bie  nun  erfüllte  3ett  ber  Skrfietfjung,  ba  fierrfefit  in  bem  SBccfifel  ber  gegenfeitig 
in  ihre  ©#luf falle  eingreifenben  ßfibre,  ba3  brettfieilige  SDiaaf  vor;  bie  fidleren  .Klange  bc§  fiofien  CüfioreS 
gefien  voran,  unb  bie  ernfieren  be§  tiefen  ,  bie  ifinen  nacl) folgen,  ertbnen  um  fo  naefibrücf lieber,  als  fte  in 
bie  verfiatlcnben  Saute  jene3  mit  vollftem  3uf<immcnflangc  eintreten.  £)a3  jroeitfictlige  SQcaaf?  regelt  ben 
acfitfttmmigcn  ©a£,  ber  nun  ftcfi  anfcfiliefj t,  ju  ben  SSBorten : 

£>a  un§  jum  Spe'd  unb  frommen 

£>er  ervig'  ©ott  ift  fommen  tc. 
SSJiit  ifim  tritt  utgletcfi.  jene  ©elbftdnbigfcit  ber  einzelnen  Stimmen  ein,  rote  roir  fte  befefirieben,  au§  beren 
9cacfiafimungen,  bei  ben  etnfaefiften  ©runb^armonieen,  ber  feierlidbjie  unb  »rdcfittgfte  (Efiorgefang  ftcfi  jufatru 
menreebt.   (S§  tont  fiter  ba3  SSenmjütfevn  einer  fiofien  ffiegnabtgung  au§,  bie  in  bem  lebenbigen  ©efüfile 
ber  (Einzelnen  jugletcfi  ein  erfiebenbeS  ©efammtgefüfil  roirb.   S5ei  ben  folgenben  3etlen : 

Sn'§  gleifdb,  ofin'  alle  ©ünben, 

fSlit  un§  ftcfi  ju  verbinben, 
belebt  rfiptfimtfefier  SBBedbfcI,  mit  bem  breitfieiligen  SÖZaape,  rote  jumeifi,  beginnenb,  unb  in  baö  jroeitfieilige 
übergefjenb,  ben  roieberfefirenben  ©egenfa|  etneä  fiofien  unb  tieferen  ßfiore§,  roelcbe,  nacfiflingenb,  julefct 
frdftig  in  einanber  greifen,  unb  einen  volligen  ©cb/lufj  in  ber  ©runbtonart,  ber  tonifefien,  bilben.  9tun 
fcfiliefjt  ein  jroeiter  Sfieit  be§  ©efangeS  ftcfi  an.  Sßicbcntm  gefit  ber  fibfiere  (üfior  voran,  in  breitfieiligem 
SJiaajje,  unb  einer  golge  fiarter  £>reifldnge,  bie  an  jroet  ©teilen  nur  von  einem  roetefien  unterbroefien  wirb, 
bie  SSBorte  auSfvrecfienb : 

Jungfrau  SDiaria  auSerfor'n. 
£>er  tiefere  @fior  tont  fte  ifim  naefi,  boefi  ofine  Eingreifen,  er  lafjt  ben  ©cfilufflang  jeneö  crfi  völlig  verfial-- 
len;  um  fo  mdefitiger,  feuriger,  bringenber,  in  ber  engjtcn  9cacbafimung  ber  einzelnen  ©türmten,  »ernefi= 
men  mir  aber  bie  ©cfilufnvorte : 

2Me  fiat  ifin  in  bie  SBelt  gebor'n. 
£ier  fefirt  auefi  ber  ad)tftimmige  ßfiorgefang  roieber,  auf  furje  3eit  nur  unterbroefien  burefi  einen  gleicfige* 
glieberten,  vierftimmigen  bee>  tieferen  ßboreS,  naefi  roelefiem  bie  mdcfitigjtc  Tonfülle  ben  großartigen  ©trom 
be§  ©efangeä  ju  feinem  3iele  fiinleitet. 

£5a3  einfaefie  fiarmonifefie  ©ntfalten,  ba§  funjtreicfie  SSerroeben,  jtefien  fiter  gegenüber,  Gfioral 
unb  SJcotett;  in  jenem  roirb  bie  ßiebform  vollfommen  beutlicfi,  fte  erfidlt  inbefj  burefy  ben  SBecfifel  ber  ßfibre 
einen  Entlang  motettenfiafter  SSefianblung ;  biefe  macfit  ftcfi,  an  geeigneter  ©teile  auf  ba§  Stacfibriidltcfifte 


')    ©.  SSeifpiet  STtro-  Iii. 


  487   

geltenb,  allein  ba»  ©eprdge  be»  ßicbe»  fann  fcfyon  be§halb  niemals  fid?  verlieren,  »eil  ber  SSerwebung  ber 
©timmen  allejett  nur  bie  in  fid)  felbjldnbige  metobtfd>e  2Benbung  einer  einzelnen  Seile  ju  ©runbe  liegt. 
25ie  ©egenfdfce  ftnb  gejtaltenb,  nicht  entjweienb;  in  einer  Skrmtttelung,  welche  biefelben  nicht  aufgebt, 
aber  werfdjmiljt,  empfangt  ba3  ©anje  feine  lebenbige  ©lieberung.  Sene  golge  reiner  £)reifldnge,  mit  wel= 
eher  ber  jweite  Sl)eil  unfere»  ©efangeS  beginnt,  fönnte  bem  flüchtigen  Sgbxcx  juerft  fremb  erfdjeinen.  ©ie 
ift  aber  eine  in  ftd>  wot)l  begrünbete,  bie,  je  öfter  man  fie  vernimmt,  mit  fo  tieferem  Sauber  ba»  ©emütb, 
befdngt.  Die  Äunbe  von  einem  jarten,  heiligen  ©eheimniffe,  wie  hier  bie  Sßorte  unfereS  Siebe»  fie  offen- 
baren, mag  faum  in  würbigeren  Sbnen  gefungen  werben,  als  einer  9fetl>e  von  Sreiflängen,  reine»  ©enü= 
gen,  vollen  ^rieben,  auSftrahlenben  SBohllautcn.  25iefe  fdjtte^en  aber  auch  einanber  nicht  an  olme  innere 
SBejiehung.  SGBenn  bie  Fortbewegung  ber  ©runbfiimme  burd)  bie  vierte  ober  fünfte  ©tufe,  auf-  ober  ab- 
wdrt3,  vernommen  wirb,  fo  r)at  eine  golge,  jumahl  harter  Sreifldnge,  nichts  33cfrembenbe».  ©ie  beru- 
fen bann  in  ihrer  ©runblage  auf  Sonverhdltniffen,  bie  in  ber  natürlichen  Sntrotcfelung  ber  Äldnge  fd>on  in 
genauerer  SSejielmng  ju  einanber  ftehen,  unb  eben  in  biefer  ©ntwicfelung  ift  ber  harte  Sreiflang  ba3 
jundchft  (Sntftanbene,  von  bem  inneren  ©efül)l  alfo  auch  Erwartete.  2ln  ber  befprochenen  ©teile 
unfere»  Siebe»  aber  tritt  bie  ©runbfümme  einmahl  um  nur  eine  ©tufe  aufwärts,  ein  anbere»  9Kahl  in  bie 
britte  größere  ©tufe  abwärts.  Sn  bem  erflen  §aEe  folgt  auf  ben  fürten  Dreiflang  ein  weicher,  unb  bie 
£öne,  burch  welche  beibe  in  ben  dußerften  Stimmen  begrenzt  werben,  jeigen,  bei  jenem  ba»  33erhdltniß 
ber  Sctave,  bei  biefem  ber  £luinte,  bie  ndchfien  in  ber  Älangcntwicfelung.  freilich  beziehen  biefe  beiben 
S3erhdltniffe  ftdt>  nicht  auf  einen  gemeinfamen  ©runbton,  fonbern  jebe»  von  ihnen  beruht  auf  einem  befon= 
beren ;  allein  bie  fo  nahe  ffiejiehung  eine»  jeben  auf  ben  feinigen  laßt  fte  auch  in  ihren  £armonieen  einanber 
naher  treten,  jumahl  bei  bem  fchrittweifen  2ütfftetgen  ber  ©runbftimme.  @o  geben  fte  benn  jener  golge 
von  Dreif langen,  fte  umfangenb,  einhüllenb,  ihre  Berechtigung,  e§  fo  ju  nennen;  ba»  ©eprdge  wahrhafter 
Entfaltung.  %a,  auch  ber  w  e  i  ch  e  25reif lang  ftellt  hier  ftch  bar  als  ber  nothwenbigere,  in  bem  ©efühle 
ber  SBejiehung  jeber  einjelnen  ©tufe  ber  Sonart  ju  ihrem  ©runbflange ;  cS  ift  aber  eine  biefer  ©tufen, 
burch  feie  ber  weiche  £>retflang  hier  fein  eigentümliches  ©eprdge  empfangt.  2£uf  biefe  ©tufenleiter  weift 
fchon  baS  fchrittweife  2utfwartSbewegen  ber  ©runbjiimme  naher  hin,  unb  ruft  jenes  ©efühl  barum  brin= 
genber  hervor.  3n  bem  jwctten  Salle,  wo  bie  ©runbfiimme  um  bie  britte,  größere  ©tufe  ftch  abwart» 
bewegt,  ijt  bie  harmonifd)e  Beziehung  ber  äußerten  ©timmen  wieberum  bie  ber  £)ctave  unb  ber  £luinte. 
SS  folgen  einanber  jeboch  jwei  harte  ©reifldnge,  von  benen  baS  bejeichnenbe  ©lieb  beS  erften,  bie  große 
SSerj,  ber  ©tufenleiter  beS  ©runbtoneS  nicht  angehört,  wohl  aber  baS  beS  jweiten.  9fun  ijt  bie  unmittel= 
bare  Solge  eines  leiterfremben  unb  leitereigenen  SoneS  hier  baS  2utffallenbe,  unb  jumahl  baS  bem  £>tato= 
nifchen  frembe,  mclobifcr/e  SSerhdltniß  ber  verminbertcn  £luarte,  ba§  in  ber  britten  ©timme  baburch  entfieht. 
2ülein  auch  hier  mangelt  nicht  bie  innere  Berechtigung.  £>a§  ©efe^  ber  Tonleiter  tritt  hier  jurücf  »or 
bem  allgemeineren  ber  Ä lang entwicf  elung,  welchem  jufolge  jeber  iDretflang  jundchfl  ein  faxtet  ijt. 
Sie  ©runbjtimme  jeigt  in  ihrem  gortfchritte  ba»  »ierte  au§  jener  (Sntwicfetung  her»orgel)enbe  S£onoerhdlt= 
niß,  bie  große  £  er 5,  unb  biefe  ihre  melobifche  SSejiefntng  ermecft  um  fo  mehr  ba§  Verlangen  nach  einer 
ihr  entfprechenben  harmonifchen  Solge.  Siefe  ift  nun  auch  h'er  wieberum  eingefüllt  unb  umfangen  wie 
juoor.  ©0  wirb  ba§  grembe  eben  nur  wie  ein  ^nbauch,  unb  bc^alb  um  fo  jarter,  geheimnißcoUer 
empfunben;  wie  e3  benn  fo  auch  erfcheint  in  bem  S3erhaltniffe,  wie  ber  tiefere  &)ox  bem  höheren  ftch 
anfchließt.   25cr  ©chlußton  ber  ©runbjiimme  biefe»  legten,  unb  ber  beginnenbe  »on  ber  jene§  erften,  bilben 


  488   


Den  gortfd)ritt  eines  Ijalben  SonS,  bie  Sufammenflänge  ihrer  äuperjtcn  «Stimmen  geben  in  ihrer  golge  wie* 
Derum  ba3  SSerhälmifj  einer  £)ctaoe  unb£lumte;  f)ier  aber  folgen  einanber  nun  jwei  fjarte  £>reif lange. 
@ie  ftnb  unter  ftdj  fremb,  aber  bod)  geforbert;  ber  erfte  al3  fchliefjenber  ßufammenflang,  ber  anbere  t>on 
bem  ©efef?e  ber  Tonleiter,  burd)  ein  inneres  S3anb  alfo  werben  aud)  l)ier  beibe  oerfnüpft.  2Benn  wir  in 
bicfem  Sinne  bie  Sufammenjiellungen  näher  betrachten,  bie  wir  in  ben  SBerfen  alter  SKeifter  ftnben,  fo  wer= 
ben  wir  leicht  ben  ©runb  entbecfen,  weSfyalb  fte  un§  balb  mehr,  balb  weniger  fremb  erfcr/einen,  gewifj 
aber  aud)  be§  uorctligen  2luSfprud)e§  unS  enthalten,  baß  fte  nur  zufällige  fer>cn,  ober  gar  burd)  Ungefcbjd 
t>eranlafjte,  unb  bafs  wir  alfo  irgenb  eine  ^Berechtigung  Ratten,  baran  ju  beffern. 

3n  ber  9teif)e  ber  d)riftlid)cn  gejle  tritt  nad)  ber  2Beif)nad)t§feier  —  wenn  wir  baS  9ceujaf)r3=  unb 
SreifbnigSfcfl  ausnehmen,  welche  in  (SccarbS  SBerfe  nid)t  burd)  bebeutenbere  ©cfänge  ausgezeichnet  ftnb,  — 
baS  gefi  ber  Sarfteflung  ßhviftt  im  Sempel,  ober  SJkriä  Steinigung,  une>  junäd))!  entgegen.  (Sccarb  J>at  für 
baffelbe  ein  Sieb  feinet  greunbes»  $Peter  Spaden  wn  fünf  Strophen  ju  vier  Seilen  fed)s>jiimmig  gefegt*).  Sie 
3eilen  biefeS  @ebid)te§  ftnb  iambifd)e,  jwei  längere  r>on  14  ©tjlben  flehen  woran,  jwei  türjere  »on  nur  jefm 
folgen  ihnen.  25ie  erften  brei  ©trophen  ftnb  crjäfylenb,  bis  auf  bie  lefcte  Seile  ber  brttten;  mit  tt>r  beginnt  ber 
ßobgefang  beg  (Simeon,  ber  burd)  bie  üierte  Strophe  ftd)  fortfe^t,  welcher  enbltd)  bie  fünfte  mit  einem @e= 
bete,  einer  9ht£anmenbung  au§  bem  ©an5en,  ftd)  anfd)liept.  25er  Strophe  bicfeS  ©ebid)te§  hatte  ©ccarb 
genau  folgen  rönnen;  fein  innerer  S3au  inbefj,  ber  ben  item  be§  ©anjen,  Simeons  ßobgefang,  jertrenntunb 
jerfiüdt,  war  einer,  für  alle  Strophen  gültigen  ^Betonung  nid)t  t>ortf)eilhaft.  ßr  hat  biefe  Schwierigfeit 
wohl  gefühlt,  unb  fein  SBerf  ift  baburd)  erfreulich  unb  au§gejeid)net,  bafj  er  fte  glüdlid)  überwanb.  3u= 
näd)ft  h«t  bie  Strophe  burd)  feine  ^Betonung  eine  anbere  ©efklt  gewonnen.    £>em  ©ingange  giebt  er,  bie 


")   ©.  Seifpiel  Sßro.  144.   2)aS  @cbid)t  »oh  ^peter  Jpagen  tautet  in  feinen  fünf  ©trovfyen  fo : 
SKatia  ba6  3ungfrä'uelein  itjr  liebes  Sefulein 
3m  SEempel,  roie  gcrobfmlid)  roar,  bem  Herren  ftellet  bar, 
25aS  Opfer,  roie  man  pflegt,  willig  erlegt, 
©amit  fie  baS  ©efefc  ja  nicht  »erlclj. 

3b>  Opfer  fjat  fie  jubercit  roie  pflegten  arme  Ceut, 
3roei  fd)led)te  SEurteltä'ubetein  ofm  allen  falfcffen  ©djem, 
Samit  itjr  Äinb  fie  Ibf't,  fid)  fräftig  «oft, 
(Sr  fen  baS  eroig  SBort,  be6  Rimmels  «pfort. 

£>a  fömmt  aurfi,  tjin  ein  alter  ©reiß  aus  göttlichem  ©ctjeijj, 
Umbfäbt  ben  £eilanb  aller  SSBctt  unb  auf  fein'  tfrmen  t>ätt- 
Snbem  er  itjn  anficht,  gan|  frölid)  fpricht: 
D  Jperc  mit  grieb  unb  greub  oon  t)ier  ich 

Sffieil  meine  Mugen  f;an  erfannt,  bu  fei)ft  ber  SOBelt  ^>eplanb, 
©in  Cidjt,  roetdjcS  bie  Reiben  foll  erleuchten  überall, 
&en  @ott  bereitet  t)at  aup  lauter  ©nab, 
Dap  er  bie  CSljr  unb  ?>reif  3fraelS  Ijeifj. 

^)ilf  nun,  bu  liebfter  3cfu  (Sljrift,  baf  roir  ju  jeber  grift 
2£n  bir,  roie  aud)  ber  (Simeon,  all'  unfre  greube  %an, 
Unb  cnblich  feon  bereit,  roenn  fompt  bie  3eit, 
gein  fanft  }u  fd)lafen  ein  unb  bei  bir  fenn. 


  489   


erfte  Seile  mit  gleid>er33etonung  mieberbolenb,  ftatt  jroeier,  beren  brei  ju  pierjebn  Splben;  bie  britte,  ^ei)n-- 
fplbige  ^e'üe  jertrennt  er,  fte  jttgleicb  perlängernb,  in  bereu  jroei  ju  fecbä  Splben,  unb  jeicbnet  fte  burcb 
oierfrimmigen  ©efang  au£;  bie  lefjte,  jelmfplbige  Seile  enblid?  bleibt  ibm,  unb  er  f)at  fte  nadjbrüdlid)  berpor* 
gehoben  burcb  ben  SSSed?fct  jweier,  in  canonifdjcr  91acr;al)miing  ineinanbergreifenber  ßböre,  bte  er  au§  ben 
fecbS  Stimmen  bc$  ©anjcn  jufammenfteüt.  SDabwcfc  bat  er  ben  Übelftanb  bejwungen,  baf  ber  JSeginn 
be§  Sobgcfangcg  an  ba§  @nbe  einer  Strophe  geftellt  ift,  inbem  er  nun  fenntltcb  beroortritt  por  bem  Übrigen, 
unb  in  reicherer  Sonfülle  einen  ©egenfag  bilbet  gegen  bie  fürjeren,  nur  pterftimmigcn  Seilen,  bie  ihm  porcuv 
gehen.  Durd)  bie  SBieberbolung  ber  beginnenben  längeren  3eile  gewann  er  aber  aucb  fyier  ein  näheres 
'tfnfcbliejjen  im  melobifd)en  unb  barrnc-nifc^en  35aue  an  bie  anbeten  jwei,  pon  ibm  betonten  epangelifcben 
Sobgcfangc;  benn  wohl  mag  er  tiefen  auch,  in  ber  äußeren  drfdjeinung  jenen  beiben  übereinftimmenb 
gewünfdit  haben,  benen  er,  ein  Sieb  ber  £ofnung,  jur  Seite  fielet.  Die  treuherzigen  SB  orte  fetneS  Did)= 
ters  ftnb  ber  'tfufbewabrung  wohl  mertf),  jUtnabl  um  ju  jeigen,  wie  ber  SReijter  feine  Aufgabe  gefaxt  unb 
fte  gelbft  habe,  auch,  befcbränft  burcb,  feinen  Sichrer,  wie  er  e§  mar.  Allein  man  füblt  bod)  ba3  S3ebürf= 
nifj,  baS  SBerf  feinem  Skuc,  unb  bem  ©etfte  gemäfj,  ber  eS  belebt,  burcb  anbere  SBorte  genügenber  au§= 
julegcn,  feiner 33ejlimmung  babei  treu  bleibenb,  unb  jumabj  bem  SSorbilbe  ftd)  anfdjltefjcnb,  ba§  bie  anberen 
beiben  Sobgefänge  bes  SSftciftenj  gemäbren.  Die  folgenben  Seilen  ftnb  ein  SSerfuch,  biefer  2£rt.  Die  beiben 
erften,  gleicbbetonten Sötelobiejeilen  ftnb  in  bemfelben  aucb  jmei  befonbereSiebeSjeilen  geworben;  bie  britte  leu 
tet  ein  $u  bem  Sobgefänge,  ber  bie  brei  legten  3eilen  einnimmt.  Die  freubige  Ergebung,  mit  melcber  berfelbe 
beginnt,  burfte  wobl  ben  Seilen  fidj  anfcbliefien,  in  benen  unfer  SKeiftet  bie  willige  Ergebung  ber  SKutter 
beS  4?errn  unter  ba§  ©efefc  beS  alten  S5unbe3  gefungen  t)at,  unb  paffenb  erfd)ienen  für  bie  letzte  bie  SBorte 
be3  ©reifes  wie  fte  hier  ftehen,  ba  ihre  SEöne  in  bem  urfprünglicben  Siebe  ähnlichen  SBorten  be3  Did)ter§ 
ftch  einen,  wenn  er  pon  bem  Chlöfer  rübmt : 

@r  fep  ba3  emig  SBort,  be3  Rimmels  $>fort, 

ober: 

Daß  er  bie  (£l)x  unb  ^)reip  SfraelS  beif3. 
So  lautet  benn  nun  biefe  Unterlegung  f 

Ataxia  wallt  jutn  £eiligtbum  unb  bringt  it)t  Äinblein  bar, 

Das  febaut  ber  greife  Simeon,  wie  ibm  oerbeifjen  war, 

Da  nimmt  er  3efum  in  ben  #rm,  unb  fingt  im  ©etfte  frob: 

9cun  fabr'  iä)  bin  mit  greub, 

Diel),  £eilanb,  fah  icb  beut! 

Du  Srofr  von  Sfrael,  ba$  Sicht  ber  SBelt! 
Die  Siebform  waltet  in  biefetn  ©efange  bei  weitem  por  über  bie  SÄotettenform,  biefe  tritt,  ftreng  genom= 
men,  nur  in  ber  legten  3eile  beroor,  in  ben  erften  beiben  ift  fte  nur  angebeutet.  2fllein  aud>  feine  einfach^ 
ßai  £armonieen  weiß  ©ccarb  babureb,  ju  beleben,  ba^  fte  au3  bem  Sufammenflange  ebler,  wortgemäp 
betonter  SOielobieen  ber  einjelnen  Stimmen  berporgeben,  unb  fo  gefd)ief)t  e§  aud)  bter.  SSJJtt  geterlid)fett 
unb  bracht  beginnt  baB  ©anje,  lebfjaft  werben  wir  erinnert  an  bie  SBorte  ber  ßpiftel  für  ba3  gep  ber  Stei- 
nigung gjcariä,  wie  fte  im  erften  SSerfe  be3  britten  GapiteB  beö  ?J)ropbeten  9JJalead;i  aufgejeiebnet  ftnb : 
,,Unb  halb  wirb  fommen  ju  feinem  SEempel  ber  Sperr,  ben  tfjr  fuebet,  unb  ber  Sngel  be§  33unbe3,  bef  ibr 
begebret."   SBir  füllen  unS  umgeben  Pon  bem  hehren  ©lanze  be6  alten  SempeB,  ber  nun  Perflärt  wirb 

v.  ÜBinttrfttfc,  ttt  esangel.  G^eralätfang.  62 


  490   


Dur*  ba&  Ütd)t  bcffen,  ber  ba  erfcfyienen  war  betten,  „bie  ba  ftgen  in  ginjternifj  unb  ©Ratten  beS  £obes, 
baß  er  rid)te  unfere  güfje  auf  ben  2Beg  beS  griebenS."  ©o  fcfymingt  ftd)  ber  ©efang  immer  f)bl)er  auf-, 
nad)  ben  beiben  pf)n>gtfd>en  ©d)lüffen  ber  erften  Otiten,  —  bie  tton  ben  begleitenben  ©timmcn  jebod)  in 
baS  verfemte  Äolifcfye,  bie  ©runbtonart  beS  ©anjen,  jurüd'gewenbet  werben,  —  enbet  bie  britte  in  ber  f)ar= 
ten  Tonart  ber  britten,  größeren  ©tufe  abwärts  »on  bem  ©runbtone,  eine  AuSwcidmng,  bie,  bem  tyfyny- 
gtfctien  urfprünglid;  eigen,  bem  ©anjen  einen  Anfyaud)  btcfeS  ÄircfyentoneS  gewährt.  4?ier  tritt  bann  ber 
bemütl)ig  fromme  merftimmige  ©efang  beS  SSJteijterS  ein,  unb  feinem  ©djluffe  verfetten  ftd)  unmittelbar  jene 
feurigen  2Bed)feld)bre  ber  legten  Seile,  wie  mir  ft'e  bcfcfyrieben,  beren  ©runbgebanfe  enblid)  nur  einen  £f)eil 
ber  ©d)lufjwenbung  ber  erften  Seile  melobifd)  entfaltet. 

SBir  bürfen  hoffen,  burd)  btefeS  nähere  Gängetycn  auf  üier  ber  treflid)jren  ©efänge  (SccarbS  in  fei = 
nen  gejtliebern  beutticr;  gemacht  ju  fyaben,  worin  baS  eigentümlich,  S3ejeid)nenbe  ihrer  gorm  befiele,  unb 
gebenden  nun  mit  wenig  SBorten  nod)  brei  anberer  für  bie  f)ot>cn  gejte  beS  ßeibenS,  ber  Auferjlebung  beS 
4?errn,  unb  ber  AuSgiefjung  beS  heiligen  ©etfteS.  Unter  ben  üier  befchriebenen  mar  einer,  ber  Sobgefang  ber 
fJJiaria,  uon  decaxi  in  früheren  Salven  bereits  merftitnmig  gefegt;  ein  ^weiter,  baS  ßoblieb  beS  3adbariaS, 
mar  t>on  feinem  greunbe,  !3oad)tm  uon  33urgf,  ebenfalls  ju  üier  ©timmen,  betont  morben.  SSon  jenen 
breien,  ju  benen  mir  unS  nun  menben,  hatte  (Sccarb  bie  legten  beiben,  S5urgf  ben  erften  früher  fd)on  bear- 
beitet. Sie  Sichtungen  aller  rühren  oon  2ubwig  $clmbolb  her,  beffen  2iebem,  mo  fte  irgenb  nur  bilblid) 
maren  unb  anfcbaulid),  unfer  SEJleifter  gern  ftd)  anfcblofi.    ©ein  SDftergefang : 

3u  biefer  bjterlicben  Seit*) 

ßafit  fahren  alle  Sraurigfeit, 
tfi  ein  furjer,  feuriger  ©ag  in  ber  mirolpbifcben  SSonart,  §u  fecbS  ©timmen ;  ooller  ßborgefang  wecb  feit  in 
ihm  mit  brei=  unb  mebrjtimmigem,  mie  biefer  balb  auS  ben  höheren,  balb  ben  tieferen  ©timmen  ftd)  jufam= 
menfteüt.  3m  Allgemeinen  h. errfdbt  hier  bie  gorm  beS  SJZotettS  »or  über  bie  beS  SiebeS,  menn  aud)  eine 
liebbafte  SBeife  burd)  baS  ©anje  ftd)  hingebt,  meldte  balb  in  ber  Dberftimme,  balb  in  ber  jmeiten  erfd)eint. 
Sie  befttmmt  hertiortretenbc  ©runbtonart  giebt  biefem  ©efange  baS  ©epräge  beS  Altertbümltdben,  baS  feine 
33ebanblung  fonft  nid)t  an  ftd)  trägt. 

S3ebeutenber,  aud)  in  ber  Anlage,  ift  ber,  ebenfalls  fecbSftimmtge,  ©efang  üom  ßetben  ßbrtjti, 
auS  ber  pbrpgifcben  Sonart: 

Sm  ©arten  leibet  GbrijtuS  «Roty,  **) 
Sen  USater  bitt',  ringt  mit  bem  Sob, 
©ein  blutig'  ©cbweifj  auf  (Erben  fällt, 
Sen  geinben  er  ftd)  willig  ftellt. 

©iel)e  baS  tjt  ©otteS  gamm! 
2Cller  SBelt  ©ünb  macht  ihm  bang, 
©unb  unb  ©traf  jugleid)  eS  trägt, 
©eelig  ift,  wer'S  berjlid)  gläubt! 


')  ©.  9iro.  140  bec  SSeifpiclfammtung  in  SBcrgteia^  mit  9tro.  113  eben  ba,  bev  fvüfjeven  Setonung  btefcS  2icbe6 
buca)  Gccarb. 

")   ©.  Seifpiel  9lro.  145. 


  491   


Sie  crfien  vier  Seilen  ftnb  merfh'mmig  gehalten  5  bie  tieferen  Stimmen  tragen  ftc  uor,  ber  2lltfrimme,  ber 
boebften  tbre^  GbereS,  ift  bie  SEelobie  jugetljetlt,  bie  in  einigen  3ügen  erinnert  an  bie  beSßiebeö:  ,,Sa 
3efu§  an  bem  Äreu^e  ftunb."  decarb  bat  ftc  im  ©anjen  feinen  ßf)oralgefängen  af)nüd)  bebanbett,  nur 
bat  er  f)ier  fieb  SRancbeS  vergönnt,  n?a§  er  bort  auä  9füdftd)t  für  ben  ©emeinegefang  ftet)  »erfagen  mufite. 
Surd)  alle  Stimmen  werben  bie  ^auptjüge  ber  9Jielobie  in  enger  golge  naebgeabmt,  jumeift  oon  bem 
jroeiten  Scnor.  Sa  nun  bie  Singroeife  an  fd)arf  betonten  Stellen  reieb  ift,  unb  namentlicb  bie  ber  pbrn= 
gifeben  Setter  etgentt)ümltct)en  £onuerf)ältniffe,  im  2£uffteigen  wie  XbfaU,  immer  mit  SBebeutfamfeit  beroor-- 
treten,  bie  9?ad>abmung  burd)  ben  jmeiten  Senor  aber  faft  atlejeit  auf  anberen  SKbetlen  be3  SafteS  eintritt, 
al5  bie  naebgeabmte  SEelobie  ber  £berftimme,  fo  entfte()t  bierauS  eine  gülle  ftd)  b^oorbebenber  melobifd)er 
^Betonungen  (llccente),  benen  ber  SKeifter  burd)  bie  Harmonie,  jumabl  burd)  33inbungen  unb  SSorfjalte, 
ben  frdftigfien  9lacbbrucf  ju  geben  gemußt  l)at.  Die  brttte  Seile  jeigt  in  ben  äufjerfien  Stimmen  rtmtbmt* 
feben  2Becbfel,  voäl)renb  bie  mittleren  ba§  jroeitbeilige  93ZaafJ  beroabren ;  eine  Sroeifältigfeit  jufammenflin- 
genber  ütfyflfjmm,  bie  mir,  in  anberem  Sinne,  unb  abroeiebenber  2£rt  ber  ßmfübrung,  bereits  in  bem  2ob= 
gefange  bes>  3ad)aria3  fanben.  £ier  ift  fie  befonberä  in  ber  Ttuefübrung  fermnerig,  bis>  bie  SSebeutung  ber 
Stelle  ben  Sängern  ft'd)  eingeprägt  t>at.  9EJian  füblt,  Grccarb  fyatte  bie  2lbftd)t,  baS  S5tlb  be§  leibenben 
@rlbfer§,  baS  3<»gen  unb  Sßanfen  feiner  menfd)lid)en  SRatur,  anfd)aulid)  barjuftellen,  bod)  bat  er  bie  jarte 
©renje  nid)t  überfebritten,  reo  bergleid)en  in  fird)licben  ©efängen  nid) t  mebjr  ftattfjaft  ift.  Sie  Söietobie 
enbet  in  ber  £berfttmme  mit  bem  »otlfommenften  pbrogifd)en  Sonfd)luffe,  auffteigenb,  bie  ©runbftimme 
fd)liefjt  ibr  jroar,  abfteigenb,  einen  gleicben  an,  bod)  nur  jene  ballt  tt)n  au§,  biefe,  mit  ben  anbern  beiben 
Stimmen  »ereint,  leitet  einen  Böllen  Scfylujjfall  ein  in  bie  Unteiquinte  mit  grofjer  Serj.  91un  tritt  aber 
ber  solle,  feebsftimmige  ßbor  ein;  jroei  l>of)e  Soprane  gefeiten  ftd)  bem  ©efange.  Sa3  büftere  SSilb  be§ 
2eiben§,  be§  6rliegens>  ber  menfd)lid)en  Statur  in  bem  ©rlbfer,  bas?  bie  tieferen  Stimmen  in  ibrem  jumeift 
liebbaften  ©efange  barfiellten,  erfd)eint  nun  in  t)er;rer  SSerflärung  als  Süfjnopfer  für  bie  Sünbe  ber  SEBelt. 
'tfn  bie  Stelle  be6  ^rpgtfdjen,  »on  ib,m  auägel)enb,  ergreift  bie  SERobulation  bas?  Sonifd)e,  ba3  SDltrolt)* 
Dtfd) e ;  »on  bort  au§  erft  fef>rt  ftc  in  ben  legten  beiben  3eilen  in  bie  ©runbtonart  jurütf.  Siefe  vier  Sd)lu{3= 
jeilen  ftnb,  im  ©egenfa^e  ju  ben  früfjeren,  burd)au3  motettenbaft  gehalten ;  bie  ©leicbmäfjigfett  ber  33e= 
banblung  im  ©anjen  roirb  allein  burd)  bie  Stimment>erwebung,  bie  aud)  in  bem  früheren  Steile  oorberrfd)t, 
erbalten.  Siubig  unb  großartig,  in  gleicbmäfiiger  gortleitung,  ftrömt  ber  ©efang  bem  Sd)luffe  ju,  fünf* 
ftimmig  nur  in  ber  »erlebten,  fed)3ftimmig  roieber  in  ber  Scblufjjeile.  S5emegt  er  ftd)  bort  in  bebeutfam 
berben,  ttorgebaltenen  SEifjflängen,  aß  bie  9febe  ift  oon  ber  2aft  ber  Sünbe  unb  Strafe;  fo  erfd)eint  bier 
fein  glup  milber  unb  fanfter,  reo  bie  Seeligfeit  beffen  gepriefen  wirb,  ber  oon  ^)erjen  glaube  an  biefeS  üer= 
fobnenbe  .Cpfer.  Sie  %id)abmungen  te$  erften  Senor§,  ber  ©runbftimme,  ber  £berftimme,  ergreifen 
bier  biefelbe  melobifd)e,  au§  ber  ^>obe  febrittroeife  um  fünf  Stufen  ftd)  fenfenbe  SBenbung ;  bie  be§  erften 
£enor§,  unb  ber  jroeiten  Stimme  eine  entgegengefe^te,  um  bret  Stufen  auffteigenbe,  mit  ber  biefe  le^te 
eine  SBeile  bie  Cberftimme  überflügelt;  in  lang  unb  ernft  gebaltenen  Sonen  tritt  bie  2lltftimme  ibnen 
binju.  SSiö  ju  bem  5>erflingen  be5  legten  Sone§  fd)roingt  ber  ©efang  ftd)  fräfttg  empor;  er  geroäbrt  un§ 
ein  S3ilb,  bas>,  inbem  e§  bie  Seele  fcfymerjlid)  ergreift,  fte  jugleid)  ftärft  unb  erbebt. 

(Sccarb§  fed)?ftimmiger  ©efang  für  bas  ^ftngftfeft  enblid)  *)  jeiebnet  ftd)  burebgängig  mebr  au§ 


')  <£.  9iro.  148  ber  Scnpielfanimlung,  in  33tralci*  gegen  bie  frühere  SSetonung  bt'efee  Siebeg  burc^  ©ccarb  (9fro.  114). 

62* 


  492   


burd?  fräftige,  balb  mebr,  balb  minber  volltönenbe  SRtjtjtfymen,  aU  burd)  funjtretcfje  ©timmenocrwebung, 
ober  fclbjt  burd)  Sflelobie,  unb  tritt  unter  ben  übrigen  geftliebern  baburd)  eigentt)ümltd)  f)err>or.  SEBenige 
33inbungen  unb  §3orf>alte  ft'nben  wir  fax,  bod),  roo  fte  erfdjeinen,  immer  t>on  Sßebeutung ;  meift  aber  eine 
golge  finnig  jufammengereil)ter  Sreiflänge.  9fl)v>tt)mifd)er  2Bed)fel  in  £rod)äen  unb  ©ponbäen  jeigt  ftd) 
gleich,  im  beginne : 

£)er  heilig'  (Seift  t>om  «gnmmel  tarn; 
biefer  üierftimmigen  Seite  in  ber  borifcben  Sonart  urfprünglidben  UmfangS,  folgt  nadjbrücfltcber, 
fedj^fiimmtg,  bie  jweite;  rbptbmifd)  wedjfelnb  wie  biefe,  nur  baf?  ftatt  beS  erjren  Srocbaen  hier  bie  brei 
Steile  bes>  ungeraben  Safte§  berührt  werben,  ber  erjle  um  bie  $älfte  verlängert,  ber  zweite  um  eben  fo 
oiel  tierfürst : 

SDtit  S5raufen  ba§  ganj'  £au§  einnahm. 
£)urcb  biefe  Seile  roirb  bie  SJJobulation  jurüdgeleitet  in  bie  ©runbtonart,  ba3  öcrfefcte  Sorifcbe. 
©cbeint  jene  erfte  Seile  ben  milben  ©lanj  eine§  g et) eimnifiti ollen  2tcbtc§  unö  entgegenjubringen  in  ber  unmit- 
telbaren Solge  Don  titer  garten  £)reiflängen,  fo  tonen  bie  mächtigen,  flangreicbcn  Kbctbmen  biefer  lefjten, 
bie  in  einer  langauSballenben  ©cblußwenbung  geraben  Saftes»  »erraufcbt,  gleich  einem  geroaltigen  SBeben, 
unb  es>  bewährt  ftd}  auch  hier  wteberum  bie  Neigung  unb  ba§  @efd)icf  be§  9Jleifter§  am  SSilblicben.  SSon 
fax  an  wecbfelt  nun  tiierftimmiger  ©efang,  au§  ben  tierfcbiebenen  ©timmen  be§  QiboreS  in  mannicbfacber 
tfbftufung  jufammengeftellt,  —  bocb  fo,  baf?  bie  £>berftimme  allejeit  babei  tbätig  ift,  —  mit  bem  »ollen, 
fecbSfttmmigen.  Unter  ftd)  treten,  titerftimmig,  bie  britte  unb  üierte  Seile  einanber  entgegen ;  bunfter  jene, 
au$  ben  brei  tiefern  Stimmen  unb  ber  £>berftimme  gebilbet : 

„£>arin  bie  jünger  fafen," 
heller  biefe,  im  S3erein  ber  brei  beeren  unb  ber  ©runbjh'mme: 

„©Ott  wollt'  fte  nicht  tierlaffen." 
Äräftig,  begeifert,  jum  legten  SKable  rbntbmifcben  2Becbfet  barftellenb,  in  üollem  ßbor,  ertönt  nun  bie 
fünfte,  bei  beren  ©cbtupfalle  bie  «Dberftimme  tion  ber  sweiten  überflügelt  wirb : 

„£)  meld)'  ein  feeltg  §eft," 
mit  gleicher  Äraft  unb  ©timmenfülle ,  aber  gemeffener  burch  ben  weniger  bewegten,  geraben  Saft,  folgt 
bie  fecbfte : 

„Sfi  ber  <Pftngefttag  geweff!" 
9tun  fcb,  tiept  ftd)  ein  ©ebet  an  in  ben  brei  folgenben  Seilen ;  merjlimmig  wieberum,  ergebt  e§  ftd)  allgemach, 
unb  fcbreitet  in  ber  mittleren  Seile  fort  burd)  ©nncotien  in  ber  £)berfiimme: 

©ott  fenbe  noch  jefcunb 

Sn  unfer  Jperj  unb  SKunb 

£>en  heiligen  ©eift! 
unb  befräftigenb  tönen  alle  fecbö  ©timmen  hinein : 

£>a3  fet)  ja, 

©o  fingen  wir  ^aHetuja. 

©iefer  »olle  (Sfjorgefang  jeigt  ju  ber  crften,  fürjeren,  öfter  wieberholten  3eite,  in  ben  brei  oberen  <S>timmm 
unb  bem  S3affe  anapäfiifcben  gortfcbritt,  wäbrenb  ber  erjie  Senor  eben  biefen  9?^tbmug,  um  ein  S3iertl)eil 


  493   


»orangehenb,  fpncoptifch  bajrotfchen  hören  laßt,  ter  jweite  aber  bie  brei  legten  S£f?et£c  beö  5£afte§  berührt; 
eine  mächtig  großartige  83erfnüpfung  *>on  SKhpthmen,  rote  benn  überhaupt  ber  SBechfel  be3  »ollen  @f>ore§ 
mit  mannichfad)  gefärbtem,  merftimmigen  ©efange,  unb  ber  ©egenfafc,  wie  bie  33erfnüpfung  uerfchiebem 
artiger  iRf^tymen,  ba$  S5ejeicb,nenbe  biefeS  ©efangeS  ifh 

Der  ^Bericht  über  biefe  ft'eben  Sonfäfje  wirb  freilich  bem,  ber  ft'e  niemals  üernahm,  ober  minbe-- 
ftenS  aufgejetdmet  faf),  eine  genügenbe  2lnfd)auung  berfetben  nicht  geraderen.  SBereint  mit  ben  SBldttern 
jeboch,  bie  roir  bieferDarjfellung  beilegen,  unb  auf  benen  wir  biefe  ©efdnge,  wohl  ba§  erfieSHabJ,  in  »ollftdn= 
biger  Partitur  ber  Öffentlichkeit  übergeben,  wirb  man  benfelben  bennoeb,  nidjt  überflüfft'g  nennen  bürfen. 
<£t  hatte  ben  3wed,  bie  mancherlei  2Bcge  unb  formen  beutlich  ju  machen,  bureb,  welche  ber  SDieifter  baö 
won  ihm  innerlich.  ©efchaute  nach  tfufjen  bilbenb  hinjuftellen  fuchte,  unb  fo  eine  lebenbige  SSermittelung  ber 
bejeidmenben  3üge  be3  9Kotett3  unb  beS  Stcbeä  ju  erreichen  ftrebte;  alleS  in  bem  ©inne,  bamit  bie  Äunft 
be3  £onfe£er§,  ben  eüangelifchen  ©otteSbienft  fchmücfenb,  unb  burd)  ihn  ihre  SBeifje  empfangenb,  ju  bem 
©emeinegefange  in  ein  enge§  unb  wefentlicheS  S3erl)dltnif  trete,  ©elang  biefeS  unferem  ^Berichte,  unb  hat 
er  nur  einigermaafjen  gejeigt,  wie  all  biefeS  SSilben  auf  ber  ©runblage  eines  innig  frommen,  t>on  feinem 
©egenftanbe  tief  burd}brungenen  unb  begeiferten  ©emütheä  ruhte,  fo  hat  er  geleiftet,  wa3  er  follte.  2H3 
reiner  Spiegel  eine§  foldjen  ©emütheä  erfcheint  nun  auch  «in  fünfftimmigeä  Sieb,  ba§  ©tobduS  feiner  %\x§-- 
gabe  ber  gejilieber  mit  einigen  anberen  als  Anhang  beigegeben  hat;  wenige  SBorte  fepen  barüber  nod)  t>er^ 
gönnt.  (53  führt  bie  Überfchrift:  „2luf  £)ftern";  eine  SSejeidmung,  bie  nur  burch  feine  lefcte  «Strophe 
ftch  rechtfertigt,  bie  an  eine  Sfebe  im  düangelium  üon  ben  Büngern  ju  (SmauS  erinnert.  SBir  fonnen  bahin 
geftellt  fepn  laffen,  ob  e§  (Sccarb  eben  für  bie  geier  be3  jweiten  £)ftertage3  bejtimmt  gehabt.  Die  SBorte 
brüden  eine  tiefe  Siebe  au$  ju  bem  (Srlbfer,  unb  mit  großer  Snnigfeit  ffnb  fte  gefungen,  ein  rechter  ^)erjenö= 
ergufj  be3  99ieifter§,  bem  man  auch  fte  neben  ben  Sbnen  jufdjreiben  mochte,  ba  ihnen  ber  9lame  be§ 
Dichters  fehlt:*) 

SKein'  fd)6nfte  %kx  unb  Äleinob  biji 

2luf  erben  bu,  £err  Sefu  ßbnfr 

£err  Sefu  Gbnft, 

Dich  will  ich  laffen  »alten, 

Unb  aUejeit 

Sn  Sieb  unb  Seib 

3m  #erjen  bich  behalten. 

Dein  Sieb  unb  £reu  für  alles  geht, 
Äein  Ding  auf  erb  fo  feft  befteht, 
@o  feft  befiehl, 

<Solch$  muß  man  frei  befennen, 
Drum  foll  nicht  £ob, 
Sticht  tfngft  unb  $TCotf> 
SSon  beiner  Sieb  mich  trennen. 


*)  @.  Seifpicl  9iro.  147. 


  494   


Sein  SBort  ift  wafyr  unb  treuget  ntd)t 

Unb  l)dlt  gewiß,  wa3  e§  t>erf»rid)t, 

2öa3  e3  »erf»rid)t 

3m  £ob  unb  aud)  im  ßeben; 

£)u  bijr  nun  mein 

Unb  id)  bin  bein, 

£)ir  b^b'  id)  mid)  ergeben. 

£)er  Sag  nimt  ab,  o  fd)bnjte  3ier, 

Jperr  Sefu  ß^ijt,  bleib  bu  bei  mir, 

ffileib  bu  bei  mir, 

will  nun  2lbenb  werben, 

2aß  bod)  bein  £id)t 

tfuSlbfcfyen  nidjt 

S5ei  uns  allljie  auf  (Erben.  *) 
S5ei  nur  geringem  Umfange,  meld)'  ein  3?eid)tbum  an  Äunjt,  eine  rote  finnige  Anlage!  Sn  ben  erften 
jwei  3eilen  bewegt  baffelbe  ©efüfyl  bie  audSbrudstoolle  Sölelobie  einer  jeben  ©timme,  lebenbigeeS  Verlangen 
nad)  bem  (Srlofer.  ßiebeoolIeS  hinneigen  unb  2lufftreben  begegnen  ftd)  aß  ©afc  unb  ©egenfa^,  bie  eine 
(Stimme  eilt  ber  anbern  jut>or,  afymt  fte  bann  nad;,  *>on  einer  britten  in  t>erfd)iebenem  Sonumfange  balb 
roieberum  nadjgebilbet,  bi§  Wlc§  julefjt  ftd)  »ereint,  unb  in  bemütfnger  Eingebung  bie  folgenben  2Bortc 
auStbnt:  Did)  will  id)  (äffen  malten.  3n  biefem  erften  Steile,  unb  bem  nunmehr  folgenben,  breitbeiligen 
SJlaaßeS,  ber  bie  werte  unb  fünfte,  fürjere  Seile  umfaßt,  ift  bei  aller  eigentümlichen  2luSgefialtung  ber 
tieferen  «Stimmen,  bod)  bie  £>berftimme  bie  berrfcfycnbe;  biejenige,  au§  ber  fte  if)re  5Rad)al)mungen  fdwpfen, 
aus  ber  itjrc  ©egenfäfce  notl)roenbig  beroorgeljen,  beren  melobifdje  SBenbungen  fte  ooranbeuten,  unb  wenn 
fie  oon  il)r  nät)er  entfaltet  ftnb,  fte  nad)btlbenb  wieber  ergreifen;  juerjt  im  2Bcd)felfüiele  einzelner  ©timmen, 
bann,  mit  (Eintritt  be§  ^weiten  £beile§,  in  merjtimmige,  eng  in  einanber  greifenbe  2Bed)feld)öre  ftd) 
orbnenb.  ßiebfyaft  alfo  fbnnen  mir  biefe  ©ä|e  nennen,  mit  motettenbafter  ©lieberung;  ein  britter  über 
bie  lefcte  3eile : 

3m  ^)erjen  biet)  behalten, 

bringt  eine  bis  an  ba$  (Snbe  ftd)  fteigernbe  Entfaltung  einer  einfachen  melobifd)en  SBenbung  nad)  9Kotetten= 
art,  roie  Eccarb  fte  in  feinen  ©cblußfäfjen  befonberS  liebt.  Sebe  ©timme,  inbem  fte  ben  eben  gehörten 
Zon  ber  tt>r  »orangegangenen  ergreift,  fet>  e§  ber  erfie,  ju  bem  biefe  nad)  il)rem  ^Beginne  fiel)  aufgefebwum 
gen  bat,  fep  e$  ber,  mit  bem  fie  bem  ©d)luffe  ftd)  juwenbet,  jteigt  von  ifym  meiter  empor,  big  'Mc§  jum 
©ebluffe  binftrebt  mit  einer  großartigen,  unerwarteten  SSBcnbung ;  in  bie  SreiflangSbßi'monie  ber  ftebenten 
Heineren  ©tufe  aufwärts  (Es)  »on  bem  ©runbflange  ber  berrfdjenben  Sonart,  ber  ionifd)en  in  ibrem  »er= 
feßten  Umfange  (F).  £>urd)  biefen  mirolwbifd)en  "Änflang  —  bem  ein  dt)nltct)er  bereite  in  bem  jwetten 
Xheile  corangebt  —  erhalt  ber  "KuSgang  beS  ©anjen  bie  würbigfle,  fird)lid)|re  geier,  mäbrcnb  bie  Spalte, 


')  £in  unb  triebet  begegnen  reit  biefem  Siebe  in  fpätcren  gcijtlidjen  ©cfangbüd)crn,  bie  bann  auf  bie  «OTctobiecn : 
„£a  3efus  an  bem  Jtreuje  ftunb"  ober  „3n  bieb,  W  icb,  gef)offct,  .&err"  hjnrocifen. 


  495   


juerft  ber  grofjen,  bann  t»er  fleinen  «Septime,  bie  auS  ber  Entfaltung  unb  Nachahmung  ber  Gelobte  in  ben 
einzelnen  Stimmen  ungezwungen  fid)  bilben,  bem  ©efange  baS  ©epräge  ber  Innigkeit  »erleiden.  Die 
f leine  Septime  leitet  aber  bie  Schlußfälle  niemaB  unmittelbar  ein ;  auf  ber  fünften  Stufe  aufwärts  von 
bem  ©runbf  lange  ber  SEonart,  in  welche  ausgewichen  wirb,  erfct>etnt  julefet  immer  ber  harte  Dreiflang 
ohne  S3eimifchung  biefeS  SEonoerhältniffeS,  baS  fjodjffenö  vorder  im  Durchgänge  ober  als  SSorljalt  üernorm 
men  wirb.  So  ft'nben  wir  eS  überhaupt  bei  Eccarb,  in  feinen  <2l)oralfäfeen  wie  geftliebern;  jeber  SQiifjflang 
ift  vorbereitet,  unb  giebt  fiel)  bann  als  Vorhalt,  ober  er  wirb  im  Durchgänge  flüchtig,  boeb,  nicht  ohne 
SBebeutfamfeit,  gehört.  2Cuf  ber  vierten  Stufe  aufwärts  von  bem  ©runbton  erfcheint  juweilen,  bem  Drei-- 
flange  auf  ber  folgenben,  fünften  vorangehend  unb  ben  Scfylufjfaü  einleitenb,  bie  Verfnüpfung  ber  Sluintc 
mit  ber  großen  Serte,  boeb,  wirb  alSbann  jene  erfte  allejeit  vorbereitet. 

2Bir  ftnb  bisher  unferem  SSKetfter  feit  bem  ^Beginne  feines  fetbjiänbigen  33tlbenS  nachgegangen 
burch.  alle  Stufen  feiner  Entwicklung.  ES  beburfte  einer  flüchtigen  2(nbcutung  allein,  wie  er  feine  Äunjt 
in  ber  von  feinen  Vorgängern  überlieferten  2lrt  nur  fortgeübt  habe;  wichtig  allein  war  eS,  ju  jeigen, 
wie  er  baS  auf  ihn  gortgeerbte  weiter  gebilbet  habe.  Die  SBcbeutung  feines  gefammten  StrebenS  in 
biefem  Sinne  faffen  wir  nun  gebrdngt  jufammen  in  wenige  SBorte,  nachdem  wir  jenes  ausführlich  ju 
entwickeln  gefucht. 

Die  Hauptaufgabe  von  EccarbS  fünftlerifchem  33ilben  war  bie  Sieb  form.  2tlS  Sefeer  tyat  er 
bie  kirchliche,  bem  ©emeinegefange  angel)brenbe  9Jielobie  beS  geiftlichen  SiebeS,  wie  er  fte  vorfanb  als  ein 
©egebeneS,  nach  iljvcm  inneren  9?eichthume,  ihrer  hwmontfchen  SSebeutfamfcit,  jur  2lnfd)auung  gebracht, 
ohne  beShalb  auf  bie  Äunji  ber  Sttmmenverwebung  verjichten  ju  bürfen,  bie  er,  wenn  ihr  auch  bie  Statur 
feiner  Aufgabe  nur  befebjänften  9?aum  ju  gewahren  fdjien,  bennoch  mit  SKetfterfchaft  babei  entfaltete.  2113 
©  an  g  er  hat  er  ben  Schafe  ber  Ätrche  an  Singweifen  jener  2lrt  jwar  um  einige  bereichert,  aber  mit  viel 
größerem  Erfolge  noch  beren  für  ben  Äunftgefang  erfunben.  ES  gefchahe  in  bemjenigen,  waS  er  gefc 
lieb  nannte,  einer,  baS  Sieb  unb  baS  SCfiotett  lebenbig  »ermittelnbcn  gorm.  ©ereift  war,  nach  allmdhliger 
Entwicklung  in  Vorgängern,  bereits  in  feinem  ßehrer  jene  fünjilerifche  SEhättgteit,  auS  ber  bie  lefete  biefer 
gormen,  eine  mannichfach  jufammengefefete,  hervorgeht,  unb  auf  ihn  als  Erbtheit  übertragen ;  gereift  nicht 
minber  in  ihm  felbft,  nach  2lnberer  Vorgänge,  jene  gertigfeit,  welche  bie  erjte  biefer  formen  burch  einfache 
3üge  ju  beuten  unternimmt;  ihm  aber  war  babei  gegeben,  fte  nicht  allein  ju  beuten,  fonbern  auch  ju 
fchaffen,  unb  in  biefer  ©abe,  wie  fte  jenen  gertigfeiten  ftch  gefeilte,  ging,  auf  bem  naturgemäßen  SBege 
fünjtlerifchen  gortbilbenS,  ihm  feine  neue  gorm  fywoox,  in  ber  SJiannichfalttgeS  unb  Einfaches,  gülle  unb 
.Klarheit  verfchmolj,  bie  er  nicht  allein  wahrhaft  erfanb,  fonbern  auch  uollenbet  auSgejtaltete.  So  fleht  er' 
benn  hier  auf  ber  £bhe  ber  Äunjl,  unb  nicht  f  einer  ^eit  allein.  Denn  er  hat  jwar  fortübenbe9cach= 
folger  gehabt  in  ber  »on  ihm  gegrünbeten  ^reufjifchen  Sonfchule,  aber  feinen  wetterbilbenben 
Schüler;  in  feinem  Sinne  fonnte  er  von  feinem  Späteren  übertroffen  werben,  weil  in  biefem 
feiner  etwas  ferner  auSjugeftalten  fanb.  Denn  waS  Jlnberen  unter  gleichem  tarnen  fpäter  gelang,  liegt 
auf  einem  ganj  vergebenen  ©ebiete  unb  ift  feinen  Seiftungen  burchauS  unvergleichbar.  Deshalb  ijt  er 
von  hbchfter  S3ebeutung  für  bie  ©efchichte  ber  2luSbilbung  beS  geiftlichen  ßiebeS  in  ber  evangelifchen  Äirche 
als  Aufgabe  für  hoheve  SEonfunft.  gür  bie  SSelebung  beS  breiter  ausgeführten  9JlotettS  burch  bie  ßiebweife 
ifi  er  aber  auch  mannigfach  anregenb  gewefen,  unb  hat  auf  biefe  %xt  burch  feine  SSerfe  Saamen  auSgejireut 
für  bie  3ufunft. 


  496   

@ei  ift  eine  hohe  Stellung,  bie  mir  unferem  SJleijler  in  t>er  ©efd)id)te  ber  heiligen  Sonfunjt  anmei= 
fen,  ober  fte  gebührt  il)tn  aud).  §rüf)c  fd)on  jog  bie  ©ingmeife  be3  SSolfSltebeä,  ba§  (Erjeugniß  unbemuß= 
ten  ÄunjttriebcS,  bie  Sonfefcer  an,  unb  in  mannigfaltigem  ©inne.  ©anj  abgefetjen  t>on  ben  erften, 
rohen  S3erfttd)en,  fte  burd)  Segleitung  mehrer  Stimmen  ju  fd)müd'en,  ftnben  mir  fte  mit  einiger  33ebeu= 
tung  juerft  im  Saufe  be§  löten  3al)ri)unbert3 ,  menn  nicht  früher  fd)on,  al§  Sterbe  größerer,  funfireid) 
uermobener  SSonfäfce  geiftltd)en  Inhalts.  Siefe  follte  fte  burd)  tyve  bem  £)f)re  gefälligen,  frifd)en  SBenbun» 
gen,  anmutig  beleben.  Saß  man  aber  üon  il)r  borgte,  flatt  felber  ju  erft'nben,  hatte  feinen  ©runb  in  ber 
früheren,  nothmenbigen  Trennung  ber  ©abe  bes>  ©ängers>  unb  be§  ©e^erS.  Sie  noch,  junge  jlunjt  biefeS 
legten  mar,  aB  fte  eben  ©ejialt  ju  gewinnen  begann,  faum  mehr  als  fd)arfftnnige3  gorfdjen  unb  (Srgrübeln, 
forgfältigc§  3ufammenfe(^en ;  ein  lebenbigcS  ©chaffen  fonnte  fte  ntd)t  heißen,  ©ie  beburfte  nod)  be3  %x\-- 
lehnenS  an  ein  ©egebeneS,  al3  äuß  ere  SBcranlaffung  ihrer  Shätigfcit.  (Eine  fold)e  mürbe  il)r  bie  SÖMobie 
be3  SiebeS;  bie  Siebform,  ale>  foldje,  fonnte  inbeß  bei  ber  2trt,  mie  bie  ©efjfunfl:  bamalä  an  jener  geübt 
mürbe,  in  ibrer  rcd)ten  SScbcutung  nid)t  hervortreten.  Senn  nid)t  immer,  mir  fasert  e§,  mürbe  bie  al§ 
©runbgebanfe  eine!  geijllidbcn  Sonfa^cS  gemähte  SEJielobie  »ottjtänbtg  babei  angemenbet;  oft  erfd)ienen 
barin  nur  einzelne  2lnflänge  berfelben.  ©efd)al)  aber  jenes,  bei  einiger  2lu3behnung  eines?  ©a^eS,  fo  maren 
ibre  ©lieber  burd)  ba§  ©anje  hin  ju  fefjr  jerftreiit  unb  jerriffen,  um  als  belebenbe  (Einheit  in  9Jht)tl)mu$ 
unb  SHobulation  jur  2lnfd)auung  ju  gelangen.  SJcun  gefct)ab,e  e§  jmar  mof)l,  baß  eine  Siebnmfe  unjer= 
trennt  eingeführt  mürbe;  bann  mar  eS  aber  jumeift  im  Senor,  einer  Mittelfiimme,  mo  fte  oon  ben  übrigen 
bebeeft,  nid)t  beutlid)  merben  fonnte,  oornel)mlid),  meil  bamalS  man  fiel)  bie  Aufgabe  nid)t  fteütc,  il)re  Wiobw- 
lation  bie  leitenbe  fet;n  ju  laffen  für  baS  ©anje,  unb  nur  auf  bie  güfirung  ber  einzelnen  ©timmen  bebad)t 
mar.  SSon  ber  bebcutenbften  (Sinmirfung  mar  aber  nun  bie  Äircfyenoerbefferung  im  16ten  3al)rhunbert. 
©ie  nal)m,  mie  mol)l  fdrnn  früher  gefd)el)en  mar,  nun  aber  erft  in  größerer  2lu§bel)nung  gefchafje,  bie 
oolfSmäßigc  Siebform  in  2lnfprud)  für  ben  Äird;engefang,  unb  al§  Aufgabe  für  bie  Äunft ;  fte  bilbete  einen 
erheblichen  be§  alten  gcifilid)en  ©efangeS  hinein  in  biefe  gorm,  unb  brachte  beibe  üor  2tUem  baburd) 
in  lebenbtgen  3ufammenl)ang,  baß  fte  bie  tonifdje  ©runblage  jenes  auf  biefe  übertrug.  SSet  ben  £om 
feiern  freilich,  bie  nunmehr  bie  entlehnten,  bie  umgebilbeten,  bie  neu  entjlehenben  Äirchcnmclobieen  mehr= 
jtimmig  behanbeltcn,  trat  3lnfangö  ber  alte  Übclftanb  hcroor,  bafj  tiefen  im  Senore  ihre  ©teile  angemiefen 
blieb.  'Mein  fte  maren  bod)  nun  beftimmter,  um  ihrer  felbft  mitten,  ein  ©egenjtanb  gemorben  für  bie 
Äunft,  unb  aud)  bei  motettenhafter  33ehanblung  boch  jumeift  bie  »ollftänbige,  burch  ©infchaltungen  unjer= 
trennte  ©runblage  be§  Sonfa^eö.  2luch  jeigten  ftd)  frühe  fdmn  Äeime  hfli'monifcher  (Entfaltung,  unb  »or 
2fUem  ba,  mo  einmahl  bie  50ielobie  hinaufrüefte  in  bie  £)berfHmme,  unb  ftd)  bort  üernel)mbar  geltenb 
machte,  ©epflegt  mürben  biefe  Äeime  mittelbar,  burd)  bie  mit  bem  ©eifte  allfcitiger  gorfd)img,  r»ornehm= 
lid)  in  ben  ©prad)en,  ermad)enbe  Siebe  ju  ben  btd)tcrtfd)en  SOZaaßen  ber  Gilten,  unb  bie  SSerfud)e,  ihre 
5Rht)thmen  burd)  l)armonifd)en  ©efang  ju  beleben.  Senn  follte  biefeö  erreicht  merben,  fo  burfte  ber  S£on= 
fa^  ein  nur  einfacher,  in  allen  ©timmen  gleichmäßig  fortfd)reitenber  fet)n,  um  bem  9il)Wtl)muö  be§  ©efangeS 
genau  fid)  anfd)ließen  ju  fönnen;  tonfünplerifd)e  aSebeutfamfeit  mar  il)m  nur  in  ben  Sufammenflängen 
üergönnt  unb  ihren  gegenfeitigen  a5ejiel)ungen.  9cun  mar  bie  ©abe  be§  ©ängerä  im  Anbeginn  allerbingö 
bie  mehr  fd)bpferifd)e,  bie  beg  ©efcerS  eine,  mcl)r  in  forgfältiger  SBabJ  jufammenfefeenbc 
gemefen.  begannen  aber  erft  bie  .Reime  ber  (Entfaltung  in  ihr  ftd)  ju  regen,  fo  gefaltete  fte  nothmenbig 
ftd)  um  in  eine  forterjeugenbe.    Sie  juerff  nur  äußere  ^eranlaffung  ihrer  5£l)ätigfeif,  bie  gegebene 


  497   


SJlelobie,  würbe  ihr  min  wahrhaft  Aufgabe,  burd)  bie  Harmonie  follte  bie  Schöpfung  beS  SängerS  ftd) 
voOcnben,  unb  würbe  jene  in  folgern  Sinne  einmal)!  gcfafjt,  fo  mufjte  baS  SBirfen  beffen,  ber  ftc  übte, 
notbwenbig  ju  fdjaf fenbev  Äraft  allgemach,  [ich  erbeben.  9hm  auch  tonnten  Sänger  unb  Sefcer  einer 
werben, unb  aus  bem  Entfalten  beS  ©eg  ebenen  ba§  Schaffen  be§  EtuSgeftaltcten  enblicb  erblü= 
hen.  So  haben  wir  cS  werben  fehen  in  unferem  (Sccarb,  unb  nur  in  ber  eoangelifcben  Aird^e  tonnte  e»  beroor* 
geben  in  ber  von  ihm  erfunbenen  gorm  beS  gefiliebeS.  S)enn  nur  in  biefer  ©eftalt  ebrifilieber  ©emeüv 
febaft  allein  war  ein  innerer  ßufammenbang  vorbanben  jwifeben  bem  ©emeinegefange  unb  bem  Äunftge= 
fange,  ben  unfer  fXJJetfler  bureb  jene  gorm  5U  lebenbiger  Elnfcbauung  brachte,  unb  ber,  fo  lange  eS  eine 
Äunft  fireblicben  ©cfangcS  gegeben,  in  ihr  wohl  hat  gelocfert,  niemals  jeboch  gänjlicb  gelöft  werben  ton- 
nen. &on  ben  burdi  Gccarb  alS  gejitlieber  für  ben  Äunftgefang  erfunbenen  SKelobieen  tonnte  freilich,  nicht 
leicht  eine  übergehen  in  ben  weiteren  jtreis  beS  ©emeittcgefangeS.  9hd)t  etwa,  weil  fie  baju  weniger  geeig- 
net gewefen  wären,  als  manche  anbere,  felbft  um  feine  Seit  nodb,  auS  bem  v>iel  ferneren  Äreife  bcS  weltlN 
chen  ©efangeS  gcfd)bpfte  SBeifen.  2lUcin  fcfyon  ihre  eigentümliche,  in  ftch  vollenbete  EluSgeftaltung  in 
harmonifchem  Saf^e  lief  eS  nicht  ftattbaft  erfdjeinen,  »on  einem  folchen  ©anjen  nunmehr  einen  einzelnen 
Zfyeil  wieber  abjulofen,  um  ihm  eine  anbere,  wenn  auch  oerwanbte  SSeftimmung  ju  geben.  Sie  für  (Sccarb 
gebichteten  Sieber:  ,, greif  bieb  bu  werthe  ß^riftenheit"  (»on  $cter  .ipagen)  unb  „EluS  Sieb'  läßt  ©Ott  ber 
dbriftenbeit  »iel  ©uteS  wiberfabren"*;  (won  ©eorg  9feimann)  waren  jwar  nad)  SfogallS  Äern  alter  unb 
neuer  Sieber  noch  um  1735  ju  .Königsberg  in  fircblicfyem  ©ebraud)**);  dttetn  jeneä  fang  man  bamalS  nach 
ber  9Jcelobie :  ,,2Bie'S  ©Ott  gefällt,  gefällt  mir'S  auch,,"  ober:  „£)urcb  2lbamS  gall  ift  ganj  »erberbt," 
biefeS  nach  ber  beS  lutbertfeben  SiebeS:  „9hm  freut  eud)  lieben  ßbrifiengmein."  9hir  ElrtomcbeS  9ceu= 
jabrSlicb:  „9kchbem  bie  Sonn'  befchloffcn  ben  tiefften  SBinterlauf"***)  tonnte  man  um  jene  3eit  wohl 
nach  ©ccarbS  9Jielobie  noch  gelungen  haben  ;>  eS  ift  an  bem  angegebenen  £>rte  bafür  minbcjlenS  feine  anbere, 
befanntere,  angegeben,  obgleich  beren  allcrbingS  »orbanben  finb.  f)  2lucb  überwiegt  hier  bie  Singweife 
felbft  bie  '2luSgeftaltung,  in  ber  ihr  Sonfaij  ftch  unter  ben  übrigen  nidbt  auSseidmet,  unb  fo  tonnte  fie  leichter 
wohl  bem  allgemeinen  Äircfyengefange  erworben  werben. 

3luf  bem  SBcge  ber  gortbilbung  beS  »on  feinen  SSorgängcrn  ^Begonnenen,  burch  geijlreid;  forter- 
jeugenbeS  (Entfalten  beS  ©egebenen,  erwud)S  alfo  ©ccarbS  Grfi'nbung,  unb  geftaltete  ftd?  in  eine  gefcbloffene 
oollenbete  gorm,  ohne  baburch  eine  fernere  ©ntwicfelung  in  einem  anberen  Sinne,  als  bem  feinigen  auSju- 
fcbliefjen.  2n  biefer  SBejicbung  ftnben  wir  in  feinen  fßorgängern  entfernte  Einbeulungen  beS  »on  ihm 
©rfunbenen,  unb  in  ihm  wieberum  aufbämmcrnbe  S3licfe  auf  fpäter  ©ebilbeteS.  9täf)ereS  £inbeuten 
auf  ihn  bei  früheren,  ober  boch  älteren  SKitlebenben,  möd)te  taum  nacbjuweifcn  fetm,  wenn  man  eS  nicfyt 
etwa  bei  einem  Spanne  antreffen  will,  über  ben  einiges  mitjutb eilen  eben  nur  an  biefer  Stelle  ftch  ©ele= 
genheit  finbet.  ©inen  älteren  SÜRitlebenben  freilich  wirb  man  lfm  taum  nennen  bürfen,  ba  er  fecfy§  Sabr 
fpäter  als  ßccarb  geboren  würbe,  um  1559;  einen  früheren  nur  beSb^alb,  weit  bie  2Berfe,  in  benen  man 
Einbeulungen  ber  erwähnten  2£rtftnben  mochte,  um  einigeSabre  früh  er  erfebienen  waren,  alSCrccarbSgeftlieber. 


")    @.  SBcifpiel  9lro.  149. 

")   ©.  bafctbjl  @.  71.  9iro.  66.    ©.  179.  9tro.  162. 
"*)   efaenbafctbfi  ©.  47.  Stro.  47.   ©.  9tro.  150  ber  aSct'fpielfammlung. 
i)   25on  @ctt  rciU  iä)  niäjt  taffen  ic   Jg>etft  mir  ©Otts  ©iite  pretfen  :e. 
d.  äBinterfell,  ttt  «anget.  ß^orotgefang.  63 


  498   


2l£»<tm  Qj  untp  clfc  fi  «imcr,  geboren  ju  SEroSperg  in  Skiern,  auS  bem  etterlidjen  ^»aufe 
burch  bie  ©trenge  feines  SSatevS  wegen  jugenblicben  SKutbwillenS  vertrieben  —  er  unb  fein  S5ruber  Ratten 
beS  Sfacfybarn  genfter  mit  2lrmbrüftcn  jerfcboffen  —  t>on  feinem  ©rofwater  freunblicb  aufgenommen,  bei 
nicht  gemeinen  Anlagen  für  bie  SEonFunfr,  ju  biefer  erlogen,  feit  1581  Gantor  ju  Augsburg,  i(l  ber  Sflann, 
ben  wir  meinen.  @in  über  ihn  in  neuerer  Bett  gefprocbeneS  SBort  —  »on  gctiS  in  feinen  ßebenSbefcbrei; 
billigen  ber  Sonfünftler  (33anb  IV.  ©eite  469)  unb  in  feiner,  benfetben  t<orauSgefcbicften  pbilofopbifcfyen 
Überft'cbt  ber  ©efdjtdjtc  ber  Sonfunft  (33. 1.  ©.  CCXXII.)  —  weift  ihm  eine  bebeutenbe  ©teile  an  in  ber 
jfrmfTgefcbicbte,  flellt  ihn,  in  gewiffer  33cjichung,  fogar  höher  als  GrccarbS  ßebrmcifter,  DrlanbuS  SaffuS, 
unb  forbert  baber  jur  Prüfung  auf,  wie  »iel  etwa  unfer  SJZeijter  ihm  ju  üerbanfcn  haben  möge ;  jumahl 
©umpelfebaimer  mit  einigen  SBerfen  hervorgetreten  ijt,  bie  man  ben  geffliebem  (SccarbS  gleichartig  halten 
fbnnte.   SeneS  rübmenbe  2Bort  be§  neueren  ©efdjtchtSforfcberS  lautet,  bem  SBefentlicben  nach,  wie  folgt: 

,,£>iefer  je^t  wenig  befannte  Sonfünjtler  »erbiente  boch,  baß  fein  Sftame  unfterblicb  wäre;  benn 
ihn  fann  man  betrachten  als  einen  ber  ©cböpfer  jener  fräftigen  beutfcfyen  Harmonie,  üon  ber  £änbel, 
$.  ©.  33acb  unb  ?QZojart  feitbem  einen  fo  fchbnen  ©ebraucb,  machten,  ©umpel^aimer  theilt  biefen  9?ubm 
mit  $anS  2eo  ^aßler,  ßbriflian  ©rbach  unb  einer  fleinen  3ahl  feiner  3eitgenoffen ;  boch  'ft  feine  Überlegen* 
beit  in  ihrer  2trt  beroorragcnb  genug,  um  ihm  eine  eigene  ©teile  ju  t-erbienen.  £)er  SSerfaffer  biefeS  SSucfyeS 
hat  einige  feiner  Sonfäfje  in  Partitur  gebracht,  unb  mit  ©taunen  unb  SBewunberung  bemerft,  baf?  feine 
2üiSweidmngen,  burcbauS  auf  ber  SEonalität  ber  neueren  3eit  beruhenb,  ftetS  lebhaft  finb  unb  unerwartet, 
aber  boch  angenehm  unb  natürlich, ;  Sigenfchaften,  t>on  benen  wir  »or  ihm  fein  33eifptel  ft'nben.  ©ein 
©rwl,  weniger  reich  an  formen  als  ber  beS  DrlanbuS  ßaffuS,  beffen  3eitgenoffe  er  war,  hat  bennoch,  9?ein= 
heit  unb  Einmuth-  £>er  berühmte  ßapellmeifter  beS  Ghurfürflen  (4?erjogS)  tton  33aiern,  ohne  in  ber  Hgox* 
monie  etwas  ju  erft'nben,  hat  ftch  unfterblicb  gemacht  burch  bie  glücfliche  tfnwenbung  beffen,  waS  ttnbere 
tor  ihm  erfunben  hatten :  ber  arme  ©chulmeifter  üon  Augsburg,  hat  er  gleich;  neue  S5ahnen  geebnet,  ijl 
bennoch  in  ber  £)unfelbeit  geblieben/' 

£ier  ift  freilich  nicht  auSbrüdticb,  gefagt,  welche  biefe  neue,  burch  ©umpelfcbaimer  geebnete  ©ahn 
gewefen  fep;  man  barf  aber  auS  bem  3ufammenhange  fchliefen,  baf?  bie  SUZeinung  beS  S3erfafferS  bahin 
gehe:  er  fe»  eS,  ber  bie  moberne  Sonalität  angebahnt,  unb  nicht  etwa,  halb  jufällig  nur,  eine  neue 
3ufammenftellung  im  ©inne  berfelben  gewagt,  fonbern  fich  ihrer  bereits  mit  33ewu§tfet;n  unb  Erfolge 
bebient  habe,  ©o  ift  eS  benn  auch  wirflidb,  unb  nähere  2lufflärung  barüber  gewährt  unS  eine  bejüglidbe 
©teile  aus  gctiS  pbilofopbifcfyer  Überftcht  ber  ©efdbicbte  ber  Sonfunji  2Bir  bürfen  fte  nicht  übergehen, 
obgleich,  fie  Anfangs  unferm  ©egenjlanbe  fremb  fcheinen  mochte;  ihr  innerer  3ufammenbang  mit  bemfelben 
wirb  fich  im  Sortgange  biefer  9ERittbeilungen  entwicfeln. 

©eit  bem  14ten  ^abrbunberte  —  fagt  gctiS,  bem  wir  hier  nur  bem  ©inne,  nicht  aber  ben  2Bor= 
ten  nach  folgen,  an  bem  angegebenen  £)rte  —  war  jenes  S3erhältnip  beS  mi  gegen  baS  fa  »erboten  gewefen, 
b.  h.  bie  Ißerbinbung  be§  legten  ©liebeS  beS  ^albtoneS  an  ber  erften  ©teile  feineö  ©rfdbeinenS  in  ber 
biatonifcben  Seiter,  mit  beffen  erjrem  ©liebe  an  ber  legten  ©teile  bafelbjt.  deshalb  war  auch  bie  unmittel= 
bare  golge  jweier  großen  Serjen  unterfagt,  benn  in  biefen  flang,  jwifchen  bem  tieferen  £one  ber  einen,  unb 
bem  höheren  ber  anbern  5£erj,  biefeS  »erbotene  S3erhältni^  ber  übermäßigen  Sluarte  (beS  SritonuS)  an;  ein 
SSerhältnif,  baS  man  im  3ufammenftange  nur  alSbann  bulbete,  wenn  eines  ber  ©lieber  beffelben  bereits 
^uoor  gehört  worben  war,  unb  nur  fortflingenb  mit  bem  anberen  »erbunben  würbe,   einen  wirflidhen 


  499   


Seitton  tonnte  beäfjalb  bie  ältere  Sonfunft  nicht  befugen,  unb  bie  Sonalität  unferer  Sage  war  bamaß 
unmöglich,.  ber  wirtliche  Seitton  geht  Ijeroor  auS  bem  gegenfeitigen  Söiberjlreben  ber  werten  unb  fieben- 
tcn  Stufe  ber  biatonifchen  Seiter,  woburcb  jene  abwärts,  biefe  aufwärts  ju  fcfyretten  genothigt  wirb ;  bie 
SJielobie,  für  ficb  genommen,  fafjXt  ihn  nicpt  herbei.  SSBaS  bie  Sonlcfyre  fo  beftimmt  untcrfagt  blatte,  mürbe 
aber  burcb  einen  glücflid?en  Snftinct  SDJonteverbe'S  gemagt;  er  febuf  baburd?  bie  natürlichen  SÖZififtdnge  ber 
Harmonie,  benn  er  erfannte  ben  in  ber  btatontfcf)en  Seiter  enthaltenen  SrttonuS  aß  regten  Jeebel  für  bie 
Ausweichung,  unb  erfanb  baburd)  bie  neue  Sonalität,  baS  ebromatifche  ©efcblecbt.  ©in  9Jiann  nur  cor 
il^rn,  %bam  (Bütrvpeltsfyaimex,  bahnte  biefe  Erft'nbung  an,  aber  niemanb  hat  feiner  gebaebt. 

äkrgleicben  mir  ben  3»halt  beiber  ©teilen  mit  einanber,  fo  ift  baS  Sob,  baS  ©umpcl^haimer  bei= 
gelegt  mirb,  allerbingS  ein  febr  grofeS.  ES  mirb  ihm  barin  nad)gerühmr,  bafj  feine  Stimmenoerwebung 
leicht  unb  anmuthig,  feine  SDJobulation  Eübn  unb  boch  natürlich  fep,  unb  bafj  alle  biefe  SBorjüge  barauf 
beruhten,  bafj  er  jucrfl  ein  cor  ihm  unbeachtetes  SSerhältniß  in  ber  biatonifchen  Setter,  feinem  malten  SBefen 
unb  feiner  S3ebeutung  nach,  wfannt  habe,  äßir  wollen  nun  mit  bem  Verehrer  bcS  waeferen  SJianneS  nicht 
barüber  rechten,  bafs  er  mit  unS  in  ber  Art  nicht  übereinftimmt,  ben  Urfprung  beS  SeittoneS  ju  erklären. 
Erinnert  fep  nur  baran,  bafj,  wo  wir,  über  ben  alten  rbmifeben  JUrd)  engefang  beriebtenb,  feine  Sonarten 
erwähnten  —  benen,  aß  £>ctaüengattungen  betrachtet,  ber  Seitton  allerbingS,  unb  in  ben  meinen  fällen 
fogar,  n  i  ebt  eignete  —  wir  ihn  jurüif  führten  auf  baS  @efe£  ber  barmonifchen  Sonentwicflung,  in  welchem 
wir  auch  bie  gegenfeitigen  S3ejichungen  ber  kirchlichen  Tonarten  begrünbet  fanben,  unb  baß  wir  barauS 
einen  gefchloffenen  .ErciS  oon  £ülfStbnen  für  bie  fjannonifebe  Entfaltung  beS  biatonifchen  SpftemS  berju= 
leiten  oerfuchten.  Ehromatifcb  nannten  wir  in  biefem  Sinne  jebeS  hinaustreten  über  jenen  .Kreis, 
inbem  baburch  bie  Umfärbung  einzelner  Stute  erfolgte,  ohne  baß  fle  auS  ben  S3ebingungen  l)eruorgegan= 
gen  wäre,  welche  bie  Entfaltung  beS  biatonifchen  mit  fiep  brachte;  wir  würben  alfo  einer,  burch  ben 
SritonuS,  aß  einen  biatonifch  en  SKifaf lang,  herbeigeführten  SJiobulation,  eben  nicht  »orjugSweife  biefe 
Benennung  beilegen,  boch  btefeä  bleibe  auf  ftd)  beruhen,  benn  eS  ift  unjireitig,  bafs  ber  SrttonuS  ein  fehr 
wefentlicher  Jeebel  ber  Ausweichung  ift,  unb  bafj  er  bei  ben  älteren  Sonfünftlern  eS  auch  war,  wo  er 
nid?t  auSge fp rochen  erfebien,  wo  baS  ©ebor  ihn  nid)t  unmittelbar  uemahm.  9cun  fyaben  wir  gejeigt, 
baß  bei  Eccarb  eben  biefeS  Sonoerhältniß  nicht  feiten  ausgebrochen  »orfomme,  baß  eS  aßbann  bie  9Jiobu= 
lation  vorbereite,  boch  *>«  bem  legten,  fte  entfeheibenben  Schritte,  in  ber  Siegel  nicht  angetroffen  werbe. 
Seiner  SBefchaffenpeit  jufolge  bat  eS  in  ber  Shat  efwaS  3wingenbeS,  bie  Ausweichung  notbwenbig  £erbei= 
führenbeS,  fie  fchärfer  AuSprägenbeS,  unb  ba  wir  in  unferer  Sonfunft  baran  gewohnt  ft'nb,  fommt  eine 
jebe,  auf  biefem  SBege  eingeleitete  SCßobulation  unS  auch  leichter,  natürlicher  »or.  SBir  haben  Eccarb 
barum  gerühmt,  bafj,  wo  ein  3ug  ber  Sehnfucht,  eines  unwiberftehüchen  brangeS  auSjubrüden  war,  er 
jenes  Soroerbältniß  anwenbete,  unb  rühmen  ihn  je|t  noch  beShalb,  bap  er  auf  finnige  SBeife  in  jener  An= 
wenbung  ftd?  befebränfte,  unb  ftd?  mit  einer  Anbeutung  begnügte. 

9cacbbem  wir  biefeS,  oon  unferer  Entwidmung  febetnbar  abfehweifenb,  ttorauSgefchicft,  tonnen 
wir  nun  unferem  ©egenftanbe  näher  treten.  ES  ift  unS  nicht  näher  bezeichnet,  w  o  ©umpel^hatmer  mit 
befonberem  Erfolge  beS  SritonuS  für  feine  9Kobulationen  ftd?  bebient  habe;  eS  werben  unS  nur  SKotetten 
im  Allgemeinen  genannt,  worin  biefeS  gefebeben  fep,  Sonfä|e  alfo,  bei  benen  bie  Stimmetwerwebung  baS 
SSorberrfcbenbe  ift,  unb  zugleich  in  ftd?  felbft  ein  bannonifch  uolIftänbigeS  ©anje  bilbet.  ©umpelfchaimer 
hat  aber  auch  geiftliche  Siebe  r  gefegt,  unb  zwar  bereiß  in  ben3ah"n  1591  unb  1594,  fiebert  unb  »ier 

63* 


  500   


\sat)tt  früher,  als  (SccarbS  gejtltcber  erfchienen.  SBürben  wir  in  biefen  eine  gorm  antreffen,  ähnlich  bet, 
bie  »viv  gccarb  als  eine  ton  ihm  crfunbene  nadjrühmten;  begegnete  unS  barin  ein  9?eichtf)um  an  2luS= 
weichungen,  finnig  wie  biejenigen,  welche  bie  geftlieber  un§  entgegenbrachten,  unb,  wären  biefe  in  allen 
ihren  SBorjügen  wefentltd)  »ermittelt  burd)  jenes  Sonüerljältniß,  beffen  SSebeutung  ©umuelfehatmer  juerft 
erfarmt  haben  foll,  fo  würben  wir  freilich,  gefielen  muffen,  biefem  SJieifter  gebühre  ba§  £ob,  baS  wir  bann 
voreilig  feinem  rrcflid)cn  Scitgenoffen  beigelegt  Ratten. 

SmSo^t  1591  erfd)ten  ju  Augsburg  bei  Valentin  ©djönigf  baS  erfte  SEÖerE  ber  gebacken  Art  »on  ' 
©imwelfebaimer,  unter  bem  Sitel:  ÜJleue  teutfehe  getftlidje  lieber  mit  breien  Stimmen,  nad)  Art  ber  wel= 
feb,  en  35  Ulan  eilen  ic.  ;  baS  jweite  eben  ba  um  1594,  bezeichnet:  „SBürfegärtleinS  teutfd)  unb  lateinifcher 
{Hebet  Gjrjrcr  Sl;ci(,  nach  Art  ber  weifchen  (Sanjonen  mit  toter  Stimmen  üomponirt."  ©in  jweiter 
£hetl  biefeS  Büchleins  fommt  mit  ber  Sjah^jahl  1619  cor;  bie  33orauSfefeung,  baß  er  bennod)  mit  bem 
erffen  gleid^eitig  fepn  tonne,  wirb  burd)  bie  3ueignung  beS  SfteifterS  an  bie  ©ebrüber  ßaSßar  unb  9Keld)ior 
fiangemantel,  3Jatt)Sherm  ju  Augsburg,  unb  jDberrichtet  beS  ^eiligen  9f6mifd}en  3?eid)eS,  wiberlegt;  fte  lau* 
tet  t>on  bem  Safere  beS  £)rudcS,  unb  ber  erfte  Xljtil  wirb  barin  als»  wx  fünf  unb  jwanjig  Sauren  rjetauS* 
gegeben  bejeidjnet.   SSSir  werben  unS  baf)er  junächfi  an  bie  früher  erwähnten  SBerfchen  ju  galten  haben. 

(Sin  großer  Zfytil  berfelben  bietet  unS  eigen  erfunbene  Sttelobieen  ju  befannten  geijitichen  Biebern, 
brei=  unb  merfrimmig  gefefet;  balb  einfacher,  balb  mit  größerem  Anfpruche  auf  funjiretd)e  Durchführung. 
@o  haben  wir  In'er  einen  breU  unb  einen  merftimmigen  ©afe  über  baS  bekannte  ©terbelieb :  „£)  SBelt  id) 
muß  btrf>  laffen";  einen  oierjtimmtgen  über  baS  gleichartige:  „2Benn  mein ©tünblein  üorhanben  ift";  einen 
über  baS  ^Pfalmlieb:  „Ser^err  ift  mein  getreuer  Jpirt",  unb  über  baS  StKorgenlieb i  ,,5d)  banf  bir,  lieber 
£crre".  S3ci  allen  tiefen  erfdmnen  nun  nicht  ihre  befannten  SBScifen,  fonbern  neue,  tf)  eitS  gefdjmüdtere, 
theilS  foldje,  bie  aufmerr'fame  9füdftd)t  auf  2Bortbetonung  üerratb,en,  unb  nicht,  gleich  ben  £ird)enmelo= 
bieen,  mit  größeren,  allgemeineren,  aber  aud)  kräftigeren  Sügen  fid)  genügen  laffen.  Aud)  an  geftgefängen 
fehlt  eS  nid) t.  Der  ßobgefang  ©imeonS,  nad)  £utf)erS  Sichtung :  ,,Wlit  grieb'  unb  greub'  id)  fal)r'  baf)in" 
wirb  un3  in  brei=  unb  in  merftimmigem  ©afee  geboten ;  ber  Sobgcfang  ber  SDkrta  erfd)eint  wierftimmig  in 
<Spmpl)orian  ^ollio'ö  Siebe:  „SDlem'  ©eel'  ergebt  ben  ^erren  mein'';  ein  weniger  befannte§  £)fterlieb : 
,,2ßie  fömmfä,  baß  bu  fo  frblid)  bijl''  finben  wir  ju  brei  Stimmen  betyanbelt.  SQieift  bürfen  wir  annel)= 
men,  baß  bie  Dberfiimme  bie  ^)au»tmelobie  fül)re,  wenn  e3  aud)  in  einzelnen  fallen  baburd?  jweifclfjaft 
wirb,  baß  in  il)r  bie  ©runbtonart  be§  ©anjen  nid; t  unoermifd)t  fid)  barjlellt.  2Ba3  bie  5Bejeid)nung  ber 
breifiimmtgen  ©efänge  al§  nad)  a3illanellen=,  ber  merjlimmigen  aB  nad)  ßan^onenart  gefefet  betrifft, 
fo  bürfte  e§  fd^wer  fepn,  baö  S5ejeid)nenbe  biefer,  l)ienad)  al§  t»erfd)ieben  t»orau§gefefeten  formen  mit  @d)drfe 
abjugrenjen.  Ser  Unterfd)ieb  wirb  in  ber  2lrt  beä  SSonfafeeö  mehr,  «IS  in  ber  Sßenbung  ber  Gelobte 
beruht  haben,  unb  wenn  auch  in  ben  einen  wie  ben  anbern  biefer  ßieber  Nachahmungen  üorfommen  unb 
-  Üf)nlid)cs>  über  ben  einfachen  «Safe  bjnauSgehenbe,  fo  ift  bod)  in  ben  breiftimmigen  bie  ©runbmelobie  mehr 
tein  gehalten  t>on  fremben  6infd)altungen  unb  öfteren,  nur  üerfefeten  2Bieberholungen  einzelner  Seilen  ober 
auch  3ßorte,  aß  bieg  in  ben  üierjhmmigen  ber  galt  iji.  ©d)on  Sterin  finben  wir  eine  »erhaltnißmdßig 
größere  unb  geringere  Annäherung  an  ßccarb.  Sn  ben  breiftimmigen  (jugleid)  ben  älteren)  ©efän= 
gen  erfcheint  mehr  eine  melobifch=harmonifd)e  Entfaltung  berßiebform,  als  fold)er;  in  ben  t>ierflim= 
mi gen  (ben  füät er en)  mehr  eine  motettenhafte  ^Durchführung  einzelner  SDlclobiejeilen;  bort  alfo  ein 
bem  gefiliebe  'ÜhnlichereS,  f>ter  ein  baüon  SierfchtebenereS,  unb  mehr  bemjenigen  ÜbereinEommenbeS,  was 


  501   


mir  al§  Vorarbeiten  ju  temfelben  in  ber  ^Betrachtung  ber  SBerfe  (SccartS  beäeicr)neten ;  ein  nod)  nid)t  vblli= 
geS,  lebenbigeS  23erfdimol$enferm  ter  ßietform  in  bie  teS  SMettS.  3n  tiefet  Art  teS  ©afceS  fbnnte  aber 
©umpel&baüner  bann  immer  nid)t  als  SSorbilb  ßccarbS  gelten,  roeil  mir  it>n  bamit  erft  um  taS  3af)r  1594 
hervortreten  feben,  tiefen  aber  bereits  fünf  Sabre  juvor,  um  1589,  in  feiner  vterftimmigen  SSebanblung  be§ 
I28ften  Claims  nadb  einer  felbftcrfuntenen  ©ingweife.  2SaS  aber  bie  SSiHanellcnart  betrifft,  fo  bitte  in 
tiefer  ©ccart  febon  um  SJielcS  früher,  in  ©emeinfebaft  mit  Joachim  von  SBurgf  fid)  verflicht,  in  ber  Cre- 
pundia  ndmlicb,  unb  ben  treijjig  getfilieben  Siebern.  @r  bat  alfo  wobl  faum  auS  ©unrpelkbaimerS  Siebern 
einige  Anregung  in  tiefer  Art  erfahren.  Auch  hatten  mir  bann  in  jenen  SSiüaneUen,  jenen  Sanjonen,  immer 
nur  jroei,  vor  beiben  SEReiftern  bereit»  beftebenbe  Arten  beS  (Sa^eS,  welche  95 et t e  als  ©egebeneS 
bereits  vorfanben ;  unb  würben  jwifeben  ibnen  ftetS  ben  wefentlid)en  Unterfd)iet  fe^en  muffen,  tafs  ter  eine 
—  ©umpelßbaimer  —  fid)  ohne  weiteres  l>ielt  an  taS  ©egebene,  bem  anbern  aber  —  ßccart  —  eS  eine 
Anregung  wirrte  jum  gortbilten  unb  AuSgeftalten.  2Sir  türfen  bienacb  nicht  behaupten,  ©umpeüjbaimer 
habe  unferem  ßccart  tic  SSabn  geebnet  für  tie  Ghrftntung  ter  melotifcben  ©runtform,  unb  ber  Art  beS 
SonfafjeS  feiner  gcfrlietcr ;  biefer  fanb  vielmehr  in  bereits  SSorbanbenem  nur  f erne  Anbeuttingen  teS  von 
ihm,  fortbilbent,  ©rfuntenen.  2flletn  er  fbnnte  ibm  vielleicht  SSorbilb  geroorben  fenn  in  AuSgefialtung  teS 
ginjelnen,  jumabl  in  geroantter  gührung  ber  Stimmen  bei  bem  Crintritte  bebeutfamer  Ausweichungen; 
unb  eben  tiefeS  fbnnte  tureb,  neue  unb  geiftreiche  Anwcnhtng  teS  SritonuS  gefebehen  feon.  Auch  tiefeS 
habe  ich  ntcf)t  ft'nten  fbnnen.  (SS  ift  roahr,  ©umpel&batmerS  ©timmenführung  ift  jumeij!  natürlich  unb 
leicht,  feine  Nachahmungen  ftnt  oft  glüeflich  unt  fangbar;  allein  feiten  bienen  fie  taju,  irgent  ein  für  tie 
©runttonart  bebeutfameS  Sonverbältnip  im  3ufammenhange  bejeidmenb  unb  fräftig  hervorzuheben,  wie  mir 
eS  decaxt  tod)  vorjüglid)  nachzurühmen  hatten.  £>eS  SritonuS  aber  bebient  er  fid)  in  ben  meijlen  gällen 
eben  nicht  anberS  als  biefer;  in  ber  Art,  roie  mir  eS  unter  anbern  bei  teffen  treflicbem  fünfftimmigen 
©efange:  ,,5Rein' fdjbnfte  3ier  unb  Äleinot  bift"  anzumerfen  fanten.  Allein  tie  erfie  (Sinfülnimg  jenes 
SJlifjflangeS  auf  foldje  SBeife  gebührt  meter  tem  einen  noch,  tem  antern  von  ihnen ;  früher  als  bei  ihnen 
fommt  er  in  biefer  Art  bei  Sobann  ©abrieli  vor,  in  einem  acbffttmmtgen  SJiotett  für  taS  SBeit)nacr;tSfeft : 
„0  magnum  rnysterium ,  o  admirabile  sacramentum,"  taS  fid)  in  ter  von  tiefem  SJtciffer  um  1587 
herausgegebenen  Sammlung  von  Sonfd^en  feines  £>betmS  AnbreaS  unt  einiger  eigenen  fintet.*)  @S  erfd)ei= 
nen  freilich  bei  ©umpelfehaituer  «Stellen,  roo  ber  SritonuS,  —  ober,  wa§  bamit  als  gleid)bebeutent  angefe* 
hen  werten  fann,  tie  verminterte  Sluinte  als  teffen  Umfebrung,  —  fogar  frei,  ohne  Vorbereitung  eintritt; 
fo  im  achten  Safte  beS  vierfiimmigen  Siebes :  „3>cb  tanf  bir,  lieber  .£>erre."**)  $kx  ift  er  jetoeb.  offenbat 


  502   


nur  ein  in  fcbrittweifer  Fortbewegung  ber  Stimmen  ftd?  ergebender  SSorfjalt  ber  fleinen  ©erte,  unb  zugleich 
ohne  allen  ßinfluß  auf  bie  Sölobulation.  Änbere  9Jkl)le  aber  bat  ü)n  ©umpelljbaimer  nicht  eingeführt,  wo, 
in  ber  SSorauSfefcung,  baß  er  beffen  SSebeutung  für  fchärfereS  Ausprägen  ber  SKobulation  erfannt,  ober 
bodb  mit  richtigem  ©cfübJe  geaFjnet  hätte,  er  eine  nahe  Skranlaffung  ju  feiner  Cnnführung  gehabt  haben 
würbe,  ©o  bei  bem  ©ebraucbe  beSAccorbeS  ber  großen  ©ecunbe.  @r  läßt  biefe,  wo  er  fte  anwenbet,  in  ber 
©runbjttmme  ganz  richtig  um  eine  ©rufe  unter  ftcb.  treten,  wäbrenb  biejenige  habere  ©timme  forttont,  bie, 
mit  bem  33affe  jufammenflingenb,  jenes  Sonoerbältniß  barftellt.  2£lletn  er  gefeilt  biefem  Sufammenflange 
bann  nicht  bie  Quarte  unb  ©erte,  beren  erjfe,  bei  bem  2£brodrt§f erretten  ber  ©runbjiimme,  bie  Umfefyrung 
beS  SritonuS  einführen  würbe.  S3iclmebr  verboppelt  er  bie  fortflingenbe  ©timme,  bureb  welche  bie  ©ecunbe 
f) er» ortritt,  unb  fügt  beiben  nur  noch  bie  £luinte  fyinju,  fo,  baß  biefe  ganze  gortfebreitung  nur  erfcheinen 
fann  als  Umfefyrung  einer,  auf  ber  fünften  ©tufe  beS  ©runbtonS  aufwärts  oorgebaltencn  Huarte.  ©o 
ftnben  wir  bie  ©ecunbe  bebanbelt  in  bem  ft'ebenten  Safte  beS  t-ierftimmigen  fitebeS:  ,,SOJein'  ©eef 
erbebt  ben  £erren  mein'';  unb  ganj  übereinftimmenb  in  bem  9)falmliebe:  ,,£)er  £erre  ifl  mein 
treuer  Jpirt."*) 

£ft  enblicb  ijt  ©umpel^baimer  reich,  an  SEßobulationen,  obne  aud)  nur  eine  einzige  berfelben  burd) 
ben  SritonuS  ^erbetjufü^ren  ober  ju  würzen,  ©o  in  bem  merftimmigen  Siebe :  „SJlit  grieb'  unb  greub' 
ich  fafjr'  baf)in."  3n  beffen  erjler  Seile  meiert  er  auS  in  bie  fünfte  ©tufe  aufwärts  (D),  in  ber  zweiten 
fefyrt  er  in  bie  ©runbtonart  jurücf ;  in  ber  britten  leitet  er  bie  SERelobie  nach  ber  vierten  ©tufe  aufwärts  (C), 
in  ber  eierten,  nach  ber  britten,  fleineren,  ebenfalls  aufjleigenb  (B) ;  Ausweichungen,  bie  er  beibe,  wie 
jene  erjten  zwei  als  in  weiche,  fo  hier  als  in  harte  SEonarten  bezeichnet.  Sie  fünfte  unb  fechte  Seile  enblich 
bringen  bie  anfänglid)en  beiben  Sßobulationcn  wieber.  2Bir  werben  eS  nicht  tabeln  bürfen,  baß  er  hier 
nirgenb  oon  bem  9Jltßflange  ©ebrauch  machte,  ben  er  fo  oft  unb  fo  glüdltd)  angewenbet  haben  foll,  aber 
wir  bürfen  zweifeln,  baß  biefeS,  wenn  eS  gefchah,  mit  2Baf)l  unb  Überzeugung  gefchehen  fep. 

9cad)  bem  ©efagten  leud)tet  eS  ein,  baß  ßccarb  t»on  biefem,  fonjl  allerbingS  fcbäljbaren  Söleifler 
Anregungen  nicht  empfangen  fonnte,  weld)e  berfelbe  ju  geben  außer  ©tanbe  war,  unb  baß  jwifchen  beiben 
nur  entfernte  Schiebungen  »orhanben  finb.  Auch  waren  beibe  auf  ganj  oerfebiebenen  ©ebieten  tbättg. 
(Sccarb  gehörte  mit  feinem  ganzen  ©treben  ber  jtirche,  ©ttmpelkbaimer  fcheint  mehr  für  häusliche  Erbauung 
gearbeitet  ju  haben.  SBo  er  ftd?  auszeichnet,  ift  er  gefühlvoll,  fein,  zierlich ;  faum  einmahl  fchwingt  er  ftcb 
auf  zum  ©roßarttgen  unb  (Erhabenen**),  währenb  (SccarbS  ©ebbpfungen  biefeS  ©epräge  auch  ba  nicht  t>er* 
leugnen,  wo  fte  heiter  unb  anmutbjg  finb.  2Bäbrenb  biefer  bahin  trachtet,  in  feinem  gejlliebe  eine  höhere 
S5lüthe  beS  ÄunftgefangeS  auS  bem  ©emeinegefange  zu  entfalten,  bem  ©otteSbienfte  zu  größerer  Sterbe,  ijt 
jener  nur  befjrebt,  eine  heitere  gorm  beS  weltlichen  ©efangeS  geblieben  Sweden  bienftbar  zu  machen,  unb 
bem  engeren  Äreife  ber  gamilie  eine  eblere  ©rgöf^ung  babureb,  Z"  bereiten,  als  fte  an  jenem  gefunben  haben 
würbe,    einige  Äirdjenweif  en  ftnben  wir  freilich  auch  in  feinem  2öerfd)en,  toierjlimmig  gefegt;  fo  bie 


•)  25aS  erfte,  fo  wie  ba«  ebenfalls  vierftimmige  „5Kit  grieb'  unb  greub'  ich  faW  babjn"  tjabe  id)  in  bic 
SBeffpielfammlung  aufgenommen  als  groben  beS  ©umpcl^aimcrfcticn  SSonfalcS,  unb  fic  eben  unter  feinen  oorjüglicheren 
©efä'ngen  ausgerollt.   ©.  SScifpiel  9Jro.  154.  155. 

")  ©eine  OTetobfe  ju  bem  ^affionSliebe:  „3efu  (5teu|,  Cciben  unb  ^ein"  (im  jroeiten  SEöeile  beS  SEBürjgärtlcinS 
9tro.  8)  giebt,  eben  wie  tfjr  2onfa^,  ein  reürbigeS  93eifpiel  baoon;  fie  ttfcfceint  aber  erft  1619,  ad)t  3abre  nach  SccarbS 
Dafjinfcheiben.   ©.  Seifpiclfammlung  5«ro.  156. 


  503   

ber  2Beibna*t$lieber :  „S3om  Gimmel  ho*  ba  fomm'  i*  ^er ;  ©elobet  fet>fl  bu  SefuS  dfjrift,"  ba  er  fonfl 
gewbbnli*  au*  für  gebräuchliche  Äircbenlieber  eigene  Sßeifen  51t  crft'nben  pflegt-  SEHefe  beftnben  ftd)  aber 
in  fem  jweiten  S£b,eile  feineS  SBürjgärtleinS,  ber  um  1G19,  ad)t  Sah"  na*  (SccarbS  Sobe,  jum  erjten 
9M)te  erfebten.  Allein  angenommen  au*,  biefe  ©äfce  fet;en  um  1594,  wenn  au*  niebt  öffentti*  erf*ie= 
nen,  bo*  f*on  oorbanben,  unb  (Eccarb  befannt  geroefen,  fo  ift  faum  anjunehmen,  baß  biefer  t»on  benfelben 
irgenb  berührt  worben  fe».  Denn  fie  jei*nen  ft*  hb*ften§  bur*  lebhafte  Bewegung  au3,  unb  f*mucf= 
retebe  SSBenbungen  ber  bcgleitcnben  (Stimmen,  fo  wie  bur*  einen  ohne  Unterbrechung  fortgeführten  ©efang, 
beffen  berrfdienbe  SDielobie  in  ber  Oberftimme  erf*eint.  58on  funjlreid)cr  Durchführung  jener,  fo  bafj  fie 
in  jebem  Sbeile  al§  belebenber  ©runbgebanfe  erf*iene,  ift  hier  nicht  bie  Stebe;  e§  jeigt  fich  nur,  bbchflenö 
mit  etwas  mehr  ©ewanbtheit,  baSjenige,  wa3  unter  ähnlichen  ffiebingungen  auch,  f*on  bie  SKeifter  ber 
erften  £älfte  bc3  löten  3af)rhunbert3  3"  erreichen  wußten.  25er  bloS  fortübenbe  Sontunjtter,  wie  er 
es?  geblieben,  barf  baher  mit  bem  fort  bil  ben  ben  auf  feine  SSBeife  werglichen  werben;  mag  er  mit  ©hren 
unb  Anerkennung  genannt  werben  fönnen,  in  ber  ©ef*i*te  ber  Äunft  gebührt  ihm  nur  eine  untergeorbnete 
©teile,  währenb  (Sccarb,  einmahl  erft  wieber  ber  33erna*läfftgung  unb  S3ergeffenheit  entrtffen,  in  feinen 
SSBerfen  bauernb  fortleben  wirb. 

Snbem  i*  nun  hier  üon  ihm  f*eibe,  mit  bem  2Bunf*e,  baß  bie  ^Bemühungen,  bie  ich  ibm  mit 
treuer  Siebe  gewibmet,  fein  Anbenfen  neu  beleben  mögen,  werbe  ich  in  ber  (Erinnerung  ju  feiner  33aterftabt 
unb  ihren  Umgebungen  hingeleitet,  unb  e£  erfebeint  mir  ein  S3ilb,  in  welchem  bie  ©genthümlichfeit  feine§ 
©d)affen§  unb  SBirfenS  ft*  lebenbig  unb  anfebaulieb  abriegeln  bürftc. 

©übwärtS  »on  SO^üblbaufen,  auf  einem,  t>on  bort  au§  fanft  anfteigenben  Abhänge,  entfpringt 
eine  Quelle,  no*  jefct,  nach  einem  im  breißigjährigen  Äriege  5erftbrten,  feitbem  nicht  wieber  aufgebauten 
Dorfe,  ber  spoppenrober  S3runnen  genannt.  Auf  fteinernen  ©tufen,  ring§  »on  bi*tbelaubten,  hohen 
S5dumen  umgeben,  fteigt  man  hinunter  51t  ihrem  weiten  SBafferbeden,  unb  f*aut  hinab  in  ben  reinften, 
flarften  ©piegel.  An  einem  füllen,  heiteren  Sage,  um  bie  3eit  jwif*en  Abenbröthe  unb  Dämmerung, 
ift  ihr  Anblid"  in  ber  S£l)at  jauberhaft.  AuS  bem  Dunfel  ber  fie  biebtbefebattenben  SSäume ,  beren  ßaub  in 
ihr  wieberf*eint,  tritt  fte  heroor,  fr^flallbell,  auf  ihrem  ©runbe  erfennt  man  frtf*  unb  faftig  grünenbe 
Sföoofe,  beren  lichtere  garbe  unter  ber  bunfleren  ber  abgeriegelten  33aumwtpfel  beroorfebeint,  eine  anmu= 
*ige  5£äufd)ung  für  ba$  binunterblicfenbe  Auge,  ba$  jene  in  wunberbarer  SSerflärung  ju  erbliden  wähnt. 
Do*  ift  e§  nicht  ein  erfreuliches  SSilb  allein,  ba§  biefe  £lueüe  gewährt,  ©ie  ftrömt  reich  unb  ^oU  hinunter 
gegen  bie  ©tabt,  fte  treibt  bie  Stühlen,  t>on  benen  biefe  ihren  9Jamen  trägt,  fte  ergießt  ftdt>  bur*  biefelbe, 
fie  erfrifchenb,  fäubernb,  erheiternb,  belebenb.  Aber  bie  (Einwohner  ber  ©tabt  wiffen  au*  biefe  ©abe 
©otte§  wohl  ju  f*ä£en.  Dreimahl  im  Sah",  an  beftimmten  Sagen,  wanbern  bie  .Knaben,  bie  9Jiäb*en, 
bie  Sebrer,  »on  ber  SJZenge  begleitet,  ju  ihr  hinauf,  auf  bem2Bege£ob  =  unb  Danflieber  anfh'mmenb, 
na*  ben  SEBeifen  alter  Stteifter,  wie  biefer  fangreiche  £>rt  beren  »iele  hen>orgebra*t  bat.  Di*t  brängt  fi* 
AHeS  auf  ben  ©tufen,  bie  ju  bem  SBafferbeden  hinabführen;  anbä*tig,  entblößten  4?aupteS,  hört  man 
einem  Danfgebete  ju,  im  £erjen  e§  ftill  wieberholenb.  SBie  lei*t  beut  ft*  ba  bie  (Erinnerung  an  ben 
geiftli*en  §el§,  von  bem  bie  Dürftenben  in  ber  2Büfte  getrunfen,  an  ben  Srunn  beS  SBafferä,  baä  in  ba§ 
ewige  geben  quillet !  Die  9Jläb*en  winben  auä  S3lumen  manni*fa*er  garben  einen  Äranj,  ber  ben  gan= 
jen  UmfreiS  beä  23eden§  umf*ließt,  aber  fte  erfreuen  ft*  au*  baran,  fleinere  Äränje  »on  allen  Slumen 
ber3ahre§jeit,  ober  buftige  ©träufe,  mit  ©teinen  bef*wert,  hinabjuwerfen.   Denn  fobalb  eine  SSlumc 


  504   

binabtaucbt  unter  ben  2Bafferfpiegcl ,  ift  es ,  als  wenn  tt>r  garbenglanj  einen  neuen,  nerf larten  ©crmtelj 
Durch,  ihn  empfange,  atS  trenn  bte  Sfofe,  bie  Sitte,  burcbft'djtig  werbe  unb  blinFenb,  gleich  bem  Sfubin  ober 
2>emant,  ohne  jeboeb  ihr  cigenjies  2Befen  babei  einjubüfjen. 

@ine  äfj>nlid>e  ©abe,  wir  bürfen  es  fagen,  roar  bem  reinen  unb  frommen  ©emüthe  unferes  9Jlei= 
flcrs  gewährt;  was  ftcb  »erfenftc  in  beffen  Siefe,  ftrablte  neu  oerfldrt  jurücf  aus  bemfelben;  nicht  als  eine 
flüchtige  @rfd)einung,  fonbern  feftgebalten  bureb  bte  Äraft  ber  tücbtigjten,  gebiegenfien  Äunjifertigfcit.  3n 
feinen  geftliebern  gewinnen  bie  SBtlber  heiliger  ©efebiebten  balb  ben  jarten  @d)me[j  heiliger  Einmuth,  balb 
ffrablcn  fte  uns  entgegen  mit  bem  bellen  ©lanje  bes  eroigen  Sichres,  bas  hineinleuchtet  in  bie  bun!le,  fün= 
bige  SBelt.  SBir  fet>en  SKaria,  roie  fte  hofnungsretd)  über  bas  ©ebirge  gebt  jtt  ber  geliebten  greunbin, 
unb  ihre  Sippen  öfnet  ju  hohem  Sobgefange;  mir  boren  fte  pfeifen  als  bie  auserforne  Jungfrau,  bie  ben 
(Srlöfer  geboren,  unb  unferem  innern  2tuge  erfcheint  lebenbig  bie  Schaar  ber  »erfünbenben  Crngel,  beren 
bimmlifcber  ©lanj  bie  fiaunenb  freubigen  £irten  umleuchtet.  SBir  febauen  ben  greifen  ©imeon,  wie  er 
üon  bem  hehren  ©lanje,  ber  feftlicben  $rad)t  bes  alten  Sempels  umgeben,  ben  finblicben  ©rlöfer  in  feine 
tfrme  nimmt,  unb  nun  gern  t>on  binnen  febeiben  will,  ba  er  ben  33 erb, eigenen  gefeben,  ben  SEroft  Sfraels, 
bas  Siebt  ber  2Belt.  ©rfebeint  uns  bann  auch  bas  33ilb  bes  £eilanbes  in  ber  ganjen  Siefe  feines  bitteren 
Seibens,  fo  üerflären  es  boeb  wieberum  jene  »ollen,  crnjten,  lichten  Sbne,  welche  bte  ©celigfeit  beffen 
preifen,  ber  herjlicb,  glaube  an  feine  erlöfenbe  Äraft,  ber  in  bem  leibenben  ©ottcslamme  ernenne  bas  ewige 
Dpfer  für  bie  ©ünbe  aller  SBelt. 

3n  ber  flangreicben  «Seele  unferes  Sfletfters  entfalten  aber  aud)  bie  alten  heiligen  ©efänge  ber 
eoangelifcben  Äircbe  erjl  tf>re  rechte,  »olle  S3ebeutung.  £at  er  ihre  Sonweifen  aud)  nid)t  gefebaffen,  gleid) 
benen  feiner  geftlieber,  fo  erfebeinen  fte  bod),  burd?  feine  £armonieen  belebt,  gleid)  einer  neuen  (Schöpfung, 
in  ber  innigften  greubigfeit  enthüllen  fte  bte  ganje  Siefe  ihres  SBefens.  2ln  feinen  Sonen  fül)len  wir  uns 
neu  geftärft,  gereinigt,  erbaut;  heiliger  griebe  wohnt  in  ihnen ,  neben  ber  gefunbeften,  frifcfyeften  Äraft. 
©o  waren  fte  feinen  Seitgenoffen  ein  labenber,  erquiefenber  £luell,  eine  ©tärhtng  für  bie  9Jiül)en  eines 
bamals  melfacb  angefochtenen,  verworrenen  Sehens;  bie  tiefgehenbe  SBirffamfeit  bcS  frommen  ©eiftes, 
beffen  fchbpferifcher  .Kraft  fte  entftrbmten,  beffen  runftlcrifche  Süchtigfett  bas  innerlich  gefchaute  S3ilb 
bauernb  feftjubalten  »ermoebte,  betätigte  ftcb,  über  bas  irbifche  Sehen  bes  SKeifters  tjtnauS,  an  feinem 
Sehrlingc  unb  greunbe  ©tobdus ,  an  einer  burd)  bas  ^)reupenlanb  weit  verbreiteten,  auf  ihn  gegrünbeten 
©chule  heiligen  ©efanges;  auch  ba  lebt  fte  noch  fort,  wo  man  feines  Samens  unb  feiner  Söerfe  uergeffen 
hat.  2)och  wahrlich !  wenn  biefe,  bie  wir  wohl  Sonbilber  nennen  bürfen,  wie  bisher  in  nur  fleinem 
Äreife,  einft  allgemeiner  wieber  in  ba3  Sehen  treten,  werben  fte  bem  offenen,  empfänglichen  ©inne  baS 
fepn,  wa§  fte  ben  3eitgenoffen  @ccarb§  gewefen.  Senn  er  war  ein  reiner  Spiegel  be§  ^)bchjten,  unb  barin 
liegt  bie  ©ewäbr  für  bie  2)auer  feiner  ©chbpfungen. 

&  dtiufiw  vtt. 

3n  wenige  SBorte  faffen  wir,  auf  bte  burchmeffene  S5ahn  jurüdblicfenb ,  nun  baSjenige  jufam= 
men,  was  auf  unferer  SBanberung  burch  baS  erfte  ^ahrhunbert  ber  ilirchcnüerbcffcrung  uns  hefd)dftigte. 

'211s  um  ben  SBeginn  bes  Sahrhunberts ,  an  beffen  ©renje  wir  nun  gelangt  ftnb,  bas  lebens- 
fräfttge  SBort,  bie  entfchloffene  Shat  eines  feltenen  SJlannes  bas  in  ben  ©cmüthern  Met  lange  angeregte 


505  


SBebürfnifj  einer Steinigung  ber  d)riftlid)enÄird)e  ju  gellem  33ewuf?tfet)n  erwcdt  fjatte;  als  bie  f)eilige@d)rift, 
bisher  in  bem  au§fd)lief?enben  SSejtfee  eine§  bevorrechteten  ^)riefterftanbe§,  ben  ©laubigen  wieber  aufgefd)lof= 
fen  war,  ba  würbe  ba3  heilige  2Bort  ber  Offenbarung  nid)t  allein  laut  in  ber  SOrebigt,  fonbem  aud)  im 
©efange.  9feid)lid)  füllte  e§  wofmen  in  ber  ©cmcine  ©otteS,  in  mannigfaltigen  Neimen  neuer  ©eftaltun* 
gen  follte  e»  ft'd)  bewähren  aß  ein  äd)te§  SBort  bc§  Scbenö.  Der  geiftlid)c  ©cfang  ber  ©ememe  in  ber 
9Jiutterfprad)c,  nur  in  fpärlicfyen,  »ereinjeltcn  S3äd)lein  beroorgcbrocfyen,  mad)te  ftd)  nunmehr  fräftiger 
SBabn,  immer  tiefer  unb  reidjer  anfd)wcllcnb  bt§  ju  einem  mächtigen  Strome.  Den  Snbalt  gewährte 
ifjm  vor  Willem,  waS  bie  ©djrift  an  heiligen  ©efängen  beut,  wa3  in  ber  älteren  Jtircfyc,  wenn  aud)  bem 
SSolfe  unjugängtid)  burd)  frembe  ©prad)e,  aus>  uralter  Seit  fid}  fortgepflanzt  t>atte :  bae>  ^Pfalmbud),  an= 
fnupfenb  in  feinen  Siebern  an  bie  Sdjicffale  be§  ifraelitifd)en  23olfe3  unb  feiner  Jpäupter,  aber  ge^etmntjfc 
reid),  wetffagenb,  einer  neuen  ©nabenjett  SJcrfünber,  in  ewigen  SBortcn  feine  ©ültigfeit  für  alle  Seiten 
beurfunbenb ;  neben  it)m  jene  früt>eften  ©lütten  eineS  neuen  heiligen  ©cfangeS  in  ben  (Stählungen  be§ 
2ucas>,  oon  bem  ber  ©eburt  beS  >£>errn  ahnungSuoll  Vorangegangenen,  unb  feinen  erften  finblidjen  Sagen; 
enblid)  bie  erneute,  reine,  bibltfd)e  2el)re  felbft,  unb  wa$  nun,  burd)  alleS  biefeS  neu  angeregt,  erwedt, 
belebt,  in  frommer  SSegeiftcrung  bie  ©emittier  beroegte.  Sie  §orm  gaben  bie  SBeifen  be§  ^3riejler= 
gefangen  ber  alten  £ird)e,  oor  Willem  aber  bie  be§  S3olBliebe§.  Diefe  waren,  gletd)  il)m  felbji,  @rjeug= 
niffe  unbewußten  .EunfttriebeS,  mäd)tigen  inneren  DrangeS,  laut  werben  ju  laffen,  was>  in  2ieb'  unb  ßeib, 
in  <2d)crj  unb  ©rnfr,  in  ©innigfeit  unb  Übermut!)  bie  ©emütl)er  bewegte.  2lber  bie  ältere  3eit  f)atte  in 
tflmung  unb  Erwartung  ber  jefet  gefommenen,  aud)  ^eilige»  gefungen  in  Sauten  ber  9ftutterfprad)e.  Um 
fo  lieber  würbe  biefeS  ergriffen,  aß  ein  wertheS  ä3eftfctl)um;  in  feinen  SJWobieen  unbebingt,  währenb  man 
bem  3nf)alte  nur  ba§  abjtreifte,  waS  nid)t  beftefjen  fonnte  cor  ber  @d)rift,  ber  allgemeinen,  unr>erbrüd)= 
liefen  9?id)tfd)nur  ber  2et)re  wie  be§  2eben§.  (Sie  fep  herbeigekommen,  bie  ©tunbe,  fo  badite  unb  rebete 
man  mit  bem  2lpoftel,  aufzuliegen  üom  @d)lafe,  baä  £etl  fet;  näher  gekommen  al§  man  geglaubt,  bie 
9cad)t  fep  »ergangen,  ber  Sag  herbeigekommen;  nun  gelte  e§,  bie  SBerke  ber  ginjlernip  abjulegen,  bie 
SBaffen  be3  2id)te3  anjutfjun.  Die  Zone,  bie  au§  ir)nen  gebilbeten  SBeifen,  fenen  eine  föftlid)e  ©abe,  ein 
ljerrltd)eS  ©efd)6pf  ©otte§,  aber  erflingen  bürften  fie  nid)t  ju  Söorten  falfdjer  Se^re ,  abgöttifdjen  ^reifes, 
unreinen,  fleifdjlicfyen  £5cgebren3 ;  abgetan  muffe  werben,  wag  tiefer  2lrt  an  ilmen  hafte.  Die  SBeifen 
be$  33olf3liebe3  würben  fo  ihrer  alten  SSeflimmung  ganj  entjogen,  unb  einer  neuen,  reineren  geweift;  al§ 
gormen  beä  ©efangeä  blieben  fte  unangetajtet,  eä  wäre  benn,  tap  etwas  in  if)nen  il)rem  ^eiligeren  SSerufe 
witerftrebt,  unb  ju  einer  Umbtlbung  gebrungen  l)ätte,  bamit  ft'e  it>rt  würbig  erfüllen  fbnnten.  Selten 
burfte  e$  gefd)e^en;  aber  ftetS  gefd)al)e  e§  mit  finniger,  jarter  <£d>onung,  bie  aud)  ba  geübt  würbe,  wo 
altersgraue  formen  urfprünglicb,  ^eiligen  ©efange6  bem  SSerftänbniffe  ber  ©egenwart  näl)er  ju  bringen  wa= 
ren,  ob,ne  boeb;  tf>r  @igentl)ümlid)fte§  babei  ju  oerwifdjen.  ©o  wud}§  ta§  ^eilige  in  ta§  SSolfämäßige,  fo 
tiefet  hinein  injeneS;  auS  ber  SSerfcfymelsung  be§  wefentlid)  (Sigentb,ümlid}en  betber,  bort  ber  Sonart, 
hier  bes>  9?l)wtl)mu§,  gingen  neue  formen  ^eiligen  ßiebergefangeä  ^ercor.  Diefe  neuen,  jene  älteren, 
gereinigten,  umgefdjaffenen,  aud)  wof)l  nur  entlehnten  gormen,  ergriff  nun  tie  fd)on  tamalä  auf  namhafte 
^)bl)e  gediegene  Äunjt  te§  Sonfa^eS;  turd)  fte  belebt  unb  gefdjmüdt,  füllten  fte  aud)  tf)r  wieterum  in  tie= 
ferem  ©inne  neues  Seben  einl)aud)en.  6S  bewährte  ftd)  l)ier  taS  SSBort  te3  erjien  Urhebers  jener  gropen 
^Bewegungen,  bie,  taS  Seben  jener  3ett  in  feiner  ©efammtljeit  ergreifenb,  ein  jebe§  ©ebiet  beS  Äird)lid;en 
gewaltig  burd)brangen :  turd)  baS  ©oangelium  follte  tie  Jtunft  nid)t  ju  S5oten  gefd)lagen  werben,  ade 

».  SBinttrfelb,  *tt  tsanflet.  C^otatatfaiij.  64 


  506   

Äünfre  oielmebr  foHren  bem  Sienfte  Scffen  gewetzt  fepn,  ber  fte  gegeben  unb  gefd)'affen  babe.  Sie  Äunft 
war  bejrrebt,  bie  Sugenb  burd)  bie  gor m  für  bert  Snbalt  ju  gewinnen;  bie  ©d)ule  follte  ba3  bittet 
werben,  23eibe3,  bie  Äunft,  unb  burd)  ft'e  bie  rechte  Erfenntniß  beS  ©d)bpfer§  unb  ErlbferS  $u  fbrbern. 
Dennod)  fianb  bie  Äunfi,  wie  e§  in  ber  alten  Äirdjc  gewefen,  ber  ©emeine  oft  aU  ein  grembeS  gegen* 
über  bei  bem  ©otteSbienfte.  Wit  il)rem  ©efange  war  biefe  jwar  beimifd)  geworben  in  ber  jtird)e,  aud) 
ber  Äunftgefang  fd)lofj  ft'd>  aügemad)  ben  gormen  beffelben  an,  bod)  jumeijl  nur  als  einer  SSerantaffung, 
ben  ganjen  9ieid)tbum  feiner  Littel  an  ibnen  barjulegcn,  auf  eine  SBeife,  bie  nur  bem  unmittelbar  tbeil= 
nebmenben,  ftmbigen  93Jitfänger  gejtatten  fonnte,  ju  ooUem  SSerjränbntffe  ju  gelangen,  ntd)t  bem  blo= 
fjen  £brer.  Entgelt  ftd)  ber  Sonmeijrer  aud)  be§  ^PrunfenS  mit  ben  Mitteln  feiner  Äunjt,  war  er  be= 
frrebt,  fd)lid)t  unb  einfad)  ju  bleiben,  fo  uerbüllte  er  bod)  in  feinem  ©a£e,  einem  alten  ©ebraud)e 
jufolge,  baö  ber  ©emeine  wefcntlid)  2lngcl)brenbe,  bie  ©ingweife;  baäjenige,  was?  ibr  faplid),  aud)  ba§ 
SSerjränbnifi  ber  Äunfr  ibr  allein  ju  erfd)lie^en  »ermod)te.  Die  SJWobte  fd)ritt  fort  in  einer  SUlitteljlimme, 
in  ber  Spblje  unb  SEiefc  bewegten  ftd)  anbere  über  unb  unter  ibr,  oft  mufjte  ber  £brer,  ba  er  jene  nid)t  beut= 
lieb  oernabm,  ungewifj  bleiben,  wcld)e  Aufgabe  ber  Sonmetfter  ftd)  geftellt  b«be.  Sie  Äunjl  follte  er= 
balten  bleiben  jur  58erl)errlid)ung  be§  ©d)bpfer3;  bie  ©emeine,  fo  erbeifd)te  e§  ber  ©inn  ber  ftd) 
oerjüngenben  Äird)e,  follte  t£> d 1 1 9  2lntl)cil  baben  an  bem  ©otteöbienfte ;  33eibem  war  niebt  ju  genügen 
obne  Erneuung  berÄunfi;  biefe  felbjl  ftrebte  au§  innerer  SRotl)wenbig?eit  einer  wollfommenen  Entfaltung 
be3  SonlebcnS  entgegen ;  mit  5Eftad)t  brdngte  2Mes>  nad)  einem  gleichen  Siele  bin.  2Bie  aber  war  e6  ju 
erreichen ?  ©d)ten  e$  md)t,  man  müffe  für  bie  Äird)e  nun  ben  tiefftnnigften  Erjeugniffcn  ber  ©efjfunjt 
ganj  entfagen,  al§  bem  SSerftänbniffe  ber  9)iel)rjal)l  entjogen,  für  gemetnfame  Erbauung  unauSgicbig  ?  Unb 
bod),  waren  biefe  nid)t  baSSSejie,  wa§  in  biefer9?id)tung  ber  menfd)lid)e  ©eift  gefd)affen?  ©d)ienen  ft'e  nid)t 
ber  würbigfte  ©d)tnud  für  bie  fird)lid)e  Seier,  fonnte  eä  nur  tterträglid)  fepn  mit  ber  reicheren  Entfaltung 
beS  SEonlebenS ,  nad)  ber  man  ftd)  febnte,  ein  fold)e§  Errungene  wieberum  aufzugeben?  Sagegen  ftröubte 
ftd)  ber  innere  ©inn,  abnenb,  bajj  b'"  noch, cm  retd)er  ©d)af^  ju  beben  fenn  werbe,  gelänge  e§  nur,  feine 
©pur  ju  ft'nben ;  flet6  aber  beforgenb,  nur  ber  2Beg  ber  Entfagung  werbe  enblid)  ber  rid)tige  bleiben.  Ein 
für  SJeinbeit  ber  £el)re  wie  beö  ©ottcgbicnfteS  rüftig  wirf  famer  ©eiftlid)er,  Sucaö  «Dftanber,  entfd)lof?  ftd) 
julefjt,  ben  Äunfrgefang  fccS  ©ängerd)or§  ber  ©emeine  »bllig  bienftbar  unterjuorbnen,  il)n  alles»  ©d)mude§ 
foweit  ju  entfleiben,  bafi  er  burd)  feine  Sonfülle  nur  bie  SBeifen  be§  ©emcincgefangeS  fd)tnüd'e,  ft'e  einem 
3eben  oernebmlid)  erflingen  laffe,  unb  fo,  wenn  aud)  jundd)ft  nur  leitenb  unb  jufammcnl)altenb,  ben  all= 
gemeinen  Äird)engefang  bod)  in  ba§  Äunjtgebiet  erbebe.  Vorangegangen  barin  waren  ibm  um  einige 
3abre  jene  Sonmeifter,  bie,  geraume  Seit  nur  ©e£er  —  einen  gegebenen  muftfalifd)cn  ©runbgebanfen 
in  maneberlei  gormen  funjtmäfjig  Surd)fübrenbe  —  nun  aud)  als  ©dnger  beroortraten,  Erfinbervon 
9Kelobieen  in  liebmäfjiger  gorm;  Sonmeifter,  bie  bis  baljtrt  nur  tbätig  für  Äunjtoerftänbige,  nunmebr 
aud)  für  baö  Söolf  ju  bilben  begannen.  Siefeö  trotte  bi§  bal)in  bie  SBeifen  feineö  geblieben  ©cfange§  auö 
ftd)  felber  erjeugt,  bie  begabteren  auS  feiner  9Jiitte  batten  ft'e  ibm  au3  innerem  Srange,  au§  »oller  33ruji 
gefungen,  cö  t>attc  fte  freubig  Bon  ibnen  empfangen,  fte  waren  ©emeingut  geworben  burd)  ben  allgemeinen 
tfnflang,  ben  ft'e  fanben,  bie  tarnen  ibrer  Urbeber  waren  t>erfd)wunben,  biefe  batten  nur  bem ,  wa§  in 
2lOen  lebte,  if?re  ©timmen  geliel)en.  2ttö  nun  ©änger  unb  ©efcer  ftd)  einten,  aI3  ber  Äunftgefang  ben 
©emeinegefang  wal)rl)aft  at§  feine  Aufgabe  ju  betrad)ten  begann,  ba  war  bie  red)te  3eit  ber  Entfaltung 
einer  neuen  SJlütbe  gefommen,  ben  Entfagenben  follte  ber  ©d)a(j,  beffen  ©pur  ft'e  lange  »ergebend  nad)= 


  507   

gegangen  waren,  nun  wirrlid)  ju  SEfyeil  werben,  fie  follten  nicht,  wie  fte  gefürchtet,  bae  bis  babin  6rrun= 
gene  aufgeben  bürfen.  (Sine  itunft,  bie  in  einfachen,  großartigen,  lebenbigen  3ügen  ben  ©eifi  ber  SBeifen 
bes  ©emeinegefanges  erfd)loß,  inbem  fte  burd)  ben  ©ängerebor  ihn  trug  unb  ftüijte,  hatte  ihn  ftch  ge- 
wonnen; tfjr  war  es  »orbebalten,  aus  ihm,  mit  ihm  vereint,  unb  wenn  enblid)  auch  in  bem  ©inne  ihm 
gegenüber,  baß  fte  für  einen  SEbeil  ihrer  neuen  ©d)bpfungen  nur  bas  fti  11  e,  anbäcbtige  £ören  ber 
©emeine,  ntd)t  ihre  t  tätige  £ülfe  anfprad),  bod)  Allen  eingänglich,  verftänblicb ,  eine  fd)bne  höhere 
33lütbe  ju  erringen  j  eine  bof>ere,  weil  fte  babet  bes  wollen  9feid)tf)ums  ber  Littel  mächtig  blieb,  mit  benen 
fte  juvor  fo  ftegreid)  gewaltet  t)atte.  ©o  entftanben  bie  Choräle,  fo  bas  geftlieb  3obann  ©ccarbs, 
bes  eblen  SJieifters,  beffen  fachliches  Sßirfen  wir  julefet  betrachtet  haben,  in  wahrhaft  evang  elif  ehern 
unb  beutfehem  ©inne,  eine  ächte  Vermählung  bes  «ftunfb  unb  ©emeinegefanges.  £>as  geftlteb, 
von  bem  rein  Siebmäßigen  aus  hinjtreifenb  bis  an  bie  ©renje  bes  alten  funftreichen  SJcotetts,  aber  auch  ba 
nod)  jene»  formen  fenntlid)  erhaltenb,  unb  bem  allgemeineren  Verftänbniffe  babureb  begegnenb,  blieb  bem 
Äunftgefangc  ausfcbließenb  vorbehalten,  alfo  bem  Vortrage  burd)  ben  ©ängerebor;  ber  ßboral  erfchien 
nunmehr  in  funfireieb  geglieberter  Harmonie,  unb  alle  SOiittel  bes  Sonfa^es  aufbietenb,  im  ©egenfafje 
feiner  vorangegangenen,  fd)lid)ten  S3ebanblung.  3n  tiefer  ©eftalt  blieb  jeboch  bie  ©ingweife  unjertrennt, 
unveränbert;  in  großen,  fenntlidjen  3ügen  ausgeprägt,  war  fte  ber  ©emeine  beutlid)  vernehmbar,  unb 
biefe  fonnte  mit  ihrem  ©efange  ftch  an  fie  leimen.  5DZag  nun  auch  für  biefen  eine  SBcile  noch  töe  ältere, 
einfachere  SBeife  ber  .^Begleitung  bureb  ben  ©ängerebor  vorgewogen  worben  fevn,  fo  bahnte  bod)  bie  neue 
einer  noch  wirffameren,  fräftigeren  juerft  ben  2Beg.  (5s  war  bie  burch  bie  £)rgel,  beren  Sonmitteln  bie 
neue  Art  ber  SSehanblung  bes  ©ai<es  voUfommcn  angemeffen,  alfo  auch  geeignet  war,  bie  jlunft  bem 
©emeinegefange  auf  eine  Art  ju  gefellen,  wo  fie  feines  ihrer  Vorjüge  fich  entäußern  burfte,  wäl)renb  fte 
jenem  eine  um  Vieles  mehr  fichere,  fräftigere  ©tü§e  bot,  als  juvor. 

@o  geftaltete  ftch  ta§  Verbältniß  bes  euangeltfcfaert  ©ottesbienftes  jur  Sonfunft  imSaufe  bes  fech- 
jehntenSahrbunberts.  An  ber  £iebform  wuchs  biefe Äunjt  heran  in  ber  neuen itirebe,  wäbrenb  ifjr ©otteö^ 
bienft  im  Allgemeinen,  nur  bas  ©ebriftmibrtge  befeitigenb,  an  bie  formen  bes  rbmifd)en  ftch  lehnte,  hei 
einzelnen  geften  felbft  bie  alte  Äircbenfpracbe  für  ben  cigentlid)  liturgifcben  S£t)eit  bes  geijtlicben  ©efanges 
fo  lange  beibehaltenb,  bis  er  in  bie  OJiuftcrfpracbe  übertragen,  ober  burd)  urfprünglid)  in  ihr  ©ebiebtetes, 
bem  ©inne  ber  gereinigten  Sebre  ©emäßeres,  erfe^t  war.  Saß  aber  frühe  febon  bei  ber  für  ben  ^>aupt= 
gottesbienft  (bis  auf  ben  ßanon)  erhaltenen  gorm  ber  SJleffe,  bie  babei  üblichen,  fonft  burd)  ben  ßbor 
vorgetragenen  ©efänge,  nun  ju  Biebern  für  bie  ©emeine  geworben  waren:  —  Ävrie  Vater  in  Swigfctt; 
—  Mein  ©Ott  in  ber  Spot)'  fei)  @br';  —  SSir  gläuben  all'  an  einen  ©Ott;  —  Sefaia  bem  Propheten  bas 
gefd)ah ;  —  £)  ©ottes  2amm  unfd)utbig ;  —  giebt  uns  bie  Überjeugung,  wie  tief  bie  giebform  in  bie  ganje 
neue  ©eftalt  bes  Äircbenwefens  eingebrungen  war,  fo  baß  eine  gefunbe,  neue  (Entfaltung  ber  Sonfunft  aus 
ihr  allein  hervorgehen  fonnte;  jener  itunft,  bie  ber  gereinigten  jtirebe  am  näcbften  ftanb,  von  ihr  am  böd)- 
ften  gehalten  würbe. 

@ine  SJicbtung  bes  ^rotejtantismus  allein,  bie  jwinglifd)  =  caloinifche,  wie  fte  überhaupt  nur 
baö  »on  ber  ©chrift  ©ebotene  anerfannte,  »erfchloß  eine  SBeile  in  h"bem  ©inne  ber  Sntfagung  ber 
Äunfi  bie  Ätrcbe  überall,  ober  ofnete  fie  nur  ben  Pfannen.  9Zid)t  in  bem  frifchen  ©inne,  wie  bie  ßutfje; 
rifeben  in  ihren  ßiebern  bie  ewige  33ebeutung  biefer  -heiligen  ©efänge,  ihre  tröjienbe,  erhebenbe,  erbauenbe 
Äraft  für  alle  Seiten,  burch  neue,  lebenöfräftige  ©proffen  jenes  uralten  ©tammes  bewährten,    ßiner  in 

64* 


  508   


beftiinmtcm  ©eijte  bcrgebre  umfd)reibenben,  gemeierten  Übertragung  ber^Pfalmen,  nad)  jtet)enben  ©efangeö-, 
[a  ©anformen,  war  allein  ber  (Eingang  in  ba§  ^>eiligtl)um  bei  Senen  geöfnet;  fo  nur,  t)ieß  e§,  werbe 
©otteS  SBort  in  rechtem  ©inne  in  it)m  t>tmifd),  unb  ber  Genfer;  greife  feinen  ©d)ovfer  unb  (Srlofer  burd) 
basjenige,  wa3  er  felber  il)tn  burd)  ben  ^eiligen  ©etft  in  ben  9Jlunb  gelegt,  wäl)renb  allc§  tfnbere  feinem 
greife  nicht  jieme.  (sine  unerfreuliche,  alle  lebenbige  (Sntwidlung  auSfd)ltcficnbe  ©trenge !  £ier  würbe 
nicht  einmal)!,  wie  in  ber  alten  £ird)e,  ein  äd)te§  3lbbilb  bc§  Urf»rünglid)en  in  getreuer  Übertragung  be= 
wahrt;  eine  breit  auSlegenbe  Untfd)reibung  trat  an  beffen  ©teile,  fie  t)ielt  ba§  ber  ©egenwart  fremb  ©e= 
worbenc  fcineS  tl>atfad)ltd)en  Inhaltes  in  allen  ßinjelbeiten  fejt,  ohne  baburd)  mel)r  aB  ein  auf  erlid)e3  2ln= 
eignen  ju  gewinnen,  währenb  bie  ebrwürbige  gdrbung  be3  2lltertl)um§  verloren  ging.  2Ba§  innere,  leben* 
bige  (Erfahrung  ben  ©evrüften  burd)  jene  alten  t)eiligen  ßieber  in  ber  ©egenwart  neu  gelehrt,  würbe 
verfdnnäbt,  jurüdgewiefen  würben  bie  grüd)te  be§  ©eijteö,  bie  fte  in  ihnen  gereift  hatte,  man 
vergaß  be3  ©eboteS  von  bem  reichlichen  3öol)nen  bc6  heiligen  2Borte§  in  ber  ©emeine!  £)arum 
ift  cs>,  in  £>eutfchlanb  jumahl,  nicht  lange  babei  geblieben;  ja,  ein  Unternehmen  ähnlicher  2trt, 
baä  im  ©inne  ber  lutr)erifchen  2el)re  im  folgenben  3al)rl)unberte  beftimmt  war,  bie  calvinifd)cn  (£ob= 
wafferfchenj  ^Pfalmen  bind)  eine  anbere  Umfchreibung,  als  fiel) en ber  Äird)engefang,  ju  verbrängen,  bat 
nid)t  SBurjel  gefaßt,  wiewohl  man  ben  grbfjeften  Sotimetflcr  jener  Seit,  ben  gefeierten  ©d)üfj,  bafür  mit 
in  2lnfvrud)  genommen  hatte.  (Sin  ftd)crer  SScwei»  von  ber  Sicgfamfeit  unb  Srifct)e  be3  ßeben$>brangee>, 
ber,  burd)  bie  Äird)enreinigung  gewedt,  aud)  bie  Äunfl  mit  neuer  Sriebftaft  burd)brungen  hatte. 

(Einer  anberen  Seit  gehen  wir  nunmehr  in  bem  folgenben  Sahrhiwberte  entgegen.  £>er  heilige 
©efang  unter  ben  (5vangelifd)en  in  £)cutfd)lanb  hatte  ftch  higher  in  ftd)  felber  fortgebilbet ;  eine  neue  ©eftaU 
tung  jlanb  ihm  nun  bevor  burd)  bie  ^Berührung  mit  ber  im  ©üben  auf  einem  anberen  SBege,  unter  anberen 
JBebingungen,  in  ganj  abweid)enbem  ©inne,  ftd)  entwidelnben  geifltid)en  Sonfunft  ber  alten  Äird)e.  9(id)t 
ber  jtunftgefang  allein  erfuhr  biefe  (Einwirfung,  obgleich  fte  jumeifl  auf  il)n  ftch  au§bel)nte;  auch  ber©emeine- 
gefang  blieb  bavon  nicht  unberührt.  Sie  Äunjt  in  älterem  ©inne  blieb  am  längjlen  bort  beimifd),  wo  fte 
juvor  bie  J>öd)fle  ©tufe  erjliegen  hatte ;  bie  neue  feimte  bort  auf,  wo  bie  ^Berührung  mit  bem  tfuSlanbe  am 
lebenbigften  vermittelt  würbe  burd)  jenen  Sonfünjller,  auf  ben  wir  oben  gebeutet;  il)n,  ben  Högling  ©a- 
briclu?,  eines  ber  bervorragenbflcn  SDWftcr  StaltenS,  ber  nid)t  allein  bie  3ett  be3  Sitten  unb  be3  bleuen  nur 
erlebt  hatte,  fonbern  von  SBeibem  tief  innerlich  berührt,  unb  ju  eigentl)ümlichen  ©d)6»fungen  angeregt 
worben  war. 

Glicht  ba$  (Snbe  be3  3al;it;unt>ert6  allein  ijt  e§  alfo,  baS  unS  &tet  ein  bejtimmteS  2lbgrenjen  im« 
ferer  £>arftcllung  auferlegt,  aud)  ein  innerer  ©runb  veranlaßt  un§  baju.  ©ie  hat  ihren  3wed  erreicht, 
wenn  ba3  JSilb,  baö  fte  biäfjer  ju  geben  verfud)te,  ben  ßefern  aB  ein  in  ftd)  voIljtänbigc§,  anfchaulid)e3 
erfd)ienen  ift,  wenn  baä  SBirfen  unb  Seben  beö  «Dceijlerö,  ber  un§  julefet  befd)äftigte,  in  ber  £t)at  als  bie 
Slüthe  ber  ihm  vorangegangenen  Seit  ftd)  bewährt  hat. 


SSct5cid>ni§  ber  SSJluftfbeilagen  nad>  i^rcr  golgeotbmmg ,   unb  nad)  ben 
Urhebern  ber  Sonfafce. 


Sic  beigefügte  3af)röjat)I  geigt  baö  Bructjafyr  an ;  baS  bei  einem  SEonfa^e  ftefjenbc      bafj  ber  Sonfefcer  (minbeftenS 
mahrfdjeinlid))  aud)  ©rfinber  ber  SOietobtc  ift. 


I.  £onfat?c  ofjne  Tanten  ifircv  Urheber. 

1.  6t)rift  ift  erftanben.  (1513.)  SSierftimmig. 

2.  2fuö  tiefer  Stotf)  :c.  (1540.)  3mei  ©tropfjen.  SSierft. 

II.  £onfä$e  mit  ben  Tanten  ifjver  Urfjefcer. 
3of>ann  SBalter. 

1.  Sofepf),  lieber  Sofcpt)  mein  k.  (1544.)  günffr. 

(Resonet  in  laudibus.) 

2.  ©elobet  feuft  bu  SefuS  Gfjrift  :c.  (1551.)  SSierft. 

£ubrotg  <5enfl. 

3.  25a  3cfu6  an  bem  Äreuje  hing  je. 

3mcite  ©troptje:  SaS  erft'  SEBort  reb't  Sott  it. 
(£anbfcf)rift[idj,  ofjne  jkitbeftimmung.)  93ierft. 

4.  ©elobet  fenft  bu  Grifte  :c.  (1544.)  günfft. 

(D  bu  armer  3ubaS.) 

5.  2Clfo  heilig  ift  ber  Sag  lt.  (1544.)  ©cdjSft. 

(Salve  festa  dies  etc.) 

6.  Gfcift  ift  erftanben  :c.  (1544.)  ©ectjöft. 

7.  O  £crre  ©ott  begnabemicb:c.  (1544.)  SSierft.'  [©.  180.] 

8.  D  allmächtiger  ©Ott,  biet)  lobt  ber  Gtjriften  SRott  :c. 

(1544.)  SSierft.'  [©.  180.] 

9.  Ber  ef)lid)'  ©tanb  ze.  (1544.)  SSierft."  [©.181.] 

10.  Veni  sanete  Spiritus  etc.  (1564.)  tfd)tft. 

11.  Diffugere  nives  etc.  (1534.)  SSierft.' 

-gmiutd)  ginef. 

12.  greu'  bid)  bu  roerthe  G>briftenf)eit  jc.  )  ,      v  m.  - 
(66  ift  baS  «eil  uns  fommen  fjer  ic)  j (Ia36,)  SB,et'1' 

©eorg  9?t)au. 

13.  (5f)riftum  mir  follen  loben  fa>n  u. 
(A  solis  ortus  cardine  etc.) 


(1544.)  SSierfr. 


(1544.)  SSierft. 


SRcuttn  2Tgrico ta. 

14.  3(d)  ©Ott  oom  Gimmel  fiel;  barein  :c.  (1544.)  SBterft. 

35altf)afar  9?eftrtariu3. 

15.  9tun  bitten  mir  ben  ^eiligen  ©eift  :c.  j  ^-44  ^  <gjerj-t 

16.  etjrift  lag  in  SobeSbanben  :c.  j 

35 enebtet  2)uct§. 
1".   3Ccf)  ©ott  com  Gimmel  fiel)  barein  it. 

18.  9iun  freut  eud),  lieben  Gfjriftcngtnein«. 

2upu§  ^ellincf. 

19.  2ln  äüafferflüffcn  SSabi)lon  it.  (1544.)  SSierft. 

Sofyartn  <5taf)l. 

20.  9lun  lafst  uns  ben  Seib  begraben  :c.  (1544.)  günfft.' 

[@.  200.  277.] 

©eorg  gotftet. 

21 .  93om  Gimmel  fjoeb,  ba  fomm'  id)  t»er  :c.  )  günfft. 
(33om  Gimmel  f  am  ber  (Sngcl  ©cb,  aar  it.)  i 

$an§  Äugelmanrt. 

22.  5cun  lob'  mein'  ©eel'  ben  Herren  it.  (1540.)  günfft.* 

[©.  207.] 

23.  "Mein  ©Ott  in  ber  £öh'  fen  ®W  it.' )  [©.  210.] 

24.  ein'  fefte  S5urg  ift  unfer  ©ott  it.    \  (1540.)  Greift. 

Claude  Goudimel.  (1565.) 

25.  Ainsi  qu'on  oit  le  cerf  bruire  etc.  Ps.  42. 

26.  Misericorde  au  poure  vicieux  etc. 

27.  Oh  Dien,  la  gloire  qui  t'est  due  etc. 

28.  C'est  en  Judee  propremeot  etc.        -    76.  >  SSierft. 

29.  A  Dieu  ma  voix  j'ai  haussee  etc.    -    77.  i 

30.  Cbaatez  gayemeat  etc.  -    81.  I 

31.  Oh  Dieu,  tu  cognois  qui  je  suis  etc.    •  139.  / 


Ps.  42-  v 
-    65.  / 


  510  - 


100. 

tu. 

116. 
131. 

142. 


Claudin  le  Jeune.  (1613.) 

32.  ©ott  fte&et  in  feiner  ©emcinc  jc.   günfft.   «pf.  82. 
Dieu  est  assis  en  l'assemblee  etc. 

33.  3()r  SSölfcr  auf  ber  erben  all  jc. 

Yous  tous,  qui  la  terre  habitez  etc.  SSierft. 

34.  3d)  banf  bir  £crr,  r>on  Jpcrjcn  rein  jc. 
Du  Seigneur  Dieu  en  tous  endroitsetc.  günfft. 

35.  3d)  lieb'  bcn  Herren,  unb  ibm  brum  banffag'  jc. 
J'aimemon  Dieu,carlorsquej'aycrieetc.  SSierft. 

30.   SDccin  Jbcrj  ftdj  nidjt  ergebet  febr  jc. 

Seigneur,  je  n'ay  pointle  coeur  fieretc.  SSierft. 

37.  3u  ©Ott  bem  £crrcn  id)  mein'  ©timm'  auf; 

tjeb'  ic  günfft. 
J'ay  de  ma  voix  ä  Dieu  crie  etc. 

#nton  ©canbellt. 

38.  Mein  ju  bir  Jberr  3efu  ©t»rtfl  jc.  (1575.)  ©edjSft. 

39.  Sobet  bcn  Herren,  benn  er  ift  febr  freunblid)  lt.  (1568.) 

SStcrftimmig.*  [©.  412.] 

ßeonfyart  ©devoter. 

40.  Veni  creator  spiritus  etc.  (1587.)  ©ed)6ft. 

41 .  greut  eud)  ihr  lieben  ßbriften  jc.  (1 587.)  SSierft.'  [©.342.] 

42.  Cobt  ©ott  ibr  Gftrtften  aUjuglci«^  ?c.  (1587.)  günfft. 

Sacob  SEßetlanb. 

43.  ©et)  Cob  unb  ebr'  mit  tjofjcm  $>rei§  jc. 

(®g  ift  ba$  £cil  uns  fommen  ber  it.)  (1575.)  günfft. 

44.  Jperjtt'd)  tbut  mid)  erfreuenjc.  (1575.) SSierft.'  [©.340.] 

©antuet  SDicufcfyall. 

45.  tfd)  ©ott  oom  Jpimmel  fieb  barein  it.  \ 

46.  6«  ift  ba§  Jpeil  un6  rommen  ber  it.\  /j5g4  \  gjier«. 

47.  SBie  nach,  einer  SBafferqueUc  jc.  $>f.  42.  i 

48.  3u  bir  aus  £erfccngrunbe  it.  ^f.  130. ' 

£)atnb  2Botf enjlein. 
19.    ©d)au  wie  licbtid)  unb  gut  «.  (1583.)  93ierft. 

lluca$  Sftanber.  (1586.) 

50.  £0cein'  ©ecf  erbebt  bcn  Jpcrrcn  mein  jc.  \ 

51.  ©elobet  fei)ft  bu  3efuS  (Sbrift  it.  j 

52.  25er  2börid)t'  fpridjt,  eS  ift  fein  ©ott  it 

53.  grötjlid)  roollen  wir  2tlleluja  fingen  jc. 

54. -  6$  ift  ba6  £eil  uns  tommen  ber  jc. 

©etf)  SalötftnS. 

55.  Jberr  3efu  Gbn'ft,  roabr'  SDccnfd)  unb  ©ott  jc.' 

[©.  416.] 

56.  Jperjlicb.  lieb  t)ab'  id)  bid),  o  £err  jc. 

57.  ©ott  ber  SSater  roobn'  uns  bei  jc. 

58.  .beut  triumpbiret  ©ottcS  ©ohn  jc.  (1621.) 

59.  Rex  Cbriste  Factor  omnium  etc.  (1597.)  S3ierft. 

JBartb,  olomäuä  ©efe.  (®eftu§.)  1601. 

60.  ©ett  bat  ba«  Coangelium  jc.  günfft. 

61.  Gin'  fefte  33urg  jc.  SSierft. 


SSierft. 


(1597.) 
SSierft. 


SSierft- 


62.  35a  3efuS  an  bem  Äreuje  ftunb  jc.  SSierft- 

63.  Gbrift  tag  in  SobcSbanben  jc.  SSierft. 

64.  Grifte,  ber  bu  bift  Sag  unb  Cidjt  jc.  SSierft. 
(Christe  qui  lux  etc.) 

65.  Su  griebefürft,  Sptzt  3efu  6brift  jc.  günfft. 

^tetortpmuS  9)rcUonu§.  (1604.) 

66.  SBaS  mein  ©ott  roiU,  ba«  gfefieb/  altjeit.  . 
(II  me  suffist  de  tous  mes  maulx.)  1 

67.  2td)  mir  armen  ©ünber  jc. 
(£  bu  armer  3ubaö  jc.) 

68.  ©ie  ift  mir  lieb  bie  roertfce  SJcagb  jc.  ] 
(TIA)  Sieb'  mit  Seib  :c.)  ' 

Sacob  $ratoriu§.  (1604.) 

69.  3Bad)et  auf,  ruft  un$  bie  ©timme  jc.  SSierft. 

Daöib  ©d)etbemann.  (1604.) 

70.  SBie  fdjön  leudjtct  ber  SJtorgenftern  jc.  SSierft. 
(SBie  fd)ön  leudjten  bie  Äugelcin.) 

71.  3Bad)t  auf  ü)r  Sbriften  alle  jc.  SSierft. 

4?an§  Seo  Rapier. 

72.  ©  SOtenfd)  bercetn'  bein'  ©ünbc  grofi  jc. 
(es  finb  bod)  feiig  alte  bie  jc.) 

73.  erbarm'  bid)  mein,  o  .öcrre  ©ott  jc. 

74.  Sbrift  tag  in  SEobeSbanben  jc. 

75.  Sbrift  unfer  Jperr  jum  Sorban  fam  jc. 

76.  ein'  fefte  33urg  jc. 

77.  Allein  ©ott  in  ber  £öb'  fei)  ebr'  jc. 

78.  Jperr  6brift,  ber  einig  ©Otts  ©obn. 
(ertöbt'  unti  burd)  bein'  ©üte.) 

79.  2tu§  tiefer  9tott)  jc. 

80.  Jg>erjlict)  tbut  mid)  certangen.  (1613.)  günfft. 
'.Sötern  ®'mütb  ift  mir  oerroirret.)  (1601.)  günfft.' 

[©.  91.] 

©ottbarb  GrrptbräuS. 

81.  ©anffagen  mir  aUe.  (1608.)  SSierft. 
Grates  nunc  omnes  etc. 

82.  erfd)icnen  ift  ber  berrtid)'  Sag.  (1608.)  SSierft. 

«Slelcbtor  aSulpiu*. 

83.  Jpcrr  3efu  6brift,  rcafjr'  SOccnfcb  unb  ©ott  jc.  (1603.) 

SSierft.*  [©.  417.] 

9Jltd)ael  SPreUottuS.  (©.  aud)  9cro.  114».) 

84.  Cobet  ©ott,  o  lieben  ßbriften  jc.  ^1607.)  -Dreis  unb 

fünfftimmig. 
Grates  nunc  omnes  etc. 

85.  2£te  ber  gütige  ©ott  jc.  (1607.)  SSierft. 
Mittit  ad  virginem  etc. 

Ave  Hierarcbia  etc. 

86.  35en  bie  Birten  tobten  fetjre  jc.  (1607.)  SSierft. 
Jöcut  finb  bie  lieben  engetein  jc. 

(.»uem  paslores  laudavere  etc. 
Nunc  angeloruin  gloria  etc. 


(1608.) 
SSierft. 


87.  ©ie  ift  mir  lieb  bic  rcettbe  «Otagb  it.  (1610.)  SBierfr. 
(Kd)  Sieb*  mit  Seib  3t) 

88.  Sieb,  grau  pom  Gimmel  ruf  ic&  an  :c.  (1609.)  SBierfl. 

89.  Flavia  jart  :c.  (1010.)  SSicrft. 

90.  6S  ift  ein'  SRof  entfprungen  :c.  (1609.)  Steril. 

91.  <D  rcir  arme  ©ünber  :c.  (1607.)  SBierft. 
(D  bu  armer  SubaS.) 

92.  SHirtcn  wir  im  Scben  finb  :c.  (1610.)  SBierft. 

93.  SDlein  lieber  £err  tetj  preife  bieb  it.  (1607.)  58ier(t. 

94.  SJlcin'  ©cel',  o  ©ott,  mufi  (oben  bid)  :e.  (1607.)  SBierft- 

95.  sDcein"  ©eel'  ergebt  ju  biefer  grift  :c.  (1609.)  SBicrft. 

96.  £5  ©otteS  Samm  unfcbulbig  it.  (1607.)  SBicrft. 

97.  .Komm  ©ott  ©cböpfcr  feeittger  ©eift  :c.  ( 1 607.)  »ierft. 

98.  ©cpSob  unb  6br  mit  tjödjftcm  «preis  :c.  (1610.)  ©reift, 
(©en  Seb  unb  ebr'  bem  t)6d)ften  @ut  :c.) 

99.  23on  ©ott  fommt  mir  ein  greubenfefeein  :c.  (1610.) 

günfftimmig. 
(3Bie  febön  leuchtet  ber  9Jcorgcnftern  ) 

100.  D  SBelt  ic&  mufj  bid)  laffen  2C.  (1610.)  SBierft. 

100".  (Jpeinricfe  3faac.  1339.)  3n[bruct  iefe  mufi  btc^  laf- 
fen  it.  SSierft. 

101.  ©er  Sag  oertreibt  bie  finftre  «Racbt  :c.  (1610.)  SBierfl. 

Soadjtm  t>on  33urgf. 

102.  STCun  ift  cSSeitju  fingen  belln/f©.  401.]  1(1575.) 

103.  3*  »eifj,  bof  mein  Srlöfcr  lebt  it.'  [©.  400.]  j  SJierft. 

104.  £öret  ibr  eitern,  ebriftuS  fpricbjt  2c.  (1577.)  Sierft.* 

[©.  399.] 

105.  (56  ftebn  oor  ©otteS  Sbrone  it.  (1585.)  Sßierft.* 

[©.  401.] 

^licolauä  ©elneccer. 

106.  9cun  lafst  uns  ©ott  ben  Herren  jc.  (1587.)  S3icrft.' 

[©.  407.] 

Sofjann  ©teurletn. 

107.  SefuS  ßbriftuS  unfer  Jpcilanb  :c.  ) 

108.  ©er  ©nabenbrunn  tbut  fliegen  ze.  )  (1388,J  mt$' 
108».  (»altbafar  XrtopbiuS.  1537.)  Sie  SBrünntetn  bie  ba 

fliefsen  it.  SBierfiimmig. 

9Katthta$  ©aftrt£. 

109.  £er?licb  lieb  bab'  icb,  bicrj,  o  £err  it.  (1571.)  günfft.' 

[©.  418.] 

3of)anne3  Grccarb. 

110.  «Bon  ©ort  roill  icb  niebt  laffen  :c.  1571.  (1634.) 

günfftimmig. '  [©.  422.] 

111.  3br  Xlten  pflegt  §u  fagen  k.  '  j      [©.  458.] 

112.  Age  nunc  parve  puer  etc.*       f  (1577.)  SBierft. 

113.  3"  biefer  0^1^^^."  [©.458.]  )  (1585.)  Sßierft. 

114.  Ser  beilig' ©eift  com  Jpimmel  fam  :e.* ,  (©.  audj  9tro. 

[@.  459.]  '  146.  148.) 

114a.  (SDtidjael  >prä'toriuS.  1609.)  35er  beiltg'  ©eift  com 
Gimmel  fam  it.  S3ierft. 


115.  ©elig  ift  ber  gepreifet  it.  (1589.)  günfft.*  [©.  462.] 

116.  SOlag  icb,  Unglüct  nit  roiberftabn  it.  (1589.)  SBierft. 

117.  Haec  coeli  genitrix  est  et  bumi  dies  etc.  (1596.) 

S3icrftimmig. " 

günfftimmige  ©äfce  au«  eccarbS  61)orä'len. 
(1597.) 

118.  9cun  fomm  ber  Reiben  £eilanb  :c. 
(SBaS  ber  alten  SSätcr  ©cbaar  it.) 
(Veoi  redemptor  geotiam  etc.) 

119.  Äomm  ©Ott  ©cböpfer  tjeitiger  ©eift  it. 
(Veni  creator  Spiritus  etc.) 

120.  9Um  finget  unb  fenb  frob  it. 
(In  dulei  jubilo  etc.) 

121.  ©elobet  fenft  bu  3cfuS  eferift  :c. 

122.  SSom  Gimmel  boct;  ba  fomm'  ich,  ber  :c. 

123.  ©a  ScfuS  an  bem  Äreuje  ftunb  :c. 

124.  £)  Samm  ©otteS  unfcb,ulbig  :c. 

125.  ^»err  3cfu  6f)rift,  roafjr'  SKenfcb,  unb  ©ott  it.'  [©.  416.] 

126.  3efu€  ebriftuS  unfer  Jpeilanb  it. 

127.  Äomm  ^eiliger  ©eift,  ^erre  ©ott  it. 

128.  33urcf)  2fbamS  gaU  it. 

(Sein  troff  icb,  mid)  ganj  ftd) erliefe,.) 

129.  3d)  ruf'  §u  bir,  J&crr  3efu  Sbrift  :c. 

130.  Mein  ju  bir,  £err  3efu  6brift  jc. 

131.  £>  ^>erre  ©ott,  tein  görtlicfe  SBSort  2c. 

132.  es  ift  baS  ^>eil  un§  fommen  ber  it. 
(3cfe  roiU  bieb  all  mein  Sebcn  lang  :c.) 

133.  £err  Sbrift,  ber  einig'  ©ottg  ©obn  it. 
(Safj  uns  in  beiner  Siebe  :c.) 

131.   9cun  freut  cueb  lieben  ebriftengmein  :c. 
(3d)  lag  in  tiefer  SobeSnacfet  ic) 

135.  2CuS  tiefer  9lotl)  fcferei)  icb,  ju  bir  :c. 

136.  9hm  lob'  mein'  ©cel'  ben  Herren  jc. 

137.  3cb  banf  bir,  lieber  ^erre  :c. 
(entlaubt  ift  uns  ber  SBalbe  it.) 

138.  2BaS  mein  ©ott  roiU,  baS  gfebeb'  aUjeit  :c.  J634.) 

günfftimmig. 

138  a.  11  me  suffist  de  tous  mes  maulx  etc.  (1530.)  SSierft. 

139.  Jam  moesta  quiesce  querela  etc.  (1634. 1  günfft. 

SEonfäfce  aus  eecarbS  geftliebern.  (1598)." 
[©.  481  unb  folgenbe.] 

140.  greu  btcrj  bu  roertbeebriftenijcit,  bein  ^>eil  :c.  i 

COcariä  Sßerfünbigung. 

141.  Über'S  ©ebirg  SSJcaria  gebt  :c. 

5Kariä  ^eimfuetjung.  )  günfft. 

142.  2)er  3acbariaS  ganj  oerftummt  it.  \ 

2fm  Sage  3ol)anntS  beS  Sä'ufcrS.  / 

143.  £>  greube  über  greub'  :c.  2£d)tftimmig. 

2Beif)nacfeten. 

144.  Flavia  baS  3ungfräuelein  :c.  ©edjSftimmig. 
(ÜHaria  roallt  jum  ^)eiligtf)um  it.) 

SJcariä  Steinigung. 


  512   


3m  ©arten  leibet  @f)riftuS  9cotb,  ic  <£cd)6fttmmt'g. 

23on  efjrifti  Ceiben. 
3u  biefer  oftetltdjen  3cit  ic.  (@.  9cro.  113.')  ©edjSft. 

tfufecftcfjung. 
SOtein  fdtjönfre  3ier  unb  Äteinob  bift  u.  günfft. 

"Km  Stetten  £)ftertuge. 
©er  fjeilig'  ©eift  oom  Gimmel  Eam  u.  ©ccfjSft. 
«Pfingften. 

Zui  Cieb'  lägt  ©Ott  ber  6t)riftenf)cit  2c.  günfft. 
9Ktd)aelt6. 


150.  9lact)bem  bie  (Sonn'  befdjloffen  zc.  günfft. 

9ceujaf)r. 

151.  2flfo  tjetttg  ift  ber  Sag  zc  günfft. 

Oftcrn.  (Salve  festa  dies  etc.) 

152.  ©Ott  fet)  getobet  unb  gebenebetet  2C. 

153.  SSater  unfer  im  Himmelreich  ic. 

%bam  ©umpelfefjaimer. 

154.  SJiein'  ©ecl'  erbebt  ben  sperren  mein  zc."  )  (1594.)] 

155.  gjiit  grieb'  unb  gteub'  zc*  J  33ierft. 

156.  3cfu  «Pein,  Cetben  unb  £ob  ic.  (1619.)  SBierjt.'l 


(1597.)  günfft. 


Überfielt  ber  in  bem  t>orfref)enben  S3erjeicf)niffe  enthaltenen  geijtlityen  SRclo* 
bieen,  nad;  ifyrem  Urfpruna,e,  unb  ber  3eit  ityrer  ©ntftc^ung* 

I.  9tug  Iatehüfcf)em  jtir<J)engefange  ftammenfce.  15*eö  3af>rf)unbert. 

4te8  Sa  Wunbert.  Id  dulei  jubiio.  120. 

veni  redemptor  gentium.  9cro.  118.  umbitbung  00m  u  %u§  mitteMtwti<fcem  beutfe^en  geijHicfcem 

Saljre  1525.  '  J 

Jam  moesta  quiesce  querela.  139.  ©e|on)JC  ^ammeitte. 

5teS  3af>rf)unbert.  12te8  3<if>H)unbert. 

A  solis  ortus  cardine.  13.  @$rift  ift  erftanben  z«,  I.  1.  II.  6. 


6te3  Safyrfyunbert. 

Salve  festa  dies.  5.  151.  Umbitbungcn:  bie  erfte  aus  bem 
löten,  bie  jroeite  aus  ber  lc|ten  Hälfte  beg  löten 
3af)rt)unberte. 

Rex  Christe  factor  omnium.  59.  Umbitbung  auS  ber  U%- 
ten  ^Stftc  beg  löten  3at)rb,unbcrtS. 

8te§  3ctf)d)unbert. 
Veni  creator  spiritus.  40.  97.    Umbilbungen  com  Seifte 

1535.    119.  Umbtlbung  oom  3af)re  1525. 
Christ«  qui  lux  etc.  64. 

lOteS  3af>rf)unbert. 

Grates  nunc  omnes.  81.  84. 

llteö  3af)rf)unbert. 

Veni  sanete  Spiritus,  reple  etc.  10. 

12te«  Sa&r&unbert. 

Mittit  ad  virginem  elc.  85. 

14teß  3af)rf)unbert. 

Resonet  in  laudibus.  II.  1. 
Quem  pastores  laudavere.  86. 
Nunc  angelorum  gloria.  86. 
Ave  Hierarchia  etc.  85. 


13te§  3af)rf)unbert. 
9cun  bitten  mir  ben  fettigen  ©eift.  15. 

15te8  3at)r()unbcrt. 
©etobet  fei)ft  bu  3efuS  ©fjrift  ze.  II.  2.  51.  121. 
Sa  3cfuS  an  bem  Äreuje  ftunb  2C.  3.  62.  123. 
£)  bu  armer  3ubaS  2c.  4.  67.  91. 
Sief)  grau  com  Hi^mtet  ruf  tcb,  an  :c.  88. 
SOiarta  jart  2c.  89. 
(56  ift  ein'  9?of  entfprungen.  90. 
«Kitten  mir  im  Seben  finb.  92. 
Äomm  ^eiliger  ©eift  H«"  ©ott  2t.  127. 
©ott  fei)  gelobet  unb  gebenebeiet.  152. 
©ott  ber  SSater  roofjn'  uns  bei  2c.  57. 

III.  9tuf  toeltlt^e  9Mobicen  gegrünbete. 

(©.  aud)  unter  IV.  baS  3af)t  1562.) 
15teö  3af)rf)unbert. 
@6  ift  bae  Heil  uns  tommen  f>«  2c.  12.  43.  46.  54.  98.  132. 
SaS  mettttetje  Sieb ,  beffen  mafjrfctjeintidb,  bem  löten 
3af)rt)unbcrte  angcfjötenbe  SScife  bem  ooranftefjenben 
geiftltdien   angepaßt  roorben,  ift  noeb,  ntcf)t  aufge; 
funben. 

Gtjrift  unfer  Spm  jum  3orban  fam  2t.  7ö. 
SeSgleirfjen. 


  513  — 


16te$  Sa&r&unbert. 
2ic  ift  mit  lieb  bie  roertbe  SOlagb.  08.  87. 

Heb,  Sieb'  mit  Seib  u.  (1512.) 
2Ba6  mein  ©ort  wiü  it.  66.  138. 

II  me  soffist  de  tous  mes  maul.v.  (1530.)  138". 
OTag  id)  UnglücE  nit  mibcrftabn  it.  116. 

2Bclttid)c6  Sieb  gleichen  2tnfang6.  (»or  1535.) 
25om  Gimmel  Um  ber  enget  Schaar.  21. 
(SSom  ^)immc(  f>od)  ba  fomm  id)  ber.) 

2fu6  frembben  Sanben  fomm  id)  ber  jc.  (cor  1535.) 
3er  ©nabenbrunn  tfjut  fließen  jc.  108. 

£ic  SBrünnlein,  bie  ba  fließen.  108".  (oer  1537.) 
3d)  banf  bir,  lieber  £erre  jc.  137. 

entlaubt  ift  uns  ber  2Balbe  jc.  (cor  1539.) 
D  aßclt  id;  muf)  biet)  taffen  je.  100. 

Snebruct  id)  muß  biet)  taffen.  100».  (cor  1539.) 
2ßic  fdjön  leudjtet  ber  SOcorgcnftcrn.  70.  99. 

SBic  fd)ön  leudjtcn  bie  Äugelcin.  (cor  1599.) 
£erjlid}  tfjut  mid)  «erlangen  jc.  80. 
(D  Jöaupt  doU  SBlut  unb  Sffiunben  jc.) 

SOlcin  0'mütb.  ift  mir  oermirret  jc.  (cor  1601.) 

IV.   «eifiltc^e  2)Mobieen  beö  löten  3cu> 
l)unt>ertg. 

1523. 

9cun  freut  eud)  lieben  Gljriftcngmein.  18. 

1524. 

3Iu$  tiefer  Sfcott)  it.  (bie  pt)n)gifdje  3Beife.)  I.  2.  II.  79. 
ebnft  lag  in  SobcSbanben.  16.  63.  74. 
sJKcin'  ©ccl'  erbebt  ben  Herren  mein  lt.  50. 
grötiltd)  roollcn  mir  Jpaltetuja  fingen  it.  53. 
(Srbarm'  biet)  mein,  o  £erre  ©Ott  it.  73. 
£err  efjrift  ber  einig"  ©Otts  <Sof)n  jc.  78.  133. 

1525. 

£>  Jberre  ©ott  begnabe  mid).  7. 

2tn  SQJaffcrftüffen  SSabiilon.  19. 

25er  Zt)6ti$V  fpridjt,  ei  ift  fein  ©Ott  it.  52. 

6«  finb  bod)  fcelig  alle  bie  jc.  |  72 

(D  SEJeenfct)  bemein'  bein'  ©ünbe  groß  jc.)  \ 

1529. 

ein-  fefte  SBurg.  24.  61.  76. 

1531. 

©er  Sag  oertreibt  bie  finftre  9iad)t  it.  101. 

1535. 

2£d)  ©ott  com  Jbimmel  fiel)  barein.  (bie  pf)rogifd)e  SBeifc.)  14. 
3efuS  (SbriftuS  unfer  Jbeilanb,  ber  ben  2ob  ic.  126. 
£urd)  2lbamä  galt  jc.  128. 
3d)  ruf  iu  bir,  £trr  3efu  ©brift  it.  129. 
£>  £crre  ©ott  bein  göttlich,  fffiort  it.  131. 
9cun  freut  eud)  lieben  @l>riftengmein  (jmeite  tonifd)e2Beifc).134. 
t.  SBinterfclb,  ber  cuanget.  ßfcoralgefang. 


1537. 

2td)  ©ott  »om  Jbimmel  fiet>  bartin  it.  (bie  mivolybifdjc 

SIBeife.)  17.  45. 
2tu6  tiefer  9lotb  fd)rei  id)  ju  bir  (bie  ionifdje  SEBeife).  135. 
SBatcr  unfet  im  Apimmclrcid)  jc.  153. 

1540. 

9cun  lob'  mein'  ©eef  ben  Jberren  22.  136. 
2i"Ucin  ©ott  in  ber  Jpöb'  fei)  efjr'  :c.  23.  77. 
£>  Samm  ©otteS  unfdjulbig.  96.  124. 

1543. 

SSom  Gimmel  bod)  ba  fomm  id)  ber  it.  (jmeite  ionifdje 
SBeife.)  122. 

1544. 

£)  aUmäd)tiger  ©ott,  biet)  lobt  ber  ßfjriften  SRott  ic.  8. 

25er  eblid)'  ©tanb  it.  9. 

9cun  laßt  uns  ben  Seib  begraben  it.  20. 

1545. 

2fUein  ju  bir,  .berr  3efu  CSbrift  it.  38.  130. 

1551. 

©ott  bat  baß  eoangelium.  60. 

1560. 

Cobt  ©ott  ifjr  ebn'ften  aUjugleid).  42. 
erfd)ienen  ift  ber  herrlid)  Sag  jc.  82. 

1562. 

Sie  unter  ben  9cummern  25—37,  47  unb  48  in  bem  oor« 
ftetjenben  SßergeictjnifYe  aufgeführten  üicrjefjn  franjöftfdjen 
^)falmmelobieen : 


^falm  42.  ! 

Mro, 

.  25.  47. 

//  51. 

26. 

»  65. 

27. 

-/  76. 

28. 

«  77. 

29. 

»  81. 

30. 

,<  82. 

32. 

»  100. 

33. 

./  111. 

34. 

<>  116. 

35. 

i  130. 

48. 

„  131. 

36. 

//  139. 

31. 

«  142. 

37. 

23a6  3at>r  ibreö  erften  erfdjeincnS  mit  ben  9Jcarot=  unb 
SBcja'fdicn  ^falmen,  alfo  ihrer  Bcrmcnbung  für  geift; 
lid)e  3mecte,  gilt  l)kt  aud)  für  baß  ifjreö  entfteb,eng. 
3u  roeltlid)cn  Siebern,  benen  mobl  alle  urfprünglid) 
angehörten,  fang  man  fic  fdjon  bebeutenb  früher,  bod) 
ift  eine  beftimmte  3eitangabe  f)ier  nid)t  möglid). 
1566. 

©d)au  roic  lieblid)  unb  gut.  49. 

1568. 

Sobet  ben  Jberrn,  benn  er  ift  febr  freunblid).  39. 

65 


514 


1569. 

«OJctn  liebet  £trr,  ich  preife  biet;  ZC.  93. 
SOTcin'  ©eel'  erhebt  |u  biefer  grift.  95. 

1571. 

£crjlich  lieb  W  ict)  bid),  o  £err  2C.  109. 

(Sie  nid)t  gebräuchlich  geworbene  SOBcife  beS  50lattt)ia6 
©aftri|.) 

Sßon  ©ott  roilt  ich  nicht  taffen  zc.  110. 

1575. 

£erjlid)  tt)ut  mid)  erfreuen  zc.  44. 
9iun  ift  cS  3cit  &u  fingen  t)ell.  102. 
3ch  meif),  bafs  mein  ©rlöfcr  lebt.  103. 

1577. 

£öret  it>r  eitern,  6t)riftu6  fpridjt  zc.  104. 
5f)t  2Clten  pflegt  ju  fagen  zc.  111. 
Age  nuDc  parve  puer  etc.  112. 

1585. 

(5S  ftef>n  an  ©otteS  Sfjrone  ic.  105. 

3u  biefer  öfterlidjen  3cit  zc.  113. 

2>er  fjeilig'  ©eift  com  Gimmel  tarn  zc.  114.  114". 

1587. 

greut  euch,  tf>r  lieben  Sfiriften  zc.  41. 
9tun  laft  unä  ©ott  ben  Herren  zc.  106. 

1588. 

3efu6  SbriftuS  unfer  £ei(anb  zc.  107. 

(Umbilbung  ber  unter  bem  3at)re  1535  angeführten 
oorifdjen  SBeife  in  baS  SJfirotnbifdje.) 

1589. 

©eelig  ift  ber  gepreifet  zc.  115. 

(teuere  erfinbung  beS  £onfe|er$,  3ot)-  eccarb.) 


1593. 

£erjlic$  lieb  tyaV  id)  biet),  o  £ert  :c.  56. 
(J)ie  jefct  gebräuchliche  SOlelobie.) 

1594. 

SJlein'  ©eel'  ergebt  ben  Herren  mein  jc  154. 
SKit  grieb'  unb  greub'  zc.  155, 

(Steuere  erfinbungen  beS  Sonfe|erS,  2tbam  ©unu 
pelfetjaimcr.) 

1597. 

£err  3efu  Gtjrift,  wahr'  SJcenfdj  unb  ©Ott  zc.  55.  (miro* 
Inbtfche  StBeife.)  125.  (ionifche  SSkife.) 

1598. 

Sie  in  »orftebjnbem  SBerjeidjniffe  unter  ben  Hummern  140 
bis  150  aufgeführten  elf  geftlieber  eccarbS. 

1599. 

SOBadjet  auf,  ruft  uns  bie  ©timme  jc.  69. 

%u$  ben  legten  %at)xm  be§  16ten  3af)rf)unbertS, 
of»ne  genauere  Beitbejiimmung : 

Jg>eut  triumphiret  ©otteS  @ohn  zc.  58. 
£)u  griebefürft,  £err  3efu  ©tjrift  zc.  65. 
SZBacfc-t  auf  if>r  ei)riften  alle.  71. 

Jperr  3efu  <$t)ti$,  wahr'  SOlenfcfj  unb  ©Ott  zc.  (phnjgifdje 
SBeife.)  83. 

SKein'  ©eel',  o  ©ott,  muf  loben  bid;  zc.  94. 

1619. 

3efu  <?>ein,  Ceiben  unb  3ob  zc.  156. 


3)  t  u    f  e  $  I  e  r. 

Seite  10  3eile  11  ».  o.  mufj  es  ftatt  üon  ber:  öor  ber  Reißen. 

.   ii    10  "  12  o.  u.  mufj  hinter  ben  Sorten:  beS  (SinflangeS  ein  ßomma  flehen. 

ii    16  w  3  mufj  ftatt  3ürüd:  3urüc!  flehen. 

»    22  mufj  bie  ©chlufjnote  ber  in  ber  Slnmerfung  mitgeteilten  SJlelobie  nicht  — £}—  fonbern  — g—  Ijeifjen. 

»    34  3eile  9  ift  ftatt :  91  a  et)  a nb  eren,  9t  o dj  anb  ere  ju  fefcen. 

ii  118  n  12  am  (Silbe,  ftatt:  9lro.  IV  muf  e<5  heifjen  9tro.  V. 

»  126  »  3  if     if)t  n    <>      u  i^m. 

p  205  //  14  ü.  o.  muß  bie  3a()rjaf)l  15*4  heißen,  nicht  1554. 

"  208  v  5  mufj  in  bem  «erlebten  Sffiorte  „fpätern"  ftatt  bei  f  ein  f  flehen. 

"  291  ii  15  mufj  cS  l)eifjen  ftatt:  bem  ber  <3ame  u.  f.  ro.  beim  ber  (Same. 

H  336  «  11  muß  hinter  bem  »erlebten  SBorte  „fieben"  fylbige  ergänjt  Werben. 

:i">0  ii  1  ift  »er  Sem  legten  9Borte:  „machen"  ba«  2ßort  „gelten b"  ergäujenb  einjufchalten. 

p  3ö5  ii  8  ftatt  f  leine  mufj  e«  Ijeifjen :  grcfje  ©eptime. 

"  417  »  3  hat  fich  in  bem  Slßorte :  Psalmodia  ein  pottrifdjeS  burrhftrichene«  1  eingefchlichen. 

■  471  "  ö  muß  ftatt  Zvn  to  e  i  f e :  Ion  t  e  i  h  e  gelcfen  roerben. 


<S.  114  ber  SBeifpielc  mufj  iit  ber  Überfchrift  «on  9tro.  118  bie  3at;rjahl  1597  heipen,  nicht  1579.