V
£>er
[* JUN X l 1909
unb
fein äSevfydltntfj
.fünft t>c6 £onfage6,
bargeftellt
@arf Hon SBtttterfelfc*
(Srfter Sljeil:
Der eoangettfd)e Ätrcfyengefang im erfim 3af)rf)unberte ber Äirdjenocrbcfferung.
Srucf unb ?8ertag von SSreitfopf unb Härtel.
i§ .
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in 2015
https://archive.org/details/derevangelischek01wint
©einer ßonigadjen SDtajeftdt
jUmigc Hott fyteuftm,
meinem allergnäbigften Könige unt> ^errn.
Mertmr flauet) tigfier ©rofjm&tytigjto Äönicj,
^Uergrtdbigfter $onicj unt> £err!
(Stm Ä* 3Äajeflät wage ich bie folgende fünfte unb firchengefchichtliche ©arftellung
in ttefftet (Shtfürcht allerunterthänigft ju itbeneidjen*
' @te ift nicht allein eine %md)t oon 3)iuf eftunben neben meiner eigentlichen 2Beruf6=
thätigfeit im ©ienfte @ro* Äönigt, SRajejMtj ich barf fte roof)l aug einer früheren, berufe
mäßigen ^ätigfeit hervorgegangen nennen, 3116 mir in früheren Sauren bie obere Leitung
beö 9J?ufifmefenS in ©Rieften ant-ertraut mar, fanb tdt> bort, noch ungeorbnet unb menig
benufet, fo bebeutenbe 2>enrUiahle ber £onfunft früherer Sa^r^unberte, fo reiche Cuellen
namentlich für bie ©efchichte beS ÄirchengefangeS feit ber Deformation, far)c, fct)on burch
i^re Drbnung unb ßnfnmmenflcttung allein, mich fo vielfach belehrt unb geförbert, baf ber
SBunfd) in mir entfielen muffte, eine »otlftänbige Überficht biefeg bebeutfamen S^geS ber
Äunfigefchichte ju gemimten, auch im übrigen 3)eutfd)lanb ben Cuellen ferner nachju=
f orfchen, unb burch eine ihm eigenbS gemibmete 2>arftetlung nach bem 9)faaf?e ber mir
r-erliehenen Gräfte, fetber einen Beitrag für baß Söerf einer allgemeinen (Befrachte ber
Xonfunft ju liefern, bie nur burch grünbliche ^orfdmngen auf ihren einzelnen Gebieten ftd)
allgemach auferbauen fann.
©tefe, tn einem £au»ttheile nunmehr »ollenbete SarfteHung @tt\ Äöntgl. 3tfajeftdt
etgenbS mibmen p bürfen, mar mein innigfter Söunfch, <§ro* ÄontgL Stfajeftät ©nabe hat
ihn mir gemährt «schon ber ©egenftanb, ber 3nhalt biefer ©arjMung, merben meinen
SBunfch rechtfertigen, 2)enn c3 war Sßteufen, mo bie heilige Sonfunft in ber e»ange=
lifchen Äirche am Ochluffe beö fechjehnten Sahrfmnbertö ihre höchfte Slüthe erreichte 5
Sßteufjert, won bcm unfet gcmeinfames, theuree SBatcrlanb je£t fernen Tanten führt. 2Ubred)t
bcr ältere wen Sßranbenburg, Greußens erfter <£jer$og, wie er jebeö cble Streben bes menfct)=
ltd)cn ©eiftcö pflegte unb förberte, war and) einer von ben frül)eften ©önnern biefer Äunftj
unter bcr üormnnbftf)aftttd)en Regierung 9J?arfgraf ©eorg ^riebrid)ö t-on 95ranbenburg=
9lnsbacl) mud)ö fte gebeihltd) empor burd) ben eblen 9Äetjier, mit bem ber te£te 2lbfd)nttt
beö jwetten Sucres ft'd) befd)äfttgt. $tefer mar in feinen legten £ebcnöjahren ju Berlin
am ^ofe beö @hurfürften 3oI)ann ©tgtömunb iljättgj uor nunmehr eben $meihunbert Sahren
mar es feinem treuften unb auögejeictjnetften, bantale fd)on greifen Schüler geftattet, eine
erneute SfaSgabe ber r>oqüglid)ften SBevfe feines 3ftetfter6, met)r alö breiig 3al)re nach
beffen $tnf$etben, bcm großen 6t)urfürften griebrid) Sötl^ettn ju überreichen. @ö mol)nt
in btefen Seifen eine eigentümliche Äraft unb i'ebenöfrtfche, bie fte, auf il)rem ©ebiete,
benen ber gleichzeitigen großen 9Jieifter 3talicn6 ooltf ommen gleid)ftcllt. 5öar es mir nun
oergbnnt, in einem engeren Greife fte mieber in baß £eben p rufen unb ihre Äraft ju erpro;
ben, fo glaubte ich eö wagen bürfen, eine §lugmal)t berfetben (£m. Äbnigl. 9J?ajcftät,
bem erlaubten äbfommlfage bes großen Surften, bcr fid) einft baran erfreute unb erbaute,
nach yr»ei 3al)rhunbcrten ehrfurd)töt>oll mieber t>or$utegen. 2)enn fxe gehören bem 23ater=
lanbe an, fte beengen auf baö SSoUgültigfte, baß, auch unter meniger günftigen äußeren
SBerbältnifien, es hinter Italien nicht jutrürfblteb in einer Äunfl, bie eben bamalö einen hohen
Sluffcbroung nahm, unb baß eö bcr cMitgelifchen Ätrchc nid)t an bem frifchen Sebenstrtebe
gebrach, burd) ben eblc Stachen bee ©eifteö gejeitigt werben.
2>ie wafyre .£eimatf) folget SBerfe ift bie Äircfje j erft wenn jte eö tf)nen hiebet
geworben ijt, werben wir eine f)eilige Sonhmft beft^en. 66 gebricht ung nicf)t an 9J?eiftern
augben letjwergangenen brei3af>rf)unberten,bie für immer in ifyr l)etmtfct) p fe»n »erbienen,
es mangelt ber (Begenwart nicfjt an begabten, burcf) beren (Schöpfungen eine heilige £on=
fnnft neulebenbig entfielen fann, wenn fte eine heilige (Stätte, eine äd)te Söofmung gcfunben
bat, welche ber Äunft nicht allein eine Ijeilfame <Scf)ranfe sieht, fonbern ihr erft bie rccbte
2Beif)e, bie wefentlidje (Beftaltung gewährt 2öie bieg in bem erften 3abrf>unberte ber
&ircf)cnr>erbefferung gefchef)en feo, in welchem Serhältniffe bie Sonfttnft bem bamals
tebenben (Sefc^ledjte überhaupt, unb t-ornehmlicf) $u ber neu erftehenben et>angelifcf)en Äircbe
geftanben habe, welchen wefentlichen Ginflufj bie tf)ätige S^eilnafyme ber ©emeine an bem
©ottesbicnfte auf ihre Gntwicflung geübt — alles biefeg f)abe tcf) in ben fotgenben flattern
barpitcllen üerfucht. (Sie haben ihren 3wecf erreicht, wenn eg ihnen gelang, ben lebenbigen
3ufammenf)ang ber (Gegenwart mit ir)rer Sßor^eit wieber ju erneuern, unb jener einen gaben
SU gewähren, an bem, wag fie l)erftellenb unb bilbenb erretten mochte, fidjer wieberuin
fortgeleitet werben fann, 2)enn eg fehlt ung nicht an ehrenwerten Sßerfucben würbiger
©eiftlid)er, bie Xonfunft auf rechte SSeife, nicht alg eitlen $runf unb »ergänglicben
<Sd)mucr", fonbern in ihrer wahrhaft erbauenben Äraft in ber Äirdje wieber heimifcf) ;u
machen. lochte es @w, ÄönigL Sftajeftät gefallen, tiefen SBejlrebungen jene l>ulbreicf)e
Slufmerffamfeit ju fdjenfen, bie überall, wohin fie fich wenbet, nur 6ebeif>en unb (Seegen
»erbreitet! 2)?öcbte eg möglich werben, im 3)Üttefyunfte ber ^auptftabt, Slllen pgängticb,
(Stwas tu btefetn «Sinne ÜÄujkcfyfiftee Ijtttjttfiellen, an baö, wenn et fitf) bewährte, auef)
erobere, gleichartige SScflrebungen fid) lehnen würben! @ö ift wol)t nid)t btoö eine jugenb=
lHfy=ooretltge £ofnung, ba$ eine neue Äunftbtütfye in t)öd)ftein ©inne auf btefent Sßege
entfielen , eine frifcfye Äraft fid) entwtefefa tonne, bie an bem SSeflcn genährt waö bie
SSotjett unö bietet, einer wahren ^eünatt) in ber Ätrd)e fid) erfreuenb, nid)t mehr in
roterem llmberfafyren ^tct> mtjjloe jerfpttttern würbe, wie es bie ©egenwart tetber felbft
an bervorragenben latenten erlebt f)at.
3n ttefftet (Sbrfurcftt erfterbe id)
Berlin, ben ;Ucn Setober 1842.
a(leruntertl)anigfter
»on Söinterfelb.
Rottete.
(Sin jefeeS SBcif mufj atteä (Sinjelne in it)m an feiner ©teile feurcf; fict; felbjt
rechtfertigen, aß Sfjeit bei größeren ©anjen, feem e§ angehört. 25esr)aI6 fann eS auct; feie
2lbftct>t fetefer SSorrefee nicf>t feijn, eine fotcfye Diect)tfertigung ju üerfucfyen, unfe mit if)r feie
©eneigtfjeit feeä SeferS in Slnfpruct; §u nefmten. ©ie roünfct;t nur mit feemfel£>en über (Sin=
jelneS fxcf> ju v-erflänfeigcn, roa3 im Saufe feer ©arftelumg nict;t root)t befprocf;en roerfeen
fonnte, rceit feiefe eine anfeere Stiftung §u nehmen t)atte.
2)ie Saaten, üon feenen eine funfTgefct;icfctIicr;e 3)arftettung tjanfeett, finfe feie Serfe
feer Äunft, über feie fie berietet. @Iücf lieber al§ alle anfeeren 2)arfteltungen fotct;er 2lrt
finfe feie über ein beftimmteg ©ebiet feer Sonfunfl fict; öerbreitenfeen. 3t)nen ifr es üergönnt,
feie Sfjaten, »on feenen fie erjagten, unmittelbar, in Dotier Urfprünglicf;feit, roenn auct; nicf>t
öor feaö Dt)r, feoct) üor feag 2tuge feeä Seferä ju lebenfeiger 2tnfct;auuug §u bringen. 2)er
@efct;ict;tfcf;reiber, feer feiefeä üerfäumte, r)dtte roefeer feine glücflicfje «Stellung, noct; feaS Sßefen
feiner Stufgabe erfannt; ja, mau roürfee argroöfmen feürfen, er berichte nic$t über lebenfeig
2tngefct)aute3 unfe innertief; (Srfat)rene3, fonfeern er$är)Ie nur 9tnfeeren na$, trage ir)re 23erict)te
jufammen, ftette fie $urect;t.
©ünfiige ^ertjeittniffe, unfe t>ietjd'f)rige , feuret; fie erleichterte gorfdmngen festen
feen ißerfaffer feiefer Blätter altgemact) in feen 33efi§ fee3 S3eften, \v>a3 feit feem beginne
feer Jlircr/enserbefferung auf feem ©ebiete feel et>angelifcf;ett <Sirct;engefange3 erroucf;3. (58
gelang ir)m §ugleict;, einen JlreiS um fict) ju berfammeln, feuret; feen er es roiefeer in
fea§ Seben ju rufen »ermoetnt. (Sr erfennt es mit 2)anfe gegen ©ort, feafj er grofie
greufee unfe (Srquicfung , ja, roat)rt)afte (Srbauung feafeuret; genoffen f)at. 2)afs er aber
auct; feana$ trachten mufjte, es ju begreifen, ju feurcf;feringen, als einjelne 2t)at eine! grofjen,
gemeinfamen Sebeng es im Sufanunentjange mit feemfetben §u erfennen, unfe feann enfeticr)
feaS (Mannte feurcf; feie <Scf>rift fefi§ur)alten; atteä feiefeä ift mit feer ganjen Dichtung feine!
(Strebend $u genau öerbunfeen, als feafj es f)ätte anfeerl fe^n tonnen.
2BaS feer dinjetne fammett, feaä fott er nict)t al3 tofeten <ö<f;a£ ankaufen, fonfeern
nufcbar machen ; roas er erfannt Ijat, fott er nic^t in fict; tierf<f;liefjen, fonfeern alz <©aamen=
t. SBintttfelb, Ux «sangtf. <5$oral3tfang. *
forn augfheucn, in t»cv ,§ofnung, ba§ eS gru<$t bringen »erbe. 3to biefer Überzeugung erfcheint
bie gegenwärtige nmftgefchid)tlid)e 2)arftcllung , unb bie if)r beigegebene «Sammlung. SDiefe
jumaljl ijt bcfttmmt, eine Icbcnbige 9Infd)auung ju gemähten »on ber (Snmncflung beg mehiftum
migen geistlichen Sicbergcfangeg in ber coangelifd^en Jtirche. (Sie mufjte bat/er in ihrem jeijt
crfc^einenbcn elften, über bas 16rc ^a^^unbevt fiel) »erbreitenben $f)eile, fo biel alö möglich,
alle gorinen beg .$onfa£eg ju umfaffen fud>cn, bie auf jenem ©ebiete im Saufe biefeg %tit--
raunteg hervortraten. @g burftc feine berfelbcn uernacf)läfjtgt werben, bie in irgenb einer 3trt
auf Selbftänbigleit 2tnfpruch fyatte, benn in einer folgen fyiegelre ftd) notr)wenbig eine ber
mannigfachen Stnucgiidihmgcn jener mctfmüibigen 3eit ®ne jebe biefer gönnen gelangte
freiliefe, nicht fdwn bamalg ju genügenber 9Iugbilbung unb 33oIlenbung, manche üielmef)r,
anfeheinenb vcniachläffigt, muchg fpätcv erft ju bem jenigen heran, mag fte ber Äuuft werben
feilte. So ergiefet eg fiel; beim oon felbfl, bafj unter ben in unfern Seifpielfammlung ctfd)ei=
nenben manche nur beftimmt fetyn tonnten, eine befonbere Stufe ber Äunfteittmirflung barjm
{teilen, ja, WofeI nur einen Äeint, aug Welchem erft geraume 3ctt nachher eine bebeutfame 33tüthe
ftd> entfaltete. S5ennodj mar ber SSerfaffer bemüht, feine- Sammlung fo nt orbnen, bafj bie
3fte6,r$al)[ ber bargebotenen Sä§e geeignet feint tonne, einen wirtlichen Jtunftgcnufi, ja, wag
beffer ijt, mar)rf;afre Erbauung 51t gewähren. (5r b,at bag nur 3)?erfwürbige fyarfam, bag Sdmne
unb 93ollenbetc in reicher gülle ju geben ftd) angelegen femi laffen. üDenn b a 8 tonnte feine
2tbftd)t nicht fer/n, eine Spenge oon allerr)aub Seltenheiten altcrtlnhnelnb jufammenjuraffen.
5)ie Seltenheit hörte ja unmittelbar auf mit ber burd) it)n herbeigeführten allgemeinen 3ugäng^
lichfeit, ber »orübergef)enbe 9ieij beg 2lbmeid)cnben unb Seitfamen erfchöbfte fid; fealb; ohne
inneren, Wefcutlid>en 3nfammenhang biefer SBerfe, ohne einen tieferen Suq, ber ju ihnen
bauemb hinntleiten fähig mar, mürbe mau ihnen balb feinen 23Iid ferner gegönnt haben. 23ei
benen unter ihnen, bie nur eine befonbere Stufe ber Äunftcntmitflung, einen .Keim für fpätere
(Entfaltung barftctlten, tonnte ein 3«g fold)er 2trt nur in ber Seiehrung fid> grünben, bie aug
ihnen ju fdmbfcn mar über bag SBer^alrtii^ ber 5lbftcf;t beg Äünftlcrg nt bem (Srfolge; bei ben
ißollenbeten bitvfte bie bauembe greube an bem Äunftmerfe alg folchem mit @ewif?r)eit ermattet
werben, fobalb man nur erft fiefe, befreunbet haben merbe mit ben, juerft Dielleicf)t befrembenben
Abweichungen ihrer formen, fev; eg öon benen ber (Srfcheimmgen bei Sagcg, fer; eg öon benjc=
nigen Schöbfungen ber SSor^eit, melche ber ©egenmart bi8 je|t allgemad) naher getreten maren.
9fun ifi eine gemiffe a3ollftanbigfeit bei ben formen beg ^onfa^cä mohl nod) ju
erreichen, faum aber bei ben SKel obieen. 5JJicht, ba§ fte unbebingt auf er ben ©renjen ber
EKöglichfeit läge. Stellt man fid) aber emmat)! eine fold)e Aufgabe innerhalb eineö befiimmten
3eirraumeö, fo folgt barauö unmittelbar, baf eine jebe, felbft üorübergehenb unb örtlich nur,
irgenbmie in ber Äird)e gültig geroefene SDJelobie aufjunehmen, ja, auch nnbebeutenbjte
Stbmeichung bei einer einjelnen nid;t ju überfehen fet). 23eler)rcnb, erfprteplich , möchte eine
3ufammenftellung folcher 9Irt fer;n, nur nid;t ^»affent) alö 33eigabc ju einer funjtgefchichtlichen
2)ar{tel(ung. Norbert man boch nirgenb üon ber @efchid)te, auch )D0 fie fecn engfien Äreig ftch
gebogen bat, bajj fte innerhalb beffelben ein jebeä Sreigmfj ofme Ausnahme aufgeteilte unb
beivaftve! Die SoüftäiuMgfeit, feie fte 511 erftrebett bat, famt nur eine bedingte ferm; nur
basjenige gebort tu ibren $krcid), an beut ein innerer, geiftiger 3»fn»inienbang bargetegt tu erben
fann, burd) ben es aU (ShtjeTneS m-rftäublicb toirb, uub fo eine gortlettung in biefem (Sinne
möglich ma^tj toettn freilief) ber @efdncb, tfebreiber ftets ben 6, öderen Kul)m Serbien«! tuirb, bem
cS gelingt, ein bebetttfames 33ilb aus ber reiebjten ^ülle bes (Sinjelnen 51t geftalten! Die
Jßollftänbigfeit, bie ber Jöerfaffet fjier jtt erreichen fud)te, ging baf;in, alles bas, tuoburef) bie
3Mobic fid) gehaltet, jebe fird>Iid)e Jenart, jebe rf)tytf;mifd)e @igentfn"tmltd)feit, nid)t in ein$el=
neu, fonbem vielen Ratten jur 2(nfd)auung ju bringen; feiner ber Duellen uorüberjugeljen, auS
betten unfer J?ird)engefang fcfyopfte, aus äffen früheren 3«f)tfyunberten, bereu ©rjeugniffe er ftd)
aneignete, bergfeieben beran$ubringen, wo er umbilbete, bie Utnbilbung neben bas Umgebilbete
ju ftefleu, entlüde aber auö beut ganjen Greife fird)ttd)er, £itmaf)I fejtlid)er SSeranlaffungen, benen
Siebet tuie 9)iefobicen if)r (Sntftefjen uerbanften, erlefene SSeijbtele in einen Dollen Jtranj §11
fiepten, bamit burd) fte ein frifd)es, lebenbiges 93itb früberer fird)Ud)er Staube, fo tueit fte tu
ber Sonfunjt ftd) abriegeln, geiuäfnt tu erbe. (Sin frtfebes, lebenbiges 33ilt> , aber attdi ein
getreueö, eines, bas neben ben 33orjügen ber Sottftänbigfeit unb 9lnfd)aulid)feit, aud) ben ber
Buöerlfiffigfeii befuge. Darüber giebt tnbef bie Anjeige ber Elueflen, auö betten ttnfere
93eifpicle gefdjöpft tuurben, für ftd) «Hein nod) niebt binreid)enbe @etual)r. Denn bie Üftefujafjl
tiefer 33cifpielc rtu)rt aus einer 3«t f)er, bie, einem alten @ebraud)e jufolge, Sontuetfe in toev
Art tuie fte burd) bie Ausführung vor bas ®ef)ör gebracht roerben feilten, nid) t vollftänbig
auneidmete; bie in bieten gatten bie 3cid)en Dorausgefe^ter <5cf)ärfung unb drniebriguug ein$el=
net Jone luegliefj, bie richtige Deutung unb Ausführung aber ben (Saugern anheimgab. Diefcu
verlieb ntünflid)c Seine tut» SKntoeifung, oft burd) ben Sonfe^er felbjt, ober boef) (Solche, bie
von iljm geleitete Aufführungen angehört batten, bafür bie nötige a3cfab,igung. 2Btr (Spätere
fönnen uns nur an basjenige galten, tua3 in fpärlid)cr, fcbriftüd)er Überlieferung uns an 3Sor=
fcbjiften barüber aufbehalten ift, unb biefe ftnb fetnestuegs für alle %&ftt genügenb. Dennod)
ftnb üftanebe ber Auflebt, ba£ man ftd) unbebingt an fte ju galten, unb nid)t barüber Zittaus;
jugefjen habe; Aubere glauben bann erjt bas Ked)te jtt treffen, tuenn fte verlangen, bafj überall
nur bas Aufgejetdmete, uub ttid)t 3Keb,r ober SBinber, bie Kegel fer?n bürfe für bie Ausführung.
Seber bie eine nod) bie anbete biefer Anftd)ten fann aber als rtd)tig gelten. Die letzte bebarf
faunt einer SSiberlegung ; fd)on baburd) löf't fte ftd) in ftd) felber auf, bafj Kegeln für bie
(S'rgän$ung bes Aufge$etd)neren, aU eine J^atfacbe, überaH nur öorfjant>eu luaren, bie
4Jcotfnucnbigfeit einer (Srgdnjung bamit aber fteb, ausgefprod)en finbet. 5lud) ber erften fann
jeboeb in ber Aügemcinbeit, toie fte ausgefprod)en tuirb, nic^t beigeffimmt tuerben. 3" ttner
btlbungsfräftigen Seit — unb mebj »ieüeid)t als jebe onbere öerbient bie erfie J&älfte bes
löten ^«brhunberts biefen Kanten — fann eine Kegel für fünftlerifd)es Silben unb Datftetfen
faunt für bie Dauer ftd) geltenb mad)en. ©ie fprtd)t nur au§, tuas man bis baf)in als @efe§
bes ©ilcens erfannt f>abe, fte jeiebnet bie ©renjen, innerhalb bereu mit Serouptfe^n gebilbet
morbcn f«?; aber burcr) ben gortfc^vttt ber .Runjt felbft, burd) bie innere (Sid)crr/eit, mit melcber
ber Jlunftbegabte, bem in iljm unbemußt lebenben ®cfe|c zufolge, fdjaft nnb bilber, merben
biefe ©reujen bafb burcr)brocf)en, cS totefe jene (Menntniß fdmcll übermacf)fen, nnb roas jte
augfpraef), crfcfyeint bann für ben 21ugcnblid ^öcf;ftenö, roo fte e3 tr)at, alä allgemein gültig.
$)af)er in allen 3cfan fcifi bie .Klage, baß ber ©eniuS bie ^egel beriefe, ein 33ortmtrf, ber im
beginnenden 16ten 3ar)rf;unberte 3>o§quin be§ $re§ et»cn fo getroffen f)at, alö 33eetf)oöen um
breifntnbert 3af)re fpätev. 33etrad)ten mir baS gortroac^fen ber Äitnfi mit 2lufmcrffamfeit unb
Siebe , fo merben mir in ifmt ofmfefjlbar bie geheime 33eranlaffung erlernten, meiere, bie
2lu3nar)me öon bem bisherigen ©efclje bebiugenb, in if/r sugleici) ba§ ^erüortreten eines
f) öfteren yerfünbet. ^n unferem $alle freiließ tritt ber 21nforberung eineS folgen aufmerf=
[amen, licbeooll prüfenden ä3etrad)tenö unb ^orfcfycnö, eine eigeutf)ümlicf;e Sdjroicrigfcit entgegen.
SBoran follcn mir benn, roirb man ermiebern, jeneg gortmac^fen erfennen, wenn eine feltfame
©rille bas" «Ritnfhucrf ntc^t unmittelbar fet/on fo aufjeidmete, mie es junt ©ef;ör gebracht merben
follte? mag anberä fann unl bei ber Sluöfüljrung leiten, aU eben bie Oiegeln, meiere jene Bei*
für biefelbe feftftellte? einer trügcrifd)en .Seitung mürben mir uns Eingeben, meun mir neben
ifmen bie Stnfprüc^e ber ©egenmart geltenb machten auf eine %tit, für bie fte feine ©ültigfcit
befugen fönnen! 3$ r>err;ef)le mir biefe <Sd)mierigfeit nicf;t, allein burd) ba§ ftrenge gehalten
an jenen Stegein mirb fie feineömcgs' gelmben, man geratfj baburef) felbft jumeilen in anfd)cinenb
unlösbare Q3ermirrung. null miä) beutlid;er barüber erfldren.
2)ie Regeln, meld;e für ©ct)ärfuug ober drniebrigung einzelner $önc bei bem Vortrage
ftet) üorgefebrieben finben, unb öermöge bereu mir beufelben bie S8erfe£ung0jeid;en be§ Dobbeln
freujeg ober be3 b ju 33eroollftänbigung ber 91uf jeidmung beizufügen f)citten, finb folgenbe :
1. (Sin öollcr (Schluß crf)eifd/t bie (?rf)ör)uug ber ftebenten (Stufe ber biatonifd)en Seiter
um einen ^albton.
2. £)ie übermäßige Duarte (ber SritonuS) unb bie berminberte (falfdje) Cluinte finb
ju öermeiben; too fie burcr) bie 91usfür)rung , jtreng nad) ber 33orfd)rift be§ Slufgejetdnteten,
entftänben, fjat man ben Zon, ber fte barftellen mürbe, um einen .^albton ju crf)öf)en ober ju
emiebrigen, bamit ba§ reine ©erij&Itntf ber £Utintc unb Ouarte erhalten merbe.
3. Sobalb bie fed;fte Stufe ber biatonifd)en Seiter (a, meun mir biefclbe mit C
beginnen, <1, roenn mit F unter 3Sorjeid)nung eineö 1>) nur bie folgenbe über ftd) f)at, unb üon
it)r auä nicf)t meiter auf*/ fonbern abmdrtä fortfd;reitct, fo iji biefe leiste um einen ^atbton ju
emiebrigen ; man r)at alöoann nid)t h ober e, fonbem b unb es ju fingen.
4. SDic in bie £)cta»e fd;reitettbe Serte ift atlejeit eine große, unb muß, mo fie, ber
- 3tufjeicbnung infolge, eine fo!d;e nid;t fe^n mürbe, um einen Jpalbton gefd)ärft merben. —
2>cr) f)ab( mid) bei 21nfüfnung biefer 33orfd;riften ber StuSbrücfe nid)t bebient, meldte alte
Ser)rbüd)er gebrauchen ; fte mürben einer ©tffeirung unb 21uSeinanberfe§ung bebürfen, bie ben
Umfang überfd;rittc, ber biefem ißormorte Dergönut fei;n fann. ©einig, baß ifn* (Sinn in bie
»orangeljenben Sßorte treu niebergelegt ift. ßben fo f;abe icf; in ber 5)arjtelluiig felbjr fein
S3cbenfen getragen, ^Bezeichnungen anjuroenben, t>ie, toenn aud) erfr neuerer, felbft neuefter ßtit
angehörenb, bag a3e$cid)nete bod) mit SScjltmmt^eit unb (Schärfe augbrüden, toobet man beim
freilief) an basjenige nid)t §it benfeit hat, toag bie neueften Sefngebdube bannt in 3ufammenhang
bringen.
2)ie angegebenen Siegeln ftnb nun für ben gröfieften SEfjeü ber aug ber elften £älfte beg
16ten 3aljtt)tmbertö ^erai^renben £onfä|e augreid)enb. 2Bo ein 3roeifel entfter)en tonnte, toirb
felbft bamalö febon ein 93erfct$iingg$eid)cn f)in unb toieber beigefügt. @egen bag @nbe biefeg
3eitraumeg gefd)ief)t bieg fd)on ^äuftgev, aber beer) nid)t mit völliger golgered)tigfett. £)ft
läßt ber (Seiner biefeg Seiten ba toeg, too bte ^Befolgung jener alteren Regeln unferem £)r)re
mißfällige SSerbdltntffe herbeiführen toürbe. (5inb tote nun in fotd)em ^alle leicht entf^loffen,
ung an bag 2lufge$eid)nete ju galten, fo begegnet ung an anberer ©teile toieberum ein Mangel,
ben toir nad) jenen ÜBorf Triften notfnuenbtg ergangen müßten, ober an einer brüten ftnbeu toir
bureb ein (M)öbungg = ober (Srniebriguuggjeid)en, bag nicht eigentlich ben£on, cor bem eg
jter)t, fonbent bte 9? e gel, bie auf benfelben 2tntoenbung finben toürbe, betrtft, bie 2lnbeutung
gegeben, bafi ftc Ijter auggefd)loffen bleibe, bafi bag beigefügte 3eid)en bagjenige tilge unb
abtoef/re, bas or)ne feine ^Beifügung anjutoenben getoefen toäre. (Sg ift flar: im Allgemeinen
hält man bie Oteget nod) für binbenb, besr)alb beutet man ir)re 2lugfd)liefhmg augbrüdlid) an,
toie man bag nact; ir)r Überflüfftge in ber Aufzeichnung gern unterläßt 5 aber man ger)ord)t aud)
tuor)l unbetoufjt einem r)ör)eren, aug frtfeber ^unftenttoicflung bet'öorgehenben @efc§e, man
jeiebnet bag nad) tr)m @efct)affene auf, nüe eg auggefür)rt toerben fotl, ar)nt aber babei nicht,
baf? bie alte Siegel bie Augfüf/renben verteilen, bie 2lbftd)t beg ©e|erg oeretteln tonne. 2)aju
fommen nun noch bie nicht feltencn gdlle, bafi eine Erhöhung ober Erniebrtgung eineg £oncg
nad) einer jener alten 33orfd)riften , einer anbem jufolge, toieber bie eineg jtoetten, ja, eineg
brüten unb felbft mehrer noch nach ft<h Stehen müfte, unb toir öon bem urf^rün glichen £one
eineg folgen «Sa^eg ung enblich fo toeit öerfd)lagen ftnbeu roürbcu, bafi ohne getoaltfame Söfung
bie Otudfeljt ung unmöglich fiele, (Sin Seber, ber ftd) mit Sontoerfen aug biefem ßütxautat
bcfd)äftigt, unb bem eg babei gelingt, einen Äretg §u bereu 2)arftellung um ftd) ju »erfammeln,
fühlt batjer, toenn er nicht einem trügerifchen, burd) moberne 2lnfd)auungen unb Anforbcrungen
leid)t mißleiteten @efür)le ftd) überlaffett, unb baburch ©efar)r laufen tottl, bag ©c^rdge jener
dlterett3eit anjutaften unb 511 ücrrotfd)en — er fühlt ftd) gebrungen, feinen Erfahrungen jufolge,
ftd) einen Eanon 51t bilben, nad) roeld)em er bag Aufgezeichnete ergänzt, unb aller 3^ei^eu=
tigfeit für bie (Sänger begegnet. Aud) id) fyabe feit fahren eine 9iid)tfd)nur biefer Art
angetoenbet, id) bin nad) ihr bei Aufzeichnung ber mitgeteilten 33eifptele »erfahren, habe iubefj,
ba id) fte, toenn aud) erprobt, bod) nid)t für untrüglid) geben möd)te, mid) an bte llrfd)rift fietg
in fo roeit gehalten, bafi id) bte üon mir ergänzten 3Serfe|unggjeid)en nid)t neben, fonbern
über bte Söne fe|te, bie baoon betroffen toerben, mit bem SSorber)alte aber, baf, tr>o aud) bie
Urfd)rift — toie eg tr>or)l üorfommt — auf gleiche 3trt »erfährt, bieg atlejeit augbrüdlid)
benterft ift. So barf benn ber fünftige gorfd)er überzeugt fei)n, ba§ er bie Urfd)rift ohne alle
QSerönberung erhält r unb in ben (Staub gefegt bleibt, beö Herausgebers Deutung fctber
;u prüfen.
(SS ftnb nun jene allgemeinen Regeln, wie id) ftc aus bcn Jhtnftwerfen felbft abgeleitet
unb befolgt l)abc, folgenbe :
1. 55er Seitton (baS semitonium modi) war, nadjbem bie SBic^tigfeit nnb Uncnt=
bebrlicbfcit ber großen $erj für bie Harmonie einmal)! erfannt morben, bureb ein, in ir/r ftd)
offenbarcnbcS Scaturgefe| ber Jtrangentwicflung geboten. 3>n ber erfreu 9lbtr)ei!ung beS erften
3töf<$mttel oon bem folgenben SBerfe wirb man bie nähere 23egrünbuug biefeS SlusfmucbeS
finben. Sei ben Sd)!ufjfä!Ien ber einzelnen SOielobiejeilen geift!id)er Sieber wirb ber Seitton
baber in ber OJcgcI oermutf/ct, nnb ift als notfjwenbige (Srgänjung, fomof)! ber 3Mobie felbft,
alä ben Q3egleitfttmmen beigefügt 5 mir ba ausgenommen, wo bie eigentümliche ^armonifirung
eineS SonfatjicS ein 2!nbereS gebot, inbem ftc auf cht ©efefc anberer 3trt hinbeutetc.
2. Stüter ber (Ergänzung beS SeittonS wirb eine jebe anbere burd) bie 4Jtotf)Wcnbigf'eit
auSgefd)Ioffen, bic SMobie felbft unangetaftet ju ermatten. (Sine inbibibuefle Deutung berfeiben
oureb einen Sonmeifter imrb, Wo fie nid;t auSbrücfltch angezeigt ijl, nirgenb oermutf)et.
3. dagegen gilt bie allgemeine Scrmutfntng, baf? bic 2!nweubung nid;t oorgefcf>rie=
bener ScrfetmngSjetchen nur biatonifd)e SSerij&ttniffe einführen bürfe. (Sie unterbleibt alfo
in allen fallen, wo ein anbere 3 burd) fie entfielen mürbe 5 benn eS mufj üorauSgefe£t werben,
baf? ber $onfc£er fie alSbann auSbrüdlid) werbe oorgefd)rieben t)aben.
4. 3Me be^eicb.ncnben 5Berhä!tniffc ber firchlichen Tonarten, jumaljl beS 5pb,n)gifcbcn,
l>iiroI«bifd)en, 2)orifchcn, berufen auf bem @cfe£e ber Dctaocngattung, öon bem ebenfalls,
voie oon bem ber ÄlangcntwicfTung, an bem bei 1. angeführten Drte bie Siebe tft. 3MefeS
@efe$ , in beffen (Entfaltung augenfebeinüd) bie Jtunftübung (jumal)! ber fpdtercn Hälfte) beS
Kitcn ^ahrf/unbcrtS begriffen ift, wirb felbft gegen jene älteren $orfd)riftcn aufrecht erhalten,
ba biefe ju einer S^t ergingen, mo ber 2lnfd)auung b,armonifd;en (SntfaltenS nod) nid)t bie
53afm gebrochen mar.
5. ©er SritonuS — bie übermäßige Oatartc — ift ein biatonifd) eS , nicht ein
cbromatifd)cS Scrfjaltnif?. Seine notr)wenbige 33ebcutung für bie 33ef>anblung ber Harmonie
bat er allgemach entivirfelt, unb fd)on im Saufe ber legten £ä!fte beS löten Sal)rf)unbertS b,at
triefe (Snttoidfong begonnen. S)ie alte 5Borfd)rift, baß er ocrnüeben werben müffe, hat bal)er
nur bebingte, nicht allgemeine ©ültigfeit. 2öo er im melobifd)en gortfd)ritte ber
einzelnen Stimmen entfielen mürbe, tjat man, aueb, in jenem fpätcren Staunte, if)n burd)
Mnwenbung eines 23erfci3ungS$eichcnS ju tilgen. 23ilbct er ftd) im b, armonifd) en 3nfammen=
flange, wenn man bie für bic Ü)iclobie gegebenen älteren Siegeln befolgte, unb ümen ju gel)or=
d>en ein aScrfcgungs^eichen einführen müßte, fo unterbleibt biefe (Einführung, benn bie £Bor=
febrift, baß man ibn ju oermeiben l)abe, überwäcbft jene Siegeln. .ftann er aber nur bind)
s2tnwenbung eines nid;t biatonifd}en $>erfjä[tniffcS öermieben werben — etwa einer Dermin«
certen Duarte, übermäßigen $rime u. bgl. — fo ftel)t ib,r bie höhere 33orfcb.rift entgegen,
Dafj ofme auSbrütflicbe SSqctc^nimg ein folc^eg nicht »ermutbet merbe. Unbedingt aber mufi
fte aufgegeben toerben, menu fxc §ngleicf> ein be$eicbnenbe3 ^erbälmifi ber Tonart tilgen
unirce, renn beffen 2lnfrecbtbaltimg gebt einer jeben anbern 3>orfcbrift voran. 2)iefe übermäcbft
ttlfo fwcfj bie Sfntvenbbarfcit ber britten nnb bieteten unter ben angegebenen älteren Regeln. 9tucb
biefe fmb von nur bebingter ©ültigfcit; gewöhnlich fommeu fte gleichzeitig, bie eine in ber
Cberftimme, fcie anbere im SBktffc in grage, unb mo ber gatt ber britten niebt austrürflicb vor=
Ijanben ift, bat mau bie vierte in 2tntoenbung $u bringen. 3m Saufe einer aMobiejeüe, wo
t)ie Dritte niebt ftreng pa$t, menbe id> auch bie inerte nid)t an, }umar)l menn ber folgenbe Schluß
fall bei 3e^e bamtt niebt in Übereinftimmung fleht : ja, felbft niebt am Scbluffe einer Seile,
lvcnn lex Anfang ber folgenben an fte foitfni'mft, unb ibr 3ufantmeubang bureb bie Sefolguna,
jener Siegeln gelöf't, überhaupt aber ein roefentlic^eä $er$dltmfj ber ©runbtonart babureb einge=
büjjt murre, üöelege ui tiefem S8erf<u)ren geben baS 75jte unb 97fie ©eifmel. Jpier habe icb
bie urfprüngliite >Huf$eicbnung aufredn erhalten, unb feine (?rgän$ung für nötfug erachtet ; aud^
^nt fcie (Srfabrung von ber eigentümlich großartigen äöirfung ber «Iparmonieenfolgen, mie fte
fner erfebeinen, mich überzeugt. 2)ie $reue ber 2ütf$eidmung, fo mie meine 2)eutung ber
mitgetbeiltcn getfttic&en ©efänge glaube id> biemit gerechtfertigt ju baben. SJian mirb einige
gätte fbtben, mo einzelne Ocfänge in einer anbern Sonhöfje alä ber in ber Urfd)rift ihnen eignem
ben aufgebet d;nd finc. Sie fommen feiten vor, ftnb aber ftetl burd) bie verfemten <3cf>TüffeI in
reu alten Staufen gerechtfertigt, bureb belebe gcmöb^nlicb bie £onhör)e angebeutet mürbe, in ber
ber ©efang ausgeführt morben mdre — unb nun mirflid) auljufübren fei) — menn ben ein$el=
nen Stimmen tie ibnen berfbmmlicb jufontmenben Scbluffe! vorge$eicbnet ftdnben. S)urd} biefe
fogenannten öcrfegfen Scblüffel moflten bie alten Steiftet bem 9tuge bie urfprünglicbe Tonart
anbeuten, jebem 2)ii?jverfiänbniffe f;ierin vorbeugeub, mdbrenb boeb ber (Sänger jugleicb erfennen
füllte, mie er bei ber 2lußfübtung ;u Verfahren t)ar>e. 2)iefe motlte ich mn m einzelnen gäüen
burch roirf liebe 3>erfe§ung erleichtern*), t)at)e jeboch immer bie urfmatngliche 2tuf$eicbnung mie
bie angeroenbeten 3>erfe§ungs5eichen babei angebetttet, fo ba§ auch fy?x bem Urfprünglicben
nirgent) ttt nabe getreten, unb bie bifarifebe 3reue nicht verfemt ift.
5)ie (S'igentbümlicbfeit be3 rhvthmifcben 23auc$ einzelner ©efänge habe ich bei ben, bem
Serte eingebrueften einstimmigen 53eifpielen ftets burch 33eifhiche angebeutet 5 bei ben mehrfrinu
migen, einfach gefegten, glaubte ich burch SSeglaffung aller Sartabtheihmg, ober burch geilem
meifes Qlbtheilcn fte am erften beutlich 511 machen ; fun unb mieber (f. Seiibiel 93. 95) ftnb in
ber Dberftimme bie rb^tbmifeben ©lieber bezeichnet. 33ei ben tunftltchet, vielfrimmiger gefegten
©efängen mar bergleichen meift nicht thunlich; verfuchsmeife ift eä bei 9cro. 137 gefct>et)en.
2öaä bie, einjelnen 5onfä|en unterlegten Sieber bereift, fo mirb man jumeilen, obgleich
feiten, Stbänberungen, felbft Umarbeitungen ihrer urfprünglichen 3!erte antreffen, auch
*) <S. j. 93. SÄto. 69. 76. 132. 136. 141. 145. 149 zc. ber üftuüt&eilagen.
früheren 2Mobieen oiel freitet- entftonbene Sieber angeeignet ftnben. 2tu3 welchen ©rünben
biefeä gefödjen fei?, ergiebt ftcf; au8 bein Suche fclbft an ben betreffenben Orten. @ö gefchahe
nirgenb ofnte £tnweifung auf ba§ SSefannte, Uvfprüngltc^c, noer) ofme baö Unbefanntere in
feiner anfänglichen ©eftalt fcotlftänbig mitjuthctlen, unb baburä) bie hifwrifchc breite üollftänbig
ju matten. Sliict) r)a!3c ict) e§ nicht anberS gethan, aU bei Sonfäfcen felbfiänbigen Jtunftwertheg,
um fte ju Einführung in SSereine für ältere geifllid;e Sonfunft gefc^iefter ju machen, unb ir)re
neue Belebung baburch $u ftchern, bi3 fte in bie .Kirche, ihre eigentliche .Ipeimatr), wieber eingeben
tonnen. (Einige alte üDietobicen, namentlich bie »on 592id;aet *J3rätorius mit neuen, für ben
eoangelifchen firchengefang :paffenben Siebern eingeführten, ftnb ihren urfyrünglichen wieber
jurüefgegeben, um bereit 93erhältnijü §u ihnen anfehaulich ju machen; man wirb hierin feinen
©runb jum Säbel finben tonnen.
©üblich war nur ber eüangelifche ^irchengefang ©egenftanb biefer 35ar|telluug, eä
lag außerhalb ihrer ©renken, auch n°ch *>ie gw'tpflansung be3 geiftlicheu SiebergefangeS in ber
fatholifchen Kirche ju betrachten. S)er ©efangbücher in fatr)oItfd;em (Sinne ift bat)er nur
gebaut worben, wo bie 2)arftettung cineä ^Berichtes über fte ju ihrer ßrgänjung beburfte. Sflan
wirb alfo hier allein über ben ßtnfluf! bc§ fatholifchen auf ba§ ($DangeItfc£>e eine 3)?ittheilung
ftnben, unb nicht über bie OJücfnnrfung biefeä Ickten auf jenes. (Sbeu fo rmnbelt tä fich f)in
allein um ben beutfch^eüangelifchen Jtirchengefang. 35er böhmifche, ^ ftang öf i fche,
ftnb mit ihm in lebenbigeä 33erhältnifj getreten, nicht be3 (Empfangend atiein, fonberu auch ^
@eben§, fte burften baljer nicht übergangen werben. 5)er englifche, ^otlänbtfc^e, fcanbinaüifche,
hat ju bem beutfehen nur empfangenb, nicht gebenb, fich verhalten; wa§ er an Urfyrünglichem
enthält, wirb jwar gewifi ber näheren ^Betrachtung Werth feint, unb eine befonbere gorfcfmng
unb 2)arftcttung lohnen, nur wäre fte hier nicht an ihrer ©teile gewefen. 9lu§erbcm hielt ber
iBerfaffer e3 für unnötfng, unb auch ber 2Mrbe beö @egenftanbc3 nicht für angemeffen , nur
anberweit barüber 3)iitgetheilte0 , ohne eigene 2tnfchauung, jufammenjutragen. ©ollte biefe
ihm einfl gewährt feint, fo wirb er baä Erfahrene unb ©efchaute nicht gurücfr)alten. 2)a3 über
t>en italienifchen 5Bfaltcr nach eigener $orfcf)ung ^Berichtete tonnte bei Gelegenheit beS calt>i=
nifchen Si irebengefangeä eine angemeffene (Stelle finben.
3 tt 1) <t l i € t> e r § e t cf) tu
€ r ft s s 0 u d).
©er eöangeltfcfye JUrcfyengefang in ber erften £älfte beä 16ten 3af)rf)tmbert§.
Sinleitung Seite i
Srfter tfbfcr/nitt. Sie Sluellen be$ euangcltfdjen Äircfjcngefangeg « 8
I. Situtgifcfye ©efdnge ber alten Ätrcfye » 8
II. ©er 23olf$gefang • 40
III. 3tttere in bcn et-angelifcfyen Äirdjengefang aufgenommene Sttelobieen
beutfdjct geifiltcfyer Siebet « 98
Sroeitet 2£bfd>nttt. ©ie älteften, urfprünglid) geijilidjjen Siebrceifen aus bem etfien Safjr»
jcbenb ber £ird)ent>erbefjerang. 1517 — 1527 * 123
©rittet 2Tbfd>nitt. 2utf)er all ©dnger geiftlicfyer SBeifen für bie ettangelifdje Äirdje » 143
SSierter 21b fdjnitt. ©ie ©e|et geiftlicfyet Siebroeifen feit bem SSeginne ber jiitcf)em>erbef[e=
rang bis um bie Sflirte bee) 16ten 3af}rb.unbettS « 163
SobanneS SQSatter ©eite 163 SBolf Jpein^ » 198
£ubn>ig ©enfl • 168 Sobanneg ©tafjl „ 200
tfrnolb Don 23rucr « 185 S£boma& ©toller /, 201
^einrieb. gincE « 186 ©eorg gorfter « 202
©eorg Sfcba» » 187 ©tepban SUafju . 203
SKarttn Xgrtcota 189 SSogetyuber « 204
SBattbafar SRefünariuS » 191 £ulbreictj SSretet « 204
SBenebict SuciS « 194 Sobann Sßctnmann • 204
©trt Stetrtd) « 196 SJirgiliuS £auct » 204
2upu$£ellintf * 197 Sobann Äugelmann « 205
Smeites öitri).
©er eoangelifdje Äircfyengefang in ber jnmten ^älfte bcS 16ten SafytfjunbertS.
Einleitung • 222
©rfter tfbfcfynttt. ©ie ^falmliebet ber Ciatoinifren unb tf>rc ©ingroeifen • 228
©oubitncl * 256
eiaubtn Ie Seune " 257
©antuet SOlarfdjall " 260
XVIII
3n>eiter 2Ibfd)tiitt. 25er Äircfyengefang bet mdfjrifcfyen Stüter
dritter 2tbfd>nitt- Sie fird)lid)en SKelobieenbücfyer beö 16ten 3«f)tr;unbert$
23ierter 2tbfdbnitt. 25ie ©efcer früherer geifttidjer gtebroeifen um bie streite £nlfte beä
16ten 3af>rl)uribertS :
gjJattbiaS le SJiaijrre (Seite 338 £ieront)mu6 sprä'toriuS
(Seite 265
* 302
338
3acob SMlanb
©aUuS ©realer
Ceonbarb ©djröter..
£>am'b SBolfenfkin..
©tegmunb £cmmel..
8uca6 Cftanbcr
Samuel SKarfdjall ...
©ctb (SaloifiuS
aSartbolomä'ug @efe
339 3acob f ratoriuS
341 £>amb ©cb,eibemann..
341 3oad)tm Sedier
343 £anS Seo £a£ler
344 ©ottfjarb Gnjtbrä'uS.
346 tfnbreag 3Jafeltu6
351 3Ketd)ior SSulptuS
352 mfyael ^ratoriuS....
359
gunfter 7t b fd> ni tt. ©dnger unb ©e^er neuer Äirdjenrceifen in bet legten Jpdlfte beö 16ten
3ai)ti)unbertö
Sttcolauö Hertmann
Soadjim »on SSurgf
SltcolauS ©elneccer
Antonio ©canbelli
Sodann ©teuerlem
©ed)jler H b fdjnitt. Sofjanneö (Sccarb
©d) lujjroort
368
370
371
372
372
376
378
378
380
393
393
397
404
412
413
418
433
498
504
35cr etmngdMdje &ird>cno,cfang in fcer erfreu ^älfrc bce fec&je&nten 3<tf)t&unbert8.
(Stnlettuttg*
@§ bat von jeher an (Solchen nid}t gemangelt, tie bet Äirchenverbefjerung ©chulb gaben, ftc
habe, bie Einheit ter allgemeinen Ätrcb,e auftbfent, aud) ba§ Abweif en ber heiligen Aunft »erantafst.
Anbere ft'nb eitrig bemübt gewefen, tiefe Anflage abjuwebren. SKan hat tf>r entgegnet: auch ofme bie
jUrcbenvcrbefferung babe fcbon ber naturgemäße Sntroicflungegang ber bilbenben Äunft, bie um bie erfte
£älfte be£ fccbjcbnten 3abrbunberts> in ibrer bbcbfien 33lütbe geftanben, bcren SSerfall herbeiführen müffen;
eS fei nicht einmabl gegrünbet, tag bie Aircbenüerbefferung ifyn habe befcbleunigen helfen, benn jene Äünjle
bätten bei Svangelifcben wie Altgläubigen auch, fpätcr noch einer nabrnfjaften Scachblütbe genoffen.
2Sir la)]en babingejtellt ferm, mit wie meiern ©lücfe man tiefe 53ertbeibigung burchgefüfnt habe;
bie gegenwärtige iSarfteüung wirb baoon nicht berührt. "Und) fte freilich tritt jenen Anfdmlbigungen ent=
gegen, aber in ganj anberem Sinne. «Sie wagt tie ^Behauptung : tie heilige Sonfunfi habe, eben burch bie
Äirchenr-erbefferung einen neuen Auffchmung erhalten, ter eine folgenreiche (Sntwicflung, eine h»he/ eigen*
tbümliche 33lütbe berfelben herbeigeführt habe. @6 bebürfe feiner S>ertheibigung jeneS 2ßeltereigniffe3 gegen
eine auf tiefem Äunftgebiete gruntlofe Anfcbulbigung, man habe nur ju rühmen, freutig unt tanfbar ju
berountern. babe feinen SebenSfeim erfticft, fontern fcblummernte erwecft, ja, fcheinbar abgeworbene
neu belebt. Seicht ein ßertrennen unt Auflbfen türfe ihm vorgeworfen werten: habe es> toch ©egenüber*
ftehenteS tauemt »erbunten, lange ©etrenntes» innerlich üereinigt!
©ine fübne ^Behauptung vielleicht, aber gewißlich eine wahre ! 2Ba£ wir ter .Rirchenverbefferung
nachrühmen, gelang ihr in bem cvangelifcben jUrchengefange. liefen hat fte, als geiftltchen S3olf$gefang,
erft gefchaffen ; benn vor ihr beftant ein folcher nur in einjelnen, fpärlichen .Keimen, in jerfrreuten S3lüthen.
@r ift ter ©egenftant tiefer £>arftellung , in feinem SBerbältniffe ju ter itunft ; turch tiefe Raffung jf,m
Aufgabe betingt fich nothwentig ihre ganje ©eftalt. (Sie wirb nicht eine blof e Crrjählung te§jenigen fenn
türfen , wa$ feit ten f irchlichen ^Bewegungen um ten Anbeginn be§ 16ten SabrbunbertS fich J"9etragen
habe mit bem geiftlicben ©efange, wie er au£ einem »olBtbümlichen SSebürfniffe hervorgegangen fei, waS
entlich tie fich neu geftaltenbe Airche für ihn, fdmljenb unt fbrternt gethan, wie er allgemach fich a"3=
s. SBinterfttS, ker t?<mgtl. ö^cralan'.njg. 1
gebreitet habe, greilid) wirb eine folebe drjdblung ihr nicht fehlen bürfen, allein biefe wirb weber ttjren
Äembilben, nod? tyx woran juflellen fepn, wie man e§ erwarten möd)te. Sat>on tjanbelt e§ ftch b>r oor
Jfllem, welche bie »orbanbenen aber fd)lummernbcn ScbenSfcime gemefen, bie auf bem ©ebiete ber Sonfunft
bureb bie jlirebenoerbefferung gemedt, welche bie anfdjeincnb abgeworbenen, bie buvd) fte neu belebt worben;
e$ gilt ju jetgen , was» e3 bod) fei, jcnc$> ©egenüberftebenbe, jenes lange ©etrennte, ba$ fte bauernb
innerlich vereinigt habe! 33or Willem alfo werben wir barjittegen haben, wa3 fte, in biefem ©tnne, uorgefun=
ben, welcher 2lrt e£ gewefen, wie e§ Quelle unb ©runblage beö »on ihr gefebaffenen geiftlidben ©efangeä
habe werben tonnen, unb wirtlich geworben fei.
©ie fanb aber einen tbeiB uralten, tbeilg bod) althergebrachten Äird)engefang »or, ein nur nod)
gortgeübteS, ntdjt lebenbig mehr gortcrjcugenbcS ; einen ©efang in frember, bem 58olfe umm-ftanblicber
Sprache, in Sötten, bie, wie e§ fct)ien, in ihrer aitertbümlicbcn gaffung nidjt mehr üernebmlid) ju ihm
reben tonnten, tym bat fte bie©runbformen bebeutungs>t>oller.£)annoniecn, einen neuen ßebenSquell, ent*
beeft, ben eine auf nabmbafter #öbe bamabS fd)on ftebenbe ©cfjfunft für ftcb allein nod) nidbt hatte eröfnen
fbnnen. 3n biefen uerjüngten gönnen ift er wieber fortjeugenb geworben, bat ein neueS Seben entfaltet!
©ie bat ihn bem 83olf§gefange, einem fremben, fd)cinbar in febroffer Trennung gegenüberftebenben ©ebiete,
vermählt; burd) fte enblidb ift, wa£ wir al§ wcfentlicb getrennt faum mel)r benf'en fbnnen, bie Sbätigfeit
be3 ©ängerS unb ©eueres, eine bamaB in ber Sbat gefd)iebcne, fruchtbar »ereinigt worben.
Siefe3 lefjte ift für bie ©cfammtbett unferer SarfteEung, wie beren gortgang jeigen wirb, eines
ber wiebtigften Skrbältniffe, e6 jiebt fid) bin burd) fte ohne Aufhören, e§ ift ber gaben, an bem fte fich fort=
leitet. 2Btr füllen un3 beSbalb gebrungen, babei äunäcbft ju verweilen, unS bcutlidjer barüber ju erflären.
©larean in feinem bekannten SBcrfe über bie 12 Tonarten, fiellt gegen ba§ Cntbe von beffen 2tem
Bud)e, ju Anbeginn beS 38flcn JpauptftücfS, eine grage auf, beren Snhalt einen 2id)tftrabl bringen läfit in
ba§ SBefen ber Sonfunft feiner Sage unb feiner SSorjcit, ber ben SÖSeg ben wir ju burd)wanbeln unterneb=
men, aud) un3 erhellen wirb. »£>ft boren wir unfere 3eit barüber {treiten,<v fagt er, »wer bod) ben Vorrang
verbiene: wer eine 2Beife erft'nbet, bie aller ©emütb bewegt, fid) feiner bemeiftert, unb alfo bem ©ebäcbtniffe
ftcb einprägt, bap fte un§ bcfd)leid)t, oft, wenn wir nid)t an fie benfen, fo, baß wir aBbann, wie au3 bem
©d)lafe erwad)t, in fie ausbrechen? ober, wer einer folgen üffieife brei ©timmen gefeilt, ober mchje, bie
fie »er()errlid)en bureb Nachahmungen , Aufweichungen, burch mannichfad) abgeftufteS SKaa^? SSeibeä,
— fahrt er bann fort, — ifi eine angeborne ©abe, bie ber Scbve, welche fte nimmer »erleihen fann, ftcb
entjieht; S3eibe6 fann wohl einmal Bereinigt fe»;n, aber feiten werben wir in bem © an g er, bem@rfmber ber
SBeife (phoaascus), auch bem ©efccr (syraphonetes) begegnen, ber biefe funfireieb ju fchmücfen v>erfieht.
sJlun tffc aber bie (Sntfcheibung fchwer, welcher biefer beiben, gewöhnlich getrennten ©aben, bie ^)alme ge=
bühre. Älter ift bie ©abe be§ ©dngerS, benn e§ war eine 3eit, wo man noch feine aSielfh'mmigfeit
fatmte, unb bennoeb an bem ©efange ftcb ergbfcte; in jeber S!Biffenfd)aft unb Äunjt pflegt man »or 20Ien
bie erjten ©rfinber ju ehren; ber ©an g er alfo wirb e3 feon, ben wir am bbcbfien ju fd)d^en haben, unb
jumabl ber heilige. Senn ift auch ber einfache firchlidjc ©efang nicht fo reich <*n gönnen, ober auch SSer«
fcbnbrfelungen, wie ber weltliche, fo ftnb bod) feine Sonarten, wenn fte finnig unterfebieben werben, fein
bbcbfter ©ehmuef, unb eö giebt nichts, ba3 gleich ihm baä ©emütb für Anbacht erhöbe! 2)er ©efcer, fei
er auch funfireicher al» ber ©dnger, folgt biefem erfi nach, er fügt erft ^ufammen, waS jener juoor erfunben.
Sie greube, bie beä ©ängerS ©abe oerbreitet, ber ©enu^, ben fie gewahrt, iji allgemeiner, benn oiel
Wehre wiffen fte 511 fd^a^en , ja, felbjt unter ben (Belehrten ft'nb SBenige, welche bte funjrreicbe S3erbin=
bung won vier ober mehren (Stimmen wahrhaft ju würbigen »erflehen ; loben fte boeb ba§ ©ebbrte oft nur
beSbalb, um nicht ungelebrt ju erfebeinen! SBie febwer wirb e§ aber auch, einen fold)en mebrfthntnigcn
©efang rein unb angemeffen »orjutragen, wie oft verbinbert Un!unbe unb übler 2Bitle ben 2(uSfübrenben,
auch ba<? 33ejk biefer %rt, ganj feiner würbig, ben £örern entgegenjubringen! Stögen alfo wir, bie 33er*
ebrer biefer Äunft be§ ©af3e3, um ibre3 größeren SieicbtbumS , ihrer jtlangfütle, ibrer funjfooüen 33er =
webungen willen, bennoeb ben ©änger nid)t jurüdftcllcn gegen ben ©e(ser, SSeibe vielmehr in gleichen
(Sbrcn unb SBürben halten.«
©larean, beffen Siebe wir, halb wörtlich, balb jufammenbrängenb mtttbciltcn, weil wir manches
unferem 3wecfe grembe baran auSjufcbeiben fanben, fchrteb fo ju einer Seit, wo in ber Shat ©änger
unb ©e|er in bem angegebenen ©inne noch gefchieben waren. Diefe Trennung, fo auffallenb fte unferer
3eit erfebeinen mag, welche 33eibe3, ben melobifcben unb barmonifeben ^heit be§ ©efangeS nur al§ mit
einanber entftanben ju benfen gewohnt ijt, — ■ biefe Trennung war boeb in bem SSefen unb bem S3ilbung6-
gange ber Sonfunft wohlbegrünbet. Denn bte©e^funjl, bie Äunft mehre ©timmen ju einem wohtlautenben
©anjen ju vereinigen, mußte eine bebeutenb jüngere fepn, aB bie bc§ ©rfmbcnS einer ©ingweife. Diefe,
ein Srjeugnifj beö unbewußten, bem SJIenfd^en eingepflanzten ÄunfttriebcS, fchafft jwar nach eben ben
allgemeinen ©efe^en, welchen auch jene gehorcht; <dlein jene wirb bann erjl möglich, wenn biefe ©efe^e
allgemach in ba§ £3ewuf3tfein getreten, wenn fte burcbfd)aut worben ftnb, wenn bicKunftmtttel, ihnen jufolge,
mit 2Babl unb Überzeugung angewenbet werben, ©ie ift baber nothwenbig fpäteren UrfprungS ; aber bann
et ft , wenn SBeibe in freiem ©Raffen einanber wieberum vermählt ftnb, ifi bie Äunji in ihrer ganzen gülle
vorbanben.
9tun war aber auch bie Seit, au§ ber ©lareanS SBorte herrühren, einefolcbe, in ber jene 33er=
einigung beiber Scicbtungen tonfünftlerifcher SShätigfeit mit ftegretebem Erfolge ftcb anbahnte. Daß e$
gefcheben, rühmen wir bem evangelifcben Äird;engefange nach, ber gracht ber Ätrcbenverbefferung. (Sr jeigt
un§, wie im Anbeginn bie entfehiebene Trennung be§ ©ängetS unb be3 ©e£er§, fo gegen ba§ (Snbe
beS fecbjebnten SabrbunbertS bereu SSerfchmeljung ; an ihm, bem ßrjeugniffe frommer 33egeif}erung , reifte
auch bie Sonfunft ju ihrer SSolIenbung. Sn boüüelter Sfüdftcbt baber ift bie nähere ^Betrachtung feine§
dmcorfeimenS , Entwirf elnS , Aufblühens , belehrenb unb erfreulich , eine würbige Aufgabe für ben gorfeber
auf bem ©ebiete ber Äunftgefchicbte. SBaren bie (Srjeugniffe ber jlunft beä ©ängerS, bie .^ervorbringungen
be§ unbewußten .Kuntrtrtebeg , für ben ©e£er, ben mit 2Bal)l unb Slbftcbt ßufammenfügenben, anfangs
eben nur eine SSeranlaffung, feine neue Äunjl baran ju üben, unb fuebte unb fehlte er an ihnen jumeiji
nur bie ©elegenbeit fmnretcber Darlegung berfclben; fo fanb er ftd) nunmehr in einer ganj neuen ©tellung
ju biefen feinen Aufgaben. Die neuen geglichen ©efdnge in ber 9Jhttterf»rad)e brachten ihm volfSmäßige
9JMobieen entgegen, benn fte waren heilige SSolBlieber, für ben ftrebtteben ©emeinegefang beftimmt; feine
Äunjt follte biefen ftd) anfcbließen, in ihnen follte fte nun erft red)t heimifch werben in ber Äird)e. Da galt
eS nun, bie ©e^funft bem allgemeinen SSerfiänbniffe näher ju bringen, ben ©eijl ber in jenen SEÖeifen
fchlummerte burd) biefe Äunft ju erweefen, jeben ihrer ©d)ritte feiner »ollen SScbeutung nach jur ^nfchauung
ju bringen, ihnen, unb babureb bem ©änger wahrhaft näher ju treten, bie urfprünglicbe Einheit ber Äunfi
beffelben unb ber be§ £onfe£er§ lebenbig ju empfinben , ju erfennen , unb beibe enblicb fchoöferifch ju
vereinigen.
1*
3ene jtunjt beS Sc^erg aber war um ben 33eginn ber ©laubenSreinigung , wenn aud) nicht eine
neue — benn jweil)unbert %al)re juoor fd)on fef>cn wir fie mit einiger 33ebeutung auftreten — bod) eine in
ihrer tfuSbilbung rafd) fortfd)rcitenbe, ttjren greunben bafyer jietö 9ceueS entgegenbringenbe. Sn einem
funftrcid)cn unb funflliebcnben ^f^^unbcrte , wie ba§ beginnenbe fechgefmte, mufjte man, fd>on tfjrer fmn=
reichen Strebfamfeit wegen, fie befonbers? hochachten, fie mufjte ju ftets> wacbjenber (Sfyre gelangen. fonnte
nicht fehlen, ba{? man, roie e$ wirf lief) gcfchal), über fie ber einfacheren S£f)ätigfeit beS Sang er 3 oergafj,
be§ ©rfinberS ber Singwctfen, bie bem reichen unb mannid)fad)en ©ewebe be3 Selker 3 aß @infd)lag
bienten. ©larean, wenn er aud) 23eibcn gleiche Qttye unb 2Bürbe beigemeffen haben wiU, fanb fid) be§t?alb
üeranlafjt, boch vorzüglich auf ©crechtigfeit gegen ben Sdnger jubringen. OTein ba$> Sd)icffal be§ 83er=
geffenwerbenö b,at bennod) jumeifl bie früheren «Sanger unferer Jtirchenwetfcn getroffen ; mit einiger Sicher:
t>ett nur bürfen wir Sutfjer als Urheber einzelner unter ihnen nennen. £>ie tarnen ber Seiner bagegen, bie
jene SBeifen burd) begleitenbe Stimmen fchmücften, einfach/er, ober fünftlid)er, nad) bamalS üblicher Zxt,
fmben wir in getftlid)en Smgbüchcrn jeberjeit forgfdltig genannt, unb baburd) ift bei SSielen ber leicht
erfldrlid)e 3>vrtf)um entftanben, fie aud) für beren Sänger ju galten. 2Bir ftnb jebod) in ben meiften gdUen
auf er Stanbe, über biefe Ickten fixere 9cad)rid)t ju geben ; big gegen ba§ le^te Viertel be3 lCten 3abj=
hunbertS vermögen wir nur bie Quelle, unb bie ungefähre Seit be3 GnitftehenS ber SÜMobieen ju beftimmen.
Siefe Quellen aber ftnb febj t>erfd)iebener %xt, unb mannichfad) ba§ SSerhdltnifj bcS neuen beutfd)en geifb
liefen ©efangeS ju ihnen. Senn nid}t eine fd)affenbe S^ätigfcit allein tritt hervor bei feinem entfielen,
aud) eine mannichfad) aneignenbe, wenn freitid) niemals of)ne fd)b»ferifd)c§ Umbiiben unb"#uSgejtalten.
SQSieberum alfo werben wir jurüefgewiefen auf baSjenige, wa§ bie Äirchetwcrbefferung in biefer 9fid)tung
ihrer SBiiffamfctt alö fd)on S3orf)anbene§ fid) gegenüber fanb. 3undd)ft nahm fie mit 9?ed)t für fid) in
tfnfprud), wa§ an volfSmdfj igen SBeifen gei(tlid)er beutfd)er ßieber au§ früherer Seit bereits im geben war.
SEBeniger an ben SSeifen fanb fie hier umjugeftalten, ale> an ben Siebern felbft, fofern biefe baSjenige nod) an
fid) trugen, wa§ bie gereinigte 2el)re, in Übereinfiimmung mit ber allgemeinen frommen Überzeugung, aß
3rrtf)um ober SKifbraud) ju berampfen hatte. Umgcf'ehrt (teilte ba§ SSerhdltnif fid) bar bei bem, au3 bem
uralten lateintfehen Äirdjengefange^erüberjune^menben. 3Benn aud) eine Übertragung in bie SKutterfprachc,
fo war bod) eine Umgcftaltung ber ßieber felbft faum irgenb vonnötl)en; beren mehrf)unbertjdl)rige SSeifen
jebod) erforberten eine ^Bearbeitung, um fie, wenn aud) mit S3ewal)rung il)rc§ altfird)lid)en ©eprdgeg, bod)
volfSmdfjiger, eingänglid)er ju mad)en, fie, in ihrem rfjpt^mifdjen 33aue jumal)l, ben gangbaren SBeifen in
ber S01utterfprad)e meb,r ju näbern. SBurbe enblid) bie beliebte, allgemein anfprcd)enbe 9)?elobie eine§ welt-
lichen 2tebe§ f)inübergenommen in ben Äircl)engefang, fo war S3eibe§ üorbanben, eine ganj neue Sd)6pfung
in bem if)r unterlegten, geiftlid)en Siebe, in ib,r felbft aber eine Umbilbung. Senn einer fold)en beburfte fie
in vielen gäüen , wenn aud) nid)t jeberjeit, fofern irgenb etwas in tt?r noct) »erpof en f onnte gegen f ird)lid)en
ernjt, unb bie SBürbe be§ ^eiligtl)um§ in ba§ man fie aufnahm.
Ttüe biefe 9?id)tungen ber Ä^dtigfeit bei ber ©rünbung unfcreS evangelifdb,en Äird)engefangcS
werben wir in ben folgenben äMdttern ndb,er ju betrad)ten l)aben. SBir beginnen mit ber an eignen ben,
wie fie hervortritt im Sammeln, im Sid)ten, im Umbiiben, unb geben fort fobann ju ber eigentlich
fd)öpferifd)en, wo benn freilich, wie fd>on angebeutet worben, wenige Warnen ber ©rfinber fonnen
genannt werben für biejenigen, bie in funftgcfd)id)tltd)en Darfietlungcn jundchjt nach biefen ju fragen
gewohnt ftnb. Unter ben Seffern jebod) weiben wir achtbare, ja, bie au§ge^eid)netften ÄünfHer be?
5 -
beginnenden fed)$ebnten SabrbunbertS ju nennen, unb über fie ju berichten haben, ©in jweiter 2(bfcbnitt
unfere» 58erid)tc§ wirb fobann bie leljte #älfte jeneS jJritraumS umfaf[en mit Grinfcblufj ber erfien 3af)re be§
folgenben fiebjet>nten 3abrbunbert$ ; jene ffilütbejeit unfereä .RircbengefangcS , wo bie 2Beifen ber alteren
geiftlicben Sieber in mebrftimmigcm ©efange ihr innere^ SScfen, ihre 83ebeutung , nunmebr entfalten, wo
ihre ©runbformen, bie jUrcbentöne, burd) bie Harmonie verklärt, in aller SBürbe unb .Kraft fid) offen;
baren , roo bie beb"" klänge uralter, d)riftlicr)er S3egeijterung, b. eilig unb geheimnisvoll, bod) bemütb, ig unb
liebenb, ftd) fjerablaffen ju einem fpäteren ©efd)led)te, bie volBmäfjige gorm nicht verfchmäbenb, um ihm
naber ju treten, unb eben in ibr nun ibje ganje, reiche 2eben6fülle auSbaucfyen; roo, burd; fte befruchtet,
ein neuer ©eift ftd) regt unb erwacht in ben urfprünglicb volfSmäfHgcn Sbnen, burd) ben fte, geläutert,
erneut, geheiligt, fubn ftd) flellen bürfen neben jene. £a3 früher ahnungsvoll, faft ohne £3erouf3tfein
feineS reichen Inhalts (Srfunbene, burd) bie Sorgfalt vieler 9cadgebomen ©epflegte unb allgemach; ©e=
jeitigte, blühet nun auf unter ben .Ipänben eineS großen SDieijterS jener 3eit. 3n ber unfrigen ift er faft ver=
geffen, nur von einzelnen gorfchern wirb er mit 9vubm nebenher genannt al§ ber (Schüler etne6 ber grbfj eften
Sonfunftler beö feebjehnten ^abrbunbertS, feine SBerfe hat, feit lange her, .Keiner mehr gekannt, ©r,
wenn auch nicht juerft, bod) in tiefjler 33ebeutung, vereint nunmehr 33etbe3 in ftd) , ben Sänger, ©rftnber,
unb ben Sefcer; in biefem Sinne bürfen mir ihn als bie .Krone jenes! 3eitraum§ bezeichnen , tenfelben nach
ihm nennen. @3 iftÜjobanneS (Sccarb, ber 3ögling be3 £rlanbu§ CaffuS, Shüringer von ©eburt,
in ber .£>auptftabt ^)reu^en§ einheimifdb um bie 3eit feiner gröfj eften .Kraft unb Fruchtbarkeit. (Sine neue
©efangfd)ule blüht bort auf unter ihm, in ber mir fväterbin nicht ben Sänger allein unb ben Selker,
fonbern auch ben dichter felbft, vereint antreffen werben. Um biefelbe Seit aber beginnt jener merkwürdige
Umfchroung in ber Sonkunft, burch ben fte eine neue ©runblage erhielt, neue SJerbältniffe, ein neueS 3iel;
eine [Richtung, bie von ben alten fachlichen ©runbformen binwegleitet, unb wie fte bem 2utsbrude ber
mannichfaltigen ^Bewegungen bcj> menfcblid)en ©emütbcS mit glüdlichem ©rfolge jugemanbt ift, unb über
biefem Streben einen Sieicbtbum neuer Littel gewinnt, ba§ innerfte SBefen ber .Kurrft heiligen ©efangeS
erfchüttert. konnte man ba3 ©epräge ber vorangehenben beiben Venoben baran erFennen, bafi auch ba§
2Beltlicbe burd) bie volle .Kraft begeifterter kirchlicher Frömmigkeit geheiligt mürbe, fo barf man von biefer
britten etngejtefyen, bafj bem ^eiligen allgemach eine weltliche gärbung geliehen würbe. OTein nach, unb nach
nur bahnt biefe neue Drbnung ber £inge ftcb an, wie benn überhaupt eine jebe gefd)id)tlid)e (Snfroidlung,
gleid) bem Neimen unb gortwaebfen in ber 9catur, nicht ben neuen 3uftanb fchroff hinftellt neben ben
vorigen. 33i§ über bieSSftitte bes> fiebjehnten Safyrbunbert» f)inaujv in ber frübeften 3eit biefer britten 9>eriobe,
erfreuen wir unS noch einer fchbnen S3lütbe ber ßieberbiebtung, ber ©rfinbung neuer 2Beifen; mochte boeb
SKancber wohl fte eine höhere nennen, weil nunmehr bie f ch bpf erif ch e Shätigfeit faft allein obwaltet, bie
aneignenbe jurüdgebrängt ift, bie alte Trennung be§ SängerS unb Selkers faft ganj aufgehört ju haben
fcheint. Allein mit bem lebenbtgen ©efüble ber Äirchentonart erlifcht unvermerkt ba§ alte, kirchliche ©epräge
ber geiftlicben Sieberweifen; länger noch erhält ftd) ihr kräftiger bebeutungSvoller 3?hpthmu§, bis ein gleid)-
förmiger, wcd)fellofer §ortfd)ritt, angeblid) bem fird)lid)en ©rnfte allein angemeffen, bie Stelle ber früheren
9Kannid)faltigfeit einnimmt, unb enbltd) felbft bie ben erften beiben 3eiträumen angehörenben SBeifen biefer
neuen gorm ftd) fügen, eine Umbilbung erleiben müffen. 2Bie nun biefe, gleid) ben fpäter erfunbenen, ba§
urfprüngliche, firchlid)=volBmägige©epräge einbüßen, gewinnt, fibnen gegenüber, ba§ Äirdjenlieb mehr
ba§ ©epräge be§ Tfnbachtliebeä; unb e§ ift nicht ohne SSebeutung, bap, wie btefeS überhaupt mcl)r bie
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cinfame 35etrad)tung , t>ic l)äuSlid>e ©tille in Anfprud) nimmt, über ben engeren ÄreiS ber gamilte vorauf
feljt, nun aud) bie auf bie Jtircbe, bie ©emeine, binbeutenbe, urfprüngliche SSteljiimmigf eit geijilicher
giebermeifen jurüdtritt, baf? bie öt«s unb mebrftimmtgen 9JMobieenbüd)er immer fettencr merben, unb bie
nur jroeiftimmigen, neben ber SDcelobte ben bezifferten SBaf? allein gebenben, überl)anb nehmen, ©o tritt nun
ein SSerbältnifj ein, bemjenigen entgegengefe^t, baS mir im ^Beginn ber ©rünbung be§ neuen .Kircben=
mcfcnS bei beffen gcifUtcben ©efange wahrnahmen, ©teilte in feinen a3ejief>ungen jur SEonfunft bie ©abe
bc§ ©ef<er§ bamal» ftd) bar al» bie bei weitem überwiegende, fo tritt fte jefet jurücf, ja faum bürften mir
eine ©pur berfetben noch erlernten in ber oft völlig vernad)läfiigten gübrung ber ©runbfiimme, unb ber über
fte gefegten fpärlidien Anbeutung ber Jparmonieenfotge. £>ocb nehmen mir biefeS 3urücftreten meiji nur bei
ben Grrftnbern neuer SBeifen wahr; biefe legen auf beren barmonifd)e SDurcbbilbung gegen baS Ghtbe biefeS
britten 3eitraum3 fajt gar feinen 2Bertb mehr, obmol)l fte nun bie von ihnen gefangenen Sftelobieen mit ifjrer
mcbrfiimmtgcn Entfaltung zugleich ju benfen, unb il)re »olle S5cbcutung baburd) ju offenbaren ftd) befähigt
fallen, ©o befielt benn bie urfprüngliche Trennung beS ©ängerä unb ©efcerS fort, e§ erhält fid) eine
eigentbümlid)e Jtunft bicfeS legten, neben ber ©abe jenes, unb erjeugt, eben auf bem ©ebiete unferc§
GiboralgefangcS, eine in berScfcbicbte bcrSonhtnft in bicferArt fonfi nicht mieber vorfommenbeGrrfcbeinung.
33om Anbeginn mar bie geiftlidbe Siebmeife, bie neugefebaffene mie bie entlehnte, ber ©egenftanb, bie
Aufgabe gemefen für eine, ibr allgemad) näher tretenbe, il)r lieferet £>erfltänbnif? erringenbe, e§ immer mehr
ju lebenbiger Anfchauung bringenbe jfunft, bie be§ ©eljserä. £>iefe, juerft ein einzelner 3weig ber gefammten
Sonfunft, wirfte aber jugleid), je länger je mel)r, ju beren gortbilbung im Allgemeinen, an ibr gelangte
biefelbc mefentlid) erji fid? felber jum 33cwufitfcm, unb reifte fo ihrer SSollenbung entgegen, ©inenotb:
wenbige Sremumg be£ ©e£erS unb bes> ©ängerS mar mit bem Auggange beS fecbjebnten SabrbttnbertS,
gefebmeige benn mit bem ^Beginne unferer britten 9)ertobe, nid)t mebr vorhanben. Allein e§ mar eine 83er*
anlaffung juvücfgeblicben für ihr Sortbeftefyen, tbeiB in ihrer bissigen, fo langen Sauer, mein- aber noch,
in bem bamalS eintretenben Umfcbmunge ber Sonfunjl. Die bttreb ibn angebahnte S3eränberung ibrer
©runblage, bie ^Bereicherung il)rer Littel, vor Allem bie völlige (Erneuerung ber Jtunft bee> ©e^er§, reijte
unb befabigte bie Späteren, in ganj anberem ©inne al3 bisher, ihre Aufgabe, ben älteren fircbjicben Sieb»
meifen gegenüber, 5U lofen. £>aburcb aber geminnt bie nunmehr folgenbe, vierte ^Periobe unferer gcfd)idbt=
lieben Darjlellung, zeigt fte un§ auch ben SSerfall fd)öpfcrifcber Sbätigfett im Grrftnben neuer geiftlid)er
SJJclobieen, unb beren barmonifd)cr ^Belebung burd) it)re Urb eb er, boeb eine SBcbeutung, welche fte fonjt
nicht haben mürbe. 2>a$ fircblicbe ©epräge ifl hier allgemad) verfebwunben in ber großen Anzahl neuer
geiftlicber 2ßeifen, bie ju @nbe bes> 17tcn, ju Anfange beS hSten 3ar;rbunbert§, in ber fogenannten pieti-
jlifcben 3eit, fdjnell unb reid)licb, entfielen ; mir tonnen fte nid)t beffer bejeiebnen, aB inbem mir fte
galante nennen, ein Au3brucf, beffen jene Seit mit SSorliebe ftd) bebient, menn fte bie SErefltdjf eit unb
3icrlid)feit beö teueren b,erüorb.ebcn mill gegen ba§ fogenannte Altfränf ifd)e il)rer Vorgänger, baä fte,
unb mit ihm ben alten Gboratgcfang, nur mit ©eringfdjäbung anjufeben pflegt, ©o freilich, nicht eben jene
^)ietiften, bie vb jum grofjen Sf)eilc mit ber grbmmigfeit grünbltcb unb t)er§Iid> meinten, fte in ihrem Sehen
unb äöirfen oft mit eigener Aufopferung betätigten, unb v>on benen mir 2ieber bcftfccn, in melcben jumabl
innere ©eelenjuftantc mit 2ßärme unb Sicfe ftd) auSfprcd)en : fte mürben ein folcbeS Urt()eil mit S3emu^tfein
gemip nicht gefallt haben. Allein bie Sonfünftler jener 3eit unb ihre 4pbrer laffen fieb auf folebe Art »er=
nehmen; bie neuen zierlicheren ^o^me" verbrängen bie großartigen unb mächtigen ber S^or^eit, unb meil
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man jenen gemäß nun auch emvfanb, mürben ft'e unbewußt ju ber (Sprache, in ber baS innere fi'dt) fünbcte.
Allein menn aud) bie mciften Sonfünftler biefeS SeitraumS ben @l)oral bei ihren größeren, ber tf)eatrali=
fd)en gorm, beren ft'e ftd? rühmen, immer mehr genäherten geiftlidjen £onbid)tungcn nur leid)tftnnig unb
oberflädilid) bcbanbeln, unb im £?rgclfpiele allein, als ©runblage fünftlid)er Ausführungen, ttjn einer
größeren Sh'tdftcbt würbigen, fo bod) nid)t ein heroorragenber 9Jletjier jener Sage, ben mir eben hier mit
S5emunberung unb Grfn-furd)t ju nennen haben, 3ohannSebafttan33ad). 2Bie er im £rgelfpiele alle
feine Vorgänger, alle Sftitlcbenbe Übertrift, unb biefeS burd) neue, mannid)fa(tige SScrfnüpfungen bcS ßl)0=
raleS mit bem reidiften (Stimmengewebe bethätigt, baS, von ihm febeinbar unabhängig, burd) ihn bennod)
erft bebeutfam wirb, unb feine S3ebeutfamfeit wieberum einbrtnglid) fycrüorhcbt; wie er barin feitbem nicht
wieber erreicht ift; fo jeigt er auch in vierftimmiger S3el)anblung älterer Choräle auS allen jenen, juvor
befchriebenen ^erioben, feien ft'e nun entlehnte ober neu erfunbene, einen feltenen (Sinn für bie (5igcntl)üm=
lichfeit ber Seiten in benen fie entftanben, für bie fird)lid)en ©runbformen nach benen ft'e ftd) bilbeten.
Dabei aber trägt biefe S3el)anblung, befonberS in ber melobifchen gührung, burchauS baS ©epräge feiner
3eit unb feiner eigentümlichen tonfünftlcrtfchen 3fid)tung. dx weiß ftd) beS reichen Erwerbes feiner Seit an
neuen Äunjtmitteln bafür in ganjer Sülle ju bebienen, felbft ba, wo wir glauben fotlten, tiefer muffe ben
älteren Äirchenmelobiccn wiberftreben ; benn ju unferer Ü.bcrrafchung fel;en wir ft'e eben burd) biefen auf bie
frembefte, unb bod) ft'nngcmäßefte SBeife belebt. .Kann er fte auch n'^t/ S'c'$ (Eccarb, ju Stiftern f trd?=
lid)er Äunjt geftalten, fo weiß er an ihnen bod) fein tonf ünjtlertfcheS Vermögen glänjenb unb
tieffmnig ju offenbaren. Daneben ift er aud) Erfinbcr neuer geiftlid)er SOMobieen, freilid) in ber galanten
Art feiner 3eit, bie aud) in biefem würbig=ernftcn Spanne ftd) nid)t ju verläugnen vermag, ©cfänge, bie, weil
beS volfSmäßigen SoneS entbehrenb, geiftlid)e Arien ju nennen ft'nb, eher als Choräle, unb bie, wenn
aud) in 9JZelobieenbüd)crn anzutreffen, faum längere ober weitere Verbreitung gefunben haben bürften. 9Jlit
btefem außerorbentlid)cn 9J2cijter, ber wieberum ben Sänger unb <Sefcer in ftd) vereint, beibe aber, aud)
bei unläugbarer SRäl)e, bennod) in weiter Entfernung, in entfd)icbcner Trennung jeigt, fd)licßen wir unfere
Darftellung, jene furje Seit beS (ünrftehenS neuer, im ©egenfa^e gegen bie feinigen wieberum völlig fd)mucf=
lofer geiftticher SBeifen, nur im Vorübergehen betrad)tenb, in ber viele SDteifter, jum £l)cil auS feiner
<Sd)ule, an ©cllertS bamalS allgemein verehrten Äird)enliebern wetteifernb ftd) verfud)ten.
Snbem wir aber biefen .Kreislauf einer, burd) bie Äird)enverbeffcrung gefd)affenen, heiligen .Kunft
eigenthümlid)er Art burd) fafi brei Siit)rt)"nt>erte verfolgen, werben wir babei eben fo wenig il)reS5cjiel)ungen
ju bem ©efammtgebiete ber Sonfunft auS bem Auge laffen bürfen, aß tf>r Verhältniß ju ber jebeSmaligen
©eftalt ber £ird)e in ber fte heimifd) war, beren ©eift unb inneres Seben burd) ft'e auf befonbere SEBeife ftd)
auSfpricht. (So wirb unfere Darfteilung, gelingt cS ihr nur einigermaßen ihre Aufgabe $u lofen, eine fünfte
gefd)id)tlid)e fowol)l als fird)engefd)id)tlid)e ju nennen fenn.
Sie Ouellen i> eö etxingeltfcfyen Ätrctjengefangcö,
I. Siturgtfd) e ©efänge ber alten Äird)e.
£>urd) ben heiligen ©efang ber alten .Kirche, an ben bie im IGten 3<»hrbunberte neu erjtebenbe,
einen geglichen S3olf§gefang fd)affenbe, ftd) lehnte, erhielt biefer ba§ ©epräge, bie 33emäbrung , aBein
fird) lieber, ©te melobifcfyen ©runbformen jeneS alten JUrd)engefange3 , in benen jugleid) bie Äeime
eigentümlicher £armonieen fd)lummerten, nahm bie gereinigte Äircfye jur@runblage ihrer neuen ©d)bpfum
gen, fte entlehnte r>on ihm, allein allejeit fd?bpferifd? auSgeftaltenb unb umbilbenb. ©3 gefd?ar> in allge=
meinem ©inne; benn bie ältejten ©runbformen be§ ^eiligen ©efangcS, bie Äird) entbne, gelangten
nun in ber gebrungenen, üolfSmäf? igen ©ejklt be£ neuen heiligen 2iebe§ erfl ju lebenbiger 2lnfcbauung ;
jene 3eit frommer SSegcijlerung, empfänglich mie fte mar unb genugfam vorbereitet für neue ©ebbpfungen
ber Sonfunft, beburfte cor Willem auf bem ©ebiete ber ^eiligen nur eines belebenben £aud)c3 , um frifebe
S5lütl)en be§ ©eijteS $u seifigen. 2lber aud) in befonberem ©inne; benn inbem nad) jenen formen
fd)on früher ©ebilbeteS binübergenommen mürbe, fdjmolj man eö boeb um, juroeift in bie rbptbmifd)
ebenmäßige, in ftd) mebr übercinfh'mmenbe ©ejtalt be3 58oIf§liebe§, um eö, aud) bei treuem ^Beibehalten
feiner bejeiebnenben ©runbjüge, bem allgemeinen Skrftänbniffe näber ju bringen.
2Bie biefe§ gefdjatje, mollen mir nunmehr näber betrachten. £)amit aber biefe ^Betrachtung eine
fruebtbare merbe, ftnb mir genbtbigt, einige S3emcrfungcn bier üorangef)en ju laffen über ben SBilbungSgang
ber SEonfunft bis ju ben 3eitcn ber Äircbenoerbefferung. SBecbfeln merben mir tobet, mie es> eben erforberlicb
fepn mirb, mit gefd)icbtlid}er (Srjäblung unb allgemeiner S5etrad)tung. 2Bir merben ju jeigen baben , auf
melcber ©runblage biefe Äunft bis babin ftd) auferbaut batte, meld)e Sieranlaffungen worbanben maren ju
ibrer 2luSbef)nung unb (Srmciterung ; ba§ Grntfteben jener ©runbformen merben mir anfcbaulid) 511 macben
haben, menn mir auch nicht einen jeben gortfd)ritt ihrer Chttmidlung nacbjumeifen »ermbgen. £aben mir
bann fpäter im Fortgänge unferer Unterfud)ungen über baSjenige im ßinjelnen ju berichten, mas> ein jeber
ber juüor bezeichneten 3eiträume bem allgemacb anmaebfenben <£d)atje unfere§ et>angelifd)cn Jtird)engefange3
f)injubrad)te, fo mirb bann ber eigentümliche 2Bcrtb einer jeben foleben ©abe, fei fte nun eine ^Belebung,
Sortbilbung, Skrflärung bes febon SSorbattbenen gemefen, ober eine neue (Schöpfung, erft red)t flar merben,
unb, fomeit bie§ überall bei 2Berfen ber SEonfunft möglich ifl, merben mir mit SZBorten auSjubruden ocr=
mögen, morin er befiele.
2lUer ©efang beruht unläugbar auf einem JBebürfniffe bcö Söienfcbcn, burd) SEbne, bie er, mit
£bbe unb SEiefe mecbfelnb, in feiner Äeble bilbet, baö lleben feineS Innern ju offenbaren. Jener 2Bed)fel
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t>ee« Robert unb liefen aber, Durch, ben ber ©efang fid) barftettt, fann nur alSbann watjr^aft geftaltenb
werben, wenn er ein üerbältnißmäfHger, ein auf biefem 2Sege erft lebenbtg geglieberter ijt. £on=
üerfjdttniffe alfo bilbet ber 9Jienfd), fobalb er ju fingen beginnt; ba3 ©efefc, nad) welchem er fte
febaft, ijt ein feiner 9Zatur inwobnenbeS, ba§ feine Salbungen regelt, aud) ohne bafj er beffelben babei fid)
beutlid) bewußt wirb, nod) batwn 9ied)enfd)aft ju geben uermag.
dürfen wir nun btefes ©efelj, begrünbet wie e§ ift burd) bie t>or)c ©rufe, bie ber SEftenfd) in ber
sJbtur einnimmt, ein befonbereS, ihm etgentf)ümliche3 nennen; fo ift er bod) wieberum burd) feinen
3ufammenbang mit ber gefammten 9catur auch allgemeinen ©efe^en unterworfen in feinem 33tlben
unb treiben. Diefe werben fid) geltertb machen je nad) ber 33efd)affenf)eit ber natürlichen £>inge, bie er in
ben ÄreiS feiner Shätigfeit hineinsieht: er wirb burd) biefe allgemeinen ©efe^e eine 33 eftimmung, eine
33et*cbränfung fetneS S3ilben§ erfahren, unb wie er burd) biefelben balb fid) geforbert ftef)t, halt
gehemmt, wirb er fieb veranlagt ft'nben, fte erfennen, in ben SSegriff aufnehmen ju lernen, ©o wirb
allgemad) aud) bas> in ihm waltenbe, befonbere ©efe£ ihm in ba§ 33ewufstfein treten; er wirb erfin=
ben, inbem er finbet, burd) lebenbige 2tnfd)auung wirb er bie Söurjel immer wachfenber Qjr=
Fcnntnifi gewinnen.
2fuf biefem SBege ber (Stftnbung fefjen mir ben 9ftenfd)en, inbem er, gefangfdb, ig, gefang-
bebürftig, gefangübenb, toner jeugenben Äbrpem in ber Statur nad)fpürt, bie »erfd)loffenen
.Stange ihnen entlodt, fte feinem ©efange anfchlte^t, bie 33 erf)ältniffe feiner Sorte, ba§ ©eftaltenbe
allen ©efangeS, nad) ihnen regelt. Deshalb finb mir aud) berechtigt, bie 9laturgefe^e, benen jufolge bie
Älangerjeugung burd) jene Äorper erfolgt, als allgemeine ©efe^e menfeb liehen ©e fanget ju
betrachten; unter bem notbwenbtgen 33orbef)alte freilich,, baß fte burd) bie eigentümlichen SSebingungen ber
befonberen 9Zatur be§ 9Kenfd)en ihre nähere £3effimmung unb 2lbgrenjung erhalten werben.
3weierlei flangerjeugenben Äorpem nun haben biejenigen SSblfer fid) angefd)loffen, »on benen
mir unfere Sonfunft herleiten, unb beibe bilben aud) gegenwärtig nod) beren gefammte ©vunblage, e§ fei
in ^Begleitung be3 ©efangeS, ober 2lu3bilbung freien SEonfpieB. CrS ift bie ©aite unb bie pfeife. 25er
forperlid)e Umfang, bie IMde, entfd)eibet bei ber einen, ber Umfang ber umfd)loffenen, fd)mingenben Suft*
faule bei ber anbern, fo wie bie Sange bei beiben, über bie Jg>6£>e unb Siefe ibre§ ÄlangeS an fid), bei
©runbtoneö; verhältnismäßige SSerfürjung ober SSerldngerung burd) oerfchjebene Littel läßt wechfelnbe
Sotmcrbälmiffe burd) beibe hervorgehen, ©o war e§ benn baSSängenmaaß, unb in ihm bie 3ahJ/
burch welche ber Sftenfd) am früheren bie £om>erf)ältniffe feineS ©cfange§ orbnete, inbem er auf bem 2Bege
teinmathcmatifd)erßonftruftion bem ©ebeimniffe ber jtlangerjeugung näher ju treten ftrebte.
2Btr bähen alle Urfad)e ju glauben, baß ba§ Sonfyftem ber ©riechen auf biefem Söege au 6=
fd)ließenb fid) gehaltet hohe, benn feine 23erf)ä[tniffe ftnb burd) bie fortgefe^te Sbeilung be3 flingenben
Äbrpcrö nach ^»dlften unb burch Skrgleicbung *>on » i er auf fold)e SfBetfe gefunbenen ^heilen mit beren
brei barjujtellen. ©o entjtanb ben ©riechen eine golge »erfnüpfter theiß, unb tf)eih3 getrennter Setra--
chorbe, oon benen jebeS einzelne in ihrem biatonifd)en Älanggefd)lechte burch et SEont-erhältniffe
ferner gegliebert war : burch bie jwei weiteren, einanber gleichen, be§ ©anjtoneS, unb ba§ ben=
felben tooranpehenbe, engere beä J&alb ton eS. innerhalb ber burd) £etrad)orbe oon fold)er ©lieberung
bargefteüten Sonrethe enrftanben ihnen ferner il)re fiebert £>ctaüengattungen (Sonarten), jenad)bem bie
einzelnen, unter bem SJerhältniffe ber £ctat>e befaßten fiebert Äldnge al§2InfangSpunfte unb ©runb=
«. SDintetfelt, ter tBemgtl Göctalgcfang. 2
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{länge ber 3feibe gefefjt würben, unb auf tiefe %xt beren £onr>erf)ältntffe in ftebenfad) üerfd)iebener golge
erfcbeinen liefen.
9Kan tjattc auf tiefem SBege ben flingenbcn .Körpern ein ©efefc t>orgefd)rieben, welchem
fclgcnb, fte allerbingä eine 9?eibe unter ftd) ftreng üerbälrnißmäßiger .Klänge erzeugten: ja man war felbft
bem, in ihnen waltenbe'n ©efe^e ber Älangentwicflung burd) bie DarjMlung ber £>ctawe, ber
Cuinte unb Hu arte näher getreten, olme e3 jebod) ju burd) bringen. £b bie Sonfunft ber ©rieben
innerhalb biefer, burd) il)r Sonftiflem gegebenen ©renjen mit gret'beit unb "tfnmutf) ftd> bewegt fyabe?
fonnen mir, bei bem gänzlichen Söerluffe aller bebeutenberen £>entmaf)le berfelben, au3 eigener 2(nfchauung
nid)t mehr ernennen lernen. 2Birb e3 burd) SSertcbre ber 3eitgenoffen un§ vielfach, verfiebert, ja, fehlt e3 ber
©egenwart an «Solchen nicht, bie bei ber reiferen unb feineren Güntwidlung ber£otmerl)ältniffe in bem cbro=
matifeben unb enharmonifeben jtlanggcfcblcd)te ber ©riechen, iljrcr Sontunft fogar einen SSorjug vom ber
unfrigen einräumen mochten; fo fei c§ vergönnt biefen SSorjug in 3weifel $u fteücn, ba ibr, bei aller
feineren melobifcben 2tbfd)attung, beer; bie Harmonie in unferem Sinne fehlte, unb fehlen mußte,
»eil bie #nfd)auung be3 in bem Staturgcfefje ber Sonentwidlung bargeftellten £>reiftang§ ibr
mangelte, ber auf bem gemälzten 2Bcge matl)ematifd)er (Sonftruftion nicht ju ft'nben mar.
SSiele werben geneigt femt, biefen Langel ju läugnen. Denn e§ wirb une> ferner, einen Sufianb
ju benfen, wo baSjenige, beffen mir un§ jefjt mit 2cid)tigfcit, faft unbewußt, bebienen, baö als ein ange=
borneS SBerfjeug ober .Kunfrmittet un§ erfd)eint, noch nicht »orbanben war: womit ee> nahe genug
jufammenbängt, einen folgen 3ufianb, jumal)l bei einem bochgebilbeten SSolfc wie bie ©riechen, überall in
2£brebe ju nehmen. £>ie Serj in ibren beiben formen, bargeftellt jwar in bem Sonfuflem ber ©riechen,
boeb n i cht in SSerbältniffen um bie 33ilbung be§ £)reiflang§ ju geflattert — bie £etj erfchetnt un3 fo uner-
läßlich, um felbft melobifcb nur einem jeben ©efange fein eigcntbümltcheij ©epräge ju geben, baß ee> un§
unmöglich fällt, einen foleben, wo fie nicht in bie f er £inftcbt aud) ba§ SSeftimmenbe fci;n fotlte, un§ t>orju=
ftellen. 2öir werben inbeß burd) bie ganje 33efcbaffenbeit be3 gried)ifcben S>;ftems> ju ber Annahme biefeS,
wenn aud) un§ unbegreiflichen SCRangelS gezwungen.
.Konnte nun ben ©ricd)cn ifyt Sonfyftem einen gleichzeitigen ©efang mebrer Stimmen nur in
ben S3erbältniffen be§ @inflange§ ber betaue, £luarte unb £luinte geftatten ; fo ft'nben wir eine gleich robe,
unferem SDbre wibrige Harmonie, bei bem 2lrifd)licßen an jenes? Snftem, aud) ben 2(bcnblänbern im jef)n:
ten Sabrbunberte d)ri(rlid)er 3eitred)nung eigen, £ucbalb begleitet ben Äird)engefang mit jenen, im
Sinne ber ©ried)en allein al§ SBoblflänge erfd)einenben Sonüerl)äItniffen , unb erfl feit bem 13 ten
Sab, rfjunberte traten bei granco, bem aud) um 3citmaaß unb Sattgew id)t fo oerbienten SKeifter, beibe
Serjen, bie große unb bie f leine in bie Steckte ein, welche fte feitbem ftegreid) behauptet baben.
£>ie allgemad) gewonnene 'Änfd)auung üon ber banrtonifcfyen Jßebeutfamfeit jumal)t ber großen
Serj ifl üon ungemeiner 2Btd)ttgfeit für bie ©efcbid)te ber Sonfunft, fofern burd) fte baö ©efefc ber
. Älangentwidlung lebenbiger in ba§ S5ewußtfein trat. @f)f »ir biefeS wieberum näber in baö tfuge
faffen, ifl e§ erforberlid) , einige Sbatfacfyen t,cr ©cfd)id)te jtwor nod) in ©rwägung ju jieben.
Sftad) bem 3eugniffe eineg gelehrten gorfd)er§, ber ben alten heiligen ©efang ber rbmifd)en Äird)e
eorjüglid) ju bem ©egenilanbe feiner Unterfud)ungen gemacht t)at*), iji biefer ©efang (gewöhnlich ber
') Baini.
1 1
gregorianifcbe nach bem Zapfte genannt, ber bie treflicbftcn Scnfmale beffctben fammelte, ftcbtete unb
orbnete) in ben älteften 3eiten d>rtfiltd>er 3eitrecbnung cntffanbcn, unb tjat felbfi nod) burd) baS 12te 3abr=
bunbert bin geblüht, fofern er auch bamalS im SSBacbfen begriffen gewefen ijt. Sßom 13ten 3abrhun=
berte ab reebnet er bagegen feinen Verfall.
2K8 ältefte unb treflicbjte Senf male biefeS üircbengefangeS nennt er bie £r;mnen. Sbre ©efang=
weifen ftnb ibm tfjetlö äd)t a I tgriecb tf cb e, von beibnifeben ©efängen auf bie neuen, in d>rifittd>em
Sinne gebiebteten übertragene, tbeilS im 4ten unb 5tcn 3abrbunberte jenen älteren naebgebilbete:
ßrjeugniffe alfo, ober minbejtenS SJ? a d) f lange ber Sonfunjt beS grieebifeben AltertbumS.
3Qir laffen eS tabingcftcllt, ob feine SSerft'cberung riebtig fei, tafj in biefen alten heiligen ©efängen
alle fiebert £ctat>engattungen ber grieebifeben SEonfunft Cunb beren in gleicber 3<thl »orbanbene Abarten,
ton benen fpäter bie Siebe feprt wirt) fieb r-orfinten. Senn wir vermögen niebt, fte ju prüfen, roeil unS
nicht ein fo reicher SSeftfo von Huellen gewährt ijt, als ibm. ©0 roeit wir bie ©efangSweifen ber .Ipwmnen
intefj au$ lauteren Quellen Fennen — unb SBaini jufolge hotte bis gegen ben Ausgang beS fecbjcbnten
^abrbunbertS bin e^en biefer^beil beS römtfeben ÄtrcbengefangeS am meiften fieb unoerfälfebt
erhalten — tfjt eS breierlet, waS an ihnen für unferen gegenwärtigen 3»ed unS jumeift merfroürbig
ijt. Äeine tiefer ©efangSweifen jeigt ben Unterhalbton, alS ba, wo er ber £>ctaoengattung
jufolge, am Scbluffe erfcheinen mufj ; er mangelt überall, wo er bureb fte niebt gegeben würbe. Sie £>cta=
»engattung ("ober SSonartj war baber eine jlrenge, ohne Ausnahme befolgte ©efangSregel. Stellt
ferner bie £ctavengattung (unferem Sinne jufolge) eine harte Tonart bar: fo wirb bie grofje SSerj
bennoch von bem ©runbton e auS im unmittelbaren AuffteigenniemalS berührt, wenn eS aud) t>or=
fommt, baf? »on ihr auS ju bem ©runbtone unmittelbar berabgeftiegen wirb. SBo bie grofje SEerj aud)
im Aufzeigen fieb jeigt, ba erfebeint fte boch niemals ju bem ©runbtone beS ©efangeS in biefeS 83er=
bältni§ gejlellt. 3m febrittweifen Aufzeigen ju ber Quarte unb £luinte beS ©runbtoneS wirb fte häufig
überförungen. Softer entlieh erfebeint in weisen Tonarten bie fleine £erj, felbft febon im
erfien ^Beginne ber SJielobie, unmittelbar in biefem ihrem S3erhaltntffe ju bem ©runbtone.
granco, bei welcbem b e i b e Serjen , unb jumabl bie große baS SSürgerrecbt in ber SEonfunfi
gewannen, lehrte um bie erfte £älfte beS 13ten SabrbunbertS. Um ben Anfang teS folgenben 3tfbrbuntertS
febon hatte feine Schule ftcb weit verbreitet, eine mebrftimmige, in bamaligem Sinne fünfilicbe ^Begleitung
alter geiftlicber SBeifen burd) bie Äircbenfänger war übltdb geworben, unb I;atte SSeifall gewonnen, aber
nicht bie JBitligung, fonbern entfdiietenen 2Biberftanb ber Äird}enhäupter gefunben. Um 1322 eifert $>apft
3ohanne5 XXII. in einer SScrorbnung : de vita et honestate clericorum über bie Ausartungen, welche
bureb bie Anbänger einer neuen Schule eingeführt worben. dr wirft ihnen »or, baß fte bie ©runblage
ntdnfennen, auf ber fte ihre Songebäube aufführen, baß fte bie Sonarten, namentlich beren Auffcbwung
unb Abfall im ©efange, nicht vevfteben, unb will eS entlich nur geftatten, baft an hohen gefttagen juweilen
SBoblflängewie eine £ctat>e, Sluarte, £luinte ober tergleichen Sonoerbältnifj gehört werbe, baS mit ber
SCftelobie in Übereinftimmung fei. Sie Serjen unb Sechsten werben alS folche erlaubte Sonüerbältniffe
nid)t auSbrüdlicb genannt, wir ftnb alfo auch nicht berechtigt, gegen ben »örtlichen Snbalt tiefer
S3erorbnung, unb gegen bie ältere Anficht, »elcbe fte nicht ju ben SBo hl f längen jäblt, fte babin unbe=
bingt ju rechnen. Aber auch bei Anwenbung ber t? erftatteten 2Bof)tflänge wirb immer alS unerläßliche f8t--
bingung geftcllt: ba§ ber beilige ©cfang felbjt, bie ©r unb weife, unangetaftet bleibe.
2*
JCuS btefen Bfyatfatyen (im 3ufammenl)ange mit bem ju»or ©efagten) galten »« uns berechtigt
nadijtcbcnbc Folgerungen ju jieben.
Sie Sonfunjr bcr teueren , bie aud) äußerlich jumeiji bcm auf ft'e vererbten Sebrgebäube ber
©riechen ftch anfebloß, mar in ben elften jebn 3«brbunberten cfyriftlicber 3citrecbnung nod) ju feiner anberen
barmonifeben Begleitung getieften, aB ft'e ber gricd)ifcbcn Sonfunfi »ergbnnt fct>n fonnte. Allein um
fruebtbar fann biefer Seitraum bcS^alb ntcftt beiden. Senn ein eigentl)ümlid)er, in ftd) ftreng georbneter,
menn im Anbeginn aud) nur auf einnimmt gen Vortrag bcred)neter jtird) engefang ging in ibm
fteruor. Sie .Kirche, in beren ©ebooße biefer fettige ©cfang entftanben unb gepflegt morben mar, mad)te,
mie über bie JRemfyett tf>rex* 2 e I) r e , fo aud)-über bie feinige, mit gleichem ßifer.
(Sein IcbcnbigeS gortm ad) fen, — al§ rein melobifd)er ©efang — bort um biefelbe 3ett auf,
mo man aud) eine Umbilbung beffclben (im ©inne ber .Kirche eine beffen Svcinbeit antaftenbc QnU
jlellung) ju fürchten hatte. Sief« Verfall, biefe ©ntftellung traten um biefelbe 3eit ein, mo aud)
bie groß e Serj al§ SBoblflang cnblid) ftd) geltenb mad)te.
2113 33 ejeicbnenbcS ber Sonart ft'nben mir in ben bebeutenbjlcn ©rjeugniffen jenes? alten iltr=
cbengefangeS bie große Serj nicht angemertbet, obgleich, unter ben £)ctaoengattungen jener Seit beren brei
ft'nb, bie mir al§ tyaxte Tonarten im ©ume unferer Seit anfpreeften bürfen. Sagegen mirb in benjenigen,
bie urte> al§ meid)c Tonarten evfd)einen unb beren bie Sftcftrjabl (4) ift, bie t leine SEerj jum öfteren al£
beren eigentümliches Äennjctdjen gcbraud)t.
hierin glauben mir bie Sbätigfcit eines>, im inneren bee> SJlenfcften maltenben, ber rein
matbematifd)en Älangerjeugung miberftrebenben, befonberen ©efe^es» mabrjttncbmen. Senn übte
er ein Sonoerftältniß, ba§ jufolgc jener matl)cmatifd)cn SonbilbungSmcife al6 SBoftlflang nid)t bargejteUt
mar, auf eine SBeife unb unter S5ebingungcn, mo e§ nur al§ SBoblf lang bejeiebnenb fepn fonnte, fo
mar er genötigt, t>on bem früher gefunbenen, für ibn bemmenben, unb nid)t ferner feböpferifeben
©efefje abjumeieben, unb einem anberen, menn aud) nur innerlich geabnten, ju folgen: auf biefem SBege
aber ein anbereS, als ba§, auf bem früheren if)tn geläufig gemorbene Sonücrbältniß barjuftellen.
$atte er nun tiefet neue SBerftältniß , im Anbeginn nur alö mclotifcbe§, menn aud) mit entfernter
2lftnung feiner ftarmonifd)en SSebeutfamfctt, gefunben; fo mürbe ibm bamit allgemad) aud) beffen ©r=
gänjung, bie große Serj, al§ Sßoftlflang, unb mit biefer überhaupt erft bie wolle ftarmonifebe
35ebeutfamfeit ber Serjen gemährt.
Senn bie große S£crj ift junäd)ft ein barm onifd) es>, mie bie f leine junäcftfl ein melobü
fcfteS SEomjerbältniß ; bie mal)re SSebeutfamfeit ber Harmonie rul)te in biefer nur abnungäüoll, unb »er-
fd)loffen, in jener erft ücrmocbte ft'e üollfommcn ftd) ju entfalten. SDiocftte bcr SDienfd) aud), oermbge be§ in
ibm lebenben, befonb er en ©efefceS biefe ju erft erfennen; erft oon ba an, mo btefeS befonbere mit
einem allgemeineren ^Jcaturgefe^e ber Älangcntwid'lung »erfcbmolj, mürbe aueb ba£ rechte Söefen be§
©rfannten ibm offenbar.
Siefeö allgemeine 9?aturgefefc nun ift fein anbercS, als bie fogenannte u'rfprüngltcbe SEom
leiter ber ©aite unb pfeife: bargeftellt, — um e§ furj ju fagen — in ber £)ctaue ibrer ©runbtbne, in
ber Sbeilung uon beren Sctawe burd) bie £luinte unb £luarte, in ber Teilung ber £luinte über
biefer Soppcloctaoe burd) bie große unb f leine SSerj. 3n biefen bureb fecbs&längc gebilbeten fünf So n--
rerbättniffen, »erben, b^rmonifd) bebeutfam, nur bie beiben bcr £luintc unb großen Serj
13
vernommen, burch brei £ länge bargejiellt; baber benn auch, bas Sufammentönenbe, fetner mannich fachen
(Elemente ungeachtet, mit Siecht nur £>reifl ang genannt, unb ben nur erg änj enb en SSerfjdltntffen ber
£L u a r t e unb f l e i n e n Z e r j junädbft nur m e l o b i f cb e 33ebeutfamf eit bcigemeffen wirb. Sarum r)at ber
üftenfcb eben biefe bei ben am erften erfannt; jenes, aß Siegel ber am frübcften uon ihm georbneten
SSomxrbältniffe, biefe§, im gortfcbritte berSOcelobiebilbung 5 fei e§ nun, baß melobtfchejBerbältniffe i()m
besbalb eher jur tfnfcbauung gelangen mußten, weil, fcbon wegen be3 3 eitle ben 3 berSone, bieSJielobte,
ber &onwecbfel, ber äußeren ©rfcbeinung nach , bem ßufammenf lange, ber Harmonie, notbwenbig vor*
anging, fo innig auch beibe »erfnüpft, wefentlich unb urfürünglicbmit einanber, unb ein % ftnb :
fei eS, baß ein in ihm lebenbes? ©efe£ bie Selbjiänbigfeit be£ Verborgenem ihm fogar früher enthüllte.
3n biefem 5caturgefe|e ber urfprüng liefen Tonleiter ber Saite unb pfeife, ba§ je|t bei
ber gewonnenen tfnfcbauung ber großen Serj aß wefentlich barmonifd)en SonoerbältniffeS unb bei
ber barauf gegrünbeten gleichzeitigen 33ermü»fung mehrer «Stimmen ftcb gelt enb machte, wenn e3
auch noch nicht obllig erfannt worben war, ftnben mir bie Quarte unb bie groffe Serj nachbarlich
bei einanber aß (Srjeugniffe be§ ©runbtoneS. S3eibe, ba3 eine in feiner melobifcben, ba3 anbere in feiner
barmonifeben 2Birf famfett unmittelbar einanber gefeilt, führten nunmehr auf eine neue^nfebauung,
welche bie, in bem Sinne ber itirebe bisher bewahrte 9? ein h ei t be§ ÄircbengefangcS , — bie in feinen
@rjeugniffen unberänbert, ftreng feftgehaltene Siegel ber £)ctat>engattung — antaftete unb fein
gortwachfen hörnte. (SS ift bie 2lrtfcbauung bon ber Ucotbroenbigfeit be§ Unterhalbtoneä (semi-
tooii modi).
25er ©runbton, nachbem er in feiner £beroctat>e nur feine gefchärfte, ihm wollig werfcbmeljenbe
2öieberholung erjeugt hat, ftrebt »on biefer ju beren £luinte, aß feinem erften, felbftdnbigen (Srjeugniffe
hinauf, unb von biefer roieberum burch, bie Quarte in feine ihm abermals »erfchmeljenbe Soppeloctawe; in
biefem Sinne aber in fieb felbft jurücf. £>aher bie melobifche 33ebeutfamfeit ber £> ber qu arte,
ober ihrer Umfebrung, ber Unter quin te, aß SSaßclaufel, aß Sdjlußcabenj, w 0 1 1 c r SSonfall.
23eibe einzelne .Klänge nun, melcbe biefen SEonfall barff eilen, werben, als? felbftänbige ©runb;
f länge betrachtet, unb in biefer ©igenfebaft ihre urfyrüngltcbe Sonfolge, foweit fte barmonifdb bebeutfam
ift, enfwirfelnb, mß eine golge jweier harten £>reif länge barjMen, unb biefe mirb mß aß bie urfyrüng=
lichfte, naturgemäß efie harmonifd)e ^Begleitung eines wollen SonfcbluffeS erfcheinen müffen. £ie
große £er$ aber (ba§ 33 ej ei ebnen be biefer 25reif länge) auf ber Unterquarte, ober wa3 bem gleiche
gilt, ber£?berquinte bee> ©runbtoneS, bilbet eben beffen große£>berfe»time, ober feinen Unterhalb:
ton. 6r mar ba$ näcbjle, unmittelbarjle Csrgebniß neuer SQMobiebilbungcn, nachbem man bie große
S&rg in ben jlreß ber harmonifchen SSerfnüpfungen aufgenommen hatte; unb eS ift nicht ju bezweifeln,
baß bie Äirdjenfänger, melche nach ben Siegeln ber burch Sranco unb fpdter SEJcarch etto won $Pabua allgemacb
weitet fortgebilbeten neuen Schule harmonifchen ©efangeS, bie alten jtirebenweifen mit vier bi§ fünf l)armo=
nifd) begleitenben Stimmen febmüdten, bei bem auffteigenben Schluß fall berfelben nach bem
©runbtone h'n, »on einem inneren, nunmehr möglicbermeife erft ermaebten, unb auf bem einfachen
sJlaturgefe£e ber Älangentmicflung berubmben ©cfühle geleitet, bie f leine Tberfeptime ober große Unter -
fecunbe, in bie große Sberfectime ober f leine Unterfecunbe werben berwanbelt haben. Samit war
offenbar ba§ bisher ftreng waltenbe ©efe^ ber £> etat» engattung »erlebt, ber f eufche QTuffchwung ber
Tonart, wie $)a»ft 3ohanneö ft'd) auöbrücft, »ernannt, beren SBefen angetaftet, ber heilige ©efang ent=
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jtellt, ba3 Einfchreitcn ber Äird)e nothwenbig geworben. Darum tjl aud) bic große £erj in ber oft be-
fvrodicncn Serorbnung jenes ^apfteS nicht auSbrüdlid) genannt, weber aß verbotene^, noch, erlaub*
te§ SEonverhältniß. £>enn war fie auch, in ber £l)at ba3 S3eranlaffenbe ber gerügten Entflellung, fo
fam e3 bod) nicht in ihr unmittelbar jur 2lnfd)auung, fonbern nur in ben veränberten (Schlußfällen,
bie eine mclobifd)c S5ejieb,ung barfrellten, beren nothwenbiger 3ufammenf)ang mit ber großen SEerj man
noch nid)t er!annt hatte. £a§ Oberhaupt ber Äird)e erlaubte ft'e md)t, weit man jenen ßufammenhang
vielleicht entfernt ahnete, e3 verbot fienid)t, weit fie an anberen Orten unb am (Schluffe ber ©efänge
ohne Schaben für bie ©runbmclobie gebraucht werben fonnte: e§ begnügte fid) au§jufpred)en, baß anbere
5£onverf)ältniffe als Ocrave, Ouarte unb Ouinte nur bann anjuwenben feven, wenn fie mit ber Gelobte
bes £ird)engefanges> in Übereinftimmung feven unb beren Sieinfjeit nicht antafteten.
95iit biefer neuen 2lnfd)auung be§ U n t c r h a l b t o n e § hing e§ nun genau jufammen , baß , bei
ber burd) biefclbe bewirften Erfd)ütterung ber bisherigen ©runbregel be§ ©efangeS , ber Octavengattung,
auch ba§ lebenbige Sortwacbfen be3 mclobifd)en Äird)cngefange$> in biefem (Sinne aufhörte, unb berfelbe
allgemad) abwelfte. T)mn ein neuee> auf bie Harmonie gegrünbeteg ©efefj ber Sftelobiebilbung mußte
nunmehr hervorgehen, e§ mußte ein£>urchgang§jeitraum in berfclben eintreten, eine ©ährung, beren
9}ieberfd)lag oft woI)l trübe unb ungenießbar fid) barflcllen mochte. I^icfe Epoche ber ßerfe^ung unb 2luf=
löfung mußte aber um fo langer bauern, al§ ba§ jtrenge, hemmenbe ©ebot ber Jtirche, obgleich e§ baneben
auch wahren Mißbrauchen eine heilfame <Sd)ranfe jog, bennod) bamit jugleid) bie .Seime neuer Entfaltung
für eine SBeile jurüdl)ielt. £>av)tx evft in ber Sföitte be3 vierjehnten Sö^unbertä nahmhafte SEonfe^er,
unb erft in ber testen Hälfte be§ 16ten bie volle, frifche Entwicklung beffen, wa§ nicht länger unter einem
jwingenben ©efefje, roie es> ba§ alte, mathematifd)e jumeiji geroefen, fonbern aut> einem fd)öpfe=
rifch belebenben, wie ba§ neue fich bewahrte, in reicher bracht hervorblühte.
4?ter aber bemährte ee> fid) auch mieberum auf treffliche SBcife, baß, wie bie Statur feinen Sebent
feint vergeben läßt, fo auch auf bem ©ebiete ber Äunjl, ber SSegeiftigung ber Statur, ber 33erft'nntid)ung be£
Überfinnlichen , nid)t§ verloren geht, wa§ ein wahrhaftesten in fid) hatte, <So baS unter bem alten
©efe^e in einfeitiger S3ollenbung ©ebilbete; ihm ffanb eine neue, fchbnere SSerflärung burd) bie Spax--
monie bevor, wie fie ja aud) bem alten ©efefce ber Octavengattung fclber ju Sfjeil werben follte, bem
nicht bie2lufhebung, fonbern bie Erfüllung in feinem ganjen Umfange bevorfranb. 2>r alte heilige
©efang ruhte auf bem früheren ©efefje mathematifchcr Eonftruftion, allein baS allgemeine Staturgefe^
ber harmonifchen Älangerjeugung, baS befonbere, in ber menfd)tid)en Statur, bem menfd)li=
d)en ©eifte lebenbe, blieben beöfjalb nicht unwirffam nod) unbefugt, wenn ft'e aud) jurüdtraten unb fid)
verhüllten. £>arum aud) war jener alte Äird)engcfang ber Entfaltung, ber Sßelebung im höheren Sinne
fähig unb zugänglich, nur baß er von feiner jtrengen, alten Selbfiänbigfeit etwas aufopfern mußte. Allein
nid)t eine Entftellung, nicht eine Ausartung ober Entweihung erheifd)te biefeS Opfer; fonbern bie waf)r=
hafte Offenbarung feineS innerjten SSBefenö, baö man nun inniger jtetsj unb liebevoller erfannte, immer
jarter fdionte, war burd) baffelbe erft möglid). 3rt biefem (Sinne ijt ba§ alte ©efelj ber Sctavengattung auf
einerneuen, höheren (Stufe in ben Äird) entönen ber legten £ätfte be§ 16ten SabrhunbertS wieberum
eine belebenbe 9?egel, unb bie Schöpfungen ber treflichffen SDJeifrer biefe§ 3eitraumö ft'nb feine höchfte 95lüthe
geworben: eine S5tüthc, bie, wenn fie un§ aud) im 3ufammenhange ber ©efammtentwidlung ber £onhmjt,
welche barin noch nicht in ihrer g a n j e n gülle erfchien , als ein £)urd) gang Svunft erfcheinen muß,
bocb in ihrem innerjten SBefen, in ihrer eigentbümlicben SSollenbung angefd?aut, einen bauernben SBertt)
t>at für alle Seiten , unb eine 9Jeibe von .Eunf!fcbö»fungen barftellt, benen gegenüber auch baS 4?errlich|le
ber fväteren 3eit nicht alS ein b t> er eä erfebeint. — Über bie Äirchentone nun haben wir bereite
früher bei bem ^Berichte über baS ßeben unb SßBtrfen cincS großen SonmeifterS auS bem lOten 3al)rl)unberte
ausführlich gehantelt. SaS SBefcntlicbe waS barüber ju fagen ift, läßt vielleicht in bie folgenbe, gebrängte
Sarftellung ft'cb jufammenfaffen.
SBenn roir von bem 9?aturgefe£e ber urfvrünglicben Älangentroi cf lung ausgeben, bem
9ieubelebenben für baS alte ®efe£ ber £)ctavengattung ; fo erfd)einen als £au»ttonarten, bie auf bie
33ejtanbtbeile beS harten Sreif langes, — ben ©runbton, feine Quinte, feine große Cberterj —
gegrünbeten: bie ionifcfye alfo, bie mirolvbifche, bie phrvgifcbe, ober bie erjle, fünfte,
b ritte £>ctavcngattung, roenn roir von C, bem vorauSgefefcten ©runbf lange, aufwärts ju jäfylen beginnen.
Sie »brvgifche S?etr>e aber, betrachten wir ihren ©runbton als felbftänbigen ©runbflang, beutet in
ihrer Grigenfcbaft als Dctavengattung nicht ferner hinauf ju einer mit beffen £)berquinte beginnenben,
neuen ©attung biefer %xt. Senn bie fiebente £)ctavengattung, welche mit bem £one H beginnen
würbe, — war fte überall in bem alten Äird?engefange heimifcb, waS wir nicht jugeben, noch heftreiten
mögen — fann, feit baS neue ©efefj barmonifcher Entfaltung Jjerrfcr^t , als Sonart nicht gelten, weil
ein nothwenbiger 33ejfanbthetl beS Sreif langes , bie reine Satinte, ihr mangelt.
Ser ^^rtjgifdje ©runbton weift f>ienad> ntdjt langer als Erzeuger aufwärts, fonbem
nur als Erzeugter abwärts, auf feine Unterquinte, (A ). Stefer ©runbflang, ber ©runbton ber 6ten
£ctavengattung (beS 'tfolifcben) bilbet nunmehr, mit benen beS »brugifchen unb ionifchen verglichen, ben
weichen Sreiflang, in welchem wieberum eine nahe, naturgemäße 23erwanbtfcbaft breier Äircbentbne
fid) barftellt.
Sn bereifte biefer 4, auf folchem Sßege gefunbenen SEonarten: ber ionifchen, mirolnbifchen,
»hrngifeben, äolifchen fleht bie bor if che (bie 2te £>ctavengattung). 3hr ©runbton liegt um eine lüuinte
aufwärts von bem mirolnbifchen, um ein gleiches SBerhältniß abwärts von bem äolifchen. Sie quin=
ten weife 33ejief)ung ber SEonarten geht hernach von ber ionifchen jur »hrvgifchen aufwärts (C. G. D.
A. E,) unb ifl hiermit befcbloffen.
Sie vierte mit F beginnenbe Sctavengattung ftnben wir fdwn in ber Seit beS alten, jumeijl
melobifcben ÄirchengefangeS feiten rein bargejrellt, weil ihr bie reine Sluarte mangelte, nach welcher bie
ältere 3eit ihr gefammteS SEonfoftem regelte. Siefe £ctavengattung — bie Ivbifcbe SEonart, wie wir fte
genannt finben — würbe bureb Umwanblung beS ihr eigenen SE r i t o n u S in bie Huarte, ber ionifchen
genähert unb verfchmolj berfelben faft gänjlicb um bie Seit barmonifeber Entfaltung.
günf Sctavengattungen treten unS fonacb als h<*rmonifch entwitflungSfäbjge Zon-
arten (£ ird) ent o ne) entgegen, von benen bie er fte unbjweite, (wenn wir fte nach ihrer quin=
tenw ei fen SBejiehung orbnen) harte Tonarten ftnb (bie ionifche unb mirolvbifche), bie übrigen
brei aber weiche (bie b orifebe, äolifdje, vhrvgifche). Sie betten harten unterfcheiben fid), in
melobifcber SJücfftcbt befragtet, burd) bie ber erften eignenbe große, bie ber jweiten angehörenbe f leine
Seßtime: bie weichen babureb, baß ber britten (borifch en) bie große, ber vierten (äolifchen) bie
f leine (Sechst* eigentümlich ift, ber fünften (»hr» gifchen) aber auch bie f leine ©ecunbe neben ber
fleinen (Sechste.
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tiefem allem jitfolge finben wir in ben 33erwanbtfd)aften ber Atrcbentbne folgende eigene
tbümlidie 3üge.
2fUe Tonarten leiben eine 3ürüdb ejtef^ung — fie gewahren bie SiJlbglicbf eit , ihren ©runbton
in S5ejug auf bie ©runbtbne aller übrigen als ein (SrjeugteS ju benfen — mit Ausnahme ber tont=
feben. 2flle ferner laffen eine SSorwärtSbejtebung ju, — fte erlauben, tt>re ©runbtbne als Q£x--
j e u g e r ju benfen , — bis auf bie » b r 9 g i f ch e.
Die ionifebe Sonart ift alfo eine wefentlicb aufwärts*, bie ^ I) rt? 9 1 f d) e eine nortjwenbig
rucfvDart§ = flrebenbe, unb baburd) öor allen übrigen ausgezeichnet, ©inb beibe in ber Sticbtung ibreS
©trebenS bienad) wollig entgegengefc^t, fo boeb wieberum dl)nlid} in bem 3iele beffelben; nur baß bort
(bei bem ^onifeben) baS e rft (Srjrrebte(baS^iirolubifd)e) eine harte, baS nächtf ©efuebte OPbrngifcbe) eine
weiche SEonartift; l) t e r (bei bem $>bn)gifd)en) bagegen eS fiep umgefel)rt üerftalt, inbem junäcbft baS
weiche 'Üolifd)e, bann baS b arte Sonifcbc gcfudjt wirb. "tfbnltd) nur, unb nicht g l e i d) nennen wir fie
im 3iele ibreS Strebend um beSwillen, weil baS Srfrrebte, wenn aud) in einem .Kennzeichen (ber großen
unb fleinen Scrjj übereinftimmenb, in feiner fonftigen ©lieberung bod) ein 33erfd)icbencS ift. 2(lle übrigen
Tonarten finb in gleichem Sftaafk auf - unb abwärtSftrebenbe , unb baburd) einanber gleich,*, üerfd)ieben
jebod) in bem Biete ibreS ©trebenS, unb in ihrem eigenen S3erbältniffe ju bemfelben. DaS Süiiroli) bifd)e
frrebt aufwärts nad) einer weichen, abwärts nach einer harten Sonart, eben fo baS Dorifcbe; beibe finb
alfo in ber 3ficbtung tt)ve§ ©trebenS glctd), in beffen 3iel ähnlich, weil fie nur tbeilweife Übereinftinv
menbeS, unb fonft abwetd)enb ©eglicberteS erftreben. ©ie unterfcheiben ft'ch aber burd) ihr SSerbältnifj ju
ihrem ähnlichen 3ielc, benn baS 9Jiiroh)bifd)e ift eine harte, baS Dorifcbe eine weid)e Sonart. DaS Ho-
lifd)c cnblicb hat in feinem '#uf= unb 2lbwärtSfirebcn ein ähnliches 3iel, eine weiche, jeboch hier unb
bort anbcrS geglieberte Sonart, unb ift barin üon allen übrigen unterfchieben, wie eS auch baburd) oon
ihnen völlig abweicht, bafü eS, als weiche Sonart, auch in bem SSerbältniffe ber '#bnlid)feit fleht ju
bem in beiberlei Siicbtung »on ihm (Srftrebten.
2llle Äird)ent6ne ftnb bienad) oon einanber eigentümlich t>erfcb ieben. ©ie finb eS als
£) ctaüengattun g en in ihrer melobifd)en ©lieberung, fie ftnb eS in ben ©egenftänben ihrer barmo=
nifd)cn Schiebungen, unb burd) ihr SBerbältnifi ju benfelben; ja, felbft auS einer jeben fd)einbaren Über=
einftimmung einerfcitS tritt »on ber anberen ©eite ber entfebiebenfte ©egenfa^ heraus, ©eben wir fte als
SBerfjeuge an, mit benen, ober richtiger üielleicht, alSSveicbe, ©ebiete, in benen ber Sonmcifier
fchaft, fo ftefjt er ihnen nicht unbebingt als beftimmenb, f> evrf dt? ent> gegenüber, er wirb vielmehr
oor^ugSweife burd) fie beftimmt, fobalb er in baS eine ober baS anbere ftch begtebt, baS eine ober anbere,
bem SBcfen fetner Aufgabe zufolge, ergreift. ©cgenftänblicbfeit (Sbjeftimtät) alfo fonnen wir als
ihren @l)arafter im S>erl)ältniffe gegen unfere mobernen Tonarten bezeichnen. Denn unfere neue Sonfunft
hat, bis auf bie weiche unb harte SEonreibe, welche fie auf höheren unb tieferen Älangfrufen überein=
fiimmenb wieberholt, alle alteren £onreit)cn gänjlid) ausgeglichen unb einer jeben bie SDZbglid)f eit gleicher
Schiebungen ju allen anberen gewährt. Durch Äunftübung unb ßer)re hat fte allgemach gezeigt, wie
aud) baS ©ntfcrntefie auf lcid)te 2ßeife in ä>erbinbung gebracht werben fbnne, wie auf jeber gewählten
SEonbbbe man biefelben Schiebungen wieberfinbe. Die ältere Sonfunji brachte bem Sonmeijler eigene
thümlid) georbnete ©ebiete manntd)fad) wechfelnbcr S3chiel)imgen entgegen, unter benen er nach feiner 2Cuf-
gabe ju wählen hatte, bann aber burd) bie getroffene SBahl aud) fich beftimmt fanb, unb begrenzt: bie
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neuere bietet ihm ben gefcbmeibigjien Stoff für feine ©Übungen, unb ihm gegenüber tjt er bei freiefier
2Baf)l aud) allein ber ffieftimmenbe unb 33 egr en jenbe. SDbjeftiio, 1 1> p t f ct> , ifi ^ienacb, baS
©epräge bcr älteren; fubjeftiü, fenttmental, baS ber neueren SEonfunji.
2>iefeS objeftioe ©epräge ber älteren SEonfunft eignete berfelben burch, it)re £)ctat<engattungen
aUerbingS fcbon in ihren »or^ugSmeife melobifcben Schöpfungen auS früherer 3cit/ fcor bem Crrmacben
barmonifcber Entfaltung, bod) mehr in ftrenger, fiarrer ©ebunbenhett. Sie neue, hatmonifche
^Belebung berfelben bat nun biefe gelb f't, ofme it)r 2Sef en anjutafien. £»ie gewonnene 2lnfchauung bcS
Unterhalb tonS bat nur bie ©runbtbne, als folcbe, in ben wollen SEonfcblüffen beftimmter ausgeprägt,
btc Nüttel beS Überganges einer Sonart in bie anbere erleichtert, ol)ne ben einer jeben Sctaüengattung
cigentbümlichen SEonoerbältnijTen ihre urfprünglicbe SSebcutung ju entziehen, ja, biefe tjt erjt jefet recht cin=
bringlicb hervorgetreten. £urcb bie Einführung bcS UnterbalbtonS ftnb nun brei, um einen ^>albton erhöhte
.Klänge in ben ÄreiS ber übrigen eingetreten , fis, eis, gis, für baS 9Jltrolwbifcbe, £)orifcbe, 'Üotifcbe; baS
^)b,n)gifcbe bebarf etneS folchen.£ülfStoneS nicht; ja, eS »erfdbmäfyt ir>n, benn ber Langel beS UnterbalbtonS
geb. ort ju feinen eigentümlichen Äennjeicben. £>iefe neuen Älänge gewähren aber noch ein 3metteS ; benn
mie ber o o 1 1 e SEonfaU naturgemäß mit einem harten Sreif lange fchlicfjt, fo erhält burch fie jeber »on
ben ©runbtbnen ber brei meieben £cta»engattungen ju biefem 3roecfe auch bie jufällige große SEerj.
Selten nur ftnben mir bei ben Sonmeijtern beS 16ten SahrbunbertS eine Tlbmetcbung t>on ber Äegel allge=
meiner 2lnmenbung harter £>reiflänge bei ben SEonfchlüffcn ; meid) e fommen ba nur auSnahmSmeife »or,
— immer jeboch nur bei mittleren, nid)t Enb=£onfd)lüffen — reo irgenb eine harmonifebe Eigenthüm;
[ichfeit ber SEonart in ihren 2luSmeid)ungen burch biefeS SKittel allein, unb eben nur bei bem SEonfalle felbfl,
unb nicht fchon bei ben »orbereitenben gortfdmtten ju bemfelben barjujtellen mar. £)enn in biefem legten
Salle mirb auch ba ber harte 25reiflang jumeift angemenbet.
9Zun merben aber aud) an bem Enbe ber ©efänge bie halben Sonfchlüffe ben »ollen oft t>or=
gejogen, ber Unterhalbton mirb alfo bort nicht einmahl unbebingt angemenbet. ©inen halben Sonfchlujj
fbnnen mir, genau genommen, als einen umgekehrten öolten betrachten. £)enn ruht bei ihm auch ber
fcbjießenbe 3ufammenflang auf bem ©runbtone beS burd) ihn geenbeten ©efangeS, fo gel)t ihm bod) ber
Sreiflang feiner Unter; ftatt £>berbominante »oran; baS gewöhnliche, bei ben »ollen Tonfällen
erfcheinenbe Sßerhältniß tft baher gemecbjelt, ber fd)liefjenbe £)reiflang ermeeft baS ©efühl eines auf ber £>o--
minante gebilbeten, unb mit bemfelben jugleicb baS ber lebhaften Swüdmeifung auf bie näcbjroermanbte
SEonart, beren £reiflang ber unmittelbar ihm »ofangehenbe barftellt. £ier nun, bei ben halben 5Eon=
fchlüffcn, fehen mir, eben biefer 3urüdmeifung megen, in ber harmonifchen Entfaltung beS 'tfolifeben
unb ^brpgifcben ben »Orienten Sreiflang nicht als einen harten, — mie baS ©efefj ber urfprünglichen
Älangenrmidlung ihn erheifchen mürbe — fonbern als einen meinen — mie baS ©efe£ ber £>ctaüem
gattung, ber eigenthümlichen ©lieberung ber SEonart, ihn forbert. S3ei bem Sorifchen bagegen mürbe
ber harte Sreiflang »or bem ©d)luffe au§ gleicher 3?ücfftd>t anjumenben gemefen fer^n, mir fünben eS aber
hier anberS bei ben großen SDceiftern be3 16ten 3ahrhunbcrtS. Surd) einen leiterfremben Son (b), bie
f leine Sechste beS borifchen ©runbtoneS, führen fie einen meinen £reiflang ein »or bem borifchen SEon--
fchluffe, unb biefer erfcheint bemnach jurüdmeifenb nur in fofern, als ber ©runbton beS »Orienten Srei=
f langes ber mirolpbifche ijt, aufmärtSbeutenb bagegen, fofern bie f leine Sechste beS borifchen ©runbtoneS
— baS S5ejeichnenbe ber feebfien Sctaoengattung, ober äolifchen Sonart — einen meichen 2)reiflang auf
r. Sßinterfetb, in Mangel. S^oralgefang. 3
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biefem ©runbtone t>er garten mirolpbifchen Sonart »er bem ©bluffe fd>afft, unb fo in boppclter 9?ücfftd)t
auf ba§ Äoltftye Eingeliefert vütrb, tton befjen ©runbtone ber Dorifche ber ©rjeuger ift. Saburd) wirb ju=
gleich ein boppclter Übelftanb üermieben: baS ju febjoffe SScrwifchen be3 ©eprageä ber borifd)en SEonart
aB einer weid)en, wenn jwei l)arte Sreif lange am ©djluffe einanber folgten, unb bie Übcreinfiimmnng be§
ionifc^en, miroh)btfd)en, borifd)en, falben SEonfd)luffe3 , meiere babet unabwenbbar eingetreten wäre.
23ei bem erften S3licf freilich, erfd)einen nun wieberum ber borifd)e, äolifche, pl)n?gifcb,e l)albe ©d)luffaU
übcreinjttmmenb. 2CUein ber borifd)e unb dolifcfye unterfd)eiben ftdt> baburd), baß jener burd) einen leiten
fremben, biefer burd) einen leitereigenen SEon erfolgt; ba§ $)hn)gtfd)e enbltd) l)at nod)<einen, ihm allein
eigentümlichen ©chluß, bei bem e§ bie legten beiben .Klange feiner auf-- unb abfteigenben 9feif)e aB Unter=
unb£)berfiimme uerbinbenb, nach einem weichen, t>on ben erften beiben klangen begrenzten ©reif lange, fd)rttt-
weife auf= unb abfteigenb, ju einem garten auf bem ©runbtone geleitet wirb , unb mit il)m enbet. Sie
Übereinftimmung bc§ ionifdjen unb mirofybifchen falben SEonfd)luffc§ enblid) gleid)t ftd) au3 burd) bie furj
üor bem legten vernommene, leitereigene flcine ©eptime. ©o gel)en l)ier überall ba3 ©efe£ ber £)ctat>en-
gattung unb bas> ber urfprünglid)en Älangenrroicflung, ba£ melobifd)e unb l)armonifd)e, Spani* in 4?anb
neben einanber, unb aud) eine jebe Abweichung unb '2lu§nal)mc bewahrt ftd) allejeit aB eine gefefelidje.
Sener leiterfrembe, ben falben ©d)lufj bee> £)orifd)en cinführenbe -IpülfSton, b, ift jebod) nid)t
ein bloS willführlid) unb ju biefem alleinigen Swecfe eingeführter. ©r beruht vielmehr auf ber altt)erge=
brachten Darfiellung ber biatonifchen Steide burd) SEetrad)orbe, unb auf einem, neben bem britten, getrennten
Setrachorbe, an basü jroeite gefnüpften, »erbunbenen , in welchem er ftatt be§ SEoneS h erfebeint. 2Cuf il)n
grünbet fid) ba§ fogenannte roeid)c SEonfpftem be§ Mittelalters, burd) wcld)e§ ba§ urfprünglid)e, ober
harte, — bei 2lnwenbung jenes abrocid)enben JllangeS — um eine Quarte t)bl)er, eine £luinte tiefer, bar*
geftellt rourbe. £>araus> ergiebt ftd) unmittelbar, baß burd) SSerwanblung beS bem l)arten ©pfteme eigen=
tb,ümlid)en h in b jebe ©ctaoengattung beffelben ba§ ©epräge ber eine Gutnte aufwärts oon if)r gelegenen
erhielt, ©o baS Mirolpbifche be§ S)orifd)en, ba§ £>orifd)e bcS 'Üolifd)en, baS 'tfolifche beS ^)b,ri)gifd)en.
(Sine bergleid)en üerwanbelnbe Mobulatton, roeldje nid)t eine frembe SEonreihe auffud)te, fonbern bie
urfprünglid)e verdnberte, ift nid)t minber ein ber SEonfunft beS 16ten 3ahrf)unbcrt§ in if>ren Äirchentbnen
ßigentl)ümlid)e§. SBie aber biefe SEonfunft alle £>ctat>engattungen in bem garten wie roeid)en ©pfteme bar-
juftcllen »ermod)te, unb wirklich barftctlte, fo beburfte fte in biefem legten, wegen be§ falben borifd)en SEon=
fd)luffe§ in bem Tonumfänge von G mit ber f leinen SEerj, ein gteid)e§ Tonüerl)ältniß über ber Unterquinte
biefe§ borifd)en ©runbflange§. ©o würbe al§ jweiter ^)ülf§ton aud) ber Älang es eingeführt unb »bllig
regelrecht unb im genauften 3ufammenl)angc bilben ftd) fo bie fämmtlid)en ^ülfStbne beiber ©t)fteme, über
welche wir bie altere SEonfunft nid)t hti^ugftreben fehen in ihren Äird)entbncn, fo lange fte überhaupt in
beren ©renjen blieb.
'tfuf biefem 2Bege geftalteten ftd) in naturgemäfier (Sntwicflung bem@ängerwie bem ©efeer
bie ©runbformen, unb bie gefammte Unterlage ihrer Äunft. Scne blieben bem SBefen nad) bie bisherigen,
allein baö 58erhältniß jwifchen 9lothwenbigfett unb %n'ti)tit ftellte burd) lebenbige Entfaltung ftd) naher in
ba§ £id)t, ba§ ©efe^ t)brte auf eine firenge, binbenbe ©d)ranfe ju fepn, e§ würbe eine reid) unb mannid)--
fad) belebenbe Äraft. 2)iefe bagegen, ba§ Mittel mit bem bie Äunft fd)uf, ihre ©runblage, gewann augen^
fcheinlid) an 2luöbel)nung unb geftigfeit, an wcfcnttid)em, innerem 3ufammenl)ange, unb war burd)
wiüführlid)e ©ebote unb Verbote fo leid)t nicht mehr ju erfchüttern. 9lun war eS aber ba§ glücflichjte 3u=
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fammcntreffen, baS tiefe Sicherung ber ©runblage ber SSonfunfi, unb bie fortfcfyreitenbe tfuSbilbung ihrer
©runbformen, in eine Seit allgemeiner, frommer 33egeifterung fallen lief, bie eben in biefer Äunft baS
Littel ihrer Offenbarung fuebte, unb fte baju nunmebr aueb tüchtig finben fonnte. daS Sieffte, Snnerfte,
waS bie ©emütber bamalS bewegte, würbe laut in ber einfachen, üolfSmäfjigen, gebrungenen ^orm beS
CiebeS ; bie ©abe beS@ängerS würbe bureb btefeS nid)t minber in2lnfprud) genommen als bie beSSefcerS,
unb fo gelangte bie innere Einheit beiber 9iid)tuttgen allgemad) jur 2lnfd)auung. 3n ben entlehnten , in ben
nach beren SKufier neugefebaffenen SBcifcn geiftlicber ßieber fanb ber ©e^er ftd) aufgeforbert, aber auch mebr
befabigt als jutwr, bie ©runbformen beS ©efangeS nacb i£)rer (5igentf)ümlicbfeit ju erfennen, unb fte ftd)
lebenbig anzueignen. Seine Äunft prägte biefe nur um fo fd)drfer unb etnbrtngltcbcr auS, je beftimmter, in
je näberer gegenfeitiger 33e$tebung, bie bejeid)nenben SJiobulationen jeber Sonart in bem befebränfteren Um=
fange biefer SRelobieen beroortraten. SSttit ben emfacbften Mitteln , wie bie SSolfSmäfh'gfett fte erbeifd)te,
fuebte er nun bie SEftelobie oon innen heraus ju üerflären, ftatt fte, wie bisher, äußerlich, in breiter 2lu3fül)r5
liebfeit, ju umbauen unb aufjupufjen, moebte biefeS aud) nod) fo fcbmucfooE unb funftreieb gefebeben fetm.
die Äunft, ibrem naturgemäßen GntrwidlungSgange jufolge, hatte ftd) umjubilben, ju erneuen
gefacht; $um vollen SSewußtfetn gelangte biefeS ©treben in einer Seit, beren allgemeine 9fid)tung überall
bamtt jufammentraf. SSie eS gefebabe, l)aben wir in allgemeinen Umriffcn bisher l)injujeid)nen gefud)t, bie
roir fpdter mel)r auszuführen unb ju beleben fjoffen. ©S liegt unS nunmebr jundd)ft ob, $u jeigen, wie ber
neue geiftlid)e ©efang, ber unter biefen ^Bewegungen in baS Sehen trat, mit demjenigen gemaltet fjabe, baS
aus ber alten Äircbe auf il)n forterbte.
darunter »erftel)en mir inbef? nid)t dasjenige, waS, auS Gehrung für ein ebrwürbigeS 2llter=
tbum, auS ©emobnbeit, ober fonft einer ähnlichen 9?üdftd)t, nur beibehalten mürbe, ffatt eS, lebenbig
fortbilbenb, ju ergreifen, denn biefeS ftef)t in ber £l)at nur neben unferem Äird)engefange, wenn
aud) in bebeutungSooller ©egeneinanberftellung ; war eS aud) »on Ungehörigem gefdubert unb in alter
Söürbe bergeftetlt, bennod) fann eS in feiner anberen SBebeutung, als biefer befd)rdnften , ibm angeboren.
Söir reben vielmehr von bemjenigen, baS er wahrhaft in ftd) bineingebilbet, beffen belebenbe (Sinwirfung er
babei vielfach, erfahren Ijat, beffen volle S5ebeutung erft in ibm erfd)ienen ift. diefeS hat er eben auS bem
dlteften @d)a^e ber Äird)e, ihren ^vmnen, jumeift entnommen, beren ju gebenfen wir bereits juöor
S3eranlaffung fanben, unb ju benen wir nunmehr jurüdf ehren.
(53 würbe über bie SSerhdltniffe unferer darftellung hinausgehen beißen, wollten wir über baS
'Ultcr biefer ©efdnge, ihre (Sntftebung, ihr allmdl)ligeS 3lnwad)fen bis jum 2ütSgange beS 12ten Sabrbun*
bertS, ihr §3erbältntß ju bem ©otteSbienfte um ben 33eginn beS 16ten, hier eine genaue, in baS ©injelne
gebenbe Unterfud)ung anftellen. @S genügt unS hier, mit SEreue, unb fo weit ber ©egenftanb eS erheifd)t,
aud) mit 2uiSfüf)rüd)feit ju berichten, wo, unb in welcher ©eftalt bie SJMobieen ber £»mnen feit bem S3e=
ginne ber Äircbenverbefferung unS juerft in unferem beutfd)en Äird)engefange begegnen. SBeil aber bie eigene
#nfd)auung h'^ unbebingt entfd)eibet, werben wir bei unferem S5erid)te biejenigen alteren (Sammlungen
geiftlicber 2ieber corlduftg übergehen, bie unS nur burd) S5efd)reibung befannt ftnb.
3wei ßieber-- unb 9Jlelobieenbüd)er nun ftnb unS jundchft üon 2Bid)tigfeit, bie in bem erften
Sab^fhfnb ber Äird)emjerbefferung, beibe halb nad) einanber erfd)ienen, baS ©efangbud) Johann SBalterS
um 1524, unb baS S5reSlauer »on 1525. 3eneS, unter SutherS 2lugen, feiner Seitung, mit feiner, eigenbS
für baffelbe beftimmten Sorrebe herausgegeben; biefeS, einer 3?eibe, jum Zt)til fd)on ein Saht" früher
3*
20
obneÜutberSSKitwiffen erfd)tenener gctftltdber @ingbüd)er firj> anfd>lie^enb, in wctcfje betriebfame Druder bie
bis babin einjeln befannt geworbenen ßieber be3 9ieformators>, feiner ©enoffen, ober anberer ©leicbgefmnter
^ufammenrafften. 2Bir begnügen un§ bier mit biefcr flüdjtigen'Jtnbeutung, ba wir einen ausführlichen 33erid)t
über bteSCßelobieenbücber be§ 16. 3af)rf). un3 vorbehalten muffen. 33etbe S3üd)er bringen un3 brei verbeutfd)te
.£>«mnen mit ibren alten ©ingroeifen : SBalter in vier = unb mebrfHmmtgcr Ausführung, baS 83re3lauer
©cfangbud) einfad), ebne alle Begleitung *, aud) begreift eS auf er ihnen nod) einen vierten, eine Übertragung
beS in ber SeibenSjeit üblid)en: Pange lingua gloriosi corporis myslerium, (SKein' 3ung' errling' unb
frobltcb fing'), ber jebod) nid)t gleid) jenen anbern brei in ber evangetifcben Äird)e fid) allgemein verbreitet
unb bauernb erhalten bat, aud) fd)on an ber ©renje beS fortroacbfenben Äird)engefange§ in älterem ©inne
ftebt. 3>ene brei beiben gemeinfd)aftlid)e Jppmnen ftnb nun folgenbe: ber für bie 2lbvent3$eit beftimmte
Veni redemptor gentium (9cun tarn ber Reiben #eilanb), al§ beffen Urbeber man ben l)eil. 2lmbroftu3
nennt, bie 3eit feiner Grntftcbung alfo in bae> 4te ^«brbunbcrt fe^t*); ber 2Bcibnacbt§bbmm,3 A solis
ortus cardine (ßbviffum mir follen loben fd)on) ben ßoeliuS ©ebuliuS um bie erfte Jg>dlfte beS 5ten %al)X'~
bunbertä bid)tete**); unb ber 4?nmnu§ beS ^ftngfifefteS : Veni creator spiritus (Äomm ©Ott ©d)bvfer bei5
liger ©eul), ben eine alte, aber unjuwerldf ige @age Gart bem ©rofien, alfo ber legten ^dlfte beS achten
3abrbunbertö beimißt***). SSSte frühe bie ©ingweifen biefer ^»nmnen, beren ©evrägc augenfd)einlid) auf
ein botjeö ^lltevtbum binmeif't, in älteren £»mnarien vorkommen, ift mit 58eftimmtl)eit nid)t ju fagen, bod)
bürften fie ifjven für ben ftrcbltcbert ©efang bcftimmten ©cbid)ten gleid)jeitig anzunehmen fetjn.
Diefe SOWobieen erfd)einen in bem 33ree>tauer ©efangbud)e inSgefammt in volfSmäfnger Umge=
(Haltung. 9cur bie bes> Veni redemptor bat in ber erften, britten unb vierten Seite, furj vor beren ©d)luf3=
fallen, jmei fürjere, auf einer ©vlbe ju verbinbenbe S£bne; bie ber anbern beiben $t)mnen weifen jeber©»lbe
mit SSefeitigung aller Dehnungen nur einen Son an. SSei bem Veni redemptor unb A solis ortus cardine
mar tbrer <Scblu^fdUe wegen, bort beS abfteigenben doltfcben, bter beS vf)ri)gifd)en, ber ben Unterl)albton au3=
fehltest, biefer nicht anjumenben; in bem Veni creator ift jmar bie grofjellnterfecunbe vorbem©d)luf?= unb
©runbtonc, ol)ne (Erhöhung aufgezeichnet, boch hat man bei bem Siortrage bamalS obneßweifel bie t leine
angeroenbet. Denn man vermieb nod) , ben Untcrhalbton burd) ein (Erhöhungszeichen vorjufd)reiben, vteU
teid)t weil, beS früheren tird)lid)cn ginfvrud)S wegen, bie erften ©efcer ihn burd) bie ©cbrift anjubeuten
unterliefen, bamit fcheinbar bem Vorwurfe ber ©ntjMung ju begegnen, unb nur bie ©änger anwiefen, fid)
feiner als nothwenbiger 2luSfd)müdung beS SBortragS ju bebienen. Qmau§ mag fobann aügemad) bie ©e=
wohnheit einer bem Vortrage nicht burd)auS übereinftimmenben SEonfcbrift fid) gebilbet haben, von ber man
um vieles fväter, als ihre Skranlaffung aufgehört hatte, erjl jurüdfam.
TlnberS verhält eS fid) mit ben SJcelobieen biefer .Ipnmnen in SBalterS ©efangbud)e. DaS Veni re-
demptor unb A solis ortus cardine erfdjeinen bort in einem fünfftimmigen, baS Veni creator in einem
vierftimmigen Sonfafje. Die SOietobie beS erften zeigt fid) in einem jweijlimmigen ßanon in ber SDberquinte
jwifchen bem Alt unb Senor, nicht allein mit ben ihr urfprüngltd)cn ©wlbenbermungen, fonbcrn nod)
vielen anbern, beS ©d)mudeS, aud) wohl ber Durchführung wegen, hinzugefügten. Die 2Beife be§ jwciten
ftnben wir im Senor, in ihrer unveränberten altertbümticben ©ejlalt, von ben übrigen, begleitenben
') SrcSlauer ©efangbud) 9tro. II. SBaltcr Stro. 20.
21
umgeben; bie beS legten anfangt im SEenor, fobann in ber £berftimme, mit AuSfcbmüdungen, g(eid) benen
ber SÄelobte beS Veui redemplor. Alle übrigen Stimmen bewegen fidj um unb gegen ben £auptgefang mit
mannigfachen auS ihm entlehnten, nachabmenben SSenbuugen. Qkx tritt uns bie Äunft beS SeljerS
entgegen im älteften Sinne, bie baS v>on bem Sänger ©efcbaffcne nur als rohen, ber AuSfcbmütfung be=
bürftigen Stoff betrachtet, unb nicht nach Einigung mit jenem ftrebt. Aud) ift eS augenfcbeinlicb, bafj jene
Art eine geiftlicbe Singweife in fünftlicb/er canoniuher Nachahmung einzuführen, ber Feinheit berfelben
Eintrag tbat, weil fte jumeift Abänberungen unb 3ufä(je erf)eifct>te um eine folcbe £urcbfubrung nur möglich
ju machen, wie eS benn nicht minber ju Sage liegt, baß eine lebenbige gortbilbung im Sinne ber ©runb=
formen beS alten JiirchengcfangeS, unb ber r»on ber ©egenwart an benfelben gesellten gorterung ber SSolfS*
mäßigfeit babei auSgefd)loffen blieb, unb nur eine Umbilbung ftattfanb für einen fremben, wtUfübrlicb
geftellten 3wecf. Nun erfcbeint aber auch bie SKelobie beS Veni redemptor nicht etwa berrfcbenb unb über
alle Stimmen h'nauStbnenb in ber t> b d>flen berfelben, fonbern in jroei SJiittelftimmen, rwn ben übrigen
oerbecft unb »erbunfelt, unb wenn auch ihre erften SSenbungen burch bie nach einanber erfolgcnben Gin*
tritte tiefer anbern Stimmen, bie hier im ^Beginn mmbejienS benfelben ftd) treu anfchliepen, bem 3uf)orer
beutlid) eingeprägt werben, fo boch nicht mehr im ferneren SSerlaufe, wo nur ein tioUrcnenbeS , vielleicht
prächtige^ 3ufammenflingen »ernommen roirb, aber ohne ben gortfehrtft ber £auptmelobie mit Crinbringltch=
feit beroorjubeben. SSBeniger fchon tritt biefeS ©ebrechen henwr bei bem £r;mnuS: A solis ortus cardine.
Seine SDJelobie liegt in ber Senorftimme in unüeränberter, alterthümlicher ©eftalt unb bie übrigen »ter
Stimmen entlehnen ihre, frei bagegen ausgeführten Nachahmungen, auS berfelben; fte roirb alfo in ihrem
gortfehritte beutlicher. Aber auch ß« liegt in einer 9)£ittelftimme, ein ©ebrauch, ben mir mit wenigen AuS=
nahmen — nur jweien bei Sßalter*) — in jener 3ett allgemein finben. SScfrcmben fann eS unS nicht, wenn
wir erwägen, bajj bie älteften Sefeer bie Äirchenweifen, in bem Tonumfänge wie fie biefelbcn aufgezeichnet
fanben, mit bagegen gefegten begleitenben Stimmen ju fchmücfen pflegten, baf? beren Auf$cidmung aber
für männliche, alfo mittlere Stimmen, gefchah, bie ber ©etlichen, benen ihre Ausführung bei bem
©otteSbienfte oblag, tiefer bis gegen baS (Snbe beS löten 3al)rbunbertS beibehaltene ©ebrauch beerte
aber bie lebenbige, allgemein faßliche, h^rmonifche Entfaltung. Senn nur eine »ollenbetcre Äunft als bie
bamalige, bie eben nur bie erften Schritte jum 3iele gethan hatte, wäre im Stanbe gewefen, bie auf folche
SZSeife eingeführte SSKelobie uor 33erbunflung ju fidjem ; eine jtunft, bie fdwn befeffen hätte, waS bie jener
Sage erft fuchte, unb nur allgemach, finben fonnte. Am oortheilbafteften enblid) tritt baS Veni creator auf,
benn feine 9)ielobie herrfd)t jumeift in ber £berftimme, unb wenn auch Anfangs im Senor eingeführt, wirb
fie boch in ihrem Beginne burch bie Nachahmungen in ben einzelnen Stimmen beutlichcr, einbringlicher,
unb ber erfte ©cblujjfall in ber Eberquarte, bie eigenthümlid) mirotybifche SJiobulation, tritt mit üoEer S3c=
ftimmtheit unb Äraft heraus.
2>ie »erfchiebene SSehanblung ber in beibe Sammlungen aufgenommenen 2Seifen alter latetntfdjer
£t)mnen rechtfertigt fich burch ben Stanbpunft beiber. £>aS S5rcSlauer ©efangbud) fpricht fchon auf feinem
Sitelblatte ben SSBunfd) auS, baf? man bei feinen Siebern unb ähnlichen ,, bie jungen 3ugenb" aufer,iehen möge,
— baS eben auS ber Äinbheitheranwachfcnbe©efchlecht — , in ben SDielobieen alfo forberte eS vor Allem t>olfS=
mäßige Einfachheit. £aS SBalterfdje war wohl auch ber 3ugenb gewibmet, bod) ber funftfinnigen, fünft*
") £a$ nad^cr ju betrac^tenbe Veni creator, unb : Äomm fjeitiger (Setfr, £errc ©ott :c. (9Jro. 2.)
— 22
übenben, erwacbfenen, um fite für fd)mudt>ollen ©efang geiftlid)er Sieber ju gewinnen, bie ernjte Zon
fünft baburd) ju beforbern , unb bie eri)6bte Siebe ju berfelbert jugleid) für bie 'Ausbreitung ber gereinigten
Sefyre wirFfam ju machen, ©agt bod) 5Jutf)er felbjt in feiner 58orrebe ju biefem ©efangbuebe: ba bie 3ugenb
in ber SCRuftca unb anberen rechten fünften erjogen werben muffe , fo fei eS ibr9cotl), baß fte ber 33ubl;
lieber unb fleifd)lid)en ©efdnge loS werbe, unb an beren Statt etwas beilfamcS lerne, unb alfo baS ©ute
mit Suft eingebe, wie ben Sungen gebübre. £>ie Äunft aber folle burd) baS (Süangetium nicht ju S3oben
gefcblagen werben, fonbern bem bienen, ber fte gegeben unb gefebaffen b«be. Tin beiben 33üd)ern erfennen
wir auf baS beutlidbfte bie a>erl)dltniffc unb bieS3efd)affenl)eit unfereS eoangelifcbenßboratgefangeS innerbalb
ber erjten jebn Safcre feines S3eginnenS. gür jefct freiließ nur in einer beftimmten einjelnen 9f id)tung , bem
(Streben nad) Erneuerung beS ©efangeS ber alten .Eird)e ; allein eS tritt unS babei jugleid) bie einer jeben
3iid)tung auf biefem ©ebtete gemeinfame £l)ätigfcit beS ©dngerS unb beS ©e^erS entgegen. Unb wollten
wir annebmen, baß bie jenes erfien nur ba als wefentlicb üorbanben gelten Fonne, wo ganj neue
SSJeifen burd) fic gcfd)affen werben, fo bürfen wir bod) jenes Umbiiben, baS lebenbige Überfein — um
eS fo auSjubrücFen — auS ber Sonfpracbe einer altersgrauen 3eit in bie lebenbige ber ©egenwart, einer
wahrhaft neuen ©ebbpfung Dergleichen, jumabl wenn wir feben, auf wie »erfebiebenem SBege man
bemübt war in ben ©inn jener alten Söcclobieen einzubringen, ben redten Äern berfelben unter bemjenigen
ju entbeden, waS nur alS jufdlliger, ber SSolFSmdßtgFeit wtberftrebenber ©d)mud erfebien. £>urcb SBergleu
d)ung unferer beiben SOZclobieenbücber mit anberen fpdter erfebienenen, wirb unS btefeS anfebaulieber
werben. SSir wdblen baS um 1535 bei Sofepb Älug in Wittenberg erfd)ienene geijtlichc ©efangbud), unb
wbinben bamit bie vorläufige ^Betrachtung einer, um 1544, bei ©eorg 3?bau bafclbfi berauSgeFommenen
©ammlung üon 123 t>ter = bis fecbSftimmigen Siebern vfür bie gemeinen Schulen-, um baran baS allgemacb
bejtimmter fid) cntwidelnbc SSerbdltniß beS ©e^erS ju bem ©dnger ju erFennen. Sene frübere ©amm=
lung bietet, außer ben brei, bereits erwdbnten £hmnen, unS noeb ben, wabrfdbeinlicb bem 8ten 3abrb"nbert
Angehörigen : Christe, qui lux es et dies (Sbrifte ber bu bijt Sag unb 2id>0 unb ben, gewbbnlicb bem beil.
AmbroftuS jugefd)riebenen, allein wobl erft im 5ten 3abrhunberte entjtanbenen Sobgefang: Te Deum lau-
damus (£err ©Ott bid) loben wir) — wenn wir biefen, feiner gewbbnlicben 33ejcid)nung jufolge, ben
^)t)mnen beireebnen wollen, obgleich in ber Urfpracbe ibm ein beftimmteS SJJiaaß fefjtt , unb in ber beutfeben
Übertragung nur je jwei unb jwei gleicbe gereimte 3cilm neben einanber jtel)en. Siefen legten entbalten aud>
bie Sieber oon 1544 (iJZro. 122, 123.), wogegen ibnen ber erjte feblt. @S finb aber jundebft nicht biefc
neuaufgenommenen ©ingweifen, bie unfere AufmerFfamFeit auf fid) rid)ten, fonbern eS ifi bie »on bem febon
juüor betrachteten £r;mnuS: Veni creator, bie fid) l)ier in »erdnberter ©eftalt jeigt*).
Sie mirolpbifcbe SBeife biefeS ^rnnuS") weid)t (ber Statur ibrer ©runbtonart jufolge) jundcbjt
nad) ber £berquarte auS, fobann nad) ber £berquinte, alfo bem ndcbft üerwanbten 3onifd)en unb Sorifcben,
•) Kol. Ii. 1535. SKrc 28. 1544.
") Urmclobic (bei 2. SoffiuS).
23
unb ftnbet ihren Sfücfweg in ben ©rtmbton burch eine abermalige "Diobulation nach bev Cberquarte. liefen
Sonwecbfel finben wir in ben bciben Sammlungen »cm 1524 unb 1525 beibehalten, boch weichen in bem
Sreflauer ©efangbuche bie melobifchen SBenbungen, burch welche bie SJiobulation bei bcn Schlufjfällen ber
einjelnen 3eilen ftd> barfiellt (wenn auch nicht bie Übergänge felbfrj , t>on ber Urgewalt ber SDielobie etwas"
ab. 3>nn es waren, ber rfmtbmifchen ©ebrängtheit wegen, mehre Snlbcnbebnungen ausjufcheiben, unb
baburcb mürbe entweber eine abmeicbenbe Scbtufswenbung bebingt, roenn nicht wefentlichere, mehr eigen;
thümliche 3üge ber Sftelobie aufgeopfert werben follten: ober man fanb einen melobifchen gortfcbritt in ber
?0titte ber Seile, in welchem ebenfalls ber fpätere Scblufjfall fchon angebeutet mürbe, anmutiger als ben,
ber ihn nachmals wirf lieh einleitete, unb wdf)tte oorjugsweife jenen erffen. Ss war, wie wir es fchon juoor
bezeichneten, eine Überf e£ung auf einer faft »erflungenen Sprache früherer Seit in bie ferftänbliche ber
©egenwart, eine Annäherung, bie in gleichem Sinne, aber burch terfchicbene SDiittel gefchehen fonnte.
3n ber SSafJl biefer Nüttel nun ift baf SSittenberger ©efangbuch oon Sofeph Älug abweichenb »on bem
83ref lauer. £er Herausgeber t>at ef hier für angemeffen gehalten, bafj ber erfte Scblufjfatl nicht burch fcen
Unterhalbton bef Sonifchen, auffteigenb gefchehe: er hat ef üorgejogen, ber Urmelobie ftcb, genauer
anfcbliefsenb, ihn im A bfteigcn burch bie grofje Tberfecunbe ju bilben, unb eben fo ift er in ber
^weiten 3eile bei ber Aufweichung in baf Sorifche oerfahren. Sn ber britten Seile bagegen ift er t>on feinem
Urbitbe weiter abgewichen, inbem er fogar bie 9Jiobulation oeränberte; er hat bie erfte , unb bie brei legten
iJcoten biefer Seile ganj befeitigt, unb »on ben auf biefe SBeife beibehaltenen, ben acht Selben berfelben
entfprechenben acht klangen, bcn vierten an bie fechfte Stelle oerfefet. Allerbingf nur ein Auffcheiben, unb
ein geringes Umftellen, baf jebocb nunmehr eine 9Kobulation nach bem Sorifcben, unb nicht ferner in baf
3 onif d> c, jur golge gehabt hat; eine ber©runbtonart angemeffene, in einer mittleren SBcnbung bieferSeile
allerbingf angebeutete, aber nicht mehr bie ber alten ©efangweife. Sn ber lefeten Seile wirb ebenfalls wieber
ber ScblugfaU nicht im Aufzeigen, fonbern abjteigenb gebilbet. SBelche biefer Überfefjungcn bie beffere, ja
auch nur bie treuere fei? ift fcbwer ju entfcheiben: wir würben juiwr uns baruber }U oereinigen haben, ob
wir bem näheren Anfcbliepen an bie melobtfche SBenbung, ober an bie Aufweichung ben fBorjug
geben wollten. £ap aber SBeibef in 33e$ug auf rfwthmifche ©eftaltung nunmehr ©egenftanb ber Aufmerf*
famfeit bef SEonfünftlerf würbe, bafj hierauf bie bei ber Umbilbung bef- Alten oon ihm befolgten ©runbfäfje
ftd) entwickelten, leuchtet ein auf bem gegebenen 53eifpiele; auf biefem SBege mufjte bie gefammte ©runb-
läge ber Sonfunft allgemach erweitert unb befeftigt werben, unb wir feben hierin auff neue, wie baf @nt-
ftehen unferef eoangelifchen .RtrchengefangeS auch fcaju mitgewirft hat.
@ine ähnliche burchgreifenbe Abweichung nehmen wir nicht wahr an ben Umgejtaltungen ber Wle-
SBreeUaucr ©efangbuef) (1525).
ÄlugS ©cfangbud) (1535).
-O-
®ie ältere Umbilbung biefer 9Mobie fiefje Sero. 119 ber SBeifpieifammtung in 3ci?. Sccarb'S fünfftimmigem,
bie fpätere eben ba ?Cro. 97 in fDcidjaei 3)ratoriuS üierftimmt'gcm 2eni'a^e.
— 24
lobteen von ben anbern betten 4?mnncn*) : Veni redemptor, A solis orlus cardine. SBet tcr erften war bie
urfprünglichc 2Bcnbung ber jweiten Seile nad) ber Dberqutnte (in ba§ ^hrpgifthe) gletd? Anfangs in eine
SJiobulation nad} ber f leinen Dberterj (bem 3onifd)en) »eränbert morben, woburd) unmittelbar aud) eine
abwetd)enbe mclobifcbe 2Benbung , baS 2Cbftetgcn um eine große Serj , »on ber £)berquinre be3 @runbton§
nad) beffen fleiner £)berrerj, herbeigeführt würbe: eine Umwanbtung, bie man balb überall annahm,
unb baburd) ba3 ©eprage biefer SRelobie allgemein fefhMte. Die be£ anbern beiber Jppmnen rourbe mit
allen urfprünglid)en AuSwctdnmgen beibehalten, unb in Au3fd)eibung ber ©nlbenbehnungen »erfuhr man
jumetft übereinfttmmenb, fo bafj bei ihr etmaS S3ebeittenbc§ nicht ju erinnern ift.
Dagegen giebt biefelbe in ber ©eftalt rote fte in ben ©efangen für bie gemeinen Schulen erfcheint,
un§ wieberum ju erheblicheren 33etrad)tungen Einlaß. SBenn mir bereite hier auf ben mebrftimmigen Sonfaljs
eingehen, obgleich mir ben ©e^ern gctftltdicr £iebwctfen in biefer 3eit, eben wie ben SUielobieenbüchern
bie in ihr erfchienen, eine befonbere ^Betrachtung vorbehalten; fo geflieht bieg nur barum, bamit baü>
SSerfyaftntjj beg ©ängerS unb ©efjerS in jenen früheren Sagen ber Äirchenoerbeffcrung im Allgemeinen naher
jur 2lnfd)aititng gelange, bannt man bie elften , leifen ©puren jener Erneuerung beutlicher mahrnehme, bie
mir juüor rühmten.
Die 2ieberfammlung öon 1544 theilt mit bem alteren 2Balterfd)en ©efangbuche ben Übelfianb,
baß bei ben meiften l)armonifd)en 33el)anblungen bie ÜBielobie im SEenor erfcheint, obgleich hier fchon bei=
nahe ber jehnte Sheil be§ ©anjen — 12 pon 123 — fte in ber SDberftimme geigen, alfo ba§ 5Bcrt)dltni^
ftd) günftiger gehaltet al3 in jenem, mo bie§ unter 38 mehrfrimmigen beutfd)en geiftlichen Siebmeifen nur
:,weimahl ber gall ift, alfo bei einem Stcunjchnthcit bc§ ©anjen. Sene altere Einführung ber Siebweifen
aber ift ein Übelfianb ju nennen, nicht allein wegen ber nothwenbigen SSerbunflung ber SOJelobte burd)
bie über ihr liegenben, höheren ©timmen, fonbern aud) be§balb , weit bem SBefcn ber h<vrmonifcben Ent=
faltung berfetben, bem nachbrücf liehen Aufragen ber SQiobulafton, baburd) Eintrag gefchahe. Der ©efcer
jener 3eit, auf mannid)fad)e SEonperbinbungen bcbad)t, Permieb bauftg, ju bem Sone, mit bem bie £enor=
ftimme ben ©chlufjfall barftellte, bie ihr unmittelbar nahe ©runbfh'mme ben Einflang ober bie £)craüe
nehmen ju laffen , mie er bod) hätte tlmn muffen , um bie Aufweichung hervorzuheben ; ober wenn er ftd)
baju genbthigt fahe, fud)te er vcrmirtelft ber oberen ©timmen ben baburch herbeigeführten Etnbrud ber Ein=
ftimmigtat mieberum ju vermifchen, unb bie SOiobulation auf eine anbere S5al)n ju leiten, ©o ift e3 na=
mentlid) burch 23altt)afar 9?efinariu$> gefchehen, ben ©e^er berSBeifen: Äomm ©Ott, ©d)öpfer, hei;
liger ©ei|r, unb: 9hm fam ber Reiben £eitanb, 9cro. 28. unb 2 ber ©efänge für bie gemeinen ©chulen.
Der AuSmetchung ber erfren Seile jener erfreu SCRclobte, auf ber mirolpbifchcn SEonart nach ber ionifeben,
legt SJeftnariue» nicht ben ©runbton biefer legten, C> im SBaffe unter, fonbern A, bie fletne Unterterj biefef
Sonef : in ber britten 3eile begleitet er jwar ben ©chtußton ber 9Jiclobie, ü, burch feine tiefere Dctape im
S5affe, allein bie beiben £)bcrfttmmen leiten auf betben SEbnen eine Aufweichung nach G ein, bie ftcb bann
') SRad) £uc. CoffiuS in ^rätoriuö £t>mnobia.
Skeetaua Gkfangbud).
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unerwartet nad) E wenbet; t»te ©igentbümlid)feit ber SSortart fo wenig, al§ feie ber2fu$weid)ungen feer in tf>r
gefefeten SJIclobie formen Jenaer; jur 2tnfd)auung gelangen. Sn ber SBeife: 9hm fomm ber Reiben ^eifanb,
wirb ber ©cfylufjwenbung ber erfien Beile, nad) bem ©runbtone jurüd, im 33affe bie große Unterterj
untergelegt: eine 2(u$weid)ung, bie großartig unb feierlich erfd)einen fbnnte, würbe beren ttuSbrucf niebt
babureb wieberum gebänwft, baß ber Übergang ber ^weiten 3eile nad) ber fleincn Eberterj (bem Sonifcben)
burd) Unrcrlcgung ber f leinen Unterterj, matt abfallenb, in ben ©runbton jurüdgeleitet wirb, in bem of>ne=
bicS bie beiben anbern 3eilen fd)licßen. 3u bem v orlefjten ScblußfaUe enblid) muß bei Steftnarius? ber £enor
burd) ben Scblußton ber SOielobte ben S3aß bitten, benn bie ©runbftimme fteigt über tyn btnauf. ©egen
bie JBebanblungcn biefer beiben SJMobieen jeid>net fieb bie ber Söeife be§ ßiebeä »ßbriftum wir fotlen
loben febon , ber beutfeben Übertragung be3 ^>pmnu§: A solis ortus cardine (9lro. 4) »ortf>ettf>aft au3,
bie, weit in unferer Sammlung mit feinem tarnen bezeichnet, wofyl üon bem Herausgeber, ©eorg
SRfyau, betrüb"" bürfte, ber aueb al§ Sonfetjer gerübmt wirb*). £icr finben wir bie SCRelobie in tt>rcr
urfprünglicben unoeränberten ©cjtalt, unb in ber Tberftimme, beutlid) beroortretenb. 6§ gefd}icl)t niebt
feiten in mebrjh'mmigen ©cfängen biefer, unb ber um SBcnigcS fpätcren 3eit, baß pbr99tfd)e 93Zelobieen
burdi ben unterlegten 33aß al6 dolifebe erfebeinen; in ©oubimebS öierfftmmigen franjbftfcben Pfannen
finben wir e§ fegar burebgängig, mit alleiniger 2luSnabme bc3 142ficn 9)fa(m§, ber einen regelmäßigen
pbrpgifdien <2d)luß tyat. S3ei ber Jßcbanblung unferej» ^pmnuä wirb unter ^croorbebung einer jwei=
ten ;Jöaiwtbe$iebung feiner ©rimbtonart, beffen uralte pbrt)gifd)e SSeife als eine ionifcfye in ibrem
Scblußfalle bargeficllt. 2ülerbings wirb bierin nid)t fowobl ba6 oolle ©epräge ber Tonart felbft auSgebrüdt,
aß nur beftimmter einjelner Neigungen bcrfelben. Allein e3 war bod) bie SSKelobie, bie burd) bie £ar=
monie aufgeprägt, jur 'tfnfdiauung gelangte ; e§ waren bie barmonifd)cn $8erf)ältniffe il)rer 2lu3weicbungen
unb bereu manniebfaebe 2luffaffung, bie baraus? berüorgcfjcnbe 3fbfcr;attung bc3 3lu&brudö, fo wie beren
Sufammcnbang mit ben 33efonberbctten ihrer ©rimbtonart, an benen enblid) beren solle Sigcntl)ümlid)feit,
if>r barmonifeber ©ebalt, beutlid) b^f ortrat. 33etracbten wir bie üorliegcnbe SQtelobie genauer, fo finben wir,
baß btcfelbc nad) einem unregelmäßigen Anfange (burd) bie große Unterfccunbe ifyreS ©runbtonS ) junäd)fi
einen pbrpgtfcben <2d)lußfall jeigt, fobann einen ionifd)en, in ber brüten 3ette einen äolifeben, biä fte in ber
legten wieberum einen pbrpgifcben barfkllt. SSeibcn pbrngifeben «Scblußfällcn nun ift f>ter bie große Unter=
terj C, ber ©runbton beö 3pm'fd)en, untergelegt, unb wenn t)iemä) fd)einbar aud) jweimabl eine 9J?obula=
tion nad) biefer Sonart in unmittelbarer golge erfebeint, fo jeigt fte fid) bod), gegen ben ©ang ber SJlelobie
gebialten , beibe SOcafile in gart) r>erfd)iebenen S3erbältniffen. Überrafcbenb unb unerwartet tritt fte ba§ erfre
SEJlabl beroor, ba fte un§ ben Scbtupfatl al§ eine wirf liebe 3lusweicbung barfiellt, unb nid)t, wie wir »orauS--
fe^en burften, alä eine 3iüdfcbr in ben ©runbton; berubigenb unb erbebenb bei ibrem jweiten SSorfommen,
weil fte bie, febon in ber SOielobie oorbanbene 2tu5weicbung nad)brüdlid) ausprägt; beibe SOtable alfo aud)
Don eigentbümlicber Jßebeutung. 2>ie britte, äolifebe 2tu^weid)ung wirb Anfangs burd) einen Srugfd)luß
nacb F aufgebalten, unb in bem näcbften Safte erft wirflid) bargeficllt. £>ie le^te enblid) berul)t wefentltcb
ebenfalls auf einem Srugfcbluffe, inbem febeinbar ein »oller (£d)luß nad) A auf E, al§ Dominante biefeö
SoneS, ju bem fortballenben ©d)lupflange ber SDZelobie eingeleitet, bann aber bem weieben Sreiflange auf
E unerwartet ber fyaxk auf C angeregt, unb burd) itjrt bas ©anje beenbet wirb. 2Bir feben bierauS, baf,
') <B. ffieifptet STCro. 13.
r. SBintetfett , ttr erangef. S^cratgeratig.
4
26
wo bie Gelobte burd) tfjre Stellung ju ben übrigen (Stimmen ffd) afä fjerrfcfyenb bewäbrt, audt; erfr eine
»afjrfjafte ^armontfd)e Entfaltung beginnt; wie mir unS fpdter überzeugen merben, bafi jemefyr biefe ju
einer waf>rf>aften 33lütl)e reifte, aud) baS einführen ber £auptmelobie in eine SKittelftimme, mit wenigen,
feltenen 2tuSnal)tnen , allgemad) ganj aufborte.
SSon bem wcfentlicbficn (Sinfluffc auf biefen gortfct>rttt mar aber bie Äirdjenöerbefferung. £>em
(Sinne, au§ bem fte beroorgteng, fonnte eS nid)t genügen, bafs bie Sonfunft in ber &ird)e ©egcnftänbe beS
©emcinegefange§ überhaupt nur bei) anble, fte follte babei aud) in ein lebenbigereS 33erf)ältnif3 treten ju
ber ©emeine, il)r üerftänblid), eingänglid) werben; fte füllte, mo mbglid), felbft il)rem ©efange ftd) anfeilte-
fjen, rttdjt länger als ein ©etrennteS ibm bloS gegcnüberftel)en. SBenn aber aud) Äunjtgefang neben
bem ©emeinegefange bergebe, follte er bod) all beffen l)bl)ere S3lütfje erfcfyetnen. 3>n Ü)rcn elften Siegungen
nebmen mir biefe geiftige 9fid)tung, il)r (Sinmirfen auf bie Äunft, i)kx mal)r; mir merben fte, je länger je
mebr, fräftig bevoortreten unb l;errfd;enb merben fefyen.
Sie 9JMobie beS £wmnuS: Christe, qui lux (ßbrifte, ber bu bijl Sag unb 2id)t) erfd)eint in
ÄlugS ©efangbuebe ibrem SBefen nad) unveränbert, nur baft bort einige SJMtSmen auSgefd)ieben ft'nb.
4?armonifd) bebanbelt ftnben mir fte erft in ber jmeiten $älfte beS 3«f?rt;unbcvtä. £>ie SBeifc : ^err ©ort
bid) loben mir« ift ibrem 33aue nad) ber alten SJlelobie beS Te Deum laudamus übereinftimmenb, menn
biefe aud) an einjelnen (Stellen bureb SBenbungcn unb Sd)mucf von il)r abmeid)t. Sic bcftcl)t auS üierjebn
2lbfd)nitten, öon benen ber jmette breimabt, ber britte jweimabl, ber fünfte unb feebfte fed)Smabt, ber
elfte breimabt ju mieberbolen ift; aud) fttmmen ber fiebente, ad)te unb neunte in il)rer legten £älfte völlig,
bie beiben legten aud) in bem <Sd)tufifalle il)rer elften 4?älfte überein. S)iefe gorm, weld)e fonft bei ber SOZe*
lobie feine§ anberen JpumnuS oorfommt, näl)ert bie beS Te Deum ben äbnltd) geglicberten formen ber Se=
quenjen. S3 altf>afar 9?eftnariuS, ber fte in ben ©efängen für bie gemeinen <Sd)ulen (9Zro. 122; üier=
ftimmig bebanbelt bat, fül)rtft'e, nad) bamaliger SBeife, jumeift im Scnore ein; bod) erfd)eint fte in ber
legten £älfte beS fed)ften, ftebenten, neunten, jebnten, elften, unb im brannten 3lbfd)nitte in ber £)ber*
ftimme. Äeiner ber bäufig vorfommenben »brwgifcben Sd)lufjfälie ift l)icr alS fold)er bebanbelt: jumeilen ift
benfelben bie grofje Unterterj, bäuft'ger bie £luinte untergelegt Sie ft'nb bal)er als ionifd)e unb äolifdje
bargejtcllt, mie benn bie 3luSmeid)ungen jmifd)en biefen beiben Sonarten unb ber miroh)bifd)en med)feln.
(Srfl im %ab.re 1545, in bem von Valentin 33apft ju Seipjig berauSgegebenen ©efangbud)e, bem
ßutf)er eine befonbere SSorrebe beigegeben bat, worin er »biefen luftigen £>rucf beS SSalttn 33apft« rüt)mt,
unb wünfd)t »bafj bamit bem römifd)cn S3apft, ber nid)tS benn £eulen, trauern unb £eib in aller SBett
angerid)t burd) feine verbammte, unträglid)e unb leibige ©efefee, groß er 2Cbbrud> unb Scbaben gefd)ebe«;
erft in biefer Sammlung crfd)eint ein fed)fter £nmnuS — ober ein ftebenter, wenn wir baS im S3reSlauer
©efangbuebe t>on 1525 feiner SDMobie nad) unoeränberte Pange lingua (9JIcin' 3ung' crfling unb frbf)Itd>
fing; mitred)nen, baS aud) in 33apftS Sammlung wieber aufgenommen ift. @S ift ber, wobl bem ad)ten
3abrbunberte angel)brenbe: 0 lux beata Trinitas (£»er bu bift brei in (Sinigfeit). Seine alte, mirotwbifcbe
SBeife erfebeint i)iet ol)ne erbeblicbe S3eränberungen. SSor SucaS Öft'anber, ben wir fpäter als benjenigen
werben fennen lernen, ber bem mebrftimmigen, aber einfad) gcbaltenen ©efange beS GboreS aud) ben
ber ©emeine ju Bereinen txad)kte, finben wir biefe Sülelobie nid)t gefegt, baS S3erl)ältnip beS SefeerS ju
bem Sänger um bie Seit tfjrer 2lufnal)me in ben eoangelifd)en Äird)engefang ft'nb wir alfo barjulegen aufier
Stanbe. £)er ^)»mnuS : Herodes hosiis impie (SSBaS fürd)ftu geinb ^crobeS fet)r) ifi fyex nid)t mit^
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jurecbncn. VRcm fang ihn nach berSEBeife bc§ fcbon betrachteten : „A solis ortus cardine"; mit feiner
eigenen SKelobie evfdjetnt er erjr nach ber Witte fce§ SabrbunbertS (15G0) in bem großen ©trajjburger
£irchengefangbud)e, unb biefe ijt meijt nur örtlich, in ©ebraucb gefommen.
9Jleb,r aU jene fteben £r;mnen=S!JMobieen ftnben roir im Saufe be§ 16ten SabrbunbertS bem et>an=
gelit'd)en Jtircbengcfange nicht bauernb angeeignet, wenn auch örtlich bie eine ober anbere, felbft mit 2Inroen*
bung au* fvembe fiieber, jum SSorfcbein fommt. Gnn befonberer 3roeig beffelben freilich, ber Äircbengefang
ber böbmifcb > mährifcben 33rüber, t)at beren roeit mehre aufgenommen. 2fufjer ben fchon genannten erfcbei*
nen beren fteben anbere noch in bem SSJWobieenbucfye, bas> SDticbael SBeiffe um 1531 »jum jungen SSun^el«
bcrauSgab*); anbere »ter in ber Umarbeitung btefeS ßantionatS burcb Sobann Sporn**) noch anbere fünf
fügt tiefen baS abermabß überfebene unb »ermebrte Äircb.cngefangbucb t»on 15G6 bit^u***). 2Bir fernen
bort biefe SDMobieen tbeilS Umbilbungen ber ^mnen gefeilt, benen fte früher angehörten, tbeilS fremben
Siebern ; »on bort au3 aber haben fte ftd) nicht bei ben Sutberifcben eingebürgert, wenn auch. fpäterbin ein
S3erbältntfj gegenfeitigcn (Jntlebnenä jtfifchen beiben .ftircbengefängen ftd) anbahnte, beffen roir jum £t)dl
hier bereits roerben ju geben! en , fpäter jebocb genauer baoon ju berichten haben.
@S ift bejeicbnenb für bie SJMobieen ber £pmnen, bafs, roie fte ftropbifcben ©efängen ftd) anfcblie=
jjen, aud) eine innere 3£brunbung, mehr roie anberen Äircbengefangen ihnen eignet, bie fte bem ßiebmdpigen
naher fteUt, unb ju Umbilbungen für ben fachlichen ©emeinegefang üor jenen geeignet macht, ©iefe
(Sigenfchaft theilt bie SBeife be3 tfmbroft'anifcben SobgefangeS nid)t mit ihnen, ber, nicht metrifcb roie fte,
in ungebunbener 9iebe ftd) beroegt; nur in uneigentlichem ©inne führte er mit ihnen gleiche SSejeichnung,
aud; hat feine 9Jielobie niemals ^ie »olfSmäfjige Siebform erhalten, roenn fte gleich einige Umbilbung erfuhr.
Sn biefe Jorm ftnb aber brei anbere lateinifche ©efänge gehaltet roorben, roelche bie fatholifcbe Äircbe theil§
mit bem tarnen ber ©equenjen auSbrüdltcb bejetcbnet hat, ober bie burcb ben SSau ihrer SJJelobieen
©efangen tiefer %vt boch fcbon genähert ftnb. £>er erfle berfelben ijt ber alte £{tergefang : 2£lfo f> eilig ijt
ber Sag, ber in biefer ©eftalt fcbon über bie Äirchenoerbefferung hinaufreicht; eine einzelne <Stroy>r)e,
einem ©ebid)te elegifcben 9Jiaaf]je3 nachgebilbet, ba3 ben SSenanttuS £onoriu3 SlemcntianuS gortunatu§,
SBifcbof ju 9)oitier3 in ber legten £älfte be§ 6ten ISabrbunbertS jum Urheber hat: Salve festa dies, toto
venerabilis aevo etc. 2Sir finben ihn häufig ben Ruinen beigejählt, mit benen er boch nur ba§ bejtimmte,
') 1. Conditor alme syderum etc. (®ott bem Sßater fei 2ob unb 25anf tc.)
2. Lucis creator optime etc. (ß$ t'ft je|t um bie S3c6pcrjeit:c.)
3. Pange lingua gloriosi etc. (Sobfing t>eut o ßtjrtftenfycit, unb ban! ©Ott mit 3nnigfeit je.)
4. Rex Christe factor omnium etc. (©Ott Ijatt' einen SBeinbcrg gebaut:c.)
5. Sanctorum meritis etc. (D Herre ßfjrift, ber bu ganj freunbttd) bift:c.)
6. Urbs beata Jerusalem etc. (Äomm ^eiliger ©eift, rcafjrer ©Ott, bcine ©nab' ift un$ fcbr Sßottyte.)
7. Vexilla Regis prodeunt etc. (Seijt tjeut an wie ber fSlcffiaS, GijriftuS auf einem 6fct fafnc.)
"") 1. Ave maris Stella etc. (©Ott 83atct gebenebeitic.)
2. Beata nobis gaudia etc. (ßijriftuä fchüt aui in alle 2Belt:c.)
3. Crux fidelis etc. (3fjr ßfjriften feijt an ben Äönig unb ^»eilanb, ben uns ©Ott ber SSater l)at gefanbtzc.)
4. Investor rntuli etc. (freuet euch alle gleid}, lobet ©ott im Himmelreich jc.)
") 1. Adsunt festa jubilaea etc. (2>as Eeben ßljrifti unfcreß Herrn, laft uns preifen mit allen Sfjrnjc.)
2. Ex more docti mystico etc. (3efuS warb balb nad) feiner Sauff, in bie 2Büft' geführt jum Mnlauffzc.)
3. Jesu quadragenarie etc. (2flS Gbrtftuä f)ie auf (Srbcn war, prebigt er ber jübifd)cn ©djaarjc.)
4. Vita saoctorum etc. (Jperr (Sijrift, beS SebenS Cuell, aller ©nab' unb SBaljrljeit jc.)
5. Jesu dulcis memoria etc. (SCBie fü^ ift bein ©ebäcbtnijj, Herr Sefu ßijriit, ju aller grifhe.)
4*
28
btcbterifcbe 9Jioof? tfycilt; feine ©ingmeife ober beutet hinüber ju ber?$wnt ber ©equenjen. £>iefe jcicbnet
ftd) ou§ burd) beftimmte melobtfd)e 2lbfd)mtte, bie entmeber im ©anjen, ober in einzelnen il)rer Steile mit
«inonber wcd)feln. £>ie 93Zelobte ber urfprünglid)en loteinifd)en £ud)tung unfereS SjlergefangS bejtetjt ouS
jmei folct)cn tfbfdljsen, beren erfter, in jroei Steile ftd? fd)eibenb, mit ilmen hinter jeber SBieberljolung be§
jwetten mecbfcBroeifc ftd) bbren idfjt. Unfer bcutfd)e§ ßieb, bas> 2utber ju ben ölten jdblt, t>at tt>!e
bie poetifcbe gorm fetne§ UrbilbeS nid)t berüdft'd)tigte, aud) bie muftcaltfcbe in mir ganj allgemeinem ©inne
fidb angeeignet, bafyer fmbet ftd) feine SDZelobie in werfet) i ebenen ©ingebüd)crn mit bebeutenben 2lbroeid)utv
gen. 2lm frübeften begegnete fte mir feit ber itird)em>evbefferung in 9ERid)ael SBeiffenä gciftlid)en (befangen,
um 1531; jroar mit einem SDfrcrltebe, ober nid)t bem, bo6 unS je|t befd)dftigt. ߧ rotrb bter eine fteben=
jeilige <Stropr)e ju ifjr gefungen :
SSater, bir fei Sanf gefagt,
bafs e§ beiner SSet§f>ett t)at besagt,
burd) bein' etngcbornen ©ofyn
ber SBelt £ülfe ju tfjun zc.
ber eine Einleitung ju einer anfttngenben SQSeife vorauf gebt :
freuet euct) beut alle gteid)
o it)r ßf)riftcn tugenbrcid) :c.
Unfcre 9JMobie bot in ibrer erfien unb britten Seile gleite melobifd)e SBenbungen; bie ber jweiten
unb vierten ft'nb, bi§ auf ben ©cbjufüfall, einonber öfmlid), bie ber fünften benen ber jweiten gteid), bis auf
eine unbebeutenbe melobtfcbe 3tu§jierung; felbftdnbig erfebeinen bie ber fed)jten unb ftebenten Seile. 2)te
SEftobulation fdjwonft jttufeben bem ©runbtone unb feiner großen Untcrfecunbe, olfo jtt>ifd)en bem 9)brb9i;
fd)en unb £)ortfd)en auf fonft ungeroolmlicbe SBcife. Sorifd) enben bie erfte, brttte, »ierte unb feebfte ßeile,
alfo bie SSKet)r§ar)lr »brogifd) bie übrigen, bie jmeite, fünfte, ftebente. £)iefe3 Übergewtd)t be3 £)orifd)en,
jumabt aud) bie SDMobie mit beffen ©runbtone beginnt, fyat oft SScranlaffung gegeben, biefelbe, roieroobl
mit Unredjt, aB borifd) ju bejeiebnen. S5ei ben mat)rifct)en 33rübem febetnt fte befonberS beliebt gemefen
ju fewn : beren »ermebrteS Äiret)engefangbuct) »on 1506 bat fte nod> einem jroetten £)fierliebe üon jroblf
Seilen anbequemt, beffen erffe t»tcr Seilen mit ben folgenben wicr gleid)e SBetonung boben:
£) wie lieblid) ift biefe Dfterjeit,
Unb fo fröltet) , baf$ ftd) ber ntemanb g'nug freut zc.
Sen frübeften mebrftimmtgen Sonfa^ berfelben mit bem ßiebe: »2flfo fettig tft ber Sag« ftnbe id)
1544, in ben 123 Siebern für bie gemeinen ©dmlen (9lro. 27) : er rüt)rt »on ßubwig ©enfl b«*)*
unter ben fed)§ ©timmen, au§ benen ba§ ©anje ftd) jufammenmebt, — ein jweiter ©bpran, ein 2tlt unb
SEenor — fütjren bie SOZetobie, in bem Tonumfänge be§ tierfe^ten ^Ot)rt>gtfcr)en (ber Sonart be§ ©anjen),
unb in beffen urfprüng(id)er Seiter. ©o rotrb fte canonifd) noebgeobmt in ben SSerbdltniffen ber Unterquarte
unb Unteroctawe; flr eng, in ber golge ber Sonüerbältnijfe, frei, in ben Swifcbenrdumen beS Eintritts ber
©timmen, unb ben rbt)tbmifct)en8Sert)öltniffen ber Söielobie. Spiet bot fte nur fed)ö3eilen, roie fonft gen>bbn=
lieber fteben. S3on ibnen fd)liepen bie jroeite, fünfte unb feebfte im ©runbtone, bie anbern um einen £on
tiefer, fonft ftimmen bie erfte unb britte, bie jweite unb üierte melobifd) überein, mit 2tuSnobme be§ bo^
*) SBcifpicl 9lro. 5.
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rtfchen ©dilufifalB tiefer legten; bie fünfte unb feebfte fteben für ft'cb ba. ^coeb eine anbere "Mbroeicbung
jeigt bie ^reupifebe Singart biefeS 2iebe§, nach ber e§ 3obann decarb in feinen 9)reufüfd)en geftliebern
behanbelte*). Sr>iex erfebeint jebe 3eile melobifd) felbftdnbig; bie erfte, jrocite, fünfte, ft'ebente, mit pb,rn=
gifebem ©cblutjfalle, bie britte unb »ierte nacb h, ber £bcrquinte bcS pbn>gifcben ©runbtonS geroenbet, unb
bie borifebe 2lii*rocicbung allein auf bie feebfte 3etle jurüdgebrangt. Sie Harmonie aber gejlaltet biefe Sflo*
bulationen, einmabl ionifcb (am ©ebluffe ber erften 3eite> , jroeimabl d o tt f cb (in ber jroeiten unb
fünften), breimabl pf>rpgtfd? (im Ausgange ber britten, werten, fiebenten), unb bortfeb (in ber feebften).
@» leuchtet ein, baf in biefer melobifcben Umbilbung voie barmomfeben SSebanblung, bie ©runbtonart in
ihren #auptbe$tebungen befonberS fräftig b ervortritt, unb beren gerügte unrichtige 2tuffaffung baburd) au§=
gefcbloffen bleibt. 5Dctd?ael ^ratoriuS in feinem vnerftimmigen Sonfafje über unfere ©ingroeife lägt ba3
9)bn>gifcbe nur am Grnbe be3 ©anjen erfcheinen, unb befjanbelt bie übrigen 2Cu§meid)ungen breimabl bortfeb,
jroeimabt äolifcb, einmabl tontfeb ; £errmann ©d)ein, ben ein feltfamer SÖIifioerftanb bin unb roieber aB
©änger biefer alten SKelobie nennt, unb feinen £onfa£ berfelben al§ befonberS foftlich unb mujterbaft
greift, roecbfelt in bemfelben lebiglid) mit pbrpgtfcber unb bortfeb, er tfuSroeicbung, bod) fo, bafj biefe lefcte
als bie überroiegenbe erfebeirtt. Sem fonft ebrenroertben 9J2etfter gebübrt alfo roeber in ber einen noch ber
anberen Sfücfftcbt ber ibm beigelegte Shzbm. Sie bebeutenbe 2lbroeicbung be§ alten lateinifeben SiebeS unb
be§ fyäteren beutfeben in bem S5aue ihrer 9ftaaf?e, unb bie befonberen SSerbaltntffe ber Urmelobie ju jenen,
bie ft'cb auf biefeö le^te nicht übertragen liefen, macben e§ erklärlich, baf? Umbtlbungen biefer SDWobie in
manniebfachem ©inne entfteben mußten, bie eben nur bie allgemetnften Süge be» Urfprünglicben noch jeigen.
©an$ anber§ üerbdlt e§ ftch mit einem jroeiten ©efange ber alten Äircbe, beffen ©ingroeife bie
euangelifche ftch aneignete. Spiex fe^en w'lx °'e ftropbtfche gorm übertragen auf eine SDWobie blof? profaifeber
Seilen, mit binburcbflingenbem 9feime, obne baf? aueb nur ein Sonoerbältnifi berfelben gednbert roirb.
2ßir meinen bie 2Beibnachtä=©equenj : Grates nunc omnes , bie geroobnltcb 9cotfer bem ©tammler juge;
febrieben roirb , ber ju ©nbe beä 9ten unb ju Anfange be3 lOten SabrfjunbertS lebte. Sie mirolnbifcbe
SEonroeife biefer Seilen theilt ftch in jroet 2lbfcbnitte ; ber erfte rourbe, einer althergebrachten ©itte gemäfj,
oon bem SSorfdnger breimabl mit gebeugten Änieen vorgetragen :
ßaffet un§ loben ©ort ben 4?errn, ber burch feine ©eburt un§ erlbfet
hat auS ber SKacbt be3 Seufeß **).
Sarauf antwortete bann ber @bor:
Siefem jtemt e§ , ba£ wir mit ben Ingeln aHejeit fingen , Crbre in ber ^)6be ! ***)
hieran fehltest ftch nun Söltcbael SBeiffenS treffliches SEBethnachtSItet) : ßobet ©Ott o lieben
ßbulten, bem roir in feinen geiftlichen ©efdngen com Sabre 1531 begegnen. 3n biefen ftnb jundcbfl brei
©tropben ähnlichen 85aue3 aneinanber gereiht. 2fuf jvnei acbtfplbige trochdtfehe Seilen folgen beren jroet
fünffplbige; eine jebnfnlbige, jambifcb=anapäftifche, macht ben ©efcblufj; fo geftaltet ftch eine jebe biefer
©fropben. ©ie forbern auf jum 2obe beffen, ber um unfertroillen SQcenfch geworben, fte »erfünben baS
#eil, beffen roir babureb geroürbigt ftnb ; baä in ben einfachen Seilen be3 alten lateinifeben ©efangeS nur
•) SSeifpiet 9<lro. 151.
*') Grates nunc omnes reddamus Domino Deo , qui sua natmtate nos liberavit a diaiolica potestate.
*") Huic oportet ut canamns cum angelis Semper Gloria in excelsis.
30
Angedeutete entfalten fte auf baS 2iebltd)fte unb SBebeutfamfte. Sft nun fo, waS urfprimglid) nur brei=
fad)e 2ßiebcrl)olung bevfelbcn SBorte war, ju einem «Rranje breier, mit wad)fenber SBärme ft'd> erf)ebenber
©tropfen geworben, fo ertönt bann, bem 2lbgefange beS alten ßiebeS fx'd> anfcbjtefenb, in jwei längeren
3eilen — einer gwblf = unb neunfwlbigen — ber £ob= unb £>anfeSruf, ju bem jene aufforberten. ©o fel)rt
biefer 2Bed)fel mermabl wieber; nach, je brei «Strogen unterbrechen regelmäßig jroei längere Seilen ben Sort=
gang be§ giebeS, inbem fte baS ©anje licbeüoll »erfetten unb beleben*), ©o t)at nun bie alrertfjümltcfye
2Beife ein liebf)afte$> , »olfSmäfiigeS ©epräge gewonnen, jugletd) aber aud) im ebelften ©inne eine funfhreidje
§orm. 3n biefer ©eflalt erfd)eint fte, näd)ft ben 2Bciffefd)en geiftlicfyen ©cfängen, juerft um 1545, in bem
Anfange be§ fcfyon erwähnten t>on2utl)er burd) eine58orrebe eingeleiteten S5apftfcl)cn ©efangbud}e§(5iro. 32).
3n beiben S5üd}ern ftimmt il)re 2lufjcid)nung unter ftd) unb mit ber Urmclobie überein, ein einjigeS £on=
öerfjältnifj aufgenommen, in welchem bie 2utl)erifd)e Sammlung bem Urbilbe treuer geblieben ifl. 3£m
©d)luffe jener jwei längeren 3wifd)enjeilen nämlid) bilbet bie Aufzeichnung be§ 2Beiffefd)en ©efangbud)S
ben ©djlufjfall, abfteigenb, burd) bie fleine Serj beS ©runbtonS: bie bcS 35a»ftfd)en fd)lägt in beren ©tatt
bie £berquarre an. (Sine weniger funjtreidje 2lu3geftaltung — benn Umgeftaltung werben wir eS nid)t
nennen bürfen — unferer SJielobie jeigt ein anbereS alteS 2ieb, bem fte ebenfalls unoeränbert ftd) angepaßt
finbet, unb baS ftd) meift treu an bie SBorte ifyreS urfprüngltd)cn Iiält, bie beiben Abfälle beS ©efangeS aber
md)t unterfd)eibet.
25anffagen wir alle ©ott unferm Herren ßbrifto
£>er unS mit feinem SEBort bat erleud)tet,
Unb unS erlofet bat mit feinem Jßlute
SSon beS SeufelS ©ewalt.
£)en follen wir aEe
SDZit feinen (Ingeln loben mit ©d)aüe
©ingen: $rei§ fei ©ott in ber £6lje!**)
Sbgleid) fte nun bereite in ber erjlen ^älfte beS 16ten 3abrt)unbert3 bem e»angeltfd)en Äirdjen;
gefange lebenbig angehörte, fo ifl fte bod) erjl, fo weit meine gorfd)ung reid)t, gegen ba§ @nbe ber legten
£älfte beffelben ju ber Äunft beS ©efeerS in ein §8erl)ältnif3 getreten: früher als biefem, bat fte bem 2)id)ter
ü)re neue Belebung ju »erbanfen. SSierjlimmig ftnbe id) fte juerjl unb jwar in ^Begleitung bcS julefjt mit*
geseilten £tebe§, in 2uca3 £)ftanber£ fünfzig geiftlid)en Siebern unb ^Pfalmen (Dürnberg, 1586); mit
') 1. Cobct ©ott, o lieben Gf)ri{ten, 2. £cr ©ofjn ©ottcS ifl nun tommen,
©inget iljm mit bem ^ßfalmiften ^ Jpat unfer glctfd) angenommen,
Gin neu frött'd) Cicb ; 3ft fjicr crfdjicncn
&enn aus grofer Sieb UnS su nerfüfjncn,
ÜKacb, t ©ott mit uns einen eroigen grieb ! Unb eroige Ätartjeit ju cerbienen !
3. St ift fommen un§ fjcilcn
Unb fein ©ut mit un$ §u tbeiten,
UnS ju entbinben
5ßon allen ©unben,
SEBie uns fein' Gngct frölid) oerlünben.
•Danffagung fei ©ott , ber mit uns burd) feinen ©olm
©otdje SBarmtjcrjigteit b,at getfjan ! jc.
") 6. baS JBeifpiel 9tro. 81.
31
tiefem, aber auch bem SBeiffefcben Siebe in bem fünften Steile ber beutfehen ©iont'fcben 9Jlufen be§ Michael
^rdtoriuö *) , 1607, alfo crft im Anfange be3 17ten SahrfmnbertS. Der Sonmeijter fjat in ber legten
biefer Bearbeitungen bem Dichter ftnnreid) ft'ct) angefcbloffcn. Der erfte "iLbfafy ber SEJWobie erfcheint ju ben
erjtcn brei ©tropfen in brcijtimmigen ©d£cn. Der erfte berfelben füf>rt fte in ber £>berjtimme ein: nach
TLxt einer fireblicben Intonation wirb »on biefer bie erfte 3eile angeftimmt, mit ben folgenben erft tritt ba3
©emebe ber anbern beiben Stimmen ein. Der Senor jtimmt in ber jroetten ©tropbe bie erfte Seife an, bod)
febon von ber£ber= unb ©runbjtimmc begleitet : in biefe leiste tritt, mit ber jmeiten Seile, fobann bie
SDWobie ein, unb bilbet bie ©runblage be§ ©a£e3. ber britten ©tropbe gel)t fte mieberum über
in bie £bcrfttmme; bann ertönt in fünfftimmigem ©efange, tt)r jmeiter 2Cbfa|, ju ben längeren beiben
3roifd}enjcilen.
Die bxittt ©equenj, beren SJielobie bie eüangelifebe Ätvd>e ft'd) aneignete, gebort fchon ber Seit
be§ abnebmenben lateinifdjen .KtrcbengcfangeS an. (53 ift bie, in ber alten Äircfye um bie 3lbwent§jeit,
unb am gelte ber S3erfünbigung Söiaria'3 früher gebräuchliche, in ben neuen fatboltfd)en ©otteSbienjt ntd)t
roieber aufgenommene: Mitiit ad virginem. 2utl)er hielt fte fel)r bod), nannte fte eine moblgeratbene unb
febbne, nicht fo grob — t>oU abgbttifcfyer SSerebrung — al$> anbere, ber SEftaria gcmetf)te ©efange. 9J2ichaeI
SBeiffe gab juerft (1531) von ihr eine beutfd)e Übertragung mit Beibehaltung ihrer ©ingmeife:
2tt§ ber gütige ©Ott »ollenben wollt' fein 2Bort
unb beibeS fjat »on il)m Langenberg aufgenommen in feine, 1545, noch bei fiutberS Sebjeiten, ju SKagbes
bürg gebrudten beutfehen jtirchengefdnge. Die ber SSerbeutfchung unoerdnbert angepaßte SJJelobte unferer
©equenj, bie man bem $ater 2lbdlarb jujufchretben pflegt, geigt fd)on ba§ ©eprdge ber fpdteren Seit in ber
fte entftanb; benn bürfen mir fte bem ©ebtd)te gleichzeitig holten, fo jtammt fte früheftenS au§ ber erjten
£dlfte be§ 12ten 3abrhunbert3. DaS ©ebicht (roie £uca§ Llofftu§ in feiner Psalmodia eä mittheilt) befteht
au£ elf fünfteiligen, jambtfehen ©trophen, von fed)§ ©plben in jeber Seile; »on ben erfien acht ©trophen
merben immer ihrer je jroei ju berfelben SERelobie gefungen, bie brei legten hoben roieber eine eigene für ft'd).
günf 9JMobieenfd}je alfo, fdmmtlich au§ ber ionifdjen Sonart, ftnb mit etnanber uerbunben. ©ie haben
etroaS grbr)ltd?e§ unb grifcheS, mehr SSolf§= als Ätrchenmdpige§, unb menn auch feine ber anbern überein*
fommt, fo erfd)einen boch in ihnen ganj ähnliche 2Benbungen meijt nur in anberer golge unb 3ufammen=
fefcung, unb in ben ©chlufifdUen !ommett fte einanber fet)r nahe. (£$ ft'nb hier noch 3tnbeutungen ber alten
muftfalifchen gorm ber ©equenjen, allem mir fel)en biefe fchon, von ber SSBeife be3 $BolfSliebe§ berührt,
ba§ alte, ftreng kirchliche ©eprdge abkamen. Sßeiffe unb ©Langenberg hoben noch eine furje ©chlufjjtropbe
t>on brei Seilen :
83erfüg' un3 mit bir
2luff baß mir btd> loben
SDZbgen für unb für,
beren SJMobie einjelnenSheiten berSßeifen für bie »orangebenben ©trophen entlehnt ift. 3n btefer©eftalt gibt
SJiichaet $>rdtoriu6 (1607)**) im fünften Steile feiner beutfehen ©tonifchen 9Jiufen (9fto. 159) baS ©anje
in »ierftimmigem Sonfa^, inbem er jmifchen bie einzelnen, burdb, ben ©dngerchor »orjutragenben ©trophen
*) <S. baS SBetfpict 9tro. 84.
") = i i : 85.
bie eines anbeten Siebes*, einer Anrufung an ©Ott Skier, ©olm unb heiligen ©eift hineinfliegt, um S3er=
fünbtgung unb ©ebet, Äunft unb ©emeinegefang auf fold}e Zxt mit einanber ju verbinben. Crrfi um 33ieleS
fvdter, gegen baS @nbe beS 17ten Sflfn'hunbertS (1640), ftnben mir unfere Sonmeife aud) burd) Umgejkl=
hing bem ©efange ber ©emeine unmittelbar angeeignet. 3of)<mneS ßrüger, bamalS Sttuftfbtreftor an ber
SRicolaifircfye ju S3crlin mahlte auS ben fünf SJMobieen, meiere bie verbeutfehte ©equenj ib,m bot, bie 2Bem
bungen, bie ihm bie anmutl)igficn fd)iencn, befeitigte bie meifüen ©plbenbehnungen, unb fe^te auf biefe
SBeife ein 9ceueS jufammen, baS nod) bi6 auf unfere Sage ju allen ©tropfen beS feitbem ebenfalls über=
arbeiteten alten SicbeS angemenbet mirb.
(Einiger anbeten Steter ber alten .Kirche merben mir nur vorübcrgef)enb ju gebenfen haben, ba il)re
SJlelobieen nur beibehalten, nicht lebenbig fortgebilbet mürben, menn aud; fvdter bebeutenbe Sonfe^er fte
31t Aufgaben i()rcr ititnft md()lten. 3>n ben um 1542 ju Wittenberg burd) 3>ofe»h Jtlug mit Sutl)erS
SBorrebe herausgegebenen JBegrdbnißgefdngen ftnben mir bie bevrtfd)e Überfettung etneS SSroftgefangeS am
©rabe von '2uireliuS sprubentiuS (Siemens? auS bem 4ten 3al)rhunberte: Jam moesta quicsce querela, bie
mit ben Söorten anhebt: »Spbtt auf ju trauern unb flagen.« Sjl nun bie fd)bne, einfach faßliche 9Jielobie
biefeS 2iebe§ il)tn gleid^eitig, mie eS mof)l fd)eint, ba fte feinem Sttaafse ftd) genau anfcfyliefjt, fo hatten mir,
ba fte in ihrer baburd) bebingten rf)vthmifd)en QluSgejmltung aud) auf beffen bcutfd)e 9?ad)bilbung über=
tragen ifl, an il)r vicllcid)t baS einzige 33cifvtcl antifer, in ben evangelifd)en £ird)engefang unverdnbert nod)
bineintonenber 93taafte. 33iS gegen bie SJZittc beS 17ten 3al)rhunbertS nod) mirb fte in bemfclben fortgelebt
haben. 211S Sohann ©tobduS um 1634 ju £>anjig mit Unterjtü^ung beS großen ©)urfürften griebrtd)
SBilbelm von SBranbcnburg fein unb feines? Idngj! verdorbenen 9ttcifterS ßeccarb fünfjfimmig gefegte geifb
liebe Sieber herausgab, nal)m er in biefe Sammlung auch einen £onfa£ beffelben auf über bie Söeife biefeS
Siebes*), ber einfach, mürbtg, erhaben, an bereit urfvrünglid)e ©effalt ftd) treu anfd)liefjt, unb ben CrccarbS
um 1597 juerfr crfd)tenener 2lnü)etl an biefen ©efdngen nod) nicht enthielt. £)iefeS bamalS überfehene, ober
vietlcid)t nod) nicht vorl)anbene 2Bcrfd)en feines? SDJeifterS tl)eilte alfo ber ©d)üler roobl mit, um ben
von ihnen S5eiben in gleid)em ©twlc mehrstimmig gefegten SSonath ber in ihrer £eimath Greußen ge=
brdud)lid)en SJMobiecn bamit ju vervollfidnbigen.
Gin ^weiter ©efang ber alten Äird)c, beffen SJMobie bie evangelifd)e nur beibehielt, ifl bie UntU
ptjonte am 83orabcnbe beS $PftngftfcfteS : Veni sancle spirilus reple luorum corda fidelium elc. SDian fingt
fte nod) jeljt in vielen Äird)en ju ber mbrtlid)en Überfefjung: Äomm heiliger ©eift erfülle bie ^erjentc. 5
SDiid)ael 23eif[e legt (1531) il)rcr unverdnberten ©ingmeife eine etmaS abmeid)enbe Übertragung unter:
»Äomm heiliger ©eift, 4?erre ©Ott, begab bein 2ütSermdl)lten mit milber ©ab<:tc. SOJan vflegt fte mohl,
bod) ohne gehörige SSegrünbung, Stöbert Könige von granfreid), ©of)n £ugo (üavetS jujufchreiben; in baS
elfte Sahrrmnbert aber möchte fte nebft il)rer SRclobic muthmaafjlid) ju fefjcn fepn. (5inc fel)r bebeutfame unb
funftreidje ad)tflimmige Schanblung btefer legten mirb unS befd)dftigen, menn mir unter ben SSonfefcem
geijllicbcr ©eifen auS ber erjten Sr>äl\te beS lOtcn 3al)rl)unbertS beS Submig ©enfl merben ju gebenfen t)a-
ben, eines von Suther bcfonberS hochgehaltenen 9JieifterS.
3mei anbere bcutfd)e Äirchcngcfdnge vflegt man enblid) mol)l aud) auf lateintfd)e Urbilber jurüd=
juführen, bod) Idft ftd) biefeS nur von ben Sichtungen, nicht aber ben ©ingmeifen jugeben. Die ©equenj
•) S. ba« SBcifpicl 9iro. 139.
33
bes> ^fmgftfefieö : Yeni sancte spiritus et euitte coelitus etc. mag fretlid) in einigen 3ügen ju bem
bekannten, t>on Suther fortgebid)teten alten ^»ftngftftebe :
Äomm heiliger ©eift ^)erre ©Ott,
Erfüll' mit beiner ©naben gut 2C.
Anregung gegeben haben; tf>re SDJelobie hat inbefi mit ber feinigen nichts gemein. 2>od) ift jene mtrflicb,
auf ein anbereä beutfcheS^fmgjn'ieb ber mährifd)en SSrüber in 3ofyann ^)ornö Sammlung berÄird)engefänge
berfelben übertragen,
^eiliger ©eijt, £erre ©Ott,
bu f)6d)jter Sröfter in ber Ttott),
befud) uns> mit beiner ©nab ic.
ba3 jebod) eine allgemeine Verbreitung nidjt gefunben l)at. So grünbet ftct> aud) ßutherS, einem älteren
beutfeben in ber erften Strophe nad}gebid)tetes>, unb bann,% mie jeneS anbere, felbftänbtg fortgeführtes» £teb:
SOZitten wir im Sehen finb, mit jenem auf 9totfer§ be3 (Stammlers? Iateinifd)enä3ergefang : Äledia vita
in morte sumus. 3n feiner SJlelobie jeboef) hat man9Jiül)e, bie altere nur in einigen fefyr entfernten 3lnbeutun=
gen mieberjuerfennen, unb beibe mbd)tcn nur burd) tf>re gleiche Sonart, bie pl)n)gifd}e, einanber genähert fenn.
SBas? über bie, aus? ber 3eit bes> nod) frifd) fortmad)fenben ^eiligen ©efangeS ber alten £ird)e
fiammenben, in bie eoangelifd)e lebenbig l)ineintbnenben SQZelobteen ju berieten mar, haben mir in bie
t>orangef)enben 35lätter niebergelegt. Sie 9JM)rjaf)l biefer SBetfen geborte jenen fhrenger fird)ltd)en Sonarten
an, bie auf ben ©liebern be§ garten &reiflang§ ruhen, ber pfynjgifcr; en unb mirol»bifd)en; jenen
JRethen, beren 2lnfangSpunfte, ber eine, ba£ lefcte Crrjeugnifi be§ ©runbflangcS au§ fid) barftellt, bat» ihm,
jufammentonenb, harmontfd) üerfct)miljt, bie grcpeSerj, e, ben pbn;gifd)en ©runbton; ber anbere, ba§
erjle, felbftänbig aus> tf)m entmidelte, in ilm, aufmärtSbringenb, mieberum jurüdjrrebenbe Sonoerhältnif?,
bie £luinte, g, ben mirol»btfd)en, ber in feiner £berquarte jugteid) ben ©runbflang mieberum erzeugt,
ßebenbig fpiegelt bas> h teburd) bebingte ©eeräge beiber 9?etf)en fid) ab in ben auf fte gegrünbeten SEJMobieen,
unb mir haben gefefjen, baf feine jener Umgeftaltungen, bie in ganj anberem ©inne an ihnen fortbilbeten,
ee »ermifchen fonnte, bafj es> »ielmehr fdjärfer nod) unb einbringltd)er hervortrat burd) bie üolfs>mäfjigen
gormen, in bie ba§ SSebürfnig ber 3eit jene alten ©ingmetfen geftaltete. iDafj aber biefe be$etd)nenben,
eigenthümlichen 3üge ber alten fachlichen Tonarten in »olfSmäfj iger £iebform ju lebenbiger 2lnfd)auung
gelangten, ja, felbft ba, mo nicht einmal eine reichere, rhttfhmifche 2luSgeftaltung bie unüeränbert behaltenen,
urfprünglichen SEBenbungen ber Sttelobie in tonfünjtterifd)em ©inne erneuerte, fonbern allein bie ©tropf)«
be£ Dichter^, unb baS £ongemicf)t bie ©ingmeife umfehuf, mie mir e§ an ber 2Setf)nacf)t3fequenä Grates
nunc omnes burd) SCRid)ael SBeifje'S fymüfyeZ Sieb: „Sobet ©ort o lieben Triften" gefd)ehen fahen; eben
biefeS jeigt auf ba$ beutlicbfte, mie eine neue 9Kelobieenfd)bpfung in fird)lid)em jugleid) unb »olfSmäf? igem
©inne fid) anbahnte, beren frühejie Jteime mir fpäter in ben SJlelobieen geiftlid)er beutfd)er Sieber »orber
&ird)em>erbefferung näher betrachten merben. 2Ba§ an ©efängen in ber alten .Kirchenfprache fett bem 13ten
Sahrhunberte, jumaf)f feit bie Äunft bes> Sonfa^eö fid) hü entmideln begann, nod) entffanb, neigt in
feinen SKelobieen ftd) metft bem SSolBmäfigen ju, mit allmählichem 6rlofd)en be3 fird)(id)en ©eprägeö;
eine Neigung, bie mir bereits? in ber ©ingmeife ber jule^t betrachteten ©equenj Mitfit ad virginem
mal)rnehmen fonnten. £>er SKebr^abl nach finb biefe neueren fird)lid)en ©efänge 3lb»ent§= unb
SßeihnachtSlieber in flro»hifd)er gorm : fo baö Dies est laetitiae (ber Sag ber ijt fo freubenreiebj,
s. äBinterfett, btt erangef. G^ctatgefang. 5
34
Resonet in laudibus, Puer natus in Bethlehem (ein Äinb geborn in 33ethlehem), moju mir auä) ben
lateinifcb=beutfchen SSJiifchgefang: ,,In dulci jubilo *), nun finget unb fctb froi) k." werben ju rechnen haben.
SEBir fi'nben biefe in einem Anhange be§ fd)on ernannten .£lugfd)en ©efangbuches? eingeführt; anbete geben
SDiicfyael SBeiffe'S geifrlid)e ©cfängc (1531) mit neuen beutfd)en Siebern; fo bie SBetfe eines» SobliebeS
auf bie ^eilige Jungfrau : Ave Hierarchia, Dei monarchia etc. mit bem ibv angepaßten 'tfboentliebe :
SEJienfcb, enf inb merf ' eben mae> ba fei bein Seben ; bie be£ ^PafftonSlicbcS : Patris sapientia mit jmei Siebern
gleiten Inhaltes : 6f)riftu§ mahrer ©otte§ ©ofm, unb : @hrijtu3 ber unö feiig macht; bie bee> 'tfuferjtehung3=
gefangeS: Surgit in hac die Christus Dominus, mit einer 9kct)bi(bung beffelben: 6b,rijtu§ ift erffanben,
bat übermunben. 9cadb anberen enthalt SErtllerS geiftlicheS ©ingebud) (S3re3lau 1555, 1559), t>on bem
fpäter ju reben fer>n mirb, unter ihnen bie Sieber unb DJMobieen: Quem paslores laudavere*) unb Nunc
angelorum gloria. litte biefe Sieber unb ihre SDMobieen haben fi'd) allgemach eingebürgert in bie lutherifdbe
Äirche. Wit 3ut>erftd)t ift bie 3ett ber (üntftchung feinee» unter ihnen ju beftimmen, boch reicht mof)l faum
etneS über ba3 breijelmte 3ab,rl)unbert hinauf; mir bürften fte fämmtlid) in ben ßeitraum jrotfd)en biefem
unb bem 15ten 3ahrf)unberte ju fe^en b^aben. SSergteidben mir ihre ©ingmeifen mit benen jener alteren,
jut>or befprod)enen, fo geigen fte un§ ein bebeutenb t>erfcr)i ebnes? ©epräge. 3unäd)ft treten bie ftrenger
firc!blid)en Tonarten jurüd, unb bie ionifdje, ben garten Sonartcn unferer Sonumft näher jtebenbe, geminnt
bas> Übergemicbt: nur einer ber eben genannten ©efänge l)at eine 93Mobie prjrpgifdjer Sonart, ba$
9)afftonsMieb Patris sapientia. £)ie SSerül)rung ber großen Serj in biefem ihrem SSerl)ältniffe ju bem
©runbtone mirb nicht länger wermieben; fte mirb nicht mel)r überfprungen, fonbern macht oft fd)on ju
Anfange ber 93celobicen mit großer (§ntfd)icbenf)eü ftd) geltenb. 2Bir merben baburd) auf§ neue überzeugt,
baß biefe ©ingmeifen einer Seit angeboren müffen, mo ber mchrjttmmige S£onfa£ juerfl mit einiger S5ebeutung
auftrat unb ftd} »erbreitete, mo ber 33olf3gcfang lebenbig aufzublühen begann unb auf ben fircblidjen eine
nicht unerhebliche Sfüdmirfung augübte. £>iefe mar inbeß t>or ber Äirdbenoerbefferung eine ganj anbere,
aß nach berfelben; in jener früheren 3eit, »on ber mir reben, eine SSermeltlichung be3 ^»eiligen,
fpäter eine Heiligung bes> 2Beltlid)en; kirchliche! unb Zollmäßiges erfd)ien ba erjl im inntgften
dtnflange, mährenb jutior bas> kirchliche ©epräge erlofd) unb bem meltlidjen t>erfd)molj. deicht, baß
mir ben anmutfyig bemegten, oft felbft hüpfenben, miegenben ©chritt jener alten 2Beil)nad)t§lieber bamit
tabeln mollten. £>iefe erfüllten eben barin ihre S3e(iimmung, beöt)al6 nahm auch bie et>angelifcbe Äirdje,
lobenb unb anerfennenb, fte in ihren ^eiligen ©efang auf. ©ie maren mie ba£ In dulci jubilo, Resonet
in laudibus, Quem pastores laudavere, Nunc angelorum gloria meifi kinberlieber, mit benen bie kleinen
in finblicher greube theilnahmen an bem gefle ber ©eburt be3 (SrlöferS 5 bei ben grübmetten unb 33es>pern
ber 2Beihnad)t§jeit fangen fte biefe neben bem auSgeftelften, gefchmüdten kripplem, flatfd)ten auch wohl
baju, fröhlich hin unb her fpringenb, in bie ^)änbe. 2tt>er bie Siebe ju bem eigentlich kirchlichen erlofch
allgemach in biefen 3eiten firchlicher SBirren unb junchmenber SSerberbniß beö geiftlid)en ©tanbe§; eä
melfte ab im ©efange, mährenb bie S3olfömeifen frifd), lebenbig aufblühten; e3 beburfte ber verjüngten
SBegetfterung für jeneä, bie mit ber Äirchcnt-crbefferung mieberfehrte, um eine neue ©chbpfung in fird)lich=
tjolBthümltchem ©inne in ba3 Seben ju rufen. SBährenb man »or Suther bie Feinheit beä Äirchcngefangeä
") <3. Stro. 120 ber SBeifpietfammtung bie 9J?etobic bicfcS Siebes in 3ot). Gccarbö fünfftimmigem SEonfa^e.
**) Sie SMobteen biefer beiben Cieber ju ber beutfehen Übertragung : „ben bie Birten tobten fcfjre" unb ,,£eut
finb bie lieben ©ngelein" f. ?tro. 80 ber SBeifptetfammlung in 93c. ^»rätorius »ierftimmigem üonfafce.
35
gegen bie bamalS kräftig forrwacbfenbe Äunft be§ £onfaf,5cS in ©dnuj nehmen ju muffen glaubte, ofme
beren naturgemäße Grntmicklung burcb. frrenge ©ebote hemmen ju können, nahm biefe einen anbeten 2Beg.
©ie menbete ft'cb, ben Crrjeugniffen beS unbewußten ÄunfttricbeS im SSolkSgefange ju, ftc für tfuSfchmückung
tf>rer längeren banuonifcben ©ewebe ju benu^en: ft'e fefete fogar alte feierliche ©ingmeifen jurücf gegen
belebtere, meltlicbe, mäblte biefe »orjugSmeife als bemegenbe ©runbgebanken ihrer ©äfce, unb hielt SBorte
geistlichen Sn^alt^, ibnen unterlegt, für genügenb, auch, ber tonkünjKerifcben JBebanblung getftlicheS ©epräge
ju verleiben, ©o entging man bem SSormurfe, alte Äirchenmeifen burd) ben Sonfafc, wie bie £ird)enbäupter
eS bamalS anfaf)en, ju entfteEen, inbem man jugleidb ber inneren Neigung folgte, bie »on jenen üßeifen
ab unb ju ben roeltlid) en Einleitete. £)iefer 9ftd)tung auf baS Verweltlichen trat inbeß eine anbere, eben um
jene 3eit, entgegen, in ben ftd> mebrenben beutfdben geiftlicfyen Siebern, beren ©ingmeifen unS baS
SSormalten ber alten kirchlichen ©runbformen als 33e$eid)nenbeS erfennen laffen, mäbrenb meift nur bie
fh'cpbifcbe §orm, weniger bie melobifche, an baS SBolkSmäßige erinnert. 3n ihnen fpricfyt bie ©efmfucht
ft'cb auS na<$ erneutem kirchlichen Seben : in beiben Dichtungen ermuchfen bie Äetme, auS benen, mäbrenb
ber alte Äircbengefang aEmäblid) abmelkte, ein neuer ftd) entmideln follte, eine Chrtmtdelung, bie nur ben
mannen §rüblingSbaud) ber S3egeifterung erwartete, um in üppiger gülle hervorzubrechen. «
2Bie mir in ben Äircfyengefang ber mäbrtfdjen 35rüber eine bebeutenb größere Hn^aty »on
SDielobieen altkirchlicber ^bnmnen aufgenommen fanben, als? in ben lutberifchen, fo bat jener auch, m'el mehre
von jenen ©ingmeifen fpdterer geiftlid) er lateinifcber Sieber ftd> angeeignet, meift ofme aEe 9?üdftd)t auf ben
urfprüngticbcn Inhalt biefer legten. 2Bir treffen, biejenigen ungerechnet, bie fdbon früher genannt ftnb als
bei ben Sutberifchen eingebürgerte, in ben J.ird)engefdngen ber SSrüber »on 1566 42 folcher SDMobieen,
benen bie SBorte neuer, ibnen angepaßter beutfd)er Sieber unterlegt, unb bie mit ben 2tnfangSmorten — ober
aud) Seilen — ibrer urfprünglicben, latetnifchen überfdbrieben ftnb. ^chtjefm berfelben erfd)einen bereits in
SJiicbael SBeiffe'S ßantional »on 1531, fünf anbre noch, in beffen Umarbeitung burd) Johann Sporn, bie
übrigen neunzehn bat bie fpätere »erooEfränbigte Ausgabe ber bbbmifcb. =mdbrifd)en Äircbengefdnge üon
1566 hinzugefügt. £)ie Übcrfdjriften ber meiften beuten auf unbekannte Sieber, »ort ben bekannteren tjt
bocb meijt bie Seit ibjeS (SntftebenS nicht mit ©icb, erbeit anjugeben, unb baS frühere ober fpätere ©rf cremen
ibrer SDielobteen in ben beutfcb,en 2fuSgaben ber bobmifd) = mäbrtfchen Äirdjengefänge fann barüber
augenfcbeinlid) nichts entfchetbcn. (Sine genauere Unterfudbung hierüber bleibe Demjenigen vorbehalten, ber
fünftig eben mit biefem Steige heiligen ©efangeS ftd) »orjugSmetfe befd)äftigen mochte, ft'e mürbe unS f?ier
von unferem eigentlichen ©egenjtanbe ju meit ablenken, jumahl aEe biefe SJMobieen nur eine örtliche, auf
eine bejJimmte 3eit befchrdnfte SSebcutung hatten, unb niemals aEgemeinere Verbreitung erhielten. SSergleichen
mir ft'e aber mit einanber nach Sonart, rbntbmifcber 2£uSgejlaltung, melobifchen SBenbungen, fo bietet ftd)
unS auf belehrenbe 2Beife baS S5ilb bar eineS aEmäblichen 2tbl6fenS üon bem kirchlichen ©efange, eineS
fortfchreitenben ^»ineinbilbenS in bie ©ejtalt beS oolfSmdfjigen, unb mir fbnnten banach, jufolge innerer
SSKerfmale, fte in eine 9?eibe jufammenfteEen, bie »ieEeicht nach künftig aufjuft'nbenben äußeren Seugniffen
über ihr Hilter ftch als richtig bewahren bürfte. Jür bie dlteften unter ihnen mürben unS biejenigen gelten,
melche mehr einer $)falmobie gleichen, als einer rlmthmifd) genügenb auSgebilbeten SJMobie; fo bie 2Beife
beS SiebeS : „greut euch heut o ihr ßfmften, " bie mit bcnSBorten „Mortis encum gloria'eüberfchrieben tjt*).
*) SStatt 84 ber Ätrdjcngefongc »on 1566.
5'
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2lnbre beuten burd) il)rcn 58au im TfOtgcmeinen jwar auf eine altere Seit/ manche unter iljnen jebod) burd)
rb»tbmtfd)c, etgcntf)umltd)e "tfueigcftaltiing wieberum auf eine fpätcre. 3u ir>nen rechnen wir biejenigen,
benen nad) jwei, feltener brei längeren «Strogen gleicher melobifd)er SSetonung, eine britte, meijl fürjere,
von felbftänbigem ©efange folgt; ©efä|e, bie in biefer Sufammenfieüung aud) aB «Stollen unb 2(bgefang
einer größeren ©tropfye gelten tonnten, unb burd) bie wir an 932td)aet SBeiffe'S 5Bcil)nad)t§lieb : „Sobet ©Ott
o lieben ©jrijlen" erinnert werben, bae> ber SBcife ber©equenj: „Grales nunc ornnes" auö bem 10ten3af)r=
tyunbert ftd) anfdhließ t. tiefer 2Trt ijl bie SBeife be3 Siebeä: „Sie Seitip jefct ganj freubenreidb" (851.90)
überfebrieben „Hoc festum venerantes." 9cad) jwei ftebenjeiligen ©tropfen unregelmäßigen S3aue3 folgt
f)ter eine wieberfefyrenbe, »ierjeilige : „gür fold)c ©nabenjeit fei bir, £err, Sob unb $)reis>." ©o aud} bie
eine§ Siebes? über ben 1 lOten ^falrn : „©Ott ber fSater fprad) ju (5t>vtflo meinem £errn, " mit ber Überfd)rift:
„Candens ebur castitatis." ©te jeicfynet ftd) baburd) au§, baß ee> nid)t bie Strohe be§ Sid)ter§ ift,
weld)e wicberfel)rt, fonbern bie melobifd)e Betonung. Senn e3 gel)en jroei fed)Sjeilige ©trogen woran, unb
e§ folgt il)nen bann eine neunjcilige; bie brei erften Seilen biefer legten jeigen eine abweidhenbe, felbftänbige
25etonung, bie fed)§ legten wicberf)olen nur bie SDcelobte ber jwei vorangegangenen ©tropben. Siefem S3au
jufolge ftellt bas> ©anje ftd) aud) bar als> jufammengefe^t aus? jwei SÖMobieen von je fed)3 unb brei 3etlen,
beren erftcr, Anfangs! nad) boppelter, bann breifad)er SBieberfyolung, wieber bie jweite ftd) einfd)iebt. Sie
eine unb bie anbere DJWobie biefer beiben Sieber mürben mir nun unter anbern gleichartigen, be£l)alb für
alter l)alten tonnen, meil ein beftimmt auSgebilbeter rfwtf)mifd)er 33au weniger bei il)nen hervortritt, unb
ba3 fird)lid)e ©epräge ba§ volBmäßige überwiegt, wie benn bie lefcte unter ilmen aud) in ber verfemten
pf)rngtfd)en Sonart, einer jlrengcr fird)lid)en , ftd) bemegt. S5ei anbem ftnbet baS Umgefefyrte ftatt,
unb fte bürften unS be§b,alb als! jüngere erfd)einen. ©o bie SBeife be§ 2Beif)nad)t3liebeS: iftf)eut ein
frof)lid) Sag," überfd)rieben : Cum sanetis omnibus*). üftad) je jwei ftebenjeiligen ©tropfjen m frol)tid)
bewegtem ©efange brcitfyeiligen, 5£afte§, beren Ic^te Seile nur in ben jweitl)etligen, fwnfoptifd), übergebt, folgt
eine fünfteilige ©tropfte, wieberum ungraben SafteS unb felbftänbiger melobifd)cr 2Benbungen ; nur bie
95etonung ber legten Seile ift ber in ben vorangebenben beiben ftcbcnjeiligen gleid). Siefe beiben ftnb ju
Anfange, wie bei ibrer SBieberfebr, il)rem 3nl)alte nad) verfünbigenb, jene Swifcbenftropbc aber lobpreifenb:
Sob fei ©ott in Grwigfeit,
ber feine S5arml)erjigfeit
für un§ Firmen nid)t verfdhleußt k.
unb bie in if)r unb jenen melobifd) gleiche 3eile bilbet ein um ba§ ©anje — eine größere ©tropbe —
gefd)lungene§, baffelbe jufammenbaltenbes! 33anb. Ser S5au btefeS melobifd)en ©anjen berul)t im
Allgemeinen auf einer älteren fird)lid)en $oxm, ber be§ 9?efüonforiumä ; er jeigt aber im ©injelnen eine
volfömäßigere, bejlimmter rb,i)tl)mifd) geglieberte 3lu§gcftaltung, als jene anberen, äl)nltd)en ©efänge
altertf)ümlid)eren ©evrägeä, unb beutet baburd) auf fpäteren Urfprung. ©anj äl)nltd) verl)ält e§ ftd) bei
einem Siebe über ben 45ften 5)falm: „SD^ein ^>erj tid)t' ein feinet Sieb, einen frblid)cn ©efang," mit ber
Überfcbrift : Jam Christus ab inferis etc.**) 3wei fed)^eiligen ©trogen folgt l)ier eine britte, fünfteilige.
*) SB(. 34.
*") SBt. 138. Jam Christus ab inferis etc. „
A. erfte unb jrccitf, fcdjgjtttigc ©tropfe.
37
Scne erficn betten haben eine Sflielobie breitbeiligen Saftet ihre erfte 3ei(e aufgenommen, bie fid), bie
■tfbfcbnitte be» größeren ©anjen anfünbigenb, in gerabem Safte bewegt 5 bie je britte Seile tiefer ©tropfen
jcigt erweiterte Sflwtbmcn. Sie ibnen ftcb anfcblicfknbe fürjere ©tropbe wirb $u einer 2Beife burcbmeg
ungcraben SaftcS felbftänbig gefangen, mit af)nttd>er Grrmeitcrung ber Sflwtbmen in ihrer britten unb ber
legten 3eile. 3n gleicher S5etonung, aber mit ftctS mecbfelnbem Chatte febrt biefe fürjere Strophe fünfmabl
mieber, unb ibre $mcifad)e SBieberbolung, obne Stütffebr jener jmei längeren, befcbliefjt ba$ ©anje. Sie
fräftigften ©priicbe be3 <ipfalme$ ftnb in ifjr gefaxt: „Sieb, bu bift ber ©djönft' aUein k. 3eig bid> ber
2Babrbeit ju gut :c. Su blcibjt bie ©erecbtigfeit k. £bre Socbter geb. hinauf, unb »crgifi beinS SSaterS
#au$ ic." unb bei ifjrer boppelten SBieberfebr am ©dbluffe bient fte ju einer Auslegung bc3 propbetifcben
Inhalts oon bem Sjorbergebenben: ,,©0 n>ad)fl £erre 3efu ßbrift, beine £ircb' ju aller grift." grcilicb
beutet biefe 35efd)reibung nur bie Tlxt an, mie man um 1531, roo mir biefe SOZelobie juerjt in SBeiffe'3
ßantional ftnben, biefelbe auf ein neueS, augenfdjeinttd) mit ihrem urfprünglid)en in gar feiner SSejiebung
jtebenbeS ©ebiebt angemenbet habe; aber ibre ganje 2£u3gejtaltung läßt bod) »orauSfe^en, baß fte ju jenem
in einem ganj ähnlichen fBerf)dttniffe geftanben haben werbe, baß eine ältere, in fpäterem ©inne
umgebilbete gorm in ibr unS vorliege, wie in ber eben juuor befproebenen. dergleichen 35e$ief)ungen
boren bei anberen SJielobieen, bie mir eben beSbalb al§ noch jüngere bejeiebnen möchten, allmäh=
lieh 9a"J auf» Siefe jeigen fid) tbeilS in gerabem, tbeilS breitheiligem Safte, übllig nach 2Crt ber
SBolfSroeifen rbvtbmifd) gegliebert, gleich benen ber fd)on angeführten, in bie lutberifcbe .Kirche auf=
genommenen #boent§= unb 3Beif)nad)t3gefänge , ober ber bei ben 35rübem »orfommenben Tfterlieber:
{Betracht' mir beut ju tiefer grift bie tfuferftebung 3efu <5brift k. unb : 3efu3 ßbriffuS leibt' ben Sob, bie
t>on ben lateinifcbcn : Resurrexit Dominus etc. unb Resurgenli Nazareno (251. 89.91') berftammen.
Cr§ ftnb aber auch beren, bie ju bem 33olf3gefange in noch näherer 83ejiebung flehen, unb eine
(Sigenthümlid)fett be3 rbhtbmifcben S3aue§ mit ihm tl)eilen, bie in ben näcbftfolgenben 35lättem, bie mir
ben S3olf§melobieen mibmen, näher ju betrachten fepn mirb. ©ie befiebt in bemjenigen, ma§ mir
rbhtbmifcben 2Bed)fel nennen im ©egenfa^e ber ©pnfope: einem, bei gleichbleibenben Sonjeicben unb
unueränberter S3cmegung mechfelnben Saftgemichte, nicht aber ber Aufhebung beS, einen ©efang hinburd)
gleichmäßig »ormaltenben 95iaaße» bureb Siüdungen, hinter benen biefeS bennoch fid) geltenb macht, unb
alfo hinburchgefühlt mirb, mie bei ber ©rmfope. Siefer rhhtbmifcbe SEBecbfel erfebeint bei einigen biefer
©efänge nur in einer einjelnen Seile, mobt be^halb, um ihren juoor unb fpäter mehrmals? »orfommenben
melobifchenSBenbungen bureb ben 9tbhtbmu§ 2tbwed)§lung ju verleihen; fo in ber fonft im geraben Safte ftd)
bemegenben SKetobie beS 2ftwntliebe§ : ,,9hm laßt un$ ju biefer grift" bie urfprünglich bem lateinifchen :
Gaudeamus pariter eignet (351. 11. 12.). S5ei anbern ftnben mir ihn Seile um 3eile, mie in ber
SEßeife be§: Avegratiosa, bem ba§ 2(büentlieb : „J£>ocbgclobet fepft bu 3efu Ghrift, ©otte§ ©ohn" bei
p — rt~Q-
— ö-e— e
B. dritte, fünf-
jeilige ©tro?
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tcn ffirübern unterlegt ijt. Spiex nimmt er von ben neun Seilen ber ©trovhe bie jweite, vierte, fechte Seile
unb bie beiben legten ein. #f)nttd) ftnben wir if)n angewenbet in ber SSHelobie be3 lateinifchen Sftarienliebes' :
Ave rubens rosa virgo (331. 217), bie baS SSrübergefangbucb, bem Siebe von ber Rechtfertigung aneignete :
,, ©ort faf) $u fetner Seit auf bie SKenfchenrmber;'' in t'fyt ifi ihm eben fo bie jweite, vierte, fed>fte Seile
5ugewiefen, von welcher er bann auf bie neunte unb lefjte überfvringt. Auch, unter biefen bem SSolfsmäfiigen
naber hingeneigten geiftlicfyen SJMobteen feit bem 13tcn 3<»brbunberte mochten wir an ber gewanbteren
ober mehr fd)roerfälIigen Übertragung ber befprocfyenen rhvthmifchen ©igcnt^ümlic^feit bie altere »on ber
fvätern vielleicht unterfcheiben fbnnen, wäre e3 nid)t mißlich, barüber abjufvrechen, weil bie meiften ihrer
urfprünglid)en, lateinifchen 2ieber uns" fehlen. Auch, h«t bie beutfd)e Anbequemung oft ben SJielobieen ftd)
angefchloffen, inbem fie nur Seilen unb «Selben jaulte, ohne biefe legten ju wägen ober richtig ju betonen,
fo bafs man ba§ anfängliche 3krf)ältnifi bcS SBortcS unb ber ©ingweife meift nur errathen fann. Un§
follen biefe SSctraditungen l)ier, wo bie genauere gorfebung außerhalb bc§ jtreife§ liegt, ben roir un£
vor$eid)ncten, nur im Allgemeinen ein S3ilb bavon geben, auf welche 2Seife ber lateinifche iUrd)cngefang,
roie in feinen ©efcern feit bem 13ten 3«hri)un^erte, fo auch in feinen (Sangern, aUgemach bem SSBeltlichen
ftd) jugewenbet habe, unb wenn er baburch fein urfvrünglicheS ©evräge auch einbüßte, bennoch bie lebenbige
Söerfchmeljung bcS Äird)ltd?cn unb äSolBthümlichen anbahnen geholfen, bie wir ber Äircbenverbefferung
nachrühmten.
Am hduftgften finben roir bie eigentümliche rhntbmifche Ausgestaltung ber SSolfsweifen bei
benjentgen biefer ÜBcelobiccn lateinifcher Äirchenliebcr, welche ionifcher Sonart finb, in bem Umfange von
C oberF mit vorgejetchnetem I>; biefen erfcheint auch bas volfsmäfiige ©ewanb urfvrünglid) fchon fleibenb,
man gewahrt weniger ein Anbequemen. @s finb aber auch SSJMobieen in Strenger firchlichen Sonarten auf
ähnliche Sßeife befehlen, nur baß bei ihnen mehr ein SSeftrcben, bas jlirchlidje hineinjubilben in bie
rhnthmifche Belebtheit bes weltlichen ©efanges, fid) funb giebt, als bas völlige Aufgehen bes einen in bie
anbere. Unter ben borifchen ©efängen betrachteten wir biefcs bereits bei berSSBeife: Jam Christus ab
inl'eris; auch, tritt es hervor in bem SBeihnachtsliebc : In natali Domini (£31. 43. 138.). 3n anbern
©ingweifen eben biefer Sonart tritt entweber bas ©efühl von biefer nicht recht beutlich hervor, ober ihr
rhnthmifcher 33au ift bei ermangelnber SSergletcbung mit ihren urfvrünglichen ßiebem nicht beutlid) ju
erfennen unb ficher ju beurtheilen. (Sine mirolnbifcr/e SJMobie nur, unb eine pf;rt;gifcr)c jeigen,
jene, ben rrmthmifchen SBechfel, biefe, bas ©egenüberftchen bes breitl)eiligen unb geraben Saftes. 3n jener*),
bie in ber regelmäßigen Aufweichung in bas Sontfche unb £>ortfchc, bas volle ©evräge bes SKirolvbifchen
barftctlt, tritt jeboch crjl mit ber legten Seile ber rhpthmtfche SBcchJel ein, er ift ein einzelner 3ug nur, ber
ft'e auszeichnet, ein bloßer Anflang. £>iefe, bie »hrvgifche, befvrachen wir fdwn unter benen, welche
bie altfu-d)licbe Jorm bes 9?ef»onforiums tragen: es ift bie bem lateinifchen Cum sanetis omnibus entlehnte,
auf bas 2ßeihnacht§tieb ber SSrüber : @s ift heut' ein frbblid) Sag :c. übertragene. Betrachten wir fie
*) Spirilum sanetum hodie misit etc.
6f)ri(l un .-fer Sgdl bid) mit bit = Itg lo = ben madjft ung ju tf)eil bn'n'bc^fte ©a-- ben
bal nserbe 9Bort bein ba ; burö) m ix bid) lernen beube groß unb flein fc - lig : lieh er s fen 5 nen.
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naher, ihrer ©runbtonart nach,, fo erfenncn wir, bafj baS pf>rpgtfd?e ©epräge ibj erft burd) jene, if>ren
längeren betten ©tropfyen, unb ber auf fie fotgenben fürjeren, in gleichen metobifcfyen SBenbungen
gememfcbaftlidje ©cbjujjjcile geliehen wirb: bafj bte ©tunWonart ber Singroctfe ber langem melobifdjen
©tropbe bis gegen bcn ScbJujj i)in bic ionifd)c, bie ber furjeren bic borifcbe fdjcint, unb bann erft, eben
burcb biefe Icfjte 3eile, in ba3 ^)bn;gifct>e binübergeleitet wirb*), 'tfud) l)ier alfo ift es wteberum ein einjelner
3ug, ber — wie bort ein fold)er ben uolfStbümlid)en Unflätig in bas, fonjt in fird)lid)em (Sinne ©ebilbete
bineintrug — ^ i er ba§ uolBmäßig ©efrattctc einer fircblid)en ©runbform aneignet.
£>iefe ^Betrachtungen bahnen un£ ben 2Beg ju bem ©ebiete, baS rotr nunmehr ju betreten gcbenfen,
weil wir auf ihm eine anberc nid)t minbcr ergiebige £lueüe unferee» ev>angelifd)cn Äird)engefangc§ antreffen
werben : ju bem ©ebiete bes S3olfsSgefange3. Unt>erFennbar neigte bie SBeife bes" lateinifcfycn ÄircbenliebeS
fid) biefem ju, je näfyer if)re ßmtjlefjung an bie 3eit ber £ird)ent>erbefferung greifte, ©ern öerjidjten roir
barauf, jene fpateren Singweifen iljrem Alter nach, in eine 9veit>e jufammenjuflellen, beren 9Jtd)tigfeit roir
üerrreten mbcbten ; bie Unftd)erb, eit eine» folcfyen Unternehmens" fyaben roir gern eingeftanben, ba roir allein
auf ©rünbe innerer 2Bal)rfd)einlid}!eit un$ ju fluten üermbcfyten. £>m SSorwurf jebocb, glauben roir
abroebren ju fonnen, bafj jene ©rünbe überall auf »oreiligen SSorau§fe|ungen beruhten. 9JJan tonnte
freilich, geltenb machten : bie 9Jctttf)eilung ber befyrocfyenen Singweifen rüfyre au£ ben Seiten ber fd)on fräftig
fortgefdjrittenen Äird)en»erbefferung, ja felbjt aus» ber legten ^dlfte be3 löten 3af)rl)unberts l;er, 3eiten,
in benen fird)lid)e unb »olfsmapige gönn fd)on ju »erfdjmeljen begonnen bitten in einen neuen Äird)en=
gefang: faum bürfe man alfo üorausfefcen, baf? jene ?D?clobieen unberührt geblieben fepen »on biefer
S3erfcb,mel5ung, um fo weniger, au? baS JUrd)engefangbud) ber SSrüber fie um? nid)t mit ihren
urfprünglicfyen, fonbern anbequemten Siebern mitteile. So erheblich, inbefj biefer Einwurf juerjl erfd)einen
mag, fo mufj er bod) oor ber (Srwägung fcfywinben, bajj oiele jener Sieber eben nur ju beutlid) bie
■tfnbequemung geigen an eine unoeränbert behaltene SOWobie, felbfi mit Aufopferung aller richtigen
SBortbetonung, fo bafj alfo ba§ Sieb bem ©efangc untergeorbnet geblieben ; bafj in gdllen, roo ber Urtert
unb baS neue, feiner SJlelobie unterlegte Sieb oerglidjen roerben fonnen, roir »on ber Sreue ber Unterlegung,
ber forgfdltigen (Spaltung ber Singwetfe, un3 ju überzeugen im Stanbe finb; baß enblid), roo baS
urfiprünglicfye Sieb mit feiner SEBetfe in bie et>angelifd)e jUrd)e überging — roie ba§ Resonet in laudibus etc.,
Quem pastores laudavere etc., Nunc augelorum gloria etc. — roir biefe in allen geiftlicfyen Singebüd)ern
jener 3eit bem 2Befentlid)en nach, unneränbert, mit gleichen uolfst£)ümlid)en, aud) burd) fpätere Unterlegung
nid)t üerrotfd}ten 3ügen antreffen. £a3 Sieb: ,,5ofepl), lieber Sofepf) mein, fyilf mir wiegen mein Äinbelein"
— ber SDMobie bes , .Resonet" nadjgebidjtct, — jene anbern: ,,2)en bie ^irten lobten febre" unb ,,^)eut
•) 35t. 34.
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finb bie lieben Engelein," äkrbeutfcbungen bev beiben twrber jule^t genannten, »eränbem auch nicht einen
Zon bc$ urfprünglicben ©efangeS, unb laffen un$ auf eine gleich treue SDlttt^ctlung ber ©ingweifen
fcbliepen, bie nur ber SBrüberfircbe eigen blieben, unb in feinem größeren Greife heimifcb würben. 2)a§
allgemeine SBtlb üon bem SBacbStbum unb ©tnfen be3 lateinifcben .ÄircbengefangeS, ba3 wir l)injujeid)nen
ocrfucbten, wirb baber als ber 2Baf)rbeit übercinjiimmenb gelten fonnen ; feine weitere Ausführung bürfen
wir l)ier nicfyt unternehmen.
IL 25er SSolf Sgefang.
Sticht unbemerft blkb un£ ba§ Einwürfen be3 §3olf3gefange3 auf ben au3 bem alten geglichen
©efange ber rbmifcbcn Äircbe ft'd) bert-orbilbcnben neuen ber ecangclifcben ©emeinen, fonnten wir e§ aud)
nur in allgemeinen 3ügcn nod) wahrnehmen. £>ie ©ingweifen ber alten heiligen Sieber au§ ben erften
cbriftlicben ^ahrbunberten fanben wir, ihrem melobifcben SBaue nach, auf einer 2(nfcbauung t>on bem Söefen
unb inneren 3ufammenhangc be§ SonretcbeS gegrünbet, bie fich allgemach, erweiterte, erneute, unb felbft
bem erf Karten SBiberjtanbe ber jlird)e unb it)rer ^aupter gegenüber, unter frifcber ^Belebung burch bie
Harmonie — bie in ihrer JBebeutfamfcit jletS mehr erfannte lebenbige SSerfcbmeljung jufammentönenber
Stimmen ju einem flingenben Körper — an fcbbpferifcb gejlaltenbcr .Kraft gewann, ©o gelangten wir
bin 511 ben Seiten ber nach fünfzehn 3at)rbunberten ft'd) erneuenben jlirebe, unb führten unSbaSjenigeoorüber,
wa§ fte au§ bem ©cbafje ber alten, grübcreS unb©pätere§, ftcb aneignete, unb bem SSebürfnif eineS
©emeinegcfangeS atwaffenb, um= unb auSbilbete. Sefet ift e§ an ber ßeit, unfern ©lief auf baSjenige ju
richten, wa§ bie ©emeine, ba§ SSolf, bem Äircfyengefange hinjubraebte, für ben e§ nunmehr ju tl)ätiger
SJcitwirfung berufen war. Anfange» freilich werben wir 2Benige§ nur ju nennen im ©tanbe fepn, ba$,
ein Erjeugnifj be§ unbewußten, aber fräftigen ÄunfttriebeS im ©efange, ein burd) ihn bereits» ©eftalteteS,
gleich k«en alten heiligen SDielobieen, entlehnt unb in beren ©inne umgcbtlbet worben wäre; aber bie
©runbbeftanbt heile ber volf»mäfigen ©ingweifen werben wir, fd)on jel^t, aud; bie ©runblage bilben
fehen für ben neuen Äircbengefang, ja, wir fafyen e§ bereite an manchem 33eifyielc. £>icfe SBabrnebmung
wirb uns ju 4?ülfe fommen, wenn wir biejenigen ©ingweifen, bie wir als bem 33olfe>gefange entlehnte
bezeichnen, nid)t burch ein auöbrücflichce 3eugnifi für biefe ihre Entlehnung, fonbern nur burch eine, auf
anbere Sbatfacben gegrünbete ^Beweisführung al§ folche barjuftellen oermbgen.
©ine SEbatfacbe ijt e§, für beren ^Bewährung e§ nid)t erft neuer 3eugniffe bebürfen wirb,
baf? feit bem allmählichen Aufblühen ber Siieljtimmigfett bei bem jttrebengefange, beutfebe unb belgifcbe
8Sotf§weifen als melobifche ©runblage gewählt würben für bie barmonifebe SBcbanblung längerer liturgifcher
©efange, ber SJceffc, beä SSKagntft'cat ; oft in SSerbinbung mit ben alten ©ingweifen berfelben, nicht feiten
auch felbftanbig. Unwibcrfprecbticb bewähren un§ biefeö eine 93iengc firchlicher Sonwerfe be§ 14ten, jumeift
aber be& löten 3abrl)unbcrtS. 9JZod)te e3 juweilen ju größerer S5elcbung be§ gortfchrirteS ber »erflochtenen
©timmen gefchehen, öfter wohl noch gefebab e§, um bem ftet§ mehr überhanbnehmenben wettlichen ©inne
ju fd)meid)eln : ernfte ©timmen ber 3eitgenoffen, bie wir nicht erft aufrufen bürfen, ba ein 3eber fte fennt,
eifern bagegen alS Entweihung, alS SSeflecfung be§ ^>eiligthum§.
2)er Äird)engefang ber Eoangelifchen war feiner 9catur unb 83eftimmung jufolge ein \>olUmh-
ßiger; er follte ©efang ber ganjen ©emeine fepn, unb wie er ft'd) in ben9J?aafjen beä 83olf6liebe§ bewegte,
41 —
wovon wir uns balD näher überzeugen werben, beburfte er au* volfsmägiger Singweifen. Allein t>ier
galt es" nicht bem weltlichen Sinne ju fcbmeicbeln, fonbern ba3 urfprünglid) -Seitliche binwegjutfjun, unb
waS ihm bisher als Scbmutf gebient unb äufkre 3ierbe, für einen höheren ^roed ju weifen, $u betltgen.
2Bo wir nun in ben ältefien 9Jielobieenbücbern ber Grvangclifcben bie ben geiftlid)en Siebern
berfelben angepaßten Singweifen nicht urfunblicr; auf ben alten lateinifAen Äircfyengefang jurücfjufüfjren
vermögen, ober wo fie nicht älteren beutfchen ÄircbcnlicCcm urfprünglicf) angebörenb erfcfyeinen ; wo wir
enblicb feine SSeranlaffung haben, anzunehmen, bajj fte bamalS mit ihjen Siebern gleichzeitig neu
entftanben ft'nb; ba bürfen wir faum anfielen, fte aus" bem SSolfsgefange entlehnt ju nennen.
Dringenbcr noch für eine bergleicfyen Entlehnung wirb bie Sermuthung ba werben, wo wir um jene
3eit biefelbe Sangmcifc mehreren Siebern von gleichem Strophenbaue angepaßt ftnben. Senn ift eine
folche iDMobie für bie 9)iehrjahl jencrSieber unbejweifelt eine entlehnte, fo wirb fte eben fo wohl auch, im
OTgemeinen eS fepn fönnen für aüe 5 jumah.! eben bamaß ber entgegengefefete gaU ber viel häufigere war,
bafi für baffelbe Sieb mehrere SB e i fett gleichzeitig entftanben, wie bie älteren geiftlicfyen Sieber=
fammlungen es jur ©enüge bartfmn. *
9cicht unerhört alfo war bas Übertragen be§ weltlichen ©efangeS auf ben geifrftchen um bie 3eit
ber Grntjtehung bes evangelifebett jlirchengefanges, ja, ber urfprünglicben Dichtung biefeS legten zufolge war
für ein bergleichen Entlehnen fogar eine innere 9cotbwenbigfeit vorfyanben. ^)anb in £anb mit biefem
aUerbings gieng bas neue Schaffen, ja, oft über baS unmittelbare SSebürfnijj hinauf, unb nicht feiten in fo
überwiegenber gülle eben ba, wo man juvor ,u entlehnen genötbjgt gewefen war. 2Bar aber "ZlnfangS eine
Singweife mehren geiftlichen Siebern gemeinfam gewefen; fann fte für feines" unter ihnen aB bie urfprüng=
liehe naebgewiefen werben, muß fte für alle aß entlehnte gelten; foüten wir ba nicht uns für berechtigt
halten bürfen, ben 2>olfsgefang für bie Quelle anzunehmen, aus" ber man gefchbpft habe?
2fUe tiefe Grrwägungen treffen jufammen bei ben Singweifen jweier Sieber, bie wir fcfyon in ben
ältefien evangelifeben Sieterfammlungen antreffen.
X)ie erfte unter ihnen ift bie besSiebeS: Gr§ t fl bas" $eil un$ fommen fyer, bie wir jefjt
gewöhnlicher wohl nach, bem viel fpäteren Siebe nennen : Sei Sob unb (Ihr bem bbchften ©ut. SSBir ftnben
fte juerft in ber früheften Sammlung eoangelifcher Sieber, welche (beren nur ad)t im ©anjen begreifenb)
um 1524 ju Wittenberg erfchien. £)a$ Sieb: „Grs" ift baS #eil un£ fommen her, " bem fte in biefer
Sammlung vorgebrueft ficht, ift bas" zweite in berfelben, unb führt bie Überfchrift : „d in Sieb vom ©efefc
unb ©lauben, gewaltiglich mit göttlicher gfchrift verlegt, 2>. ^)auli Speratt;" unb ihm folgt am Scbjuffe
mit JBejug barauf ein reicher Äranz von Stellen alten unb neuen SefkmentS, als eine „Anzeigung auf; ber
fdhrift, worauff bv§ gefanng allenthalben ift gegrünbt, barauff ft'ch all unfer fad) verlaffen mag." 2fber
nicht hier allein in biefer Sammlung ftnben wir unfere Singweife vorgefchrieben. iDem fünften, fechften unb
fiebenten Siebe berfelben ift fte ebenfalls angeeignet, brei ^falmliebern , bie auch, in unfern heutigen
©efangbüchern nod) fortleben : 2lch ©Ott vom Gimmel fieh barein (Ps. XI. Salvum me fac), Gr3 fpricht
ber unweife 9Jvunb wohl (Ps XIII. Dixit insipiens.), 2tuS tiefer 9cotf) fchrei id) ju bir (Ps. 130. De
profundis.). gür biefe Sieber ift fte abermals bei bem erften berfelben unveränbert abgebrurft, mit ber
Überfchrift : „Die brei nachvolgenben ffalm fingt man in biefem S£l)on," ohne eine befonbere
SBemerfung, wober fte entlehnt, ober bajj fte bem Siebe: „Grs ift bas" £eil un§ fommen %tt," eigentümlich;
fei, unb nach if)tn genannt werte. Söfit g l e i cb e m Sfecbte f önnen baber v i e r Äirdjenlieber auf fte 2lnfprud)
t. SBinttrfett, ttr trangtt. G&eralgtfang. 6
42
machen, ba unter folgen Umjtänben bie frühere ©teile im "Kbbrucfe nichts entfd)eibet. Sollte aber bennod)
Sftandxr auf biefe einen größeren 2Bertb legen wollen, alö ifyx I)ienad) jufommen bürfte, fo finb bod)
anbere ©rünbe nod) »orbanben, biefe Anficht ju entfräften. Unfere ©ingroeife fbmmt nämlich, nid)t minber
auch in bem 83re3lauer ©ingebud)e »on 1525 »or, beffen roir in bem »orangebenben 2lbfcbnitte bereite
gebauten. 2)cr 3<d)t nad) iji fie bort bie britte, unb ft'nbet fich bem Siebe gefeilt: ,,9ßun freut eud)
lieben @brijiengmein," mit ber Überfd)rift: den e»angelifcb Sieb meld)c3 man fingt »ot ber ^rebigt.
liefern Siebe erfi folgt alS baS »ierte in ber S?cil>e jeneS anbere, »om ©efefj unb ©lauben, „@3 ift ba3
£eil," hier nur burch bie wenigen SBorte bezeichnet: 6»n bübfd) Speb £). ©perati, auff ben Sbon rote
oben: 9hm freut eud). Sägern bürfen mir Ijicvauä nid)t ein mebreS, als bap biefer Zon nicht
urfprünglid) mit ibm entftanben, fonbern ein entlebnter mar: benn auch bem Siebe geborte er nid)t
eigenbS an, mclcbem er an btefem£rte beigelegt roirb. @§ nimmt baffclbe in ber SB ittenberger Sieben
fammlung »on 15.24 bie erfk ©teile ein, unb tl)m ift eine eigne, auch auf un§ nod) fortgepflanzte ©ingmeife
»orgeorudt, bie inbefj aud) nid)t bie einjige für baffelbe geblieben ijt. 25enn 5Balter3 ©efangbud) von
1524 begleitet e3 mit einer im ungeraben Safte fiel) bemegenben, bie meber in feinen fpäteren 3lu6gaben
(ben 9cad)brud ©cbbfferS »on 1525 aufgenommen), noch irgenb einem anbern bebeutenben 9Jcelobieen=
bud)e bee> 16ten 3i>brbunbert3 mieber »orfommt; bie ältere 2luSgabe be§ bei Sofeph Älug ju SBittenberg
gebrudten Sieberbucbc» (1535) giebt e3 mit einer ?Dtclobie, bie man fpäter gewöhnlicher ben Sicbcm:
ift geroißlieb an ber Seit," ober: „2Bas>fannune> fommen an für Stoib/' angeeignet unb nach ihnen genannt
bat, unb bie erji in einem fpäteren Tlbbrude bei? genannten ©efangbud)e§ (»on 1543) aud) jene frühere au§
ben acht Siebern neben ftdb bat, ibr jebod) bort, eben wie in Sklentin SBapjiS Sieberbud)e »on 1545,
»oranfieht.
9hm ift e§ jwar richtig, baß SBalterS ©efangbud) »on 1524 bem Siebe: „@3 ift ba3 £eil un§
fommen ber" bie ©ingmeife aneignet, mit ber mir e§ in jenen ad)t Siebern antrafen, unb bafl mcber fpäter
noch früher mir eine anbere SÖMobie ju bemfelben angemenbet ftnben. Allein hieraus bürfte noch, nicht
gefd)loffen merben fonnen, baß biefelbe feine ursprüngliche, mit ibm gleichzeitig entfianbene ©efäbrtin
gemefen fei; baS nur möchte barauS folgen, baß eine entlehnte, ju»or nod) »ier anbern Siebern gleich,
ihm beigelegte ©ingroeife, julefct bod) für fein anbereS Sieb fo äwedmäßtg erfunben fei, als eben für
biefeS. 2>enn ein jebeS jener »ier, ju»or auf fie mitangemiefenen Sieber bat bei SBalter um SBenigeS
nachher feine eigene, manches fpäter eine boppclte unb breifadje ©ingroeife, won benen nicht immer bie frühere
auch bie beibehaltene mar. SSon bem Siebe „9hm freut eud) lieben ßhriftengmein" ift fd)on ausführlich
gerebet. 25a§ 9)falmlieb: ,,Zd) ©Ott »om ^immel fiel) barein" erfebeint bei 3Balter mit einer befonberen
©ingroeife au§ ber »erfefcten b orif d>en Sonart; 1537, in bem bei SBolf Äbphl hn ©traf bürg gebrudten
Sieberbuche tjat e§ eine jmeite auf ber mirolobifchen Sonart, bie fid) »orjugSmeife in ©übbeutfcblanb
verbreitete; jmei S^hre Jut>or, um 1535, rcaren in ÄlugS ©efangbuche il)m fogar jmei beigegeben: bie
eine, bie in 9corbbeutfd)lanb jumeift übliche auf ber hr>pophr»gtfd)cn Sonart, »on ber feine ältefte 9Kelobie
bei SBalter »erbrängt, unb bann einem anberen ^)falmliebe: ,,S)er Sptxx ift mein getreuer £irt," angeeignet
mürbe, bie anbere eine »brpgifcbc-, bie in ber golgejeit meijt für QlnbreaS Än6»fen§ 9)falmlicb : ^)ilf ©Ott,
mie gebt ba§ immer ju" angemenbet morben ift. Saä Sieb: „@§ f»rid)t ber Unmeifcn SOiunb mohl" tritt
mit einer eigenen SÜMobie ionifd>er Sonart auf, bie gemeinhin Sutber jugefchrieben mirb, unb neben ber
fpäterbin feine anbere auffam. £>aö de promndis enblid) (Xuä tiefer 9cotI) fd)rei id) ju bir) begegnet uns
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bei Staltet mit einer pbrpgifcben, um 1537 bei -Rbpfjt mit einer (ölclot-ie tonifd) er £onart, jumeilen
aud) nach bem Üiet-e genannt: ,,2Bcr in bem ©cbulj bes J^>ed>flen ift;" beibe haben [ich neben einander
erhalten, unb fonnen auch, ifjreS ganj »erfd)iebenen Ausbrutfeä ungead)tet, al§ gteid) treflieb gelten,
jenaebbem man baS ©efübt ber 3«f nirfdmng , ober ba$ bemütbiger frommer £ofnung baS in kern
9>falme mumaltcnbe anfielt.
Grnblid) bleibt über ben Urfprung unferer ©ingroeife ju bem Siebe ift ba§ #eit un§ fommen
ber" noch ein 3mcifel löfen übrig; fie fönnte nämlich, wenn aud) mit 33ejug auf biefeS eine
entlehnte, boeb einem früheren, ge ift Ii eben Siebe angebbrig fepn. ($3 rcirb un§ nämlid) unter ben
beutfdu'n Äird)cnliebern älterer Seit aud) ber rftergefang genannt,
greu bid) bu mertbe ßbrifient)eit,
©ott bat nun überrounben ic.
SBrt fmben biefen in ben um 1536 erfebienenen Siebem „be3 b od) berühmten ^einrieb §infen3" einer
oierftimmigen Bearbeitung unferer ©tngroeife gefeilt: freilich um jttjotf Sabre fpäter, al§ fie unS juerft
gebrudt begegnete, aber boeb, voeil in SSerbinbung mit einem urhmblid) älteren geiftlid)en Siebe, biefem
oielleicbt urfprünglid) angebörenb. Sagegen ftreitet inbefj bie 2trt tt>rer (Sinfübrung in bem 33res>lauer
©ingebuebe öon 1525. 33ei jeber SJielobie nämlich, meld)e baffelbe mittl)eilt, pflegt e§ bie StebeSroorte,
benen fie urfprünglid) angebört, ju nennen, biefelbe ats> ben Xon einee> fold)en Stebes> ju bezeichnen: e3
roürbe alfo aud) unfere ©ingroeife, mo es! fie juerft bem Siebe: ,,9lun freut euch" üerbinbet, roof)l als
ben £on : ,,§rcu bieb bu voertbe ßbrifienbeit" genannt bähen. Sie ftcl)t aber bort obne eine fold)e, ja obne
alle Bezeichnung: al3 eine bamalS vool)l neue, balb gangbar geworbene, oielfacb auf ba§ r>erfd)iebenfte
angevoenbetc, unb bal)er v>iclleid)t namenlos gebliebene SDielobte.
9cid)t ol)ne ©runb bürftc fie, biefem allen jufolge, als! eine, bem SBolBgefange urfprünglid)
angeborenbe, au3 it>m entlehnte, erfd)einen. 9JJan fdbette aber aud) biefe Unterfud)ung, einen fo großen
Sfaum fie bin- einnehmen mag, nid)t eine unüerbältnißmäfjige, ja, voobl eine unerhebliche. £>enn ein nid)t
unwichtiger Umftanb für bie Cnirftebung unb 2fu3bilbung unferS eoangelifcben Äird)engefange§ ift babei jur
'^nfdiauung gefommen, ba§ SSerbältnifj be§ (SntlebnenS ber ©ingroeifen ju bem eigenen Schaffen.
(Sine offenbar entlehnte, frembe 2ßeife ftnben mir juerft auf oier, bann nod) auf jmei anbere Sieber
angercenbet : ein glüdlicber gunb erfd)eint fie nur für ba§ ein e berfelben, unb ihm »erbleibt fie : bei ben
anbern bauert bae> S3ebürfnip einer ftnngcmäfjeren Betonung fort, unb biefe wirb einem fogleid) ju SEbeil,
unb fcblicfjt alle anberen, ähnlichen 8Serfud)e auS ; bei einem jmeiten roirb au3 üieren, bie faft gleichzeitig
erfcheinen, bie eine im Horben, bie anbere im ©üben, boeb jene allgemeiner, üblich, bie britte, ältefte aber
einem anberen *Pfatmlicbe gefeilt, unb eben fo gefebiebt es> mit ber werten; für ein britteS Sieb treten jroei
2Beifen i)cxx>ox, unb bleiben in gleichem Tinnen, roeil eine jebe t>on ihnen eine beftimmte, ihrem Siebe
eigentümliche ©efüblSroeife ausprägt, unb für befonbere 3eitcn unb Gelegenheiten, roo eben biefe bie
bercortretenbe ift, ftd) »or ber anbern geltenb macht, ©obann üerbient aud) jenes Sieb $>aul ©peratS
fd)on an fieb ein längeres SSermeilen, megen feiner grofjen 3Bid)tigfeit für bie Ausbreitung ber reineren,
e»angelifcben Sehre. 6ben ben Angelpunft berfelben, ba§ S?erl)ättnif^ beS ©efe^eö unb be§ ©laubenS, bie
9?ecbtfcrtigung burd) biefen all ei n, ba§ Serberben ber SBerfbeiligfeit, prägt eS einbringlid), »erftänblid),
ootfSgemäp ein, unb fd)on bei feinem erften Srfcbeinen üermahrt eS ftd) bagegen, baf? e§ eine neue Scbre
prebige, eine ©rfinbung beS 20Icnfcbemt»i6eS: eine jebe feiner ©trophen belegt eS, nad) ben SBorten feines
6*
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Anhanges „gewaltiglid) auS göttlicher «Schrift." 2Bte »erftänbig alfo, ihm fogleid) bei feinem
erflen Auftreten eine ©ingweife als anmuthenben ©d)mud mitjugeben, bie bereite im SJcunbe beS 33olfeS
lebte; wie fyeilfam, biefe, wenn fte leichtfmnig=weltlicb,en 2Borten anbjeng, bcroon ju trennen, unb beren
©ebächtnif mbglichfr 5U t>erlöfd)cn, bamit fte für baS Grrbauenbe ganj gewonnen werbe? %a, »on biefem
©eftd)tSpunfte auS erfcfjetnt felbft if)re 2fmr>enbung für r>iele geijitid)e Sieber nid)t abftd)tSloS : fte foüte
bem weltlichen ©ebiete ganj entrütft, eS foüte ganj oergeffen werben, bafj fte ihm jemals angehört habe!
©agt bod) Suttjer in feiner SSorrebe ju bem SBalterfcfyen ©efangbuche oon 1524 auSbrüdlid) üon ben barin
enthaltenen Siebern: „Unb ftnb baju auch, in wer fitmmen bracht, nit auf anberer urfad), benn baS id) gern
wollte, bie jugent, bie bod) fonft foll unb muf in ber SDtuftca unb anbern redeten fünften erjogen werben,
etwaS hätte, bamit fte ber bullieber unb flepfcfjttdjen gefenge lofj mürbe, unb an berfclben jratt etwaS
heplfameS lernete, unb alfo baS ©ute mit luft, wie ben jungen gepürt, einginge. 2tud) baS ich nit ber
mepnung bin, baS burd)S (Suangelion folten alle fünft ju boben gefd)lagen roerben unb vergehen, wie etliche
abergepjilichen fürgeben, fonbern ich mollt alle fünfte, fonbertid) bieSOiüfica, gern fehen
im bienft beS, ber fie geben unb gefd>affen i)at."
©ine jwcite geijHiche ©ingweife, bie auS bem SMfSgefange entlehnt fet;n bürfte, ift bie beS
Sieben : Ghrijt unfer .£>err jum ^orban fam. freilich wirb bei beren Nennung ben SDceifien
bie SEBürbe unb ber Crrnft biefer SDcelobte, welche fte ju einer urfprünglich fachlichen ftempeln ju müffen
fcheinen, biefer Behauptung ftd) gegenübcrfrellcn als innerer ©runb gegen biefelbe. Mein umfafte
bod) ber SSolfSgefang baS ©efammtgebict beSSebenS, unb foüte eS bal)er aud) nid)t, wie 33olfSlieber ernften
3nhalB, fo aud)S8otfSweifen würbigen ©eprägeS gegeben haben? Unfere SBeife aber f)«t ein 2luSjeid)nenbeS,
baS fte nur noch mit einer jweiten theilt (ber beS SiebeS: 25urd) 2lbamS Sali ijl ganj »erberbt): einen
unregelmäßigen, d 0 1 1 f cr> e n 2ütSgang, währenb fte fonft in ber borifchen Sonart ftd) bewegt: etwaS bei
urfprünglich geifiltd)en 2Betfen ©elteneS. 2Btr treffen fte juerfl in bem 3Balterfd)en ©efangbudje oon 1524
(an ber jwb Iften ©teile), jebod) nicht bem genannten Siebe gefeilt, fonbern bem ^Pfatmlicbe : ,,(§S wollt'
unS ©ott genäbig fepn" (Deus misereatur nostri Ps. 67): ber Äated)iSmuSgefang, bem fte je|t
angehört, war bamalS »on Sutl;er nod) nid)t gebid)tet, fonbern erfdjeint juerft in 3ofeph ÄlugS ©efang-
bud) oon 1543 (an ber 16ten ©teile) unb nunmehr in 83erbinbung mit unferer ©ingweife, währenb jenem
spfalmlicbe bort bie ^p^rngif ct>e Gelobte angeeignet ijl, bie ihm feitbem jietS blieb, unb ihm fetjon in bem
früheren 2lbbrude beS julefet genannten ©efangbudjeS, um 1535, beigegeben war, bamalS auch wohl
auSbrüdlid) für baffelbe erfunben würbe.
VRan wenbete, wie wir fehen, fjtenadt) juerjt eine bereits oorhanbene ©ingweife an auf baS
9>fatmlieb, bie man fpäter mit einer eigenen »ertaufd)tc, bie ihm angemeffener fd)ien; jene entlehnte aber,
bie wir gegenwärtig betrachten, mochte wohl burd) it)ren eigentümlichen @rnjt, unb ihre leiste, nach, einem
»ollen ©d)luffe in bte ©runbtonart, wieber über biefelbe hinouSgeljenbe ßeile, für Suther ein Antrieb
werben, fein Äated)iSmuSlieb von ber Saufe ihr anjupaffen, in welchem jebe le^te Seite feiner fteben
©trophen mit befonberem 9cad)brude eine ßehre, einen Aufruf, eine 33erf)eifiung einprägt: baft bie Saufe
ein neueS geben begrünbe, bap ber ©eift ber Säufer, baf feiner ßehre ju folgen fei, bap bie im ©tauben
©etauften beS £immelreid)eS 23erf)ei^ung haben. ©0 erfd)eint fte nunmehr bem Siebe »ötlt'g »erwachsen,
unb gleich wie mit ihm unmittelbar entfianben, ba fte bod) urfunbltd) eine entlehnte, unb weil ihr
geiftlicher Urfprung nid)t nachgewiefen werben fann, mit überwiegenber 2Bahrfcheinlid)feit auf ben a>olfS=
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gefang jurücfjuführenbe iji. Saju fömmt, baß ber Strophenbau tf>rc§ Siebet , wie wir fpäter feiert
werben, bem ä>olf§ liebe entflammt, außer bem genannten 9)|almliebe aber, unb Sutf)ert> Siebe auf bie
SJiärfprer ju ©rüjjel, um bie erfte$älfte beS lCten SafyrfyunbertS fein anbereS geijiliches Sieb »orfyanben tji,
baS benfelben mit Ü)tn feilte.
ein wichtiges 3eugniß für bie Sfarfacfye beS ßntlefmenS weltlicher Siebweifen, für ben Sinn,
in bem eS gefebahe, eine Sbatfadje, bie wir bis tyefyt burd) eine Schußfolge allein alS roabrfdjeinlid) barju«
ftellen vermochten, gewäbrt unS eine fdwn im 3al)ve 1527 ju Dürnberg erfd}ienene Sieberfammlung unter
bem titelt „Sie euangelifcb 9Keß, teutfeb. 2fud) babei baS fyanbbucfylerm getjilichcr ©efänge, als 9)falmcn
Sieber unb Sobgefenge, fo am Sonntag ober gevertag im '#m»t ber 9£lccß, bcßgleichen vor unb nach, ber
g>rebtg in ber ßljrijilichcn 33erfammlung im neuen Spital ju Dürnberg gefungen werben." £ier ft'nben wir
geijtlicfye Sieber mtt£inwcifung auf bieSDZelobieen weltlicher, beren Snfyalt, närjer unb ferner, in gegenfeitiger
33ejief)ung fiel)t. Sie ßfyrijienheit wirb ermahnt in einem Siebe, ju erwachen, unb ben füßen .Klang beS
reinen ©otteSworteS ju Bernehmen, baS ihr nun lauter gevrebigt werbe; eS gefchtel)t in ben Sönen einer
alten Sageweife: ,,2Bacb, auf mein'S £erjenS Schöne." (Sin anbereS Sieb fragt, wo Gsfyrijii
©ejialt gewefen, alS Svlvejier burch ßonfiantinS ©efdbenf ©ewalt befommen habe über 9?om; eS foQ
gefungen werben in ber SBeife beS ©efangeS: Sfofina, wo war bein' ©ejialt, bei .König ^3arii
Seben. ©egen bie Anrufung ber ^eiligen wirb geeifert in einem britten Siebe, bem bie SDMobie: (§S gebt
ein frifcher Sommer baber angeeignet iji. 3n bergleicbcn volfSmäßtgen SEönen vorgetragen, erhielt
baSjenige, waS man bem Siplfe an baS .Jperj legen, womit man il)m beuten wollte, waS ofjnehin bie
©emütfyertfUer bereits befchäfttgte, eine große (Sinbringlichf'ett, unb verbreitete ftch mit unglaublicher Schnelle.
SBir würben inbeß burch bloße 4?inweifungen biefer 2frt auf SSolBwetfen eben nur bie 5E b at=
fache ihrer Übertragung auf ben geglichen ©efang bewähren fbnnen, nicht aber eine lebenbige Tlxi--
febauung ihreS ©influffeS auf benfelben gewinnen, wären unS nicht beren auS jener Seit mit ihren
urfprünglichen Siebern aufbehalten. £ier nun fommt, um baS britte 3al)rjef)enb beS 16ten 3af)rhunbertS,
ober baS jweite ber .Kircbenverbefferung, eine febä^bare £lueEe unferen SBünfcfyen entgegen. GjS iji eine, im
Sahre 1539 juerji erfcb,ienene, fiebjebn %at)xe fväter (um 155G) mit bem fünften Steile abgefchloffene Sammlung
von 33olfSliebern. Sie enthält beren jufammen 380 ; in ben vier erjien Steilen vierjiimmige (mit 2(uSnabme
etneS einjigen achtjiimmigen im vierten Steile), in bem legten fünfjitmmige, barunter nur eineS ju fteben
unb eineS ju jefm Stimmen. £>er £erauSgeber, ©eorg gorfter, ließ ben erjien St)eil berfelben bei
9>etraiuS ju Dürnberg erfcheinen, unter bem Sitel: „2uiSjug guter alter unb neuer teutfeber Sieblein, einer
rechten teutfehen 2Crt, auf allerfyanb 3njintmenten jü gebrauchen, auSerlefen ;" eben bafelbji im folgenben
3af)re (1540) ben jweiten; eine neue Aufgabe biefer Sieber unb ber brei legten Steile erfd)ien bei Johann
vorn SSerg unb Ulrich Sieuber ebenbafelbji. Siefe Sammlung iji in hohem ©rabe geeignet, unS ein SBilb
ton bem SBefen beS beutfcbenSSolfSgefangeS um bie 3ett beS beginnenben 16ten SabjbunbertS ju gewähren,
wie fte nicht minber eine Quelle iji, auS ber wir ben Urfprung vieler geijilicher Siebweifen h^leiten fbnnen.
Sn jeber SJücfftcht bab,er iji fte für ben ßweef biefer Sarfiellung eineS längeren 83erweilenS würbig.
SBenige nur ftnb bie Nachrichten, bie wir über ifyren Urheber, ©eorggorjier, bef%n. Sebalb
^»evben in ber 3ufcbrtft feiner 2ibl)anblung von ber Äunji beS ©efangeS*) an ^)ieron»)muS S3aumgärtner,
*) De arte caaendi, ac vero signorum in cantibus usu libri duo, auetore Sebaldo Heyden etc. .Xorimbergae apud
Joh. Petreium Anno salulis MDXL. „Georgius Forsterus, vir ut literarum et medicinae ita et Musicae peritissimus."
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^atricier unb SiatbSberrn von Dürnberg, rühmt il)tn nad), er fei in bev 4?eilfunbe "»b Sonhmft gteid)
erfahren 5 baf er btcfeS leiste gewefen, bezeugt ntdjt allein eine JBcifieucr von 34 Sonfdfcen ju unferem
2icccrbud)e, fonbern auch ^Beiträge ju gleichzeitigen (Sammlungen getftlicher ©efdngc, wie namentlich, ju ber
uon ©eorg JRfyau um 1544 herausgegebenen für bie gemeinen ©dmlcn. Doch bat er bie Sonfunft faum
als ^Broterwerb getrieben: wie er benn in ben Sufcbriften ber fünf Steile feiner Sammlung an greunbe
unb ©önner, beren 9JW)re nennt, bie, als feine ©enoffen, ft'e ohne eine folcbe 9füdftd)t übten, unb bamit
$ugletd) nebenher einigen, wenn aud) niebt vollftdnbigen "tfuffcbluf? giebt über feine SebcnSverhdltniffe. ©o
erinnert cr'3obfl von S3ranbt, Hauptmann ju SSBalbfaffcn unb Pflegern ju Siebentem, ibrer alten
Äunbfcbaft unb gmmbfdjaft, wie ft'e am $ofe bcS ßl)urfürften am 3?betn, ^fal^grafen ßubwig ju .!peibel=
berg, unter beffen Saugern aufgewogen, unb uon feinem Gavetlmciftcr £aurenttuS Scmblin, ,,il)rem
frommen 9)rdcevtore, " untcrrid)tct worben: wie ft'e bann mit bcS ßfntrfürften S5ruber, ^Pfaljgraf SBolfgang,
«Dbcrften Äaiferlid)er ?Qtajejidt, nad) granfreid) gejogen, in ©elbern, 33rabant, vor Sanbreci unb anbern
SDrten unter bcS £)briftcn Lieutenant, ihrem guten greunbe ©ebafttan SSogclfvcrgcr ju Selb gelegen,
,,mand)3mal mit guten unb fkrfcn 3dbncn bbfjlid) geffen, übel getrunfen, unb bart gelegen, unb in
©umma jum bitfern mal)l ben junger unb Surft mit einem alten ßicblcin gebüffet." (Sr preist feinen
gratnb, bafs er ,,ber cblen SRufic ein fonberlicber Sicbbaber unb gbrberer fei, unb fold)S neben ^>errn
©efebaften unb 'Ämtern nod) heutigen SEageS mit bem ©efeen beweife, welchS bei anbern be§ 2(belS ein
fettjflm SBtlbbret unb fd)ier ein ©d)anb fei)." (Sin gleiches rül)mt er von unb gegen ©tevban 3irter,
beS (Sburfürften ©cbcimfd)reibcr, ebenfalls einen Sugenbfreunb, unb Dtetrjd) ©d)war$ von £afelbad)
unb dbermanSborf : von allen biefen jieren viele ©efdnge feine Sammlung, beren vierter unb fünfter
SEbeil ben lefjten SBeiben, ber britte jenem Sobfl: von S3ranbt gewibmet ift, einem jeben unter frcunblid)cr
(Erinnerung an bie fct> bnen 3abre ber ©enoffcnfcfyaft ju .Jpeibelberg. üjnbem er nun um ben ^Beginn beS
1556fien 3afyre§, mit bem vierten unb fünften Sbeile fein SBerf für befd)loffen erfldrt, beffen erften £l)eil
er ft'ebjcl)n Sabre juver ,, allen 2icbl)abern ber eblen SEftuftc" unter fmmblid)cm ©rufte bargeboten blatte,
fvridtt er feinen @ntf$lufj auS: baf?, ,,nad)bcm er bisher mit teutfd)en ßieblein ben gemeinen ©dngern
unb gemeiner ©cfeUfchaft genug gebienet, wolle er einmabl auS bem ©d)taftrunf in bie &ird)en geben, unb
mit ber 3eit hernach ein fd)bnen ZfycU geiftlicher Siebleiu in £rutf geben laffen, bamit ber jlird)en auch
gebienet, unb bie SRuficd auS bem ©d)laftrunf wieber in bie Äircben, an ibr recht gebübrenb £?rt, barin
ft'e anfdnglid) gewefen, gefül)ret, unb baburd) ber allmächtige ©Ott gelobet unb gevreifet werbe." 2flIeS
biefeS beutet auf einen 93Zann, ber bie Sontunfi aB (Srl)otung mit ©leid^geftnnten gcmcinfd)aftltd) geübt,
unb, gleich ihnen, aud) in fvdteren Sahnen, neben einem anberen SebcnSberufe, ihr bie frühere Siebe bewahrt
habe ; einen SDlann, ber als SSielcrfahrener, in mannid)fad)en ficbcnSverbdttniffen (Sinl)cimifcher, mit 9Jtdn=
nern von allen ©tdnben in freunbfd)aftlid)emS3erfcl)r©tehcnber — wie benn aud) "iiuguftin ßd juSSBürjburg
laut ber 3ufd)rift beS ^weiten SEheiteS (1540) ju feinen greunben unb ©bnnern gehörte — jumeijt baSjenige
fammelte, baS in ben wecbfclnben Sagen feineS ßebenS ihn erheiterte, beluftigte, aud) wol)l ttbftete unb
fidrfte. Darum bürfte eben biefe ©ammtung am erften geeignet erfebeinen, ein treues S3ilb beS ßieberge=
fangeS um bie 3ett ju geben, bie unS gegenwärtig bcfd)dftigt.
3n welchem ©tnne govfter gefammelt, f»rid)t er in feinen 3ufd)fiften wieberholt au§. ,,@S ift
meine Meinung geweft," fagt er, „allein fd)led)te, alte gute tcutfd)e ßieblein mir ju ^>auff ju tragen, fo
$u fingen, unb allerlei 3»iftrumenten fehr tüglid): t)intana.tftfy alle große, vermeinte jtunft, fo etliche in
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fd)lcd)ten Siebicin, «triebe* alle licberifcbe "2(rf, fachen unb fürgeben, fo bod) vielmehr bte einfältig Sieblid)feit,
baS 1)bd$ im ©efang', feilt gefugt werben; id) mein' aber nit bie ßinfalt ber anfangenben Schüler, benn
bte gar 511 febteebt ift, unb ju einfaltig." Unb an einer anberen Stelle: ,,(5S mbdn' aber einer fagen, waS
man an tiefen leppifeben Siebtem getrudt fyät? Dem wil id) alfo gcantwort l)abcn, baS id) biefe Sieblein
nidit ben bapfern, fonbern ben fct>led>ten fingern, fo I;tn unb wieber auff ben Schulen mit ber lieben ©anS
umb Martini unt 2Bcil)nad)ten, ober jur anbern ßeit (voie benn an vielen £rten ein alt ^erfommen; rote ft'e
eS nennen, muffen fyerumb recorbtren, Ijab moll'n mitteilen. Denn folcbcn Sängern oftmals ift bcrgleicben
lieblein eins ju fold)er 3eit viel mehr, benn ein f bftlid)S SoSquinifd), ober eineS anbern berümbten ßornponi;
ften ftüd, fürträglicber, unb beffer ju Stat fompt; wie benn bie, fo baS gcbraudit, wohl wiffen." £?ffen=
bar rebet er an biefer Stelle vornehmlich von ber Äunft beS SonfefjerS, bod) bamit ift allerbingS auch, bie
2lrt ber ©ebiebte fclbft bebingt, unb fyinreicfyenb bejeichnet; aud) um biefe bat er ftd) SOiühe gegeben,
war aud) ber muftcalifd)e £l)eil ihm .£>auptfad)e. „DaS aud) ber red)t SEert nicht in allen lieblein vor=
banben, fan id) nit für, benn id) wol roeif3, rote großen gleifs id) lange Seit gehabt, baS id) bie rechten Seiet
ber lieblein befommen mbd)t, bat aber nid)t fepn wollen. Dicweil wir aber nid)t ber Sejrt', fonbern ber
@ompofttion falber, bie lieblein in SErud gegeben, haben wir in bte lieblein, barunter wir fein' SEert
gehabt, (bamit ft'e nid)t on' Sert waren) anbere Sert' gemacht. SBiewol wir aud) ettid)' SEert mit gleif,
als bie faft fe£>r ungerümbt gewefen, I)inweggetl)an, unb anbere bafür gemacht; wcld)S, bieweil'S fein' SEob--
fünb' ift, ad)ten wir, man werbS unS nit verargen." 2ßir bürfen nid)t fürd)ten, bafi wir an ben hinweg*
getanen Serten einen erheblichen SSerluft erlitten, fo wenig wir uns» aud) eineS ©ewtnneS erfreuen bürften
an ben, bafür von unferem Sammler gebid)teten. DcS „Ungerümbten" werben wir immer nod) genug fin=
ben in unferen Stebem; aber es ift bod) aüejeit für bie eigentf)ümlid)e SBeife ber ©egenwart, unb unmittel=
baren fßorjeit beS Sammlers fybtfyft bejeidinenb, unb wir tonnen if)m trauen, baß er nur baSjenige hinweg*
getfyan, waS, in feiner 9?üdftd)t ^InjiehenbcS bietenb, eben nur ungereimt war; wenn aud) feine Dichter*
gäbe nid)t fo weit reichte eS burd) SSeffereS ju erfe^en. @r ift fonft nid)t eben efcl 311 SBerfe gegangen.
Selbjt 3ud)tlofeS unb Unflätiges, fommt eS aud) nid)t ^auftg vor, l)at er nid)t ganj befeitigt, ber berben
2lrt feiner 3eit gemäß, bie wir aud) hierin fennen ju lernen ©elcgenhett haben, unb bie in unverfälfcbter ©e=
ftalt in biefen ^Blättern vor unS liegt.
2BaS nun baS Hilter ber Sieber, unb jumahl ihrer Singweifen betriff; fo bejeiebnet ber 4?erauS=
geber ben grbfieften Sheil ber Sieber, welche bte erfien beiben Steile in ftd) faffen, fdjon um 1539 unb 1540,
ben Sahren ber früheren ^eraulgabe, als für ftd) felbft lange 3eit her jufammengclefene, unb jum £f)eil
etwaS alte; wir bürfen fte baher wohl mit gug als minbeftenS fchon in ben erften Sohren beS IGten 2>abr=
hunbertS entftanbene annehmen. IBon mehreren läßt fid) biefeS urfunblid) nad)weifen. gorfter hat nament*
lid) auS jwei Sicberfammlungen gefd)bpft, bie fd)on ju Anfange beS SabrbunbertS erfd)ienen waren; beibe,
wie eS bamalS nid)t feiten gefd)al)e, außer ber 25ejeid)nung ber einjelnen Stimmbüd)er alS SEenor, Difcant,
SSap unb 2llt, ohne weiteren Sitel. Die eine „in ber faiferlichen unb beS heiligen reid)S Stabt 2lugfpurg,
burd) (Srhart .Öglin getrudt, unb volenbt am newjehenben tag beS 9KonatS Sulii, von ber gebuft <5t>rifii,
unfereS lieben ^errn in ben rv hunbertften vnb jwelftem jare"; bie anbere „getrudt ju Wlenfy burd) $)eter
Sd)bffern, unb volenbt 3lm erften Sag beS SKer^en Znno 1513." 2luS jener entlehnte er unter anbern
bie Sieber: 2Cd> Sieb mit Seib tc. 9Jiein ^erj hat ftd) mit Sieb verpflid)t tc. 9£ad) willen bein :c. 5Eröftli=
d)er Sieb tc. 3ud)t ehr unb lob ihr wohnet bei; auS biefer fpäteren: Unfall will ifjunb t>abm red)t tc. 3art
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fcbbne grau jc SSon ebler TLxt ic. (Sin Siblin fagt mir freunblicb, ju ic. unb mit beren SKelobieen bat
er auch bie Sonfäfee berübergenommen, ber befferen Unterlegung ber SSBorte wegen nur UnbebeutenbeS baran
änbernb, unb unS bie tarnen tfjrer Uvtjeber nennenb, bie in jenen alteren (Sammlungen jumeift fehlen.
Doch barf man jenen Sonfefjcm nicht bie ©runblage if?rer ßompofttion, bie SDZelobie ber Sieber, beö^alb
jufcbreibcn; benn l)icr, wie fpäter, um bie Seit ber SBlütbe be§ geiftlichen SiebergefangeS, waren ©än=
ger unb ©e^er, ber ßrftnber ber ©ingwetfe, unb ber Urheber ihrer mehr jrimmig en ffiearb et=
tung, ntdbt einer; fonbern bie SEonftmftler nahmen bie Aufgaben für bie t>on innert als eine befonbere
geübte Äunft be§ ©a|e§ au§ ben vorbanbcnen Crrjeugniffen be§ unbewußten JtunfltriebeS , ben im SSolfe
entftanbenen, in biefem Sinne funftlofen, aber feine (Sigentf)ümlicb,feit lebenbig abfpiegelnbcn SEonweifen.
Die Drudjabje jener älteren beiben Sammlungen foroobl, al§ bie fpäteren ber einzelnen SSbeile t>on ber
gorfterfcben, beuten un§ aud) nicht fowobl bie (Sntjrebimg ber Sieber unb ihrer SBeifen an, aI3 »ielmebr ben
fpäteften Seitpunft, wo 33eibe§ entjtanb. (Einige Sieber freilich weifen bureb, ihren Snbalt unb ba§ über
fte un§ anberweit ^Berichtete, auf einen beftimmten 3ettpunft ihres @ntj!eben§ hin: mögen fte auch t>xel-
leicht früher febon worhanbenen SBeifen angepaßt, unb biefe fobann »on treflichen Sonfe^ern jener 3ett
mebrftimmig bearbeitet worben ferm, ober aud) wohl al§ Umbid)tungen früher üorhanbener Sieber erfch. einen,
©o ba3 Sieb ©eorgS t»on grunbSberg, ba§ er nach bet Schlacht von ^»aüia gebichtet haben foll, alfo
nicht cor 1525, unb ba§ wir im erften Steile unferer Sammlung*) in Subwig SenfelS »ierftimmigem
©a£e finben. grunbSberg ließ, wie unS berichtet wirb, wenn er mit ^»auptleuten ober anbern ©äften frbb=
lieb war, biefeä Sieb ftcb »or Sifcb oft mit 4 Stimmen, ober t»on Snftrumenten begleitet, fingen; feine' erjle
©tropfe lautete :
ÜDlein' gleiß unb 5Dlüf> id) nie bab' gfpart,
Unb alljeit gwart bem £erren mein,
3um 33eftcn fepn, mich gfehieft l)ab' brein,
©nab', ©unft »erhoff,
Dod) ©unft ju Jpof üerfebrt ftcb oft.
Dabei pflag ber alte Ärtcg§f>ett> auf bie le^t ju fagen: Drei Ding follen einen jeben oom Äricg abfebretfen,
bie S3erberbung unb Unterbrüdung ber armen unfduilbigen Seut', bas> unorbentlid) unb fträflid) Sehen ber
itriegSleut', unb bie Unbanf barfeit ber Surften, bei benen bie Ungetreuen f)od) fommen, unb reich werben,
unb bie SSBobwerbienten unbelohnt bleiben. — @in anbere§ Sieb im jweiten S£t)etle ber Sammlung, t>on
SJiattbäuS ©repter gefegt, tterbbbnt ben befannten SBarfüßermbnd) Shoma§ Säumer mit S5ejug auf
ba§ 9ieligion§gefpräd) ju S5aben: in biefer ©eftalt ift e§ baher I;bd>flen§ um 1526 enrftanben **) :
S3on üppiglicfyen Dingen,
©o will id)$ h^en an,
din' ^benteur' ju fingen
Die id) erfahren ba'n.
S3on einer grauen Äafjen,
9iit fer im Sberlanbt ;
•) mxo. 105.
•*) ©. Z\). II. 56.
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3u 33aben funbt ft'e fdjma^en
3a auf ber Sifputaljen,
3ji w>of>t befanbt im grauen ©'manbt,
Sfl je ein' ©cfyanb
201 9Belt fann ft'e mof)t fafjen,
SKurmaun tfl fie genannt.
(*5 ift aber, wie wir aus ,,65 beutfdjen ßiebern , wormalS im £rud nie aufjgangen" (9lr. 62) lernen, bie
bei <Sd)bffer unb 'tfpiariuS ju Strasburg (olme £)rudjaf)r) erfd)ienen ftnb, einem älteren gleichen Anfangs
nacbgebilbet, baS bamaB beliebt unb berannt mar, unb ein luftiges 2(bentf)euer »on einer Sflagb unb einem
^Bauern beim Sanje erjäl)lt.
SSJiit 33eftimmtf)eit beutet auf bie 9?eformation6jeit ein Sieb im 4ten Steile, (9tr. 28) t>on ©te-
pl)an 3trler gefegt:
3d) will fürmaljr gut 33äpftifd) ferm,
£>eS SutfyerS ßef)r' »erachten,
9lad) guten Sagen mtll id) nur
Unb feij!en ^)frünben trauten ;
9<iad) 3in3 unb 9?ent
©tef)t mein Sntent
SBenn id) bie f)etf
@o fonnt' id) ftet
3n Suft unb ^reuben leben;
2Bonad) follt' id) fonji jtreben?
2>od) bürfen mir nid)t alle anberen ßieber, in benen mir baS geben ber ©eijtlidjen gefd)mäf)t unb
©ebräudje ber alten Äircfye »erfpottet ft'nben, jener fpäteren 3eit angefybrtg glauben; mir bebürfen baju be=
jtimmtercr ■tfnbcutungen, meil @d)tnäf)ung unb ©pott in biefem ©inne ber ilird)em>erbefferiing um §3iele3
üorauSgieng. £)antm fann aud) unter ben Wielen SErinf liebem, bie unfere (Sammlung enthält, ein lateini=
fd)e§ in §orm eineS 9iefponforiumä füglid) einer früheren 3eit angeboren. £>er SErinfenbe ftef)t barin feinen
3ed>gcfcllen fajl gegenüber mie ber ßiturg bem ©ängerdjore, unb begegnet ifjrer 2lufforberung baS ©las
big auf ben S5oben ju leeren, bamit ntd)t3 barin bleibe, im £one eineS alten Ätrd)engefange3, ben geleerten
S5ed)er nieberfe^enb, mit ben SBorten :
Hoc est in visceribus meis !
£>a§ f)ab' id) nun im Serbe !
morauf it)tn ber @()or mit gellem Saudjjen antmortet :
Prosequamur laude !
gafjren mir fort ju loben !
3n ben meijlen übrigen S£rtnf liebern l)errfd)t unfdjulbiger ©d)erj, ber in ben SDZartinSliebern in
auSgelaffenen Subel übergebt, fo bap bie Srinfenben baS ©acfern ber ©änfe, baS 3mitfd)ern ber S36gel
nad)al)men, aud) mofjl bei bem S3ittenben, rogans, an bie rofje ©anS benfen, unb if)r bie „bratne ©anS"
entgegenfefeen. S)ergleid)en mar benn freilid), mie gorfter ridjtig bemerft, nid)t fomof)l für bie „bapfern"
al§ bie fd)lid)ten ©anger, bei beren Biebern unb einem mobjbefefcten Sifdje ber ehrbare Bürger nad)
c. SBmterfttb, ker «angel. S^orafgcfang. 7
50
fauren 2Bod)en am 9!Jcartin$abenbe auf feine SBeife frofjltd) fevn »rollte. Da§ lofe unb müjte geben ber
ganbSfnccbte nimmt eine breite ©teile ein in unfern 2iebem, unb feiten wirb babet auf bejnmmteSeiteretgniffe
btngebeutet. ,,2Bir jogen au£ in$ gelb," heißt e§ in einem jener ßanbSfnechBlieber, ,,ba fyatf mir weber
©ecfl noch ©elb; mir fam vor fteben Sob, ba hart mir meber Söetn noch 33rot;" aber nun famen bie
golbenen Sage, e3 ging in ba3 fcf)öne Sßelfchlanb ; unb fo mirb benn im ©efange meiter fortgefahren :
2Bir famen nach griaul,
Da Ijatt' mir allefammt »oll Sflaul,
unb in ©rmartung mie Erinnerung biefer Sage bcS SBohllebenS folgen jeber ©tropbe gerabebrechte SBorte,
bie für guteS SBelfch ju nebmen uns> angefonnen mirb :
Strampede mi,
Alami presente al vostra Signori.*)
'tfber viel anbere 9Kaf)le muffen bie armen ganbSfnccfyte unfere grau bitten, baß fte irrnen eine marme ©onne
befeuere **) ; ober menn ber ganbSfnech t über gelb geht ohne ben Pfennig im 33eutel unb vor ber SBirtfyin
£au3 fömmt, muß er, baS bbfe .Kraut, fvottroeife in munberltchem ©emeng aHert;anb ilraut ftch vorrechnen
laffen, unb ,,bocfenbreite ffilätter, bie fevn innen hohl***)". Dann mirb un§ enblicf) mohl in einem
Guoblibet, einem ©emebe von allerhanb abgeriffenen Sieberanfängen, unb ihren, mie jufällig, boch nicht
ohne Äunft verflochtenen ©ingmetfen, ba3 S3ilb eines» folchen ©efellen vorgeführt, ber, ba ber falte SBinter
vor bem 4?auf ift, nicht meiß mo au3, bes> armen 33rüberlein3, ba£ fragt, mo ee> ftd) hinfehren folle, bae>
in 2lrmuthei unb SSettlerei ein' 9Jegel fchreiben fbnnte, unb nun an juchtlofe ©efellen, ©chlemmer, feile
ÄriegSleute geräth, ihnen ftch anfd)ließt aB Änecht, ,,bem bie ©ulben mohl tbun," enblich aber aB 9iaub=
gefell bem 9?eifenben ben 2Beg vertritt, ihm jurufenb :
Äein SBort nicht fvrich !
3d) hau m bify ein ßuefen,
Unb gieb bir einen ©ttch, ! f )
kleben bem ßanbSfnechte, ber, vergeubenb, in ben Sag hineinlebt, unb barum oft ber Sebenemotbburft
ermangelt, geht eS bem armen S5ettelmbnch, ber, eben mie jener, hemniätehenb fein ©emerbe treibt, nur
baburch beffer, baß er auf bie SJlilbthätigfeit angemiefen ift, fo fvarfam fte oft ihm bie bürftige ©abe bietet,
um bie er nur mit feinem ©egen ju banfen hat; in feltfamen SBorten hören mir ilm heifchen : tt)
Unb ba ich faß in meiner 3ell unb fchrieb,
Da famen brei $)eginen unb anbre heil'gen 2Bib,
©ie lafen mir vor ben fcfmellen grimmen Sob !
Sch bin ein armer S3ruber unb leib e§ aB burch ©Ott,
©o gebt mir armen S5ruber in meinen ©aef ein 33rot !
grifch unb feef tritt ber fröhliche Säger auf; allein mag er auch bulben, baß man ihn frage, ob er
baö Sßilb habe, ,,bie fchöne braune £inbin," bie er mit eifriger ^achftellung verfolgt; mag er lächeln,
menn, mährenb er auSritt jagen, baSSUcünchlein vor baö£auö fommt ju feiner ßtebjren ; fo fchmtngt er boch
fein £orn inö 3ammertbal, menn ba§ ebeljte SBilb, bie Siebfte, von ihm fchieb, unb ba£ SSBaibmerf ifl ihm
bann verhaßt. Der 2Bäcf)ter läßt feinen 9?uf ertönen, mährenb Sieb' bei ßiebe meilt, unb ermahnt jum
©cheiben, mann ber Sag anbricht : jmchtloö unb milb mirbt ber freche SIeuter ; ber JBauer maaßt ftch an,
) II. 20. *) V. 37. -*) II. 4G. |) II. 60. ft) ••• 22.
51
Das grimme !ü$ilD Des SBalbe9, ben 33ären, aufjufucben, um feinen $)el$ ju geroinnen, t)at er aber beffen
(Signer gefunden, unb märe er auch, ju breien, fo mod)te er gern baoon, unb ruft mit ben ©efäbrten unfere
liebe grau um JBeijtanb an :
%&i 9flarjen, ©ott6 ÜRutter,
%&> mar mir bafjetm !
©ine guUc ter uerfcbiebenften £bne aus ben mannid)faltigften 2ebenS»erl)ältniffen flingt uns" entgegen auS
biefen Biebern : aber am »ollften unb reid)ften finb unter ifmen bie ber Siebe, unb, rote mir afynen mögen,
fmb auch eben ft'c c3, bie fpäterbjn für baö ^eilige ßieb jumeift in 2üifprucb. genommen, für baffelbe gemeint
mürben. jDft ift eS ber 3)on ber Sfomanje, ber anflingt in ifynen; eine erjäf)lenbe ©tropfe fütjrt uns" ein
in ba§ ä>erl)ältni§ ber 2iebenben, bie erft bann unmittelbar ju uns" reben:
@3 marb ein fd)6ner Süngling 2£d? ©Iflein, fjolber S5ule
Über ein1 breiten See SBie gern mar' id) bei bir!
Um eines" ÄbnigeS £od)ter ©o fliepen jroei tiefe Sßaffer
9iad) Seit» gefdjab, il)m 2Bef). 2öob,l jroifd)en mir unb bir.
Cba mir fmben un§ unmittelbar, ofme alle Vorbereitung, werfest in bie 9läf)e ber Siebenben, unb eben fo
fdmell auch ibr mieberum entrüeft:
25rei £aub auf einer Sinben
2Me blüfyen alfo roof)l, ja, roob, l !
©ie tt)dt üiel taufenb ©prünge,
5f)r ^>erj mar freubent>oU,
3d) gonnä bem SDiepblein mol)l !
Mh bem Senjc erroad)t bie liebliche Neigung in bem Jünglinge:
SBie fd)6n blüfjt un$ ber SDfaroe,
25er ©ommer ferbt babjn,
9Kir ift ein fc^om Sungfräulein
©efaüen in mein ©inn,
S3ei if>r ba mär mir rool)l,
SSBenn id) an fte nur benfe,
Sföein £er$ ift freubenttoü !
Tiber mit bem SDiat) feb,rt aud) mof)l bie fjerbe Erinnerung mieber an bie Sreulofe, unb ber SSerlaffene
beucbelt eine gaffung, bie fein £erj md)t fennt, eine greube an bem (Srroad) en ber Statur, bie es nid) t füf)lt :
(£§ nabt fid) gegen 9Jlev>en,
©rün roill id) mid) f leiben ;
25en liebften 33ulen ben id) r)ab,
25er mill ftd? t>on mir fd)eiben !
25a3 fd)aft allein it)r untreu
manfelmütl)ig ©inn,
#ab' Urlaub, fahr bab, in !
5)}ogc Das 2Jiitgetbeilte ein Seugnij? ablegen für ben reichen 3nf)alt unferer ©ammlung, unb bie
Überzeugung gemäßen, bajj, in bebingter SSollftanbigfeit minbeftenä, mir bie £auptrid)tungen ber 83olfö=
7*
52
Dichtung unt> Dc§ SSolfSgefangeS um ben SSeginn be§ löten SahrhunbertS, jit grofem Steile wohl auch
aus älterer gortpflanjung, burch fte befifjen! ^ebenfalls wirb eine nähere Prüfung if)re§ 3nf)dt$, »on
bem ©tanbpunfte beS SEonfünfilerS auS, ihre SBidjttgfeit auch für bie ffiilbung beö JtirchengefangeS jur
2l'nfcbauung bringen, in fofern, mittelbar unb unmittelbar, bieSBolfSweife eine Quelle beffetben geworben tft.
Suchten wir nun biefe Prüfung ber ©ingweifen unferer Sieber, ganj abgefefjen t>on ber Äunfl ber
SEonfefcer, fofern fte ber beS ©ängerS gegenüberfteht, lebiglicb, auf iljre nächjten SSeftanbtf^eile, auf Älang
unb SKaajj, beren lefcteS junächft unS wieber ju bem ©trophenbaue ber Siebet Einleitet ; fo erfdjeint biefer
in fielen unter ihnen bemjenigen übereinfiimmenb, ben wir in fpäteren geglichen ©efängen, oft fehr häufig,
wieberfinben. SEBir jeichnen folgenbe ©tropfen au§, als bie mistigeren.
1) £)ie » i er 5 eilige, iambifche ©tropfe oon achtfwlbigen Seilen männlicher (Snbung. ©ie ijt
eine, im beutfehen Äirchengefange beS Mken 3ahrh"nbertt> fef)r oft oorfommenbe, wie mir beifpielSwetfe an
ben beiben Siebern fetjen : ,,5üom $immel hoch ba fomm td> her," unb ,,2Bo ©Ott jum ^>auf nicht giebt
fein ©unjt," ju benen man in jebem SDZelobieenregijter eine beträchtliche 2tnjal)l anberer aufft'nben wirb. £)a£
im Sabrfnmberte ber Ätrctjenoerbeff erung oft ale> SofungSwort ber ^Protejtirenben gegen bie jtatholifchen
fernblieb gerichtete Sieb: ,, ßrbatt' unS £err bei beinern 2Bort" gehört ebenfalls biefem ©trophenbau an.
2) 25ie fünfteilige iambifche ©trophe »on ttier achtfylbigen männlichen, unb einer »ierfpl=
bigen gleichartigen 3eile; biefe lefcre tfi entmeber an baS @nbe ber ©trophe gejtellt, ober nimmt ben »Orienten
>})lafc in berfelben ein. 5n ber erjten ©eftalt eignet biefe ©trophe bem alten 2BaUfahrt3= unb Sfeifeliebe beS
13ten 3abrb"nbert3 : //S" ©otteS tarnen fahren mir," beffen ©ingmeife feit 1524 auf baS £atechiömu§=
lieb übertragen mürbe: 2)te3 ft'nb bie heifgen jefmSebot; auch ftnb ihr bie Strophen ber beiben Äirchentieber
beS löten SahrfmribertS : ,,(5rfchienen ift ber herrlich' Sag; Ulun freut euch ©otteS Äinber all;" übereuv
ftimmenb. Übertragen mir bagegen bie halbe 3eite auf bie üorlefete ©teile ber ©trophe: fo eignet fte bem
Siebe: ,,©3 ift auf @.rb' fein fernerer Seib," beffen ©ingmeife bem fpäteren, geijllichen Siebe : „Sch h<*ö'
mein' ©ach ©Ott heimgeeilt" angepaßt mürbe, ©eorg grunbSbergS Sieb, beffen 33au nach ber einen unb
ber anbern beiber betriebenen Birten betrachtet unb georbnet werben fann, ift in biefer ©trophe gebichtet,
wahrfcheinlich nach einer juoor gewählten Gelobte, bie alfo älter ift als> ba§ Sieb felbft.
3) Die fechö jeilig = achtfplbige, iambifche, ebenfalls burchauS männliche ©trophe. ©ie, unb
jumahl bie juwor befd)riebene merjeilige, fct>etnen bei benS3ergrcihen jumeift angewenbet ju fein; beren jwei,
welche 9cicolauS £errmann in feinen £iftorien t>on ber ©ünbfluth mitteilt ; bie Sieber : S3om ^immet hoch
ba fomm ich her (in 3oh- SBalterS ©efangbuche »on 1551 in einer breijlimmtgen, won ber üblichen üerfchie=
benen SJlelobie aufgeführt) unb 83ater unfer im Himmelreich, eben ba, unb mie baS üorige, mit ber Über=
fchrift: ,,auf JSergreihenweife" ju ftnben, bewegen ft'ch in biefen SKaajjen. ©echSjeilig, unb beS befchrte=
benen SSaueS, ift baS (nachher geiftlicb, umgebichtetej alte Sieb bei Sorjter: ,,S3on ebler %xt, auch rein unb
jart;" fo auch fipäter bie geijtlichen Sieber beS IGten SahrhunbertS : ,,^)eut triumphiret ©otteS ©ofm; UnS
- ijt ein Äinblein heut gebohm."
eine zweite gorm ber fechSjeiligen ©trophe jeigt eine ©lieberung, nicht wie bie befchriebene, in
brei 2tbfd)nitte ju jwei 3eilen, unter unbebingt »orherrfchenber männlicher Grnbung, fonbern in jwei brei=
jeilige, mit jumeift »orwaltenber weiblicher, bie erft in ber ©d)lufj jeile beiber burch eine männliche erfefct
wirb. 3weimahl werben in biefem ©trophenbau jwei ftebenfplbige iambifche Seilen burch eine fechSfylbigc
befchloffen. Jg)teber gehört baö oftbefprochene 'ÄbföteWHeb in gorjterS ©ammlung: „Snfprucf ich rnug
53
ei* lallen," ipater (1571; tut* ^nauft geiftli* umgeti*tet,. unter ^Beibehaltung feiner 2Beife, tn :
SBdt i* muß ei* lallen." (Srft im 17ten Jahrhunterte bat man tiefe Jcrm häufiger angewentet, in
wel*er, unt oor Zliem in ter genannten, auf uns lebentig fortgepflanzten Singweife, ter alte 83olfsten
webl mebr, als fenjt irgentwo, bintur*flingr.
k) 2>ie ftebenjeilige Strophe ift jwar im weltli*en gietergefange tes beginnentcn löten
3ahrbunterts an fi* ni*t feiten: 3eugni§ geben baren tie beiten juoor mitgetheiltcn grublings = unt
giebeslieter. 2lu* bei geiftli*en gietem oer ter jlir*enoerbefferung femmt fte häufig oer: fo in ten
gietern tes 12tcn 3"hrhunterts : Jnin erte leite Earen ein' ©erte ; dr ift gercaltig unte ftarf 5 dbrift fi*
iu fKarterenne gab ; 22ür$e tes ©altes u. f. w.*j 3n ter ©eftalt jeto*, tie feit 1524, wo tas Sieb :
iftta$.£eil un$ fommen I) er" erfdn'en, fo allgemein beliebt wurte, unt fo weit tur* ten
ganjen erangelif*=teurf*en Üinbengefang fi* verbreitete, finten wir fte nur feiten im SJtinnegefange, wie
im trüberen SSelfsgefange. 3n jenem erf*eint ite in nur trei fallen"; unt meift in einzelnen Srreohen
ter gieter allein gan, übereinfrimment ausgeprägt. 3n tiefem gebort ihr unter antem tas oon SSespaftus
rten mir fpäter werten fennen lernen; geiftli* umgeti*tete giet an:
,,%&> SBinter falr:c."
fo wie tas" giet: ,,3ns wiltpat bin ta fteht mein Sinn," geiftli* oeräntert no* vor ter jtir*enoerbeffe=
rung in ein Sittliet an tie Jungfrau SDJaria : ,X web ter jämmerli*en iftotb." 9tur ein m a b, l riellei*t
erf*eint fie im alteren geiftli*en ©efange, in tem giete: ,,greu ti* tu wertbe ßhriftenbeit. " ©ewi§ taber
ift es jenes erfigeta*te giet oen tem ©lauben unt ten SBerfen, tas, einer an fi* angenehmen Singweife
angepaßt, ihr fo grojje ©unft erwarb. Um fo häufiger tagegen femmt:
ä) tie aebtj eilige iambif*e Strophe oer, in ter a*t=unt ftebenfplbige, männli*e unt weibliche
Seilen regelmäßig mit einanter we*feln. Sn ihr geti*tete gieter aller 2frt bietet un» unfere Sammlung ;
tem Oäger=, tem Ü3ä*ter=, tem giebes=, tem .Klage*, tem Spertliete fant jene 3eit fie glei* anpaffent,
unt fo waltet fte tenn au* tort oer mit entf*ietenem Übergewi*te. (js tarf taher ni*t befremten, ta§
fte im et?angelif*en Äir*engefange halt bäung erübeint, unt mit 33eteurfamfat : fo gehört ihr tas giet an
oon ter ©rbfünte, einer bei ten ^roteftanten eigenthumli* ausgebilteten gehre:
£>urd) Itams gall ift gan; oerterbt ;
fo jenes' antere oon ter heiligen S*rift im ©egenfa&e ;u ter Überlieferung :
£ £erre ©ort, tein göttli* 23ort
Oft lang oertunfelt blieben ;
fo tie beiten gieter :
SEer ©ort oertraut, hat wohl gebaut,
unt :
23a3 mein ©ort will, tas gf*eb" atl,eit;
oon tenen tas leßte, wooon fpäter ju reten fepn wirt, einer altfran,bfif*en Stngweife tiefes Saaßes
angepaßt ift. Tlux glaube man ni*t, ta§ tie jefet gebräuchliche 3Kelotie jenes? ,uerft genannten gietes 00m
menf*li*en SSerterben: „Turch, EtamS gaU" auf tie Singweifen ter von gorjier mitgetheilten
*) 4>cfmann: ©efebtite beS Jtir^enliebcS, pa?. 23. 27. 2«. 29.
,s) ©. Jagens SRinncitngcr 2b. I. 2. 197. Site. LH. ,,3d) tuon mit bifen bingen nidjt :c" ©benb.
3. 335. 9tro.HI. „Der mepe ift fumen gar wunnefüdb. iu" 3$. III. S. 443. 9iro. XL VII. „^ergangen ift ber 2Bin--
ter fatr it."
54
Weber: „9la<$ SBiUen Dein," ober: „SZBaä wirb e§ bod) be§ SOBunberS noch" jurütfjuführen fei, auf bie
wir in einem einzelnen ju Dürnberg um 1334 ofjne 2lnjeige be§ £crau3geber$ erfd)ienenen2tbbrude beffelben
bingewiefen tmben. @S hat eben nur ihre ©trophe au§ bem aiolfägefonge entlehnt, bie eS unter ben
fpater g«jUt$ umgebidtfetenj gor(terfd)en Stebern mit mehr nod) als jwblf anberen theilt, beren ©ingweifen
eben fo wenig benen jener beiben weltlichen Sieber gleiten, aB feinen brei eigenen au§ ber urfprünglid)en
unb verfemten borifd)en, unb ber phrpgifchen Sonart, mit beren jroet e§ fdjon um 1524, unb mit einer britten
um 1035, in ber erften £älfte beS löten 3«f)rl)unbert§ auftritt, unb bie un§ fpäter befd}äftigen werben.
3cne Surüdmeifung auf weltliche SSeifen ju einer Seit, wo unfer Sieb minbejtenS beren §n> et, u)m eigene
hatte, beutet nur barauf, baß biefe nid)t allgemein befriebigten, baß man nad) einer bem Inhalte beö SiebeS
gemäßeren verlangte, baß man fte in jenen ju ft'nben hofte. 2US nun batb barauf eine SBeife gefunben
war, bie bem äserlangen genügte, *>erfd)winben bie beiben früheren, geglichen, allgemach, unb es> ift feine
©pur uorhanben, baß man in gciftlichen Sieberbüchem nod) auf jene beiben weltlichen jurüdgegangen fei.
eine anbere, faum minber beliebte gorm ber achtteiligen ©tropfe ifi biejenige, bie fid? in regelmäßigem
2Bed)fel fiebern unb fcd)Sfi)lbiger, weiblid)er unb männlicher jambifd)er Seilen bewegt, unb bie üornehmltd)
Kit bem ^Beginne be3 17ten Saln'l)unbert§ eine wette Verbreitung im e»angelifd)en j£ird)engefange gefunben
Iv.t. 3hr gehört bei gorfter ba» fpäter, mit ^Beibehaltung feiner ©ingweife, geiftltd) umgebid)tete Sieb an :
2ld) ©ott, wem foll icr/S f lagen,
unb ein jweite§ :
(Snttaubt ijt un$ ber SSBalbe tc.
beffen ©ingweife ba3 9Jlorgenlieb : ,,3d) banf bir, lieber #erre" entlehnt hat.
2lu3 biefen jwei formen nun entwideln ftd) leid)t, burd) einfaches 2tuSfd)eiben einer etnjigen
Seile, bie jwei betiebtejtcn ber ftebenjeiltgen <Stropt)e. SBirb au§ ber juerft befchriebenen bie fechfie Seile
entfernt, fo tritt in bem legten, nun breijeiligen '-ilbfa^e, eine oerboppelte männliche Seile einer weib=
liehen ©d)luß$eile woran, unb ee> erfd)eint ba§ Sftaaß bee> geifilichen SicbeS : „(SS ijf ba§ ^>eil un§ fommen
her," baö aber nod) eine anbere Ableitung au£ einem längeren, jufammengefe^teren ©trophenbaue gefiattet.
di ifi ber S3au ber alten weltlichen ©ingweife, Jpcrjog @rnftee> £on genannt; er ift breijehnjeilig
in jroei 2lbfäfcen, beren erficr, — eine »erboppcltc £>reijaf)l, — au§ fed)§ Seilen befiehl, ber jweite, nad)
einer t>erboppelten 3wei=, unb einer einfachen Dreijahl gegliebert, aus> beren fteben. 2)iefer jweite 2lbfa|
(teilt ben £3au unfereS Siebeö bar, mit ber einzigen Ausnahme, baß aud) bie le^te Seile eine ad)tfi)lbige,
männliche, ift; unb feine ©lieberung nach einem boppelten ©efefje giebt ihm eine ©clbftänbigfett, bie eine
Trennung von bem üorangehenben tfbfafce leicht gefiattet. ©d)eiben wir aus? ber nach bem SBechfel fteben=
unb fed)6ft)lbiger Seilen georbneten achtteiligen Strophe enbttd) bie fed)fte Seile auä : fo bilbet ftd) in ihrem
^reiten, nun breijeiligen 'tfbfafce eine »erboppelte weibliche, unb eine männliche ©d)lußjeilc, wie wir fte in
bem SDiaaße be3 fdjon 1524 »orhanbenen Äirchenliebeö antreffen: „£err Ghrtji ber einig ©Otts ©ohn."
SSeiberlei gormen ber fiebenjeiligen ©trophe ftnb baher ben befd)riebenen ber achtteiligen nahe »erwanbt ;
bod) fcheint ihre Gntwidlung »or^ugöroeife bem Ahd)engefange anzugehören. Denn bie bei gorfier t)or=
fommenben gönnen ber ftebcnjeiligen ©trophe, wenn fte aud) bie S3ilbung beö er fte n 3lbfafeeS ber befpro=
chenen beibehalten — ben 2Bed)fel ad)t= unb fiebern, fiebern unb fed)öfplbiger, iambifcher Seilen — gehalten
bod) ben jweiten 2lbfal^ meift auf t>erfd)iebene Tlrt; entweber fo, baß jebe feiner brei Seilen eine anbere
©plbenjahl erhält C8, 4, 7; 8, 9, 6; 8, 7, 0;; ober fo, baß bie 33erboppelung nid)t auf bie erften,
fonbern bie legten beiben iBetlen fallt (8, 6, 6). (Ein einiges 5EJlaf>l, fo fiel td) finben fonnte, erfd)eint
bie ftebenjeitige ©trophe beS SiebeS: „£err ßhrift ber einig ©ottS ©ofm" bei einem weltlichen, jener
ßiebeSflage: ,,3d) hört ein grewlein flogen, fürwahr, ein weiblich S3ilb ic." unb mir werben fefjen , baß
aud) bie melobifd)en formen, mit benen ft'e erfcfyeint, nicht ol)ne (Einfluß gewefen ftnb auf bie 33ilbung ber
©ingweife jeneS geijHid)en. (Enblt'd) merfen wir
6) nod) bie neunj eilige ©trophe an. «Sie fommt in jtt>tefad)er ©eftalt in gorfterS
Sammlung oor. 2)a3 eine 9JZaf)l nad) je jwei unb jroei 3eitert georbnet, einer ad)tft)lbigen, männ=
liefen, unb einer ftebenfwlbtgen, weiblichen; nur bie ftebente, männliche 3eile ift üerboppelt, unb wte^
berholt ftd) baf>er in ber »Orienten achten. £)iefe gorm erfd>etnt in unferer Sammlung in ber ©trophe ber
Sieber: ,,3d) armeS SJZenblein flog' mid) fefjr, " unb: „AuS Inertem 2Bel) flagt ffd> ein £elb;" fie ift für
baS ^Pfalmlteb: „(ES wollt' unS ©Ott gendbig fenn" unb baS fpätere ÄatechiSmuSlieb : „ßf^rijl unfer £err
jum fortan fam" angewenbet worben, bod) ntd>t ol)ne einige SSerdnberung. Denn in bem 23aue beiber
geijrttd)en Steber ift für bie erjien ad)t Seilen ber regelmäßige 2Bed)fet t>on ad)t= unb ftebenfylbigen, einer
männlichen unb weiblichen, beibehalten, unb bie neunte erfdjctnt als eine SSerboppelung ber achten; als eine
nad)fd)lagenbe, weibliche Seile alfo, wie ftd) bieS $umaf)l in ber ©ingweife beS .Eated)iSmuSliebeS f)eroor=
hebt, wo fte nad) einem »ollen ©d)luffe in ber ©runbtonart (bem £)orifd)en) burd) bie »orangehenbe achte
3eile, ftch nach ber £>berquinte (bem 'Üolifchen) in unregelmäßigem @d)lußfalle.hinwenbet. ^)ier möge einer
entfernten 33ermutf)ung gebadet werben, baß bie 2Beife „ßhrift unfer #err jum Zorbau fam" wohl ber beS
ßiebeS ,,2luS fyextem SBeh" entlehnt fer>rt möge. 3n bem erjien Steile ber ,,©etftlid)cn ßteber unb
9)falmen" ßeifentritS (1567) ftef)t eine getftlid)e Umbtd)tung beffelben: „AuS hartem SBeh flagt menfd)lid)
©fchlecht," für welche jwei SSKelobieen »orgefchrieben ftnb, beren erjte eben bie unferS .SatechiSmuSliebeS,
bie jweite eine fonft nicht wieber üorfommenbe, auch 8an8 unt>olfSmäßige ift. (ES fonnte barauS gefchloffen
werben, jene erfte fei bie, bem umgebichteten ßiebe gewöhnlich gewefene, biefe lefcte ein SSerfuch, ber
Umbichtung eine eigene ju geben. 25ie t>on ©tephan girier »ierftimmig gefegte freilich, mit Der wir bei
gorfter (III. 13.) baS umgebid)tete, weltliche finben, ftimmt feiner Don beiben überein, bod) entfeheibet
biefeS nicht unbebingt gegen unfere SSermuthung, ba für beliebte Sieber auch wohl jwei SJJelobieen oorfom=
men. ©päter, in £DrlanbuS ßaffuS „9ieuen teutfehen unb franjöftfd)en ©efängen mit fed)S ©timmen,
9Künd)en 1590, " erfcheint bie Umbid)tung mit einer anberen SÄelobie auS ber phrt)gifd)en Sonart, bte auch
nachher wohl nod) ju berfelben in fatholifd)en ®efangbüd)ern gefunben wirb. (ES ftnb biefeS Xfyatfatym,
bie biäh« ju einem bejiimmten (Ergebniffe über Urfprung unb Hilter unferer ©ingweife nod) nid)t geführt
haben, beren Aufzeichnung inbeß nid)t überflüfft'g erfcheinen fann bei ben erheblichen ©rünben, bie eine fo
bebeutfame SEJMobie für ben 33olfSgefang in Ahfprud) nehmen.
(Sine jweite gorm ber neunjeiltgen ©tropfje enblid) ijl nad) breimahl brei 2lbfd^en georbnet, beren
erjle jwei, einanber übereinftimmenbe, tt)ren erften Sheit bilben, bem ftd) bie brei Seilen be3 legten anfd)lie=
ßen. 3m erften Steile wechfeln eine ad)t=, eine t>ier=, eine ft'ebenfnlbige iambifd)e 3eile jweimal)l : jwei
ad)tfntbige unb eine ftebenfplbige reihen ftd) an einanber jum jweiten Steile. 2) od) fann biefer le^te aud)
alö funfjeilig betrachtet werben, wenn nämlich feine erften beiben, in ber SRitte reimenben, auch burd) bie
©ingweife bort in biefer 2lrt abgefd)loffenen Seilen, als einSoppelpaar merfylbiger Seilen angefehen werben,
wo wir bann eine etfjeilige ©tro^he erhalten jtatt einer neunjeiligen.
^)ier nun bietet unö gorfter ein geij!liche§ unb ein weltliches Sieb, gleichen Anfanges „SSJiag id)
— 56
Unglütfnit n> i b e r fi a t) n, jebeS mit einer befonberen ©ingmeife*;. SaS erfie ift baS, gemeinhin ber
SDfaria, Äontgin »ort Ungarn unb Böhmen, ©cbmefier ßarlS beS fünften, jugefcbriebene; mabrfcbeinlid)
eine geiftlicbe Umbicfytung beS roeltltdjen, baS eine J£lage enthalt über baS »erf ehrte SBeltmefen, unb bie
geringe dbre, bie ibm beimobne. SiefeS voeltlidje Sieb erfdbeint in Submig ©enfelS t>ierjf immigem
Xonfafee, unb jeigt in feiner £enorfttmme bie noch, je^t gebräuchliche, äolifdbe ©ingmeife beS geiftlicben, bie
mir aber befyalb allein noch, nid)t biefem, »on Sutber fo Imch, gefehlten SEonmeifter jufd)reiben bürfen.
£>aS geiftlicbe bagegen ift »on ß a 3 p a r B o b e m u 3 üterftimmig gefegt, unb feine ©ingmeife (auS ber
berfefeten ionifcben SEonart) b,at mit ber jefet üblichen auch ntd>t bie entferntere 'i£f>nltd)Cett. GaSpar
BobemuS ijt baber jebenfallS n i db t, mie man btSt)er ohne ©runb, ja ohne alle gorfcbung behauptet, ber
Urbeber biefer legten, mag auch, bie urfyrünglicbe, aber mit ber weltlichen balb »ertaufebte ©ingmeife beS
geiftlicben ibm angeboren.
Siefe bisher betrachteten formen bcS ©tropbertbaucS fmb aber feincSmegS bie einzigen in unferer
Sammlung üorfommenben. SBir mähten eben nur fie be6f;alb jum ©egenfranbe näberer Prüfung, weil
mir bie BerübrungSpunfte beä geiftlid)en unb meltlidben ©efangeS ju jeigen unternahmen, unb baber nur
bei ben formen »ermeilen burften, bie unS bergleidben gemäbren. ©owiel minbeftenS ernennen mir auS
ihrer genaueren Betrachtung, baf? mit ben ©tropfen beS SßolfSgefangeS eine größere SKanntcbfaltigfett beS
rbptbmifAen Baues bem ecangelifchen Äirchengefange ju Sbetl mürbe, als ihm bie beS alten lateintfdbert
ju gemdbren »ermoebten. 33on fiebert £r;mnen , beren 9Jlelobieen auS biefem berübergenommen mürben,
baben fccbS, eben bie noch unter unS fortlebenben, ein gleichet 9Kaaf?, baS oierjeilige, iambtfcb=
arcbtlocbtfcfac; ber fiebente, in einem anbern 9JZaaf?e gebichtete, ift auS unferem Äirchengefange feit bem
Beginne beS 17ten 3abrhunkert3 »erfchmunben. £>en in ungebunbener 9?ebe »erfaßten ©equenjen mangelt
eben be§balb ein recht belebenber rb\>tbmifcber gortfehritt : baf? eine oon ihnen (Grates nunc omnes) unter
treuer Beibehaltung ihrer ©ingmeife, bennoch in biefem ©inne lebenbig auSgeftaltet mürbe, ift ein SSerbienft
beS fpdteren, fein Sieb in ihre SEbne bineinbilbenben Dichterg, SKicbael 2Beif?, nicht ein ihr urfprünglicb,
beimobnenber SSorjug. Sie fpdteren tateinifeben Äirchcnlicber lehnen ftdb bereits an ben SSolf'Sgefang,
tonnen alfo t)'m nicht in Betracht fommen. 2lber aud) ber ©efang, ber ftdb in biefen mannichfaltigeren
9Jlaaf?en bemegte, hatte, oon bem ©tanbpunfte beS SEonfunftlcrS angefehen, innerhalb feines im '#Ugemei=
nen nach ihnen georbneten BaueS, eine etgentbumltcbe rbtjtbmifdje 2tu3geftaltung, bie ihn »on bem alten
geiftlicben erheblich unterfebetbet. @3 ift hier nicht ber £)rt ju unterfudjen, ob bie ©ingmeifen beS alten,
latctntfdjcn JtircbengefangeS urfprungtieb manntchfacher, rl)t;tbmifd)er ©lieberung ftdb erfreuten : genug, baß
mit bem Anfange beS löten 3abrbunbert3 eine foldbe bei ihrem Vortrage nicht ferner hervortrat. 3n mic
meit fie ben ©ingmeifen ber feit bem 12ten Sabrbunberte bis ju bem genannten Seitpunfte nach, unb nach
neben bem lateinifcben Äird)engefange entftanbenen beutfdben geiftlichen Sieber beijumeffen fei, ift
eine Jrage, bie unS an ihrem £rte befchdftigen mirb. ^ebenfalls aber jeigt ftdb in ihnen niebt, maS mir
jefct alö ein, ben SSolfSmeifen (Sigentbümlicbeä bezeichnen: ein Söechfel beS ©emid)tS, fofern eS
burd) baS angenommene SUiaaf3 bebingt mirb. Siefen treffen mir jumeift in allen ©ingmeifen roeltlicber
Steber, nur menige ausgenommen. SaS SORaaß, im 'ifllgemeinen betrachtet, erfahrt babei feine tfnberung,
benn bie 3eitbauer feines einzelnen SonjeichenS, alfo auch nicht ihre »erbdltnifjmdfHg längere ober fürjere,
') [. 51. L 102.
57
in itjren gegenfettigen Beziehungen ber tfbftufung , ift irgenb eine wechfelnbe. D er 2Bed) fei wirb allein
in bem ©ewich te wahrgenommen; in ber bureb, 2luf= unb 9cieberfd)lag bebingten ©lieberung be§ ©efan=
ge§, bie nun balb nach brei, balb nach jwei ober uier feilen geregelt wirb, ohne eine biefergormen bauernb
feftjuhalten. 3n einer früheren 2tt>hanblung über bie Sffwthmif ber alten Sonmeifter, einem S£f)eile eines
größeren SBerfeS, ifl von biefer Gngenthümlichfeit alter weltlicher ©efänge fdwn bie 9vebe gemefen; eS bürfte
inbef? nicht überflüfftg fenn, ba wir Ärmlich, e3 in neueren Sonwerfen gar nicht, ober feiten nur ft'nben,
biefe ©rfd)einung felbft aber für ben ©egenftanb unferer Darftellung oon SBichtigfeit ift, nod) einiget bar=
über anjumerfen, unb babei beflimmten, erläuternben 33eif»ielen ftd) anschließen.
3m Allgemeinen bürfen mir rechnen, ba§ gorfterS Sammlung etwa nur jum britten Steile
folche ©ingweifen enthalte, in benen biefe §igent[;ümlid)feit nicht l)er»ortritt, unb bie einer befiimmten,
burchhin ftch gleichbleibenben gorm beS &afte3 , bem geraben ober ungeraben, ftd) anfd)lief?en. Dod) ftnb
unter biefem einen Drittel roieberum foldje 9JJeIobieen enthalten, in benen bie gleichförmige Bewegung
bureb erweiterte 9flmtf)men unterbrochen wirb, wie e3 jumabl in ben ©efdngen gefdjtefjt , bei benen ber
ungerabe Saft oorwaltet; unb e3 !ommen unter ben anberen jwei Dritteln aud) folebe SBeifen t>or,
bie nach einem rfwtbmifcben SBecbfel, wie mir ihn befebrieben, juleljt ben ungeraben £aft al§ fefte gorm
bauernb ergreifen. S3on biefen tfuSnabmen fet>en mir ab, unb mahlen au3 ben erften jwei ^fjetlen unferer
©ammlung, bie vorauSfefclich bie älteften SSKelobieen enthalten, beren jwei, auö jebem S£t)etle eine, um
biefe (Sigentbümlicbfeit in ihrer ungetrübten (Srfcbeinung baran ju prüfen, bie in ber einen biefer 95Zelobieen
mit größerer SJegelmäßigfeit, in ber anberen willrubrlicber, anfebeinenb regellofer, aber boeb einem
inneren, obwohl verborgenen ©efefce gehorchenb, f>ert>ortritt.
Die erfie nimmt bie fieben unb funfjigfte ©teile im jweiten £beile ein: ihr Sieb ift ba§ eine§ lodern
©efellen, ber feiner Sr>abe auf ben Boben gelangt ifl:
2Bo follich mich tjirtf eljren,
Sd) armeä Brüberlein !
SBiefollicbmicberneren,
9J2ein ©ut ifl viel ju flein.
2Cl§ ich ei" 3Befen ban
©o muß ich balb baüon,
2Ba3 id) J)eut folt t>er5ef>ren,
Da3 bab' ich fert» »erthan !
Der Bau feiner (Strothe ift achtteilig, iambifch; fieben unb fecbS ©nlben wechfeln in ber erften
unb jwetten Seite , beren Betonung in ber britten unb vierten, von gleichem 9Jlaaße unb berfetben ©nlben=
jahl, wieberfehrt: bie fünfte unb fechfte Seile ftnb beibe fecbSfnlbtge, männliche, unb bie legten beiben
wieberholen ben anfänglichen SBecbfel einer weiblichen unb männlichen (Snbung. Diefem ©troßbenbaue
fcbließt ber Sfbnthmuä ber Betonung auf ba3 ©enauefle ftd? an; er tjebt ihn baburch hervor, ba$ bie
weiblichen Seilen allejeit bem geraben, bie männlichen bem ungeraben Safte angehören:
I Ii
SBo foll id) mtd) t)in ; fe ren id) ax ; mti SSrtisber s lein
SBic foll ich m'4) er : nc = ren mein ©ut ift oiel ju ftein
SEBtnterfclt, ber tuangel. (S^oratgefang. 8
58
v vi
idj ein SSSe : fen fjan fo muf id) balb ba = »on mag id) fjeut foll oer =
vn viii
je « ren bos l)ab id) ferb mt = tan.
SMefer 2Bed)fel bringt inbefj feine ftbrenbe Sfüdung l)er»or; benn bie jwei 'tfrten oon S^onjetdjen,
t*ie in unferer ©ingweife »orfommen, bleiben burd) ben ganzen Sauf berfelben in xfjrer 3ettbauer unb ifyren
gegenfeitigen SSer^altntffen einanber oblltg gleid). 2lud) bient bie bei ber ^uf^eicbnung gewallte ^bttjeilung
ber Sonfcbvift nur baju, bie "Kxt beutlid) ju machen, wie bie SJMobie, burd) ben ©dnger vorgetragen,
bem £>f)re eineS jeben #brer3 ftd) barfjellen wirb; unb jener, aud) wenn bei ber £onfd)rift bie ttnwenbung
gl ei d> er SEaftabtbeilung ju83crbcutlid)ung be§ SJlaafjeS »orgejogen werben follte, wirb bennod) ftetS ftd)
gebrungen füllen, ba3 © ewid)t in jeber einzelnen Seile fo ju legen, wie e3 juoor gefd)el)en ift.
©o überftd)tltd) ber rf)r;tl)mifd)e S3au ber eben betrachteten SSKelobie ftd) un£ barlegt, um fo
fd)werer fd)eint bei bem erften'tfnblide ba3 ©efefj ju entbecfen, burd) weld)e§ bie jweite, bie wir nunmehr
prüfen, geregelt wirb, ©ie ift bie ein unb fecbjigfte be§ erflen SEbeilö in gorfierS ©ammlung : if)r Sieb
enthält eine ßiebeSflage :
Entlaubt ift unö ber SBalbe
3n biefem Sßinter falt,
^Beraubet wirb id) balbe,
SCßein £ieb bae> mad)t mid) alt !
£>a$ id) bie ©d)6n' muf? meiben,
2)ie mir gefallen tfjut,
S5ringt mir man'gfaltig Reiben,
SJiadjt mir ein' fd)weren Wluti).
©eit 1545*) (in S3alentin SSapfiö ©efangbud)e) ft'nben wir fte, ganj unoerdnbert, auf ein 9ftor=
genlieb übertragen, baö man bem Sodann ÄofjlroS jujufdjreiben pflegt, t»on beffen Sebenäumftänben wir
©enauereS nid)t wiffen :
3d) banf bir lieber £erre,
£)afi bu mid) f>aft bewahrt,
Sn biefer 9cad)t geferbe,
£)arin id) lag fo fyaxt
SDftt ginfternifi umfangen
2)aju in großer 5Rotl>
S)arauö id) bin entgangen,
£atfft bu mir £erre ©Ott! **)
•) 3n SRieberetS 2Cbf)anblung »on @infüf)rung beS teutfdjen ©efangeö ift §. 33. (©. 358. 259.) angemerft, ba?
ba6 SHorgentieb : ,,3d) banf blt lieber £erre" mit £inroeifung auf bie angegebene rceltlidje 2Beife bereits (jmifdjen
1528— 1538.) $u Dürnberg bei Äunigunb £ergottin mit 3 anberen cinjcln gebructt gcroefen.
") 0. baö SBeifpiet 137.
£>a§ 9Jiaaß ber ©tropfe t>e§ ßtebeS ift iambifcb, acbtjeilig, in regelmäßigem 2Bed)fe( einer weib=
liefen, fieben=, einer männlichen fed)3fnlbigen 3eile: mir betrachteten e§ fd)on jur>or bei Prüfung ber auf
getftlid)e Steber übertragenen Sölaaße in gorfterS Sammlung. Um nun ba§ 33erf)ältniß ber ©ingweife ju
biefem Sttaaße recht ju erfennen, erfdjeint e§ am jwcdmäßigficn, bie erften üier ßeilen, bie ihren erften
"Kbfafc bitben, als jwei £>oppeljeitcn ju betrachten, unb fo aud) bie »ier Seilen beS zweiten SbeilS; febon bie
Betonung forbert baju auf, »eil, ben ©d;luß einer jeben biefer Doppeljeilen ausgenommen, bem ©efange
fein Svubcpunft gewährt ift. ©o angefcl)en, gliebert ft'd? unS bie erfte Soppeljeile (nach einem Huftafte) in
jwei »/a Safte, benen ein erweiterter 9?f)»tf)muS (%) fich anfcblteßt, worauf nach abermaligen jmei 3/2 £af=
ten ein ©ebluß in gerabem Safte folgt; eben fo bie gleich betonte, jweite iDoppeljetle. Sn ungleicher rfjptt)=
mifcher ©lieberung unb Betonung bagegen jetgen ftd> bie beiben Soppeljetlen beS ^weiten SbeileS. 3n ber
erften junädjft brei 32, bann eben fov-iel gerabe Safte — benn fo, obwohl gegen baS @nbe frmfopttfeb,
muffen fie unS erfebetnen; ber Saft, in welchem bie ©d)lußnote biefer Seile unb ber Huftaft ber folgenben
enthalten ift, muf3 als beiben gemeinfehaftlich gelten. 3n biefem ©inn nun tritt unS in biefer nach 5wei
geraben (42) Saften abermals ein erweiterter 9?b»)tbmu§ (•%) entgegen; il)m folgen jwei 3/2 Safte, unb
biefen, ben ©chlufjton eingefchloffen, jwei gerabe. ^ur bei einer ©lieberung wie bie befchriebene, wirb
auch eine jebe ©nlbe beS 2iebeS fprad) = unb fmngemäß betont erfd)einen, unb einem jeben ©änger wirb eS
unmöglich fallen ofme Begleitung baS ©anje als eine Sfeihe fynfoptifcber Safte in gerabem SDiaaße barju=
ftellen: ein jeber £brer vielmehr wirb eS fo auffaffen wie eS juuor befchrieben, unb hier aufgezeichnet ift:
(Snt *
S5e
laubt ift
tau » bet
uns bet
roirt id)
SBat = be gen
bat s be mein
bie 5 fem 2Bin : ter falt
Sieb' bas madjt mich alt
:_0_- d-
: -£-f-
:_Q__£crp_:;
£>afj id) bie
T ■> -o — Q-
©djön' muf
p| O
mei
i-i '-' - — <
ben bie
mir ge = fal - len tf)ut bringt
mir man'gfal : tig 2ei i ben mndjt mir ein' fd)toe i ren 9Kutl).
£>aS $inaufftreben in ben erften beiben £)oppel$eilen, unb in ber vierten, bort
au3 ungerabem, enger geglieberten Safte, hier auS gerabem, in einen erweiterten breh
theiligen; baS Abfallen in beiben, auS gleicher ©lieberung wie bie im Beginne ber SKelobie, in
ben geraben Saft; in ber britten 2)oppeljcilc aber, in ihren jwei, ben 3eilen beS ßiebeS ft'd) anfd)lie=
ßenben Hbthetlungen, ber ©egenfafc beS ungeraben in ber erften, beS geraben in ber ^weiten;
alles biefeS läßt uns erfennen, baß baS ©ewicht, bie ©eele aller rhwtbmtfcben ©lieberung, auch hier einem,
wenn auch verborgenen ©efe^e gehordje, baS man aber in ben neueren Umbilbungen biefer ©ingweife,
welche fie ganj auf geraben Saft jurütffübrenb , bie urfcrüngltcben 33erf)ältniffe ihrer Sonjeichen aufheben,
nicht ferner wahrnehmen wirb.
2Bie biefe Befonberheit ber Sonweifen beS S3olfSgefangeS übertragen worben fei auf ben neuen,
wolfSmäßigen Äirchengefang , unb bort eine eigenthümltche HuSgcftaltung erfahren habe, werben wir ju
feiner Seit näher betrachten. (Srfcbjen unä nun bie 33olfSmeife oon ©eiten if)reS bichterifchen, ihreS ton=
f ünftlerifchcn 9cht)thmuä für biefen neuen Äirchengefang als baS Bereichernbe, ©eftaltenbe; fo fr'nben wir von
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einem anberen ©eftchtSpunfte f)er ben um ba§ äeitalter ber £irchent>erbefferung , — wenn nicht über=
baupt, — rhntbmifcb, fo mel ärmeren, alten, lateinifchen Äirchengefang voieberum als bas> SSelebenbe,
Scgeijtigcnbe. @r war e§ von Seiten ber Ä l a n g » e r h ä 1 1 n i f f e , unb ihrer mannigfachen, in ben T o n-
arten erfd)einenben Srbnungen. Unterwerfen mir in biefer SBejiermng bie bei gorfter gefammelten ©ing=
weifen einer genauen Prüfung; fo fann ba3 bebeutenbe Übergewicht ber harten Tonart in benfelben uns
nicht entgegen, unb namentlich berjenigen, bie unferen £>urtonen am nächsten fteht, ber ionif chen.
Unter 380 Siebweifen, welche gorjterö ©ammltmg enthält, gehören 243 einer harten Tonart an, unb
üon ihnen wieberum 38 ber ionifchen in ihrer urfprünglichen ©eftalt (mit bem ©runbtone C) unb 139 ber
oerfe^ten Tonart biefe§ 9camens>, mit bem ©runbtone F, unb ber »ierten ©tufe vorgejeichnetem b. 2)ie
übrigen 66 würben wir, ben ©runbtbnen jufolge, ber mtrolnbifchen §orm beirechnen müffen: ihrer 45
beruhen auf G, bem urfprünglichen ©runbtone biefer Tonart, bie übrigen 21 auf C, ihrem üerfefcten, mit
tfnwenbung einee> b für bie ftebente Tonftufe. Mein bie ©igenthümlichfeit be3 SERirolnbifchen als» jtircf)en=
tonart wirb man, rein melobifch betrachtet, in ihnen faum wieberftnben , wie fte auch nicht erwartet
werben burfte. ÜJlit feltenen Ausnahmen wirb man ferner bie große Terj (wie fchon in ben fpäteren
lateinifchen Äirchengefängen) fyer, auch melobifch , mit großer ffiejtimmtheit hervorgehoben finben. ©ehr
häufig finb bie gälle, wo fte ba§ erjte Tonoerhältniß ift, ba£ ber Fortgang ber SKelobie barjtellt; tritt fte
nicht gleich Anfangs unmittelbar hervor, fo wirb fte boch in fchrittweifem 2ütfjieigen von bem ©runbtone
au§ berührt, unb ber ©efang verweilt auf ihr, ober bilbet mit ihr einen 2Ibfchnitt, fo baß ihr S3erhältnifj
ju bem ©runbtone auf baä Äenntlichfte hervortritt. Ober ber ©efang beginnt mit bem Tone, bem, feiner
33e$ief)ung ju bem ©runbtone jufolge, ber Stame ber großen Terj beigelegt wirb, wenn er auch ba,
wo er ftch, jeigt, btefes» SSerhältniß nicht unmittelbar barjtellt; überfprungen finben wir fte niemals, wie in
ben ©efangweifen ber Jpwmnen fo oft geflieht. 2Mefe ©rfcheinung, für ftch genommen, beruht freilich
ber nothwenbigen (Sntwicfelung eines ©efe^eS ber SDlelobiebilbung, ba3 früheren nur unvollfommen jur
2tnfchauung gelangte; fte ijt in fofern ein Sortfehritt, ber jebod), ba er nur eine gorm ber harten Tonart
faft auöfchließenb hervorbringt, als? einfeitiger ftch barjtellt. £>ie mannigfachere ©eflaltung ber
harten SEonart unb jumahl in ihren SKobulationSoerhältniffen , wie biefelben auf bem Greife ber Äir=
chentone beruhen, war e$ nun, wa§ ber alte Äirchengefang bem neueren, au§ ber SSolfäweife jum großen
Theile hervorgebilbeten, innerlich bereichernb, h'njubrachte. ßben fo »erhält eS ftch ober auch in 9?ücfftd>t
ber weichen Tonart. Unter ben 137 ©ingweifen unferer ©ammlung, bei benen bie t' leine Terj vor=
herrfcht, ijt ber phrngifche, fo wohl urfprüngliche alS verfemte Tonumfang, ber auf E, oberA, mit
einem ber jweiten ©tufe vorgejetchnetem b beruht, ber feltenjie: jenen finben wir nur neun=, biefen nur
ftebenmahl, ja felbjt ben urfprünglid) borifchen, mit bem ©runbtone D o 1) n e SSorjeichnung , nur $ehn=
mahl. 114 ©ingweifen gehören htenacb, tf>et[g bem äolifchen, theilS bem tjerfe^ten borifchen Tonum-
fänge (G mit b t>or ber britten ©tufe) an, unb beibe werben wir jumeift unferen weichen Tonarten über=
- einftimmenb behanbelt finben. ©onach ijt, bie Tonart betreffend ein wefentlicher Unterfchieb erfennbar jwi=
fchen biefen, vorauSfe^licb, in bem S3olfe entjianbenen unb gepflegten Tonweifen, — bie von ben SJiuftfern,
welche fte mit vier= unb fünfjtimmigem Tonfafee in bie Äunji einführten, nur gewählt, nicht gefch äffen
würben, — unb jenen alten, auö bem lateinifchen Äird)engefange entlehnten ; mannigfaltiger bewegt 5ei=
gen fid) unS bie edlen, an &langverf)ältniffen reicher bie lefjten. 2lu$ ber lebenbigen SSerfchmeljung beibet
erhob fich um bie erjte £älfte be3 löten Sahrhunbertö ber neue, volfömäßige Äirchengefang ber @»angeli=
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fcben, unb feine beiben, in ihm organifch vereinigten 83eftanbtbeile erfd)einen für biefe neu beroorgebtlbete
§orm in gleichem üftaaße gebenb unb empfangenb.
greilicb wirb Denen, bie bisher nicht ©elegenbeit bitten, ben <5r)oratgefang in feiner SBlütbejeit,
um bie lefjte .ipälfte beS löten, unb bie erften beiben ^abrjebenbe beS 17ten ^abrbunbertS , aue> eigener
'tfnfcbauung fennen 5U lernen, eine fotcbe ^Behauptung gewagt erfcbcinen, unb zweifelhaft. £)enn biefe
beiben SBeflanbtbeile, bie wir als organifch in ibm vereinigt nannten, wirb er in bem tyoxak unferer Sage,
ja, aud) beS »ergangenen 3abrbunbertS, über baS bie Jtenntniffe gewöhnlicher SDZuftffunbtger feiten tjtn=
ausreichen, allerbingS nicht wahrnehmen, ©in, üielleicfyt woblgeft'nnter, gewiß aber einfeitiger Eifer bat
ibre ©euren faft gänjlicb. oertilgt, inbem er S3eralteteS ju befettigen, Unziemliches ju entfernen trachtete.
3u jenem geborten ibm bie Äircbentbne ; wie er fte zu »erfteben glaubte, eine, auf »erlebtem Jperfommen
berubenbe, rciUfübrltcfoe SSefcbränfung metobifeber 2£uSgejtaltung, banrtonifeber Entfaltung: z" biefem,
bie, einem jrrengen ©leicbmaaße niebt unterjuorbnenbe, bem fircblicben Ernfle angeblich wtberfrrebenbe,
rbptbmifcbe 9J2annicbfaltigfeit. ©0 ift eS gefommen, baß unfer Eboralgefang nicht bie belebenben S5e=
fknbtbeile beS früheren mehr in inniger ^Bereinigung zeigt, fonbem baß mir, im ©egentbeile, bie mangel--
bafte Seite ber beiben JCunftgebtete in ibm antreffen , auS benen er fieb bilbete : bie rfepthmifche £>ürftigf eit
beS alten lateinifeben JUrcbengefangeS, bie befchränfte 3weibeit ber melobifcb = barmonifchen ©runbformen
beS SSolfSgefangeS. ©oll nun bie SSerbinbung bief er SSetben ju feiner gegenwärtigen ©ejklt bie bocbjte
©rufe barftellen, bie er erftiegen t)at, fo wirb man freilich, feine Erfcbetnung gegen baS Enbe beS 16ten
SabrbunbertS folgerecht als einen ÜbergangSpunft bezeichnen müffen, in roelcbem nur ein trübes ©emifcb
wiberftrebenber SSeftanbtbeile ju er!ennen fei. tiefer Anficht entgegenzutreten , beren gehalten jebe 4pof=
nung eines befferen 3uftanbeS »erniebten müßte, ben man gewiß überall herbeizuführen ftrebt, ift ein
4?aupt$iel ber gegenwärtigen £>arfteUung. Stimmer roirb man ju beffern vermögen, fo lange man niebt
weiß, roie baSjenige rourbe, was man ju beffern trachtet, fo lange man niebt auS feinem 3Tuffeimen,
SBacbfen, Entfalten, SBlüben, ben innerften ffiebtngungen feines SBefenS gemäß, bie bem aufmerffamen,
geöfneten 2£uge, ft'cber, unjroeibeutig, barin ftcb barfteEen, erfannt bat, roiefern eS bureb ftorenbe, trübenbe
äußere Einflüffe an bem rechten naturgemäßen ©ebeiben gebinbert rourbe, ob eS noeb frifebe SebenSfraft
in ftch trage, ober enblid) nur baS mwermeiblicbe ©cbicffal alles 3rbifcben erfahren fcabe in feinem 4?inwel=
fen; ob eS baber ju betten, ob eS aufzugeben fei. £>bne eine folcbe Jtunbe werben aueb bie fcbarffinnigjten
S3erecbnungen beS 33erftanbeS nur trübe £trngefpinnfte bleiben, gefährliche, »erberblicbe Seiter auf bem
SBege, ben man, auch mit bem heften SBiUen unb ber reinften ©efmnung, einfehlägt.
Äann nun biefer 2Beg ber Teilung nicht angetreten werben, fo lange man nicht bie SSebingungen
fennt, unter benen baS ju 4?eilenbe feine innere Scatur ju gefunber Entwicklung jeitigte, unb um bie
Urfa<ben weiß, bie eS einer »erberbltcben Äranfbeit unterwarfen; fo ift anbrerfeitS auch nicht bü »ergeffen,
baß man ein ßebenbeS ju behanbeln b,at, baS unter gewaltfamer, rücfftcbtSlofer Aufregung wiberftrebem
ber .Kräfte leicht untergehen fann. 9Jian wirb ber ©cbwäcbe zu fchonen, man wirb bie .Kräfte, an bie baS
gefunbenbe ßeben ftd> lehnen, auf bie eS ftch grünben foll, allgemach P erweefen, ju ftärfen, ju befefiigen
haben, wenn man einen gebeiblicben 3ufianb herbeiführen will. SEBenn ber SSerfaffer biefer S5lätter baber
mit aller Offenheit alä ©egner einer beftehenben Anficht ftch funbgab , bie er wirffam ju befämpfen trachtet,
wenn er mit ttoller Überjeugung eingefteht, baß er ben gegenwärtigen 3uflanb be§ Äirdbengefangeä für einen
franfbaften, ber Teilung bebürftigen halte, unb fonacb ebenfalls auf bie ©eite 25erer ftch flellt, bie einen
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befferert bcrbeiwünfcbcn 5 fo will er bicfen freilich, nicht auf ihrem SBege herbeiführen, aber gewiß lieb
aud> nicbt auf bem einer gewaltfamen Umwälzung unb 9lid)tad)tung beS ©egenwärtigen, wobureb, nur bie
foetllofejte äSmoirrung herbeigeführt werben fbnnre. dx will beiben, wefentlid)en SSefianbtbeiten beS evan=
gelifeben ÄircbcngcfangeS bei feiner ©rneuung ihr verfannteS unb »erlebtes Siecht wieberum fiebern, aber
junädjft auf bem 2Bege grünbltd)er gorfebung, neubelebter Anfcbauung, barauf gegrünbeter ^Belehrung,
unb tiefen wirb er im gortgange feiner £>arftellung unermübet »erfolgen. 9hm üerr)cr)ft er ftch, aber reineS=
wegeS, baß feinen SorauSfcfjungen nicht unerhebliche Sweifel entgegengefeljt werben fbnnen. 9Kan wirb
ibm einwenben: baSjenige, waS er eine Stürbe beS jtircbengefangeS nenne, habe in ber ©ejtait, wie eS
ibm aB fcld)e erfd)cine, nur für funftmäfjtg gefcbulte (Sänger, niemals aber für bie ©em eine
befianben, bit, al§ etiangeltfcfye, boeb ju tbätiger Sbeilnal)me an bem Äircbengcfange berufen gewefen.
9ftögc biefem Einwurfe baS SBBort zweier fird)lidb,en Sonrunftler aB SBibertegung bienen, anberer, bebeu=
tenber Stimmen ui gefebweigen, bie wir fvätcr vernehmen werben. 3 ob«3™ ßccarb fe^te um baS Sabr
1597 bie bamalS gcbräud)lid)ften Äircbcnwetfen auf S3efet>l beS Sölarfgrafen ©eorg griebrieb, junaebft für
bie (Scbloßfircbc ju .Königsberg: £anS 2eo $aß ler gab um 1608 ju Dürnberg für biefe feine SSater-
(labt ebenfalls eine (Sammlung vierfrtmmiger ju'rd)enlieber an baS Siebt, beren einige er fd)on mebre Satyrc
Zuvor gefeljt, bie anbern aber ihnen für bie Verausgabe neu beigefügt hatte. 95etbe arbeiteten für ein Sße-
bürfntfj ber ©emetne; ber erfie fagt in feiner SSorrebe: „er babe gefud}t bie in ber Äird)c gebräuchlichen
Sieber in eine folcbe Harmoniam ober Goncentum ju bringen, baß ber ßboral in Discantu, wieeranihm
felbjt gehe, beutlid) gehört werben möchte, unb bie © emeine benfelben jugleid) mit einftimmen
unb fingen fönne; mit ganz ähnlichen SBorten brüdt ber anbere ftd) auS ; fein vierftimmiger Sonfafj
ffagt er) fei fo eingerichtet, baß er in GEbriftlicben SSerfammlungen von bem gemeinen Spanne neben bem
gigural mitgefungen werben fönne, unb biefeS fet) umdebft in ber jtird)e unferer lieben grauen, von ber
lieben gemeinen SSürgerfchaft mit fonberer Anmutbung, dmfilicbcr Sufl unb @»ffer gefebeben." SSeibe
Scanner werben wir fväter aB @old)e Fennen lernen, bie ben ßboralfafc in voller, reid)er Stürbe jeigen ;
ber erftc in funftgemäßer mannichfacher Ausarbeitung ber begteitenben (Stimmen, ber zweite in einfad)
bebeutfamem <Sa£e, von bem er eingefrebt: ,,er fei nicht ber fubtilen unb großen Äunft nach, fonbern
für einfältige, ßbriftlicbe ^erjen eingerichtet, unb er fud)e baburd) feincSwegeS große 6l)re, wie ftd) 9E)iancber
vielleicht bünfen laffen werbe." Sei tiefen betten ausgezeichneten SJlännern nun ftnben wir, — örtliche,
meift unbebeutenbe Abweichungen ungerechnet, beren Urfad)e unb ©nrftebung nicht hier ju beleuchten ift, —
in ber ßboralweife, wie ber gemeine SDZann in ft'e einftimmen foüte, eben jene beiben Seftanbtbcile wieber,
bie melobifche Silbung nad) ben fachlichen, bie rb*)tf)mifd)e nad) ben volfSmäßigen ©runbformen.
Sbj Sonfafj fd)ließt ftd) ben SDMobieen an, wie wir biefelben in ben zahlreichen geiftlicben (Singebüchern
aufgezeichnet finben, bie feit bem Safn-e 1524 in ©eurfcblanb erfd)ienen; unb wir werben faum vorauSfefeen
bürfen, baß biefe S3üd)er, bie bem allgemeinen SBunfdhe, bem überall taut geworbenen Sßebürfniffe ber
©emeinen entgegenjufommen bejiimmt waren, bie ben Siebern einfach beigebrudten SBcifen in einer ©eftalt
aufgenommen haben würben, bie ihre Ausführung nur wenigen funbigen (Sängern möglid) gemacht, unb
eine höhere tonfünftlerifcbe SMlbung vorauSgefcf^t hatte, yiifyt alfo behaupte man ferner, f o f^be man
niemals fingen fönnen, fohabe man nicht gefungen; benn unverwerfliche 3eugniffc überzeugen unS
von bem ©egentbeil, unb baS Unvermögen einer verwöhnten ©egenwart fann hier nichts entfd)eibcn.
SKüffen wir nun zugeben, bie ©ejtalt ber geiftlichen ßiebweifen, wie bie einfachen, bie mebr=
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jtimmigen Singcbüdier bei fecbjcbnten ^ahrhunbertl ft'e geben, fei bie ben ©emcincn, bem 2>olfe, geläufige,
anmutbcnbc gemefen, bcr eoangelifche .Rirchengefang jener 3eit verbiene aud) hierin mit Stecht ben tarnen
einel geiftlicbcn 23olf Igefangel ; fo liegt ber Sd)luß fef)r naf)e: ba er von meltlid)en Siebern
mannicbfacb geborgt habe, ba in biefen, mte in ihm, jener rbt)tl)mifcbc SBecbfcl bei mclobifdicn gortfcbrittel
häufig »ormalte, er aber um SSiclel jünger fei, all ber beutfche meltliche SSolflgefang unb bie gülle ber
9ERclobiccn bcffclbcn; fo werbe er jene rfmthmifche 6igentbümlicbfett eben von älteren S>olflmeifen entlehnt
haben. Wiefel all eine ShatÜ^e auljufprecben, trugen mir bal)cr fein 33ebenfen. Allein auch gegen
btefe ^Behauptung laffen fid) mohl jmcifclnbe Stimmen vernehmen. 9)}an menbet ein: ber rt)«tt)mifd?e
SBBedjfel beute $u fcl)r auf berechnenbe, abficbtlicbe 2fulge(kltung bcr Singmcifcn, ftelle ju fchr all ©rgcbniß
gemanbter, funftmäßiger Crntmidlung ft'd) bar ; er trage faum ba» ©epräge jener Unmittelbarfeit, bie bem
2>olflgefange, ber frifcben ffilütbe unbewußten .Kunfrtriebel, eigne. 2Bo er fid) jeige, laffe er vielmehr auf
mebrfrimmige, funilmäßig gefegte ©efänge fd)ließen, benen bie SOielobie, menn aud) bem Sftunbe bei
SSolfel abgehorcht, bod) nun rbvtbmifch feiner aulgebilbet, all Senor unterlegt gemefen fei. SSon f)t er
aul, in biefer it>rer neuen ©cjtalt, mit jenen SBorjügen aulgeftattet, melche ft'e alfo bem Sonfe^er
verbanfe, fei fte bann in bie SJeihe evangetifcher ©emeinegefänge übergegangen. £iefe Anficht fd)ließt
junäcbft bie ^Behauptung in ft'd) : bie ©emeine, inbem fte von bem Sonfe^er efma! entgegennahm, bal ft'e,
obgleich, el mit fünjtlerifcber ^Berechnung aulgebilbet mar, bod) fogleid) fid) aneignen fonnte, habe von ihm
ein jugleid) volflmäßig tfulgeftaltetel empfangen. £atte alfo bcr Sonfünftler bamit ben SSolflton
getroffen : marum follte biefer nicht auch in jener rfmtbmifchen Crtgcnthümlicbfeit ber SOielobieen ft'd) fd)on
urfprünglich offenbart f^ben? SBarum eine boppelte ©cftalt bcr Singmcife voraulfefjen, mo man ihrer
nicht bebarf, unb auch fein SBeifpiel einer folchen mirb aufzeigen fbnnen? 23af)r tft el freilich, baß 93olf|;
meifen mit ihren urfprünglichen Siebern im 16ten ^h^hunberte faft aulfcbließcnb in mel)rjtimmigen
Singebücbern unl begegnen. 2tt>er fann el anberl fenn? ber erften Jpälfte jenel 3abrhunbert!
mürben bie Singmeifen, für ft'd) genommen, faum jur .ftunjt gerechnet, ber Sonfafc nur fd)ien baf)in ju
gehören. 3ene galten für allgemein befannt, el genügte bei Siebern, beren Strophen ben ihrigen überein-
kamen, fte nur in 83e$ug ju nehmen, ft'e ju fammeln hatte man feine SBeranlaffung. £itrd) bie mcf)rftim=
mige ^Begleitung beliebter £onfünftler mürben ft'e erft in bal Äunffgebiet erhoben, ber £erau!gabe merth-
Unb bod) finbet gcrjler, mie mir fahen, ft'd) nod) »eranlaßt, ba er ,,bie vermeintliche große iUinft" bei
feiner Sammlung abfid)tlid) rjtntanfe^te, aulführlid) ju erflären, mal man babei gehabt, all man biefe
fd)led)ten Sieblein gebrudt, unb baß ft'e „ben einfältigen, unb nicht ben bapfern Singern ju Siebe"
erfd)ienen fegen. 2Bir fönnten fd)on biefer 'Äußerung unl hi« bebienen, um ferner baraul berjuletten, baß
bei einer fo gejtctlten Aufgabe um fo mehr nun aud) vorauljufefcen fei, baß bie ^jaupttache, bie volflmäßige
Singmeife, habe unangetajlet bleiben müffen. Allein el fehlt aud) nicht an anberen ©rünben bafür,
baß bem in ber Shat fo gemefen. £er Sonfafc ber erften £älfte bei lCten 3abrhunbertl, auf ben allein
mir jurüd^ugehen haben, mar nicht geeignet, meber bie innere, harmonifche SBebeutung, nod) bie rrmthmifebe
ßigenthümltchfeit einer 9Jcelobie ju entfalten. £>iefe, in eine 9Jtittclfttmme, ben Senor, gelegt, mar oon
ben meijten ber übrigen Stimmen überbaut unb verbunfelt, fo baß ft'e, nach bem 2(ulbrude tabelnber
Stimmen ber golgejeit, „fo eigentlich nicht gehört mürbe." gorfter, fo aulbrüdlich er verft'cbert, er habe
„ber einfältigen Sieblichfeit, bem £öd)jten im ©efange" nachgejtrebt, i)at bod) oon biefer tfrt bei Sonfafcel
meber in feinen eigenen Säfeen fid) loljureißen vermocht, nod) beren von anberen SSKeijtern viele gegeben,
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roorin tiefe eS getban. Surcb, mebrfHmmige SBebanblungen folget 2lrt Ratten fünftlertfd)e Umbil=
bungen ber ©runbmelobieen, wollten wir fie aud) »orauSfefcen, bod) immer feine ^Beliebtheit, SßolH--
mäfjtgfeit ju gewinnen vermocht. Siefelben finb aber aud) überall nid)t üorauSjufe^en. Senn bei
Sonfäfcen über eine ©runbmelobie, einen £enor, nad) bem 2lu3brutfe jener Seit, war biefer nicht ber
©egenftanb funfhnäfjigcr ^luSgejraltung, fcnbern baS ©egebene, gefte, SBebingenbe*). SBir ftnben wof)l,
baf? man ben 58ebürfniffcn beS «Sa^eä jufolge baran änberte, bocb, gefd)abe eS jumeiji nur bei canonifcfyen
Sachführungen, bie ohne eine fold)e #nbcrung nid)t waren ju bemirfen gewefen ; ober waltete ein anberer
©runb für fie ob, fo war fie für bie ©runbmelobie nid)t gejtaltenb, fonbern entjtetlenb ; bie 33erbältntffe
ihrer ©lieber mußten ßwang leiben um ber Fortbewegung ber übrigen ©timmen willen, Eine betebenbc
Grinwirfung bes> Sonfal^eS auf bie ©runbmelobie fanb alfo nicfyt jfatt, gefdjweige eine foldje, bie berfelben in
ben geijilicben SSolfSgefang bdtte (gingang uerfd)affen fbnnen. Allein unleugbar ift umgefel)rt bie Gjinwb
hing ber ©runbmelobie auf ben £onfa£, baS Anbahnen barmonifcber Entfaltung auf biefem SBege. 9hm
erft, in ber legten £älfte beS SabrbunbertS, alS ber Choral ber Soangelifd)en, ber getftltdje SSolfSgefang,
auS fachlichen unb oolfSmäfjigen S3efianbtl)eilen, ju welchen legten wir »or 2£Ucm ben rlwtbmifd)en 2Bed)fel
reebnen bürfen, fid) bereite gebtlbet l)atte, ergriff aud) bie bered)nenbe, bewußte Äunfiübung tiefen legten,
aB Littel ju ©efialtung unb ^Belebung neuer £ert>orbringungen. 2|emef;r «Sänger unb ©e£er, in früherer
3eit entfd)teben getrennt, nun einer würben, erfd)cint aud) baS SSerfjdltni^ ber ©runbmelobie unb beS Son=
fafceS al§ ein gegenfeitigeS, bie Einwirf ung be§ einen auf baS anbere iji nid>t länger ju bezweifeln. 2lu3
biefer Seit allerbingS werben fid) aud; S5eifpiele aufzeigen laffen, wo in mebrftimmigem Sonfa^e ©ingweifen
mit rbptbmtfdjem 2Bed}fel erfdjeinen, bie feiner juüor entbehrten, allein biefe bewetfen burcbauS nichts für
bie frühere Seit, unb für ben Urfprung jener befonberen Eigenfd)aft älterer 9JMobieen. Unb enblid), gefieben
wir uns» : ba§ S3elebenbe, Erneuenbe, ©efialtenbe ift in ber Äunft üon jeher auS bem frifchen triebe bee>
UBilbenS ht^orgegangen ; wir werben eS in ber SEonfunft alfo eher in ben ©ingweifen ju fud)en haben, bie
ber SEtefe ber S5ru(i in Sieb' unb £eib, in ©cherj unb Grrnji, auS bem geben fyexatä, unmittelbar entquollen,
al§ in ber t-erjtänbigen ^Berechnung unb 2lbftd)t be§ SEonfe|erS.
Sn gorfierS 2ieberfammlung haben wir bisher bie eigenthümlichen ä3ejranbtf)ei(e ber SSolfSweife
') tfnbcrungcn ber ©runbmelobie fommen in mcfirftimmigcn @ä'|en f)öcbft feiten cor. 3<h merfe bcifpiclSwcifc
einige gä'Ue berfelben an:
1) ©eorg SRfjau oeränbert bie lefcte 3eite ber SOtetobie be§ Siebes „©clobet feiftu 3efu etjrift," bie er in bie Ober;
ftimme legt, inbem er fie im $ Zatt fingt. SDicfc S03ill!üf)r bei ©efcerS i>ai aber niemals ©cltung im ©emeine;
gefange gewonnen.
t) (SS finben fi<±> SSeränberungen, menn bie im SEenor eingeführte SJcelobie nicht rein alg ©ubjeft be6 ©a^eS,
fonbern auch a^ SEtjcilnefymcrin an bem ©croebe ber au§ tfjir gcfdjöpften 9cad)at)mungen erfetjeint. ©o bei
58altt;afar SRefinariuS bie SSMobie beS Ciebcö : ,,(Sf)rift tag in SEobeSbanben ;" fie geigt am Ausgange tyrer einjeU
nen Seilen, bei ben ©d)luf fällen, f leine SfccliSmen. 3ch tjabe inbef feine ©pur gefunben, bafj bergleidien iematS
in ben ©emeinegefang aufgenommen toorben. 2i"nfd)aulid)cr noch tritt bicfeS tytvoot bei ben SEonfä'^en CupuS SptU
linfS über bie SBcifen : 2ln SBaffcrflüffcn 33abi)lon, unb : ©urch 2lbam$ galt :c. ; bie (Sinfchaltungcn unb 3utt)atcn
be6 ©c|er« blieben hier gleich rcirrungSloS für ben Äirctjengefang, unb ich merfe bieg bei ben folgenben S5eifpielen
nicht erft befonberö mieber an, ba cg übcraU auf gleiche SBcife ftet) oerhält.
3) ©tepljan gj?at)u meliömatifirt eine 3Beife (3Bir glauben all an einen ©Ott), bie fcfjon urfprünglich SKcligmen
enthält.
4) Gr änbert baran wegen fontrapunftifdjer Durchführungen, wie auch Stomas ©tolfccr eS tt)ut wegen canonifchcv
Nachahmungen, bei ber Slöeife: (Shrift ift erftanben u.
65
betrachtet, bie ber neue, eoangelifche jlirchengefang fich, aneignete; wir haben aber auch, in tf>r fcfyon
auSgebilbete Sonweifen gefunben, bie er nur entlehnte. Itud) in ber jweiten Jpdlfte be3 16ten 3afjr=
hunbertS ift unfere «Sammlung eine Quelle geblieben für ein foldjeö Entlehnen, wie ber gortgang biefer
£>arjrellung jeigen roirb. Sötr bürfen inbefi für jefjt nod) nicht von ihr 2Cbfd)ieb nehmen, ohne eine§
e tflerli e b e S ju gebenfen, ba§, war eS auch nicht eben au3 ihr entlehnt — benn e§ erfcbeint erjl an
ber jwanjigften ©teile t'breS 1556 berauSgefommencn fünften SEheileS, unb bie geiftltche, feiner alten
Sonweife angepaßte Umbichtung beffelben ift fchon 1528 in bem »on £)leariu3 befchriebenen Erfurter
(5nd)iribion ju finben — bod) un£ »on ihr aufbewahrt iji. §orfter, ber ben Anfang ber ÜDcetobie biefe§
2iebe3 fd)on in einem £luoblibet bc§ jweiten £f)ctle3 hatte hören laffen (1540. 9cro. 60), tf)eilt e3 fpdter
»ollftdnbig mit in einem fünfftimmigcn SSonfafje von Stephen Sftabu. liefern ijt jebocb nicht feine
SEonweife allein ju ©runbe gelegt: ihr ftnb vielmehr, nach ^rt jener Seit, nod) jwei «Strophen be§ ßtebeS :
„25 on ebler 21 rt" »erbunben, fo, bafj beffen Gelobte einmahl ben erjten, bann ben legten 2lbfalj ber
langen, gefünftelten ©tropfe unfereä ßiebeä begleitet, währenb bie übrigen brei Stimmen au£ biefer
boppelten ©runbmelobie ihre Begleitung fcböpfen.
2lch hilf mit leib unb fenlicb, f lag
mein tag bab ich fein raff, fo faft
mein herj mit fchmerj thut ringen, fpringen,
nad) verlorner freub.
SBieroohl id) b'forg e3 fei um fünft
mein gunji bie id) jm trag, bie mag
id) nicht mit t d> t »erlaffen, h^öfen
3n um lieb unb leib.
Sch arme melj feg jiefc mein ftn
in groß gefabr, jroar gar entbrinbt,
rint bief treu, neu, au§ ebler art,
hart war mir nie fo weh, geh, fleh/
fchlaf ober wach, gmad) b«b' id) nicht,
ficht bid)t, wie id) mid) iu
erweden, erben fein genab
mein fd)ab unb fd)wer wer nod) ein fd)erj!
berglieber gfel nod) roieber fer
id) ger nit mer benn bid) freunblid)
ju truden, fchmuden an mein brufi,
alfj etwan waS meinS t)tx%m$ lujl.
Diefeä feltfame, burd) jwanjig 3eilen fcbwerfdUtg hmburchgewunbene Sfeimgeflingel ft'nben wir
mit ber Uberfcbrtft: ,,2ld) fotlf mit Seib ic, ©eifilid). 2(bam von gulba" in Sofepb ÄlugS ©efangbud)
(1535; folgenbermaafjen umgebid)tet:
Hdt) bülff mich leib unb fenlid) f lag,
SSon Sag ju Sag follt ft d> treultd)
v. SBititttfclfc , ktt tsangtl. <J6orala,cfang. 9
G6
Sftein £erä mit ©cbmerj befagen, flogen,
Der oerlomen Seit,
Sie idt> fo tl)bvig bab' uerjert,
SBefdjtocrt beib7, 2eib unb ©eef obn' £eit
Unb Stotel für ©ott, bcv rädjcn, breiten,
SSBiD ber ©ünber 9ceib.
Denn icb fein' cf>r fefyr febwerlid) fyan
Hn ©d?aam unb grunb »errounbt, [all] fhmb
Unb funb gemalt nad)t tag unb ftunb
3Jlem Übeltat; ©nab' bat idj ba
Umfunft, gunft, fünft, war gar »erlor'n
3orn ungmaef), racb, fad) id) on' 3iel
SSiel ju tierfern, mebr'n ungenab
©ott bat reid)lid) mid) l)ie geftraft,
©d)afft als id) mein' fein göttlid) red)t,
S3erfd}mecbt fein' fned)t, ber ft'db, rerolid)
SDfa't jebren febren ift ju ©ott,
Denn er will nidjt be§ ©ünberS £ob !
g?od) in 33alentin 33a»ft§ ©efangbudje (1547. I. 49) unb felbft in fpdtern, erfebeint tiefe UmbiU
bung roieber, aud) t)at fte ^3rdtoriu§ in feine umfaffenbc Sammlung geiftlicber Cteber (Mus. Sion. VII.
71.) mit ber (bureb il)n oierftimmig aufgefegten) alten ©ingroeife be§ SJIeifterliebcS aufgenommen. 2fllein
fcbmerlid) bat fte it-genb bauernb SSBurjel gefaxt, benn fünftlid)e 3?eimüerfd)ränfungen, gebdufte fpielenbe
2lnfldnge, unb enblid), trofj aller .Künfteleien bod) nur 3lrmutl) ber §orm — ber jroeite jmolfjeilige ©afe
bat burdm?eg acbtfylbige Reiben, unb erfebeint überlang, ba il)m alle lebenbige ©lieberung unb ein fafjlicbeS
SSerbältnif? ju bem erften ©afje fet>lt — alles» biefeS roiberftrebte tbeilS bem SSolfStone, unb ber jumeift auf
ben 3nbalt geridjtcten allgemeinen Neigung, tf)etl3 trat feine äußere S3lofje bei bem Langel inneren
JReicbtbumS nur offenbarer nod) f;eroojr. SBir ftnben jroar l)in unb roieber nod) SOZeifterlieber unb ibre
SSBeifen in bie eoangelifebe Äirdje aufgenommen; im Allgemeinen aber üerfd)mäbte ber gefunbe ©inn bie
Übertragung ber »erfünftelten gormen jener ©dngerjunft auf ben gciftlid)en ©emeinegefang. 2(ud) ift bie
©ingroeife unfereS 2iebe3, wie e§ nid)t anberS ferm fonnte, verworren, troefen, unfaßlid), unb fte gerietb
mit ibm balb in 23ergeffenbeit.
©teiebjeitig mit ben erften beiben Steilen ber gorfterfd)en Sieberfammtung crfd)ien ein geifrlid)e3
©ingebud) in ben 9tteberlanben, ba§ eine bebeutenbe tfnjabl »on SSolfSweifen (152) un§ aufbewabrt fyat,
roetebe inSgefammt für geifttid)en Siebergefang entlehnt finb. @ö cntl)dlt eine freie Übertragung ber ^Pfalme
in flamldnbifcbe JReime, unb neben il;nen bie brei eüangelifeben ßobgefdnge: ber SDiaria, beS 3ad)aria$ unb
©imeon; jroei altteftamcntlicbe, ben bc§ £i§fia3 unb ber brei Jünglinge im geuerofen; enblicb ben 2obge=
fang be$ tfmbroftuö unb tfuguftinuS, ba3: „£etr ©ott bid) loben wir." Unter bem Settel : Souler liede-
kena ghemaeetter eeren Gods op alle die Psalmen van D-avid, tot stichtinglie ende een geestelycke
vennakinghe van allen Christen menschen etc. trat eö ju Antwerpen an ba§ 2id)t bei ©pmon @orf 1540
OICCCCCXL) ju einer 3ett, wo bie Äircbenüerbeffcrung in ben Sftebcrlanben bereits Eingang unb
67
Verbreitung gefunben hatte, wo eS fdjon nbtbig geworben war, ba§ ßefen ber heiligen Schrift unb
heimliche Verfammlungen ju verbieten, wo man namentlich ju Antwerpen, aller S3efef)Ie ungeachtet, bie
9)rebigten aufjer ber Stabt nid?: hatte abjufiellen vermocht; ju einer 3eit, wo bie wiebertäuferifcben Unruhen
ju fünfter, beren Setter unb görberer jumeifl auS bem nbrblicbcn Steile ber Nieberlanbe fiammten, eben
bort, bei Verbreitung ähnlicher Meinungen unb Anflehten, auch ähnliche Aufregungen veranlagt Ratten ;
wo man anbererfeiß von oben f)er gegen bie Neuerungen burcb, 2fnflellung von ^nquift'toren fcbon einge=
fchritten, ja, bis jur SMjiebung von SEobeSurtheilen gegen reformircnbe f>riefter fortgefcbrttten war. Safj
eine Überfefcung ber ^falmen in ber CanbeSfpracbe, jumabl eine für ben ©efang eingerichtete, bem gefang=
liebenben belgifcben Solfe böcbft willkommen fevn, bafj fte einem allgemeinen 23ebürfniffe entgegenfommen
mujjte, wirb nicht befremben fbnnen; eher bürfte eSSßunbcr nehmen, unter SBerbältniffcn wie bie bamaligen,
fie mit einem Privilegium, ju83rüjTel am löten September 1539 unter bem Namen ber Sfegentin ausgefertigt,
erfebeinen ju feben. Allein um eben biefe 3eit würben bie erften breiig von Clement Sfftarot in ba§
granjofifebe überfefcten |>falme am £ofe granj beS ©rften von granfreieb mit großem SSetfafl aufgenommen,
man pafft ihnen bie 9JJelobiecn von IJagbweifen, ja, von SEanjliebern an, fte banach ju fingen, felbft
Katharina von 9)iebici trbftetc ftch an ihnen, mabrenb ihrer anfänglich unfruchtbaren @he; fein üatbolifcber
trug 83cbenfen, fich ihrer ju bebienen, eher, aß ba fie, funfjehn ga^l fpäter, vereint mit bem .Ratecbßrmß
unb ber Siturgie ber reformirten Äircbe ju ©enf, unb ben von Sheobor S3eja fpäter überfefeten ^fahrten
erfebienen. 63 burfte baher bie bamalige Siegentin ber Nieberlanbe, SDcarta, verwittwete Abnigin von
Ungarn, @arß be3 fünften Schweiler, um fo weniger an unferen Pfalmtiebern Anftofi nehmen, aß fte
felbfi ber neuen 2ehre nicht abgeneigt gewefen fepn, unb an bem ©cfange geifilieber Sieber gern ftch gctrbftet
haben foll, wie benn ba3 juvor fd)on befprod)ene Sieb ,,?Diag ich Unglücf nit wiberftabn" gewöhnlich aß
baS ihrige bejeidmet wirb. SOcan hat unter tiefen Umjtänten feinc3meg§ ju ber 33orau<?fekung feine 3uflucht
ju nehmen, aß feien bie in tiefer Sammlung enthaltenen Spfalme beshalb nur befannten SSolBweifen
angepaßt worben, um hinter biefe ben ©efang geiftlicber 2icber ju verfteefen, ber bem Verbacbte ber .Rederei
unterlegen babc. Senn man beburfte einer foldjcn Sdmljwehr nicht; man wählte bie ben ^falmliebcrn
angepaßten weltlichen Singweifen nur, wie man fie früher aß ©runbgebanfen für ben fünftlid)cn mehr=
ftimmtgen £onfafc ber 93iepgefdnge ober 93tagniftcat gewählt hatte, aß einen anmuthenben Schmucf, unb
tbat bamit eben nichts anbereS, aß man unter gleichen 33erbältntffen auch i" Sranfreicb unb Seutfcblanb
febon gethan hatte.
3war bie meiften, boeb nicht alle üieber biefer Sammlung ft'nb weltlichen Singweifen angepaßt.
Senn fünf bavon finben wir ben 3Dcelobicen lateinifcher, älterer unb neuerer geifilieber ©efänge unterlegt.
Sie ßobgefänge ber Flavia unb bcS Simeon follcn nach ben 5DMobteen ber ^»pmnen: Conditor alme
svderum, unb Jesu salvator seculi gefungen werben; baS Te Deum nach ber bcS £nmnuS Chrisle qui
lux es et dies j ber H7te s])falm nach cer tee ßenedicamus Domino, tcr britte Abfcbnttt be» 1 18ten nach
ber 2Beife beS SiebeS Dies est laetitiae. Sa nun ber lef>tgebad)tc ^falrn in vier Abfcbnitte gctl)eilt, unb
jebem berfelben eine eigene Singweife beftimmt ift, fo enthält unfer Singebucb, mit Cjinfcblufj ber fedß
Sobgefänge, im ©anjen 159 9)?elobieen; rechnen wir bavon bie eben genannten fünf, aus lateinifebem
itirebengefange ftammenben, ab, unb noch P>& anbere, bie auS älterem, beutfeben entlehnt ft'nb, unb beren
Üieber wir bereiß in bem £3re?lauer 2ieberbucbe von 1525 ,,veränbert unb chriftlich corrigiret" finben:
9Raria jart, unb Sieb grau vom Gimmel ruf ich an; fo bleiben mß, wie fchon erwähnt,
9*
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152 9Jielobicen übrig, bie wir mit ben Anfangen »clttidjer Stebcr überfdjrieben ft'nben. .Könnte nun ein
3mcifel barüber obmaltcn, ob biefe Sieberanfänge nicht v-ielleicbt nur anbeuten füllten, baß bic ©efänge,
über benen fie (leben, gleichen ©trop£)enbaueä fet)cn mit ben baburcb angebeutetcn Siebern: fo ftreitet gegen
biefe SSorauSfcfcung bod) bie Übcreinftimmung ber eben genannten latetnifcfyen unb beutfcben Äircbenmeifen,
mit ben SDMobieen ber Sieber, benen ihre 2(nfang3morte als Überfcbrift bienen, unb eine gleiche Überem=
ftimmung ber in gorfierS, unb anbeten Sammlungen mitgeteilten Singmeifen »on Siebern, beren Anfänge
über unferen 9)falmen fielen. So ift bie SBeife be3 SiebeS: 2lcb ©ort mem foll ich flogen, bei gorftcr, in
ber Zfyat auch bie bem 07ften $>falm jugefcbricbene in ben Souter liedekens ; bie beö SiebeS „3d feg
abieu, roie mir fie eben ba finben, bie be3 65ften; fo tragt ber 128fte $)falm bie SJcelobie be3 Siebeö: „\l
me suffit de tous mes maux," mie eine, mabrfcbeinlid) um 1530 ju $ari3 bei Pierre Htttaignant
erfcbienene Sammlung oon 34 meltlicben ©efängen fie mitttjcilt ; anbere fennen mir als bie ©runbmelobieen
ber 9Jieffen belgifd)er 9Jceifler, mie: D'ou vient cela (^)f. 72), Languir me fault ($>f. 103) u. f. m. @3
barf allerbingS nicht »erfcbmicgen merbcn, baß bei anbercn Singmeifen biefe Übereinfn'mmung mit gleich*
namigcn fehlt: fo bei ben, mit benfelbcn Anfangen von gorfter mitgetbeilten : Het sou en meyskeu gaen
om wyn (^3f. 92), Wet sal ic my geneeren ick arme broederlyn ($>f. 107). "Mllein ee> ftnb bagegen
manche $)falme unferer Sammlung, menn auch mit gleichen Sieberanfängen überfebrieben, boeb mit
»erfebiebenen Singmeifen üerfeben, mie ber 12te unb 19te, ber 73fte unb95fte, etma mo ein Sieb bei
gleichem Anfange unb übereinftimmenber Aufgabe boch eine »erfchiebene 2lue>btlbung erbielt, melcbe bie
9cotbmenbigfeit einer anberen SWelobie herbeiführte. £)ber e§ bat auch, ohne eine folebe 9cotbmenbigfeit,
ein Sieb einmabl eine jmeite, 6rtüd>e ©eltung geminnenbe Singmeife erhalten, mie biefee» mit ber, bem
92ften $falm angepaßten ber gall gemefen fct>n mag. Senn mir finben gorfter§ gleichnamige, t>on jener
perfebiebene (II. 1.), ein jmeiteä SJcabl alö ©runbmelobie ber Cöleffe eineS 9cieberlänber3 , Sampfon,
mieber*). SBenige ber Sieber, beren Anfänge nur mir in ben Souter liedekens erhalten, treffen mir in
anberen Sammlungen beutfeber unb franjbftfcber Sieber »oltftänbig an, e§ ift baher meifl nur ein allgemeiner
Schluß auf ben Inhalt ber SOicht-jahl au3 jenen Anfangen un§ »ergbnnt. Sie meiften mögen banacb
StebeSlieber gemefen fepn ; anbere beuten auf örtliche, auch gefcbicbtlicbe ^Beziehungen, al§ : Madame la
regente, ce n'est pas la facon ($)f. 120), — Sur le pont d'Avignon ($)f. 81) , Machelen ghy zyt so
schoonen prieel (^)f. 140), Met lusten willen wy singhen en looven det roomsche ryck ($)f. 141),
Wee will hooreu een nieuwe liet, wat t'Antwerpen is geschieht (auch: „2Bt)fe üan lotteren" über=
fchrieben, $>f. 149), Te Munster Staat een steynen huys ($>f. 83) u. f. m. Socb mag e§ enbticb mohl
einer eigenbö hierauf gerichteten gorfebung gelingen, noch einen großen £beil jener alten Sieber mieber ju
entbeefen, menn ihnen in ben ÜJciebertanben felbft naher naebgefpürt mirb. Saß ihre SJMobtccn faft alle
um bie 3eit be£ ßrfcheinenö unferer Sammlung fchon ©egenfränbe mehvftimmiger ^Bearbeitungen gemefen
maren, ift barauS ju fchließen, baß fie bort in »erfebiebenen Scblüffcln erfebeinen, jenachbem fie bic hödjfic,
bie tieffte, ober, mie jumeift nach ^rt jener 3eit gefchehen fepn mirb, eine mittlere Stelle in bem Sonfafce
einnahmen.
S5ei 5öcrgleichung ber SKetobieen ber Souter liedekens mit benen be§ gorfrerfeben SingcbucbeS
tritt unö eine »olfsthümliche 83erfd)iebenheit beiber, jener belgifchen unb tiefer beutfdjen, fefort entgegen.
•) Opus decem Missarum etc. SBt'ttcnbcrg, SRfjau. 1541. (5Kro. 3,)
69
2öie bei biefen bic fyaxte, fo ift bei jenen bie roeicbe Tonart bei weitem bie überroiegenbe ; mit2lu§=
nat)me ber urfvrünglid) lateinifd)en unb beutfcfyen ©ingroetfen (teilt bei ben übrigen 152 ba3 SSerbdltntfj
ftcb bar roie 105 ju 47, unb biefeS Übergewicht jeigt fid) nid}t minber, ja, in noch, bbberer^üBbebnung, felbft
bei ben fünf Tanjroeifen, bic unfere Sammlung bem 125ften, 127ften, 132ften, 133ften unb 135ften
spfalm angepaßt bat*)- Denn unter if)nen geboren vier einer meieren Tonart an, — eine bavon (bie be3
127ften) fogar ber pbrPS'f d>en/ — roäbrenb. eine nur (bie be§ 132ften) in einer garten Tonart gefegt
ift. 33ei ben inneren SSerbältniffen ber roeieben unb garten Tonart, wie fie l)ier erfebeint, ift jebod)
wieberum Übereinftimmung mit ben gleiten bei gorfter wabrjunebmen. $kx roie bort ift bei ben 9Jcoll=
melobieen ber pbr»gifcbe Umfang ber feltenfte, er fommt nur ftebenmabl vor, unb baruntcr nur einmal
in ber SSerfegung nad) A mit b vor ber jroeiten ©rufe; häufiger (41 SöiabO jeigt ftd> ber urfprüngltd)
borifebe (D obne §ßorjeicb,nung), allein unter ben SOielobieen btefeö Umfanget ffnb ad)t (bie be§ 5ten,
6ten, 16ten, 34ften, 38jien, 90ften, 94jien, 120fien spfalnB), bei benen bie SSorjetdmung be3 b nur neben
bem ©cblüffel feblt, unb bie feebfte ©tufe, roo fie im Fortgänge ber SÄelobie berührt roirb, allejeit bamit
verfeben ift; bei vielen anberen, roo fie überall mangelt, roirb fie bennoer; buret) bie 9cotbwenbigfeit ber
Söermeibung be3 TritonuS erbeifcfyt. ©o aueb bei ben 42 ©ingweifen be§ Umfangeä von G mit b vor ber
britten Tonftufe. S3ei biefen ftnben wir ben borifeben ßbarafter ben ©efängen gar nid)t aufgeprägt, roie er
bei benen be$ Umfanget von D nur wenigen auSnabnBweife eignet. 25 ie be3 dolifeben Umfanget — e§
ftnb beren jwblf in bem urfvrünglicben von A, brei in bem verfemten von D mit b vor ber fecbjten Ton=
.ftufe — fofern ft'e auf ba§ ^brP9M"^e ™fy b'nbeuten, tragen eben fo niebt ba3 roefentlicbe ©evräge ber
Tonart, nacb ber mir fie benannten. 2Ba3 bie 47 25 ur melobieen unferer ©ammlung angebt, fo gebort
bie ÜDZebrjabl bavon ber ionifeben Tonart an, 25 bem verfemten, 13 bem urfvrünglicben Umfange berfelben;
neun bagegen nur ber mirolvbifcfyen, ber urfvrünglicben fecb§, ber verfemten brei; obne baß in biefen
allen anberS, aB nur in entfernten 2lnf längen, bie ©igentbümlidbjeit jener Äircbentonart ftcb barftellte.
Diefem 3fllem jufolge bcwäbrt e§ ftcb, aud) xjxtx, bafi ber 33olf3gefang von frübe ber bie Neigung b<*tte,
bie fünf verfegten Tonleitern be3 alten Äird)engefange3, auf benen bie Äircbentbne beruben, auf eine
3meibeit jurücfjufübren, bie verfegte f>arte unb roeiebe Tonleiter; unb bafj er nur vereinzelte, bann aber in
ber Tbat bebeutungSvolle Tlnfldnge jener alten günfbeit bewabrt.
9cad) ibrer rbntbmifcben ©ejialtung betrachtet, geigen uns> bie Sftelobieen ber Souter liedekens,
eben roie bie ber gorfterfeben ©ammlung, jene ßrfebeinung, bie roir aB rbptbmifcben Sßecbfel bezeichneten,
nur tritt fie f>ier ntd>t gletd) übenviegenb bervor, aB bort. Unter ben ernennten 152 föolfSroeifert fi'nben
roir fie in 53, alfo in mebr aB einem Drittbeil be§ ©anjen ; in vier anbern ift ber SBecbfel be$ geraben
unb »ngeraben Tafte§ in beftimmter Abgrenzung gegenübergeftellt (9>f. 86, 90, 130, 144;, fedjS anbere
*) ©cn tanc|tcn©acb oon beefen 3aar.
$5f. 125. Sonott G mit oorgescidjnetem b oor ber britten (Stufe.
Sie naebtegat bie fanc een liet u.
127. E ohne S3orjcicf)nung.
3 cE quam albaer, tet roeet »el «aar.
$)f. 132. C ohne SSorjcicbnung.
£oe foubte oreudjt bebrt).
<Pf. 133. D ohne S3orjcidjnung.
Le berger et la bergere sonl ä l'ombre d'un buisson.
qpf. 135. ©teiebe Sonort.
70
eublicb finb ganj im ungeraten Safte gefegt (*Pf. 2, 3, 6, 48, 99, 106). ©o feben wir benn hier im
Allgemeinen baffelbe Srgcbnif? benwrgeben, ba3 bie Prüfung ber gorfterfeben Siebreeifen un§ gewährte,
wenn wir baS, auf v>olBtl)ümlicf)cr Eigenheit berubenbe S3orwalten ber weichen SEonart bei ben
belgifd)en, ber harten bei ben beutfd)cn aufnehmen.
Sie feltfamften 3ufammcnlMungen begegnen un3 bei ber 33ergleichung be3 Inhaltes ber $fal=
men unb ßobgefänge mit ben barüber gefegten 2ieberanfdngen. ©o ifi ber 2obgefang be§ 4?i3fia§ ju
fingen nad) ber SBeifc: Ghy lustige amoureuse geesten; ber be§ 3ad)aria3 auf bie SSKelobie: Een out man
spraeck een jonck meysken an. X)er 23fte ^Pfalm (nad) Sintheilung ber S3ulgata, unb, ihr überein*
jiimmcnb : Domini est terra überfcfyrieben ; nad) 2utber3 Abteilung ber 24jre, in feiner Übertragung : £>ie
Erbe ift be» Spam unb wa§ bartnnen ift) finbet fid) ber SJietobic be§ Siebeö anbequemt: Een aerdich
tronnnelaerken sonder ducht; ber 96fic (Dominus regnavit, exsultet terra, nad) 2utbcr ber 97jfe: £)er
Sperr ift Äbnig, befj freue fid) ba3 Erbreich) foll geben nad) ber SBeife: Het vloech een dein wilt vogelkyn
toi myns liefs veynster in; ber 86fte (Fundamenta ejus in montibus, nad) 2utber ber 87fte: ©ie ift üefi
gegrünbet auf ben ^eiligen Bergen) wirb oerroiefen auf bieSKelobie: Een boerman had eenen dommen
sin; ber lOte (In domino confido etc. nad) 2utber ber Ute: Sch trau auf ben Spmn) foll fid) fd)icfen
aufbieSbne be3 2iebe§: Ick hoer die spiessen cracken ;c. Bei ber SS5at;l biefer ©ingweifen ift oon
bem Stielte ber weltlichen 2ieber, benen fie entlehnt, ber geiftlichen, auf bie fie übertragen werben, gdnjlid)
abgefeben; bie beliebte DJJelobie wirb für ben ^eiligen ©efang in 2üifprud) genommen, ohne aud) nur an
bie Erinnerungen ju benfen, weld)e burd) fte aufgerufen werben formten. Unb in ber Sbat : für eine fo
bewegte, üon ber Scicbtung auf geiftlid)e Erneuerung, fei e§ be§ eigenen Innern, fei e£ aller duneren
mcnfdilid)en 33erbdttniffe, fo gewaltig burd)brungcne 3eit, wie biejenige war, in ber ©olcbes> gefd)ahe,
waren bergleid)en Erinnerungen batb gdnjlicb »erlofcben. £)a§ SQ3eltltd>e war in bem ©eiftltcben ttbütg
aufgegangen, bie ©eltfamfcit ber S5ejief)itng befrembete ntd)t, weil überhaupt an fein Skrbdltnif? be§
Entlehnten ju bemjenigen meljr gebad)t würbe, bem e§ urfprüngtieb angehörte. Scafcb griff man in ben
reichen SDielobieeiworratb l)inein, bei- für bie 2Babl ju ©ebote ftanb, obgletd) non einer SBabl l)ier faum bie
9febe fepn fann, wo in ben meiften gdllen wohl nur bie Übereinftimmung ber ©tropben bc3 neuen geiftlicfyen
unb be§ alten weltlichen 2iebe3 ba3 Entfcfyeibenbe war. SBie nun bem Belgier, fo war aud) bem Seutfcben
in feinem SSaterlanbe ein großer 9icid)tbum Bon ©ingweifen jur £anb; eine SSeranlaffung üon gremben ju
borgen, war für il)n nid)t eorhanben, eö wirb un§ alfo nid)t auffaEen, bafj er au3 ben £auptquellen
unfercr betgifeben ©ammlung nur feiten fd)öpfte. Ratten früberl)in noch Begehungen ber entlehnten
©ingweife ju ihrem urfprünglicben Siebe feine 2Bal)l geleitet bei ihrer geiftlichen 2tnwenbung, fo traten
berglcichen 9fücfftd)ten boeb ftetö mehr in ben ^)tntcrgrunb; fd)on burd) bie neue, geiftlicbe Beftimmung
allein erfchien ihm aud) ba§ SBeltlicbe geheiligt, ©o brud'te ju Dürnberg (jwifeben 1528 unb 1538)
Äuncgunb ^ergottin ba§ 2ieb: „lommt her ju mir, fpriebt ©ottcS ©obn, " im Son ,,SBaö wo II' wir
aber heben an" ju fingen; ben 23ften ?>falm in Sacob ÄlieberS Bearbeitung: ,,3d) wei^, ber Sperr
ber ift mein £irt," mit SSerweifung auf bie SÖZelobte : „£eut hebt fid) an ein Abenttanj;" ein
^reislieb göttlichen SBorteS burd) Erempel ber ©d)rtft: „grewet euch, frewet euch in biefer Seit, ihr lieben
Gbnfien alle k." in bem Son, atfj man finget: ©o weif ich ein 6, ba§ mich erfreut, ba3$piüm=
lein auf prenter ^>eibe tc. ©eorg 2ßad)ter (jwifd)en 1529 biö 1546) lief baä Sieb : „£iff ©Ott
baf mir gelinge bu ebler ©d)öpfer mein" beroorgeben, ju fingen auf „9Kbd)t ich *>c<n ^erjen fingen
71
mit £ufi ein SageroeiS; einen 33ergreiben : ,,2obt ©Ott itjr frommen ßbriften," in jßruber 9Seit§
Sbon; (Sin Sieb, „gemacht in einer gefcntfnuS burd) £errn leiten £brtlin, £>elffer $u Söeiffenberg" :
,,Ad) ©ort im l)bd)ften (\£>immel£) tf)ron, bu liebfter SSater mein" im Son: 25er ©d)üttenfam ber
t) ctt ein Äncdjt, bem träten bie ©ulben rool; ein Sieb eben biefeS £>id)ter3: „£> ©Ott im
bödmen Sbrone, fd)au auf ber 3SKcnfd)en Äinb," eine Aufmunterung jum Danfe gegen ©ott wegen ber
£ircbctvoerbeffmmg, im £on: 9tu fd)ürj biet), ©reblein, fd)ürj bid), bu mußt mit mir
bawon. — 9)1. 3?. 9)Zunjer gab um 1556 (obne Angabe be£ £)rudort3) berauS: günf neue fd)bne
getfjlid)e ßteber, oon ber 3ufunft be3 £erren 3efu ßljrifi am jüngften Sage, beren brttteS: „Alle bie ifyt
jefeunb lebet" auf benSEon: £>ie ©onne ift verblichen oerroiefen mar ; ba§ fünfte: „Ad) ©ott tt)U
bid) erbarmen" auf bie SDielobep : Jrifd) auf, ibr 2anb3fned)t alle. (Sinige biefer 2ieber finb nod)
jefet allgemein gebräud)lid), unb vielleicht eben mit jenen rocltlid)en SSeifen, mag um fo roalnfd)einlid)er ift,
ba jroei unter ifynen — Äommt ber ju mir, fprid)t ©otteä ©of)n, unb Ad) ©ott tfyu bid)
erbarmen — nur mit einer ©ingroeife üorfommen, bie boppelte be§2iebe§: £ilf ©Ott bafj mir
gelinge, aber nur al3 eine oerfd)iebcne Umbilbung berfelben ©runbmelobte erfcfyeint.
Allein nid)t immer fanb ein fo rütffid)tlofe§ (Sntlel)nen ftatt: oft mar eine jarte, innere S5ejicbung
worbanben jtt>ifd)en bem alten, roeltlid)cn, bem neuen geiftlicfyen Siebe, bie ibre ©ingroeife mit einanber
tl)eilten. 3«>ei 33eif»iele biefer Art treten um> entgegen; ba3 eine rufen un3 bie Souter liedekens in ba3
©ebdd)tnif3, auf bas> anbere füfyrt un3 gorfterä ßieberfammlung.
Sn jenen roirb für ben 128ften 9)falm (Saepe expugnaverunt me : nad) 2utf)er ben 129ften :
©ie l)aben mid) oft gebrdnget von meiner 3ugenb auf) bie SJMobie eine§ 2tebee>liebes> angeroenbet. ©ie
ftebt mit bemfelben in einer ©ammlung von 34 m'erfiimmigen ©efängen, roelcfye ber S3ud)l)dnblcr Pierre
l'Attaignant ju *Pari3 ofjne 3abre3jal)l (mabrfd)einlid) jmifd)en 1529 unb 1531, roo er db,nlid)e bruden
lief?) Verausgab*), unb ifjr 2ieb lautet ootlfränbig alfo:
II me suffit de tous mes maulx**)
Puis qu'ils m'ont livre ä la mort
J'ai endure peine et travaulx
Tant de douleur et desconfort
Que fault il que je face
Pour estre en vostre grace
De douleur mon cueur est si mort
S'il ne voit vostre face.
Auf biefe ©ingroeife, ibre gebebnten ©d)lufjfälte ju längeren Seilen, jumafyl im ^weiten Abfafje
benufcenb, unb baburd) oon bem 9Kaaf?e ber urfprüngltd)cn £>id)tung oft ftd) entfernenb, bat SOiarfgraf
Albred)t ber jüngere ju S5ranbenburg=ßulmbad) fein fd)bne§ Sieb gebid)tet:
2Ba§ mein ©ott roitl, baä gfd)eb alljeit
dt wallet jlrtS baS SBefte,
*) Treate et quatre chausons musicales, a quatre parties, imprimees a Paris par Pierre Attaignaot,
libraire, demourant eu la rue de la Harpe, pres l'Eglise Saincl Cosme.
**) ©. SSeifpicl 13S. a.
3u Reifen ben' cv ift bereit
Sie an ifjn glauben tiefte;
er bilft au$ 9iotb, ber treue ©Ott,
Unb troft't bie SBett ob"' 2ENaa£en,
2Ber ©Ott vertraut, veft auf ibn baut
Seit wirb er nicbt v>erlaffert!
Seine Äriecjeöjücje führten biefen famvfluftigen Surften um 1544 gegen granfreid) ; fvater mit
bem ßburfürften 9Kori£ von ©acbfen, mit 3oad)im von SSranbenburg, mit ^)erjog ^einrieb von 33raun=
febroeig verbünbet, von Äaifer ßarl bem fünften in bie 9?eicb§acbt erflärt, unb (einer ßanbe beraubt, mufjte
er bei feinen früheren geinben 3uflud?t fueben. ©o fyat er roobl bei feinem Aufenthalte in granfreid) bie
©ingtveife jeneS franjbftfcben Siebes fennen gelernt; mochten ifym bod) beffen erfte SSBorte auf fein eigene^
©cbidfal beuten, auf ben Aufgang feiner roilben Äriegeöluft, unb ber ernfte, fromme ©inn, ben er bei fonfi
rauber, heftiger, ju ©eroalttbaten geneigter ©emütb^art bennoeb. bewatyrt baben foll, ibm ben redeten, feften
SEroft gemäßen bei fo berbem £ofe. Sanacb ermangelt fein £ieb einer inneren S3ejiebung nid)t ju ber für
baffelbe entlelmten ©ingroeife; unb baft er vvobl geroäl)lt %aht, bat ber erfolg genugfam gezeigt. Sie
ÜRelobie fanb allgemeinen 2Cnf lang, ja fte ift mit ibrem vierftimmigen Sonfa^e fajt unverdnbert übergegangen
in bie ©ingebücber beä ©erb ßalvift'uä (1597) unb SJlicbael ^)rdtoriu§; eine fünffiimmige ^Bearbeitung
berfelben bureb Sobann eccarb, ber fte in ganj neuem ©inne auffaßte unb entfaltete, bat un3 beffen ©cfyüler
©tobauS um 1634 mitgeteilt*).
Sn bem erften Steile von gorfterS frifeben Sieblein ft'nben wir ein ßieb, ba§ er au3 ber von
(Stuart SDglin 1512 ju Augsburg benm3gegebenen ©ammlung fd)b»fte, 9JMobie unb SEonfafc beibebaltenb.
@r nennt un§ $>aut £ofbeimer als ben Urbeber biefeS legten ; bie anmutbige SBeife überragt beibeö, ba§
SBerf ber ©efcerS tvie be3 SidjterS, in welchem ein ßiebenber ben frühen SSerlufl feiner ©eliebten besagt:
^kl-j.rrr cf-rf ."-"-r-
— — — s=— =-— 4— =J-r— r rO-*-^—. A-A — r^-
_ j _| o rt-O—- 4-A-e=fA
-t— - -Q~°~C
TL&i £ieb mit 2eib, tvie f>«jt bein 33fd)eib
Äläglicb in furj gefvielt auf mid)
3d) t)tt gemeint roer ftetS vereinbt
Sa§ Sieb nit follt venvanbeln fid),
9?u bat Unglüd gebraucht fein tüd
©enommen bin,
SKein ©inn barüm betrübt ijt bart,
Wid) reut bie 3art roeiblicber Art,
Sie faft febbn, jung, lieblid) unb fromm.
•) @. SBeifpiel 138.
2öir reben f>ter ntd)t »on geijtlidjen Umbid)tungen btefeS Siebet wie fte un§ fpäter in Änauft unb
SBeSpaft'uS gcifilicben ©dangen begegnen; fte würben un$ f>ter nur alf 3eugniffe bienen fonnen für bie
grofje SBclicbtbcit feiner 9)ielobie. Siefe nimmt unfre Äufmerffomfeit fn'er be&h,alb in tfnfprudb, weil wir fte
Biebern angeeignet ftnben, bie mit ihrem urfprünglicfyen nid)t einmal)l gleicb.cn Stropbenbau tbeilen. 3n
bunbert cbrifjlicben ^aufgefangen , bie 3ot)aim Äolcr ju Dürnberg (obne Beifügung einer ^abreSjabJ) fjer*
aufgab, wirb fte porgefebrieben für baf Sieb 3obann grtebrtdjö bef ©rofjmütbigen v>on Sacbjen :
SBie'f ©ott gefallt, gefallt mir' f aud)
Unb lafj mieb gar ntdjt irren ic.
ein Sieb, beffen acfytjeilige iambifdie Strohe einen »iermaligen 2Bcd)fel acb> unb ft'cbenfylbiger Seiten bar*
(teilt, mäbrenb ibr urfprüngtid)ef neunjeilig ift v>on bureb, gangig acfytfplbigcn, iambifd)cn S3erfen, bie nur
vor ber Scblufjjeile*) bureb; eine üierfylbige £alb$eile unterbrochen werben, gür bie 2Bal)l biefer fronen
ÜBeife mar bienad) offenbar, tüte ibr anmutiger ©ang, fo eine innere SBejicf^ung baf ßntfd)eibenbe. Sn bem
felbenSonen, in benen $uv>or eine 2iebe»flage erflang, foüte nun bemütbjge, fromme Ergebung laut werben,
unb jene Sbne einem ebleren ©ebraud) meinen; bafj ber melobifdje ©ang bcrfelben babureb, eine 'tfnbenmg
erleiben mußte, mar eine 9iücffid)t, meldte babei in ben £intergrunb trat. ScneS Nürnberger Sieberbud)
tfieilt feine 931elobiecn mit, ef nimmt auf fte, alf befannte, nur SBejug; mir miffen alfo aud) nid)t ju
fagen , in welcher #rt bie Umbilbung erfolgte. Allein bemerf enfwerth, ift e§ , baß biefe nid) t bie einzige
'Aneignung folcfyer 2irt blieb, baf mir beren noeb, jwei ftnben, unb $war mieberum für Strogen, bie, mie
unter fid), fo von ber bef urfprünglicb,en Siebef unfercr Singmcife gänjlid) abwetd)enb ft'nb. Sie werben
alfo aud), weil ef an bem gewöbnlid)en 4?ülf§mittel fet^It fte ju erfennen, bemjenigen unbemerft bleiben
müffen , bem baS 2Befen ber entlebnten ÜSielobie ft'd) nid) t fefter eingeprägt l}at.
2>iefe begegnet unf junädjft in bem ©efangbucfye ber 9Jcäl)iifd)en S3rüber, in ber Aufgabe
beffelben, meldje »on biefen, oermebrt unb gebeffert, um 1566 bem Äatfer SDiarimilian bem 3meiten über*
geben würbe, unter bem Sitel: ,, jtirct)cngefeng, barinnen bie 4?cubtartidel bes ßl)rifrlid)en glaubend fur£
gefaffet unb ausgeleget ftnb k." ^)ier ftnben mir unfere <2ingweife einem Siebe gefeilt: „25on ßbjijto,
bem einigen Leittier:"
Jg>ct = lig unb jart ift dhri * fH äftcnfcfc.bctt, gar ebbtet 2frt ooll at = Ift ®nab unb 3Bahr=beit ;
benn ba « rin roobnt bie güll' ber @ott*hcit, ift fcfcjbn ge « front mit hbeb, fter Shr unb £tar ; heit.
6r ift ber Saum ge = pflanjet an bem SBaf ; fer = firom , ift ber gan = jen (Shrpften = heit Kubm,
■~! ' Q -
1
grünt con £ei» lig = feit unb ©e^reetptig s feit blüht in
tec gbtt = lüd)enaBei6.-heit.
*) SRad) ber erften 3eite bei 2fbgejange6, n?enn roir bic Strophe, ber SDcelcbic folgenb, abtheiten, roie fte bei ©eorg
gorfter aufgcjeidjnet ift.
». SBintcrfcIb, tet eianget. CS^otalgtfang. 10
— n —
£>ie ©tropfe btefeS Ctebeä ift eine jebjnjeilige, in ben erflcrt fed)S Seilen iambifcfye, in ben legten
wer rrocbaifd) - baftnlifdje. 2Bir fbnnen fie freilich, ju einer achtteiligen umfcfyaffen, wenn wir bie fünfte
unb fed)fte, bie ad)te unb neunte ßeile ju einer einzigen jufammenjiel)en. 2fUetn eS ift flar, bafj babureb,
eine Übcreinftimmung mit ber urfprünglicben Strophe unfercr SJWobie, weber in ber 3at)l nod) Sange ber
Seilen erreicht wirb, @S war alfo offenbar ein innerer ©runb twrbanben, bureb ben man fieb gebrungen
füllte,, fte ba ju entlegnen, reo ihre äußeren SSerbältniffe cS ju unterfagen febienen. Sbre anmutfyenbe
gorm feilte bem würbigften Inhalte angeeignet werben, ihm foüte fte tterfebmeljen, ihre rechte .Ipeimatb,
ihre beiligfte S5cftimmung in ihm fmben. £cr 2ütSbrucf vergänglicher, irbifdjer Siebe follte ftd) an bem=
jenigen verflären, ben baS Sieb ber 33rüber fo febbn bejeiebnet als
bie ewig' 2BetSl)ett,
ber Sperre @l)rift, ein ©lanj beS 33atcrS Älarfyeit,
baS ßbenbilb gbttlidbcS SBefcnS,
©nabreieb unb mtlb, ein febbner S5runn beS SebenS.
SSergteicben wir nun bie ©ingweife, wie fte in biefer neuen SSerbinbung ftd) barftellt, mit ibjer
urfprünglid)en ©eftatt, fo überjeugen wir unS, baff babei feine ihrer wefentlid)cn SBcnbungen, tf;rer 2tuS=
wetd)itngen, nichts, waS irgenb ihre Gjigentbümlid)feit bejetd^net, verlorengegangen, bafj nur SBenigeS
von t£>r auSgefd)ieben, fajt nichts b,tnjugetb,an ift. SBlieb unS aber ihre urfprünglid)c SScftimmung fremb,
lernten wir fte nur mit ihrem fpäteren Siebe fennen; fo werben wir faum anbcrS glauben, als bafs fte mit
il)m jugteieb entftanb, fo innig erfebeinen SBort unb Xon hier ju einem ©anjen verbunben.
■iftun ftnben wir fte aber, jwei unb jwanjig %al)re fpäter, um 1588, in §ranj (SlerS (Sammlung
getftlicber, beutfd)cr Sieber für Hamburg, abermals einer neuen SScftimmung gewibmet. (SS wirb faum
ju entfcfyeiben fevn, ob man fte bamalS von ben 33rübern, ob von tyrem weltlichen Siebe entlehnte; in bem
einen wie bem anbern Salle erfreut unS eine jarte S5ejiel)ung beS (Entlehnten unb beS il)tn gegenüberftebenben
Urfprünglicben. 3n jener (Sammlung ift eS aber nicht ein n eueS geiftlicbeS Sieb, für baS fte in 2(nfprucb
genommen wirb, fonbern ein älteres, von Sutber felbft herrübrcnbeS, jencS von ber (Sb^ifjlicben Äircbe
nach bem jwblften ßapitcl ber Offenbarung :
Sie ift mir lieb bie wertbe SEJZagb
Unb fann ihr' nicht vergeffen,
Sob , @t)r unb 3«d)t von ihr man fagt,
Sie l)at mein Sr>evö befeffen ;
Sd) bin iln- bolb, unb wenn ich follt
©rofj Unglüd l)an, ba liegt nichts an
Sie will mid) beS ergeben
Wit ihrer Sieb' unb Sreu an mir,
Sie fte ju mir will fe^en
Unb tljun all' mein SSegier.
SSBtr f)aben b,ier abermals eine jclmjeilige, — ober wenn bie in ber Sttitte reimenbe fünfte unb
fed)fte 3eile getrennt wirb, eine jwblfeeilige — Strophe; allein wie t>erf ergebenen S3aueS von ber beS
SrüberliebeS ! fo abweidjenb, bag feine 3eile beS einen ber beS anbern an Sänge, ja julefet nid)t einmab,!
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an ©lieberung ber güf? e übereinfiimmt. Unb bod) fcbmicgt biefetbe SDRelobte bcm einen unb bem anbern
ftd) an , gleid) ungejwungen; I;ter aüerbingö mit einigen Erweiterungen , bie tnbejj auS ihren SSenbungen
felbft unmittelbar gefd)bpft, unb feine frembe Sutyat ftnb. ES war aber nicht einma()l baS 35ebürfnif? beS
EntlehnenS einer ©ingweife für biefeS Sieb SutherS vwrbanben; eS befafj eine eigene, fogar bem £>id)ter
felbjt jugefebriebene. Jg)ter alfo fonnte cS wieberum, neben ber greube an ber lieblichen Sonweife, nur
eine innere 33e$iebung fepn, bie ju tt>rer SBabl an bie ©teile einer bereite »orbanbenen veranlagte, ginbe
man nun biefe in ber unverbrüchlichen Sreue ber, bei Sutber unter bem Silbe ber Jungfrau bargcfieüten
.Kirche gegen bie ©laubigen, ber unerfd)bpflid)en ©eligfeit, bie fte ihnen gewährt, gegenüber ber Skrgäng=
lieb, feit irbifd)er Siebe, welche baS SSolfSlicb beflagt; ftnbe man fte, beibe geift liehe Sieber gegenüber*
ftellenb, in ber Erinnerung an beS £errn menfd)licben Urfprung, bie, auf bie bebeutungSvolIen Silber ber
Offenbarung hinbeutenb, baS Sieb SutherS hervorruft, wäf)renb baS ber SSrüber uns bie innige SSereim'gung
beiber Naturen, ber menfd)lid)en unb göttlichen in ßhrijto, unb beren erlöfenbe Äraft fo begeifert preift:
immer werben wir fte tief unb bebeutungSvoll ftnben muffen.
Tiber aud) von einem anberen ©eftd)tSpunfte auS bleiben für baS SSerbältniß beS geglichen unb
weltlichen ©efangeS bie beiben, eben befprod)cnen 9JMobieen unS wichtig. SOcan entlehnte, wie wir faben,
bem SSolfSgefange einzelne 23eftanbtf)ei(e, allgemeine Wormeln, in feinen ©tropfen ; man entlehnte i£)tn,
innerlich, eigenthümlich , burd) ben ©efang in benfelben Entfaltetes, in bem rfjtjtfjmtfdhen 2Bed)fel : man
borgte aber auch von ihm wollig ausgestaltete ©efangSformen in feinen SCßelobieen. ES blieb inbefj nid)t bei
einem bloßen Tineignen beS fd)on SSorhanbenen; eS gefdjahe auch, ba$ bie «Strophe ftd) in bie SDielobie f)in-
cinbtlbcte, in fte aufging, wie bei bem Siebe: SBa§ mein ©ort will, baS gfchel;' alljeit ; oberbafs, um*
gefehrt, bie9Relobie hineinwuchs in bie abweiebenbe Strophe, wie bei bemJBrüberliebe, bei bem lutbcrifcben.
2Bar bei bem blofjen Entlehnen bie 5öielobie fajt nur ein fcbbneS geterfleib, mit bem man ben SSürbigeren
befleiben wollte, fo erfcheint fte bagegen, gumabl in bem legten ber von unS betrachteten gälle, felbjt als
ein verflärteS Söefen, bem bie Stcbtfunft baS würbigere geiergewanb gu leihen bejtrcbt tjt, baS feine gange
Schönheit erft erfennen laffe.
ES treten unS aber in biefer Seit auch noch onbere 33eweggrünbe beS EntlehnenS entgegen. 3«=
mahl gefchieht bieS in einer ©ammlung beutfeher, geiftlicber Sieber, bie in bebeutenbem Umfange weltliche
©ingweifen für bicjtircbe in Tlnfprud) nimmt, unb baburd), bafü fte, gleich ben Souter liedekens, biefclben
nicht bloS in SSejug nimmt, fonbern fte in ©inggeieben vollftänbig mittheilt, unferer gorfebung entgegen*
fommt. ES ift Valentin SErillerS von ©ora, ?>farrberrn gu $)antenau im 9cimpfd)tfd)en SBctcbbilbe,
geiftlicbeS ©ingebuch. 3d) fenne eS in gwei TluSgaben, 1555 unb 1559 bei GriSpin ©charffenberg in
SSrefjlau erfebienen, beibe im SBefentlicben übereinftimmenb. Sie ältere führt benSitel: ,,Ein fcblefich
©ingebüd)lein auS göttlicher ©chrift, von ben fürnembften gejten beS %axt$, unb fonft von anbern gefengen
unb Pfannen, geftellt auf üiel alte gewönliche SQZelobeien, fo jum teil üorf)in lateinifd), jum teil beutfd),
mit geiftlichen ober aud) weltlichen Seiten gefungen feinb tc." 2)er fpätcre Tlbbrud behnt biefe Tluffchrift
umfiele» auS; fte lautet: ,,Ein6hri(ilid)eS ©ingebuch fürSatjen unb ©eierten, Äinber unb 2llten, baheim
unb in Äirchen ju fingen , mit einer, jweien unb breien ©timmen, t>on ben fürnemften Sejlen beS ganjen
SarcS, auf üiel alte gewönliche SJcelobeien, fo ben alten befannt unb bod) oon wegen etlicher 2lbgöttifd)cn
Herten ftnb abgethan, jum teil auch «nS reinem lateinifchen Eoral newlid) jugericht" tc. £>iefe3 ©ingebuch
10*
— 76
bat unS mehre weltliche sDMobicen aufbewahrt, bie eS gerfrlictjen Stebcm anpaßt; bod) fd)eint bie Unwert*
bung berfelben hier nidjt allein auS freier 2Babl, ber 3?id)tung ber Seit gemäß, gefcbeben ju fepn, fonbcm
aud) unter ßinfluß befonberer 58erl)ältniffe. Arider war, wie wir auS feiner Sufdmft an feinen Surften,
.£>er$og ©eorg in <2d)left'en, jur ßiegnif^, S3rieg, ic. unb auS feiner SSorrebe „an bcn G>brifUid)cn gefer,"
fef)en, wegen ber 9feinl)cit feiner 2el)re angefochten; allem S>ermutl)cn nad) batte man il)m vorgeworfen, ein
©d)wenFfelber ju fcvn. ßaSpar von ©d)wcnffelb, im gürftentbum 2icgnifc, nal)e ber Jpauptflabt bcffelben
geboren, bitte bort, ja, bureb ganj ©d)leftcn, viele 2lnl)änger gefunben. Sson bem Stange nad) einer burd)=
greifenben Reinigung unb Cwieuung berÄird)e, ber um bie crjleJpälfte bcS lGtenSabrl)unbert§ alleScmütbcr
lebbaft bewegte, war aud) er lebenbig ergriffen worben; bod) genügte if)m ntd)t, »aS burd) 2utber unb
beffen 2lnl)ängcr gefebabe, cS festen il)m, als fei bcS 2(lten nod) ju viel beibehalten, alS fei für bie grünblicbe
SScffcrung beS Innern nod) ju wenig getban, als werbe bie fleifd)lid)e ©id)erl)eit geförbert burd) bie 2frt,
wie bie Sebve von ber S3uße unb 3ied)tfcrttgung, von bem ©ebrauebe ber ©nabenmittet in ben ©aframen*
ten, von bem geiftlid)en ©tanbe, ber biefe ju fpenben, baS göttliche SBort ju verfünben cingefe^t fei, gefaßt
werbe. @r fühlte ftd> berufen, burd) 9febe unb ©d)rift feine 2inft'd)ten, befämpfenb unb lebrenb, barüber
auSjufprcd)cn, unb ba er in feinen SDieinungen von ber Sebre 2utf)erS, bie ©aframente unb beren 2öürbe
betreffenb, bebeutenb abwich, ja in fpäterer Seit baS 2CugSburgifd)e SSefenntntß alS item ber evangclifd)en
2el)re anfocht, unb alS allgemein binbenb verwarf, traten ihm 2utl)er unb bie ©einen, alS einem Ijartndcft'
gen Srrlefytöy einem verblenbeten, felbwilligen ©d)warmgeifte , mit harten SBorten, ja ©d)mäbungcn unb
£3eiwünfd)ungcn heftig entgegen. £)ennod) gewann er ba, wo er unmittelbaren, perfönlicben Grinfluß üben
fonnte, viele grettnbe unb Nachfolger; junädjft in ©d)leften, unb, nad) feiner äkrbannung von bort, in
Augsburg unb Ulm, wo er langer fid) aufhielt. £>enn er wirb als ein fanfter, befd)eibener 9ttann gerühmt,
voll ernften (SiferS für baS, waS er alS SSSabrf>eit erfannte, bringenb vor 2lüem auf einen, bem ©lauben,
alS innerer Überzeugung, vollkommen gemäßen, äußeren 2ebenSwanbcl, beffen 33eifpiel er burd) fein ganjeS
geben gegeben haben foll; wie mochte er ba, obgleich »on Äatholifd)en unb SJeformirten nicht minber al§
ben 2utl)crifd)en angefochten, auf empfängliche ©emüther nicht einwürfen! Sange haben Anhänger feiner
Überjeugungen, vor 2lllem burch jtreng ftttlid)en SSSanbel ausgezeichnet, in ©d)leften ft'd) erhalten, jumeift
in bem gürjientbum fitegnifj, feinem ©eburtStanbe; unb fo mag benn wol)l auf bcn bortigert ©emeinen
überhaupt bamalS eine ßeitlang ber S>erbad)t gerul)t haben, baß fie ju ben ©einigen gehörten. S3ci äkten=
tin Friller nun fd)eint SSieleS auch b'efctl S>erbact)t ju untcrjlüfeen. 3war fud)t er gegen feinen gürften
mit SBärme benfclben abjulcl)nen. (Sr fei, fagt er, fonberlid) beSbalb aud) veranlaßt worben, ein ©inge=
büd)lcin einzurichten, weil — feine eigenen Sßorte anzuführen — „wir Liener bcS 2Bort§, unter @w.
gürjil. ©naben wobnenbe, bei m'elcn ^)od)»er(tänbtgen in 58erbad)t fmb, al§ wären wir irrige ßehrer, wcld)§
benn nid)t allein un3, fonbern aud) (Sw. gürjil. ©naben Nachgebe bringen möd)t.// Nun fei e§
feine ^bffd)t, fid) unb feine geijtlid)en SSrüber be3 2trgwol)n§, feinen gürjten ber Nachgebe, al§ leibe,
ja, begünjiige er fte, ju cntlebigcn; unb baß — fährt er fort — „aW)ie jebermann fcl)en unb fpüren
möge, baß wir eine reine, untabelid)e, d)rifilid)e £el)re hobeln, ber wir une> auch öUe einträchtig ju
hanbeln ftetä befliffen b^ben unb nod) befleißen." <£r beginnt feine SSorrcbe mit bem ©ejiänbniffe, baß
üiel fd)öne unb d)rijllid)e ©efänge von ©elcl)rteren unb ©efehieftern al§ er, feien gcbid)tet worben, baß
er aber bennod), auf vielfältiges Anregen etlicher gutherziger SCRenfd)en veranlaßt worben, ben ©d)lefiern,
feinen ganbsleuten, biefen fleinen X)ienjt ber Verausgabe cineS ©ingebud)eS ju erzeigen. 3um äiornel)m=
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ften aber, fagt er bann, bat mid) oaurfad)t, bajj mir jur 3eit metner ©efänge, etwa bei fechfen, neben
anbern gebrutft, finb fürfommen, fo mir aud) oon etlid)en sugemeffcn morben finb, al§ fei id) berfclben aud)
ein Siebter gemefen, meldte mid) bod) 511m teil faß tunfcl anfeben, unb bem redeten ßbriftlicbcn Sinn t>er-
beebtig febeinen." Zücin aller biefer 83crmal)rungcn , biefer ä>crtl)cibigungcn ungcad)ter, bleibt bod) SHefeS
auffallenb an unfereö S3erfaffer§ Singebud)e. 2öir finben in ibm, fo fiele ^Bearbeitungen alter fird)lid)er
©efänge eS aud) enthalt, fein 2icb Süthen? ober ber ©einen. Sinb etwa bic 'tfnfangsmorte, ift f)od)ften§
ein ©efä£ einc§ foleben Siebe» aufgenommen, fo ift bod} ber übrige 3'bcil beffclben umgcbid)tct, unb mar
ein bcrgleid)en Sieb eine freie Übertragung eineS alteren, fo tbeilt eS mit ber lutberifd)cn etma nur bie erfte
3eile, allcS "Untere ift eine gan3 abrociebenbe sJcad)bilbung. SobaSSieb: Ssom £immel fyoä) ba
f omm ieb f>er: ibm gel)t eine Strophe voran, beren erfte Beile mit ben SBorten beginnt: fam ein
©ngel bell unb flar, " bann folgt feine erfte, alle» Übrige ift Umbicbtung. Das" Sieb: Äomm, ©Ott
Schöpfer, t)e il'ger ©eift, bat mit bem befannten bicfcS Anfanges nur bie erfte Seile gemein, baS Sieb:
S3erleib un3 grieben gndbiglicb, nur einen £l)eil ber erften Strophe. 9cid)t ohne SJeranlaffung
bürfte man ein SBcftrcben barin erfennen, eine ©lcid)ffcUung, eine ©cmcinfd)aft mit Sutbcr auf unanftöpige
SSBeife abjulcbnen. 'Iber biefeä Ablehnen bcl)nt fieb aud) aus" bis auf bie Singweifen ber Sieber. Die
SEKelobieen : Da 3tflt$ <**1 bem Ärcujc ftunb; ©Ott ber Spater wohn' un§ bei; SJerleib uns? grieben gnäbig*
lid); t> bu armer 3"ba§; Sföag td) Uuglüd nit mibcrftal)n; finb Friller» Singcbud)e jwar mit ben noch,
unter 2utl)er§ luge erfd)ienenen ©cfangbücbern gemein : aber bie lefcte, wie wir fallen, flammte au3 bem
23olfsgefange, alle übrigen waren fdjon in ber alten .Kirche gebräueblid) gewefen. 9cur jwei 93Jelobieen, bie
man gewöhnlich, 2utl)er beijulegcn pflegt, finben mir fremben Siebern norgejeidmet : bie ältere, fd)on 1524
torbanbene, bcS StebcS: 9Jun freut euch lieben 6 f)r ift eng mein, unb bie pl)n>gtfcbc bes ^falmltebeS :
Ich ©ott üom Gimmel fieb barein; nur angebeutet iji bie bes" gleichartigen SiebeS : 2Tuö tiefer iJcotf)
febrei id) ju bir. 2Bir roollen barauä tücbt folgern, bafj biefe SDielobieen, bei benen üutbers Url)cberfd)aft
obnebics" jroeifelbaft ift, eben be$l)alb, weil Friller fie aufnabm, als1 niebt lutl)crifcbe erfd)cincn muffen; ifjre
lufnabme fonnte, aud) bei unjmeifelbaftem Urfprunge, nod) einen befonberen ©runb haben. Sie geborten
nämlicb einem, bamals febr beliebt geworbenen Stropl)enbauc, bem ftebenjciligcn, an unb für biefen mod)te
unfer Dichter anbere, entfpred)cnbe unb gleicb allgemein befannte nid)t finben. SBaö bie IbcnbmableU
gefänge betrifft, fo barf eS nacb bem blöket ©efagten nicht befremben, feinen lutberifeben hier anzutreffen,
ja, nicht einmabl bie oon 2utl)cr entlehnten älteren Singmeifen fold)cr ©efänge; bie fünfe, bie mir fyiex
finben, finb alle auf alte lateinifche 9)ielobiecn gebiebtet, unb prüfen mir il)ren Inhalt näber, fo nebmen mir
tag SBeftrebcn wahr, ben lutl)crifd)cn 2el)rbcgriff com Tlbcnbmable auf unanftbfitge SSBeife ju umgeben, obne
eine entgegengefebte Inftcbt flar au»jufprecbcn. Darum bat aud) mol)l SOiicbael ^)rätoriu§, ber Sriüerä
Sammlung, vornebmlid) mit SiucFficht auf bie barin cntbaltenen SSolfSmeifcn, für feine Sionifd)en 9)cufcn
benu£te, oon biefen Siebern feinen ©ebraueb gemaebt, unb mir müffen imraueifcfjen, bafj fie, auä ben an=
gegebenen Urfad)en in einem 3eitalter, mo richtige 2el)re unb reiner ©laube mit fo grojjem ßifer geforbert,
mit fo ftrenger 2Bad)famfeit behütet mürben, auf einen nur f leinen .Kreis? befchrdnft geblieben finb. §ür ben
Urbeber unfereä SingebucbeS aber, ber mit ben alten tateinifchen 93Ielobieen, fofern fie nicht oolfSmäpig
umjubilbcn maren, ober fd)on urfprünglid) baö ©epräge ber Sjolfsmäpigfeit an fieb. trugen, nicht ausreichen
mochte, aber mbglichft üermeiben wollte, ju ben neu entftanbenen 93celobieen beä eoangclifd^en Äirchem
gefanges feine 3uflud)t ju nclmien, würbe e3 Sebürfnip, fieb bem 83 olf Stiebe jujuwenben, v>on bafjer
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baS S3eliebtefte fowol)l, alö für feinen 3wed SOaffenbjte auSjulefen. 2Baä er nun hier, wenn aud) einer jeit=
gemäßen SKtcfytung folgenb, bod) tfyeilweife nicht auS freier SBahl getfyan, waS wir, unferem gegenwärtigen
©tanbpunfte jufolge, waty nid)t minber anftbjjig finben würben, als baS Umgeben wichtiger Sehtpunfte ; —
baS eben war eS, waS "tfnflang fanb, tjter t>ot man il)n fpäter ausgebeutet, unb er ift unS baburd) Quelle
geworben. £)afj er biefe weltlichen ©ingweifen für ben jtircfyengefang bejfimmt gehabt, nid)t etwa
für häusliche Erbauung allein, ift nid)t nur auS bemSitel feines 33ud)cS ju entnehmen, eS wirb t>on if)tn aud)
jum ©d)luffe feiner SSorrebe auSbrüdlicb, bemerft. „Über baS, fagt er, fyab' id) aud) fonberlidje befannte
weltliche 9Jlelobr;en mit geiftlid)en Herten jugericht unb b,injugefe^t , ber man aud) etliche wof)l in ber
Äird)en fingen mbd)t;" waS, foweit feine unmittelbare SSBirffamfett reid)te, unfehlbar gefd)ef)en fepn wirb.
9cid)t alle biefe weltlichen Siebermclobteen finben ftd) juerjt bei il)tn, manche fennen wir fd)on auS gorfterS
Sammlung, ja auS nod) früheren; fo waren bie ber Sieber : Gjin SSJiepblem fprad) mir frcunblid) ju ic,
3art fd)bne grau k. fdjon 1513 gebrudt: fo ft'nb jene anbern: £rbjtlid)er Sieb; 5Rad) Suft b,ab' id? mir
auSerwäl)lt; ©o wünfd)' id) jr ein' gute 9tad)t; SSiel ©lüd unb $etl; SSon ebler Art; S!BaS wirb eS bod)
beS SEBunberS nod) :c. bereite t>on gorfter mitgeteilt. £>urd) Friller aber lernen wir ben Zon beS alten
9Jler;e fennen, bie 9cota beS alten unb neuen 9?ofenfranjeS, bie SSBeife beS alten ©pottliebeS :
„SB er Pfennige hat, ber ift juJRom ein guter SSRann," ben £eräog(§mfteS Zon, bie 9J£elo=
bieen: AuS frembenSanben fommid) t) er — il)r, unb ntd)t ber lutb,erifd)en, ift bie Umbid)tung beS
ßtebeS : SSom £immel t)od) ba fomm id) l)er, angeeignet — S3on<£d)war§ ift mir ein jtleib; 2>d)
weip ein S5lümleint)übfd) unb fein; ?ölerE' auf, merf auf, bu fd)b.ne; 9ßun Saube, Sinb=
lein Saube; SD werter 9Jiunb; ©o fd)bn t>on Art. Sie neun legten t)at SOrätoriuS wieber auf=
genommen, unb burd) feinen üierftimmigen ©afj anncl)mtid)er gcmad)t, benn unfereS 50farrb,erm jweb unb
breiftimmige ^Bearbeitungen, womit er, feinen SSorten zufolge, „berfelben etliche poliert hat, weil fte
jum teil juttor alfo gefungen ftnb" ift wenn aud) ,,aufS leid)(t unb fd)led)jt" abftd)ttid) jugerid)t, bod) nad)
gorfterS AuSbrud „gar ju einfeltig" geraden. SBefonberS aber l)aben wir ihm bie Aufbewahrung ber
SSBeife beS alten DjterltebeS auS bem 14ten 3af}rl)unberte ju banfen :
£)u ßenje gut, beS SareS tcurfte Quarte,
bie ^rätoriuS wohl be§t)alb nid)t wieber aufgenommen hat, weil er jeneS Sieb in feiner Urgejralt nid)t
fannte, bie Umbid)tung SrillerS aber, felbjf um baS erfre Sa&rje&enb beS 17ten SafjrhunbertS nod), irr;
gläubig unb anjtbfsig erfd)einen mochte, greilid) bürfte nichts ju erinnern fepn gegen bie Anforberung :
im Senje, wo wir beS £erren Auferftehung feiern, währenb ein neueS Seben überall fid) rege in ber 9ktur ;
in bem neuen 8id)te beS ^»angelii, baS gleich belebenb als bie irbifd)e grül)lingSfonne, heüer ju leuchten,
fd)byfertfd)er ju erwärmen, begonnen tyabe, aud) aufzublühen in 6l)ri(lo unb ©uteS ju bringen, wie unfer
£>id)tcr fte in folgenben Strophen auSfprid)t :
©in fold)er Senj iji geiftlid) jeß erftanben,
3a freilich, ein glüdfeelig 3ah^
@S fteiget ߣ>rtftu§ auf in unfern Sanben
£>er ijt bie rechte ©onne flar,
£) SDienfchenfinb, nimb beut ju ^)er^en,
es ijt warlid) nicht ju fd)er^en,
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£u l)(tjt ju fdjaffen immerbar :
dg ift ein gnabcnrcid)e ßett,
£>ex SBtnter jefj barnteber fett,
£)arumb bein mühe nit tenger fpar.
©ank willig jeiget fid> bic erb im lenken
Unb fewmet nid)t bie redete Seit,
2Clfo muftu fürwar aud) nid)t faulenden,
Sie ©onne fompt bir fonft ju weit.
2Sag f)ic ber Sölenfd) hoft unb begeret,
£)afü bag ßanb jm §rud)t geweret,
£)ag »il bein ©Ott aud? üon bir l)an.
©in fauler 33aum, ber feine grud)t oerfaget,
£>er ift nid)tg benn beS gewerg werbt,
2Hfo wirb aud) ber 9Rcnfd) öon ©Ott geplaget,
Unb auggetilget oon ber @rb,
2Bo er in G>f)rtfro nicht aufplüet,
©utg ju bringen ftd) bemühet,
SEBte gar bb§Itd? wirb er beftan.
£)ie Tlxt tfl an ben S3aum gefegt,
2Bo er fid) nid)t im lenk ergebt,
@o roirb @r jl)n verbrennen lahn.
£)ennod) mochte eg fdb, einen, alg folle f)ier bie Heiligung burd) SBerfe geprebiget werben, ohne
bie Rechtfertigung burd) ben ©lauben, ba biefer bod) ber alt einige ©runb ber ©eeligfeit, unb mag nid)t
in ihm gefd)ehe, ©ünbe fei; fo baft in biefem ©tnne aud) bie beften SBerfe, wenn glaublog getf)an, alg un=
nüfee, ja fd)äblid)e erfdjeinen müßten. £>egl)alb mod)te man bie ©ttmme etneg 33crfül)rerg ju rubren mei=
nen in biefen SBorten, eineg Srrgeifteg, ber bie e»angelifd)e 2Baf)rf)eit wieberum ju üerbunfeln ftrebe, welche
ßutfjer an bag ßid)t gebracht, @rfldrlid) alfo ift eg, warum ^rdtoriug biefeg Sieb unb feine ©ingweife
jurücfgelaffen, unb ftd> an bie Crrnbte gehalten bat, weld)e il)m bie geiftlid) »erwenbeten, gemeinen 9Kelo=
bieen gewahrten. 3n welchem 3Serf)dltniffe beren urfprüngtid)e Sieber geftanben haben mögen ju ben ihnen
unterlegten, ift nid)t mefjr ju fagen, ba wir meift nur bie Anfange jener fennen. ©od) fd)einen bie neuen
geiftlid)en Sieber f)bd)ften§ an bie 2fnfanggworte ber alten weltlichen angefnüpft, unb ftd) bann nid)t
ferner mehr um biefelben gekümmert ju haben. Sag fd)warje Äleib beg ßeibeg, beffen bag SSolfglieb er=
wdhnt, giebt ©elegenl)eit ber häßlichen @d)wärje unb S3efubelung ber ©eete ju gebenfen, beg entwürbig=
ten Sbenbilbeg ©otteg, bag burd) ßl)riftum erneuert werben foll; ber SJcunb ber ©eliebten wirb ju
bem werthen SJlunbe beffen, ber beg ©taubeng rechten ©runb »erfünbet ; bie trbjllid)c ßiebegneigung öer=
anlaßt ben £)td)tcr, beg troftlid)en ©d)mucfeg, ber werthen 3ier ju gebenfm, bie ihm burd) ßbrifrum aug
©nabe gegeben ift. 2lnbere SJZelobieen fd)einen ohne weitere 33ejief)ung nur entlehnte ju fepn: fo wirb auf
bie beg ßiebeg: „9cun ßaube, ßinbletn ßaube" gefungen: 9hm lobet mit ©efdngen ben £erren ©Ott
allfampt: auf bie SBetfe: „3art fd)öne grau" bag ßieb: £> Sftenfd) nun febaw, beben! bie traw, wie ftd)
aug Sieb, mit jieter pb, bein ©Ott ju bir tl)ut lenfen" unb fo ft'nben wir eg bei auberen auf ähnliche SBeife.
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ßine innige, warme Übcrjeugung ift bem Dieter nid)t abjufprecljen, aber t'bm gebrtd)t bte fd)bpferifd)e
£raft, bie ba3 innerlid) lebhaft ©efül)lte auch, nad) 2lufjen bin ju gehalten meift, bie mabre £)id)tergabe.
9?icbt olfo bcr bid)tcrifd)e SBcrtl) fetner Sieber formte ^ratotiuS oeranlaffen, ft'e au3 einer nicbt unoerfäng=
liclicn Sammlung aufzunehmen, einer «Sammlung, bie Stielen um beSfjalb nod) üerbäd)tiger erfd)einen
mußte/ »eil Friller, wie erjagt wirb, im Sartre 1573 mit anberen Anhängern ©cbmenffelbS au§ ©Rieften
harre weichen müjfen. SBa» ilm baju vermochte, mar »or Ottern ba3 33eftreben, burd) bie für ft'e entlehnten
weltlichen ©ingweifcn bcn Sftelobiccnfdjafj ber eoangelifcben £trd)e ju ioermer)ren, foweit ber 3m)alt ber
ihnen angeeigneten Sieber, aB bem ftreng lutf)crifd)en ©inne unanftbfjig, beren 2ütfnal)me juüefj. 2Bte
allgemein olfo bie 9fid)tung gewefcn, ba3 2Bcltlid)e in biefem ©inne in 2Tnfprud) ju nehmen für ba3 ©eift=
liebe, tritt unter foldjen SSer^oltniffen red)t flar in ba3 2(uge, bie baoon et;cr hätten abgalten fbnnen.
Sn anberer 3Trt alw Friller nehmen jroei fpätere, gleid)jeitig erfd)ienene geiftlid)eSteberbüd)er unfere
tfufmerffamfeit in tfnfprud), weld)e bie9)tebrjal)l ibjerSicbcr auf weltliche ©ingwcifen beziehen. Sie in beiben
enthaltenen Sietcr ftnb gcijlltdie Umb i d) tung en weltlicher; bie ©ingweifen berfelbert, welche bie £>id)ter
für if>re neuen ©cfänge in '#nf»rud) nehmen, bezeichnen ft'e nur burd) Anführung ber erjten ßetle, ober
aud) nur bcr 2tnfang§worte bc3 urfprünglidjen Siebes». £)aburd) beuten ft'e an, baß 33eibes>, Sieb unb'
©ingweife, bamaB allbefannt, meit verbreitet mar, ein jeber 33eft'fcer be§ 33ud)e§ alfo nid)t mebr beburfte,
aB einer furjen £inmeifung biefer lixt, 'Sinn ft'nben mir aber bie meiften jener umgebid)teten Sieber
unb ihre SSJJelobteen in gorfterS ©ammlung in ihrer erften ©eftalt mieber, unb t-on benen, bie uns bort
festen , bieten un£ Friller unb fpätcr 9Kid)ael 9)rätortu§ minbeftenS bie ©ingmeifen. ©o ftnb mir in ben
©tanb gefegt, in ben meifren gaden baS §3erf)ältnifi be§ urfprünglid)en SiebeS ju ber Umbid)tung, unb ber
©ingmeife ju beiben, beurteilen ju fbnnen.
£)a§ erjte unferer Sieberbüd)er t)at #etnrid) Änauft, ber 9?ed)te £>oftor unb Jtaiferlichen
gefrbnten Poeten jum S3erfaffer. @r mar ju Hamburg geboren, fam oon SBittenberg, mo er ftubirt bitte,
nad) S3erlin, unb bcflcibete bereits um 1540 bie ©teile be§ erften 9?eftor3 bei bem bortigen @bluiifd)en
©pmnaftum; baoon belehrt une> bie Sueignung feiner, bem SEftagifirat bafelbfi gemibmeten Übcrfclmng oon
50icland)tl)on§ ©d)rift über bie Unjicrblidbfeit ber ©ecle. 9cur »ier Sabje, bis 1544, blieb er in biefem
2lmte, bann »erlieft er bie Saufbafjn be§ @rjiel)er§ gänjlid) unb oertaufd)te ft'e mit ber beg 9ied)Bgelcbrten,
menn er aud) fein ganjeä geben Ijinburd) in feinen 5al;lreid)en ©djriften bie Neigung jum Sebi'baften funb
gab. ©eine frülxfte Sl)ätigfeit begann ju S3erlin mit (Stnfüljrung ber Äird)enoerbefferung in bie SOiarf
33ranbcnburg ; er fudjte für biefelbe jundd)ft burd) Umbid)tung mettltdjer Sieber, mit S5eiber)altung ir)rer
SGBeifen ju mtrren; burd) Sieber, beren btd)tcrifd)er ÜBertl) ^>iet auf ftd) berufen mag. Denn nid)t bie Sieben
biebtung befd)äftigt un§ ^ier, fonbern ber gei(llid)e Siebergefang ; in welchem ©inne er für biefen tl)ätig
gemefen, erfahren mir burd) bie SSorrebe be§ SBerfeg, in welchem er fpäter baö »on ibm Umgebid)tete ju=
fammenfteUte. &§, erfd)ien ju granffurt am SCRapn im 3al)re 1571 mit Äaiferlid)em «präilegto. ©ein
äitel lautet: ,,©affenl)auer, 9ieuter= unb S5erg=Sieblein, c^riftlid), moraliter unb ftttlid) üeranbert, bamit
bie bbfe ärgerliche meiß, unnüfje unb fd)ampare Sicblcin auff ©äffen, gelbern, in £äufcrn unb anberSmo
i" fingen, mit ber 3eit abgeben mbd)te, menn man geijllid)e, gute, nüfce Sejrte unb SBort barunter baben
fbnnte." 'iH\o fd)reibt er barüber in feiner, am Sage ßatt)arinä be§ Sal)reö 1570 oon granffurt am 9Kain
erlaffcncn 3ueignung an 9)aul ©teinmeier, bortigen SSürger, biefem feinem ©btmer unb greunbe:
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,,@rbar unb namhafter, infonbers günfttger £err unb guter greunb. 3d) habe in metner
3ugenb vor 20 fahren ongcferlid), etliche fcbampar ©affenhawcr unb 9?cutcrlieblcin in einen geiftlid)en ober
moralifcben unb firtltdjcrx Sinn unb Sert, fo wohl als id) gemocht, transferiit, oeränbert unb ausgefegt,
baf; meine X>t§cipeln biefelbigen unter bie Stotel applictren unb fingen follten, wenn fie ftd? im Singen
üben wollten, auf baf? fie ber ffiublcnterte abgehen möchten. Senn obwohl bic alte ßompofition gut, unb
mir fonft gefällig, fo bab' ich boch »on ben Söorten nidus gehalten, beroroegen ich biefelbigen Krembert.
Solcher aufgefegten ©efänge habe id) nun allererft aufs neue wieber jufainmcngclcfen unb aufgerafft, auch
fiberfchen, unb bin SBillens worben, biefelben alle öffentlich in Znid ausgehen ju laffen, fonberlidb bieroeil
etliche gute Jreunb folebes oon mir begehrt unb v>ielmaf)l gebeten, welchen ich äittc^t in folchem gatl nichts
verfagen fönnen; unb »erhoffe bemnad), biefe ©efänge follen bei ben frommen Stubenten unb anbern
guten @^rtfkn, alt unb jung, cbel unb uncbcl, grucht unb 9tu£ febaffen, ba allerlei gute SOioralien unb
d)riftliche 2el)ren barin oerfafjt finb , unb feinem Stanb noch Sfeligion td)t© in benen juwiber ober ju nahe
gefein ift. — Unb ich mag bie alten Sieblein wohl leiben, t>on wegen ihrer artigen ßompoft'tion, unb bafj
ich baraufj in meiner Sugenb erfi habe fingen gelernt; wie eine eble Äunft aber, alleS, was einem fürfömmt
fingen fei, bas weif niemanb, fonbern ber es t>erfud)t hat. Sie SDiufica fann allein was weber ©rammatica,
Sialectica, Sihetorica, noch einige anbere freie Äunft in ber ganjen 9M)ilofopbia fann, nämlich ben Scuffel
»erjagen unb austreiben. Senn alle jlunft fann ber Seuffel auch , ausgefdbloffen bie einige SQiuftca, bie
fann er nit, benn er fann unb mag nit fingen, fo mag ers auch nit bulben, noch leiben, bafj man finget,
©ott lobet mit Singen, Orgeln unb anbern 3nftrumenten , ober aber, baf? man fonft mit ©Ott unb in
(£i)xm, wo 9)iufki bei cinanber fepn, frölid) ift, babei mag unb will er nicht ferm, bas mag er nicht hören.
Sarum giebts auch bie (Erfahrung, bap man gar feiten beftnbet, baß ftd} Unluft, .Ipaber, 3anf, SRorb ober
Sobfchlag in musicis conviviis juträgt; benn ber Seuffel ift ein betrübter, bitterer, faurcr ©eift, bem es" leib
ift, baf? ein SDienfd) einige gute unb fröliche Stunben haben foll: berohalb er auch an ben Orten nicht
ferjn will, ba man in Gbren mit ©ott burch Littel ber SDtufica frölid) unb guter Singe ift, welches bann
©Ott gar wohl leiben fann, unb mit im Raufen ift; benn ba ift gewiß" fein Seuffel, wo bie eble SQhtfica ift.
Ufo wollte ber leibige Satan bei bem Äönige Saul nit fepn nod) bleiben, wenn Satnb r>or t'hm auf ber
£arfen fchlug, benn ba warb Saul frölid), luftig unb freunblich; fo "war Saoib lieber Sohn unb befter
SKann, wenn er aber aufhörte ju fd)lagen, fobalb würbe Saul wieber traurig, ba begunte er ju fpeculiren,
,u imaginiren, practiciren, mclancholifiren, bann fanb ftd) ber böfe, traurige, faure unb bittere ©eift mieDer
ein, bliefj mit ©ewalt ju, bafj er in 3orn erbrennen follte, unb gab ihm Argwohn, SSerbacbt, 4?afj, 9ceib,
'tfbgunft unb anbere böfe ©ebanfen gegen Saoib in ben Sinn, bann wollte ihn Saul fpießen unb um»
bringen, bann follte er länger nit leben. 2dfo hatte ber böfe ©eift 9ftad)t, unb war fräftig unb thätig,
wann Saul feine SRufia» mehr hörte, unb ber leibige Seuffel ihn aufs mclancholifiren unb fpeculiren wieber
geführt, bann hatte ber Satan fein ooll 9?egiment, ba fonnte beim niemanb mit Saul jurecht fommen,
fo war er ber Seuffel felbft leibhaftig. Scrmaafjen unb geftalt geht es nod) je£t heutige» SageS ju, wo fein'
Arbeiten, bie liebe SJiuftca, ober fonft anbre ehrbare, jüchtige, gelehrte Jreube unb Äurjweil, fonbern t>iel=
mehr fauffen, freffen, huretj, buben, Sotter» unb Soppelfpt'cl ift, bamit hat ©Ott feinShun, er ift auch nicht
babei, aber ber oerflucbte Satan ift ba, unb fäet feinen Saamen, bafj man halb barnacb neue 3citung er=
fahren mufj, einer habe ben anbern gefcblagen, »erwunbt, erftod)en unb erfeboffen; biefj finb bes Seuffels
feine amusa, symposia et convivia, feine ©aftereien unb ©efellfd}aftcn , ba er ©ewalt unb ¥Jlaä)t haben
». SBtnterfelfc, in trattgef. G&otatgefang. 11
82
fann rtroaS auszurichten , ba ftnbt man ihn, ba ift er gern, unb lachet bann in bie gauft baju, wenn er e3
rahm gebracht f)at, bafj fte ftd> bei ben paaren unb .Köpfen beginnen ju fliegen, unb auff einanber $u=
fcbmetfkn, unb über einen Raufen liegen; bas> ift feine Suff, fein 33egef)r unb 8BiU, ba mag er gern bei
ferm, ba bitft er ju, unb bläf't bbf geuer an, bafj fein gottlofcr 2BiU gefd)cbe. — SBenn bie lieben ßngel
fingen, fc »erfünbigen fte unb bringen ben SKenfcben auf ©rben griebe unb 2Bol)lgefalIen : wann ber SEeuffel
gründet unb murret, fo bringt er £aber, 3anf, Unluft, SJtorb unb £obfd)lag ju SBege. *2llfo ftnb aud)
alle biejenigen, weld)e bie cble SJiuft'ca nicht leiben mögen, unb ihre geinbe fein: ju fold)en Seuten bat man
fid) wenig ju verfemen, benn fte haben gemeintglid) eine tücftfcl)e, heimliche, fatumifebe 7(xt an fid), unb ftnb
bem Scuffel in ihrem Beben unb SBanbel nid)t faft fefyr unähnlich. — £>erbalbcn follen alle 5öienfd)en bie
KluMte, cble, göttliche Äunft ber SDZuftca lieb baben, treuer unb Werth, balten, unb berfelben ju ©ottee» Sob
unb &t)xm ol)n" Unterlaß gebraueben, ungejmeifelt, wo bie SOtuftca ift, baift©ott, wo ffictnibnifj unb
S5itterfeit ift, ba ift ber Seuffel unb alleS Unglücf. ©ingen bie lieben (Sngel im Gimmel ©Ott ihrem £erm
Sob unb greube, fo will uns; nit weniger gebühren, bemfelbigen, ihrem unb unferem ©otte, Sob, Gjl)r unb
•Danf in allen ©pracben unb 3ungen auf allerlei SBeife unb ©eftalt, Choral, gtgural, auf Snflrumenten
unb ©aitenfpiel, öffentlich in .Kirchen unb Schulen, bal)eime in Käufern, Sauben unb Vellern, auf ben
gelbern unb SBaffern, in 33üfd)en unb SBälbem ju fingen; allein, bafj man'ö bort halte, wie ber grofje
unb wahre fOZciftev ber ^falmen, £)aütb, baber er aud) ber spfalmift genannt wirb, leint unb fpriebt:
psallite sapienter, pfalliret unb finget bem Jperrn weifjltd) unb flüglid). @S betfit alles» pfalliret, aber
eö bat emen Untcrfd)ieb, unb tft ba§ eine weifjltd) unb ber ©cbrtft gemeffer gemad)t, benn bae> anbere, bar=
um foll man gute 2ld)tung auf baffelbige Söort be3 spfalmiflen, sapienter, weif lieb, geben. — 3d) hm
felbft nit oiel fingen, bas> befenne id), aber boeb habe id) bie SDZuftcam lieb, unb halte bie Steinen, bereu icb
mdebtig bin, unb meiner Sreue befohlen ftnb, mit gleifj baju, bafj fte aus> ©runb reebter Sttft fid) im @in=
gen üben müffen, bafj fte aber SSublcnlteber fingen follten, ju benen l)abe id) nie ©cfallen getragen, unb
tbue e» aud} noeb ntd)t. Serowegen id) biefe ©affenbawerlein für üiet Saren in einen geiffltd)en ober
fittlicben ©inn, fo wobl id) gemod)t, tranSferiret, üeränbert unb auelgefefct t)abe, bafj fte biefelben unter ben
Floren baben fingen müffen, bieweil id) fonberlid)c Suft ju ben alten ©tüden getragen, unb beren ßompo=
fttion mir Wohlgefallen laffen tc."
2Btr fel)en au6 bem 3nl)a(te biefer 3ueignung, bafj bie 2(bfid)t bee> 8Serfaffer§ aEerbingS oon lix\--
beginn nid)t babin ging, für ben Äird)engefang unmittelbar ju wirfen, fonbern jundd)ft nur babin,
ben gefange^funbigen unter feinen ©d)ülern, bie fid) gern an ben ©ingweifen alter Sieber ergoßen, ftatt
ber, entweber an fid) anftbfjigen, ^er bod) einer ftrengeren ©mneSart wiberftrebenben SQJorte berfelben,
anbere, belebrenbe, troftreid)e, d)rtftlid)en '^nforberungen gemäßere, ju fe^en; bie gorm ber bisherigen
(Srgbfcung bcijubebalten, il)r inbep einen reineren 3nbalt ju geben. £>aburd) follte ber ©efang aufboren
ein feelenoerberblid)er ju fepn, er follte, nad) ber angeführten ä>orfd)rift be§ ^fatmiflen, ein weis lieber
unb flüglid) er werben. 3n ähnlichem ©inne »erfuhr ber äierfaffer unfereä jweiten £ieberbud)e§, ^)err=
mann ä5eöpafiu§, ^)rebiger ju ©tabe. 2)er Sitel feiner, in nieberbcutfd)er ©pvad)e abgefaßten, eben=
fallö im 3abje 1571 (bei ^)aul Änoblaud) ju Sübed) erfd)ienencn ©ammtung lautet: ,,SSl\)t &)tipite ©e=
fenge unbe Sebe, up allerler) arbt 3Kclobien ber befiten olben bübefd)en Seber. Wien framen 6l)rifien tbo
nütte, 9cu erftliE gemafet, unbe in ben £>rud gegeben." 2>ie 3ufd)rift ift üom erften Sage be6 erwähnten
3abre§ 1571 an ^arber Skfen, Bürger ju glenSburg, gerichtet, unb ber SSerfaffer fprid)t in feiner treu»
83
berjigen 9)lunbart, bem ©inne, wenn aud) nicht ben 2B orten nad), folgenbevgejlalt gegen biefen feinen
©önner ftdt> aus: Diefe lieber, bie (Sud) hier t>or 'Äugen ftnb, I)abe id) jumeiji an geiertagen, nad) gebal=
tener "Prcbigr 511 meiner (Srbolung gemad)t, um burd) biefe nüfclid)e Arbeit bie unnüfeen ©ebanfen ju bin-
bern. Dabei war e§ Anfangs nid)t meine Meinung, fie im Drude herauszugeben, fonfl würbe id) größeren
gleiß barauf verwenbet haben. Daß e3 aber nun bennod) gefd)eben ift, ge()t folgenbermaaßen ju. #13 id)
biefer Siebet ein gutes £b eil jitfammengebrad)t, unb in einS3üd)lein »erjeichnet hatte, aud) mit meiner lieben
#auSfrauen unb meinen Äinbern unterteilen mid) baran erlujtigt, haben einige gottfeelige ^»erfonen unter
meinen greunben bav>on erfahren, baS S5üd)lein bon mir begehrt, unb einen 3$eil bar>on ftd) abgefchrieben.
Daneben hielten beim aud) ctltd)c unter ihnen bei mir an, biefe Arbeit, bie ol;nc3tr>eifeI Bielen frommen &jxi-
fien lieb fewn werbe, burd) ben Drucf öffentlich ju machen. Senn eS werbe barauS ber Pütjen erfolgen,
baß gottfeelige ^öuSttötet ""b ^öuSmÜtter mit ihren lieben Äinbern unb ihrem ©cftnbe biefelbe gebraud)en,
ftd) wabrenb ber Arbeit unb nad) gctl)anem SageSwerf e baran erquiden , baS Jperj ju gottfeeligen ©ebanfen
erweden, unb bamit bie fd)änblid)en S3ul)lcnlicbcr t-evlaffen würben. Snfonberbeit aber werbe man biefe
lieber nun ju ben alten fd)6nen 9Äelobet)en fingen, welche juoor ju leichtfertigen Biebern fepen gemtßbraud)t
worben. DiefeS bat mid) bewogen, fold)cS 33üd)lcin bem ehrfamen $>aul Änoblod) (sPawel Ämtfflod),
S3ud)binber in Bübed, ju fenben, mit ber Anfrage: ob er neben anbern feinen Bieberbüd)em, bie er berauS;
gegeben, aud) biefeS wolle burd) ben Drud auggehen laffen. SBo id) benn jur Antwort erhielt, baß eS ihm
ganj wohlgefaüe, jeneS 33üd)lein, jebod) für ftd) abgefonbert, ju bruden: benn fd)on ber ehrwürbige
feelige £err Doftor SDßarttnuS Butber habe barauf gebrungen, baß ein jeber, ber etwaS machen wolle, baS
feinige für ftd) allein laffe. Deshalb ift biefeS S3üd)letn alfo verfertigt unb burd) ben Drud ausgegangen. —
SBeSbalb ich ober (Sud), günfttger unb geliebter Jparber, baffelbe jugefchrieben unb überfenbet,
ohne jebod) (Surer fonberltcbe Äunbfd)aft ju haben, will id) (Surer freunblid)en SJieinung nicht bergen. 2£IS
ich ndmltd) gebad)te mit biefen Biebern einen greunb ju bereden , ber ein SBoblgefaüen an bergleid)en hat,
unb ber Sonfunfi geneigt ift, hat mir ber juoor gerühmte $)aul Änoblod), (Suer befonberS guter greunb,
oon (Sud) üermelbct, baß 3br «n fonberlid) SSehagen an geifttid)en ©ebid)ten habt, unb (Suer ©eftnbe aud)
mit ganjem gleiße ju beren ©ebrauche anreijet unb vermahnet: baneben würbe mir berid)tet, baß 3hr ei"
löblid) unb d)rijilid) ©erüd)tc habt bei jebermdnniglid) ber Unferen, (Surer ©ottfeeligfeit halber, (Surer
Danfbarfeit gegen (Sure lieben (Sltern unb SSerwanbten, unb baß 5br aud) fonfl einem 3eben liebet erzeiget
unb beweifet. 3ubem bin id) ein Diener göttlichen SBorteS in (Surem SSaterlanbe, unb möchte nid)t allein
unferen SSürgern, fonbern auch (Suren lieben Äinbern (Sf)ve unb ©uteS erweifen. Deshalb bitte id) (Sud)
ganj freunblid), biefeS mein S5üd)lein ju einem ©efd)enfe unb einer 9ceujaf)r3gabe gütig t>on mir anjunel)=
men, unb eS (Sud) Wohlgefallen ju laffen. —
Die SSerfaffer beiber Sammlungen hatten, wie ihre im 2lu3juge mitgeteilten 3ufd)riften an
greunbe unb ©önner geigen , mit benfelben einen gleichen 3n>ed. S5eibe fanben bie SSeranlafiung baju in
ihrem S5erufe, ihrem d)rifilid)en Sinne. Der eine, aß er fie bid)tete, SSorjieber einer gelehrten (SrjiebungS;
anftalt, gebad)te feinen ©d)ülern eine eblere, betlfamere (Srgbfcung ju gewähren al3 bisher, wenn fte an ber
Äunft ftd) erfreuen wollten, bie aud) er »orjüglid) liebte, unb an fold)en ©rjeugniffen berfelben, bie il)m
»or allen jufagten. Der anbere fühlte als 4?au$t>ater, al§ ©eetforger, ftd) baju gebrungen. 3n bem greife
ber ©einigen follten bie frohen, erheitemben Söne nid)t üerjtummen, allein fte follten ju feinen SBorten er=
flingen, bie bem £au3wefen eines ©eiftlid)en miSjiemten. Die unnü^en ©ebanfen, bie ihm felber fommen
11*
84
möchten, wenn er etwa in bet ©infamfeit bei jenen alten STCelobenen audb ifyrer ßieber ftd) erinnerte, follten
oor ber 9}iübe oerfcbwinben , bie er ftd) gebe, biefelben umjugeftolten, er wollte ftd) gewonnen, biefer neuen
©ejialt nunmehr bei jenen ©htgweifen allezeit allein ju gebenfen. ©em ergriff er bie ©elegenbeit, mit feinen
Umbicbtntigen über ben Äret§ ber gamilte hinaus, in ben größeren feiner ©emeine einzutreten, ja burd) ben
£>rud il)re SBirffamfeit bi§ auf ben ganjen Umfang feines 33aterlanbe§ au^ubebnen, unbefümmert barum,
maä nun wohl „bie Älüglinge unb SSKeijter ©elbflweifc baju fagen mürben, ba Säbeln unb SSJceiftern Biel
33efferctt aB er, wiberfahren fe», ba Propheten unb gottfeclige Scannet, ja ber ©rlöfer unb $eilanb, »cm
ftd) hatten fagen laffen muffen, wa§ ein jeber gewollt habe; unb enblicb felbft bie böcbfle SJcajefiät, ber all*
mächtige, einige ©Ott, wiewohl er alle§ febr redbt unb gut gemad)t, bod) e3 nid)t habe fo einrichten fbnnen,
mie bie Sabler e3 baben wollten."
Äuf gleiche 2Beife mar ein jeber »on ihnen in feinem Ärcife tt)dtig, unb obgleid) ber eine faum oon
bem anbern gemußt baben mag , geben bod) bctbe faft übereinftimmenb ju SBerf e. 2)aju eben ift gorfierg
Sieberfammlung un3 bcbülflid), biefeS beutlid) ju erfennen; benn mir befüjen in ihr jufammen fecbS unb
breiig alte weltliche Sieber, welche itnaufl unbSSeäpaft'uS umgebidjtet haben unter Beibehaltung ihrer ©ing-
weifett, bie »on allen in jenem S5ud)e aufbewahrten gewiß bie beliebteren unb am meiften verbreiteten gewefen
ftnb. 33et Änauft ftttben wir auf fedbSunbjwanjig, bei SSe&pafüts» auf ft'ebjebn bergletd>en Sttelobieen bin=
gewiefen; ft'eben baoon aber ftnb beiben gemetnfd)aftttd), woburd) bie angegebene 3abl ftd) ergiebt. S3e§öa=
ftuS bemerft bei ben erfien fecbSunböierjig Siebern feineö ä5üd)lein3 auSbrüdlicb, er habe bie alten ©cfänge,
auf bie er jttrüdweife, geijtltd) »erdnbert, bod) alfo, baß fie nicht allein ihre gewöhnlichen SRelobieen , fon=
bem auch meijtentbeitS ihre Sßorte behalten hätten ; unb ba§ Ijat er in ber SEbat auf unerwartete SBeife ge=
leiftet. <So wirb ihm be§ alten itriegSbclben grunbSberg .Klage über bie SBanbelbarfeit ber ^ofgunfi ju
bem Siebe eine§ bußfertigen SBerfbeiligen, ober 9Jiönd)e§ :
9JJv>n flwtl) t>nb mö» heD id nicht gfpart
©eleoet barbt im goben fdwn
©er werfe m»n, baruth allein
3d loen üörwad)t
©e3 ©eloüen§ fraft gan£ nicht betradbt.
©a$ IHebeölieb:
9cad) 2uft hart ich mir auäerwäblt
©id) grau, mein6 ^er(jen6 ein SErbfterin,
wirb umgewanbelt in einen ©efang jum greife ber biblifd)en heiligen ©ebrift:
9cad) ßuft bah id m» utbewätt
25», mmteS garten ein SEröfterin
unb jenes anbere
3d) weiß ein fein'S braunS SQcägbelein
Spat mir mein £erj befeffen,
wirb ju einer S?ebe ©otteS be3 SBaterS »on Sftaria ber heiligen Sungfrau :
Sd weebt ein bögtfam Sdcenbelwn
£eft m» men £arte befeten
Lariam batf) Sundfruwelwn
3d »il erer ntdbt üörgetben.
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Sa c» fehlt an ©pottliebem nicht in proteftantifcbem ©inne ; ber ehrbare $>rebiger ju ©tabe bat
nicht Xtlfblti genommen, auch ein gemeines Siebten feiner 3eit
£>er Äuhif bat ftch tobt gefallen,
geiftlid) $u machen: ,,oon bem töblichen Salle bee> allerheiligften S3ater3, beä romifcben ^)apfte6"
£>e ^)aoeft tteft ftcf tf>o bobe gefallen
SSon fpnen bogen ftole,
SSnbe moth nu mit bem büoel roatlen
2Bol in bem oünigen pole :c.
3lnbere Sieber feines" ^Büchlein» ftnb biblifcbe, »on ihm in SSerfe gebrachte 4?iftorten, e»angelifcbe
Sobgefänge, auch geiftlicbe Sieber 2lnberer, bte er nur in fein treuberjigeS 9cieberbeutfch gebracht hat. Sur
biefe hat er, ben ©tropben jufolge, alte weltliche ©ingweifen gewählt, ohne bafi beren Sieber, ben SBorten
ober Inhalte nach, in SSejiebung fielen ju jenen. @o oerroeift er bei bem Sobgefänge ber Sftaria auf bie
2Beife beö Siebe» : ^er^lich thut mich erfreun, bei bem Sobliebe be§ Sacbarias' auf: SSor Seiten mar ich lieb
unb Werth, bei einem ©efpräche übrifti unb beä ©ünbers> auf eine franjoft'fcbe 9JMobie:
C'est a grand tort qu'on dit, que le penser
oVest que langueur d'une chos' incertaine etc.
Gnblicb hat er auch ein gewöhnliche» ©prücbwort feiner 3eit al§ ©runblage eines geiftlichen Siebes
genommen, e£ in ein Sieb üerfafjt, rote er ftch auSbrücf t :
4?efftu ©elbt, fo fum berübr,
■Öefftu nicbt, blpf hinber ber bor.
§aft naher noch, hält fich itnauft an bte urfprünglicbe ©eftalt ber üon ihm umgebicbteten alten
Sieber: oft ift es? nur ein einziges" 2Bort in jeber ©tropf)?/ ba§ ihm genügt, ihren ©inn ju oeränbern. £ae>
oon Heinrich ^]aac gefegte Sieb :
Snfbrucf ich muft bich laffen*)
wirb ihm ju bem 2lbfchieb3gefange eines" ©terbenben:
£5 SBelt ich mufj bich laffen,
be6 Siebenben Srauer über Äranfbeit feiner ©eliebten
Seh flag' ben Sag unb alle ©tunb'
roanbelt er um in eine .Klage über ba3 burcb bie ©ünbe oerrounbete £er$ ; in anbern Siebern ift ftatt bes
Älaffers, — bes" »erleumberifcben SetnbeS unb ©torers ber StebeSfreube — gemeinhin nur ber ©atan ge=
fe^t : wie, wenn bas" Sieb
25er £unb mir cor bem Sicht umbgabt,
worin ber Siebenbe bie binterlifiige Sücfe etneS folchen Stoibers bef lagt, christlich üeränbert wirb ,,auf ben
bellifcben &\mt>, ber wie ein brüllenber Sowe un§ allen nacbftellet, fucfyenbe, welchen er möge üerfcblinben."
©er Säger, ber oor bem £olje jagt, unb „brei Fräulein, fein unb fiol|" ftnbet, trifft bei unferem dichter
bte brei geiftlichen SEugenben, Siebe, ©lauben unb Hoffnung; unb wo ber Siebenbe bes" alten ©ebicbtS ben
tarnen ber ©eliebten nicht ju nennen wagt, fonbern ftch begnügt, auszurufen
") @. bte SSetfptete 100 unb 100 a, an benen jugleich bas S3ett)ältntf ber Sftelobte bes urfprünglia^en Siebes $u
ber oon befien Umbidjtung ju cr!ennen ift
86
SDlein einigS "tf, ich bein beleih,
ruft baS neue mit 3twerftcbt auS :
©ottS einiger «Sohn, id) jtetS bein bleib.
§3eSvaftu3 bat auch, mehrere Sieber auf befannte Äircbenweifen (bie 90Relobieen ber gebräucblicbften
|>falmen wie er fid> auSbrücft) neu gebietet, fo wie itatecbiSmuSgefänge unb Sieber über bie vornebmften
£auptftücfe be§ dt>rtflüd>en ©laubenS ihnen angepaßt, auch,, wie febon bemerkt, Sieber anberer frommer
ßbriften in fein SSücblein aufgenommen, „wenn ft'e meiftcntbeilS in anberen ©efangbücbern nicht ffanben,
unb bod) »oll guter ©ebanfen waren," wobei er ftcb nur begnügt bat, fte in ba§ 9cieberbeutfd)e ju über=
tragen. 2lucb Änaujl bat frembe geiftltcbe Sieber aufgenommen, er aber bat fte aud) überfein, unb nad)
feinem Sinne gebeffert : fo ,£>an3 Sachs befannteS SEroftlicb :
SBarum bctrübft bu bieb mein #erj.
9tun tft eS wobl jene SKifcbung geroefen bcS febon in ber .Kirche ©ingebürgerten, unb beffen, was
Anfangs nur bie 33eftimmung hatte, baS Grrgofccn an bem urfvrünglicb ^Seitlichen burd) eine, oft nur leidste
Umroanblung vor bem d)riftlicbett ©ewiffen 51: rechtfertigen, bie enblid) ohne llnterfcbieb einem großen
SEbeile beg Inhaltes beiber Sammlungen bie SEbore ber Äird)e geofnet hat. Senn baf btefeS um ben
Seginn beS 17ten3ahrbunbertS erfolgt geroefen fei, ift nicht ju bezweifeln. Michael ^rätoriuS Samtm
lung eigener, hin unb wieber auch frember, geiftlid)er Sonfäf^e, weld)e in ben Sohren 1605 bis 1610 unter
bem 9camen ber Sionifchen Stufen in neun Sbeilen erfebien, giebt unS bafür fixere ©ernähr. 3n
ihrem fünften bis achten £beile, worin geiftlicbe Sieber in ganj einfachem, vierftimmigem ©afje vorfommen,
tbeilt fte unS wobl ben gefammten SSorratb berjenigen Siebweifen mit, bie bis bahin ©ingang gefunben
hatten in bie .Kirche; unb hier ftnben mir jweiunbbreißtg gctftlid)e Sieber, bei bereit 9Kelobeven jum SEbeil
auSbrücflicb auf weltlichen Urfvrung jurüefgewiefen wirb, ober von benen mir ihn burd) SErillerS unb
SorfierS Singebud) fennen. Sarunter ftnb nun viele von Änaufl unb SSeStoaftuS für ihre Umbichtungen
in tfnfvrud) genommene. Vilich enthält 9)rätoriuS ad)ter SEbeil bie S3cmerfung auf bem SEitel, bafj bie
barin jufammengeftellten Sieber „in jUrcben unb Käufern gcbräud)lid) feien." Soch ftnb bie, bem
häuslichen ©ebrauefae bort geroibmeten febon in bem SnbaltSvcrjeidmiffe unter befonbere 2£bfd>nttte
gebracht, unb mir treffen hier feine bief er, auf weltliche SJMobieen gebid)tcten Sieber an; auch
fennen mir eben bie in biefem achten SEbeile jufammengeftellten Sieber folcber Zxt aud) anberSber als fird)-
licbe, auch wobt noch jeljt gcbräud)lid)e: 5. 33. £> 2Belt ich niufj bieb lafjen — 3cb f)ab' mein Sad) ©ort
beimgeftellt ; mie benn auch <utf ben SEon ,,beS SKene" unb beS Siebes ,,9ftaria jart," bie ftcb hier ftnben,
febon in früheren fird) liehen Singebüchern vermiefen wirb. Sie von Änauft unb SSeSvaftuS angemen-
beten weltlichen SJlelobieen haben bei $)rätoriuS jum SEbeil mit beren Siebern, jum SEbeil aud) mit
anberen, nur beren SBiaaße fid) anfcbließenben, neuen, ^Plalj gefunben. ©0 hat ^»rätoriuS (VII. 230.
231o ju ber alten SSolfSweife
9cacb grüner garb' mein 4?erj verlangt
einmabl eine, ber beS 83eSvaftuS entfvred)enbe Umbichtungin bod)beutfd)er S^unbart
9cad) ewger Jreub mein ^>erj verlangt,
ein anbereS 9Jiaf)l (ebenb. 188) ein, ganj neu nad) beren SKaafje gebid)teteS Sieb,
Anberg t)aV id) ju g'warten nicht k.
S7
ba* eine ftrenge Mahnung enthalt an ben geroiffen Sob, unb ba$ lefcte ©erid)t, bem TOemanb entrinne.
So treffen wir bei ihm $u ber SRelobte be§ roeltlicben Siebet :
Ungnab' begehr id) nicht oon ihr
ein gei|llicbe§ 2ieb, baS ftd) bem urfprünglid)en roeber in SBorten noch Inhalt anfd)ltefit:
DieS ijt mein .Klag', brum 8eib id) trag
Dafj id) mein Sag
4?ab' jugebracbt in Sünben ic.
(VII. 59.) roäbrenbS>eepaftuö hier fogar erne boppelte Umbiditung verfiidit bat, in beren einer bie3uoerficbt
beö SünberS ausgebrochen roirb, baß er ntd>t unter be3 £errn Ungnabe roerbe leben bürfen, noch ihm feine
Sünbe ftreng roerbe jugemeffen roerben, ba ßbrtfhtS beren fd)on genug gebüßt habe, che er, ber Sfeuigc,
noch bagewefen; in ber anbern bagegen ba3 35egebren nad) ©otteä ©nabe laut roirb, unb bie $ofnung,
bafj ft'e nicht werfagt roerbe, ba ber ©ünber bereit fei, ,,in Sieb unb ßeib be§ sperren füfjeS Sod) ju tragen."
©o fanb benn im erjten Sahrbunberte ber .Kircbetroerbefferung, roie un£ bie befd)riebenen
Sammlungen, bie befprod)enen einjelnen SMätter jeigen, eine nid)t geringe 2(n$abl Singroeifen, bie oon
roeltlid)en Biebern entlehnt roaren, in ber eoangeltfcbcn &ird)e il)re 4?eimatb; t>on »erfcbiebenen (Seiten her,
in manmd)fad)em Sinne, roucb3 ber 33oIf3gefang in fte hinein, immer fcftcre SBurjel fcblagcnb. Der
Grinfhtjj, ben er baburd) geroinnen mußte auf bie S3ilbung ber in tbr neu enrjtebenben geiftlicben Sing^
roeifen, erflärt ftd) hieraus oon felbjt. 9)iand)e SSolfSmelobie erfebien, um nad) furjer grijt roieber ju
uerfebroinben, manche roirb in il)r fortleben, ohne baß roir beren Urfprung mehr f ennen ; auch jene werf lang
'faum ohne eine Ginroirfung, roenn roir biefe aud) nicht mehr aufzeigen roiffen. Den Umfang bee> bis
gegen ben Anbeginn beS 17ten 3ahrfntnbertS auS bem SSolfSgefange in bie eoangelifcbe .Kirche bauernb
Eingebürgerten erfennen roir am ft'cberften burd) 9)rätoriu§ Sammlerfleiß, roie er benn aud) für bie örtliche
Wusbilbung unb Umgeftaltung ber fircblid} geroerbenen 9)celobieen unS eine fcbäljbare Quelle ift. SOJit
großer ©cnauigfeit bat er auch geringfügige, örtltd)e ^broeidwngen bei ben üon ihm mitgeteilten Üircben=
melobeiien aufgejcid)net 5 eine ©enauigfeit, bie il)tn ber ©cfcbid)ts>forfcber ju banfen bat, ber, roie bae
§ort= unb Umbiiben ber Singroeifen, fo aud) ihre SSerunftattung burd) frembe 33eftanbtbeile ju beobachten,
baburd) befähigt roirb. Äircbenobere fretlicb ft'nben fid) roobl geneigt ft'e ju tabeln, ba fte, auf ©letcbfbr=
migfeit beS Äird)engefange§ bringenb, ba§ Urfprünglid>e überall ju ft'nben trad)ten, unb in bem '■Mbroei=
d)enben nur baS S3erberbte ober Entftellte, in feiner tfufberoabrung nur eine Quelle »on SSerroirrung ju
ft'nben meinen. @ö roirb hierüber ein 9Jtebre§ ju fagen fet)n, roenn roir bie lebenbigen S3eftanbtbeile bee
ßl)oralgefange§ roerben fennen gelernt, unb feine 2tu§bilbung naher betrachtet hohen. Spiex fei nur noch
ermähnt, ba$ auper jenen, bei gorjter unb Friller anjutreffenben, bei Änaujl unb SSeöpaft'uö angebeuteten
weltlichen JJiebroeifen, ^rätoriuö manche noch Quellen feiner SD^elobieen nennt, bie roir in jenen S3üchern
nicht ft'nben: fo bie SOBeife oom ©rafen ju 9iom fVII. 178.): 83enuS, bu unb bein Äinb (VIII. 53.) ;
giebt auf (Srb fein febroerer 2eib (ebb. 189.); Der gaftenabenb tritt heran (ebb. 239.), »on benen nur bie
lebte einem umgebid)teten Siebe : „3)er jüngfte Sag nun tritt heran" bei ihm angehört. "Kud> bie
beiben oon ihm in ben fiebenten Sheil feiner Sionifd)en Wlü)'m (ücro. 75 unb 74) aufgenommenen lieber:
25u ©ünbrin millft bu mit
unb
Der ©nabenbrunn thut fliefen
88
(lammen, wie ihre ©ingweifen, au3 weltlichem ©efange. 3ene§ üeränbert baS alte Sieb :
©ufanna, wiUft bu mit
in geijtlichem ©inne, biefeS ba§ in ber erjlen £älfte beS 16ten 3ahrh"nbert§ fchon allgemein befannte
«ubllieb :
£»ie JBrünnlein bie ba fliegen
Sie foll man trinfen,
unb wer ein' jteten 33ulen t>at
ber foll ü)m winfen,
ja winfen mit bcn klugen, unb treten auf ben §uß ,
(§s> ifi ein harter SDrben
25er feinen ffiulen meiben muß. *)
©eijtlicb, fanb ich biefeS juerji 1586, in bem v>on ßachartaS SBerwalbt ju ßeipjig herausgegebenen
©efangbuche, unb bann oierjftmmig um 1588, in %o\). ©teurleinS 27 geglichen ©efängen. £>a§ ßieb
lautet nunmehr :
35er ©nabenbrunn tfjut fliegen,
2Den foll man trinfen ;
SD ©ünber bu follt büßen,
©ott tl)ut bir roinfen
9Kit feinen gütigen 2lugen unb richtet beinen §uß
SBo&l burd) baö Sßort be§ ©laubenS,
ßljrtfluö allein bir helfen muß.
Sie SKelobie hat aber ein befonbereS ©chicffal burch tl>re ©e|er gehabt. 2Der ältefle unter ihnen tft ohne
3weifel Heinrich 3faac, obgleich femc ^Bearbeitung erjr 1541 erfcheint, roahrfcheinlich einem früheren 3Drucfe
entlehnt; nächft il)tn fein ©chüler ßubwig ©enfl (1534, in ben bei gomfchneiber ju Dürnberg erfchienenen
121 Biebern, 9cro. 44), enblich S5altl)afar 'tfrtophiuS, in ben 65, üon ©chbffer unb 'tfpiariuö ju ©traß=
bürg gebrucften ©efängen CRxo. 13). 2llle biefe SJieijtcr haben unfere SOJcIobic burch ben 3ufammcnflang
ber bagegen gefegten ©timmen einem mirotpbifchen Sonfafje angeeignet, währenb alle ihre ©chlußfälle
unoerfennbar fte al§ eine borifche bezeichnen. Sa, ^einrieb, Sfaac, bei bem fte in ber ©runbftimme
feines breijtimmigen ©a|e3 erfcheint, fügt il)r bort noch einen Anhang bei, um biefeS ju erreichen. Gr3
ift flar, wie jroeifelhaft burch eine folche SBehanblung ihre wahre Tonart würbe, wie fte bei bem Vortrage
biefer ©ä^e gar nicht vernommen werben fonnte, abweichenbe 'tfuffaffungen alfo leicht entfielen mußten.
2Daher vielleicht auch t>te oeränberte ©eftalt, in ber fte bei ©teurtein erfcheint, jwar in ber weichen Sonart
von G, ihrer urfprüngtichen näher ftehenb, im (Sinjelnen ihrer Sßcnbungen jeboch mannichfach anberS
gemattet**;. 2>a3 umgebichtete 2ieb hat Änorr von SJofenrotb, am 'tfuSgange be§ 17ten 3«h^hunbert§, um
1684, abermals umgebilbet, unb ihm eine neue ©ingweife gegeben, bie inbeß, eben fo wie bie ;imge=
fchaffene Sdielobie beö alten weltlichen JJiebeS, welche nunmehr unbrauchbar geworben war, verfchwanb,
") ©. Tomus primus variarum cantionum tt iiira vocum elc. lim ©d)lufj : Noribcrgae a|>ud Joh. Petieiuro.
Addo MDXLI (1541) 9iro. 28. 2)et Sonfafc oon £einriaO Sfoac.
") @. bic SBeifpiele 108. 108 a.
89
unb einet werten ^)lab machte. 3n tiefer ©eftalt, mit tiefer Begleitung, ging baS mehrfach veränderte
2ieb in greilingsbaufenS ©efangbucb über, wo c3 nun grifft :
Der ©nabenbrunn fließt noch, ben ^ebermann fann trinfen,
SJiein ©eift lafj beinen ©ort bir bod) umfonft nicht würfen;
ߣ lehrt bid) ja ba$ SBort ba3 Sicht für beinen gufj,
Dafj 6t)rifttr» bir allein oon ©ünben helfen mufj.
9fa$ Allem, wa$ wir in bem SBorbergebenbcn über Umbid)tungen im Allgemeinen, jumal^l über
.ftnaiifts unb 53e3»aftu3 2ieberbüd)cr ausführlich gefagt haben, wirb e§ nicht be3 näheren eingebend bebür=
fen auf ein britteS, ben irrigen balb nad)folgcnbc» Unternehmen ähnlicher Art. @3 ft'nb bie ,,@brifllicben
Sveuterlicber geftetlet burd) ^>errn *Pbilipfcn ben Süngeren, greiberrn ju SBinnenberg unb ä3eibelftet)n"
unb ju Strasburg bei SSernbarb 3»bin 1582 gebrueft; 19 an ber 3abl, alle in gleichem ©innc umgcftaltet
wie in jenen früheren SSüchern *, bort oon einem ©clebrten, einem ©eiftlicben, hier von einem Qjbeln unb
9t*itter3mann, ber oon feinen Diebtungen oerfiebert:
9?id)t fport mit ©Ott mein reime ift,
SBotlt ©ort fold)3 tr>et epn jeber (5brijt;
Der reVter Wels VnD gVt gesang,
haben Vor Gott ein anDeru kLang
inbem er in ben legten 3eiten biefer Steinte zugleich ba3 gafyc ber Verausgabe berfelbcn anbeutet. 9Rtt
tiefer feierlichen Sierwabrung bat er fid) inbef? nid? t genügen laffen : wie er mit ibr fein 33ücblein beginnt,
fo fcbliejjt er e3 mit ,,3eugniffcn ber (Schrift fo angezogen mögen werben über oorgebenbeS ©efang," unb
tiefe oerbreiten fid) über jebe» feiner Steter, jumeift auch alle einzelnen ©efa^e bcrfelben. Die 9JZelobicen
find überall beigefügt ; bie SKcbrjabl f ennen wir bureb gorfter, Friller, ^PrätoriuS, ft'e betätigen, wa3 mir
juuor über beutfd)e S3olf»weifen gefagt, ohne un3 ju neuen S3emerfungen Anlafj ju geben.
Auch fpdrer noch ftnben mir @'ntlebnungen weltlicher ßiebweifen für geiftliche 3wede ; nur borgt
man nicht mebr, roie juoor oom SSolfeSgefange, fonbern oon ben SBerfen gleid)jeitiger, beliebter SSontunjtler,
roo mir benn oorauSfe^en bürfen, ba£ tiefe auch ©rftnber ter bureb tie geiftlicben Dichter jum ©ebmude
ihrer ßietcr ertefenen SEftelobieen gemefen feon werben. Die leiste, wabrfcbeinlicb au§ bem SSolfögefangc
entlehnte Äird)enweife mochte bie be§ SteteS feon :
SBie fdibn leuchtet ber Sftorgcnjlern ic.
wenn auch freilich nid)t urfunblicbe ©cwifjbeit über beren Urfprung oorhanben ift, fonbern beffelbe nur au§
anberen Shatfacben gefchtoffen werben fann. d$ febeint nämlich, ba^ man gegen ba3 @nbe beS löten
3ahrhunbert§, ber Siicbümg gegenüber, bie aüe§ SSeltliche in geiftlicben <5inn hinüberzuziehen trachtete, e$
auch wo.bl emofanb, ba£, mit fo gutem ©lauben unb rechtem 9lufcen bieö auch gefebeben fbnne, unb
gefd)ehen fei, bennoeb Selbfttäufd)ung unb üüge zuweilen babinter fid) oerfteden möge, unb bafi in oielen
Sailen, unb jumabl bei Umbichtungen, bie nicht unmittelbar für bie jtirebe beftimmt fcoen, e§ weniger bie
Üuft an geiftlicber ßrquid'ung gewefen fetm bürfe, burd) weld)e biefelbcn heroorgegangen, al3 ba§ finnltchc
©efaüen an ben baburd) erhaltenen fchbnen ©efangöweifen. <So erfd)ieu e6 benn aufrichtiger unb ehrlicher,
bie ßuft an bem ^Seitlichen offen einjugeftchen, wenn man e§ nur fern ijdtt oon aller SSefledung burd)
»cittenoerberblicheä. Au§ einer folcbcn ©eftnnung unb Überzeugung fd)eint folgenbe§, wahrfchcinlid) jener
Seit angef)örenbc3 Sßüchlein lieroorgegangen ju ferm, ba§ ol)ne Drudort unb 3eit<mgabe, nur bezeichnet ol§
«. SBintttfeTt, ter crangt!. CFfctatgcfang. 12
90
„©ebratft im gegenwärtigen Saftr" ersten, unb bie 2Cuffdt>rift füftrt: „Sugenbftafter Jungfrauen unb
SunggefcUcn 3eitvertreib, b. i. neuoermeftrtes' unb üon allen fantajtifcften, groben, unflätigen unb unge=
fdncften Biebern gereinigte» SBeltlicftes? ßieberbücftlein, befteftenb in mclen, meiftentfteiB neuen, juüor nie in
Srucf ausgegangenen, lieblicften unb anmutigen ©cftäferei=, 3ßalb=, ©ing^, 5£anj= unb feufcften 2iebe§=
liebern. Hüe »on befannten anneftmlicften SOtelobepen, in ein orbentlicft oerfaf teä Svegifter jufammenge=
tragen, butdh Hilarium ßufHg tum grcubentftal." Jn biefem SSücftlcm finben wir ein 2iebee>lieb, beffen
erjte ©tropbe folgenbermaafjen lautet:
SÖBte fcftbn leuchten bie 3iugelein
©er ©cftbnen unb ber 3arten mein,
3cft Fann iftt ntcftt üergeffen,
5ftr roifteS Sucfermünbelein
25aju iftr fcftneeweifj £änbelein
Spat mir mein £erj befeffen.
Sieblicft, freunblicft,
©dbbn unb fterrlicft,
©rof? unb eftrlicft
Sri iftr ©naben
SBill tcft mtcft befohlen ftabcn.
Gr§ liegt am Sage, roie nafte ber ©ebanfengang biefer ©tropfte bem ber erjien bei? geifilicften
SiebeS »on 9)ftiltpp Nicolai ftefte:
SEBfe fd)ön leuchtet ber Sftorgcnftcrn,
SBoII ©nab unb 2Bal)rt)ett üon bem ^>errn
Sie füf e SBurjel Seffe,
ba§ mir feinem jugranffurt am9DZain 1599 erfcftienenen,,greubenfpicgcl bee> ewigen Sebene!" angelangt ftn»
ben; ftimmcn bocft bie fed;ftc bB neunteßeile biefer ©tropfte ben gleicften ber erften beS weltlicften Siebet fogar
wbrtlicft überein. 3>ennocft werben mir ©cftamelüB ntcftt fcftelten bürfen, ber in feinem 2ieber=(5ommentar
(ßeipjig 1737. @. 427; bcftauptet, baf? jeneS ßicb faft mit jebem Söbrtlcm au§ ber fteiligen ©cftrift entnom-
men fei, nocft bie grcunbc geifilicften ©cfangeS, wclcfte feine ©ingweife aB eine ber falbungSüoIlften unfereö
ßftoralgefangeS preifen. 2)er geifftid)e £>id)ter ftat allerbingö fein Sieb nid)t unmittelbar au§ ber ©cftrift
genommen, fonbern ein weltticfter ©efang ifi moftl bie näcftfte SSeranlaffung baju geroefen ; aber bie fteiligen
33üd)er waren iftm aB gorfcfter in benfelben, aB iftrem SSereftrer, oftne Unterlaß babci gegenwärtig, unb fo
ift e§ iftm gelungen, an fie ju erinnern, aucft ba, wo er bie SÖBortc ber urfprünglicften 25icfttung nur gerabe=
hin entlehnte. (5§ war aber aucft ein glücflicfter gunb, ber iftm ju einem entfcftiebenen ©iege ber geifilicften
über bie weltlid)e Svicfttung üerftalf, bafü er auf ein Sieb ganj eigcntftümlid)en 50caaf?e3 traf, ©eine ©tropfte
ftetlt einen ©egenfa^ bar bc§ iambifcften in iftrem erften, ju bem trocftätfcften in iftrem jroeiten '#bfa£e, ber
iftr ungemeine Sttannicftfaltigfeit geroäftrt; unb wirb ber jweite Sfteil ernfter burcft baS mit bem größeren
9cacftbrucfe beginnenbe SJcaafs, fo beteben iftn wieberum bie fürjeren 3?ftt)tftmen feiner erften 3eilen, bie in
ber längeren ©d)liif;$ctlc eine großartige Tlbrunbung erftalten. diu folefter, ganj für geifilicften SHebcrgefang
geeigneter S3au gab benn aucft ber 9E5Mobie fofort ba§ ©epräge einer für ben fteiligen ©efang urfprünglicft
erfunbenen, fo bafj iftre erfte Verleitung halb in Skrgeffenfteit geratften fonnte. 9Kan ftat fte fpäterftin oft
91
für Steter von gleicher Strovbe entlehnt: neue Betonungen tiefer Strohe aber, felbfl von ben befkn
ÄonfefcOH berrübrenb, haben niemals allgemeinere ©eitung erlangt, eine jroeite JCircbenmeife, aud) als
eine bat trefliebften bes eoangelifeben ßboralgcfangcs gerühmt, eignete urfvrünglid) bem weltlichen Siebe
eines ber gcrübmtcften Sonfeljer bes 16(01 unb beginnenben 17ten ^abrbunberts. #ans Seo £afjler
von Dürnberg gab oafelbft (bei ^aul Kaufmann; um 1601 eine Sammlung von Sicbem beraub, mit ber
Auffdirift: ,,Sufrgartcn neuer teutfeber ©cfang' ßullclti, Galliarden unb Iniraden, mit vier, fünf, fed)S unb
adrt Stimmen :c." 3n bcrfelben befinbet fich ein fünfftimmtger ©cfang von fünf Strophen, beren Anfangt
buebftaben ben tarnen ,,€OIariay/ bilben, — roobl ben ber ©eliebten, ber bas ©ebid)t geroeibt ift, — unb
öeren erfte folgeneergefialt lautet : «
üJiein ©'mütb ift mir verminet
;Das macht ein Sungfrau jart,
S3in ganj unb gar verirret,
*Dcein £crj bas fränft fich, hart !
£ab Sag unb 9ta$t fein 9?ul>
§ür alljeit grefje &lag,
£bu feufjen ftetS unb meinen
3n Krauet fd>ier verjag.
)Rux roenige Sabre fpäter, um 1613, fd)en mir bie 9Jielobie biefes Siebes, bie mir gegenmärtig
^umeift nach ber Anfangszeile bes f)aul ©erbartfehen ^afftonsliebes : £aupt voll 33lut unb
©unten" bejeiebnen, unter Beibehaltung ibrer fünfjtimmigen Bearbeitung, auf einStcrbelicb übertragen,
in einer ju ©brlilj bei Sobann Sfbamba erfebienenen Sammlung lateinifdjer unb beutfetter gciftlid)er
©efangeV Statt ber urfprünglidicn SSorte roerben nun felgenbe gefungen:
$erjlicb tbut midj verlangen **)
9ta<h einem feefgen Crnb
SBeil id) l)ic bin umfangen
9Eit Srubfol unb @lenb.
3d) bab" Suft abjufd)eiben
SSon biefer bofen SBelt,
Sel)n mich nach em'gen freuten
£ Sefu, t ornm nur balb !
Auch hier fanb bie, Anfangs nur entlehnte weltliche SSeife ibre £eimatb fo oollfornmen in ber
.ftirdie, eafj man lange Seit ihre £luelle nicht gcabnet bat, ja, aud) je|t noch, SDcancber mit Befremben
oernebmen mire, tap nicht ibve Schöpfung, fonbern nur ibre 2Babl eine Jrucbt ber Äircbenverbefferung
gemefen fei. ©ing fie aber Anfangs auch ganj unveranbert, felbft bem Softfagc nach, in eine geiftliche
Siebcrfammlung über, fo bat fie besbalb boch nicht aufgebort, fpdteren Sonfünftlern eine mürbige Aufgabe
für bamionifcbe Entfaltung ju fepn, jumahl feit man entbedt hatte, ba§ fie, urfprünglicb ionifch
*) Harmooiae sacrae, vario canninum lalinoruin et gerninnKorum genere, quiLus operae scbolasticae iu
gymoasio Gorliceusi iochoaatur, clauduntur; variae preces, fuoei-atiooes solcranes, sacra Gregoriana celebranlur ;
tertium editae, et accessioae commemorabili auetae. Gorlicl. typis et suraptibus Joaa. Rhambae 1613.
") 6. bag «Beifpiel «Rro. 80.
12*
92
bebanbdt, eigentlich ber pbrpgifcben Sonart jugebbre, alfo in bereitem ©inne gteieb angemeffen gefegt
»erben fönne. Gr§ wirb bauen netter ju Banteln ferm, wenn wir über bie ©efjer ber ßboralweifen im
17ten ^abrbunberte berichten werben.
Spätere Übertragungen weltlicher SJielobieen mit ifyren Sonfäljen waren ntdjt immer gleicb frud)t--
bar aß bie eben erwärmte, weil ba3 Übertragene, obrte bem ßb,ora(gefange lebenbig ju »erfctymeljen, eben
nur ein ©ntlcbnteö blieb, ©o war cS ber gall mit brei, wenn aud) an ftd> angenebmen 2D?abrigalen be§
Giovan Gastoldi üon ßaravaggio, au§ feinen 1591 unb 1595 ju §3enebig, fpäter 1596 bei ^)ietro ^b01^'0
,u Antwerpen erfebtenenen fünfftimmigen äkUetten. *) Sie SÖMobie be§ erfien berfelben, Ii bei' umore
genannt, ftnben wir in einem, oon ßbrijtopb 33ud)wälbcr, @ollegen ber ©dmle ju S5un|lau, gefammelten,
ju ©örli£ gebrueften, unb bem bortigen 3fatbe »on bem Drucfer, Sobann 9?bambaw, 1611 jugefebriebenen
©efangbuebe, einem gciftlicben ßiebe angeeignet. (Sei lautet urfprüngtieb :
Viver lieto voglio
Senza alcun cordoglio,
Tu puoi restar amor
A saettarmi il cor,
Spendi i pungenti strali
Ove non pajon frali,
Nulla ti stimo, o poco,
E di te prendo gioco.
©eine SUielobie muß aber in unferem ©efangbuebe (pag. 668. 669) einem Siebe ,,oom geiftlidjen, weltlichen
unb .^auSftanbe" bienen:
Sefu wollft uns weifen
Deine SSBerf ju greifen,
Dbne bid) mögen wir§ niebt enben.
4?errlicr; reichen ©eegen
£ajl bu un3 gegeben,
2ld) bilf baj? wirö erf ennen !
9cäd)ft bir bu ebler £ort
Der böcbje @d)ak bein SBort;
9limmt weg all' unfre ©cbmerjen,
SSJiacbt frblicb unfre ^)erjen !
<§§ fcballt, e§ fcballt, e§ fcballt,
3m Sanb' ifct mit ©ewalt!
©d)bn' ©aben giebt bein ©eiji
Sreu Diener allermeijl,
* Balletti a 5 cod Ii suoi versi per cautarr, sonare e ballere, cod una mascherata di Cacciatori .1 6 JV im
Coneerto di pastnri a 8 etc.
Gf)rift[id) bie geut' ju lehren
Sein £tmmelreid) ju mehren,
2£ttein, allein, allein,
£ein foll bie (ihre femt.
@ben biefeS Sieb, mit bem unt-eränberten, fünfftimmigen SEonfa^e be3 italienifcben 9flabrigal5,
ift in ben erften Sbeil be$ ju ©otba 1646 (feäter 1651, 1655, 1657) in brei Steilen erfebienenen
Cantionale sacrum mieber aufgenommen *) ; unb roenn bei ber hier gefcfychenen aufjeiebnung ber biegen
2Borte beiber ©ebiebte ihre «Strophen einanber niebt ju entfereeben fcheinen, fo erläutert fieb biefeS babureb,
bafj ba§ beutfebe ©ebiebt an bie ©teile ber in bem italienifcben oorfommenben SBieberbolungen einzelner
3eilen, unb Ausfüllung anberer bureb bie Splben „la, la, la etc." beren ganj neue gefegt, unb bie
©tropbe be§25id)ter§ — wenn auch nidbt be3 SonfunfilerS — babureb umS3iele§ verlängert bat.
@ben biefeS ijl ber gall geroefen bei ben anberen beiben, au3 ber angefübrten Sammlung entlebnten 9JJabri=
galen. £)a§ eine berfelben, in feiner urfprünglicben ©eftalt Tinamorato überfebrieben, fingt froblid) :
A lieta vita,
Amor c'invita,
Chi gioja brama
Se di cor ama
Donerä il cuore
A un lal Signore.
Äitf bellen SRelobie bat Sob- Sinbemann, Gantor ju ©otba innerhalb ber Sab" 1580—1630, ba$ folgenbe
geiftlicbe £ieb gewichtet, ba3 mit berfelben nod) in bem greilingSbaufenfcben ©efangbuebe oon 1741
an ju treffen ift :
5n bir ift §reube
3n allem Seibe
£) bu füger Sefu Gbrift!
2)urcb bid) mir baben
^jimmlifcbc ©aben
£)er bu roabrer ^)eilanb bift !
^»ilfeft won ©dbanben,
gfetteft tjon Jßanben,
SBer bir oertrauet
■£at mobl gebauet
SBirb eroig bleiben,
^»alleluja !
3u beiner ©üte
©tebt unfer ©'mütbe,
') SRro. XXXII. ©. 76 ff. Zt). I. Cantion. Sacrain etc. ©ott)a 1646.
94
"Kn bir wir fleben
3m S£ob" unb Gebert,
9lt(fyt§ fann uns? fdjeiben,
4?alleluja !
Daö anbcrc beißt in ber Urfdjrtft: Amor vittorioso, imb enthält folgenben Aufruf:
Tutti venite araali
0 forti miei soldati,
Io son l'invitto Amore
Giusto saettatore,
Non temete punto ;
31a in bella schiera uniti
Me seguitate arditi !
Dcffen 5Kelobic bat fid? einem 9leujaf)r3liebe gegen ben Surfen bequemen muffen, ba& in bem elften SEf)etI«
beS angeführten @ott>atfd>en ßantionalS ftefjt (XXXI. pag. 116 u. ff.) :
3u ©ott im neuen ^cäjxt
9?ufet ber (griffen ©cfyaare,
Daß er feine ^>ulf befjenb
S>om i)oi)n\ £immel fenb !
Der Surfe gemj »erwogen
.Kommet bafjer gejogen,
©rimmiglid) mit großer SJIacbt
Sb,ut un§ in feine %ä)t !
3crbrtd) fein ©djmert unb S3ogen,
Damit er unfre SBolmung
SSerroufFt unb verbrennt,
Dein ßbjtftenbeit ausrottet,
2>erlad)ct unb üerfyottet;
Unfer £erre ßebaotl)
©tefy' un§ bei in aller 9lott),
Unfer Sport, unfer Qoxt, burd) bein SBort!
£ (Sl)rifte mollft u)m voel)ren,
©ein Sanb unb £eut' »erl)eeren,
Darin er bid) fd)änber,
äßollft unfer 93itt' gewähren,
Did) gnäbig ju uns? feljren.
Sur unS ffreit't ber redete SDiann,
3efu§ a^rtjhiS ifl fein 9lam',
Gbriftian, ßbrijlian, tapfer bran !
95
(SrtT: bie '2lnftd)t ber 9Jielobieen biefer Sieber ttnb ba£ burd) fte ju ertennenbe SSerbdltniß beS
einer jeben angebörigen alten, wcltlid)en, Siebes? ju bem ihr angepaßten neuen, geifllicben, lagt and)
einfcben, wie ttjre ©tropbe, unb jumabl bei biefem legten, ftd) habe entwitfeln formen; tal)er roir
t& bei bei oben gegebenen allgemeinen 'tfnbeutung bewenben laffen. Srflärlid) wirb e3 jebod) femi,
baß tf)cilö bie Unbef)ülflid)fcit ber Strohe unfereS SürfenltebeS, tbeilS fein an 3eitumfiänbe gefnüpfter
3ni)alt it)tn aud) nur eine furje Sauer fiebern fonnten. £aju tommt, baß eine Entlehnung foleber
äxt, rote fie hier erfebeint, — ba§ unmittelbare ^)inübernel)men nicht ber ©tngweife allein, (onbern
auch bes? SonfatjeS, alfo eines febon fertigen, ja, berg eftalt abgefdbloffenen ÄunftwerfeS,
baß bie lebenbige, in tieferem ©inne entfaltenbe Äun|t bcS geiftlid)en Sonfe^ers auögcfd)lof;
fen bleiben muß, — un3 nunmehr an bie ©renje ber Cnnwirtung beö weltlichen ©efangcö auf ben
geiftlidien führt, bie aud) in ber Zfyat in bem bisherigen (Sinne um bie SQlitte be3 17ten Sahrhunbertei
aufbort. üBie fte bi§ bahin ftd) gehaltet t)abe, ließen roir bisher nur in allgemeinen <3ügen an un3
oorübergeben ; ein lebenbigereS 33ilb berfelben roirb unS ber 33erid)t über ©änger unb ©efcer ber 6horal=
»etfen bee> erften 3abrbunbert$ ber Äirch,env>erbefferung gewähren. SSon einem unmittelbaren @in =
fluffe be§ §3olfs3gefange3 auf ben geiftlicben rann jebod) um bie SJiittc bcS 17ten 3al)vh,unbertä fo
roenig mehr bie Siebe fetm, als bat>on, baß jener für biefen nod) eine £luetle gewefen. 9luv ju SSKabrigalen
nahm man f)in unb roieber nod) feine Suflttcbt; unb fo ftnbe benn hier nod) bie Sbatfacbe ihren $Ha£, baß
Jpeinridi Ulbert, £rganif1 ju Äbnig»berg in Greußen (sJlro. 7 beS IVten Zb,e\h$ feiner geiftlid)eu "Mrien),
ein t?on i()m gebtd)tete$ Sieb „von ber gnabenreid)en 9JZenfcbwerbimg unfereS £erm ßbvifji", ba§ jufolge
bes JlbnigSberger ©efangbucbeö von 1788*) mel)r als? bunbert 3«&W nachher bort nod) in ©ebraud) war,
bem uiweranberten Sonfaf^e einee> 9ERabrigal§ t>on Autoine Boesset**) angeeignet hat. £)aS urfprünglicbe,
ba§ angeeignete Sieb, ftehe, ein jebcS in feiner erfien ©tropbe, hier jur a$ergleid)ung :
Du plus doux de ses Iräits Amour blesse mon coeur
Pour l'amour de Sylvie ;
Je l'aime sans desir, aussi jamais langueur
Nc vient troubler ma vie,
0 bienheureusc flanie,
Qui conservez l'amour, et la paix a mon ame !
Unfer «fpetl ift fommen
S3om hohen 4?immelStbron,
©Ott hat uns angenommen,
3n (5f)rtfto feinem ©ohn,
25a$ fleine Sefutein
SBtll für un3 SDienfdben leiben ;
£) ber gewünfehten greuben,
*) Äcrn alter unb neuer ßieber it. Äö'm'gSbcrg bei 9cog.aU. 1788. STCro. 35. p. 35.
) Huitiesine livre d'Airs ä quatre et cinq parties, par feu Mr. Boesset etc. Seconde editioo. A Paris
par Christophe Ballard etc. 1689. 351. 157.
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9tun wirb fein SEob nod) $Pein
SSon ©ott un§ fbnncn fcheiben!
3n bem ^weiten Steile ber dlteften Ausgabe be§ Jtühnauifchen ßhoralbucheS (Stro. 179) fteht
eine Vereinfachung ber ©runbmelobie beö SSoeffctfdjen Sonfa^eS, um biefelbe ju einer für fird)Iid)en
©ebrauch geeigneten ©ingweife ju bitben : fte ift jeboeb, in bie fpdteren Auflagen biefeS gefd)d£ten 2BerfeS
nid)t wieber übergegangen, weil ba§ Sieb in 33erlin aufjer ©ebrauch gefommen war. 9cotl)wenbig ohne
Zweifel war eine folche wereinfachenbe Umgeftaltung, ein gebrdngter 2tu§jug ber bewegenben, mclobifd)en
Jpauptgebanfen au3 bem mebrftimmtgen Songewebe, wenn baj> £ieb t>on ber ©emeine follte gefungen
werben fbnnen, ba feine (Strohe fonft in unferem ßb.oralgefange nicht »orfommt, eine Verweifung auf
eine anbere SKclobie alfo nicht thunlich war. ©o wirb benn ein ähnlicher 2üts>jug auch früfje fd)on für
.Königsberg beftanben haben, wie wir beren »on ©aftolbi'3 ,,Viver lieto voglio" mit SSejug auf bae> Sieb:
,,3efu woüft un3 weifen" in SBronnerS, unb fpäter in SSelemannS ßhoralbuche antreffen, £>ie SBeife be§
$ftabrigal§ ,,A lieta vita" fonnte, bei it>rer großen Einfachheit, faft ofmeSkräiiberung fchon übergeben auf bas>
Üieb: ,,!3n bir ift greube;" nur baf? man hier bei ©teilen, wo bie erfte ©timme t»on ber jweiten überftiegen
wirb, ft'cb an ba3 ©efjbrte, nicht an ba§ 2tufgejeicf)nete gehalten, alfo nicht bie9Kelobie ber erften
©timme unueränbert angenommen hat. gür bie Äunft be§ geiftlichen ©c£er§ jeboeb, ift feine biefer
brei Sftelobteen von SBebeutung gewefen.
Überfchauen wir nun, nachdem alle biefe einzelnen ^atfad)en, ihrer Seitfolge nach, an un$
vorübergegangen fmb, nod) einmaf)l bas> ©efammtbilb, ba§ fte uns> gewahren; fo ftnbcn wir, lange fchon
uor ber Äird)ent>erbefferung, ba§ ©treben allgemein verbreitet, beliebte SSolBweifen für längere, mef)rfiim=
mige lateinifche Ätrchengefänge aB ^fälligen ©d)mud unb SBüty, ober aud) als> bclebenbe ©runbgebanfen
an^uwenben. £)ie mit ber .ftirchenverbefferung hervorgegangene gorberung eines volf§tl)ümlichen, ben
'tfntbcil ber gefammten ©emeine verftattenben Äird)engefangeä, ftnbet an biefer althergebrachten ©itte einen
'tfnfnüpfungSpunft. GrineS ber dlteften evangetifchen jlirchenlieber entlehnt, wahrfcheinlid) um 1523 fd)on,
feine 9Jielobie von einer gemeinen 58olf6weife. 83on einer ^weiten ©ingweife, bie im folgenben 1524ften Safjre
iuerft einem anberen geiftlichen ßiebe angeeignet ift, als bem, welchem fte fpäter auöfchlteßenb gefeilt bleibt,
wäbrenb jeneS erfte fobann feine eigene erhalt, ift nicht minber vorauSjufefcen, baf? fte au§ bem SSolfSgefange
berftamme. £>ae> nddjfte 3af)r geigt unö in einer ©ammlung geiftlicher 2ieber urfunblid) bie S3crwenbung
breier Solföweifen für fird)lid)e ©efdnge. SBtr feiert un$ buret) biefe 5£t)atfad}cn veranlaßt, bem tonfünfh
lerifchen Steile beS S3olf3gefange3 näher ju treten. Eine bebeutenbe ©ammlung beutfdjer SSolfälieber
mit ihren SDRelobieen, eine anbere, bie une> belgifd) e unb franjbfifcb, e ©ingweifen, für ba3 in 9feimc
gebrachte ^3falmbuch »erwenbet, aufbewahrt hat, giebt un§ baju reichliche ©clegenheit. SBir ftnben, bafj
ber in ben beutfehen SSolfSliebern be§ lOten Schrhui^^ am haufigßen uorfommenbe ©trophen^u
auch ber für ben geiftlichen ©efang am meiften angewenbete gewefen, wenn aud) auSnahmöweife ein bort
feltener, burd) ben jeitgemäfjen, bie ©emüther tief anregenben 3nh<*lt be§ Sicbcä, ba§ in ihm ftd)
gcftaltete, eine überwiegenbe SSeliebtheit erhielt. SEBdhrenb um ben Anfang beö lCten S^r^UBiettfi bem
alten, lateinifchen Äirchcngefangc faft alle rlwthmifche 93tannid)fattigfeit mangelt, tritt fte in ber 33olf3weifc,
auf eigentümliche 23eifc au§gebilbet, unö entgegen; ber gerabe, ber ungerabe Saft alö burchgehenbe
©runbform ber SKelobie ; bas 9lebcncinanberftehen beiber gormen; ber rhpthmifche SBcchfel, ber olme baö
Waafi ju änbern, bennod) einen fpinmctrifd^en ©cgenfafj beiber gormen erjeugt; alleö biefcö ift hier in
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reid)er ^bmecbslung anzutreffen. 3>on ben melobifd)=barmonifd)en ©runbformen be§ alten &ird)engefanges
aber, ben Tonarten, in ihrer mefentlid) fünffadien ©cftaltung, entfernt ftd) bie beutfdje, rote belgifd)e
SJolfsrocifc 5 fte ftrebt nur, bie fyattt unb meid)c Sonart in ihrem ©cgcnfalje feftjubalten, ol)tte bie eine ober
anbere, toie bort gefcbabe, in mefentlid) gefonberter@igentbümlid)feit feiner ausprägen, unb alle biefe "tfusge^
Haltungen burcb innere Schiebungen mit einanber ju oerbinben. £)as nur erfd)eint all oolf stl)ümlicber
Untcrfcbteb jmifcben bcr beutfdicn unb belgifdwn 2Beife, baß jene oorjugsroeife bie harte, biefe bagegen bie
weiche Sonart »oäl)lt. ©0 jMt bie reichere, rl)t)tbmifd) e ©eftaltung bei größerer melobifd)=barmonifd)er
JBefduanfung, ft'cb uns bar als bejeid)nenbcs 9Rerfmal)l für bie SSotf smeife, roie bas umgerebrte S3er=
bältniß bie @igentbümlid)feit bes alten Äird)engefanges bcjcid)net; unb roenn mir beibe ^Crten bes ©efanges
erfannten all Quellen, all mefentlid) roirffame SSorbilber für unferen eoangelifcfyen (üboral, fo bürfen mir
bienaeb bereits fd)ließen auf fein 33erl)ältniß ju beiben, merben mir es auch mit ©td)erl)eit erjt bann ju
fallen vermögen, menn mir ©rfinber unb geifiretd)e @e£er neuer geiftlicber ©ingmeifen in bem erften
Jainbunbcrt ber £ircbenoerbefferung, unb il)re ©d)b»fungen merben Fennen gelernt haben. Zber je£t fd)on
fehen mir bie Solfsmeife auf manntebfaebe 2lrt, aus ben uerfebiebenfkn 9?ücfftchten, b^vangejogen für bie
SMlbung bes neuen geifilid)en ©efanges. 2öar ee> Anfangs bas 33ebürfniß oolfsmäßiger Sbne für bas
Sieb, mit bem bie gefammte ©emeine in unmittelbarer Sbeilnabme eintreten follte in bie Äircbe, ein ©efaUen
an bem 'tfnmutbigftcn, bas ber unbemußte Äunfltrieb l)en>orgebrad)t, unb ber SBunfcb es burd) ben ebelfkn
©ebraudi ju heiligen, was bie 2Babl ber SSolfsweifen für ben Äircbengefang veranlagte; fo mürbe fte balb
aud) baburd) herbeigeführt, baß neuerfunbenc ?Ocelobicen nid)t SBurjel faßten, ben gewünfd)ten Son nid)t
trafen, unb man biefen in bereits oolfsmäßigen SBeifen beffer angefcblagen meinte; balb mit 9?ed)t, balb
irrtbümlid), mic bie golge jumeift lebrte, menn ber rechte Cjrftnber bie Stimmen '2111er für ftd) oereinigte.
äud) fanben mir greunbe bes &ird)engcfanges unter ben ©eiftlicben, oon ben $äuotem ber neuen fird)lid)en
S5emegung als Snrgläubigc verrufen, bie, menn fte aud) biefe nicht mit gleid)em S3ormurfe ju belaftcn
magten, fie bod) fd)euten unb oermieben als oermeintlid)e ©torer einer freien, lebenbigen @laubensent=
midlung, unb fo für ihren gottesbienjtlid)en ©efang lieber bie SSolfsmeife in 2(nf»rud) nal)men, felbft nid)t
ohne einige S3ejiebung auf ben Inhalt ihres ßiebes, als bie SOfalobewen bes lutbertfd)en Äircbengefangcs,
beffen ßieber fte nicht ohne erbeblid)e Umgeftaltungcn aufnebmen mod)ten ; ein innerer unb äußerer Antrieb
;;u gleicher 3eit für bie 2Babl gemeiner 9JMobiecn. 9cun, im gortgange ber 3eit, jemel)r eine ftrenge, oon
bem SBeltlicben abgemenbete ©innesmeife fid) ausbilbete, moüte man biefem, als feeletmerberblicb, überall
unter d)riftlid) ©eftnnten nid)t mehr ©ingang geftatten; bie 2ieber, bie nur ©innenluft athmeten, fei es in
melcbcr Zxt es motle, follten nicht mel)r gebulbet, es follte mit aller .Kraft baf)in gearbeitet merben, baß fte
in Abgang Fommen mbd)ten. 9Kit ben unfd)ulbigen Sbnen, bie fte begleitet, mollte man es freilid) fo
ftrenge nicht nehmen; biefe bürften, als erlaubte @rgb|ung, als @rfrifd)ung für 'tfrbettmübe, bleiben, fofern
fte nur mürbigen unb beilfamen ülßorten gefeilt mürben. Um ber ©d)mad)en millen fbnnten ja biefe allen-
falls an bie früheren ber urforünglicben Sieber, mebr ober minber, erinnern, um biefe nur fo ft'cherer obllig
auszutreiben, menn man bes Unterfd)iebeS erjt recht inne gemorben fei jmifcben ber fleifd)lid)cn ©eftnnung
in jenen, ber geiftlicben in biefen, ber oerberblid)en §rüd)te ber einen, ber befeeligenben ber anbern. ©0
nel)men bie Umbid)tungen überbanb, unb mit ihnen ber2(nbrang einer ?0Jenge gemeiner SÖJelobieen,
obgleich man bei bem 2lnmad)fen bes 5ßorratl)es neuerfunbener, urforünglid) geiftlicber SBeifen it)rer nicht
eben bebarf. baburd) merben nun aud) bie Umbid)tungen mieber feltener; bie greunbe bes geiftlid)en
SBintttfelt, tcr t:ange(. G^oralgefang. 13
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tMcbergefangeS wenben ftdi lieber bem Urfprünglid>cn ju, bie 2ufl an ben alten weltlichen Biebern iji nach
unb nach abgcwelft, t^rc ©ingweifen »erklingen vor ben immer reifer h^orbringenben geiftlichen 25lelo=
biecn. (So glaubt man bcnn bcr (Erhaltung beffen nid)t mel)r 5U bebürfen, wa§ einem tiefer anfprechenben
SReuen bat weichen muffen, wie man ber S3efcitigung beffen nicht mehr bebarf , wa3 bie 3eit unb bie ver=
anberte ©entmutig ohnehin befeitigt hat. 5Bas> man bem SSolBgcfange mit (Erfolg, ju wahrer ^Bereicherung
be§ ÄirchcitgefangeS , bisher abgewonnen hat, ftcllt man jufammen mit bem, wa3 auf bem ©ebiete biefeö
legten urfprüngltd) geroad)fen ij!, jurocilen mit (Erinnerung an feinen Urfprung: nur feiten noch borgt man
auf bem weltlichen ©ebiete, unb bann jumeift nur, wa§ bie ©egenwart bort mit befonberS glüeflid) an=
gefd)lagcnem, in ben ©emüthern 'Mer anflingenbem £onc gefd)affen bat, unb nimmt c§, mehr ober minber
fruditbar, für bie jtird)e in 2(nfprud). Der geiftlid)e £icbcrgefang tfi: fetbftänbig geworben, unb aud) au§
inneren ©rünben beginnt, balb nach bem erften ^ahrhunberte ber Äirchenverbeffcrung für irm eine neue
sPeriobe.
©0 fbnnen wir benn fn'er unfern, ber Darftellung von bem (Einfluffe beö SSolBgefangeS auf ben
(Eboral gewibmeten '2lbfd)nitt befchliefjen. (EinjelneS, wa§ in ihm bloße, unbewäf)rte ^Behauptung fcheinen
mochte, wirb ft'dj ba begrünben, wo ©änger unb ©efcer be§ erften SahrlumbertS ber Ätrchcnverbefferung
un§ naher treten werben.
III. ältere, in ben eo a ng eli f d) en Äivdj engefang aufgenommene SKelobteen beut*
f et) e r , geift lieber ßteber.
Daß oer eoangelifcfye Äirchengefang, eben al§ ©efang, an SSorjeit unb ©egenwart angeknüpft
babe, an firdilicfye wie uolfSmäßige ©ingweifen, an ba§ #ltefte, au§ ber fBotyit .^erübertönenbe, wie an
ba§grifd)ejte, neben il)tn auf bem ©ebiete berSonfunft neu £ervortaud)enbe, haben wir in ben legten beiben
tfbfchnitten ju jeigen gefucht. Allein er nahm nicht ein neue§, vor ihm nod) nicht angebaute^ ©ebiet in
SBefüj; benn vor ber Äirchenverbefferung fd)on gab e§ beutfehen geiftlid;en ©efang, wie wir nad) ben neueren
^orfebungen nid)t länger bezweifeln bürfen. SSSte biefer allgcmad) ftd) gebilbet l)abe, wa§ an beutfd)en
geiftlid)cn Siebern unb jumaf)l ©ingweifen bt§ ju ben Anfangen ber Äird)env;erbeffcrung unb be§ auf fte
gegrünbeten ©cmeinegcfangeS, auö il)m hervorgegangen fei, haben wir inbeß hier nid)t ju befd)reiben. 9?ur
ba§ bebarf einer (Erwähnung, ober, nad) feiner größeren 2Bid)tigfcit, aud) einer näheren ^Betrachtung, waS
ftd) »on jenen älteren ©ingweifen, vorübergehenb ober bauernb, einbürgerte in bie evangelifche Äird)e, unb
auf baö in i£>r ftd) neu ©ejlaltenbe größeren ober minberen (Einfluß gewann,
k Sie »orübergeb,enbe, bie bauernbe (Einbürgerung giebt unö f;ienad) einen ©runb ber (Eintheilung
unfereS ©toffeö , unb einen gaben für unfere Darftellung. "Kn ben ©egenjtänbcn bcrfelben, ben älteren
tird)lid)en ©ingweifen, bei benen bie eine ober anbere %xt be3 tjeimtfd) 2Berben§ unter ben (Et>angeltfd)en fiatt
fanb, werben wir fowof)t SEonart al§ rl)t)tl)mifd)cn S5au näl)er ju prüfen, unb barin ju erforfd)en haben,
ob aud) fte ber jwtefad)en einwirfung be§ altfird)lid)en unb be§ S5olBgefange§ unterlagen. S03ir beginnen
mit ^Betrachtung ber nur für eine 3eit lang ergriffenen (Srjeugniffe jeneö älteren beutfd)cn Äird)engefangeä.
Der ältefte ©efang biefer 'tfrt, ber aber auch ?urie 3«t nur eine örtliche ©eltung gewann, unb
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fpäter aus ber evangelifcben JSircbe ganj tmfcbmanb, ift jenes 5rübling3= unb rfterliet bes um 1382 dcc=
ftorbenen Pfarrers pi Stcinfircb am ductf?, ßonrabs »on Steinfurth :
Su Senje gut, bes Jahres tbeur'jte Cuarte,
ober, roie feine erfte Strophe in Sialentin Frillers Umbicbtung beginnt :
25er ßenj ift uns be§ 3ares erfte quartir,
Gr ift auch mancher Bußen »oll ic.
Sie, jenem Siebe ebne 3meifcl gleichzeitige, alfo bem 14ten 3abrbunberte angehorige 9JJelobie
ftnben mir am frübeften in Frillers, eines Sd)lcfters, geiftlid)em Singebud)e (1555); ein halbes
bunbert fpdter ifi es mieberum ein Scblefier, Samuel 83rcsler, 9?eftor ber Schule jum heiligen ©eift unb
an S. 93ernbarbin ,u ^Breslau, ber fte uns mit ihrem Siebe (1618; in feiner jtircben= unb .fraus SRuftca
in oierftimmigem Sa£e giebt unb fie uieUeicbt aus Sritler gefd)bpft haben mag. ßnblicb, nach ein unb
breif3ig 3abren, erfcheint fte, bemSSefentlichen nach übereinftimmenb, in ©regor ßorners geiftlicher Nachtigall
fSSien 1049;, alfo in einem fatbolifd)en Sieberbuche, »on bem nicht »orausjufcfcen ifi, baß es au§ jenen
früheren fd)bpfte; fte ift alfo geroiß unocrfdlfcht auf uns gefommen. Sie beroegt ftd) in bem Umfange ber
urfprünglichen pbrpgifchen Sonart, unter ben fte nur um eine große Serj binabfd)rettet, unb bamit febon
melobifch einen Qlnflang bes Sonifcben gemährt. Nach; Frillers 'tfufjeidmung ftellt fie feine rf)ptbmifcbe
SOtannichfalttgfeit bar, fte fd)ließt ftd) nur genau bem Sftaaße ihres Siebes an. Friller hat fte nad) feiner
SSeife treijtimmig ausgefeilt, für jroei Senore unb einen 33aß, unb fie jroifd)en ber hbchften unb tiefften
Stimme in bie 2EJiitte gelegt; von ihrem mittleren unb ihrem legten Sd)lußfaü, meldte beibe burd) bie
rletne £berfecunte bes ©runbtoncs mieber jurüdfebreiten in tiefen, hat er ben erften in feinem £onfa£e
äolifcb, unb erft ben jroeiten phrpgifd) gefaßt, betrachten mir ben rhptbmifchen S3au bes SiebeS, fo fehen
mir je jroei unb jroei fiebenjeilige Strophen auf einanber folgen, jebe in jroei ©efä|e getheilt, ju oier unb
ju brei Seilen, in beren erflen eine eilf= unb eine acbtfplbige iambifebe 3eile jroeimahl mit einanber mechfeln,
in bem jroeiten eine acbtfplbige 3eile auf jroei neunfplbige folgt. Siefer Soppelfiropbe fcbließt, als üb-
unb Scblußfafc, eine tretjeilige Strophe acfytfplbiger 3eilen fich an. Sie auf folebe SEßeife geglieberte grb=
ßere Strophe, bie jene brei befd)riebenen Reineren in fich begreift, unb von ber mir in bem oorangebenben
tfbfcbnitte ein ffieifpiel gaben, ifi bienacb eine ftebjebnjeitige , bie menn auch an ftd) nicht ohne Einmuth, für
einen uolfsmäßigen geiftlicben ©efang bod) ju fünftlid), unb nid)t troUfommen faßlid) erfcheint. Saher
ift es ju bezweifeln, baß unfere Singmeife fd)on lange vor Friller im Sftunbe bes Golfes gemefen,
roie biefer fte benn aud) nid)t, roas er fonft roobl ju thun pflegt, eine alte gewöhnliche nennt; unter ben
©efangesfunbigen mag fte freilich geraume Seit früher feben fortgelebt haben. Allein in bem eoangelifeben
Äirchengefange hat fte mobl Eatan anbers als inScbleften, unb auch ba nur örtlich, eine Speimatt) gefunben;
bas juoor genannte S5uch oon Samuel 33resler ift meines SBiffens bas einjige, in metd)em fte nach Friller
mieber erfcheint. 3hr fpateres 23orfommen in einem, nicht unmiebtigen, farboltfdjen ©efangbuche, mit
einer, ihr urfprüngliches2icb burch fprachliche Umgcftaltung bem S>erftanbniffe näher bringen Überarbeitung
ift für unferen 3mccf nicht »on S3ebcutung. Selbft ^rätorius, fo fleißig er Frillers Singebucb ausbeutete,
baö er aud) an ben betreffenben £rten als feine £lueUe nennt, hat »erfchmäht fte aufzunehmen. Set e§
nun ber '2Inftoß, ben ftreng lutherifch ©eftnnte an Frillers, bes Sdwenffelbers, Umbichtung nehmen fonn=
ten, ber ihn taju oeranlaßte, unb Unfenntniß ber urfprünglichen ©eftalt bes? Siebes ; fei es bie in ber £bat
große Ungefchirftbeit ber erften Strophe jener Umgeftaltung , ober auch bie Schmierigfeit einer neuen Sidv
13*
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tung nad) bem vorgegebenen, nid)t gangbaren SQlaafie; genug, balb nad) ben erflen Sauren be3 jmetten
ga^r^unbertS' ber ,£trd)cimcrbefferung ift unfere SDielobie fn bem et>angelifd)en getfilid)cn ©efange ntd)tmeb,r
ju ftnbcn, unb »tt roiffen nid)t ju fagen, ob fte in bem fatl)olifd)en nad) @orner eine ©teile mieber eim
genommen Ijat-
Die übrigen ©ingmeifen, von benen mir noch, ju bertd)ten b,aben, ftnb fammtlid) fold)e, beren
lieber urfprünglid) bem greife ber ^eiligen Jungfrau bienten, unb entmeber in Umbid)tungen Eingang fan=
ben in ben Äirdjengefang ber ^rotefranten, ober ganjlid) befeitigt, 'ü)m nur tf)rc 9ftelobieen Ergaben.
3u biefen legten gebort ba§ Sieb :
Die ©fcfyrift, bie giebt un£ SEBeif unb 2ef>r*).
Über fein 2£lter, ba£ von 33 erfd)i ebenen abmctcfyenb angegeben mirb — jmifd)cn 1420 unb 1500 — roiffen
mir nur mit 33eftimmtl)eit, bafj eS jebenfatB über bie Sfeformation l)inau3reicf)te. (§3 begann (nad) 9fie=
berer) folgenbermaafjen :
£>te gfcfyrift bie gibt un§ roetS unb (er,
2Bie basü 93Zariapfalter roer,
Savon votl id) eud) fingen.
©ottlicfye 2Bct3l)eit ruf id) an,
SJZaria ydoII un§ beigejtan,
fo mag uns> nit mißlingen.
SSKaria f)at ir auSgeroett
bie iren »fairer beten
()at§ in ir brüberfd)aft gejelt,
©egn got rotl ft'eS »ertreten,
e§ feien frauen ober man,
roer fte bamit tut rufen an
bem roil fte treulid) beigeftan.
3n ©regorius> ßornerö geiftlicfyer 9?ad)tigall (p. 335) mirb es? mitgeteilt unter ber 2Cuffd?rtft :
©irt S5ud)§baum§ altes? 9Jfaifter=©fang »on Unfer lieben grauen Sfofcnfranf} in etroa§ gebeffert.
£ier mirb junäctjft be§ $falter§ gebadet, mie £>a»ib il;n gefcfyrieben, ©Ott ju 8ob unb &)x, in fyunbert
unb funfjig ^falmen: mie er fcfyöne £cl)ren, mannigfaltige ©efyeimniffe in ftd) begreife, bal)er il)n benn auch,
bie ©eijtlid)en in ber £ird)e unb bem ßfyore fort unb fort beteten, ©Ott jum SBoblgefallcn. 9hm l)abe aber
aud) ber fjeilige £)ominicu3 einen ^fairer erfunben, beftefjenb aus? Imnbert unb fünfzig Siofen, »on ©abriel
in bret üränjen für SDiarta gef!od)tcn, unb tfyr »om Gimmel gebracht. £)cr erfte biefer Äränje fei ber
roeifje, freubenreicfye : ber anbere, ber rotfye, fd)mer$lid)e : ber britte, ber golbfarbene, glormürbige. 2(ue> fünf
greuben 9Jlaria'§ befiele ber erfie: au3 ber SSerfünbigung unb £ctmfud)ung, aus3 ber ©eburt, ber £)ar=
fleüung, ber ginbung ßfyrifri im £em»el; aus» fünf ©cfymerjen ber anbere: bem blutigen ©cfyrocifc, ber
©eiffelung, ber Sornenfrone, ber Äreujtragung, ber Äreujigung ; au§ fünf ©lorien enblid) ber lefcte : ber
"^uferflef)urtg, £immelfal)rt , ber tfuSgiefjung bes> ^eiligen ©eifteS, ber 2fufnaf)me 2Dkria'3 in ben £immel,
ber 'tfnfunft jum ©erid)t; jebe einzelne biefer SBonnen, biefer S5etrübniffe, biefer (Sljren begreife fünf 2Jarer=
•) SBergl. £ofmann. St. 177. 178; aud) 2Cnm. 185.
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unfer in [ich unb eben fo viel Grngelgrüfie , wie biefeS betm in jwei unb jwanjig brcijebnjeiligen ©efä^en
weiter auSgefpenncn wirb. @6 leuchtet ein, bafj an biefe Vorftellungcn, bie ebne 3wcifel auch, in bem ur=
fprüngltcben, nur in et wa$ von bem fpäteren Herausgeber gebefferten Siebe obwalteten, umbid)tcnb, cm-
jufnüpfen, ben eoangelifeben bei if)rer ©eijleSricbtung unmbglid) fiel. £>cnnoch mochte, bei ber um ben
Anfang beS 16ten3abrbunbert§ fo roeit verbreiteten Verehrung ber heiligen Jungfrau, über bie, — wie©letch=
jeitige, balb ernft, balb bitter unb fpbttifch fragen, — man be» £eilanbe3 faft ganj vergeffen hatte, biefer
9ftaricnpfalter fo vielen Eingang gefunben fyabcn, baf? man, örtlich, wenigftcnS, für nothwenbig hielt, feiner
Singweife ein neue§ geijtlicbes? Sieb unterzulegen, um bie an bicfelbe ©ewbbnten babureb von bem Inhalte
be3 urfprüngtieben ©efange» abjufebren. Senn, obgleich au3 bem 9Jieiftergefange ftammcnb, ijatte bie
SDtclotic — eben vielleicht, weil bem SDiarienpfalter angehbrenb — einige Beliebtheit gewonnen. 3n einem
alten £rucfe biefes? |>faIterS (Hugspurg burch 93iattbcum granfen; foü bcrfclbe in ,,£erfeog GrrnfB wenfj"
gelungen werben 5 in einem anbern vom Sabre 1520 wirb auf ,,$erjog ©ruften £bon" verwiefen bei einem
gefebichtlichen S3olf5liebe :,, von ber Vertreibung ber Sübcn ju 9fotenburg an ber Sharober, unb von jrer
Swnagog*)." 9Bir finben auch wohl ,,bie glammweiS, in ber man H»erjog Crrnften fingt," genannt,
alfo eine auö bem 9JIeiftergefange ftammenbe 9)celobie: auf biefe verweift ein flicgenbeS SSlatt be3 löten
3abrbunbert§, ba£ ein Sieb von gleid)cr Strophe enthalt. 3roeifelbaft ronnte e§ hienad) fcheinen, ob bie
SKelobic bes 93carienvfalter§ roeltlid)cn, ob geiftlichen UrfprungS fei? £och möchte bas? leiste glaublicher,
ibr anfänglicher 9iame eben ber hier jule^t genannte ber „glammweis?" fenn, bie S3ejiebung auf $erjog
Grnft aber eine fpätere, abgeleitete, ©enug, wabrfcheinlid) um ber, minbeften» in Scblefien wohl, obmal=
tenben ©unft biefer Singweife in foweit ju wehren, baf fie nicht von ber evangelifchen ©eijtegricbtung ab
$u ber SRarienverebrung jurüd führe , fanb Valentin Sriller fieb bewogen, ihr ein neueö Sieb unterjulcgcn,
vom reichen 93Ianne unb armen SajaruS; eine 'tfufforberung auf bae> SBort ©otteS allein ju hören, unb ber
©naben^eit wahrzunehmen, ehe e§ ju fpät fei. SDftt biefem Siebe — baö fpäter mancherlei Umarbeitungen,
tbeilS mit 'tfbfürjung feines? urfprünglicbcn SDiaafjee», theil» unter Sßabl eines? ganj neuen, erfuhr — ift nun
bie alte Singweife übergegangen bis ju 9)rätoriu$ , ber fie geftänblich aus? SrillerS Singebuche feböpfte ;
•fie war alfo um ba£ erfte S3iertl)eil bes? Uten 3ahrhunberts> noch ün ©ebrauche. Seitbem aber ift fie, weil
ibr urfprünglicbcs» Sieb verfchollen fc»n mochte, unb ihre Unbehülflichfeit nun erft jur 2Tnfchauung fam, au§
bem Äirchengefange verfchwunben. Mein ihr fpätereS Sieb , wie febon gefagt worben, bat ftd? erhalten :
in S3artbol. ©efiuS vier- unb fünfftimmig gefegten geiftlichen beutfehen Siebern (granffurt a. £). 1601. 331.
CVIH) erfcheint e3 abgeturjt, jeboch mit übereinfiimmenbem Anfange faft aller feiner Strophen, ftebenjeilig,
unb mit einer 93ielobie, bie nod) tfnflängc minbeftenS an bie urfprüngliche jeigt; fpäterbtn bei bemfelben
Sonfeljer ftfnber neu Opus geiftlicher beutfeher Sieber ic. 1605. 331. XCV1II) noch rnehr jufammengebrängt
in eine vierteilige Strophe, unb mit einer ganj neuen Singweife. 2Bie man nun hier bas> neue 33efi|thum
•,u bewahren trachtete, inbem man ba§ ererbte aufgab , fo liegt e§ nicht aufjer aller 2Baf)rfd>etnItd)feit, ba£
©regor ßorner fpdterhin burd) feine, in etwaä vorgenommene 33 efferu n g beä alten 9Karienpfalter3,
bem, ,um ÄatholiciSmu§ jurüefgebrachten Steile Schlefienä unb Dfterreichä , jene "Krt ber '^nbad)t wie=
berum angenehm unb eingänglich machen fuchte. — 2öaä bie Singweife betrifft, fo ift fie äolifcher 5£on=
art, unb weicht in ba§ Sorifche au§, fo wie in bag verfemte Sonifche. Friller giebt fie nur einftimmig, in
") ©oltau : ljunbert tjifiorif^e SBolfSlieber. 5lro. Vi. pag. 246 — 250.
102
^rätoriuS merftimmiger 33epanblung erhalt fte einen borifcben£onfd)luf3, inbem jener SEfleijier iprem ©cblufj;
tone feine Unterquinte unterlegt, obgleich er unmittelbar jutwr burd) 2tnwenbung ber fleinen ©ecunbe beS
©runbtoneS in ber Untcrflimme bie Gnwartung cincS pbrpgifcben '#u§gangee> erregt tjatte- ©eftuS SÖMobie
bagegen, ju ber crften 2fbfürjung beS 2iebe§, crfcheint in ber oerfefcten pbrpgifcben SEonart.
3wei anbere Sökrienlicber waren el)er fcbon, als ber eben betrachtete spfalter, ju Umbicbtungen
geeignet: wir ftnben ftc unter ben frübcjlen, auf biefem SBege bcm neuen beutfcben Äird^engefangc angeeig=
neten, alten Siebern. Sbrer gorm nad) erfcbeinen beibe auS bem SOieiflergefange ftammenb, nur bajj jenes
runjtlicbe Sfeimgeflingel , baS in bemfelben beimifd) ift, in bem einen mehr hervortritt als in bem anberen.
£>aS erfte, einfachere, lautet in feinem erflen ©efä^e :
Sieb frau »on bimmel ruf ich an *)
in tiefen großen nbten mein ;
©en got icb mich wrfcbulbet ban,
fprieb bafj id) fei ber biener bem;
SSon beinern finb SDiaria wenb
fein jorn uon mir;
tröjilicb jufludit bab id) ju bir,
hilf halb, icb fürd)t ber tob fom febir.
SiefeS ift in bem 83reSlauer ©efangbud) e ton 1525 folgenbermaafjen „üerenbert, unb ßbriftlicp corrigpret:"
ßbriftum t>om hpmel ruff id) an
in biefen grofen nbten mepn,
3n gefefc icb mich oerfepulbet pan
ju lepben ewig helle pepn,
Mm bepnn »arter o ßprifte fer
fepn jorn t>on mpr,
mein juflucbt ift allepn ju bpr
bplff ehe bj id; oerjvoepffel feppr.
3n ganj ähnlicher 'ilxt ftnben wir biefeS alte SJZeifterlieb umgebilbet in bem fogenannten britten
SEBittenbcrgifcben ©efangbud)e »cm bemfelben 3ahre/ unb in t>en 1525 unb 1527 ju Dürnberg erfd)iencnen
©efangbücbcrn unter bem Sitcl, Grndüribion geiftltcber ©efdnge. ©eine ©trotte ift einfacher als bie ber
ßieber auS ähnlicher Sluelle fonft ju fepn pflegen; iambifcb, achtteilig, unb in ihren Seilen bis auf bie feebfte,
vierfplbige, burchhin ad)tfplbig; bod) läßt wegen beS ÜJKittelreimS bie fünfte Seile ebenfalls eine Sbeilung
ju in jroei »ierfplbige. 3n biefer Tfrt hat bie m i r o l p b i f cb e SSeife unfercS SiebeS ,. bie wir juerft in £ril=
lerS ©ingebuche in breiftimmigem, unb fpäter bei ^rätoriuS (Mus. Sion. VII. 1609. 9tro. 226) in wer«
ftimmigem Sonfafce ftnben, baS 9Jiaafj beffelben aufgefaßt, bem ftc, wenige 'tfnbeutungen felbfidnbiger
rhptbmifcher 2luSbilbung ungcred)nct, fid) treu anfd)licfit. ©onft laffen alle Umbid)tungcn beS iHebeS einen
Entlang an feine urfprungltd)e ©eftalt nid)t ganj ucrfd)wittben , unb auch W ber SriUerfcben nod) tönt er
pinburd), bie eS ju einer Umfchreibung beS De profundis, beS 129ften ^falmS ber SSulgata, gemacht f)at,
mit ber wir in ^rätoriuS ©ionifeben Stufen eS jum legten 9Hale antreffen. £>af? biefe leiste Umbilbung unb
') <B. bie «Olelobie in aXi^atl *prätoriu6 3;onfa^c, SScifpict 88.
103
mit ihr auch bie urfprünglicbe SBetfe be3 alten 2iebe§ fo fcbneU roieber oerfchmanb, rührte mof)l baffer, bafj
febon um SSteteS früher — in ben acht, um 1524 erfeftienenen geiftlid)cn Biebern — eine Umfdbreibung beö
I29ften fber lutberifcbenSBibclüberfclmng 130ften)$Pfalm8 vovhanbcn mar, bic meber an eine gegebene menü
ger bekannte ©ingmeife anjufnüpfen , nod) jmifd)en jenem sJ)faime unb bem baoon unabhängigen 9Jiarien=
liebe, uon bem fte boeb 'Uni länge bemalen mollte, mühfam fid) l)inburd)juminben brauchte, baber auch ben
biblifeben SXon »ottaf, urfprüngtid)er, fräftiger, anfcblagen tonnte. 2öir meinen ba$ ^falmtieb: „2(u3
tiefer 9cotb fdjret ich ju bir," ba3 einem bamatt fein- beliebten $Slaa$e (bem be§ iHebeS: „d§ ift ba3 ^>eil
un§ fommen her") angehört, unb beffen jroei ©ingmetfen, eine »l;ri)gifcbe, mit ber e§ juerft, eine ionifdje,
mit ber e3 fpäter auftritt, neben einanber ftd) erhielten, unb bie meniger eindringliche be3 95ieifterliebc§ nicht
neben ft'cb auffommen ließen.
©an$ ähnlich, »erhält e§ ftd) mit bem jmeiten, au§ bem SQieiftergefange ftammenben, unb baö
®eptage beffelben beutlicher noch, al§ ba§ worhergebenbe, tragenben 33ittliebe an bie heilige Jungfrau :
SJiaria jart, von ebler art*)
@in' ro3 ohne boren,
T>u baft mit macht berwieber bracht
£>a3 vor lang mar verloren
£urcb "tfbamS fal, bir hat bie mal
fent ©abriet verfproeben.
hilf bafi nit merb gerochen
mein fünb unb fchutt, ermirb mir bult!
bann fein troft ift, mo bu nid)t bift,
barmberjtgfeit ermerben.
am legten enb ich hit, nit menb
von mir in meinem fterben.
'2tlle5, mas in biefem Siebe von Wlaxia gefagt mirb, menbet bie „d)riftlid)e S3eränberung" beffelben in bem
SSreSlauer ©efangbudje be§ SabreS 1525 mit leichter 9Jiübe auf ßbriftum an, fo baf, biefe umgemanbelte
SBejiebung aufgenommen, bie SSBorte faft biefelben geblieben ft'nb. 2Cuf ähnliche SBeife umgeftaltet, treffen
mir e§ in ben Nürnberger (5nd)iribien »on 1525 unb 1527, unb eben fo in bem SKagbeburger ©efangbuebe
in nieberbeutfeher SKunbart (1543), ba§ auch oa§ eben juvor betrachtete Sieb in feiner Umbilbung aufge=
nommen hat. Die ©tropbe unfereS ßiebeS ift eine jmölfjeilige, iambifche : breimahl mecbfelt eine acbtfvlbige,
oorangebenbe 3ette, mit einer fotgenben ftcbenfylbigen ; nur einmabl, in ber ftebenten unb achten 3eile mirb
biefer SBechfel unterbrochen, inbem hier bie ftebenfnlbtge ber achtfwlbigen voranftebt ; boeb f ehrt er in ben
vier legten auf bie frühere lixt mieber. TOe acbtfnlbigen Seiten jeboch, alfo bie erfte, britte, fünfte, achte,
neunte unb elfte, taffen, be3 9JZittelreim3 megen, eine Sbeilung in jmei vierteilige ju, moburch eine acb>
jehnjettige ©tropbe entfiebt. 3n ber SJMobie, melche un§ ^rätoriuS aufbehalten hat (M. S. VEU. 191),
erfcheint auch eine bergteichen Sheitung nach ben vier erften 3eilen, von ber fünften ab ; fte bilbet bemnacb
bie Strophe $u einer fechjehnjeiligen, beren SKaafj e fte genau, ohne felbftänbige rbvthmifche ©lieberung,
ftd) anfchliefjt. ©ie bemegt fid) innerhalb beö UmfangeS ber verfemten pbrngtfcben Sonart, bie auch burd)
•) <&. SScifpiel 89.
104
^rdtoriuS barmonifcbe ©cbanblung als fold)e hervortritt. £>aS Sieb, mit bem tiefer SJleifier unfere ©ing^
weife einführt, ift nict)t ferner eine Umbid)tung beä urfprünglichen, fonbem ein ©terbeltcb :
"Ud) £erre ©ort »om 4?immelreid)
SQSie furj ift unfer geben !
2>r bitter' £ob unS aüjugleich
mit ©d)mcrjen fyat umgeben,
in meinem ber £err als unfer SEroft, unfer gelS, unfere 3u»erftd)t in ber SobeSftunbe bargefteltt wirb.
2fUein bei fo »iel befferen Siebern üon gleicher SSeftimmung, mit benen bis jum Anfange beS 17ten Sabrbum
bertS ber eoangelifcbe Äircbengefang ft'd> bereichert fanb; bei fo t>tel frdftigcren Siebern jumßobe beS (SrlbferS
als bamalS fd)on uorbanben waren, unb in immer reiferer güüe entftanben, ift aud) biefeS Sieb, roie bie
dltefle Umbilbung beS urfprünglicben, fd)on feit $)rdtoriuS aus? ben geifttid)en Sieberbüd)ern üerfebwunben,
unb mit ibm bie alte ©ingweife; Sieberbücher beS 16ten SahrhunbertS »erweifen noch juweilen auf biefe,
aud) hat (EraSmuS 'tflber fein Sieb auf baS geft SKariä SSerfünbigung : „(Sin (Engel fdwn von ©otteS
Sfjron ic." auf fte gebietet, ©o fernen wir benn an ben brei eben betrachteten 33eifpielen, mit wie
wenigem ©lüefe es bem SEReifiergefange, unb ben »on tf)m gefd}affenen formen gelingen wollte, in ben
neuen .Kircbengefang ftd) einzubürgern, wie wir eS aud) juoor fd)on an ber Umbilbung beSStebeS: ,,#d)
bilf mit Seit»' unb feljnlid) Älag" wahrnahmen, ©ben weil biefer neue geijtlidbe ©efang ein uolfSmäß iger
mar, oerfd)mdf)te er jene getunftelten 9feimereicn, aus benen feiten einmal ein tieferer, baS ©emütb, bewe=
genber tfnflang l)ert>ortonen fonnte, weil bie won außen l)er aufgebrungene, in ftrenger ©d)ulgered)tigfeit
aufredet erhaltene gorm, jebe freiere (Entfaltung binberte. Seid)t erfebeinen gegen biefen 3mang bie S5ebin=
gungen, benen freilich aud) ber et>angelifd)e Ätrcbengefang zuweilen ftcb unterwarf, wenn er jum 33eifpiel
eine beftimmte ©tropbenzabl of>ne innere SSeranlaffung ftd) auferlegte, um in ihren 2(nfangSwortcn einen
in bem Siebe ausgelegten ©prud) ber heiligen ©d)rift, in ihren 2üifangSbud)ftaben einen geliebten ober
verehrten 9lamen barjuftellen. %nt lange, aber in ber £l)at entfernte nur, ftnb biefe an baS treiben unb
Silben jener ehrenfejlen zunftmdßigen ©dnger in ihren ©d)ulen ; fte ließen bod) bem Sichter bie SBabJ beS
©tropbenbaueS frei, unb haben höchflenS einmal;! ein Sieb ju unüerhältnißmdßiger ©reite auSgebehnt,
ober ben Anfangen feiner ©efeuje eine gezwungene, ungclenfe Dichtung gegeben.
©anj anberer %xt ift baS le^te SSKarienlieb, beffen wir noch ju gebenfen haben, eine fchbne, §arte,
anmuthige Sichtung, bie in fatholifchen ©efangbüd)ern fich lange noch erhalten hat/ wenn aud) twn
urfprunglichen brei ©tropben ju ermübenber Sange auSgefponnen. £>ft, unb aud) in einem ber eben befpro^
ebenen Sieber, ft'nben wir bie ^eilige Jungfrau einer SJofe üerglid)en; im tfnflangc wohl an bie beiben
erften 83erfe im zweiten ßapitel beS $obenliebeS, wo bie 33raut, baS ©innbilb ber Äird)e, als bie S3lume
ju ©aron, bie JRofe im Zfyal, bie 9fofe unter ben Sornen erfd)eint. Sante'S unfterblid)em ©ebid)te
heißt fie ,,bie Sfofe, in ber baS göttliche 2Bort gleifd) geworben," unb wie bem £>id)ter baS l)immlifd)e
9)arabieS unter bem SBilbe einer weißen Sfofe erfd)eint, fo laßt er in bem legten ©efange fetneS heiligen
SiebeS ben heiligen S5ernl)arb im ©ebete ju 9!Karia »on ihr rühmen: ,,3n beinern ©d)ooße entjünbete fich
bie Siebe, burd) beren ©lut in ewigem ^rieben biefe S3lume unS erblühte." 3n fold)em ©inne ift nun
aud) baS 2ßeihnachtSlieb gebiebtet, baS wir ganj hier mittheilen, unb baS bem löten Sahrbunkertc
angeboren bürfte:
105
ijt ein rof entfprungen*)
au§ einer rourjel jart,
alö un£ tie alten funken
auS Seffe fam bie ort,
unb t)at ein blümlein bracht,
mitten im falten minter
rool ju ber falben nad)t.
DaS röölein bas? ich meine
baoon SefataS fagt,
ift 9J2aria bie reine
bie un§ big blümlein bracht ;
auS gotteS eroigem rat
fyat fte ein finblein geboren
unb ift bliben ein' reine magt.
2Bir bitten bieb, v>on fyerjen
9Jiaria, rofe jart,
bureb biefeS blümleinS febmerjen,
bie e3 enwfunben bat,
robllft unS uerhilflid) fein,
ba§ wir jm mögen machen
ein roonung fjübfcb unb fein.
^ratoriuö, — fo t>iel roir roiffen, ber einjige unter eöangeltfcben SEonfe^ern, ber biefeS Sieb unb
feine ©ingroeife aufgenommen fyat, — giebt im fechten Steile feiner ©ionifcfyen SJiufen, roo 35eibe3
fiflro 53 ) aufgezeichnet ifl, nur jroei (Strophen, unb läfjt, mit leifer Umbilbung, bie jroeite fingen :
Das 9?ös>lein bas ich meine,
Da»on Sefaias fagt,
£at uns gebracht atleine
Wlark, bie reine SDlagb :
Sftacb ©otteS ero'gem 9?atb
4?at fte ein Äinb geboren
SBobl ju ber halben 9cacht.
Der 2tnflang an bie frühere SBeftimmung bes Siebes roar bamit aüerbings nid>t ganj entfernt,
aber ber ^reis bes ßrlbfers boeb, mehr in beffen Wüte geftellt: unb es bürfte roof)l, jumabj bei ber §aßltch=
feit unb Schönheit feiner ©ingroeife, roenn biefe auch, ju fefyr mit ifmr üerfdjmiljt, um auf ein anberes
©ebiebt anroenbbar ju fepn, ftd) langer erhalten haben, hätte nicht ber, balb nad) feinem @rfd)einen in
tiefer Umbilbung beginnenbe, erbitterte, brei§igjäl)rige Äampf bie Trennung jroifdjen ßoangelifeben unb
'] 6. SBcifpiel 90.
». aCint«tt"«lt, tn trangtl. Choral jtfang.
14
106
jtatf)olifd)en immer mehr erweitert, unb baburd) unter jenen ben SBiberwiÜen genarrt gegen SllleS, was
irgenb eine gdrbung nod) trug von bem, wa3 man als abgbttifd) tierwarf, ©o tfl benn r)ter SPrdtoriuS,
rote er ber erfte war, fo aud) ber le^te geblieben, ber unfer ßieb in ben et>angelifd)en Äircbengefang einführte.
£>ie SDtelobtc ift ionifd)er SEonart, unb üon bbd)fter Einfachheit: bie beiben erften ^oppeljeilen,
unb bie beiben ©d)tufjseilen bef ßiebef haben einerlei ©efang, ber alfo breimal)l wieberfebrt, unb ftct) fort-
bauernb in ber ©runbtonart bewegt ; nur bie fünfte Seile ftellt eine felbfidnbige Aufweichung in bie £>ber=
quinte bar. Unb bennod), biefer SBicbcrbolungen, biefef befd)rdnften itreifef von SKobulation ungeachtet,
atl;met baf ©anje eine unbefd)reibliche grifd)e unb Steinzeit, ja, 9?eicb,tt)um ber ßmpfmbung, burd) 9)rdto=
riuf treflid)en SEonfafc. £>ie golge oon vier harten ©reifldngen gleid) im ^Beginne, benen bann erft ein
weicher folgt, brüdt bie jartefte £eiterfeit auf, unb eine leife SSerdnberung nur in biefer golge uon 3ufam=
menfldngen bei ber legten SBicberfcfu' ber anfdnglid)en ©d£e ber SSJZelobie, — inbem nun ntd)t wie juoor,
ber £)retflang bef ©runbtonf, fonbern feiner Oberquinte juerft ertont, unb nad) einer golge »on fünf garten
Sreifldngen erft ein weicher gehört wirb, — giebt bem £>f;re, baf bie früheren Äldnge nun in anberen, unb
bod) gleich, einfad)cn ^Beziehungen uemimmt, bie ßmpftnbung erfreulicher SKannicbfaltigfeit. ©o führt
benn aud}, ber golge reiner £>reifldnge in ber erften beiber wieberfebrenber £)oppeljeilen gegenüber, bie
j weite eine Steide uon S5tnbungen ein, beren Jparmonie in ben ©chlufjeilen ebenfallf eine »erdnberte
2Benbung erl)dlt, unb erzeugt baburd) ben anmutl)igften SEBechfel.
Sieben biefen fünf, fd)on mit bem Anfange bef 17ten ^abjhunbertf auf bem eüangelifd)en Äir=
ebengefange cerfchollenen ©efdngen, haben roir aber boppelt fo üiele 5U nennen, bie nod) bif auf unfere
Sage in ifjm fjetmtfd) geblieben fmb. 2(16 ber unbe$weifelt attefte unter ilmen erfd)eint baf alte £)fterlieb :
6b,rijt ift erft an ben, üoraufgefekt, bafj feine ©ingweife mit ihm üon gleichem Alter ift. Aller 3Bal)r=
fd)einlid)feit nad) mar ef fd)on um bie SOWtte bef 12ten SabrhunbcrtS twrhanbcn, benn im ßaufe bef
folgenben, 13ten, ftnben mir ef alf ein woblbefanntef, ofterwabntef beutfd)cf Äird)enlieb. Aud) ift ein
oierftimmiger Sonfa^ beffelben unter ben frül)eften ©rjeugniffen bef SZotenbrutfef ju nennen. (5r ftnbet
ftd) in einem ©ingebud)e ohne Titelblatt, bie Bezeichnung ber einzelnen ©timmbüd)er alf £)if fant, "illt,
Tenor unb 33af? aufgenommen, bem julefjt nur bie SSemerfung beigefügt ift: „©etrudt ju 93ien^ burd)
^eter ©d)öffem, 83nb »ollenbt Am erften Sag bef SJierljen Anno 1513."*) 25er Tonfefcer ift nid)t
genannt, unb eben fo wenig iji ben ©ingjeid)en, bie Anfangszeile aufgenommen, ber Tert beö 2iebe§
untergelegt. X)ie ©ingmeife erfd)eint jundd)ji im Senor, fobann in ber £>berjtimme, beibe 9!Kal)le im
2Befentlid)en ber nod) je^t gebrdud)lid)en übereinftimmenb ; bod) fef>lt ber, ju bem ^alleluja in ber erften
£dlfte ber britten «Strophe, bei fonftiger ©leiebbeit be§ übrigen SElmleS ber SJielobie, geborenbe befonbere
©efang 5 roie e§ benn überhaupt fd)eint, alf l)dtten nad) bem l)ier oorliegenben Sonfa^e nur bie erften
beiben, einerlei SBeife l)abenben @tropl)en gefungen werben follen. Ob ßieb unb 9ftelobie in ba3 S3reflauer
©efangbud) oon 1525 aufgenommen gemefen? ift mit ©emipb,eit nid)t ju fagen, weil in bem baoon,
t>ielleid)t einjig, ioorb,anbenen Abbrucfe eben ber S3ogen fel)lt, wo S5eibee> erwartet werben burfte : bod) ift
eö nid)t wabrfdjeinltd), ba baf Nürnberger fo wenig al§ baf SBittenberger @nd)iribion von biefem %at)xe,
bie mit jenem jumeift gleichen 3nt>atteS fmb, unfer ßieb aufgenommen haben, fonbern nur feine Umarbei=
tung burd) Luther (unter JBenu^ung ber alten Ofterfequenj : Victimae paschali), beö Anfanget : ,,Qt)rift
•) ©. Bfffpir! 1.1.
107
lag in SobeSbanben." (Sben fo hat baS 2Balterfd)e ©efangbud) Don 1524 nur biefe Umbilbung,
mit ber Überfchrift: „dpn Sobgefang, (5f>rifl iji erjianben, gebeffert," in jmei merjiimmigen £on=
fallen, unb einem fünfjiimmigen. 2n Spt'mxiä) SinFenS gemifchtcr (Sammlung geijiticher unb weltlicher
©efdnge (153G) erfetjetnt baS alte Sieb wieber; bem Jtlugfcfyen ©efangbudK (1535) ijt eS gegen ba3 @nbe
neb(! noch üicr anbern als ein Anhang beigegeben (331. 97) /rjum Seugnijj etlicher frommer ß^riften, fo
vor uns gemeji ftnb, in ber großen ginjierniji ber falfdjen lere. 2(uf baS man ja fet)en möge, wie bennod)
allejeit Seute geroefen ftnb, bie @hriftum recht erFannt haben, boeb, munberlid) in bemfelben ©rFenntnif?
bureb ©otteS ©nabe erhalten." Sie 123 ©efdnge für bie gemeinen ©cfyulen enblid) (Wittenberg bei
©eorg Styaro. 1544) feilen eS mit in fieben, oier=, fünf* unb fechSjiimmigen SEonfdfjen, beren brei üon
"Ärnolb be 33rud, §tt?ei »on (Stephan 9Jcal)u, unb je einer uon Subwig Senfl unb Stomas ©toller ber=
rühren (iJlro. 20 bis 26). Unter biefen fmben mir eS auch, jmeimahl einer fremben Singweife angepaßt:
fo legt 'tfrnolb r». S5rucf (9lro. 23) eS einer Gelobte unter, bie Friller al§ „eine alte, gewöhnliche" bejeid)=
net, unb bie bei ihm einem anbern £)jtergefange :
(Srjianben ijt ber heilig' 6b,rijt,
2Me ©nab' jeljt mieberFomen iji,
Sie ganj burd) '2lbam mar üerlor'n,
fid) gefeilt ft'nbet : unb ein jweiteS 9JlabJ (9cro. 25) wenbet berfelbe SEonfe^er baju bie ionifdje Sßeife beS
SiebeS an :
©rjianben ijt ber £erre <5t>rift,
£>cr aller SBelt ein Srbjier iji 5
SSerfucbe oielleicbt, bem jireng-ernjien ©eprdge ber alten, borifdjen SUlelobie gegenüber, bem Siebe eine meb.r
fejtliche, ber £jierfreube jufagenbe gdrbung ju geben. SJierFwürbig vor allen jenen SEonfd^en aber iji ber,
ton Submig ©enfl herrührenbe, fed)3fiimmige*). 3n ihm ift bie alte SJielobie (bie f>ter in bem Umfange
bcS »erfe^ten £)ortfcben erfcheint) mit ber für baS Sieb
Cfrjianben iji ber heilig' @hrifi
entlehnten, gemolmlichen (bie fdwn juoor als bureb, 'Jlrnolb oor. 33rucf »ierjiimmig gefegt, ermahnt mürbe),
werbunben, unb beiben gefeilt fid) eine britte — bielleicht »on bem SJieijter neu erfunbene, ober nur,
feinem ßroede bei biefem SEonfa^e gemäß, »eränberte — in ber hin unb mieber bie borifdje SÜBeife beS
Siebes : ,,3eiu3 6b.rijtuS unfer £eilanb, ber ben 5Eob überwanb" anFlingt. Sie anberen brei Stimmen
ergangen bie Harmonie, inbem ft'e iijre ©änge .balb auS ber einen, balb ber anbern biefer Sonweifen
fd)bpfen.
Örtliche Abweichungen in ber alten SJcelobie unfereS SiebeS ftnben fid) wenige : ^rätoriuS t)at
hier, mie überall fonjt, bie il)tn befannten aufgejeidmet, bie aber ben ÄreiS ber QluSmeicb,ungen nid)t
verdnbern. @ine merfmürbige jebod) vermiffen mir bei ilnn, bie rs>al)rfcr)einlid) ber spreufjifcfycn Singart
angehört, weil mir fie in 3t>hmn @ccarbs> fünfftimmtgen Äirdjenliebern (ÄbnigSberg 1597) antreffen.
Sonft ndmlid) iji ber ©djlupfaü uor bem erji in bie ©runbtonart jurüdleitenben Äprie, melobifct) ange=
üben, ein pbrpgifcfyer, wenn aud) burd) bie Äonfe^cr jumeiji als ein äolifcf;er, anä) mob,l ionifcb,er, bärge-
ftcllt: f)ter menbet er fid), tongemäjjer, großartig heiterer, nad) ber mirolpbifdjen Sonart hin.
14*
108 —
Näcbft biefem Cfterliebe ift ba§ ^fmgftlieb
Nun bitten wir ben fettigen ©eift
für ben älteften unter ben bis auf urrö gebiehencn geiftlicben ©efängcn ber Soweit ju achten. Brubet
Bertbolb, ber berühmtere prebiger in ber SJZittc beS 13ten SahrbunbertS rühmt eS als einen guten unb
mißlichen gunb, feinen Dieter als einen weifen 2flann, unb forbert feine oornebmen 3ub°rer auf, eS oft,
mit ganzer Anbacbt, mit rechter 3nnigfeit be§ 4?erjen§ ju fingen. Shnfeblbar war auch bie Sftelobie
biefeö SiebcS mit ihm gleichzeitig ; mir ftnben e§ überall nur mit einer unb berfelben, unb bie örtlichen
Abweichungen, bie sJ)rdtoriu§ nach feiner SBcife mittbeilt, ftnb burcbbin nur geringfügige, bei münblicbet
Fortpflanzung einer Stngweife faum ju oermcibenbe. 3n bem SBalterfcbcn ©efangbucbe »on 1524 nimmt
ft'c bie erfte ©teile ein, auch in bem BreSlauer ©efangbucbe, bem Nürnberger unb SBittenberger Sncbiribion
DOn bemfclben %ibve jlebt baS Sieb allen anbern voran, ©er Tortfaf} ift ein fünffttmmiger, ben auch bie
fpätere Aufgabe 2Balters> oon 1551*) unueränbert aufgenommen unb noch 9)rätoriu$> (Mus. Sion. V.
Nro. 9) roieber mitgetbeilt bat; ber Tenor führt gegen ben Alt bie Sftelobie in einem ßanon in ber Unter =
quinte bureb, ben bie übrigen «Stimmen mit frei gewählten SBenbungen au§ berfelben begleiten. Der
einfache ©ang unferer, bem Son if eben angebbrenben Tonweife, bie babureb erleichterte, angenehme §üh=
rung ber Stimmen, geftaltet bas> ©anje ju einem heiteren ©efange, beffen 5U 9)rätoriue> 3eit beinahe
hunbertjährige Beliebtheit ftch bienacb leicht erflärt. Die 123 ©efange oom gatyte 1544 haben jwet anbere
oierftimmige Tonfälle unferer -DJictobie aufbewahrt (Nro. 31. 32) von SBolf ^)einj unb Baltbafar 9Jeftna=
rtuS/ beren naher ju gebenden bei bem Berichte über bie Tonfe^er geiftlicber Sieber innerhalb be§ erften
jahrbunberts» ber itirebenwerbefferung fich ©elegenheit ftnben wirb.
(Sin brttteS Sieb, bem Alter nach bas> ndchfte neben bem vorigen, ift ber alte 2öallfabrt§= unb
Bittgefang :
3n ©otteS Namen fahren wir,
beffen SÜBorte zwar oerfcbollen ftnb, ber aber in feiner, auf ba§ jlatecbtemuSlieb :
25te§ finb bie r) e i l ' g en jehn ©ebot'
übertragenen Gelobte noch "titer un3 fortlebt. Auf Steifen unb Pilgerfahrten, in ber Äreujwoche unb am
9Karcueitage gebräuchlich, feiner erften 3eile nach jwar fchon im 13ten, mit vier Strophen aber erft im
löten IJabrbunberte nachjuweifen, feines Alters unb häufigen ©ebraucbeS wegen weit »erbreitet um ben
Beginn ber jürebenoerbefferung, tonnte e3 nicht fehlen, baß feine bbchft einfache, bem ©ebächtniffe leicht
ftch einprägenbe, bei ihrem geringeren Tonumfänge auch ben Äräften ungeübter Sänger zugängliche Ton=
weife eine mit oon ben erften war, bie man in bem neuen jtirebengefange wieber beimifcb ju machen fuchte.
Sie nimmt in bem BreSlauer ©efangbucbe oom %at)tc 1525 bie zweite Stelle ein, mit ber Überfchrift:
golget jum anbern bie zehen ©ebot ©oteS auff ben Thon : 3n ©ott§ Namen faren wi;r,
wo bann baS befannte ,Äatecbt6mu$lieb SutberS folgt : eben biefeS flefjt im ©efangbuche SBalrerS (Nro. 18)
mit einem fünfftimmigen Tonfafce unferer Singweife, ber auch in bie fpätere Auggabe üon 1551 (Nro. 35)
übergegangen ift. £>iefe Auggabe enthält aber auf erbem noch hmi »ierjtimmige Bearbeitungen berfelben
ju bem lefjtgebacbten Siebe (Nro. 36. 37), unb zwei gleiche zu Umbicbtungen beö urfprünglicben (Nro. 66.
67), beren eine mit ihm übereinftimmenb beginnt, bie anbere ein (Sterbelieb barjtellt, mit ben Anfangsworten :
3n ©otteö Namen fcheiben wir.
') 3lxo. XXXIII.
109
(5ben fo ft'nbet ftd) t>ie SJielobie in ben Webern Jpeinrid) ginfenö (Dürnberg 1536). £ier tfi ihr
nicht allein baS b fegleid? neben bem <Sct>lüffet oorgejeidmet, fonbern fie bat auch, bet längeren ©tropbf/
ber fie ftd) anfdjlojj, jufolge, eine größere AuSbebnung erhalten, jeboeb nur bind) Sßteberbolung früher
febon oorgefommener melobifd>er SBenbungen. DaS Sieb lautet alfo :
3n ©otteS tarnen faren wir
feiner genaben begeren wir
ba$ b^f "nö bie gotteg traft
unb bag beilige ©rab
ba ©ott felber innen lag.
.Rprieleig, @f)rifjeleng, Äorieleig.
Dag belff ong ber heilig geift
SSnb bie war ©otteg ftymm
Dag wir frölicb fam oon bin
Äorieletfon.
3w ber ©cltalt ber 9)ielobie, bie biebureb bebingt wirb, tonnen wir, ba fie bem erweiterten Siebe burd)
Erweiterungen ftd) anfcbliefjt, bie aug ibr felber gefebeoft finb, aud) nur bag Anbequemen eineg bereite
SSorbanbenen ftnben an ein Umgeftalteteg , nid)t ein urfürünglid) S>erfd)iebeneg, ober gar bie eigentlicbe
£iuelle ber Singweife, wie fie nod) jefct üblid) ift. Die Sorjeidmung wirb ung fpäter nod) ju einer befon-
beren SSemerfung ocranlaffen. 3n ben 123 Üiebcm oon 1544 erfebeint unfere gelobte jweimabl, in einem
oicrfiimmigen Sonfafce £bomag ©tolfeerg (9cro. 93;, bem nur bie Anfanggworte :
3n ©otteg tarnen faren wir,
©einer ©naben begeren wir,
unterlegt finb, unb ein jweiteg SDiabl in einer gleid)cn ^Bearbeitung oon 33altl)afar Stefmariug. ©in ütet=
ftimmig gefefeteg Sieb oon Arnolb oon S3rud, bag fid) eben ba, mit gleicbem Anfange wie bag Äated)iö-
muglieb ft'nbet, fommt l)ier nid)t in S5etrad)t, ba, bei fonfi gleicbem 2nl)alte, bod) ßieb unb Sftelobie ganj
anbere ft'nb. Qbm fo ift l)ier nur beiläufig ju erwähnen, ba§ ju 2ut()er§ Siebe oon ben jel)n ©eboten nod)
eine jweite 9Jielobie oon nur örtlicher ©eltung oorbanben ift, bie id) am frübejten in einem, (waf)rfd)einlid)
1537) bei SBolf ÄbphJ bü ©trafsburg gebrudten ©efangbud)e fanb; bie fobann in ber, juerft 1557, bann
1560 unb 1570 wieber b,exau$$e§ebemn Äircbenorbnung für 9ceuburg unb Sweibrücf (9cro. XXXIV)
wieber erfd)eint unb bie aud) sprätortug in oierftimmigem ©a£e oon ßbrijtopf) SBuel (31. S. VII. 9)
mirtbeilt, unter ber S3emerfung ,,fremb," weil er il)re £luelle wobl nid)t fannte. Denn biefe ©ingweife,
wabrfebeinlid) aug bem JBeffreben entftanben, bem Siebe eine, il)tn eigentl)ümtid)e, ntd)f, wie juoor, entlehnte
SBeife $u geben, ift augenfebeinlid) jünger alg baffelbe, unb i)kr befd)äftigen ung nur foldje SDZelobieen, bie
über ben Anfang ber Äircbenoerbefferung f)tnaugreid)en, unb alg fd)on früher oorfyanbene, gei(tlid)e, bei
©rünbung beg neuen Jiircbengefangeg entlehnt, ober mit ibren Siebern in benfelben binübergenommen
würben.
Unfere SJielobie ift mirolob tfd)er Tonart, unb ftetlt bag ©eoräge betfelben gleid) in ihrer
erften, febr beftimmt auggefprod)enen Augweid)ung in bie «Tberquarte bar. Dabei b,at fie bag eigentüm-
liche, baß in ibrer oorle^ten 3eile ju ben SBorten beg Äated)igmugltebeg „2Bol auf bem S3erg ©inai" bie
f leine Serj mit ber grogen wed)felt, woburd) innerhalb ber SSongrenjen beg SJcirolt) bifd) en, oorüber=
110
gebenb ein, Der »er festen Dorifd)en, ftd> in gleichem Umfange bewegenben Zonaxt, eigentümliche*
SEonocrbältniß eingeführt wirb, alfo eine Aufweichung bureb. ä>erwanblung entfielt. (£f barf nicht
unbemerfr bleiben, baß in bem ffireflauer ©efangbuche t»on 1525 (wie in ben Siebern .^einrieb ginff) ber
SEonweife fd)on neben bem Sd)lüffel baf b t>orgejeid)net ift, wonach fie alfo, wenn man annehmen bürfte,
biefe SJorjeicbnung gelte auch, für bie oorlefjte 9cote bef Schlußfalles in ben erften beiben Seilen bef 2iebef,
eine burd)bin ber »erfefcten borifeben Tonart angef)brenbe werben mürbe. (SS ift jebod) üorauSjufei^en, baß
bei ber fo benimmt auSgefprodbenen Ausweichung in bie £berquarte man auch ^ter bie groß e, unb nicht
bie fleine SEerj gefungen tyaben werbe, üornebmlid), ba bie Gnirftebung unferer Söielobie in eine 3ctt
(frübeftenS baS 13te Sabrbunbert) fällt, wo bie 9cotbwenbigteit beS ßeittonS bereits fid) geltenb gemacht
hatte, wie wir in bem S3erid)te über bie auS bem alten lateinifdjen itird)engefange entlehnten SEonweifcn
ju entwideln üerfud)t baben. Dagegen lernen wir auS $PrätoriuS (31. S. VI. 9^ro. 7), baß man ju fetner
3eit in SEI) ü ringen jenen 2Bed)fel jwifdjen ber großen unb fleinen SEerj nid)t fannte, bie Sttelobie alfo
als eine bürden mirolt)bifd)e, unverwanbelte, ju fingen pflegte. SEßoÜten wir r)terau§ ben Schluß Rieben,
Daß, bei fonftiger Übereinftimmung in bem melobifchen gortfd)ritte, eS urfprünglich jwei Söeifen beS alten
2BaUfal)rtSliebeS gegeben, beren eine fid) in ber mirolt)btfd)en, bie anbere in ber (oerfel^ten) borifeben
SEonart bewegt habe, unb baß bie jejjt allgemein übliche SDMobie auS einer S3ermifd)ung beiber entfian=
ben fei; fo bürfte mit 3?ed)t Dagegen anzuführen fcpn, baß, wo ber Unterfdn'eb zweier Tonarten in einem
fo wefentlicben .Kennzeichen befiele, al§ bie große ober fleine SEerj ijt (baS@epräge beS£arten ober SQSeicben),
felbfl bie münblidbe Fortpflanzung nicht fo leid)t irren werbe, wenn aud) geringe örtliche Abweichungen
— beren ^PrätoriuS aud) hier einige, burchauS unerhebliche aufbewahrt bat — bei ihr leid)t erflärlid)
erfebeinen ; baß fie aber, auS einem überwiegenben ©efüble ber SEonart als einer, baS ©anje ber SEonweife
ohne Unterfcbieb gefialtenben SJegel, eher eine, biefem ©efühle frembe, unb bcSfjalb »ielleid)t wiberftrebenbe
melobifd)e SEBenbung brtlid) au^gemerjt haben fbnne ; waS um fo n?abrfcbetnltcber ifl, weil biefe Abweü
d)ung eben nur eine örtliche geblieben iß, von einer ganj borifeben Singart aber fid) nirgenb eine
©cur finbet.
Ungewiß iß baS Alter beS, ber Antipl)onie„Veiii sanete spiritus, reple tuorum conla fidelium etc."
naebgebilbeten $>fingßltebeS :
Äomm heiliger ©eiß, £erre ©ott ;c.
Doch läßt fid) mit Sicherheit annehmen, baß eS über baS %d)x 1517 hinaufreiche. Senn baS Sieb ßel)t -
fo weit eS nur eine gereimte Überfettung jener Antiphone ifi, alfo in ber erften (Strophe — bereits auf bem
achten SSlatte beS SSafeler 9>lenariumS ober (5uangelienbud)eS »om 3«bre 1514, unter einem Jpolzfcbnittc
oon .IpanS Sd)euffelin, ber bie AuSgießung DeS heiligen ©eißeS barßellt. £>aS altertbumltcbe ©epräge
feiner Singweife, unb ihr frühes? @rfd)einen in ben älteften lutl)erifd)cn Singbüchern läßt fd)ließen, baß
fie mit ihm gleichzeitig entßanben fei. gn bem SSreSlauer ©efangbuche üon 1525 fleht fie mit ber 2fttf=
fd)rift: golget ber©efang 23eni fanete fpirituS, ben man fingt von bem belügen get)ß, ©ar nü^licb, un gut;
in bem 5ßalterfd)en »on 1524 nimmt fie, in einem üierftimmigen SEonfa^e, bie jweite Stelle ein, unb biefcv
SEonfa^ ijt, einige 9cad)f)ülfe in ber Stimmenführung abgerechnet, unüeränbert in bie Aufgabe com %d)xc
1551 übergegangen, wo er an ber erften Stelle ftel)t. 9hm ift e§ aber zweifelhaft, ob bie SlJcelobie, wie fie
1524 unb 1525 in jenen beiben S3üd)ern erfebeint, wirflich bie urfprünglid)e jenef alten fiiebef ift. S5eibc
geben fie übereinftimmenb mit ber in S3apft§ ©efangbuche (1545) uorfommenben ; biefe§, unb baö SÖ3al=
111
terfcfce ft'nb unter ßuttjerä Äugen, mit feinen S&orreben gebrucft; baS lefcte ift — neben bem Erfurter
(Sncbiribion beffelben 3^f)reö — bie dltefte £Luelle für unfere ©ingweife, unb an benen beutfdjer
geiftlicber üieber vor ber Ätrchenoerbefferung haben beren erfte Herausgeber feit berfelben meifi feine
tfnberung fid? ertaubt. 2Bir bürften btenacf) t>orauSfefjen, bie unfcreS SiebeS i)ier in urfprünglicher ©eftalt
^u beft'fcen. dennoch, finb einige nid)t unerhebliche 3meifel bagegen üorbanben. 3n 3ofepb ÄlugS ©efang=
buche (1535, 1543; unb in ©pangenbergS beutfchen geiftlid)en ©efängen (1545)*) finbet ftd? eine ©ingart
Mcfcv SDJelobte, bie ber eben ermähnten jroar in ben ©runbjügen übereinftimmt, allein bei ooUfommen
fymmetrifcber, rlmtbmifcher Surchbilbung bod) an ©plbenbermungen fiel reicher ift. ©ie erfd)eint fpäter
alS jene, allein bamit ift für ttjr jüngeres Älter noch nicht unbebingt entfd}ieben; ja, wäre l)ier «on ber
©ingweife eines lateinifd) en Siebes bie 9?ebe, fo mürbe bie an ©plbenbefjnungen reichere ©ingart, »on
ber früheren ober fpäteren Quelle berfelben ganj unabhängig, für bie ältere ju galten fer^n. Äuch finben
mir bie unfereS ^fingftliebeS in biefer gcfchmüctteren ©eftalt Khon als ©runblage beS £onfa|eS eines älteren
Seitgenoffen Sodann SBalterS, Ärnolb t>on SSrucf, in ben bei £ieronpmuS gormfchneiber $u Nürnberg
1534 herausgegebenen 121 Biebern, von mo auS berfelbe in bie bei 9?bau ju SBittenberg (1544) erfdjierte=
nen 123 üieber für bie gemeinen ©dmlen (9?ro. 29) übergegangen ift. Crr jeigt bie SOielobie in ber £)ber=
ftimme unb im SEenor : b'm, mit menigen 3mifchenfä£en hinter ben einzelnen SJMobiejeilen, bort ju größerer
§üUe ber Harmonie faft burchgängig mit folgen üerfefjen. ÜDlan barf baS SSerr;ältnip, in welchem beibe
Stimmen ju einanbcr fteben, nicht eben einen ßanon nennen. S5eibe ahmen bie Seilen ber ©runbmelobie
in ber £ber= unb Unteroctaoe nach; balb ift biefelbe hier, balb bort burch ©r;lbenbef)nungen bereichert, balb
tritt bie eine, balb bie anbere ©timme ooran; meber Seifoerhältniffe, noch melobifche, noch rlwthmifcbe
werben bei biefen Nachahmungen fonberlich in Ächt genommen, eS ift ein freies, aber boch funfrooUeS,
geiftreicheS ©piel. Gine jweite vierftimmige ^Bearbeitung burch S5althafar SfeftnariuS fommt i)kx
weniger in Betracht; bie SKelobie ift in ihr nicht fomohl fefter ©efang, als nur ©runbgebanfe einer
motettenhaften ^Durchführung, boch erfcheint fte ebenfalls, fo meit fie burch ein folcheS ©emebe herworfcheinen
fann, in jener mehr gefchmücften ©eftalt. dennoch möchte ich biefe nicht für bie urfprüngliche halten.
Bunächft haben mir ju beachten, baf? fte, bei allem ©ehmuef, tjoUrommen, ja funftreich, fpmmetrifch auSge=
ftaltet ift, unb bafj in jener früheren 3eit Umbilbungen tjorhanbener SSJeifen gewöhnlich nur bann erfolgten,
112
wenn eS an rtnithmifcbem (Sbenmaafje gebrach, ober bie AuSjterung bie ©runbjüge ber SDMobie »erbunfelte.
runn aber wirb eben bie bei .Klug unb ©pangenberg erfcbcinenbe ©ingart »on ^PrätoriuS (Mus. Sion. VI.
9ta>. <>) uns als bie fd)wäbifd) = fränfifd) e genannt, unb in ber£hat fommen — aufjer jenem SEonfaljc
AruolbS D011 Jßrucf in einer Nürnberger ©ammlung — mebrftimmtge, aber in einzelnen SBenbungen bocb
immer abmeicbcnbc SSebanblungen berfelben, nur bei fränfifd)en .Rünfttern uor, % 2eo £afjler, @rr>tbräuS ;
alle anberen SEonfefcer galten (ich, an SBalterS ©ingart, bie enbltd) auch jene örtliche, burcb jllug unb
©pangenberg in sJtorbbeutfd)lanb nicht allgemeiner fyeimifd) geworbene, felbft in ©übbeutfd)lanb »erbrängt
bat. @S fcbctnt baber einer ber feltener oorfommenben gdlle hier üorbanben ju fepn, baf? bie auSfchmüdenbe
Surcbbilbung einer ©ingvoeifc burd) einen geiftrcicben SEonfe^er alter 3ett einen örtlichen Crinfluf? gewann,
inbem ftc eine abweid)enbe ©ingart erzeugte; um fo leichter, als bie SEßelobie in feinem SEonfa^c bie Dber*
ftimme einnahm, unb zugleich in ben höheren unb SEftitteltbnen beS SEenorS oernommen würbe, ben ^)brern
alfo ftd) leichter als fonft einzuprägen ocrmocbte. Sie bei SBalter oorfommenbe SBetfe, bie wir bienad) für
bie urfprünglid)e halten bürften, bewegt ftch in bem Umfange ber »erfefcten f)t>^ o t on if d) en SEonart, ben
ftc nur um einen Son in ber Jg>bl>e überfcbrettet; unb eS barf wohl nur für einen Srudfchjer gelten, wenn
fte in bem 33reSlauer ©efangbuche von 1525 als! eine mirolpbifcbe erfchcint, ohne Söorzeicbnung, unb
mit bem ©runbtone G, wobei fonft bie golge ber einzelnen .Klänge mit wenigen Ausnahmen ganz biefelbe
ift; Ausnahmen, bie jeboch überall als Srudfebler ftd> barftellen. ©o fcbliefjt bie zweite Seile ftatt in f,
'n g; allein eS ift hier offenbar nur ber ©cblufjton weggeblieben, benn fonft fehlte ber SDZelobie ein SEon
ur bie lefcte ©plbe ber Seile; auch, ftebt bie, in ber fecbften Beile wieberfebrenbe ^Betonung ber jweiten
:ort, biefer SSorauSfefcimg gemäß, ganz richtig. 3n ber legten 3cile uor bem ^>alletuja beifjt ber vierte SEon
,r ftatt a, ein augenfcheinlicher Srudfebler, ba in bem übereinffimmenben Anfange ber eierten Seite baS a
,^anj richtig gefegt ift. Sie wer legten SEbne enbltd) beißen in bem SBreSlauer ©efangbuche ju bem legten
£>aüeluja ftatt gagf unerwartet a h a g, woburch ber ©chlußfall beS ©anjen mit einem £luintenfprunge
bie oorangehenbe Seile fcbliefjt mit d, ber Unterquinte von a) eingeleitet wirb; eine gortfcbreitung , bie
anferer ©ingweife ganz fremb ift, wekhe fonft über eine auf- ober nieberftcigenbe £luarte nicht hinausgeht.
!lucb trägt fte in feiner Art baS ©eprdge ber mirolt)btfd)en SEonart; fte befcbränft ftd) auf bie, bem
i'cben eigcnthümlichen AuSweidjungcn in bie Dberquinte unb gvofje £)berterj, unb bie Siüdfebr in ben
©runbton auS benfelben; bie unterfd)eibenben .Kennzeichen beS 93tiroh;bifd)en, bie SJiobulation nach Dcr
£>berquarte, unb nad) ber £)berquinte als einer weichen SEonart, mangeln ihr gänzlich. SSBollte man, biefer
S3ebenfen ungead)tet, in ber Aufzeichnung beS SBreSlauer ©efangbud)eS G als ben rtdjttgen ©runbton
annehmen, fo erhielte man baburd) zwar bie, bemSJlirolpbifdjen eignenbe Aufweichung in bie Sberquarte
an allen ben ©teilen, wo fie, bei bem »orauSgefefeten ©runbtone F, ftch n(l<b ber Dberquinte gewenbet
haben würbe; allein bie SKobulatton in bie £)berquinte roürbe bann wieberum fehlen, unb an ihre ©teile
jweimahl ein ©cblufi in bie Unterfecunbe treten, jule^t fogar ba, wo fonft bie SCftclobie cor bem zwiefachen
^alleluja burd) eine SRüdfebr in ben ©runbton öollfommen abfd)lief?t; hier würbe ftatt etneS fold)en lib--
fchluffeö eine frembe unb ungewöhnliche Ausweichung fteben. Alle biefe ©rünbe gewähren bie Überzeugung,
ba^ wir nicht einer mirolpbtfchen, fonbern ionifdjen 93Mobie gegenüberftehen, bie ihren Firchlichen dba^
raher in ber »ierten 3eile byrd) eine Ausweichung in baS spbtpgifcbe bethätigt.*)
') ®. im I27flcn SBctfpiele einen fünfitimmigen Sonfafc biefer OTetobic ucn 3. ßccarb.
113
S5on ebenfalls» nid)t genau ju beftimmenbem tfltcr, mit bem »orbergebenben aber, fo weit fein
frubefte5 SBorfommen nad)gewiefen werben fann, ungefäl)r gtctd) alt, ift bas> ^afft'onölteb :
£>a 3Ufii3 an bem Äreuje jtunb.
Wlatl bat feine ©ingweife oft, wenn glcid) irrig, auf bie eineS weltlichen Siebe§ jurüeffübren wollen. @ö
foll nämlid) in einem alten £>rucfe com 3af)rel5l5 jugleid) mit einem Siebe »on ben jebn ©eboten »orrom:
men, unb beibe ben 3ol)ann 33öfd)enffeitt jum 8>erfaffer l)aben, ber jwifeben 1472 unb 1536 blül)te. 2n
einem anbern £>rutfe*) ijt biefeS tefcte Sieb mit ber Überfd)rift ju finben : ,,'#in l>übfct> lieb »on ben jeben
geboten, 3» ber tagwenß: @3 wonet lieb bei liebe ba£ bringt groß tyrtynkib '," unb eben biefe Sageweife
will man nun als bie, unferem $»affion6liebe aueb jefct nod) gefeilte bekämen. Allein fie muß, wie baö
Sieb »on ben jebn ©eboten, für ba§ fte »orgefd)rieben ift, eine fiebenjetlige gewefen fepn, unb jwar in
c>en erften »ier 3eilen mit regelmäßigem 2Bed)fct einer fteben - unb einer fed)3f»lbigen, in ben brei legten mit
bem Abfalle »on einer ad)t = in eine fiebert = unb »on biefer in eine fed)3fblbige 3eile**). £>a3 ^affionölieb :
„3>a Sefuö an bem Äreuje fhtnb," ift aber nur fünfjeilig: jwei feiner Seilen ftnb ad)tft)lbig, ibnen
folgt eine ftebenfylbige, eine ad)t = unb bann wieberum eine ftebenfnlbige bilben ben ©d)luß. 3n bem
S3aue feiner ©tropbe bat e£ alfo mit jenem erften aud) nid)t bie geringste '#bnttd)feit, fo baß benn bie S3or=
auSfeljung, baß eine SDMobie für beibe gebient baben fonne, unb mit bem $Paffione>liebe auf uns> gefom=
men fei, als gänjlid) grunbloS erfebeint. SBollte man bagegen einwenben, baß wir bie ©ingweife be§
SiebeS: ,,2ld) Sieb mit Seib" mit nur geringen äkränberungcn auf brei Sieber angewenbet fanben, beren
©tropben m3eilenjabl»bllig»oneinanber abweid)en; fo ijt einmabl biefergaü eine feiten »orfommenbe2lu3=
nabme, bann aber aud) eine fold)e nur bei Singweifen moglid), bie, ibrer ©nlbenbebnungen wegen, ber=
gleicben gejtatten , niebt folgen, bie, wie bie unfereä ^)affion§liebe§, jeber ©t)lbe metjt nur einen £on ju=
tbeilen, unb c-arin bei allen fonftigen 2lbweid)ungen überall gleichmäßig erfd)einen.
2öeber ba§2Balterfcbe@efangbucb »onl524, nod) beffen fpätere'HuSgabe »on 1551, nod) ba§ »on
3?bau für bie gemeinen ©cbulen 1544 berauSgegebene, enthalten Sieb unb ©ingweife: aud) ftnb beibe in
ben gemifd)ten Sammlungen ber 120 Sieber (Himberg 1534) unb ber Sieber Jpeinrid) ginfenS (1536)
niebt ju ftnben. £>a$ 83ebfd)e ©efangbud) (1537) fd)ließt mit bem Siebe, obne beffen ©ingweife betju*
fügen. Sagegen ftel)t bie SOielobie im 2ten Sl)eile be§ 33a»ftfd)en ©efangbud)e§ »on 1545 (9cro. VIII) ju
bem Siebe: „3n bid) ba*>' id) gel)offet £err," unb eben fo wieberum ju einem anbern Siebe (über baS
©leiebniß »on ber großen ^»oebjeit im 14ten @a»itel be§ Suca§), ba3 mit ben SBorten beginnt: „(SS war
einmabl ein großer £err" in SErillerS ©ingebuebe (1555). Jg>ier wirb auf fte auSbrücflid) al§ auf „bie
sJloten »on ben fiebert SBorten @brifti, " »erwiefen, bie benn aud) betgebrueft ftnb. (Sine auSfübrtid)e bar=
•) ffiergl. £ofmann, @efd)id)tc m £ird)enltebe$ p. 195.
") ©ben fo ftellt fie fieb bar in SBergleidjung mit bem Ciebe eines ct'njetnen alten ©vucteS, ba« auf fie
Derroeif't:
D baf id) tünbt üon fjer^en
fingen ein tageroepjj
ber tjelle rein onb febmer^en
bie fröbt beS parabeijj
O Flavia bu reine magt
tf»u mir bein 8>t£f onb fteure
fo bin id) unoerjagt :c.
» aStntafctt , (er cuajigri. ö^ctalaefang. 15
114
monifcbe »ebanblung t>erfelben $u allen SSerfen beS ßiebeö bcfffecn mir t»on Subroig ©enfl*;; fie bt-
ftnbet ftch banbfdbrtftlid) auf ber fbniglicben S5ibltott>ef ju 9Jiüncben (Codex X. 9lro. 9.) ; t>od> beginnt
f)ier bie erfte Strophe bcS SicbcS folgenbergefialt :
2)a SefuS an bem ßreufce bieng
Unb jm fein Ijciliger Seib jcrgieng
3n fo viel taufenb fcbmerjen ic.
Seit biefem, obnfeblbav auS ber erften £älfte beS fccbjebnten SabrbunbertS berrübrenben 3Lon--
fa£e fanb ich. bis ju bem fünfftimmigen, bbd)fi bebeutenben Sodann GrccarbS im erften STbetlc feiner
Äircbenlicbcr (1597) nur einen noch, in ben von bem Söiirtcmbergifchen ßapellmeifkr ©igmunb Jpemmel
oierftimmig bearbeiteten, ju Bübingen 1569 erfebienenen $>falmliebem ; hier ift bie 9JMobie auf baS £ieb :
,,3n btdb bab' ich geboffet £err," über ben 31ften ^Pfalm angewenbet. Um menigeS fpäter als (Sccarb
aber, in ben mcbrftimmigen ßborälcn r>on ^rätortuS, £aßler, @r»tbräu3 u. f. vo. treffen mir beren oiele;
>J)rätoriu§ (Mus. Sion. V. 110. 111. ebenb. VI. 107 — 111) bat beren allein fteben, unb mit erheblichen
Äbmeicbungen. Denn nicht allein erfdjeint in jmeien »on ihnen (V. 110. VI. 108), unter benen bie leiste
bie in ber SDiarf gebräuchliche ©ingart barftellen foll, bie Söielobie bureb 2lnmenbung ber großen ©ecunbe
aB eine dolifcbe, ba fte fonft überall eine pbrwgifcbe ift; fonbern auch bie ©ingarten, welche fie im
©anjen übereinftimmenb als? eine fold)e barftellen, jeigen in ber britten Seile eine 33erfchiebenbeit ber 9Ro=
bulation. 3n ber Meißner, Sbüringer, @chmäbifd)en unb gränfifcfyen roenbet ft'ch biefe nadb ber fleinen
£ berter j beS ©runbtoneS, bem SEJiirolpbifcben; in ber ©eeftäbttfdben fteigt fie in bie große Unterterj
beffelben, baS Sonifcbe herab; in ber $Preußifcben, bie mir bei 3. (Sccarb antreffen, bleibt fte im
©runbtone. Allein ber genannte trefliche SKeijter hat bennoch eine ©infbrmigf eit ber Ausweichung , finnig
unb bebeutfam, ju oermeiben gemußt, inbem er ben nun fünfmahl üorfommenben ^pbrt>gtfcben ©cblußfall
burd) bie flehte ©ecunbe im Abfteigen, balb ionifcb, balb äolifcb, halb ^>brv>gtfd^ behanbelt, unb fo bie
Tonart, um fo unerwarteter, in ihren ^auptbejiehungen barjuftellen gemußt hat.
3u ben älteren, r>or ber jtircbem>erbeffcrung bereits gangbaren Siebern gehört auch baS SubaS;
lieb ober ber arme SubaS:
£) bu armer SubaS,
2BaS l>aflu gethan,
Saß bu unfern Herren
Alfo oerrathen baft?
£)eS muftu in ber ^)etle
Smmer leiben pein,
ihuiferS gefetle
9)?uftu emig fein.
Auch feine «öietobie mar um bie SfeformattonS^it bereits eine alte unb beliebte. AIS man ju
«Bern um ben Anfang beS 3al)reS 1528 bie alten Äircbengebräucbe unb bie Silber als 3eicben unb ©egem
ftänbe ber Abgötterei abjutbun begann, unb in herbem SBibermillcn, aud) gegen unfdutlbigen unb heilfamen
Schmurf beS ©otteSbienfteS, baS 93iaaß reinigenben ©iferS bei meitem überfchritt, erbat am Abenbe beS
*) ©. JBeifpict .i bie jrccite ©troptje bt'efer 33ef)onbtunq.
115
legten ^incentiusfefieS, am 7ten gebruar 1528, ber £)rganift ber Ätrdje jeneS .^eiligen tue (Srlaubnif?, beren
fty&neÖrgel, bie man ebenfalls? ber Serftbrung preisgeben mollte, nod) einmal?! ertönen ju laffen. SaS^ubaSlieb
mar unter feinen £anbcn ihr lef<ter SobeSfeufjer, follte es? nun eine 'tfbmabmmg fevn an bie 3erftbrer, ober
emSSorourf, mir bem berSEonmeifter ftd> felber anflagte, bafj er gegen folgen Grevel nid)t tapfrer anfämvfe.
Senn faum harte er mit 2Bebmutb baS febbne 2Berf verlaffen, als eS gänjlicb, ^erfcblagen rourbe. S3erftet)en
roh ihn nun in bem einen, ober bem anbern Sinne, fo muffen mir immer annehmen, bafi unfere ©ingmeife
eine altere, unb fo roeit verbreitete unb befannte mar, baß man bei ben SEbnen berfelben il)reS ßiebeS fid)
unmittelbar erinnern rennte. "Km früfjeften fyabe td) fte in ben 120 Siebern (Dürnberg 1534) aufgezeichnet
gefunben, bureb 'tfmolb von SBruct" vierftimmig auSgefefjt: jerm Sabje fväter erfct)eint fte abermals in
Pen 123 Biebern für bie gemeinen ©d)ulen (SBittenberg 1544), einmat)l in fünfjtimmiger S5eb,anblung von
iiubmig ©enfl, ein jmeiteS 9]^l vierftimmig burd) SEfyomaS ©toller (9cro. XV. XIV.). 3ener
erften liegt baS Sieb unter :
©elobet feiftu Grifte
ber bu am @reuje bjngft,
unb für unfre ©ünbe
viel ©d)mact) unb ©treid) empftngft,
jefjt berrfd)eft mit beim SSater
5n bem ^immelreid),
mad> unS alle feiig
2(uf biefem ©rbreid). Ämie ;c.
Per ^weiten aber folgenbe ©tropfye :
Unfre grofie ©ünbe
unb fcfymere 9Jliffctl)at,
6r)riftum ben maren ©otteSfon
an3 .Kreu^ gefdb, lagen bat,
£)rum mir bid), armer Suba,
•Daju ber Süben ©d)aar
ntd)t billig bürfen fd)elten,
bie ©d)u!b ift unfer gar.
Friller, ber bie ÜKelobie unter ber Überfd)rift: „ttuff bie noten SauS tibi ß^rifte, ober £> bu armer 3ubaS"
ebenfalls in feinem ©tngebud)e einführt, t)at, nad) feiner 2frt, bie erfte ber beiben mitgeteilten ©tropben
umgebilbet unb noch, fünf anbere bjnjugebicb, tet. 3cnc lautet bei ifmt :
8ob unb £)anf mir fagen
bir (griffe ©oteS fon
ber bu baft getragen
für unS viel fvot unb bon
unb baju erbulbet
am leibe grofje »ein,
mj mir l)an verfd)ulbet
bajiu gebüji allein.
15*
116 •
Äwrie elcifon,
Grifte, warcr mcnfd) tmn got
ßhntfe, erfjbr uns in ber not.
Uiuer uns lebt fte nod) fort mit bem bekannten Siebe: „£3 wir armen ©ünber" t>on£ermann
JBonnuS, baS wob,! juerft in bem »on biefem herausgegebenen 2übecfer Snd)irtbton geiffticher©efänge(1545)
erfebeint, bann aber bttrd) 2ucaS SoffiuS in feiner um 1550 üon SDielandjtfyon befürworteten „Psalmodia"
alS ^PaffionSgefang eingeführt wirb, in üterfKmmigem £onfa|e »on Johann S3ert*). Daher rührt wof)l ber
Jntlutm, baß biefer, ber allein Urheber beS £onfa(3eS war, aud) Srfmber ber ©ingweife gewefen; ba boeb,
wie wir faben, anbere SEonfe^er, wie 2lrnolb »onSBrucf, 2ubwtg ©enfl, £l)omaS ©toller, um SSieleS früher
fd)on mit barmonifd)en ä3el)anblungen berfclben aufgetreten waren, unb fte jwet unb jwanjig Safyre früher
fd)on für eine alte gelten burfte, wie fte benn aud) 2ucaS 2offütS felbft an ber angeführten ©teile alS folche
bejeid)net. ©ie ift mirolnbifd)cr SEonart, beren S5ejetd)nenbe§ fte in ihren Ausweichungen wollftänbig
barftellt. Auch fommen erhebliche 33crfd)tebenf)eiten ber ©ingart in ihr felber nicht t>or, wol)l aber in bem
angehängten Äprie. 33ei S3ert unb Friller — (biefer (efete jeichnet fte in bem Umfange oon C auf mit üor*
gefegtem b, woburd) bie flehte ©epttme auf ber ft'ebenten ©tufe herbeigeführt wirb) — erfcheint biefeS brei=
fad), unb julefjt mit einem regelmäßigen ©d)luffe in ber ©runbtonart. 3n ©enflS fünfftimmigem £onfa£e
ift eS nur einfach, unb fd)ließt borifd), in ber Dberquinte beS mirolubtfd)en ©runbtonS. Einen gleichen
©cbluß hat ^rätoriuS (M. S. VI. 116; bei einem einfachen jiprie, unb ein anbereS 9ftaf)l (ebenb. 118) bei
einem breifad)en, baS juerff borifd), bann mirofybifd), unb bann abermals borifd? enbet. Die bebeutenbftc
harmonifche S3ehanblung unferer ©ingweife ifl bie oon $>rätoriuS, im 5ten S£t)etle feiner ©ionifchen Stufen,
9?ro. 114**); bebeutenb t>or 2£Uem baburd), baß bie fleine ©eptime, baS ber mirolnbifdjen SEonart eigen*
tbümlid)e £onverf)ältniß, ft'd) überall geltenb macht, wo ihre Erhöhung nid)t, fraft eines 9caturgefcljeS , für
einen »ollen £onfd)luß unüermeiblid) wirb; wie mir benn biefe 9totf)wenbigfeit beS UnterhalbtonS, ber gro=
ßen Serj ber Slutnte beS ©runbtoneS, als fyaxmomföex ^Begleitung berfelben bei ihrer 9?ücffehr in
biefen burch eine aufwärtSfteigcnbe Quarte, ober eine nieberfleigenbe £luinte, bereits früher bar=
ptt$un fuchten. 9cun gehört eS jur ächten Entfaltung ber Äirchentonarten burch *>k Harmonie, baß
baS ©efel? ihrer Sonreifjen überall ba funb werbe, wo nid)t ein mächtigeres il)m entgegengeht; baß ba,
wo eS jur Erfd)einung fommen fann , eS auch als eine Äatß erung i()reS eigenthümlichen SebenS jur lln-
fchauung gelange, ©o finben wir eS in ^rätoriuS Sonfafce. Der Dreiflang ber Dominante beS @runb=
tonS ift bei ihm allejeit ein weicher, weil bie borifche, auf ber £)berquinte beS 93Zirolpbifd)en gegrünbete
Tonart, eine weiche ift; ein harter wirb er nur ba, wo in ber ©runbftimme ein Wallen ober Erheben
in ben mirotybifchen ©runbton ftatt ftnbet. S5ei »ollen ©d)lüffen in bie Dominante aber hat ber SJleifter
entweber bie Serj weggelaffen, ober mit ber großen unb f leinen bebeutfam gewechselt, je nach ben geiftigen
»ejiehungen beS betonten ©ebid)te§. ©o fann fein Sonfafc, eben bei biefer ©ingweife, als dufter gel=
ten für bie lebenbige, harmonifche Entfaltung beS «Bfaolwbifchen, wie benn aud) unfere Sftelobie fd)on für
ftd) genommen biefe Sonart in ooUcr Gigcnthümlid)feit offenbart, in ihren «öerwanbtfchaften wie 2(uSwei=
chungen; g)rätoriuS bringt biefe in ebler, großartiger Einfachheit unS einbringlid) jur Tlnfchauung.
•) Die Überfdjrift tautet: Caolicum de peccalo, et passione Christi, germanicum, auetore Hermanne Bunno,
ad müodiam tantiei intens: „D bu atmet 3ubaS." Quaiuor voeibus compositum per I Bert. C.
") S. 9?cifpict 91.
Ungewiß ift bie 3eit ber dntftebung beS tfbenbmablSliebeS
©Ott fei gelobet unb gebenebeiet
«nb feiner ©mgweife; mit ffieftimmtbeit läßt ficb nur annehmen, baß SBeibeS über bie Sfeformationsjeit
hinaufreiche, unb febon in ber früheren .Kirche entftanben mar. ßutber, in feinem ju Wittenberg 1524
erfebienenen 35ud)e : „Sin wenfe ^r)riftltd> 2Efteß ju hatten, on jum tifd) ©otteS ju gehen," nennt es
unter ben wenigen beutfehen ©efängen ber alten .Kirche, „bie einen ©cbmarf etwa nach einem tapfern
©eijte haben," unb läßt eS ihm gefallen, baß man eS nach ber SBanblung finge; neun Sabre fpäter (1533)
wo er „oon ber winfelmeffe unb ber Pfaffen 2Bcihe" rebet, nennt er eS: ein cbrijtlicb rein fein 85e=
fennrniß , tum einem rechten ©eifte gemalt, ein 3eugniß, baß bie Saien, ju ber 3eit, ba eS gemacht wor=
ben, beiberlei ©ejtalt beS ©aframenteS, gleifd) unb S3lut empfiengen, unb rühmt eS als eine grünblidje,
cbriftlicbe Siebe, baß fie befennen, GshrtjluS felber habe ft'e gefpeifet, nicht ber $Pfarrberr nod) ^riejter. Unb
aß ein ftchereS 3eicben beS höheren Alters oon unferem Siebe barf unS enblich SutberS ©cfylußrebe gelten:
äbcv idi muß aufhören, bieS Sieb 511 greifen; eS follten fonft bie greulichen, oerftoeften ©otteSläfterer, wo
ft'e eS erführen, wol hinfort bieS £teb auet; Verbieten, baS fie boeb felbft, unb alle ihre Verfahren
gefungen haben, unb gewißlich viel Sabr oor bem Sutber gemalt ijl, wie fie fonfl oiel Sieber
oerbieten, ba boeb eitel ©ottcS SBort, unb unfer ©laube in gefungen wirb.
Unfer Sieb nebft feiner ©ingweife erfcheint bereits (9cro. 5) in bem Söalterfcfyen ©efangbudbe
von 1524, in einem oierftimmigen Sonfa^e, ber bie Sftelobie bem Senore jutbeilt; bie fpätere Ausgabe oon
1551 giebt unS einen anberen, bei bem bie, fonft unoeränberte, ©ingweife in bie £)berftimme oerlegt ijt.
3n ben 123 giebem für bie gemeinen ©d)ulen (1544; finben wir fie oon 33althafar SJefinariuS oier=
jlimmig gefefct ; bod) hat ihr tiefer SJieifter bureb, bie 33ebanblung ber Harmonie ein befonbereS ©epräge
geliehen, inbem er fie nicht, ihrer ©runbtonart gemäß, mirotnbifcb fchlicßen läßt, fonbem ihrem ©cbluß-
tone julefct ben harten Sreiflang oon C unterlegt, auf tiefe ILxt alfo fie in baS 3onifcbe hinüberleitet. QrS
bat fieb übrigens biefe ©ingweife auf jwiefacbe SBeife geftaltet; wir tonnten fagen auf breifache, wenn
wir eine örtliche 'tfuSbebnung ber bejeidmenben SDiobulation in ber einen ihrer beiben ©eftalten, bie, in biefer
Beziehung, nur als 2lbart berfelben erfcheint, für eine befonbere §orm gelten laffen wollen. £>ex frühejien
©ingart jufolge erhebt fid? ber ©efang am ©ebluffe ber britten, melobtfdjen, ober am dnbe ber jweiten
3eile beS SiebeS, emporfteigenb , ju bem ©runbtone*;. Siefe SBenbung muß um ben Anfang beS ft'eb-
jebnten SabrbunbertS in ber SJiarf bie beliebtere gewefen fepn: wir finben fie in äkrtb. ©efüiS fünfjtim*
migemSonfa^e wieber, ja, bort erfcheint fie fogar am ©ebluffe beS SiebeS, oor bem legten jfyrieeleifon, wo,
ber älteften ©ingart jufolge, ber ©efang jur Unterquinte binabfteigt, wogegen baS Änrie hier ein 3Bieber=
erheben jum ©runbtone barftellt. £)urcb jenes £inabjf eigen jur Unterquinte, beibe SJiahle oor bem
Änrie, jeiebnet ficb bie fpätere, oiel atigemeiner oerbreitete ©ingart auS, bie wir in Johann SccarbS,
4?aßlerS, Johann ^ermann ©cbeinS ic. Chorälen wieberftnben. £iefe beiben gormen unb ihre Ubatt hat
unS ^rätoriuS (M. S. VII. 96 — 101; aufbewahrt, inbem er bie ältere als ju S3raunfchweig, bie fpätere
alS in Schwaben, granfen unb Greußen, bie tfbart alS in ber SOiarf gebräuchlich nennt, ©einer #uf=
jeiebnung jufolge wären in Thüringen, unb in ben ©eeftäbten (sJcro. 98. 99 a. a. £).) nur bie oier erften
•) @. SEBalterS ©. 35. oon 1524. 9iro. V.
118
Seilen ber SRelobie, nebfi bem Äprie elcifon üblid) geroefen. 3n jeber oon biefen gormen übrigens tritt
oaS miroh)btfd)e ©eprdge utwerf cnnbar beroor.
Soö Sieb: ©elobet fewft bu SefuS <5f>r tfl, wirb at§ ein, am ßbrififefte »on ber ©emetne
gelungenes, beutfcbeS Sieb bereits 1519 in bem Ordinär, incl. eccl. Swerinensis genannt, woraus auf
fein höheres Älter, fein (Snrjteben in ber alten £ird)e, ju fcfjliejjen ift. @S erfer/eint mit feiner, ofmfeblbar
ihm gleichzeitigen miroh)btfd)en ©ingweife juerji in 2öaltcrS ©efangbud)e von 1524 (Nro. XXII.)
in iMerftimmigem Sonfa^e, ber aud) in bie fpdtere 'tfuSgabe (1551. 9cro. XIII.), wenige Beffcrungen in ber
©rimmführung abgerechnet, unuerdnbert übergegangen ift. Neben biefer Bearbeitung, bei ber bie SSKelobic
in ben £enor gelegt ift, ftnbet ftd> aber bort (Nro. XIV.) nod) eine anbere, wo biefelbe ber Dberftimmc
uigctheilr erfd)eint; unb in eben biefer Stimme treffen wir fte in einem ber beiben £onfd(}e, meldte bie 123
©efdnge für bie gemeinen ©dmlcn (1544) enthalten (No. VI.). @r ift mit feinem tarnen eineS ©el?erS
überfd)rieben , tonnte aber t»on Baltfyafar 9? eftnariuS herrühren, bem ber uorangebcnbe (Nro. IV.)
angehört; wenn er nid)t vielleicht bem Herausgeber ber Sammlung, ©eorg 9?b«u &u Wittenberg, $uju=
ictnnbcn i(t, ber unter ben Stonfefeern jener Seit mit £ob genannt roirb, unb ben vielleicht alle mit feiner
NamenSbejeicbnung verfel)enen mel)r(timmigen Bearbeitungen geiftlid)er 9JMobieen in jenem fd)d£baren
tMebcrbud)e jum Urbeber haben. ^rdtoriuS giebt im 5ten £l)eite feiner ©tonifchen Stufen (Nro. 60 —
66) uns fteben mef)rftimmige Bearbeitungen ber ©ingweife, jwei ju brei, brei ju vier, jroei ju fünf ©tim=
men, unter tfjnen auch, bie 2Baltcrfd)e (Nro. 64) unb eine (65) von StafeliuS; in bem folgenben Steile
beffelben SßerfeS fjat er bte örtlichen 'Abweichungen bei berfelben aufgezeichnet : Nro. 21 bie in ©chwaben
unb granfen, Nro. 22 bie in Steifen unb ber 9Karf, Nro. 23 bie in 9)reuf?en, Nro. 24 bie in ben ©ee=
ftdbten gangbare. £)iefe verfebjebenen ©ingarten inbefs betreffen nur ben ©chlufüfatl beS ©efangeS am
(fnbe, unb einige melobifcfye SBenbungen, obne baS SBefen ber SKclobie in ber golge unb Art ihrer 2tuS=
roeiebungen anjutaften, bie in allen juerft nad) ber SDberquarte (bem Sonifchen), bann jurücf nach, bem
©runbtone, fobann nad) ber SDberquinte, ober Unterquarte (bem £)orifd)cn) gerichtet finb, von wo auS ber
JRücfweg in bie ©runbtonart bei ber einen unb ber anbern auf eine etwas verfd)icbene SBeife gefunben roirb.
Aud) bier ift ^PrdtoriuS roegen bebeutfamer Entfaltung ber Tonart ju loben , äumabj in ber ©eejtdbtifd)cn
©ingart unferer Gelobte. Unterer Sonfd^e berfelben, beren fern- viele vorhanben ft'nb, unb jumal)l beS
treflid)en fünfftimmigen von Sotyann Sccarb, wirb bei ben ©e^ern geiftlicber Sonweifen im erften %d)x--
bunbert ber Äirchenverbefferung gebaut werben, wo wir bem genannten Sonmeifter einen befonbern 2£b^
febnirt ju weisen gebenfen.
25aSßieb: ©ott ber SSater wohn' uns bei, war alS ßitanei in ber Äreujwoche, unb ju
oen Bittfahrtjeiten oor bem ^immelfabrtfefte bereits in ber alten Äirdje üblid). @S enthalt inbe^ nid)t,
roie jefjt, in feiner erneuten ©eftalt, nur eine Anrufung »on ©Ott Später, ©ob,n unb heiligen ©eift, fon=
bem aud) Bitten an bie beilige Jungfrau, an DrtSfyeilige, fonnte bab.er nid)t unoeränbert aufgenommen
roerben in ben e»angelifd)en Äircb,engefang. ©o erfd)eint eS benn „gebeffert unb d)rijtlid) corrigwret" in
Dem BreSlauer ©efangbud)e üon 1525, in bem Nürnberger unb SBittcnberger @nd)iribion beffelben 3aI)reS,
als Sobgefang an bie 2>reicinigfeit. Um eben biefe 3eit, in SBalterS ©efangbud)e oon 1524, -treffen wir
feine ©ingroeife in fünfftimmigem Sonfat^e, ben aud) bie 'tfuSgabe »on 1551 unoeranbert mittl)eilt,
unb ber in ^rätoriuS ©ionifd)en Sföufen (\ . 155) roieber »orfommt. 9leun Sal)re fpäter (1534)
erfefeeint eine üierftimmige Bebanblung berfelben t>on "tfrnolb t>. Brucf in ben 120 ju Nürnberg berauS--
119
gegebenen Biebern, unb biefe finben »vir 1544 in bie 123 lieber für bic gemeinen Schulen «lieber auf=
genomirren, nebft einer anbern von Saltbafar JKefinariuS (Slxo. 33. 34.;. Die 9Jielobie ijt tont*
fd)er SEonart, Reiter, fafjlid), volfSmäfjig; fünf verfd)icbene Singarten berfelben I^at ^)rätoriu§ uns
aufge^eiebnet (VI. 103 — 107), beren 2lbmeid)ungen inbefj vollkommen unertjcblid» finb.
3ulcf<t ijt nun nod) ber treflieben 93ielobie beS 2iebeS : „SJiitten wir im geben finb" ju
gebarten. 2)iefeS allerbingS, nietet aber jene, ijt auf ben alten lateinifeben ©efang: „Media vita in morte
soraHs" jurüd^ufübren, mie eS benn auch, bei feinem frübeften SSorfommen ft'cb ftetS fo überfd)rieben finbet.
2ateinifcb gebort eS bem (Snbe beS neunten, ober bem Anfange beS jebnten SäbrbunbertS an, unb rübrt
Dan Steffel bem Stammler ber: allein feine Singmeife, roie 2ucaS 2ofjutS fte in feiner „Psalmodia" auf*
gejeiebnet bat, jeigt, bie glcidbe, pf)rpgifd>c Sonart auggenommen, mit ber jefet gebräucblicben gar feine
Übnticbfeit. 2>iefe bürfte baber mit ber beutfeben Übertragung unfereS 2tebeS als gleichzeitig anzunehmen
femi*). (Sine folcfye nun ft'nben mir am frübeften in bem SSafeler $pienartum von 1514. Sie fielet auf ber
Sfüdfeite feineS SitclblatteS , unter einem 4?oljfcbnttte von 4?anS Scbeuffelin, @briftum am Jtreuje vor=
Itellenb, unb lautet:
3n mittel unfereS lebenS zeit
im tob feinb mir umbfangen
men fudjen mir ber unS t>tlfe geit
von bem mir Imlb erlangen?
can bieb $err alleine,
bei umb unfre mijfetbat
red)tlid>en jürnen tueft.
beiliger berre got, heiliger jtarfer got,
beiliger unb barmberjiger beilmacber got,
lafj unS rttt gemalt tun beS bitteren tobcS not.
2)iefe Strophe »eigt ein SDiaafj, baS bem ber 9Jielobie beS von 2utber überarbeiteten, unb um
!)iuci ©efä^e vermehrten 2iebeS übereinjtimmt, bis auf fleine 2lbmeidntngcn ber^lrt, mie mir fie aueb in
anberen 2iebern jener 3eit jmifeben beren einzelnen Strophen niebt feiten finben. @S ijt baber niebt um
mabrfcbeinlicb , bafj jene Singmeife minbejtenS um 1514 fd)on vorbanben mar; mir bürften inbefj niebt
anjtcben, fie für älter anjunebmen, ba baS 2ieb in feiner latcintfd)en Urform als <Sct)Iad?t = unb 3«uber=
gelang febr üblich mar, meil man meinte, ben (Sieg bamit bannen ju fonnen, unb eben beSbalb aueb mobl
frübe fd)on Übertragungen beffelben »erfüll mürben, 2lud) erfebeint unfere SDlelobie bereits in ben frübe=
jten gei|tlid)en 2ieber = unb Singebücbern. 3n SSBalterS ©efangbud) von 1524 frebt fte an ber britten
Stelle, unmittelbar hinter ben alten beutfeben Aircbenlicbern : 9cun bitten mir ben fjeiltgcn ©eift, unb:
Äomm bciliger ©eift, £erre ©Ott, in vierftimmigem Sonfafje ; in bie gemifebte Sammlung ber 120 2ieber
$u Dürnberg 1534 ijt fte in 'tfmolbS oon SSrud ebenfalls vierftimmiger S3ebanbtung aufgenommen : brei=
mabl (Utro. 90. 91. 92.) finben mir fie in ben 123 2iebern (1544), barunter einmal)! von 33altbafar 9?e=
finarius, unb jmeimabl burd) "#ntolb von S3rud gefegt : in ber fväteren 'tfuSgabe von SBalterS ©efang=
buche enblid) (1551) erfdjeint fte jmeimabl (45. 40.) fünfjtimmig gefegt, einmabl fo — eine feltene
') ©. bie 9Jfc(cbit bio'cS Stcbcö in 93!\ «Prärorius 2onfa|c, SScifpict 'J2.
120
drfchcinung in jener 3eit — bafj fte im 33afje bie©runblage beS£armoniegebäube3 bilbet. &Mer »erfcbiebene
©mgarten bcrfelben, eine SSraunfcbweiger, SKeifjner, Sföärfifcbe unb ^reufifcbe (VIII. 154—157) t>at
>)>rätoriu$ un3 aufgezeichnet, von benen nur bie lefcte üon ©rbeblicbfeit tft, ba alle übrigen im 2ßefentlid)en
übercinftimmen. 9)rätortu3 zufolge mobulirte man in 9)reufj en in ber erften 3eile be£ jroeiten SEf>etle§ :
,,2)00 bift bu $en alleine"
nicht nach bem Sonifcbcn, fonbern bem Dorifchen, nach d, unb eben fo ju ben SEBorten :
„Du ewiger ©Ott,"
wo ber ©efang fonft in ben ©runbton jurücf juifehrcn pflegt. Dennoch hat Sohann Grccarb, beffen fünf;
ftimmige SSebanblung unferer SJMobie ben zweiten Sheil feiner ßhoräle befchliefjt, obgleich, er fonft ber
'•Preufjifcben «Singart fid) anjufchlie^en pflegt, fte boch hier »erlaffen, unb ben gebräuchlicheren ftch ange=
fcbloffen, bie in ber Sbat auch bem SBefen ber ©runbtonart angemeffener finb.
SSergleicben mir nun btefe SDcelobieen älterer beutfcber, in ben cttangelifcbcn Äircbengefang aufge=
nommener geiftlicber Sieber, mit ben au§ bem SüolfSgefange ftammenben ©ingweifen, meiere fpäter eine
fircblicbe S5cftimmung erhielten; fo tritt un§ in jenen junäcbft bas> grofae Übergewicht ber »orjugSmeife
fircblicben SSonarten entgegen, berjenigen, bie in ihrer ©tieberung »on ben in bem SMfSgefange t>orwalten=
ben, unferer heutigen Jlunftübung auSfcblicfjcnb gebliebenen Tonarten, ganj abweichen, be§ SDWrolpbtfchen,
spbrpgifcben unb Dorifchen. 9cur brei ftnben wir unter ben zehn fo eben betrachteten ©ingweifen, welche ber
ionifeben Sonart angehören, bie alfo mit unferen Durmclobieen uerglicben werben Fbnnten; bie ber
Sieber : 9cun bitten wir ben heiligen ©eift ; Äomm ^eiliger ©eift, £erre ©oft ; ©ort ber Skter wohn' unö
bei. Dtefen ftehen tnbefj oier au3 ber mtrolpbifcben SEonart entgegen, unb eben folebe, bie beren »olle
ßigentbümlicbfeit auf baä SBeftimmtefte ausprägen : Dies> finb bie beil'gen zehn ©ebot; £) wir armen ©ün=
ber; ©ort fei gelobet unb gebenebeiet; ©clobet feift bu 3efu6 ßbrijt; §n>et erttfrf)teben pbrngtfche: Da
3efu$ an bem ßreuze ftunb; bitten wir im geben finb: eine borifebe twn hohem Wtertbume: Gbrift itf
erftanben. Dagegen mangelt bei allen zehn ba3 ©treben nach felbftänbiger rbptbmifcber ©eftaltung;
fte fcbliefjcn fämmtticb nur bem 9Kaafje ihrer Sieber ftch an, burch ba§ ihr £3au übllig unb augfcbliefjenb
bebingt wirb. Diefe Sttaafie felbft finb aber jumeift folche, bie mit ben gebräucblicbjten be§ S3ol!§gefange§
niebte» gemein haben, unb in benen, bis auf zwei, auch feine anberen Sieber gebichtet worben ; benn bie
wenigen neueren, bie ben 9Jiaafsen ber Sieben 9cun bitten wir ben heiligen ©eift, unb ©elobet feift bu 3efu3
@brift ftch anfebtiefien, fommen hier nicht in SSetracbt. ^ene j w e i 9JMobiccn aber, bie eine 2lu3nabmc
machen, werben bureb 9Jcaaf?e geregelt, bie ben beliebteren beS 33olf3ge fanget im IGtcn Sabrbunberte
fehr nahe fommen, unb burch 'eichte Umftellungen, burch .geringe Ergänzungen, ihnen gleich z" machen,
alfo »on ihnen herzuleiten ft'nb. g§ frnb bie ©ingweifen ber Sieber: Die§ finb bie beifgen zehn
©ebot, unb: Da SefuS au bem .Kreuze ftunb. 3ene§ erfte hat mit ©eorg grunbSbergS Sieb :
,,9)cein Sleifj unb 9Küb ich nicht bab' gfpart" einerlei SOiaafj, wenn wir bie ©tellung feiner
legten beiben 3eilen in ber Tlxt »eränbern, baß bie toierfylbtge bie lefjte, bie acbtfylbt'ge bagegen bie »Oriente
wirb. Diefeö le^te ftimmt mit bem alten weltlichen Siebe „2B er ba§ (Slenb bauen will" im SSttaaße
überetn, wenn wir feiner erften unb t>ierren Beile bie furze, tambifebe «BorfcblagSfplbe nehmen, woburch fie
bann ftebenfplbige, rrocbäifcbe werben. Die SKelobieen biefer beiben älteren getrieben Sieber finb aber
auch bie einigen, nach beten Waagen wir fchon im Kiten unb 17ten Sabrbunberte neue geifilidhe Sieber
gebichtet, ja, auch mit neuen, felbftänbigen ©ingweifen »erfeben ftnben. Da3 SKaajj beö SiebeS : Die*
finb bie tjeÜ'gen jebn ©ebot liegt Dem Siebe von SRtcolouS £ermann : ,,©rfd)icnen ift Der berrlid)*
Sag" gu ©runbe; bem von ©ra$mu§ Ttlbev : ,,9cun freut eud) ©ottes? Äinbev all" bem 9iiftfd)en: „3ft
bicfer nicht bc» £öcbften Sohn," für roeld)e alle auch, befonbere ©ingroeifcn »orbanben ft'nb, fo, baf? bie
jene§ alten 2Qallfabrt§liebc$ feiten für fie benu^t ju werben pflegt. Öfter nod> bat man fid> beö 9DZaafje§
bebient von bem Siebe: 2)0 SefuS an bem Äreuje ftunb. "Ktarn SfeufmerS Sieb: ,,3n bid) l)ab
id) geboffet £err" ift in Valentin 33apfi3 ©efangbuebe feiner OJtelobic angeeignet, erfebeint aber fpäterl)in
auch mit mehren eigenen ?9ielobieen 0))r. M. S. VIII. 19—27); ©eorg SBetffeß Sieb „3m finftern Stall,
o munbergrof?" fd)licf?t bemfclben SRttöf« fieb an, unb ift in Sob. @ccarb3 unb ©tobäuS $Prcuf?ifd)en geft=
liebern (Xt>. I. 9lro. 14) bureb ben legten beiber SJteifter mit einer neuen Stngroeife gcfcbmücft roorben;
eine jmeitc bat Johann Qrüger baju erfunben, eine britte finbet ftd) in ber 3ugabe ju greilingSbaufenS ©e*
fangbuebe vom Sabje 1710. Später biebtete $)aul ©crl)arb fein Sieb : 3d) weif?, mein ©Ott, ba£ all mein
Sbun :c. in bemfelben SDiaafje, unb 3of)- ©eorg ßbcling erfanb bafür eine eigene 93ielobie (9)aul ©erbarbs>
geiftlicbe 2tnbad)ten :c. 9?ro. XXX), gnblicb ft'nb in ®r. 33ecfer§ *Pfalmbud)e ber 4te, 22fte, 31fte, 54fte,
7Uftc, 120fte auf biefe» 9Dcaafj geriditet, unb ^einrieb Sd)üfe bat jebem berfelben eine befonbere neue
Singmeife angeeignet, greilicb finbet fieb, in eben biefem $)falmbud)e ber lllte 9>falm bem SSflaafje beö
Siebet : ,,©ott fei gelobet unb gebenebeiet" angepaßt, mit einer SOielobie Don ^einrieb, <Sd)ük; bic§ aber ift
aueb ber einjige gall be§ anberroeiten ©ebraucbcS von biefem fonft ungemöl)tilid)en Sfftaafje, ben voir ju
ftnben vermochten. So Dürfen mir benn behaupten, bafj von ben jebn SKelobieen älterer Sieber, bie mir,
al§ in ben neuen, evangelifd) en Äircbengefang aufgenommen, juvor bctrad)tcten, ad>t ben Siebern eigen;
tbümlicb geblieben ft'nb, mit benen fie juerft in benfclben eintraten, unb roeber anberen angepaßt mürben,
noeb anbere, allgemeiner verbreitete, nad) il)ren SERaafjen erfunbene ©ingmeifen neben ftd) fyatten. iDiefeS
lefcte ift jmar von ben jmei übrigen ntcfjt ju fagen, benn man »ermenbete bie mef)r bem S>olfStonc fieb,
näbernben 3Kaape if)rer Sieber ju neuen geifiltd)cn £>id)tungen, allein man erfanb jugleid) für biefe auch,
neue, tbjem Inhalte näber ftcb anfcbliefjenbe ©ingmetfen, unb jene alten, noch über bie Anfänge ber Äir=
ebenoerbefferung binaufreiebenben 9Jielobepcn blieben jumeift ihren urfprünglicfyen Siebern eigen. Unter
jenen acht erften ©ingroeifen finben mir bei ber SQZebrjabl, — ben fünfen ber Sieber: übjift ift erftanben;
sJcun bitten mit ben b, eiligen ©eift; Äomm ^eiliger ©eift, Jperre ©ort; ©elobet feift bu SefuS ßbvift ; ©ort
ber 5>ater molm' un§ bei, — um bie erften Sabre be£ 17ten 3>abrf)unbert<5 nur örtliche 2tbmeid)ungen, mie
fie bei münblicber gortpflanjung ber SRelobiccn unter bem Solfe faft unvermeiblicb ftnb, ober, mie bei
Der Dritten, eine 2CuSgcfialtung ibjer melobifd)en SBcnbungen ju vollfommnerem (Sbenmaafje. @rbeb=
lieber fchon finb bie tfbmeicbungen bei ber ©ingmeife beS 3uba3liebe3, bod) fommen fie nur bei bem ihr
angehängten Änrie, unb in ber golge feiner ©cblufjfälle vor, unb mögen mobt nur auf urfprünglid) falfdjer,
bureb ben ©ebraueb inbefj örtlich feftgcftetlter Tluffaffung biefeS Sheile§ ber -JRelobie, eigentlich, nur ibre§
Anhanges, beruben; benn bie Söeife bcö SiebeS fclbcr ift unveränbert geblieben. Gjben fo fann eine einjige
örtliche '^bmeidjung bei ber SDMobie be§ Siebeö : „SKitten mir im Seben ft'nb, " bie fchon eine bebeutenbere
ift, meil fie eine frembe SÖJobulation bureb SSeränbcrung eine§ ber mittleren ©cblufjfälle einführt, nur für
eine unrichtige 'tfuffaffung gelten, unb l)at 9)rätoriu3 auch, burd) beren '2lufnal)me in feine ©ionifcfyen 9)Zufen
fte alö eine beftebenbe anerfannt, fo bat boch anbererfeitö (Sccarb baburch, bafj er in feinen, ber ^)reufiifcb,en
Singart — ber fte jugefcbjieben mirb — fonft ftd) attfd)liefjenben ßl)orälen bie urfprüngliche mieberl)er=
(teilte, ihren Söerth unb il)re SSeranlaffung beutlich in ba§ Sid)t gefteüt. 25ie erheblichften a5erfchiebenl)eiten
ü. SBinttrfcIt, ler trangef. d^t-itgefang. 16
122
ftnben ftd) bei ber ©ingart be3 £tebe§: ©Ott fei gelobet unb gebenebeiet; allein bie breifad)e Abweichung
in ben ÜÄobulationen, bie wir Ijter ft'nben, taflet nirgenb ba3 (Gepräge ber ©runbtonart ber SJielobie an,
tiefet bleibt in feinen wcfentlichen Steilen baffelbe, wenn eö auch, in ber einen ©tngart fchärfer heraustritt,
als in ber anbent. Äaum alfo werben wir behaupten bürfen, e3 habe hier eine umbtlbenbe SEhärigfeit
obgewaltet anbcr§, als» in befchränftem ÜBiaafje. 9cur in jwet fallen tritt eine folche unverkennbar fyeroox.
Sucrfi bei ber ©ingweife beö SiebeS: „25a SefuS an bem Äreuje ftunb."*) 33erwenbete man tfjr bem
SBolfätone näher ftehenbeS SJJaafj ju anberen gcifllichen Dichtungen, für bie man neue ©ingweifen erfanb,
fo machte man fogar auch einen S3erfud), ihre ©runbtonart, bie »hrt)gifd)e, in bie volfsimäfjigere
ä o l i f d) e, — eigentlich in eine w e i cb, e SSonart im ©inne unferer Äunftübung, — ju verwanbeln. 2CUer=
bing§ mar biefe Umbilbung nur eine örtliche, beren Alter mir nicht einmal)l genau fennen, fonbern ft'e erft ju
Anfange bcS 17tcn 3«hvhunbert§ aufgezeichnet finben, mo ft'e ^rätoriuS als eine in ber Wlaxt übliche, waf)r=
fcheinlid) nach ©efütS fünf« unb vierftimmigen Chorälen (^ranffurt a. £). 1601) mitgetheilt hat. ©eftut»
aber ijt geftänblid) nidrt ihr Urheber; er hat ft'e, wie alle bei ihm vorfommenben ©ingweifen, al3 eine in
feinem SBaterlanbe von Alters» her gebräuchliche aufgenommen, unb feinem Sonfa^e ju ©runbe gelegt, wie
er benn in feiner 83 orrebe felber fagt: er habe vornehmlich babjn gefehen, bafi bie gebräuchliche unb
gewöhnliche @l)oralmelobie im 2)iöFante behalten unb unveränbert geblieben fei, bamit alfo bie
chriflliche ©emeine mitft'ngen fbnne. Qjben in feinem SSaterlanbe ft'nben wir aber ein ^weites», ebenfalls von
ihm aufgenommene^ ffieifpicl ber Umbilbung einer alt»hn;gifd)en SBetfe in eine dolifche, unb unter ganj
gleichen 33oraus»fe£ungen, an ber aus» lateinifchem Choral fkmmenben 9JMobie beö Siebes?: ßhrtjtusj ber
unS feiig mad)t (Patris sapientia). 25a§ trod)difche SKaaf biefes» Siebes», bas» in ad)t Seilen einen
regelmäßigen SBechfel jeigt von einer ft'eben= unb einer fed)3folbigen, wirb bureb, eine geringe SSerdnberung,
ben 3ufafj einer furjen 33orfd)lagSft)lbe, ber e§ in ein iambtfcheS, mit einer acb> unb ftebenfvlbigen Seile
viermahl wecbjelnbes» verwanbelt, bem atlergangbarften beö SiolBgefangcs» gleich, kern es» hienad) auf erft
nahejteht: wie eS benn aud) obne biefe SSerdnberung für anbere gciftlid)e 25id)tungen mit neuerfunbenen
©ingweifen benuljt würbe, von benen hier nur Jpeinrich Gilberts: „(Sinen guten .Kampf hab' td) tc,"
©todmannS: „3efu Setben, $ein unb £ob" unb $>aul ©erharbS unb Sbelingö: „©chwing bid) auf ju
beinern ©ott" erwähnt werben mag.
2ßas> enblich bie SÜlelobte bee» Siebes? : ,,25ies> ft'nb bie hetl'gen jehn ©ebot" betrifft, fo würbe
feine ©runbtonart burd) eine örtliche Abweichung jwar nicht völlig veränbert, in einer ber gefangretchfien
$>rovin$en 25eutfd)lanb$» aber, in Thüringen, ihr eine ihrer eigentbümlichften SKobulationen ganj entjogen,
unb fo bie ©ingweife ben volfs»mäfugen näher gebracht.
Sie auö bem ältejlen lateinifd)en Jtird)engefange hemtbvenben SKelobteen, welche ber um bas»
erfie SSiertel beS Kiten SabrhunbertS ftd) bilbenbe neue ber (§vangetifd)en in feinen ÄrciS aufnahm, fuchte
er, wie wir faben, gcbrdngtcr, rh«thmifd)er, unb baburd) bem Siotfe einbringlicher ju geflalten, ohne jebod)
bie eigenthümlichfeit ihrer ©runbtonarten ju vermifd)en; von fpäter entftanbenen ©ingweifen lateinifcher
©efdnge ber alten &ird)e nahm er jwneijt bie ber gefllieber auf, bie fchon bei ihrem (Sntjte&en baö ©epräge
trugen, baö er jenen älteren erft ju geben fuchte. £>ie früheren beutfehen geiftlid>en Sieber behielten jumeiji
ihre uriprunglichen ©efangformen, wo nicht burch münbltche Überlieferung (SineS ober baö 'tfnbere ftd) in
*) iS. ba$ Scifpict 62, in SJerqtcid) mit 9tro. :< unb 123.
123
benfelbcn oeränbert tjatte ; nur einen einjelnen gall, ber 'tfuSbilbung mehr als Umbildung, vermochten mix
aufjuftnben, benn bie gefcbmütftere SKelobie fd)ien au3 bcr einfacheren entftanbcn fepn, gewann aud) nur
örtliche ©eltung. £>ie mciftcn tiefer früheren beutfcben geiftlicben Siebet roaren in 93kaf?en gebietet, bie,
bem SSolfSgefange frember, nur in allgemeinen 3ügen fid) ihm näherten; fanb aber eine größere Annäherung
ftatt, bie wir in nur brei fallen beobachteten, ba benuljte man fold)e SDkafje ju neuen Sichtungen, ju neuen
oolfSmätHgcren Steifen. £rtlid) ging man felbft nod) meiter. 2Benn aud) bie älteften 93ielobieen für
■»IRaape folcber 'ilxt ihren urf»rünglid)en 2iebem mcift auSfchliepcnb verblieben, fo gefd)al)e es> bod), baf;
ibren ftreng fircblicbcn Tonarten biefeS ©epräge entzogen mürbe, baf? man fte in eine neue ©cjklt umbilbete,
bie pvar bie allgemeinen Umriffe ber alten nod) erfennbar an ftd) trug, aber ben ©ingmeifen meltlicber
l'ieber nunmehr genähert erfd)ien.
Sil fotd)en äkrf)älrniffen, mie mir fie ju entmideln gefirebt, ftanben ber alte lateinifdje .Kirchen*
gelang, bas beutfcbe geiftliche Sieb, ber S3olfs>gefang beö bcginnenben lOten 3ai)rf)unbertö einanbcr gegem
über. 2Bie nun biltete aue> biefen ©runblagcn, au3 ben barin verborgenen 2eben§feimen, ber neue evan=
geliicbc Äird)engefang ftd) hervor? £>iefe§ jur 2(nfd)auung ju bringen, ift bie Aufgabe ber nun folgenben
DarfteUung.
3tt)etter Slfcfdmttt.
£)w alreüen, unrvungltcf) geifiücfyen l'iebroeifen, auS bem ersten 2>at)v$et)enb bei \fth$em>ei6effeiung.
1517 — 1527.
ffias mir als Quellen be£ evangelifeben .Rirchengefangcö juvor bezeichneten, mürben mot)l
Manche eher feine ©runblagen nennen mögen, mie mir eö eben getban. ©einer S5efiimmung jufolgc,
als geiftlicber 83olf5gefang, mupte er ftd) lehnen an jene ©ebiete, bie mir burchmanbelten ; um beS itird):
liehen millen, an bas? von ber Äird)c ©eheiligte, ober bod) nid)t ©emifjbiUigte ; ber 5>olBmd^igfeit megen
an bie S£öne beö unbercuf3ten .KunfttriebeS. 2lu§ innerer iftothmenbigteit fanb er ftd) gebrungen, ba§ auf
jenen ©ebieten, auf bem einen boppelgeftaltig, ©emachfene, jtt entlehnen, ftd) anzueignen, ©o baute fieb
basi 9teue auf über bem 'Gilten, als feiner ©runblage, ba3 2Berbenbc über bem ©emorbenen.
Allein es tonnte bod) nid)t ein blofkö Entlehnen genügen in bem vorauSgefefcten ©inne. ©d)on,
fofern es ben alten lateinifd)en Äirchengefang in Anfprud) nahm, ein von 'tfltcrS tjer Übertragenes*, in einer
entlegenen 3eit SSurjelnbes, ergab ftd) bie 9cot()menbigfeit eines? umbt Iben ben 2lncignens>, bamit ben
Sorberungen ber ©egenmart unb zuntal)! bcr SSolförnäpigfcit genug getban merbe. £)ajit famen bie
tfnfprücbe ber in AuSbilbung ber Äunft bes SonfaljeS rafd) fortfd)reitenben 3eit. @in Äird)engefang
für bie ©emeine follte gefchaffen merben, aber nur ©cbmarmgeifier, felbft biefen ju vermerfen geneigt,
tonnten alle&unft aus ber gereinigten Äirche ©ottes verbannen mollen. 2Mc heilige Sonfunft jumahl,
bie fo reich unter bem ^apfttbume aufzublühen begann, follte burd) ba$ ©vangelium nid)t ju S3oben
gefd)lagen merben. Umbilbenb verfebmolz ber in bem SBolfsgefange oormattenbe, melobifd) = rhpthmtfd)e
S3eftanbtheil bem alten Äird)engefange ; burchbilbenb mirftc bie aufblühenbe Äunft ber Harmonie, bie
16*
124
JBcbcutung beS SSKelobifcben crft völlig jur tfnfcbauung bringend bte freiere, bewußtere Entfaltung beffelben
hervorrufcnb, bcgünftigcnb. Sie Sl)ättgfeit beS ©ängerS, be§ ©e^erS, reichte in biefem ©inne ftd) bie
£anb; baö bis babin ©cmorbene erfd)ien in neuer, frud)tbarer, belebenber 33e$iet)ung, als eine reiche
£luelle für bie ©cbövfungcn ber ©egenwart, bem SBetbenben inniger, lebenbiger verwanbt, als wir
es mit bem SBortc ©runblage auSjubrücfcn vermöd)ten.
©o ift nid)t nur bcr Warne Quelle, ben wir gewählt, fonbern auch, bie Tlxt ber bisherigen Sar=
ftcllung gerechtfertigt.
Sie bilbcnben, befrud)tenbcn 33eftanbtl)cile unferer Quellen erf)etfd)ten eine längere, bei ifmen
aufmerffam verweilenbe Betrachtung. Sie günfheit ber ©runbtonreihen beS alten ÄircbengefangeS, gegen=
iiber ber 3wetbcit jener 3?eiben in bem SSolfSgefange; bie 9Jiannid)falttgfeit ber bid)terifd)en Süiaafje, ber
muftfalifcbcn 9ffn)tl)men biefeS legten, im ©egenfa^e ju ber rl)ptbmifct)en Sürftigfeit ber jenem erften mU
lehnten ©efänge, burfte nicht vorübergebenb abgel)anbelt werben. S5efd)rdnfte bie ©inwirfung beS älte<
ren lateinifd)en, wie beutfchen ÄirchcngefangeS ftd) jumeift auf bie früheren Seiten beS neuen evan=
gelifchen ßboraleS, fo war bie beS SSolfSgefangeS , mehr ober minber bewußt, eine burd) bie erften
beiben S«hvh«nberte ber .Kird)cnverbcffcrung fortbaucrnbe, unb eS erfd)ien nothwenbig, fte im 3ufammen=
bange ju betrad)ten, ber "tfnfd)aulid)feit wegen fowohl, als beS mannigfaltigen ©inneS, in welchem fte
hervortrat. Ser Einfluß beS älteren Äird)engefangeS, wie beS, ben Seiten ber Äirchenverbefferung näher
jiehenben, beruhte aber nicht allein auf ber Shätigfeit beS@ängerS, fonbern auch beS burchbilbenben,
bie 23ebeutung beS 9EJZ e lo b i f cb en mittelbar immer mehr jeitigenben ©efe er S; aud) beffen 33eftrebungen
waren baher auf biefem ©ebiete näher ju erwähnen, fofern fte auf mittelbare ober unmittelbare,
umbilbenbe ober neubilbenbe melobifd)e ©d)ö»fung einwtrften. 9lur baSjenige burfte ber 21bf)anblung
von ben ©efcern ber 6()oralweifen vorbehalten bleiben, waS baju btente, baS eigentümliche 33erbienjt
jener Sfflänner auSfd)lie^enb jur 21nfd)auiing ju bringen, ben gortfchritt ber Äunft beS SEonfa^eS an ihren
SBerfen barjulegcn.
Sn jenem Um= unb Surd)bilben bahnte bie unmittelbar fd)böferifd)e Shätigfeit auf
bem ©ebiete beS ßhoralgefangeS ftd) an, ju bereu Betrachtung wir nunmehr fortfd)reiten. Sod) ift bamit
nicht gefagt, baf? fte, ber 3eitfo(ge nad), überall bie fpätere gewefen, fonbern nur, baf? ihr gortwachfen an
Umfang unb SJeid)tl)um burd) S5etbeS auf baS ©ebeihlid)jte gefbrbert worben, nad)bem bie Äird)enverbeffe=
rung für getftlichcn ©efang ber ©emeine, geheiligten SSolfSgefang, eine tiefe, bauernbe SSegcifterung gewecft
hatte. Senn bie S£l)atfacl)e eines vor ber Äird)enrcintgung bcftel)enben beutfchen geglichen ©efangeS, ber
bie Anfänge unfereS evangelifd)en ßboraleS in ftd) fd)lieft, liegt gefd)id)tlid) juSage, unb in ihr baS Saferen
einer unmittelbar fd)övferifd)en Shätigfeit, ehe überhaupt nod) eine umbilbenbe hervorgetreten war. Sie
ftrud)t biefer S()ätigfeit, wie fte fd)on Aufgabe geworben war für bie burchbilbenben SSeftrcbungen beS
SSonfefcerS, hat uns nur fo eben befd)äftigt. Siefen älteren, beutfchen Äird)engefang werben wir ftetS eher
©runblage alS Quelle unfereS evangelifchen ßt)oraleS ju nennen Ijabm. SBaS er bemfelben als bilbert;
ben SSejianbtheil l)injubrad)te, bie günfheit feiner ©vunbtonrcil)ett, empfing biefer wcfentlid)er, wirffamer,
burch ben alten lateinifchen Ätrchengefang, ber bie 5£l)ätigfeit beS ©ef^erS unb jumaf)l bie umbilbenbe beS
©ängerS fo viel lebenbiger in 'tfnfvrud) nal)m. Senn rul)te biefe lefcte aud) feineSwegeS gänjlid) bei bem
älteren beutfchen geglichen ©efange, fo ift boch, — bie Umbtlbung älterer baf)tn gehöriger £ i e b er nicht flu
erwähnen, von ber hier bie 9?ebe nid)t ijt, — neben jenen, örtlichen SSeränberungen ber tird)lid)cn ®runb=
125
tonart freier Seifen tiefer 'äxt nur ein gall berannt »on gänzlicher Umfcfyaffung einer folcben, mobureb. Die
{Beibehaltung ber iirfprünglicbcn SDRelobie neben ber umgebilbeten jebod) nicht ausgefcfyloffen mürbe. Grs
ift bie alte Singrocife bes STfterlietes : „(Sfirifi ift erjtanben" gemeint, unb bie ifjr gegenüberftebenbe bes
luthertfehen : ,,G>hrift lag in Sobesbanben." Die SBeife bes älteren beutfeben geijtlicfyen Siebes ent=
lehnte femer auch nicht bie -Diaaße bes 83olfsgefanges j mir rennen — fofern fte nämlich in unferem @bo--
rale fortlebt — nur jmei in ihr u-orfommenbe Stropbenarten, bie ben in jenem »orfommenben nahe flehen;
feine eigentümlichen, rbutbmifcb - muftfalifeben 93eftanbtf)eile maren ihr fremb. ©ie biente ber TluZbiU
fcung bes neuen ßhorals, fofern fte bie bilbenben äSejtanbtbeile bes alten lateinifchen in einer ©eftalt in fid>
fchlofj, bie bureb 93cannichfaltigfeit ber SKaape unb beren 'iTnorbnung bem SSolfsliebe näher gefteUt mar.
'2fllerbings ift, menn ber Sßolfsmeife gegen ben alten Äircb, engefang ein größerer 9teid)tf)um bierin beigemeffen
mirb, von einer SSergleicbung terfelben mit antifen Süiaafjen nicht bie 9febe, unb fann es nidjt ferm,
meil bas, mas ber neue ßboral aus? bem alten lateinifcben aufnahm, entmeber an ungebunbene Stete ge=
fnupft mar, ober nur an ein einjiges, eben bas einfachste, tambifdie SEßaafü. Allein ber neuermachten,
lebenbig eingreifenben Sbätigfeit bes beginnenben 16ten ^afyrbunberts blieben auch, jene 9Eftaafje bes
'tfltertbums, unb ber Sieicbtbum ihrer Sibwtbmen feinesmeges fremb. Sftan verfugte ir)re ^Betonung, man
manbte fte an auf gcijtlicben ©efang, ber jeboeb, ohne inberÄircbe b eimifcb, ju merben , jumeift in ben •
©renken ber Schule blieb, unb auf ben jtirebengefang nur einen mittelbaren dinflup übte, tfueb baoon
foll gehörigen £rtes, unb, fo viel es thjunlid) ferm mirb, im 3ufammenbange gehanbelt merben.
$ier mirb uns junäcbjt obliegen, in bem erjien Sabrjebenb ber Äirch,enuerbefferung bas 33erf)ältnit3
pi erforfchen, in melchem bie febbpferifebe Sbätigfeit in Grrftnbimg neuer, getftlicberüiebmeifen gejtanben habe
ju bem um= unb burchbilbenben entlehnen; mobei mir jugleidi merben in "tfebt ju nehmen baben, meinem
ber brei zuvor betrachteten ©ebiete bas 6'ntlebnte jumeift angehört habe. 2Sot)l fonnte Manches, bas mir,
emft'gen $orfcbcns ungeachtet, aus Langel näherer Stacbricbt, jefct als neues ©rjeugnip" biefer 3eit bejeiebs
nen, bennoeb funftig als (Entlehntes erfebeinen; boeb, barf bie ÜKeglid)feit eine» folcben ©rgebniffes unfere
Arbeit nicht hinbern. Scmebr mir bie eigentümlich geftaltenben S3cftanbtbctle bes alten Äircbengefanges,
Der a?clfSmelobte, in ben Singmeifen, bie mir in ben älteften Denfmablen biefer 3eit antreffen, wfcbmol*
jen, je meniger mir fte vereinzelt fmben, um fo mehr merben mir biefe SBeifen als bamals neugefebaffene
anfeben müffen, menn fte als entlehnte nicht nadijumeifen finb, unb faum bürfen mir fünften bierin ju
irren. Die Durcbbilbung biefer neuen SSeifen mirb uns bann in ber folgenben Unterfucbung , über
Deren ©efeer, befebäftigen.
Sn bie SJlitte unferer gegenmärtigen ^Betrachtung merben mir, als älteftes unb bebeutenbjtes
Denfmabl bes eoangelifchen üboralgefangeS , bas ©efangbud) Sobann -©alters vom Sabre 1524 ju
ftellen baben. 9Kan b,at fein Dafepn bisher aus anfebeinenb triftigen ©rünben bejmeifelt, allein es fleht
als eine SSbatfache feft. Die Äbnigl. Jßibliotbef ju München erfreut ft'cb eines fo mertfmoUen S3eft^es
(Rar. I. 4. 6" Cimel.), menn auch nicht bes ooUftänbigen, benn nur bieSenor= unb Safjfiimme finb
»orbanben. Das erjte S3latt beiber h,at eine in £ol$ gefebnittene, breite ^infaffung; oben erblicft man
blafenbe, unten fingenbe, geflügelte Grngelsropfe, an ben Seiten laufen ^(rabesfen bin. Snnerl)alb biefer
einfaffung (lebt in ber Senorftimme : ©eifllich^e gefangf | buchlepn | TENOR. | 2Bittenberg Wl. D. iiij,
bureb einen feltfamen , vielleicht im Verfolge bes Drucf es erft erfannten unb oerbefferten ©a^feljler ; bie
©runbftimme, nur als BASSVS bejeichnet, trägt bie richtige Sahrjahl D. rriiij). @s mieberholt
126
ftch hier auf ganj ähnliche äöeife, was bei einer, bem 2Balterfd)en ©efangbucbe in bemfelben 3<*b" »or:
angegangenen ßteberfammlung fieb jutrug, bie bei ihrem bürftigen Inhalte — ft'e enthalt nur acht Steter —
ihr freilich nicht v»erglid)en werben barf. Sie führt ben SEitel: „etliche (5l)rtftttd)e Speber, Sobgefeng, unb
9>falm, bem reinen wort gortS gemefi, auf? ber beiligen gfd)rift bureb, mancherlei) .£>ocbgelarter gemacht, in
bei Theben 51t fingen, rote eS bann jum tail berant ju Söittemberg in pebung ift." 2113 Srucfort ift
Wittenberg angegeben, unb ber eine ber beiben bapon porbanbenen Srude bat baneben bie SahrjabJ
SR. T. X. iiij, ber jwette richtiger 1524; benn baft Sutber febon jeb,n Sabr por biefem 3etrr>unfte bie vier
c-eutfeben lieber gebiebtet haben foüte, welche lu'er als> bie feinigen mitgeteilt werben, ijl eben fo wenig ju
glauben, als bafj er nod) jeb,n Sabre juoor mit 3ob,ann SBalter ein geijtltcfyeS ©efangbueb, foüte herauf
gegeben haben, grüber inbefj a(S SßalterS ©efangbuef ft'nb ohne 3n>eifet biefe acht Sieber erfd)ienen, unb
eben fo auch jwei anbete Sammlungen geiftlidjer ©efdnge. Hillen biefen Sruden fehlt bie, bei gleichzeitigen
ober altern fenft neben ber Sabrjahl oft beigefügte Angabe Pon bem Sage ber SSoIlenbung bc§ SrudeS, wir
haben alfo baran hier fein ficb,ere§ .Kennzeichen ber 9fei()efolge if)ree> (SrfcbeinenS. 2fUein man roufjte ba=
male gewifj allgemein, baf? fintier eine Sammlung geiftlicher lieber vorbereite, bafj Sohann SBalter, ber
gefcbatjte Sonfefcer, ibm babei jur £anb gehe; »tele feiner Sieber roaren febon im ©ebraueb, SJcelobieen
nxtren rar'üv notbwenbig, unb eS mochte angemeffen feb, einen, biefe, obne tunftlicben £onfa£, neben ben
Bietern, fo fiel man beren habhaft roerben tonnte, mitjutbeilen, ju allgemeinerem ©ebraud), unb ju wohl-
feilerem greife. Dabei follte aber aud) bie SßorauSfefcung erregt werben, Sutber felbft habe S£t>eil an
tiefen Unternehmungen, biefe gingen neben feiner größeren b,ex, beren SSollcnbung längere 3eit erbeifebe
bei ben Dielen funftlicben £onfä£en SBalterS, roelcbe fein 33ucb, begleiten füllten, fie fei barum fo fcrmell
nicht pi erwarten. Huf biefem 3öcge, unb als Vorgänger, mögen alfo jene fo oiel bürftigeren Sammlun*
a,cn entftanten fei>n. 3Ba§ bie acht Sieber betrifft, fo ift pollfommen unmabjfcbeinlicb, bafj fie mit SutberS
SSorwiffcn, ober gar feiner ©enebmigung, ja, baf3 fie überall nur in Wittenberg erfdt)ienen fenen. £)enn
biefe Statt erfebeint auf tem SEitel juerft als fremter £)rt, bennoeb, wirb fie fpäter al§ Srudort genannt;
Sutber aber unb bie Seinigen bätten eS unfeblbar perfebmabt, mit bem SBeiworte „met .!pod)gelarte" vor ber
23clt ^u prangen, ©in frember Sruder alfo war ee> wobl, ber biefe Sieber ^ufammengerafft hatte, unb bureb
einen anpreifenben , lodenben Sitel feinen SSortbeil ju fiebern hoffte. @ine gleidje SBcwanbtnifj wirb eS
mit jenen jwei anberen Sammlungen gehabt baben, bie im Safere 1524, beibe ju Arfurt, obne Angabe beS
Drutferä erfebienen unb beibe ben £itel „Grncb, iribion" führen , wie fie benn auch, beibe ben SBunfd)
auöfprecben, bafj man mit ben barin enthaltenen, ober ihnen gleichen ©efangen ,, bie 3ugenb auferjichen
möge." Daö eine ift „jum febwar^en ^)om, bei ber Äremer Druden" gebrudt, baä anbere ,,in ber
••Pcrmcnter ©äffen, ^u ^erbex gaf? ; " beibe enthalten fünfunbjwanjig Sieber, ad)tjebn SutherS, fieben anberer
geiftlicber Siebter, unb beibe unterfcheiben fieb nur baburd), bafj baS erfigenannte jehn, ba§ anbere clfSBeifen
^u Sutberö Siebern bat, wogegen jeneS pier, biefeS nur brei ju ben übrigen mittheilt. Sie Herausgeber
cieier ,,.bantbücblein" nannten fid) nicht, weil fie Unbefugte waren, unb hatten fie auch ben Srutfort im
allgemeinen richtig angegeben, fo bezeichneten fie ihn bennoeb auf unbcfHmmtc 2ßcife, um Perborgen ju Met*
ben, aber auch um eine Sbeilnabmc Sutberö, ohne fie ber SBahrheit entgegen gerabehin }U behaupten, bei
fo fdroanfenben Angaben cM möglich erfcheinen ju laffen. Shncn, ben unpollftdnbigcren Sammlungen,
folgte bann baS fo piel reichere 2ßalterfcbe ©efangbud), fd)on beShalb gewifj baS fpätere, wol)l erft mit
ÄuSgange bei >hreS 1524: ber berriebfame ^)eter Sd)öffer brudte eS fofort in Strasburg nad), wo eö
127 —
unter bem Settel erfcbien : ®epftltd>e ©fangbüd>ttn , (Srftlicfe ju SBtttertberg, onb »olgenb burcfe 9>eter
Scfebffern getrudt, im jar 9Ji.£).rrt>. 2ln bcn oftlicfeen unb mejtltcfeen ©renken SeutfcfelanbS »erbrettete eS
ftcfe fcfencll auf biefem SBege; allein aucfe bie, menn gleicfe unoolljtdnbigcren Cjncfeiribien blieben nicfet ofene
9cacfemirfung. Sie roaren bem 33ebürfniffe eines geiftlicfeen SingebucfeeS ofene funftlict>e £onfd|e entgegen^
gekommen, ber größeren Spenge zugänglicher unb bequemer, unb »ielleicfet rüJjrt il)re grofje Seltenheit eben
bafeer, bafj bie Auflagen fcfenell »erfauft maren, unb eben fo burcfe ben ©ebraucfe felbft, bei bürftiger 2tuS=
ftattung, balb ju ©runbe gingen. @ben jenes 33ebürfni£ »eranlafjte »oft! baS (Srfdjeinen eineS Singe=
bucfeeS ofene meferftimmige SEonfd^e ju Söittenberg 1525, unb in bemfelben Safere dfenlicfecr ju Dürnberg
unb ju 83reSlau, in ber 9Jcitte, an ben dufjerften oftlicfeen unb meftlicfeen ©renjen SeutfcfetanbS, fo bafjt
mir biefeS Safer mit 9?ecfet als baSjentge anjufefeen feaben, in mclcbem ber beutfcfee, eüangelifcfee jtircfeem
gefang einen recfeten 2luffcferoung begann, mie benn aucfe in eben biefem Safere bie erfte beutfcfee SJieffe nacfe
SutfeerS unb SBalterS ülnorbnung ju Wittenberg (am 29. £)ftober, ben Sag nacfe Simonis unb Subd)
oerfudbSmeife gefealten fenn foll.
SSon jenen acfet Siebern »om Safere 1524 feaben mir an btefem -Drte nicfet auSfüferlicfeer ju fean=
beln: ift ja bocfe in bem früfeeren Tlbfcfenitte jumeifi fcfeon »on 3fllem bie 9?ebe gemefen, maS btefe menigen
SBldtter auSjeicfenet. 25aju fommt, bafj mir ju acfet Siebern nur fealb fo »iel Singmeifen erfealten. Sie
beS 2iebe§ : ,,9cun freut eucfe lieben (Sferiftengmem" gefebrt ju benen, bie gembfenltcfe Sutfeer jugefcferieben
merben; »on ifer roirb ju reben fepn, menn fein SSerbienft als Sänger geiftlicfeer SBetfert unS befcfedftigt.
Sie SBeife beS SiebeS: ,,(§S ijt baS $£t\l unS fommen feer, " feaben mir, all maferfcfe einliefe auS bem 83olfS=
gelange ftammenb, genannt, unb ndfeer betraefetet: fie ift feier noefe brei Stebern, nach, bem elften, breü
jefenten, feunbert unb ,breif?igften $>falm, angeeignet: „2fcfe ©ot »om ^nmmel fnfee barenn; GrS fßriefet
ber unmeif? munb mol; 2iuf tieffer Stot feferen iefe ju bir." 2?on ben übrigen brei Siebern feat baS an
ber werten Stelle jtefeenbe 9)aulS »on Sürctten: „$ilf ©ort mie ift ber SCRenfcfeen Stoffe fo grof?" feier
feine SDMobie beigejeiefenet; baS britte, beffelben SicfeterS: „Sn ©Ott gelaub iefe baS er feat" eine, mit
feinem Siebe langft »erfcfeollene; bte beS legten : „Sn Sefu namen feeben mir an, baS beft baS mir ge=
lernet fean" ift um fo mefer ju übergefeen, meil fte in beiben Sruden feödift fefelerfeaft mitgetfeeilt ift, unb
biefelbe, ba fie niemals ©egenftanb fearmonifefeer Surcfebilbung gemefen, noefe fünft irgenb ein erfeeblicfeer
Umftanb ftefe an fie fnüpft, eine müfefame Sßcricfetigung niefet lofent.
3Balter§ ©efangbuefe, in fünf Stimmbücfeern gebrudt (Diöfant, 3tlt, Senor, SSaganä, Safj;,
entfedlt im SEenore, ber bis auf jmei gdlle bie ^)au»tmelobie füfert, ben »ollftänbigen Settel beS ©anjen,
auf ber legten Seite beS Miltes bie S5emerfung: Auetore Ioanne Waltero. Sie 2lu§gabe »on 1524 unb
ber £>rud ScfebfferS »on 1525 ftimmen »bllig überein, unb nur brei Sieber feaben eine abmeiefeenbe Stellung
unb 3afel*). Ser ©efangftüde finb brei unb »ierjig, fünf lateinifefee unb ad)t unb breifjig beutfcfee, unter
jenen jmei, unter biefen elf fünfftimmige ; bie übrigen bis auf jmei breijtimmige Sd^e : ber eine über bie
SJielobie : ,,5cun freut eucfe lieben ßferiftengmein, " ber anbere über bieSBeife: Sefn§ SferijiuS unfer £eilanb,
ftnb fdmmtlicfe ju m'er Stimmen. Sn biefen acfet unb breifig SEonfd^en ftnb jmei unb breifjig geijtlicfee
1524.
1525.
') ©Ott ber SBatec rcon uns bei. 34.
3Btr glauben all an einen ®ott. 35.
6ö ift ba« ^>eil uns fommen t;cr. 36.
35.
36.
34.
128
Bieber unb ffinf unb Dreißig baju gcljbrmte ©ingmeifen, befranbelt. Über bie SSKelobie be§ Siebet 9tro. 9.
ißluift lag in SobcSbanben) geben bie beiben folgenben Hummern (10. 11) noch, jwei »erfcfriebene £onfä£c
unb oben fo ju ber SBcife bc$ 2fbenbmaf>IäliebcS : „SefuS GfrrifiuS unfer £eilanb" (9iro. 23), bie nddjflc
Stammet (24) noch, eine jroeite 33efranblung ; bie Siebet : ,,£)urcfr #bam3 gall ift ganj oerberbt" (16) ;
„9hm fmit euch, lieben Gibrifiengmcin" (14); „3efu§ GfrriftuS unfer #etlanb, ber ben Sob übermanb"
(31), erfd>einen unter ben ßafrlen 17. 15. 32 jebeS mit einer jmeiten, abmetefrenben SfJMobie. §3on ben
bienaefr oorf ommenben 35 SOielobieen ftnb brei auö altem lateinifcfren ßfroral genommen, bie ber 2ieber :
9hm fomm ber Reiben £eilanb (Veni redemptor gentium, üftro. 20); ßfrrifium mir follen loben fefron
(A solis ortus cardine, 91ro. 21) ; .Komm ©oft ©d)bpfer freiliger ©eift (Veni creator Spiritus, 9i"ro. 33).
3mei geboren n>at>rfdt>cinltd) bem SJolfögefange an, bie ber ßieber: (S3 roolf un3 ©ott genäbig fetjn (12);
(SS ift ba3 Speil unS fommen frer (36). ©ieben enblicfr flammen, jumeift auch, mit ifrren Stebern , au§
bem älteren beutfefren £ird)engefange: 9?un bitten mir ben freiltgen ©eift (sJlo. 1.); Äomm freiliger ©eijt,
■Sperre ©Ott (2.); bitten mir im Seben ftnb (3.); ©ort fei gelobet tmb gebenebeiet (5.); SieS finb bie
beifgen jefrn ©ebot (18.); ©elobet fem? bu SefuS ßfrrifi (22); ©ort ber SSater mofrn' un3 bei (34.).
^)ieju rönnen mir noch,, al3 eine Umbilbung, bie SBeife bee> lutfrertfcfren 2tebe§ rechnen: ,,@frrift lag in
SobeSbanben (9. 10. 11.) beren Überfcfrrift: „(Sin ßobgefang, ßfrrift ift erftanben, gebeffert," in ä$er*
gleicbung mit ber SDcelobie biefeö alten DftergefangeS beutlicfr jeigt, bajj beibe§ au$> biefer früfreren £luetle
gefefröpft fei. Unter 35 SSKelobieen fraben mir alfo beren bretjefrn, niefrt üiel meniger als bie £älfte beS
©anjen, bie mir aß entlehnte, unb jmar, bem grbfjeffen Sfretle nad), au§ bem älteren beutfefren £ir=
cbengefange entnommene, ertennen muffen. SSon allen biefen ift fefron juöor auSfufrrlid) gel)anbelt morben.
Unter ben übrigen ßiebern , mit 2fu3nafrme beS juttor gebaefrten 2i"ufcrftefrung3gefange§ , rubren
beren elf »on ßutfrer frer, mit bretjebn DJMobieen*); unb aefrt won anbern geiftlidjen Sintern, mit neun
©ingmeifen (jefrn SEonfäfjen)**). (SS finb frier »ornefrmlicfr biefe legten, mit benen mir un§ ju befefräftigen
fraben, benn SutfrerS SSerfrältnif? ju ben Anfängen unfereä (SfroralgefangeS mirb unS ber näcfrft folgenbe Tlh
fcfrnitt jeigen. Socfr; burfen mir bie allgemeinen SBejiefrungen frier niefrt uorübergefren, melcfre alle biefe
22 SKelobieen, bie älteften grücfrte beutfefren geiftlicfren SiebergefangeS naefr ber £ird)enwrbefferung, un§
barbieten.
SBetracfrten mir junäcfrft bie breijefrn ©ingmeifen lutfrerifefrer Sieber naefr ifrren ©runbton*
arten: fo ft'nben mir barunter jmei pfrrr,gifcfre ***) , jmei mirolpbifcfre f) , fecfrS borifdfre ff) unb brei
•) 2tuS tiefet Slotb (4).
Gin neueö Cieb mir fjeben an (0).
2tc^ «ott vom Gimmel fief) barcin (8).
9tun freut cueb lieben Cljriftengmein (14.15);
gjeenfdj, roiUtu leben fcliglicb, (10).
SBol bem, ber in ©otte gurrte fteljt (26).
SRit ftrieb unb greub (27).
SBär ©Ott nic^t mit uns biefe 3eit (28).
Qi \vriijt ber Unrocifcn 9)funb mof)l (30).
3efu6<5(jriftug unfer £ei(anb, ber ben Zoo überroanb (31. 32).
SBir glauben alt' an einen ©ott (36).
") Sein armer £auff, 7.
Grbarm bidfa mein, o $crxe ©ott, 13.
Durch, Äbam« galt ift ganj oerberbt, 10. 17.
ScfuS 6l)riftu6 unfer Jpcitanb (3obann puffen Sieb), 23. 24.
grötieb trollen roir £alleluja fingen, 25.
^>crr ehrift ber einig ©ort« ©obn 2C. 29.
£ilf ©ott, roic ift ber SKcnfcbcn «Rott) fo groß, 37.
3n ©ott gclaub id), 3S.
"') 9cro. 4. 2(ug tiefer 5Rotl) «.
= 19. 59cenfcb, mültu leben fcliglid).
|)9cro. 32. ScfuS ßbriftuS unfer Jpcilanb, ber den
SEob 2C.
-- 26. 2Bof)t bem, ber in ©otf« gurefrte ftebt ic.
(im 3!one C mit oorgcjcicbnctem b).
II) Sftro. 8. 2fd) ©ott r>om Jpimmcl ftcb barcin (nid)t
bie jefjt gcmöbnlid)c) im Sonumfangc
G mit corgcjcidjnetem b.
129
ionifcbe*); feie fird) ltd)en SEonarten tyaben bei ihnen bemnad) ein entfd)tebenes> Übergeroid)t. 2)a$
SKaajj betreffend fo jeigt fajt bic £älfte (4, 8, 30, 14, 15, 28) ba3 fo beliebte ftebenjeilige iambifdje,
bei n>eld)em eine ad)t = unb eine ftebenfylbige 3etle in ben erften beiben ^bfäljen roecbfelt, in bem legten
eine ftebenfplbige Seile ftd) jroei t>orangel)enben adbtfylbigen anfd)liefH. Sroet (9cro. 19. 26.) fyaben ba3
»ierjeilig > ad) tfplbige , bem 33olf3gefange eignenbe 5DZaafs ; bie fünf anberen befonbere, tynen jumeift eigene
tbümlid) gebliebene. SSon rf)t)tbmifd)em SEBecbfel bei ^Betonung biefer SOßaafje finb nur bin unb roieber ein-
jdne Buge anzutreffen. 2Bir ftnb f)ienad) berechtigt von ifmen ju fagen : fte cntftanben jumeiji unter bem
©influffe beS alteren, beutfdjen £ird)engefange$> ; tl)eiln>eife im SDZaafje, faum merflid) im 3if)t)tl)mu3
geigen fte bie Crinroirfung ber SSolfSroeife, t>on beren roefentlid) bilbenben 33eftanbtbeilen fte nur oberflächlich,
berübrt vourfeen.
£ie neun ©ingroeifen ju ad)t giefeern anberer geifrlid)er Stüter jener Seit jeigen unö df>nltd)e
5ßerl)ättniffe. £)en ©runbtonen jufolge, ftnb e§ bret pf)n)gifd)e**), eine mirolt)feifd)e***), brei borifctjef), jroei
ionifcbefr); aud) f)ier alfo waltet bie ftrcr)ltcr;e Sonart oor. $olf3tbümlid)c, ober bod) ifjnen nal)e fkbenbe
SJlaafse fommen l)icr läufiger t>or. 3n jroei fallen (bei 9lro. 16. 17, ben jroei SJielobieen be§ £iebee>:
£>urd) 'tfbamS gall ift ganj üerberbt) erfd)eint bie gangbarjte ©tropl)e be§ S3olf3gefange§ , bie achtteilige
iambifcbe, in regelmäßigem SBecbfet acht = unb ftebenfytbiger Seilen; in einem anbern Salle (bei Sftro. 13.
Erbarm biet) mein o £erre ©ort) eine, berfelben fet>r ähnliche, ad)tjeitige, tambifeibe, oon burcbauS acb>
folbigen 3eilen; bie SKelobie be$ Siebcö „4?err Gbttjt, ber einig ©otteg ©o^n" fd)lief3t enblid) ber
ftebenjeiligen Strophe be3 33olf3liebe3 ftd) an :
9lro. 31. ScfuS (Stjrtftuö unfer £eilanb (eine
jroeite ©ingrcetfe\
s 27. SSKit grieb' unb greub'.
= 15. 5Run freut eud) lieben 6f)riftengmein
(eine je$t nid)t meijr übliche ©ing-
rceife).
= 28. 2Bär ©ott nidjt mit uns biefe 3eit.
= 35. SOStr glauben all' an einen ©ott it.
') 9tro. 6. ©in neues Sieb reit beben an it.
'- 30. ©6 fprtdjt ber Unreeifcn 9Kunb reotjl 2t.
■ 14. 9cun freut eud) lieben ©fjriftengmein
(bic 1524 fd)on crfd)einenbe SSÖeife
bt'efeS CiebeS : bort im ©runbtone F
mit Dorgeäeidjnctem b ; fjier in G.)
*) 9tto. 17. 2>urd) 2tbamS galt ift ganj oerberbt u.
tt)
(eine fpätet nidjt metjr oorEommenbe
2Beifc).
9lro. 13. erbarm' bid) mein o £erre ©ott.
= 37. £ilf ©ott, reie ift ber SWenfdjen SRotf)
fo gro£ it.
SKro. 25. grölid) reotten reir TOeluja fingen je.
9lro. 16. £)urd) 2lbam§ gaü (nid)t bie jefct ju=
meift üblid)e).
- 23. (24 ein jreeiter SEonfa^) SefuS 6l)riftug
unfer Jpeilanb, ber oon uns :c.
= 38. 3n ©ott gelaub' id) (im ©runbton G
mit oorgejeic^netem b).
SRro. 7. Sein armer ^>auf.
29. ^err ßljrift ber einig ©Otts «Sohn.
^>crr 6f)rift ber einig ©ott§ ©of)n.
d. aBinterfeli, ter toangcl. S6oralg<fang
130
„3cb t>ort ein grdulein flogen*),
gürwafjr, ein weiblich 33ilb, "
unb febr nahe fommt bcrfelben bie jenes anbern :
„Sdb, ftunb an einem borgen**)
heimlich an einem £)rt,"
von t-er fie nur in ber fünften Seile abmeiert, bie bort eine ©plbe mefyr i)at. 3n eben biefer ©ingweife
tritt aber auch ber für bie SSolfSmetobie bejetdjnenbe rlwtbmifcbe SBccbfel auf ba§ ©ntfehjebenfte bewor,
alS baä turcbaiiS JBelebcnbe unb ©efialtenbe. %t)xe erfte Seile ift geraben SafteS; buref; einen erweiterten
trcitbeiltgcn SNbptbmuS get>t fie in bie sweite über, bie nun ben ungeraben SEaft, borJb, mit ooranfteb,enber
Äürje beibehält: in ber britten unb vierten wieberbolt ft'db, baS gleiche SScrbältnifs. §8on ben brei legten
Seilen ift bie erfte (fünfte) geraben SafteS ; ganj übereinftimmenb ber beginnenben be§ erften 3tbfa^e§ gcf>t
fie in bie jweite (feebfte) über, bie wicberitm ungeraben Saft, boer; mit twranftebenber Sänge jeigt, unb
tiefe finbet abermals bureb, breitbeiligen, erweiterten 3il)t)tf)mu§ ben Übergang in bie ©cblufijeile, meiere
mit ber beS cr|tcn JCbfafceS imSBau übereinftimmt. Siefen rfrotbmifcben SBau, fo wie einige SBenbungen be§
©cfangeS verbanft fte ber SBcife beS juerfi genannten 33olf§tiebeS ; einer einjelnen ©teile beS julefct gebad)=
ten vteücidH ibre erfte, bebetttfame SEftobulation. Tille biefe ^nflänge finb aber lebenbtg in tt)r ücrfcbmoljen,
fte ift ein ganj 9ceue3 geworben, unb beSbalb ftel)t fte mit 9fed)t tn'er unter ben urfprünglicb gei|tlict)en
9Relobteen ber frübeften JftcformationSjcit. Sei allen übrigen 9Kelobieen erfetjeint bin unb wieber ein ein=
feiner 3ug einer ähnlichen ©lieberung, nirgenb aber eine gleich, folgerechte ©urcbfüfnamg berfelben.
9ficbt alle biefe 22 ©ingweifen ju ßutberS unb 3lnberer ßiebern haben ft'ch bauernb in unferm
evangelifeben Ätrcbengefange erhalten; nur etwas über bie £älfte aller, breijebn im ©anjen, unb jwar
von jenen neun, oon biefen Bier, fmb noch; jefct üblid). £er lutherifeben juerft ju gebenfen, fo madjte bie
in ©alters ©efangbuebe mitgetheilte borifebe SBeife beS SiebeS: „tfcb ©Ott oom £immet fteb barein"
balb ber befannten pbrpgtfcben Sfaum; bie beS ©efangeS won ben jween Zarterem 5U S5rüffel „(Sin neues
Sieb mir heben an," oerfebwanb mit biefem, einem bloßen ©elegenheitSltebe, baS nur im «Beginne ber
Äircbenuerbcfferung lebhaft ergreifenb, als jtircbenlieb füäter nidbt mebr an feinem £>rte mar: an bie ©teile
") M. 3d) (lört ein gräulein fragen ic.
"') III. 3d) ftunb an einem borgen ic.
131
ber beiben ©ingweifen beö £)fterliebeö : ,,3efuS ßbnftuS unfcr Jpeilanb" trat balb eine britte, borifdje,
allgemeiner anflingenbc; bie jmeite, borifd)e, be$ £tebee> : ,,9?un freut euer; lieben Gjfyriftengmem" erfd>eint
fyäter ntd>t wieber, unb bürfte wohl ausfchtiefjenb in ben älteften Ausgaben beS 2Batterfd)en @efang=
buchet anzutreffen fepn. Sie ßieber anberer geiftlicfyer Sichrer betreffenb, fo ftnb unter ihnen biebrei:
Sein armer £auff; £ilf ©ort, wie ift ber 9Kenfd)en SRotfr fo gro£; 3n ©ort gelaub ich ic. (7. 37. 38.)
balb au§ bem jtirdjengefange »erfdbwunben unb ihre SJWobieen mit iljnen, ba ju bem SKaafje jener fein
anbereS Sieb oorhanben ift: »on ben beiben ©ingweifen bes> 2tebes>: ,,Surd) 'ZlbamS Sali," bie uns tjter
mitgeteilt werben, tjat ftd) feine einjige erhalten, wenn aud) bie borifd)e noch, in ber 2lu3gabe SBalterS »on
1551 erfd)eint: nur bie ÜJKelobieen: drbarm bid) mein, o Sgexre ©ort; grolid) wollen wir 'tftletuja fingen;
Sr>m ßbrift ber einig ©ott§ ©ofm; 3efu3 CEfjriftuS unfer 4?eilanb, ber von une> ben ©otteS 3orn wanb,
werben nod) jefct ju ihren Biebern, ober anberen gleichen SftaafjeS, gefungen. Sagegen haben alle tjter
oorfommenbe, au§ bem lateinifd)en (5t>oral, bem 33olf§gefange, bem alteren beutfehen Äirchcntiebe ent=
lehnten breijel)n 9Kelobiecn ohne Ausnahme ftd) unter un§ erhalten. Sae> glücfltd)e Aneignen be§
früheren, ba§ neue (Schaffen für bie Sauer, galten hienacb, in jenen früfjeften Seiten einanber r>oIIfom=
men ba§ ©teid)gewid)t. 3n biefem legten tf)ut jumeift bie bilbenbe .Kraft ber fird)tid)en Sonart ftd) funt>,
weniger bie ber rfn)thmifd)en gülle be3 33olf3gcfange§ ; jwar in 2tnbeutungen, bod) ein einjigeö 9Jlal)l nur
eine eigentümliche SBlüthe entfaltenb, fonnten wir fte wahrnehmen.
Erwägen wir Snfjalt unb S3ejtimmung ber Sieber aller unferer ©ingweifen, ber entlehnten, wie
neugefd)affenen ; fo tritt ba§ geft = unb ba3 9) fa Im lieb jumeift unter irrnen b,erau§. Ser geftgefänge
ftnb jeb,n mit elf ©ingweifen; ber ^Pfalmlieber neun im ©anjen, — jufammengenommen über bie
$älfte aller. Sie geftmelobieen ftnb jum grofjeftenSljeil bem alten lateinifd)en unbbeutfchenitird)engefange
entlehnt: auS jenem flammen bie ©ingweifen ber brei 4?pmnen für bie 3lbt»entäjeit , ba§ 2Beif)nacht§ *
unb 9)ftngftfeft : 3Run fomm ber Reiben #etlanb ic. (20;; 6r;rtfrum wir follen loben fd)on ic. (21); Äomm
©ott ©d)twfer heiliger ©eift ic. (33); aus> biefem bie SDielobie eine6 2Beirmad)te>liebe§ (©elobet feofiu^efuS
ßhrift (22); jweier spftngftlieber (Äomm heiliger ©eijt, #erre ©ott ic. (2) ; <ftun bitten wir ben heiligen
©eift :c. (1)5 eines ©efangeS auf ba3 gefi ber heiligen Sreieinigfeit: ©ott ber SSater wohn uns bei, (34),
woju wir benn aud), aB eine Umbilbung, bie bes> lutherifd)en Stebeö ,r(5f)rifi lag in SEobeSbanben" (9.
10. 11. (in brei SEonfä^en) werben rechnen müffen. sJcur brei geftmelobieen bleiben htenad) übrig, al§ nad)
ber Äirchenverbefferung gefdbaffene, bie jwei be§ £?fterliebe§ : Sefuö ßhriftug unfer ^eilanb (31. 32) unb
bie beS £obgefange3 ©imeon§ für ba§ geft ber Reinigung SEJcarid, ober Sarbringung G>l)rifti im Sempel
(27): 9Jiit grieb' unb Jreub td) fahr' bahin, üon welchen beiben unter ben tutf)enfd)en ju hanbeln fepn
wirb, ©ollte e§ befremben, unter biefen Siebern feinS ju finben, baä t?on ßh^ifti ßetben unb Sob auä=
fd)lie^enb hanbett, alfo aud) feine $)affion3melobie: fo ift ju erwägen, baf? eben bie '2luferftehung§=
lieber 2uther§ fräftig gegrünbet ftnb auf ßbtiftt Sob, fofern barauä ein neueö ßeben ber ©nabe unb @rlb;
fung entfproffen ift. 3n biefem ©inne fingt er :
@f)rift lag in £obe3banben
gür unfre ©unb' gegeben
dir ift wieber erftanben
Unb hat un§ bracht ba3 geben;
unb ferner :
17*
132
£a bleibt nid)ts aU Sobö * ©ejtalt
£)en «Stapel f)at er verloren;
enblid) :
ߧ war ein wunberlid)cr Ärieg
25a SEob unb geben rungen,
£>aö geben behielt ben ©ieg
@s l)at ben £ob üerfd)lungen.
Siefe legten Seilen ft'nb auf SSBorte ber alten £>fterfequenj „Victimae paschali" gegrünbet: Mors
et vita duello conflixere mirando etc., bie tf)m befonbers wertf) waren, wie er benn tton il)nen rül)mt :
,,@S babe (tiefen fd)bnen ©cfang) gemacht, wer ba wollt, fo mufj er einen l)ol)en unb d)rifttid)en SBerftanb
gebabt baben, bafj er btesJBilb fo fein artlid) abmalet, wie ber SobbaS geben angegriffen, unb ber Teufel aud)
mit auf ba? geben jugejrocfycn Ijabe." @o fingt er benn aud) in bem jweiten unferer 2luferftel)ungslteber :
SEob, ©unb, Teufel, geben unb ©nab
2fll6 in #anben er l)at
dx fann erretten
2flle bie ju tym treten
unb alle biefe 9J2ad)t fommt tf)m, weil er ijl
3efus> @f)rijru5 unfer ^jeilanb
S5er ben, Xoo überwanb.
£>as geben in unb aus bem Sobe war bas gofungswort jener Seit, bafyer in ifjren getftltd>en
giebern auch, bas geiben unb bie 'tfuferfiefyung meift jufammenfd)moljen, unb bem .Ipalleluja bes £)fterliebes
fid) ftets bie ernfte gdrbung bes ^affionsgefanges beimtfd)te.
Stammt bas geftlieb unferer Sammlung unb feine ©ingweifen jumeift aus bem alten Äird)en=
gelange, fo iji bas ^»falmlieb bagegen ausfd)liefknb eine grud)t jener Seit/ unb, bis auf einen gall, aud)
feine 9Jielobie; fofern nämtid), — wie wir biefes ju jeigen gefügt, — bie altefte SEBeife bes $)falmliebes
@s wollt' uns ©ott genäbig fepn,
weld)e fpäter bem Äatedjismusliebe : „ßfyrift unfer .Iperr jum Sorban fam," angeeignet würbe, aus
fem SSolfsliebe flammt. '.Kufjer jenem Siebe gutfyers über ben (>7jten ^falrn (Deus misereatur nostri), bas
balb nachher aud) eine eigene, if)tn bis auf unfere 3eit gebliebene SKelobie gefunben (jat, unb nur bier jene
entlehnte jagt, giebt uns SBalter fünf lutf)erifd)e «Pfalmlicber :
3lxo. 4. 2lus tiefer «Roth, (9)falm 130).
= 8. 2td) ©ott vom Gimmel fiel) barein (IPf. 11).
30. @s f»rid)t ber Unweifen 9Jtunb ($f. 30).
= 26. 5Bof)l bem, ber in ©Otts gurd)te |tel)t 128).
i 28. 2Bär ©ott nid)t mit uns biefe 3eit ($f. 124) ;
cineö von ^)aul ton ©»retten :
3lxo. 7. Dein armer £auf ($f. 10) ;
eines oon Grbarb £egenwalb :
9lro. 13. Erbarm bid) mein, o £erre ©Ott (^f. 51);
unb eines entlief) con 3obann 'tfgricola:
3lxo. 25. Srblid) wollen wir £alleluja fingen ($f. 117);
jebeS mit einer eigenen, früher nid)t »orfommenben ©ingroeifc. 2Btc fet>r e§ Cutter am 4?erjen gelegen,
bie ^Pfalmen, t>te in bem ©otteäbienfte ber alten .Ätrcfye eine fo bebeutenbc ©teile einnahmen, burd) Sieb
unb ©efang bem 23otfe jugänglicber ju machen, jeigt fein S3rief an ©eorg ©palatin oom %at)xe 1524*), in
meinem er biefen bittet, ü)n bei folgern SBerfe ju unterjtüfjen, für ba§ er aud) ben Sodann üon Soljig in
tfnfprud) genommen; mie »iel, unb mit melden 9)litbelfem, er fdjon bamalS Sterin Ijabe leiten fonnen, lefjrt
unfere Sammlung. 3Bir er!ennen barin bie Anfänge einer 3fid)tung, bie ftd) fpdterbjn fo meit verbreitete,
unb ortlid) fogar ben Äird) eng efang ber @t>angelifd)en auSfcfyliejjenb bcl)errfcbte, roie biefeS fünftig im 3u-
fammenbange ju jeigen fetjn mirb.
giäcbft bem gefi = unb bem 9)falmliebe nimmt ba§ Äatccbiämu6lteb bie bebeutenbfte ©teile ein in
unferer Sammlung. £>ie2Beifen jmeier Sieber biefertfrt flammen au3 bem alteren beutfdjen Äircbengefange :
©ort fei gelobet unb gebenebeiet (9lro. 5).
2Me3 ft'nb bie ^eiligen jetjn ©ebot ic. (9lro. 18).
Sie beö legten ifloon Cutter bem SEBailfafjrtSliebe : „3n ©otteS tarnen fabren mir" für feine neue £>id)=
tung entlehnt ; bie t>ier anbern Sieber fmb ju gleiten Steilen von Sutl)er :
g^enfeb, milltu leben feliglicb, (9cro. 19).
SBir glauben all' an einen ©ort k. (9lro. 35)
unb non anbern geijtlicfyen Siebtem :
SefuS ßbnituö unfer £eilanb, ber von un§ ben ©otteS Born manb k. (9cro. 23. 24).
3n ©ort gelaub id) ic. (9tro. 38).
Der ©laube (Stto. 35. 38), ba§ beilige Tfbenbmabl (9tro. 5. 23. [24.]), bie jebjr ©ebote (18. 19) mer=
ben in allen je jmeimabl abgebanbelt. 3u biefen Sebrliebern fonnen mir aud) ba§ »on ber Rechtfertigung,
bem SScrbältniffe be£ ©laubenS unb ber SBerfe, rechnen : ift ba§ Spül un3 fommen fyer (Rro. 36) unb
ba3 won ber Grrbfünbe: ,,£>urd) 2(bam3 galt ift ganj t>erberbt" (9lro. 16. 17), ba in ibnen fo miebtige,
bie evangelifcbe (Sinnesart fo bejeidwenbe ©runblebren abgebanbelt roerben. 3met SSetlieber: ,,#ilf ©Ott,
mie ijt ber 9Jfenfd)en 9totb fo grofj," ,,^>err ßfjrtft , ber einig' ©otteS ©obn," ba§ erfie mit feiner @ing=
meife balb öerfdjollen, ba$ jmeite nod) unter un§ fortlebenb mit einer ber bebeutenbften 5öielobieen feiner
3eit; unb je ein ©elegenbeit3=, Sob = unb ©terbelieb »ollenben ben Snt)alt ber Sammlung. SeneS erfie
Sieb, won'ben jmeen SKdrtprern ju SSrüffel, ift mit feiner SBeife t> erfd) ollen : ba§ Soblieb „9hm freut eud)
lieben (Sbriftengmein" bemabrt, menn aud) nid)t auSfdjliefsenb, nod) bie SDZelobie , mit ber e§ um 1524
fmit ber Sab^bl 1523) jum erften $5ld)k erfdjien: ba§ ©terbelieb (rool)l aud) ben S5etliebern bei$ured)=
nen): SKitten mir im Seben ft'nb, t>oü frdftigen, männlichen ©laubenS, ber nur einen (Srretter fennt t»on
£ob unb SSerbammnifj, ijt einer ©ingmeife gefeilt, bie feinen ©etji auf ba£ SSoUfommenjle abfpiegelt, unb
nid)t leid)t wirb erreid)t merben fonnen.
Sie gefebiebtlicb, e ©runblage be3 ßbri^entbumS , mie bie Jeff e ber Äird>e ft'e atljdbrlicb, in baö
©ebädjtnip rufen ; bie SBieberbelebung beä alten, fettigen, »orcbriftlicb, en ©efangeä ber ^falmen in leben=
biger SSejiebung auf bie ©egenmart, unb bie ftd> erneuenbe cbrifilid}e Äird)e; Sebre, ©ebet, Sobgefang;
aUeö biefeä mar ©egenftanb unb Aufgabe beä neuen Äircbengefangeö bei feinem ^Beginnen, in melcbem,
') £utt)crg »tiefe, herausgegeben oon be SBette. II. 590. 591.
134
uimaty foweit er C^cr Sonr'tmfi angehörte/ fernere unt» nähere SSorjeit wie ©egenwart, Zeitiges, unb SBelt-
lidH-c-, butd) feine Skftimmung geweiftes, cinanber begegneten , alleö in lebenbigem, gefd)id)tltcr>em 2£n=
fnüpfen, £urcbbringen, äkrfcbmcljen.
5Rit überwiegenber SBat>vfd>etnItc^f ett bürfen wir behaupten, bafj bie SOlehräabl ber geiftlicben
Üicbcrfammlungcn be§ erften S«t?t*5el)enbö ber Äirchemjerbefferung ben wefentlichften £bett ttjreö Snt>atte§
aui im iSaiterfcben ©efangbuche gefebbpft haben. SGSir begnügen un3 ju jeigen, bafi fie eben in
btefetn Sheile mit ihm übereinjtimmen, unb wa§ ft'e etwa mehr enthalten, fofern es> jum grbfjeften
Steile fipat« wieberum qufjcr ©ebraud) gekommen ift, nicht al§ ein erheblicher 3uwacbs> bee> ewangelifdjen
.ftirchcngefangeS gelten fann. Die Erfurter (Sncbiribien jieben wir babei nicht in ^Betracht, wenn auch
ihre (Sinwirfung auf fpätere geiftlid)e Sieberbücher nicht ju verkennen ift. Senn fie fönnen un3 nicht für
eine gleich, lautere Sluelle gelten als» 2ßaltcr, beffen Sammlung Sutber anerkannte, wäbrenb jene anbern
ohne feine ©cncl)migung feine unb ber ©einigen Sieber unb SBeifen jufammenrafften.
3uerft nennen wir ba§ fd)on früher in S5ejug genommene S5re§laucr ©efangbuch, vom Sabre
1523. 63 führt ben SEitcl : ,,%\)n gefangbud}lien ©euftlicbcr ©efenge, $)falmen, evmem pglid)en ßbnften
faft nüfclicb bei firb ju haben in fteter Übung unb trad)tung. llud) etliche gefeng bie bev? ben vorigen nid)t
finb gebrutft, wie bu bnnbenn im 3?egifler biefeS S3ucf)levn3 ffnbeft.— SOiit bt>fen unn berglevd)en ©efengen
follt man bvllicb bie jungen iugenbt aufferjt>t>en. y/ "Km ©cblufj flef>t : ,,©ebrudt rm bifer fbniglicben
ftabt S3reflaw burd) abam £)con, ausgegangen am mitwoeb nach ofterrn. (1525.) §8oran
geht Sutberä SSorrebe, wie in 2öalters> ©efangbuche.
SORit wolliger SSeftimmtheit läfit über ben ganzen Snfjatt bicfeS geiftlichen ©ingebuebeö fieb nicht
urtheilen, benn in bem vorliegenben 'tfbbrude — einer großen Seltenheit, bie felbjt bem gelehrten lieberer
unbekannt geblieben ift, unb »on ber ein jweiteS (Sremplar bisher nod) nicht aufgefunben worben — fehlt
ber Sogen @ unb baS JRegifter. ©o weit aber unfer ^Büchlein »ollftänbig vorliegt, jeigt eS, bem Inhalte
unb ber Solge feiner Sieber nach, eine faft burebgebenbe Übereinflimmung mit bem jefct ju befchreibenben
t'ieberbucbe, ba§ in eben biefem Sabre 1525 ju SBStttenberg erfd)ien, unb folgenbermaafjen betitelt ift:
,, ©ertliche ©efenge, fo man njjt, (®ot ju Sob) »n ber Är;rcben fingt, gebogen auö ber bepligen
©ebrift beä waren unb hehligen ©oangelionä, welches wl|t »on ©otte§ gnaben wwbber aufgangen ift, unb
mit etlichen ©efengen gemehrt, gebeffert, unb mit glenfi corrigwrt burd) Soctor Martin Surbet. 2(nno
9E.D.HS3." Diefe ©ammlung enthält fünf unb breifjig Sieber, namlid) alle in 2Balter§ ©efangbud)
oorfommenbe, big auf SRro. O „@in neues Sieb wir heben an;" bagegen erfebeinen vier Sieber, bie bort
fehlen: auö altem lateinifchen Äircbengefange eine Übertragung beS^vmnuö: Pangc lingua gloriosi etc.
(9Jcein3ung' erfling' unb frbltcb fing1) (9iro. 27); ein Äatecbtemuälieb : „3d> g^ub1 in ernten ©ort"
ß\xo. lüj ; ein 9>falmlieb, von Sujtuä^onaä : „2Bo ©Ott ber %m niä)t bei unö hält" (Rw. 15) ; enblid)
bie Umbid)tung eine§ altfatbolifd^n Siebeö : ©id) grau »om £immet ruf id) an, in: „ehriftum »om
Jpimmel ruf id} an" (9cro. 34j.
5Bon biefen teljtgenannten üter Siebern hat nun baS S3rc§lauer ©efangbud) baö erfte, au$ bem
alten lateinifchen Äirchengefange, unb ba§ lefete, auö bem früheren beutfehen ftammenbe; baneben (foweit
fein Inhalt aus bem »orliegenben, unoollftänbigen <5remplare hervorgeht, unb in Skrgleicbung mit bem
befchriebenen Sßittenberger ©efangbuche ftcfo muthmafjen laft) aUe, im SBatterfcben ©efangbuche ftehenbe,
auch baö oon ben jween «Kartnrern ju S5rüffel. 3hm fehlt nur baS fürjere Sieb Sutherä üon ben jebn
135
©eboten: ,,9Kenfd), willtu leben feliglid)." S3or betben befcbriebcnen ©ingebüd)em (>at e§ aber nod)
brei Siebet »orauS : jwei au3 lareinifcbem 6f)oral : <5f>rttl bcr tu bul tag 2id)t unb Sag (Christe qui lux),
unb : $exx ©Ott btd) loben wir (Te Deum laudamus), bod) ntd)t in 2ut£)er3 Nad)btd)tung ; eineS enblid)
anS altem beutfcben gciftlid)en ©efange: „Sttaria jart," umgebid)tet in „jD Sefu jart göttlicher %rt."
(Snbltcb ijt nod) beS Nürnberger ©efangbud)3 von 1525 ju gebcnfen, ba$ eine, ber be§ SBreSlauer
faft oollig übereinftimmcnbe tfuffdjrtft bat :
,,(5nchiribion, ober ein b<Jnbbüd)le»n gepjtlid^er gefdnge unb pfalmen, ewnem weglicben öf>vtflen
faft nüfclid) bei fid) ju haben, in fteter Übung unb trad)tung, auff§ nero ßorrigiret unb gebeffert. tfud)
etlidje gefeng bie bei ben vorigen nid)t gebrudt ft'nb, wie bu bjnben im 3?egi|ter biefeS S3üd)letn$ ftnbejt.
95iit biefen unb begleichen ©efang fotlt man billid) bie jungen jugenbt aufferjieben." #m ©djlufi:
©ebrudt ju Nürnberg burd) Sgan$ ^ergot, im 3ar SJiDHSS. @S enthält bie 35 Sieber be§ SBitten--
bergifd)en ©efangbud)c§ , aber aud) ba3 won ben SJlärtyrern ju SSrüffel, l>at alfo wer Sieber t>or bem
SBalterfcben t>orau§; aber üor allen anberen befdjri ebenen aud) nod) ba§ Sieb: ,,3n SbefuS Namen beben
wir an/' bem wir bereits in ben ad)t ©efängen au3 bem Safyve 1524 begegneten.
2Bir fefyen au3 biefen Angaben, aue> ben, burd; Sitel unb 5nl)alt aller biefer S3üd)er beutlid)
beroorgebenben S3e$iebungen be§ einen auf bae> anbere, wie betriebfam man war im ©ammeln unb Sptr--
auSgeben beutfcfyer gciftlid)er Sieber wäbrenb be§ eben fyieburd) ausgezeichneten %at)rc§ 1525; wie man
einanber juttorjufommcn fud)te an »erfchiebcnen £)rten Deutfd)lanb3; in welchem SJiaafüe enblid) bie eine
unb bie anbere biefer (Sammlungen ft'd) rübmen burfte, wenn ft'e aud) erft fpäter erfd)einen Fonnte, bod)
etwaS ju bringen, ,,ba3 bei ben Dortgen nod) nid)t gewefen fet)," unb bafj fie „aufs neue mit gleifj
gebeffert" erfd)eine. Die Unterfud)ung über bie S?etf>efotge tfyreS drfd)emen§ barf unS bi^ nid)t befd)äf=
ttgen; fie ijt unferem jefeigen 3wede fremb, aud) giebt nur ba3 SSreSlauer ©efangbud) ben Seitpunft feines
@rfd)einen§ im Safere 1525 naber an.
Nur bie ju Strasburg in ben %ai)ren 1524 unb 1525 erfd)ienenen getjflid)en Sicberbücber fonnen
neben bem 2Balterfd)en hier nod) in S5etrad)t fommen. 2(u3 eigener 2Cnfd)auung fenne id) ft'e nid)t, meinem
S5erid)te über ft'e liegt nur SBadernagelö genaue 33efd)reibung ju ©runbc, unb baSjenige, wa§ bie t>on ibm
mitgeteilten SBorreben berfelben über fte enthalten. Sbnen jufolge gab um 1524 ber bortige S5ud)bruder
2Bolf Äbpbl, nad)bem twn ben Dienern be3 2Borte§ bafelbft eine beutfd)e 9Jieffe, fo üiel möglid) nad) alter
Crbnung eingerichtet worben, welche großen Fortgang gefunben, unb ju SSKefjrung beS ©laubenS gebient
hatte, eine £)rbnung berfelben h««uS/ welcher zugleich fiebert beutfd)e, geiftliche Sieber beigefügt waren ;
wer fcutberS, brei anberer, geijtlicher Dichter. Db fie mit <5ingjeid)en »erfehen gewefen, ft'nbe id) nid)t
bemerft. Diefe treffen wir aber in einer ähnlichen, um 1525 eben ba erfd)ienenen ©d)rift, unter bem
Xitet: „Seutfch Äirchenampt mit Sobgefängen unb ^»falmen, wie eö bie ©emetne ju Strasburg fingt."
^)ier haben wir neun ßteber : fünf ßutherS, üier 2tnberer, jundchft 9)falm=, minbeftenä ©chriftlieber. SSJiit
ihren ©ingweifen erfd)cinen t)ier juerft: ber ßobgefang berSKaria, nad)gebichtet üon ©pmphorian ^ollio :
5!Jiein' ©eel' erhebt ben Herren mein; SKatthiaS ©reiterS 2ieb über ben 12ten ^)falm: Tld)
©Ott wie lang oergiffejt bu, unb ein ßieb eines unbefannten Did)ter§ über ben 112ten ^)falm:
ID ihr Äned)t lobet ben ^erren. Dtefem S5üd)lein folgte noch in bemfelben %at)re „ba§ anber
thet)l ©trafjburger Äirchengefang tc." mit t;ierjel)n ßiebern unb fed)S SERelobieen, benn ad)t Q)falmlieber
oon ßubwig Seier, bie gleichen 9Jiaaf3e§ finb, werben auf bie bekannte SCBcife ,,2ld) ©Ott t>om ^immel fieb
136
barem" verwiefen. Drei Siefrer 8utt>crä giebt un§ biefeS 33ucb, unb t)ter ft'nben wir juerji SBolfgang
DartftemS Sieb über ben 9ten $falm: 25er 1 1) b r i d> t fürtet) t e3 t ft fein ©Ott*); Sttattbiaö ©vettert
über ben 51flen: £ £erre ©Ott begnabe mich, unb ©nmvborian spollio'S Sieb über ba§ ©ebet beö
£crm: S5ater Unfer wir bitten bid) ic. Sine britte gleichartige Sicbcrfammlung fdjlofj, ebenfalls
noch um L525, btefa jweiten fid) an, be§ ffittelS : „Da3 britte £f)eil ©traf burger Ätrdr)enam»t ic." ©ie
giebt un§ SBolfgang SacJbJkmS Sieb über ben 137jten ^Pfalm : Tin 2Bafferflüffen SSabvlon ic. ;
frei Bieber 3Ratflt)ta8 ©reitet, barunter jwei über einzelne 2(bfcbnitte be3 119ten $>falm3: (53 finb
bo4) felia, alle bie :c. unb: £ilf £erre ©Ott bem beinen Äned)t tc, unb eineg über ben
12öftcn: sJcu welche bie ibr £ofnung gar; enblid) jwei ^einrieb, fßogtr)er§ : £err ©ort ich
trau allein auf biet) über ben 7ijien, unb ©ott ifi fo gut bem Sftael über ben 73jren ^falm;
alle mit ihren 9)}clobieen. £ie$u noch ein Sieb geregnet: ,,2Bol ben', bie jtyff finb auf ber SSaljn," nadi
ter 9DZelobic bcö ©reiterfdien über ben 51jicn ^Pfalm, fo umfafjt biefer britte £l)eil fiebert Sieber mit ibren
©ingweifen. Die erjren beiben Steile vereinigte bemnäcbft Äöpbl in eine vierte, umfaffenbere ©ammlung.
©ie entbält, mit 7fuäfd)lu^ breier Sieber, bie be§ erften, unb obne 2(u§nar)me ben ©efammtinbalt be3 jwei*
ten <Zl)eik$, giebt aber noeb fünf anbere Steber, unter ibnen jwei lutberifd)e, welche in beiben nid)t abge=
brudt roaren; baburd) roirb ftc, von biefen legten abgefeben, um jweiSOfalobieen reicher; bie be§^)falmliebe6
von Sufruä 5ona$: ,,2Bo ©ott ber £err ntct)t bei un3 hält," unb bie ju SBolfgang Dad)fteins> Siebe über
feu L5tea ^)falm: £) Sperr wer wirb Sßobnunge ban. %m ©anjen entbält biefe vierte ©amm=
lung 25 Sieber mit fünfzehn SJlclobieen, fed)$ bei SBalter nidt)t beftnbliche, benen bie fedt>§ ber britten
hinzutreten, fo bafj beren im ©anjen jwölf werben. SSon ben brei Siebern unb SKelobieen, welche Äövbl
in feinem vierten Drude von benen feines erfien au§fd)ieb, fer)en wir bier ab, ba fid) biefelben tbeil§ nidr)t
weiter verbreiteten, tbeile» eineö berfelben: „9hm bitten wir ben beiligen ©eift" bei SBaltcr vorfommt. 3"
ber SSorrebe fagt ber $erau3gcber : Die früberen Drude be§ Äird)enamte§ feien wiber SEBiffen unb ©eneb=
migung ber bortigen ^)räbicanten gefebeben, welcbe geboft, mit ber Seit reinere unb fcbriftmäfjigere
©ebräuebe einführen ju fönnen. "tfber bie ©emeine fei begierig gewefen, fold)e§ ju lefen, unb fo babe er
ausgeben laffen, wa£ fonft bis ju mebr gelegner 3eit verhalten worben, unb bann mit größerem Thujen
auggegangen wäre. Sef?t fenen bie Diener be§ SBorteS, foweit er e§ vergebe, ber ©ebrift mbglicbfr nabe
gefommen. SJiartin S5ucer CSSut^er; babe ©runb unb Urfacfye aller Neuerung angejeigt, unb er babe e§
gebrudt. 2Bie c3 nun jefct gehalten werbe, habe er e§ an ben Sag gebracht. -£abe er ohne fein SBiffen
ber ©emeine ober ben 9)räbicanten burcr) fein Druden mifjbient, fo hoffe er tS mit biefem befferen Drude
erftattet unb wiberlegt, unb männiglid) ber jüngft vorgenommenen Srbnung verftänbigt ju ha^n. SBiffe
Giner JSeffereö, ber möge bie 9)räbicanten berichten; gefalle fte bagegen @inem, fo habe bernunCrtwaS, bem
er ftd)er nachfolgen möge.
iji fd)on von SBebeutung, baß wir 12 Sieber mit ihren 9Kelobieen in ben befchriebenen vier
SSüchlein finben, welche Sßalter nicht bat, wenn jene auch in ihrem ©efammtinhaltc weniger reich fmb, alö
beffen ©efangbuch- ^Betrachten wir biefen ©efammtinbalt nach ben ©cgenfiänben ber Sieber, fo finb unter
fünf unb breifjigen 28 ^)falmlieber, brei ©chriftlicber, — ber Sobgefang ber SOlaria, bie }e$n ©ebötc, baä
Siaterunfcr, — bie übrigen : ber ©laube, ein Sieb vom heiligen ©eiftc, ein 'ilbenbmablSlieb, eine furje,
*; ©. btefc SJlclobic 9lro. 52 ber Skifpiclfammlung in CucaS Dftanbcrfi Ditrflimmigcm Sonfa^c.
fcbriftmäfjige tfnttpfyonie, laffen fid) nid)t unter eine gemeinfame SSejiebung faffen gleid) jenen, roir tonnen
ft'e jtircbenliebcr im "Allgemeinen nennen. SaS 83orbcrrfd)en te6 spfalmlicbeS tritt f>ter nod) bebeutenber
bervor, ale> bei 2Balter, wogegen ba§ gefllicb faft ganj gebriebt. SBenben wir un§ ju ben SQZelobieen jener
jroölf, bie roir befonberS auSjeid)neten, unb junäd)jl ju beren ©trovben; fo begegnen roir ad)t gönnen
berfeibcn. Sie fiebenjeilige bcs> ßiebeS ift baS 4?eil unS Fommen tc." fommt breimabl vor, in
rvecbfelnter, melobifd)er Übcrfleibung ; *) verhältnismäßig erfebetnt ft'e am bfterften. Sie ad) tjeilige mit
regelmäßigem SBecbfel ad)t-- unb ftebenfnlbiger, iambifd)er 3eilen finben roir nur jroeimabl, **) unb eben fo
oft eine jeweilige***), beren Aufgefang von je jroei unb jroei Seilen, unb tyr Abgefang von beren brei
unb brei, jene mit gleicher, biefe mit roed)felnber ^Betonung, bie bemerfte gorm ber ftebenjeiligen ©tropfje,
bem SBefentlidben nad), barftellen mürbe, wenn roir beren Abgefang unS verbovvelt bauten, ©teilen roir
tiefen vierfach neben cinanber, fo bilbet fid) eine jroblfjeilige ©tropfye, bie bei unferen SJJelobieen eben=
falls jroeimabl vorfommt"**). ßimrtabl nur jeigen ft'd? je jroei formen ber ad)tjeiligen ©trovbc won
gleichem 2luf= unb Abgefang; bei ber erjtenf) ein regelmäßiger 2Bed)fel von jroei unb jroei a<b> unb
fiebenfvlbigen Seilen, bei ber anbern-j-]-) <»d)t gleiche Beilen ju ad>t ©reiben; in Seiben ber Aufgefang in
je jroei unb jroei 3eilen mit gleicher Betonung, ber Abgefang in beren vier mit med) fein ber. 3n
einer, ebenfalls nur einmal erfd)einenben elfjeiligen ©trovbe fte£?t in ben je brei unb brei Seilen beS
'Aufgefangen eine nur jroeifolbige 3etle jroifd)en einer ad)t= unb ftebenfvlbigen, ber fünfteilige 3£bgefang läßt
einer aditfvlbtgen Bette eine fiebenfwlbige folgen, verbovvelt bann jene erfte, unb fd)ließt mit einer ju fiebert
©plbenf-H-). Sic ad)te gorm, eine vierjeilige iambifd)e ©trovbe von jroei ad)tfnlbigen 3eilen»aaren, bemer*
fen roir nur vorubergel)enb, ft'e gehört jroeien ber Sieber an, roeldje Äbpbl in ben 3ufammenbrud ber erften
jroei Sbeile feines? ÄircbenamteS auS bem erfien berfelben nid)t roieber aufnabm.
Alle biefe SKelobieen tragen ein fef)r emjfeS, faft berbeS ©evräge. Sie meiften unter tynen geben
in iXbnen von ganj gleicher Sauer baber; ungeraber Saft, rb«tbmifd)er 3Bed)fel, finb allen fremb; man
mbebte glauben, ft'e enthielten ft'd) abfiebtlid) jeben ©d)mude». Aud) il)re Tonarten tragen bei, ibnen biefeS
©evräge ju geben. Am bäuft'gften erfd)einen bie d o 1 1 f dt> e unb ß-brrjgifcbe Sonart, jene viermal, mit
bebeutenb bervortretenbem AnfTange an biefe, roeldje breimabl fid) ft'nbet; jroeimabl jeigt fid) bie borifebe
ftreng ausgeprägt; in jroei gällen bie ionifd)e, einmabl nur bie mirolvbifd)e-H-H-). Sie herbere gorm,
') Öfter »orfommenbc gormen.
I. ©tebenjettige gorm.
1) £> £crr «er rctrb SBotmungc fjan jc.
2) D ©ott rcie lang oergiffefiu.
3) @ott ift fo gut bem Sfrael.
") II. 2Ccr)tjeiltgc.
4) SÖtein' @eet' ergebt ben Herren mein 2C.
5) 9tu roetebe t)k it)i £ofnung gar tu
■") III. 3etin}ciltge.
6) £er afjörtc^t fpridjt, cS ift fein ©ott u.
7) 2fn SBafferftüffen SSabpIon.
2tufgefang: jroeimal)!.
Äbgefang : r;;zrrr" smetmafjl.
"*•) IV. 3roötfäeilige.
8) @g finb bod) fetig aUe bie.
9) £ilf Jperre ©ott bem beinen Änecbt.
i>. SBintttfetk, bei etangel. G^oralgefang.
einjeln ftetjenbe gormen.
|) V. 2fd)tjeitige.
10) D ^erre ©ott begnabe mid).
Ii) VI. £c6gl.
11) Sater Unfer roir bitten bid).
Hi) VII. eifacilig.
12) £err ©ott icb trau allein auf bid),
ft+t) Äo(if«e(A).
1) ©ott ift fo gut bem 3fract ic
2) 9tu tuetdje Ijie it>r ^»ofnung gar tc
3) ^>ilf ^)erre ©ott bem beinen Äned)t lt.
4) Safer Unfer roir bitten bid) :c.
9>f)r!>gifd)e (E).
5) D £erre ©ott begnabe mid).
6) £err ©ott id) trau allein auf bid).
7) £> ©ott wie lang oergiffeftu it.
18
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in bct Ms Jtoßföe #er, bem %>t>rt>gtfd^cit »erwanbter, auftritt, bie fhrengere 3(u3gejtaltung beS Sorifd)en,
baS fef>r bebeutenbe Übergewicht ber »eichen Sonart über bie harte, geben unferen Söielobieen jene büjtere
ftärbung, in welcher ber ablcbnenbe ßrttft ber Swinglifd) ©eftnnten ftd) Riegelt, ju benen aud) Strasburg
eine 3eit lang hinneigte. (Sben biefer Süfterf)eit wegen, fo fdjeint (S, haben aud) biefe ©ingmeifen fein
bauetnbeü S$cjtcbcn gehabt in bem lutl)erifd)en jttrd)engefatigc. Sroar haben im Saufe beS 16ten 3ah*:
bunbertS mobl alle burd) ganj Seutfcblanb bin ftd) im Sehen erhalten: allgemeineren tfnflang aber haben
nur brei unter ihnen gefunben, bie ber Sieben „£) Qexxe ©ott begnabe mtd)," „(SS finb bod)
feiig alle bie," (gleid)jeitig auf ©ebalb JpcpbenS Sieb : „£) SDlenfd) bewein' bein' ©ünbe groß"
angewenbet) unb ,,2ln SBafferf lüffen SSabclon," nach ber wir jefct allgemein $aul ©erbarbS
3>affton§tieb: „©n Sammlern geht unb tragt bie ©ctmlb" fingen; ber jweiten werben mir bei ben^Pfalmlie;
bern ber (Salvinifien mieberum begegnen. 2lber wenn aud) bie rh»thmifd) = bid)terifd)en formen ber
lcljtgebad)ten beiben Sieber, — bie befd)riebene gct)n= unb jwblfjeilige Strophe — baburd) in ben Jtird)em
gefang eingebürgert würben, fo höben biefe bod) ju neuen melobtfd)en formen feinen 2lnlafs gegeben,
'tfuger ©reifer» Sieb über einen folgenben S£t)eil bes> llOten $falm§: ,,>£>ilf Sptxxe ©Ott bem beinen
jtnecr/t," ba§, wie bemerft, in bem britten Steile beS ©trafjburger Äird)enamte§ uorfommt, unb bort eine
felbftänbige, ba$> lfite ^abt'bunbert inbefj nid)t überbauembe ©ingweife hat; autjer «!pcmrid) SSogthereS Sieb
über ten I39ftei $Pfalm: ,,£err ©ott ber bu erforfd)cfl mich," teffert 9JMobie nod) bis in bie erften Sabje
beS 17ten Sabrlninberts" fortlebte, ftnbe id) fein Sieb über jene jwo!f= unb jehnjeilige ©tro^tje mit einer
eigenen, aud) nur eine Seit lang in ber Äird)e beimifd) geworbenen 9JWobie. Sie ©tropbe be§ ©reiterfchen
^)falmliebe§ : £) #erre ©ott begnabe mid) — ba§ jumeiff burd) (5rl)arb -^egenwalbS Sieb über benfelben
51ften 9)falm oerbrängt würbe — ijt brtlid) jwar für einige ^afftonslieber fpdterer Sid)ter angewenbet
worben, bod) immer nur in Begleitung ber urfprünglichen SJMobie biefeS BiebeS. £)ftmaB finb biefe brei
SKelobieen für bie Äunjt beS mchrjtimmigcn SonfafeeS Aufgaben geworben, aud) ftnbe id), außer ihnen,
nod) bie fchbne borifebe Gelobte von ©»mpborian spoHto'S 9D?agnift'cat : ,,9Jlein ©eel' erhebt ben sperren
mein," trofe ber grotjcnUnbel)ülflichfeit il)reS Siebe§, mit ihm brtlid) in©ebraud), wie fte benn aud), namens
lid) t>on ftibbeutfchen Sffteiftern, ntd)t feiten t>ter = unb fünfftimmig gefcfjt ijt. 5ßon ben SDMobieen ber
Sad)fieinfd)en Sieber : Ser Shbricht fprid)t eS tft fein ©Ott, — £) £err wer wirb SBolmunge ban, — unb
ber be§ ©reiterfchen : 9lu welche hie ihr £ofnung gar ic. giebt aud) ^)rätoriu§ nod) mcrjh'mmige Sonfä^e.
Allein biefe ©ingweifen brad)ten feine neuen rbötbmifcbcn formen mit, il)r fird)lid)e§ Seben war oon nur
furjer Sauer, ihre Bebeutung für bie Äunj! nur befd)rdnft. Sie bcfd)riebene elfjeiltge ©tropbe bes1 Siebes1 :
,,£err ©ott id) trau allein auf bid)" ijt ihrem Siebe unb beffen Gelobte au3fd)lteßenb eigen geblieben, aud)
i(f biefe mit ihm bis in baei 17te 3«f)vf)imbert hinein nod) in fird)lid)em ©ebrauche geblieben, unb in met)r=
flimmigem Sonfa^e anzutreffen ; fte h«t ittbef? nid)t in bem 5Kaarle 2lnflang gefunben, ba^ eine längere
Sauer ihr gefiebert worben wäre. Sen früheften ©tra^burger Sieberbüchern fbnnen wir, biefem Willem
D o rifdjc fD).
8j «Kein Sccf ergebt ben fetten mein.
9) C Jpcrr roer tetrb HBotjnungc f)an u.
Sontfche (F b).
10) Zn SBalTerftüfTcn 58abt)ton.
11) (SS finb bod; feiig alle bie zc.
«mi)rolt)bifd)e. (Cb).
121 ©er 3!f)örid)t fpridjt, e« ift fein @ott k.
139
zufolge, jroar eine aSermebrung teö ^JJcfobieenfcbafjeS ber ältefien euangetifchen jlircbe jugefteben, nid)t aber
eine bauernbe unb tiefer eingreifende.
din in ben fahren 1525 unb 152G (bis auf wenige 2Borte übercinftimmenb) ju Dürnberg bei
3obft ©utfnedit erfcbieneneS ffiücblcin :
©«8 teutfeb ©cfang, fo in ber SQiefj gefungen wirb, ju Nuß unb ©ttt ben jungen Äinbern gebrueft,
enthalt gar Feine Singjeicben; wir erwähnen feiner nur, weil es? faft auSfcblicjjenb ^Pfalmliebcr giebt. Unter
ben 22 ©efangen, bie eS entbält, ftnb nur fedjS anbern 3nb<*ltS: baS SKagnificat beS Sr;mpborian
"Pollio, unb beffen SSaterunfer; bie ÄatechiSmuSlieber : £>ieS ftnb bie bciligen jebn ©ebot; ©Ott fei gelobet;
bie betten y ftngfilieber : Nun bitten wir ben beiligen ©eift, unb: Äomm ©Ott Schöpfer ^eiliger ©eiji ;
unb entlieh baSSteb: SQtitten wir im Sehen ftnb. SDie übrigen, unter ihnen fünf bereits bei SBalter gebruefte,
finb, wie bemerft, Nacbbilbungen oon ^Pfalmen, welche, wie wir fef)en, nach Sutf)erS Vorgänge unb feiner
•Jlufforterung, bie geiftlicbcn Siebter feiner 3eit jumeift befebaftigten. 2lucb $anö Sachs folgte bem, wenn
aud) nicht an ibn unmittelbar gerichteten, boeb unfehlbar ihm befannt geworbenen 55unfd)e beS verehrten
^Reformators, ben er unter bem Tanten ber „Söittenbergifcb, Nachtigall" eigenbS befungen hatte. Um 1526
erfebienen iwn ihm ,,£>rcijcbn Spfalmcn, ju fingen in (ben) oier hernaeb genotirten £önen, in welchem man
will, ober in bem SEone: Nun freut euch, lieben G>bri(tengmcin, einem ©griffen in 2Biberwärtigfeit fet)r
mißlich." Sod) fchon ber SSitel biefer Sammlung, bie mir nicht auS eigner 'tfnfcbauung befannt ift,
belehrt unS, fcajj aüc btefe $Pfalmlieber eineS, unb eben beS gangbarften, SKaafjeS waren, unb fte haben
ohne 3weifel bem 9)ielobicenfd)aße ber cüangelifeben Äird)e in S3crgleicbung mit SSBalterS ©efangbuche eben
fo wenig größere SBereidxrung gebracht, als bie juoor gebadete Sammlung. Senn enthalt jene gar feine
Sing$eid)en, unb ftnben wir auch erft fpäter für einige barin enthaltene spfalmen Subwig £)elerS eigene
SKefobken ; fo waren bie 4?anS Sad)S'fcben ^falmcn nach ^Beliehen nach einer, ober auch wer Singweifen
eines SRaaßeä ju fingen, für baS SBalter bereite beren fecbS, bie ^älfte mehr, mittheilt.
dnblicb war, in biefem Sinne, aud) eine um 1527 ju Nürnberg erfebienene Sammlung nicht
wefentlicb bereiebernb. Sbrer ift bereits bei ©elegcnhcit beSS3ericbtS oon bem ßinfluffe beS SSolfSliebeS auf bie
geiftlicbe Singweife gebaebt; fte ift überfebrieben : ,,£ie eoangelifcb 9Jief? teutfeb, auch babei baS.£)anbbücblein
geiftlicher ©efange unb spfalmen tc." Sie befaßt bie 38 Sieber beS Nürnberger ©ncbirtbionS t>on 1525,
mit '2luSfcbluf; beS 9>falmeS: „SBobl bem, ber in ©ottS furchte fleht," unb bie eben erwähnten l3$Pfalmen
beS £anS Sachs ; ihr übriger Snbalt ift jum grögeften Sbeile auS bem lateinifeben Jtircbengefange ober
fem a>olfSlicbe entlehnt, alfo nicht eine gruebt beS BcitraumS, ber unS gegenwärtig befchäftigt. Senn
CaS Sieb ! Gbrifte ber btt bift Sag unb Sicht K. fowobl, alS : Äomm heilig« ©eift erfülle bie £erjen tc.
(Christ« qui lux — Veni sanete Spiritus, reple) ftammen auS jenem; bei neun Siebern ift auf 33olfSweifen
auSbrücflid) SBejug genommen; ein jebntcS, ©efprdd) ßbrifri unb beS SünberS : ,X ©Ott SSater, btt bafi
©ewalt :c." ift, wie wir auS einem flicgenben Statte jener 3eit wiffen, Umbichtung eines weltlichen:
„£> 3upiter, berftu ©ewalt," mit ^Beibehaltung feiner SBeife; oier anbere enblicb: ßapitan ^)err ©ort tc. ;
2Bol bem, ber ben Herren fürchtet ;c. ; 2ÖaS göttlich' Schrift oom (ireufj unS fagt tc. ; £3 Jperre ©Ott in
beinern Sfeicb :c. haben, wenn aud) in jener 3eit entftanben, bis auf baS erfte, baS in ben 123 Siebern für
bie gemeinen Schulen (1544) abermals mit einer eigenen Singweife erfebeint, baS erfte Sabrjebenb ber
Äircbenwerbefferung faum lange überlebt.
18*
140
$abm wir btenad) ben oorsüglicfyen SBertf), l>en wir auf SßalterS ©efangbud), al6 $auptquelle
für ben oorliegenben 3eitraum, gelegt, rote wir boffen, gerechtfertigt : fo bleibt jum ©d)luffe be3 gegenwär=
tigen Ttbfdbnitteä nur ©inigeS nocb beizufügen oon ben 9Jlelobieen nietet lutf)erifd)er Sieber, bie e§ entbält,
fofern namlid) biefe nid)t entlehnte finb.
Sie betten Sieber tyauB oon ©pretten: „#ilf ©Ott, wie ift ber Wiensen 9cotb fo groß"
(Rxo. 37) unb: „3n ©Ott gclaub id)" (sJlro. 38) bebürfen nur einer oorübergef)enben ©rwabnung. SaS
erfte erfd)eint t)'ux mit einer ^Ijrpgifd^en Sftelobie, bie wir aud) in ber fpäteren 2lus>gabe oon SBalterS
©efangbuebe (1551. 9cro. XXVIII), jebod) mit ocrfd)iebcnem Sonfa^e wieberftnben ; eine zweite, äolifd)e,
ftebt in ber fpäteren 2ui$gabe oon JtlugS ©efangbuebe (1543, S3latt 114 auf ber Sfücffeite) ; SBeibe tyat
9>rätoriu3 in ben ad)tcn £f)eil feiner ©iontfcfyen 93Zufen wieber aufgenommen, nebft einer britten, au§ ber
oerfeljten, borifd)en Sonart)*); alle brei finb jebod), mit ibrem Siebe, aus> bem Jtircbengefange wieber
oerfdjwunben. 2tfjnltdt) oerf)ält e3 ft'd) mit unferem zweiten Siebe. Sie borifd)e SBeife, mit ber mir e§
um 1524 ft'nben, bat e§ aud) nod) 1551 (iRxo. 41) mit obllig gleichem Sonfafje. (5irte zweite borifcfye,
oon il)r jebod) gänztid) ocrfd)iebene, ftebt im 93re§laucr ©efangbucfye, wo bas> Sieb bie Überfcbrift fübrt:
„@nn gefang S. ©perati ju befennen ben glauben auf? bem alten unb nemen SEeftament gegrünbet," unb
biefe finbet ft'd) feitbem nid)t roieber. (Sine pbrngifcfye J>at ba§ .Rlugfcfye ©efangbud) (951. 111), unb ein
Satyr fpäter zeigen bie Sieber für bie gemeinen ©d)ulcn (1544. Vlxo. 99) eine ityr zuweiten anflingenbe, oft
wieber gänjlid) abweicfyenbe; biefe Älugfcfye unb bie 2Balterfd)e beftnben fid) im fiebenten Sbeile ber ©ioni--
fd)en Stufen beä $)rdtoriu§ ($lxo. 17. 18), unb nur fein ©ammlerfleifj tyat fie un§ erbalten, benn alle finb
fpäterbin nid)t mieber anzutreffen, ba tt>r Sieb balb außer (Bebxauä) gefommen mar. Sben fo wenig als
bei biefen beiben Siebern unb ityren SKelobieen, bürfen wir bei bem *Pfalmliebe: Sein armer ^>auf k.
oerweilen (3lxo. 7). ©eine ionifd)e SBeife erfcfyetnt 1551 übereinfrimmenb, mit einer geringen Überarbei--
tung ibrc§ SSonfa^eg; baS 33re§lauer ©efangbud), wo ba$ Sieb "bie Überfd)rift fütyrt : „25er jebenb $>falm,
Ut quib bomine receffifii, oon bem tfntidjrifjt" beutet burd) ben 93eifa^: „welchen man fingt in bem Ztjon:
pange lingua" an, baß e§ bafür feine allgemein aufgenommene Söeife gegeben; ^rätortuö bat weber Sieb
nod) Süielobie.
SSKit wie wenigem 9?ed)te wir fo manche, unter un3 nod) fortlebenbe SERelobieen oon Siebern jener
3eit ben Siebtem biefer legten jufebreiben, jeigen un§ bie beiben Sieber: ,,Surd) 2tbam3 galt ift ganj
oerberbt" unb „Erbarm bid) mein, o £erre ©Ott/' auf baö Seutticfyfte. SeneS erfte, oon
bem waefern SajaruS ©pengier, 9fatb§fd)reiber ju Dürnberg, berrübjenb, unb fo oiel wir wiffen, um 1524
jum erften SSJiable erfd)einenb, tritt bei SBalter mit jwei SUJelobieen auf, einer borifeben {$lxo. 16), weld)e
1551 mit unoeränbertem STonfa^e ($lxo. 42) wieberfetyrt, unb bie unö aud) ?>ratoriu§ (©ion. SKuf. VII.
82) aufbewatyrt bat; neben tf>r finben wir eine jweite, ütyrpgifcbe (9Iro. 17), bie feitbem ntd)t wieber ange=
troffen wirb. Um 1534 begegnen wir unferem Siebe in einem fliegcnben, ju Dürnberg gebrueften S3latte,
worin auf bie SBotfe-weifen: ,,9cad) ÜBitlen bein," ober „2Baö wirb eö bod) be§ SSBunberö nod)" oerwiefen
wirb ; beibe bat unö gorfterS Sieberfammlung aufbewabrt, aber fie gleichen weber ben eben befd)riebenen,
nod) ber fpäteren, je^t allgemein üblichen ©ingweife. Siefer begegnen wir juerfi in Älug§ ©efangbuebe
oon 1535; unb bamalS war Sajaruö ©pengier bereits (feit bem 7ten ©ept. 1534) nid)t metyv am Seben.
•) 9Jto. 134 bie pfjrpgifdje ; 133 fcie äo(ifcfjc; 135 bie borifcfie.
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ginmahl finbe id) tl>n allerbingg als SEonfcfcer genannt, in 65 v>on @d)öffer unb 2fyiariu3 ju «Strasburg
gebrucften Stebern; hier ifl ein Safe über bie 9ftelobie be3 SiebeS: „£temeil umbfunfi igt alle Äunft" mit
feinem tarnen überfd)rieben. 9cef)men mir if)n beSfyalb aud) an aB einen ber SSonfunft erfahrnen, fo
mcrben roir bodi immer jmeifelfjaft bleiben müffen, toeldje ber, um 1524 erfd)ienenen SBeifen il)m beiju=
meffen fei ; bie in jtlugS Sflelobieenbucbe oorfommenbe ift ihm mit SSefltmmtbett abjufprccben, unb mobl
nur il)re Sreflicbfeit fonnte bie, fonjt unbegrünbete, SSorausM'efeung erregen, bap fie non bcm £id)ter be§
SiebeS ()crriil)ren merbe. Sn ben 123 ©efängen für bie gemeinen Schulen (1544) ft'nben mir fie (9cro. 96)
in einem oierftimmigcn SEonfafee oon SupuS ^jeüincf, beffcn fpäter 51t gebenfen fcpn mirb.
£)a§ Sieb: „Erbarm bicb, mein, o ^jerre ©Ott" bat bei SSalter (9iro. 13) jmar feine, nod) jefej
übliche, pfjrngifcbe ©ingmeife. 2TUein e§ erfd)eint eben l)ier nid)t jum erften Wldjk ; ein fltegenbeS 33latt
au§ eben biefem %at)xe jeigt eS unö jutn erjten 9)iaf)le, mit ber tlnterfcbrift : „SBittemberg greitag nad)
©pipbanie im 1524 %ax, &xl)<xxt 4?egcnma[b," unb f)ier t(t il)tn aud) ein oierftimmiger Sonfafe^ beigegeben,
beffen pbrpgtfcbe ©runbmclobie aber mit ber t>on ©alter mitgeteilten nid)t bie geringfte 'Ähnlichkeit f)at,
»ielmehr einigen ber öfter »orfommenben "tfbfäfee ber SCßelobie be§ „5>err ©ort bid) loben mir" gleicht,
menn fie aud) feinem »on ihnen völlig übereinftimmt. Ratten mir ein beffimmteS Seugnif? — moran eS
jebod) gänjlid) fehlt — bafj @rf)art £egemt>alb aud) eine SJMobie ju feinem Siebe erfunben l)abe, fo mürben
mir ib,m jeberjeit nur biefe ältere jufd)rciben fonnen, ba ii>r funftlofer, au3 Änflängen einer bekannten
Äird)enmeife ftd) bilbenber ©ang, unb ivjx einfacher Safe auf einen bloßen Siebhaber ber Sonfunft fchlicfjen
lä$t, mir aud) immer vorausgehen müßten, ba£ Sieb unb Singmcife mit einanber entftanben fernen. Mein
bie bei SBalter erfd)einenbe il)m beijumeffen, fef)lt e§ an aller S3eranlaffung.
SSon ben nid)t entlehnten ©ingmeifen ber übrigen brei nid)t lutf)erifd)en Sieber in 2Balter6
©efangbuebe miffen mir fo menig bie Urheber anzugeben, als oon ben jmei eben befprod)enen. S5ei bem
Siebe: ,,^)err ßb,rift ber einig ©ottS @ohn" ift fogar ber Siebter jmeifelhaft. (Sinige fdpreiben
e§ bem ÄnbreaS dnophiuS ju, 2fnbere ber ßlifabetf), erften ©attin £>r. (EaSpar @reufejger$> ju Wittenberg.
83ielleid)t gelten jene ben fräftigen ©eift be3 SiebeS nicht für einen meiblicben, jumaf)l in ben S3erfen :
drtöbt uns» burd) bein ©üte
(Srmed un3 burd) bein Äraft,
ben alten 9Kenfd)en frdn!e
ba^ ber neu' leben mag,
mogegen biefe erjdb,len : bie £>id)terin t)<xx)e an geiftlid)en Siebern ein befonbereS ©efallen gehabt, unb alä
fie einmat)l geträumt, fie prebige in ber £ird)e, b,abe tf>r ©arte, bem fie eS forgenb erjäfylt, if)r geantmortet :
mob, l möge eine§ ifyrer Sieber fünftig einmab,! in anbäd)tigem ©efange ber ©emeine ©otte§ prebigen ! SSBie
bem nun aud) ferm möge: fo üiel ift gemi^, ba^ bei fo miberfprecbenben Angaben aud) ber ©änger ber
SBeife ungemif bleibt, felbft menn mir annähmen, fie fei mit iljrem Siebe gleid)jeitig entftanben. Sfyten
SBertb, l)aben mir bereite ju mürbigen gefuebt : fie gel)brt ju benen, bie ib.rem Siebe unoeränbert geblieben
finb, menn fie aud) für anbere gleichen 9J2aafje3 entlehnt mürbe; aud) i^r melobifdber ©ang b,at im Saufe
ber 3eiten Feine roefentlicbe SSeränberung erfahren, als bap tfjr fpäterb.in ber rf)i)tl)mifd)e SBecbfel abgeftreift
mürbe, burd) ben fie ftd) au3$eid)net, ein ©cbidfal, ba§ fie mit ben meiften gleicher Tlxt theilt. tfuffallenb
bleibt e§, bap Sieb unb SDRelobie in ben 123 ©efängen für bie gemeinen ©cbulen (1544) fehlen.
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£ie mirolobifcbe 2Beife, mit ber ba3 ^Pfalmlieb oon Sodann tfgricola : „gr&blid) wollen
wir £alleluja fingen" bei SBalter erfdjetnt, bürfte eine, fd)on bei feinem (SntfW)en allgemein auf;
genommene gemefen ferm: ba3 33re3lauer ©efangbud) b,at fte unoeränbert, unb fo alle älteren geiftlid)en
Kebetfammlimgen, in benen ba§ Sieb erfebeint. 25ennod) ftellt ^rätoriuS (VIII. 124) ibj eine anbere au§
bei borifcfjen Sonart ooran: fte mar alfo nicfyt bie einjige unfereS £iebe§, unb mir miffen nid)t, ob biefe
jmeite oor ihr entftanben mar, unb burd) fte oerbrängt mürbe, ober ob fte erfi fpäter erfd)ien, unb brtlidje
©ültigfeit erlangte. $)rätoriuS läfjt un$ barüber in Ungemipb, eit, bod) nennt er '#gricola nur aB Urheber
be$ £erte§.
25a§ Sieb: Sefuö @f)riftuS unfer ^)eilanb, ber oon uns ben ©otteS 3orn
manb tc. ift gembbnlid), unb aud) l)ier, itberfebrieben : 25a3 ßieb ©. Scannte £u£/ gebeffert. 9lur in
biefem Sinne gebort ee> ßutber an, unb beSbalb ermahnen mir es> aud) bier, unb rtid;t unter ben feinigen.
3n SJiidjael SBeiffenS »erbeutfcjbten ©efängen ber bol)mifd)en S3rüber (oon 1531) ft'nben mir mit ber Über=
febrift: Jesus Christus noslra salus (ben lateinifeben 2lnfang§morten btefee» ßiebeä), eine beutfebe 33ear=
beitung beffelben, unb eine ©ingmeife, bie ber oon SBalter mitgetbeilten nur fern anflingt, aud) in bem
Umfange ber Inmoäolifcben Tonart ftd) bemegt, mäbrenb jene borifcb ift. @rft ba§ fpätere ©efangbud) ber
bobmifeben SSrübcr : „Aird)engcfeng, barin bie Jpeubarttfel d>rtflltd>en ©laubenS gefaffet tc." (1566) giebt
in feinem 'tfnbange (an ber 36ficn ©teile) ßutljerä Sftacbbicbtung mit 2öalter§ SJlelobie. 25a nun biefe unb
ibr ßieb niebt früljer, als im Sabre 1524 naebgemiefen merben fbnnen, jene§ jmar eine Umbicbtung eine§
früberen, lateinifeben, oon£uß fewn mirb, bie Übertragung ber utfprünglid)en ©ingmeife beffelben auf fie aber
nacb bem ©efagten nid)t unbebingt angenommen merben barf ; fo b«bcn mir fein 33ebenfen getragen, bie bei
2ßalter oorfommenbe als eine in ben erften Safyven ber Äircbenoerbeffcrung entftanbene anjunebmen, beren
Urbeber jeboeb immer ungemtß bleibt. Einige 3meifel gegen biefe "tfnnabme fonnte SeifentrttS fatl)olifd)e3
©efangbud) erregen. (53 erfd)icn juerft in jmei feilen um 1567 ju SSaufcen (bei$an§2öolrab) unb mürbe
bann öfter, unter anbern 1584 eben ba (bei SJlidjael SÜBolrab), mieber aufgelegt. 3n bem jmettenSbeile tie-
fer foäteren tfuSgabe (831. 196 auf ber Sfudfeite) mirb nun Sobann Hüffens Sieb lateinifd) mitgetbeilt, mit
Oem 23emerfen : ,,3obanneS puffen Siiebt; ungeaebt ba§ er nun fefjerifd) mar, \)at er bod) fein meinung
oon bem boebmirbigen ©acrament bc§ 2Clta*8 (latbolifcber SBeiö gehalten : 2Beld)e3 f'ann unb mag in ben
(Satbolifcben &ird)en unb SSerfammlungen fteber gefungen merben, mie§ in lateinifd)er unb beutfd)er fprad)
allste in feinem alten S£l) ort bernad) oerjeiebnet folget tc." 25ie beigegebene SDRelobie ift bie be3
äßaltcrfdmi ©cfangbudjes, bas üieb beginnt, mie e§ in bem ber SSrüber angegeben mirb, unb bat, mie ftd)
auö feiner Überfcbrift fcbliefjen läf?t, feine SSeränberung erfabren. ©o bürften mir benn aueb üorauöfefjen,
t»a§ feine ©ingroeife bie alte, urfprünglicbe fei, mie ßeifentrit oerftebert. Allein eben bierin mangelt feinem
,Heugniffe ooUe ©laubmürbigfeit. ©ein S5ud) jeigt il)n ntdbt eben aÖ grünbltcben gorfeber auf biefem
Zueile be6 ©ebiete^ alten geblieben ©efangeg ; er miU nur für feine Äircbe baS SBefte, ibm jugängtieb
gemefene jufammenlefen für einen geiftlicben ©efang, ber ftcb mit bem ber (Soangelifcbcn meffen bürfe, unb
Ceffen weitere Verbreitung binbere ; bie oon ttpu mitgetbeilten, älteren beutfeben Äircbcnlicber fd)eint er eben
nur auö BOß ©efangbud)e (153IT) cntlebnt ju baben. Sgatte er nun aueb oicUeid)t eine äd)te ältere Guelk
ffa &u% lateinifcbeö Sieb , oon bem er eine eigne, ber tutberifeben sJcacbbicbtung niebt übereinf ommenbe
Übertragung giebt, fo tann er boeb leid)t bie 9Jielobie oon jener entlehnt baben, in ber Meinung, fte fei ber
alte urfprünglicbe Xon beö tliebeö. 2?icfe6 bleibt unö jebod) jmeifelbaft burd) 5Diid)aet SBeiffenö tlicberbud),
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ba§ fid) auf urfunblicbe Quellen grünbet, unb beffen 3eugnifi um fo t>teleä älter ift; mir galten un£
beSfyalb ju ber oben aufgehellten 'Annahme fortbauernb berechtigt. 2BaltcrS SD^etobte ftnbet ftdt> in feinem
©efangbucbe in jmei £onfäf<en, einem fünfftimmigen (%lro.2'S), ber aud) 1551 (92(0*41) unoeränbert mieber=
febrt, unb einem brciftimmigcn (9cro. 24), bei bem baffelbe ber gall ift CSlxo. 71). ^PrätoriuS tr)eilt fie
nad) oier (Singarten mit, einer braunfd)mcigcr, mcifmer, fd)mäbifd)=fränfifd)en, unb in eben fo oiet Xon-
iav-cn (VII. i»l 94)5 jene ftimmen jebod) im SSBefcntlicben überein. (Sine fünfte, ^t>rt?gifd>e SKelobie
(9cro. 95 a. a. £).), bie nod) auferbem bei ihm ju finben ift, f>at er au§ JtlugS ©efangbucbe C 1 535) ent=
letjnt, roo fie neben ber 28alterfd)en ftefjt.
fttittet %lbfd>niH.
Sutfyer als Sänger getftlicf)er SBetfcn für bie eüangelifdje Ätrcfye.
25afj mir bie (Sänger ber SEJWobicen oon ben ältcften getftlid)en Biebern ber gereinigten £trd)e
nicht fennen, menn aud) bie tarnen ihrer £>id)ter un§ aufbebalten ftnb; bafs mir biefe nicht jugleicb für
Urheber ber SSBeifen ifjrer ©ebidjte galten bürfen, haben mir in bem oorangehenben '#bfd)nttte ju jetgen
gefudjt. 2Cber oiele, gemid)tige Stimmen nennen unö 2utl)er felbft, nicht alS geijtltcben Siebter allein,
fonbern aud) als> Sänger, unb gern bat man ihnen geglaubt, auf ihre ©ernähr bin feinen 9?ut)m aud) hierin
meiter oerbreitet. 2Ber fdf>e ba3 tbeure 4?au»t beS berrlid)en SJlanneS nicht gern mit bem reicbffen @bren--
franje gejiert ! 'über auch hier bat bie ©cfcbicbte ju prüfen, ju ficbten, unb ma3 fie als Grrgebnifi ftnbet,
nid)t ju oerbergen, nod) ju oerbütlen. Sarf fie bod? gemijj feon, bafj ber SDZann, ber nicht feine @hre
fucbte, fonbern ben $>reiS beffen, ber ihn berufen hatte ju feinem SBerfjeuge ; er, ber mit herben 2Borten
biejenigen jurücfmicä, bie ftd) nach feinem tarnen, unb nid)t nad) bem bes> (SrloferS nannten, aud) jeben
falfchen ^)rei§ oerfchmäht haben mürbe, menn er ihm funb gemorben märe ; barf fte bod) nicht fürchten,
burd) bie «Stimme bes> reblichen 3meifel3, nod) meniger ber ftrengen Wahrheitsliebe, mie burch einen giftigen
£aucb, bie griffe be§ ghrenfchmucfeS melfen ju machen, ber ftd; immer grün um fein^auot flechten mirb !
@he mir aber bie Unterfucbung beginnen, bie unfere Aufgabe un§ jur Pflicht macht, haben mir
juerft bie grage ju beantmorten : in meld)em SSerbältniffe benn nun ber neue Äircbengefang überhaupt
geftanben habe ju ber gefammten SDrbnung beö ©otte§bienfte§ ber gereinigten .Kirche, unb biefe mieberum
ju bem ber alten, ba man ja oielfältig erflärte, man gebenfe biefe nicht ju oerlaffen, fonbern ft'e nur oon
9Kifbräud)en ju fäubern?
2Bir folgen, biefer grage genugjutfjun, am ftcherften benjenigen (Schriften ßutf)er3 nad) £>rb=
nung ihres @rfd)einen§, in melden er ju lehren, ju überjeugen, anjuorbnen getrachtet, ma§ ber gereinigten
.Kirche ©otteS 9coth t£>ue in ihrem ©otteSbienjte. 4pier begegnen mir junäcbft einer fleinen 2fbbanblung oon
nur oier SSlättern, ju Wittenberg 1523 gebrueft, ,,5Bon ber £>rbnung ©otteäbienft in ber ©emetne." %b,x
jufolge foll bie fird)liche geier ftd) fnüpfen an bie ber alten -Kirche, unter tfbtbuung ber ^»eiligen gefie, mit
Ausnahme ber Steinigung unb fBertunbtgung SSJiariä, felbft ihrer ©eburt unb Aufnahme in ben Gimmel,
bie eine 3eitlang noch bleiben bürften, miemohl ber ©efang barin nicht lauter fei : aud) SobanniS beö £äu=
fer§ geft fonne bleiben, megen beö reinen ©efangeä, nicht fo ber tfooftel ßegenb „on (aufgenommen)
<S. ^)auli." Seö ©efangeö ber ©emeine mirb barin nicht befonberS gebaut: aber tebenbig fpricht ber
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©inn ftcb au$, in wettern ba§ neue ilird)entf)um gegrünbet werben folle. „2tber bie ©umma fei bie (i)ü$t
c$ bort), bafj e8 ja alle§ gefd>el)e, bafj ba§ SDBovt in ©cfywang ge^e, unb nid)t wieberum ein plärren unb
Ionen barauS werbe, wie btät;er gewefen ift. 2flle§ ift beffer nacfygelaffen, benn bas> SEBort, unb ift nicfyts
befiel getrieben, benn ba§ 2Bort ; benn baf? baffelb' follt' im ©cfywang unter ben ßfjrijren geben, geigt bie
ganjc ©djrift an, unb @l)riftu3 aud) felbS fagt, Sucä 10 : @in§ ift oon SJlbtben, ndmlid), bafj Sftaria ju
(5l)riftu3 gittert ft'fje, unb fyore fein Sßort täglid), ba3 ift ba§ bejle S£f)eil, ba§ ju erwdblen ift, unb nimmer
weggenommen wirb. 63 ift ein ewig 2Bort, ba3 anber mufj atleS »ergeben, wie üiel e3 aud) ber 9Kartf)a
ju febaffen giebt. Saju Jjetf un§ ©Ott, 2tmen."
(Sine jweite ©d)rift biefeei ©egenftanbeS ift bie im Secember beffelben SafjreS erfebienene Formula
missae, bie wir unter bem Sitel: „Sie wepfe ber 9Jief?, unb bie gemjefjung be§ ,£>od)wirbigen ©acramentj>,
für bie G>f)riftlid)e ©ernatm oerteutfcfyt" in einer Überfe&ung, um 1524 ju Wittenberg gebrudt, tor 2tugen
fjaben. ©ie ift 9licolau§ Kaufmann, ,,f)at)ligen in Güfjrifto, ber ßfjrifflicfyen ©emann ju Sroidaw 9)farr=
berrn" gewibmet.
£ier wirb üergbnnt, baß man im Äprie, bem Crngelifcfyen ^Pfalm (Gloria in excelsis Deo), bem
©ebraucfye ber alten Äircfye bei Haltung ber SJleffe ftd) anfd)liefje: nur beren 2tnftd)t als» eineS £>pfer3,
unb bamit ber Stteß = ßanon, wirb in ben Jjartejten ^uöbrüden »erworfen. Grpifteln, (Soangelien, ©ra-
buale, ber ,,©laub' im ßoncilio 9ftceno gejMIt" werben gebilligt ; bie ©equenjen — bie ben ©plben=
beb.nungcn ber J^allcluja an fyofyen geften unterlegten ©efdnge — follen abgetan werben; ,,e§ gefiel' benn
einem Pfarrer bie furj ©equenj am ^eiligen ßfyrijttag : Saft un§ nun alle Sanffagung tf)un bem ^erren"
(Grates nunc omnes). fepn fd)ier gar fein' ©equenj (fdfyrt Cutter fort), bie ben ©eift unb ©lauben
anjeigen, bann bie t>om belügen ©eift: Sie ©nab' be3 ^eiligen ©eifteS ftebe uns> bei (Spiritus saneti adsit
nobis gratia) unb .Komm fyciliger ©eijt." ^Jcad) ber 33enebet)ung be§ ©aframenteä wirb ber ©efang be§
©anctuS unb 33enebictu§ empfohlen ; wäfyrenb beffen 2(us>rf)eilung an bie ©emeine ba§ 2(gnuö Sei, unb
ftatt be3 „Sie SDftffa eft" ba£ 33enebicamu§ unb WIeluia. 9tad) (Smpfang be3 ^eiligen 2tbenbmaf)l$ möge
bie ©emeine ba$ Sieb fingen :
©ott fei gelobet unb gebenebeiet,
Ser un3 felber bat gefpeifet ic.
nid)t aber bie fpäteren S3erfe beffelben :
unb baö b, eilig' ©aframent an unferem legten Grnbe
auö be§ geweideten ^)riefter§ $änben k.
benn e§ war feine Meinung, biefe fepen bin§ugefügt t»on irgenb einem, fo ©t. Sßarbara geebret unb il)r
gebienet b.abe, unb obwohl er fein Sebelang baä ©acrament wenig geachtet, gehofft, wenn er jterben follte,
burd) ba§ blof e gute 2ßerf ber ©enief ung beffelben, ob,ne ©lauben, unb bureb, feiner ©dwijerin gürbitte,
einjugeben jum geben, ©o lobt er aud), unb ol)ne weitere S5efd)ränfung, bie alten ßieber : „9iun bitten
wir ben fjeiligen ©eift," unb „ein Äinbelein fo lobelid)." 2Bieberl)olt aber fcbdvft er ein, baf man auö
aUem biefen nimmer ein ©ebot machen foüe, nod) eine $flid)t. „Sn biefen Singen (fagt er) foll man frei
unb unwbunben fepn, unb 5Riemanb gejiemen, weber mit ©efe^en, nod) mit ©eboten bie d)riftlid)en
©ewiffen &u fab,en. Serljalben aud) bie l) eiligen ©efdjrift üon biefen Singen ntcbts> befcblie^en, fonbern
laffen bie Jreiljeit beS ©eifte§ ir>reö ©inneö gewif fepn, nad) ©elegenb,eit ber ©tatte, ber 3eit unb $Perfon."
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(Sine befiimmtere ©eftalt enblicb 5Ctd>net ßutber ber firdjttdjen geier »or in feiner Schrift:
Seutfcbe 9Keffe unb SDrbnung ©otteSbienftS, ju 2Bittemberg fürgenommen, 1526; immernoch mit 2ln=
fcbluß an bie ©ebräucbe ber alten .Kirche, bt» auf bas Sd)riftroibrige, unb bie, unablaßlid) bejrrittene Tin-
ficht ber 9Jieffe als eine§ SBerfeS unb £>pfer§. 2>e3 Sonntags foll ein geiftlicb Sieb, ober ein teutfd)er
•■pfalm ju Anfang (in primo tono) gelungen merben: ,,3d) mill ben $erren loben allezeit." £urd) SEom
Reichen wirb erläutert, rote bicfer spfalm, meniger ju fingen, al3 mit erljbfjter unb benimmt betonter 9?cbe
vorzutragen fei. £)ann fofle baö itnrie eleifon (£err hilf unö) bretmaf)l, nid)t ncunmaf)l, roie bisher roieber=
holt, folgen: eine (Sollefte — betonte SSorlcfung — be3 ^riefterS, unb barnad) bie (Spifiel im ad)ten
SEone, fo baß ber $>riefter im Grinflange ber ßollefte gleich t)od) bleibe. Sanft $>aul, äußerte Sutber gegen
SBalter, 0I6 er in ©emeinfcbaft mit Ü)m biefe ©efange orbnete unb für biefeS SBerf aufzeichnete , fei ein
ernjier 'tfpoftel, ibm jieme jener Äird)enton am bcficn. „2luf bie (Spiftel (fährt er fort) finget man ein
teutfd) Sieb: 9hm bitten mir ben beiligen ©ei)t, ober fonji eineS unb baS mit bem ganjen ßbor." £ann
folgt ba3 Croangelium be3 SageS, gelefen, mit bem 2tngeft'djte jum 83olfe gef ehret, gleichwie bie (Spijiel :
jencä im fünften £one, ,,benn biefer jieme ben SJcben ßbrifti, ber ein freunbltdber ^)err fei, unb lieblid)
feine 3febe," waren 2utber3 Söorte bierüber gegen SBalter. 9cad) bem (Soangelio fingt bie ganje £ird)e ben
©laubcn §u teutfd) : ,,2Bir glauben all' an einen ©ort;" baran fcbließt fich bie $)rebigt, unb eine Um*
fcbreibung be§ S3ater Unfer; biefem enblid) folgt ba3 % mt — bie (Sinfegnung be§ SarramenteS, unb
Dellen 2lu3tbeilung an bie Sememe. 2)aju finge man ba§ teutfd) SanctuS
Sefaia bem Propheten ba3 gefcbab,
nach bem fecbjten ßapitel beffelben, wo er be§ £errn £errlichfeit fabe, unb ba§ Dreimablbeilig ber Sera=
pbim üernabm; — ober ba$> Sieb: ©ort fei gelobet; ober Sobann puffen Sieb:
Sefu§ dbrifiuS unfer £eilanb
25er »on un§ ben ©ottee 3orn wanb;
ta$ Übrige biefer lieber, ober ba3 beutfcbe 2lgnu3 2)ei, ju ber SBeibe beS Äelcbe§. £>ie Getiefte unb ber
Seegen befcbließen bie gefammte geier. '2lllc neu georbneten ©efange finb mit ihren Sonjeicben oerfeben,
auch noch S3eifpiele für Crpiftel unb Croangelitim beigefügt in ben für ftc angeorbneten Sbnen , bem achten
unb fünften. 2Cüe biefe tfnorbnungen gelten jebod) nur für ba$ fonntäglicbe 2lmt. ,,5Jiit ben geflen (fagt
iiutber) al§ 2Beibenad)ten, £flern, ^fmgften, 9Jiid)aeli», ^urifkationf» , unb bergleicben, muß ergeben
roie bipber, lotetntfcb, bip man teutfcb ©efang genug baju i)at. Denn bis merf ift im 2tnl)eben,
fcarumb iftä nod) nit alleS bereit, roas baju gebort, allein, baß man roiffe, mie e§ auf einerlei SSBeife folle
unb möge jugeben, baß ber mancherlei SSeifc 9fatb unb 9)Jaaß gefunben roerbe." — Unb ferner: „25ie
Saften, f almtag unb hartem? od) en laffen mir bleiben; nicht, baß mir jemanb ju fajten jmingen, fonbern
baß bie ^affion unb bie ßoangelien, fo auf biefelbige 3eit georbnet finb , bleiben follen ; bod) nid)t alfo,
Caß man bas ^)ungertud), Halmen fcbicßen, SBilb becfcn, unb mä§ beö ©aucfelmerf» mehr ift, b"lte, ober
©ier 9)affion finge, ober ad)t Stunben am Äarfreitag an ber ^affion ju prebigen l)abe; fonbern bie 9Jtarter=
roocbe foll gleich, mie anbere 5ßochen fenn, ol)n' baß man bie gMfffon prebige, be§ Sag§ ein' (Stunbe burd)
bie 23od)e, ober mieciel Sage e3 gelüftet, unb baö Sacramcnt nehme, roer ba miß. Senn e§ foll ja
aUeö um be3 SBorteö unb Sacramenten millen unter ben ßbrijkn gefdjeben im ©otteSbienfte.
Summa, biefer unb aller £rbnung ijl alfo ju gebrauchen, baß, roo ein 9Jiißbraud) baraus roirb,
t>aß man ftc flugä abtbue, unt eine anbere mache; gleich roie ber Äbnig @jed)iaä bie eherne Schlange, bie
o. SßinlafcU , fctr erangtl. (S^cralgcfang. 19
146
bog ®ott fcibfr befehlen harre ju machen, barum jubrad) unb abtbdt, baß bie Äinber Sfrael berfelbtgen
mif;bt\utebren. ©am bt« £rbnungcn füllen ju gorberung beS ©laubens unb ber Siebe bienen, unb nid)t
Uim 'Dcadrtbeil."
©drahten ttm bie 9Jcilbe unb Schonung biefes SSerfal;rm§ , wonach, nirgenbs gewaltfam ein-
geriffen, nur baS SJlotfdbe unb Unhaltbare, bas Scbdblicbe unb Seelenoerberblicbe abgetban, bem ^rger=
niffc gewehrt, bem SBcffcrcn überall ber 2Bcg gebahnt werben [ollte; fo barf es nicht SBunber nehmen, bie
äußere bebeutfame ginfaffung bes alten ©ottesbicnfreS überall beibehalten ju [eben; ja, bei allem Eifer für
bie tbatige Sbeilnabme ber ©emeine an ber geicr, fclbft ben ©efang in ber alten £ird)enfpracbe, bis er bureb
beutföai crfcljt werben fonnc. gür bie Sd)üler gelehrter Suijialtcn jeboeb füllte, aueb wenn biefeS möglich
geworben, ber lateinifdje ©efang bennoeb nicht berjrummen, er füllte, als 2cbr= unb Erbauungsmittel beflehen
bleiben, ja, für bie Sugcnb füllten bie Vespern, wo ft'e gefallen waren, wieber aufgerichtet werben, ba fie,
bem SBefentitdjen nacb, nur aus fd)riftmdßigen ©cfdngcn beftanben. Saß aber bas gefttieb unb bas
spfahnlieb vor 'Willem bie gciftlidjen Siebter jener Seit befebäftigten, unb baß beibe in ben bamaligen ©e=
fangbüdiern bebeutenb »orberrfeben, ift nicht minber erßdrltd). ©er beutfd)cn gefrgefdnge, beren Langel
lebbaft empfunben würbe, beburfte man vor 2lllcm ju würbigem Scbmude ber n'rcbltcben geicr; unb füllte
bas bci'igc SBort, ju beffen ^Belebung biefe angeorbnet war, rcidjlicb wobnen in bem ©efange ber ©e=
meine, fo mufte man au» beffen dltcfrer wie ergiebigfter £luelle, bem *Pfalmbucbe, cS beranteiten für bie
Sürjrcnbcn, ft'e ju erquid'cn; man mußte es in bie anmuthenbfte ©efangfonn f leiben, um biefes achte,
bcilfame fcabfal ihnen oorjüglid; lieb ju macben. 3n beiben 'tfrtcn bes geifilidjcn Siebes, neben bem £ebr=,
bem Sßctlicbe, wuebö allgemach, ber SSorratl) an für ben beutfeben Äird)engefang ; langfamer bereicherte er
fieb an foleben ©cfdngcn, bie für ben Vortrag bes ©eifrtieben befiimmt waren, an Eingängen, Eolleftcn,
©ebeten, Einleitungen jur SBcnebcpung bes SSrotcs unb .Kelches für bie hoben gefre; hier behielt, auch
«iel fpdter noeb, ber alte (ateinifd^e Äircbengcfang feine ©teile neben bem beutfeben ber ©emeine.
2Bie es acbtjebn Sabre fpdter, nur jwei Safere uor ßutbers £obe, mit bem geiftlidjen ©efange in
«Schule unb &ird)e befebaffen gewefen, erfahren wir bureb ben Pfarrer ber Stabtfircbe ju Wittenberg, Sr.
Johann Skggcnbagcn. 2113 ©corg Schau bafclbfr um bas 2Sabr 1544 acbtjig Sicfponforicn uon SSaltbofar
Sfeftnarius für bie heiligen 3eitcn unb gefre bes ganjen Jahres herausgab, begleitete Jßuggenbagen fie mit
einem Vorworte an bie bortige ftubirenbe Jugenb. 9cacbbem er bemerft, baß t^etlS ber Sonfe^er, tbeils
ber Herausgeber aus ben Herten alles entfernt bdtten, was einem frommen £>bre anftößig fc»n fönne, fügt
er hinju: „Soll iöb aufrichtig gefielen was ich meine, fo wünfdjte ich ber Sugenb, ben SBorten nad),
reinere ©efange barjubringen, von benen nicht allein gefagt werben mochte: hier ift niebtö Schlimmes,
nichts gegen bie heilige Schrift, ober ben ©lauben ju ft'nben, fonbern: hier ift bcö ©uten chüas aus ben
heiligen Schriften unb ©otteö SBorte, ßebre, Ermahnung, Sroft, Verheißung, Anrufung: fo, baß bie
3ugenb jugleich mit bem ©efange fich gewohnte, ©ottee SEßort im ©ebdchtniß ju behalten. 2ßie wir
benn hier in SSBittenberg bie Schuljugenb, jweimahl am Sage, grübe unb 3lbenbö, aus ber Schule in bie
Aircbe gebenb, ju einer furjen unb ermuntemben Übung anhalten. Sie fingen latcinifd) einen unb
ben anbern 9)falm mit feiner ^tntipbonte, jur Vesper wirb aud) ein 4>r,mnus hinzugefügt, unb an ben
gejttagen ein 9fefponforium. Dann tefen brei Änaben turje '^bfchnitte aus ber lateinifeben S3ibet, unb was
fie juoor gclefen, wirb banad) »on einem m'erten beutfd) oorgetragen. ^ieran fdblteßt fich «™ borgen
$ad)«m$ üobgeiang: ©elobet fei ber ^)crr, ber ©Ott Sfrael, am "ilbcnbe Sötarid Soblieb: SDieine Seele
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ergebet ben .perrn, mit 'tfntipbonie unb 33enebicamuS — üaffet uns ben £erren leben, ^»aUeluja! Sonm
abenbs aber, nach bem .frpmnuS, folgt bie öffentliche ^rebigt; nach berfelben fingen bie Anaben bie Sita=
nep, ber ©eiftlicbe halt ein ©ebet, unb nach ihm tvirb baS 23encbicamuS gelungen. 'Km Sonntage, frühe
nad) ben gectionen, fingt bie ganje Äircbe irgenb einen bcutfd)en ^Pfalrn, unb eS wirb ber ,Rated)iSmuS
geprebigt: banacb fingt man baS Sbm ©ort bid) loben mir, ober Atbanaft'uS ©laubenSbcfenntnijj, unb
fügt eine 'tfntipbonie unb bann baS SBenebicamuS binju. 3ur SSeSper beffelben 5£agcS, nad) ber ^rebigt,
fing« bie ganje .Kirche beurfd) SDiarid unb Simeons? Sobgefang (SJJagniftcat unb SRtmc bimittiS), jutn
Scbluffe baS SJenebicamuS. Sn unferer öffentlichen 9ftcffe — mie fie gebeifkn mirb — fingt unfere Äircbe
beutfeb, boeb nichts anbereS, als mag auS bem 4?eiligtbume beS gbttlicijen SBorteS hergenommen ift, nad)
Clbrtflt 'tfnorbnung, mo er fprtcbt: £icfeS tf)ut ju meinem ©ebdebtniffe." — 2Bir feben, eS mürbe frdftig,
unb fonfebreitenb gemirft, ben Saamen beS göttlichen SBortcS auSjuftreuen in bie ©emütl)cr, fie ju frucbt=
barem ©ebeiben beffelben oorjubereiten ; nicht allein baS Scbdblicbe unb Scbriftroibrige, reinigenb, ju
entfernen, fonbern auch baS £cilfame, Scbriftgcmdfje, meiterf brbernb, ju »erbreiten. £>abei aber
feilte 3ier unb Scbmud beS ©otteSbienjteS bleiben, bie heilige SEonumft jumabl, in ber #er$ unb Sinn
am meiften ju bem ßmtgen ftd) ergebe; dufjerlid) follte nicht einmal ber *Knfch,ein einer Steuerung bertjor*
treten. ,,GS finb unfere JUrcben (Tagt 2utber im Sabrc 1541) ©ottlob ! fo jugeriebtet, bafj ein 2ape, ober
Söallon, ober Spanier, ber unfere $)rebigt nid)t üerfteben fbnnte, menn er fähe unfere 93ieffe, ßbor, £x*
geln, ©lorfen, dafeln unb bergleid)en , mürbe er muffen fagen , eS mdre eine red)te papfilicbe Äirche, unb
fein Unterfdiieb, ober gar menig, gegen bie, fo fie felbft unter einanber haben. "
T>a$ bem in ber Sbat fo fei, bemdfyrte ftd) halb nad) SutberS SEobe. Sn §olge ber Schlacht bei
Sltüblbcrg jogen 9)tttfmod)S uor ^fingften, am 25. ÜJiai 1547, bie Äaiferlichen in Wittenberg ein. SOian
hatte au$ SSeforgmfj vor Störungen ben ©otteSbienji in ber Schloff irche eingeftellt; allein Äaifer Satl V
empfanb bieS übel. 3n ben oberbeutfehen ganben habe er in ber Religion nichts gemanbclt, fagte er, UM*
um folle er es? hier tbun? So begannen ©cfang unb ^rebigt benn am folgenben Sage mieber. 3n ber
sPfarrfird)e batte 2>r. S5uggenl)agen ben ©otteSbienft nid)t erft eingeteilt, unb fanb fid) burd) beS Äaifers
Äußerung noch mehr ermuntert, dt prebigte fogar in ber ^fingftmoebe über ben Unterfchieb beS eoangclU
fchen, unb beS '»PapficS ©lauben. 20le tiefe Sage — erjdl)lt er felbjt — bitten wer bis fünf Spanier in
einem ©eftüble bei bem Altare geftanben, unb ehrerbietig jugebbrt, ba am geftgotteSbienfte giguralmufif
aufgeführt, oom ©eiftlichen lateinifcb am Altäre gelungen , nach ber ^rebigt aber bie 9)rdfation — Gm=
leitung ju ber Söeibung beS AltarfacramenteS — unb baS Sanctuö (Sreimablheilig) lateinifch, bann bie
ßommunion mit ©ebeten unb ©efdngen in beutfeber Sprad)e gehalten morben fei.
"än allem biefem erfennen mir ben Sinn, in melchem Suther ju Aufrichtung bee eoangelifd)en
©otte§bienfte5 gemirft, mie ben Grfolg feiner ^Bemühungen. GS fann unS nicht fd)mer merben, bie Stelle
herausjufinben, melcbe bie geiftlid)en Steter bei ber f ireblicben geier einnahmen 5 in ben mitgetbeilten Urf um
ben finb jmar beren nur menige auSbrüdlid) genannt, mehre aber begegnen unö in ben geiftlicben ©cfang=
büchern jener 3eit. SSStr miffen mit S3eftimmtbeit, baß, unb meld)e, von biefen Siebern Cuther jum Ur=
beber haben: nur baS ftebt noch in grage, ob aud) beren Singmeifen won ihm henühren? 2)iefe Jrage
ift bisher in ber 9fegel bejahenb bcantmortet morben, allein ihre ßöfung ift feineSmcgS jmeifelloS.
©egen auSbrüdlid)e 3eugniffe, bie auf beftimmte Sieber unb ihre fenntlich bezeichneten Sing=
meifen gerichtet finb , fofern fie von glaubmürbigen, unb oorauSfeelid) gehörig unteniebteten Söiitlebenben
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herrühren, foll allcrbingS ein 3weifel fid> ntd>t ergeben. (Eben fo inentg wollen wir, wegen einer jufälligen,
geringen 'tfbnlicbfeit ber angeblich, lutberifeben SDZelobicen mit älteren lateinifeben jene auf biefe juritcffüb=
ten, wie eS wohl fatbolifeber ScitS gefdjeben ift. 2) er SSBabrbeit wollen wir nicht wiberftreben, unb einen
fallen 9?ubm, wenn rcir if)n als foldben erfennen, nicht bureb vergebliche Deuteleien ju fiüljen fueben.
ÜBir bürfen aud) naebgeben, bafj maneber Entlang altfird)lid)cr SBeifen in ben neuen, volfSmäfigeren, ber
»angelifdjen Äircbc gefunben werbe, ja, wir haben felber ausgeführt, bafj auS ber gegenfeitigen @in=
wirfung beS SßolU-- unb beS alten ÄircbengefangeS bcrgleicben notbwenbig, wenn auch oft unbewußt,
entjtcben mußten. Soll aber etwa bie SÖMobie: „(Sin1 fefte 33urg ift unfer ©Ott," jurücfgefübrt werben
auf bie beS fatl)olifd)en £vmnuS an ben 2Ü?ofteltagen : Exsultet coelum iaudibus, weil jufdlliger SBeife
bie vier erften Zone 33eibcr übereinstimmen; unb wirb babei nidbt beachtet, bafj bie Singmeife beS beutfeben
SiiebeS eine ionifdhc, bie beS lateinifd)cn eine »brvgifcbe ift ; bafj jene einem neunjctligen, biefe einem vier=
jeiligcn Siebe eignet, unb in jenem nicht einmal bie erfte bis vierte Seile mit ber fünften bis achten
übereinftimmen, weber in SKaafj nod) ^Betonung, fonbern in beiben nur bie vierte unb neunte Seile gleich
finb; wirb entlieh baburd} vollenbS aueb nur bie SDi6glid)feit auSgefcbloffen, bie Söeife beS beutfeben ßtebeS
auS ber beS latcinifd)en abzuleiten ; fo tonnen wir eine, bennod) bal)in gebenbe 33ebauvtung nur für eine
feiebte, völlig grunblofe halten, unb müffen vorauSfe^en, bafj allein Übelwollen gegen 2utber, ben »erbauten
jte^crfürjien, il)r ju ©runbe liege.
ginben wir bagegen bie Seugniffe, bie man uns anführt, um ju beweifen, bafj ßutber aud)
Sänger ber SSJielobieen feiner Sieber gewefen, weber von auSreichenber ä3eftimmtbett, nod) auf genau be=
zeichnete Stngwcifen gerichtet, noeb mit anberen, fefrftebenben Sbatfacben übereinjtimmenb ; fo ift eS
''Pflidn, fie naher ju prüfen , unb fte ju verwerfen, wenn fie ber Prüfung nid)t Stanb galten, möge baS
Grgebnifj ber gorfebung unS erfreulich; fevn ober nicht» ©n nur burd) Scblufjfolgen annähernb geführter
SSemciS für 2utl)er möge aber aud) in unfercr £>arftellung nur als ein folcher, nicht als ein beftimmteS
3eugnifj erfchetnen ; als eine vorläufige (Sntfcbeibung , bie einer abermaligen, ftrengen Prüfung fich nicht
entstehen barf.
Sßenn üutljev aud) als Sänger ber SEJMobieen ber von ibm gewichteten geiftlicben Sieber gerübmt
wirb, fo pflegt man, um biefen Sfubm ibm jujueignen, juerft auf allgemeine ©rünbe ftcb ju ftüfcen.
Man »reift feine Siebe jum ©efange, unb jumabl bem beiligen ; 3eugniffe grember fehlen bafür fo wenig,
als fchone, treffenbe 33eweiSfiellen aus feinen eigenen SBerfen. Unb, in ber Z\)at\ feine Spiel* unb
Sangfertigfeit ift nicht ju bejweifeln ; von ben ©efangübungen in feinem #aufe, feinen naben fßerl;dlt'
niiJen ju Stupf unb StBalter, Subwig Senfl unb anbern, finb wir genugfam unterrichtet, ßben fo wenig
gebricht eS an finnigen, verjtänbigen SBorten SutberS über große SSonmeifter feiner Seit, bie fein ftcbereS
Urtbeil über beren 2lrt unb Jutnft um fo mel)r bewähren, als fie gelegentlich, unabftcbtlicb, auS ber gülle
bes £erjenS bingeworfen würben, olme belehren ju wollen, ohne auf folche 2CuSfprücbe Söertb ju legen.
SDian verweift uns, um barjuthun, bafi 2utl)er auch; Sonfeljer gewefen, auf ein Schreiben von ibm an
3obann '^gricola, vom 15ten Suni 1530*). '211S er einjt vier Sage lang nicht ju lefen, noch ju fchreiben
vermod)te, verfiel er auf einen fonberbaren Scbcrj. Unter weggeworfnem Javier hatte er einen alten brei*
Gimmigen ©efang gefunben, itjn burchgefehen, gebeffert, eine vierte Stimme hinzugefügt, unb ibm neue
') be SBem, Cuttjcrs SBriefc. IV. p. 35. 36.
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Sßorte unterlegt, liefen fenbete er nunantfgricola. (§r fannte beffenßapellan, ©eorg, als unfertigen Krittler
unb Sabler, ber fid> »iel wußte mit feiner Äenntniß unb feinem Urtfyeit in ber SSonfunft, unb bacbte ihn
ju Scfyanben ju machen burd) 2lgricola'S 4?ülfe, ttJenn ttefer »ergebe, jenen ©efang von Augsburg ber
empfangen ju haben, als einen neu gefegten für bie 2lnfunft beS Äaiferö unb jtbnig gerbinanbS. SBie eS
bamit weiter geworben, ift unS nicht berichtet: allein mit Sfedb t ift barauS ju folgern, baß ßuther, habe
ein folcber <Sd)erj überhaupt nur üon ihm unternommen werben fbnnen, bocb in ber ©efcfunft erfahren
geroefen fcrm muffe, (Snblicb ift unS burcb SDkttbduS Stofceberger, £)oftor ber 2(rjneifunbe, ein ©efang
oon wenigen Seilen aufbewahrt, ben ßutljer bei feinem Aufenthalte ju ßoburg 1530 an bie SBanb feines
3immerS follte gefcbrieben haben, unb t»on welkem jener im Sahre 1550 eine Abfcbrtft genommen bitte:
auf bie lateinifcben 23orte: 3d> werbe nicfyt fterben, fonbern leben, unb beS £errn SBerfe Berfünbigen*).
gaffen wir ben Schalt biefer ßeugniffe, biefer Urfunben jufammen, fo feben wir allerbingS in Sutber einen
gefangliebenben, fanggeübten, SBerfe ber Sonfunjt geijrreicb unb treffenb beurtl)eilenben SDiann, ber, mit
ausgezeichneten Sonmeiftern in naber SSerbinbung jiebenb, felber auch wobl eine Singweife ju erfinben,
unb fie burch mebrjtimmigen SEonfafj auSjufcbmüden oermoebte. Aber biefe feine gertigfeit im Sonfafce
ging boch eben nidjt weiter, als ir)n fehlerfrei auszuüben; in bem einen Salle, wo er jene Äunjt, feinem
oorliegenben S5riefe jufolge, in Anwenbung brachte, war eS nur, um etwas jufammen ju ftopöeln, wo«
burcb ein eitler aufgeblafener Ärittler getdufebt werben fbnne, niebt um auS innerem £>range etwas Süchtiges
ju fdjaffen. Sag er biefeS jemals getban, barüber geben feine »telen, über jweitaufenb binauSgebenben
SSriefe niebt bie geringfie Anbeutung , unb wir mbdjten el;er glauben , baß eS ihm genügt habe, eine gewiffe
dunere gertigfeit erlangt ju baben in biefer Jtunjl, um il;re SBerfe beffer »erflehen unb genießen ju fbnnen.
S3efennt er ja bod) Subwig ©enfl, bem uon ibm befonberS gefchd|ten Sonmeifter, gegenüber, baß all fein
Äbnnen unb Vermögen niebt hinreiche, efwaS ju febaffen, wag beffen SBerfen nur nabe fomme, wogegen
aber aud) ibm bie ©abe ber 9)rebigt oerlieben fei, bie jenem mangle; wo er benn bemerft, bafi ber ©aben
mancherlei fe»en, wie bie ©lieber am Seibe, bafi ein Seber an ber feinen ftch müffe genügen laffen, unb nur
bürfe ein ©lieb femx wollen, nicht ber ganje ßeib. SBaS enblicb ben r»on ßutber erfunbenen ein=
Gimmigen ©efang betrifft, fo woEen wir feine Urbeberfcbaft eingegeben , unb an biefen flüchtig bingewor«
fenen Sbnen nicht »iel mdfeln. Mein wir haben in ihnen feine SDRelobie in ßiebform üor unS, wie bie=
jenigen ftnb, bie man ihm ohne Unterfchieb jufd)reibt, weil wir feine geglichen ßieber nach ihnen fingen;
fonbern einen colleftenartigen ©efang, ber burd) fonjl nichts ausgezeichnet ijt, unb feinen ber (SrfmbungS=
gäbe £utberS günjtigen Schluß rechtfertigt.
Allem biefem jufolge werben wir burd) jene allgemeinen 3eugnijfe, biefe mittelbaren S5e=
weife, um nichts gefbrbert. Sene helfen baS S5ilb beS h^rlid)en 9!Jianneä »ollenben, wir erfennen burd)
fie ben wobltbdtigen (Sinfluß, ben er auf Grrbaltung, auf ^Belebung unb gbrberung be§ Äird)engefangeS
üben müffen; wir ftnben SSeranlaffung ©ort bafür ju banfen, baß er fein auSerwdbltcS SSBerfjeug auch hi«
mit ©aben auSgejiattet ju reicherer SSerbreitung unb S3erfldrung feineö f>etttgert SBorteS ; bod) freilich n"r/
fofern ßutber bie auf bem ©ebiete ber£onfunji S3egabtejlen ju erfennen, fie als Sheilnehmer für fein großes
2Berf ju gewinnen wußte. Siefe mittelbaren SSeweife aber fbnnten nur in SSerbinbung mit gewichtigem
einen Sßertb b^en / ^er ihnen , für ftch genommen, nicht beijumeffen ift.
**) Non moriar sed vivam, et oarrabo opera Domioi.
150 -
@S liegen un§ aber auch unmittelbare 33eroeife uor; unter ihnen ber roichrigfte ein 33erid)t Sodann
ffialtetS, ßburfurfllid) ©äd)ft'fchen ©ängermeifterS , über fein 3ufammenarbeiten mit Sutt>er bei @inricb=
rung ber beutfchcn Sfteffe: eine Urf'unbc, bie unS Sflichacl 9)rätoriu§ in bcm crften Sfjeile feinet Syntagma
mnsieam (Seite 449 big 453) mitteilt, unb bte un§ ju genauer Prüfung aufforbert. Sfyw 3td}t()eit
bezweifeln wir nid)t, unb roenn auch eine barin uorfommenbe Äußerung, als fei ber in il)r enthaltene
S3ertd>t 40 %al)re nach, Aufrichtung ber beutfchen ÜKeffe — alfo um 1565 — niebergefchricben , einiget
SBebenfen erregen tonnte, roeil gewöhnlich Sohann SBalterö £obes>jahr fd)on jelm Satire früher, um 1555,
angenommen ju roerben pflegt; fo ift bod) biefe§ Siebenten »on nur geringer Erheblichkeit, ba ber 33ericb>
erftatter, bamalS immer ein bejahrter 9JZann , faum t>ic 3tbftcf>t t^atte, ben feit jener Shatfache oerfloffenen
Zeitraum genau ju beftimmen, fonbern tlm nur ungefähr, als? einen lange »erfloffencn ju bezeichnen. 3us
rem l)at aber auch Johann Walters» Sobeeijahr noch nid)t urfunblid) feftgeftetlt roerben tonnen, unb bis
bicfcS gefcheben ijt, roürbcn roir mit gleichem 9?cd}te au§ unferem ^Berichte folgern bürfen, bafj man es> biS=
ber um SSieleS }U frül) angenommen habe.
9>rätoriu§ führt Walters? S3crid}t an in einem Abfdjnitte, ben er überfd)rieben l)at: SSon einigen,
in alten 61) oralgefängen üorfommcnben, gehlem, unb tt)rer 33erbefferung bureb, Sobann Walter*).
Diefe ©efänge, beren Walter hier gebenft, al§ burd) ihn gebefferter, finb fdmmtlid) latetntfdje; nur
brei bcutfd;e roerben t>on ihm babei genannt: ©in Äinbelein fo Ibbeltcb, — 6b,rift ift erjranben — Sftun
bitten wir ben heiligen ©eift ; ©ingweifen, bie urfunblicb, au3 älterem, beutfd)en Äird)engcfange herftom;
men, unb allein unter aüen liebhafte genannt roerben tonnen. 2tUe übrigen tragen ba§ ©epräge ber
au§ bem gregorianifchen ©efänge herftammenben 9Relobiecn, bie ©ylbenbehnung , ben SSKangel an rrmih1
mifd)er 2tu3gcftaltung. ©ie aber oorjüglicf) ft'nb e§, über welche Walter fidt) »erbreitet. @r lobt ben
lateinifcfyen ©efang, tabelt biejenigen, bie baf}in trachten, tlm aus? ber gereinigten Äirdje gänzlich, ju
oerbannen , empfiehlt beffen (Erhaltung unb Pflege, unb hält barum bie auf Steinigung unb £crfMung ber
angeführten ©efänge oon ihm gemenbete SEftühe für eine belohnenbe. Sann erft geht er über ju bem ^Berichte
über fein 3ufammenwirfen mit ßuther. Wir bürfen e§ nicht umgehen , feine eigenen Worte hier folgen ju
laffen, r>on benen roir nur biejenigen übergehen, bie entroeber fchon juttor »ort un§ angeführt roorben finb,
ober nicht roefentlid) ju bem hier befprochenen ©egenftanbe gehören.
,,©o weifj unb jeuge id) benn (fagt Walter), baß ber heilige Sftann ©otteS, ßutberuS, roelcher
beutfeher Nation Prophet unb Apoftel geweft, ju ber SKuft'ca im ßhoral = unb giguralgefange große 2uft
hatte, mit welchem ich 8<»r manche liebe ©tunbe gefungen, unb oftmals gefehen, roie ber theure SKann
t>om ©ingen fo luftig unb frbhltd) im ©eifte roarb, bafj er beS ©ingenS fd)ier nicht tonnte mübe unb fatt
roerben, unb oon ber SERuftca fo herrlich ju reben wußte. Senn ba er »or üierjig Sohren bie beutfehe SUieffe
Wittenberg anrichten wollte, h«t er burch feine ©chrift an ben ßhurfürften t>on ©achfen, unb £>er$og
3ohannfcn £od)lbbl. ©ebäd)tniß, feiner 6l)urfürftlid;en ©naben ber 3eit alten ©angmeifter, @bm ßonrab
Wupff, unb mich, gen Wittenberg erforbern laffen, bajumahlen t>on ber 6l)oral sJcoten, unb 2lrt ber
adjtSon Unterrcbung mit un§ gehalten k."); hat auch b t e 9coten über bie (Spifteln, Qvan--
') De \ itiis «|uibus(lam Musices, quae in aoliquis eantiopibna CboralibtU uccurrunl , el eoi undem per W'al-
terum correctione.
") $in folgen bie , an biefer ©tcUc ju übergctienben tfugerungtn , warum Sutl;er ber Spiftel ben att)ten , bem
Goangelio ben fünften Zon jugeeignet.
gelten, unb über bie 2Bortc oer Grinfefcung beS wahren ßeibeS unb JBluteS d I) r tfl i
fclbft gemalt, mir oorgefungen unb mein ffiebenfen barüber hören wollen. (Er bat mieb bie Seit brei
SBocbcn lang $u SBittenbcrg aufgehalten, bie GEboral = iftoten über etliche (Evangelien unb (Epifteln orbentlicb
ju fchreiben, bis bie erfte beutfebe 9Kejj in ber ^farrfireben gelungen warb. Da mufjte id? jubören, unb
foldw offen beutfeben 9)icffe tfbfcbrift mit mir gen Sorga« nehmen, unb boebgebaebtetn dburfürften ;c.
aus S5cfebl bcS £errn Doctoris felbfi überantworten. Denn er auch bie S3e3per, fo bie 3eit an oielen
£>tten gefallen, mit furjen, reinen (5h ora Igef an gen für bie Sdiüler unb Sugenb wieberum anju=
richten befehlen: oej5gleid)cn, bafj bie arme Schüler, fo nach 35rob laufen, für benahmen lateinifchc
©efänge, Antiphonas unb Rcsponsoria, nach (Gelegenheit ber 3eit fingen feilten, unb hatte feinen
Gefallen baran, baß bie Schüler für ben Sbüren nid;t§ benn beutfebe Sieber fungen. Daher ftnb biejenigen
auch "id)1 bn loben, tbun auch nid)t recht , bie alle lateinifche d)riftltcbe ©efänge auS ber .ftird)en ftofjcn,
laffen ftch bünfen, e£ fei nidjt eoangelifd) ober lutherifch, wenn fte einen lateinifchen Giboralgefang
in ben .Äircben fingen ober hören follen. SBiebcrum iftS auch unrcd)t, voo man nichts benn lateinifche
©efänge für ber ©cmcine finget, barauS baS gemeine HSolf nichts gebeffert roirb. Derowegen ftnb bie
beutfebe geiftlid)e, reine alte, unb lutberifebe Steter unb^Pfalmen für ben gemeinen Raufen am nü£=
licbfrcn, bie lateinifd)en aber jur Übung ber 3ugcnb unb für bie ©elehrtcn. Unb fielet, höret unb greifet
man augenfeheinlich , roie ber heilige ©eifi fowebl in benen Auetoribus, welche bie lateinifdb en, als auch
in Qcrxn Sutbero, weldjer je£o bie beutfeben dboral = ©efänge meijrentbeilS gebichtet, unb jur
SJtelobie bracht, felbfi mitgewirkt; wie benn unter anbern aus? bem beutfeben SanctuS Qjffaia bem
Propheten baS gefebab; ju erfehen, roie er alle ifioten auf ben Sert nach bem redeten 2lccent unb ßoncent fo
meifterlicb unb wohl geridnet hat, unb ich auch bie Seit feiner Gbrroürben ju fragen oerurfaebt warb, wor=
au§, ober wober fte boch biefj Stüde ober Unterricht hätten: barauf ber tbeure SJcann meiner (Einfalt lachte,
unb foracb: ber $)oct S3irgiliuS bat mir folcbeS gelehret, ber alfo feine (Earmina unb 2Bort auf bie
©efehiebte, bie er befebreibet, fo fünftltch appliciren fann: 2llfo foll aud) bie SRuftea alle ihre 9?oten unb
©efdnge auf ben SEcrt richten." —
Um baS 3eugnif3, wekbeS biefer S3erid)t über ßuther giebt, gehörig $u würbigen unb JU oer=
ftehen, hat man junäd)fl ben 3ufammenbang, in welchem eS erfcheint , unb ben Sprachgebrauch ber 3eit,
auS ber cS herrührt, in "Udjt ju nehmen, benn auch biefer ift eben hier oon SBicbtigfeit. (ES fd)lief?t ftch
einigen jöemerfungen 2BalterS an über (Eboralgefängc, in benen er eingefdjlicbene gehler oerbeffert habe.
SBalter roirb baburd) auf bie 2Bürbe be» GhoralgefangeS überhaupt geführt, unb oerbreitet ftch bann über
ben 9cu£en beS lateinifdien (EboralS, über bie Pflicht, ihn im geben ju erhalten, unb oon (Entftcllungen
ju fäubern. (Er preift ßutber, ber mit fo oieler ©inficht unb Äenntnifj, anorbnenb, biebtenb, ja,
Singweifen erfinbenb, einen beutfeben ßboralgef ang erfunben habe, um ber Gemeine
willen, aber bennod) ben lateinifchen nid)t habe oerbrdngen wollen, ja, ihn wieber aufgerichtet habe, wo er
gefallen fei, unb bicfcS um ber fhtbirenben 3ugenb unb ber Schüler willen. Dabei ftnbet er Gelegenheit
in freubiger (Erinnerung ber Sage ju gebenfen, wo er mit ßutber gemeinfcbaftlicb an ber (Einrid)tung beS
beutfeben ßboralgefangee» gearbeitet, unb feine für ihn belebrcnben 'tfufjerungen mitjutheilen.
9cun fönnte man baS 2Bort, ,,Qt)oxaV' in bem Sinne nehmenb, wie eS bermahlen oon uns
gebraucht wirb, leicht ju ber 33orauSfe£ung oerleitet werben: eS fei hier oon ben geifi lieben für ben
©efang ber ©emeine bejtimmten Biebern bie 9febe, beren ßuther allerbingS mehre gebiebtet r>at.
152
£)iefe äSorauSfe&ung würbe jebod) eine irrige fetm. Unter 6 b oral »erjianb man in jener Seit nur ben
eigentlich liturgif d) en, uon bem ^riejier, ober bem ©ängercbore »orjutragenben, attfircblicben
©efang. 2ln ft'd) ebrwürbtg unb Mfttg, befanb ftd) biefer um bcn Anbeginn beS 16ten Sabrbunbertö bod)
in tiefem SSafaHe. 9^id)t allein baburd), bap eine Spenge entftellenber geiler in ben ©efang felber ftd)
eingefcbltcben garten, fonbern biefer mürbe auch alS ein gebotenes, ben ^riefiem, ben «Sängern, täfiigeS
2Berf, unmutig auf baS ©dmelljte abgetan, in fütnlofem, übereilten #ermurmeln , ober rohem Spin-
febreien. £>arum (traft ßutber baS S3l6fen unb beulen, Sbnen unb plärren, mit bem man bie biblifd)en
ßobgefänge, jumabl in ben Älbftern, entftelle, unb (Sott baburd) mehr erjüme als »erfobne; ja, in feiner
berben ©prad)e rebet er von bem 6felSgefcbrei beS 6horaleS, wobei er offenbar nid)t an ben ©efang
beutfd)er geiftlid)er ßieber burd) bie ©emeine fann gebaebt haben, ben er felber fo eifrig ju bef orbern ftrebte,
unb bei bem, als einer ftd) allgemach erft weiter »erbreitenben 6mrid)tung, wol)l faum fd)on »on einer
Sntftellung, unb einem Verfalle bie Sfebe fepn fonnte. 3n bem ©inne feiner Seit aber bat aud) SBalter
in feinem S3erid)te, ber ftd) hauptfäcblicb auf bie 6inführung ber beutfeben SJieff e erjtrecft, ftd) beS
2BorteS „61) oral" bebient. 3hm jufolge l)at ßutber, um ber ©emeine willen, bei bem fonntäglicben
j£>auptgotteSbienfr, bcrSDReffe, ben beutfehen 6boral eingeführt; bie beutfd)cn 6l)oralgefänge mei=
ftentbeilS gebidjtet unb jur -äKelobe» bracht. £>aS erfte, — fein Sichten liturgif eher ©efänge, —
fann ftd), wie uns bie beutfd)e SQZeffe oorltegt, nur auf jwei ©efänge begießen , welche bie ©teile beS
alten latcinifd)en Credo unb Sanctus bei berSUleffe oertraten, bie beiben ßieber : „2Bir gläuben all' an einen
©ort" unb ,,3efata bem Propheten baS gefdjab." SeneS war febon jwei Sahre früher »orbanben, £ert
unb ©ingweife', wir ftnben S3etbeö in bem SSalterfcben ©efangbud)e, unb allen um baS Sabr 1525
erfd)ienenen, eoangelifcben ßieberfammlungen ; biefem begegnen wir juerjt um 1526 in ber beutfeben SKeffe,
unb nad) SBalterS ßeugniffe ifl nicht im geringften ju bezweifeln, baß feine SDMobie ßutber angehört, fo
roenig, als wir if)m bie ©ingweife beS ©laubenS absprechen gebenfen, obgleich 2ßalter beren nicht auS=
brüeflid) erwähnt. Denn in ber S£bat ftimmen bie ©ingweifen beiber ßieber barin überein, baß beibe mehr
baS ©epräge beS alten lateinifd)en 6boralS tragen — jumabl ber ©laube in feinen ©plbenbehnungen — al§
ben eines nolfSmäßigen ©efangeS; unb wenn ßutber bennoeb, gegen ben bis babin bejlanbnen unb nod)
beftef)enben ©ebraueb ber römifd)en .Eircbe, baS lefcte beiber ßieber als ein twn ber ganjen ©emeine ju
fingenbeS »orfebreibt, fo tr)at er biefeS offenbar nur beS Inhaltes, nicht ber ©ingweife wegen, weil
baS ©laubenSbefenntniß notbwenbtg ein allgemeines ber itirebe ferm mußte. Sie übrigen 6boral=
gefänge ber beutfd)en SDccffe ftnb für ben sJ>falm ju Anfange ber t'irchlid)en geier, ©piftel, 6oangelium unb
GinfeimngSworte angeorbnet, meifi nur erf)bf>te, beftimmt betonte 9?ebe; baß biefe twn ßutber herrühren,
bejeugtSBatter auf baS £3eftimmtefte. 2lber aud) nur auf 6 1) o r a l gefänge in bem juoor angegebenen ©inne
begebt fid) btenad) fein 3eugniß : nur ein einjigeS 9Kaf)l fefet er ben lateinifd)ett ©efang ber ©d)ul = unb
ftubirenben 3ugenb bem beutfcb,en beS „gemeinen £aufcm>" entgegen, allein f)ier bebient er ftd) aud) nicht
beS 'tfuSbrudeö ,,6l)oral," fonbern: ,,beutfd)c geiftlidje reine alte, unb lutl)crifd)e ßieber unb ?)fal=
men," obne babei ju erwäbnen, baß üutl)er ju biefen lefjten aud) bie ©ingweifen erfunben ()abc. 6rft in
ben legten 3abren beS lüten 3al)rl)unbert§ ftnben wir ben tfuSbrucf 6b, oral für SQZelobie beutfdjer geift--
lid)er, bem ©efänge ber ©emeine befttmmter ßieber gebraust, nach, bem biefe SDietobiecn allgemad), wie eS
bei ben altlateinifcbcn lange juoor gefd)eben war, ©egenftanb mebrftimmtger Bearbeitungen geworben
roaren, unb ihr ©efang nunmebr ben bebeutenberen £I)cil ber Hrd)lid)en geier cinnabm. SCßan wählte biefe
153
^Benennung, um fte aß ©runbgebanf en, fei e§ rubenbe ober bemegenbe, jener $armoniegebäube ju
bejeicbnen, in eben bem Sinne, mie man c§ bei ben ©efängen ber alten Äircfye jut»or getban hatte. Um bie
3eit, mo Suther bie bcutfcbe Sfteffe einrichtete, mar jene ^Benennung für bie, überall nur fparfam uorban=
benen, neuen geiftlicbenSicbmeifen noch, nicht üblich,, unb auch, in feinem fo viel fyäter gefchriebenen Berichte
bat SZBalter mohl faum fte in biefem Sinne gebraust, jumabl ba, mo er oon liturgtfcbem©efange in engerem
SSerftanbe rebet.
SBie menig 2Balter§ SSericht unS ju ber allgemeinen 83orau5fe£ung berechtige, Suther habe für
alle feine geifilichen Sieber auch, bie Singmcifen erfunben, leuchtet fonach ein. £>a$u fommt nun noch, baß
feine ber S3orreben, mit benen Suther bie bei feinen Sebjeiten erfchienencn geiftlichen ©efangbücber eingeleitet
hat, beffen gebenft, unb bafj in feinen jafjlreicfyen ©riefen nicht ein einjigeS SKabl bie Svebe bar»on ift.
@3 barf inbefj unfere «Prüfung mit biefem (Ergebniffe ftch, nid)t beruhigen. @3 liegt ihr nielmehr
noch t>ie Pflicht ob, bie Singmeifen aller ber Sieber, bie bisher mit grofjer 3ut>erftcht aß lutherifcbe genannt
mürben, ihrem erften (Srfcheinen, ihrem ferneren Scbicffale, ihrer inneren S5efchaffenheit nach, näher ju
betrachten; »ieUeicbt, bafj barau§ Umftdnbe hervorgehen bürften, burch melche SBalterS unb tfnberer 3eug=
niffe roieberum größere Sßebeutung gembnnen, ober mohl auch hei ber einen ober ber anbern 9öceIobie eine
befh'mmtere ©ernähr fönnte gefunben merben für Sutbers' Urbeberfchaft.
2ßir beginnen mit ber frübeften uns" befannten Sammlung eoangeltfcber ©efänge, jenen acht, um
1524 unter bem 3)rucforte SBittenberg erfchienenen Siebern, unter benen bie #älfte »on Suther herrühren.
§ür biefe »ier Sieber ftnb aber nur jmei Singmeifen »orhanben. £>a3 Sieb: ,,9hm freut euch lieben
Gbrtftengmein" fyat feine eigene, bie ältere ber beiben bafür noch Kfct gebräuchlichen; für bie brei übrigen
(Sieber auf ben Ilten, 13ten, 130ften $Pfalm) ifl beren nur eine »orhanben, bie fte mit bem Siebe theilen:
„@5 ift baS £eil uns fommen her." £>iefe legten brei Sieber maren alfo gemifjlicb, nicht mit ihren SSJcelo--
bieen entftanben, fte mufften ftch mit ein« entlehnten, ihrem 9Kaafje entfprechenben, begnügen, unb biefe
mar, mie fchon früher ju jeigen gefucht mürbe, mahrfcheinlich bem 33olfe>gefange entlehnt. Schon mit
tiefer Sbatfacbe fallt einer ber £auptgrünbe für bie SSorausfefcung bahin, bafj bie fpdter ttorfommenben
SBeifen biefer Sieber »on Suther erfunben fepn bürften. @tn ©leicheä freilich finbet mit ber 2Beife be3 juerfi
genannten Siebet nicht ff att; es" mufj jeboeb, befremben, bafj in unferer Sammlung, an beren Verausgabe
Suther offenbar feinen Sbeil hatte, fonbern bie, mie auch ihr früh« mitgeteilter SEitel lehrt, mohl t>on
einem £rucfer herrührte, ber ben allgemeinen 2lntbeil an ber neu ermachten Siicbtung auf bas" ©eifiliche
auszubeuten gebachte — bafj in unferer Sammlung bie Angabe fehlt, bafj ber 5£on be§ SiebeS, feine Sing=
meife, auch bem dichter angehöre; ein mie ftchere§ Littel, ben 2£ntbetl baran ju t>erboppeln! So enthält
aber baffelbe nur bie Überfchrift: „drin ßhriffenlicheS Sieb Soctorß Martini SutherS, bie unauSfprechlicbe
©nab' ©orte§, unb be§ rechten ©laubens" in ftch begreiffenb," melche offenbar nur baS ©ebicht angeht.
Saju fommt, bafj biefeS Sieb fogar fchon ein 3abr früher uorbanben mar, nach ber babei gefegten Sahrjahl
1523. Um fo mehr aber mufj eS bann befremben, bafj feine SSeifc, menn aß eine lutherifcbe befannt,
bamaß boch fo menig noch allgemein aufgenommen mar, bafj im S3re§lauer ©efangbuche t>on 1525 noch
bie SJielobie beSSiebeS: „63 ift ba$ 4?eil uns- fommen t>et" für ihr Sieb entlehnt ijt; bafj neben ihr in
2Balter§ ©efangbuche noch eine jmeite — menn auch fpäter berfcbollene — fleht, melche ber Herausgeber,
SutberS fo marmer 5ßeret)rerr bamaß mohl faum ihr an bie Seite gefegt hätte, menn er jene aß Sutbers'
(5rftnbung gefannt hätte. SBolIten mir aber biefe jmeite Sölelobte bennodb für SutherS halten, fo mürbe
». SEBmltrfelb, in wanget. S^otalaefang. 20
154
unS immer entgegenfiebert, bafj ihr Sieb fd)on ein %atjx früher vwrbanben war, imb wir würben für SutberS
©abe, neue ©ingweifen ju erftnben, burd) eine balb wergeffene nid)t eben ein gewid)tigee> 3e«gnifj geroinnen.
9tun begegnet uns aber, juerji in bem »on Sofepb Älug ju SÜßittenberg 1535 gebrudten ©efangbud)e, bann
in beffen fpätcrer 2luSgabc tum 1543, enbltd) in bem bei SSalentin S3a^jl (1545) erfd)ienenen, »on benen
ihitber minbeftenS baS lefjte eigenbS burd) eine SSorrebc eingeleitet bat, imb bie, gleid) bem 2öalterfd)en,
unter feinen öligen erfd)ienen ftnb, aud) nod) eine jweite — wir bürftert fagen vierte — ©tngweife
unfereS Siebes, biefelbe, bie wir jefct am bduftgften nad) bem Siebe: „@3 ijt gewifjlid) an ber Seit" ju
nennen pflegen. 9)ian bat biefe al§ eine, ebenfalls oon ßutfyer erfunbene genannt, aber gewiß mit eben fo
roenigem 9ied)te, als man bie jweite bei SBalter ibm jufebreiben würbe. £)f)ne 3weifel ift eS mit ibr unb
ber älteren, 1524 juerft erfd)einenben, nur be3l)alb gefd)cl)cn, weil eine jebe oon ibnen in ibrer Zxt oortreflid)
ift, weil man bem gefeierten Steiniger ber jtird)e überall baS SSefte aneignen wollte, weit beibe, bie eine i)iex,
bie anbere bort iwrgejogen, nod) unter unS fortleben. Tiber burd) feine ber lutl)erifd)en SSorreben, feinen
feiner 33riefe auS bem 3eitraume oon 1523 bis 1545 roirb biefe S3ermutl)ung (roir roieberl)olen eS) aud)
nur auf ba§ Ghitfcrntefle beftättgt. SEBenn eS unS nun an binlänglicben 3eugniffen feblt, um 2utl)er als
©änger biefer SOßelobie nennen ju bürfen, wenn wir biefe Unterfud)ung mit Sweifeln befd)liefjen müffen:
fo frage man uns? nid)t, wem anberS, alö Sutber, fte nun angeboren fbnne? 2Bir würben nur ju antworten
oermögen : einem, bem bie ©abe beS ©efangcö gewäl)rt war, bie aber in jener Seit nod) nid)t, ber ©abe
beS ©eljerS gleid), alS Äunfl geebrt würbe, unb baber nid)t geeignet war, ben tarnen bee> ©ängerS ber
5ftad)welt ju erbalten, wenn fte nid)t jugletd) mit jener anbern, bamalS mebr geltenben, t>erbunben war.
Ratten Sfeformator, £>id)ter, ©änger, in einer Herfen ftd) vereinigt, fo wäre bie lefcte biefer ©aben ftd)erlid)
von ben SKitlebenben auf fold)e SBcife gepriefen worben, baf fein ßweifel aud) bei bem einjelnen Siebe
ferner bätte bleiben fönnen. 25er befd)eibene ©änger jebod), ber eben nur bieS eine, »on ©ott ibm Söer=
liebene, für bie drbauung ber gereinigten itird)e btnjubracbte, blieb bcSbalb im £>unfeln, unb al§ man
fpäter, waö er beigefteuert, alS ein .Rbftlid)cS erfannte, lag eS fetjr nal)e, baffelbe bem jujufd)reiben, beffen
fräftig burd)bringenbc3 ÜEBort oon ben £onen neueS 2eben empfangen fyatte, bas> man nun ebenfalls für ein
oon ibm unmittelbar ausgegangenes l)ielt. 2Balters> 3eugnif3 aber, wie wir gezeigt, barf nid)t in bem ©inne
genommen werben, ber il)m gewöbnlid) betgemeffen wirb, unb fann jumal)l t)ter, wo aufkrbem fo »tele
©rünbe beS 3rocifelS oorbanben ftnb, fcineSroegS au3reid)cn.
9cäd)ft ben ad)t ßiebern ftnb bie beiben ©rfurter (Snd)iribien oom %a\)xe 1524 bie frül)ejien
.Quellen für bie SQielobieen lutberifd)er fiieber. 3n beiben bat baS ßieb: „@S fprid)t ber Unweifen SDZunb
wobl" nod) feine ©ingroeife; in bem einen ($um fd)warjen .£>orti) fel)lt fte aud) bem $>falmliebe: „2(uS
tiefer sJcotb fd)rei id) ju bir," unb nur in bem anbern (ju gerber gap) ift fte ibm beigcjcid)net. gür baS
£ieb: ©ott com £immet fteb barein" bäben beibe eine SKelobie. 2BaS für eine fte ju bem einen unb
anberen ßiebe mittbeilen, bin id), auS Langel eigener 2lnfd)auung, anzugeben aufjer ©tanbe. 2)a§ 2Bal=
terfebe ©efangbud) bat für jebeS biefer Sieber eine befonbere SSJMobie; für ben nad)gebid)teten ^3falm: „@$
!>rid)t ber Unroeifen SJiunb wobl" unjroeifell)aft jum erften 9JJal)le; ob für bie anbern jwei, barf id) nad)
bem ©efagten nid)t oerftd)ern. ©o viel tnbe^ jtebt fejt: bei ibrem erften @rfd)einen in ben ad)t Siebern
roar beiben biefelbe, frembe SKelobie anbequemt; mit benen, bie ibnen fpätcr eigen geblieben, ftnb fte alfo
unmittelbar nid)t entftanben. ©d)on biefer Umfianb genügt, um ßutberS Urbeberfd)aft ju bezweifeln.
£)a^u fommt, bafj bie Gelobte beS SiebeS: ,,"2ld) ©ott com ^immel fteb baretn," bie unS bei SBalter
_ 155
begegnet, nid)t einmal bie bcfannte (bn»o)pbrr;gifd)e ift, bie man Sutl)er gewöhnlich jufcbreibt. 25iefe
erfd)eint roobl am frübefien in jllugS ©efangbud)e (1535), bort aber nicht einmabl allein, auch, ntd)t alS
bie üorjüglidjere, fonbern ihr geljt eine anbere auS ber pbrpgifcfycn SEonart ooran, bie wir fpäter gewöhnlich
bem SiebetfnbreaS ÄnöpfenS über ben 2ten$falm angeeignet finben: ,,£ilf ©Ott, rote gebt baS immer ju."
(Srft neun Sflfyre nachher fmben roir fie in ben 123 Siebern für bie gemeinen ©cbulen (1544, 9lro. 59)
in merftimmigem Sonfafce üon SDiarttn 2tgricola. SBalter bat eine ©ingweife auS ber »erfefcten bortfdjen
Sonart, bie in ber golge bem Siebe: „£>er £err ift mein getreuer £irt" angeeignet worben, niemals jeboeb
Suttjer beigemeffen ift. 2lber noch, eine »ierte SDielobte unfereS Siebet geigen bie genannten 123 Sieber, auS
ber mirofobifeben Sonart, »on SBenebict £uciS merfttmmig gefegt. iDiefe war febon jueor bureb ©üb*
beutfd)lanb fehr verbreitet, unb auch, in 9>corbbeutfd)[anb nicht unbefannt. SSet)§ ©efangbueb (1537) b,at
fte ju einer anberen Dichtung über benfelben ^Pfalm: SBolf JlböblS ju ©traf bürg in bemfelben 3obj*
herausgegebene geiftlidje Sieber bringen fie mit SutberS $>falmliebe; noch im 3abre 1560, in bem bafelbfi
erfd)ienenen großen .Rircbengefangbucbe, eignet fie biefem Siebe auSfcbttefienb, unb bis tief in baS 17te
3af)rl)unbert hinein fmben roir fie in fübbeutfeben geifilteben 9ERelobieenbüd)ern. 58on biefen wer SJMobieen
eben bie (böpo)pbr»gifcbe, als bie im Horben »on£)eutfd)lanb am meiften oerbreitete, Suther jujufcbretben,
baben roir feinen anberen ©runb, als ihre SSeliebtbett unb Sreflicbfeit. 2(ber fie entftanb offenbar nid)t
mit ifyrem Siebe, unb roar auch nicht bie erfte, bie roir für baffelbe finben. — £>ie »bnjgifcbe SSBeife beS
SiebeS: 2luS tiefer 9coth fcheint allerbingS beffen dltefte, eigene ju ferm: fowofyl in SBalterS ©efang=
buche, als in 3ofepf)£lugS (1535 — 43) erfebeint fte auSfcbliefenb. Allein in ben 123©efdngen für bie
gemeinen ©cbulen finben roir eine jroeite ionifd)e, bort breifad) von SSogclbuber (9fro. 73), S5enebict £>uciS
(9cro. 74), ©irt i£)ietricb (Sßro. 75) belhanbelte, unb örtlid) mehr, als jene, »erbreitete. 2lucb biefe roar
älteren UrfprungS; SSef> eignet fte fd)on um 1537 bem Siebe an: „Unfer BitfTudjt, o ©Ott, bu bift,"
roomit er baS SBaterunfer »or ber *Prebigt einleitet; SBolf Äöpbl giebt fte in bemfelben 3af)re mit SutberS
Siebe; SSeibe mögen fte auS einer früheren Quelle gefeböpft haben, benn wäre fte für 33cf) eben bamalS erft
erfunben roorben, fo hätte fte nicht gleichzeitig im füblicbcn 2)eutfd)lanb erfebeinen fbnnen. $ier Ratten mir
feine anbere S3eranlaffung, bie pbrpgifdbe für SutberS ßrft'nbung ju galten, — obgleich, fte mit ihrem Siebe
nid)t gleichzeitig ift, — als if>r roahrfcf>einlicb böfyercS 2£lter, unb if>r früfjefteS @rfd)einen in einer, oon
Sutber burd) eine S3orrebe eingeleiteten, geifilteben Sieberfammlung ; bcibeS in ber Sfyat aber nur fcfymadje
SSeroeiSgrünbe, jumabl in ber SBorrebe jener Sammlung — bie nid)t einmaf)l auSfcbliefjenb nur lutberifd) e
Sieber enthält — üon bem @rftnber ber SJielobieen gar nicht gerebet roirb. 2)aSSieb: @S fpricht ber
Unroeifen SEK unb roobl, hat, fo »iel id) l)abe finben fbnnen, feit eS juerft in 2BalterS ©efangbucfye eine
eigene ©ingroeife erhielt, fie aud) auSfdjliefjenb beroabrt, unb eS ift feine anbere neben ihr aufgefommen,
obgleich, bie SJibglicbfeit vorbanben roar, baS Sieb, als eineS febr beliebten, febon feit bem ffieginn ber
Äircbenüerbefferung in bem neuen Äircbengefange roeit »erbreiteten 9KaafeS, oielen anberen SKelobieen
anjupaffen. gür biefe 9Jtelobie roäre beSbalb eine größere SSBahrfcheinlichfeit, alS für bie fo eben befpro=
ebenen, »orbanben, bap fie SutberS ©rftnbung fei, inbem ihr ein ©runb rceniger, alS jenen, entgegenftebt,
fie nicht bafür ju halten. Mein biefe blope 2Bal)rfd)einlid)feit fann ftetS nur alS eine febr fchroad)
begrünbete gelten, ßine etroaS größere ift »orbanben für SutberS Urbeberfcf)aft bei ber SBeife beS SiebeS
oon ben jroei um 1523 ju S5rüffel »erbrannten SDiärtprern : ,,6in neueS Sieb roir beten an (9tro. 6
bei SBalter), roeil biefe bei bem erften S3orfommen beffelben im (Jnchiribion »on 1524 mit ihm jugleid)
20*
156
rrftbeint, alfo au* gleichzeitig entjlanben, unb beä 2Md)ter3 eigene .^eroorbringung fetjn fann. dben fo
Detail tS [ich mit ben 95ielobiecn ber Sieber „9Äenfch willtu leben feligltch," unb „SOßit gricb' unb greub'
idi fahr babin, " weld)e SBalter mit biefen jugleid), unb bcibc jum erfün Sfildjk gicbt (9tro. 19. 27).
83etb« Bieber haben auch, biefe 2Bctfen beibehalten, ohne bafj anbere, auch, nur von örtlicher Beliebtheit,
baneben aufgcfommen wären. Diefer leiste ©runb flcf>t jebod) ber SJielobie bc3 lutl)erifd)en ^PfatmliebeS
,,2Bär' ©ott nicht mit un3 biefe Seit" (©benb. 91ro. 28) fdwn nid)t mehr jur ©eite. d$
aüteint bei 2Balter, roo roir ihm juerjt begegnen, jroar mit ihr jugleid), unb wir finben es> mit ihr auch, in
>fepb ÄlugS ©efangbuche wiebcr. Mein in ber fpäteren Ausgabe be§ 2Balterfd)en von 1551 (9fro. 18)
bat e§ bereits eine abwcid)enbe, roenn auch ber urfprünglidjen bin unb wicber anftingenbc, bod) in wefent=
lid^cn Steilen, in ben SBcnbungcn unb Ausweichungen beö ©cfangeS, »on ihr erheblich, »erfd)iebene. 2Bir
bürfen nicht twrauSfefjcn, baß 2Baltcr bie frühere, wenn er fte al§ Sutbcr angehörenb gefannt hätte, fpater,
rote er e3 getban, würbe gänjlid) verworfen haben, bezweifeln baher nicht ohne ©runb, baß jeneö ber $all
gewefen fei. Die ©ingwetfe be3 £>fjergefange§ : „Sfyrijr lag in SobeSbanben" (@benb. in brei
Bebanblungcn : 9cro. 9. 10. 11), eine Bearbeitung ber SDMobie be3 uralten: ,,ßhrift ift erftanben," wirb
Sutbcr, als er biefcS umfchmolj unb feinen Inhalt au3 ber t>on ihm befonberS geliebten £>fterfequenj
„Victimae pascliali" bereicherte, feinem neuen Siebe, mit bem fte zugleich erfd)icn, wohl unmittelbar
angepaßt haben, unb in biefem Sinne fonnen wir fte, wenn auch; nicht al6 urfprünglidje ^cnwrbringung,
ihm angehörenb nennen.
Sie erbeblicbften 3weifel cnblid) fielen ber Annahme entgegen, baß ßuther auch bie Sülelobieen
feiner Sieber: „SBobl bem, ber in ©ottS gurd)te fleht," unb „Sefuö 6f)riftu§ unfer
^jeilanb, ber ben Sob überwanb" angehören. SeneS erfte $)falmltcb hat bei feinem früheren
<5rfcbeinen in 2Batter§ ©efangbuche (9cro. 26) eine mirolpbifche 2Beife ; mit einer zweiten, ionifchen, treffen
wir e3 in ber fpäteren 2(u6gabe biefeS S3ud)e§ üon 1551 (9?ro. 16) — wol)l auch fdwn ber üon 1544 —
unter gänzlicher Befeitigung jener erften ; eine britte, au§ ber üerfe^ten borifd)en Sonart, hat e§ in 2Bolf
.ftbpblS Sieberbuche oon 1537, unb in ben Siebern für bie gemeinen ©chuten, (1544. 9lro. 69) üon Bene=
biet Suciö oierftimmig gefegt; eine, won allen biefen ferfcbJebene, ionifd)e, enblich fchon in 3ofeph
Alugö ©efangbuch (1535), welche bort auch kern Siebe ,,2Bo ©Ott jum #auf' nicht gicbt fein ©unft"
angeeignet, unb jumeijl auch bie beliebtere geblieben ift »or ben übrigen, ©ie nun pflegt gewöhnlich Sutl)ei
beigemeffen ^u werben : augcnfd)cinlid) auö feinem anberen ©runbe, al£ weil fte ben allgcmeinften '2(nflang
gefunben, unb man bem gefeierten, verehrten tarnen gern ba3 SSefle jueignete. ©ie ift aber mit bem Siebe
nicht gleichzeitig entftanben, ja fte eignet ihm fpöter nicht einmahl auSfdjlicpenb bei ihrem erften 93orfommen
mit ihm ; bafj fte nun ba in einer, burch eine SSorrebe SutberS eingeleiteten ©ammlung jteht, entfd)eibet um
fo weniger etwas für bie Behauptung, bafj fte ihm angehöre, unb etwa eine fpäter t>on ihm für fein Sieb
erfunbene fei, ba baö ©efangbud), in welchem biefeSSicb am früheften enthalten ift, unb mit einer oerfd)i e^
benen 9)ielobie auftritt, nicht minber burch SSorwort Sutherä eingeführt ift, wir auch fpater ftnben
werben, baß bie bem ©efangbuche Älugä woranjlchenbe SSorrebe SuthcrS nid)t einmahl »on biefem baju
gefebrieben, fonbern nur t>on bem Srucfer barin aufgenommen ift.
©an$ ähnlich »erhalt eä für) mit ber ÜRelobie beö Cfterliebeö : 3efu6 GbriftuS unfer Spt'v-
lanb. 25ercitö in bem Grfurter Gncbiribion won 1524 hat biefeö Sieb eine eigene Sßeife, rt>abrfcbeinticb
tie mirolpbifche, bie auch in bem Jßreelauer Sieberbuche ihm eignet, gn SBalterö ©efangbuche hat e§ fogar
157
beten jroei : eine borifd)e (9?ro. 31) unb jene mirolnbifdje (iftro. 32), fo bafj £?ier fcfjon ber 3meifel beginnen
tonnte, welche von beiben ßutfyern ifjren Urfprung »erbanfe, roenn man nicfyt ben .Enoten baburd) löfen
roiü, baß man il;m beibe jufcfjreibt. Crine britte, äolifcb, e, erfcfyeint in ÄlugS ©efangbucfye ; in ben ©runb=
jügen ift bicfer biejenige äf)nlicf), bie mir in ben ßiebern für bie gemeinen Schulen mit S5a(t{jafar 9?effnariu6
Sonfafee antreffen (ÜJtro. 19), nur bafj fte einen borifcfyen ©cblufj &at*), unb baburd) eintgermaafjen ber in
SBalterS früt>efler Ausgabe juerft ftefyenben fid) nähert. 4?ier *ft e§ vbieberum bie .ftlugfcfye, bie t>on 2utf)er
fyerrüfyren fotl, unb il)m mit eben fo wenigem 9?ed)te beigemeffcn roerben barf, als bie juüor befprocfyene.
Unter ben übrigen geifiticfyen ßiebern 2utf)er3 ij! nur ein einjigeS, über, beffert ©ingroeife, al3
eine tfym angefjörenbe, mir ein auSbrücflid) ee> Seugnif? beft^en. (S3 iji fein 2ieb über ben 4(ijien $)fa(m :
„(Sin' fefte äßurg iji unfer ©Ott**)." S3on biefem fagt ©leiban, be§ £)id)ter§ unb ©ängerS Seit;
") 2Cud) bie bei Älug erfdjeinenbe SETIctobfe finbet fid) örtlid) mit einem bccifctjen ©djluffe; fo in >prcufien,
jufolge Sodann SccarbS Sonfa^e. (Scifpicl 9tro. 126.)
") 3n bem Sournal oon unb für 25eutfd)lanb (1788. 3>oeitc$ ©emefter. <5. 328. 329) finbet fid) eine mit
@. S. SD3. unterjeidjncte 3£njeige , baS 2tltcr bc6 spfatmticbeS „Sin' fefte SBurg" unb feiner Gelobte betreffend
SBeibeS voirb in baS 3at)r 1529 gefegt, unb auf ein im 3Sefi|e bcS iBcrfafferS bcfinblidjeS ©efangbud) aus biefem 3at)rc
SBejug genommen. 33er 2tngabc nad) fütjrt H ben Sitel: „©ciftlidje Sieber auffs ncro gebeffert. 3u SBittembcrg. 25.
SR. Sutfjer. 931.2). 2E£3I. 25ie Sogen finb mit ben SBudjftaben 2t big U beseidjnet, fo, bafj jeber berfelben auf nur adjt
93lättcrn erfdjeint; SSlattjabJen enthält c6 atfo roaljrfdjctnltd) nidjt, ba fpäterfjin ber XScrfaffcr ber 2tnjcige nad) 35ud)=
(laben unb beigefc^ten 3al)len allcgirt. 9tad) bem SEitcl folgt: Sin nerce SBorrebc 9Jcar. 2utt). (bie mit ben SBorten
„9?u fjaben fid) etlidjc irotjt betoeifet" beginnenbe) ; if)r fdjliefst bie ältere (oon 1524) fid) an. Jpintcr beiben ftcijen nun
54 Sieber mit itjren Sonjeidjen, unb am <2d)luffc ein alpljabcttfdjeS 3?cgifter. Sie Stcbcr finb unter folgenbe 2Cbtrjctlun=
gen gebracht: I. Ältere lateinifdjc Sieber, oon Sutbcr überfefct. II. Stlidje «pfalmen burdj 25. 9Ji. S. ju geiftlidjcn Sic;
bem gemacht. Unter biefen finbet fid) (Sogen g. itj) „ber ££££233 ^fatm, Deus noster refugium et virtus etc.
Sin' oefte S3urg u." III. ©cifttidje Sicbcr oon 3. 3onaS, S. £cgenroatb, 3. 2(gricoia, S. Spengler, 2t. o. gulba,
ben SJcarfgrafen Safimir unb ©eorg, won 2tnbrca$ Änöppen, Stifabctt) Srcu^igcrin. IV. Sieber auS ber ^eiligen ©djrift,
fo bie Patriarchen unb ^ropfjeten oorjeiten gemadjt; biefe rcerben bei ber oorbjn angegebenen 3al)l ber Sieber rcat)r=
fdjeinlidj ntdjt mit gerechnet fenn. 2tuf bem legten SBtatte ftcfjt: ©ebruett §u SBtttemberg burd) Sofepb.
Älug, 1 529.
2)tefeS ©efangbud) ift feit ber erroäfjntcn 2fnjeige, fooiel mir beroufit, nid)t mieber jum SBorfdjein getommen,
eine roeitere gorfdjung banad) aud) nidjt mögltd), weil eS bem SSerfaffcr berfelben nidjt gefaUen tjat feinen SBofjnort
anjugeben, nod) feinen ooUftä'nbigcn 9tamtn ju unterjeidjnen. 3unä'd)ft erbebt fid) gegen baffclbe ein 3n?eifel roegen
9tid)tigfeit ba 3af)rjat)t ; ein nid)t unbegrünbeter , ba namentlid) bie ad)t, ju SBittenberg (angeblid)) crfd)icnencn Sieber,
unb felbft SDBaltcrö ©efangbud) »on 1524 tjier einen 25ructfcf)lcr f)aben, unb eben fo eine fpäterc 2(u$gabc i>d Älugfdjcn
©efangbudjeß auf bem SEitelblatte 1543 , am ©djluffe 9Jc.25.2ES. iiij geigt. 25ie 3af)rgjat)l unfereg ©cfangbudjcS fönnte
batjer 1539 Reifen folten. 2tUcin tiefer 3rceifet begebt fid) bei näherer Prüfung. 25ie 2tuggabe bcS Älugfdjen @efang=
budje« oon 1535 f)at SBlattjatjlen, ber jc|t befprod)cnen fctjlcn fie, nur bie Sogen finb nad) 83ud)ftabcn bcjcidjnct.
3ene enthält, bie profaifdjen ©d)rifttiebcr ungerechnet, 56, biefe nur 54 Sieber. 25ie ältere S5eäcid)ungÄreeife, bie gerin=
gere 3al)l ber Sieber, fc^eint alfo biefe lefcte als bie frühere au^jurceifen. 23iefe6 angenommen , fo ftänbe mit einiger
©idjerfjeit feft,baf bag Sieb „Sin' oefte SSurg" unb feine ©ingroeife fd)on 1529 oorljanben waren. 2Ba3 bie gnsei
Sieber betrifft, roetdje bie Ituggabe »on 1535 meljr enthält, fo »erben bieg bie beiben: 2Som Gimmel fjod) ba
fomm id) t) e r , unb: (Sie ift mir lieb bie roerttye 9Jcagb oon Sutl)er geroefen fepn, bie mir früher nid)t
finben.
25ag Älugfdje ©efangbud) oon 1535 enthält ju brei Siebern boppeltc SJcclobiecn : 3cfu6 (5f>riftu6 unfer
£eilanb, ber oon uns u. ; Sld) ©Ott oom Gimmel fiel) barein k. ; 3Bo ©Ott ber J^crr nidjt bei uns l)ält it. SGStc eö
bamit in ber 2tu«gabe »on 1529 befdjaffen fei? toirb uns in beren S5cfd)rcibung nidjt gefagt. 2tu$ bem S3ort;anbenfenn
biefer 2fuSgabe crroadjfen inbep nod) 3*ocifcl über baS 2tlter etniger anbercr 9Jielobieen, meldje t)iet nod) it)ren *piai?
finben mögen.
1) 25ie 2tu6gabe be« Älugfdjen ©cfangbudjS oon 1535 enthält nur bie 93celobie beS SiebcS: „9tun freut eud)
lieben Sljriftengmein," bie fpäter gereöijnlid) nad) bem Siebe: „SS ift gercifitid) an ber 3eit" genannt
mirb (S. SBeifpiel 134). Ob es eben fo in ber 2CuSgabe oon 1529 ber gall fei, ift nidjt gefagt, fie tonnte
158
genoffe: frag er bie ju teffen Snbalte ungemein paffenfre, unb ju ©rfjebung be§ ©emüttjeS getiefte ©ing=
weife baju gemalt f)abe. Unb in ber SEfjat: fte ift ein Sßerf ber ebeljten 33egeifierung, ber fünften,
gläubigften 3ut>erft'd)t, wie ba§ Sieb felber, unb mit if)m fo feft t>erwad)fen, bajj (ie nur mit if>m jugleid)
entflanben fetm fann, unb bie SSJlöglicfyfeit, baffelbe einer anbern Söeife anzueignen, unbebingt auäfcbjiefjt.
£)a§ innere 3eugnifj, ba§ fte felber oon ftd? ablegt, ba$ äußere, ba§ über fte abgegeben wirb, treffen bjer mit
einer überjeugenben .Kraft jufammen, bie alle Smeifel verfhtmmen mad)t. ©eben bod) bie SSBorte wie bie
Sbne un§ ba£ lebenbigjte S5ilb be§ teuren 90?anne3 felber; t;at bod), feit bem ©ntftefycn beiber, eine jebe
3eit e$ in iljnen erfannt! SEreffenber ift ber ©eift beiber nie üerflärt worben, al§ in Sofjann dccarbS
fünfftimmiger barmonifdier 33ef)anblung, welcfye bie ©lutl) ber 33egeifterung, bie barin wef)t, neben bem
tiefen ©rufte unb bem fjeiligen ^rieben eines gottbegeifkrten ©emütf)e§ auf ba§ (5inbringltd)fte wiebergiebt.
2Cber bebeutfam erfdjeint e§ aud), baß bie frutjeften ^Bearbeitungen biefer ©mgweife, bie mir befannt
geworben (in -!pan$ ÄugelmannS ^Preufjifcfycn ©efdngen 1540 unb in ben ßiebern für bie gemeinen ©d)ulen
1544*), biefelbe bem S3affe zuteilen, als ©runblage be3 ©anjen ; eine in jener 3eit feltene Stellung ber
«Öauptmelobie, burd) bie wol)l in bem ©inne ber bamaligen Sonmeifter bezeichnet werben foll, baß ein fefter
©laube, wie ber in bem Siebe webenbe, wahrhaft auf ben geifert baue, auf welchem bie .Kirche gegrünbet
fei, baf? auf ben SSbnen, worin er fo lebenbig ausgebrochen fei, am würbigften ein SSerein »on Stimmen
mt)e, ber, t>on ihnen ft'd)er getragen, auch, ihre S5ebeutung wieberum auf ba§ Sreffenbfre fünbe !
3ofepf) .RlugS geifrlid)e§ ßieberbud) t>on 1535 ift bie ©ammlung, in ber id) 8ieb unb ©ingweife
bisher am frül)eften aufft'nben fonnte ; baß es> je noch neben ihr eine anbere SSMobie für jenee> gegeben, ift
nicht glaublich, f>at auch, ba§ 17te 3ahrbunbert auf beffen ©tropfe für neue £>id)tungen begleichen erfun=
ben, bie jebod) nirgenb SBurjel faffen tonnten.
©in gleiches, inneres unb dufjereS Seugnifj roie baö für SutherS eben befproebene SQcelobie mangelt
un§ für bie feiner übrigen lieber, ©ie unbeftimmt unb allgemein gehaltenen 2tu§fprüd)e fpdterer 3eitge=
noffen roürbigen mir am heften, nad)bem voir ein jebe§ berfelben einzeln betrachtet haben. £>a§ ßieb :
SSom £immel b.ocr; ba fomm td) f;er finbet fid) am früljeften um 1535 in 3ofepl) Älugä ©efang^
t-ielleidjt nur bie bei ben ad)t Siebern (1524) oortommenbe, ältere enthalten. (56 bleibt alfo ungewiß, ob bie
fpätere «Dtelobie aui bem Safjre 1529 ober erft 1535 tjerftammc.
2) Um 1535 erfdjeinen groet SJcelobieen ju bem Siebe: ,,2fd) ©Ott com ^immet fiel) barein;" ob aud) 1529?
ift nidjt gefagt. Db alfo bie am meiften oerbreitete Ijypopljrrjgtfctje SBeife bt'efcS Siebes , bie unter jenen jmeien
fid) befinbet (f. biefelbe SBeifpiel 14), fd)on 1529 oortjanben mar, läßt fiel) nid)t beftimmen.
3) Das Sieb: „GS rcollt unö ©Ott genä'big fenn," erfdjeint 1535 mit ber pljrßgifdjen Sfficifc, bie ib,m feit=
bem ausfdjlicfenb eignet. Sei SBalrer, um 1524 , Ijat ei bie fpä'ter auf baS ÄatcdjiSmueiieb : ,,<5f)rift unfer
^err jum 3orban fam" übertragene. Db eS mit biefer nod) 1529 erfdjeint, ift ungewiß.
4) 2)aS Sieb: ,,©urd) 2Cbam$ galt ift gan} d erberbt," ftat 1535 bie für baffetbc fpäter faft allgemein an=
gercenbete borifdjc SBeife mit ä'olifdjem ©djluffe (f. SBeifpiel 128), rcä'f)renb cfi (1524) bei 2Balter beren jroei,
eine ptjrngifdje, unb eine oon ber bejcicfyncten ganj abrocidjenbc borifdjc neben fid) Ijat. Db eine biefer beiben, —
DitUcidjt bie Icfctgcnannte — ob bereite jene juerft errcäljntc, um 1529 mit if)tn erfdjeint? ift jn>eifell)aft.
Über biefe fünfte fönnte jene frühere Slufigabe nod) roiUfommencn 2luffd)luß gcrcd'tjren, roie tt)r jufolge
roaljrfdjeinlid) aud) bie SDMobiccn ber Steber: D £erre ©ott, bein göttlid) 9Bort u. unb 3d) ruf ju bir,
Jberr 3efu 6f)rift, fdjon 1529 oorfjanben gcroefen fenn werben. 3m Übrigen fdjeint fte nur früfjcr fdjon SBefannte«
mitjutljcilen.
•) Dort SKro. 16, f)ier 9tro. 64, of)ne Angabe beS S£onfe|erS. — Die oorangcf)eriben Hummern enthalten :
9tro. 61 eine fünfftimmige SBctjanblung ber SKelobie oon ©tepfjan SDtafju , 9cro. 62. 63 jrcei cierfttmmige oon «Kartin
Ägricola unb Eupue JpeUtnrt.
159
buche. £)ocb bat e§ bort ntd>t bie fcbbne SERelobie neben ftcb, nach ber e§ gegenwältig an ben meijten £)rten
gelungen wirb, fonbern eine bem VolfSgefange entlehnte, bie wir auS Frillers geiftlicbem ©ingebuebe
als bie be3 weltlichen SiebeS : „21 u$ frembben San ben fomm t c^> b er" fennen. Sieb unb 9)2etobie
entftanben alfo ntdjt gleichzeitig, fonbern jene6 begnügte (ich 2(nfang6 mit einer fremben, erborgten. £)te=
jenige, bie man Suther beijumeffen pflegt, erfebeint erfi 1543, in ber fväteren 2lu3gabe beS genannten
SJlelobieenbucbeS, bas> barum, weil ee>Sutf)er3 zweite Vorrebe wieber voranftellt — ja, nach, feinen Stetem fte
noch, ein anbereS SJiabJ, unb nun mit ber tfuffebrift „ßine neue Vorrebe" folgen läßt — un3 feine ©ernähr
bafür giebt, bafj bie neuen barin enthaltenen 9Jlelobieen von ihm herrühren, um fo weniger, ba er fein Vor=
wort meber für biefeS ©efangbueb, noch beffen frühere 2lu3gabe beftimmt hatte. 3" ben 123 ©efängen
für bie gemeinen ©cbulen (1544) verbanb ©eorg gorfter, wie wir feljen werben, beibe Söielobieen unfereö
SiebeS, bie von 1535 unb 1543, in einem fünfjtimmigen SEonfafje; bie Ausgaben be§ SBalterfchen ©efang=
buchet au§ ben fahren 1537 unb 1544 haben bagegen ba3 Sieb nicht, fonbern biefeS erfebeint erft in beffen
fpäterer 2Cu§gabe von 1551. 9lun barf man vorauSfe^en, bafi SBalter, SutberS warmer Verehrer unb
eifriger Sobrebner feiner tonfünftlerifchen ©aben unb gertigfeiten, boch wohl hätte unterrichtet fevn müffen,
welche ber SBeifen unfereS Siebet jenem angehöre, unb bafi er biefe vor allen in bie vermehrte Ausgabe
feiner Sonfäfce über bie SKelobiecn geiftlicber evangeltfcber Sieber werbe aufgenommen haben, ©r giebt baju
inbeß eine britte, fonjl nicht weiter vorfommcnbe, breiftimmig „auf SBerfrenen SBeife" gefegt. SBir haben
hienach feinen ©runb, jene 1543 juerft erfebeinenbe, unb bann auch 1545 in Valentin 33a»ft§ ©efangbueb
aufgenommene SUMobie Suther jujufchreiben. Vielleicht gehörte fie urfvrünglicb einem allgemein beliebten
2Biegenliebe an, unb würbe auf SutberS Sieb von beffen früherem Herausgeber übertragen, weit baffelbe
eines gleichen SSJlaafeS unb S£onee> mit jenem war.
Von bem Siebe: Vater Unfer im Himmelreich, beft^en wir noch ben erften Entwurf in
Sutberö Hanbfcbrtft, au3 bem hervorgeht, wie vielfach er an einzelnen ©efä^en beffelben gebilbet unb
gebeffert, SDlancheö gänzlich verworfen, 2lnbre§ jumeift umgefchmoljen habe. 2üif einem einzelnen $)avier=
fheifen biefer 2lrt, wie er eben ergriffen würbe, be§ Siebter^ ©ebanfen feftjubalten, bürfen wir eine
SBejeichnung be§ SSageS unb 3ohre§ nicht erwarten. £>a$ auch eine ©ingweife für bas> Sieb ihn fogleich
befchäftigte, giebt ba3 S3lättchcn zugleich ju erfennen ; e§ ift eine folebe mit flüchtiger $>ant> babet bemerft,
allein wieber burchjtrichen. ©ie ift feine von benen, beren wir weiterbin gebenfen werben: ob fte eine von
ihm felber erfunbene, ob eine nur gewählte gewefen, ijl nicht ju entfeheiben. Sie für baS Sieb
fväter allgemeiner geworbene, bortfehe, bie man gemeinhin Suther jujufchreiben »flegt, fanb ich am
früheflen in SEBolf Äbvbß ©ingebuche (1537), bemnäcbft in einem von Michael Sottber ju Söiagbeburg
1540 herausgegebenen. £)a3 Sieb, allein, ohne bie SKelobie, treffen wir in bem SDJagbeburger nieber=
beutfehen ©efangbuche von bemfelben Sabre, mit ber ^abrjabl 1539 bezeichnet; eine Seitangabe, beren
Quelle unbefannt ijl, unb ber ba3 Vorfommen be§ SiebeS in jener früheren ©trafsburger Siebcrfammlung
entgegenftebt. Wit einiger ©icberheit läpt au3 3lllem biefem Solgenbeä fich fcbliefsen. 3ll§ Suther baö Sieb
biebtete, war er auf eine SJMobte für baffelbe jwar bebaut, fanb inbef? feine, bie ihm genügt hätte. 3m
3ahre 1537 war eS in ©übbeutfchlanb mit ber SJlelobie befannt, nach, ber wir es? gegenwärtig fingen ; in
9corbbeutfcblanb war biefe, brei 3ahre fväter, anfeheinenb noch nicht allgemein üblich. 2luch ift wohl ju
beachten, bap fte bort nicht bie ein jige war, nach ber man baö Sieb fang. Sie Sieber für bie gemeinen
©cbulen (1544) enthalten beren bret: eine übrpgtfcbe (9lro. 46) von SBenebict Suciä gefegt; eine
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ionifcbe in jwei Sehanblungen oon Sohann ©tabl (9cro. 50) unl> ©irt iDietrid) (51), biefe leiste ju fünf
Stimmen; enblicb bie bei iibpbl üorfommenbe, borifcbe, einmabl burd) 2lrnolb »on SBrud, ba§ anbere
9)?ab, l burd) 3obann SBcinmann bebanbelt (Sftro. 49. 52). £)iefe nun ft'nbe id) in SBaltcrS ©efangbucbe
t>on 1551 (iftro. 29) mit ber Überfcbrift : „auf SSerfrepcn = SBeife, /y unb eine gleiche führt fie in beffen
früherer Ausgabe t>on 1544, nach Wambachs SSerficberung. 3war will Wambach, biefe S3ejeicbnung nut
auf bie SSerSart be3 Siebes? bejogen wiffen, bocb erfcbetnt fie mir paffenber t>on ber ©ingweife ju »erfteben,
um biefe von ben übrigen für baS Sieb gebräuchlichen, anberen UrfprungeS, ju unterfcbeiben. SEBahrfcbeinlicb
alfo ift fie eine entlehnte eher, als eine von Suther Ijcnrüfjrenbe.
£)ie ©ingweifen ber beiben Sieber: erbalt un§ £err bei beinern ©ort, unb „SSerleif)'
un§ g rieben gnäbiglicb," fteben einanber fehr nahe, wenn fie auch in einjelnen Ausweichungen unter*
fchieben ft'nb, unb wegen beS abwetcbenben 3Jiaafjeö ihrer lieber fd)on nidjt ttbllig übereinftimmen tonnen.
25ie beS legten ft'nbet ftcb juerfi in ber früheren, bie beS erften in ber fpateren Ausgabe oon jtlugS ©efang*
buche (1535. 1543). £>iefeS lefjte giebt bie eine wie anbere in fdjwarjen Sboralnoten , fo auch SucaS
SoffiuS bie erftc in feiner Psalmodia ; benn baS jweite Sieb (331. 304) hat bei ihm feine eigene ©ingweife,
fonbern ift ohne 33erSabtheilung, als ein ©chlufjgebet, bem erften beigefügt, ©cbon jene Art ber 33ejetcb=
nung läpt ben Urfprung unferer ©tngweifen auS lateinifchem Ätrcbengefange Dermutben, unb biefe 33orauS=
fefcung beftatigt ftcb baburd), bafi gewöhnlich baS jweite beiber Sieber bie Überfcbrift führt: Da pacem
Domine in diebus uostris, ber SEJWobie beS erften aber in bem ©efangbucbe ber bbhmifchcn SBrüber (1566.
XVIII verso.), wo fie junächfi für baS Sieb: ©er> Sob, ehr, ?>reiS unb ^>errlid)feit, angewenbet wirb,
bieSBorte: Sit laus bonos et gloria üoranftcben, wohl als ^Bezeichnung beS urfptüngticb lateinifchen Siebes
wie feiner ©ingweife, auf welche an ber fpdteren ©teile wo baS lurberifcbe Sieb fleht (231. LH.) fobann nur
jurüdgewiefen wirb. 4?at Suther tjtenacr; einigen Antbeil an ben SBeifen beiber Sieber, fo wirb er nur
barin befteben, baj? er ihnen eine volfSgemafscre ©eftalt gegeben hat. 2)aS Sieb SutherS von ber cbrifllicben
.Kirche, auS ber Offenbarung Johannis gebogen: ,,©ie ift mir lieb bie wertbe SSJiagb" Ijat bei
feinem erften Grrfcbcinen in ÄlugS ©efangbucbe von 1535 feine ©ingjeichen ; erft baS ä3apftfcbe tbeilt unS
eine 9Jcelobie auS ber ionifchen Sonart bafür mit, bie alfo mit bem Siebe wohl nicht gleichseitig entftanb.
Auch ift fie nicht bie einige für baffelbe geblieben. (Sine, ihm erft nach SutberS SEobe, um 1588, angeeig*
nete, haben wir bereits unter benen fennen gelernt, bie urfunblid) auS bem SSolfSgefange flammen; eine
jweite ftnben wir nod) fpätcr erft, um 1601, in ffiartbotomäuS ©efiuS t»ter = unb fünffümmig gefegten geijb
liehen Siebern. freilich ift baS blökte £)afepn beiber noch feine 2Biberlegung ber Annahme, baf bie in
93apftS ©efangbud)e erfcheinenbc von Suther tyxxütye. erwägen wir aber, bafj fie erft nach t>cm früheften
^rfcheinen be§ Sicbe§ bmwrtritt, unb bafj ihr fünftlicher S5au auf einen Sonfünjtler uon gacb beutet, fo ifi
fie eher für ein fpätereä erjeugnip eineS folchen ju halten, al§ Sutherä.
Überbliden wir nun nod) einmabt im ©anjen bie r>on un§ einzeln befprochenen ©ingweifen, bie
man Suther beijumeffen pflegt. 9cur bei breien berfelben befi^en wir beftimmte, ft'd)ere Seugniffe für feine
Urheberfchaft: tion Sohann SBalter bei ben Siebern: 3efaia bem ^xo^>\)eten baS gefdjah; SEBtr
glauben alf an einen ©ott; von ©leiban bei bem Siebe: ein' fefte S3urg ift unfer ©Ott.
Ski brei anbern Siebem haben wir ©runb ju oermuthen, bap ihre SBeifen, blofjc Umgeftaltungen älterer
beutfdjer unb lateinifcber, von ihm bearbeitet fepen: ben Siebern: Gbrift lag in SEobeSbanben;
Erhalt unä ^>err bei beinern SBort; SSerleih un§ grieben gnäbiglicb. 2)rei Sieber
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fanbcn wir bei ihrem crftcn äSorfommcn fogletd) mit ihren, auch fpäter it>nen auSfcbliefjenb gebliebenen
9Eelobieen: ßin neue e- Ü t cb wir beben an; Wilt i et 1 unb greub' id) fahr* babin;
SReitfd) willtu leben feliglicb, unb glaubten barauS fd)licfjen $u bürfen, aud) ein nur allgemeine?
3eugnip bafür, bat? fte lutberifcbc SBeifcn fepen, möge ju geftfkllung biefer Sbatfacbe genügen. Mein bei
viel meiern erfebien biefclbe zweifelhaft. %cht üieber, bie £älfte batwn gereimte 9>fatmen, erfchienen tbcilS
nicht mit ihren SBetfen glcid^eitig , tbeilS bod? mit mehren OJcclobieen, unb beuteten auf 23etonung burch
ftrembe, ober liegen, wenn aud) eine eigene be§ £id)ters> barunter hatte üermutbet werben bürfen, bie @nt«
l'cbcibung zweifelhaft, weldie für bie feine ju balten fei; bie ßieber: sJcun freut eu cb, lieben 6r;rijten=
gmein; 'äuä tiefer 9>cotb febrei ich ju bir; '#cb ©ott vom $immel fiel) barein; SBobl
Dem, ber in ©ottS gurebte fleht; Sefuä CEbriftuS unfer £eilanb, ber ben Zob über-
manb; SSom Gimmel hoch ba fomm id) t) er ; 33ater Unfer im Jptmmelrei cb ; SBär*
©Ott nicht mit unS biefe 3ett.
3wei anbere enblicb erfchienen nid)t glcidjjeitig mit ihren SSeifen. 25a§ eine: d§ fpriebt
oer Un weifen SERunb wobt, bebielt jwar fortbauernb bie ibm fpdter angeeignete, boeb jeugt bieg
mehr für ihre tfngcmeffenbeit, ab» für ßutberS Urfjeberfdjaft. £a§ anbere: ©ie ift mir lieb bie
wertl)e 9Ragb, ift in ber iutl)erifd)en Äird)e balb öerfcfyotten, ba e§ jum Sbeil ba§ SSefen ber iiirebe
noch in !atbolifd)cm ©inne auffaßt; unb bennoeb begegnet e3 unS örtlich mit oerfchiebenen ©tngweifen,
einer bem 33olf5gcfangc entlehnten, einer anbern ungewiffen UrfprungeS , unb einer britten, jwar unter
2utber3 klugen, bod) erff nad) bem erften ©rfebeinen beö 2iebcsü öffentlich geworbenen. Siefe S>ielbcit feiner
9Jlelobieen bei feiner geringen SScrbreitung laßt uns mutbmafjcn, bafj man feine t>on jenen allen bem Siebter
beigemeffen haben werbe, weil man fonft wol)l bie feinige ben übrigen »orgejogen hatte. 35er Sieber:
ßbrift unfer Sperr jum 3orban fam, unb wollt uns? ©ott gendbig fepn," gebenfen
wir bier nicht ferner, ba ihre SQielobieen unb beren Urfprung fd)on früher ausführlich befprcd)en ft'nb, unb
eben fo wenig ber übrigen, beren Sßeifen urfunblid) bem alteren lateinifeben unb beutfeben geiftlicben ©efange
angehören.
3n wiefern fonnen nun bie vorgetragenen 3voeifel bureb bie nod? »orbanbenen , allgemeinen
3eugniffe über 2utbcr» (Srfinbung von ©ingmeifen ju feinen Hiebern gelöft werben? Cjs> fmb biefer 3eug=
niffe jwei, von benen eines nur als ba3 eineS Seitgen offe n bc§ £)id)ter3 gelten fann, ba§ be3 ^)aul
(Sb er, ba ba6 jweitc von Saoib (5 betrau 3 Jjerrü^rt, beffen erfte Äinberjabre nur bie legten 2ebcnjijal)re
Üutberö berührten. Der erfte fagt in feiner &orrebe ju 9iicolauä >§»errmannä ©onntags>=Cjuangelien f2Bittcn=
berg 15CO) beiläufig : ßutber habe bie ©tüdc beS Äatcd)iömi unb etliche S3et= unb Sanfpfalm Daoibä in
f eutfebe 9teime unb liebliche 9Jtelobieen gefaffet. Allein eben bie meiften jlatecbiSmuSlieber ßutherä
haben urfunblich entlehnte SBcifen: nur eine eineä folgen Hiebet fonnten wir ihm mit einiger 2Sabr=
fcbeinlicbfeit beimeffen (bie be§ 2iebe§ : SJtenfd) willtu leben feliglich) ; bie eines! jweiten erfd)icn alä bie
feinige mehr al£ jweifelhaft (bie beS 2iebe§: §8ater Unfer im Himmelreich). @ben fo war un» nur bie
23eife : ©n' fefie SBurg (ba§ üieb al§ Umbilbung be3 4Cften ^)falmä angefehen) unjweifelhaft eine lutbe=
rifd)e, bie übrigen 9Jielobicen lutl)erifd)er ^falmlieber aber al» bie feinen bebenflieb, unb nur bie eineö ein=
jigen (@i fpriebt ber Unweifen 9)iunb wohl; weniger zweifelhaft. 2Bir fmb baher wohl eben fo berechtigt,
jene gelegentliche #ufjerung, bie al6 ein befräftigenbeS 3eugnifj gelten foll, nach ben obwaltenben Umffdn=
ben au§julegen, alä biefe bureb fie aufflären wollen. Sa gewinnt benn ber "Uuäbrud, bafj Suther feine
». äBinttrfcIfc, ttr »angel. (Sfect^ljefang. 21
162
#arcd^imi*ambs])falmlicberin lieblid)e9JJelobieengcfaffet ben Sinn, baß er biefe benfelben angeeignet
iv.Lv, ohne Untcrfcbieb, ob er ihnen oon)anbene angepaßt, ob er neue baju gefungen : benn fo jlimmt bie
Auslegung allein bcr urfunbtid) fefjgefteliten Sbatlage überein. £>amit aber bort aud) alle ^Beweisführung,
fofern fte nicht fonji fcbon twrbanben war, gdnjlid) auf, unb wir finben burd) Gjber un3 ber (5ntfd)eibung
um nichts* naher gebradit. 9?ocb weniger aber i|t biefes» mit T>amb ßbptrduS ber §all, einem 3eugen oon
obnebieS fdwn fcbwdd)crer 3uoerldffigfeit. @r leitete eine (Sammlung geijtlicfyer lateinifdjer unb beutfd)er
©efdnge, t-ie Jranj (5lcr um 1588 jitm ©cbraud)e ber £>amburgifd)en Äird)e gefammelt t^atte, burd) ein
©enbfcfyreiben an ben Herausgeber ein, worin er fagt, Cutter t)abe bie bauptfdd)lid)en Steile
d)riftlid)er gebrc, unb <5 t>r tfti ganje ©efd)id)te in auSerlefene SBorte unb angemeffenc SÖZaafie
gebracht, unb burd) anmutige, bem Spalte unb ben 2Borten ber lieber roobl anpaffenbc SBSeifen gefd)müdt
(melorliis elegnntibus et aptissimis , quae rebus et verbis textus subjecti apposite congruunt, iliu-
slravil). 9hm ift hier jundd)jt augenfd)einltd) unfer nid)t über feinen Snbalt auä$ubebnenbe§ äeugnif?
oon ben ÄatecfyiSmuSltebern §u »erfteben , unb in biefem ffiejuge bat e§ aus» gleichen ©rünben ntd)t großem
SBertb a!6 ba§ oorige, au3 bem e§ melleid)t fogar nur gefdwpft, mit ibm alfo überbauet nur eines iji.
23a3 nun von SutberS giebern über Qljxifti ©efd)id)te gefagt wirb, fann, wenn e§ nid)t t>on gutl)ers>
gcftlicbern im Allgemeinen oerftanben werben fott, bod) nur auf bie Sieber : S3om £immel l)od) ba fomm
id) ber; 9DJit grieb' unb gxeub' id) fabr bal)in; G>l)rift unfer £err jum ^oxban fam; ßbrult lag in £obe3=
banben; !^us» ($brifhi3 unfer £eilanb, ber ben Sob überwanb; bejogen werben. 33erfteben wir eS üon
ben gejiliebern im Allgemeinen, fo muffen wir uns" erinnern, baß bie meiften ber lutberifct)en, welche
SBalterS ©efangbud) enthält, ben 2Beifen älterer beutfcfycr unb lateinifd)er geiftlid)er ©efdnge angepaßt fmb,
bie urfunbltcb nid)t con 2utl)er berrübren. S5ejiel;en wir e§ inSbefonbere auf bie eben genannten gieber, fo
erfebien uon beren Singweifen nur bie eines» einjigen, be§ gobgefangeS Simeons!, als" eine von gutber
wabrfcbeinlich gefungene, bie anberen als» foldje mel)r ober minber jweifelbaft unb bcbenflid), eine unter
ibnen mit SBejtimmtbett al§ nur nad) einer alteren bearbeitet. So finben wir une> aud) l?ter wieberum in
bem galle, ba§ SBort unfereö 3eugniffe§ „illustravit" er bat gefd)müdt, »erberrlid)t, auf ba3 Aneignen
mclobifcben Sd)tnudc3 im Allgemeinen ju beuten, obne berechtigt ju fepn, biefen Sd)mud baburd) abs
eine eigne (§rfmbung beö Sd)tnütfcnben beurf'unbet ju baltcn.
So bat benn Sutber allerbingö einige, aber gewiß ntd)t alle SBeifen ju feinen Siebern gefungen.
2ßaS er fang, erfanb er jundd)jt verftdnbig, mit feinem Sinn unb tüchtiger Äcnntniß beö alten rbrnü
fchen Äird)engefanges», an beffen (Stelle er für ben fonntdglid)en #auptgotte3bienft einen beutfdjen
fetten roollte, unmittelbar für biefen rein liturgifdjen 3wcrf. 9}jand)eä anbere Sieb für ben ©efang ber
©emeinc enffknb ibm aud) wobl mit feiner Singweife jugleid): anbere bicfytete er auf fd)bne gei(llid)e
SBeifen oer aSorjett/ bamit ber (Scbafc, ben bie alte Jürcfye an ibnen befeffen, ntdbt oerloren gebe, fonbern
bebcutungSuollcr, reiner, aufs» 9teue in baä geben trete. Grinmaf)l nur, fo »iel wirwiffen, au§ tiefer tyi--
ligcr ©egeifterung , fein eigenfies» Söefen in baö SBort, in ben Zon ergiefjenb, eä in feiner ganjen gülle
ausftrablcnb, gelang il)m Sieb unb SQBeife t>on bcr frifcbcjtcn, nid)t wieber erreichten Äraft, unb S3eibcö
wirb unter unö nur mit feinem tarnen aufboren fbnncn fortjulcben. Aber e§ war aud) ein einzelner
Üid)tpuntt nur eines geifiigen Sd)affen6 in einer einzelnen, beftimmt abgegrenzten 9fid)tung. Senn biefcö
fein Scbaffen war nid)t, gleid) bem eines; Sonmeiftcrö in aebtem Sinne, beffen innerfteS geben ftd) eben
nur in ben Sönen crfcbliefjt, eine fortgebenbe Sonfd)bpfung. ©Ott hatte il)m einen anberen, weiteren
103
ÄreiS ber Sbatigfeit oorgcjeicbnct ; unb gewißlich war, auf bem enget begrenzten ©ebietc beä gciftlicben
Sänger», eine einjige, bervorragenbe Üctfrung eüte§ fo bocbgeficllten, mit feinem SJSirfen fo tief eingreifen;
ben SianneS alS er, binreidicnb, ein heiliget geuer in Begabten an^ünben , benen jeneS ©ebiet als ba3
ihre angewiefen war.
Sollten wir ihn minber verehren, ibn weniger lieben, weil in einer beftimmten, einjelnen 9ficb=
tung nidjt alteS Scbonjte feiner 3eit ihm angebbrt? £cr ©aben finb viele, unb er felbft bat ftcb mit 9fcd)t
bcfcbicbcn, bafi nicht alle ibm angeboren tonnten , jumabl nicht bte ©abe ber Sonfduwfung. 'Mein be£
einen ©eiftes bat ibn ber £crr geroürbigct, burch ben Ellies, wac> ber SDtcnfcb vollbringt, jur (übte feines
Sdjopferö, ju Offenbarung feiner SDiacbt, SBeiSbeit unb ©Ute gereicht, burch, ben er tfnbern in ©otteS
iHcbc ba£ leiften bilft, wae> ihm felber vertagt, ober nicht in feiner ganjen gülle als1 göttliche ©abe verlieben
ift; unb tiefe» SfubmeS, beö StubmeS in bem Spmn, wirb ihn niemanb berauben.
SStetter Slfcfdmttt.
Tic ©e|« gcifUt<$et Biebettoeifcn feit bem beginne bev Ätw$enöetfceffratttg bis um bte Satte
bei fecb$efmten 3^H-fnmbevtS.
£aben wir bisher ben tarnen nur eineö Sängers von wenigen firchlichen SBcifen mit 3uverfidH
nennen bürfen , unb auch biefem, bem ©rünber be$ neuen, eoangelifeben Äircbcntbums , bas ÜKeifte beffen
abivrcd^en muffen, wag man gewöhnlich als" von ihm gefungen bezeichnet; fo tonnen wir nun mit voller
Sicherheit, als moblbegrünbeter Sbatfacben, ber Sierbicnftc ber SOIanner gebenfen, bie ben ©eift
icncr SBcifen burch ihre Äiinft ju erwerfen (bebten , unb ihre tarnen nennen, ohne S3eforgnif? eines
Srrtbumö.
Cu'hanneo 32Salter, ber ©ebülfe 2utbers> bei ber Einrichtung beS neuen evangcliTcbcn
©ottesbienfies, ift hier ber erftc, beffen 9cameun» begegnet. 9lurwiffenwir2Benigc» von feinen 2eben$>umftän=
ben unb fonftigen a>erbältniffen ju berichten. Johann ©ottfrieb Sßalter in feinem mufifalifcben SBorter*
buche, nennt ibn Siagifter ber $)btlofo»bie ; boefy wirb er frühe febon als" Sonfünfiler auch eine Stellung
am £ofe griebriebs' be§ SBeifen ju Sorgau gehabt haben, benn wir wiffen aus feiner eigenen, im voran»
gebenben "tfbfcbnitte mitgetheilten Crr$äblung, bafi ßutber ihn von baber nebft bem alten cburfurfllicbcn
Sängcrmeifter ©hm @onrab Siupff burch SSennittelung beä ßburfurften, unb beffen SBrubcrs unb fpäteren
Nachfolgern, £erjogs Sobann, nach SBtttenberg berief, um mit SSeibcn gemeinfebaftlicb, an ber beutfcfjen
SKeffe *u arbeiten. Sie erfte Ausgabe feines ©eiftlicben ©efangbücbletns (1524; giebt über feine Sierbält--
niffe feine nähere "tfusfunft: fie nennt ihn, am Schluffe ber 31ltf{imme, nur als ben S3erfaffer, ohne fein
'2lmt ju bezeichnen. 2>iefee> lehrt uns ber Sitcl ber fpäteren Ausgabe jenes? 3öerfes> von 1537 erft fennen;
er lautet: , ,2Btttenbcrgtfch ©fangbüdjli burd) Soböltn 2Baltcrn, ßburfürftlicben von Sad)fcn fengermcwjier,
off ein newes corrigiert, gebeffert unb gemeret, " von welchem bie Äbntgltche SMbliotbef ju Siüncben einen
burch ^eter Scbbffer unb Scatthias 21piarius JU Strafiburg beforgten 'tfbbrud heftet. SBalter ftanb alfo
21«
164
Damals im £>tenftc &e6 ßburfürfkn Sobann griebrtd) beS ©ropmütf)igen. 'KB nad) ber unglücklichen
©cblacbt bei 'Äüblbcrg bie 2anbc^l;cvrfd;aft unb ßl)unvürbe am 6ten Sunt 1547 auf beffen SSetter, ^erjog
3Bortfe überging, finben »tr nicht, bafs SBaltcr, glcid) bem 9Jlalcr SucaS (Sranad), bei feinem alten 4perrn
geblieben fei: er febeint vielmehr in bie iDienfk bee> neuen fianbcSfjerrn getreten ju fenn, benn aud) 1551,
auf Dem .-Sirelblatte einer fuätcren 'ÄuSgabe femc§©efangbüd)leinei, nennt er ftd) nod) mit bemfelben Site! vote
juöot; aud) mirb er nod) bem folgenben ßburfürften , 'tfuguft, gebient b,aben, ba er erft im %atyt 1555
geftorben femr feil. £>a$ er mit feiner gefammten .Eaüclle von ad)t$ebn ©ängem unb jroblf ©ingefnaben
uim (Iburfürften DJiorifj nad) SreSben gejogen fei, berid)tct ©erber*), ol)ne Angabe einer Quelle.
©o müiifdienStvertb nun aud) genauere 9>cad)ricbtcn über feine 2ebcnj>verl)ältniffe fepn mbd)ten,
fo fnüvfcn ftcb an biefelbcn bod) feine für bie ©efebiebte ber Sonfunft unb namentlid) bc$> evangelifcfyen
Gboralgcfangeo erbeblid)e gragen, unb mir bürfen un§ an bem fo eben 9Kitgctl)eittcn geniigen laffen, ju=
muh! nur eines feiner SBcrfe, eben fein oftermäl)nte§ ©eiftlid)es> ©efangbüd)lein, an biefem £)rte für uns>
von @rbcblid)tctt ift.
£>ie frübefte 'Ausgabe bicfcS SBerfeS, foweit unfere Äenntniß retd)t, ift bie oft befd)riebene vom
Jabrc 1524. Sie entl)ält, mie mir beriebtet, 38 beutfcfye unb 5 lateinifd)e ©efangftücfe ; in jenen 38 Zon-
fafeen ftnb 32 gcijtlid)e lieber, unb 35 baju gel)brenbe©ingwcifen bebanbclt. Um (5inige3 vermehrt erfd)etnt
bie ermahnte jmeite 'tfusgabc biefes SSerfes' von 1537; fte enthalt 39 Sonfä^e über bcutfd)e geifftid)e ßieber,
unb beren 13 über latetnifd)e Serte. SBenn aber aud) bie tfnjabj jener erften mit ber in ber früheren 2£u3=
gäbe bie> auf einen übereinfftmmt, fo finb fte bod) nid)t burd)roeg biefelben, obgleid) ber 9Jielobicen nid)t
mehr geworben finb. Senn von biefen ftnb jmar bie vl)rr;gifd)c 2Beife be§ 2iebe§ „Surd) "tfbamS gall
ift ganj verberbt," unb bie borifd)e be§ ßiebeö ,,9cun freut eud) lieben G>l)rijiengmein" auögefd)ieben , ba=
gegen finb Sonfcüje über bie SEJielobicen ber Sieber : „Sefaja bem Propheten baö gefcfyal)" unb „2>r Sag
ber ift fo freubenreid)" l)injugefommen, weld)e bie 'tfuSgabe von 1524 rtid)t enthielt, 2lud) ift bie neue
unter anbern um einen vier* unb einen fed)Sff immigen ©afj über bie SBeife ,,ßf)rift ijl erftanben" reicher
geworben, unb um einen fed)3ftimmigen über 2utl)erö „2Bir glauben all' an einen ©Ott," im ©anjen um
fieben; roogegen fie brei vierfiimmige ©afje über bie SJMobieen : bitten mir im Seben ftnb k. ; SefuS
Übriftus unfer Jpeilanb, ber ben £ob übenvanb tc; SDiit grieb' unb greub' id) fal)r' bal)in ic. tc. , über=
baupt beren fed)$>, nid)t ferner enthalt. 3n jmei ©äfjen ber alteren tfusgabe finben fid) unbebeutenbe
23eränberungen ; erl)eblid) gednbert, ja ganj umgcfd)moljen jeigen ftd) ad)t anbere, unb man erf ennt baran
bie Sorgfalt be§ S^eijlerg, unb fein ©treben bem 2ßerfe bie mbglid)fie Sollcnbung ju t>erleil)en. ©te
britte '2(u6gabe feines ©efangbud)e§, bie 1544 bei ©eorg 3fl)au ju Sötttenberg l)erauöfam, bat SBalter
beträd)tlid) reicher auögeflattet. ©ie enthält, nad) ©d)6berg genauer S3efd)reibung in feinem jmeiten S5ei=
trage jur 2icberb,ifiorie (©. 99—108), 63 £onf% über beutfdje gcifttid)e lieber — 40 ju vier, 21 ui
fünf, 2 ^u fed)S ©timmen — unb 37 »ier= unb fünfftimmige lateinifd)e ©efänge. Sticht in gleichem
Söiaa^e, bod) immer bebeutenb oermel)rt, finben mir enblid) eine, fieben %al)xe fßater, um 1551, eben ba
erfd)ienene vierte '^uögabe ; fte giebt 78 Sonfäfje über beutfd)e unb 47 über lateinifd)e geifilid)e ©efange,
inbem fie jenen 3 ju brei ©timmen, 9 ju vier, 2 ju fünf unb einen $u fed)g I;injufügt. Unter ben oier=
ftimmigen begegnet unö l)ier baö 2icb ßraömuö 'tflberS von ben äeidjen beö jüngjlen Sageö : ,,©ott bat
•) srce. coi. so.». zi>. iv.
105
ba§ @t>ange lium," jum erjten SDiablc in einer fird)lid)en ©ammlung, nacktem es> brei Sab" juoor
(1548) auf einem einjelncn SSIatte erfdn'enen war. 33ergleid)en wir tiefe, roafyrfcfyeinltcr; leiste, twn bem
SJieifter bcforgte 2üBgabe feines SBerfeS mit beffen erfter uonl524: fo umfaßt fie bennocb feineSmegg beren
©efammttnbalt. günf 5Dcelobieen , bie ftdt? in biefer ft'nben, bat fie ju ben gleid)namigen Siebern nicht
wieber aufgenommen (3iro. 14. 17. 26. 28. 32.) unb ad)t Sonfdfje fonji üon ibr mitgetbeilter 9JMobieen
wollig befcitigt (5Rro. 3. 9. 11. 15. 24. 27. 32. 36). Sagegen erfcbemen in if)r 29 Sttelobieen in 35 £on=
fd^en, welche bort nicbt anzutreffen fmb, ber neuen Sonfd^e über früher fd)on gegebene ©ingweifen nicbt
ju gebenfen. Sie aufgenommenen ©efdnge ber 2tu3gabe von 1524 ft'nben mir jum %ljnl unoerdnbert, oft
mebr ober weniger nach bemSSorgange be§2tbbrud§ üon 1537 überarbeitet, jumafyl um einzelnen Stimmen,
aud) mit ^Beibehaltung ber urfprünglicben ©runbbarmonie, einen befferen §luß beä ©efangeS ju geben.
Saß 3Balter bienacb mit Metern gleiße an ber S5efferung unb S3ermel)rung feinet ÜZBerfeS innere
halb eine» SettraumeS von 26 3cd)r<m gearbeitet habe, teibet feinen Sweifel ; aud} ft'nben mir barin einen
offenbaren gortfcbritt, baß Anfangs? unter 38 beutfd)en ©efdngen nur beren jwei, ber 19te Zljeil be§ ©an=
jen, bie ©ingweife in ber £)berftimme jeigten, julefjt aber unter 78 beren 15, etwas? minber aB ber fünfte
£f)eit. Saß aber aud) nur eine üon allen jenen 2Seifen, bie er un§ mtttl)eilt, einewon ü)m felber erfunbene fei,
ift nid}t ju behaupten. Um btefeä feft^ujteücn, mürbe e§ minbeftenä einer 3(nbeutung feinerfeiB beburft
baben, ba bie meiften unter ihnen urfunbttcb au§ altem beutfd)en unb lateinifd)en .Kirch engefange, ober au§
bem SSolfögefange entlel)nt finb, ober aud), wie jene brei im t>orangel)enben #bfd)nitte ermahnten, Sutber
angeboren. 9cun entbdlt aber bie 2üBgabe »on 1524 jwar eine SSorrebe ßutfjerg, allein fein §3orwort
2Balter3: jene ift obne irgenb eine 2(nbeutung über bie Url)eber ber ©ingweifen. 9Balter§ Sßorrebe ju ben
"ÄuSgaben feit 1537 gicbt mB cnblid) eben fo wenig '#uffd)tuß. ©r beflagt ftd) in il)r über bie S5erad)tung
ber SJhtftf unb aller anbern .Künjle, unb fd)reibt fie bem SSeufel ju, ber atte$> ©ottgefdtlige umftoße, ba man
ibm bie papijlifd)e 9Reffe mit aEem Anhange umgejioßcn fjabe. Stcfem jutn £ro£ (fdbrt er fort) unb
©ott ju ßiebe, b<we er bie juoor ju Wittenberg gebrudten ©efdnge ba6 mel)re £f)eit neu gefegt, bie anbern
mit gleiß corrigiret unb gebeffert, unb mit einigen fed)3= unb fünffttmmigen gemel)rt, — wie wir c3 benn
juoor wirflid) fo gefunben baben. dx fd)licßt mit ber SSemerfung, bie un3 üorauSfe^en laßt, er fei öon
9Jitßgönnem nid)t unangefochten geblieben : „Unb wiewol biefe meine ©efdnge gar otet Urteiler haben
werben, 3ebod) gönne id) einem jebcn ber @bre gar wol, baß er an mir Siitter werbe, angefeben, baß ich
biefer Äunft noch ™oW ein ©d)üler bin," — gewahrt un§ aber mit biefem allem nur eine SDZittbetlung über
feine Arbeit an bem Sonfa^e, nid)t über fein 33erf)dltniß ju ben ©ingweifen aB beren (Srft'nber. @iner
jeben Angabe Späterer, baß er ein folcber gewefen, mangelt es> baher an jeglicher S5egrünbung.
©inen gortfd)ritt burften wir eS nennen, wenn in bem Sonfa^e SBalteB bie ©ingweife allgemach
in bie f)bd>fle ©timme überging, unb fo, ba§ ©anje bel)errfchenb, aud) immer mehr aB baäjenige erfannt
werben mußte, beffen (Entfaltung alle übrigen Stimmen bienten, wenn fie aud) ein eigentümliche? ßeben
ju offenbaren ftrebten. 3Cllein eä war bennod) ein gortfd)ritt in nur befd)rdnftem ©inne, weit ihm eben
hier bie J^auptbebingung fehlte, um ein achter, in üoller Jßebeutung be3 2Borteö, genannt werben ju bürfen.
S5etrachtcn wir einige feiner ©efdnge, um bie Überzeugung bavon ju gewinnen.
3n ber 3tuägabe üon 1551 ft'nben wir ben alten lateinifd)en SBeihnad)Bgefartg : Kesonet in lau-
dibus fünfftimmig behanbelt, bie erjten SSerfe in ein beutfd)e§ SBiegenlieb umgeflalter :
166
3ofepb/ lieber 3ofepb mein*)
4j>ilf mir wiegen mein Äinbelein,
©ott ber wirb bein Srbfier fepn,
£)er Jungfrau Äinb Ataxia,
wo fann mit ben latcinifdien Söortcn beS alten SiiebeS fortgefahren roirb. Aus ben fünf (stimmen beS
©anjen bilben fieb jwei breiftimmige 2Bechfeld)bre höherer unb tieferer (Stimmen, bie bann roieber ju »ollem
©efange ftcb oereinigen ; bie £>berftimme in bem böseren, ber Senor in bem tieferen biefer ßbbre fübrt bie
SJlelobte; bei ben jwei ©cblufjoerfen :
Hodie apparuit iu Israel
Quem praedixit Gabriel
tritt t^icfclbc in tiefen beiben ©timmen, von benen ber Scnor porangeht, in einem ßanon in ber ©beroctape
auf. Dicfc Anlage ift flar, nicht olme 83ebeutung, baS ©anje wohlflingcnb , einfach, roie eS feiner
SBcftimmung jiemt. 2fUein ju oft roirb in jenen roecbjelnben breifiimmigen ©äfcen bie melobieführenbc
Stimme, jumabl beS höheren <5£)ore§, pon ber jweiten überfchritten, unb ihr Fortgang fann auf biefe SBeifc
faft noch weniger beutlich vernommen werben, alS wenn bie ©ingweife, nach ©itte jener 3eit, ftetS im
Senor erfchtene. Sin wefentlicbeS Jpinftreben bü wahrhaft harmonifcher Entfaltung bürfen wir alfo bem
£onfe£er hier nicht nachrühmen.
^)errfchenber fchon geigt ftd) in ber Sberftimme beS SiebeS : .Komm heiliger ©eifi £erre ©ott,
Deffen SJielobie; fowohl in ber Ausgabe »on 1524, als in bem überarbeiteten, theilweife umgednberten
:£onfa£e ber fpäteren pon 1551. X)ie in ber ©ingweifc gegebenen Aufweichungen treten burch bie brei
tieferen Stimmen jiemlich erfennbar heraus, jeboch ohne geiffoolle 3üge, olme bebeutungSpolle Äeime
tieferer Entfaltung ; wir müßten benn einen folgen barin ft'nben wollen, baß bie fleine ©eptime ber £)ber=
quintc beS ©runbtonS, gegen beren große Scrj im 3ufammenflangc ben SritonuS bilbenb, juweilen bei ben
©cblußfaüen, burchgehenb, in einer §igur gehört wirb**), bie fpäter, um bie3eit beS DrlanbuS SaffuS,
febon febr allgemein geworben war, unb auch bei feinem ©chüler 3obann Grccarb häufiger oorfommt als
eine S3erjierung ber ©chluf falle, bei benen bie Sonmeijtcr be§ IGten SflbrbunbertS ber angefd)lagenen
Septime ftch jeboch beharrlich enthalten. Ähnliches» läßt ftch fagen Pon ben beiben Chorälen : 9hm freut
euch lieben Gibriftengmetn (in ber fchon 1524 erfcheinenben, älteren ©ingweife) unb: ©elobet fepft bu, 3efu
6hrift***>. 3hrc SJZclobie wirb, unpcrbuntelt, in ber Dbcrjtimmc fortgeführt, ihre Ausweichungen finb burch
Die Harmonie tabelloS hervorgehoben; eS iji an biefer nichts auSjufteüen, aber auch eben nichts ju rühmen.
Sn cem hiebet ©ott fei gelobet unb gebenebeiet, tritt bie ©runbtonart, bie mirolpbifcbc, fräftiger unb
bebeutfamer berpor, als in bem lefjten ber eben befprodjenen ßhoräle. 3umal)l gefd)ieht biefeS in bem
Amic, baS jeben ber brei Abfcbnitte unfereS AbcnbmablSliebeS in SBalterS Harmonie mit einem borifchen
0. Seifpicl II. 1.
"") ©. SBcifptcl II. %
167
2lnflange befcbliefjt. Der mcicbe £reiflang auf d, ber 2(fforb ber fleinen ©crte auf e bei aufmärt§frci=
genber ©runbjtimme, ger)en bem berfommlicben, »ollen ©chlußfalle voran, bei bem man nun allerbingS bie
(nicht vorgejeicbnete) große SEerj aB gettton ju fingen f>at an bie ©teile ber fleinen. 2Ber aber bei ben
vorangebenben beiben 3ufammenflängen, ben £}fyren ber ©egenmart ju gefallen, bie große Serj unb <Serte
nehmen, bie abffeigenbe Guarte ber jmeiten ©ttmme (f c), alfo um einen halbenSEon (Iis eis) erhoben mollte,
ber würbe l)ier ben burcb bie mirolpbtfcbe fleine ©eptime unb borifcbe fleine Serj ('gegebenen 2(nf (ang gegen be3
5E3^eifterS '2Cbftd>t t>erlbfd>en. MitberMelobiebeS jtatecht3mu§liebc3 : „2Me§ fmbbiebeil'gen jehnSebofmirb
jroifcben ber £)berftimme unb bem SSenor be§ vierffimmigen £onfafje3, in welchem fte um 1551 crfd)etnt,
ein in 3ett- unb Sonoerbältniffen freier Gianon in ber £3beroctavc burcbgefübrt ; frei, in fo fern jroar bie
©runbjüge ber ©ingmeife in ben fid) nadbahmenben ©timmen unveränbert bleiben, biefe jebocb in zufälliger
2lu3fcbmütfung juroeilen von einanber abmetd)en, aud) einanber nid)t jietö in gleichen 3wifcbenräumen,
ober mit gleicher ©eltung ber einzelnen %bne nachfolgen. Sie Oberflimme bleibt babei aber allezeit bic
berrfchenbe, unb ber borifcbe 2(nflang gegen ba6 6nbe, burcb vermanbelnbe Mobulation, SSeränberung ber
mirolt)bifd)en großen Serj (h) in bie fleine (b) be§ verfemten £orifcben, ftnbet fid) fraftig bervorge=
hoben burd) ben garten Srciflang auf bem b bes> ©runbbaffee», ben weichen auf bem mirolvbifcben ©runb=
flange. 9cod) jroeimabt ijl eben biefe ?DMobie in ber llutyabz von 1551 vierfttmmig bebanbctt (ÜJhro. 66.
67) unb beibe Stahle in ber Sberftimme eingeführt, boch fcblteßt fte fid) bort ihrem urfprüng liehen Siebe
(3n @otte§ Flamen fahren roir) unb einer Umbilbung beffelben an (3ln ©ottee> tarnen fd)eibcn mir;.
S3on ber fechsfitmmigen SSebanblung ber SKelobie bei? lutberifcben SiebeS : 2Bir glauben all' an
einen ©ott" fann bagegen, wa§ mir an ben eben ermahnten rühmen burften, nicht gefagt, ja, e§ fann an
ihr nicht einmal ba§ gelobt merben, ma§, aud) bei einem ^auptgebreebert, bod) bie fünfftimmige 23ehanb=
lung bc§ Resonet bei SBalter auszeichnete, ©te muß ein jwar mohlflingenber, aber bebeutungälofer £on=
fafc genannt merben. gajt ohne ade Unterbrechung merben bie fecbS ©timmen jugleicb gehört, bie melobte»
führenbe Sisfantftimme mirb von ber jmeiten beinahe burchgdngig überfchritten , unb baburd) mivb bie
SQielobie bei ber ©timmenfülle be3 ©anjen nur um fo unbeutlicher 5 h^tnonifd) entfaltet fann man fte
nirgenb nennen.
£>aß Johann SBaltcr von einer Entfaltung biefer 2(rt eine Ahnung gehabt, baß er, menn auch
nicht völlig bemüht, boch unverfennbar banacb gejtrebt habe, bürfen mir ihm jugejleben. (fr hat jumcilen
aber roefentlicbe ©rforberniffe berfelben verfannt, mie, menn er bie offenbar pbrvgtfcbe 2Bcife be§ Siebeg :
©ott hat ba§ Evangelium, beren 2(u§gang namentlich bie ©runbtonart nicht verfennen laßt, völlig
ionifd) behanbelt, wa3, fo juldfftg es> fevn mag in anberen geeigneten gälten, hier bod) bem ©epräge ber
9J2elobie miberftrebt, inbem e§ bie ernfte Mahnung am ©d)luffe jeber Seile:
£)a§ ift ein 3eicben von bem jüngften Sag
abfd)mdd)t unb ihre SBirfung aufhebt. 3ene§ fiebere ©efübj alfo gebrach ihm, mobureb ba§ Siechte überall
gefunben mirb; fein ©treben mar ein nur befebränfteä , eben ein folcbeS, moju fd)on a>erjlanb, gleiß,
Äenntnif?, ben erfahrnen Äünftler befähigen, ©eltene ©aben, hohen ©eiftessfebmung , fönnen mir ihm
nicht nachrühmen, faum eine finnreid)e 2lnorbnung feiner Sonfäfje. SBSir haben ihn l)od)jufd)ä^en als einen
folcben, ber begabteren bie 33abn geebnet, ihnen üielletcht fctbjt burch ba§ von ihm S3erfehlte ben richtigen
SBeg gejeigt hat. 2(13 einem ber früheren Somneifkr ber eoangelifd)en Äird)e, al§ Mitarbeiter 2utl)cr?,
gebührt i()m eine ehrenvolle ©teile in ber ©efebiebte. @ine ©chule im mahren ©inne bee üöorteä oermochte
16S
er aber nicht 511 grünten, benn feine ©inneS* unb 'iCuffaffungsroeife miiite nid)t bureb lebenbig jünbenbe
gunfen bes> ©eifte3 auf feine Mitlebenbcn : fte mar vielmehr bie feines" 3eitaltere>, bas et)er auf ihn einge=
mir«, als eine bebeutenbe (Sinmirhtng bureb ihn erfahren bat.
©anj anberö verhält e§ ftcb mit Sut»U>tfl <2enfl, ben man gembbnlid) ebenfalls unter Supers;
Mitarbeitern auf bem ©ebicte beS Äircbcngefangee» nennt. 2(ud) über feine ßcbenSumftänbc heften mir
nur menige unb bürftige 9?acbrid)ten ; boeb ift uns? von feinen SBerfen fo viel erhalten, um barauS fein
S3crhältnifj $u feiner ©cgenmart unb golgejeit genügenb ju erf'ennen.
9cad) ©larean, ber ihn nicht ohne ©totj feinen SanbSmann nennt, mar er aue> 3üricb gebürtig*);
bagegen verftd)ert (Simon SEftinerviuS, inbem er bie ^Betonungen ^orajifcfyer Sölaafje bureb unfern SKeifter
bem33artbolomäu3 ©dn'cnf: ju Mündjen mibmet, bafj er au§33afet flamme, darüber minbcftenS finb S3eibe
einig, baf3 er ben erflcn ©ingunterridjt in biefer legten ©tabt genoffen ()abe, unb von ba auS in bie @apelle
Äaifer MarimtlianS bcS Erffen ju Snfprud eingetreten fei, mo er an bem bocbberübmten ^»einrieb Sfaac ben
trefliebften Sebrmcifkr gefunben. ©päter fam er in bie £>icnfte ber 4?eipge von S3apem, SEBtlbelm beS
Stierten unb Ulbert be3 günften; an bem 4j)ofe be§ erften ju München finben mir ihn um 1530, ohne bie
3eit angeben ju rönnen, mann er borthin berufen muvbe. S3alb nach ber Mitte beS 3af)rl)iinbert» febeint
fein Sob erfolgt ju fevn; ©eorg gorfjer, beffen ,,frblid)c, frifebe, alte unb neue teutfebe ßteber" mir bereit?
früher befpracben, nennt ihn in ber vom 31ficn Sanuar 1556 batirten SSorrebe bes> fünften SbeilS biefer
Sammlung bereits : ,,4?errn Submig ©enfel fcligen." Über fein S3erl)dltnif3 ju Suther geben im§ tbeiB
einzelne 'tfufjerungen bcffelben in feinen Sifcfyreben Äunbe, tbeil§ eine ©teile in be3 9)farrberrn MattbeftuS ju
3oad)im£tbal neunter ^Jrebigt über ßutberS Sehen, tbeilS enblicb ein freunblicbeS ©cfyreiben ßutherS an ihn,
gegeben ßoburg ben vierten Setober 1530, au£ meldjem bc3 ©ebreibenben begliche SSerebrung unb innige
Suneigung gegen ihn bell bervorleudjtet. Um nun recht ju erfennen, in melcbcm ©inne ßuther, in melcbem
antcre 3citgcnoffen ihn geliebt, mas> fte an ihm geehrt, mobureb er auf fte eingemtrft, ber Äunjl einen neuen
'tfuffebmung gegeben habe, mirb eö nicht unangemeffen fevn, in menigen SBorten ba§ SSerbältnifj be§ begin-
nenben löten SabrbunbertS jur Sonf'unft überhaupt hier barjuftellen.
5ßcnn mir abfeben oon bem frifd)en, gemütlichen Cnnbrude ber einfachen ©ingmeife eine? 8te=
be? , ben mir bei allen für bie £bne überhaupt Empfänglichen im 2Hlgemeinen alö ben gleichen anfeben
müffen, unb eine 33erfd)iebenbeit nur in ber größeren ober minberen güblbarf'eit bes> 4?brerS »etben finben
fbnnen, mobl auch in feiner ©emütf)sart, bie ihn bem einen ober anberen tfuöbrucfe einer 9Kelobie geneigter
macht; menn mir, cä furj ju fagen, von bem 83erhältniffe jener 3eit ju tl;ren ©ängern abfeben, fo ift e§>
ein boppelter S3orjug, ben fte an ihren Z onf e^ ern fuebte unb liebte. £)en Einen ging bie Sonhtnft wtt--
fommen auf in baS ©ebiebt; fte mar ihnen nur eine fd)müdenbe Überflcibung feiner gönnen, unb um fo
ooUtommner, je unterlegter, einbringlicber, biefe bureb bie il)r ju ©ebote ftchenben Mittel her» ortraten;
berjenige Sonfünjller mar ihnen ber g^efie, bem bief e3 am meinen gelingen mochte. ^)en2tnbern erfdbien
bie Äunft beö Sonfa^eä als ein fbfilid)e§ ©efd^meibe, ober eine jierlid)e Einfaffung für bie Melobie,
bie ©abe bes ©ängerö; mittelbar freilich moht auch be§ Sid)tcr§, aüein biegormen, melcbe jener gefdbaffen,
maren ihnen boeb ber eigentliche Äern ber Aufgabe beö Sonfe^erö. Sn biefem boppelten a>erhältniffc fehen
mir ©enfl geliebt unb verehrt von feinen 3eitgenoffen ; alö finnigen ©efährten beö 2)id)terg von ben
") Dodecach. pag. 221. 331. 444.
169
begeiferten greunben be$ Ältert^umS, benen er t-cfj"en metrifche formen näher braute, burd) bie güUe feiner
Jbarmonicen fie reicber aufragte; al§ benjenigcn, ber beS Sängerö (£d)öpfungcrft tnba3©ebiet berÄunfi
hinüberführe, ihre red)te 33cbciitung erft fünbe, von Siutber , bem l)icrin bas> wunberbare ©eheimnifj ber
Sonwelt erft ftd) ju erfd)liefjcn festen. .
£bren wir junädjft, rote jene, wie tiefer, über bie Sonfunft überhaupt, unb unfern SXeifter ftd)
aussprechen, unb betrachten wir fobann feine SBerfc genauer, wie fie auf bem einen unb bem anberen
©ebiete liegen.
Um ben Anfang be§ 16ten SNNmnfcertS — oieUeid)t früher noch, benrt genauer tonnen wir bie
3eit nicht angeben — erfchien ju 2üig3burg bei ©crljarb Cgiin ein 33üd)lcin, bezeichnet at§ „Sttelopöieen,
ober oicrfiimmige jparmonicen über bie 22 ©efd)led)ter h""oifd)cr, elcgifcher, Iprifcher SKaafje, fo wie bie
bet firdilichen Jpwmnen." 2U3 SEonfel^er wirb $)eter SritoniuS genannt unb anbere gelehrte SEonfünftler
eineS wiffenfchaftlid)en äSereineS, welche biefe £armonieen nach 2£rt unb ©eltung ber Selben unb güfje
erfunben; unter Leitung beS (Sonrab ßelteä fepen fte glücftid) gebrueft. Cjine Sahrjahl Wt. £>aö
33üd)lein begreift jundchft 19 ©ben bc3 £oraj, nach tyren t>erfd)iebenen -JKaafjen aue>erwäf)lt; es> giebt
baran S5cifpiele beS pf)aläcifd)en , h^oifchen , elegifchen. ©ine 9cad)wcifung ift beigefügt, welchen SÖZaafjen
bie fachlichen £v>mnen angehören, wobei nur ju bewerfen ift, baf? baö tambifcb ard)ilod)ifche unb alcma;
nifdje, in benen jufammen genommen üerhältnifjmäfjig bie meiften berfelben gebietet ftnb, t)'ux feine
S3etonung gefunben haben, obgleich bie gegebene Überftdbt auch <utf P< ftd? ntit erftreeft.
©egen bie SDiitte be§ 16ten 3abrbunbertä, um 1534, gab ©tmon 9Jiinerüiu3, ju Dürnberg bei
Jpieroni)mu§ gormfehneiber, ein ähnlid)e3 SBerf Subwig ©enfls> herauf, über beffert näheren Inhalt wir
fpärer berichten werben. Sr eignete et ^Bartholomäus Sdjrcnf , ^Patricier unb SSürgermeifter in SEßünchen
ju, unb biefe 3ufchrift ift es>, beren wefcntlichen Snhatt wir in freier Übertragung mttjuthetlen gebenfen al§
SBorte eine§ 3eitgenoffen, eineS greunbeS ber SEonfunft wie unfere§ 9ttetfter3, in benen er über feine 33eref)=
rung beiber nad) ber gefchmücften 2Beife jener Sage ftd) ausspricht. „SBohl glaube id) (fd)reibt er), bafj
unter ben freien Äünften eine natürliche Übereinftimmung beftel)e, ober foll id) e3 (Sinflang nennen, ber fie
gleid) einem gefelligen 33anbe »erfnüpft. SSor 2fllcm aber thut ftd), bafj id) fo rebe, eine SSerwanbtfd)aft
heroor jwifchen Son-- unb 3Md)tf unft, unb id) jweifle nicht, bafj ber (Sinflufi gleichen ©eftirneö walte
über bem £>id)ter unb SEonfünftler, fo nahe flehen fte einanber in ©elftes^, in 9laturgabe, fo 33ieleS fyaben
fte gemein, wenn nid)t allcS. (Einen jeben oon beiben fi'nbcfi bu gefangreid), lieblid), oon überquellenber
grud)tbarfeit beS ©eifteS, bewunbernSwerthen SORetfter in ßrregung, in S5efd)wid)tigung ber ©emüther,
Siebling ber SDiufen unb beS Apollo, angeregt in feinen ©efängen burd) göttlichen Qhthaud), ber bie .Kräfte
feines> ©eifteS fteigert. £>af)er wohl fbmmt es>, bafj nicht allein bie Neulinge in ber £>id)tfunft, fonbern
jumabl biejenigen, welche bes> näheren Umganges ber SEJJufen genießen, burd) einen wunberbaren 3ug ber
Sebnfucht hingeneigt finb ju ber Sonfunft, baf; beren ©üfjigfett fte erft bie oolle SSefriebigung empftnben
läfjt an ber oerwanbten itunft, bafj fte am liebften (Erholung fud)en burd) bie 5£öne, fei e§ nun, um bie 3eit
täufchen, ben t>on »ieler Arbeit ermatteten ©eift ju erfrifchen, ober ber grt>hlid)feit ftd) hinjug^en. Sd)
nun, ber ju feiner 3eit ben fünften fremb geblieben bin, burd) welche ber 9J2enfch erft ju rechter 9Jienfd)lid)-
feit herangebilbet wirb, geftel)e gern, bafj id) r>om Knabenalter an mich, am liebften ju ber SEonfunft gehalten
habe, unb ben Sonfünftlern. ßrmübet von ben 2aften be§ 2Tmte§, von ben ©orgen für baö Spau$, fud)e
rd) nid)t leicht ein anbereg Heilmittel, al§ bas ber <Sd)wefterfunft. 3d) nehme ein ©ebid)t be§ ^oratiuö,
». SBintcrfctb, ber euartgel. G^cralgtfang. 22
170
ober eilte« anbcrn, ebten SicfytetS jur Jpanb, unb finge mir eS leife uor, ober finge mit greunben unb
jtnablcm gemeinfd)aftlid), wenn fte jur Spant) ftnb ; irgenb ein ©ebid)t, meine ich, unb ba erfahre id) ntö»
balb, baf nidn allein eine jebe SBolfe beS SKißmutbeS oon mir meiert, als IjatU tef? oon jener benfwürbigen,
bei ^orner fo boebgepriefenen Siepentbe ber Jjpelena genoffen, fonbern baß aud) bie .Kraft mir wäcbjt ju
erneut«? Arbeit. Saj3 aud) 2lnbern 2tl;nlid)cä gefebiebt, nimmt mid) nidbt Sßunber; bod) baS bat mieb
befrembet unb betrübt, baß unter fo jablrcicben unb fo fruchtbaren Sonfünfflern, fo üiel id) weiß, fett man=
cbem 3abrbunberte feiner geroefen, ber feinen ©eift unb feine Äunjl ber ibm fo naben @cnoffenfd)aft ju
inniger ©rquicftmg gelieben, id) meine, ber jene Sftaaße in ©efangSwcifen gefaßt l)«tte, beren bie grbßeften
Siditcr fid) bebient, unb bie fte jur 3itter gefungen, als $eter SritoniuS auS bem (5tfd)lanbe (Athe-
sinusj, ein manntebfad) gelehrter, bcfd)cibener 9Jiann, unb mir innig »erbunben burd) ©emeinfebaft ber
©tubien, roie burd)glcid)e Steigungen. *#IS biefer, noeb ein Süngltng, ju Sngolftabt Unterteilung beS
Gonrab Geltet, jenes erften unb anmutbigften unter Seutfd)lanbS Sid)tern, bie fd)bnen 2Biffenfd)aften
pflegte, fefcte er, auf Antrieb feines 2el)rerS, bie neunjefm Sföaaße beS Spox% in 9)iuftf, unb täglicb, nad)
bem Scbluffe ber SSorlefungen über biefen Siebter, weld)e @clteS bamalS mit üielem 3?ubme t)telt, bot er
fte bann feinen ©enoffen bar alö Grrquicfung im ©efange, jene füßen, unb roabrlid) ! nicht ol)ne £ulb ber
SDiufen unb ©rajien entftanbenen SBeifcn ; wiewohl er, ber »on Statur befcfyeibene 9JZann, nur gering t>on
ibnen hielt. Senn mar er aud) (ber anbern Äünfle nicht ju gebenfen) in ber SEonfunft wofyl erfabren, »on
gebilbetem unb feinem ©eifle, fo baß bie trcflid)cn Sonmeifjer an Äaifer 9)2arimtlianS Spofe ©roßeS »on
ihm hielten, unb jener, baß id) ibn fo nenne, anbete 3fofciuS unter ben Sonfünfilem, # einrieb, Sfaac,
ibn gern ju feinem engjten Äreife rcd)ncte, fo wollte er boeb niemals für ben Urbeber jener ©tngweifen
gelten. Unb id) erinnere mid), »on ibm, als bod)betagtem SKanne, oft gebort ju l)aben, — benn eine 3eit
lang waren wir Spaü& unb Sifcbgenoffen, — wenn er baS, waS von il)m, alö Jüngling, ausgegangen
fei, abermals auf ben 2lmboß bringen wolle, fo folle eS oorjüglid)er werben, benn juwor; bod) gern über=
lajfe er baS £ob, feine Aufgabe ju lofen, einem Jüngern, ber bem SBerfe #nfcben leiben fbnne, unb einen
Siamen. Senn balb, fo weiffage il)m fein ©emütb, werbe (Stner aufjtel)en, ber, »on feinem S3eifptele
angeregt, im Sonfafje bid)terifd)er SDtaaße etwaS 2luSgejeid)neteS leifte unb Ungemeines, baS, wie jene
2ltbene beS ^PbibiaS, auf ber 33urg aufgehellt werben fbnne. Sa id) nun in ibn brang, mir ju fagen, »on
wem er am meijten wünfd)en würbe, wenn eS v>on ibm abl)inge, baß er einem fold)en SBerfe fid) untcrjicl)e
als ber ©efebieftefte, fprad) unfer Hilter: "Km £ofe Äaifer 93tarimilianS lebt ein ©cfyüler beS Sfaac, oom
garten Knabenalter an bort unterwiefen burd) il)n, beffen Anlagen, wenn nid)t alleS mid) trügt, etwas
2luSgejeid)neteS uerfpred)en ; — er meinte aber meinen £ubwig ©enfl auS S5afel, gcwbl)nlid) ber ©d)weijer
genannt, — oon biefem wünfd)te id) am liebften, baß er jenes 2Berf auf fid) neljme. Wir flang beS greun=
beS 2Bort als eine SBeiffagung, unb »on ba begann id) meinen Subwig ju lieben, ben id) t»on 2lnfeben
fannte. Senn fo groß ifl bie Äraft ber Sugenb, baß fte aud) ben, burd) ben Siaum weit Entfernten, ju
ibrer Siebe unb SScwunberung binreißt. '#IS id) nun nad) SrttoniuS 2(bfd)eibcn auS biefem ßeben ju einem
öffentlichen 'Umte in biefem blübenben ©emetnwefen gelangte, unb nicht lange junor aud) unfer 2ubwig r>on
bem rubmwürbigen SSaiernber^oge 2Bill)elm bicher berufen war, fyattc id) nid)tS eiligeres ju thun, als mich
um jenes greunbfd)aft ju bewerben. SEBie er nun voller 'tfnmutf) ift unb ein red)tcS Verlangen tragt nadb
allen Männern, bie nur irgenb grüd)te beS ©eifteS bieten, fo nabm er mid) balb in feinen Umgang, bann
in fein innigfteS Vertrauen auf, ja, er fd)loß mid) fo in baffelbe, baß alleS bis auf biefen Sag unS üerbinbet,
171
u>a§ ooUfommene greunbe an einander fnüpfen fott: ©cfclligf'eit, 3Ra d? b a v f di a f t, faft ein£aus>, ©emein=
feibaft ber ©üter, inniger @iitf(ang im ©freben, in Neigungen unb 'tfnft ehren. 2fl§ ich nun unfere greunb=
fdbaft fo wohl befeftiget fabe, bafs Faum einer bem anbern etwas abjufcblagen vermöge, wa§' man mit (Sbren
forbern unb gewahren tonne ; fo jögerre ich nicht langer, — eingeben! ber 9?ebe unferes» 2Clten, unb feineS
Urtbeil£, — ben ßubwig anjugeben, bafj er bie Sölaafje be3 £ora$ in ©efänge faffen, fte muficiren möge
(musicaret), um mid) ber STebe be§ ^oüio ju bebienen: er, ber erjte unter allen Sonfünftlern, ju feinem
eigenen 9?ubme, auf mein Verlangen, mir ju Siebe, jum 3eugniffe unferer greunbfebaft ; bamit bei unferen
3ufammenfünften wir, unb fo auch, anbere burch un3, etwas befahlen, um bie üon ernfteren Singen ermü*
beten 2ebens>geifter JU erfrifeben. Sag bat benn mein liebfler greunb auf bie freigebigfte SBeife mir erfüllt ;
er bat auf bei? 4?ora$, unb anberer Siebter £>ben, fo genau paffenbe, fo anmutige ©efänge erfonnen, bafj
ber SDZunb etneä 3eben, bem oergonnt war, fte $u feben unb ju boren, fte greifet. Denn fleht auch ßubwig
in ben SSorjügen be6 S£onfünftlerS, wa§ id) Niemanbem jur Unehre gefagt haben will, feinem 2tnberen
unferer Seit nach ; fo befüjt er bod) ba§ ihm (Sigentbümlicbc, bafj er, gleich einem ausgezeichneten Siebter,
feinen Sbnen ben ©eift ber SBorte, ju ^Bewegung be3 ©emütbes? feiner £örer einzuhauchen weif? ; bafj er
ba3 ©rofje ergaben, ba§ Käfige gelinbe, ba3 gröbliche lieblich, ba3 Sraurige büfter ju betonen, ju fingen
weifj, mit feiner ganjen Äunft in bie barjuftellenbe ©emütbSlage aufgebt. allem, wa§ er gefebaffen,
fann man barwn bie (Erfahrung machen, unb wohl aud) leuchtet e§ fyertwr in biefen mebrftimmigen ©efän=
gen, bie, ton feiner eigenen ^>anb aufgejeiebnet, er in ber Urfcbrift, mit meinem tarnen t>erfef)en, bergeftalt
mir gewibmet bat, bafj er ntebt einmal eine 2Cbfcbrift baöon für ftd) behielt. £)ft fd)on bin id) non ©elebr=
ten unb greunben ber SBtffenfcbaft angegangen worben, fte öffentlich ju machen, bamit man mir niebt
vorwerfe, id) wolle, wie jener 2flte beim $>lautu§, auf meinem tjerfebtoffenen ©cba^e (joden: unb ba id)
nun nad) einem ©bnner mich umfabe, beffen tarnen fte an ber ©tirn tragen fbnnten ; welch ein befferer
tonnte mir ftd) barbieten, al§ Bartholomäus ©ehren?, ber greunb ber $)oefte wie ber Sonfunft!" — ©o
gebt nun bie ßueignung über in ba§ gewöhnliche ßob bee> erwählten ©bnnerS, ben ber Herausgeber enblid)
bittet, bafj er oor 2fllen biefe ©efdnge aud) bem Hieronymus Baumgartner möge jufommen laffen, bem
gelehrten, gebilbeten Nürnberger ^Patrijier, ber eine nid) t geringe greube baran haben werbe !
2Cbftcbtlicb haben wir biefe jtcrlicb = wortreiche 3ufd)rift, wenn aud) bte unb ba jufammenbrängenb,
in einiger 2(u3fübrlicbfeit mitgetbetlt. Denn »erfolgen wir fte in ihrem gortgange, fo feben wir, wie ber
3ueignenbe, ein greunb ber Dtcbtfunft, ber twn ernften ©efd)äften unb ©orgen an ihr ftd) ju erfrifeben
liebt, burd) beren §3erwanbtfcbaft mit ber Sonfunft aud) ju btefer hingeführt wirb, wie fte ihm ben Dichter
ju fchmüden bienen foll, wie er flagt, bafj ihm 9tiemanb juoor barin ju genügen oerftanben habe, bi§ er
an unferem SKeifter benjenigen gefunben, ber enblid) bie SKaafje ber geliebten Gilten auf bie rechte SBeife ju
betonen gewußt! Nun werben wir aber an bemjentgen, wa§ ©enfl wirflich geleiftet hat, wag ihm feinen
3eitgenoffen ju Danfe gelungen tft, auch mit 3uoerftd)t bie ^nforberungen ju erfennen »ermbgen, bte an
ihn gefrcUt würben, ©einer Sonfd^e ftnb ein unb breifsig, ju »ter©timmen; bie erfien neunje^n enthalten bte
5Dcaaf3e be§ Hora5 : mttr im übrigen fleht ba3 heroifche (herametrifche) üoran, ber Anfang ber Ttneibe ; SSeifpiele
anberer ftnb auö lateinifeben Dichtern gewählt : eineä (be§ elegifchen) au§ £)üib, eine§ (ber .^enbefafpllaben)
auö 9Jiarttal, jwei anbere beffelben SKaa^eS au§ GatuII: bie bei SritoniuS mangelnben Wlaafye geifjltcher
Hhtnnen erfcheinen hier in fünf bergleichen be§ ^)rubentiu§: enblid) wirb un3 auch eine (Plegie be§ ©imon
9Jltnen>iu§ unb iambifd)e Srimeter be§ Joachim 6amerariu§ geboten. 2Cuf ba§ ©enauejte ift überall bie
22*
172
^toofobte beobachtet; 511 völliger ßbfung btefer Aufgabe mar e3 aber unbebingt notbmenbig, baß ber vier*
ftimmige Sonfaß gegen bie93ielobie ber .^außtftimme in allen übrigen ©timmcn burctjljtn gletcbgeltenbe
(Roten fieUe: S3inbungen, ©plbenbebnungen mußten überall au3gefd)loffen bleiben, fte mürben nur beö
Siebter^ SJlaaß verbunfclt l)aben. Sine SSJielobie, in biefen ©cbranfen ftct> bemegenb, fonnte nur eine
jireng bef lamatorifcbe ferm, il)re SSorjüge, alS©efang, fonnten nur barin begeben, baß fte ben
rechten £on in bem SSet^attntffe beS ©cnfenä unb (SrbebenS ber Stimme bem Vortrage beö [Innigen ä$or*
leferö ablaufcbe, barin ba§ ©rttnbgefühl be§ ©anjen abriegele. 3n biefem ©inne l)at ©enfl bie Aufgabe
gefaßt, unb bie großen Sobfprüdje, bie feinem SBerfe gefpenbet mürben, bürgen unö bafür, baß ibm bie=
felbe aud) in gleicher 'äxt geftcllt gemefen.
Silin ergiebt ftd) aber barauä aud) eine gan$ befonbere rbv;t[)mifd)e ©eftaltung ber auf biefem
2ßege entftebenben ©ingmeifen, beren nähere ^Betrachtung uns» mieberum jurüeffübren mirb auf ben un=
mittelbaren ©egcnftaiib unferer Sarftellung, fo fern fte aud) bei bem erften S3lidc ibm ju liegen febeint.
Die gefammte Saftabtbeilung unferer heutigen Sonfunft bcrul)t auf bem "tfecente; auf bem
©emid)te bcjtimmter Sötte, moburd) fte im Verläufe ctncS, auS mehren Sonfolgen gebilbeten ©efangeS,
ibrer ©tellung jufolge, nach beftimmten, gleichen 3eitabfd)mttcn, vor ben übrigen burd) größeren
sJ}acbbrutf au§gejeid;met morben.
£>iefe 3citabfd)nitte mißt unfere Sonfunft mieberum in fid) nad) ber geraten 3abl äroei,
(ober berSSier, als il)rer Sierbovpclung), unb nad) berSrct; mobei bie Siegel beftel)t, baß jeberjeit ber
er ft e btefer brei ober jmet iijrer Sbctle vor ben anbern ben 91 ad) bruef f)at. Unmittelbar folgt auö
biefer SSorfdnift, baß bei einer 9fteffung nad) vier Sbcilcn, bem brüten mieberum vor bem jmeiten unb
vierten ber größere 9?ad)brud jufommt, meit er ber erfte be§ jmeiten, in ber SSier verbunbenen £>oy»cl»aares>
tfr. 9cun fbnnen aber biefe Steile ber meffenben Scitabfcbmtte, ober Safte, aud) ferner nad) ber 3roci ober
£>rei, immer jebod) in gleicher Unterabteilung, gegliebert merben. £>urd) biefe Saf tglteber (fo nennt
fte unfere Sonfunft) entfielen, bei ber Sbeitung ber 3«>ei burd) bie Drei, ober geraber Safttbeile burd) un=
gerabe Saftglicber, bie fogenannten trivlirten Safte. Smnier jebod) iji i)kv, abgefeben von allem, burd)
längere ober fürjere £>auer einzelner Söne beftimmten ßeitmaaße, nur ber tfecent, ba3 @eroid)t, unb
bie "iLxt feiner SBiebcrfebr, baS allein S5ebingenbe ber Saftabtbeilung; in biefem ©inne ift e$ vollfom=
men gleichgültig, mie bie einzelnen Sötte, innerhalb berfelben, nad) längerer, ober fürjerer Sauer ftcb be=
megen. '#uf biefem ©runbfafjc aber beruf)t aud) unfere 'tfnfcbauung be§ SibotbmuS : benn 9?bhtbmen ftnb
unS mieber größere, ein Sonftüd gliebernbe Saftabtbeilungen, beren einzelne Sbeile auS Saften, al§ ©lie=
bem jener größeren Safte — fo ftellen unfere 9?t)i;tf)men ftd) bar — befielen.
sJcun ftnben mir in ber Sonfunft beS fed)jel)nten Sabrbunbertö, unb jumal)l in ben a5olfö=
melobieen, mie fte auö früherer 3eit in baffelbe l)inübertönten, ben 2tccent, bas> Songemid)t, von ber ldn=
geren unb fürjeren Sauer ber einjetnen Söne feine§mege§ immer unabhängig, fonbern oft burd) biefelbe
auöbrücflid) befttmmt. SRocbte aud) bie ©lieberung einer ©ingmeife unabänberlid) in bem 3tccente ftd)
barftellen, burd) il)n ^ur '2lnfcbauung gelangen; fo mar bcrfelbe für fte barum bod) nid)t baö ©liebernbe,
S3eftimmenbe, nad) ber 3fegel einer gleichmäßig mieberfebrenben, ftetö übereinftimmenben 3eirabtbeilung ;
iljre ©lieberung mar aud) baö ßrgebniß ber äSerbältntffe ihrer einzelnen Söne nad) ihrer 3eitbauer, fofern
fte baburch beftimmt auögefprochene S3ejiehungett ju einanber erhielten. Saburd) aber mürbe bie gleiche
173
3eiteintbeilung unterbrochen: eS entfknben Safte »on ungleicher 3ettbauer, gegenüberffrbenbe Silmtbmen
— tiefe ^Benennung in bem Sinne unferer Seit ju gebraudmt — »on abmeiebenber ©lieberung.
3eitmaaß fon>ol)l aß ©erpicht regelten in jener Bett ben SJbwtbmuS : in ber Dicbtfunft ber 'Gilten
grünbete fidi berfclbe mefentlidi auf jcneS erjie, auf Sange unt> Äürje ber ju Süßen mannigfach ju=
fammengeftellten ©«Iben. Sie muf ifalifche Sarftellung antifer SJbtttbmen in ihrer äBefenbett, barf
baber ebenfalls feine anbere ©mnblage ftid)cn : fie ift eine falfch e, menn fie ben 9cacbbrucf, ber auf biefer
beruht, burch einen, nach gleichen 3ettabtbeilungen roieberfehrenben *2£ccent ju erreichen fucht. Siefen um
richtigen SBeg hat ©enfl nicht eingcfchlagen, er ift ben SDiaafJen ber Gilten, ganj in beren ©inne, treu
geblieben. £)er Srod)du$ fteüt fich bei ihm aß ungeraber (Sri»cl = ) Saft bar, ber ©ponbäuö, ber
£>afrnlu$ erfcheinen al$ geraber. ©o mechfeln brei unb jmei in feiner ©etonung beö ©appbtfdKn SDJaaßes
ber jmeiten £)be be§ £oraj im 2ten SBuche, menn mir fie nad) Saften abtheilen*); fo, unter gleichen
Jßebingungen, jmei unb brei in bem baftpltfd) = pl)aldctfd?en QJiaa^e ber werten £be beffelben SBucheS**).
2BoUtcn mir beibe in regelmäßiger Saftabtheilung nach 2&t unferer 9il)r;thmif barfieüen, fo mürben mir
bamit bie formen beS StchterS jerfiören. 9?ur einjelne 93iaaße gefktten eine fold)e SarfteUung : fo baö
berajfch1 archilochifche ber ftebenten £be be3 -^oraj***), ba$ auf regelmäßigen 2Bechfel be3 1 unb f SafteS
jurucfjuführen ift, menn mir in bem elften SSerfe je 3 unb 3, in bem jmeiten je 2 unb 2 §üße ju
gegenüberftehenben dii)X)ti)mm »ereinigen ; fo ba£ ^erotfdje (herametrifche) bae> burchhin nach kern | Saft
gegliebert merben fann, mic aud) ©enfl beibeä gethan hat****).
Snbem nun unfer SDZeifter auf biefe 2Beife ben tfnforberungen genügte, bie feine 3eit an ihn jteüte,
mit) bie au§ feiner Aufgabe hworgingen, hat er nicht minber auch ber tieferen Entfaltung ber Sonfunfi,
unb jumahl be§ geiftlichen ßiebergefangeS genügt. Ser rbothmifebe SBechfel in ber SOielobie be§ 33olfS=
liebeö, bem anmutbigen ©rjeugniffe unbemußten .RunjitriebcS , fonnte in feiner »ollen Äraft unb eigem
thümlichen SBebeutung fünftlerifch erft jur2(nfchauung gelangen, menn bae> ©treben fich f)eroortf>at, bemußt,
abfichtlid) , eine gleichartige ©rfcheinung in ben SJlaaßen ber "tflten burch bie Sonfunft jur 2tnfcbauung ju
') (Jani satis terris Divis atque dirae etc.
|--|--
3 2 2 3 2
3 2 3 3 2
' 3 2 2 3 2
2 2
") (Solvitur acris hvems etc.)
__| |__| _ „| |
2 2 2 2 3 3 2
3 2 3 3 2
"*) (Laudabunt alii claram RhodoD etc.)
5 5
__l | __|| |
2 2 2 2 2 2
2 2
2 2 2 2
(Sin SScifpiel oon ©enflö 33ef)anMung ber Jporajifdjen SWaafje jtetje 9lrc. 11.
174
bringen : wenn 3citgenoffcn — freilich jundcfyfi nur bie gebildeten greunbe be§ 2tttertf)umeS — eine an=
febauliche Sarficllung tiefet ^rt, fei c3 immerhin auf einfeitige SBeife, bod) al3 ein 33ebürfnifj empfan-
ben. ^Begegneten fid) bod) b/ier bie ©ebilbeten unb ba§ 83olf, war es> aud) »on *>erfd)iebenen 2Begen aus> !
fruchtbarer würbe biefeS ^Begegnen aber babureb) noch, baf? bie SarfieUung antifer 9ff)»thmen, wie jene ftc
oerlangten, burdjauS nur bei übüig einfachem Sonfalje ju erreichen war, beffen ganje Äraft allein in ber
gewählten Sonart, ber baburd) geregelten ,!parmonieenfolge , — nid)t ju gebenfen ber fmn = unb fprad)=
gemäßen Betonung, — befielen fonnte. Sie 2Btd)tigfeit biefer, burd) bie gepellte Aufgabe gebotenen
S5efd)ränfungen werben wir mehr noch ernennen, wenn wir nun noch betrachten, in welchem ©tnne, ber
bisher befproebenen 2inftcbt gegenüber, welche bie Sonfunjt aB @d)mu<f ber $)oefie unb ibrer gor=
men liebte, man ben iwllftimmigen Sonfa^ begehrt unb an ihm fid) erfreut b,abe al§ ©ebmuef ber
SCRelobic.
2öir wenben uns ju biefer ^Betrachtung, inbemmir nur noch bemerfen, baf? jeneS ©treben nach ton*
fünfilerifd)cr Sarftellung antifer Sfhpthmen burd) baS ganje 2al)rf)unbert hervortritt, fein Crinflufj alfo ein
fortgehenber war, unb ba{j£ritoniu3 wic@cnfl baburd} feincSwegeS al§ burd} eine weinjelte@onberbarfeit
ausgezeichnet ftnb. 9cur wer 3af)re fpäter, um 1539, tritt SSenebict £)uciS , ben wir unter ben Sonfe|ern
geiftlicber SBeifen nod) näher werben fennen lernen, mit ähnlichen 33erfud)en auf, ber ftubirenben Sugenb
in Ulm ju gefallen, ©larean, im 39fien ßapitcl beS jweiten JBud)eS feinet Dodecachordon (De iuveniendis
tenoribus ad phonascos admonitio) bejeugt fid) unjufrieben mit ben SSerfuchen Criniger, bie um feine Seit
(1547) £orajifd)e £>ben in SUlufif gefegt: er »erlangt ©infiimmigf eit, felbjt bei bem ©efange SDßehrer
— woburd) er @enfl fid) cntgegenjMIt, — unb genaue ^Beobachtung beS 9)ZaafieS, — worin er ihm
übercinftimmt ; man habe, erjäf)lt er, feine ^Betonungen £orajifcher SDlaafje, ohne feine 3uftimmung,
mit Unterbrüchmg feines Samens befannt gemacht; nicht fowofjl biefeS beflage er, als baf? man feine
SJcetobieen auch anberen ©ebtd)ten angesagt, waS bei t>erfd)iebenen SEJiaafjen eine 2äd)erlid)feit fei, bei
gleichen aber bann nur gefchel)en bürfe, wenn ber ©inn ber SBorte cS üergbnne. 25 od) laffe er eS ju, nach
bem SSorgange ber älteren ßl)riftlid)en dichter, ben Jg>oro§tfd)en SJiaafjen auch geiftlichc £>id)tungcn anju=
paffen. T>a$ £ritoniuS bei feinen ^Betonungen eine Überfielt gegeben, wie ein fold)eS 2(npaffcn gefchchen
fbnne; ba{? ©enfl bann mehre alte chrijiliche ^>pmnen in alten Sttaaßen befonberS betont habe, fahen wir
juoor.
©cgen baS Snbc beS 3ahrf)unbert§, noch bis hinein in bie erjten Sah" folgenben, ficbjcl)nten,
gehört ba§ rbptfjmtfd) - tnetrtfdje Abfingen geifllicher lateinifcher Sieber ju ben ©chulübungen. Um 1584
leitete Nathan @h»träu§ bie lateinifche Umfchreibung ber $)falmen in antifen SERaaf3en »on ©eorg S3ud)anan,
bie ber ßantor ©tatiuö £)lthot>iu§ üierftimmig in biefem ©inne gefegt h«tte, burch eine SSorrebe ein; er
hatte ben £onfe£er oeranla^t, aud) bie übrigen, weber üon ^)oraj noch S5ud)anan gebrauchten SSKaafje ju
betonen, um feine Schüler in beren ©efange ^u üben. Sol)«nn (Sccarb fe^te um 1596 jwanjig lateinifche
SDben feines SanbSmanncS ßubwig J^elmbolb über »erfchiebene 2Berfe beS ©d)b»ferg, nach ber ©canfton
ber SBerfe (pro scansionc versuum); wie, unb mit welchem Erfolge er, trofj ben burch ein folcheS Unter=
nehmen ihm aufgelegten SBefchränfungen, aud) ben 2tnforberungen höherer Sonfe^Funft ju genügen gefud)t,
werben wir fpäter ju befprechen haben. 5Bartl)olomäug ©cfiu§ üerbanb bie Übung in mufifalifcher ©canfion
mit ber im ©efange ber oerfd)iebcnen r'ird)lid)en Sonarten, inbem er um 1609, unter bem Sitel: „Melo-
diae scholasticac" geißliche ^>pmnen in allen fird)lid)en J^aupt ; unb 9cebentonarten, im urfprüngtichen
unb verfemten Umfange, unb in mantiidifad)en Waagen herausgab, an benen bie Sd)üler in bcn 3wifcben=
ftunben bcs? Unterricht» ftch üben unb erfreuen follten.
2utf einem ganj anberen Stanbvunftc ftnben »tr Diejenigen, bie ben Sonfafj, von bem Sd)mucfe
b i cb t er if eher gormcn ganj abfebenb, ab? roftlid)e ßicrbe ber SJielobie, ber Sd)bufung bes? Sänger^
betrachteten, bie ein rein tonfunftlerifcbeS ©efallen baran fanbcn. ©cifircid)cr, lebcnbiger, brücft ficb sJtie=
manb barüber aus?, al3 gutber; unb bap in biefem Sinne vorzüglich Scnfls? SBcrfe ibm rocrtb waren,
giebt uns? bafür ©ewäf)r, bap biefer 9JJeifter, in ber einen wie anbern 9iid)tung von bcn SScften unter feinen
3eitgcnoffcn hochgeehrt, alä jtünftler auf ber £6be feiner Seit gefianben habe.
2uther, in feiner ßobrebe auf bie 9)cuftf, bie er um 1538 ju Wittenberg fd)ricb, preif't biefe Äunft
al? von Anfang ber 2ßelt jeglidier dreatur gegeben. Sie unft'd)tbare, anfdieinenb unlautbare ßuft, gebe
einen Älang von ft'cb, wenn ft'e bewegt werbe, ba3 juvor nicht ©ebbrte noch S3cgreiflid)e roerbe bann beides,
ber ©eift jeige grope vounbcrbarliche ©ebeimniffe baburd) an ! 9Jiit welcher f)crrlid)cn SJluftca t)abe ber alh
mächtige £err im Gimmel feinen Sangmeifter begnabet, bie liebe 9tad)tigaU, unb fo viel taufenbmahl
SSbgel in ber Suft ! SBas? aber folle man fagen von bes? 9Dicnfd)cn Stimme, gegen bie jeber anbere Älang
unb Saut gar niebt gered)net werben fönne; was? von ber .Kraft, von ber SBürbe bes? ©cfangee>! Sei bod)
nacb bem heiligen SBorte ©ottes? nichts fo bod) ju ritbmen unb ju loben als? bie 5CRuftca, ft'e bie mächtige,
gewaltige JHcgiererin mcnfd)licbcr ^jerjen. Die traurigen mad)e ft'e frbhlid), bie SSerjagten herjfjaft, bie
Jpoffärtigcn reije ft'e jur Dermal) , ft'e bämvfe bie billige 33egier, ben 9leib, ben £ap" ; wie benn , nad) bem
3eugntffe bes? göttlichen SBorteS, ber heilige ©eift fclber biefe eble Äunft lobe unb el)re, ale> feines? eigenen
'tfmtes? SBertjeug. Darum hatten bie ^eiligen SSater unb bie Propheten nidit vergebens? bas? SBort ©ottes
in mancherlei ©efange unb Saitenfuiel brad)t, bamtt bei ber £ird)cn bie SKufica alljeit bleiben folle.
SSÖeld) ein herrlicher unb mannid)faltiger Sd)6»fer fei nun auch ©Ott, welch' einen Sfeicbtbum verfd)iebener
Stimmen habe er bcn 9JZenfcben sugctbeilt! 2Bo aber, — fahrt er fort, unb wir führen nun feine eigenen
Söorte an — SBo aber bie natürliche -Scufica burd) bie Äunft gefebärft unb volirt wirb, ba flehet unb er=
fennt man erft jum Sbcil — benn ganjlid) fanne? nicht begriffen nod) verftanben werben — mit großer
SBerwunberung bie große unb voUfommne 2Bei3f)eit ©ottes? in feinem wunberbarlicben Söerfe ber ÜKuftca,
in welcher vor '2fUem bas? feltfam unb ju verwunbern ift, baß einer eine fd)led)te SBeife ober Senor (wie es?
bie SOluftci beißen) herfinget, neben weld)er brei, vier, ober fünf anbere Stimmen aud) gelungen werben,
bie um fold)e fd)lechie, einfältige SSBeife ober Senor gletd) als? mit Saucbjen rings? herum her fpielen unb
fpringen, unb mit mand)erlei 2Crt unb Älang biefelbige SBeife wunberbarlid) jieren unb fd)mücfen, unb
gleid) roie einen himmlifd)en £anferenen fübren, freunblid) einanber begegnen, unb ft'cb gletd) bergen unb
lieblichen umbfangen, alfo baß biejenigen, fo fold)es? ein wenig verfteben, unb baburd) bewegt werben,
ftch beß heftig verwunbern müffen, unb mennen, baß nichts? feltfamereS in ber 2Belt fep, benn ein folcher
©efang, mit viel Stimmen gefcbmücft. 2Ber aber baju feine Suft unb ßiebe t)<xt, unb bureb foleb lieblich
SBunberwerf nicht bewegt wirb, ba? muß warlid) ein grober Älo^ fepn, ber nicht wertl) ijt, bap er folche
liebliche SJiuftca , fonbern bas? wüfte, wilbe 6felgefd)rei beS ßboral?, ober ber £unbe ober Saue ©efang
unb SXufica höre.
©anj in ähnlichem Sinne rebet bas? Scheiben, bas? Üutber von Coburg am 4ten SDftober 1530
an Senfl erließ. iRachbem er mit ben freunbltcbfiten , herjltcbften SSSorten ihn als? einen in ber SEonfunft
hochbegabten gerühmt, feine innige Siebe $u biefer jtunft mit aufwallenber, überfließenber Neigung — wie
176
et fett« e$ nennt — an ben Sag gelegt, unb ihr nachgerühmt ^at, rote fte ifjn jum öfteren erquieft, unD
von großer Sefcbmerbe enthoben habe, fahrt er fort: ,,3d) f el>ve ju bir jurücf, unb bitte biet), wenn bu
einen Sonfa^ jeneS ©efangeS bafi: in pace in idipsum, IV. 83. 9: ich Itege unb fcblafe ganj mit
^rieben, benn allein bu, Sr>m, bilfjt mir, baf$ ich ftci?er »ohne), bafj bu ihn mir abfebretben laffen unb ju-
fenben mbgeft. Sene SBeife (tenor) hat mich meinen jungen Sohren fchon ergoßt, unb tbut e§ jefjt nod)
Diel mehr, ba ich <*"d) bie SBorte verjtel)c. 93ltt mehren ©timmen habe ich biefe 2Cnttpl;onte noch nicht
gefehen. Sod) will ich bich nicht mit ber 9Jtül)e befchweren, fte erjt ju fcfcen, fonbern bente mir, bu tjabeff
fte von früher her bereits fo gefegt. 3d) hoffe *n SBabrbeit, baß meinet £ebens> (Snbe nahe ift, unb bie
3Belt hofft mid), unb mag mich nid)1 ertragen, wie benn aud) ich ber 2Belt von £erjen fatt unb mübe bin.
Sa möge ber gute unb treue £irte meine ©eele nur hinnehmen. Dorum höbe id) fd)on angefangen, biefe
'.tfntipbonie für mid) ju fummen, unb mbd)te fte gern orbentlid) ausgefegt hören. ^>a(t, ober fennft bu fte
nid)t, fo fd)icfe ich fte bir hieneben mit ihren Acoren, unb fannft bu fte aud), wenn bu willft, noch meinem
Sobe feigen."
£ier begegnet un3 nicht ber gefd)madvolle JCunjlfreunb , ber bei ber Sonnmjr nach ben SDlü&en
be£ S£age§ Erholung fud)t, ber ben Sichter bureb fte febmüden will, bafj er il)m frifcher unb reijenber ent=
gegentrete. 2Bir fel)en ben begeifterten SSerebrer ber Äunft, ber fte ob3 eine hohe, geheimnisvolle ©abe
©otteä erfennt, burd) bie ber heilige ©eift ba3 SBunberbarjte wirfe, an ber er ft'd) troffen unb heiligen will
jum ßeben unb im SEobe. 2Ba§ ihn fd)on in fchlichter einfältiger ©eftalt in ben Sönen ergoßt unb erbaut
hatte, bie alte, funftlofe, gciftlicbe SBeife, follte wie mit einem fbftlichen (Shrenfleibe angetban, in voller
^crrlicbfeit vor ihm baberwanbeln, in verflarenbem ©dbmude; ober, mit feinen eigenen SBorten ju reben,
in bem liebevollen, geheimnisreichen Spiele begleitenber, mit il)r verfcbmeljenber ©timmen follte bie fd)on
für ftd) fbftticbe, fromme SBeife ihre volle 33ebeutung offenbaren, eine höhere Sßeibe empfangen.
Unb er würbe wirf lieh getröftet, nicht im SEobe, wie eine taufebenbe 2tf)rmrig ihn glauben
gemacht, fonbern jum geben. @r, ber nicht lange juvor ba3 ßieb ,,Gnn' feftc SSurg ift unfer ©Ott"
gebid)tet unb gefungen, fonnte wol)l verbüftert werben, nicht aber verjagen, tfueb erfreute ihn ©enfl
nach feinem SScrlangen, wie SUiatthefiuS in ber neunten «Prebigt über fein Sehen unb SBirfen un§ berichtet.
,,9Kein gut' greunb ©enflt (fo fchreibt jener), ber mir burd) ben Pfarrer ju SBrucf viel lieblicher ^Pfalm ju=
gefd)icfet, willfahrt mit gxeuben S. ßuthern, unb fd)tcft ihm bie febbne SKutetten, ba§ Non moriar, unb
5Rcfpon§ in pace in idipsum." 33on bem erften biefer beiben ©efänge betf?t es> eben bort juvor : ,,benn
weil jm ber ©atan unb bie meifte SBelt nach leben unb feel trachten, ergreift er mit lebenbiger juver=
ficht ben febönen 83ers> : Non moriar, sed vivam et nairabo opera Domini (5d) werbe nicht fterben,
fonbern leben, unb beS £errn SBerf oerfünbigen , $f. 118. 83. 17) unb ift bei ftd? in frafft be§ ©eiftö
au6 ©ott§ roort auff§ aller gewtSfie, bie 9ted)te bes> Sr>mn werbe ju 'tfugSburg unb allenthalben ben fieg
wiber alle Pforten ber £blle gewißlid) erhalten, unb ob er, unb feine ÜKitbrüber wohl hart gcjücbtigt fenn,
bennod) werben fte in <5f)rifto bleiben, unb forthin bee> $errn SBort im (Svangelio vertunbigen, bap er Sobt
unb ©ünbe weggenommen, ©ered)tigfeit unb Sehen burd) fein S3lut wiberbrad)t, unb au§ lauter ©naben,
im SBort biefelbigcn ©d)ä^e unö anbiete unb burd) wahren ©tauben tc. jueigne. Siefen wunberfchönen
23erö hat er mit feiner eigenen £anb jm an alle 2Benbe fürgefchrieben , unb neben ber Antiphon : „in pace
in idipsum" oftmals gefungen."
177
Allein gutberS J?errtid>e , tieffinnige SBorte über t>en 2Bertb unb bie Bebeutung beö melftimmigen
SEonfafceö, au§ bcnen bie ebelfte Siebe ber Äunft bell hervorleuchtet , fonnen wir in ber %r>at nur a(§
weiffagenbe anfeilen; al$ eine Verfunbigung beffcn, ma§ bie Sonfunft ein t>albeö Saljrtjuubert beinahe
nach feinem 'Mfcbjcbe au6 bicfem geben erft voirfltd) erreid^en follte. <Sd)on ju feiner 3eit freilich, ftnnb fie
auf einer bcbeutcnbcn £bbe in fitmrcicber ©timmenvcrflccbtung, allein bie SCRelobie, weld^e baburcb verflärt,
barmonifd) entfaltet werben follte, würbe burch bie große gülle ber mit ihr verflodjtenen, über unb unter
ihr in £öbe unb Sicfe fieb bewegenben Stimmen für ben £örer jumeift nur verbunfelt. Sie Äunft beö
Sonfafeeä beburfte einer Anregung, bie jener akrfdjmenbung ber Äunftmittel eine ©renje jiebenb, eine
licilfamc SDiäßigung gebietenb, bod) nid)t bloße Verleugnung forbere, nid)t eine fyemmenbe ©ebranfe ent=
gegenfteüe, fonbern baö (Streben beö ÄünftlerS auf eine £3abn leite, auf ber, anberer Littel für eine
oerfebiebene 'Hxt ber Sbätigfeit bebürfenb, er ju biefer 9)iäßigung, jener Verleugnung , febon ohnehin ftch
gebrungen finbe. £iefe§ aber war nun ber Sali bei ber Betonung antifer SQJaaße, bie wir juoor befpracben,
in ber auch, <Senfl mit fo vielem Beifalle feiner 3eitgenoffen fieb bcnwrtfyat. Sollte bie volle Straft beS
?T?bptbmu$> jur 2lnfd)attung gebrad?t werben, fo würben ganj einfache, in allen Stimmen gleichmäßig ben
©»Iben bes betonten ©ebid)t§ ftch anfcbließenbe, burch. bie Eigentümlichkeit ber gewählten Sonart
geregelte Jparmonieenfolgen erbeifcfyt. Entfalteten aber biefe 50cittel eine Singweife, bie, ohne auf felbftän*
bigen melobifd)eri ©ehalt '^nfpruch, ju machen, nur bem ©cbicfyte nadjgefyenb, bie äußeren Umriffe feiner
©eftalt nacbjujeid)nen geftrebt hatte; in wie »icl höherem ©rabe waren fte fähig bie tiefere Bcbeutung einer
^Rclobie ju enthüllen, bie, bem ©ebidjte gegenüber entftanben, alS feine Deutung auf bem ©ebiete einer
oermanbten Äunft, al3 fein ©egenbilb, baß wir e§ fo auöbrücfen, burch. bie Littel eben biefer Äunft einer
Entfaltung fäl)ig war, beren ganjen Sccicb, thum fte fdwn wie in ücrbütlenbem Äeime in fid) febloß? 2)ie
jtunft ber finnreichen Stimmoerwebung follte baburd) feineSwegeS ju ©runbe gehen, fte follte an biefer
einfacheren Entfaltung ber barmonifd)en , ber rlwthmifd)en Bebeutung jebeö einjelnen ©liebeS ber (Sing=
weife erft recht in ftch jum Bewußtfenn gelangen , um ihr bebeutunggooll - funjheicfyeS ©ewebe auf biefer
fieberen ©runblage ju rechter Vollenbung bringen ju fonnen. £>as? ab,nete £uti)er, ba3 fptad) er, weif«
fagenb au§, in feiner feurigen Sobrebe auf bie Sonfunft, unb jumabjl ben uielftimmigen Sonfafc; im ©eifie
baöjcnige fchauenb, waS erft bie golgejeit jur 2ßirflid)feit bringen follte. Er empfanb es, wenn er felber
bie ihm wertlje Singweife, in ihrem „fcblecbten einfältigen Senore" ju bem lebenbiger ftch bewegenben
©efange feiner ©enoffen ertönen ließ; e3 entjücfte ilm, wenn bie Stimmen feiner Änäbletn um bie feine
berumfpieltcn in btmmlifd)cm &anjreil)en , in berjlicbem, lieblichem Umfahen ; an ber ihm fo wertben
Äunft erfuhr er eine Einigfeit, einen grieben im ©eift, ben leiber feine 3eit unb ihre <Sd)warmgeificr,
beren Verfehrtheit i()n betrübte unb erjürnte, ihm feiten im geben entgegenbringen fonnte.
3n jenen betben, einanber fo ftreng entgegenftehenben, aber fid) aud) fo wefentlid) ergänjenben
?Richtungcn wirb Senfl vor "Küm gepriefen ; in ber einen »on Simon 5Rineroiuö, in ber anbern t>on Suther.
2Ba§ war eä boch, baä eben ib n biefem legten »or feinen anbern 3ettgenoffen unter ben Sonfünftlern fo
»orjüglid) wertl) machte? 2Bir wollen t>erfud)en, eä näljer ju entwicfeln.
ES fönnen, unferem 3wecfe jufolge, un3 hier nur biejenigen 2Berfe SenfB befchäftigen, beren
©runblage eine Äinjbenweifc bilbet, ober bod) eine geiftliche SKelobie, wenn ihr 2teb auch nicht eigentlich
ju firdjlicbem ©ebrauche bejtimmt war. 2ßann er feine oierftimmige (in bem testen (Sa£e fünfjtimmige)
SSebanblung beä alten £trd)enliebe3 oon ben fieben SBorten be3 ^)errn am Äreujc :
n. SBinterfetc, ttt etanatt. C^oratgcfang. 23
— 178
25a SefuS oft bem Äreuje hing tc.
vollenbete, bavon giebt tm§ bereu für bte ßavelle ber ffiaiern^erjoge ju 5Dtttnd)en angefertigte, auf ber bor-
tigen Sr>o\-- unb ©taat$&ibßotf)ef in einem 33anbe vermifd)ter Sonfäfce (9cro. 10) bewahrte 2(bfd)rift feine
Änbeutung. ^ebeS ber neun ©efä|e be§ SiebeS ift befonb.crS comvonirt ; ber 3?egel nad) fütjrt ber Senor
bic £auprftimme als feften ©cfang, er tbeilt ftd) aud) wol)l in fte mit ber£)ber= ober ©runbftimme,
unb fuhrt fte mit einer anbern in wed)felnben äkrbältniffcn canonifcb, burd); nur einmabl, bod) ntd)t ebne
@infd)altungen, erfebeint bie SOtelobie vollftänbig in ber £)berfh'mmc. 25reimabl fdbliefjt ber Sonfafc in ber
©runbftimme mit A, bcr£)bcrquartebcS ©runbtoneS, fech§mal)lin biefemfelber, aUejeit in halben £onfd)lüffen.
25a3 ©an$e erfebeint aB eine funftvoUc, ber glcid)cn, fo oft wieberl)otten ©runblage ungeachtet, bod) man*
nid)faltige, fird)lid) crnjte @om»ofttion, jugänglid) jebod) nur für ben Äunbigen, ber in tf>ren Sau
einzubringen, unb beffen ftnnrcid)c, bem .Öb,re meift nid)t unmittelbar vernehmliche 3ufammenfügung ju
mürbigen meifj. 3m 25rutfe, fo viel id) ftnben fonntc, begegnen mir ©enfl aB ©efjer geifrlicber SBeifen
juerft um 1534, in bemfelben 3ab,re, roo ©imon SERinerviiB bie von ihm betonten borajtfchen SEftaafjc
herauSgab 5 bod) bat er ot)nfel)lbar fdbon vor biefem 3al)re mand)cS S3ebeutenbe öffentlich gemacht, weil
Luther bereit» vier %i\)xe früher von ihm, aB einem vollenbeten SKeifter reben fonnte, ober fvater erft
©ebrudtcä mar fd)on juvor burd) 2lbfd)riften verbreitet. 3n bem genannten 3al)re erfchien ju Dürnberg
bei JpieronvtmB gormfehneiber eine gemifd)te Sammlung von 121 geiftlichen unb weltlichen Siebern. 25er
erften maren nur jwölf, unter ihnen neun von 'tfrnolb von S3rucf unb brei von ©enfl, neben 79 weltlichen,
welche biefe Sammlung von il)m enthalt. Reichhaltiger an ©efängen von ihm ift bie jehn %ai)xe fväter
(1544) von ©. 9fbau herausgegebene Sammlung ber 123 Sieber für bie gemeinen ©dmlen: fte bietet un$
elf Sonfä^e geiftlid)er Sieber von ©enfl. Unter ben 39 fetner Sonfäfee, welche bie gorfterfd)e @amm=
lung beutfeher Sieblein*) enthält, fönnte uns t>iev nur ber auf bie 2Beife beS Siebes" befchäftigen : 9Kag ich
Unglüd nit wiberftahn, wenn auch biefe bort nicht mit bem geiftlichen Siebe jenes Anfanges vorfommt,
fonbern einem gleich anhebenben, weltlichen. (Sin ad)tftimmigc3 SRotett ©enfB au3 bem erften S£r)eile be$
1Ö64 bei 3of)ann *>on S5erg unb Ulrich 9Zeuber ju Dürnberg crfd)icnenen Thesaurus musicus werben wir
enblid) nicht vorübergehen bürfen, fowobj wegen feines ftnnreidben, fünftlidjen 33aue3, aB weil eS auf
einen lateinifcben ©efang gearbeitet ift, beffen SEftelobie bie evangelifche jtirdbe unter ihre Choräle auf*
genommen hat.
@o wenig biefer Sonfäfje auch feun mögen, fo mannichfachen UrfvrungS ftnb bod) bie SOZetobteen,
welche in ihnen behanbelt werben, ©ingweifen alter beutfeher unb lateinifcber geiftlicber Sieber ; weltlichen
Siebern urfprünglid) eignenbe, ober ju geiftlichen Siebern gehörenbe, welche in ber früheren 3eit ber
Äird)enverbefferung entjknben. 9Bir wenben un§ junadbji ju biefen legten. 6§ ftnb ihrer jwei, ju
ben Siebern: „jD ^>erre ©Ott begnabe mid)/'") unb „83ergeben§ ift all' 9Küh' unb
•) 2f)eit I. 8 v
V. 11 fünfftimmig ; etnö ju fteben (Stimmen.
") 9lto. 95 ber öefdnge für bie gemeinen ©djuten. (SScifpiel 9cro. 7.)
2ßenn in bem golgenben bie 2fnfid)t aufgeftcltt wirb , ©enft fönne ©änger ber Sftelobie biefe« ^fatm--
liebeS fenn, fo (apt fid) bagegen einroenben , t$ fei oiet glaubtidjer , baf ber Dichter be« CiebeS, iDtattbau«
179
£oft"\) übet ben 51jten unb I27jien9>falm, beren noch jcljt gebräuchliche 93ielobteen ich jum erjlen 9CRat>lc
1544 in ben Siebern für bie gemeinen Schulen in mebrflimmtgcm Sonfafec finbe. Sie Söeife bc3 erflen,
auf ben 51(ren *Pfalm gebiebteten, ijt pbnjgtfcber Tonart, bereit Umfang in ber SEiefe um eine große SEerj
überschritten wirb, ©enfl bat in feinem SEonfalje bet £}berjtimme bie SEelobie jugetbeilt, in welcher fie,
roabrenb bie tieferen auS beren einjelnen Seilen bie ©runbroeifen ihrer, mit frei erfunbenen SBenbungen
uermobenen ©ange febbpfen, nach längeren unb furjeren äwifebenräumen erfebeint ; fd)mucflo§, ohne alle
frembe Crinfcbaltung, ftet»1 mit ^taebbruef. ©o ftnb auch ihre 2CuSme$ungen mannid)faltig aufgefaßt, ©te
berührt bei benfelben außer ihrer großen Unterterj (f leinen £berfed)§te), ihrer Dberquarte, unb bem©runbtone,
auch jroeimahl (am ©ebluffe ber erfreu unb neunten 3eile) ihte Dberqutnte : eine ungewöhnliche SBenbung
bei pbtngifcben SJtelobieen, bie aber im 3ufammenbange beS ©anjen nicht al§ eine 'tfuSroeicbung in bie
Dominante gelten fann, bie ba§ $Pbrvgifcbe nicht fennt, fonbetn al§ eine, nur unterbrochene unb auf=
gehaltene in bie £berquarte, ba§ 'tfolifebe, rote e§ tbeiro ber Anfangs =, theilö ber ©cblußton beS näcbjten
melobifcben 2lbfa|e§ (unb 2iebt>erfe§) beutlid) jeigen. ©enfl legt nun ba§ etfte 93cabt jener Dberquinte be§
phrpgifchen ©runbtoneS (h) ihte große Unterterj (g), ba3 jwetre9M)l ben ©runbton felbjt unter unb beutet
auf biefe %xt baS erfie SDcahl bie mirotybifebe SEonartan, rooju ihm fonft biefe SKelobie feine ©elegenbeit
gemährt, ba§ anbere 9ERabl giebt er ber SBenbung nach ber £)berquinte (hier burd) einen halben £on ab=
faüenb, rote bort burd} einen ganjen auffteigenb) bie SBebeutung eines pbWKb™ SEonfd)luffe3. Sn ben
beiben 'Mbfäfeen, bie bem vorlebten oorangehen, roenbet ftch bie SJielobie, bas? erfte SJiabl fchrittroeife auf=
jteigenb, ba§ jroeite Sftabl butcb eine große SEerj abfallenb, nach C. £>aS erjte SDiabl etfeheint biefe 9JJo=
oulation in ©cnfB SEonfalje auf ba§ 9c\tcbbrüctlicbftc als eine ionifche, ba3 jmeite SDiabl tft tyt bie bejeicb=
nenbe fleine Ebetfecunbe be3 ^Pb^gifcben alS ©runbflang untergelegt. @o aud), roo bie ©ingweife in
ihren ©cblußfällen ben pbrtjgifchen ©runbton berührt, ijt ihre 2ui3rt>eid)ung einmahl ionifch gefaxt, bann
0t ei t er , fie erfunben tjaben werbe, ba biefer aud) unter ben SEonftfeern ber etilen Jpätfre beS 3af)rt)unbcrt« oorfomme.
Siefe ©inroenbung, fo ert)cblid) fie erfebeint, oerfdjwinbet bennod) bei näherer Prüfung. 3unä'd)ft barf nid)t oergeffen
werben, bafj bie ©abe beä ©e^crö in jener 3eit bie bcS ©ängerg nidjt notljwenbig oorou6fc|t, ba beibc bamatS fogar
in ben meiften ga'llcn getrennte waren. Sine Bereinigung beiber in ©reitet würben wir nur bann annehmen bürfen,
wenn wir bie SHelobie beS oon ifjm gebid)teten CicbcS aud) oon it)m gefegt fä'nbcn. 25ie6 ift jebod) nidjt ber galt, ja,
in feiner (Sammlung metjrftimmiger geiftlid)er Sieber au« ber erften Hälfte beö löten 3at)rf)unbcrtfi tommt ein SEon|'a|
oon ii>m cor. Die SRelobiecn ber ad)t ^falmlicber bie er bt'djtcte (über ben 12ten, ölften, 114ten, listen, llßten,
»roci tfbfdjnitte beä HOten ^falmS unb über ben mften) tiaben batjer rcabrfd)einlid) einen 2fnbcrn jum Urtjcber. 2tudj
fdjeint, fo Diel id) gefunben , ber <Sa£ befannter 58otE6»cifen it)n oorjugeweife bcfd)ä'ftigt ?u Ijaben. gorfter giebt in
feinem 2ten Steile brei ©ä^e biefer 2£rt, 9lro. 17. 24. 50; bie oon ©djöffer unb 2tpiariug b,erauggcgcbcnen 65 Sieber
beren fünf, 9Jro. 11. 20. 50. 62 (mit 56 bei gorftcr glcid)) unb 64, beren SJBeifen id) nirgenb für gcifttidje Sieber an=
geroenbet gefunben fyabe. 2tud) fanb ©reitet oorjüglid) ein SSergnügcn an finnveidjen 3ufammenfe|ungen. ©o über;
teiebte er bem erften Jperjogc oon ^reufjen, 2Hbrcd;t oon SSranbenburg , einen oitrftimmigen ©a^ über bafi ©iftidjon :
Passibus .imbiguis Fortuna vnlubilis errat
Et manet in niillo cerla tenaxque loco,
in locldiem brei ©timmen, fugweife cinanber nadjattmenb, ben fdjroanfenben Sritt, bie SJuljcloftgfeit, burd) angemeffene
melobifd)c SBenbungen auebrücten, rcätircnb bie oierte, ber SEtnor, eine furje, auf oetfd)iebcnen Sonftufen, nad) ab=
toecbfelnbcn 3»ifd)enra'umen, fid) voiebcrtyolenbe gjfjtafc bagegen außfül)rt, unter Angabe bc6 SanonS: Omnia facit for-
tuna iu omnibus. — 9lebmcn wir 2tUcä bicfcl sufammen, fo bürfen mir einen oberbeutfdjcn SEonfc^cr, ber aud) bie
©ängergabe befaü, reie©cnfl, et)er für ben Urf)tber ber SKiIobie unfcrcS in Dbcrbcutfdjlanb (©trafjburg) gcbidjteten
Siebe« tjatten, alt beffen 35id)tcr , bem jene ©abe mangelte, wenn er aud) Sonfcfcet mar.
') 9Kro. 106 ber ©cfä'nge für bie gemeinen ©djulen.
23'
180
jwar auch auf gleiche ÜBeife, bod), bei bem §ortl)aü"en beö Sd)luf5tonS ber SKelobie, »bn)gifcb, äottfd);
tarn wieber beftimmt dolifd), julefct in halbem £onfd)luffe burd) tiefe Sonart in baS $)bvwgifche gewenbet.
(?in beutlid) auSgefprot&eneS Streben geigt biefe ganje ä5el)anblimg3art, ber Stimmenverflechtung
uigleidi barmonifd)c ffiebeutung ju geben, bie £berffimme ntd)t allein al3 ba§, burd} il)re Stellung nur
«Öervortönenbe erfreuten ju laffen, fonbern aud) al§ ba§ wefentlid) £errfd)cnbe unb 33efiimmenbe, burd}
ibre ©runbtonart basi ©cvräge bc§ ©anjen wefentlid) SSebingenbe. Die 33cbanblung be§ jweiten unferer
|>falmltebet bat beffen ÜJtclobie jmar, wie um jene Seit gewöhnlich, gcfchal), il}re ©teile im Senor an=
gemiefen ; fie bebt jcood) biefclbe burd} if}rcn einfielt, ftrengen 5ortfd)ritt hervor gegen ben bewegteren ©ang
Der übrigen Stimmen, bie aud} meifi mit frei erfunbenen SBenbungen fid} ifjv anfcfylicfjcn, unb fie baburd}
weniger verbunfein. Sie 9JMobie beö £iebc§ : „£) $erre ©Ott begnabe mich," erfd}eint bereits in 2Bolf
Äo»l)B fiieberbudje von 1525, bie be§ anberen jum erften SQlafjle in ben 123 giebern: jener hat aber Senfl
befonbere 2tufmerffamfeit jugewenbet, unb feinen Sä(3en über beibe freien in ber lc(jtgebad}ten Sammlung
feine anberen jut Seite, wie bod} fonft bei vielen gciftlid)en Singweifen bort gefebiebt. Sollten fie vielleicht
aud} Senfl al§ Sänger jum Urheber haben? @§ lajjt allerbingS auf biefe Umftänbc nur eine entfernte
ä>ermutl}ung fid} grünben, für bie etwa nur nod} ber bebeutenbe Sonumfang beiber SSJMobieen angeführt
werben fbnnre, ber etjer auf einen .Äunftmeifter fd}liefjen täfjt, ber für jtunjtgeübte aud} einen größeren
3?eid)tbum von SOZitteln in 'tfnfvrud) nimmt, als auf einen fd}lid}ten, frommen Sanger au3 bem Siolfe.
D od} fei jene a>crmutl}ung , wenn aud} nur als? fold}e, hier auögefvrocfyen, jumabl fte burd) eine anbere
Sbatfacbe nod} einige Unterftü^ung erhalt. Unter Senflö £onfä£en in unferer Sammlung beftnben fid)
aud) bereu jwei in ber verfemten tonifd)en Sonart (F mit vorgejeiermetem b). Der eine ein £od)5eit3=
lieb, ju vier tiefen Stimmen, in weld)em bte vertraute S5raut nur im 2fllgcmeinen als? „SEftein freunb*
(id}ö 35" bezeichnet wirb: ber jweite ein 2ieb jum greife be3 @l)eftanbee>, vielleicht von bem Sonfefjer
felbft:
Der eblid}' Stanb ift billid) g'nannt*)
ein Sacrament, folcr/S id) befennt
anfangt mein'r (5b; barauf id) fiel)
unb geb' ©Ott vreiö mit fjobem vleiS
von l)crfe unb gir, brumb baS er mir
nad) bfd)lofmem rat befd)affen bar
mein' bolbfelige Sacoba.
Die jierlid) gewenbete SJWobie biefeS Siebeö läfjt fid) in vier 2lbfd)iütte tbeilen, bie fid) ben
feilen ber vorftebenben Strophe anfd)licfjen. Der er fie berfelben wirb burd) bie beiben erften Seilen,
ber jweite burd) bie britte unb vierte gebilbet. Die SDMobie beginnt mit ber £)beroctave iljreS
©runbtoneö, unb wenn fie von bort au§, um eine £luarte tiefer, — alfo in ber £)berquinte beö
©runbtoneS — bie erfte Beile befcblieft unb auf biefem 2Bege in bie Dominante auSweidjt; fo wieberljolt
fie ju ber ^weiten, — bem Anfange ber erften verglichen, um eine £luinte, gegen beren Sd)lufj
gehalten, um einen Son tiefer, — biefelben SBenbungen, unb gewinnt fo ben ©runbton wieber. SSon
bort auä beginnt ju ber britten Seile, ber erften beS jwetten 'tfbfcbnitteö, eine neue, an bie beiben
') SBo'fpiel 9lro. 9.
181
retmenbcn Sßersbälften fid? anfcblicßenbe 2Benbung, bie mit bem Sd)litffe bcr 3eile bie Dominante wieber
erreidit: an tiefe fnüpft bie vierte Seile, unb wtcberbolt bie Sftelobie ber beiben Hälften bes voran«
gcbcnben brüten 93erfcö , an beffcn Sd)luffe ber ©efang alfo um eine £luinte geweigert erfdjeint. 2$on
ba ab, in bem britten tfbfdmitte , ber bie beiben nächjen Seilen, bie fünfte unb fecbfte umfaßt, unb
wo ber ©efang, fte tfyeilenb, wteberum an tf>re SDiittelrcime ftd) f'nüvft, gef)t er burd) vier abfteigenbe,
melobifd) ausetnanbergebreitete Srciflänge in ben ©runbton jurücf. @r ergreift ben Scblußton ber vor«
angcljenben vierten Seite (g), burd) jwei fjarte Sreiflänge fortfd)reitcnb, beren jroeiter um einen Son tiefer
beginnt als ber erfte, unb betont fo bie fünfte Bette ; burd) einen wcid)en unb einen garten bewegt er ftd)
in ber feebften fort, bei bem legten biefer Sreif länge um einen Son abfallenb gegen ben Änfangston bes
erften, ber feinerfeits gegen ben beä ihm vorangegangenen um eine fleine Serj abfällt. Der lefete
"Äbfdmitt ftellt jur ffebenten Seile eine angemeffene Schlußformel bar. 2lud) bie begleitenbcn Stimmen
ft'nb ftnnreid) bagegen georbnet. S5ei bem erften 2Ibfd)nitte (3- 1. 2.) fd)bvft jumetft bie Unterftimme
ibre nad)abmenben, begleitenben SSBenbungen aus ber im Senor liegenben 4?auvtmetobie, bie beiben
Sberftimmen ahmen fetbftänbige Motive bagegen nad). SSon bem jroeiten 2(bfd)nitt an übernimmt, voran«
fdjreitenb in gebrängteren Älängen, bie SDberfiimme bas bisherige ©cfd)äft ber ©runbftimme, ber 'Xlt unb
biefe leiste bagegen bas frühere ber beiben £)berfiimmen : von bem britten 2(bfd)nitt an ft'nb £}berftimme,
Senor unb ©runbfHmme burd) Nachahmungen verflochten, wäl)renb ber "Kit jwifd)en il)nen frei ftd)
binburd)beroegt. (Sin anmutl)ig melobifd)es 2Bcd)felfviel ber Stimmen, jwat ol)ne eigentliche barmonifd)e
S5ebeutfamfeit, allein burd) feine ßebenbigf'eit bod) ergb^lid). (Sines ganj ähnlichen Saucs ift bie 9JMo«
bie etne6 geiftlid)en Siebes aus ber »brngifeben Sonart, bie mir in ben Sicbcrn für bie gemeinen Schulen
in Senfls vierftimmigem Sonfal^e finben : ,,£) allmächtiger ©Ott, bid) lobt ber G()rifren Si ott."
( JBeifviel 8.) iDaS Sieb jwar erfd)eint bereits um jefm %it)xe früher in ber juvor angeführten Sormfd)nctberfd)en
Sammlung von 1534 (Nro. 10), jebod) mit einer anberen SUtelobie aus ber miroh)bifd)en Tonart, unb in
'tfrnolbs von 33ru<f Sonfa^e, ber fväter aud) roieber (1544) neben bem Senflfd)en eingeführt ift. Sie von
Senfl bchanbelte SQScife fommt aber in bcr golge nid)t roieber vor; $Prätorius (31. Sion. VIII. 116)
bringt nur bie eine von "K. v. S3rucf gefegte mitolvbifd)e, mit einigen 2lbweid)imgen. 9cun ijt aber bie
Ähnlichkeit bes ffiaues jener pf)rt)gifcf;en bei Senfl mit ber feines ßobliebes auf bie @be aud) bem oberfläd)«
lid)en S3licfe auffaUenb : fte läßt ftd) wie jene, in Äbfd)nitte tl)eilen, tjier in fünf, unb biefe jetgen gegen«
überfiel)enbe, einanber nachahmenbe Hälften, menn aud), nad) SEJiaaßgabe ber SEonart, unb ber burd) fte
geregelten SEBenbungen , bie S3erl)ältniffe abvveid)cnb ftnb, in benen jene Nachahmungen erfolgen. S3eibe
SDlelobieen halten mir bal)er mit Stecht für ßrfinbungen beffelben Sängers , unb faum mar es ein anberer
als Senfl felber, ber für fein ©belieb gewiß nicht eines gremben (Srft'nbung entlehnte, unb mie es fcheint
bie SSBenbungen ber begleitenben Stimmen jugleid) mit ber Singmeife erfann. $at es nun hienach hohe
5JBahrfd)einlichfeit, baß er auch SBeifen geiftlicher Siebet gefungen: warum bürften nicht jene beiben
juvor bettachteten von ihm berühren, ba fte, foweit unfere gorfd)ung reicht, von ihm juerjl gefegt ft'nb,
bas Sieb ber einen mit feinem SSonfafce jum etfien 9JJal)le etfeheint, unb feine Sä|e fd)on babutd) als
SSehanblungen neuer SBetfen fid) funb geben, baß feine anberen ihnen jur Seite jM)en? £)iefe Unter«
fuchung unb bie baraus hergeleitete S3ehauvtung, auf SSergleichungen unb Sd)lüffen mehr als auf 3eug«
niffen ruhenb, haben wir baher aud) lieber an biefe Stelle verwiefen, jumahl fte uns nötigte, fowobl
?CRelobiebilbung als Sonfa^ bei unferem SOieifter näher ju betrachten, als baß wir fte bei bem S3erid)te
182 - — -
über frie ©dnger frer ßboralroeifen in frer erften £älfte freS 16ten Sahrbunbertö angebellt Ratten.
Spiex tritt bureb fte ©enfl§ 33erbienft näher in fra§ Sicht; unb voäre er auch nicht frer ©dnger jener
gjjclobtcen geroefen, fo wirb fra§ ©efammtbilb feiner tonfünftlertfdjen Crigentbümlicbfeit frurd) frie S5e=
trachtung frer auf fte gegrünfreten £onfäfce nur einen um fo feftcren Umriß gewinnen tonnen.
2Bir »erfueben, biefeS 33ilb ju »ollenben, infrem roir un§ noch, jroei Sonfälje üorüberfübren,
für welche ©enfl frie SJMobie eines alten beutfeben unb etne§ alten lateinifeben ©efangeö als ©runfrlage
gewählt bat. 3u ben betben Sonfd^en dl)nlid)er ©runblagen, beren roir früher fd)on Dorübergcbenb
gefraebten, fef)ren roir nicht jurüd: roir begnügen un§, baran ju erinnern, bafj ©enfl in feiner fed>3=
ftimmigen 33ebanblung ber SBeife behalten 2uiferjtebung3liebe3 : „@brift ift erftanben," biefelbe mit ben
9JMobieen jroeier anberen Sfterltefrer »erfnüpfte : frafü er frie SSBeife free! geftgefangeg »on ätjntidjer S3efttm=
mung: ,,7£lfo heilig ift ber Sag/' in einem fedhgftimmigen SEonfafce mit einem breiftimmigen ßanon
einführte.
Die SSJielobie be3 alten SubaMiebeS behanbelt ©enfl (um 1544) fünfftimmig, mit Unter=
legung folgenber SSerfe :
©elobet fepft bu ßbrifie *)
ber bu am (Sreufce hingfi,
unb für unfre ©ünbe
tttel ©ebmaeb unb ©freiet/ empfmgft;
jeljt berrfebeft mit beim SSater
in bem 4?immelreid),
mach' uns> alle feiig
auf biefem Gfrbreicb. Äprieeleifon.
@r beginnt feinen ©efang in ber böcbften, unb ber britten ©timme, inbem beibe bie QaupU
roenbungen ber erften jroet Seilen ber alten SBeife, bie eine mtrotpbifcb, bie anbere borifcb, nachahmend
unb einanber naebtretenb, ertlingen laffen: 33afs unb SEenor fcbließcn fpäter in ähnlichen 33erbältniffen
ft'cb ihnen an, bann erfdheint in ber jroeiten Stimme ber alte ßboral als fefter ©efang (nach 15 Seiten
— temporibus — ju 30 * Noten) ohne (ginfchaltung, unb tont in ihr fortan bureb baS ©anje hin. Äurj
vor ihrem Eintritte greift ber Senor ben Gsboral in borifchen 83erhdltniffen auf, unb bleibt fo ber #aupt=
ftimme gefeilt, rodhrenb ber S5afj, wenn auch, gleich ben übrigen Stimmen, feine SBenbungen auS
bem Choral fcfybpfenfr, boch mehr nun ba3 ©epräge ber ©runbftimme annimmt. (üben fo roirb bie
SJielobie ber britten unb eierten Seile, unb bann auch ber fünften unb fechften beS ßboralS frurebgeführt :
frie beiben legten treten fogleid) in üoliem ßborgefange ein ju ben SSBorten
9Jcacb unö alle feiig,
frenen frie S3ebanblung auf biefe 2£rt einen befonberen 9tad)brud »erleibt. Durch fraS unregel=
mäßig in ber borifchen Sonart fcblicfjcnfre Äprieeleifon erhält auch ba§ ©anje, ba e3 bie Harmonie
nach bem Snbe beS ßiebeö ohne STubcpuntt fortroebt, einen borifchen ©ebluß. Die bcgleitcnben ©timmen
enthalten mehre anmutbig beroegte melobifche SBenfrungen, in engen, ftdt? roohl anfcbließenben, angenehm
flingenben Nachahmungen, gegen fren ernften ©ang ber ^»auptftimme einen bebeutfamen ©egenfafj bilbenfr.
•) Scifpid 9Jro. 4.
183
(5inen acbtttimmigen Sonfcifj Senfle> über btc Gelobte ber alten 2lntipbonie am SBorabenbe be§
"Pft'ngilfejteö
Veni sanete spiritus, reple tuorum etc.*)
enthält ber, »on Johann v>on 33erg unb Ulrich i^euber 1564 nach SenflS SSobe ju Dürnberg beraub
gegebene Thesaurus musicus. 25iefe Singroeife ift auch, in ber eoangeltfcfyen Strebe beibehalten , mit fol-
genber Überfeljung ttjreg (^rofaifdjen) SerteS :
Äomm beiliger ©eift, erfülle bie £erjen beiner ©laubigen unb entjünbe in ihnen ba§ geuer beiner
göttlichen Siebe : ber bu burch SERannicbfaltigfeit ber Bungen bie SSblfer ber ganzen SBelt üerfammtet
baft in einigfeit be§ ©laubenS: £alletuja, £alleluja!
3n bem acbtjttmmigen ©efange Senp über btefe SDMobie führen brei «Stimmen biefelbe in
jrrengem @anon unoeränbert burch ; bie britte, fünfte unb fedbjte beS ©anjen, menn mir, »on ber böcbjien
(Stimme an, bie übrigen nach, ber ftd) allmählich, abftufenben SEiefe ju jaulen beginnen. £>ie t>bct)fte jener
brei Stimmen bebt in biefer canonifeben Ausführung an, bie folgenbe fchltefjt ftcb in beren Unterquinte ihr
an, bie tiefjte in ber Unteroctaoe. £)ie fünf übrigen Stimmen ergreifen einzelne Sbeile be§ alten heiligen
©efangeS, führen fte gegen ben ruhig anbäcbtigen, jtetigen ©ang ber brei ^jauptftimmen au§ , unb bilben
fo einen reichen, lebenbigen 3?abmen um bae> fromme 33tlb.
SRufen mir uns nun alle jene einzelnen Sonfäfce jurücf, bie mir fo eben betrachteten, mie mannichfaltig
erfcheint nicht Senfl in ihrer Anorbnung ! @r führt eine unter un§ noch fortlebenbe SBeife eines $)falmliebeS
in ber £)berftimme, berrfebenb, ein; feine Harmonie (hebt bahin, bie ©runbtonart biefer Gelobte, bie
ernjte pbnjgifd^e, bebeutfam, großartig ju entfalten. Sine anbere SBeife umgiebt er mit höheren unb tie=
feren Stimmen, unb hebt fte t>or ihnen herauf burch ihren feierlich fteten, langfamen Schritt, gegen beren
rafcheren, lebenbigeren Fortgang ; mie hier bie 33 emegung, fo mar bort ber .Klang baöjenige, burch
ben ba§ ©anje feine Haltung erhielt unb S5ebeutfamf eit. SSMobieen mehr weltlichen ©eprägeS fchmücft
er mit leichtem, anfebeinenb in SBillfübr hingaufelnbem, bod) in ber Shat burch finnige 9fegel georbnetem
SBecbfelfpiele begleitenber Stimmen. Sie einzelnen 3eilenpaare ber SDielobie eines $>affions>liebe3 leitet er ein
burd) je jmei Stimmenpaare, ju benen er bie höheren, bie tieferen Stimmen gefeilt, jmtfeben fte führt er
bann bie ©runbmelobie ein; erjt bei bem ©ebete, momit baS £ieb enbet, läfjt er, bebeutfam, in voller
Harmonie baS ©anje hingingen btä jum Schluffe. £)er SBeife eineS uralten AuferftebungSliebeS oerbinbet
er, ihren firengen Srnjl ju milbern, bie SERelobieen jmeier anberen, rafcher bemegten; bie SBeife eines» an=
beren Siebes für baffelbe Seft führt er ein mit einem breiftimmigen ßanon : eine Freiheit baut er bort auf
au§ 83erfchiebenem, baS er üerfnüpft, hier wddbfl fte ihm heroor auS einer gleichen ©runblage. SJiit reicher
jtunjt enblich, in gejleigerter Stimmfülle, tbut er ein ©leicheS bei einem alten ^fingflgefange : er nennt ben
ßanon, ben er hier bilbet, felber , ,£)reibeit in Einheit" (trinitas in unitate); um einen an fid) fünjb
lieb unb geheimni^ooll georbneten ©efang bemegt ftcb mit Sandten , mit 4?erjen unb lieblichem Umfahen
eine gülle anberer Stimmen, einen hunmlifcben Sanjreihen fübjenb, mäbrenb jener ©efang in ernfiem
gortfehritte ein tiefet, betttgeä ©ebeimnifj fünbet, bie bis an ba§ Crnbe ber ßeiten forrmäbrenbe ©nabe beS
»on bem S3ater unb bem Sohne auögebenben, mit ihnen einigen, heiligen ©eifteS.
*) SBeifpiet 9lro. 10.
184
SBenn wir un$ nun gebrungen füllen mußten, f)ier julefct SutberS eigene SBorte, mit benen er
bie »on ihm fo bocbgeliebte Sonfunft »reift, tbeilmeife ju wicberbolen, fo fönnen wir unfere 9fed)tferti=
gung barin finben, baß bamit nun aud) be§ herrlichen SKanneei befonbereS SBoblgefallen an ben 2Ber=
fen feinet SieblingS ftd) erflärt: mod)te er bod) wohl jene SBorte bei beffen SEbnen gefunben haben!
35ie SBebeutfamfeit, bie ©innigfeit be§ 33auee> feiner ©cfänge mar e3, wae> ihn entjüdte unb erbaute,
sunt greife ©otteS anregte, fo mand)en anberen gemiditigcn 2üt3f»rud) ihm entlodte. 3n feinen Sifd)=
reben wirb unS erjagt: 2£m 17ten 35ecember 1539, ba er bie ©änger ju ©afte hatte, unb etliche
feine, lieblid)e SJlutctten ©enftS gefungen würben, »erwunberte er ftd), lobte fte fefjir, unb fprad):
„Eine folcbe SJlutetten »ermöcht' ich nid)t ju machen, wenn id) mid) aud) juvet^en follt, tote er benn
wieberum nicht einen *Pfalm »rebigen fönnte, al§ td). 35arum ft'nb bie ©aben bee> ©eifteS mancherlei),
gletd)wie auch in einem Seihe mancherlei ©lieber ft'nb. 7£ber niemanb ijt jufrieben mit feiner ©abe,
unb laßt fid) nicht genügen an bem, ba3 ihm ©Ott gegeben hat; alle wollen fte ber ganje 8eib fe»n,
nicht ©liebmaaßen!" — EineS ©inneS, ber über baö »on ©Ott 33erlicbene mit ungebulbigen
2Bünfcben I)tnauägel)crt , ober in anmaaßcnbcr ©elbfttättfd)ung einen ihm nicht gebül)renben Stubm an=
fprecben mochte, mar ßtttber nicht. 3hm mar bie Äunft bes> S£onfa{3e$> an feinem greunbe eine gött*
liehe ©abe, beren er felber fid) befd)ieb, mäfjrenb er einer anberen in bem Qmn ftd) rühmte. Senn
in ber Sbat mar eS ihm verliehen, einen ^)falm, ein heiliges Sieb — wie ben Sobgefang ber Jungfrau
— ju »rebigen, mährenb ©enfl eine Sonmeife ju »rebigen »erjtanb, inbem er ihr eine ©runblage unter*
baute »on anberen Stimmen, in ber fte ihre Auslegung erhielt, bureb bie ihre SBebeutung gefünbet
mürbe; fte mit höhten unb tieferen umgab, unb bei biefer anfeheinenb »erbüllenben Umgebung
burd) ben ©egenfafj be§ rafd)eren , bee> ruhigeren $ortfd)ritte§, fte bennod) her»orl)ob; fte als? fruchtbaren
Äeim einer au3 ihr ftd) entfaltenben , fte mit »ollen .Klängen begleitenben SRebrhett offenbarte; fte in
einträd)tigem 3ufammenf lange mit anberen, eigenthümlid), in ftd) felbftänbig, gebilbeten SBeifcn ertönen
lieg. SBeld) eine ^errlichfeit mürbe ihm ba funb „in jenem munberbarlid)en ©cfd)ö»fe ©otte§, ber
SJluftca, " fo baß er rühmen burfte, ,,menn 35a»ib auferjftmbc »on ben Sohren, fo mürbe er ftcb febr
»ermunbern, mie bod) bie Seute fo hoch mären fommen mit ber SKuftca; fte fei nie höher fommen,
benn jefjt." Unb hoch ftanb er nur an ber ©d)melle il)rer Entfaltung, nicht anberä, al§ ber »on ihm
hochgeehrte ÜKeiffrr! 35 od) mar in allem bem, ma§ biefer in feinen Sonfäfjen geprebiget hatte, nur
ein fleiner Sbeil »on ben ©eheimniffen ber Äunjt offenbar gemorben ! freilich, hat ©enfl in ben beiben
.Achtungen, in benen er fd)uf, bie Eigentf)ümlid)feit feineS ©eijteö bebeutfam ausgeprägt, er hat in
feinen Sßerfen Äräfte entmicfelt, ©cheimniffe ber Sonwelt offenbart, bie bei 9cad)folgern unb ©d)ülem
in barmonifd)em 3ufammcnmirfen, in ftetä mehr aufgefchloffenem 33erftätibniffe, eine fd)önere Entfal*
tung ber 3Jielobie anbahnten. %a. , wenn bie Folgerungen, auf melche mir bie SSermutbung grünbeten,
baß einige ber oon ihm bebanbelten SBeifen aud) moht »on ihm erfunben feien, nur einigen ©runb
haben, fo möchten mir ihn alt, ben Erften nennen bürfen, ber ben ©änger unb ben ©efcer in ftd)
»ereinigt habe. Doch aller biefer großen SSorjüge ungeachtet, bie ihn auf bie $öbe feiner 3eit ftellen
in feiner Äun|t, mar er bod) nur ein Vorläufer, eine SCBeiffagung beffen, wa§ erfl f»äter ftd) erfüllen
foüte in achtet barmonifeber Entfaltung, bie auch hem ftnnreicbften S3aue einc§ SonfafeeS erfj feine
rolle SSebeutung gemährt. 35er großartigen Anlage, be§ tiefen ©efühleS ber jebcSmaligett Aufgabe
megen, fönnen mir feine 2Berfe als 9Jiufier nennen, aber nur für feine 3eit, weil jene Entfaltung eben
185
nur erfl in ibncn ju bämmem unb t)eroorjubre(i)en beginnt; bie SSoHenbung ber Äunft mar, bei aller
.Iperrfcbaft über bie 9Kittel, fo wenig in irrncn, aB in jenen alten 33ilbern, an benen bie Siefe unb
SEBabrbeit ber ©nwftnbung , ber fromme Grrnjt, bie Feinheit ber SOiotwe un§ entjütft, wäbjenb bie
3>ürftigfeit ber formen, bie Unfreiheit ber ^Bewegungen — wenn mir über jenen SSorjügen ft'e auch, oer=
geffen, unb ba§ ©anje in bem (Sinne aufnehmen fbnnen, ber e§ fd?uf , — un§ bod) erinnern, bafj
©eift unb gorm l)ier einanber noch. nid)t wollig burd)brungen haben.
SBcniger lange aB bei biefem bebeutenben 992anne, merben mir bei feinen anbern .Runftgenoffen
verweilen bürfen. 2Bir nennen juerjl 5lru oib i>on &$rucf, ber neben Senfl aB geiftlicber Sonfeber
um 1534 in ber Sammlung ber 121 lieber erfcfn'en (Dürnberg bei gormfd)neiber). Sie enthält, wie
bereits erwähnt worben, neun Sonfäfje geiftlicher ßieber von feiner Arbeit neben elf weltlichen; in ben
Biebern für bie gemeinen Schulen (1544) finben fid) beren achtzehn, von benen jebod) fünf bereits?
unter jenen gebrucft maren. 3n ben von gorftcr herausgegebenen frifcben beutfd)en Steblein enbtid) be-
gegnen mir nod) fünfen feiner ©efänge: je einem in beren erftem unb jmeitem Steile (I. 100. II. 47)
unb breien in ibrem fünften Oftro. 16. 22. 46.). 2£uf bas? SBiffen um bae> Safepn biefer £onfäf?e
bei"*ranft fid) aber auch faft unfere ganje Äenntnip von biefem Sföeifter unb feinen SBerfen. £)ie ein-
jige, bürftige 2lnbeutung über fein? SSerbältniffe, bie mir befifjen, giebt une> bie an ihn gerichtete 3u=
fcbrift jener juerjl genannten 121 2ieber von ^)an§ Sttl, S3ud)fübrer, gegeben von Dürnberg am 29ten
Sage be§ 2luguft 1534. Qx wirb t)iev genannt: „ber erwirbige £err 2lrnolbu§ von SSrucf, Seebant
bes Stift» ju Sambach, 9?6mifd)er Äbnigl. Sftajcftät oberfter davellenmeifter" unb ibm nachgerühmt,
bafj er ben SKeiftem feiner 3eit ben SSorfvrung a(fo weit abgewonnen, bafj er von männiglid) werbe
unerreicht bleiben, „juvoraus? in ber freuntlichen lieblicfeit, bie in funftlid)er gewifjheit ju erhalten für
ein fonberliche unb hochberumbte gefchieflideit gefd)c^t wirb zc." Sollte er wohl jener ,,9>farrberr
pon SSrud" fenn, burch ben Senfl an ßuther, jufolge beffen Tlufforberung vom Sabre 1530, (nad)
sJJiartbefüB SBerid)tc in feiner neunten $)rebigt über Süthen? Seben) „viel fd>bne Muteten" fanbte? Da
wir ihn in jenen 121 Siebern fo nahe neben Senfl geftellt finben, wäre e§ nicht umvahrfcbeinlid), unb
er fönnte fväter jeneS Gfbrenamt erhalten f^ben, in welchem wir ilm um 1534 finben; boch ift biefe
Annahme fcineSwegeä eine ft'cher verbürgte. grl feinen weltlichen ©efängen finben wir manche artige,
lebenbige 3üge; wir fbnnen fie wi^ige nennen. So in jenem Siebe von bem SanbSfnecbte, ber ohne
©«fei nod) ©elb über ba§ gelb geht, unb bem vor ber SBirtbin 4?au§, aB bbfem .Kraute, in bun=
tem ©emenge allerhanb Äräutlein wunberlicher tarnen »orgehalten werben, unb
bedenbreite 33lätter
bie fevn innen b Di-
dier wirb bem Söorte ©elb eine eigne feierlich - »offenbare SSebeutung gegeben, burch einen
unerwarteten Srugfchlufj nach b ftatt nach d 5 bie Hohlheit erfcheint burd) ben ? Saft faft wie burd)
©ebehrbenfeiel verfvottet, unb ber fldgliche 2lu3brud ber Nachahmungen, mit welchen am Sd)lufje jene
SBorte: ,,bie fepn innen hol" wieberholt werben, febärfen nod) biefen Spott.
35afj er in einem fünfftimmigen Sat§e beS 5ten SbeileS jener Sieblein jwei weltliche SSBeifen
gegeneinanber fefet :
Mn 2£bler auf ber SBelt fo febört
lebt, fchwebt, ob feim ©efieber ic,
v SEBintctfetk , ttt eiangtt. ö^otalgcfang. 24
186
WS bu, jart eble, fcböne frudjt
lebft, fcbwebft^ob allen Sßeiben k.
unt>
@3 taget »or bem SBalbe
ftanb auf .Äetterlein,
gefebicht nur eben im Sinne feiner 3eit, unb fann rttct)t als ein eigentümlicher 3ug bei tbm genannt
werben. Q.x wicberbolt barin nur eine 3ufammenftcllung auf »offenbafte SBcife, bie anbere Sonfefjer
bei geiftlicben ©efängen in »eilig ernftem unb frommem Sinne anwenbeten. gorfierS Sammlung jeigt
mehre ähnliche Säf^e anberer 93Zeifter, al§ Sobft »on S3ranb, <Stepban SCRabu; felbft Spätere noch
wicbcrbolcn ähnliche Sdjerjc, rote wir benn foldjer bei 3>obann ©ccarb werben ju gebenfen baben. 2lrnolb6
r>on £3ru<f gciftlidjc ©efänge ftnb, ibrem tonfunftterifdben 2Bertl)e nad), etwa benen Sobann 2Balter§
glet^jufteUen. ©ine gute, fangbare Stimmenfübrung jeiebnet fte au§, aber in feinen üftaebabmungen
unb S>erfled)tungen vermiffen mir eine ftnnretdjc "tfnorbnung unb geiftreiebe 3üge. 83on feinen ad}tjebn
£onfäfjen in ben 123 Siebern (1544) bat nur ber feebfte Sbeil berfelben, il)rer bret, bie 9J2elobie in
ber STberflimmc. Unter iljnen jeiebnet am meiften bie 33cl)anblung ber »brpgifcben Singweife be6 $)falm=
liebeS: „2lu§ tiefer 9iotb fd;rci icb ju bir," ftdb cm§. Die £berftimme fübvt, wie bemerft, bie 50ie--
lobie, in freier canonifcfyer 9cad)al)mung gebt ber Senor il)r woran; aud) für ba3 £)l)r ift ber S5au beä
©anjen leicht erfennbar, ja, ber Senor, fowo()l aB beginnenbe Stimme, al3 wegen feiner SBejiebung
5U ber bbcbften, melobicfübrenben , bebt jenen, wie biefe genügenb beraor*). Siegt bagegen bie Wido--
bie allein im Senore, wie in bem uierftimmigen Säße: (Sfyrifi ber ift erftanben — eigentlich, ber
©tngweife be£ StebeS: (Srftanben ift ber b eilig' Gbrift — fo bebt fte fein ©egenfafe bfvüor
au§ ibrer bureb bie übrigen Stimmen umbauten Sage. SSerfucbt enblid) ber SDieifter eine wollig ein»
fache SSebanblung, wie bei ber 5CRelobie be3 Siebet: .Kommt ber ju mir füridjt ©otte§ Sobn:
fo erfebeint fie troefen, obne barmonifeben ©cbalt. SQSir tbun ibm wohl nicht Unrecht, wenn wir
»ermutben, er fei jwar ein in ber SEonfunft gar gut erfahren« 9Jiann gewefen, aber nicht eigentlicb ein
berufener SEonrunftler; feinett 9?uf babe er vielleicht nur einzelnen ausgezeichneten Sonfäfcen juoerbanfen, bie er
neben feinem cigcntlidjen geiftlichen S5erufe ausgeben laffen ; ja baä oberfte @a»ellmeifteramt, in weitem
wir ihn fpäter ftnben, fei wobl mebr ein ©brenamt gercefen. Um fo mel)r SSSabrfcfoeinlidbf eit gewinnt
e§ bann, baf? er mit jenem ,,^Pfarrbcrrn ju Skucf" als? einer unb bcrfelbe anjunefymcn fei, jumabl ba
bie geringe 2lnjabl feiner SBerfe aud) barauf beutet, bafj er neben einem anberen SebenSberufe, bie Son=
fünft nur al§ Grrbolung geübt babe.
Um ba6 3^br 1536 erfebienen, ebenfalls ju Dürnberg bei ^»ieronpmuö gormfebneiber „Sd)bttc
aufjerlcfene Sieber be3 bod)bcrümten ^einrieb ginfenS famüt anbern neuen Siebern, r»on ben fürncl)tnficn
biefer Äunft gefegt, luftig ju fingen, unb auf bie Snftrumcnt bienjtlich, vor nie im £>rud au^=
gangen tc"; eine gemifebte Sammlung geiftlicber unb weltlicher Sieber, in weldber ftcfo fechg geifilicbe won
ipeinvid) tfint beft'nben. %ud) bie Sebenöoerbdltniffe biefc§ 9)Jeifter§ ftnb nicht gebbrig in baö Sid}t
geflellt; eine &>orrebe, ober äucignung, bie \mS barüber üielleid)t belebrt bitten, mangeln unferer
Sammlung, ©ottfrieb 2Balter§ 2ßorterbud) ber SSonfunft nennt einen Äönigl. ^)olnifd)en ßacelb
') 35frql. bafi ite SBeifpiet mct>r(timmigcn <Sa|c« ju ben oon mir tjerauegegebenen, qcifltidjcn ?t'cbern Cuttjcr«.
187
metfier £errmann ginf, all um 1501 blüf>enb : nach ©erber (Alt. 2er. [. Col. 412) mod)te btefei mit
Heinrieb ginf biefelbe ^en'on feyn, ber bort als um 1 480 tbätig angegeben mirb. Sollte biefer ober
üielleic^t ein ibm gleichnamiger Sohn, ber Urbeber jener, 1530 erfchicncncn SEonfälje fepn? Siefe
beuten minbcficnS nicht auf ein fo viel höheres Alter, als bie befprod)enen ber juwor genannten brei
Sonfefcer. 2Särcn ft'c bennod) um fo vielem älter, fo bürfte ginf mobl al8 Vorläufer ScnflS genannt
roerben, benn feine SEonfäljc geigen anbeutenb mand)eS, in ben ©efängen jencS 9KcijterS »oller, unb
reicher AuSgebilbcte. So bie 33ebanblung beS alten £ftergefangeS : ,,£-reu btch bu werthe @brü
flcnbeit*/' mit ber wabrfcbeinlicb bem SSolfSgcfange entlehnten Sftelobte beS üicfeeS: „es ijt baS
Heil unS fommen ber." 3n ben erfren vier 3eilen ber ftebenjeiligen Strophe biefer SBetfe beginnen
Anfang i immer bie bbcbfte, unb bie ihr junächfi ftcbenbe Stimme (Sopran unb Alt) eine jroeiftimmige
■Ausführung ber 9Jlelobie, einanber nadjabmenb; bie Sberfiimme im Umfange beS urfprünglicb 9Jliro=
incifdien, bie jroeite beS verfemten: ber Senor unb bie ©runbftimme antworten ihnen auf äbnlid)c Sßeife:
jroeiftimmige, nad^ahmenbe Säfce hoher unb tiefer Stimmen roechfeln fo bei ben erfren beiben 3eilcn=
paaren. Auf ähnliche SBeife roirb aud) eine jebe ber brei legten 3eilen eingeleitet, bodb erfolgt nun bie
Nachahmung ber mclobifchen 2Benbungen jeber 3eile nicht mehr in ben äkrbältniffen beS urfprüng--
licben unb verfefjtcn UmfangeS ber ©runbronart. Siefer Einleitung folgt eine vierftimmige Ausführung,
l in welcher ber Scnor ben £auptgefang führt. Einer äbnlidjen, nur finnigeren unb jugleicb pracht-
volleren Durchführung begegneten roir in SenflS fünfftimmigem SEotifafce beS £ftergefangcS : „©elobet
fevft bu Gbrijfe" auf bie Sölelobie beS alten 3ubaSliebeS. An befannten Singroeifen hat in unferer
Sammlung ginf fonft noch bie ber Sieber: ßbrift ift erftanben, unb 3n ©otteS Namen fahren mir,
ausgeführt; Dan biefer legten haben roir bereits juvor ausfübrlid)er gerebet.
Sie meiften ©efdnge von Sonfe^ern geifilid}er ßieber auS ber erften Qatftc beS löten 3abr=
hunbertS finben mir in ben 123 ©efängen für bie gemeinen Schulen (1544). SSiUig räumen mir bem
Herausgeber bfeftt \d)ä§barm Sammlung, ©corg 3tI)atP, S3ud)brucfer unb 33uchfübrer ju 2öit=
tenberg, bie erjle Stelle ein in unferem S5erid;t über bie Steifte, beren SBerfe fein Sammlerfleiß unS
erhalten hat. Er mar ju Grijjfelb (Crfjfelt) in granfen um 1488 geboren, unb hat biefe feine ©eburtSftabt
baburd) geehrt, bafj er S3ürgermeiftern unb 9?atb berfclben jenen gciftlichen Sicberfranj jueignete. Sbätig
ftnben mir ihn juerft in Seipjig, alS ßantor unb 9Diufif biref'tor % bei ©elegenbeit ber Disputation jroifcben
l'utber unb Q.d führte er ju Anfange beS feierlichen Vorganges eine jroblfftimmige SOieffe auf, an beffen
Sd)tuffe baS Se Seum. Später, fcheint eS, mürbe er für ßutberS Sefjre gemonnen : mir ftnben ihn mieber
ju Wittenberg als SSeftljer einer angefebenen Srucferei, auS beren treffen bebeutenbe theoretifche unb praf=
tifche 2Berfe hervorgehen; mir fehen ihn bort thätig als gelehrten Scbriftficllcr über bie iEonfunft, als
Sonfe^er, als Sammler von SBerfen ber am meiften gcfd)äfetcn SEonfe^er feiner 3eit. Als folcher bemährt
er ftd) in jenen 123 ßiebern. Ein jeber von ben barin aufgenommenen Sonfä^en ift mit bem Namen beS
93ZeijierS bejeidmet, von bem er herrührt; einigen fehlt biefe S3ejeicbnung, unb mir glauben nicht ju irren,
menn mir vorauSfegen, bafj biefe von ber Arbeit beS 4?«<uiSgeberS ft'nb. Nur »icr 3abve nach bem @rfd)einen
biefeS SöerfeS mürbe er burd) ben £ob abgerufen. (Sr ftarb am 7ten Auguft 1548, im fechjigften Sah",
nachbem fein jmei unb jmanjigjähriger, einiger Sohn ein 3ahr juoor ihm vorangegangen mar.
*) SSeifpiel 9Cro. 12.
24*
188
3ener unbe$eicbnete)i Sonfälje, bie wir 3ibau jufchretbcn , finb fiebert : fünf Sföeibnachtägefänge :
1. 9htn fomm ber Reiben £eilanb (fünfjlimmig, 9cro. I.)j
2. ©etobet fei)ft bu SefuS ßbrijr (»terjtimmig, 9cro. VI.) 5
3. Gtyrtjtum wir foüen toben frf)on (tuerftimmig, 9cro. IV.);
4. ©in jftnbelein fo Ibbelid) (oicrftimmig, 9?ro. VII.);
5. In (lulci jubilo (t-ierftimmtg, 9<lro. IX.);
von biefen haben bev jwcite, britte unb vierte bie SJMobie in ber £)berjttmme, ber erfte unb fünfte im
Senor; unb biefeS Icfcte tji auch ber galt bei bem 6ten ßiebe: 25erleif> un3 grieben gnäbiglid) (da
pacem). Sagegen fyat ba§ ftebenre, 8utf>ev§ fräftigcS ^Pfalmlicb : ©in' fcftc 33urg ift unfer ©Ott" bie
Widobit im 33affc. Sie 9JM)rheit biefer ©ä£e Ijat etwa§ Ausgezeichnetes : wir erfennen, bafj ihr Ur-
heber ein geroanbter Sonfe^er gewefen, bafj eine lebenbige Ahnung in il)tn fid) geregt babe uon ber
SBebeuttmg barmonifdjer (Sntfaltung. An bem üterfrimmigen ©ajje ber SEJMobie beS ^cibnachtSbMnnuS :
ßbriflum wir f ollen loben fd)on (A solis ortus cardine) betrachteten wir bereits juoor bie
eigentümliche Art, wie in ihm bie pbrwgifche Sonart gefaxt worben, jumabl in ihrer S3ejiel)ung ju
ber ionifchen. 9ttd)t minber bebeutenb tritt btemirolwbifche heroor in 9fl)auS üicrfiimmiger SScbanblung
berSKelobte t»e§ Siebes : ©elobet fewft bu SefttS 6 f> r t ft. Sie frifdje, bewegte gübrung ber be=
gleitcnben Stimmen, welche bie in ber haften erfcheinenbe SQMobie fd)mücfen, hflt ben SJietfter nicht
auSfdjliefjenb befchäftigt; feine Aufmcrffamfeit ifl aud) auf bie ©d)lufjfäUe ber einzelnen 3eilcn gerichtet
geblieben. Ser erfie tfr, tongemäf?, als Aufweichung in bie £)berquarte beS ©runbtonS gefaßt, alfo
in baS Sonifte; ber jweite erfd)eint, wenn wir bie SEJWobie für ftch betrachten, am ungejwungenften
als eine 9?ücffel)r in ben ©runbton. Sfbau fyat bemfetben aber beffen Unterquinte untergelegt, unb wir
begegnen bemnach einer ^weiten Ausweichung in baS Sonifcbe. Ser ©djlujjfaU ber brüten 3eile wenbet
ftd) nach ber Unterquarte beS ©runbflangeS, wäre alfo borifd) : er ruht aber biet auf ber Unterquinte,
unb ftatt ber Aufweichung in baS Sorifchc gehaltet ftch eine S?ücffeljr in baS 93iiroh;bifche: nach einem
langen gortballen beS ©cblufitonS biefer 3eite ju einem bewegten 2Bed)felfpiele ber brei tieferen «Stimmen,
fchliefjt bie Harmonie enblich in biefem ©tnne ab, unb hier ift ber einige gall in biefem ©efange,
wo ber Unterhalbton burch, bie (5rt)bbung ber miroh)bifd)en Reinen ©eptime I' gebilbet werben muß,
wenn auch feine X$orjeid)nung biefelbe anbeutet. 9lun, ju ben SSßorrcn: Se{? freuet ftd) ber ©ngel
©chaar, erfcheint ber ungerabe Saft (-?), ein 2ßcd)fel, ben wir fonjl bei biefer 93telobie nicht angewenbet
ft'nben; unb biefe Saftart wirb bis jum ©dbluffe beS ©anjen beibehalten. ^)ier, im ©egenfalje ju
bem ©cbluftfalle ber vorlebten Seile, enbet ber ©efang burch einen ganjen £on (f — g), nid)t einen hat«
ben; bie Harmonie wenbet ftd) von d nad) e, unb ju bem forthallenben g, bem miroh)bifd)en ©runb=
flange, wirb bann ber gewbf)nlid)e halbe @d)lufj biefer Äonart eingeleitet burd) bie harten Sreiflänge
auf ihrer £)berquarte unb ihrem ©runbtone. 3n feiner #auptbejicbung ju bem 3onifd)en tfl baS
SOiirotpbifche hier recht glütf'licb bargefteUt: eine Au§wcid;ung in ba§ Sorifche fehlt jwar bei ber befchrie=
benen Art tcr 33ebanblung, bod) beutet ber oft üorfommcnbe weiche Sreiflang auf ber £)berquinre beö
©runbtons minbeftenö bie nahe Schiebung an jwifchen beiben Sonarten. Sie 9Jielobie beS alten lliebeS :
din Ain beiein fo lobeltd), ift eben fo, wie bie be§ t-orangebenben in bie SDbcrfrimme uott bei
5ReifterS oierftimmigem Sonfa^e gelegt. Sie ©timmenführung ift bewegt, lebhaft: jwar wirb bie £>ber=
flimme zuweilen burd) bie jweite überfchritten, bod) ohne SJerbunfelung. ©päter ft'nben wir nicht feiten
181) —
einen geijtreichen Bug, eine tief empfundene SBejiehung, in foldjcr Überfchreitung ; in biefer frühen 3eit,
wo erlt allmählich, bie Aufgabe jum SSewufstferm gelangte, eine SÖMobie burcb bie ihr »erbunbenen
Stimmen barmonifcb ju entfalten, fte aß Trägerin eineS eigentümlichen, in ber Harmonie ft'd> er*
fclhliefjenben Sebent ju offenbaren, eirteS Sebent, bas> ben begleitenbcn Stimmen evft wahrhafte melo=
bifche ©elbftänbigfeit oerleihe unb S5ebeutung; — in biefer 3eit ift ein Überfchrciten ber #au:ptfHmme
in ber Siegel nur ein 9cotbbebelf be3 ©e£erj>, unb fofern ihm baburch bas> SBewufjtfctm feiner realeren
Aufgabe entjogen wirb, auch ein gehler. Spat er einen folgen glüeflich. öermieben, auch, wo er eines
bergletdjen sJcotbbehelfe3 beburfte, fo bürfen mir ihn jwar beSfjalb, aber nicht wegen eines gtüdlich
©eleijteten, getjboll ©efebaffenen, rühmen, unb anber§ aß in biefem ©inne febeint uns auch beS 5ÖZei=
fierS ©afc in unferem galle nicht loben§roerth. Sem ©epräge be3 Sonifcfyen, ber ©runbtonart be$
©anjen, ift im Übrigen bie Harmonie üötlig gemäfj.
Siefeltene(5rfcbeinung, bieSRelobieeincSShoralS in bieSBafjjttmme etneS mel^rjtimmigen Sonfa^eö
gelegt ju ftnben, erregt »erbientermaagen unfere'Hufmerffamfeit beiber^ebanblungbcrffieifebeS^falmliebeS :
@in' fefte 33urg ift unfer ©Ott*)." 33is> auf wenige ©teilen, wo augenbltdltcb ber Senor unter ben
SBaß binabfehreitet, bilbet bie SJMobie in ber S£l)at bie ©runblage beö ©anjen, unb e£ ift gewtfi, bafj beS
SOieifterS 3(uffaffung unb 2lnorbnung feines» ©afceS auf bem ©inne beruht, bafj bie fübne, männliche,
belbenmäfnge ©eftnnung, bie in bem Siebe unb feiner Sßeife ftd) au§fpred)e, aud) ber fefte, unerfchütter=
lid)e ©runb fei, auf bem bie gute ©acbe ber (§oangelifd)en beruhe. Sie ©timmenführung ijt lebhaft unb
geroanbt. Sie oft uorfommenbcn, fd)rittwetfe abftetgenben ©cblufifälle ber 9)Mobie, jumahl roo fte mit
bem ©runbtone enben, crbeifd)ten bei beren ©tcllung in ber ©runbjtimme, bei ber Scotbwenbigfeit, bie
Harmonie über fte aufzubauen, jum öfteren bie 2lnroenbung ber f leinen ©eptime al3 S3orbalt ber ©echote
über ber ©ecunbe be§ ©runbtonS, welche fobann, als? Scitton, in einer ber bcgleitettben ©timmen roieber
ju ihm binaufftrebte. Ser SOieifter bat eS richtig gefüllt, baß am ©ch. luffe be6 ©anjen, wo bie SDcelobie
auf ähnliche SBeife fortfd)reitet, eine folche Harmonie baffelbc ntd)t angemeffen bcfchlicfje, bafj ein fräftiger,
voller Sonfchlufi erfjeifcht werbe, um es? würbig $u frönen, ©o hat er benn feinem SEonfaJje noch einen
Anhang beigegeben mit einem ©chluffe folcher 2£rt, wo nun ber 33afi, nid)t länger melobieführenb, lebtgltch
©runbftimme ift.
2flle biefe 33eifpiele jeigen une> 9?bau, ben wir gern für ben Urheber jener, mit feinem 9camen
bezeichneten ©efänge annehmen, als einen SKeifter, ber für bie ßntwtdlung unb gortbitbung ber Äunfi
oon SSebeutung ift, unb ben wir wohl neben ©enfl pellen mögen, wenn er biefen auch, in ftmwoller ©tim=
menoerflecbtung nicht erreicht. 6ine3 unbefannten SKeifterS bürfen wir bie befproebenen ©äfce nicht halten,
benn in jener 3ett pflegten bie Herausgeber einer gemifchten ©ammlung in ber Segel e§ ju bemerfen, wenn
fte ben Urheber irgenb einee> oon ihnen mitgeteilten ©efange§ nicht fannten.
■Oßtattin Stgttcola, ben wir nächft Sii)au nennen, erfebeint nur breimahl in beffen
©ammlung, jebod) mit achtbaren Sonfä^en. @r war ju ©orau, wahrscheinlich 1486, geboren, t>on
bürftigen 'Ültern : gro^e S5eharrlichfeit unb angeftrengter gleip erwarben ihm eine tüchtige wiffenfehaftliche
unb tonfünftlerifche S3ilbung, aber feine auSfömmlicbe Sage, ©eit 1510 mufite er burd) Unterrichtgeben
ftd) fummerlicb forthelfen. @r fagt felber üon feinen Sehrjahren in ber SSonfunji : er hohe in folcher jtunft
*) SKitgetfjeilt tn ber geflauögabe ber üteber CutfjerS , 9iro. X. ber betgegebenen ©efänge.
190
feinen actwen ^Präceptorem t>on 9Renfd)en gehabt, fonbern baSjenige, waS er barin »erflehe, erftlid» r>on
©ort, roelcber feine ©aben mitteile, wem er wolle, unb barnad) burd) treflicb großen gleiß unb Stu^
biren, jebocl) bei if)m allein, mit ber ©otteS £ülfe überkommen; ,,brumb möcht' td) ffct}lie^t er) tt>ot)l
ein felbwacbfen SKufkuS genannt werben, unb wer fein rounber, baß ich unterweilen ben treflichen
Äünftencrn nicht gleich hanbelte." — 2Bar eS nun beSbalb, baß er Anfangs feine SSeförberung fanb,
ober machte ftd) feine £üd)tigfeit erft allmählich geltenb: genug, erft um 1524 würbe er ju -SDiagbeburg
bei ber neu errichteten öffentlichen Sd)ule angejteEt, ber erfte ßantor feit ber &trd)ent>erbefferung , ber
würbige SSovgänger rrefltcfyer Nachfolger in biefem Amte wäbrenb beS 16ten SabrbunbertS : eineS ©allus
Sreßler, Seonbart Schröter, griebrid) SBeißenfee. Der lefcre fagt unS in ber SSorrebe feines um 1602
erfcbienencn Opus melicum : „mich mahnt ber (Sifer meiner SSorgänger im Amte, ii)x ernfllicbeS, ja, wahr=
baft löbliches Streben. Sn meinem £aufe beftfje id) beS Gantor Agricola SSerfe, nid)t bie hanb^
fcbriftlicben allein, fonbern aud) bie woblgefcbriebenen, gelehrten SBücblein über bie Sonfunfr, bie er burcb
ben £)rucf öffentlich machte. ß:S fehlen mir nicht SreßterS SBerfe, bie auf baS £eutlid)fte jcigen, roie
wohlunterrichtet er in ber Sütoftf gewefen. 2Bte ©roßcS aber ber überaus gelehrte (Schröter, ber nicht cor
gar langer 3eit erft auS biefem geben abgerufen würbe, geleiftet bat, in ber Äunft beS ©efangeS wie beS
9D2aaßeS (in ulraque et metrica et melica arte), bawon wirb unfere berühmte unb hochgeachtete Stabt,
(Parthenope), ja, ganj Sacbfen, unb felbjt ber 9?uf burd) baS gefammte £)eutfd)lanb jeugen, beffer
alä id). ©o habe benn aud) id) mir »orgenommen, jene göttliche Sonfunft in biefer unferer ruhmwürbigen
£etmatb ber fd)önen SBtffenfchaften, nid)t allein t>on AmtSwegen ju erhalten, fonbern aud) ausbreiten, fo
roett eS meine geringen «Kräfte julaffen." @in rühmliches 3eugniß für ben 9Jlann, ber vor bamalS faft
hunbert fahren, jene el)renwertl)e Siettje tüchtiger Sonfünftler begann, auS ber jener julefct mit fo großem
2obe erwähnte (Schröter unS fpäter nod) befd)äfttgcn wirb. Allein geehrt wie Agricola fenn mochte von
3eitgenoffen unb fpäteren Nachfolgern: feine SOiitlebenben verfäumtcn , wie wir leiber in melen gällcn
nod) baffelbe ju bebauern haben werben, ihn brütfenber NabrungSforgen ju überheben. Nach jwanjig=
jähriger Amtsführung, um 1544, fcbreibt ber nunmehr fd)on alternbe SKeiftcr an feine (Schüler: jhr
wollet bei ewren ßltern, unb anbern, bie eS ju thun haben, anhalten, baß mir mein Stipenbium etlicher =
maaßen gebeffert mbebt werben. Denn eS fleht ja gefd)rieben, ein tagelöner ift feineS lohnS werb."
£b Agricola ber erfte gewefen fei, ber, feine ©efänge in Noten fefcenb, ftd) ber befcbroerlichen beutfeben
Sabulatur entfd)lagen habe, mag babingeftellt bleiben, ba eS hier unS nicht »on SBicbtigfeit, unb 9Jiattbe=
fonS ©öttingifd)er ©übomS jebenfallS feine lautere Quelle für biefe «Behauptung ift. So fönnen benn
aud) feine tbeoretifeben, jum Sheil »olemifd)en Schriften an biefem £>rte unerwähnt bleiben. Nur jweier
oon feinen praftifd)cn 2Berfen möge hier gebaebt werben. 3uerft feiner Melodiae scholasticae, sub liora-
rum intervallis decantandae , DJiagbeburg 1512; eineS SBerfeS, baS, wenn anberS bie Sahrjabl richtig
angegeben ift, — bei SBalter pag. 14 fleht 1612, üorauSfefjlid) burd) einen Srrtbum, ben ©erber vc-obl
nur willführtid) in 1512 t-erbeffert hat — jeigen würbe, bafj in DJiagbeburg fdjon oor ber Äirchrn;
oerbefferung eine georbnete Scbuljud)t, unb ein regelmäßiger UnteiTid)t in ber Sonfunft beftanben habe ;
baS aber wohl wal)rfd)einlicher in bie Seit oon 2lgricolaS üantorat gefefet voerben muß, xdo ber SOaifter
erft Seranlaffung ftnben fonnte, für Schuljwede thätig ju fepn. Sobann ber in 3n>icfau 1553 erfd)ime=
nen ©efänge beS ©eorg S£l)t)mäuS mit 9Kelobieen Martin 'ilgricola'S unb $aul Sd)alenreuterS ; eine
Arbeit, bie id) niemals gefehen habe, roegen beren einige ihn wohl unter bie Sänger »on Äird)en=
— 191
weifen jaulen. £>a ber lateinifd)e Xitel beä SBerfeS übrigens auch auf toteinifebe Sichtungen febtiefen
läßt , unb ©eorg £l)»)niäuS unter ben bcutfd)en ftrdjlicbcn iHebcrbicbtern nicht genannt wirb , fo ift jene
Behauptung wobt nur eine nicht gehörig begrünbete Skrmutbung.
Jtgttcola ftarb am lOten Sunt 1536 nach jwei unb breifjigjäbriger Amtsführung, 70 Sabr alt.
©eine Sonfäfje in 3?bau3 ©ammlung ftnb baS @rbcblichfte, was wir uon feinen fircblieben Arbeiten noch
befugen, ©eine m'erfh'mmtgen Bebanblungen ber lutl)erifd)en Sieber: „(Sin' fefte Burg tc." (9cro.62) unb
„SJlit grieb' unb greub' ich fahr babin" weifen ben 9J2elobieen, nach 2Crt berbamaligcn Seit, im Senore
ihre ©teile an, unb geben, wenn auch an ftd) untabelid), ju feinen befonberen Bemcrfungen Anlaß.
SÖßicbtiger ift unS bie Bearbeitung ber ©ingweife beS glcichfaES lutherifchen ^fatmliebeS : Ad) ©Ott oom
Gimmel fteb barein (9cro. 59)*). £)cr Söieifter hat unter ben juüor befproebenen Sttelobteen beffetben
bie ohne ©runb Sutbet jugefdjriebene pbrpgifcbe ausgewählt, unb fte in bie Dberftimme feines vicrfiim=
migen SEonfafeeS gelegt: inbem er jebod) bem ©cblußtonc berfetben beffen Unterquinte gefeilt — D, ba baS
©anje in bem Umfange beS »eiferten g>f>vipgif"ct;en , A mit »orgejeid)nctem b, ftd) bewegt — enbet er
freilich, feinen ©efang äolifcb, nicht pbrpgifcb. Surcb einen (üanon in ber Öberoctaoe jwifeben bem
SSenor unb ber £)berjh'mme, ber, wenn auch nicht in Seit = unb SDkafü ocrhdltniffen, boeb nach Xon--
üerbättntffen jtreng burd)gefübrt ifl, jeiebnet biefer ©afe ftch auS. £>te gute, fließenbe gübrung aller
©timmen, unb bie, bei bem felbft auferlegten 3wange in berfetben, noch mannigfache, ja an Siffonanjen
reiche Harmonie, (teilt biefen 6t;orat neben baS Bcfte auS jener frühen Seit, unb wir muffen bebauern, nicht
SRebrcS ähnlicher Art »on biefem 5Jieifter ju befüjen.
Am reid)ftcn ijt SfbauS ©ammlung an Sonfäfcen oon tSaltifafüt 3lefinaviu$;
fte enthält beren neun unb jwanjig, p brei unb »ier ©timmen, nicht allein über SSJcetobieen alter toteint*
fcher £rminen, unb früherer beutfeher Äirchengcfänge , fonbern aud) lutberifeber Sieber. £>aS Sßenige,
waSwir t>on ben ßebenSt>erbältniffen btefeS SKeijlerS wiffen, fdbopfen wir allein auS ben SSorworten beS
X). Soljann Buggcnbagen, Pfarrers ju Wittenberg, unb beS 33uchbrucFer§ ©eorg 3?bau bafelbft, ju ben
80 SJcfponforien beffetben, welche ber legte im Sab« 154-4, gleichzeitig mit ben 123 ©efängen für bie
gemeinen ©cbulcn, herausgab, demnach war BattbafarSfeftnariuS (»ieUetcbt ^arjer) üon Reffen gebürtig,
(Jecinus) bamalS Bifcbof $u ßippa an ber bobmifeben ©renje, einer ®tait, auf ber £älfte SBegeS jroi*
fd)en 25rcSben unb ^rag belegen, @r war, wie ©cnfl, in frühen Sahren ©ingfnabe am £ofe SKajcU
mtlianS beS (Srtfen unter Heinrich Sfaac. (SS fei, »erfiebert Sflba», in ben SSBeifen unb £armonieen
btefeS alten SfJJeifterS, beS ßehrerS unfereS SSattbafar, eine wunberwürbige Sieblicbfeit, eine anmuthige
(Einfalt, burch einen gewiffen Qjrnjt gefchmüdt, wie fte ben ©itten jener frühern Seit gejiemt habe. Sefct
habe mit ben ©itten auch bie Art ber Sonnmft ftd) geänbert**). 9?efmariuä nun gebe auf baS £ref=
tichjie unb ©lüdltcbfte feineS ßebrerS (Einfalt unb (Ernft wieber, fo baß t»or allen £)ftreicb feine J^armonieen
bewunbere. ©ort fei ber 9Zame biefeS SO^eifterS berühmt, wo mel)r als bei allen anbern bcutfdjen ©tämmen
bie Sonfunfi eifrig geübt werbe. (SS wirb bann mit 2obe erwähnt, wie ber Sonfünftler nur reine,
biblifche, aller Snthümer entfteibete Zexte gefe|t, wie er im toergangenen SEBinter, in ben SO^ußefiunben
*) SBetfptel 9tro. 14.
") Hoc tempore, ut mutati mores sunt, ita et modi musici. 3tt) tjabe tiefen testen 2tuSbrutf nic^t mit
, Tonarten" überfefct, ba er an biefer ©teile jene befonbere SSebeutung mir nicht ju fjaben fc&etnt.
192
von feinen fachlichen ©efcbäften tiefe Arbeit vollbracht, wie er fte bem 33erleger gefenbet habe, um fte
t>urcb beffen £>rucf öffentlich ju machen (meis lypis stanneis exeudenda). (53 roirb biefen ©efängen
nachgerühmt, wie fte fo leicfyt, fo ungezwungen unb angenehm fewen, mit angemeffenen Scblufifällen
für alle (Stimmen gefegt, wie fte einem JBebürfniffe ber Sugenb entgegenfämen ; man habe bem »er=
ehrten ©reife bafür ju banfen, bem Religion unb SBiffenfchaft gleich nahe am 4?erjen ItcgCy ber in
feinem Alter noch mit einer fo erfreulichen unb nüljlicben ©eburt hervortrete.
£)tefe Sßorte, am löten Auguft 1544 ju SBittenberg gefchrieben, laffen uns vermutben, baf?
Äeftnarius, ber barin ein ©reis genannt, beffen frifebe Sbätigfeit noch in feinem 2£ 1 1 e r gevriefen roirb,
vor ben legten 20 fahren ses löten Sabrbunberts geboren fevn müffe, roeil fte fonft nicht auf ihn
paffen konnten. iDajj er bamals noch gelebt, ja, ein neues 2Berf vorbereitet höbe, erfahren mir burch
S3uggenbagcn. Diefer ift mit ber Feinheit ber von bem Sflciftcr bebanbelten SEerte nicht ganj fo ju-
frieben, als 9?bau; er möchte ihnen nicht bie bloße UnanftbfHgfeit allein, fonbern auch ^>etlfamfeit
unb Erbaulichkeit nachrühmen können, unb bemerft am ©cbluffe, 51t feinem unb feiner ßefer SErofte:
JWefmarius bereite jefjt ©efänge »or, bie unmittelbar aus bem .£>ciligtbume ber ©dm'ft gefcbövft feven,
unb melche fünftig erfcheinen mürben.
Wit biefen wenigen SBorten erfcbövft ftcb alles, was mir von 9feftnariu§ wiffen. (£r mar
23ifcbof in einem ßanbe, bas in £ebre unb ©ottesbienft bamals in manchen ©rüden von ber alten
.Kirche abwich; er war ber neuen ßebre, unb jumal)I bem Äircbengcfange ber Evangelifcben geneigt,
oaburdb aber nicht gebtnbert, für ben ©cbmud bes altherkömmlichen ©ottesbienftes burch SEonwerke thätig
ju fepn; wie benn ja auch bie @oangclifd)en, unb namentlich Sutber, an ben äußeren formen ber bis*
herigen kirchlichen geier fo menig als möglich anberten, unb nur bas ihnen unbebtngt Anftöfh'ge ver=
warfen unb abthaten.
2Bir haben in unferem früheren ^Bericht über bie aus bem alten rbmifeben £ircbcngefange
von ben Crvangelifcben entlehnten 2Beifen, einiger SEonfä^e unferes SSKeifters bereite ausführlicher gebaut :
fo feiner vierftimmigen SBebanblungen ber von ßutber verbeutfehten .Ipnmnen für bie Abvents - unb ?>ftngft=
jeit: Veni redemptor gentium, unb Veni creator spiritus. SEBtr betrachteten an ihnen Damals» bie
Übclftänbe, bie baraus hervorgehen mußten, ba$ in älteren Sonfä^en jumeift ber Senor, eine €EJlittel-
ftimme, bie ^pauvtmelobie führte, unb fanben, bafj eben baher bie oft ungenügenbe, bie (§igentbüm=
licbkeit ber ©runbtonart nicht vollkommen ausbrüdenbe Harmonie biefer ©efange herrühre. '2£uf
anbere, bamals nur flüchtig ermähnte SEonfälje bes Steftnavius müffen wir nun hier jurücffommen.
betrachten wir alle burch unfere Sammlung uns gebotenen im 'Allgemeinen, fo bilbet fid) uns bar=
aus bas Urtheil, baf? ihr 'Ausgezeichnetes nicht fomobl in bem ©treben nach barmonifeber Entfaltung ju
finben fei, als in ber ganjen 'Anlage bes Sonfafees, woburch bas SSebeutfame bes ©ebiebtes hervor*
gehoben, ober auch nur eine äußere SDiannicbfaltigkeit hervorgebracht mirb. @o jeid;nen in ber 33ebanb=
lung ber Söielobie bes alten Siebes: „9cun bitten wir ben heiligen ©eifi,''*) bie beiben legten 3eilen
ftcb aus:
S)af5 er uns behüte an unferem Gnbc,
SBenn wir beimfabrn aus biefem Elenbe.
•) SBeifpiel STCro. 15.
193
25ie erjie terfelben geigt un§ einen jroeifh'mmigen 2Bed)felgefang jnufdjen ben beiben beeren unb
tieferen Stimmen, in welchem, bei ganj fd>Iid>ter SBe&anblung , ba§ ©eprdge bemütbigen glehen$ roohl
auSgebrüdt ift; ein canonifcfyer Saö jroifcben bem Onelobiefübrenbcn; SEenore, unb ber £bcrftimme, ju ben
Schlußworten be$ ©anjen: „in biefem Grlenbe" tritt burd) bie gefebidte Stimmführung au§ ber oollen
Harmonie frdftig unb nacfybrüdlid) beroor, mit ifym eine angemeffene Steigerung, unb ein recht ein=
bringltcber ©cgenfag jroifcben 2Bed)felgefang unb CEanon. Sn Stefmariue! »ierftimmigem Sake über bie
Utelobte btä De Teum finb, im Verlaufe be§ ©anjen, alle pbjrpgifcben Scblufjfdlle burebroeg ionifd)
bebanbelt, bi§ auf ben legten am @nbe be§ ©efangeS, ber aber nicfyt in ben ©runbton E jurüdleitet,
fonbern bureb bie Unterlegung ber Unterquinte A in einen dolifcfyen umgeroanbelt roirb. ^armonifd)
wirb bienaet) bie ©runbtonart, ba§ 9-M)n;gifcbe, ffreng genommen, gar nicfyt jur 2lnfcr>auung gebracht.
3m OTgemeinen iff auch fyier ber Senor bie melobiefübrenbe Stimme, jeboeb mit einigen 2ütSnaf)tnen.
SSon ber Stelle ab
£u jtbn'g ber Shren, Sefu <§&rifl,
<55ott SSaterS ein'ger Sofm bu bift
roirb in ben folgenben, ju einanber gebbrenben, gereimten 3eilenpaaren, bie SRelobie geseilt jroifcben
bem Senore unb ber Eberftimme: tiefer gefyt mit ber erften Seile ooran, jene folgt mit ber jroeiten.
Spaterbin i)at je ein ganjeS Seilenpaar roecfyfelroeiä bie SKelobic im Senor, unb ber £berftimme: fo
bei ben SBorten: 2afj un§ im ^immel fjaben SheilK.; #ilf beinern 33olf, £err Sefu C5f>rtft te. 2Me
Stellung ber 9)iclobie ju ben übrigen Stimmen, ber SBccbfel biefer Stellung, unb beffen 2lrt, bie
Anlage alfo, nid)t bie SSefyanblung ber Harmonie, finb bei biefem ©efange ba3 33emerfen§roertr;e. 3>n
bem uierftimmigen Sage über bie borifcfye SBeife be3 SiebeS: S ef u ^ 6r;riftuä unfer ^peilanb,
ber ben Xob überroanb" finb jroeifiimmige Safje ber tjbfjevert unb tieferen Stimmen unter ftd),
unb bann roieber ber oollftimmigen Harmonie entgegetigcfefjt. Sie SDcelobie bes> 2iebe§ : ,,3Bär' ©Ott
nicht mit un§ biefe Seit" hat ber »on bem 9Jieiftcr gerodeten Anlage fogar ftd) fügen müffen:
biefe ift auf einen Soppelcanon jroifd>en ben beiben beeren unb tieferen Stimmen berechnet, von benen
biefe leeren beiben bie für biefen 3roed umgeanberte Söeife, unter bem SSorgange ber ©runbftimme,
burebfübren, unb mit biefen ihren Nachahmungen in bie gteid)artige 2üt5fübrung ber £berftimmen ein=
treten, roelcfye eine jroar ähnliche, aber bennod) felbftdnbige mclobifd)e ©runblage bat. 3u ben heften
Sonfdfeen ber erften £dlfte bes IGten S^brbunbertö fann be§ S5ceifter§ S5ef>antlung ber SBeife: „Gbrtft
lag in Sobesbanben"*) gerechnet werben. Die SDielobic fü()rt ber 3)enor; fie ift, gegen bie Sitte
ter Sonfe^er jener 3eit, bei ben Scblufjfällcn am dnbe ber einzelnen Seilen bureb f leine Sadismen
gefchmüdt; bie übrigen Stimmen roeben um ft'e 9tacbabmungen , beren ©runblage au§ ihren 4?aupt=
roenbungen entlehnt ift.
Sn bem Sonfafee über bie SDMobie: (S r l; a 1 1 ' uns ^>err bei beinern 2Bort, bereine
jebe Strophe bes ßiebeä befonberä bebanbelt, ift in ber erften ber SEenor, in ber jroeiten ber Diöfant,
in ber brüten ber SSap bie melobiefübrenbe Stimme: ber legte in bem Sonumfange »on C, rooburd}
bie (nicht oorgejeichnetej grniebrigung ber Sechste a um einen halben Xon notl;n?enbig roirb, alfo ein
4?ütf?ton, ber nid}t unmittelbar in bem Greife be» in ben fünf Sonavten entfalteten biatontfehen SpftemS
") SBctfpiel SRro. 10.
c. aSint«f<tt, itt esang«!. ß^ctalgefang.
25
194
liegt. Doch mirb berfelbc Ijier lebiglid) burcb, eine SBerfe^ung bebingt, ohne bafi fein Eintritt fonfi eine
befonbere S5ebeutung hätte. 2)aS £ieb: 83erleib' unS grteben gnäbiglicb, befcbjtejjt baS ©anje:
feine SBlelobte erfebeint roieberum in ber Scnorftimme. (5S fönnte SBunber nehmen, baß ein 23ifd)of eines
fatbolifdKn 2anbeS jenes cvfte 2ieb, baS bem 9)apfttbumc fo cntfd)ieben feinblicb. entgegentritt, als ©egem
ftanb eine» £onfaf<eS gewählt habe, wenn mir unS ntdjt erinnerten, bafj feine 9Jielobie mabrfd)einlicb einem
älteren geijtlicfyen Siebe angehört, imb nid)t »orauSfefcen müßten, baß roobl ber £)rucfer unb Herausgeber
jeneS fpätere, eben ju jener Seit ein rcd)tcS 2Babrjctcr;cn proteftantifeber ©eftnnung, bem SEonfafje lieber
unterlegt habe; wie ja aud) SBuggcnljagen an ben Serien ber $efponforien beS ^efmariuS SJlancbeS auS=
mfcfcen unb ju beffern fanb.
3n ganj anberem Sinne als SfeftnariuS, ijl SBetteMct &uct$ unS bemcrfenSmertb.
2£ud> bei il)m, mie bei fajt allen früheren Sonmeiftern , haben mir nur fpärlicbe ^acbrtcfyten über feine
äußeren ScbcnSucrbältniffe. Söalter führt ihn unter bem 9camen T)ux auf, unb gebenft feiner um 1539
ju Ulm herausgegebenen brei = unb mcrjtimmigen Harmonieen ju ben £)ben beS Horaj. (Sben fo
©erber*), ber babei bemerft, ber gelehrte Herrmann ginef habe ihn befonberS hochgehalten. getiS**) führt
an, bafi er oft nur unter feinem Saufnamen 33enebictuS üorfomme, unb Äteferoetter cnblicb fiellt bie
SSermutbung auf, er fei ein £)eutfd)er geroefen, unb möge mobl „^erjog" geheimen haben. 9cun
hält getiS ben beutfd)en Urfprung unfercS SKcijtcrS für unmabrfcfycinlicb, benn in ber Stabtbüdjerei
$u ßambrat; finbe fid) eine banbfd)riftlid)c SKcffe auf bie SJMobie eineS flämifd)en SSolfSliebeS „Myn
heert" mit ber Scamcnbejcidmung ßenedictus Hertochs, morauS ju folgern fei, ber SDZeifter, habe er
auch, jenen gamiltennamcn geführt, merbe efyer ein 9cieberlänber geroefen femt, roie er benn nur lateu
nifebe, flämifcfye unb franjbftfd)e ©efänge gefegt habe. £)ie leiste 33el)auptung roiberlegt fid} burch,
3ih,au'S Sammlung, in ber mir if)n mit jebn SEonfä^en über DJMobiecn beutfcfyer geiftlicher 2ieber antreffen,
unb nid)t minber bureb bie gorfterfebe, in beren erftem Sbeile (sJiro. 92) er mit ber merfttmmigen S3e=
hanblung ber Singmeife beS weltlichen 2iebeS: „(Slenb bringt $Pein," auftritt, baS fpäterbin burd)
Jinauft geiftlicb oeränbert vourbe. Sft übrigens SBcncbict £>uciS, ober ^erjog, roie mir nad) bem 8Sori=
gen ihn mobl nennen bürften, ber Urbeber ber SEobtenftage auf SoSquin beS ^reS, bie mir unter bem
tarnen SBenebictuS in bem 7ten SSucbe ber bei SEilman Sufato ju 3tntmerpcn gebrueften ©efänge ft'nben,
fo mar er roobl ein ©djüter biefeS großen DJieifterS , l)atte fieb baljer in ben 9liebcrlanben, ober in granf=
reich , bei ihm aufgehalten , unb eS barf nicht befremben , bafj er oiele ©efänge in ben Sprachen jener
ßänber gefegt, unb baf manches feiner 2Bcrfe in bortigen Sammlungen gefunben voirb, menn er auch in
ber Shat ein 2)eutfcher gemefen ift.
Die jehn SEonfä^e unfereS 9!fleijterS in ber 9?haufchen Sammlung ftnb meift auf befanntc Äircben=
meifen gearbeitet : boch finben fid) aud) beren übcr93Jelobieen, bie oon ben jef^t jumeift gebräuchlichen il)rer ßieber
tjöltig üerfchieben ftnb. So über eine pbrpgifcbe Singmeife beS ßiebeS: 83ater unfer im Himmelreich,
unb über jene mir olr;bifche beS ^falmliebeS : #d>©ott oom.£)irnmcl fiel) barein***), bie in SBolf ÄbphlS
ju Strasburg (1537; herausgegebenem Sieberbucibe, in bem bortigen großen Äirchengefangbuche üon 15GO,
überhaupt in fübbeutfeben 9Kelobieenbücbern häufig üorfbmmt, mäljrenb in bem übrigen coangelifcben
') m. I. col. 972.
") Uiogr. des musiciens III. p. 347.
•") SBeifpiel 9lro. 17.
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£>eutfcblanbc tcffen pbrngifcbe SJielobie gebräuchlicher ift. So cnblid) über eine borifebe bes ^Pfalm=
liebes: 2ßobl bem, t>er in ©ottö gurdjtc flef>t. Cb besbalb ber Selker auch als Sanger biefer 9EJ2eto-
biecn gelten bütfe, muffen wir unentfd)ieben laffen, ba nur bie Abweichung bevfclben von ben mehr gang=
baren ibrer lieber barauf ju fcbließen berechtigen würbe. 9cur einmahl fyat unfer SOßeiftcr bie SKelobie in
bie .Cberftimme gelegt, bei ber merftimmigen SSebanblung bes spfalmliebes : @s wollt' uns ©Ott genäbig
fepn, wo er bie jweite, »brngifebe Singweife, mit ber baffclbe vorkommt, bie am meiften verbreitete,
gewählt bat. £ter *f c^ bejeiebnenb, baß er bie Neigung ber ©runbtonart ju ber ionifchen, burd)
feinen gan,en SEonfag befonbers hervorgehoben , ja , bie aufjreigenten wie abfallenben »brvgifcben Son=
fcblüffe burchbin ionifch behanbelt fogar ben lefeten, ber nur auf bem forthallenben Sd)lußtone ber
ÜKelobie wieber binübcrgeleitet wirb in bas sphrngifebc. 2Bohl mochte er, neben bem (Ernfte, ber Strenge
biefer Sonart, aud) bie SRilbc ausbrüden wollen, bie burd) jene Begebung ju einer nahe »erwanbten
in ihr liegt, hier bie Hoffnung ber Crrhörung jugleid) mit bem ©cbete; wie wir benn in ber barmonifchen
33ebantlung ber Tonarten aller von ihm für feine Sonfä^e gewählten Singweifen bas Streben beutlich
ausgefprod)en ft'nben, bem Safce burd) ben 3ufammenflang , bie barmonifdje SSejtchung, SBebeutfam;
feit ju geben, unb barin fruchtbare .Reime harmonifcher (Entfaltung erfennen. Sal)en wir jene pbrn*
gif che Sßeifc, faft durchweg in ihrer ionifchen SSejicbung gefaßt, fo erfd)eint bie, eben jener %m-
art angebbrige bes Siebes: SSater unfer im Himmelreich, burch alle ihre Aufweichungen hin faft nur in
verwanbten, nicht ben ihrem melobifchen ©ange unmittelbar gemäßen SSejiebungen; ben vf)tt)gifcben
Scblußfätten iß bie Quinte, ben äolifchen die große Serj, ben mirolpbifchen bie f leine unterlegt, unb fte
finb burd) tiefe harmonifdje ©runblage in das Aolifche, Sonifche, ^hrpgifche binübergeleitet: jwar nicht
im Sinne ihrer urfprünglicben melobifchen SBenbungen, bod) ift bie Harmonie, burd) welche die=
felben umgcftaltet wurden, bem ©evräge ber ©runbtonart dabei allejeit treu geblieben. 9(ur bie eine
ionifebe Ausweichung ber Singweife, am Scbluffe ber ßcile
unb willt das S5eten von uns ba?n,
erfebeint, fo melobifch wie barmonifcb, als eine folche, unb wenn ber pbrpgtfche, abfallende Schluß des
©anjen bei bem elften (Eintritte des legten SEones ber 9)celobie aud) als ein äolifeber erfd)eint durch bie ihm
untergelegte £Luinte, fo wirb ju biefem fortl)allenben SEone enblid) ein regelmäßiger »brvgifcber Sd)luß
dennoch gefunben, burd) bas Sonifche hingebenb, unb fo jwei £auptbejiebungen ber Sonart bebeutfam ju=
fammenfaffenb. 33ei der jweiten Seile ber mirol»bifd)en Sßeife bes Siebes: Ach ©ort vom Gimmel
fteb barein, ift ber melobifch in bie ©runbtonart jurücfgehenbe Schluß in ber Harmonie pbrpgifd) gefaßt,
unb baburd) ber Sinn, fowobl biefer, als ber vierten 3eile wohl ausgebrüeft
unb laß bich bas erbarmen ;c.
SSerloren ftnb wir Armen :c.
Sem borifchen Sdjluffe ber »Orienten 3eile :
ber ©laub" ift auch, erlofd)en gar,
wirb bebeutfam bie große Serj, b, unterlegt, eine unerwartete SBenbung, burch bie nicht ein fräftiger
5Bortausbrutf allein hervorgeht, fonbern bie auch, vermittelft bes borifchen Anf längs an bie Stelle einer
bejtimmten Ausweidjung, ber Harmonie eben fo wof)l bas ©epräge bes ©ebeimnißvollen mittheilt, als
bes (Srnftes unb ber 2Bürbe.
25*
19G
£errfcbt bei anbeten Sonfegern jener Seit mehr ba§ Streben »or nach finnrcicr/er SBermebung
mebrer SRelobieen, werben 2üßmeid)ungen, S3ermanbtfd)aftcn bcr Tonarten, bei ihnen meift nur melobifch
gefaxt, fofem nämlich jebe einjelne Stimme für ftd) beftet)enb betrachtet, unb nur bie Nebenforge in 2ld)t
genommen mirb, baß tf>re SBcrfnüpfung mit ben übrigen eine mof)llautenbe bleibe: fo erfcheinen un§ bei
Scnebict £>uci§ (ober ^Jcrjog; Regungen cineS neuen Sinnes», ber bei aller Sorge um bie Rührung ber
einjelnen Stimmen, an ben Sufammenflang aller bie gorberung ftellt, baß er nicht allein mof)llautenb
fei im Allgemeinen, fonbern auch bie fyarmonifcfye 33ebeutung ber ©runbtonart offenbare; biefe Sorbe--
rung feben mir meift in allen Sd^en biefeS 9Keifter§ »ormalten. 2Bir haben tt)n baher befonberS bod) ju
halten aß einen Derjenigen, burd) meldte bie in ber legten 4?älfte be3 löten ^ahrfmnberß erfd>loffene
23lüthe ber heiligen Sonfunft üorgebeuter, unb roefentlid) mit gejeitigt rourbe.
(Snbltch müffen mir noch, ehe mir von ihm fcheiben, feiner »ierftimmigen 33ef)anblung uon
SutherS Siebe : ,,SRnn freut euch lieben ßhriftcngmein''*) gebenden, (Sr hat beffen Sölelobte in ben Senor
gelegt, unb läßt biefen, 3etle für Seile, biefclbe, ofme ^Begleitung ber übrigen Stimmen, »ortragen aß
SSorfänger, bann »ereinen ftcb, alle mit ifjm ju »ollem 6f)ore, in meinem feine Stimme auSfchliefjenb
ben £au»tgefang füfjrt — bie le^te Seile aufgenommen — fonbern biefer auf ber ©efammtharmonie aller
nur »erhüllt l)inburd)flingt. der angenehme glufj beS ©cfangef in allen Stimmen, ba§ Weitere ©cpräge
thre§ 3ufammenf langes, fßiegelt bie Stimmung »ollrommen mieber, bie in bem Siebe »orherrfcht. Aud)
hier müffen mir ben SQieiftcr au§gejeid)net nennen; bie »on ihm gemalte §orm be§ $£onfa£ee>, ber SBechfel
be§ ©injelgefangeg unb bes> »ollen @hore§, eine feltene um jene Seit, ja, »on if)m mof)l juerft angemenbete,
bemdfjrt feinen feinen Sinn für 3lngcmcffenl)cit, unb jeigt itm aß äderen Äünftler, ber nicht allein finnreidb,
jufammenfügt, fonbern »on innen herauf »ahrhaft geftaltet.
Sßeniger bebeutenb aß biefer SJieifter erfd)cint auf bem ©ebiete, baf mir je£t betrachten , 3 t rt
& ietvid>, lateinifch aß Sixtus Theodoricus aufgeführt. ©ottfricbSBalter (p.208) »eif? über tf>n nid)t
mehr ju berichten, aß baß er jußonjknj gelebt, unb bem ©larean für fein Dobccachorbon mehrere SSonfälje
mitgetheilt habe, ©erber in feinem älteren 2Borterbud)e**) ermähnt nod) feiner um 1541 bei 9?bau herauf
gegebenen 3ö Antiphonieen, unb eincf fiebert Saljre früher (1534) ju Strasburg erfchienenen ©rabgefangef
auf Stomas Sporer, ben gürften ber Sonfünftler (Epiccdion Thomae Sporeri , Musicorum principis).
2öalterf unb feinen eigenen 33erid)t fchmil^t enbtidb berfelbe ©elehrte in feinem neuen 2B6rterbud)e*") ju=
fammen, inbem er nur noch et'neä, um 1545 bei 9?hau gebrudten „Opus musicuro" »on Sirt Dietrich
gebenft.
©eorg 9?hau, mit bem, nach eben mitgeteilten Nachrichten, Sirt Dietrich in nahem 8Ser=
fehre gelebt haben mirb, theilt unf fiebert SSonfäfje biefef SDZetfterf mit in feinen 123 Siebern für bie gemeü
nen Schulen. Sie finb meift fliefienb, fangbar, einfach gefchrieben; in feiner »icrjtimmigen SBehanblung
ber ionifchen 2Beife be§ SiebcS: ,,'2lu§ tiefer Noth fd}rei ich bu bir/" W faft burchgängig Zon gegen Zon
geftellt. 3n bie Cberjiimme hat er bagegen bie SKelobie niemaß, fonbern immer in ben SEenor gelegt.
Wit 3ohannes Stahl, »on bem mir fpäter reben merben, hat er eine ungembhnlichere, ionifd)e 3Beife be$
') SBcti'piel "ülro. 18.
") I. col. 310.
—) I. col. 890. 891.
197
SiebeS gemein: „Sßater unfer im Himmelreich/' bie unS bei jenem SOZctflcr befcbäfttgen wirb. 9cur brei
SEonfdfjc über weltliche Sieberweifen ftnben wir von ©frt iSietrid) in SorjIer§ (Sammlung frifcber beutfct)er
Siebtem; jwei in beren erftem, einen in ihrem jweiten Steile, von benen im SBefentlichen baffelbe ju fagen
ift als von feinen geglichen ©efängen.
Über Supud J&elltntf, von bem in unferer Sammlung elf Sonfäfce ft'cf> finben,
erfahren mir burd) "#nbere eben nicht mehr alS fein SSorfommcn in bevfelben, unb waS barauS ohnehin
unmittelbar gefcbloffen werben fann. 9lur ©erber bertd)tet unS*) bafü (gegen 1550; £errmann gtnd feiner
als eines vorjüglicben SEonmeifterS gebenfe. 25arauS, bafs in gorfkrS Sammlung fein etnjiger Sonfatj
von ihm vorfommt, bürften mir fchliefjen, bap er auSfd)liefknb ber fird)lid)en Sonfunft feine .Kräfte
gemibmet fjabe, ober in weltlid)cn Siebern nid)t glüdlid), minbeftenS boct) nicht beliebt gewefen fei.
2BaS feine geiftlicben Sonfäfje betriff, fo neigen ftd) biefe, mehr ober weniger, ju motettenl)after
33el)anblung Inn. 2fu§ ben einjelnen SBenbungen ber Singweife eines SiebeS webt ft'dt> burd; Nachahmung
in ben verflochtenen Stimmen baS ©anje jufammcrt, bie 9)lelobie jirömt nid)t, als .^auvtgefang, unver=
mifd}t, ungebrod)en, burd) baffelbe t)in. 2£udt) ftnben wir <Säf|e, bie, ot)ne auf einer beftimmten <Sing=
weife als it>rer ©runblage ju ruhen, ein freiem ©ewebe biefcr llxt barftellen, wie ber über bie 2öorte beS
ßiebeä gearbeitete: 2Bol)l bem ber in ©ottS gurd)te fielet; ©dlje, bie unS hier nid)t befd)äftigen fönnen.
9ßur jweimabl, bei ben Sonfäfjen über bie 5DWobie beS SiebeS Sttarfgraf @afünirS: „ßavitan £err
©ott unb SSater mein" (ülxo. 110) unb über bie »l;rwgifd)e Sungmeife beS $>falmliebeS : „2(uS tiefer
9lotb ic. bat ber 9JZeifter bie SRelobie obne ßinfd)altungen aB fejten ©efang in bie Senorfttmme gelegt.
3n ber Sberftimme fömmt fte bei tl)m nicht vor. 2lnfd}einenb ift bieg jwar ber $att bei ber vierftimmigen
SSebanblung ber SEÖeife beS 9)falmliebeS »on SBolfgang £)ad)ftein: ,,%n SBafferflüffen SSabwlon**)/' eine
^Bearbeitung, bie wir nebft bem Sonfa^e über bie je£t nod) gebräuchliche SORelobie beS Spcnglerfd)en
SiebeS : ,,©urd) #bamS %aU ift ganj verberbt," hier um beSwillen ju näherer Betrachtung auswählen,
weil beibe bie früheren Sonfä^e über jene Söeifen ftnb, bie wir aufjufinben vermochten. 3n jenem ^)falm=
liebe erfcheint nun jwar bie 9Jlelobie, bis ju ben SBorten ber ft'ebenten 3cile beS SiebeS :
"Un ihre S3äum' ber SBetben
unveränbert in ber £)bcrjtimme, allein nicht ungebrochen ; ihr Sluß wirb burd) mancherlei frembe Swtfcbem
fäge gehemmt. Sann geht fte in bie SenorfTimme über, ebenfalls nicht ohne ßinfchaltungen 5 mit ben
legten beiben Seilen fehrt fte jurüd in bie £)berftimme, gebrochen unb gehemmt wie juvor. SJlan fann
ihre einjelnen ©lieber auS bem ©anjen jufammenlcfen unb fte wieber vereinigen, bod) wie eS einmal)l
befiehl, ftnb fie burct) baffelbe hin jerftreut. Sie Gelobte beS SiebeS : £)urd) 2lbamS gaü ic. ift jwar nur
in ber Senorftimme von ^eüindS Sonfa^e ganj vollftänbig ju ftnben. Sebod) iji fte nid)t allein fdjon an
ftd) felbjl burd) frembe, ja entjlcllcnbe Dehnungen veränbert, fonbern hinter ihren einjelnen Seiten folgen
SSBieberhoiungen unb ©infdn'ebfel, fo bap bei biefer 2Crt von S3eh«nblung fte nicht rein aufgefaßt werben
fann. — Übrigens treten bie einjelnen ©lieber unferer ©ingweife in ber Senorftimme nach jiewlich gleid)=
gemeffenen 3wifd)cnräumen in ben ©efang ber übrigen ein, welche bis ju ihrem Eintritt Anfangs jwei=,
bann breifiimmige S3or= unb 3wifd)enfviele forüveben (bafü wir fte fo nennen), für welche fte auS ihnen bie
©runbwenbungen entlehnen.
') I. col. 629.
") SBcifpiet 9lro. 19.
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23on 3SoIf »<?ctnj enthalt bic (Sammlung SJbau'S für bic gemeinen «Schulen nur j»ei
vierfttmmige SEonfäfce: ben einen über SutberS Sieb : „ßln'iß unfer £err jum Sorban tarn," ben anbern
über ben alten ^fmgftgefang : „9hm bitten mir ben heiligen ©eift." 9Kan bat biefen Meifter roobl für
bat Sänger ber Melobte jenes JSatedjtSmuSltebeö gehalten, »eil man feinen tarnen über bem £on=
fafce beffelben mäft auf biefen, »ie man gefollt, fonbern auf jene bejogen bat. £>aS frühere SSorrommen
jener SBcife mit bem ^falmliebe: es »ollf unS ©Ott genäbig fepn, »iberlegt jenen 3rrtl)um auf baS
ffiünbigfte. Demnach gebort ber frübefte Sonfalj über unfere aJcelobieSobannSBalter an (1524); biefe felbft
aber eignet, »ie »ir auSjufübren gefud)t, urfprünglid) »obj einem weltlichen Siebe, ©ben fo pflegt 2Bolf
£ein$ aB einer ber oorncbmften Mitarbeiter SutberS genannt ju »erben bei einfübrung eines? beutfeben
gcifllid)cn ©efangeS. Aud) hierüber fehlt eS an S5e»eifen. eine nahe S5cjiel)ung SutberS ju ibm ift nur
in beffen Schreiben ju ftnben, baS er um 1543 am Dienftage nach 9cat»itatiS SDZavtd an ibm nach 4?äUe
erlief, ihn über ben SBerluft feiner ©attin ju tröften. 3n biefem l)errfct)t allerbtngS ein herzlicher, üertrau=
lieber £on*). „Unfer $err ßbrifruS, ben ihr lieb habt, unb fein SBort ehret, ber »irb eud? trbften (fagt er
barin) unbfolche Anfechtung ju eurem SSeften, juuor ju feiner ehren, »iffen ju anbern. eurer lieben £auS=
frauen tft beffer, ba fte ifet ift, benn ba ft'e bei euch war. ©Ott helfe euch unb unS allen feliglich bienieben,
obS »ol)t ohn' SSrauren nicht jugehen fann unb foll. Den SeufelSf opf in Mainj unb feines ©leiden laßt
»einen, baS ftnb recht elenbe Seute." Mit biefem tarnen meint Sutfjcr ben GEarbmal ßlnirfürjten 'Wibrecht
oon Mainj, SSrubcr 3oachim§ beS erften v>on SBranbcnburg , in beffen Dienftcn, aB erjbifdjofS »on
Magbeburg, SBolf £einj ju «£>aUe ftanb. Siefen bebauert er, aB einen elenben Mann, ber won bem reinen
Söorte ©otteS ft'd) abmenbe ; nur fold)e hält er für bebauerlich , nur ihnen mißt er gered)te Urfache bei ju
Shränen, nicht bem, ben eine üon ©Ott ju feinem ^)cil gemeinte Srübfal unb Anfechtung treffe.
Mein eben »egen biefer Anbeutung bürfen »ir immer noch nicht ein nal)eS, vertrauliches S3er=
bättniß oorauSfefjcn j»ifd)en Sutber unb #etnj. Sutber liebte ju trbften , unb auS bem SBorte ©otteS
$u trbften, barauf hinjumeifen, baß von bal;er in ber Siebe unb im ©lauben Sinberung fließe für jeglid)eS
Seib, unb baß-nur ber fbnne troftloS genannt »erben, ber fein entbehre. es lag ihm nahe, eben in biefem
Sinne ben funftreid)cn geiftlid)cn Sonmcifter feinem $errn gegetutbcr$uftellen, unb er nahm biefer ©elegen=
beit »ahr, »ie er benn gern ben in ber jtunfi ausgezeichneten Männern feiner Seit nahe ftanb. Aud) ift
biefer Srofibrief fein einjtgeS, an unferen Meifter gerid)teteS (Schreiben, fo viel »ir »iffen.
eine SSeranlaffung, ihn bamit ju bebenfen, mod)tc er »ol)l noch in einem anberen Umftanbe
ftnben. 2Bolf $eitij hatte einige 3<*l)re juttor ftd) einem Unternehmen angefd)loffcn, baS, »enn auch
ben ©efang beutfeher geijllicher Sieber bcgünfh'gcnb, bod) gegen Sutl)er gerichtet feheinen fonnte. 3u
Dem ©efangbudje, baS 2). Mtd)ael S3eh , StifBpropfl ju $aUe / im S^hvc 1537 ju Seidig
bei Elidel SSBolrab bruden ließ, hatte er einige Singmeifcn erfunben. 2Bir erfahren biefeg au3 ber 3ufd)rift
- beö Herausgebers an ßafpar Äuerhamer, StatbSmcifter ju Sr>Me. ,,3d) h^b' in furlj oerfdn'enenen Sagen
(^fagt jener barin) etlid) get)filid)e lieber unb lobgefeng, jum tepl »on ben Alten, jum thewl »on e»er
»epßheit, »nb einem anber gutherzigen ßhrifien, auß bem ©oangelio, ^falmcn »nb hewliger gefchrifft,
ju fbrberung ber Anbacbt »nb mchrung göttliches lobS gemacht, in ein ©cfangbüd)lein ju Ijauff getragen.
Die melobeien ber alten Spber, aud) etliche ton S. SB. gemad^t, onoerenbert (äffen bleiben, etliche aber
•) bc 2Bctte V. (Nro. 5104. p. 589).
199
fpnt oon ben mirbigen «£>errn, unn in ber 9ftufica berümptcn SDiciftern, Sodann £offman, mib 2Bolf^
gango Heinsen, beS £odnr>ürbigftcn Durcblaucbtigftcn min bocbgcbornen gürften r>nb Herrn, £errn
tflbrecbten, ber (jetjligen Stom. fird^en ßarbinalS, ßrfcbifcboffS SDiennfe vnb SDiagbenburg k. tc. meines
gnäbigfien £errn runfhcicbcn organijten, »on neu wen mit fleifj gemachet roorben.*' Diefe
geiftlicbe Sieberfammlung Michael SSebS gilt gemeinhin als eine folcbe, beren Herausgeber eine entfcbieben
fernbliebe Stellung gegen ilutlicr angenommen habe. (5S ift in ihr jeboeb nichts anzutreffen, mobureb biefe
SSorauSfefcung gerechtfertigt mürbe, <Sie ift unjmeifelbaft im «Sinne ber alten Äucbe jufammengetragen,
iebod) in ber frommen Slbftcbt, „bafj etliche gepftlicbe vmoerbecbtlicbe gefanglpber mürben angeriebt, melcbe
r>om gemeinen Sanen , ©ort $u lob »nb ehren, ju aufermeefung beS gepjleS, onb anreifeung ber anbaebt
mbdncn in onb auf er ber fachen, »or r»nb nad? ber prebig, auch jur jeit ber gemeinen bittfarten, r»nb
ju anbern t)ct)ltgen gejeitten gefungen werben." DeS Sammlers 2lbfid)t mar eS alfo, baS 2Ctte feftbaltcnb,
»on ber neuen Srtnung beS firdblicben ScbenS baSjenige aufzunehmen, maS ft'cb als beilfam unb ermeeflieb
bemiefen batte. Cjin milber, r>erf6bnlid)er Sinn, ber ftcb überall bei ihm betätigt, giebt, neben feinen
eigenen fo eben mitgetbeilten SBorten, ein fidjereS 3cugnifj baoon, baf? eS alfo gemefen. 2Cucb ba felbft,
mo er in bem »on ibm v>eränberten 2lbenbmablSliebe : ,,ScfuS (EbrijluS unfer £>eilanb" ben ©ebraud) ber
alten Äircbe rechtfertigt, bem jufolge fte ben £anen baS 2(benbmabl nur in einer ©eftalt barretebe, ermahnt
er, über bem Disputiren bie Siebe nidit einjubüfjen, unb ben ©lauben mit ber Sbat ju bemeifen. Allein
in jener gcmaltig aufgeregten 3ett mod)te eS leicht gefebeben, bafs biefe SOttlbe unb SSerfobnlicbfeit, fofern fte
bod) ftetS ihr gehalten an bem hergebrachten befannte, für bie gefäbrlid)fte geinbfebaft galt gegen baS
reine ©ottcSmort, baS man eben in jenem, ber eignen Siebe beS Herrn wiberfpreebenben ©ebrauebe um fo
bringenber gefäbrbet glaubte, je freunblicber unb liebeüoller bicCirmabnung ju feinen ©unften erfebien. @al)e
man in 33ann unb SBerroünfcbung beS „alt böfen geinbeS grofe Stacht," fo fanb man „oiel £ift" in
bemjenigen, baS 25et>, mie unS nicht jmetfelbaft fewn mirb, in einfältig frommem, aufrichtigem Sinne
gerebet. Dabin mochte auch ßutberS Anficht geben , unb beSbalb feine Meinung fepn, ben Mcifter, ber
an SScbS Unternehmen Sbeil genommen, ulS einen nicht allein funjtretcbcn, fonbern auch frommen Mann,
bei einem ihm tief ju Herjen gebenben ©reigniffe bureb eine leife 2lnbeutung In'njumeifen auf baS reine Söort
©otteS als ben rechten Sroft, ihn ju roarnen t>or benjenigen, bie ihn bawon fbnnten abmenbig machen.
2Bir mürben unS fonfi bie ^inmetfung auf feinen Sr>mn, unb feines ©leieben nicht ju erflären miffen, fte
mürbe ungehörig unb jmetfloS erfd)einen ; nur fo ftimmt fte $u bem übrigen Snbalte beS SkiefeS. ©inen
Mitarbeiter ßutberS auf bem ©ebiete beS ÄircbengefangeS bürfen wir.banad) 2Bolf He'nS nicht nennen,
auch fehlt eS unS an allen 9fcacbrid)ten barüber, baft er twr bem Sabre 1544, ein Säbr nach jenem 33riefe,
bie Melobie auch nur eines lutberifdjen Siebes gefegt habe, mie er ja felbft bamalS überhaupt nur mit
menigen Sonfä^en in Svbau'S Sammlung auftrat. @ben aud) nur beren jmei finben mir in bem 2ten Steile
»on gorfterS frifeben teutfehen fiieblein, unb bie Nachricht, bap man in 2tmerbacbS Sabulaturbucbe (1571)
mehre feiner Sonfd^e ftnbe, ift babin ju berid)tigen, bap bort unter „ben gecolorirten Stüdlein" nur
einer bergleicben gefunben mirb, auf bie SKelobie beS SiebeS:
©ar bod) auf jenem SSerge
ba ftebt ein Sfautenfträucbelein,
ber eine Tinlage jeigt, mie mir fte bei oielen, geiftlichen unb meltlicben ftrophifd)en ©d^en jener 3eit finben,
ber Ttrt nämlich, bap bie beiben £)berftimmen nach Beilen ober 3eilenpaaren bie in bie böcbfte gelegte
200
©ingmeife alS eine 2lrt SSor = ober3mifcbenfüiet ausführen, unb biefe bann erft mit »ollftimmigerSBegleitung
im Senore auftritt.
fragen mir enblid) : meiere Sftelobieen beS §3ehfchen Steberbud>e§ bie »on 4?emj erfunbenen
fenen? fo ift barauf eine genügenbe tfntmort nicht ju geben. SRux fo »iet miffen mir, baß biefe ©ammlung
viererlei ©ingmeifen enthalt, alte juerfl unb bann neue, »on bret Sonfünftlern herrührenbe : bem ©bnner
beS £erauSgebcrS, ßafpar £luerhamer, unb ben beiben ßhunrtainjifchen £>rganiften 3ohann ^offmann
unb Söolf ^>einj ju Spotte. SSon ben 47 SKelobteen, bie unS im ©anjen geboten merben, ftnb nun 18
urfunblich alteren UrfprungS, eS bleiben alfo 29 als ^eroorbringungen jener SEReifjer übrig. @S fehlt
aber an aller ^nbeutung, nach ber mir einem jeben unter ihnen bie feinigen aneignen fönnten. Die beiben
©ingmeifen, bie t>ter ju bem SBittliebe auS bem ^)falm „(Erbarm' fiel) unfer ©ott ber £err" gefunben mer=
ben, bie eine pl)n;gifd)er, bie anbere mrrolwbifcher SSonart, eignen auch, bem ßiebe ßubmig SlerS über ben
3ten spfalm : $crr, mie ftnfe meiner geinb fo »iel" unb ßutherS ßiebe über ben 12ten : ,,2ld) ©ott
»cm £immet fiel; barein;" eben fo fleht bie fpdtere tonifche SBeife beS lutherifchen ^PfalmliebeS: ,,2luS
tiefer9cotf) fd)rei id) ju bir," hier neben bem einleitenben ßiebe: ,, Unfer Suftucht o ©ort bu bift," auf mel=
d)eS baS Später unfer folgt. SSir fbnntcn »orauSfefcen, an ihnen SOielobieen ber genannten brei SJleifter ju
beft^en , bie man nachher für jene anberen ßieber entlehnt habe, erfdjtenen bie julefjt genannten beiben nicht
gleichzeitig in ©übbeutfchlanb ; wollten mir hierüber hinmeggehen, fo müßten mir bod) immer bahin
gefteUt fe»n laffen, meinem jener bret ft'e angeboren, (Sinen fiebern 33emeiS aber giebt unS bie nur ober-
flächliche Nachricht über bieUrhcberfchaft jener brei SDZeiff er baüon, baß in ber erften ^älfte beS ICten 3ahr;
bunbertS, fo fehr man auch bie 5£refltd)feit einer ©ingmeife ju fchi^en mußte, bennod) bie Sfjätigfeit
beS ©ängerS, (SrftnberS berfelben, faum jur Äunft gered)net mürbe. S^ur bie beS ©efcerS galt ba=
für, beShalb mürbe aud) nur fein 9came bei feinem Sonfajje auSbrüdlid) genannt.
Über ^ciuinncö &tahi miffen mir eben nichts 2lnbereS, als baß er mit jmei
Sonfä^en in unferer Sammlung, ju ber mir nun jurüdf ehren , erfdjeint, unbejmeifelt alfo ber er*
ften ^älfte beS 16ten Sal)ti)imbcrtS angehört. Der erfie berfelben (sJfro. 50) ift bie »ierftimmige 33ehanb=
lung einer ionifd)en Sttelobie beS SBet* unb ÄatechtSmuSltebcS SSater unfer im Himmelreich / berfelben, bie
aud) ()Rxo. 51) ©irt Dietrich gefegt hat. @r jeidmet fid) auS burd) leichte, fangbare, gefällige SBenbungen
ber begleitenben ©timmen gegen bie im Senor liegenbe SKelobie; man barf ihn als angenehm unb mohl-
flingenb rühmen, ohne baß er höhere "tfnf»rüd)e befriebigt. Söeniger gemanbt ift bie ©ttmmfül)rung in bem
fünfftimmigen ©a^e über bie bekannte SJMobie beS SBcgräbnißliebeS : „9?un laßt unS ben ßeib begraben*),"
mclche hier ebenfalls im Senor erfcheint, bod) mit ber furjen (Sinfchaltung einer, borifd) enbenben, fremben
SSenbung ju ben Sßorten ber ©chlußjeite, auf meld)e erft, ju eben jenen SBorten, ber urf»rünglid)e, le^te
'Kbfafe ber ©ingmeife folgt, gehlt eS biefem ©efange, bem juerft bef»rod)cnen »crgltd)en , an gleicher ©elb=
ftänbigfeit unb ©angbarfeit ber begleitenben ©timmen, — ein Langel, ber »ielleid)t burd) ben Ganon jmi=
fehen bem melobieführenben Senore unb bem jmeiten 2llte »eranlaßt mirb, ber ihnen einigen 3v»ang aufer=
legt — fo ifi bagegen auf bie SScbeutfamfeit ihreS 3ufammcnflangeS mehr 9?üdfid)t genommen als bort,
©o ift bem erften ©d)lußfalle ber SBeife, ber fid) nad) f, beren ©runbtone, hinmenbet, unb bem britten,
ber nad) d , bem »erfefjten 'Üolifd)en, gerichtet ift, beibe 9JJal)le b, bie Unterquinte beS ©runbtonS, imSBaffe
•) SBeifpiel 9lro. 20.
201 —
untergelegt; ein£on, ber, nad) ber33erfd)iebenbett ber melobifcben SBenbung, baS erfteSUlabt als fold)e, baS
jwette 9DZaI)[ als große Unterterj erfd)eint, bie #uSweid)ung alfo, ift fte aud) bie gleiche, burd) tb,r SSer=
bältniß ju ber SJielobie unb bem in tf>r SBorangebenben als eine »erfcfyiebene erfd)einen läßt. £)iefe gleiche
unb bennod) fo abweicbenbe SBenbung begleitet bie Süßorte beS SiebeS: „begraben" unb „auffiel) n,"
bie in ihm einanber gegenübcrgeftellt ftnb , unb eS ijl nid)t ju bezweifeln, baß ihnen ber 9Jceijter burd)
feine S3etonung einen größeren 9lad)brucf habe geben wollen. 3n SorjferS Sammlung erfcbeint S, ©tal)l
nur mit einem einjigen Sonfa&e ju fünf Stimmen.
&|>Pt!ttt$<2>t0lje*, ber in 9tl)au'S ©ammlung mit fed)S Sonfäfjen unb mit eben fo Wielen
in bem erjten Steile von ©eorg gorfierS frifd)en beutfd)en ßtebletrt v>orfommt, foll auS ©dhweibnifj gebürtig
unb um 1520 ßapellmeifter beS ÄönigS Subwig t>on Ungarn gewefen fepn: ^ermann gind fotl ihn unter bie
erflen Weiftet feiner Seit gerechnet haben. SÖZet>r als biefe bürftigen Angaben fbnnen mir über feine SebenS=
oerbältniffe nicht beibringen, ©eine geglichen Sonfd^e bebanbeln jumeift ältere SDielobieen : bie beS 3ubaS=
liebes ; jmeimabl baS ©efpräd) (S^rtjit unb beS ©ünberS : „£> ©ott SSater, bu haft ©ewalt", ein mit S5ei=
bebaltung feiner ©tngweife geiftlid) umgebid)teteS, weltliches Sieb: SD Suptter, betftu ©ewalt; bie SBeife
beS SEBallfabrtSliebeS : Sn ©otteS tarnen fabren mir; beS SfterliebeS : <5t>rift ijt erftanben. Unter feinen von
^orfier aufbehaltenen weltlichen ©efängen ftnben mir jwei, beren ©ingweifen fpäter eine g eiftlicfye S5efttm=
mung erhielten : ber eine burd) eine Umbid)tung ÄnauftS, welche bie erfte Seile, unb mbgltchft auch, ben
ganjen@ang beS ©ebid}teS, ju beffen SÖMobie beibehält: ,,3d) flag' ben Sag unb alle ©tunb'"; ber jweite,
eine SiebeSf läge : „ßntlaubt ifi unS ber SBalbe", burd) Übertragung feiner 9Beife auf ein gan$ neues
Sieb: „3er; banf bir lieber £erre", einen SJZorgengefang. %n bemSonfa^e über bieüUWobie beS 2BalifabrtS=
liebeS : ,,3n ©otteS tarnen fabren mir" erfdjeint biefelbe in ber ^weiten 2>iSfantftimme, um eine £luinte
aufwärts »erfefjt, unb mit einem fte tbeilmeife wieberbolenben Anhange. 33ergleid)en mir biefelbe, mie fte l)ier
gegeben wirb, mit ber ©eftalt, in ber fte unS burd) £einrid) SindS Steber geboten wirb, fo ftimmt fte
btefer jwar nicht in allen einzelnen SBenbungen überein, bod) in ben wefentlid)en ©runbjügen, namentlid)
bem rl)ptbmifd)en S5aue unb ber Sonart. Senn ift fte bort in bem Umfange üon G aufgezeichnet, mit 95ei--
fügung eines b neben bem ©d)lüffel wegen ber fleinen £erj, fo ftel)t fte hier in D, beffen Sonretbe bie Heine
Serj fd)on urfprünglid) mit ftd) führt. 'ÄuffaEenb nur bleibt eS, bafj ber Sonfafc, in feiner ©efammtbeit
aufgefaßt, bie harte Sonart oon G barjtellt, b>r alfo ftd) baffelbe mieberbolt, waS wir juoor fd)on bei brei
Sonfä^en über bie SBeife beS weltlichen SiebeS ,,£)ie SSrünnlein bie ba fließen" bemerkten. £)em ©a^e ift
nid)t baS ganje Sieb unterlegt, fonbera nur beffen erfte jwet Seilen: ,,Sn ©otteS tarnen fabren wir, feiner
©naben begehren wir". 2Bie inbeß baffelbe bei §ind erfd)etnt, unb wir eS bei ©elegenbeit beS S5erid)tS
über bie älteren beutfd)en geiftlid)en Sieber vor berÄird)enüerbefferung mittbeilten, paßt eS üollfommen unter
bie ibm tjier ju ©runbe liegenbe 9Ketobie. 9?bau l)at alfo t>ielleid)t an ben Seilen
baS belff unS bie ©otteSfraft
unb baS beitige ©rab,
ba ©ott felber innen lag
einen TTnjloß gefuitben, unb fte nid)t für rein eoangelifd) gehalten, ober bei obwaltenbem 3weifel baS Unter*
legen einer freien Umbid)tung oorbebalten mollen. ©toljerS Sonfa^e führt bie £)berftimme (mit 3wi=
fd)enfä^en) einige S£t)eite ber SJZelobte in ber Sonhbhe, in ber wir fte gewöhnlich ftnben, gegen bie jweite
auS. Der ganje ©a£, ohne eben »on h^monifcher SSebeutfamfeit ju fetjn, hat bod) eine gewiffe gefällige
». aBintetfcli, itr csauget. 6^otatgefang. 26
202
Sfegfamfcit unb griffe : ein Erdfttg oormdrtSjircbenbeS 9feifelieb möcbte als Unterlegung am 33ejtcn gu ibm
paffen, ©in ftnnreicfyeS ©timmgemebe geigt unS bie SSefjanblung ber ©ingmeife beS ÄirdjenliebeS :
„ßbriji tfl erfianbcn". Sic ifi, in allen il)ren feilen oollfiänbtg, bem SEenor gugetbeilt unb ber
Überfiimme ; biefer gegen jenen im SEonoerbältniffe ber Sberoctaüe. Sn beiben erfdjeint fte nid)t obne frembe
dinmifdbung 5 cS ftnb Smifcbenfäfje eingefd)altet gmifdjen if>re etngelnen Seilen. 2Me erjien gmei werben ca=
nonifd) burdbgefüfjrt jwtfdjen ben genannten £auptftimmcn, bie britte gmtfd)en bem SEenor unb 33afj ; als
biefen beiben fpäterf)in noch, bie £)ber(iimme fid> gefeilt, ergreifen 2llt unb SEenor in canonifd)er 9cad)abmung
bie 9Dtclobie ber vierten ßeile
ßbriji min unfer SEroji femi,
unb biefe wirb gule^t, mebr ober minber ftreng canonifd), burd) alle oier Stimmen üerflodjten. £armonifd)
bebeutfam ifi aber biefer ©a£ fo rnemg, alS ber gm>or befyrocfyenc.
Über @cor<$ 5°*f*e* b<*ben mir bereite bei ©elegenbeit ber Darlegung beS GrinfluffeS ge=
rebet , ben ber SSolBgefang auf ben eoangelifd)en Ätrd)engefcmg geübt. £)od) ifi nid}t gu übergeben , bafj
SBaltcr unb ©erber noch, einen groeiten Sonmeijier bicfeS 9iamenS anführen ; benn einen gmeiten müffen mir
ibn nennen, ba, mag von beffen ßeben§üerl)ältniffen ergäbt mirb, mit bemjenigen burcfyauS ntd>t fiimmt,
maS jener guoor befproebene SJlctjier, offenbar ein ©übbeutfcfyer, oon ben feinigen berietet. *) Senen (5rgäb=
lungen gufolge mar ©eorg gorfier gu 2lnnaberg geboren, mürbe um 1556 als ßantor nad) 3wicfau beru=
fen, unb oon bort 1564 nad} 2lnnaberg gu einem gleichen 2lmte. SSier Sab" fpäter, 1568, trat er als ©dm
ger in bie £ofcapellc gu £>rcSben, beren ßeitung ibm 1583 nad) bem SEobe beS GüapellmeiftcrS ©io. 33attijta
9)incUo übertragen mürbe, ber er jeboeb. nur oicr %at)xe lang worjianb, inbem er fd)on am lOten £)ftober
1587 mit SEobc abging. 2Beld)er r>on biefen beiben gleichnamigen Bannern mar nun ber Urheber ber gmei
Sonfäfje, meldje Sifyau'S ©ammlung unter biefem 9camen entl)dlt; etncS üierjiimmigen : Srojt' mid), 0
Sperr, unb etneS fünfjiimmigen über bie befannte 2öeife beS 2öeil)nad)tSliebeS : 83om Gimmel l)od) ba romm'
id) b«?**) S5on beiben fonnten fte berühren, benn nebmen mir ben ©ad) fen gorjier aud) nur ctma auf 67
3abre alt an bei feinem SEobe, fo t>atte er um bie Seit ber Verausgabe ber 123 Sieber für bie gemeinen
©d)ulen bereits 24 SWS)«: für bie Sttoglicbf'ett ber Url)cberfd)aft beS ©übbeutfdjen gorjier bebarf eS feines
meiteren JBeroeifeS. gür jenen erften febeint nod) ber Umftanb gu fpreeben, bafj cS waf)rfd)einlid)er fei, 9ibau
babe eines SanbSmannS, als eincS gremben SEonfälje aufgenommen in feine ©ammlung. 'tfber in biefer
bat ber ©ammler offenbar bie nad) feiner Meinung beften SBcrf'e feiner 3cttgenoffen auf bem ©ebiete beS
geifilid)en 2iebergcfangeS gufammengefiellt, obne 9füd'ft'd)t auf #crfunft ber 9Keijier ; er bat üorgüglid) £er=
oorbringungen älterer bemdl;rter SEonf'ünfiler gemdblt, unb ba im Übrigen aud) jene beiben, unter ©eorg
gorficrS tarnen aufgenommenen SEonfäljc mel)r baS ©eprdge älterer 3ett tragen , fo mochten mir für ben
Herausgeber ber frifdjen üieblein gegen ©erber entfcfyeiben. SSon jenen beiben gctjtlidjen SEonfdfjen gorfierS
- geiebnet ft'cf) ber über ßutberS bekanntes Slöeibnad)t§lieb baburd) auS, ba£, mdbrenb beffen SSKelobie im SEenor
erfd)eint, bie Cberfiimme bie ©ingmeife beS alten SSolfSlicbeS ,,'2luS frembben ßanben fomm' id) tyx" bagu
fübrt, mit einigen oerbrdmenben ©plbenbebnungen ; eine SSeifc, bie ortlid) jene erfie, fonji allgemeiner oer=
*) Sffialtcr p. 250 beruft fid) auf M. Christian. Fr. Wiliscbii Incunabula Scholae Annaebcrgcosis, unb M. To-
biae Sdjmibte Chronic. Cygn. p. 423. ©erbet nuf <S. 95 be6 3Jorbcrt'c^tS ju T>x. ©leinene ©rcgbnifdjcr Sfeforma--
tton6f)iftorie.
"') SSeifpiel 9lro. 21.
203
breitete, verbrängt bat, wäbrenb man fie anberwärts einem jroeiten SBeibnacbtslicbe Sutbers von gleicher
Strophe aneignete: ,,S3om Gimmel fam ber ©ngcl Schaar". @s gereicht bem Sonfa&e gorjrers ju be=
fonberem ä>or$ugc, baj? bei einer SSerfnüpfung, wie er fie wählte, boeb Ellies flicfjcnb, angenehm, mohllau=
tenb erfebeint, baß bie begieitenben, unter ftd? einanber felbftdnbig nachabmenben Stimmen bem ©anjen eine
beitere 3?emcglicbfnt geben, inbem fie jugleich ben ,£>auptgefang genügenb hervorheben. £em SJicifter
gebührt eine ehrenvolle ©teile in ber 9ieibe feiner 3ett= unb Äunjrgcnoffen. Unter ben weltlichen ©efängen
in feiner Sicterfammlung ftnb beren vier bureb Umbicbtungen, jur £älfte von SSespafiuS, jur ^»alfte von
Änaujl, auf bas geiftliche ©ebiet binubergejogen morben : S^ad? Suft hatt' ich mir auserwählt — 33or Sei-
ten mar ich lieb unb werth — Vergangen ijt mir ©lücf unb Sptil — &ieweil umbfunft t$t alle jlunjt ; —
ein Umjtanb, ber auf ihre Beliebtheit fernliegen läjjt, menn mir nicht erma ben SBorten ihrer Sieber, bie eine
geiftliche Umgeftalümg leicht vergönnten, ben ihnen geworbenen Ssorjug jufcfyreibcn mollen.
Über bie Sebensumftänbe bes Ztep bau ab u von bem Sfbau's (Sammlung fünf 3>on=
fäfee enthält, fehlen uns alle Nachrichten, ginjelne feiner SSBerfe finben mir in Sammlungen jener 3eit §er-
frreut: eine von ihm felber veranftaltete aller, ober aud) nur befrimmter, gleichartiger, ift, foviet uns
befannt gemorben, niemal» im £nuf erfchtenen. 2Bir beftfeen if)rer nur eine geringe Xhjafyl; vielleicht
mar ber Söleifter nicht einmabj, feinem äufjem SSerufe nach, Sonfünjtler, menn er auch, als grünblicher unb
gemanbter Se£er erfebeint. Sein umfangreichjtcs SSerf möchten feine Samentationen für bie heilige üßoebe
fepn, bie uns ber Thesaurus musicus bes Joannellus fSßenebig, 1568, bei Antonio Gardano) mittl)cilt:
mir üblichen mir Siecht aus ihrem (Srfcrieincn in einer italienifchen Sammlung, bie jebodh aufjer tiefer SJeihe
unter fieb jufammenbängenber Sonfdfje feine anberen unferes SJieijters barbietet, baß er auch im 2luslante
gefebägt unb beliebt mar. J^ier fonnen uns nur feine mehrjtimmigen JBehanblungen beutfeber geiftlicher
Sieber befcbdftigen. 3urtäcbft nennen mir unter benfelben einen vierjtimmigcn Sa£ über bie SEBeife bes Sie=
bes: ,,ßbrift ber ift erfranben" (Nro. 24) ; jene alte SDielobie, bie mir auch bei Senfl fanben, in ber S5er=
ftiüpfung mit jweien anbern, unb bie bem Siebe Leugners: „3n bieb, hab' ich gehoffet £err" oft angepafjt
,u merben pflegt. Sie tji in SSKahus Sonfafce bem SSenor jugeeignet, bod) nicht ohne ßinfchaltungen unb
'tfusfcbmücfungen, erfebeint alfo nicht in ftrengem SBerftanbe als feficr ©efang ; bie SSehanblung bes ©anjen
tji motettenhaft. ®anj ähnlich, verhält es ftd) mit bem fünfjtimmigem Sa^e ju 4 Senorjrimmen unb einem
S5affe über bie 2Beife bes alten Äirdjenltebes : G>hrijt ift erjianben, fNro. 26). 9Raf)u's fünfjtimmige S5e=
hanblung ber SJMobie bes 9)falmliebes : ,,.£err©ott, erfror' mein' Stimm' unbÄlag'" (Nro. 77), jeigt bie=
felbe jmar ohne ©infchaltung, jeboch, mit melismatifcfyer 2lusfct;mücfung, in ber Senorftimme ; eben tiefe» ifi
ber gall mit ber Singmeife von Supers Siebe: ,,2Bir glauben all' an einen ©ort" (9cro. 39). Stein als
fefter ©efang ijt, ftreng genommen, nur bie 9JMobie bes ^»falmliebes : „ein' fefie SSurg iji unfer ©Ott"
(Rro. 61) in SDtahu's fünfjiimmigemSonfa^e behanbelt. "Xud) hier iji bieSBeife bem Senor burchhin 5uge=
theilt, fie hebt fieb jeboch burch ihren Jortfchritt in länger gehaltenen Sbnen vor ben begieitenben, in für$eren
9coten rafeber bemegten Stimmen hervor, melche bie ©runbgebanfen ihrer Nachahmungen aus ihr nach fcen
^)auptmenbungen jeber einjelnen 3cile fehbpfen. Surch tiefe Nachahmungen mtrb bas Eintreten ber £au»t=
ftimme, menn auch fte, wie im Anfange bes jmeiten Sheils, mit ber fünften 3eite gebrängter, lebenbiger
baherfchreitet, ju ben SBorten
ber alt' bbfe geinb
26*
204 ■
glüdlid) angefünbigt unb nad)brücfltd> bejeid)net, woju benn ihr gewichtig langfamer gortfd>rttt in ber
näcbjtcn Seile
9Jiit Gfmjl «r'S jefct meint
bei ber er)et geflcigcrten 3fafct)^ett ber anberen Stimmen einen bebeutfamen ©egenfa^ barjleüt. 3u bem fort=
ballcnben, mit einem ooUen (Scfyluffe eintvetenben legten Sone berSJMobie bilben bie übrigen (Stimmen einen
halben Sonfd)luj3, ber ba£ ©an5e enbet. Unter ben £onfä£en unferer Sammlung, bei benen bie <Stimm=
uerroebung oorberrfd)t über bie harmonifd)e Entfaltung, barf biefer al§ einer ber t>orjügltd)flen unb flarften
gerühmt werben.*) SSBir fbnnten bie brei Sonfälje SJlafju'S über weltliche Siebweifen ganj übergeben,
oon benen je einer in bem erjlen (9fro. 4), britten (9tro. 4) unb fünften Steile (9cro. 20) »on ©eorg gor=
jlerS frifd)cn Siebtem ftd) fmbet, befdnbe ftd) barunter nid)t einer (ber letztgenannte), ber in feltfamer SSer=
fnüpfung bie Söeifen jmeier weltlicher Sieber verflicht, t?on benen ba§ eine
33on ebler 2trt, ein grdulein jart tc.
wegen feiner beliebten SJMobie öfter getjllid) umgebidjtet werben, ba3 anbere aber, ein fd)on juoor befpro=
ebenes SJieijlerlieb,
2fdt> hilf mit Selb' unb fefmlid) flag'
burd) tfbam »on gulba eine ahntid)e$Bcränberung erfahren bat. £)ie 9JMobie be§ erjlen jeigt bereit, bie be$
jroeiten ber erjle Senor; bie begleitenben Stimmen führen benSSert bee> ^weiten, wenn fie aud) ihreSBenbum
gen nicht auS beffenSBeife fdjöpfen. £>ie S3erfled)tung biefer beiben SUJelobieen wirb baburd) nod) bemerfenS=
werther, bafi bie beä erjlen Siebet, ber SiebeSwerbung eines 9Jlanne§, gegen bie fo niel längere be§ jroeiten,
ber SiebeSfrage eine§ SKäbdbenev ein jweiteS Wiafyl wiebcrholt werben muf?, wo fie bann ju beren erjlem unb
jweitem SEheile, jwei ganj ungleichen melobifd)en ©äljen, getjbrt wirb, woburd) ftd) fd)on ganj abweichenbe
£armonieen bebingen. 9Kan ftet)t barauS, ber 9Ketjler fanb ein ©efallen baran, ftd) fernere Aufgaben
ju ftellen, beren Sofung, wenn aud) ber Äunflwcrtf) beö ©eleijleten nid)t il)rer (Schwierigkeit entfprad),
bod) il)m ©ewanbtheit unb .Kraft für leichtere erl)bl)te, ben S5lirJ für ba§ tfufft'nbcn be§ jur SSerfIed)tung
©eeigneten fd)drfte.
2lujjer ben SEonfäljen ber genannten SJJeijler bringen un3 bie 123 Steber für bie gemeinen (Schulen
nod) je einen »on öier anbern, namentlich, bejeidmetett : 2> v <\ c i b u b e v, Spulbtidt Bretel,
Johann BeinmaitM, 2Str<jtItu$ .^ttint 2Bir roerben baburd) nicht hinlänglich
befähigt, beren SSerbienfl aU Sonfefeer ju würbigen, bafycr voir auf jene <Sä£e nid)t nah, er eingeben. 83ogel=
buber fbmmt mit 3 ^Bearbeitungen weltlicher Sicbwctfen in bem jweiten Steile t>on gorfterö Sammlung
oor (54. 57. 58); oon ben übrigen bort feiner, (ginige nähere 9lad)rid)ten ftnben mir nur über £aud unb
SBeinmann. 5Bon jenem bemerft ©ottfrieb Sßalter (p. 304), bap er ein SBerf : Erotemata musicae practi-
cae in lateinifd)cr ©prad)e gefd)rieben t>abe 5 bap er ftd) in ftnnreid)en SScrfnüpfungen r>erfd)iebcner 9Jielo=
biecn gefallen babe, bürfen mir aus» bem <5a£c fd)licpen, ben unfere (Sammlung t>on il)m enthalt : einer
fünfjlimmigen S3cbanblung ber 9JWobic be§ beutfd)en ßrebo : SBir glauben all' an einen ©Ott. SSon jmet
S£enoren fübrt hier einer, obne Unterbrechung, jene SßBcife 2utl)erö 5 ber anbere fingt bagegen bie borifd)e bee.
Äatecbiemuölicbeö : Söater unfer im #immelreicb, mit Raufen nad) ir)rcn erjlen beiben Seilen, fo wie ifjrer
oorleljtcn 5 bie le^te wirb gegen ben <5d)luf3 nad) einiger Unterbrechung nod) einmabl mieberbolt.
•) ©. 9lco. XI bet ju Cutfjer« get(l(ia)en Cicbern gegebenen SBctTpiele mef)r|timmigcr Sonfa^e.
205
Über 2B ein mann, oon oem wir einen uierftimmigen Safj über fcte Gelobte beg jule^t erwdbnten
jtatecbigmug-- unb S3etlicbcg finben, bie er in bie£berftimme gelegt bat, bemerft ©erber (21211. col. 788. 789):
er fei ein treflieber Drganift aug Dürnberg gewefen, unb ju Sßittemberg um 1542 geftorben. Sie bortige
Unioerfttätbabe, in ber'tfufforberung an bie33ürgcrfcbaft, ft'cf) feinem Seicbenjugcanjufcbliefjen, ibm ein grofjeg
ßob ertbcilt wegen feiner jlunfi unb feiner grofen ©elabrtbeit in ber beutfeben ©efcbjcfyte, wie fie faum in
einem 2fnbern gefunben werbe. SBenn ©erber aufserbem bei biefem SKctfter, fo wie bei Spauä unb 58ogeU
buber »erftebert, baß £ang 2Balterg ßantional com Sabre 1544 ßboralme lobieen von ifyrer ßompofition
enthalte; fo ift biefe Angabe bal)in ju benötigen, ba{3 in Sfbau'g Sammlung »on bemfelben Saf)re mebr*
ftimmige Sonfä^e über früher befannte geiftlicfye Siebweifen »on ilmen ju ftnben fepen ; »on Jpaucf unb
SBeinmann über bie eben genannten, t>on SSogetyuber über bie ionifebe SBcife be§ ^Pfalmtiebcg : ,,2lug tiefer
9cotb febrei' icb ju bir." 2Bie enblicf) ber SEonfe^er gebeifjen, von bem ein Sa& mit: ?t icv l aus
bejeidmet, in unfercr Sammlung »orfommt, ift nicfyt ju ermitteln gewefen.
Sen grbfjeften SS^eit ber Sonfünftler, über bie wir eben beriebteten, fyat ©eorg Sfbau'g Samm-
lung üon 1554 unö »orübergefübrt. hieben tyr nimmt eine anbere nodb unfere 2lufmcrffamfeit in
'tfnfprucf), inbem fie eine Steibe üon ©efängen eineg acfytunggwertben SJJeifterg ung fennen lebrt. ©ie
erfcfyien 4 Sabre früher alg bie 123 ßieber für bie gemeinen ©cfyulen, um 1540, jwar niebt ba,
wo ber gröfejte Sbeil ibjeg 3nf>atte§ entftanben war, boeb. auf SSeranlaffung beg Sürßen, ber bort
berrfebte, unb bem fte alg ©onner ibreg üorjüglicbften Urtjeber^ eigenbg gewibmet war. d§ ift bag
wenig gekannte SSSerf gemeint, unter bem Sttel: ,,9tewg ©efang, mit brepen jtimmen, ben Aireben
onb ©dmlen ju nu£, newlicb. in ^Preüfjen bureb. , Soannem Äugelman gefegt. 2tud) @tlicb,e ©tuef mit
'tfebt, ©ed)g, Sünff unb S3ier ©tymmen binju getban," bag juTluggburg bureb, SJielcfyer Äriefjftcin gebrueft,
beraugfam. @g fübrt ung biefeg 5ßudb in ein 2anb, beffen £er§og, 3ttbred)t üon S5ranbenburg, im Gnnoer=
ftdnbniffe mit feinen Untertanen, fd?ort feit 1525 ber eoangelifdben Mjxe ftdt> öffentlich, jugewenbet fjatte,
ein gürft, ber jebeg eble, geiftige ©treben mit Sifer unterftüfete, felbft über bie ©renken fetneg ßanbeg tynatö,
unb bem wir aueb bie erften Anfange jener ^)reufftfcben Sonfcbule ju banf en baben , »on ber weiterbin
auöfübrlicb, ju reben fenn wirb. Über 5 o b a n n £l u <j c Im a n, ih h bem ber^itel nur ben Flamen allein
nennt, wiffen wir wenig mebr, als bafj er ßapellmeifter ^)erjogg "Xlbxcfyt war, unb wag wir fonft noeb au§
3ufcb,rift unb25orrebe unferer Sammlung erfal)ren. Scneerfte: ,,©ebenju7lugfpurgamXXlSagbeg^)erbft:
monatä, nacb, 6b"|t«9ep«vtM.D unbXLy/rübrt ber üonSpweftcrSfaib, SSürger juQluggburg. Siefer würbe
— oon bem 3?atbe Tlugöburgg, wie e§ fdb.eint, — im 3abre 1539 nacb Königsberg „botfcbaftgweifj" ge=
fenbet, unb fanb bei bem £erjoge bie freunblicbfte 2lufnal)me unb bie grbpefte 2Billfäl)rtgfeit für feine 2Ber=
bung. Der Cnfer biefe§ treflieben gürften für bie eoangetifebe SBabrbeit, feine ©rabbeit unb ©eredb tigfeitg-
liebe, jumabl aber feine befonbere Neigung „ju ber luftbaren unb berjbiegenben, wolgeorbenten ÜUIufic, in=
fonberbeit wenn biefelb' jum lob unb preip beg atlmdeb. tigen, bimmlifcb,en Saterg geriebt wirb" gewannen
ibm bag Jg)er§ beg 5Sotfcb,afterg. 9iacb, feiner 9?ücffebr fanbte biefer il)m t>on "Kuggburg auS eine Sammlung
neu erfeb. ienener ©efdnge, unb empfing bagegen mit einem gndbigen Scbreiben jene, bureb. 4?ang itugelman,
beg £er$ogg 93Zuficug, einen 2luggburger »on ©eburt, breijtimmig gefegte geiftlicl)e lieber, mit bem S3egeb=
ren, fie orbentlicb., fleißig, unb, fo oiel moglicl), mit eigentlicher Unterfe^ung ber Serte bruefen ju laffen.
Siefeg gefebab ; Siegmunb Salminger ju 2(uggburg fügte biefen Säfcen noeb einige mebrftimmige anberer
5Jieifter binj"/ «nb ©eorg grolicb;, Stabtfcbreiber eben ba, fe^te, in §orm einer 83orrebe, einen „gobbrief
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über bic SRuftca in gemain" bem ©anjen voran, wie eS nun vor unS liegt. £)iefe ßobrebe ift in bem treu=
[H-r;igcn, gewinnenben £one gefchrieben, ber jurnal)! bie erjte £älfte beS 16ten 3a^f)unbertö auszeichnet.
2Sie fetjr bie SERufif bie rechte itunjr jener Seit gewefen, vorzüglich unter ben Evangelifd)en, erfennen wir
auS ber Söärme unb Snnigfeit, mit ber wir ft'e bamalS, nad) SutherS Vorgänge, fo oft in ähnlichen Sobreben
geprtefen ftnben. Sn einer von innen heraus gewaltig aufgeregten 3eit, wie feine wol)l wieber geroefen,
einer 3eit, voll beS lebenbigfien 2)rartgeS nad) innerer unb äußerer Erneuung, unb beShalb auch ber i>axt-
nädigfien Äämvfe, ber Ijeftigflen 3ermürfniffe, unb, neben gefunber unb bofnungSretcher Entfaltung eines
neuen 2ebenS, aud) ber wahnfinnigjren 3errbilber, woburd) biefeS getrübt würbe; in einer fold)en 3eit war
bie Sonfunjl, in ber baS S3erfd)iebenartigfte, fcheinbar 2Biberfjrebenbfte in 2Bof)llaut ftd) auflohe, unb, je
länger je mehr, bie tieffte ©eele beS vereint Sufammcnflingenben offenbarte, eine wahrhafte Erquidung unb
©tärfung auf bem Lebenswege, ihrem innerften Söefen nad) bie SSerheißung einer fd)öneren, friebevollen,
baS ©etrennte, ofme beS Einzelnen Eigentf)ümlid)feit aufzuheben, Vereinenben 3ufunft. 5n biefem ©inne
fteht nun aud) ber ©cbjeiber unfereS SobbrtefeS bie von ihm geliebte Äunji an. ©ie ift ibm göttlichen Ur=
fvrungS, eine Erinnerung an bie ewige Harmonie ber Gimmel, etnfl ber^eimatl) unferer ©eelen; von bafyer
fei eS einigen, befonberS baju gearteten 9Jicnfd)en gegeben, einen 9cad)l)all ju erweden, .Klänge mancherlei
2lrt verflccbtenb ; Älänge, neben, über, um, unter unb mit einanber fel)nenb vereint, balb mit zarter S5el)en=
bigfeit, bann wie mit »rangenbem ©tiüjtehcn ; balb gar lieblicfyunbfyolbfeelig, bann aber fd)arf unb ernfilid),
mehr als 9Kenfchenwi£ au^jubrüden vermöge. 2Bte nun gar 9Jiand)eS im "Kltertlmm berichtet werbe von ben
rounbcrroürbigcn SBirfungen biefer Äunft, fo erfcheine aud) in ber ©egenwart nod) ihre .Kraft, einS3ilb ihrer
urfvriinglidjen SSürbe. SEBo burd) 2Bol)lebrbarfcit, fatten, guten 9?atl), el)rlid)e Äünfte, Sitten, Sugenben,
JBefiänbigfeit, SKannheit, ©ebulb, SBciShett, gürftd)tigfeit, ©ottfeeligfeit, bie ftrengen, unerbittlichen $£»ran=
nen inmitten it>re§ ©rimmeS geftillet, bie l)artnädigen, unbilligen ©emüther gemilbert, bie wiberfvenftigen,
ungeborfamen, neibigen, unbanfbaren, gel)äfftgen SDienfchen ju Einigfeit, grieben unb ©efyorfam bewegt
mürben; waS gefje ba hervor, als eine mol)lgeorbnete 9Kuftf, ©efang unb ©aitenfvtel! 2Bie bie SJZuftf von
boben, nieberen, fcharfen, weichen, harten, milben, groben Stimmen, furjen, langen, biden unb mittelmä=
ßigen ©aiten zu einanber gerichtet ferm müffe, fo auch baO> ßbblichfte unb SBeftänbigfte auf Erben (wiewohl
2lUeS vergänglich fe») w$ rechter 3ufammenftimmung ber eblen Sugenbcn unb©aben ©otteS! ,,Unb wollte
©ott," fährt er bann fort, „baß bie elenbe, blinbe, in 3wietrad)t unb allen ßafiern verfunfene SBelt einmahl
bahin zu bewegen wäre, ber wahren SDiuft'f unerjäl)lige grud}t unb Scu^barfeit ju erfennen, barau§ fte ftd)
Des nothwenbigen, rechten ©aitenfviele§ : aufrichtigen, loblichen ßebenä uubSOSanbel» erinnerte; unbejweifelt,
bie übermäßige, verberbliche Sßegierbc ju l)errfd)en, ber fd)änblid)e, fjoffavttge Ungel)orfam wiber bie £)ber=
feiten, ber unerfättigte ©eij, ?leib, Sr>a$ unb anbere ßafier würben aufhören, unb jum wenigften barauö
erfolgen, baß man bod) hell unb lauter febe, baß nid)t eine jebe ©aite auf bie Sauten ber Ehre, aud) nicht
eines 3eben falfche unb heifere ©timme ju ber eblen 9)lufica ju gebrauchen wäre, bevor ab in großen ganben
unb ©täbten, ba nichts anberS mangelt, benn rechte SDZuftca unb 3ufammcnftimmenS. ®er SMScantift will
ben S3aß, ber SSafftft ben 'Kit, unb ein Seber fingen, baju er von 91atur unb Übung unbeftimmt ifl. £>arum
lautet eS auch jefet in ber Sßelt eben wie ein Ääfer ober 9?oßwibel in eim S3aurcnfticfcl, wäre nit SBunber,
baß ber recht ßutinift, ©Ott im £immel, erjürnet, unb bie mißbällenben, faulen, verftodten ©avten jertrüm=
mert, unb bie ßauten wiber ben S3oben fchlüge." ©o eiferten bie SSefien jener 3eit mit hell auflobernbem
Unmuthe über bie ©ebreeben ihrer ©egenwart, beren Umfchaffung fte mit glül)cnbem Eifer, unter SQiühen
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unb .Kämpfen erftrebten, unb eilten bann, fidt? ju erfrifcfyen, in ba3 ©ebiet einer Äunft, bie im bebeutfamen
Söorbtlbe ba3 33olIfommnere, wonad) fte trachteten, if)nen barjtellte.
Unfre Sammlung enthält 39 mefyrftimmtge Sonfd^e, beren Söieljr jaf) l — 26 breijtimmige, unb je einer
ju 8 unb 5, fo wie 2 ju 4 «Stimmen — t>on £am> Äugelman berühren. Sene erften 26 bilben eine befon=
bere tfbtfjetlung unter bem tarnen i>e§ Cantus Prussiae, ber *Preuf3tfd)cn Tria, be§ $PreujHfd)en ©efangeä;
fte, nebjl ben anbern oier Äugelmanfd)en Saiden, werben baSjenige femi, wa§ ^)erjog 2ttbred)t Spweftern
SJaib jufenbete, um e3 in 2tug3burg brucfen ju laffen, weil bamaB in 9)reufien wobl eine Stotenbruderei
nod) rttct) t beftanb. Sie übrigen acb>, fed)3=, fünf* unb M'erjtimmigen ©efdnge rühren f)er r>on $ a n 3
$eugel, Sorg ^piandemüller, S3alentin Scfynetlinger unb SSfjomaS Stoljer; bie=
fem legten begegneten mir bereits in ben 123 ©efdngen, »on ben übrigen beftfeen mir feine weitere 9lad)=
rid)t, aB ba£ Sonfd^e üon i^nen in einer t>on Salminger 1545 ju 3lug§burg f>erau§gefommenen Samm=
lung fid> finben, we3l)alb mir fte wof)l für beffen 2anb§leute werben galten bürfen. 9Zur 4 ©efdnge unferer
Sammlung (9lro. 21. 32. 35. 37.) — eine breijtimmige lateinifdje SSKeffe unb brei beutfd)e tuerjiimmige
Sieber — ftnb mit ber SSemerfung : incerto auctore bejeictjnet *, bis? auf jene SEReffe unb 7 anbere lateinifcfye,
breijtimmige ©efdnge ÄugelmanS beftefyt ba§ ©anje aue> beutfcfyen Sd)rift= unb ^»falmliebern, unb einigen
motettenfjaft bef)anbelten Sd)riftjMIen.
9Kerfwürbig ifi btefe Sammlung aB bie, fo ßiel td) ftnben fonnte, dltejte Quelle für 2 getftücfye
eoangelifdje Sieber, tt)re SDWobieen, unb bie früfjeften Sonfd^e über biefelben; baS £ieb ndmlicb, *. 9t un lob'
mein' Seef ben ^erren*), über ben 103ten ^Pfalm, unb ba3 über ben Sobgefang ber ßngel bei bes>
J'perrn ©eburt gebreitete: Allein ©Ott in ber 4?öf)' fei dt)t\**) £)a$ erfte berfelben wirb fcfwn
burd) altere 3eugniffe bem Dr. Sodann ©ramann, aud) $>olianber genannt, jugefer/rieben. Wafyan ßfm;
trduS nennt tfm in allgemeinen 2UBbrüden beffen Urheber: umjtdnbltcfjer äußert ftd) Martin Gübemni^ bar=
über in feiner ©rfldrung be§ 103ten ^PfalnB: „S3 f)at ber weilanb burd)leud)tige bocfygeborne gürft unb
$err, 2Clbrecbt, ^»erjog in ^Preufjen, biefen ^falrn für anberen allezeit lieb unb wertf) gehalten, aud; benfel=
ben burd) ben gotte§gelaf)rten, anfefmlicfyen, wof)lberüf)mten SDiann, Johannem Poliandrum, laffen gefangen
weife in gute fd)6ne beutfd)e83erfe bringen, unter einem freubigen Senor, welcher, eben wie bie SBorte lauten,
aud) buret) ben ©efang ba§ £erj erweden unb aufmuntern mag. 2Bte berfelbe benn fajt in allen unferen
£trd)cn alfo gefungen wirb." Sodann ©ramann würbe am 5ten 3unt 1487 ju SSaprifct) Sfteuftabt geboren,
wibmete ftd) ju Seipjig ber ©ottee>gelaf)rtl)ett, erhielt bort bie SBürbe eineä SDiagijlerg, bann eines* Soctorä
ber S£f)eologie, unb ba§ 2£mt eine§ Subrectorö. Um 1519, bei bem bekannten tbeologifdjen SBettfampfe
jwifd)en ßutfjer unb Dr. @d, foll er 2£manuenft§ biefeS legten gewefen, aEein burd) beffen ©egner t>on ber
SQ3at>tt)eit feiner 2ef)re überzeugt werben fepn, fo bafs er au§ beffen 2ötberfad)er fein eifriger Schüler unb
2fnl)dnger würbe. @r erhielt nun ju Wittenberg, wol)in er ftd) wanbte, bie tb,eologifd)e Soctorwürbe, unb
burd) 8utb,er§ gürfprad)e enblid) ba§ "Unit eine§ ^farrerä an ber 2tlrjldbtifd)en Äird)e ju Äbnigäberg in
5)reupen. Dort war er, in ©emeinfd)aft mit Sodann S5ri§mann unb ?>aul üon Spretten, für bie Äird)en=
oerbefferung ttjdtig, fct)ieb jebod) auö bem £eben in nod) rüftigem 9Kanne3alter, inbem er »or jurüdgelegtem
54ften %d)xe, am 29jten 3tpril 1541, »om Schlage gerührt, jlarb. 9iun iji eö befrembenb, weber Sieb nod)
•) SBeifpiet ««ro. 22.
") SSeifpiet 5iro. 23.
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iüielobie in ben unter CutberS #ugen erfdbienenen, jum ©ebrauebe für ben ©emeinegefang befiimmten £te=
berbüd)em ju ftnben. Denn »orauSfefcen bürften wir bod), baf ßutbere» ©d)üler unb greunb feinem SEReifter
ein »on ihm gebid)teteS spfalmlieb nid)t werbe vorenthalten haben, ba biefer fo bringenb empfohlen hatte,
bie .Kirche mit folgen ju befebenfen, unb mit feinem SSeifptele felber »orangegangen mar. Dennoch, enthalt
meber bie 2tu3gabe be§ SBatterfcben ©efangbuebes? üon 1544 unfer Sieb, noch felbft beffen fpätere »ermebrte
von 1551; eben fo wenig ift e§ anzutreffen in ben 1544 bei Schau ju 2Btttenberg erfebienenen 123 ©efän--
gen für bie gemeinen ©cbulen, noch ben beiben 2(u§gaben beS t>on SSalentin 33apft ju Seipjig 1545 unb
1547 ju Seipjig mit 2utf)er§ SSorrebe gebrueften ©efangbucb,e§. £)bne SDMobie, noch £inweifung auf eine
folebe, unb in nieberbeutfdber 9Jcunbart, fleht e§ in bem jweitenSEbeite be3 burd) ben ©uperintenbenten £er=
mann 33onn ju Sübed 1545 herausgegebenen Crncbiribton ©eiftlid)er Sieber unb $>falmen. Durch ben
spiag, ben ihm biefeS S5ud) anweift, wirb jugleicb bezeugt, bafj e§ bi§ baljin in feinet ber ju SBittenberg
erfebienenen ©efangbücber aufgenommen gewefen ; benn ber jwette Sbeil biefcS @ncbivibion§, roie ähnlicher,
meift ju SJcagbcburg erfd)ienener geiftltd)cr ©efangbücber, mar eben für folche ßieber bejlimmt, bie ju 2Bit=
tenberg nod) nid)t fircblid) anerfannt waren. 3m bod) beutfd)er ©pracbe ftnbe id) in einem lutberifcben ©e=
fangbud)e e§ erfl um 1569, jeboeb unter bem Flamen $>aulS »on ©pretten, unb nun auch mit feiner Tte-
lobie; es> ift in ben bei £beobofüi§ 9?eid)et ju Strasburg gebrueften ^Pfalmen, geifilichen Biebern unb Äir=
cfeengefdngen, unb in eben bem %at)ve erfd)eint e§ in ben bei Sobann SBolf ju granffurt am 9J(a»n beraub
gegebenen Äird)engefängen. 9tun verbreitet e3 ftd) fd)nell burd) alle bebeutenben geiftlicben SJcelobieenbü*
eher; in Äeud)entbaB (1573, SBIatt 558), in 3tnfeifen§ ©efangbuebe (1584, 331. 2G8) ift e§ aufgenommen,
jebod) ftetS unter bem tarnen $aul§ von ©»retten. Doch ift jene juerft genannte ©traßburger £ieberfamm=
lung nicht bie frübefjte, in ber e3 in feiner urfprünglidben ©eftalt als anerfannte§ Äirchenlieb »orfommt.
Denn brei Sabre früher, um 1566, theilt ein Anhang ju bem Äircbengefangbucbe ber b6l)mifd)en SSrüber e3
mit, welcher geiftltcbe Steber enthalt, ,,beren etliche »on 2tlter§ her in ber .Kirchen eintrdcbtiglicb gebraucht,
unb etliche ju biefer 3eit »on erleuchteten frommen Ghriften unb gottfeeligen Sebrem neu jugeridbtet finb."
lluä) hier, obgleich eine SRamenbejeicbnung burd) bie ^nfang§bud)ftaben be§ £auf= unb be§ Familiennamens
mangelt, wie fte in biefem 95ud)e fonft gewöhnlich »orfommt, hat bie banbfcbrtftlid)e S5emerhtng eine§ frü=
heren S5eft^erä »on bem mir »orliegenben "tfbbrucfe, — eine mit bem Gnfcheinen beffetben obnfeblbar gleid)=
jeitige — $aul »on ©pretten als ben Dichter be§ ütebeS genannt; ee> ftel)t über ber SEJielobie: Paulus Spe-
ratus Episcopus Pomesaniensis in Prussia. Daf? nun unfer Sieb unb feine ©ingweife au§ ben Äird)en=
gefangen einer fremben eoangelifchen ©emeine erft in bie lutberifcbe Äird)e gelangt fepn folle, obgleich beibeS
unzweifelhaft in beren ©d)oo£e entftanb, ift nid)t wahrfd)einlid). ©laubhaftcr bürfte e§ fe»n, baf beibeS
juerft in ben, »on mir nid)t felbji gefehenen, aber in ber SSorrebe ju 3infeifenö ©efangbuche erwähnten
Sßittenberger Äirchengefdngen »orfommen werbe, welche 1562, t»on^)aul6ber überfeinen, bafelbft erfd)ienen,
unb bag »on bort au§ feine weitere SSerbreitung erfolgt ferm möge, inbem fpätere ©ammler meijt auf bie
2Bittenberger ©efangbücber jurüefgingen. Dafj biefe Verbreitung fo fpät erfolgte, baß bann fogar ber Did)=
ter ungewifj blieb, möchte au3 folgenben Urfachen ju erfTären fewn. 3ol)ann ©ramann wirb e§ in feinen
legten ßebenSjabren gebid)tet haben; fein fd)leuniger unerwarteter SEob, ber nach 6l)»trdu§ fogar febon
1540 erfolgt fer>n foll, bat ihn wabrfcbeinlicb »erhinbert, e3 ßuther mitjutheilen. ^)aul »on ©pretten über;
lebte ihn um 14 3abre — er ftarb erft am 17ten ©eptember 1554; — er war Did)ter mcl)rer geiftlicber
Sieber, ja, eine§ ber frübeften, burch ba§ bie e»angetifd)e Sel)re einbringenb »erfünbigt würbe (gg ift ba3
209
Jpeil un§ r'ommen her); unfcr spfalmlieb flammte au§ Greußen, man fdjrtcb e6 baher ihm, bem fd)on
©efeierten, eher ju, aß bem unbefannteren ©raman ; erft fpdtere 9cacbforfcbungen, unb barauf gegrünbete
Seugniffe, befbalb cor ben früheren bennocb glaubwürdiger, (teilten bicfen ale> Urheber fejt. 2)ie bis» bat)in
unbcfannte ©tropfe be§ Siebet binberte wohl 'Knfangg feine fdmellere SBerbrettung ; man mußte burd) bie
SERelobie erjt mit berfelben ftcb naher befreunben, unb biefe, fcbcint e§, hatte erft oon bem Äunftgefange auö
ft'd) geltcnb ju machen, unb ^Beliebtheit ju gewinnen. £>enn fte wirb ctjcr von einem funftmaßig gcbilbeten
Sonfefjer herrühren, als einem oolfSmäßigen ©dnger. Sie ©tropfe be3 ßiebee>, eine jwölfjeilige,
iambifcbe, burd) je jmei unb jwei Seilen in fed)e>, fefjr bejtimmt gefonberte "Kbfä^e gefcbjeben, beren erfte
jwei, im SBecbfel ft'ebcn= unb ad)tft>lbtgcr 3eilen übereinfrimmenb, ben 2£ u f g efang, bie übrigen toter, mit
fiebert- unb fecbffnlbigen 3eilen wed)felnb, ben 2Cbgefang bilben, ijat fein üolfSmdßtgeS ©cpräge ; um
fte fangbar unb eingängtid) ju machen, beburfte e§ eines SEonfünftlerS, ber be3 S8olf§tone§ in ber SJMobie
mächtig, ihn 5wanglo§ auf fte ju übertragen t>crmod)te. 9iun ift aber bie ©tngweife, bie unferem Siebe
noch, je^t auffchließenb eignet, mit meiern ©efcfyide herauSgebilbet in ihren ^auptjügen au3 ber, fd)on feit
1535 wenigftenS, in ber eoangelifcfyen Stixfyt cinbeimifchen
Ö £erre ©Ott, bein göttlich SBort
ift lang werbunfelt blieben ic.
©ie entlehnt bejeiebnenbe SBenbungen oon biefer alteren, unb geftaltet fte bennocb, felbftänbig aus»; wa§ bort
in rbnthmifchem SBechfel nur juweilen hervortritt, ba§ breitbeiltge 9ftaaß, ift hier ba3 unbebingt t>orberr=
fchenbe geworben, unb bie neue SBeife erfcheint nun als eine ber bewegteren, freubigften, feftlicbjen be3
eioangelifchen üircbengefange§, baä SBerf eines funbigen, finnigen, in üolBgemäßem ©inne febaffenben
SEonmeifterS. Pehmen mir biefe SSorauSfe^ung al§ fefrgeftellt an, fo werben mir faum zweifeln bürfen,
obgleich un§ ein au6brücfliche§ Seugniß barüber mangelt, .£>anS Äugelman fer> ber ©änger jeneä
,,freubigen, berjerwetfenben SEenorS" gemefen, unter ben ^erjog Wibrecht won Greußen ©ramanS ^Pfalrm
lieb habe bringen (äffen. 2fucr> beutet ber Umftanb barauf bin, baß biefe ©ingmeife al§ ©runblage von
tri er SEonfä^en — brei, »ier, fünf unb ad)t ©timmen — in unferer ©ammlung erfcheint, worauf man
folgern barf, baß, wenn nicht etwa ein befonberer Auftrag be§ .£erjog3 bat>on bie SSeranlaffung war, ber
©e£er um fo lieber mit ihr ft'd) befd)äftigt habe, weil er auch ihr ©dnger gewefen. 3n Äugelmanö
b reifti mm i gern ©a£e über biefelbe, unb fo aud) in bem ruerftimmigen, ift, mit 2lu3nabme weniger
©nlbenbehnungen unb S3inbungen in ben begleitenben ©timmen, SEon gegen SEon geftellt, unb bei ben
SJubepunften ber SSJIelobie, nach je jwei unb jwei Seilen be§ 2fuf= wie beö 3lbgefange§, Ijbren alle ©timmen
ju gleicher Seit auf. Qi$ fehlen alfo an folgen ©teilen 33erbinbung3glieber, bie ben jtettgen gluß be$
©anjen unterhielten, biefer wirb vielmehr fünfmal)! unterbrochen. "ÄnberS ift e§ in bem f ünf jtimmigen
©a^e. 2)ie lebhaft fid) fortbewegenben, reich verwerten SSeglcitftimmen bilben, einanber nach,al}menb, eine
furje Einleitung, bi§ im Senor bie 9Jielobie eintritt ; h. ier geht fte bann, ohne Unterbrechung, jietig fort,
ohne anbere, al6 bie gehörigen Siubepunfte, unb biefe werben allejeit burd) ba§ SEongewebe ber übrigen
©timmen aufgefüllt. SEheilweife flicht ft'd) biefeS jufammen au§ SBenbungen, bie ber 9JMobie entlehnt
finb ; eine ftrenge Nachahmung berfelben ftnbet jwar nicht ftatt, bod) ift baS baher Entlehnte an allgemein
nen Sügen fenntlid). 2Bo bie SfJMobie fchweigt, fefet mit ihr ^gleich aud) eine ber begleitenben ©timmen
ab, ben legten Stuhecunft oor bem Enbe aufgenommen; ihre ©infehnttte werben baher burd) minbere
Sonfülle in ben meijt nur breiftimmigen Sn>ifchenfä|en bejeichnet, unb ihr rbptbmifcber ©ehalt wirb minber
». SEBintttfeti, let tuangef. Q^oralgefang. 27
uerbunfelt als in ähnlichen Sonfä^en, wo bie ©mgweife bem Scnor jugetbetlt i|t, unb bie beglettenben
Stimmen einanber mannid)fad) burcbfreujen. 3n ber Zxt tiefe legten ju bcbanbetn fonnte Äugelman bem
fpdteren Raupte ber 9)reufnfcbcn Sonfcbule, 3obann dccarb, föorbtlb gewefen fepn, unb wir bürften
behaupten, beffen &onfafj über unfere SDZelobie habe aus bem feinet SSorgängerS ftcb entwicfelt, baS t>on
bicfcm nur Srjirebte wirflid) erreicht. £>er Übergang ber 9Jlelobie in bie £5berftimme, wo ft'e, wenn auch
;mweilen überfd)rittcn, b od) immer herrfcbenb mattet, mar bafür ein oorjüglicfyeS Littel ; nur bie fortge--
benben, uerfnüpfcnben 3mifchenfd£e bat ©ccarb üermieben, gegen feine fonjlige ©ewof)nbeit. £)ocf) ift bieg
wobt nur barum gefcbeben, um bei ber ungewöhnlichen ©tropfe beS SiebeS ber ©emeine bie ©infcbnitte beS
©efangeS recht beutlid) merben ju laffen, benn in ber Gnnfübrung jener ben gluft beS ©efangeS fortleitenben
9Jiittelglieber bemalt ftd) fonft bicfeS .EünjilerS gröfj cfie SOßeifterfcbaft. jtugelmanS a cb t ft i m m i g c r ©afc
über unfere 9ttelobie, ber wieberum biefelbe bem Tenor jutheilt, bilbet ftd) au§ jmei üierjiimmigen SQ3ect>fe(=
cbbren; ber tiefere berfelben ift in bem allein aufgezeichneten, ihm torangebenben höheren, canonifd) »er=
fcbloffen, unb biefer tragt baber bie Übcrfd)rift: Fuga octo vocum sub qualuor. £)er tiefere ßbor foll
ndmlid) nad) vier fetten (\ Saften) bem höheren in ber Unterquarte nachfolgen (in subdiatessaron post
quatuor tempora) ; fo erfctjeint benn in biefem bie SDMobie in bem Tonumfange toon ß, in jenem von F.
2lucb hier ift ber Slufj be§ ©efangeS, ohne unterbred)enbe Stubepunfte, erftrebt. 25er cintretenbe ßbor greift
entweber ein in bie ©cbtufswenbung beS tierhallenben, ober fefet bod) ben öon bemfetben begonnenen Saft
fort unb füllt ihn au§, fo bafj nirgenb ein ©tiüfianb mahrgenommen wirb. ILxn (Snbe enthalten bann
bie legten üier Safte be§ höheren GiboreS eine freie, unter bem Ganon nid)t mehr begriffene Schlußformel,
melche ben 2lu3gang be§ tieferen begleitet. Siefen acbtjiimmigcn ©a£ ft'nben mir nod) 28 Sab« fpäter in
einer ju Dürnberg (1568) bei Ulrid) 9ccubcr burd) @lcmen§ ©tepbani herausgegebenen ©ammlung, metd)e
fünf-, fecbS-, fteben*, acb>, $wölf= unb mchrjttmmigc, in vier ©timmen canonifd) r>erfd)loffene ©d|e
enthalt; lange nod) f>at er alfo einer Beliebtheit genoffen, bie feine funfireicbe ©lieberung bei fließenbem
©efange ihm wohl »erbiente. Beiläufig fep hier noch be§ 2)afcMt$ einer jmeiten SKclobie*) für ©ramanS
Sieb gebacht, bie aber wohl jüngeren Urfprungö feon wirb, als bie »on Äugelman gefegte. 2Bir finben
ft'e in bem t>on ©iegmunb £emmel, Sürftlicb SBürtenbergifcbem ßapcllmeifter, oierftimmig gefegten,
unb um 1569/ nach biefeS TonfünftlerS Tobe, ju Tübingen herausgegebenen ^falter. ©ie mag alfo
jmifeben 1562 — wo wir bie frubefie Verbreitung unfereS SiebeS in £)eutfcblanb annahmen — unb bem
3abre ber Verausgabe entftanben fepn, vielleicht r»on bem ©efeer felbfi herrühren. Tlnflang fcheint fte nir=
genb gefunben ju haben, felbfi in baS große 3Bürtenbergifd)e ©efangbud) (beffen in ber golge ju gebenfen
fepn wirb; ift fte, feinem fpäteren 2£bbvucfe jufolge, nicht übergegangen.
SSBie won ber SSKelobie beS ©ramanfehen ^)falmliebeS, fo fonnte ^)anS Äugelman auch ©dnger
ber Sßeife beS beutfehen ©loria gewefen fepn: Allein ©Ott in ber ^ob' fei (Shr." 25iefeS Sieb
rührt her won 9cicolauS ScciuS, evangelifd)em ^)rebiger ju ©tettin, früher 9Kbnd) unb julefet ^)rtor im
Älofter ©teterburg, gürfienthumS SBolfenbüttel. 95ian rühmt ihn als gefd)icften ^arfenfpieler, unb r)at
wohl beSbalb »orauSgefe^t, er habe auch, bie ©ingweifen ju feinen Siebern erfunben, wofür ich iebodf> ein
•) 3()r tfufgefang (autet fotgenbermaapen :
• tf , — ^
211
#
juferläfftges altere? 3eugnt§ nicht aufzufinben »crmechte, eine frühere Sluelle fur tas eben genannte Stet
aß unfere ,,<Preu§ifcben Tria" ift mir nicht befannt; gleichzeitig ftebt e§, 1540, in ten $u Üftagteburg bei
SJcichael Scttber in bocbteutfcber «Sprache gcbrucften ©eiftlicben Siebem unb ^falmen. Unter Äugelmans
Saee erfcbeint es mit einigen Abweichungen; fo beißt ber Abgefang ber erften Strophe:
(?in SSeblgefalln ©Ott an unö hat
Um ßbrifti milln, ohn unterlag,
AU' feint' ftnb überwunten,
wäbrenb jene anbere Sieterfammlung bie gewöhnliche ßesart hat. jtugelman hat nicht mit einem Safee über
bie beftmnte, hier, wie in allen älteren Singebüchern, im breitheiligen Safte erfcbeinenbe SDReletie (ich
begnügt, er hat beren jwei gegeben, beibe $u trei Stimmen ; in bem einen brei Sisfante, in bem antern
beren zwei unb ein Senor. Cnne jener oberen Stimmen führt ben .öauptgefang, ber pon ber anbern halb
überftiegen roirb, halb über fie torherrfcht. Sie Jorm biefer Sage tft nicht bie einfache, Son gegen Son :
ft'e weben fich jufammen aus Nachahmungen, bie auf bie .Ipauptmelobie gegrünbet ftnb. £iefe erfcbeint
auch hier unjertrennt, nur tafj t>or ben legten betten 3eilen be3 Abgefanges ihr Fortgang bis in ben nacbf>
folgenten Saft »erzogen wirb, auch, in bem julefet ermähnten Säße ungleicher Stimmen bie »orleßte
Sföelotiezeile einen fur$en Anhang zeigt, rodhrenb bie anbere £isfantfttmme mit eben biefer 3eile fpätet ta$u
einfefet. 9tterrmürtig iji auch am Sch, luffe tiefet Saf^eS ber, bei untabelhafter Stimmenführung, unmittelbar
t?or bem &ite in ber Harmonie frei eintretenbe Sritonus j offenbar beabft*tigt, woblflingent, roenn auch
etwa§ z" weich unb fehnenb im Austrucfe für bie ©orte tes" SteteS. .Rugelmans Urbeberfchaft ber SJielocie
fennen mir freilich, burch nichts Anteres belegen, als bie SSermuthung, bie aus ber 2>eppeltbeit tes Saees
über biefelbe entfpringt, wäbrent er bei jeter anbern, bie jupor befprocfyene ausgenommen, mit nur einem
fich begnügt; burch ta£ frübefte (Srfcbeinen ber SDielotie felbft, bei ihm; burch beren nahe Schiebung zu
ber bes 103ten ^falrns in #orm unb SBenbung bes ©efanges; entlieh felbft burch bie Abweichung in ben
2Sorten bes SieteS, bie auf eine ältere, fpäter abgeänberte ©eftalt beffelben zu beuten fcheint. gür Sectus
ftreiret nur bie allgemeine SSermutbung, bie aus feiner gertigfeit in ber Sonftmft, unb feiner Siebe ,u ihr
hervorgeht. Sicher zu entfeheiben ift hier eben fo wenig, als bei jener enteren 9JIeletie, wo freilich man*
ches Anbere noch unfere 23orausfe£ung unterftüfete ; ausbrücf liebe, glaubwürbige, gleichzeitige 3eugniffe,
wir wieberholen es, finb nicht Porhanben. 2>arum haben wir auch ÄugelmanS, wie ;uror Senfls; nur
hier, unter ben Sefeern, getaebt. 2Bas feine übrigen Säße betritt, fo hat nur ein einiger berfelben bie
■QJielobie eines weltlichen SteteS pm ©egenftanbe; er tft, wie bie meiften berfelben, breiftimmig, lebenbig
unt frifch, ten 2Sorten angemeffen :
gröblich will ich fingen,
.Rein Sraurigftit mehr pflegen ic.
S3ei Job. ©ccart werten wir tiefem Siete wietcr begegnen; e$ mag in 9>reu§en enrftanben, minteftens
tort befonters beliebt gewefen fepn. Seine 2Beife, wie Äugelman fie feinem Safee aß ftetige ©runtlage
gegeben, trägt tas ©epräge einer im SSclfe entftanbenen ; Sccarts Sag ift ein motettenbafter, beffen
©runtgetanfen er wohl felbft erfanb, wenn auch zuweilen Anftange an jene ältere 9fteletie tarin berror=
treten. Äugelmans anbere Säße, außer ten motettenhaften unb ben fchon befprochenen, ftnb auf tie
befannten SBeifen pon fünf fircfylicben Siebern gegrünbet: „SSater unfer im Himmelreich tc. (bie
torifchej; 2Bir gläuben all' an einen ©Ott :c. ; £)ie3 ftnb bie beil'gen zehn ©ebot :c.
27*
(bie mirolpbifcbe.) ; S>ergcben3 iji all 9Jlüb' unb Äojt tc, unb: (Sin' f e ft e Surg i ft unfer
©ott*). Siefer tefet« <5afc, ber frübefte über biefe SOZelobie mir »orgefornmene, bilbet ftch au3 jwet Ste-.
fantcn unb einem SEcnor, unb in biefem, alfo ber ©runbftimme, ftnben roir bie Sölelobie. Sort tritt fte
ein nach, einer furjen Einleitung, in ber bie anbern beiben ©timmen ben Eingang ihrer erften 3eile na&r-
abmen; über fte baut ftd> nun bie Harmonie auf, wäbrenb fte ihren ©ang ohne Unterbrechung fortfefer, unb
bie oberen Stimmen, 3ette für Seile, wie juv>or einleitend, fo nunmehr begleitcnb, ib,r anfängliches? ©piel
wteberbolen. 'Ülmlid) orbnete ©eorg 9Jl)au, wie wir e§ juüor gefunben, fein SEongewebe über eben biefe
9)ielobte; unb fo haben jwei Sonfe^er, bie früheren wohl, bie fte befyanbelten, barin ftch, begegnet, bafj
fte tbr eine, in SEonfäfjen jener Seit fonji ungewöhnliche ©teile anwiefen, aß bie angemeffenfte für baö
©epräge fefier, fülmer ©laubenSfreubigfeit, bas> fte tragt. Ser ©a£ über bie bortfebe SBcife be3 SiebeS :
SSater unfer im Himmelreich wirt> bureb einen 2tft unb jwei SiSfante geführt. $ier tritt mit bem
Enbe jeber £ieb= unb SJMobiejeile für alle ©timmen ein Siubepunft ein ; wie alle gemeinfehaftlich aufgehört,
fo beginnen fte auch wieber mit ber nächften 3eile, boch nicht SEon gegen SEon ficllenb, fonbern in freier
mannichfaltiger Bewegung, ofme eben ihre SBenbungen au§ ber £auptftimme ju entlehnen. Siefe ift in
ben jweiten SiSfant gelegt, ben ber erfte, ben größeren Sheil ber britten 3eite aufgenommen, nicht
überfchreitet.
Sie formen beS Äugelmanfchen ©a£es> ft'nb mannigfaltig, wie wir gefeben; er ift gewanbt,
fangbar in ben begleitenben ©timmen, nicht ganj frei üon »erbotenen gortfebreitungen, bie jwar in ber
©enauigfeit ber Nachahmungen eine Erklärung ftnben, aber boch wohl bitten oermieben werben tonnen. Sttan
wirb biefen 9)leifter ftctS unter ben befferen ©e^ern jener 3ett nennen müffen; war er auch ©änger ber
9J}elobieen, bie wir ihm jufchreiben möchten, unb bie ju ben belebteften, freubigjien beS euangelifchen £ir=
chengefangeä gehören, fo hätte er jwei, bamalS feiten jufammentreffenbe ©aben mit Sfttbm in ftch vereinigt.
Sie SEonfä&e anberer Sftcifter, bie, nach SfaibS Angabe, ©alminger unferer ©ammlung beifügte,
ftnb meift Motetten über SEerte ber heiligen ©chrift, unb wenige nur behanbeln SÖMobieen geifftieber Sieber,
bann aber in ber bekömmlichen #rt ber Eomponiften au§ ber erjren £älfte bee> 16ten 3abrf)unbert§. Süßir
jeichnen nur einen unter ihnen au§, oon einem unbekannten 5)ieifter; benn nur im SEenore ber erfien
2(btheilung beffelben ift ber 9came Sörg $>lanfcnmütler angegeben. Er bemäntelt bie ^J>rt>gifd?e
SBeife be§ 2iebe§: #u§ tiefer 9cotb, f d)r ei ich ju t»ir**) bierftimmig , ju brei ©tropben beffelben,
nach feiner älteften ©eftalt, wie e3 1524 mit fiebert anberen Siebern unter bem angeblichen SrucEorte 2ßtt=
tenberg erfchienen ift. 3u ber erften ©tropbe erfcheint bie Söcelobie in ber £)berfiimme, ju ber jweiten im
SEenor, ju ber britten im 33affe ; boch fmb berfelben hier bie SBorte biefer ©tropbe in ihrer fpäteren ©eftalt
unterlegt, nach SBalterS ©efangbuche »on 1524:
Sarum auf ©ott will trauen ich,
auf mein SSerbienfi nicht bauen tc,
roäbrenb bie begleitenben ©timmen baju bie britte ©tropbe beS älteren Siebeö (bie bierte be$ neuen) fingen,
ffieebt beutlich *eigt fich an eben biefem ©afce, wie bie 3(nftd;t ber @e£er ber erften £älfte beä 16ten 3af)r*
hunbertö, bie eine jebe ©timme einjeln für ftch betrachtete, unb, ihr eine eigene SEonart nach ihrem befon=
') SSeifpiel STCro. 24.
") SBeifpiet I. 9lro. 2.
213
beren Tonumfänge beimaaj?, oft mit ber SJcotbrcenbigfcit in Sßiberftreit geraden mußte, bafj in Sd^en über
eine Jpauptmclobie als fcfte ©runblage beS ©anjen, biefe enblid) alle übrigen nacb ftct> jiebe unb bie @e=
fammtfoiiatt bestimme. SD« ©runbmclobie, bie oon bcm S3ajje geführt wirb, jeigt ftc in bem Umfange bes
oerfcßtcn ^.Mir^gifdicn, bem Scblüffetlft alfo auch ein b bcigejeicbnet, ba3 in ben anberen «Stimmen fehlt,
rocil biefe ben urfyrünglicbcn Umfang jener SEonart feftyilialtcn ftrcben. Tfllein in ber legten 9)tclobiejcilc
wirb bie Überftimme, unb mit ihr bie ©cfammtbeit bce> flingcnbcn ÄbrperS aller übrigen, burch bie 9Jiacbt
ber £aupt= unb ©runbftimme in beren Softem bincingcsogen, baS ©efcfc be§ 3ufammenflange3 überroinbet
ba$ ber fclbftdnbig^tonifcben 'tftisgcfjaltung ber emjclnen ©lieber bcffelben, unb am <Sd>luffe be3 ©anjen
fühlt c» ber Jpbrer beutlicb, baß biefeö ©efcfj auf ber SEonart ber £auptftimme beruhe. Äonnte es" Anfang?
jroeifelbaft fepn, ob nid)t bas" urfprünglicbe 9)bn)gifd)e bie SEonart be§ ©anjen fei), fo rührt bieS baber, roeil
bie erfte ^Jtelobiejeile, für ficb genommen, biefe Scutung juldßt, bie richtige aber erft burcb bie jroeite feftge=
fteUt roirb.
2Bir haben bt-Sf>ev bie bebeutenbften 9)Mobieen gcifilicber eoangeltfdiev Sieber in Sonfafeen ber
beften 9)ieiftcr aus1 ber früberen £dlfte be3 löten Sabrbunberts' an uns1 vorübergehen laffen. muß uns
aber befremben, baß" einige innerhalb biefe» Scitraumä urfunblid) entftanbcne, ju ben treflicbften unferes
Äircbengefangeg geborcnbe SBeifen, tf>ve Se^er rttdjt fdjon bamalS, fonbern, rote eS fd)eint, erft gegen bas>
(Snbe ber jrociten £dlfte biefeS Sabrbunberts' gefunben haben. (SS finb beren »ier, bie roir »omebmlicb
biebei im Sinne baben. 3uerft bie oon bcm Siebe eineS unbefannten Siebter^ :
SD £erre ©Ott, bein göttlich SBort
ifi lang oerbunfelt blieben :c.
Sieb unb SDielobie ftnb bereite in bem von 3ofepb -Älug 1535 ju Wittenberg gebrueften ©efangbuebe anju=
treffen; beibe erfebeinen bann 1537 in bem ju Straßburg oon SBolf jlbpbl herausgegebenen, unb 1545 in
bem oon Sutber burd) eine SSorrebe eingeleiteten Valentin 33a»ft3. Sie heitere, frifebe 2Beife tragt burcb
ben in ihr worroaltenben rbntbmifcben SEBccbfcl, ber brtlicb in unbebingt f)errfd)ent»e§ breitbeiliges' 9J2aaß
binübergebilbet roorben, ganj bas- ©eprdge be§ SSolfSmaßigen, unb ba fie ihrem Siebe ausTcbließcnb eigen
geblieben ift, muß" fie fofort allgemeinen Entlang gefunben haben. £>ennod) ftnbe ich fie nid)t früber alö
1575, in "Jlnton Scanbelli's' fünf- unb feebsftimmigen beutfeben geijtlicben Siebern, als1 ©runblage eines
fünfftimmigen SEonfafceS, ber fie im SEenor, unb niebt ohne ginfcbaltungen, einfüllt, unb erft 1597 geben
3obann Sccarb unb Seth Sabiftu§ fie in fünf* unb merftimmiger 33ebanblung, unjertrennt, unb im Sinne
debter barmonifd)er Entfaltung. 83on ba an erfd)eint fie nun, burcb anbere SOJeifter bebanbelt, in faft allen
fpdteren, bamronifeben geifjlicben Singebücbern. ti)nüd) »erbdlt e§ ftd) mit ber SJielobie be-3 Siebes1 :
2iacin ju bir £err Sefu <5t>rift
Wlein ^)ofnung fiebt auf @rben K.,
baö balb bem 3ob<*tm Scbneeftng (Q^iornuiu^), balb Gonrab ^)uber jugefebrieben roirb. 3roar erfebeint es
erft innerhalb ber legten jel)n %atyc ber früheren $dlfte be^ IGten Sahrbunt,E1:tg ? hner$ rco^' m^ mehren
anberen geiftlicben ©efdngen, auf einem einzelnen, ju Dürnberg (roahrfcbeinlid) 1541) gebrueften Sieber=
bogen, bann (9cro. XXI) in bem Anhange ju S3apft§ ©efangbuebe (1545); aber bie Sreflicbfeit feiner
SBeife, einer innigen unb roabrbaft erhabenen, hatte bod) ben SEonfünftlern jener 3«t fte aB Aufgabe für
ihre Sd^c roertb machen foUen. Sennoch enthalten weber Sßalterä ©efangbueb in feiner vierten 2lu3gabe
(1551), noch bie feit 1541 bis jur Stifte be§ Sahtbunbertä erfebienenen mebrftimmigen 9Kelobieenbücber,
214
fo weit ich fte fenne, von ihr einen Sonfafc. (Srft SKattbäus le 9ftaiftre, Gtjurfurftlid? ©äcbftfcber (5apeü=
meifter, gtebt um 1566, in feinen ©eiftlicfyen unb SBeltlicfycn Seutfcfyen ©efängen ju vier unb fünf ©tim=
nun, einen motettenbaften ©a{5 über btefelbe; ähnlich bct>anbelt fte ©canbeüi ju feebs Stimmen*) in feinem
juvor genannten 2Berfe, unb auch hier wieberum finb es ßccarb unb ©etb Gialviftus, bie am frübeften um
fte bas SSerbtcnft barmonifeber Entfaltung ftd> erwarben, gaff eben fo ift es mit ber 2Beife von bem 33et=
liebe «Pauls von ©»retten :
Scb ruf ju bir, Jg)crr Sefu ßbrtft,
Scb bitt', erf)br' mein .Klagen zc.
Siefes ift mit feiner SEßelobie bereits in ben erwähnten ©efangbücfyem 3of£pf) Älugs (1535) unb 2Bolf
itöcbls(l537) ju ftnben, unb bann in bas SSapfifcfye (Anhang, 9lro. XVI) aufgenommen. ^>te fülelobte bringt
aber ebenfalls ©canbelli am frübeften, motettenbaft bcftanbelt (1575); bann tritt fte in ganj einfachem
vievftitnmigen ©a£e auf (1586) unter ben 50 t>on bem SBürtembergifcben $ofprebiger 2ucas Dftanber ju
Dürnberg herausgegebenen geijtlicben SQZelobieen; näcbft biefen wieberum bei (gecarb unb ßalviftus. Grnblicb
ift auch, bie SCßelobte bes beutfd)en 2fgnus Sei :
£> 8amm ©ottes unfdmlbig ic.
lange ohne einen ©efjer geblieben. Sieb unb SJMobte treffen wir juerft 1540 in ben bei SERicfyael 8ottt)er ju
9Jiagbeburg erfebienenen geiftlicben Stebern unb 9)falmcn; 1545 nimmt ©Langenberg SBeibes auf in feine
.Rircbengcfänge, unb ba 33eibes eine eigentlich, liturgifd)c S5effimmung fyat, follte man vorausfe^en, bafj
ein mehrftimmiger ©a£ über bie SOßetobie jum ©ebrauebe bes ©ängercfyors frül) SScbürfnif? geroefen märe.
Gin nur unbebeutenber, in febr fehlerhaftem 2fbbrude, ft'nbet ftd) bennoeb erft in Soacbims von SOßagbeburg
SEifcbgefängen (1572), wo man il)n nid)t fucfycn mürbe; ein anberer, etwas gehaltvoller, 1593 in bem von
bem @l)urfürjtl. ©äcbjtfcben ,£of»rebiger SSKirus ju Bresben herausgegebenen ©efangbuche, ju vier ©titru
men, bie Gelobte im Senor. SUian tonnte ihn jeboch für einen alteren, erft fväter aufgenommenen halten,
weil bamals jene ©efjweife fchon feltener geworben war.
©inen inneren ©runb ber SSernachläffigung fo ergiebiger Aufgaben für ben mehrftimmigen Sonfafc,
wie es jumahl bie brei juerft beferoebenen SBeifen finb, weif? ich nid)t aufjuftnben. Sie 33ebeutung ber-
felben hat uns 3. ©ccarb**) burch feine SonfäfK, bie ju feinen treflichften gehören, auf bas ©inbringlichfte
offenbart; ber erften, als einer, bie greube an ber lieblichen, feeligen SSerfünbigung bes SBortcs ausbrüdem
ben, ber jweiten als ber eines fräftigen, erhabenen ©laubensliebes, ber britten als eines innigen ©ebetes.
freilich, »ermochte bie Sonfunft bes beginnenben 16ten Safyrfyunberts, vornehmlich weil fte einer SDlttteU
ftimme bie SJielobie jujutbcilcn pflegte, beren innerftes geben noch nieb. t völlig ju entfalten, aber fte bat bod)
an 'ähnlichem, unb auch mit wachfenbem ©rfolge, ftch verfucht. 8SieUeid)t fönnte bie ungewöhnlichere
©trovbe ber legten beiben ßieber, bie, fo viel ich gefunben, ihnen mit feinem anberen jener 3eit gemeinfam
ift, ein ©runb ber fo langen 3urüdfef^ung iljrer 5Eßetobieen ferm; für bie bes erften ift aber ein ähnlicher
nicht aufyufütben. ©eine ©trovhe, eine bem wettlichen wie geiftlichcn ©efange bes 16ten Sahrbunberts
gemeinfame, unb üteüetd)t am häuftgften vorfommenbe, ift bie achtteilige, iambifche, im SBechfel acht= unb
ftebenfylbiger Seilen, wie fte ben ßiebern „Surd) 2lbams gall ift ganj verberbt" unb „2Bas mein ©Ott
will, bas g'fd)ef) allzeit" ju ©runbe liegt.
•) ©. feinen 2onfa^ 9cro. 38 ber S3eifpie!fammlung.
") ©. SBcifpiele SRro. 131. 130. 129.
215
2Btr fcbliefjen biemit unferen 33eridu über baSjenige, ma3 tmn ben Anfängen unb bem 2ßad)5=
tbum unferes beutfeben cimngelifcben @horalgefange§ in ber erftert £älfte be§ löten ^abrbunbertS ju fagen
ift, fofern er nämlich ber Sonfunft angehört. 'Mc steinte eineS Dotfömäftgen ÄircbengefangeS in unferer
Sprache, mie fte febon in ben üornngebenben 3abrbunberten allgemach an bae> 2id)t gebrungen maren,
empfingen bnreb bie gemaltige Skmegung ber ©eifier im beginnenben IGten Sabrbunberte eine lebenbige
^Befruchtung, traft beren fte balb in reicher gülle empormuebfen. ©o gebieh innerhalb ber furjen grift von
faum funfjig fahren ba§ lange Vorbereitete, ju»or langfam nur, boeb ftcher, ©cjeitigte. Cr§ gefchahe mit
bem SBachöthum besi ^roteftantismu § , ber nach manchen, med)feluollcn .Kämpfen, gegen ba§ 6nbe biefeö
3eitraum3 eine gefteberte äußere ©teHung unb ein rechtliche XSerbältnif? ju ber alten Äircbe in £>eutfcblanb
gewann, menn er auch, ihr gegenüber, in feiner äufseren ©rfdbetnung nicht aB ein gleich feft in fieb gegrün^
betcS jtirebentbum erfdjetnen tonnte, ba er fich in 2anbe6fird)cn fpaltete, unter bem Schule, ja, ber
Regierung unb ©eroalt ber gürfien unb 2anbe§bcn-en. £>od) ft'nben mir in ber ©eftaltung beS ©otteS--
bienfteS bei ben ^»roteftirenben barin jumeift allgemeine Übereinftimmung, bafj man, nach, ßutberS SSor=
gange, bem 33eftebenben ftd> anfcblofs, unb nur baSjenige befeitigte, ma6 bem ©eifie bes> Ghjangelium.3
aß gänzlich miberffrebenb erfebien. S>on unglaublichem (ütnfluffe auf ©rmeefung eines frifeben, cbrifilicb
frommen ©inneö, mar aber ba3 beutfebe Äirchenlieb unb feine ©ingmetfe. 2uts> bem tiefften, mnerften,
lebenbigften SSebürfntffe ber Seit ging e§ Ijerüor ; mir faben, mit meldbem S3eifaUe man bie erjten, menn
auch fpärlicben, ©aben geiftlicber ßieber empfing, mie an verfchiebenen Sötten £)eutfcblanbj>, im Horben
mie ©üben, im Snnem, mie an ben äufjerftcn mefilicben unb ofttichen ©renjen, gleichzeitig ©amtm
lungen berfelben erfebienen, mie biefe anmuebfen, mie man ernfi, unb mieberbolt bie 2£nftd;t aussprach,
man feile hinfort bie Sugenb fcabet auferstehen, fte bamit nähren, als> mit ber gefunbeften, heilfamften
geizigen ©peife; mie man ju bem mürbigfien ©d)mucfe, ja ber mahrhaften SSerflärung biefer ßieber bureb
©ingmeifen, ba§ S3efte in 2btfprucb naf)tn, ma§ bie Sontunff bisher gefebaffen hatte in SSorjeit unb ©egem
mart, auf bem ©ebiete bes> alten lateinifchen unb beutfeben ÄircfyengefangeS mie ber SSolfSmeifen. iDiefe
gebeimnitmolle, ja, an 2Bürbe allen übrigen üoranjufMenbe, näcbft ber ©otteSgelahrtbeit am böcbften
ju ebrenbe Äunft feilte fortan im SMenffe £>effen, ber fte unb alle übrigen gefebaffen, ihre höchste S5ebeu=
tung offenbaren: in %i)m follte bie 3ugenb fte lieben, burch fie follte fte 3h n ehren lernen, an ihr ftcb
üben unb beranbtlcen ; bem £eiligften, 33eften, gegenüber, ben ücrberblicben äSublltebem entfagen.
3n biefem ©inne ftrebten SBalter, unb 3?bau jumahl, tnbem fte an ben 2öeifen biefer ßieber bie Äunff
be6 £onfa£e3 in soUftem ©lanje barjulegen ftrebten; in eigenen SScrten, fo mie ben »on ihnen gefammelten
ber benmrragenbften SKeifier ihrer Seit. S8on jenen Söeifen felbft aber haben feitbem in jeber 3eit bie
SSeften geurtheilt, bajj an 2Beihe, Snnigfeit, Äraft, ihnen feine anberen ju Dergleichen fepen. SBie auch
hätte e§ anberS fenn fonnen? Sieb unb SBeife maren nicht etma nur für ftrcbücfyc (Srbauung an feftgefe|ten,
mieberfebrenben Sagen beftimmt, fte maren, unb follten SSegleiter fepn burch ba3 ganje ßeben, ein nie
oerftegenber£UteU geiftigerßrquicFung. 3e werlangenber, mir bürfen fagen, burfiiger, man aufnahm, ma$ an
IBerfünbigung unbßehre, anßobgefang unb@ebet, ba§£ieb entgegenbrad}te, um fo inniger berührte baffelbe
©etfl unb ©mpftnbung, ent^ünbete bie ^Begabten ju neuer Serherrlich, ung eineS fo foftlid) en ©efchenB. 2(u§
eben fo unmittelbarem, brigenbemSSebürfniffe, mie be§©cbaffen§, fo be§(§mpfangen§, al§ bei bemßiebe felbji,
entftanb bie neue ©ingmeife, eine au§ ihm unmittelbar ermaebfene gruebt ber ©egenmart, nicht mehr
mie in ben erften Anfängen, ein ihm nur finnig Angeeignetes ; in, unb mit ihr, au$ innerer 9cotbmen=
216
bigfeit, ging hervor, maS wir ihren Stt)l nennen. 9ftag man, für gemiffe 9?icbtungen be3 SBilbenS,
nad) ben äußeren Umrtffen be§ bisher ©efratteten, bie man mit tierfiänbiger ^Berechnung ouffafjt, unb
bann auf @leid)artige§ anmenbet, ein Angemcffenesi barfrellen fbnnen, bem man in biefem Sinne ben
Stt)t nachrühmt; in tieferer SSebeutung wirb biefer immer nur in wahrhaft bitbungSfräftigen 3eiten er=
fcbeinen fbnnen, ba3 nur Angcmeffcne mtrb ffetS ber 2öärme lebcnbiger SSegeifterung entbehren. *2£16
unmittelbarer ©rguf? einer folcben entjtanben bie Äirchenweifen be§ löten 3af)rbunberts>, burd) tonfinnige
Sänger im §3olfe; mar, mie in bem ß t e b e bie allgemeine ©eft'nnung, «Stimmung, Überzeugung au§-
gebrochen gemefen, fo in feiner 2Beife ber SEon be§ innerften frommen ©efübleS angefcbjagen, fo erfd)ien
fte augenblidlid) mit ihm als> ©inee», bie allgemein aufgenommene mie ein SBerf 2fller, ihr einjelner \Xx-
beber mürbe »ergeffen; batte er bod) nur juerft auSgcfprochen, ma§ in 2lUen lebte, unb fo einem jeben
gleichmäßig anzugehören festen. Cr3 mar bier ein noch, fo ganj 2lnbere§, als etma mit bem blofs funft=
finnigen 3Bof)lgefallen an einem trcflid)en, aus» ber 3eitrid)tung b,er»orgegangenen jtunftwerfe. Denn
meber bei bem Siebe, noch ber SSBeife fanb irgenbwie ein SEracfyten jtatt nad) fünftlerifcher S3olIenbung;
jenes? gab, in ber bewegteften Seit, bem innerften, mäd)tigften Crange be3 ©emütbeS ba§ rechte SBort,
biefe, ben redeten 3)on; beibc§ tiereint mar bem Singenben wie ein au§ eigener (Seele (SntftrbmteS. Darum
bat man aud) ftetS «ergebend tierfud)t, — anberä aU in fpäteren Seiten — bem, mie e§ fd)ien, rauben,
ungefälligen SBortauSbrude bes> ßtebes> größere ©lätte ju geben unb ©etenff>eit. Qben meil e3 tion
Anbeginn auf SSollenbung ber äußeren gorm nid} t gerichtet, meil ee> im eigentlichen Sinne, mie entftan*
ben, fogleid) Sigenthum ber ©em eine gemorben mar, i)at bie 9Kebrjal)l »on beren ©liebern angeblid)e
Skrbefferungen folcbjr Art jumeift abgemiefen, ja, aud) mo fte in ber freunblid)ften Abftd)t entgegengebracht
mürben, fte mißtrauifd) al§ böswillige Eingriffe in ba§ eigene Selbft betrachtet. Der Sonmeifen maren mobl
Anfangs bei einigen ßiebern mancherlei : allein entmeber lief ein Sieb einen botiticltcn ©runbton ber @m=
pftnbung ju, beren einer bier, ber anbere bort, übermiegenb tiormaltete, ober e§ ermartete in ber &b,at
nod) feine rechte ^Betonung ; bis eS fte gefunben, fetjen mir mol)l biefe eine, balb jene anbere SSJlelobie
ergreifen, alle aber ftnb »löblich tierfd)ollen, menn biejenige gefunben ift, bie bem Siebe ganj ticrfd)miljt,
ibr fällt bann AUeS ju, unb be§ früheren mirb nicht mebr gebad)t, felbft menn es> anfd)cinenb ben Anfor=
berungen ber Äunbigen mel)r entf»recb,cn follte. Denn biefe entfd)eiben l)ier nicht, bie eigentümliche,
befonbere Auffaffung bat feine ©ültigfeit neben bem, mas> bem ©eifte ber lebenbig angeregten Allgemein^
beit gemäß ift. <So bitten benn an Qjrftnbung ber Äird)cnmelobiecn in biefem erften Seitraume ber
Äird)entierbefferung , bie Äunbigcn, bie berufsmäßigen SEonfünfttcr, meijt feinen £f)eil. Denn in
biefem Sinne muffen mir auch ßutl)er ju bem SSolfe rechnen, ben einzigen Sänger geiftlid)cr SBeifen, ben
mir bis» gegen bie Wüte beS 3öhrl)nnbert§ urfunblid) ju nennen miffen ; jmei anbere, ©enfl unb Äugel=
man, menn anberS unfere S3ermutt)ungen über fte richtig ftnb, flehen nur al§ einzelne 2lu§nal)men neben
ihm. £>eSbalb blieb jebod) bie S£l)ätigfeit ber Sonfefjer für ben neuen Äird)cngefang, il)r bebeutfame§ 6in=
mirfen auf benfelben, feine§meg§ au§gefd)loffen. 3b"e" gehörte bie 25urd)bilbung beffen an, ma£ ber
unbemufite Äunfttrieb gefd)affen, e§ mar ihr fd)bner S3eruf, ba§ au§ ber Sßcgeifterung ber Allgemeinheit
^eroorgegangene, tion ihr lebenbig jeugenbe, aU Aufgabe, alö frud)tbaren Äeim fünfllerifcher @ntfal=
tung ju ergreifen, es in baö Äunftgebiet ju erheben. (Sine mie herrlidie 33lütbc ber Sonfttnft aber bereitete
jene barmonifebe Entfaltung ber ßiebform ! (Sine geiftige ^Belebung be§ in grauem Altertbum mie in ber
©egenmart ©efebaffenen , beö für bie heilige Stätte, mie au§ ber Wüte ber mechfeloollen, mannichfaltigen
217
©efialtungen Des Sehens ©efungcnen ! üftebr, als fonft irgenbroo, mujjte es l)ier bem Sieker gelingen,
Diefen SicDroeifcn gegenüber, — ©eftaltungen von nur geringem Umfange, innerer ©cfchloffenheit, leichter
Überficbtlicbfeit, allgemeiner gajjlichfeit, — ben (Eomponiften abjuroerfen, roie er bisher geheimen, ben
forgfam, finnreid), emfig 3ufammenfügenben, unb ju einer roabrbaften ©lieberung mebrftimmigen
Sonfaljes" $u gelangen, teffen einzelne Sbeile nicht fürber eine 3ufäUigfeit geigten in ihrer gegenfeitigen
33erbinbung, fonbem eine tiefbegrünbete innere Übcreinftimmung, ein ^Beruhen be§ gemeinfamen Sehens
auf bem jebes" einzelnen SbeileS, unb biefeö roieberum in jenem, gleich, bem in allen, fleinften roie grbfjeften,
Jberoorbringungen ber %Jtur ! 3fuf mannichfaltigen SBegen feben roir bie Sefcer jener Seit fyinvoanbeln
$u biefem 3iele, auf bie oerfebiebenartigfte SBeife ihre Aufgabe ergreifen, bie barmonifche (Entfaltung ber
SJielobie; irrenb aber allejeit ba, reo fie, oon biefer Sfichtung abroeid)enb, in ber blofjen 9Rad)t über bie
Äunftmittel auch, bie Äunft felbft in ganzer gülle fchonju befüjen mahnen. £>a bat (Einer eine funffrctche'tfrt ber
©lieberung erfonnen, ber jufolge aus» ber Sonroeife, roie au3 bem .Reime, bie ©ejtaltung bes" ©anjen ftch
nothrcenbig crfd)liegen mufj, ja, febon mit ihr »ollftdnbig gegeben ift; nur fann bieS nicht gefd)eben, ohne
bie SDJelobie felbft einer Umgeftaltung $u unterroerfen 5 beShalb muf? fie ftch, ihr fügen, roären es" auch, eigene
thümliche 3üge berfelben, bie barüber verloren gingen, bentt nur fo fd)eint fie ihre 33eftimmung für bie
Äunft erft oollftänbig ju erreichen. £ber, es ftnbet jroifdben mehren Siebern eine innere, tiefere SSejiehung
bes" 3 n halt es jtatt, nur roaltet boch, bei ihnen eine oerfd)iebene gdrbung bes" ©runbgefübleS ob, unb
biefer jufolge finb auch ihre ©ingroeifen oerfd)ieben, als tonfünjilerifche Sßiebergeburten — baf roir fie fo
nennen — ihrer Sieber. Stun ftellt aber ber Sonfünftler fief) bie Aufgabe, tiefe notbroenbig oerfchiebenen
3Jielobieen, jener inneren 33e$iehung ihrer Sieber roegen, auch, äufj erlief) ju einem ©anjen ju oer=
fnüpfen, einen flingenten jiörper ju bilben au§ ihnen, eine Harmonie barjuftellen in biefem Sinne.
»Solche, unb ähnliche Strien, bie Aufgabe barmonifeber (Entfaltung geiftlicher Singroeifen ju löfen, für
roelche unfer oorangebenber ^Bericht genugfame SSelege bietet, finnreid) roie ft'e fepn mochten, traten ihr boch
nur auf unoellfommcne SBeife naher, lochte bie Söfung auch, eine reiche Klangfülle gewähren, fo fonnte
ber <2e£er boch nur ftch rühmen, ein Übel burch, biefelbe flüglich, Permi eben, nid)t ein eigentümliches
Sehen burch biefelbe entfaltet, ein roefentlid) ©uteS geletftet ju haben 5 es" genügte ihm, roenn ba£
nach, notbroenbig bebingenber Siegel fünftlich ©eorbnete, bas, bei febeinbarem SBiberfprucbe bennod) 25er=
fnüpfre, nur bem 2öo()lf lange nicht roiberftrebte, nur beffen SSebingungen nicht verlebte; ba burch,
bie Harmonie, ben SSedifel be» 2Ibflingenbcn unb 23erfcbmel$enben in SSerfnüpfung oerfchiebener £on=
reihen, Sinn unb S5ebeutung ber Sonrocifen ju offenbaren boch ber eigentliche ©egenftanb ber Aufgabe
roar. "Much in foleber Söeife faxten fie anbere Sonfünftlcr auf, roie roir gefeben; alle aber, ein jeber auf
feinem SSege, burd) 3rren unb (Erreichen, forberten auf fräftige SBeife ben SSach^thum ber heiligen Zon-
hmft. greilid) ift ba§ 93teiftc, roa§ biefe Seit geleiftet, nur S>erfud), unb meijt nicht oon unabhängigem,
in ftch, berubenbem Äunfrroertb,e; allein es bleibt boch, oon hoher SSebeutung für bie (Entfaltung ber gefamm--
ten Aunft, unb toir möchten es> auf feine Söeife entbehren. Äunftrichter unferer 3eit hohen es> oft mi§=
oerfjanben, oerfannt, roeil eS jenen felbftdnbigen SBerth nid)t befa§, fie haben bie begeifterten 'ituficrungen
felbft bochftehenber 9Känner jener 3eit über bie Sonfunft ihrer Sage faft bemitleibet; es fei rpoblfeil geroefen,
jenen ju gefallen, ba ft'e 33efferes nicht gefannt, haben fie ftch »emebmen laffen. Allein an bem 23obl=
gefallen jener Scanner hatte roeber irgenb eine SSergleichung einen Sheil, noch roar es ein funftrichterifches :
an ber geiftig hod) ftrebfamen, ber Äunftmittel auf herounbernsroürbige 23eife fich bemeifternben Scnfunft
r>. aBinttrfttt , in erangtl. (S^cralscfang. 28
218
liebten unb lobten fte einen lauteren Spiegel ifyrer eigenen tüchtigen ©trebfamfeit ; wegen ihres frifd)en,
fruchtbar«) SSormärtSbringenS rühmten fte ibr mit 8fecbt nad), fte fei nie fo t> o d> fommen, mo=
mit fte freilich, auf feine SBeife fagen mollten , baß fte nunmehr auch tbt leljteS 3iel bereits erreicht rjabe.
Sie mar ihnen h,od) unb heilig/ weil fte bem £bd)ften nahe jfanb, mit ihm #anb in £anb ging : fte er^
bauten ftd) an ibr, als einem herrlichen ©cfd)bpfe ©otteS ; fte, bie ©cfunbcn, mürben t>on ber fräftigen,
gefunben Snfmtcflung tiefer Äunft unmibcrftebltd) l)ingcriffcn, unb mcnn biefe ©nrmicflung auch mohl
©eftfameS ju Sage fbrberte, fo mar eS bod) ntd)t erfonnen als 9?eijmittel für Überfättigung unb (§rfcblaf=
fung. ©cftel)en bürfen mir allerbingS, baß manches ber Sonmerfe jener Sage in bem 3ufammcnbangc
feiner ©lieberung nur ben AuS führen ben »crftänblicb gemefen fev>n merbe, ben in il)m unmittelbar
ikbenben, bei feiner 2Bteberf)en>orbringung nahe beteiligten; beruhte bod) baS ©anje meh.r in bem ein-
zelnen, als biefeS in ihm, mar eS boch, als ©anjeS, fajt nur eine, bureb baS Einzelne glücflid) beftegte
©d)mierigfeit, ein burd) baffelbe Aufgehobenes, fo baß bie oolle gratbe baran nur in jenem ©iege, jenem
Aufheben, jumeift alfo für bie SEbeilnebmer an ber Ausführung, meniger für ben ^brer, befteben fonnte.
Senn faum ließ für biefen ber 3ufammenflang, meber baS fünftliche Songemcbc erf ernten, noch bie glücf=
liehe Bufammenfügung beS anfd)einenb 2Btberftrebcnben ; unmittelbar mar bcibeS nur jenen flar als Sar=
fteUenben, in ber 9tabe ihm 9)iitrt)eilnel)mer auf biefe Saufchenben, beS gemeinfamen 3ufammenmirfenS
mit ihnen ftd) greuenben. Sarum geben mir gern nach, baß StttherS 33emunbcrung ber Sonfunft faum fo
lebhaft unb geiftretd) ftd) ausgebrochen tyaben merbe, als eS in feinem ^Briefe an ©enfl, unb mehr noch
in feiner, ber 9Jiuftca eigenbS gemibmeten 8obfd)rift gefcbiel)t, märe er md)t felber^itfdnger gemefen.
SiefeS S5erhältnif ber meiften #örer ju ben fünfilieben Sonfä^en jener 3eit, ja fclbft ben einfacheren,
fofern in ilmen gembbnltd) ber ©egenftanb if)rer Aufgabe, bie 9Jlelobie, einer 9Jiittelfttmme jugetl)eilt mar,
alfo burd) bie höheren .Klänge berDberftitrtmen leicht oerbunfelt mürbe — biefeS SSerbältnifj erflärt unS, mie
neben jener lebhaften ^Begeiferung für bie Äunji beS mef)rjtimmigen Sonfa^eS, bod) mieberum aud) häufig
Älagen ber Sonmcijter laut mürben, man erfenne fte nicht genugfam, aebte fte nicht nach SSBürben. 3n
ber einen fprad) ftd) bie greube auS an bem ma[)rl)aft ©elungenen, in ben anbern betätigte ftd), gleich
mabrbaft, baS 33cmußtfet)n eines SDiangelS. Sm naturgemäßen Sortgange ber (SntmicFlung mußte beS*
halb noth.menbig baS©treben ermachen, biefen SBiberftrett aufjulbfen, bem ©timmengemebe, als ©anjem,
einen mefentlidben ©ehalt ju geben bureb bie Harmonie, biefe, als ©cfammtergebniß beS uer=
flochtenen einzelnen, bei beffen ©lieberung in neuem ©inne ju berücfftd)tigen , unb fo auch bem, als
nur Empfangen ber, bem Söcrfe gegenüberftebenben Q br er beffen S5ebeutung 511 offenbaren. 2Bie
biefeS ©treben allgemach eine fd)bne 23lütf)e geiftlicber £onfunjt im mebrjtimmigen Üiebergefange berbei=
geführt habe, gebenfen mir in unferem 33erid)te über bie lefere £älfte beS 16tcn ^«bi'bimbcrtS barjuftellen.
Saß eS fchon in beffen erfier $älfte ftd) föaijn gebrod)en, l)aben mir in geifireid)^ropl)etifd)cn Anbeutungen
bei einjelnen trefltcben Sonmeijtern bereits mahrgenomtnen; bei©eorg3ibau, S3enebict SuciS (oberJperjog),
Uubmig ©enfl, bereit Sonfäfje mir fo eben nur auSführlid)er befprachen.
Allein eben in S5ejug auf bie julefjt genannten beiben 9Jceij!er fbnntc ein erheblid)eS Jßcbenfctt
unferer SarjlcUung entgegengefe^t merben. Sßtr haben bie SSerbienfte beiber um bie Sktonung antif'er
9Kaaße gerühmt, unb ihren SBcftrebungen auf biefem ©ebiete einen bebeutenben Einfluß auf barmonifebe
Entfaltung beS GhoralgefangeS beigemeffen. 2Bar aber biefe auf gefunbem, naturgemäßem gortfehritte
Oer Jitunft be» geifllicben &onfaßes notbwenbig gegründet, fo bürften wir, foUte man meinen, fte nicht
erfl herleiten aus einer, ein ganj anbereS 3tel »erfolgcnbcn, fremden Siicbtung. Mein hergeleitet haben
wir fte auch nicht aus biefer ; wichtig aber mußte un$ bicfelbe fewn, weil mit tt)r eine "Kxt ber SEbdtigfeit
bebingt war, bic ber geijlltcben Sonfunjl ein näheres SSerfldnbnifj ihrer Aufgabe erfcblofi, ben £onfe£ern
bie 33abn ebnete, ilmcn bie SQiittel gemährte, jene um fo leichter ju löfen. SBaren bei ber 83etonung an=
tifcrSKaafk alle bieSBortbctle auSge|"cbloffen, bie berSeljer au§ fürtflttd)cr Stimmenücrmebung ju jieben ver-
mochte, unb mürbe fein ganjeS 33cjlreben allein babin gelenft, neben bem rb wtbmtfch en SSeftanbtheile
feinet ©ebiebte», beffen Snbalte genugjutbun, bie barin »ormaltenbe Stimmung in einer einfachen
bebeutfamen «Harmonie abjufpiegcln, weil ßeerbeit in biefer ganj unerträglich gewefen wäre; fo mürbe
ihm bamit jugleicb baS Sierftdnbnt^ gebfnet für jmet mid)tige S3eftanbtt>eile ber Singmeifen beutfeber getft-
lieber üieber; für ben rbhtbmif cb,en, ben bie S>olfsmeife, ben b armonifcb en, ben toor 2füem ber
alte rbmiüte Äircbeagcfang bureb bie Äirdjentbne i()nen jugebraebt hatte, ©rfannte er aber auf frembem
©ebiete beren SBebeutfamfcit, mürbe fein Streben gemeeft, benfelben genugjutf)un ; um fo mehr mußte
bann, ma§ er bort leiflete , and) auf bem gelbe ber heiligen SEonfunfl ihm ju ©ute fommen, beren ä$erberr=
licbung er nun bie ganje gülle feiner ermorbenen SDleiflerfcbaft mibmen fonnte, um feinen ü£onfä§en für
ben bbchflen 3wecf, im ©anjen mie im ©injetnen, ben wefcntltcbflen ©ehalt, bie t;bd)fte 33ebeutung ju
geben.
3iucb bei fixerer Umgrenzung benad)barter ©ebiete unb beren gortbitbung in ft'cb,, merben wir
gegenfeitigen (Sinfluß niemaß auögefd?loffen finben. So ergriff ber geifllicbe Siebergefang feit ber Äircbem
oerbefferung, meil er ©efang ber ©emeine, bes> 2$olfe§ fetm foUte, ben SSolfSton, unb fleibete in ihn ba$
auf bem ©ebiete bes> alten rbmifeben Äird)engefange» (Sntlebnte: er eignete aber aud) bie 33olf§weife,
ein ihm fonfl grembe», fid) an, meil er bie »erberblicben SSubllieber ausrotten trachtete, unb fo merben
beren Umbicbtungen unS midjtig, auch wenn fte fonfl, fachlich, ober bichterifch betrachtet, es> nicht
fewn mürben.
(Sin anberer Zweifel noch fpviebt fich aus in ber grage: mußte nicht febon bas, bem ©emeine--
gelange al3 Unterftü&ung, aB SErdger, verbunbene £rgelfpiel ba§ (Streben einleiten, ben einfach bar=
monifchen ©ehalt ber geiftlidjen ßiebmeifen bavjujlellen , bie eS begleitete? Seinem üffiefen nach war eS
mehrflimmig, bem Swecfe jufolge, ben wir babei üoraue>fe£en muffen, notbwenbig einfach; warum alfo
noch eine Gjntwtdlung bee> Sonfa^eö auf frembem ©ebiete in 2uifprucb nehmen, baeSjenige ju erfldren, ba3
au§ ungleich näheren S5ejiel)ungen leichter berjuleiten ifl? £>iefer Zweifel beruht inbeß in zwiefacher %xt auf
einer unrichtigen 33orausfe£ung. 2Btr wiffen jwar nid)t mit Sicherheit, mie ba§ £rgelf»iel um bie erfle
£dlfte be§ IGten 3abrbunbert§ befchaffen gewefen, allein anbere Sl)atfad)en gewahren unS bie Überjeugung,
ba^ jene (Sinwirfung, bie man ihm beimißt, nicht flatt gehabt haben merbe. 3undcbfl barf nicht einmal)l
angenommen merben, baß in ben frübeflen Seiten ber Äircbenüerbeffcvung ber Siebergefang ber ©emeine,
ber jumeifl an bie SteEe beö bisherigen ßhorgefangeö ber ©eijllicben trat, mit ber ^rgel begleitet gewefen
fep, wie gegenwärtig in unferen et>angelifcben Äirchen. So wenig wie jener jlljc'd be§ bisherigen Mixd)m-
gefangeS, beffen ^)la^ er einnahm, bamalä, unb jefetnoeb, ju ben SEbnen ber SDrgel vorgetragen mürbe,
eben fo wenig wirb ee> bamal§ mit bem ©emeinegefange ber gall gewefen fet;n. ^)dtte man ber Orgel
für ihn ju bebürfen gemeint, fo mürbe man in bilber= unb fircbenfiürmerifchem ©ifer nicht fo üiele trefliche
Ürgelwerfe jertrümmert haben. Siefer fanattfdje gifer, ben Sutber mit fo herben SBorten flrafte, war
28*
220
aber gegen tue «Runji gerichtet/ bie ben ©chmarmgcijtern für ettleS, t)ctbntfd)e§, feelenoerberblid)es> ©epränge
galt, für ein abgötttfd)er SSaaföbienft, ben man ausrotten muffe, bamit bie ©eelen ber ©laubigen nid)t in
i>ev|iicbung gefüllt mürben. AIS einSBerfjcug folctjcr Abgötterei crfd)ien aud)bie£)rgel, bes>f)alb ber Jpafj gegen
fie; mir feigen bal)er mit9Jed)t uorauS, ba^ftebi§jurÄircl)eimerbcffcrung emeStheilS bem Äunftgefange aB
Segleitung unb ©tü|e hinjutrat, anberntheiB neben ihm ftanb, al§ SBcrfjeug für freie, fird)lid)e j?unf>
leiftung. 3Bo nun ein fanatifd)4)erber ©ifer folcb,er Art ftd) nid)t entjünbete, ober burd) fräftige, geiftliche
Ginmirrung unb 3ud)t in ©cfyranfen gehalten mürbe, mo man an baö Althergebrachte anfnüpfte, unb nur
baSjemge abtrat, ma3 bem gereinigten ©tauben miberftrebte, ba hat man geroifj lange bie bisherige Söeife
beibehalten, unb es> ift r>icl glaublicher, bafs ba§ Srgclfpiel nad) bem dufter be§ Äun|tgefange§, burd)
ihn unb mit il)m ftd) merbe gebilbet haben — mie überhaupt ba§ Snftntmentenfpicl, — aB umgefef)rt;
bafj e3 alfo el)er »on il)tn eine (Sinmirfung merbe empfangen, aB eine auf ihn geübt fyaben.
Aber angenommen aud), man habe in £)eutfd)lanb üor ber Äird}cn»erbefferung ben ßhorgefang, jumaf)l
ber $)falmen, einfad) mehrjtimmig, fe» e§ unmittelbar geübt, fev> e§ mit ber £)rgel begleitet; fo mürbe
bie§ faum in anberer 2Beife gcfd)el)en fet)n, aB im fogenannten f'also bordone, — einer Sietye ©ed)S>tem
aecorbe; eine nach SSaini in ber pdpjtlid)en Capelle feit bem 14ten bts> fttnetn in bag 19te 3af)rfmnbert f)er*
fommliche Art be§ 33ortrages>, beren bereits bei ©afur unb Abam oott gulba @rmäl)nung gefd)ieht. 3ji
e3 nun benfbar, menn biefe Art »on einfacher £>rgelbegleitung auf ben ©emeinegefang übertragen mürbe,
baf? barauS irgenb eine erf)eblid)e (Sinmirhtng habe entfteben fbnncn auf tieferen harmonifchen ©ehalt be§
ÄunftgefangeS? 2Bir holten baf)er unfere £)arftellung burd) biefe 3n>eifel gegen biefelbe feineSmegeS für
erfchüttert. SBcnn aber enblid) fogar gefragt mirb: ob benn überhaupt auf bem Äunjtgebiete »on einem
ßhotalgefange unb 61) oralftple mbiefer3eitfd)onbie9?cbe feenfönne, ba ja jumeiftaUemehrflimmigen
geiftlichen gieberfd^e au§ berfclben bem S'Suralftple angehören? fo halten mir biefe Srage für eine müßige.
3undd)ft mirb bei ihr »orauSgefeljt, bae> 2Befentlid)e einer ßhoralmelobie beftef)e in völliger <55letd>{>ett ber
Sauer ihrer einzelnen £bne, in Abmefenheit aller rl)t>thmifd)en 9Jiannid)faltigfeit, unb eben fo mefentlid)
fei für ihre harmonifche ^Begleitung bas> Enthalten üon jeber eigenthümlid) bemegten Rührung ber 9Kittel=
ftimmen, gefd)mcige benn ber ©runbftimmc. £)iefe gorberung, melche erft eine ütel fpdtere 3eit an ben
fird}lichen Siebergefang gefiellt hat, ft'nben mir freilich in ber Seit, über bie mir beridjtet, nid)t erfüllt,
allein eben fo menig ift if>r um bie 3eit ber höchfjen 33lütf)e bes> eoangelifchen G^oralgefange^ ©enüge
gefd)ef)en. 25enn r>on fo eng umgrcnjtem ©ebiete müßten mir eine jebe ©ingmeife mit heroortretenbem
rfmthmifchen 2Bed)fel augfeheiben; jebe burchgehenbe iJcote, gefdntmge benn eine S5inbung in ben 9JJittet=
fiimmen — ba§ 33ebeutung$>t>olljte, SBirrfamfte alfo — müßte uns> für ein SBerjfoß gegen bie Steinheit beS
©tyleS gelten. 3enet ©egenfa^ beö ß h o r a l = unb g i g u r a l jt p l e §, ber in ber Äunftübung mit Strenge
nirgenb feftjuhalten ijl, fann be§hatb für unfere Darftellung feine ©ültigfcit haben. &n anberer jebod),
auf ben fie bt^tjer jum öfteren hingebeutet, ift für fte r>on entfdjiebener S!Bid)tigfeit, ber jmifd)en einfach^
harmonifcher ßntfaltung einer geiftlid)en ©ingmeife, unb einem fte bcgleitenben funftreid)en ©timmengemebe,
baä bie ©runbgebanfen (9)iotiüe) feiner 9cad)al)mung auS ihr fd)öpft; ober, un§ eine§ Äunftmorte§ ju
bebienen, jmifd)en fyomopljontfdjer unb polt)phonifd)er Jßchanbtung bcrfelben. Wit 9?ürfftd)t
auf biefen ©egenfa^, ber burd) unfere gefammte Sarftellung unö begleiten mirb, fönnen mir fagen: bie erfte
^älfte beö löten 3ahrhu"bertö mar im geiftlid)enßiebcrgefange ba§3eitalter üorherrfd)enber ?)olnphonie:
biefe erhielt aber ihre f)öct)fte Auöbitbung burch ben allgemach erfolgten allgemeinen Übergang ber SKelobie
in t>ie £>berjtimme, burd) welche für bie fünfiltdKn Songeroebe bie 2(nforberung, baß fte aud) r;armonifd)
bebeutfam roürben, ftd) immer bringenber geltenb machte. Saburd) aber rourbe bie .£omopf)onie öon
felber angebahnt; fte leiftete in einfachen Sögen, n>a§ jene burd) eine reichere, jufammengef entere ©lieberung.
3br fcbtof nun ba§ Drgelfptel ftd? an, nid)t allein at§ notlmxnbige ©tü£e be3 ©emeinegefangeS, fonbern
»or 2fllem in ber tfbftcfyt, if)n, fo »iel tfjunlicr;, mit fjinaufjufjeben in ba£ Äunjtgebiet, ifm bem Ätmji=
gefange näh, er ju bringen, fo baf? er, biefem gegenüber, wie bie reiche gülle jartgeglieberter SSldtter gegen
bie glänjenbe Farbenpracht ber obllig entfalteten S5Iütt)e erfd)eine. £>iefe§ ju leijien, roar ber jweiten
£dlfte be§ 16ten 3af)rf)unbert3 »orbefyalten, ben Fortgang biefer ©ntmicflung be§ et>angelifd)en Äirdjen-
gefangeS roirb un$ feine ©efdjidjte enthüllen, foroeit er ber Äunjt angehört; it>n ju fdbjlbern ijl bie Aufgabe
ber nun folgenben £>arftellung.
£mite$ pnd).
Der ceongclif^e Stirdhengcfatiö in Der ^weiten #älfte be« fedjgeljnten 3«f)tft»nbcrtiS.
i tt I e 1 1 u tt
2Bir betrachteten bisher ba3 geiftlicbe Sieb unb feine Singroeife in rafebem, oeretntem 2Bacbe>'
tbum. SScibe erfchienen un§ als roefentlicbe SEbeile be§ neuen ,Kird)cntbume§, baö eine tätige Teilnahme
ber ©emeine an bem ©otteSbtenfte forbevte. 9Jlit ber <Sad)e ber ©oangelifcben fallen wir fte, gleichmäßigen
5ortfcbritte$, gebeiben, big ber 3?eligion§friebe in Seutfcblanb ein gefeilteres SSerbältnifi feftjMIte äwifeben
ber neuen, lutljerifc^en, unb ber alten, rbmifcfyen .Kirche. 3n ber jmeiten £älftc be§ 16ren Sa^r^unbertS
bricht nunmehr für beibe, Äircbcnlieb unb Äircbemoeife, eine neue 3eit an. (53 ift eine Seit bee> ©ebeibenS
nod) allerbingS, allein auf einem anberen SBege, wie bie 3eitoerbältniffe ihn bebingten. £>icfe haben mir
uns nun in ba§ ©ebächtniß ju rufen, roenn auch, nur in allgemeinen 3ügen, um für ben ©egenftanb
unferer ^Betrachtung ben rechten ©eft'cbtSpunft ju geroinnen.
£>ie romtfehe Äirche, in bem Abfalle fo ttieler Sanbe tief erfchüttert, hatte burch bie Äirchen=
oerfammlung ju SSrient getrad)tet, baS ihr ©ebliebene fefter in ftch ju fcbliefkn, burch £er(lcllung ber
oerfatlenen ßebre unb 3ucbt ftch neu ju begrünben. ©ich erftarft fühlenb roieberum, ging fte nun über ju
bem Streben, baS Verlorne voieberjugeroinnen, ba§ SBtbcrftrebenbc 51t bänbigen, ja, auszurotten, bamit
baS 83erberben nicht weiter greife. £)iefe3 in Italien, in Spanien; jene§ in Deutfcblanb. SSon ticf=
greifenber SBirffamfeit mar babet oor 2UIem ber S5eiftanb ber ©efcllfchaft Scfu. 2)tcfc, gegrünbet bereite
oor bem ©cbluffe ber Äirchenücrfammlung, in £)ftreicb unb Skiern nicht lange nad)ber oerbreitet, fenbete
balb nach ber SDiitte beS 3ahrhunbert§ fchon ihre ©lieber au§ in ben öftltd)en unb roe|fticben Sbeit £>eutfcb=
lanbS. 2Bir finben fie um 15GG nid)t allein in ben fchon genannten 2dnbern, fonbern aud) in granfen
unb ©ebroaben, einem Shcil ber Sfheinlanbe, in ^Böhmen, SQZäbren, bi§ in Ungarn hinein. 3hrc
^Bemühungen ftnb babin gerid)tet, fatholifche 2el)ranftalten ju grünben, burch glänjenbe SSitbung bahin
^u locfen, burch feine Sitte, roürbigen 'tfnjranb ftch hn empfehlen, gegenüber ber roilben, berben 'M ber
üutberifeben. Unb roaS tonnte geeigneter fepn als biefeS,- um fdmxmf'enbe, ttid)t wollig überzeugte
©emüther ine $u machen, unb fte jur Umfebr ju beroegen? 9Kan bot ihnen Sicherheit unb golgercd)tigfat
ber Sebre , ein fejl unb neu in ftch gegrünbeteS Äirchenthum , einen feierlich prachtigen ©ofteSbicnjl 5 man
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ftetlte bie 3erfpaltung Per Remlingen in Der ©otteSgclahrtbcit, welche bie Äircbenoerbefferung hervorgerufen
hatte , ihnen bar alö bie uerberbltcbc golge ber Abwctd)ung vom rechten SBege. So ift in Äurjem bie
Mehrheit in Samern ber alten Äircbe roieberum jugefallen burch eifrige 9ftttwirfung feiner ^erjoge;
anberc fatholifche, jumabl gctftlid)e Surften, machen von ihrem SJefonnationsrecbte ©ebraucb. SErier
febrt ntd)t ohne ©ewalttbat, auf milbercm 2Bcge 9)iainj, jurücf in ben Scboof? ber .Kirche; (5bln
bleibt einftweilcn bei ber eoangclifd)cn 2ebre burd) ben fübnen Untcmebmungsgeift feines ßburfürften,
©ebbarb £rud)fefj, ber e§ als weltliches gürftentbum gewinnen »iß. 2Cucb in £>ftreich unb Steper=
marf gewinnt tiefe ßebre Siaum bei ber miiben ©cft'nnung Äaifetö SOtarimiltan beS 3roeiten, ber ftd)
ihr fclber hinzuneigen febeint. Allein nun trennen ftd) bie nbrblicben unb füblicben ^roüinjen ber 9(ieber=
lanbe pon einanber, unb bie alte £ircbe begrünbet ftd) aufS 9ceue in tiefen legten. 9ttcbt etwa burd)
bie graufamen 9J2aafn-egeln Philipp» beS 3meiten unb feines 2£lba gewinnt hier ber römifebe Stuhl baS
Verlorne wieber; ber fatboltfcbe Abel bafclbft, bei ben ©ewalttbdtigfeiten ber ^Protefianten gefährdet,
oerbünbet fid) bem gürften gegen Std)crung feiner 33orred)te, biefer gewinnt bie unterworfenen Stdbte
burd) gleiche Sid)erung, gegen bie SSebingung wolligen AuSrottenS ber neuen Sebre unb Entfernung
ihrer Anhänger, ßreigniffe fo entfeheibenber Art burebfreujen bie spiane beS Solner G^bifcfyofS unb
ßburfürften, baS wichtige ©rjjlift wirb für bic fatholifche Sache gerettet, bie ßurüdbringung ber frdn=
frfchen Stifter jum alten ©lauben gefiebert. SKartmitianS 9cad)folger, ber ftreng fatbolifcb, erjogenc
9htbolf berSvoeite, nimmt pon Störung eines gronteid)namSumgangeS ju SBien, um 1578, ©elegem
heit, von bloßem SSibcrftanbe gegen baS Ausbreiten ber neuen ßebre überjugehen ju ben entfcbetbenb=
ften Schritten, bie ihre gdnjlicbe Ausrottung herbeiführen foücn. Ratten in ben fübltcben 9cicbcrlanben
Abel unb Stdbte bei ber SJüdfebr ju ber alten Äircbe ihre SSorrecbte gegen ben gürften flüglich 5"
wahren gewußt, fo ftnben wir bagegen bie fird)licb reformirenben ©dritte beutfeber, fatholifcber gürften
mit gewaltfamen Eingriffen in bie 9?ed)te ihrer bis Dahin epangelifeben Stdnbe unb Unterthanen »er*
fnüpft. Sticht anberS freilich greifen auch bie Stdnbe, wo fte bie Stdrferen ftch fühlen, mit feder 4j)anb
hinüber in bie gürftenred)te.
Unb alle biefe Angriffe, heimliche unb öffentliche, burch .Klugheit unb ©ewalt oorfebreitenbe,
trafen fte ein gegen Aufjen gleich, geftcberteS, in ftch feffgegrünbeteS iiirchenthum als baS angreifenbe
war? Sie richteten ftch gegen eines, baS in feiner S5tlbung unb SSegrünbung erft begriffen, fogar febon
in ftch ^mittet erfcheinen fonnte. SBtr gebenfen hier nicht jener örtlichen Secten, bte, wenn auch auS
feinem Sd)oof?e hervorgegangen, t»on ihm boch unbebingt oerleugnet würben. Aber burch ben @alm=
niSmuS hatte ftch bie bebenfliebfie Spaltung bervorgetban in ber neuen Äircbe, bebenflid)er, feit einfluf?;
reiche, lutherifche gürfien , jener anberen Sebre geneigt, jule^t unbebingt ftch für fie erfldrten. So würben
bie (Spangelifeben nicht won dufscren geinben nur bebrdngt, wenn auch biefe, bei bem SJüdtritte ein*
jetner dürften jur fatbolifd)en £trd)e, ftd) mehrten ; nicht burd) fte allein würbe baS ©ebtet beS bis bahin
auSfcbtiefjenb als gefe^ltd) anerfannten AugSburgifcben 33efenntniffeS in immer engere ©renjen jurüd^
gebrdngt. Aud) innere SBtberfacber febtenen ben Untergang ju brohen; SBiberfadjer, bie, wie jene an*
beren, nicht nur bie reine 2 ehre ju gefdhrben fd)tenen, fonbern auch ben mühjam errungenen 3f eebtä-
juftanb, ber ftd) an geftbaltung jenes ffiefenntniffeS fnüpfte.
So brad) nun wieberum, bes> griebenS ungeachtet, eine 3eit beg ÄampfeS an, wie in ber
erften ^dlfte bes Sa^hunbertS. Aber um wie Ptel anberä nicht geftaltete ftd) biefer Äampf! 3w>or
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fampfte man für ba3, nad) langer 33erbunfelung mieber flar f)erPorftral)lenbe, göttliche 2Bort, unb für
Ctcfeö allein ; mit aller jugenblicfyen SScgetfietung einer neuen (Srfenntniß ging man in ben (Streit; bie
©üter ber SBelt lagen babei fernab, nur Ümt, bem SBorte be§ Sebent, follte SSafm gemacht werben,
Damit eine neue, fecgen§reid)e Sufunft f)er»orget)en fbnne für baS gemeinfame Skterlanb. SBie lebenbig
fpriebt ber £on biefer SSegeifterung ftd) au3 in jenen fyerrlid) en SBorten ßutfyerS :
£)a$ SB ort fte f ollen laffen fiabn,
unb feinen £)anf ju f)aben,
@r iji bei un£ wof)l auf bem $>tan
mit feinem ©eift unb ©aben;
iftefymen fte unS ben ßeib,
©ut, &)f, Äinb unb SBeib,
Saß fahren baf)in !
Sie fyabenS fein' ©ewinn,
Das» 9?eid) muß uns> bod) bleiben !
(Sine fold)e ©laubenSfreubigfcit, .SampfeSrüftigfeit, perfcfywinbet immer mebr, wenn nid)t in
Den ©emütf)em ber Groangelifctjen, bod) in tl)ren ßiebern im Fortgänge biefer fpäteren £älftc be3 3af)r*
bunDertö. 9Kan l)at nun nid)t mel)r mit einem einigen, gemeinfamen geinbe ju tf)un, fonbern mit vielen,
äußeren unb inneren jugleid). 9?id)t ein fleineS, aber glaubenSfiarfee», in ftd) einiges? Häuflein tr'tt 9c9en D'e
ganje weltliche SKadjt be§ 9?eid)e3, bie geiftlid)e be§ Stul)le§ ju 9fom mutl)ig in bie (Sd)ranfen, fonbern Per=
einleiten .EircfyleinfteUt ftd) lanbeöl)errlid)e9Kad)toollfommenl)eit entgegen ; liftig bercd)nenbe.KlugI)eit wie offen=
funbige ©eroalt Drosen ben Untergang, innere Serwürfntffe jerftoren bie ßtnigfeit im ©eifte. 9Kan fühlt
fid) bebrängt, gereijt, perwirrt, geftbrt jugleid); S5itterfeit, Strgwofyn, SDZißhauen, perfd)eud)en
Die SSegeifterung. £)er Äampf tft nid)t mel)v bie eigenjte 'Äußerung be§ Sebcnö, man ftebt fetner fein gtel
nod) @nbe, man tft nid)t mel)r f ampfeSfreubig , fonbern Pon ^»erjen ftreiteSmübe , fd)on beginnt bie Sebn=
fud)t nad) ber 3ftif)c beS ^enfettö , man preift mit (Sntjücfen feine gesoffen greuben. 8utl)er battc Der
Deutfd)en 3unge eine neue jlraft, einen frifd)en Sd)wung gegeben, ber in bem Äird)enlicbe, aud)
bei S3emad)läffigung Der äußeren gorm, belebenb wieberflang. Qx batte ba§ l)eilige SBort in bie
Spradje bei? S3olfe3 übertragen, e§ eifrig perfünbet, finnig aufgelegt. (Sin jeber Sott ftanb if)m ju
©ebote, bie fül)ne, begeifterte Siebe jum Sd)u£e feiner 2el)re, ba§ berbe Sßort Poll treffenben SBif^eö unb
beißenben SpotteS roiber feine ©egner. liüe biefc Sbne fd)ienen jeljt uerflungen im Jpaber Der Sd)ttle,
Der nun, nad) 2Iußen roie nad) 3nnen, bie Sßaffen ber ©elafyrtbeit in ^Bewegung brad)te. Über ihrem
©ebraud)e rourbe bie Sprache nur fd)werfälliger, unbebülflicfyer, bem £>td)ter immer ungünftiger.
'tfud) unter ben ©enoffen beffelben ©laubenS mar bie alte 3uperftd)t, baS fefte SBerlaffen auf
cinanber geroid)en; alle get)äffigen Sfegungen ber 2eibenfd)aft, bie über bem ersten Streite allejeit er-«
road)en , unb il)n argliftig ju benufjen trad)ten, Ratten ben ©egenftanb beö jtampfeS, baS heilige Söort be§
tlebens>, ben Streitenben immer met)r in bie gerne gerüdt. gn ber Verwirrung ber ©emittier mußte ber
Starrftnn für ©laubcnSfraft gelten, ber geiftlid)c ^)od)mutl) für prteftcrlid)e SBürDe ; balD mar .Seiner fo
bod)fiel)enb mcl)r, ben nid)t bie Verfolgung crreid)te, Äciner fo lauteren frommen SinncS, Den nid)t bie 3$er=
bäd)tigung traf, ber gegenüberfiebenben, «erfaßten Seite beimlid) anjttgebörcn. SSerbannung, 93cfdiimpfttng,
felbft ein blutiges Gnbe waren bie legten golgen fold)er 3erwürfniffe. 3ßaS in fo frifd)er Äraft begonnen,
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fonnte es in folgern SSoben, unter folgen ©türmen, gebeizter; fortroaebfen? 2Bie fühlt man bie 6rftor=
rung, roenn, Sutberö begeifterten SBorten gegenüber, man ßubmig #elmbolb gegen ba§ (Snbe bes %abT*
bunbertS ben Deutfcben an baS J£>erj legen bort, ben £errn ju bitten, er möge fie nimmermehr verlieren
la(Ten
bas tfugspurgtfcb SSefenntnifj flar,
fie erhalten
oon 3abr ju 3abr,
miber ben ttnticbrift ju 9?om,
mibefS unruhig 3roingeltbumb,
ohne Erhebung ber ©eele, in ben troefenften SSorten gemobnlidjer Stebe !
Uber nicht efma ber Aampf felbft hemmte bie gortbilbung bes geiftlicben Siebes, nur bie 'llxt
beffelben jrbrte fie, nur bie Sebingungen maren ihr binberlicb, unter benen er hervortrat. Daf? ber Äampf
an ftcb ju freier ßnfmicflung ber ebelften .Kräfte führe, hatte bie frühere £älfte bes> 3abrbunberts anfcbaulid)
gejeigt. Der griebe ©ottes ift höh« benn alle menfcblicbe Vernunft; ber griebe, ber nur be3 notb*
menbigen ©treites' ftcb enthält, ijt SSerberben. 2Bobl fühlte man auch biefes; berfelbe geifftiche Dichter,
beffen mir nur fo eben gebaebt , f»ricbt es in männlich kräftigen SBorten auS :
Der grieb' ift gut nach ©ottes Söort,
©onft ift er ärger benn ein ?D2orb,
Denn, mo man grieb' obn' SBarbeit hat
Sa mirb verloren ©ottes ©nab,
Die ©eef gebracht in töblicb 2eib,
Da fei ©Ott t>or in Crmigfeit!
S5ci einer foleben Überzeugung fonnte jener roabre, f>eittge griebe auch ben ©emütbem nicht
gänjlicb verloren gehen , unb mo er tiefere SBurjel ju faffen »ermochte, bat er auch in biefer Seit noch im
Jtircbenüebe ächte S5lüthen entfaltet. 9cur finb fie feltener, nur nimmt über bem ßebrftreit auch ba$
troefene, lehrhafte ©epräge überbanb, unb bie in jenen SBirren oermehrte Unfügfamfeit ber Sprache,
geweigert nod) bureb fpätere SSerührung mit gremblänbifebem, legt bem Dichter bemmenbc geffeln an.
836Uig oerflungen ftnb bie £bnc ber alten 95cgeifterung nicht, aber nur in ber geiftlicben Di cht fünft eben
febroingen fie nicht fort. 3n bem Äircbenliebe maltet wohl noch ber urf»rünglid?e, eoangelifche ©eift, aber
feine volle Offenbarung mebt nicht mehr in ihm, fie ift übergegangen auf eine anbere, vermanbte Äunfr.
(5s ift bie SSonfunft; fie mar ben bemmenben Ginflüffen ber 3eit entrüeft, ber ©toff, in melcbem, burd)
ben fie bilbete, mar bavon unberührt geblieben, in ihr ftrablte jener ©eift ju Grnbe beg ^abrbunberts am
lebenbigften aus. SEBas bie Aircbcnverbefferung an grüchten bes Sebent in biefer 3ett getragen, in mabr=
hafter Crrneuung bes frommen ©innes, rücfmirfenb felbft auf bie alte Äircbe, — mir erfennen es in ihr
am fteberfren. Saffen mir uns nid)t irren burch bie ©äbrung ber 3eit, bie fo viel verborgene Schüben an
bas Sicht trieb, mie biejenigen bavon berüeft mürben, bie in ber Umfebr ju bem 2Ctten bamals ihr $eil
fuchten. Das Äranfen, bas Sßelfen einer einzelnen fiebensblütbe ift noch fein 3fnjeicben bes geiftigen
Sobes, bas fcheinbar venvorrene, milbe ©egeneinanberarbeiten ber Gräfte barf nod) nicht als 2tuflöfung
gebeutet merben. 2öir haben ben inneren 2Bertf) einer befiimmten3eit nicht nach bem©ebeiben einer einzelnen
v. SBtntttfetb, »tr ciangcl. ß^oralgefang. 29
226
fleißigen 9ficbtung ju meffen, fonbern bem SBalten be§ ©eijies* überall nacbjuforfcben, melgejtaltet unb
ivanbelbar wie e3 ijt, unb mannigfaltig in feinen gutd)tcn. Sie SSonfunft tft bie Äunft eben jener
Seit; aud) bie getrennten ©ei(ler ftnben in tyr ein 33anb, ba§ fte verknüpft; fte ift bie frifd)efre 25lütbe
jener Sage.
2Bie wir unterfd)ieben fyaben jut>or jwifeben bem ©änger unb bem ©efeer Fird)lid)er SEBeifen,
fo fbnnen ruir e§ aud) in bem 3eitraume, ben wir gegenwärtig betrad)ten, jumabl in beffen früherer
$älfte. 2tud) jc£t nod) ftnben wir treflid)e jtircfyenweifen, beren Urbeber wir nid)t Fennen, bie wir auf
äbnlicbe %xt enfjianben un§ benfen muffen, al§ jene älteren. Senn wir b<*ben gleid) wenig 33eran=
laffttng al§ bei btefen, ft'e ben Siebtem ifyrer Sieber betjumeffen; nur mögen fte in beren 9cäl)e ge=
febaffen fei)ii, uiellcicbt uon fangeSfttnbigcn greunben berfelben, wenn aud) nid)t Sonfcfeern, f)errüf)ren,
babttrd) aber allgemeine, bleibenbe ©eltung gefunben fyaben, baß fte ben £on il)rcr in ben ©emütbern
überall anflingenben Sieber fräftig anfd)lugen. Senn ein äd)ter £on be3 ©efangeS fd)lummerte in
btefen, aud) wo bie unbebolfene 3unge nur jtammelte. 355er l)ätte ben Son be3 ©laubenS nid)t oer=
nommen, wenn er borte:
Su griebefürjt Jg>err Sefu @bvijr
3Bal)r' SKenfd) unb wabrer ©ort,
ein jlarfer 9lotr)l)elfer bu bijl
3m Seben unb im £ob!
jenen ber #ofnung unb 3iwerftd)t in ben SBorten be3 SiebeS :
33on ©ort will id) nid)t taffen,
^umabl reo e$ jum Sobe ftd) erbebt :
Sobt it)n mit ^erj unb SJhtnbe
weld)§ beibeS er un§ fd)enft;
baö ift ein feel'ge ©tunbe,
in ber man fein gebenft, —
roen bätte in bem Siebe: „^erjlid) lieb Ijab' id) bid) o $m" nid)t bie Snnigfeit ber Siebe ntäd)tig ergriffen,
wo ber Siebter aufruft :
unb wenn mir aud) mein Jperj jcrbrid)t,
fo bijl bod) bu mein' 3ut>erftd)t
mein £eit unb meines £erjen3 SSroji
ber burd) fein Blut mid) bat erlöft/ —
wie flingt nid)t enblid) ber £on ber Offenbarung an in jenem Siebe r»on ber neuen ©tabt ©otteö:
2Bad)et auf, ruft unö bie ©timme
ber 2Bäd)ter fel)r l)od) auf ber 3inne
2Bad)' auf, bu ©tabt Scrufalem!
2Ber ftd) ben^nbalt biefer allbekannten Sieber jurüdruft, wirb barin bie S3e(tättgung beffen ftnben,; waS über
oas> ©epräge be6&ird)cnlicbe5 biefer 3eit juoorgcfagt worben, er wirb aber aud) jugeben, ba|5 wir bei ibnen ju=
gleid) an SDMobiccn erinnert baben, bie ju ben fräftigften wie innigften geboren, weld)e bie eoangelifd)eÄird)e
beftfct. flnbere Sßeifen, ebenfalls in ber legten £älfte beö SabrbunbcrtS, ober bod) um nur SBenigeS naebber
227
cnrjtanben, flammten j»ar au$ t>em SSolfögefange, ober »on Sonfäfjen weltlicher Sieber, wie bie
Mannten SJZelobieen : 2Bie fd)ön leuchtet ber SJiorgenftern tu ; £erjlich tf>ut mich »erlangen ic. Allein
bie ©puren ihreS UrfprungS oermifchten fid) bei Urnen balb gänjlid), fie fd)ienen ihre »al)rc £cimatb
erft in jenen geiftlichen Siebern gefunben ju haben. 3a, mir nennen bie leljre biefer SRelobiccn lieber
fafi nach, einem »iel fpdterett 9)affion3liebe ^3aul ©erharbS — £) Spaupt üoll S5lut unb SBunben — »eil
»ir erfl in biefem ifjren ©inn »bllig gebeutet ju ftnben glauben. Sag nun ijl t&, »a£ unfere 2Cuf=
merffamfeit oerbient, »a» für eben biefe Seit bejeidmenb ijl. Sie beften jener urfprünglid) gciftlid)en
©ing»cifcn fpredben baöjcnige mit größerer Äraft unb 3nnigfeit au§, »a3 in bem Siebe lebte, allein
im .Kampfe mit einer ungefügen ©prad)c nur unbeholfen auSgebrüdt »ar; fie hoben baS Sieb ju fid)
empor, ja, fie überflügelten es. Sod) nid)t genug; felbjl »eltlidje, ihren Siebern jufotge urfprünglid)
bem ©efül)le trbifcr)er Neigung bienenbe SBetfen fchlugen biefen Son an mit fo großer Sautcrfcit unb
Feinheit, baß fie für ben 2lu5brucf himmlifcher, göttlicher Siebe geeigneter fd)ienen. 93ian gefeilte fic
je§t geiftlicben ©efängen biefer Ztt, nicht, »ie juöor, um ihre früheren Sieber oergeffen ju machen, fon=
bem, »eil fie urfprünglid) »eit über biefen ftanben, »eil man in jenen ihren »ahren ©inn erft ju
ftnben meinte. Sie Sonfunft »ar im Saufe beö 3ahrh"nbert3 eine freiere, felbftänbigcre Äunft ge»or=
ben; ja, am ©d)luffe beffelben »erben »ir fie felbjl als bie l)errfd)enbe ftnben über bie Sichtung. @3 »ar
bei bem g eftliebe im engeren ©inne, einer ©attung, bie »ir nicht übergehen bürfen, »eil fie aus? bem
geiftlicben Siebergefange ber ©emeine heroorblühte, unb mit ihm innig jufammenhangt. £ier vetftaxtt bie
Sonfunft bie bürftigeren, fdntumgloferen 2Bortebe3Sid)tcr§erfi ju»al)rhafter^)oefie; ee> gefebabeaberburd) bie
nunmehr ju vollem S5e»uf3tfc«n gereifte ©abebeö ©cfjerS, mit ber allgemad) bie bc§ ©an gerö oerfchmoljen
»ar. 3emef)r jenem bie tiefere S5ebeutung ber Harmonie offenbar »urbc, jemebr feinem ©eifte in ihr ber ©inn,
bas innerjle Seben ber9Jiclobie fid) erfd)loß, um fo mehr mußte bie fd)bpferifd)e .Kraft fid) in ihm entjünben,
bie nicht allein eine ©ingmeife hervorrief, fonbern fie mit ber ihr Seben fünbenben Harmonie jugleid) badete,
beibe fo innig mit einanber verfdnnoljen hinftellte, baß »ir bcibeS nid)t ju trennen vermögen, ein fo felb=
fidnbigcö Seben »ir aud) ber ÜOielobie für ft'cf) jugeftehen müffen. ©o gebt nun auch bte ©abe beS
©ängerö hinüber ju ben Sonfünftlern von SBeruf, ben funftgemäßen ©eßern. Senn ba§ im ©anjen
mebr fd)ull)afte, »eniger ootfSmäßtg begeifterte ©eprage ber gciftlid)en Sichtung verl)inbert, baß fie, »ie
juvor, bei ben ©angern im Siolfe rafd) anflingenb, bie erftnbenbe .Kraft »edt in ben ^Begabteren unter
biefen; jene bagegen haben au3 bem lauteren £lueU ihrer Äunft nunmehr auch biefe ©abe gefd)öpft,
bie fie über bie mitlebenben Sichter jtellt. beginnen bie Reiten, »o um einzelne Sid)ter befreunbetc
3)onr"ünftler fid) reihen, unb ihnen bie £anb bieten ju gemeinfehaftlichem SBirfen; ja, in nicht mehr
feltencn gälten ftnben »ir ber ©abe bc$ ©ängerö unb be§ ©efcerS auch bie be§ Sid)terS gefeilt.
9cod)maß fei e§ »ieberholt: bie heilige Sonfunft »ar, in Seutfd)lanb jumaf)l, bie herrfchenbe
.ftunfl jener Sage. 3n Stalien fam fie empor burch (Singeborne, mit ber fid) erneuenben fatholifchen
Äirchc; in einem Steile beö l'üblichen Seutfcblanbö burd) 9ciebertdnber; in ben beutfeh = evangelifchen
Sanben mit ber Äirchenberbefferung, unb meift burd) ©inheimifche. Spiex »uch§ fie heran ju »oller S5e=
beutung an bem geiftlich^oolfsmäßigen Siebe unb feiner ©ingmeife. Überall blühte fie auf in gleich achtem,
lauterem, frommem ©inne; ©efühl, ©emüth, ©eift, im SSerhältniffe ju bem ^)öd)ften, fprad) in ihr am
reinften fid) au3. 3n ihr lebte jener höhere griebe, in »eld)em für bie begabteften, ebelften ©eifter jeber
©treit gefchliditet »ar, in »elchem aUe be§ ©eegenö tbeilhaft »urben, ben neben oerheerenben ©türmen
29*
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bie gewaltigen Bewegungen ju Anfange be3 SahrhunbertS mit ftd? gebracht Ratten. Sene 3ugenbfrifd)e unb
3fnmut^/ jene ©rofje unb SKajeftdt/ jene jtlarbett unb 2Bärme neben großartigem S£iefftnn, wie fte ben
©erfen ber bilbenben jlünftc im Beginn biefeä 3eitraume§ eigneten, ftraf)len nunmehr heroor au$ ben S£on=
werfen feiner legten Sabre.
2Bir haben bie Aufgabe ju Ibfen unternommen, biefe S5Iütt)e ber Sonfunft in ihrem ÜZBerben bar=
jufteUcn, ju jeigen, wie fte in bem eoangelifd)cn Seurfd)lanb an ber üolfamäfjigcn SBeife beS gciftlicb,en
fttebeS/ unb burd) biefelbe, ftd) entfaltet l)abe. 3hr ©ebetyen in anberen Sanben gehört nid}t weiter in ben
•ÄreiS unferer SarjMlung, als e§ benfelben unmittelbar berührt. Sie nähere Betrachtung be§ 3etrab=
fd)nitte§, bem wir jefct unfere 3(ufmerffamfeit wibmen, wirb un§ ernennen laffen, wie in Seutfd)lanb, wo
in bem £ird)enliebe bie uon 8utl;er gerührten ©aiten eben nur aue-tönten, wo bie Sichtung unter ben
(!n>angelifd)en faft nur bie SBaffe be§ @potte§ unb berben SBiljeS noch kannte gegen bie SBirren be3 2eben§
unb ber jtird)e, im ©efange bae> üoUeßeben ber Äunft ftd) offenbart, unb ba§jenige ftd) erfüllt habe, wa§
üutber in feinen Sagen t>on ber SKuftca wetffagcnb gepriefen hatte.
2Ba3 wir fo eben in allgemeinen Sügcn ju befferer Überfielt angebeutet, haben wir nun im din=
jelnen nad)juweifen. Sie £l)attgfeit be§©d)affen§ überwiegt jefct bei weitem bie bee> 'tfneignenS;
bennod) haben wir bt'cfer junäd)ft nachjugehn, ba wir burd) fte ju üerwanbten ©ebieten fird)lid)en ©efangeS
bingeleitet werben, bie wir eben fjier, wenn aud) nur flüchtiger, bod) in ihrem ganjen Umfange ju burd)=
wanbeln baben.
©rftet 2H>f<*mttt.
Sie ^ßfalmlteber ber Gatoiniften unb ifyre «Singtoeifen.
@in oerwanbteä ©ebict fird)lid)en ©efangeS, auf bem bie ©enoffen bcS 2fugSburgifd)en Befennt=
niffeä für ben irrigen fammelten, waren bie ^»falmlteber ber (Eawinijten, unb ihre ©ingweifen. 2Bie bie
&utberifd}en »on bem alten rbmifd)en £ird)engefange, üon bem SSolBgefange, entlehnt Ratten, alfo aud)
hier; nur bafj biefeS Aneignen um fo üiel fpäter gefd)af)e, weil bie frül)eften jener ßieber gegen bie SOiitre be£
3ahrl)unbert$ entftanben, ein üollftänbigeS ^falmbud) aber au3 benfelben erft um S>iele§ nachher ftd) bilbete.
Wlan fammelte hier auf einem »erwanbten ©ebiete, aber aud) einem fremben. Senn al§ e»ange=
lifd)er iiirchengefang gcl)6rt ber calr>intfd)c jwar unflrettig ju ben grüd)ten ber Äirdjenüerbcfferung, unb e£
gebührt ihm eine ©teile in bem itreife unferer Sarflellung, eben wie bem ber m&i)rifd)en Brüber, ben
wir nad) i()m ju betrachten gebenfen. Allein um bie Seit feine§ @nt(lel)enö ftanben ßabiniSmuS unb £utb,er=
tbum als jwei in ftd) gefd)loffene, ja, feinblid)e ©ebiete auf ba§ (§ntfd)icbenjte einanber entgegen. 2Bo
biefe§ feinblid)e 58erl)dltniß allgemad) ftd) milberte, »erfd)mäb,ten aud) bie Sutf)erifd)en nid)t, @in$elne§ anju=
nehmen aue> bem heiligen ©efange ber gegcnüberftel)enben g>artl?et ; war in bemfelben bod) '2lllee> biblifcb
ohne Ausnahme, war bod) bei ben (Singweifen, wenn man ihrer allein begehrte, nid)t ihre frühere Beftinv
mung ju prüfen, fonbern nur ihre gegenwärtige tfngemeffenheit ! Sie ßaloinifchen aber eigneten üor Wlem
Seftlieber ftd) an, unb ^)fa(mengefdnge auö bem Schate lutl)erifd)er Äird)enlieber unb SBeifen, wo fte, mhv
ber ftrenge gefinnt, bie anfänglich gezogenen ©renjen herber Befd)ränfung im Äird)engefangc burd)bred)en
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ju fönnen meinten. 2Bo bie entgegengefefcte Überzeugung oorwaltete, blieb man, wie namentlich bei ben
fdjmeijerifchcn Sfcformirten, gänjlich abgefd)loffen gegen baS ßutherthum, wie in ßefyre unb ©otteäbtenfi,
fo jumabl auch im jttrchengefange. Saher fonnen mir bei einer fold)en ©onberung eine gefcfjichtliche @nt=
micflung in eigentlichem ©tnne nur bem lutherifchen Äirchengefange betmeffert, ein Anmachfen, ein 9DZel;ren
im «Sinne oerfchiebener Letten, nach wechfelnben 33ebürfniffen; nur if)n fonnen mir einen lebenbigen ©mV
gel fortgefienber Entfaltung frommen, eoangeltfcfyen ©tnneS nennen. ©o eignet benn aud) if)m nur ein
lebenbiger (Sinfluß auf bie f>etttge Sonfunft in Seutfd)lanb; in feinen mannigfaltigen ©tngweifcn ift er
fortgehenb beren würbigfte Aufgabe gemefen, unb hat bie von bem ©ebietc beS ßalüinifcfyen entlehnten ^fte--
lobteen eben burcb, btefeS Aneignen erft in ben ÄretS jeneS regen JtunftlebettS mit bjnübergejogen. Ser
cawinifche, etnmaf)l fejtgejMlt, mar nicht fowohl eine 23lüthe beS inneren, frommen ScbenS feiner .Ktrch?,
als ein ju beren Drbnung ein für allemahl 33orgefchriebeneS, ber Jtünft, metche bort feine ©teile fanb,
fortan Unzugängliches. (5r bilbet alfo, menn auch euangelifch, bennoch im ©egenfa^e %u ber frifchen Ghtt=
widlungSfähigfeit beS lutherifchen, ein getrenntes, etnfrembeS, höchftenS ein benachbartes ©ebtet.
©eine SBurjel fanb er in ber, allen ©eftaltungen chrifttichen itirchenthumS gemeinfamen, bei ihm
nur auslief! liehen, Vorliebe für ben ^Pfalter. ©chon juüor haben mir gefehen, baß neben bem geftltebe,
©efänge, über 9)fatmcn gebichtet, in bem beutfd)en Äirchengefange ber 2uthertfd)en bei meitem überwogen;
ba£ man btefe fbjtlid)en Senfmahle uralter Sichtung, eine fchöne Sterbe in bem Äranje unferer heiligen
93ücher, übertragenb, umbichtenb, annähernb, für bie ©egenwart neu ju beleben trachtete, ©chon in ber
erjien $älfte beS 16ten Saf)vt)unbert§ erfd)ien felbft ber ganje ^Pfalter für ©efang eingerichtet. 3" ©trafh
bürg (1538) burcb, 3<*cob Sachfer, „in ©efangweif, fampt ben genotirten fülelobepen gemacht;"
in Antwerpen (1540) jene t»on unS bereits näher betrachteten flamlänbifchen Umbid)tungen aller $)falmen
unb einiger heiligen ©efänge beS alten unb neuen SejiamentS, SSolfSmeifen angepaßt, bis auf wenige; in
Dürnberg (1542) burch ^anfen ©amerSfelber „ber ganfc ^)falter SambS, in ©efangweiS gejiellt ic.
alfo, bafj ftd) bie ^falmen alle burchauS in mannigfaltiger SBetfe ;c. fein unb lieblich fingen taffen."
SSon biefen Übertragungen ift hier nicht näher ju hanbeln, ba fte auf ben Äirchengefang weber unmittelbar,
noch mittelbar, auf erhebliche SBeife einwirften. 9Kerfwürbtger als fte alle ijl in biefer 95ejtehung ber ^Pfalter
„in neue ©efangSweife unb fünftlicb,e Sfeime gebracht" burd) SSurcarb SBatbtS (granffurth am 9Kami
bei ©genolf, 1553). Der Sichter, ber biefeS fein SBerf feinen beiben SSrübern, £anS unb S5ernl)arb
SBalbiS ju Allenborf an ber SBerra zugeeignet hat, fang ftd) feine ^)falmlieber, mte er felber fagt „in fd)me=
rer ©efängntfs unb Stachen beS SobeS, mortn er faji brtttehalb %al)x mit großer S5efchwerung üerhaftet, baju
mit fcharfer Sortur unb S3ebreuung peinlich erfucht unb angegriffen war." @r fang fte nad) feiner SSer=
ftd)erung, um „in obgemelter ©efängnifj bie langweilige unb befchwerliche ©ebanfen, unb teuffelifd)e An-
fechtung bamit ju »ertreiben, ober je jum Sheil zu öermtnbern." @r bot fte feinen S5 rübern, bie ihn mit
grofjer Aufopferung, eigener ®efat)v unb Sttühfal erloft hatten, auS brüberlichem, banfbarem ^)erjen, bamit
fte unb bie Sfmgen neben ihm bejio mehr Urfach fyattm, ,,©ott bem ^errn mit gebacken ^»falmen unb
geiftlichen Siebern für folche, unb anbere 2öol)lt^at ju loben unb ju banfen, auch meiter barauS p erlernen,
wie fein (beS SichterS) ^)erj oftmals in fotehen Anfechtungen gegen ©Ott gejianben, unb gefchidt gemefen
fei. Senn (fährt er fort) bie $)falmen gemetnlid} ber Art unb iJcatur ft'nb, bap fte ben 9Jienfd)en in ©lücf
unb Unglüd baS ^>er§ unb bie Affeften rühren, unb wie btefelbigen gefteUt unb gethan fepn, wie in einem
©pieget anjeigen unb bargeben, wie folcheS alles wohl wiffen alle, bie in gährlid)feit gejtedt, unb bie
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yfatmen in Döthen unb 2tnfecbtungen gebraust haben." @3 ftnb ober biefe Sichtungen feineöwegS blo&
funftlofe (Ergiefjungen beS £erjen3 in Erinnerung an bie einzelnen heiligen Sieber beö 9)falmbucb,e3. Stefe
auch „in neue ©efangweife unb fünffltche Sfeime" ju bringen, gehörte nidjt minber ju ben Erholungen
unfereS Sichrere, wäbrenb feines» jlerferS. ©einer *Pfalmlieber ftnb 156, bcnn einige ^Pfalmen ftnben fich
in Doppelter Übertragung, unb ber l!8te 9)falm (nach ber S3ulgata) in jwei Jpälften geseilt, gür fte fom=
men inbe§ nur 153 9E)iclobieen t>or, benn ber 2te unb 75fte, ber 25fte unb 131fte, ber 14te unb 53jte
haben einerlei ©efangroeife ; mehre ober minbere 2£t)rtltd?Peit ber Anfange unb ©d)lüffe ftnbet ftd> häufiger,
jutmabl bei einiger 'tflmlidbfeit be£ ©trophenbaueS. Siefer jeigt unS 81 formen, bie unter elferlei ©attum
gen $u befaffen finb, won ber r>ier= bis jur üierjefmjeiligen ©trophe, biefe le^te mit eingefd)loffen. Sod)
finb nicht alle biefe gormen burd)Voeg neue; faft ein Srtttheil ber ©trophen unb SJielobieen bewegt ficb, in
Damals bekannten gormen. Senn fteben unter jenen elf ©trophengattungen, beren eine in boppelter gorm
oorfommt, acht alfo im ©anjen, gehören bem weltlichen roie geiftlichen Siebe feiner Seit, unb fte jeigen
ficb in 48 gälten. %m häuftgften ftnben roir bie bamalS fo beliebte ftebenjetlige ©trophe beS ßiebeS: ,,@e>
ift ba3 ^eil unS fommen her," nämlich merjchnmahl ; nädjfi ityc bie achtteilige beS Siebet „Sur* 2tbam§
gall ift ganj »erberbt," jebnmahl; breimahl bie fed)Sjeilige beS £ated)i3mu§gefangeS : SSater unfer im
Himmelreich; oiermahl bie neunjeilige be§ geiftlichen roie weltlichen SiebeS : „SJlag ich Ungtücf nicht
wieberftabn;" wie benn auch aüe biefe ©trophenarten, bie wir fchon bei ©elegenbett ber 9DZaa§e beS ISolfS-
gefangeS betrad)teten, auch weltlichen ©ingweifen eignen, ©trophen anberer weltlicher ©efdnge fommen
nicht minber häufig üor; breftermmahl bie neunjeilige beS SiebeS: SSergangcn ift mir ©lue! unb $eil;
tweimabl bie jebnjeilige be§ SiebeeUiebeS : 3art fchbne grau; je einmal)l bie üierjeilige: „Sä) flog' ben SEag
unb alle ©tunb;" unb bie fünfteilige won ©eorg grunbSbergS Sieb: ,/SDfletn gleifs unb SRüf) ich nit h<Jb'
gTpart. Sennod) bleiben unS immer 73 neue gormen übrig, mit benenS5urcarb SBalbiS in 108gällen auf=
tritt; boch wieberholt jebe einzelne berfelben fich weniger oft, als bie v>on bem Sichter entlehnten, fchon
oor ibm gebräud)lichen. 3lm häuftgften noch gefchiebt bie§ mit fold)en, bie ihnen nahe ftetjen, unb nur
etwa burd) anberS georbnete Seilenfietlung oon ihnen abweichen, ©o unterfebetbet fich eine jweite gorm
ber fiebenjeiligen ©trophe, bie wir fechSmabl antreffen, uon ber beS SiebcS „(ES ift baS Speil unS fommen
ber" nur baburd), bafj ihre legten beiben Seiten ftebcnfylbige finb, währenb bort jwei adjtfylbige einer oon
fteben ©plben oorangehen ; fo weicht eine jweite, achtmal)! »orfommcnbe gorm ber jel)ttjeiligen ©trophe,
oon ber bes> weltlichen ©efangeS „3arf fd)bne grau" nur baburd) ab, baf? bei biefer im jweiten 2Cbfa%e je
&wxi ad>t= unb fiebenfplbige Seiten t»erfchränft ftnb, wogegen fte in jener nebeneinanber ftehen. SBeniger
gewöhnliche gormen fommen jumeift nur einmahl oor, — fo jwei *#rten ber fed)äjeiligen, brei ber fteben--
^eiligen, neun ber achtteiligen, eben fo ttiele ber neun=, jehn= unb elfjciligen, funfjel)n ber jwblfjeiligen,
fünf ber breijef>n= unb jwei ber »icrjehnjeiligen ©trophe, — unb e§ finb in ber &hat nur Ausnahmen,
wenn oon biefen feltneren Urten beä ©tropl)enbaue§ eine achtteilige fünfmahl erfcheint, eine neunjeilige
bxti-, eine anbere jweimahl, eine jebnjeiltge fed}6= unb eine anbere fünfmal)l, eine jwblfjeilige fünf--, eine
zweite brei=, eine britte jweimabl; immer jebod) t>erhältni^mäpig »iet weniger oft, al§ bie bem ä>olföge=
fange angef)brenben, ober ihm unb bem geiftlichen gemeinfehaftlichen. @ö ift eine bemerfenSwertbe Qtxföeu
nung, baf, auch bei ber erflärten '2tbftcht, neue ©efangSformen ju fchaffen, ja, bei beren entfebjebenem
Übergewichte über bie nur entlehnten, berSichter bod) in feiner oon ihnen fo heimifd) ju werben oermochte,
als in jenen, bie ftd) bod) faum nur gewohnheit§gemä§ ihm aufbrangen, fonbern vermöge einer inneren
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ÄnjiebungSfraft, Die mir $u beuten außer ©tanbe finb. %m 58olf3gefange, bem Grrjeugniffe bes unbemuß^
ten ÄunfttriebeS, führte ein bunfler, aber fieberer 3ug, ju ber einen Sorm mebr bin olS ju ber anbern ;
»on einem ähnlichen 3uge ließ aud) ba3 geifttid)e Sieb jumeift ftch leiten. 3n biefem bat ber neue ©tro=
pbenbau nur buret) jeitgemäßen, bem allgemeinen SBcbürfniffe entgegenfommenben Inhalt ftdb geltenb
gemaebt, allein aud) bann mürbe er feiten für anbere neue Sieber angemenbet, menn ibm jener gebeimniß^
«olle 9feij ber gönn gebracb, ber Mc fofort für ftcb gewann, mo er fid) jeigte, beffen SSBcfcn mir jeboeb t)ter
nicht ndber nacbfßüren bürfen. SBir ft'nben bie§ namentlich an SSurcarb SBalbiS 9)falmliebern bemäbrt.
©d)on früf)e gemannen ft'e großen SSeifaH, unb nidjt lange nad) ihrem Grrfcbemcn aud) bereits tfufnabmc
in ben Äircbengefang. ©0 finb im Saufe beS löten SabrbunbertS, fo mel id) habe ft'nben fönnen, beren
37 in benfelben übergegangen, unter ilmen bie übermiegenbe Sttebrjabl, 30, aud) mit ibren ©ingmeifen ;
im Horben unb ©üben, im £>ften unb SBeften be§ eoangelifcben £)eutfcblanb3. £>ae> große ©traßburger
©efangbueb oon 1560 bat eineS biefer Sieber mit feiner 9Jielobte; baS ©efangbueb ber SSrüber von 1560
fd)on beren fünf mit ben ibrigen ; ein jmeiteS ©traßburger Sieberbucb oon 1569 beren elf, ffeben mit ibren
ÜZBeifen; ba§ Äeucbentbalfcbe, ju Wittenberg 1573 erfd)ienene ßantional nur eineS mit feiner SJlelobie;
ba3 ©tettiner ©efangbueb von 1576 beren elf, alle mit ben ibrigen; bie meijten bae> 3infeifenfcbe von
1584, einunbjroan^ig, barunter jwolf mit ibren ©ingroeifen; ba§ ©reifSmalber »on 1592 enblid) beren
jebn, jeboeb nur jmei barunter mit ibren SEJMobieen. 3n biefen fieben geiftlicben Sieberfammlungen nun
erfd)cint, trjit alleiniger SluSnabme be§ 33rübergefangbucbe§ unb be§ -Seucbentbalfcbcn, überall S5urcarb
3Balbi§ 121jter $>falm, alfo fünfmabl; m'ermabl fein 22jrcr, ber nur bem großen ©traßburger ©efang=
buebe, fomie bem, eben ba um 1569 crfd)ienenen, unb bem ©reifSmalber fehlt; breimabl ber 72fte, HOte,
120fte, ISOfte; alle biefe finb bem 3infeifenfcben unb ©reifSmalber gemein, bie betben legten aud) bem
©traßburger oon 1569; ben erften bat baneben ba§ ©rübergefangbueb, ben jmeiten ba3 ©tettiner. (£nt>--
lid) fommen ber 25fte, 65fie, 70jte, 82fte, 98fte, 116te, 143fte unb 145fte in je jmeien ber genannten
Sammlungen t»or. £)en beiben pommerfeben ©efangbücbern finb ber 65fte, 143fte, 145fte gemein ; bem
3infeifenfd)en unb bem 33rübergefangbucbe ber 25fte unb 98fte; bem ©traßburger von 1569 unb bem
©reifeSmalber ber 70fte unb 116te; ber 82fte enblid) finbet ftd) in bem ©tettiner ©efangbuebe unb bem
3infeifenfd)en. 2flle übrigen erfd)einen nur in je einem jener Sieber- unb 9JJelobieenbüd)er. 83on ben öfter
aufgenommenen bat allein ber 150fte feine SOielobie niemals mitgebracht; bie übrigen, obne ibre 9Kelobieen
in ben Äird)engefang übergegangenen — ber 49fle, 75fte, 85fte, 131fte, 141fte, 142fte — fommen überall
nur einmabl »or. £)ie mebrmabl erfd)einenben haben inSgefammt, mebr ober meniger oft, aud) ihre ®ing=
meifen bei ber Aufnahme beibehalten.
^Betrachten mir nun jene, bem Äircbengefange einverleibt gemefenen *Pfalmliebcr ermaS naher, fo
fnüpft ihr öfteres SSorfommen, mie »orauSgefefjt merben burfte, fich jundebft an ihren Inhalt. Die auf=
genommenen maren über folche $)falme gebichtet, »on benen bie Ätrcbe enfmeber noch gar feine liebbaften
Bearbeitungen befaß, ober nur folche, bie ben S5ebürfniffen ber ©emeinen nicht genügten. 9cun ft'nben
mir, baß bie jumeift »orfommenben eben aud) über bie micbttgjren unb berrlicbften ^)falmen gebid)tet finb.
£)a3 fünfmahl erfebeinenbe Sieb: „Söenn id) in 2Tngfi unb Döthen bin" bat ben 121jien ^)falm jum £$or=
bilbe: ,,3d) hehe meine tfugen auf ju ben 35ergen, »on benen mir ^)ülfe fommt." £>as? oiermahl aufge=
nommene: ,,25a GjhrifiuS an bem Äreuje b'ng" ift bem 22(len ^)falm nacbgebilbet : „33Jein ©ott, mein
©ort, marum baft bu mich oerlaffen?" einem mefftanifch=propbetifd)en, ben ber ^)err felber am Äreu^e
232 - —
betete, worauf Der Anfang ber Bearbeitung fcbon binbeutet. @ben fo ftnb ber 72fte unb HOte^falm,
nach benen ffiurcarb SBalbiS bie ßieber bietete: „SSo^eit be3 alten SEeftamentS" unb „Der Qen fpracb in
feim böcbften Sbron" begleichen weiffagenbe, t>on ßbrifti fbnigticbem, propbetifcbem, I;or)en^rtefierltd)em
Xmte. Der 120fte, ba§ SSorbilb be$ SiebeS: „3cb ruf o ©Ott in biefer 9<cotb" ift ein ©ebet roiber falfcbe
ßebrer, 2Biberfacber, fiäfterer, bamaB alfo jeitgemap twr allen; ber 150fie enbltcb ein herrlicher, bober
gobpfalm, wie auch ba3 Sieb : ,,2obt ©ott in feinem $etltgtbum" if)n roiebergiebt. gür biefe am häufig*
ften ausgewählten ßieber ft'nbet ftch alfo eine nal)e SSeranlaffung ju bem SSorjuge, ben man ihnen gab; aud)
Die nur jweimabl erfcbeinenbcn ftnb hBgefammt ben falbungäooUften SBeU, ßob=, Danf=, SSroft* unb
S5ufpfalmen nacbgebilbet. SBoburd) aber red)tfertigt fid) bie öftere, bie weniger häufige Aufnahme ber
©ingw eifen einzelner oon biefen *Pfalmliebern? 2Bir ft'nben, bafj ber üiermabl gewählte 22fie ?)falm bie
feinige jebeSmabl, ber fünfmabl erfcbeinenbe 121fte bagegen fie nur jweimabl mitbrachte. @§ ift inbefj nicht
ein entfd)iebener innerer SSorjug jener vor biefer, wobureb etwa eine Vorliebe gerechtfertigt würbe. Sener
erften liegt üielmebr eine biöfjev im Äircbengefange noch nicht »orbanbene rt)r>tf)mifd?e gorm ju ©runbe,
woburdb bie 9cotbwenbigfeit il)rer SOfttaufnabme bebingt würbe; biefer anberen bagegen ba3 SJiaaf be3
befannten 95etliebe§: „S3ater unfer im Himmelreich," beffen gewohnter unb mit 9?ed)t beliebter ©tngweife
oabcr aud) leid)t »or ber neuen, weniger geläufigen, ber 33or5ug gegeben würbe. Die ©tropfe ber Sieber
über ben 72ften unb 120fkn $>fatm fommt ber eines beliebten weltlichen Siebet überein : „ßart febone
grau," von bem um bie 3eit ber Aufnahme jener ßieber in ben Äircbengefang bereite eine getftliche
Umbicbtung üorbanben war. Dennoch jog man unter brei gällen ibre3 @rfd)cineiB in eoangeltfcben ©efang*
büd)ern in jweien bie 2DZelobie »or, bie 33urcarb SBalbiS tl;nen beigegeben hatte, ein 33orjug, ber bemnad)
wof)l ber melobifd)en gorm beijumeffen fepn wirb, ©ben fo ift e§ mit bem llOten 9)falm biefeS
Dichter^ ; feine ©tropfe ift bie gangbarfte »ielleid)t unter allen bamaB üblichen, bie be§ fiebenjeiligen ßiebeS
„@N> ift bas> £eil uns» fommen her," für bie man »tele 9)Mobiecn befaß; bennoeb wählte man jumeift bie
neue. Unter ben nur jweimabl aufgenommenen ^Pfalmliebem bringen bie über ben 98ften unb 116ten
s])falm ihre ©ingweifen in beiben gällen ihrer Aufnahme mit, wenn gleich jeneä bie «Strophe be3 ßiebeS
trägt „ßbrtft unfer 4?err him Sotban fam," biefe be3 ^)affton§gefange§ ,,£) Söienfcb bewein' bein' ©ünbe
groß" mit nur unbebeutenber Abweichung. SSJcan fonnte fie alfo, baS eine unmittelbar, ba3 anbere anbe=
quemenb, wie eS in biefer 3ett nid)t feiten gefchahe, nad) jenen bekannten SBeifen fingen; ein eigentbüm*
lieber 9?etj ber neuen melobifchen formen, unter benen beibe in S3urcarb SöalbB ?)falter auftraten, entfebteb
jeboeb für beren Beibehaltung, ©o überwog benn auch bei ben anberen ber, einmahl ohne, einmahl mit
ihren SBeifen entlehnten ^falmlieber, batb bie gewohnte melobifche Sorm, balb ber 9?eij ber neuen. Auf
bie nur einmal)! mit ihren Sülelobteen erfcheinenben ^)falmlieber bürfen wir nicht näher eingehen *), nur mag
nicht unbemerft bleiben, bap eben einige unter biefen neue rbntbmifch e gönnen mitbrad)ten, ber 34(te,
Mfie, 9:{ftc, 128fte, 14Hfte, fo baß wir r>orau§fe|en bürfen, biefe fewen bie SSeranlaffung gewefen, weö=
balb bie ßieber nicht tiefere SBurjel faffen fonnten. Denn ihre SSorbilber : ein f 6 jf lieber Danfpfalm ; jener
unter allen fo auszeichnete, in welchem bie üieblichfeit ber 2Bohnungcn bc§ ^)errn, bie ©celigfeit in feiner
.ftirebe gepriefen wirb; jener begeifterte »on bem ewigen ffieiebe be§ J^errn : „Der £err ijl Äbnig, — er hat
•) öS finb ber 13tc, löte, 16te, 19te, 32jle, 34fle, öOjte, Gifte, Cifle, 84flc, Oljte, 93flc, 1 1 7te, 125jtc, l'28fle,
l i8fte, 149fle; 17 im CSJanjen, fafl bic £älfte ber aufgenommenen.
233
ein SJeid) angefangen, fo weit t>ie Söelt ijt, unb jugericbtet, bajj eS bleiben foü;" ber $falm, in reellem
frommer (Seeleute ffieruf unb ©eegen gepriefen wirb ; enblid) jener le^te unter ben genannten, ber alle @rea=
tur ju bem 2obebeSJperrn aufruft ; — biefe inSgefammt hatten eher ein'^nta^ fevnmüffen, bie auf fte gegrün=
beten Dichtungen ber Ätrcbe JU erhalten. OTein bie rb»thmifd)e §orm, unter ber fie erfcbienen*), mutete
nid)t an, bie Sieber prägten bem ©ebbr ftct> nicht ein, baS SBiberftrebenbe in jener mürbe nicht burd) ben
Inhalt beS ÜtebeS überwogen, wie bei bem 22ften ^Pfaltn. Crrji fväter, im 2aufe beS 17ten SabrbunbertS,
als fajt alle «Pfalmlieber beS S3urcarb SßalbiS auS ber ,Kird)c bereits roieber verfcbwunben waren, mad)tc
bie Strophe beS 93jren feiner ^falme ftd> 95af)n ; fte ift bie beS Sftflfdjen SiebeS : ,, ermuntre bid) mein
febwacber ©eifi" unb feitbem in ber evangelifeben .Eircbe eine febr verbreitete geworben, bie einzige weiter
fortgepflanjte rbwtbmifche §orm unter benen unfereS DicbterS.
Seicht beantwortet fid), nach allem biefem, bie grage über ben (Sinflufj ber ^>falmliebev unb SBeifen
beS S5urcarb JBalbiS auf ben evangelifd)cn jtird)engefang. SBenige nur unter feinen neuen rfwtbmifcben
unb mclobifd)en gönnen machten fid) in bcmfclbcn gcltenb 5 ihre (Sinmirfung war nur eine vorübergebenbe,
örtliche. 3m Saufe beS 17ten ^abrbunbertS waren alle jene Sftelobieen, beren wir gebadeten, bis auf jwei,
gänjlid) auS ber Ätrcbe wieber verfd)wunben ; nur bie beS llOten, bie wir, in jwet harmonifeben S5earbet=
tungen, noch in (SrbarbS Sföelobieengefangbucbe (LG59) unb in bem beS Sanbgrafen SDlorifc von Reffen
finben, unb bie beS I21ften, welche Michael 9)rdtoriuS im achten Sbeile feiner beutfd)en .Äird)engefdiige
(9cro. 48) vterjtimmig auSgefefjt bat, hatten ft'd) erhalten. Dennoch burfte SSurcarb SBatbiS ^falter hier
nicht übergangen werben, wegen ber baran ft'd) f'nüpfenben 33etrad)ttmgcn. S3on wem aud) feine SSJielobteen
herrühren mögen, von bem Siebter felbft, — worüber wir nicht burd) ihn unterrichtet werben, — ober
einem ihm befreunbeten Sonhtnfrlcr, fte finb jeberjeit bcad)tenSwertb. Sie tbcilcn mit ben Stngweifcn beS
SSolfsliebeS ben rbvtbmifcben SBccbfel, ben juweilen burdigangig angewenbeten Sripeltaft — wir ftnben
tbn in neun S3eifpiclen **), jumeiff auS ber ionifeben Sonart — unb ben ©egenfafj beS geraben unb unge=
raben Saftes. Sie finb aber barin von ihnen abweiebettb, bap weber bie harte Sonart in ihnen ein fo
entfcbiebeneS Übergcwid)t hat alS bort, nod) bap fie fid), wie jene, oon bem ©eprdge ber firebtteben £on=
arten entfernen. Denn bie weid)e berrfd)t unter 153 ?Dcelob:ccn in 79 gdllen vor, alfo über beren .Jpdlftc
hinaus ; bie fird)tid)e Sonart ijt jumeijt red)t befiimmt ausgeprägt, wie benn baS urfprünglicbc $)bn)gifcbc
jwanjigmabl, baS üerfefjte fed)Smabl vorfomntt, baS ?D£iyoh)bifdie in feiner Urform einunbjwanjigmabl, in
ber SSerfebung fecbSmabl erfd)cint. (5S hatte fid), wie hieraus hervorgeht, nad) ber erjten 4?älfte beS IGten
3ahrbunbertS für bie ©ingmeife beS bcutfd)cn ÄirdKnliebcS ein febr bejtimmter Sti)l gebilbet, ber bie
rbvtbmifche Bewegtheit unb 9Jtannid)faltigfeit beS ä$olfSgefangcS mit bem @rnjr ber fachlichen Sonart ju
vereinigen {hebte. Wit jener vollen Äraft, weld)e bie ©emütper ergreift, trat er jebod) nur ba in baS üeben
unb gewann ber neuen Äird)enweife allgemeine Suftimmung, wo biefe in ber £hat ein SSßerf ber S5egeijte=
') spfalm 3i (jroötfjeitig). ©ieben=, oiev-, adjtfolbigc Deitert oiermat)! iricbertiott.
^f. 84 (äct)njcitig). Jr J» j j 8 4, 4. 8.
W. 128 (fiebenieittg). 8t J J« J-
?Pf. 148 (ncunjeilig). 7, C, | 7, C. | 7 7 7. | 6. 6.
••) qjfalm 98. (D.) $fo(m 81. 105. 122. (F.h)
= 79. (G.b) i 20.'' 90. IOC. 117. (C.)
30
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rung, ^ lebenbigen 2lnflangS »on bem Inhalte tyveS Siebet in ber ©eele beS ©ängerS war, unb fo, wenn
aud) au3 innerer 9cotbwenbigfeit, bod) unbewußt, jene§ eigentümlich SBejeicbnenbe, wie be§ 33olfS= fo be3
ÄtrcbengefangeS in fid) vereinte. 2lugenfd)einlicb aber fonnte biefeS nur ba ber galt femi, wo baö Sieb, e§
fep nun eine freie, ober einem heiligen ©cfange au3 ber©cbrift nad)gebenbe£>td)tung gewefen, eben fo getreu
unb wahrhaft bie fromme ©timmung feines £)icbtcr§ abriegelte, unb fo bie febaffenbe Äraft in bem ©än=
ger ju entjünben ocrmod)te. S5ei einem ganjen, wollftänbigen $)falmenwerfe, fo lebhaft e§ aud} ben Siebter
befebäftigt l)aben mag, fo trojlreid) ihm, bem Snbalte nach wie ber gorm, biefe S3efchäftigung aud) gewe*
fen fc»n wirb, unb fo gelungen wir (Sit^elnes? nennen burfen, fonnte bod), felbft in ber Sage voll Anfechtung
unb Srübfal, burd) bie jene Aufgabe ihm fo Werth würbe, bie SSegeifterung faum eine gleich anbauernbe,
fcböyferifcbc fei;n, unb wenn baS gebrückte ©emütb aud) an bem Spalte ber b,eiligen ©efänge ft'd) erhob,
war bod) bem @rfd)b»ftcn nid)t feiten aud) bas> ©piel mit ber äuferen gorm eine @rf)olung. SBenn nun
bei ihm, wie nid)t crjl bei bem SonfünjTler, ber il)m bie SDWobieen fang ! ©o ftnb benn biefe aud) nur
ein Senfmal)! geblieben von ben "tfnfoberungen, bie man, mehr ober weniger mit 33ewuf3tfet)n, an bie
©ingweife be§ beutfcfyen geifttieben Siebes? bamaB ft'd) ftellte, wie ihr nur vorübergebenber Eintritt in
bie jtirebe uns ein 33eifpiel baoon giebt, bafs bie äußeren ©rforberniffc bc§ fird)lid)en ©tt)l3 für fid) allein
nicht hinreichen, einem aud) fonft fd)ä£baren ©efange bort eine bauernbe $eimatb ju fiebern.
33on bebeutenberem (Sinfluffe waren auf ben er>angelifd)en Ätrcbengefang bie SDZelobieen ber fran=
j}bftfd)--caluinifd)en *J)falmlieber, bie burd) 2tmbroftu§ fiobwafferS beutfd)e iftaebbiebtungen unter S5eibebal=
tung ber ©tropfen Clement 99?arot§ unb Sbeobor S5eja'§ überall fid) ©ingang üerfebafften. £)iefes> gefebahe
jebod) erft in ber legten #älfte bc§ 16ten3abrbunbert§. SSiel früher aber aB @atü in l)atte fd)on 3wingli
gelehrt, ©eit bem SMigionSgefpräcbe ju 3ürid) (1523) l)atte er burd) SSefdmpfung ber überbanbgenom*
menen 9Jiitwräucbe bie 58erdnberung ber äußeren ©eftalt be§ biäfjerigen ÄircbenwefenS eingeleitet; um 1524
war er mit SSefeitigung ber Silber unb Orgeln, unmittelbar eingreifenb, aufgetreten; 1525 batte er ftatt
ber btötjertgen Art ber ©penbung be3 t>eitt9eri AbenbmablS, eine SBeife eingerichtet e§ ju genießen, ganj ben
Ütebegmabten gleid) ; er l)attc auf bem 9Jcarburger SieligionSgefpräcbe feine Äircbe um 1529 vertreten, bie
nun erft als eine von ber lutl)erifd)en getrennte erfd)ien; am Ilten SDctobcr 1531 war er auf bem ©cblad)t=
felbe ju ßappel gefallen ; innerhalb biefer ad)t 3abre feiner frdftigftcn SBirffamfeit hatte er aud) in £)ber=
beutfd)lanb nid)t unbebeutenben Anhang gefunben. ©ollte nun nid)t, von ber ©cbweij au3, unb ben
angrenjenben Sbeilen £)eutfd)lanb§, vor ßalüin bereits ein eigentl)ümlid)er reformirter Äird)engefang
fid) gebilbet haben, unb mit bem burd) Luther hervorgerufenen in irgenb ein SSerbdltniß getreten femi? S5ei
biefer grage verweilen wir nod) einSBenigeS, ehe wir übergeben ju jenen franjofifcb - reformirten $)falm=
liebern unb ihren ©ingweifen. —
£a$ erfte, mit SutberS Billigung erfebienene, burd) eine SSorrebe r»on il)m eingeleitete
©efangbueb, baö 2Balterfd)e ■oon 1524, trat mit ber 83orau§fe^ung auf, nicht allein, bafj getftltd)er
©cfang gut unb ©ort angenehm fei), fonbern auch, ^ap ein 35erl)dltnifj beffelben ju ber Jtunft be£
Sonfa^ee fid) von felber »erjicbe. 2utl)er fd)lop fid) bem ©cbraud)e ber alten Kirche barin an; nur follte
ber ©efang in ber Äircbe nid)t, wie btöber, geijllo§ unb hanbwerfämdpig abgctl)an werben, nod) ben ©eip=
lid)en ober SKiethlingen allein überlaffen bleiben. @r follte mit 3ud)t unb 2(nbad)t üon allen ©liebem
ber ©emeine auö frommem, gläubigem 4?erjen ju gemeinfamer ©rbauung ertönen, bie Äunft aber nicht
burd) baS (fuangelion ^u S3oben gefd)lagen fet)n, wie nur "Mbergetfrltc^e vorgaben, fonbern alle Äünjte bem
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Sienfte beSjenigen geweifjt fepn, t>er fte gegeben unb gefdjaffen habe. Ser reinere ©otteöbienft foüte auö
ben formen be§ alten tytxauZ ftdt> lebenbig entwideln, nur baS ©djabltcpe, S3erberbttd?e, ber ©djrift
2Biberfirebenbe, baS Veraltete unb SBerlebte foüte abgetan werben, ©anj anberen ©inne§ waren
3wingli unb feine ©enoffen. ©3 fotlte nach, tfjnen ntd)t eine gereinigte Äircfye fyeroorwacbfen au3 bem
©djocfje ber alten, fonbern biefe füllte üöüig erneut, ju ber urfprünglidjen, aooftolifcfyen (Einfalt jurücfge=
fübjt, unb oon bem ©otteSbienfte unbebingt 20lc§ auSgefcfyteben werben, wa3 nid)t auf ein ©ebot ber
©cfyrift gegrünbet feo. Sarum würbe aucb, bic 3ulafft'gfeit beö jtird)engefange§ überbauet ernftlid) in §rage
geftellt: von ben ftrenger ©eftnnten würbe er unbebingt verworfen, oon ben milber ©eftimmten felbft nur
unter großen S5efcb,ränfungen 5ugelaffen. 2Bie e3 bamit befcfyaffen gewefen, erfahren mir nid)t beffer unb
oollftänbiger, als au3 ber SSorrebe etneg SBucfyesv bas> fdwn einige Seit juvor, efye nod) bie caloinifdje
Äirdje ipren eigentfmmlidKn .Äircfyengefang befaß, bereite an bae> 2id)t getreten mar. (53 ift biefe§ baS
„©efangbücfylem oon oiel fcfybnen ^fatmen unb geijtlicfyen Biebern, " ba§ angeblich, juerft 1536, bann oier
3abre fpäter, um 1540, burcb einige Diener ber Äirdje ju @onftanj unb anberSwo gemehrt unb gebeffert,
bei ßbriftoob. grofcfyauer ju 3ürid) erfd)ien. Stym l)at SopanneS 3wid eine SSorrebe oorangeftellt „ju S5e=
fcbirm unb ©rpaltung be3 orbentlicpen .Kircpengefangeä,'' unb oon biefer ift bier bie Sfebe. Wit großer
SEJiilbe, im erfyaltenben ©inne ijt fie gcfcprteben ; fräftig abwefjrenb tritt fte bem ftrengcn, ftarren ©inne
entgegen, ber ben .Kircpengefang überall ausließen wollte. Sie eine wie bie anbere 2lnftd)t ftnb in it>r
gegenübergeftellt, ipre ©ad)e ju führen, um fo mef)r gewährt fte un§ ein lebenbige§ S5ilb ber bamalS unter
ben 2lnl)angern 3wingel§ I)errfd>enben ©inneSweife, unb be§ barauS fyeroorgefyenben, oerfdn'ebnen SSerbält*
ntffeö berfelben ju bem Äird)engefange.
3wid beginnt bamit: man wenbe ein gegen ben £ird)engefang, ßljriftuS fyabe ilm nicfyt geboten.
Tfllein er fyabe ipn aud) nid)t oerboten, fe» barauf ju entgegnen. 2Ba§ bie ©d)rift ntcfyt geboten, nod) Oer*
boten Ijabe, ba$ fep ein frei Sing, unb man folle eS nad) ©lauben unb Siebe rieten, ©eboten pabe bie
©eprift ben ©efang niept, aber fte enthalte oiel guter SBeifpielc beffelben. SDZofeS unb bie Äinber %\xatl
fangen, al§ ber 4?err fte au§ ber jlnecptfcfyaft Grgpptenö geführt, fte fangen il)m, eines> um baS anbere, bei
bem SBafferbrunncn, ben ©Ott tpnen gefd)enft l)atte in ber 2Büjle; unb wir fotlten Sb,m nicfyt fingen, ber
unö au§ mefyr alö einer ©efangni^ erlbfte, nid)t fingen follten wir oon ßfyrifto, bem wabren 5ßorne be§
ßebenS? 2Iber, tjei^r eä, baö fenen S3eifpiele be3 alten Seflamentg, bie nicht gelten fbnnten oon bem
neuen; wir fenen ein geijtlid) 83olf, baö ©ott im ©eifte fingen folle. 2m biefem ©inne würben wir jeboeb
ber ^)rebigt eben fo wenig bebürfen, ba wir im ©eifte gelebrt fepn follen. '^ueb, ein geiftlid? 83olf muffe
mit äußerlichen Singen umgeben, fonft würbe eö ja felbft nid)t reben bürfen. SSiele gei(tltcb,e fromme Suben
bätten ©ott gelobt mit ©efange, follte e§ nur barum nid)t im ©eifte gewefen fepn, weil fte e§ fingenb
tbaten? 2Baä ©ott nid)t löblid) fep, unb bem iJcddjften niebt nü^e, baö fepen 2Berfe be§ alten fleifd)lid)en
SKenfdjen, feo e§ Senfen, 9?cben ober ©ingen ; wa§ ©ott ju 2obe unb bem 9?äd)ften jum ©uten btene,
ba§ few beä neuen, geifiliepen SJZenfcfyen, fep e§ nun SenFen, 9?eben, ober aud) ©ingen. 2lucb, bie 'tfpoftel,
fäb,rt er fort, b<*ben ba§ ©ingen emofoblen; ?)aulu§ ermahnt bie @pb,efer, oon Sobgefängen unb geiftlicben
Biebern unter einanber ju reben ; follen fte baoon reben, fo mögen fte aud) fingen. Sarauf wirft man ein,
er rebe oom ©ingen im Jperjen. 2Ba3 man aber in bem $er$en trmn barf unb foü, ba§ mag man aud)
mit bem SJlunbe tbun, gleid)erweife baä ©ingen wie ba§ ©ebet. #at boc^ auc^ Sacobu§ gefagt: fieibet
3emanb unter eud), ber bete ; ift S^wanb guten 9Jiutl)es>, ber finge ^)falmen. Tiber, r)ei^t e§ bann wieber,
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baä £crj ifi nicht allezeit babei. Um eines folgen S3orwanbe3 willen würbe man jeboeb, felbjl baS £etligjle
unb 23cjle abtbun muffen ; bie sprebigt f bnnte man ntd)t Ratten, ja ßbrifluS würbe um be§ 3uba§ willen
baü iWadb. tma^l nid;t haben begeben büvfen. darauf erwiebert man : ber ©efang im #erjen fcp fjinretd^enb,
man beburfe nid)t erjl ber ©timme baju. GE"§ ijl waf)r, redjt beten fann man niebt mit ÜZBorten, unb redjt
fingen niebt mit ber ©timme, olme ba§ #crj, unt> man 'm #erSen recht beten unb fingen ohne 2Bort
unb ©timme. Tiber baraue» folgt nicht, baß man 35 ei be§ mit S5 erben nicht tbun möge. Sa3 £erj
bat feine Übung jum ©uten unb 33bfen innerlich, unb fo bat 2Bort unb ©timme fte gleid)erweife äußerlich-
Vereinen fid? Jpcrj, Sßort, ©timme, gegen ©Ott; rebet ber SDienfcb äußerlich unb innerlich gegen ilm, fo
betet unb finget er auf bie redete Söeife. Ttuf mancherlei SBegcn fommen SBort unb ©timme bem SDZenfcfyen
ju ©ute. ©ic macben fein .£>erj inbrünjliger, baß e3 fein felbft niebt balb »ergibt, fte wehren anberen
©inbilbungen unb 3ufällen. ©präd)e ber 9Jienfch, bei ber $Prebigt jebeS 2Bort nach, fagte er ju jebem
fünfte 'Urnen, eS würbe ibm minber gefebeben, wohl eine halbe ©tunbe lang anberen Singen nacbjufinnen.
SBort unb ©timme baben ibre Tlrt, SBirfung unb @igenfd)aft, ja, tf>r ßeben, eben fo wohl fttö ba6 £erj,
in gcijllidjen unb flcifd)lid)en Singen, ©ie machen baS $erj nicht, aber fte reiben unb bewegen e§ jum
©uten ober 33öfen, jenaebbem fte gut ftnb ober bofe. @in 2Bof)lrebenber bewegt ben £brer ju einer ganj
anberen 9)2cinung aß er jm>or hatte; böfe 2Borte reijen jum 3onie, baß ber SKenfd) nid)t mebr weif, wa§
er tbut. Srommeln unb pfeifen geben ba§ .Iperj nicht im .Kriege ober Sanje, fte reijen e3 aber ju bemje*
nigen, wa3 juoor in il)tn jlecfte. ÜalteS SBaffer macht ben Äalf nicht heiß/ e§ treibt tr)m bie innerliche
•£>i|c berwor. 9)lan gtebt bem bag geben niebt, ben man oom ©cblafe aufweeft, man ermuntert it>n aber,
baß er nicht baliegt wie ein fauler ©d)elm. ffibfer, fleifd)lid)er, unreiner ©efang macht ba§ .£>erj nid)t
oon neuem fleifcblicb, unb unrein, er hilft bem böfen gleifdje unb ber Unrcintgfeit berfür, gleichwie ein falfd>=
geiftlid)cr, abgbttifd)er ©efang ntd)t abgottifd) tnad)t, fonbern nur ber natürlichen Neigung baju herauf
bilft. Sennocb ijl e§ nicht übel gerebet, wenn man bbfen unb fcbäblidben SSBorten wie ©efängen ©chulb
giebt, baß fte ein bbfeS £erj machen. Senn fte mad)en ein rechtes wahres Crmpfinben unb SSiffen beö
SSbfen, ba3 man juoor nid)t batte. Ser 2Bein liegt auf beriefe, unb ijl bennoeb, lauter; rüt)rt man bie
£efe auf, fo wirb alles? trübe. Sarum warnt bie fyeiligc ©djrift »or falfcfyer ßel)re unb bbfem S5eifpiele.
Tiber in umgef'cbrtem ©innc geben auch, gute 2Borte unb ©efang Urfad) unb9?etj jum ©uten. 9cun fpreeben
Einige: werbe aud) ber ©efang jurocilen red)t unb wobl gebraucht, fo mißbrauche man il)n bod) balb wieber
jumSSöfcn. ©oll man aber um be§ 93Ztfjbraucbeä willen ben rechten ©ebraud) tierwerfen? ©Über unb ©olb,
2Bein unb Äorn werben gemif braucht ; foll man be^halb nicht münjen, »flanjen unb faen? ©oll man
bae ^rebigtamt abtljun, weil cö in großen Mißbrauch fommen fann? ©ingen freilich ijl nicht fo non>
wenbig unb geboten aU »rebigen, wenn e§ aber recht geflieht, bient e§ ju beö 9?äd)jlcn S5efferung, wie
anbere äußere Singe, unb ijl eine fo hcrjlid)e a$ermal)nung, aB fonjl mit SBorten gefdjehen mag. Unb
follte Vogelfang ©otte§ gob fenn mögen, unb nicht ber ßbrijlen ©efang? 'tfueb barf man nicht Jßcforgniß
hegen, inbem man bie jefjige Sßeife beö ©efangeä auf bie öäßjlifche lixt beziehet. Unter ben £cutfd)en
(ehret man nid)t welfd) noch lateinifeh fingen, baß ber, welcher fingt ober jubbrt, ben ©efang nicht v>er=
fleht; baß 9ticmanb Timen baju fagen fann; baß man oiel ©nabe unb Tlblaß ober großcö SSerbienft babei
oerlünbe. 'äud) foUen nicht geweihte üeute aUein fingen, ber ©efang foll nicht fleifchliche Sufl unb £>bren;
fifeel werben, man foll nicht bie ©urgel mit gutem, jlarfem 2Beine falben, mancherlei ©timmen, hoch unb
nieber, flein unb groß, foüen in ber Äirche nid)t ftch burd) einanber reimen. 25or 'Tlllem ifl bie SDIeinung
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nicht, bap bie ©efänge abgbttifd) fenen, baf eine4?anbtbierung barauä werbe, ober einer für ben tfnbern um
ba$ Sagelobn finge, 'tfnbere [äffen ben ©efang als? gut gelten, unb nicht wibcr ©Ott, wollen aber, baß man
nicht! benn *Pfalmen finge, ober was> fonft nach bem SBucbftaben in ber Sßibel gcfcbrieben flehe. Siefe haben
feine bbfe Meinung, e3 gebriebt ihnen aber an bem rechten Urtbeilcn unbUnterfcl)eibcn. 3?ed)t ift eä, bafs man
auf bie v2d>rtft bringt, aber nicht recht, bie ©aben be§ ©eifteS baneben verwerfen, bie er auf mancherlei
SBeifc wirft. SRatl foll allejeit mehr auf Inhalt unb Sierftanb ber Schrift bringen, aU auf bie ÜBorte!
Ser SSucbftabe unb bie Söorte finb frei; bem SJerftanbe muffen Tille, ©elebrte unb Ungelel)rte fid) gefangen
geben. 2SaS bem ffierfianbe nach, glcid) ift, fo ungleich, bie SBorte auch lauten, ba§ ift auch Schrift; wiber
bie Schrift ift, wa$ bem 23erftanbe nach ungleich ijt, rote gleich bie 2Borte flingen mögen, unb roenn fic
febon eitel golbene mären. tfnbere flogen fid) baran, bafj bie ^)falmen unb anbere ©efänge gereimt
fepen. Senen ift eS auch allein um bie SBorte ju tbun. Sie SBorte gehören ben ©laubigen, ntctjt bie
©laubigen ben SBorten, mie auch (Sfn'iftuS v>om ©abbatb fagt. 3>aulll3 aber fpricht: 2flles> fttj unfer, wir
aber fepen dbrifti, nur baf? alle§ ber Siebe unb bem ©lauben ähnlich fev, welches? ber Sierftanb fep bei-
gaben heiligen ©cbrtft. Tlnbere ärgern fich, baran, bafj bie $)falmen bin unb her auf ben ©äffen unb in
Käufern nicht mit ernft unb 3ud)t gefungen werben. Siefe haben nicht unrecht, bafj ber Mißbrauch ihnen
übel gefällt, ©tehen Unjucbt unb ©robhett übel in zeitlichen, mie viel mehr noch in göttlichen Singen,
es finb beren genug, bie göttlichen ©efang ohne Sucht gebrauchen, ja, ftatt feiner viel üppige Sieber unb
©efänge in fteter Übung haben. Um fo minber finb aber bie guten unb göttlichen ©efänge ber $>falmen
unb anberer Sieber ju verwerfen, weil ba§ $>avfttbum voller falfchgeifilicber, abgöttifd)er, eigennü^iger,
unverftänbiger ©efänge, bie Söelt voll geiftlofer, leichtfertiger, unreiner unb fcbäblicher Sieber fteeft, in
benen ©Ott unb ber 9täd)fte gefchänbet wirb. Surcb jene wirb biefer etwas? minber werben. Sarum
ermahnet Paulus? bie (5prj»efcr, ft'e follen fid) ber fdianbbaren SBorte abtbun, ber 9tarrentbeibinge, ber leicht:
fertigen ©cherje; alfo freilich ö"d> btv fcbänblicben SBeltlieber, bie fid) nicht reimen ju ©otteS Sob, unb
ber ^hre be£ heiligen ©laubenS. — e§ fyat nicht wenig Unheil angerichtet, baf in allerlei ©achen ein
3eber nad) feinem eigenen SBillen gerichtet unb geurtbeilt hat, unb verworfen, was? ihm nicht gefiel, ohne
Unterfcbieb bes> ©uten unb SBbfen. @§ fann wahrlid) jteiner red)t urtbeilen, ber nicht auch unterfd)eiben
weif. £at man nicht ein fleifjtgeS 3ufef)en, waS vor ©ort gut unb böfe fev, fo fehlt man leicht; ber Seht
aber wäre nod) nicht fo fcbäblich, als? Trennung, 3wietracbt, Uneinigfeit, ©ecten unb 2lnbang, bie baraus
fommen. ©Ott mache uns? recht verftänbig burd) ©inn, SBort unb ©eift, baf wir mit einem SJJunbe unb
.Sperren allejeit unb in allen Singen fein Sob, unb feine (Ihre einhällig fachen, tfmen.
©in milber, auSgleicbenber ©inn leuchtet bmwr in biefen einleitenben SBorten, beren ©eban=
fengang wir in möglichster SSollftänbigfeit wieberjugeben gefud)t höhen; unb bod), wie ftreng fprid)t ber
SSorrebner fid) aus?, wenn von bem ©efänge in ber Äird)e bie 9?ebe ift! Sen Äunftgefang verwirft er
bort gänjlicb ; ber SSerein hoher unb tiefer ©timmen in mannid)fad)er ^Bewegung unb ©egenbewegung ift
ihm ein »aviftifeber ©reuel; einer foll nicht für ben 2lnbern um Sagelohn fingen, baber foll man gefcbultc
©änger, bie vom ©efänge leben, nicht bingen; ©efang ber ©em eine unb fonfl feiner barf in ber £trcbe
gebulbet werben, freilich hätte man bie Sugenb, mie aud) Sutber eö mollte, jur Äunft auferjiel)en, burd)
ihren ©efang, ben eines? Sheileö ber ©emeine, ftatt be§ frember SOtietblinge, ben ©ottegbienft fd)mücfen
fönnen. Mein bie erfie S5ebingung beö üunftgefangeS , ben SSerein mehrer ©timmen mannicbfaltigen
Umfanget, hatte man mit einem ©prud)e ber 83erwerfung belegt, man mufte alfo auf ihn verachten.
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Singweifen giebt eS aUerbingä, bie wir juerft mit Stebern ber Anhänger 3wingli'S antreffen, eS fep in bem
ourd) 3wid befürworteten Steberbuche, ober auch früher fchon in ben feit 1525 r>on SBolf Äbphl ju ©traß=
bürg herausgegebenen ©efangbüchem. 2IUein ihre Sieber flehen mit benen ßutherS unb ber ©einigen t»er=
mifd>t, eine Trennung ber S3efenntniffe im heiligen ©efange tritt nirgenb Ijeroor. 2utd) fbnnen mir nid)t
behaupten, baß ttjre 25Mobicen etma ein befonbereS, eben ft'e vor ben anberen auSjeicbnenbeS ©epräge trü=
gen: eS müßte benn fepn, baß fte mehr als bie ju ßutfjerS Siebern in gleichen £bnen ftcb fortbemegen, unb
SBecbJel beS SfbnthmuS ober gar beS SafteS bbchft feiten bei ihnen angetroffen werben, fte alfo firenger unb
ernfler erfcbetnen, allen ©cbmutf ablehnenber. S3erf)ältnißmäßig ft'nb ihrer aud) nur menige. Sie *Pfamv
lieber 2ubwig SlerS ftnb fdmmtlid) auf bie SBeife: ,,@S iji baS Spät uns fommen her" ju fingen; bei ben
Biebern ^einrieb, 33ogtl)erS, 9Kattl)ia§ ©reiterS, 'tfmbroftuS unb XfyomaZ SSlaurerS, Johannes 3widS unb
Änberer wirb häufig auf bereits oorbanbene SJMobieen »erwiefen *, unb b,aben fte eigene, mit ihnen juerjt
erfebeinenbe, mie bie bekannten ber *Pfalmlieber : Zn 2Bafferflüffen S3abr;lon tc. ; 25er Sfyöridbt fprtcht, eS
ift fein ©ott tc. ; £> $>em ©Ott begnabe mid) tc. ; ©S ftnb boch feiig alle bie ?c. ; ©Ott ift fo gut bem
3frael ic. ; unb bie ber eoangeltfcbert 2obgefänge „SJlein ©eef erbebt ben Herren mein k." t>on ©pmpho=
rian ^)ollio, unb ,,©ebenebett fep ©ott ber Spm k.," 3m grtebe bein, o £erre mein tc. von Sohann
(Snglifd), fo finben fieb biefe mit ihnen auch ju lutberifeben ©efangbüchem balb heran, unb treten auf biefe
tfrt in ben ÄreiS einer lebenbigen -Kunfrentroidlung mit ein.
83on einem eigentümlichen Äirdbengefange ber 9veformirten fann bis gegen bie SJiitte beS 16ten
jabrbunbertS, biefem allem nach, nicht bie 9febe fepn: biefer beginnt erfi mit (Salüin. 2Bir merben
finben, baß bie 2tnftd)ten biefeS eüangelifdben .Kirchenlehrers t>om Äirdbengefange um 33ieleS firenger waren,
als bie beS Johannes 3wtd, baß er ihm t>iel engere ©renjen jog, t|n auf eine beftimmte 2fnjabt t>on
©efdngen unb ihrer Sttelobieen befchrdnfte; baß aber, obwohl ebenfalls in firenger Umgrenzung, ber
Äunftgefang bennoch einigen 9faum gewann in ber t>on ihm gegrünbeten Äirche. 2Bie eS bamit befdbaffen
gewefen, wollen wir nunmehr berichten; wir fdbtcfen eine gebrdngte (Stählung ooran üon ber ©ntftehung
beS franjbftfcben *Pfalmbud)eS.
6S ift anzunehmen, bafj um baS Satyr 1540 ein großer £f)eil ber von Clement SERarot über=
rragenen ^)falmen bereits wollenbet war. ©enn als Äaifer Äarl V. mit bem Anfange jenes %ai)Ttä
nach ^)ariS fam , um ftd? nad) ben 9lieberlanben ju begeben, forberte fixarifr ber @rfte, ber an jener Arbeit
großes ©efallen fanb, unferen £)id)ter auf, fte feinem hoben ©afte ju überreichen, bem er babureb eine
befonbere '2(ufmerffamfeit ju bejeigen wünfd)te. 25er Äaifer nahm baS Sargebotene gndbig auf, ließ bem
Dichter ein ©efchenf von 200 Dublonen reichen, unb ermunterte ihn jur gortfefjung feines SBerfeS, em=
pfaht ihm aud) ben lOöten unb 106ten (nach Zutyex 106ten unb 107ten) ^»falrn „Danfet bem ^)errn,
benn er ijl freunblid), unb feine ©üte wahret ewiglich/' ju balbiger Übertragung, ba er biefe ^)falme
befonberS liebe. £>aS SDSoblgefallen beiber ^»errfdber an SKarotS Arbeit, neben beren innerem SBertbe unb
ihrem zeitgemäßen ©egenflanbe, loerfcbaffte ihr allgemeinen Eingang. Dreißig ?>falme, — nicht nach ber
Weihefolge beS^PfatterS, benn SSRarot hatte biejenigen gewählt, bie feiner ©emüthSftimmung eben jufagten, —
mit ihnen baS ©ebet beS ^)errn, ber engltfcbe ©ruß unb baS apoftolifche ©laubenSbefenntniß in franjöft=
fchen Neimen, würben 1542 ju ^artS von Dolet gebrudt: man will behaupten, in jehntaufenb ^rempla^
ren. Die Sonfünfiler beiber Surften , t>or allen bie franjbftfchen, beeiferten ftch, fte in SÖRuftF ju fefeen.
ßatbarina 3Rebici , bie ©emahlin beS DauphinS ^einrieb, trbftete ftd) an ihnen über bie Unfruchtbarfeit
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ihrer bamal$ balb jeljnjätjrtgcn <5l>e ; bie ©d)roefter be3 £bnig$, Süiargaretbe »on 9ca»arra, pflegte ju fagen,
fie i>abe burd) jene ^falmen bie ©nabe be§ ^)errn unb grud)tbarfett »om ^immel für fid? berabgeflebt.
Äönig granj felber fanb nod) auf bem SEobtenbette an ibnen ©tärfung unb Sroft. 9J2an pflegte fte ju
bäuSlicbcr (Erbauung ju fingen, unb ibnen SJcelobieen weltlicher Üieber anjupaffen. £er Saupbin ^einrieb
fang ben 42jten |)fabn: „Ainsi qu'on oyl le cerf bruire" (Sßie ber £itfd) fd)reiet nach frifebem SBaffer)
nad) ber Seife eine* 3agbliebe3; £iana von ^oitierS, «gjerjogin OomBalentmotS weilte für fid) ben 130ften
"Pfalm: Du fonds de ma pensee (^uS ber SStefe ruf id), £err, ju bir) unb eignete tym bie SJielobie einer
SSolte an (eine» SanjliebeS) ; bie jtbnigin jog ben 6ten ben übrigen vor (Ne veuilles pas o Sire — #err
ffraf mieb niebt in beinern 3orn) unb nabm für ibn eine 9Jlelobie über ben ©efang ber 9)ofTcnreifjer (un air
sur le chant des bouffons); 2Cnton »on SJiavarra fang fid) ben 43ften: Revange moy, prends la quereile
(9iid)te mid) ©ort unb fübre meine ©ad)e vor bem unbciligen SSolf), nad) einer branle de Poitou , einem
oolfötbümlicben SEanje. 9Kan nabm an bergletd)en Skrmengung bes1 2Beltlid)en mit bem ^eiligen feinen
'tfnftofj, fo wenig al§ in £)eutfd)ianb 5 fjatte man bod) an ben, bornalS »or .Kurzem nur in Antwerpen
erfd)ienenen flamldnbifcben $)falmen ein JScifpiet bafür. ©ie würbe r)ier um fo leid)ter aB einige ber
3Karotfcben *Pfalmen gleichen ©tropbenbau litten mit weltlichen Biebern: fo ber 38fte
Las ! en ta fureur aigue
ne m'argue etc.
mit bem 33olfs1iebe
Mon bei ami, vous souviene
de Piene etc.
fo ber 130fte mit bem SiebeSgefange
Languiray-je plus guere
languiray-je toujours etc.
5öteUeid)t mar aud) bie 33orliebe bes> Dauphins , nacbmaligen ÄöntgS ^einrieb (beS 2ten) für jene ^falmen
eineSSeranlaffung, biefe©irte mel)r ju »erbretten. ©eine@ünftltnge, feine S3eifcbldferin, meinten fid) bei ibm
befonberS in ©unft §u fefeen , menn fte eine gleiche Siebe für bie ^Pfalmen erheuchelten, wenn fte ibn baten
biefen ober jenen unter benfetben, il)nen als befonben> eigen jujutbeilen, waS er allejeit gern tbat, aud) mo
er anberS für ft'e gewählt hätte. Wim mod)te e§ gefd)el)en, baß bie fo S5efd)enften, bem allgemeinen ©e^
braud)e jufolge, tl)re 9>falme nad) weltlichen SBeifen ftngenb, biefe ibnen allgemad) jueigneten. §ür ben
128ften ^Pfalm foll ^einrieb felber eine SJielobie erfunben haben. (Sr münfebte lebhaft Äinber, jumabl
einen ©ol)n, fo fang er benn gern jene 2Borte ber 2ten ©tropbe
Quand ä Theur de ta ligne
Ta femme en ta maison
Sera comme une vigne
Portant fruict a foison etc.
(bein SBeib wirb fenn roie ein fruchtbarer SBetnftod tc.) nad) einer SQSeife, bie er ju tfngouleme, von febwerer
Äranfbeit genefen, fid) baju erbad)t hatte. 4j)ier fanb ibn SSiUemaubon, ber burd) SJiargaretba t>on 9caüarra,
©d)mefier feine* S3ater$, an ibn gefanbt mar, roie er ftd) ju feiner (Srgbfcung bie ^Pfalmen »on feinen
©ängern »ortragen lief}, ju bem Älange ber SBiolen, Sauten, ©pinetren unb glbten ; er empfing
240
fen tfbgefanbten gütig, unb bänbigte ibm bie gefangenen SBeifen fammt ihrem mebrftimmigen ©a£e für
feine Königin ein.
33alb nad) bem Abbrucfe jener 30 ^falmen fafjc SJiarot ftd> genötigt ben £of ju verlaffen,
fen es, weil er für einen Anhänger ber neuen Set>rc galt, fep eS, bafi feine bbfe 3unge ihm mächtige
geinbe erwedt tjotte. 6r begab ft'd) nach, ©enf, unb brachte bort bie 3at)l ber von ibm übertragenen
spfalmcn bi§ auf funfjig. £>tefe erfd)tenen bafelbft mit einer SSorrebe ßaloinö oom lOten Suni 1543.
3er; ()abe biefe 2Tu§gabe niemals gefeben, fann alfo auch, nicht beurteilen, ob il)re 33orrebe, welche bei
ben Ausgaben be§ ganjen $Pfalter3 wieber mit abgebrudt ift, ntd>t »telleidjt fpäter einige Erweiterungen
unb S3erdnberungen erfahren bat, jumafyl feit bie ^)falmcn bei bem caloinifcben ©otteöbienfte eingeführt
roaren. Samalä waren fte e§ noch nicht, unb infofern tonnte aUe§ Dasjenige, wa§ in biefer SSorrebe
über ben ©inn, unb 3voed ber fachlichen §cier gefagt ijt, ein feitbem beigefügter 3ufa£ fenn. 3Bie
fte jefjt vorliegt, ift ihr wefentlicber %nt)dt folgenber.
Sie .Kirche, fagt ßaloin, wirb befucht, um gruebt unb Erbauung ju geroinnen au3 bem,
wa$ man bort ftebt unb f>6ret. £>aju ift eS nötl)ig, bafj man ben ©inn ber gefammten geier genü-
genb oerftebe ; ohne 2cbre giebt e3 feine Erbauung. 9cun ftnb e3 brei Singe , bie ber £err um> geboten
bat, bei unferen fircblidjen SSerfammlungen ju beobachten, bie ^rebigt, ba§ ©ebet, unb ber ©ebraud)
oer ©acramente. 2>on ber erften ift bier ju fchroeigen. Sa§ ©ebet muf? , wie ft'd) oon felbft oerftebt,
in einer Sprache gehalten werben, welche ber ©emeine befannt ift; wie fann fte fonft baran SEheil
nehmen, wie fann fte, wenn e§ in ihrem 9camen von einem Ruberen gefchtebt, baffelbe burch 'Amen
befräftigen? ES ift alfo eine grobe £äufcf;ung gewefen, unb ein verberblid)er SEftipbraud), ben ©otte^
bienft in lateinifdjer Sprache ba ju halten , wo fte nicht allgemein verftanben würbe, deicht minber
bat man ba3 S5olf bamit getäufebt, bafj man ihm bie ©acramente nur gejeigt, ohne e§ von ben ®ebeim=
niffen ju unterrichten, welche barin befafjt ftnb; offenfunbig ift ber barauS entftanbene Aberglaube,
ba man gemeint, bie SBeibe beS Saufwafferä , bcS SBeineä unb SSroteö im "Mbenbmahl, wanble, wie
ourch einen 3auber, SBcibcS um, bie leblofen ©toffc empfänben bie Sxaft be3 2Borte3, baj> ber SDienfcb
nicht verftebe. — £>a§ ©ebet ift aber ein boppelteS : — ©ebet im engeren ©inne, unb ©efang. 3u
S3eibem ermahnet ber fettige ©eift burch ?>aulum, S3eibe§ hat auch bie .Kirche von jeher geübt. Die
.Kraft ber Xbm in Erwetfung geiftlicber greube ift befannt ; unter allen ©aben, bie ©Ott bem 9D2cnfd)en
jur Erholung unb Erquidung oerliehen bat, ift bie Sonfunft für bie effte, ober boeb eine ber f)bd;ften
ju halten, ©ie befifjt eine gebcimnifwolle .Kraft, bie Sperren ju bewegen, aber weil fie biefeS im
©cblimmcn fowohl als im ©uten oermag, mufj man ernftlid) bebad)t fepn, tiefe fbft(id)e ©otteSgabe
nicht burch SKipbraud) ju entweihen, wo fte bann ein um fo mehr tbbtltcbeä, feclenoerberbenbeö, ja
teuflifcbeS ©ift wirb. 3weierlei nun ift bei bem ©efange ju unterfd)eiben, ber ©egenjtanb unb Inhalt,
unb bie SSonweife. SSet bem erften bleibt barauf ju achten, nicht allein baß er fdjulbloS, fonbern
bafü er aud) heilig fep ; baß er eine Anreijung enthalte jum ©ebete, jum 2obe ©otteö , ju ^Betrachtung
feiner 2ßerfe, bie un§ bewege, ihn ju lieben, ju fürchten, ju ehren, ju verherrlichen. Nun fann,
nacb bem 2luäfprud)e beö (jeiügen '2tuguftinu§ , man nid)t§ ©ott 2ßürbige§ fingen, man habe e§ benn
juoor oon ihm empfangen, ©o wirb man benn auch feine würbigeren ©efange finben fönnen al$ bt'e
$)falmen Savibö, bie ber heilige ©eift felber ihrem ©änger eingegeben, fte burch ih" gemacht hat.
©ingen wir biefe, fo bürfen wir fteber fepn, bafj ©ort unö bie Sßorte in ben 9Kunb gelegt habe,
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bajj e§ fei), olö fange @r felber in un3, um feinen 9ful)m ju erl)bl)en. Darum ermahnet ber ^eilige
dbrnfoftomuS fo Männer als grauen unb Äinber ju beren ©ebraud), um baburd) ber ©ememfd)aft
ber @ngel tfjetlbaft ju merben. ©eijtlid)e ©efänge, fo fagt ber beilige ^auluS, finb nur mit bem
Q er jen roof)l ju fingen, ber ©efang aus? bem Jperjen aber erl)cifd)t notbmenbig baö SBerflänbnif} bes>
©efungenen. Denn 'baburd) allein unterfebetbet ft'd) ber ©efang beS SDcenfdjcn oon bem ber SSbgel, bie
mobl folgen tonnen, glcid) il)m, ohne jeboef; baö ©efungene ju oerfteben. SeneS Skrftänbnifj ju ge=
roinnen, bem ba3 $er$ unb bie Siebe folgt, ift biefeS spfalmbud) benimmt: möge e§ unferem ©ebacb>
niffe fieb fo tief einprägen, baft mir nie aufboren e» ju fingen. 2Bcr fid? in ©Ott erfreuen mag, bebiene
ft'd) beffen ju feinem £eile, an bie ©teile jener anberen ©efdnge, bie tf>eil§ eitel finb unb r»oll 2eicb>
ft'nn, tljeilä tf)brid)t unb gcbanfenloS, tl)eilS fd)mu£ig unb gemein, alfo bbfe unb üerberblid). 2öa3
bie Sonwetfen betrifft*), fo F>at e§ ba3 33cfte gcfd)ienen, ft'e fo ju befjanbeln, mie gefd)cl)en ift, ba=
mit ft'e bem ©egenftanbe 9?ad)brucf oerlcif)en unb SJlajejiat, unb geeignet finb, felbfr in ber Äircfye ge*
fungen ju merben.
2Bar nun biefe SSorrebe, beren ©ebanfengange mir btäf>er gefolgt finb, fetyon bamalö in ber
"Ärt, mie ft'e fpäter ben gefammten $)faltcr begleitete, aud) bereite Begleiterin ber 9Rarotfd)en $>falmen,
ober nid)t, jmeierlei minbejtenS bürfen mir mit ©id)erl)eit barau§ fd)liefjen. @tnmaf)l, bap ßalüin
aüerbingS bamit umging, ben ©efang ber §)falmen in ber £anbe§fprad)c ju einem Steile be§ ©otte§=
bienfleö ju machen, baß e3 aber nod) nid)t gefd)eljen mar, fonbern erft »orbereitet merben foUte. dt
t) eifert in ben beftimmteften AuSbrücfen bie SSerfünbigung beö 2Bortes>, ba3 ©ebet, bie 83ermaltung
ber ©acramente in ber 2anbe3fprad)e : er empfiehlt ben geiftlid}en ©efang al§ greube in bem $errn er*
meefenb, aber junäd)jt als t>auältd>e Erbauung, mie es> fdjeint, an bie Stelle meltlicb,er, leichtfertiger,
feelent»erberblid)er ©efänge. Ott greift üor 2CUem ben ©efang ber ^Pfalmen, meit fie ©otteS Sßort fevjen,
burd) ben heiligen ©eift ibrem ©änger unmittelbar eingegeben ; er rübmt if>n alj> mal)rl)aft crgb|lid) unb
beitfam. ©obann giebt er bie bamalS erfcfyiencncn $)falmlicber mit ©ingmeifen, allein nicht mit neu
erfunbenen, fonbern gefammelten, für biefen 3mecf eingerichteten, unb fo bebanbelten, baft
ft'e fetbft in ber Äird)e gefungen merben möchten, nad)bem ft'e nämlid) in ber ©ejtalt, mie
fte nun erfd) ienen maren, bem ©ebdd)tniffe bei häuslichem ©ebraud)e ft'd) feft eingeprägt hätten.
©ed)3 3af)re fpäter, um 1549, fam £l)cobor 33eja, mit ft'eben anberen (Sbelleuten, feinet ©lau=
ben§ rcegen au§ granfreid) »ertrieben, nad) ©enf. G?r mar ^ugenbfreunb 6alüin§, aber 'ilnfangö nod) melt=
lid)en ©inne§, e§ gel)brten %a\)Te baju, el)e ßalüin ifjn bemegen fonnte, in feinem ©inne gemeinfd)aftlid)
mit tbm ju mirfen. @rfi feit 1552 foll bieä gefd)el)en fet>n, unb früher bürfte mol)l aueb, S3eja f'aum bie
Übertragung ber nod) übrigen ^Pfalmen in franjbfifd)e SSerfe begonnen baben, bie ßalüin fo febj münfd)te,
meil er nun ernftlid)er bamit umging, ben ©efang be§ franjbfifd)en ^)falter§ bei bem ©otteSbienftc, aB
einen mefentlicben Sbeil beffelben einjufübren, ma§ mit ben bis> babin übertragenen ^)falmen mirflid) in
bem folgenben Sabre (1553) gefd)al)e. Dap S5eja l)ieran mefentlicben 3lntl)eil genommen, ift nid)t ju be=
jmeifeln. eine Sbatfacb,e, bie mir, im Allgemeinen minbeftenS , al§ fepgejiellt annehmen müffen, beutet
') Toachant la melodie, il a semble le meilleur, qu'elle Just moderee en la Sorte que nons l'avoos mise,
ponr empörter poids et majeste eonveaahl« au subjet, mesme pour estre propre d chanter en PEglise seloo qu'it
a este dit etc.
». SBinttifctt, fcet esmigel. S^otalgefang. 31
betraf bin, wenn uns nicht fchon bie burd) tt)n bewirkte Vollenbung bes gefammten äBerfes baoon bie
ÜK-natgung gäbe. SSeja foll nämlich Damals, am 2ten ÜJlooember 1552, Samens ber ilircbendtteflen
(compagnie ecclesiastique) einem fonfl ntetit weiter befanntett Sonfünfllcr, ©uitlaume granc, eine 8$t-
Reinigung barüber erteilt haben, baf er juerfi bic spfalmett fo in SJluftf gefefjt habe (mis en inusique),
rote man fie in ben (cawinifeben) Ätrdben finge. Diefc £hatfad)e will 33at)te burd) einen ^Jrofeffor ju 2au=
fanne erfahren haben, ben er nicht nennt, unb ber ihm v>erftcbcrt haben foll, biefes Seugnif aufgefunben
ui haben, ohne jebod) ben Ort ju bezeichnen, wo es gefcheben fet). 2Btr werben auf biefen Umflanb fpdter
noch einmal jurücffommen muffen, bei ber Unterfud)ung, woher bte 9Kelobieen jener ^Pfatmen flammen?
£ter wollen wir, auf bie Verftcberung eines gelehrten unb fonfl glaubhaften SOZannes, bie Sbatfacbe an fid)
nicht in 3weifet sieben, fo unoollfldnbig fie uns auch oorliegt.
©eit biefem 3eitpunfte ber Einführung ber SJZarotfcben ^)falmen in bie cawinifebe £ircbe fingen
fie an, ben Äatbolifcben oerbdebtig ju werben. Serie erften breif ig, welche breijebn 3af)re früher, um 1540,
bereite oollcnbet waren, hatten bie ^Billigung ber ©orbonne erhalten, fte waren felbft ju 9?om (am 15ten
gebruar 1542) auf SBefe^I bcS ^)apfle§ burd) Sfyeobor Drufl, feinen Drucfer, einen Deutfcben, beraub
gegeben worben, ncbfl acht anberen, beren Urheber man nicht fennt; fte fonnten auch ben ftreng Äatl)0=
lifeben fein SBebenfen erregen, ber grofe S3eifall, ben fte am franjoftfeben £ofe fanben, beförberte ihre
Verbreitung. Sbre fpdtere 33efanntmad)ung burd) ßaloin nebfl 20 anberen, oon ber 9)arifer Unioerfitdt
nicht gebilligten, fonnte fchon eher Verbacht erregen. Doch ftnben wir noch um 1544 eine ju ßtwn bei
ßtienne Dotet erfd)ienene Ausgabe biefer 50 $Pfalmen, in jwei 2£btbeitungen, wie fte nach einanber heraus*
famen, ncbfl bem ßobgefange Simeons, ben jebn ©eboten, bem eoangelifcben ©laubcnsbefenntntffc, bem
©ebete bes Sr>mn, bem engltfdben ©rufe, unb einigen ©ebeten unb ßebrgebicbten, nebfl ber 2eibens=
gefliehte Gibrifli ; welches Ellies, bis auf bie erjlen beiben 2teber, in ben fpdteren Ausgaben bes gefammten
DfalterS für firchlichen ©ebraueb wegblieb. Die $)falmcn felbft ftnb hier ohne SJMobieen, noch eine Sr>'m-
weifung auf folche: nur furje ^nbaltsanjeigen flehen ihnen ooran, biefelben, mit benen wir fte fpdter
wieberum abgebrudt ftnben. (Sine 3uetgnung an ben .König, unb bte Damen granfreiebs erofnet biefe
Ausgabe; beibes enthielt vielleicht fchon bie frühefle ber erften 30 9)falmen. Die franjoftfeben grauen
ermahnt ber Dichter, baf fte, bie ©Ott gemad)t, fein Sempcl ju fepn (que fist Dicu pour estre son
templcj unb bie bennoch »on wettlichen ©efdngen ©die unb Kammern erfcballcn tiefen, nun biefe
tlieber Jjetttcjer Siebe im *Pfalter burd} ihren SERunb beleben, unb fo bie (Srflen fevm mochten, burch bie
Das golbene Zeitalter wieberfehre. 3u ber 3eit, wo biefe SBorte abermals gcbrutf't wttrben, fanb bie
Erfüllung ber Sßünfcbe unferes Dichters roabrfdjeinttcJb fd)on Schwierigkeiten burd) fird)licbe ©egen=
wirfung. ES wirb wohl bamalä fchon, ober boch nur um 2Bcnigc§ fpdter, gewefen fct)n, baf? ber (5ar=
oinal oon Lothringen bem nachherigen Äbnige Heinrich II., ber jene 9)falmen, wie wir gefeben, bi§h"'
fo befonberS geliebt harte, burd) Diana oon ^)oitier§ über beren ©ebraud) ©ewiffcnSjwetfel erregte; baf
man fte Katharinen 9JZebici wegnahm nebfl ber franjbftfchen S3ibel; baf man il)r flatt S5outeillcr, ihres*
bisherigen Sßetchroaterö, einen anberen gab. 2tud) Sßarnungcn wegen ber Verbreitung werben ergangen
fepn, weil bie ^Billigung ber geifllid)en SBebbrbe fehlte. 2Cte fte aber ein wcfentlid)cr Zbcil geworben
waren eines als fefcerifd) verworfenen ©ottcsbienfleö, galt ihr ©ebraud) als 2Ba()rjet'd)en ber Hinnei-
gung ju jener oerhaften ßebre: e6 ergingen Verbote, burd) flrenge ©trafen gefchärft, bie bisherige 3lt'u
gung oerwanbelte ftd) in Sßiberwillen, ber bei aufridnig frommen ©emüthern wobl um fo gröfer war,
243
nf3 uc ftd) überzeugt wähnten, einem feetenüerberblidjen ©ifte Eingang oerftattet &u haben, in ber
■DEfteinung einer t)etlfamen @rgbfcnmg ju genießen.
25iefer SBiberwiUe bauerte fort bis ju bem 9?etigionSgefpräd)e ju Poiffn, in ©emäfjheit beffen,
3i"amen3 bej> elfjährigen JSbnigS ßarl beS IXten, ein Privilegium t>om 19ten SDctober 15G1 für ben %b-
bruef beS gefammten franjoftfehen PfalterS erteilt würbe. £)ajj SSeja früher als bamalS ben übrigen
%i)dt ber Pfalmen übertragen gehabt, b,abe id) nicht ftnben fonnen. 9loch in bemfelben !3al)re erfetue*
nen, ber nunmehr erteilten Grrlaubnifj ber geifUid)en 33el)brbe jufolge, in 8t)on brei unb ad)tjig Pfatmen,
t>on SouiS Bourgeois ju »ier, fünf unb fed)S Stimmen gefegt. 3hnen folgten, um 1562, fecfyjefm
m'erftimmige Pfalmen nad) ÜJJotettenart bel)anbelt, burd) Glaube ©oubimel, herausgegeben ju Paris
burd) 3tbrian le Sfop unb Stöbert S3allavb, nid)t ju t>erwed)feln mit ben fpäteren einfachen Sonfä^en biefeS
SDZeifterS über bie Pfalmwcifen. Senn biefeS frühere 2Ber! umfaßt nur bie angegebene, geringe Safyl oon
Pfalmen, weil eine SSehanblungSweifc, wie bie üon bem SÜReifier gewählte, nicht für alle glctd>mdfjtg ge=
eignet ift, fonbern nur für bie t>on wenigen ober fürjeren ©tropfen, roeil fonjt, ba jebe einzelne, ober bod)
£>oppelftropt)e, einen abgefonberten Sf)eil beS ganjen SJiotettS bilbet, biefeS $u ermübenber Sänge auS=
gewonnen mürbe. 3n eben biefem Sahre (1562) gab 2(nton Vincent ju Spon ben erften üollftänbigen
franjoftfehen Pfalter heraus*), eine tfuSgabe, ber in ben nächften fahren mehre anbere in t>erfd)iebenen
formen folgten, ohne baß in einer »on ihnen baS erwähnte Privilegium, ober bie Billigung ber ©orbonne
wörtlich mit abgebrueft märe. £)en Pfalmen allen ft'nb hier bie SBeifen bereits »orgebrudt, nach benen fie
fpäter in ben cawinifchen £ird)en gefungen mürben. Über ihre (Sntftehung fchmeigt baS im SiuSjugemit:
geseilte Prwilegium für Litton Vincent. 9lur beiläufig wirb barin bemerkt : bie Pfatmcn fernen in gute
9Rufif gebracht, wie eS wohl unterfucht unb beftätigt fei) burch gelehrte, unb auch ber Sonfunft funbige
Seute**). Durch SSaple haben wir, aus ber juoor angegebenen, unbefannten £luetle, bie 9cad)rid)t: bat?
fein Saufanner Profeffor ein Privilegium beS SftagifiratS ju ©enf gefehen fyabe, mit rotl)cm 2Bad)fe gefie=
gelt unb mit bem tarnen „©allatin" unterzeichnet, vom %ab,xe 1564, worin ©uillaume granc
als Urheber ber üötuftf ju ben Pfalmen anerfannt werbe (reconnu pour l'auteur de cette musique), unb
bafj eben berfelbe eine ju ©enf erfd)ienene Ausgabe ber Pfalmen beft^e, worin ber 9came biefeS granc ge=
nannt fei) (oü est le nom de ce Guillaume Franc). @rft im folgenben %ab,xe, 1565, traten bie üier*
ftimmigen $armonieen ©oubimelS über bie Pfalmen an baS Sicht, »on ihm felber nur ju l)äuSlid)er dx--
bauung, nicht ju fird)lid)em ©ebrauche beftimmt, mit ber 33erftd)erung, bafjt er ben ©efang, wie er in ben
Äirdjen beftelje, unüeränbert unb un$ertrennt erhalten habe, eben wie er für ftd) felber few.
SJiit biefen Nachrichten erfd)bpft ftd) baSjenige, waS wir über bie Sntffehung beö franjbftfd)en
PfalterS unb feiner ©ingweifen wiffen. $üx unferen gegenwärtigen 3wed liegt un§ vorzüglich baran, ben
*) 2)Ct Sütel btefer 2tu§gabc lautet: Les Pseaumes mis en rime fran(;oise. Par Clement Marot et Theodore
de Beze. PseaumelX. Cbaotez au Seigaeur qui habite ea Sioo et anaoaeez ses faicts entre les peuples. Unter
biefem ©pruetje fietjt ein aUegorifa)eg SSilb, eietteicht bag Reichen be6 SructerS. 3fei in einanber gcrounbene ©d)lan=
gen, oon benen einer eine fteine (Schlangenbrut au§ bem Cetbe f)cröorbrid)t , fctjlie^en ein Sä'flein ein mit ber Snfdjrift:
Quod tibi fieri noo vis, alteri non facias. Unten ftnben rütr: A LioD, Par Jan de Tournes , pour Antoine Vincent.
MDLX1I. Avec privilege pour dix ans. ®iefe§ lautet de S. Germain en Laye, 26. Xbr. 1561, unb ift nur im 2tu6=
juge mitgeteilt.
") — mis etc. en boune musique , comme a este bien vu et cognu par gens doctes etc. aussi en l'art de
oiusique.
31*
244
Urheber biefet fegten 511 fennen. ©eit bem 17ten S«^unberte bat jtemtt'cr; allgemein Glaube ©oubi-
mel bafür gegolten, rote er benn unftreitig Urheber ber frübefren einfachen, vicrjtimmtgcn Sonfäfce über
btefelben ift, bie bureb bie Untcrlegung von SobwafferS beutfeher Überfettung eine fo große Verbreitung in
Scutfcblanb erhalten haben. 9Kan bat jebod) in biefem galle, rote fväter in fo vielen anberen, augen=
fcbcinlicb ben ©efcer mit bem ©anger vermecfyfett, roenn man ihm auch bie Sonweifcn felber jugefebrie-
ben l)at; benn fie waren urfunblicb bereit» vor Grfcbcincn fetneS SBerfeS vorbanben, unb er roar fo roeit
bavon entfernt, ftcb ihre ©rftnbung anjumaafjen, baß er vielmehr verfieberr, ihnen nur brei anbere ©timmen
beigefügt (adiousk-), fie fclbcr jeboeb unveränbert gelaffcn jtt höhen (en son entier). SRod) roeniger
fann von Glaub in le 3eune bie3vebc fiep, ber feinen einfachen vier= unb fünfftimmigen ©dfcen eben auch
bie von ©oubimel behanbelten 2Beifen untergelegt bat, einem fo viel fväteren SBerfe, ba fie erft im 2ten
Sabrjcbenb beS 17ten SahrfounbertS, nach bem Sobe ibrcS Urhebers, an baS Sicht traten.
Sic früheren motettenbaften SScbanblungen unferer^falmen burcb£oui§ ^Bourgeois unb ©oubimel
fommen hier gar nicht inSBetracht, unbfönnen biefen Sonfünftlern aud) nur 5DZiturbeberfd)aft an beren ©ing=
weifen nicht fiebern. 9?ur ©uillaume granc formte nach ben erwähnten Seugniffen barauf 'tfnfvrucb machen.
'2f(lein wie wenig genügenbe 2luSfunft erhalten wir burch bie bloße turje Schriebt von bem SSorbanbenfewn
jener 3eugniffe! derjenige, ber fie fabe, ift uns nicht einmahl feinem 9camen nach befannt, ber £rt, wo
er fie fanb, ift unS nid?t angegeben ; unS mangelt bie Äcnntniß ibrcS wörtlichen Inhalts, tf)re§ barauS ju
entnehmenben 3ufammenbangeS. Sie SSeranlaffung ju bem Privilegium von 1564 fann wohl nicht jwei=
felbaft fei;n, woburch aber f&qa vermocht fei), feine S3efd)einigung vom 3abre 1552 an granc auSjufiellen,
bleibt unS unbefannt. Sie 2tuSgabe ber Pfalmen, in welcher ber ungenannte ^rofeffor ju ßaufanne ben
sJcamen jenes granc gefunben höben will, wirb unS nur als eine ju ©enf erfebienene genannt, nicht aber
bem Sah" ibreS GrfcbcinenS nach bejeiebnet. (Sin fvätcrer ©elehrter*) nennt baS 3a!br-1545, bagegen
©tr aß bürg als ben Srt beS Grfd)einenS. Stefc TluSgabe fann, weil eine fo frühe, alSbann nur 9Jla=
rots ^falmen allein befaßt haben ; beren SJielopieen in bem ©traßburger Srucfe von jenem Sabre waren
aber (nach bem 3eugniffe beS Seremie be $)ourS**), ber fie gefchen, benen nicht völlig gleicb, welche
nachmals folgten, unb beren man ftcb fvdter bebiente. ©ie waren alfo nicht burdibin bie, von ©ou=
bimel unb Glaubin mcbrftimmig gefegten, in ben calvinifcfycn Äird)en eingeführten. 2Bir haben bienacb
wenig ©ewißheit über bie eigentlidje SScfdjaffenbeit ber ©ache. SBaS wir nad) Willem baS unS
barüber vorliegt, als baS 2Ba brfcb e inlich fte annehmen bürfen, wollen wir nun mit wenigen SBortcn
nod) beifügen.
gür eine unjweifetbafte Sbatfacbe bürfen wir eS halten, baß bie erften, von SJlarot in franjbftfcbe
SBerfe gebrachten ^falmen, Anfangs nach weltlichen SBcifcn gefungen würben. 2Bir befifjen barüber
unverwerfliche 3cugniffe : eS war auch biefeS eine bamalS allgemein verbreitete, um fo weniger anftbßigc
©itte, als SEonfünftler jener 3eit fein SSebenfen trugen, Steffen für firchlidjcn ©ebrauch auf bie SQWobieen
gemeiner, felbft febmu^iger Sicher ju fe^en. 3ene weltlichen SBeifen mod)ten nun allgemach mit ben
^falmen ftcb verbreitet haben, fo eng mit benfelben verwachfen fewn, baß man fie von ihnen nicht
') Felis, Biographie des musiciens IV. pag. 173.
") Divine inclodie du lainct psalmiste etc. pag. 570.
La musio,ue n'y est pas partout pareille avec celle qui a suivi , et dont on s'est servi apres.
245
mehr trennen mod)te. %af man burfte e£ faum, wenn man ben £id)tungen allgemeinen Gingang ju
verfebaffen, wenn man fte , ju \)hu$M)er: (Erholung unb Grbauung, an fcie ©teile meltlicb leicbtftnniger
ober gar fchlüpfrtger Siicter ju fegen wünfebte; es fonnte beilfam erfd^einen — wie wir e$ ja um jene 3eit
von Unteren vielfach, mit beftimmten SBorten ausgebrochen ftnben, unb in £eutfcblanb unbebenflicb
getban feben, — biefen weltlichen ©efängen ben anmutbigen, an ftcb unfcbulbigen Scbmuif ibrer £on=
roeifen abjltflretfen, unb biefen würbiger ju verwenben. Qat man boeb bafür wobt auf 3Rofe§ 33eif»iel
SSejug genommen , ber ben Sfraeliten befohlen , bie ber Abgötterei bienenben, golbenen unb fübernen @t>
fä^e ber dgnvter ju entwenben, ju fünftigem £ienjle im £ciligtbume bes roabren ©ottes! SSar nun in
ber Sbat für jene ^falmlieber ber ©ebraueb in ber jtirebe, als ©efang ber ©ememe, lefjter 3wecf ; fo
mupte es boeb unerläßlich erfebeinen, ben einmabl ihnen angebörig geworbenen SBetfen bureb eine leiebte Über=
arbeitung basjenige ju nebmen, was noeb ju febr an ihre frühere SBeftimmung erinnern, unb ber SBürbe fachlicher
geier entgegen fenn fonnte. £ies febeint Safotn am Scbtuffe feiner SSorrebe von 1543 anjubeuten, wenn
er lagt, bie 9Kuftf fei fo ein geriebt et roorben (nioderee), bajj fte bem Snbalte ber Sieber Scacbbrucf unb
^ajeftät verleibe, unb felbji in ber jtirebe gelungen werben fonne. ©ewip verfebmäbte fein ernfter
unb ftrenger Sinn bie ausbrüefliebe (Erinnerung an ben $weibeutigen Urfprung beffen, was er nun ber t)ti-
ligjien 33eftimmung weit)en wollte, unb er begnügte ft'cb mit bem SBunfcbe, baf, wenn man ber Sottet
gäbe ber Sötte $ur Stärfung unb (Erholung fieb bebienen wolle, man ben unbeiligen, ja, frevelhaften 3n*
balt bes bteber ©efungenen mit einem niebt allein fcbulblofen, fonbern ^eiligen, von ©ort felber ju feinem
greife unb feiner Skrberrlicbung verliehenen vertaufdien möge. 2ßir baben alfo an ben 9Jielobieen ber
^falmen 9)Iarots niebt unveränbert bie SSeifen il)rer urfprünglicben Sieber erbalten, fonbern eine Um=
geftaltung berfelben, bie von ibrer anfänglichen ©eftalt wobl nur fo viel übrig gelaffen bat, um ben
volfsmäpige" Son niebt gan3 ;u verwifeben. £ic$u ma9 icner' aIg Sonfe|er niebt weiter befannte,
für einen foleben 3wecf aber brauchbare SSilbelm granc bie Jpanb geboten fyaben, unb es" bürftc
biefes vielleicht au$ ben ibm ertbeilten 3eugniffen beutlicber b^oorgeben, wenn beren wörtlicher 3nbalt
un§ vorläge. Ä
Wim bleibt uns freilich noeb ber fo viel größere Sbeil ber vonSSeja überfeinen 9)fa Im en übrig. £>b,
unb in welcher Art biefe, febon vor ibrem enblicben Grrfcbeinen im Srucfe, ft'rfj verbreiteten, barüber man=
geln uns bejtimmte %.acbricbten. £ocb ift es nid;t unwabrfcbeinlicb, baß man fie, gleicb benen 3Dia=
rot§, ben ©liebern ber ©emeine allmählich babe eingänglicb unb geläufig ju macben gcfud)t, unb wobl
ebenfalls baju befannter Singweifen fieb bebient babe; nur, baß hier mit Abficbt unb Überlegung gefebabe,
was bort aus freier Suft unb Neigung, £a$u fann nun eben jener Jranc, wäblenb unb überarbeitenb, mit=
gewirft baben, unb biefes ibm ju bejeugen, mag wobl ber «Sinn bes in bem Privilegium von 1564 ent-
haltenen 3eugniffes gewefen fevn. Sie Serwcnbung weltlicber SEÖeifen für biefen 3we<f wirb, aufler
bem eben ©efagten, aueb bureb einen anberen Umftanb noeb wabrfcbeinlicb, ber aus" bem folgenben %al)xe
1565 uns beriebtet wirb. SSStr finben ndmlid) bie Sbatfacbe aufgejeiebnet, bag bamals ju ©enf eine fixau
mit Sfutben ge^üebtigt worben fev, weil fie weltliche Steter auf bie SSJcelobieen ber ^falmen gefungen babe.
SSStr tonnten benfen, es fen bie 2£bft"cf)t ber S5eftraften gewefen, eine leiditfinnige Neigung bureb ben äufjeren
'2tnfcbein erheucbelter grömmigfett ju verbeefen ; allein es erfebeint glaubhafter, bap ihr ohnehin bem 5Belt=
lieben jugewenbeter Sinn unwiUfubrlicb bureb bie Söielobie ju beren urfvrünglicbem Siebe jurücfgeleitet
worben fep, unb ba§ fte wohl nur vermieben b^be, aueb jene in ihrer anfänglicben ©eftalt ju gebraueben,
— _ 246
um nicpt offenhmbigen ".tfnftofj ju geben, ©in abftcptlicper gret>cl ift babei am menigften benfbar, mürbe
au* bei ber in ber cafoinifcpen Äircpe ju ©enf bamaß perrfcpenben ftrengen 3ucpt mel fcpärfer geapnbet
motten fepn.
SBeja'S poetifcpe ©piftel „an bie Äircpe unfereS £errn," meiere ben fpäteren Ausgaben be$
gefammten ^falterS ooranftept, giebt uns über bie SDRelobieert feiner 9>fatmlieber feine 2lu3funft. ©r for=
Den barin baS bebrängte #äuflein ber itirepe auf, mit ipm 51t ©otteS Sobe fiep ju »ereinigen. SKbcpten
Die roabren Surften, bie Schirmherren ber ©läubigen, in ben ©efängen, bie er ipnen biete, bie Stimme
De§ jtbnigeS oerneb, men , bie ©eringen bie Stimme be§ Birten. 3mar miffe er faum, ju mem er rebe in
oiefcr 3eit ber Anfechtung, ber SSerfolgung , ber 3erftreuung ; boep fep bie mapre ©emeine, menn auch jer=
ftreut, in ©otteSmutp unb ©otteäerfenntniß üereint, ber SJcunb merbe überall be§ ©laubenS 3eugnifi ab=
legen üor ©ort unb feinen Ingeln, unb mo er ju reben »erpinbert fep, müffe ba§ 4?erj ntcb,t fepmeigen, e§
müffe ben £erm bis jum legten Atpemjuge loben, unb eper möge ber Verfolger be§ SSerfolgen§ mübe mer=
ben, alö ber Verfolgte bee> üobgefangeS. @r fäprt bann fort mit bem S3ericpte: ßlement SJcarot r>abe ein
Drittel ber «Pfalmen für ba3 SSolf ber granjofen übertragen, baft e§ mit bem SUcunbe unb bem ^>erjen ben
£errn loben mochte; ber SEob pabe it)n gewintert an ber 33olIenbung feine§ frommen 2Berfe§. 9cun t>abe
er, S5eja, an ein fo grofjeS Unternehmen fiep gemagt, nicpt aus? 33ermegenpeit, benn er roiffe gar roopl,
roie roeit fein Tonnen jurücf bleibe hinter feinem SBollen , fonbern au§ innerer SSrunft be§ 4?erjen§ gegen
©ort, bamit fein 2ob ertöne überall, an ben Ufern be§ fcpäumenben ©ee'S pon ©enf, auf ben roolfen^
naben, gejaeften ^äuptern ber 3llpen. 9Jcöge ein jeber Dichter , ber ein 33effere§ permbge, mit ihm roett=
eifern in biefem t)of;en SBerfe be§ ©otte3preife§, unb geringere Aufgaben für feine jcunft auf immer t>er--
fepmäben, um fie biefer pbepften ju mibmen ! 3n ihn pabe ber £err jenen guten SBillen gelegt, möge ipm
aud) »ergbnnt fepn, ber grüepte beffelben fiep ju erfreuen, ©Ott ju loben für biefeS pollenbete 2Berf, baö
er %u feiner Grpre ber il}m anvertrauten £eerbe meipe!
3n eben bem 3apre, reo ju ?)art§ ©oubimelä einfache »ierftimmige Sonfä^e über bie SJielobieen
oeS franjbftfcpen ^falterS erfepienen , parte ju .Königsberg in Greußen *.2lmbrofiu3 ßobmaffer, Doctor
berSvecpte, ^rofeffor an ber bortigen Uniüerfttät, unb Sfatp £erjog§ 'illbrecpt be§ älteren , feine beutfepe
Uberfe^ung ber ^falmen SKarotS unb S5eja'ö, unb ber ipnen beigegebenen beiben Sieber über bie jepn
©ebote unb ben ßobgefang ©imeonä oollenbet, unb mit einer gereimten ßueignung com 15ten gebruar
1565 fte feinem ^jerrn überreicht, ©r patte biefe 2trbeit, voie er felber fagt, ju feiner eigenen Übung unb
Äur^rociUorgenommen, fobann, auf toatpen feiner greunbe, bie »ollenbete abfepreiben laffen, unb fte
feinem dürften bargeboten, „niept ber Meinung, bap fte im Srucf augginge, fonbern bafi gürftlicpe
Durd)laucpt fte für fiep paben unb tefen mbept." @rft aept %at)xe fpdter, im Sap« 1573, trat fte ju
Üetp^ig, mit jener älteren, unb einer neuen Sufcprift an £erjog Ulbert griebriep ben jüngeren, ©opn beö
erften ©bnnerS unfere§ £)icpter§, an ba§ Sicpt. gobroaffer mar je^t ber 'tfnftcpt, buret) feine Arbeit einem
roefenttiepen Jßebürfniffe entgegenjufommen, bem eine§ beutfepen ^)falterS. ^>ätte freilicp ßutper bie $fal=
men in beutfepe ©efdnge gebracht, fo roürbe er feine Übertragung nie haben in £>ruo! auSgepen laffen. @r
habe fiep, oerftepert er, bei berfelben genau an bie franjbftfcpe, beutlid)e unb fleißige Überfef^ung gehalten,
Wt benn auep in ber 2£rt iprer 9?epme unb Sölelobepen ; ,,bie ict) benn (fahrt er fort) ju allen ?)falmen, ba=
mit man fie befto beffer fingen lerne, fefcen wollen, benn ohne baö mären e§ gleich al§ tobte repmen, bie
Die hertjen roenig bemegten, ba man fie allein lefen, unb nicht fingen tonnt."
247
2)tefer Aufgabe waren nun ©oubimelS oierftimmige ©d^e beigefügt, unb bie bcrrfd)enDe ©timmc
— jumeijt oer Xcnox , bin unb wieber auch, bie £)berftimme — burd) ein befonbereS Seiten fenntlicb
gcmadit. Sßie großen Beifall S5cibeö gefunben , bie $>falmtieber rote tfjre 9)}elobicen , jeigen bie »ielen
ffiieberabbrücfe biefeS SBerfeS, aud) burd) baS ganje 17te 3al)rl)unbert f)in. ©ie bilbeten nun , jumeiji
' auSfcbliefjenb, wie in 9Karot§ unb 33e$a'<? Übertragungen ben jtird)engefang ber fran$bfifd)en unb fd)roei=
icrii'du-n, fo in 2obroaffer3 9iad)bid)tungen ber beutfdjen unb l)0Üanbifd)en Cialüinijten. 3u 3ürid) X)OX
man gobroafferS ^falmen, nod) bis jum Anfange biefeS Sabi'bunbertS, nach, ©oubimet oierftimmig in ber
Äirdjc gefungen, eben fo, roie e§ fd)eint, Anfangs in 33afcl. £)ort gab inbef? in ben legten Sauren beS
I6ten SabrbunbertS (1594) ©amuel 9)iarf d)all, ber bortigen ©tabt unb Unfoerfitdt 9Jatftcu3 unb
Srganijt, bie alten SSJielobepen berauS ,,mit üier ©timmen $ugerid)t, alfo, bafj ba§ Choral aüejeit im
2M3fant, bergleicben normalen im Srud nie auffangen." (Sr bemerft in ber SSorrebe febr richtig, bafj
er „burd) lange (Srfabrung gelernt, roie biefe ©attung, in roeld)er bie gemeine ©timme ober geroobnlid)c
belobet) in ben Senor gefe^et ift, ftd) ju biefer 2lrt bes> ©efangeS (roie e§ in biefen unferen jtireben geübet
wirb) mit ber ga^en ©'mein ju fingen, roeniger fcfyitfet. Senn (fagt er) e3 bringt bei benen, fo ber
?0iufica unberid)tet (bie ben gropten £geil ber ©emeine machen), etwas unoerjtanbS, alfo baß fie oft niebt
roiffen, wa3 man finget, bieroeil ba3 ßboral unter bie anberen Stimmen, beren etlid)e barob, etliche bar;
unter gefungen roerben, gemenget ift." 2Bie vielen ©ingang biefe jwecfmdfjige Arbeit gefunben, roiffen
mir nid)t; in beutfd)en 33tbliotl)efen trift man wenige 2lbbrüde berfelben, man fd)eint ©oubimelö Sonfd^e
an ben meiften SDrten oorgejogen ju fyabexi. 2)iefe genoffen eineS fo großen SBeifalls», baf? mir fte aud)
einer lateinifeben Übertragung ber 2obwafferfd)en Arbeit unter ^Beibehaltung il)rer ©tropfien angepaßt f&u
Den, weld)e 2lnbreas> ©petl)e*) aue> ©tolberg, jur Übung ber ©cfyuljugenb in ben Tlbenb- unb
UKorgenfiunben, oerfertigte, unb im 3al;re 1596 ju ^eibelberg bei 9)eter 9Jiarfd)all b«au3gab.
©be wir nun »on biefen Sonfd^en inSbefonbere, unb ben fpdteren be3 ßlaube le %e\me banbeln,
unb ben ßinflup ibrer Sölelobteert auf ben lutberifd)en jltrd)engefang betrachten , b<wen mir biefe legten , fo-
roobl ibtem Sfbptbmues als? if;ren Sonarten jufolge, nod) näber ju befpred)en.
£)as> franjbfifd)e ^)falmbud), unb nad) feinem 9Kufter aud) beffen beutfdje Übertragung bureb
Sobmaffer, entbdlt ad)t ©tropbengattungen, t>on ber vierteiligen bis jur jebnjeiligen, benen nod) bie
twolfjeilige, als bie Idngfte, binjutrttt. 2>iefe ad)t ©attungen erfd)einen, jufammengenommen, in bum
bert unb elf r»erfd)iebenen formen, uon benen einzelne jwei=, breü, oier= bis fünfmabl ftd) mieberbolen;
öfter feine einjige; 81 unter Urnen bleiben ganj ol)ne 2Bieberl)olung. lim reiebfien ftnb bie fed)S= unb bie
ad)t$eilige ©tropbe in oerfd)iebenartiger 'tfuSbilbung bebad)t; jene fommt in ad)t unb breifjig, bie ad)t=
^eilige in neun unb breifjig werfd)iebenen formen oor. 9ldd)ft il)nen bie oier= unb fünfteilige; jene erfd)eint
in elf*/ bie fünfteilige in neunerlei Birten. SBeniger mannid)fa(tig ijl bie jefjnjeilige auögebilbet (fed)äfad)j,
unb bie jmblfjeilige (fünffad)) ; am feltenften erfd)eint bie ftebenjeilige (in jroei gormen), unb bie neun=
jeilige (in nur einer einzigen). 9tur in breijebn fallen jeigt ftd) auSnabmSroeife baö trod)äifd)e SERaa^,
in allen übrigen berrfd)t ba§ iambifd)e oor. 9lun enthalt ba§ 9)falmbud> in ber franjbftfd)en mie beutfeben
Übertragung, mit ©infd)lup ber ibm angebdngten jebn ©ebote unb bes> &obgefange§ ©imeonö, 152 geijtlicbe
*) 6r nennt fid) auf bem Uttel: satrapa in Westerburg.
248
8iet>er. £aoon gehören 52 3ftarot an, jene legten beiben eingerechnet*), bie übrigen 100 S3eja. 3n ben*
9Rarotf$en i»icberI)oIen ftcb me trifte gormen fünfmabl **) , melobifcfye niemals; jener finb olfo
47, tiefer fom'el aB spfalmen unb ßieber überhaupt. SSet SSeja'ö $)falmen ftnben wir bagegen***)
1) 11 SJielobteen SOiarotfd)er ^falmcn in 14 galten entlehnt, bie 2Bieberl)olung ber ©ingroeife ber
jebn ©ebote in bem 140ften tyfaim mit eingefcfyloffen ; 2) breierlei SUUafje biefer ^falmen, obne dr\U
iclmung tlnev SJMobiecn angeroenbet ; 3) jefm SKelobieen eigener 9)falmen , in breijebn gälten roieberfyolt ;
4) viererlei SJiaafje eigener spfalmcn in fed)e> gälten bei anberen, eigenen gebraust, obne ftcb. ber SERelobieen
bafelben nu'eberum ju bebienen. Sieebnet man biefe, jufammengenommen fecfyS unb breifjig betragenben,
gälte von Crntlebnungen unb ÜIBieberbolungen ab oon ber ©efammtjabl feiner Pfannen, fo bleiben für biefe
64 metrifebe gormen übrig, unb ba nur in 27 gälten eine SBieberbolung melobifcfyer gormen ftatt
finbet, 73 oon biefen.
£>er gefammte 9>fatter bat, biefem jufolge, für 152 ßieber, 125 melobifcfyc, 111 metrifebe gor=
men. SSon jenen fommen 52 auf baS SOiarot angefyörige 2)rittl;eil be§ ©anjen, 73 auf bie übrigen, »on
S5cja berrübrenben jmei Srittl;eite; t»on biefen 47 auf ben 2tntbeil SEftarotS, 64 auf ben S3eja'ö. S3er=
bältnißmäfjig erfdjeinen baber, mit Siücfftdbt auf t£>re geringere 2tnjabJ, bie Pfannen SSKarotS, foroobl
melobifcb roie metrifd), al§ bie reidber auSgeftatteten. £>as> ©anje, mit bem $)fatter bes> 33urcarb SEBalbiS
•) tfufer itjnen näm(id) ^fatm 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 18. 19. 22. 23. 24. 25.
32. 33. 36. 37. 38. 42. 43. 45. 46. 50. 51. 72. 79. 86. 91. 101. 103. 104. 107. 110. 113. 114. 115. 118. 128.
130. 137. 138. 143.
-) <Pfalm 12.
114.
24.
32.
= 128.
110.
115.
113.
45.
130.
"•) <3. nacbftefjenbe Überfielt.
seja (entlehnte sföelob ieen ).
9>fatm 5
— $falm 64.
9>falm 17 —
63
70.
18
— 144.
28 —
109.
24
— 62. 95. 111.
30 —
76.
[39
33
— s 67.
31 —
71.
36
— - 68.
60
108.
46
— * 82.
74
116.
51
— - 69.
78 —
90.
72
— = 65.
93 —
129.
86
— : 77.
100 -
131.
143.
118
— * 66. 98.
: 117 -
127.
Decalogus
140.
b) roiebcrfyotte SCRetobieen eigener spfalmen bei SBeja.
! o b ie !
c) rciebertjotte eigne SEJtaafie, ot)ne 2Bicbcrfyotung bec
spfalm 75. 135.
80. 94. 105. 2U6 [ecbjter galt tritt spfalm 134 fn'nju, ber mit «Pfalm 100. 131. 143, bie in ber SWe--
■ 93. 129. lobie übereinftimmen, unb unter b. crroätmt finb, glcicfjcS SWaaf t>ot.
s 126. 148.
d) SBicbcrfjoIte SOlaaße SDcarotö of)ne ßntlcfjnung ber 50teIobieen.
1. Sie gleiten SJcaafce be6 24. unb 113ten spfafmö in bem 62. 95. III.
2. SDag SCRaaf bc$ 38ften ^JfalmS in bem 61.
3. £a$ sDcaaf beä 7ten «PfatmS in bem 59.
•
249
oergltcbcn, jeigt ficb minter reich an melotifcben Sonnen« unt ten einjelncn ©attungen ter oorfommenten
Strophen, reicher tagegen an ten einzelnen Sornun tiefer legten.
Ü$ liegt hier außer unferem 3we<fe, alle tiefe einzelnen gönnen einer genauen, in fräs ©inline
gebenten ^Betrachtung \u unterroerfen , fo unerläßlich auch biefelbe, für ftd> genommen, tem gorfeber fepn
mag. üßir befebränfen fte an tiefem £rte auf bie, urfuntlicb aus bem SSolNgefange entlehnten Stro=
pbengattungen, unb auf diejenigen, welche mir, auch biepon abgefeben, in ten lutbcrifcfyen Äirchengefang
berübergenommen fincen »erben, ^me erften follen une hier befchäftigen, tiefe anteren am Scbluffe
unferer Unterfudumg, wo mir jene* entlehnen* }U getenfen haben werten.
2>en SDielotieen ter SSeza'fcben wie 9Xarorfcben ^falmen ift felbft tie Strophe tes teutfeben
S>olfslietes nirfit fremt. 2Bir ftnben
1) tie »ierjeilige, turebbin adnfrilbige, tambifche Strophe teö SiebeS
,,'2fu§ frembten Santen fomm" ich h.er,"
welche tem SBeibnacbtsliebe: ,,S>om Gimmel hoch ta fomm ich her" unt mit ihm pielen unferer geiftlicben
Bieter eigner, in tem lOOften, 13 Ifen, 134ften, 142ften 5])falme, tie fämmtlicb oon S3e;a fyerrübjen.
2) £ie fechSjeiltge, ebenfalls turchau» acbtfplbige, iambifebe Strophe, tie jumeift bei ten
teutfeben Sergreiben ftch ftntet, unt tem Aatecbiömusliebe
Xktcr unfer im £)immelreich,
fo wie einer großen 2fn$abJ anterer angebort, treffen mir in tem 117ten unt I27ften 9-Valme an : beite pon
Seza'S Arbeit. Cfter noch begegnen mir in CÜZarotS Q)falmen einem Srropbenbaue foleben Ur=
fprunge?. So ift
3) bie f e d) S $ e i l i g e, tambifche Strophe be» 2iebe»
Snfbrucf ich muß tich laffcrt
aus $mei gleichen, trei,eiligen ©efä&en beftebenb, jebeS pon ,wei weiblichen, ftebenfplbigen Seilen, unb einer
männlichen, fechSfnlbigen, bem 6ten 5)falme eigen. Sie gehört aber auch tem franjöfifcfaen 2iete; mir
fmten, mie jusor er,ählt motten, aufgezeichnet, baj? tie Aenigin tiefen $falm auf tie ÜRelotie te§ @efan=
ges ter ^offenreiper (sur un air du chant des bouffons) jit fingen pflegte.
Biebern lutberifchen Airchengefange fo gewöhnlichen gormen ter fiebenjeiligen Strophe
fennt ter caloinifche nicht, felbft tiefe Strophe an ficb ift bei ihm nur in jwei einzelnen, ungewöhnlicheren
Aushebungen anzutreffen, pon langen, 5ebn= unt elffplbigen, fcbwerfälligen 3eilen. dagegen fömmt
4) bie gebrduchlicbfte Strophe tes teutfeben 83olfsgefangeS, tie acht j eilige tes Siebet :
2Ba3 wirb e$ boeb, bes" SBunberS noch,
tie wir, neben pielen antern, in tem geiftlicben Siebe ,,£urcb tftams gatl ift ganj perterbt" wieterftnten,
un§, freilich einmahl nur, in tem 91ften $)falme entgegen. (Sine antere gorm tiefer Strophe, eben auch,
wie tie bezeichnete, auf regelmäßigem SBecbfel weiblicher unt männlicher 3eilen beruhent, nur mit Vorgänge
ter weiblichen, gegen ten tort obwaltenten ter männlichen, unt mit ruberen Seilen — fiebern unt fed>^-
fnlbigen, gegen tie adu= unt fiebenfplbigen jener Strophe — ift
5) bie be$ SiebeS :
Entlaubt ift uns ber SBalte,
tie wir am früheften auf tas SJiorgenliet : ,,3d) tanf bir lieber £erre" übertragen faben, unt tie feit ter
fdwnen, ebenfalls einem weltlichen ©efange entlehnten 2Beife te$ Siebe? : „.freilich, tb,ut mich, perlangen"
= . SEiWtrfctt, ttr tranätl Gficralijefaiig. 32
250
eine ber ofteft »orfommenben beS luthcrifchen Äird)engefange3 ift. Sie gehört bem 128ften unb 130ften
"•pfalme, unb if)r 9fhptl)mu3 ift jugleid) ber einer SBolte, eine§ im 16ten 3af)rf)unt)erte fet>r gebräuchlichen
franjoftfdjcn £anje3, auf beffen SBeife bie 4?erjogin »ort SSalentinotä ben legten beiber pfalme ju fingen
pflegte. fluch ift biefe ©tropfe bem Siebe eigen :
Languiray je plus guerc,
Languiray je toujours? etc.
SBir haben l)ienad) in ben ernannten jefjn ^fahrten fünf gormen beS beutfd)en SSolfSgefangeö,
von benen jwei auch bem franjbftfcfyen eignen. flnbere brei finb uns> al§ biefem legten angehörig bezeichnet,
unb wir ft'nben fte in »ier anberen $)falmen. Csinen befonberen 3?eij t>at bie Strophe bes> 38ften unb
Giften ^PfalmeS, bem fran$bfifd)en Siebe entlehnt:
Mon bei ami, vous souviene
de Piene etc.
Sie ift fed)3jeilig, trod)äifch, unb tt>etlt fiel) in jmei gleite ©efä^e, »on jwei weiblichen unb einer mann»
liefen Seile. £>er Sortfd)ritt von ber erften, ad)tfnlbigen, ju ber britten, fiebenfnlbtgen, wirb burd) bie
jweite, »ierfplbige, — bie 4?älfte, faft 91ad)flang nur ber erften, — unterbreiten, unb bod) auf anmutige
SBeife eingeleitet ; burd) bie Sieimpaare ber erjten unb jwetten, ber eierten unb fünften Seile, fo wie ben
3Jeim ber britten unb fedbften, erhält ba§ ©anje inneren 3ufammenl)ang unb fein 33au wirb einbringlid)er
nod) hervorgehoben. £)ennod) habe id) nid)t ft'nben tonnen, baf? biefe ©tropfe früher aB gegen ba§ Cmbe
be§ 17ten unb ben Anfang beö 18ten SahrhunbertS ©ingang gefunben hätte in ben lutherifd)=et>angeltfd)en
Äircfcengefang, wie mir benn aud), auf er 9tid)tere> brei Siebern :
#üter, wirb bie 9cad)t ber Sünben,
ntd)t oerfd)winben it.
SCReine flrmutl) mad)t mid) fd)reien tc.
2Bo ift meine Sonne blieben ?c.
feine älteren befannt finb, bei benen fte angewenbet wäre.
2)te ©tropfe bej> 42ften *PfalmS (Ainsi qu'on oyt le cerf bruire) ift urfprünglid) bie eineö 3agb=
liebeö, nad) beffen Sßeife ^einrieb, ber Zweite als Dauphin i(m ju fingen pflegte, ©ie ift trod)äifd), ad)t=
jeilig, »on jwei ©efäfcen. 3n bem erften wed)fclt eine ad)tfi)lbigc, weibliche Bette, jweimal)l mit einer
ftebenjeiligen, männlichen; in bem ^weiten ift ein männliches, ftebenfplbigees 3eilenpaar, einem weiblichen,
ad)tfplbigen »orangeftellt. liefern S5aue fd)lief3t aud) bie Stellung ber 9?eime fid) an. Seit bem 17ten
jafjrhunberte ift biefe Strophe in bem lut()erifd)en Äirdjengcfange febr beliebt geworben *, wir jäf)ten gegen=
wärtig mehr als 70 Sieber, benen fie angehört, auch Mbet fte bie ©runblage mehrer anberer 9JMobieen.
©ben fo gehört Ijieljer bie fed)öjeilige tambifd)e Strophe be3 43ften $Pfalme§: Kevenge moi,
prends la quereile clc, ben jtönig flnton »on 9cat>arra nach einer bransle de Poitou, einem *>olf"3tl)üm=
liehen £an$e, ju fingen liebte. Sie bilbet fid) burd) brei jtvcijetltge ©efäfce. Sn bem erften wechfelt eine
neunfplbige weibliche 3eile mit einer ad)tft)lbigen männlid)cn; in bem jweiten wieberholt fid) bie anfängliche,
weibliche 3eile beS erften ; ba6 britte wirb burd) jwei männliche Beilen gebilbet : eine längere »on ad)t, eine
fürjere »on fed)$ Selben, liefern S3aue folgenb reimen auch bie gleichen Seilen, bie leiste aber auf bie ihr
ähnliche, vorlebte.
251
©nblicb, barf hier nicht übergangen werben, bafi ber »on SJiarot übertragene lOte $Pfalm tbeilweife
cäi Umbicb tung *) eine£ franjbfifcben ßiebeSliebeS erfcfjeint, unter ^Beibehaltung feiner ©tropfe, wenn aud)
nicht feiner SSKefobie. Die ©rropbe ift eine jener jwei fchwerfäüigen gormen ber fiebenjeiligen, unter benen
mir biefe in bem franjöftfd)en^)falmbucb,e aUein antreffen ; bie urfprünglicheSDiclobie ftnbet man in ber, unter
bem SSitel „Souter liedekens" ju Antwerpen 1540 bei «Simon Gocf erfcbienenen, flamlänbifd)en ^Pfalmen--
überfe^ung auf ben 72ften $>falm angewenbet, fie ift auch, von ßlaubin ©ermift) merftimmig gefegt in ben
1531 ju |)ari§ von Pierre tfttaignant herausgegebenen Trente sept chansons musicales a quatre parties.
©ine achtftimmige ^Bearbeitung berfelben, ber jebod) nur ihre ©runb^ügc untergelegt finb, enthält baS 13te
33ucb ber »cm Silman ©ufato ju 2£ntwer:pen um 1550 gefammelten ©efänge (Chansons) ju fed>§ unb acht
©timmen. Diefe ©tropbe jebod) fo wenig, aß bie jur»or befcbriebene fecbSjeitige, haben in bem lutberifcben
Äircbengefange ©ingang gefunben.
$aben wir un§, biefem allem jufolge, überzeugen fonnen, bap ber ©tropbenbau unferer $>falmen
in »ielen gällen bem be£ beutfd)en mie franjofifcben SSolfSliebeS übereinfomme, fo ftnben mir aud) in ihren
SSJfelobieen »olfSmäfjige tfnflänge, obgleid) biefe in ben meiften fallen bei ber jtattgefunbenen Überarbeitung
oerwifcbt fetm werben, 9camentlid) ijt ber ungerabe Saft in feiner einjigen biefer ©ingweifen burd) ba3
©anje »orherrfcbenb, unb eben fo wenig in einem abgefonberten Sbeile irgenb einer unter ihnen al$©egenfa£
be$ geraben SafteS, wie mir SSeibeS in SSurcarb 2Balbi§ $)falmenmeifen antrafen, bie hierin ben twlfS-
mäßigen S£on abftcbtlid) unb bemüht anfchlagen. "tfuf rrmtbmifchen SÖSechfel finb nur jwet unferer $)falm=
meifen burdbhin gegrünbet, bie be§ 42ften unb 141ften ^PfalmeS; tbeitmeife jeigen ihn bie ÜJJielobte be3
29ften, weniger bie bes 25ften, 33ftcn, 38|ten unb6lften; nur ju Anfange bie be§ 56ften, 140ften, ber
jebn ©ebote, unb bes> 148ften. ^Betrachten mir jene SBeifen tnSgefammt nach ihren Tonarten, fo erinnern
mir un§ junächjt, bafj bie 3al)l ber SÖMobieen, bei Stnwenbung mehrer unter ihnen auf Sieber gleichen
©tropbenbaueä, nicht ber ©efammtjahl ber Steber übereinf ommt : e§ finb ihrer nur 125 auf 152. SSon
biefen Söielobieen gehören nun 57 im ©anjen harten Sonarten an; unter ihnen bie meiften (38) ber
ionif d) en, nämlich 27 im Umfange oon F mit 33orjeid)nung eines 1>, 11 in bem bon C ; nur 19 — bie
£alfte jener — eignen ber miro l» bifdben SEonart in ihrer urfprünglichen ©eftalt; in oerfefcter fommt
biefe nicht »or. Dagegen finb ber SRelobieen weicher Sonart 68; bie meiften borifd)er, nämlich 25
•) £>ag Cieb tautet:
D'ou vieot cela, belle, je vous supply'
Que plus a moy ne vous recommandez ?
Tousiours seray de tristesse remply
Jusques ä tant qu'au vray me le mandez !
Je croy que plus d'amy ne demandez,
Ou maulvais bruit de raoy on vous revelle,
Ou vostre cueur a faict amour nouvelle.
Sie erfte (Strophe beö lOten Walmi:
D'ou vient cela, Seigoeur, je te suppli'
Que loin de nous te tiens les yeux couverts?
Te cacbes tu pour dous mettre en oubli
Mesmes au temps qui est dur et divers?
Par leur orgeuil sont ardents les pervers,
A lourmenter l'humble qui peu se prise
Fay que sur eux tombe leur entreprise.
32*
252
urfprünglicher (in D ohne SSorjeichnung), 22 verfemter (in G mit vorgejetchnetem b); ber äolifchen
geboren 10, nämlid) 9 im Umfange v>on A, eine oon D mit »orgcscichnctem b; bev pfyrngifcfyen enblid>
II, 10 im Umfange tton Ii, eine von A mit öorgejeicI)netcm b. Die meid) e Sonart fjat alfo ba§ Übevge=
mifyt über bie f)avte, bie fird)lid)e über bie oolfSmäßige; bas> SScrbältniß jener erften beiben
(08 : ö7) ergiebt ftd) au§ bem ©efagten, ba» ber legten (teilt fiel? ()erau§ auf 77 gegen 48. Unter ben
fird)lid)en Sonarten aber fielen bie mirolwbifd)e unb pl>rpgifd?e in ihrem ftrenger geifilichen ©epräge jurücf
gegen baS, bem uolfSmäßigcn nähere, eine Skrfchmeljung, einen Übergang, »ermittelnbe Dorifd)e. Die*
fe§ ift in feinen beiben ©eftalten -47 SDiafyl oorfyanben — eben fo oft faft aB bie fd)on weltlicheren Sonarten,
ba§ '#olifd)e unb 3onifd)e, jufammengenommen — jene finben ftd) inSgefammt nur 30 SttabJ, bas> 9Jciror»=
bifcfye, rote bemerft, in 19, ba§ ^>f)n)gifd)e in 11 gällen. SBir treffen alfo in bem calüinifchen Äird)en=
gefange alle bie 33eftanbtl)eile voieber an, bie bem ©cfange einer ©emeinc aB fold}em eignen ; ba3 f8olfj>=
mäßige, ba3 ©eiftlid)e, burd) jenes? gemilbert, if)ta näher gebracht; unb eben beg()alb vermochte er aud)
SBurjel ju faffen im £>olfe, unb ju bauern. Allein um bei il)m auSfcbJießenb ju verharren in feiner ftren=
gen ©efd)loffcnl)eit, beburfte eS aud) be§ gefthaltenS an jener gerben Zxt be§ beginnenben @alviniSnuB,
ber, von bem bisherigen Jlird)entl)ume ftd) gdtijlid) trennenb, feine äußeren gönnen unb 3eid>en aB abgbt=
tifd) buref/hin vermarf, unb nid)t, mie bae> 2utl)ertl)um, jene nur reinigte unb barauf fortbaute, biefe aB
unanftößig begeben ließ; bem bie Jtunft aB ein SKittel ber S5erfül)rung galt, unb ber alfo nur unter enger
Umgrenzung fif>t Siaum unb ©ingang gewähren fonnte, fofern fie nid)t hinausging im ©efange über baS,
aB ©otteSmort unmittelbar (Mannte. Dicfe ©inncSart mürbe aber offenbar genährt unb erhalten burd)
bie oon @alt>in eingeführte, mit'ber bürgerlid;en eng verflochtene, ba§ gefammte Sehen bef)errfd)enbe,
ftrenge Äird)enorbnung. 2Bo biefe nicht beftanb, ober nid)t erhalten werben fonnte, würbe aud) jene Um=
grenjung balb burd)brod)en, unb für größeren ©d)mucf ber fird)lid)cn geter baS ©ebiet beS lutb,erifcb,en
£ird)engefange§ in 2lnfprud) genommen. 9J?an mar baju fd)on genötigt, fofern man nid)t bei ber, bie
gefte auSfcbJießenben Drbnung ber ©enfer ,Kird)e eS bewenben laffen wollte. §ül)rte man biefe wieber
ein, fo fonnte man mit bem ©cfange ber ^Pfalmen allein nicht mehr ausreichen. 9cun ift eS zwar nicht ju
leugnen, baß in benjenigen ^)falmen, meldten aB meffianifchen vor ben übrigen eine befonbere Söürbe
unb 2ßeib,e beiwohnt, 33ieleS für d)rifilid)e gefte ©ceignete, fie SSejeid^nenbe, gefunben wirb ; baß aud) in
ben übrigen, fofern fie nid)t, ihrem Inhalte nad), jumeiji an »evfönlid)e 83crl)ältniffe il)ver Did)tcr ober an
3eitereigniffe ftd) fnüpfen, gar viele vro»f)etifd)e £inbeutungen auf ßbjiflum anzutreffen finb ; baß in allen
ohne 2uBnaf)me bie S3erl)eif3ung t>on ber ©rlbfung, ber SScrgcbung ber ©ünben unö begegnet. Scnnod)
ftnb unter allen biefen fjervltcljen, propl)etifd)en ©efdngen, biefen begeifterten S3et= unb £>anflicbern, gar
wenige, bie für beftimmte d)riftlid)e gefte, ihrem ganjen Snha^e na^/ a^ mal)re gcftlieber anjufehen
mären. X'er 22fte ^)falm, „üftein ©Ott, mein ©ott, marum l>aft bu mich werlaffen," beutet, jumahl in
. feinem lften, feinem Hten unb 9ten, feinem löten big 19ten 83erfe, auf ben gefreujigten, vergotteten @r--
Ibfer, feine burchgrabenen ^»dnbe unb Süjje, il)n, beffen Kleiber man theilte, um fein ©emanb baö 2oo§
marf; ber O'Jfte, in feinem 21ftcn unb 22fien Sierfc, auf fein oon ber ©d)mad) gebrochene^ ^>er§, baö
feinen Srbfter fanb in feinem Sammer, auf ben, in feinem großen Surfte mit ©alle unb (Sfftg ©ctränften.
Der IGte 9>falm in feinem lOten, ber 24fte in feinem 7tcn bis> lOten S3erfe, meifen t)in auf GbrijhB ben
Srftanbenen, beffen (Seele nicht in ber 4?6tlc bleiben, ber nid)t bie 33ermcfung fel)en follte, bem bie Ähore
roeit, bie Shüren t)ocf) gemacht roerben follen, baß er einjiehe, ber jtbnig ber @hvcn 5 ^er &fU, feinem
•
253
ganzen Inhalte nach auf bie Himmelfahrt, vor Willem in ben SBorten : ©ort fahret auf mit Saucbjen, unt-
rer Herr mit geller ftofatou ; fo aud) ber 68fic, jumaf)l in feinem 19ten Skrfe : 25u bift in bie Höbe gefab=
ren, bu Ijaft baö ©cfängnifj gefangen gefübret. ©et 118te, ein (jotjeö herrliches £>anflieb, ermuntert jur
^fingftfreube : 3)tc6 ift ber Sag, ben ber Herr macht, lapt un§ freuen, unb frölieb barinnen fecn : — ber
^err ift ©ort, ber uns erleuchtet, Schmücfet baS geft mit Sftanen bis an bie Horner beS 2Cltar§ ; ber 48ftc,
84ftc, 87fte, 122fte, greifen baS neue Serufalcm, bie üirerje ©otteS : ©rofj ift ber Herr, unb bochberübmt
in ber Stabt unfcreS ©otteS, auf feinem heiligen SBerge; — SBie lieblich, finb beine SBobnungen, Herr
3cbactb, meine Seele »erlanget unb febnet ftd) nach, ben SSorböfen beS Herrn' metn Setb unb Seele freuen
ftd) in bem lebenbigen ©Ott; — «Sie ift feft gegrünbet auf ben heiligen SScrgen, ber Herr liebet bie Shore
SionS über alle SSobnungcn SacobS ; — 3d) freue mich bep, baS mir gerebet ift, bafj mir werben in ba?
Hauö bes Hcrrcn 9eben, untl taP un'"ere 3»Pe »erben ftehen in beinen Thoren, 3erufalem. 2>iefe uralten,
heiligen ©efange follen unb werben ber cbrijtlicben .Kirche in jeber ihrer ©eftalten ein foftlidjeS Ületnob fe»n,
oon bem fie nicht (ift; allein ihre gcfteSfreube will fte auch "16 eine gegenwärtige fühlen, nicht in ber 3$er=
beißung allein, fonbem auch i« ber Erfüllung; ber 9Jiunb foll beffen übergehen, wovon baS HerJ »oll ift,
ber Siubm be§ Herrn l'oll in ber Erinnerung an alle feine herrlichen SBerfe, feine unenbliche ©üte unb ßiebe,
immer lebenbig fich erneuen, baS von ihm burchbrungene HCI'J immer frifche S5lüthen beS SobeS, beS
£anfe3 entfalten ! Sie will bem Herrn baS t£>r anvertraute ^)funb mit SBucher jurüefgeben, unb in biefem
Sinne ihn nicht allein, wie ßaloin empfiehlt, mit bem SBorte loben, baS er ihr unmittelbar in ben SKunb
legte, fonbern mit allen grüebten beS ©cijteS, bie aus? ihm gereift finb ! Unb fo foll auch in ihrem heiligen
©efange nicht ein S£f>ctl ber Schrift allein fortleben, wäre eS auch ber hcrrlicbjte, fonbern biefe foll in ihrer
©efammtheit ihn erfüllen, wie ein flarer 2ebens>quell ihn burchbrtngen, in fteter Verjüngung fich als? folcber
bewähren! — S'egfjalb würbe auch von ben beutfehen unb hoUänbifchen ßalvinifien, wo bei ihnen ber
Sobwafferfche ^)falter eingeführt war, ber Langel ber geftgefänge jumahl, aber auch anberer, ben S3e
bürfniffen ber ©emeine entfpreebenber Steter lebhaft empfunben. 7ÜS um 1646 $>eter Scholl, Singmeifter
unb S>orfänger ber hochbeutfehen reformirten ©cmcine ju 2lmfierbam, bei Submig (5l§eoier bafelbft ben £ob=
wafferfchen kalter mit ben »ter= unb fünfftimmigen £onfäl?cn ßlaubinS le Seune berauSgab, nebft bem
.Katechismus, ber Üiturgie unb jUrchengebeten, rjatte er ihm noch 121 ©efänge mit SJielebieen beigefügt,
biejenigen nid)t gerechnet, welche nicht bamit verfeben finb; unter ihnen 28 ^»falmlieber, 8 Schriftlieber,
9 ÄatecbiSmuelicber, 34 geftgefänge, 42 £ebr= unb SSroftlieter. Harten nun l>iert«cb ßaloiniften, ober
SJeformirten, wie man fte nannte, allerbingS SSeranlaffung, auS bem retchen Schate beS lutberifcben Äir=
cbengffangeS ju entlehnen für ihre firchlichen SSebürfniffe, fo haben boch wieberum auch bie gutberifeben fich
Einzelnes ton ihnen angeeignet; von ben Sobwaffcrfchen $>falmliebern nicht allein, fonbern auch von ben
alten Singweifen beS franjbftfdien ^PfalterS, ju anberweitem, firchlicbem ©ebrauche; feit ber jweiten
Hälfte bes 16ten JabrbunbertS bis in baS 18te hinein. 9EJian wählte baju 93ielobieen auS allen Strophen=
gattungen, bie fiebert-, neun= unb jehnjeilige aufgenommen; fünf au§ ber ionifchen 5£onart*j, vier au§ ber
mirolwbifchen"), brei au§ ber borifchen"*), einen auS ber phrDgifchenj). 9htr einengall finbe ich, wo
•) spfalm 25. -42 . 66. 134. 140.
••) $falm 19. 74. 93. 103.
•") «Pfalm 5. 23. 77.
i) ^falm 83.
254
Die Galuinijlen Die SKelobie eines älteren beutfcben ^PfalmliebeS entlehnten, ober wo biefelbe auS einer
gemeinfcbaftlicbcn früheren £luelle beiberfeitS gefd)6pft würbe*). Hilter ift fte ohne ßweifel, als SEßarotS
36flcr ffalm, gefcbwetge benn SBeja'S 6811er, mit benen fte in bem franjoftfcr/en $>falmbud)e erfdjetnt. Senn
ir>ir finben fte bereite 1525 ju bem oon SttattbiaS ©retter über ben 119ten spfalm gebid)teten ßiebe : (§S
finb bod) feiig alle bie ic. in einer t>on SBolf Äöpbl ju Strasburg herausgegebenen geijllid)en 2ieber=
fammlung, unb auf fte weift in bemfelben Sab" ein ju Dürnberg bei ©eorg 2Bacbter gebrucfteS einzelnes
*Blatt jurüd, baS ©ebalb £er;benS ^afftonSlieb : „£> Sölenfd) bewein bein' ©ünbe grofj" enthält,
nad) welchem wir fte jefct nod) gewöhnlich ju nennen pflegen. Sie ©tropfe ihres ßiebeS ift jwar einigen
älteren gemeinfam, eS finb aud) in einzelnen gallen neue melobifdje gormen berfelben angepaßt worben,
bod) finb biefe jeberjeit »on ber alten ©ingweife, beren Ursprung wir nicht bober, als bis ^u bem 3af)re
1525 verfolgen fonnen, wieber »erbrängt worben. Siefe ©trophe ift jwblfjetlig, auS »ier ©efä^en, von
bret 3etlen ein jebeS, gebilbet, in benen gleichmäßig jwei männliche, acbtfplbige, tambtfdje Seilen, einer
weiblichen, ftebenfplbigen uorangeben. 3n bem elften unb ^weiten wieberbolen fid) biefelben melobtfcben
Sonnen, bie beiben legten haben felbftänbige. 3r)r, bei aller Sänge, bod) in feiner ©tieberung leicht über=
ftcbtlicher SBau, baS 55orhcrrfd)en männlicher Seilen, beren Sftachbrucf burd) ben 2Bed)fel mit weiblichen nod)
hervorgehoben wirb, baS fühne 2lufftrebensim ^Beginn ber SSJlelobie, geben ihr eine gewiffe SJZajejtät, welche
fte jumahl für ©ebalb #e»)benS 9)afftonSlieb — ober eigentlich bie in ein Sieb gebrachte ©rjäblung »on bem
Reiben unfereS £errn, jum ©ebraud) in ber @barwod)e an ber ©teile ber früher übltdjen 83orlefung ber
^afftonSgefchichte nach ben oier (Soangeliftert — wohl geeignet macht. 9cel)men wir biefe ©ingweife auS,
fo hat bie lutherifche £ird)e im 16ten Sahrhunberte beren jwei »on ber cawinifeben entlehnt: bie SBeife beS
134ften $>falmS ju $)aul (SberS ßiebe: „4?err ©Ott bid) loben alle wir" für baS SEfticbaeliSfeft; unb
bie beS Hüften, bie zugleich ben gefjn ©eboten gemeinfcbaftlid) ift, für baS »on bemfelben geiftlichen Siebter
in Keime gebrad)te ©ebet SofapbatS: „SBenn wir in höchfien SJUtljen fer>n," wobei jebod) bie
©trophe biefer ©ingweife mit ^Beibehaltung ihrer melobifchengormen umgebilbet unb ber beS juv>or bemerk
ten Siebes gleich gemacht würbe, ©o haben benn nunmehr beibe SEftelobieen biefelbe, vierteilige, auS bem
SSolfSgefange entlehnte ©trophe gemein, von gleichen, männltd)en, achtfplbigen Seilen ; eine in bem lut(?e=
rtfchen Jtircbengefange fef>r oft vorfommenbe, für welche baher abwed)felnbe, burch fird)ltd)en ©ebraud)
bereits geheiligte, melobifd)e formen ein SBebürfnifj fepn tonnten. 9lod) mehre unferer $)falmweifen '
eignete baS 17te Sahrbrnnbert ftd) an. gür baS SBußlieb Wlaxt'm SDpi^enS (1596—1639) : „£err ntdjt
fdjide beine 3?ad)e" würbe bie 9JMobie beS 77ften spfalmS gewählt, ber nur SÖielobieen fpäterer 8ie=
ber jur ©eite flehen, unb für baS ©terbelieb ©imon ©rafS, Pfarrers ju ©chanbau (1603—1649),
,,greu bid) fehr o meine ©eele" bie beS 42jten, neben welcher jwar ber lutherifche Äird)engefang
oiele anbere SJielobieen von ßiebern gleichen SCRaafieS heftet, bod) ebenfalls nur fpätere. Surd) beibe ßieber
finb bjenad) bie Strophen jener ^falme juerft auch in bie lutherifche Äird)e gefommen, unb allgemeiner
beliebt geworben, baher fte eine nähere ^Betrachtung oerbienen. ©te finb in beiben ©ingweifen tro=
d)äifd)en 9JiaafjeS, eben fo achtjeilige in beiben, unb auch auS gleichen SBeftanbtbeilcn gebilbete, nur
bafj biefelben hier unb bort anberS georbnet ft'nb. Sic ©trophe beS 77ften *PfalmS beflel)t auS üier 3etlen=
paaren, $wei weiblichen, ad)tft)lbigen, unb jwei männlichen, ft'ebenfplbigen, welche jweimahl mit einanber
') @. biefe SOJclobte 9fro. 72 ber aScifpictfammlung in JpanS fieo ^»a5(ei'6 oierftimmigem SEonfa^e.
255
wedhfeln. Diefe ftrib in jwet ©efd^e jufammengejtellt, in ber Tlxt, baß bie weiblichen Seilen in beiben
immer gleiche, melobifdje formen tyaben, bie beiben männlichen bagegen felbftdnbige; ein nicht
gewöhnlicher, melobt f d? e r, ben rfyptfymifcfyen eigentfjümltd) ^erworljebenber SSau, ber vielleicht bes?=
halb allgemeinere Beliebtheit gewann. £>te SBeife bes? 42jten *Pfalms?, bem franjbftfchen S3olfs?gefange
ursprünglich angel)brenb, »erbanft bie ©unft, welche fte balb, unb in reichem SEßaaß e fanb, jundchft wohl
bem in ihr oorherrfchenben, anmutigen, rt)t;tl;mifd)ert SSSedjfel, ber freilich gegen bas? @nbe bes? Sahrlntm
berts? entweber ganj befeitigt, ober in burdjweg »orherrfchenben, ungeraben Saft uerwanbett mürbe, woburch
fte benn, ftatt ber ernjten, beruhigenben ©cblußfdlle ihrer Seilen einen tanjdhntichen, hüpfenben gortfchritt
erhielt, ober einen gleichmäßig fortfchleichenben. Sh« «Strophe befielt aus? jwei ©efdfcen; in bem erften
mechfelt jweimahl eine meiblid)e achtfolbige, mit einer männlichen, ftebenfwtbigen 3eile; in bem jweiten
geht ein männliches?, ftebenfnjbtges? Seilenpaar, einem achtfwlbigen, weiblichen, ooran. Die $wet unb jwet
3eilen bes3 erften ©efdfces> haben gleiche melobifche formen, bie »ier bes3 jweiten felbftdnbige, unb in ihrer
urfprünglichen ©eftalt gehört bie SJMobie ber erften ^)dlfte jeber Seile bem ungeraben, bie lefcte bem geraben
Safte an : baher eben bas? ©eprage bes?, in ruhig gemeffenem Sortfehritte enbenben 2tufjtrebens3, bas?, bei
ungemeiner ©angbarfett, ber SSBeife einen fo großen 3?eij »erleiht, ben fte freilich jefet eingebüßt i)at. —
Die ©trophe bes? 25jten ^falmä ift auch btc ber Sieber: „20le 9Jlenfd)en muffen fterben;" „Du o fcb>
nes? SSSeltgebdube;" feine SKelobie fmben mir bem Siebe: 3d) will ganj unb gar nicht jweü
fein angepaßt. 2lud) fte ift trochdifd) unb achtteilig, wie bie bes? 42flen *Pfalms3, unb thetlt mit biefer ben
rhpthmifchen Bau, wie bie SBieberholung ber melobifchen formen in ben jmei legten Seilen ihres? erften
©efdl^es?; in ihrem j weiten bagegen flehen nicht Seilen paare neben einanber, fonbern männliche (fteben=
fßlbige) unb weibliche (achtfnlbige) Seilen gleicher tfrt ftnb üerfchrdnft.
3Bdhlte man bie eben betrachteten ©trophen unb ©ingweifen aus? SSorliebe für fte, aus? ©efallcn
an ihnen, ju Bereicherung bes? ©d)afeeö ber .Kirche an mannichfachen 95ielobieen : fo 50g man für anbere
Sieber mol)l bie firchlich bewahrten SÖMobieen bes? franjbftfchen ^Pfalters? beöbalb t>or, weil bie ©ingweifen,
mit benen fte juerft erfchienen, feinen 2lnflang fanben. @o würbe bem SefuSliebe bes3 Johann Angelus?,
bas> er nach bem Beginne bes? hohen Siebes?: „@r füffe mich mit bem Jtttffe feines? 9Jiunbes3" gebietet:
„Du 2(llerfchbnfter ben ich weiß" unb für bas? fonft fein anbereS 9!Kaaß eines? beutfehen, geglichen
Siebes?, alfo auch feine IRebenmelobie, üorljanben ift, bie SBeife bes? 83ften ^Pfalms? angeeignet, ftatt ber »on
©eorg Sofephus? bafür eigenbs? erfunbenen. ©0 wählte man für bas?, ber legten £dlfte bes? 17ten Safyx--
hunberts? angehbrige 2lbenbmahts?lteb Soacbtm 9ceanbers?, 9>rebigers? ju ©. SDiartini in Bremen (f 1680
31ften Wlai) : 2£uf, auf, mein ©eift, erhebe bid), bie SBeife bes? 103ten «Pfalms?, für fein 9florgen=
lieb: D allerh bchfter 9Jienfchenhüter, bie bes? 5ten; für betbe gab es? in bem Äirchengefange fonft
weber gleiche Söiaaße, nod) 9cebenmelobieen, unb man fanb wohl weber bie t»on bem Dichter ihnen anfange
lid) beigegebenen, noch bie oon bem Sapellmeijter ©trattner fpdter bafür gefegten SKelobieen fo anmuthenb,
wie in anberen gdllen. gür ©ellerts? Sieb : SB t e groß ift bes? Allmacht' gen ©üte hatten im 18ten
3ahrhunberte0uanj unb Philipp Crmanuel Bad) jwar eigene 9)ielobieen erfunben: man fanb ihm jebod) bie
©trophe bes? 66ften (98(ien, 118ten) ^)falms3 übereinftimmenb, unb beren alte SOtelobte ben neuen an tixd)-
lid)er SSürbe überlegen. 2lußer biefen Siebern ftnb noch beren brei »on unbefannten SSerfaffern ju nennen,
welche in ihrem ©trophenbaue. unter beutfehen Siebern einjeln baftehen, unb auf welche bie mit benfelben
übereinftimmenben Söeifen bes? franjbftfchen ^)falters? angewenbet würben; bas? ©terbelieb (9)orft 850):
256 —
Sie 3eit geht an tue SefuS I; a t befiimmt, bem bie SJielobie beS 93ften 9}fatmS angeeignet ift;
t-ie SJiorgenlieber : 3d) banfe bir, o ©ott, in beinern Sfyrone ($)orft 635), unb: (Sobalb o
frommer ßfjriji ($orft 647), bie man nad) ben SBeifen beS 23jfen unb beS 19ten 9>fatm3 fang, ©o
bar benn ber lutberifebe Äird^engefang, wie er im ffieginn fowobj an Altfircr/lichcS ftd) lehnte als 33olf§*
mäjjigeS, unb, baS wefentliche ©epräge beS einen wie beS anbern ju einer neuen (Schöpfung werfcbmolj,
auch nidrt ücrfcbmäbt, von bem benachbarten ©ebtete beS calüinifchen geiftlid)cn ©efangeS ftd) ÜJ?and)eS
anjueignen, unb eS baburd) erft in ben Ärete lebenbiger, eigentbümlicher .Eunjtentwidlung eingeführt.
£cnn t»ie bei if)tn heimifcb geworbenen SÜMobieen, jumabl bie auS SSorliebe gewallten, würben nun Q£uf=
gaben auch für treflicbe Sonmeifter, bie if)ren inneren Steinum burd) f>armonifd)e Entfaltung an ben Sag
ju forbern (hebten. £>iefe batte ihnen nie ju S£l)ei( werben fonnen, wenn fte auSfcbltcßenbeS Cngentbum
ber @awinifd)en geblieben wären. Denn felbft ber merftimmige ©efang in einigen .Kirchen berfelben, wie
er in 3ürid) bis auf unfere Sage fortbefianben haben foll, wie er nach, bem, juüor aus 9KarfcballS SBorrebe
feines spfalterS 9Jiitgetheiltem, aud) in SSafel eine 3eitlang eingeführt gewefen ferm wirb, lehnte ftd) ftreng
an beftimmte Sonfä^e, unb geftattete feine Abweichungen üon benfelben ; baS ©epräge ber ©efchloffenheit,
einer ftreng abgegrensten, blofjen Dulbung ber Äunft, bie eine wirtliche 33lütl)e berfelben gänjlid) hemmen
mufjtc, trat auch hierin beroor. 25ennod) ift eS nid)t unwichtig, ju betrachten, in welchem S3erhältniffe jene
Sonfäfce ju ber Äunjl ihrer Sage, unb ber Solgejeit geftanben hoben, unb wir finben unS baburd) »eran=
lafjt, bei ihnen, jum ©d)luffe biefeS AbfcbnitteS, nod) einige Seit ju »erweitern
35er Sonfä^e ßjotiMitters über bie Sülelobieen beS franjoftfeben ^falterS finb 151; benn ber
über bie gleiche 9JWobie beS 14ten unb 53ften ^falmS ift aud) in ben begleitenben Stimmen wollig berfelbe,
waS, aud) bei Übereinftimmung ber©ingweifen, ftd) fonft nicht wieber ftnbet. 3m ©anjen febren 19 $Rdo--
bieen in 27 fallen wieber*). ©erSonfafj ift meift einfach, 9cote gegen 9<cote, unb bie^auptmelobic ftnbet ftd)
in ber Sfegel bem Senor jugetbeilt, wowon jebod) 17^)falmen eineAuSnabme machen, beren 129ftelobieen in
bie£berfiimme gelegt ftnb**). Aud) v>on bem einfachen ©a£e meid)t ber SSJceifter juweilen ab, gewöhnlich bei
folchen Pfannen, beren 9flelobieen öfter toorfommen (wie bei bem 63. 65.66.68.76.77.82.109.117.139.
140. 142ften). 4?ier beginnen nicht aUe@timmen ju gleicher3ett ihren ©efang, noch boren fte am Scbluffejeber
einzelnen 3eile mit einanber auf. @S flid)t ftd) hier ein fortgcl)enbeS Songewcbc jufammen, in baS bie$aupt=
ftimme gleich einem feften ©efange eintritt. Snbem 139jten*Pfalm wirb fogar bieSftetobie alSßanon jwifd)en
ber rberftimme unb bem Senor eingeführt. Auch bei ben Sonfä^en, wie bei ben 5D?elobieen , hat bie
") ©6 fyaben gleite SDMobieen :
ber 5. unb 64. «pfalm. ber 60. 108. «pfalm.
17. 63. 70. ' .- 65. 72.
: 18. unb 144. = 66. 98. 118.
24. 28. 62. 95. 109. III. .-74. 116.
31). 76. 139. 77. 86.
- 31. 71. s 78. 90.
•- 33. 67. s 100. 131. 142.
« 36. 68. , 117. 127.
' *r>- 82. 140. unb ber Decalogus.
51. 69.
") ©er 28. 30. 34. 35. 40. 43. 61. 76. (gleicher SCHel. mit bem 30|ten) 77. 81. 86. (gleicher SKel. mit bem
77jten) 109. (gleicher SSKel. mit bem 28flen) 117. 127. (gleicher mi. mit bem 117ten) .129. 139. (gleicher 9M. mit
bem 30ften unb 76fien) unb I46fte ^Pfatm.
. 257
weiche Xonaxt ba§ Übergewicht über bie t) a r te; in biefer legten ftnben ftd) beren 67 , bagegen
85 au§ jener erftcn**), wenn roir ben über ben 14ten unb 53jten spfatm für jwei bcfonbere rechnen.
@leid)e SJMobiccn jtnb metjl aud) in übereinftimmenbem Sonumfange gefegt, mit nur jwei Ausnahmen ;
bie SBeife be3 24jten (bortfcben) ^)falmö ift in D, bem urfprünglid)en Umfange ihrer Sonart, eingeführt, bie
tf>v gleiten be§ 62ften, 95jten, 1 Ilten aber in bem üerfefcten (G mit »orgejeicbnetem b für bie britte
«rufe) ; bie 9)}elobic bcS 18ten (tcbt in G mit ber fleinen SEerj, bie ihr übcrcinfommenbe beS 144ften aber
in A. Die Sonfafce au3 ber ionifcb en unb mirolt)bifd)en SEonart enbcn fdmmtlid) in vollen, auf
ber .Cbcrquinte ibreS ©runbtonee! eingeleiteten £onfd)lüffen, mit 2luänal)me eines» einjigen. Diefe 2lbwet=
d)ung ftnbet bei bem 139ffcn spfalm ftatt, beffcn ©ag aud) fonft burd) feinen nur eben befd)riebenen S5au
fid) cor allen übrigen au3$eid)net. (Sr leitet feinen halben miroh)bifd)en ©d)Ut£i auf C, ber £)ber=
quartc (Unterquinte) feinet ©runbtons> ein. Die ©dfje au£ ber b o r t f d> e n unb do l i f et) e n Sonart,
urfprünglicben ober oerfegten Umfangt finb fammtlid) voll gefd)loffen, bie au3 ber pbr» gif eben jwar
burebgängig nur t> a l b, aber rtidjt auf eine SBetfc, wie fie biefer SSonart eignet. "MB ©d)lufiton beei S5af=
feS erfebeint ndmlicb nicht ber ©runbf lang ber Sonart, fonbern feine Unterquinte ; in bem vbrl)9'Wen Wm=
fange v>on E alfo A, in bem r>on A mit ber fleinen Dberfecunbe (b) alfo D; unb ber I£onfd)lufj wirb auf
ber £berquarte (ober Unterquinte) biefer Zone eingeleitet, ber fleinen £>berfeptime be§ magren ©runbflan=
geS; im urfprünglid)en Umfange ber Sonart alfo auf D, im ixrfejstcn auf G. Der 142jte $Pfalm ift ber
einige, ber einen wirf lieben, halben pf)n?gifd)en $Eonfd)lufi in E barftellt***).
9lad) biefem allem barf ben Sonfdgen ©oubimelS nur ein bebingter Sßertb. jugejtanben «erben.
Da bie SDMobie bei ihnen jumeift in ben Senor, eine SJiittelftimme, gelegt ift, fo fann ihr barmonifd)er
Inhalt, bie befonbere 28eife, wie bie ©runbtonart eben in ihr ftd) barftellt, burd) bie begleitenben ©timmen
nicht genügenb hervortreten, benn tiefe laffen e§ nicht ju, ba fte gumeift ftd) über ihr bewegen, unb fte »er=
bunfeln. 3hr rfn)tbmifd)er S3au allein fann bei bem einfachen ©a^e iJcote gegen iJlote ftd) einigermaafjen
geltenb machen. 3llle biefe ©d^e theilen jenen Sehler mit benen ber beutfd)en Sonfe^er ber erften £älfte
be§ Sahrhunbei't§, hinter benen fte jebod) an fünjtlerifcbem 9teicbtf)iim weit jurüdfteben. Der ©d^e, in
welchen bie SJMobie oon ber £berftimme geführt wirb, ftnb nerhdltnipmaf ig nur wenige, feigen fte ein
fünjtlicbereS Songewebe in ben begleitenben ©timmen, fo beeinträchtigt btefeS nicht feiten bie flare Darle=
gung bes> harmonifchen 3nl)alt» ber SEJMobie, ohne burd) bie angewenbete jtunjt 3u entfd)dbigen ; ftnb fte
einfach gehalten, fo barf man fte oft auch bürftig nennen. Der Tlusmabmen ftnb nur wenige; ju ben
gelungneren S3ehanblungen bürfte bie be§ 77ften $)falm3 gehören. Zm meiften fühlt man ba3 Ungenügenbe
ber S5ehanblung ber mirolübifchen unb pt)n)gifd)cn Sonart, beren jebe nur in einem einjigen galle ben ihr
eigentümlichen £onfd)luf3 barjtcUt. Diefe Langel mögen e§ gewefen feun, burd) welche (Haut» in le
feinte bewogen würbe, ben gefammten franjbftfchen ^Pfaltcr abermals ju bearbeiten; bod) hat er fte wohl
nur gefühlt, nicht beutltd) erfannt, ihnen auch bei weitem nicht genügenb abgeholfen, dx war um 1550 ju
•) 15 aus ber urfprüngltdicn, 28 aue bec uerfc^ten ionifdjen Slonart, unb 24 aus ber urfprünglidjen
mtioli;btfd)en.
") 28 aus ber urfprünglidjen borifdjen Sonart, eben fo oiet aug ber ocrfe|ten; I! aus ber urfprüngtietjen
dotifd)cn, einer aus ber oerfegten ; !G auS ber urfprünglidjen pfjr» gif d) en, einer aus ber »erfe^ten.
•") S8on ben Derfdjiebencn germen beS @oubimc[fd)en Sonfa^cS über bie franjöfifdjen ^fatmmetobieen finb unter
ben Hummern 25 bis 31 (einfd)[tc^[id)) S5cifpicte gegeben.
s. ÜBintetfctt, ter etangcl. (SBcratgcfang. 33
258
SBotouienncS geboren, um SSielef jünger alfo als ©oubimel ; fein S£obe6jat)v wirb auf 1611 angegeben.
Demnach lebte er um bie 3ett ber fd)bnficn 5Blütt>e beS geiftlichen ©efangcä in älterem ©inne. Girfi nach
feinem SEobe, — - fo m'cl mir miffen, um 1613 jum erjlen 9ttahl, — gab feine ©chwefter ßacilie feine 33ear=
beirung bc3 $)falterS herauf, bie feitbem viele Auflagen erlebte: 1627 ju ^)ari§, 1633, 1635 ju ßevben,
1646 ju ^mjlerbam, alfo einer nicht geringen ^Beliebtheit genofj. ©eine ^Bearbeitungen umfaffen nur bie
$)falmen, nid)t bie jel)n ©ebote unb ben gobgefang ©tmeonf. Sie 3ai>l ber ISonfälje, bei benen bie 9Jce=
lobie in bie£bcrftimme gelegt ift, ft'nbet ft'd) l)ier um einige vermehrt; auch bei bem 53. 62. 63. 64. 68. 71.
98. 108. 116. 131. 144fren ift biefef l)ier ber gcrtl, 25 9Kab,l im ©anjen. Senn ßlaubin theilt
bei bem 76. 109. 1 27ficrt ^»falme bie SJMobie bem Scnor ju, wo ©oubimel ft'e in bie SDberftimme gelegt
hatte. Siefen S3erfal)ren l)at, wie e§ fefyeinf, feinen ©runb barin, bafj bie SJielobieen biefer $)falmcn aud)
anberen, früher vort'ommenben, gemeinfam ft'nb. Senn fianben bei ßlaubin bergleid)en SBeifen juerft im
&enor, fo gehen ft'e, bei ihrem abermaligen Grrfcfyeinen, meifjt in bie £)berftimme über ; waren fte bagegen
biefer, wie in ben brei bemerften Sailen, bereits früher jugetheilt gewefen, fo roerben fte bei if)rem fväteren
ä$orr"ommcn in ben Scnor gelegt.
ßlaubin hat aber auch jmblf feiner ^Pfalmen fünfftimmig gefeljt: ben 67 . 69. 70. 72. 82.
Mi. 90. 95. 111. 118. 139. 142jien. S5ei biefen enthält jeberjeit bie fünfte ©tjmme bie £au»tmelobie.
©ie foll jeboef) nur in fünf gäüen in ber vorgefd)riebenen SEonhohe (rote eS ftef)t) gefungen werben: — bei
bem 70. 95. 118. 139. 142ften ^falm: — eben fo oft bagegen eine £ctave höh er (bei bem 67. 69. 72.
82. 90ften), unb jmeimafyl um ein gleichet Sonverhättnifi tiefer (bei bem 86ften unb 1 Ilten). 'Xud)
biefe ganje Einrichtung grünbet ftd> auf ber von bem SDZeifter beabft'chtigten Abwechslung ber £onfä|e bei
^Pfalmen von gleich er SDMobie. SSon ben juvor genannten *Pfalmen haben bie beiben erften, unb, com
72ften an gerechnet, bie vier folgenben (mit ©infd)lup beffelben) einerlei ©ingmeifen mit bem 33. 51. 65.
46. 77. 78ften. S5ei ben vierftimmigen S5el)anblungen ber SBetfen biefer früher vorfommenben spfalmen
liegt bie £au»tmelobie im SEcnor, ben 77ften $>falm aufgenommen, wo fte in ber Dberftimme erfebeint.
9hm ftnb, wenn biefe SJcelobieen fpdter ju ben eingebauten *Pfatmen ftd) wicbcrholen, bie neuen SEonfdfce
von ben früheren burd) ben fünfftimmigen ©ajj unterfebjeben, gegen ben vierftimmigen in biefen. S5ei bem
77ften $>falme lag, wie wir fahen, bie Gelobte in ber £berftimme; wo ft'e ju bem 86fien wieberfehrt, foll
fie in bem nunmehr fünfftimmigen ©afje um eine £>ctave tiefer als gefd)riebcn aufgeführt werben, unb rüdt
babureb in ben Äenor; wogegen fte bei ben anbern um eine SDctave hob, er gefungen werben foll, als fte
aufge^eid)net ift, unb fo in bie £berjtimmc übergebt. SBier anbete ^Pfalmen tl)eilen ihre SEJtelobteen noch mit
je jwei früher erfcheinenben ; ber 70fte mit bem 17ten unb 63ften ; ber 118te mit bem 66jtcn unb 98jten;
ber 139fte mit bem 30(lcn unb 76(tcn ; ber 142fie mit bem JOOjlcn unb 131jicn. Sie erften Sonfdfce über
biefe ©ingweifen haben bie SJielobie im SSenor; bei bem jweiten geht fte über in bie Dberftimme; bie brirten
behanbeln fte fünfflimmig, bod) foll fte bei ihnen in ber aufgejcid)neten Sonhbhe gefungen werben.
Sie bem 95fien unb llltcn ^)falme gemeinfame 93celobte cnblid) f'ommt bereits jweimahl
früher »or, bei bem 24f>n unb G2fien ; ft'e erfdjeint alfo »iermahl im ©anjen. Sie erflen beiben SOJahle
fmben wir fie merjtimmig bchanbelt, unb "tfnfangf bem Senor, fobann ber £>berftimme jugetheilt. Sie
legten jwei Stahle ifl fie fünfjtimmig gefegt; bei bem erften biefer beiben ©ä£e foll ft'e in ber aufgezeichneten
Tonhöhe gefungen werben, bei bem jweiten um eine Cctavc niebriger, fo bafj ft'e nunmehr bie tiefte ©teile
einnimmt, unb bie ©runbftimmc bilbet. Sie gorm bef Sonfa^eö bie einfachfte bee> mehrftimmigen
259
©efangeö, metfl SRot« gegen sJcote — bleibt in allen tiefen SBieberholungen bcr9Relooie bei@laubin ftete bie=
felbe ; nur bie 3abl ber Stimmen, unb bie Stellung ber Singweife gegen biefelben, bittet ben Unterfcbiet.
S5ei ©oubimel bagegen jeigt fich in ähnlichem galle reine Abweichung in Stimmenjabl unb Stellung berSfte^
lobie, allein bie gorm be§ Sa&j§ felbft änbert fid). Sie £armonieen ftnb in ben SSebanblungen betber 9ftei=
ftcv me'"cntlid) oerfd)ieben, fo erflärlicb e3 ift, tag bei gleicher Stellung ber SSKelotie unb übereinfiimmcnber
gorm beö Sonfa^eö manche Begegnungen nicht ausbleiben. Sie ftnb bei bem fpäteren Sonfünfiler im ©an=
jen auch bem Söefen ber oorfommenbcn Sonarten gemager. £ier haben bie pbrpgif ch en -Diclobieen ben
gebübrenben, halben Sonfcblug in E ; nur ber Sonfaf^ über ben 63jten flfafctl bilbet einen Dollen, äolifcben
in A, unb ber über ben 94ften, beffen SEJMobie in bem oerfefjten Umfange bc§ ^brpgifcben — A mit f Jetner
Secunbe — fich bewegt, enbet äolifcb, in D, burch einen halben SSonfcblug. Ser 83fte, lOOfte, 132fte
$fabn bilben burd) bie £auptftimme, bie in ihren Sonfäfeen bem SEenor jugetbetlt ift, ben ab fallenben
»brpgifcpen Sonfcplug, inbem ber Bag, bie 9)ielotie überfcpreitent, jur SJcittelftimme mirt. Bei bem
131ften *Pfalm bagegen roirb burd) bie ©runtftimme ber auffteigenbe pbrpgifcpe Schlug targefteUt.
Sie mirolpbifcpen Sonfd^e jeigen opne Aufnahme wolle Äonfchlüffe, auch ber über ben 13(.)ften
''Pfalm, ber bei ©oubimel, allein unter allen übrigen, einen halben bilbete. 21B unmefentlicb übergehen
mir ben, in ben Bebanblungen beiber Stteifter jumeilen »orfommenben Unterfcbteb beS UmfangS ber Sonart
ber üon ihnen behanbelten SJMobieen. Sag, fofern biefe anberen, als ben beiben eben genannten Sonarten
angehören, in ihren mebrfiimmigen Bearbeitungen ftetö »olle Sonfchlüffe angetroffen werben, bemerfen mir
»orübergebenb. Bei bem fünfftimmigen Sa£e über ben lllten $)fatm roirb ber Sonfcplug turdb bie
£auptfiimme eingeleitet, bie hier bie unterfie Stelle einnimmt unb bie ©runbftimme tarftcllt. Sa nun
bie SOielobie au3 ber grogen Cberfecunbe beS ©runttonä in tiefen, nieterfteigent, abfällt, fo ergiebt fich
hier bie ungewöhnlichere, unter tiefen S3orauj>fefjungen aber notpwenbige Schlugharmonie tes> Affortesj ber
tleinen Septime mit ber flcinen Serj, ber turcb ten £Utartfertaftorb mit groger Serte in ben Sreiflang
tes ©runttonö übergeht.
Sie SSonfäfce ßlaubins jeigen, wenn mir fie benen ©oubimeB »ergleicpen, unzweifelhaft einen
gortfcpritt. 23o biefem frühern SDieifter SJaum »ergönnt ift, feine Äunft gewähren ju laffen, ba barf er
allerbingö ten beffen SEonfcgern feiner Seit gleicpgejtellt. werben; wo er jeboch auf einen geringeren Umfang
befcbranft ift, fühlt man beutlich, tag er in tiefem fid) nicht mehr frei ergeht, fontern fich beengt ft'nbet.
hierin fleht er, wie fdwn bemerft worbcn, hinter ten teutfcfyen 9JJeiftern feiner Seit, wenn fie ähnliche 2luf=
gaben ju löfen unternehmen, um 33iele3 juvücf . 9Kan barf e3 billigen, bag er für fircblicben ©ebraud) ben
fünftlichen Soutanen in ben meiften gällen bie fcfylicbten oorgejogen hat. Siefen gebricht inbeg bei ihm ta§
fiebere, feine ©efüpl für bie Stgentbümlicbfeit ber Sonarten ihrer SDMotieen, woturd) fie erft ßeben unb
gülle, bei aller (5infad)beit, gewinnen würben. 9hm hat ßlaubin, gewig auS Überzeugung, ben fünftli=
chen Safe bei feinen meprftimmigen Bearbeitungen ganj »ermieben. dv ift barin noch, weiter gegangen al£
©outimel, ber ihn jwar anwentete, jebod) mit SDiaage, unb in ber 2lrt, bag jete oorfommcnbe SDcelobic
minbeftenä einmahl in einfach er S3ef)anblung erfepeint. (Sö ift alfo eine burcbgdngige SSergletcbung bei--
ber 9)ieifter juldffig. 2ßo S5eibe — wie eS freilich bei ihnen am hdufigften geflieht — bie 3DMobie bem
Senor jutheilen, leiben ihre Sonfdf^e an einem gleichen ©cbrecfyen, ba§ turd) tie mel)r oter minter
gefchidte Behanblung nicht »öllig ju vergüten war. @ine fünftlerifche "2lbficht fann ßlaubin nicht baju
oermocht l)aben, jenen alten ©ebrauch beizubehalten, ber offenbar ju SSerbunflung ber 9Jielobie gereicht.
33*
260
©te »Ott nur »oratBjufefcen, wenn jene an ftcb ungeeignete (Stellung ber ©ingweife burd) anbeve ©rünbe
gerechtfertigt würbe. «Solche ©rünbe finb aber au$ ben £onf%n be§ 9Jletfter3 nid)t $u entnehmen, fie
müßten aud) offenfunbig baliegen, wenn fie red)tfertigenb ferm füllten. £)a§ Streben nad) 9Jiannicbfaltig=
feit be§ Sonfa^eS bei öfter oorfommenben Sttelobteen barf aB eine auSreicfyenbe SSeranlaffung nid)t gelten,
unb aud) bann würbe immer bie SKinberjabl ber Sonfd^e beg StteijterS jene Einrichtung haben fönnen, ba
bie ©ingweifen ber meiften ^falmen nur einmab,l oorfommen. ©te erfdjeint aber bei ben meiften, alfo aB
Siegel, fann un3 bemnad) nur aB 33erbarren bei bem Jperfömmlicben gelten. £)aburd), baft in ben fünf=
Gimmigen ©dljen bie SSttelobie aud) wol)l in bie jweite ober britte ©timme gelegt ift, wirb offenbar ntd)B
gebeffert, ft'e wirb baburd) nicht minbcr üerbunfelt. (Sin AnbereS ift e3 in bem, ein cinjigeö 9Jtal)l »orfom=
menben Salle, wo fie bie ©runbflimme bilbet; im ftrengften 33erftanbe, ba feine ber anberen jemals
unter fie l)inabfd)reitct. £)aburd) crl)dlt biefe ©timme ein ganj eigentümliches ©cprdge. ©te regelt ben
gortgang ber gefammten Harmonie auf eine anbere nod) unb wefentlid)ere Art, aB fonft bie £)berjlimme,
unb bennocb gleicht ft'e auf gewiffe SBeife wieberum biefer, weil fie »on ben anberen Stimmen bas> erwartet,
wa§ fonft bie ©runbftimme, beren ©teile fie einnimmt, öorjugSweife leitet, bie befttmmte AiBprdgung
jebeS einzelnen barmonifcbcn gortfcbrttteg. 91id}t allein baö geübte £)t)T, aud) ba§ nur aufmerffame be§
finnigen 4?örer3 crfcnnt biefeS 83erl)dltnif! leid)t, weil eS ungewöhnlichere gortfd)ritte tiernimmt, unb
taburd) auf bie ©tellung ber SKelobie Eingeleitet wirb, bie ihm bann bei nur einigermaafsen frdftigem
Vortrage leid)t beutlid) wirb. £)e§l)alb ifi: bei einfachen ©d^en — von benen tjter ganj allein bie 9?ebe ift —
jwar bie £)berffimme allezeit ber naturgemdfüefte SDrt für bie SÖMobie, weil fte l)ier am beutlid)ften »ernom=
men wirb, bie übrigen aud) fo am beften im ©tanbe finb, il)ren barmonifd)en ©ehalt auöjuprdgen; ndcbfi
if>r aber bie Untcrftimme. 5n bem einen galle fold)er ©tellung, ben wir bei ßlaubin ft'nben (bem lllten
^fatm) bat ber SDieiftcr feine Aufgabe genügenb gelbft. £>iefer ©a£ gebort ju feinen beften, unb fo ohne
Ausnahme aud) bie, in benen bie ©ingweife bie £)berftimme einnimmt. Sie Sonart tritt in biefen allen
mit 5Bcflimmtr)ett l)ert>or ; ber ©efang ber begleitenben ©timmen ift fltefienb unb natürlich, ber AuSbrutf
beS ©anjen würbig unb fird)cngemäf?. £>ennod) ftel)t im ©anjen aud) ßlaubinä Arbeit gegen ähnliche ber
beften beut f eben SReifter feiner 3eit um SSieleS jurücf, üerl)altnif ma^tg vielleicht mcf)r nod) aB ©oubi=
meB S5ef)anblungen gegen gleichartige feiner 3ettgenoffen. @§ ift mel)r ber rein fird)lid)e ©tpl in ü)r, —
ein Allgemeines alfo, — baS ft'e un3 fd)äfcbar mad)t, aB S3cgeijlerung, Alraft, ©d)wung; fie jeigt
fein wahrhaft eigentf)ümlid)eS $8erl)dltnifj be§ SKetflerä ju feiner Aufgabe, ba§ wir in ibj um fo mehr
oermiffen, weil eS eben ba§ 95ejeid)nenbe ber beut fd)en Söleifter unter feinen 3eitgenoffen ift, ber nieber*
Idnbifd)e alfo hinter beren 5ßefirebungen aB jurüdgeblicben erfd)eint*).
Der Srganift SSfcavf d) all ju Safel, beffen uierftimmiger SSebanblung ber ^»falmweifen wir
juüor gebacken, bat jwar einen gcl)ler (Haubtnö mit Überlegung unb @inftd)t vermieben: er bat bie SDZelo=
bie in feinen merftimmigen Sonfd^cn überall ber -D berpimme jugetbeilt. Allein Glaubinö ©d^e, wo in
ihnen baffelbe ftatt ftnbet, finb ben feinigen überall bei weitem »orjujiehen. £>iefe haben in 9füdft'd)t ber
phrpgifchen Sonart baffelbe ©ebred)en, wie bie S3e()anblungen ©oubimeB : e§ fehlen ihnen tongemäfe
©d)lüffe, inbem biefe fdmmtlid) auf ber Unterquinte beö ©runbton§ ruhen. Doch nid)t biefe§ allein: ber
•) SSon ben ocrfdjtcbcnen gormen bcS (Staubtnfdjcn Sonfa&cß über bie franjiSfifc^en ^»falmif eifen finben ftd) SSn--
fpicte unter ben Wummern 32 biß 37 (einfd)!ie£ticl)).
261
©efcer hat, ber Abwechslung wegen, oft frembe£armonieen aufgefucht, bie bem©ange bcrüJJMobie nicht fol=
gen, fonbern über tr)n täufchen unb »erwirren*), dx hat alfo ba3 SBefen ber Aufgabe bei einfacher mel)rfiim=
miger JBehanblung einer ©ingweife nicht überall richtig gefaxt, unb biefer ntdjt if>r oolleS 9?ed)t wiberfabjen
laffen. £>och finben wir baoon auch ehrenwerte Aufnahmen**), nur baß, wa§ il)m juwcilcn gelingt, üonben
beffercn Sonfel^ern feiner 3eit fidlerer, öfter geleiftet wirb. ©Icichjcitig ungefähr mit ßlaubin fcheint 2anb=
graf 9ttori£ ju Reffen bie ©ingweifen ber franjöfifchen $»falmen bearbeitet $u l)aben. 3u folgern ift e3 au3
bem Settel eines 33uche§, ben ©erber***) anführt, unb ber wörtlich bal)in lautet: „D. Ambrofü 2obwaffer§
^falmenbud) in golio getrucft, unb l)at Sanbgraf SQZortlj ju Reffen bie übrige ^falmen, fo nicht eigene
melodias gehabt, mit anberen lieblichen melodiis gelieret, unb mit 4 (Stimmen conwoniret, welche in ber
Äird)c ju fingen, »nb auf allerlei) Snftrumcnten ju gebrauten. Gaffel bei SEBilf). SBeffel 1608." £>er 83er--
faffer biefer Sßlatter fjat jenc§ 33uch niemals gefer)en ; ihm bleibt bab, er immer noch ber Sweifel, ob nicht
außer ben, oon bem erlauchten SSerfaffer erfunbenen unb gefegten ©ingweifen für biejenigen ^faltnen, beren
ÜKclobteen in ben ©oubimelfd)en ©d£en mit anberen früher t>orfommenben übereinfiimmen , ber übrige
Sbeil biefeS 33ud)e3 nur eben jene alteren ©dfje enthalt, alfo lebigltcb, ein SSerfud? ift, bie ju jener 3ett fo
hoch. gefd)ä^te Übertragung 2obwaffer§, wie fie ben franjöfifd)en ©ingweifen unb SEonfä^en anbequemt
mar, an 5Jielobieen ju bereid)ern. 9Bdre biefeS ber $aU, fo mürbe £anbgraf SJJorhj hier überall nicht ju
nennen fenn, wo nur bawon bie 9?ebe ift, in welchem Umfange, unb mit welchem Erfolge jene alten
SKelobieen Aufgaben für bie itunft be3 SSonfa^eS geworben feuen. £>hne eigene Anficht ift barüber nicht ju
entfdieiben, beShalb ftef)e bie £hatfad)e t)kx nur ber SSollftdnbigfeit wegen, unb ale> eine zweifelhafte.
35ie fpdtere 33ef)anblung ber franjöftfdjcn ^»falmweifen burch 3of)ann ßrüger (1658) werben wir
bei unferem Berichte über biefen 93lei|1er näher betrachten, eben fo auch t>on ^Bearbeitungen einzelner 5DRelo=
bieen burd) auszeichnete SEonfünjtler an gehöriger ©teile reben. %m Allgemeinen bürfen wir aber i)kx
urtheilen, baß biefe ©ingweifen im Saufe bes> 16ten 3flhvhunbert§ unb bi§ in bas> 17te hinein nicht ju ben
fruchtbaren Aufgaben be6 Sonfa^eS gehörten, unb ber Äunft f;armonifd)er Entfaltung nicht in bem SRaaße
jum SBachStlmm gereichten, als bie lutf>erifd>ert &trd)en weifen.
9Jlit SBenigem fen h'" no# e'ner italienifchen 9?achbichtung ber ^Pfalmen gebadjt, bie,
weil jebeS einjelne ^Pfalmlieb mit einer ©ingweife oerfehen ift, wahrfcheinlid) ju gemeinfamer Erbauung
italienifch=proteftantifcher ©emeinen benimmt war. ©ie umfaßt nur 60 $)falmen ; bie 17 erften beS $)fal*
ters>, nach beffen §olge, bie übrigen nach Auswahl, ohne ftch an jene weiter ju binben. 25er Urheber biefer
ßieber, bie Umftdnbe, unter benen fie entftanben, ft'nb gdnjlid) unbefannt, unb ba$ S5ud) felbft unterrichtet
un$ nicht barüber. Sd) fenne baoon jwei Auggaben, eine t»om Sahrc 1578, bie anbere üon 1621, 43
3af)re fjpäter. S5eiben fehlt bie Angabe bc§ Drucfortg, nur ber Bruder ift genannt; bei jener früheren
©iooanni SBattifla spineroli, bei biefer fpdteren SSKatteo SSeriot. 2Bahrfd)einlich ift jene, wenn nicht bie
frühefte, bod) eine ber früheren unferer ©ammlung. 3undchft fprid)t bafür beren nahe§, un»erfennbare§
Anfchltefien an ben franjöfifchen ^)falter. £>ie 83orrebe ßaloinS fteht ihr woran, in baä Stalicntfche über=
tragen ; hinter ben ^)falmen unb ben übrigen ©efängen, bie fie enthalt, unb oon benen fpdter bie Sfebe fepn
wirb, laßt fie bann bie £)rbnung be$ ©otteöbienfte§ folgen, bie Art bie Saufe ju üerrid)ten, ba§ f>etlige
') @. SBeifpiel «Rro. -48.
") <S. S5eifptel Sfro. 47.
— ) 5«eueS CcriEon k. £f). III. Col. 366.
262
2fbenbmal)l ju feiern, bie Gfbe eirtjufegnen, bie Äranfen ju tröffen : AtleS biefeS ftnben mir juerfi in bem
oollftänbigen franjoftfeben ^Pfalter SftarotS imb SSeja'S üon 1562, bem ft'e alfo nicht voraufgegangen fetm
mirb. £>aju fommt, baß fte fomobl SSJiarot als 5ßeja in il)ren spfalmliebern nachgebt; fte enthält nicht
allein mehr ^falmen, als jener übertragen fjat, fonbern wallte auch, nur 39 v>on biefen als Vorbilber, 21
bagegen unter ben von SSeja naebgebiebteren. ©ie fann aber auch ntct>t balb nach ber erjten Verausgabe
bes »oUfiänbtgen 9)falterS erfebienen fer;n. 2?enn fte umfaßt ÜÖiancbeS, maS in it)m bamalS noch nid) t
enthalten mar : ben .Katechismus, feinen 4?auptjtüden nad) auf bie ©onntage beS .Kirchenjahres »erteilt,
Die Prüfung ber Äinber t>or 3ulaffung ju bem heiligen Abenbmable, unb AnbereS, baS erft feinen fpäteren
Abbrüdcn beigefügt mar. £>aS 2Bal)rfcr;einlid)fte alfo ift, baß fte erft mehrere Sabre nach beffen allgemeiner
Verbreitung an baS ßtd)t trat, unb naebbem jener febon ju ähnlichen Verfucben aud) in anberen ©pracben
angeregt tjatte. 25aS %at)x 1578 nun ift um SBenigeS nur fpäter, als baS ber erften Verausgabe beS ßob=
mafferfeben 9)faltcrS. Sri £>eutfcbkmb mar ein fold)eS Unternehmen bei ber großen Ausbreitung unb
förmlichen Anerfenmmg ber eüangelifd)4utberifcben £ird)e, bei ber großen Siebe ju bem $>fatmbud)e, ein
leid)teS ; fdjwieriger in Italien, mo nur örtliche £>ulbung ber SSefenner evangelifcfyen ©laubenS fiatt fanb,
jumeifi aber heftige Verfolgung berfclben, unb üomebmlicb tyreS bart »erbetenen ©otteSbienfteS unb geift=
lid)en ©efangeS. (SS barf bal)er nid)t befremben, baß in Italien eine, menn aud) weniger umfangreiche,
sJtad)bid)tung ber ^fahrten, mit ©ingmeifen jum ©ebraud) bei gemeinfamer Anbacbt, fpdter erfd)ien als in
25eutfd)lanb; unb eS ifi fein erheblicher ©runb üorbanben, eine Ausgabe unfereS S3ücbleinS nod) »or ber
oon 1578 anjunebmen. £)aß aber, faft ein b^beS 3abrl)unbert nachher, noch eoangelifcbe ©emeinen in
Italien bejtanben, benen ber ©efang biefer Sichtungen bei ihrem ©otteSbienfte £3ebürfniß mar, jeigt ber
fpätere Abbrud oom Sabre 1621. S3eibe ftimmen im SBefentlicben unter ftd) überein, unb jeigen bureb ben
Anhang hinter ben ©efdngen, beffen mir fcbon*gebad)ten, unb ber beiben gemeinfcbaftlid) ift, unuerfennbar,
Daß fte Anbad)tS= unb ©ingebücber jum ©ebraud)e bei bem ©otteSbienfte, unb ju hduSlid)er (Srbauung
geroefen. 9cur milbert bie fpdtere AuSgabe mand)en h^ben unb fchneibenben AuSbrud, mie er an öielen
©teilen beS Anhangs in ber früheren gefunben mirb, jumabl im ©laubenSbefenntniffe, baS in biefer ftd)
anfünbigt ,,alS ein gemeinfameS mit ben .Kirchen granfrcicbS, bie ftd) ber pdpftlicben Abgöttereien entbal--
ten," mogegen in ber neueren nur werftebert mirb, eS ftimme überein mit bem ber bortigen .Kirchen, ,,bie
nach ber reinen Sebre beS GnxmgcliumS unfereS Qmn Sefu ßbrifti leben."
@S ift nicht ju behaupten, baß irgenb eine lebenbige ^Berührung, gefebmetge benn ein erheblicher
©influß biefeS italienifchen ©emetncgefangeS auf ben beutfd)en ftatt gefunben habe, ober umgefebrt. SBir
Dürften baher jenen wollig übergehen, menn nicht fein äufammenbang mit bem franjbftfcben, bie ©elegen=
beit, Die unS biefer gemdbrt, feiner ju gebenden, unb 9JiancbeS für ftd) felbft 9Berfroürbige an ihm unS auf;
forDerte, einen Augenblid bei il)m ju uermeilcn.
3n fo naher S3ejiebung aud) biefer italienifd)e ,Ktrd)engefang ju bem franjbftfcben fleht, fo ift er
Cod) in Vielem ganj ton ihm abmeichenb. 3undcbfi hat ein jebeS ber 65 lieber beS italienifchen ^)falm=
bucbS feine, if)m auSfchließenb eigne ©ingmeife, bie aud), bei übereinfttmmenben 90taaßen, ftd) nid)t mte=
berholt. 2ßir bezeichnen abftd)tlich feinen Inhalt mit ber allgemeinen Benennung Sieb er; benn außer ben
60 Jaunen *), bie fein Xitel anfünbigt, enthält eS nod) ben Sobgefang ©imeonS, bie jel)n ©ebote, bie
^fatm 1. 2. 3. 4. 5. G. 7. 8. 9. 10. II. 12. 13. U. 15. IG. 17. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 27. 32. 34.
36. 37. 38. 42. 43. 45. 46. 51. 54. 73. 79. 91. 96. 103. 107. 1)0. III. 112. 113. Iii. 115. 117. 120. 121.
263
ärttfel be3 ©laubenS, ba§ Skterunfer, unb ein Sieb über bie SBorte be3 Spexxn : 3d) bin bo§ SBrob be&
ßebcnä. 2CUe melobifchen gönnen ffnb alfo f>ter felbftdnbige. 25er rhpthmifchen ftnb im 2fllge=
meinen neunerlei, von ber brei= bis jur elfjeiligen ©tropfe. %m feltenften, — nur je einmal, —
erfcheinen bie brei= unb bie elfjeilige; jene ju bem Sobüebe (Simeons, biefe ju bem 19ten ^falm; ndd)jt
ihnen bie jtebat» unb bie jeb.njeilige, jebe nur jmeimahl, in felbfidnbigen gormcn*). 25 ie neunjeilige finben
mir breimaf)l, in eben fo oiel felbftdnbigen formen; in bem lOten, 16tcn unb 117ten spfalme. ©leid) oft
fommen bie uier= unb bie fünfjeilige ©tropfe cor: jebe in acht gdllen, unter fed)§ gormen, t>on benen in
jener eine brehnaf;!, in btefer jroei boppelt ft'dt) mieberholen**). Die fedb> unb bie achtteilige ©trophe ftnb
am hduftgften angeroenbet : jene in »ierjeljn gormen, beren uier boppelt »orfommen, biefe in elf, unter
benen eine fünfmal^, eine jmeite üiermat)l, t>ier anbere jweimahl ftd) mieberholen***). 25a§ äSerhdltnifj
beS mehr ober minber t)duftgen (§rfd)einen3 ber einzelnen ©rrophengattungen ift hienad) in bem italienifchen
wie franjbftfchen eoangelifcticn Ätrchenltebe faft baffelbe. 9iun ftnben mir allerbingS aud) übereinjtimmenbe
©ing weifen in bem einen unb anberen 95falmbud)e. ©dnjltd) einanber gleichenbe in fünf gdUen
(9)falm 2. 79. 115. 121. 130), mein- ober weniger ähnliche in beren jroölf-|-). 9ciemale> jebod) begegnet
unS eine »ollfommene Übereinftimmung be§ SöiaafieS: benn bie ©tropfen ber italienifchen $)falmlieber
haben nur elf* unb ftebenfylbige, iambifche Seiten mit weiblichen (Snbungen, unb nur in einem einigen
galle (im 15ten ^)falme) fommt eine fünffplbige Seile oor; bie ber franjoftfdjen bagegen »ier= bis breijef)n=
ft)lbige, trod)difd)e unb iambifd)c, männliche wie weibliche Seilen, unb wenn in ihnen aud) galle t>orhan=
ben ftnb, wo nur ft'eben* ober elffylbige Seilen erfcheinen, ober — wenn aud) feiten — Seilen biefer 'Kxt
mit anbern von werf ergebener gange tierbunben ftnb, fo ift bod) nicht ein einiges 9J£af)l eine 3ufammenftel=
lung oon nur elf* mit nur ftebenfplbigen »orhanben. 3weimaf)l allein (in bem 123ften unb 130ften ^Pfalme)
erfcheinen in ber achtteiligen ©trophe be3 italienifchen Jtird)enliebes> nur elf=, unb nur ftebenfplbige Seilen 5
122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 137. 143. II Cantico di Simeone. — I dieci comraandamenti di
f)io. — Gl' articoli della fede. — l'Oraziooe del Nostro Signor Gesü Christo. — Sopra le parole del Signore :
Ego sura panis vivus.
*) spfatm 54 unb 112 fjaben eine ftebenjetlige, ^»fatrn 45 unb 79 eine §et)njeitige <3troct)e.
") spfatm II, 83, 110 unter ben oicrgetltgen ; 9pf. 13 unb 36, $)f. 14 unb 42 unter ben fünfteiligen; bie übri*
gen oierjeitigen spfatmen ftnb ber 5te, 12te, 20fte, 122fte, 126fte; bie fünfjeittgen ber 17te, 51fte, 125fte, 143fte.
*") Unter ben fedjSjeitigen roieberbott ftd) bie gorm in bem 4ten $>falm unb ben jef;n ©eboten; in *Pf. 32 unb
113, 34 unb 120, 43 unb 124. tfu^cr ifjnen ftnb fed^äciKg: spf. 3, 8, 15, 21, 23, 27, 114, 115, 121, 127.
Unter ben adjtjeitigen ©tropfen fteben einjetn ba bie gorm beö «Pf. 2, 24, 107, III, 130. ©let'dje gormen fommen
oor: jroeifad): ?>f. 7, 103 — 9, 96 — 22, 46 — 128, 129; — Dierfeld): $>f. 6, 37, 73, 91 ; — fünffach,:
>Pf. 123, 137; articoli della fede; Oraziooe del Signore; Ego sum etc.
i) £>er Spfalm 1 in bem itatienifd) cn spfalmbud)e ift bem «Pfalm 78 beS franj öftfeben ähnlich.
6
70
= 12
22
= 17
143
= 22
104
= 27
16
= 32
26
= 34
103
= 46
18
» 123
51
-- 129
20
143
13
-
264
eben btcr jefoeb fennt fie feaS fvanjoftfd^e nicht, nur im t>ier= unfe fechSzeiligen troebätfeben Wlaafa fom=
men fte oor ($)falm 136; 75, 135 feie ftebenfplbigen), unb im fechSzeiligen iambifeben ($falm23 feie elf*
fylbigen). (Eben fo fömmt feine (Strophe beS feeutfdjen S3olfg= ober geiftlid)en ßiebeS einer beS italieni;
feben ÄircbenliebeS überein. 25enn erfebeint auch feie ©tropfe beS 130ften feer franjbfifdjen ^»falme —
feie feer giefeer : (Entlaubt ift unS feer Süßalfee, unfe ^erjlicb; tfyut mid) »erlangen, — nicht feiten im geifflieben
wie weltlichen feeutfrf)en ©efange, unfe ift ferner feie 2Beife feeS 130ften italienifchen 9)falmeS feer beS franjb=
ftftyen gleich,, fo fearf feiefe Übereinftimmung bod) nur für eine melofeifche, nicht rb»thmifd)e gelten,
weil feie Strophe beS italienifchen acht ftebenfylbige, weibliche Seilen hat, in feer feeutfehen wie franjbftfchen
öagegen fiebern unfe fcchSfylbige, weibliche unfe männliche, mit einanfeer wechfeln. ©o ft'nfe enblid? jwar
feie melofeifcben formen beS 34ften unter feen italienifchen, unfe feeS 103ten unter feen fran^bftfehen $>fal=
men ähnliche, unfe feie ©ingweife feiefeS legten ging im 17ten Sabrbunberte auf SfteanfeerS Sieb über: '#uf
auf mein ©eift erhebe feieb; eS ift alfo ein gall uorbanfecn, wo melofeifche gormen eineS feeutfehen Kirchen;
liefeeS unfe eines italienifchen übereinftimmen. 2>ieS geflieht jefeodb nur, weil fie einem feritten, franjbfü
feben gleichen, nicht wegen unmittelbarer SSerührung feeS einen unfe anfeeren .frirchengefangeS.
Pehmen wir nun jene 17 gälle auS, in welchen feer italienifche jtirebengefang »on feem franjbft:
fchen feine melofeifcben formen erborgte, fo bleiben unS für il)n 48 übrig, feie als ihm eigentümliche
gelten fbnnen. SBenn wir feiefe für ftch, betrachten, ohne 9?üdftd)t auf jene ft'ebjehn, fo ftnfeen wir in feen=
felben jene beifeen ä3eftanfetbcfle wieber, bie wir, feen einen als fachlichen, feen anfeern als vwlf'Smäjjigen, in
ihrem 8>ereine als .Kennzeichen feeS ©t»leS feeutfeher geiftlicher ßiefeweifen bezeichneten, bie fird)liche Sonart
unfe feen rfwibmifchen SBechfel. @S fommt in ihnen feie fe orifch e Sonart in ihrem urfprünglichen Um=
fange breijehnmahl »or, in feer SSerfe^ung achtmal)!; feie p r i; g i f d> e breimahl; feie mirolnbifcbe acb>
mahl, bie ionifche in feer SSerfe^ung üierjehnv in urfprünglid)em Umfange jwetmahl. £)ie fjrenger firdt>=
liehen Tonarten haben alfo feaS Übergewicht über bie, feen weltlichen ähnlichere, ionifche ; feie weichen unfe
harten halten einanfeer feie Sßage, unfe jene überwiegen nur bann, wenn wir feie auS feem franjbftfchen gal-
tet entlehnten SUielobieen hinzurechnen, wo feenn ad)t auS beiben gönnen feer feorifchen, feret auS feer pbrn=
gifchen, unfe eben fo t>iel auS ber äolifchen hinzutreten, m'erjehn alfo im ©anjen auS weid;cn Sonarten,
gegen jwei auS ber mirolpbifchen unfe eine auS feer ionifd)en; fo bafi alSfeann feaS SSerbältnifj feer weichen
feen harten ftch barftellt wie 38 gegen 27. ©d)on feiefe S3orliebe ju ber weichen, feie im 2Bäf)ten unfe
(Entlehnen ftd) zeigt, oeranlajjt unS, in feer italienifchen geiftlichen Siefewcife eine üorwaltenbc Neigung ju
oerfelben alö feftftehenb anzunehmen. Svlwtbmifcber 2Bed)fel jetgt ftch in 27 gällcn unter ben zuoor als
urfpriinglicb, italienifch feftgeftetlten 48 gormen, in ber SSKehrzal)l alfo ; neunmahl nur erfebeint er in beiben
gormen ber ionifct>en Sonart, am bäuftgften bafjer in ben ftenger h'rd)lichen Sbnen, unb t)ier eben fo oft
als baS ©eftaltenbe, Söelebenbe beS ganzen rhötbmtfchen gortfchritteS, feenn als Schlußformel*).
•j «OUlobic bce 42flcn qpfatmS.
(Jörne il cervo as-se - ta - to va muggliiaodo per l'estre-ino de-si-o di trovar ri'acque uo ebia-
roe fresco ri - o co - si 1'a-nioia mia seu' va gridan-do ver te di le bra-mo-sa e-terno Di
265
Überall alfo, wir wieberbolen e3, wo ein colBmäfjigeS geijilid)e3 Sieb als ftrdjlidjer ©efang ber
©emetne fid) auSbilbete, gejtaltete fid) ber <5rt)l feiner SJMobte au§ ber SSerfcbmeljung gleicher 33efianb=
fyeik, bie jeber*,eit al3 lebenbig SMlbenbeS erfennbar bleiben; aller fonftigen SS er f d? t eb ert t) ei ten ungeachtet,
bie burd) ©pradje, Sitte tmb befonbere Neigung ober Abneigung f)erbeigefüf)rt werben, wie fte bie eigen*
tbümiiebe SSolfS = unb StammeSart begrünbet. T>a$ bie ©ingweifen ber italtenifd)en ^Pfalmen je Aufgaben
für bie Äunft beS Sonfai^eS gewefen, tyabe id) ntd)t ftnben rönnen, eS tft aud) nid)t glaublid), ba eoange*
ltfctj>e ©emeinen in Italien ju feiner Seit unter folgen SSerljaltniffen lebten, weld)e bie (Sntwicflung einer
eigentümlichen fird)lid)en Äunft in tfyrer SJlitte l)ätte befbrbern, ja nur überall julaffen fonnen. "iln einer
lebenbigen S5erüf;rung ifjreS Äird)engefangeS mit bem beutfcfyen fjat e§ aber gemangelt, fo bafi alfo aud)
mittelbar nid)t bie .Eunft beS <3e£er3 ft'd? an jenem »erfucfyen, ifyn burd) f)armonifd)e Entfaltung beleben
fonnte.
£>er £ird)engefang ber bof;mtfcf) - mäbrifd)en SSrüber tfi in feinen Siebern unb SDMobieen eine fo
merfwürbige (5rfd)einung, baß er aud) für fid) genommen, eine felbftanbige gorfdbung unb umfaffenbe
Bearbeitung oerbiente. (Sine foldje barf man jebod) t)kx nid)t erwarten*, fte mürbe, jumaf)l bei feinem nur
befdjränften dinfluffe auf ben lutl)erifd)en £trd)engefang, ba3 redete §3erl)ältnifi unferer £)arjtellung auf*
beben. 2Bir laffen für unferen 3mecf unö baran genügen, nadb einer flüd)tigen 2tnbeutung ber früheren
©d)idfale ber ©emeinen, in beren ©d)oof?e jene f*eiligen Sieber unb SSSeifen entftanben, bie Sutellen ber=
felben, foweit fte un3 oorliegen, ju prüfen, unb ju unterfu eben, wie eiel baüon, unb in welchem ©tnne,
in bie eüangeltfd)e Äird)e übergegangen ijt, unb weld)en Einfluß eä gehabt bat auf bie fird)lid)e SonfunfL
SDZan miü in 336bmen un0 9Räb,ren fd)on feit bem Ilten 3abrl)unberte Spuren einzelner ©emeinen
wahrnehmen, bie, an bem ©ebraudje ber Sanbeeifpradbe bei bem ©ottesbienfte b<mgenb, bierin, aud) wof)l
in anberen ©egenftänben Fird)lid)er Sebre unb 3ud)t, t?on ber ©emeinfebaft ber römifeben Äirdbe fid) abfon<
berten. @ie foltert gewalttätigen 2Cnfeinbungen bebarrlid) miberfranben unb im folgenben Sab^bunberte
burd) eingewanberte SEBalbenfer fid) gemebrt l)aben. %vA ibnen, im herein mit ben Anhängern be§ Sobann
£uß, mag bie größere Äird)engemeinfd)aft entftanben fepn, bie feitbem mit bem tarnen ber vereinten
SSrüber bezeichnet wirb, ©ie hatte im Saufe be§ löten SabrbunbertS, bis tief binein in baS 16te, wieber*
bolte fd)roere Anfechtungen unb Verfolgungen ju erbulben, wud)§ aber bennod) an Umfang, unb erjmang
SSMoMe beö 125ften spfatmS.
2)er ,ftircf>engefang ber bör;mtfc^ = ind^rifd;en 23riVDer.
Quei ch'haDoo nel sig-oor vi-va spe-ranza e fer-ina coa -fi - dao - za
sod come il sacro mon-te
i
di Si - o - oe che nou fa mu - ta - zio - ne cd ha per - pc - tua staD - za.
s. SBraterfelc, ker ecanget. CS^oralgtfang.
34
266
burd) Feinheit beS SBanbelS, fo wie ©trenge ber Äirc^enjuc^t, felbft ber ©egner Achtung, ©djon lange
hatten bie ©rüber gemünfd)t, bem ©efenntniffe cincS cfyriftltcfyen 33olfeS beijutreten, baS mit ihnen im
2Befentttd>en eineä ©inncS fc», um baburd) ©lieber einer größeren Äircfyengemeinfcrjaft ju werben; fie
hatten immer vergebens ber (Erfüllung biefeS 2Bunfd>eS entgegengefchen. £>te 9cad)rid}t von ben fachlichen
Bewegungen in Deurfdjlanb, von ber unternommenen Äirchcnverbefferung, erfüllte fte mit großer greube;
fte glaubten nun erreidjt ju haben, wonach fte ftd) gefeint, unb orbneten ©efanbte ab an Cutter, um über
eine Bereinigung ju unterhanbeln. 3u biefen Abgeorbneten foll aud) 9DZid)ael SBeiffe, ein geiftlid)er Dichter,
gebort halben, ber in ber golge ein SBerfjeug mürbe, ben beutfd) = evangelifchen, unb ben bbhmifd)en Äird)cn=
gefang einanber näher ju bringen. 3n SutherS ©riefen auS ben Sab,rcn 1522 unb 1523 wirb ber ©rüber
- bie er balb $>icarben, balb Söalbenfer nennt — ■ unb ihrer ©otfdjaft öfter gebad)t. (Er hält fte für red)t=
gläubig im ©anjen, ift jebod) im (Einzelnen oft anberer SDieinung alS fte. (Er belehrt fte burd) ?)aul von
©»retten über bie Anbetung beS #erm m AbenbrnabJ ; er tabelt fte, baß fte ftatt ber Sprache ber ©chrift
fid) bunfler, verworrener SvebenSarten bebienen, baß fte bie Äinbertaufe für unnü^ galten, unb fte bennod)
erteilen, baß fie ben Äleinen baS Abenbmabl reid)en, baß fte fiebert ©acramente unb bie (Ebelofigfeit ber
••Priejrer beibehalten; er jweifelt, ob tt)ve Sebre vom ©lauben unb ben Sßertcn eine gefunbe few. £)ennod)
fagt er ftd) nicht loS von ihnen, er f>oft in ber 3utunft befeitigt ju fetjen, waS er nicht verbamme, aber
boch nid)t billigen tonne, ermuntert bie ©ohmen inSgemein auf, bei bem (Evangelium ju bleiben, unb
nicht bem rbmifeben ©tubl ftch ju unterwerfen.
3m 3<d)ve 1535 fuebten bie ©ruber, minbeftenS tf>re beutfeben ©emeinen ju ßanbStron unb jur
gullned, gleid) ben ©enoffen beS AugSburgifcben ©cfenntniffeS, ju rechtlicher Anerkennung im 9?etcbc ju
gelangen. SamalS überreichten fte bem rbmifeben Äönige gerbinanb, nach bem Vorgänge jener, ihr
©laubenSbefenntniß, unb fpracben barin bie fefte 3uverftcbt auS, baß, waS barin verfaffet, ©otteSSBortfen,
unb ber rechte, einige, ervige Berftanb ber heiligen, allgemeinen .Kirche, von ber fie nicht abgefallen fewen.
grälier fchon hatten fte jenen Michael SBeiffe aud) beauftragt, ihren Äird)engefang ju orbnen. (Er unterjog
fid) biefer Arbeit mit allem gleiß, nahm, wie er felber fagt, ihr attcö ßantional unb baS ber bobmifeben
©rüber vor ft'ch, brachte ben ©inn unb Inhalt ber Sieber biefeS legten nach gewifT^/ J>etltger ©chrift in
bcutfd)e 9?eimc, unb fuchte Selben, SBorte unb ©efä^e (©trovben) alfo ju fteüen, baß ein jcglicheS unter
feinem jugefebriebenen 5£on fid) fingen laffe. ©o erfchien „gebrudt jum jungen ©un^cl in ©ehmen burd)
©eorgen 2Bwlmfd;roerer 3m Sar 1531, am jm elften Sag beS 9Ker(|en vollenbet," bie erjle ©ammlung
verbeutfebter ©efänge ber ©rüberfirche; wie Michael SBeiffe verftchert, „©Ott bem Allmächtigen unb feiner
Söafjrfjeit ju gob unb ^rei§, (Such (ben ©rübergemetnen) $u Srojt, unb gemeiner Ghvi^enheit jur Sebr,
baß männiglich erfenne, baß eä anberS, benn unfer 2Biberfad)er fürgeben, bei un§ gervefen, unb noch
iü jener 3eit be§ allgemach erft fid) geftaltenben beutfehen evangelifchen ÄirchengefangeS, erregte biefeS
- tlieberbud) in feiner reichen "ÄuSjtattung — eS enthielt 136 Sieber mit 111 beigebrudten ©ingroeifen —
befonbere "Mufmerffamfeit in £)eutfct)lanb. ^an§ SSarnier, ©ud)bruder ju Ulm in ©chmaben, beforgte
bavon eine neue Ausgabe, unter bem SSttel: „ein t>übfdb neu <5r>rijtenltcr; ©efangbud), barin begriffen bte
Äirchenorbnung unb ©efeng, fo nicht allarm etrvan jur SanbSfron unb gullned in ©ehmen, von ber
öhrijlenlichcn ©rüberfchaft ber©icarben, fonber pefcunb auch an allen orten, ba bie warfst Sefu Qtyifti
flar, lauter vnb rain verfünbigt vnb gevrebigt wirb, von ben ßhriftglaubigcn gebraucht, vnb täglich ©Ott
tem aUerhbchften $U Gl)rcn gefungen werben." ©o erfd)ten eS um 1538 unb 1539 in feinem Berlage :
267
„bamit man aud) felje vnb greife enblid? (Tagt feine SSorrebe), wofür man nun lange 3eit t>te guten Seut in
S3ebem gehalten, wie fälfcblich fte ber Ääfcerenen vnb Aberglaubens bejigt (bejücbtiget).
SSon jeher hatten bie S5ruber einen reinen, erbaulichen Jttrcbe«gefang febr hoch gehalten. 2Me
vomebmften Artifcl bes cbriftlicben ©laubens von ber erworbenen Seeligfeit burcb ßbriftum, füllten (ihrer
Überzeugung nach) barin beutlicb begriffen unb in Steinte gefafjt fepn, baf? man fte nach ©elegenbeit ber
3ab,rjeit unb (Srforberung bei ©egenffanbes fingen, bie Sugenb mit ber fdjcmen, lieblichen 9DJuftca ober
füfjem ©efänge baju reijen, unb gewöhnen, ihr biefelben in bas ^)erj einbilben möge, bamit fte von bcn
unnützen, fcbäblicben SBeltliebern abgeführt werbe. £)enn leichter werbe gefaffet unb im ©ebacbtnifj
behalten, wa3 alfo in 9?eimen ober ©efangweis begriffen fet). £)ocb wirb ber Sbcil ihres Äircbengefanges,
ben fte nicht aus alteren Siebern gefcbbpft, faum früheren Urfprungs fenn, al§ au§ ber legten £älfte bes
15ten ^ahrbunberts. 2Bir bürfett tiefes aus traten eigenen Berichten barüber fcbliejjen. Sn ber fpäteren 3u-
fchrift an jlaifer ÜJJartmiltan ben ^weiten, mit ber fie ihm ihr Äircbengefangbucb überreichten, unb
aus ber wir auch, bas fo eben über ihre Verehrung geiftlicben ©efanges Angeführte entlehnten, fpreeben fte
barüber ftcb beutlich au$. 9cad)bem fte bort ber treflicr/en, glaubreichen Sieber bes alten Seftaments er=
wähnt, fahren fie fort: ,,barnach haben auch etliche fromme ßhriften aus ben alten Sebrern fchöne geiftliche
Steter gebichtet in ihren Sprachen : welche unfere SBäter, nachdem ihnen ©Ott fein Sicht aus ber ginfternijj
hat fcheinen laffen, in bie bbhtnif che Sprache gebradrt haben; baneben auch felbö viel tröftliche ©efänge
auff alle geft burd)S ganje 3abr, ^on allen Artifeln be» cbrijtlicben ©laubens gemacht, welche in ben
Äirchenoerfammlungen nunmehr über bie hunbert Saht nicht ohne gruebt ju ©ortes Crbren gefungen
morben." SSJcit ber beutfehen Übertragung ihrer Sieber burcb, 9)ftd)ael SBeiffe waren fte jebod) nicht gan,
einverfianben. 3war f erfiebert biefer auSbrüdlicb in ber Sorrebe feines ßantionals von 1531, bie barin
enthaltenen ©efänge fernen ,,nad) fleißigem überfehen, corrigiren unb beffern von ben älteften Brübent, in
Srud gegeben," fo bafj man baraus auf beren Billigung fd)lief3en mufj. Als ftneboeb, in £eutfd)lanb
burch Garniere Abbrud ftch mehr verbreiteten, als man fte genauer prüfte, wcju bie eben bamals verbreite;
ten mattnid)facbcn ^n'lebren, bie baraus erwachfenen bebenflicbcn Aufregungen unb Spaltungen, bringenb
aufforberten, vielleicht aud) wohl ber nod) nidit ganj unterbrüefte üble Stuf bei Brüber, fanb man in ben
Abenbmablsliebcm Austrüde, bie von bem reinen Augsburgifd)en ©laubensbefennrniffe abweichenb erfcbie=
nen. (5s erhoben ftch Stimmen bagegen, unb wären es nur einzelne gewefen, fte mufjten bie Aufmerffamfeit
ber Altcften ber Brüter erregen, weil bas Befielen ihrer Äirche burd) ben Sd)cin einer folchen Abweichung
gefäbrbet werben fonnte. So, ju erneuter Prüfung bringenb aufgeforbert, nahm Johann Spoxn, einer
biefer Älteften, jenes ßanttonal bes 9)Zid)ael 2Beiffe, ihres 9)titbrubers, in bie Sganb, unb entbedte ju feinem
Befremben, tap* ber Sichter ohne SSormiffen unb Billigung ber ©emeinbevorfteber eigene ©efänge, jumahl
vom Abenbmal)l beS £errn, unter bie übrigen gemengt, unb in biefer. eine irrgläubige Üebre vorgetragen
hatte. ©r machte jenen bavon Anzeige, fie erfchrafen barüber, ftraften bcn Sid^ter ernftltcb , unb rebeten
ilmt hart ju, hielten ihn auch taju feinen gehler gut ju machen. @r nahm tiefe Stüge von ihnen willig
auf, verfprad) feine SSerftbfje ju beffern, fing auch bamit wirflid) an, würbe iebod}, ehe er ju @nbe
Eommen fonnte, auS bem Sehen abgerufen; nach ter gewöhnlichen Angabe um 1540. grüber als in
biefem %abxe fann baber aud) wohl bas erfte, anerfannte Äirchengefangbuch ber JBrüber faum erfebienen
fepn, bas von 3oh<"in Sporn nach bem Sobe bes SfJctdjaet SBeiffe herausgegeben würbe. @s ifi mit feiner
Sabrjabl verfehen, unb führt ben Äitel: ,,@in ©efangbuch ber SSrüber in S5ehemen unb Berbern, bie man
34*
268
auS Sr>a$ unb 9teib ^tf^avben, 2MbenfeS nennt. S3on tfjnen auf ein neweS (fonberlid) com ©atrament
beS SRad)tmat)lS) gebelfert, unb etliche fd)6ne newe ©efeng bjnjugetfyan." DiefeS 33üd)lein fct^etnt grofjen
Eingang gefunben ju Ijabm; wir ftnben baoon niedre 2£bbrüde btS'jum Anfange beS folgenben 3af)r=
bunbcrtS. Dennod) wirb eS ben SSrübcrn nid)t genügt f)abcn, bie falfdje SJieinung ju entfräften, bie
man burch bie ©d)ulb beS fonft alä £)id)ter b)od)gead)teten SBciffe über if>re 9fed)tgläubigfeit burd) beffen
frühere Sammlung bätte faffen fönnen. ©ie übergaben beSbalb um 1564 bem Äaifer 93tarimilian bem
3weiten bei feiner S£l)ronbefictgung abermals il)r ©laubenSbefenntnif}, als einem „twn bem bie ganje
.Rird)e senge, unb mit einem SKunbe befenne, bafi er berfelben einer fetj, burd) weld)e ©ort ben treuen
girren unb SMjrern, fo er felbS erwedet, bie £f)ür ju notbwenbiger cfyrifilicfyer Erneuerung gnäbiglid) auf=
tfyun wolle;" fie beriefen fid) auf il)re Übcrcinftimmung mit bem 23efenntniffe ber *Proteftirenben ; ft'e fpra=
d)cn tt>vc ©emifibeit auS: „baf? 3cfuS 6t)riftuS felbS an jenem Sage, ba er alle SBelt richten werbe, ju
biefer 2ef)re, als ju feinem eigenen ewigen SBort fid) öffentlid) benennen werbe." Sroei ^arjre fpäter, um
1566 überreichten fie ifym nun aud) ein üoUjidnbtgcS ©cfangbud), unter bem Äitel : „Äirdjengefeng, bar=
innen bie 4?cubtartifct beS ßbriftlicrjen ©laubenS furl^ gefaffet unb ausgeleget ftnb ; ifet von neroem burd)=
feben, gemebret, unb ber Sib. Mcu SOiajeftät in untcrrf)änigfier iDemutl) jugefdjriebcn." ©ie bitten in
ber 3ueignung ben .Kaifer, roie jueor tfyr ©laubenSbefcnntnif, fo aud) je^t ben Äircfycngefang, mit ©na=
ben erfennen, juni allerbeften aufnehmen, unb fie als wafyre ©liebmaafien ber rechten £ird)e fd}ü^en unb
fdjirmen ju wollen ; ibjen ÜJEifjgonnem aber, bie if)re Ätrd)enlel)re läfterten , unb fie balb für biefe, balb
jene ©efte ausgäben, feinen ©lauben ju fd)enfen. 3» bem 33ud)e felbft wirb bie ©cfyriftmafjigfeit jebeS
einjclnen SiebcS, faft bei jeber ©tropfje, bei üielen aber mef)rmaf)l, burd) ©teilen ber S3ibel nadjgemiefen,
bie an bem9?anbe »ermerft finb. ©laubenSbefennrnifj wieÄird)engefang follten fo, als auS ber eckten Öuelle
ber Offenbarung gefd)bpft, fid) bewähren.
DiefeS merfwürbige 33ud) , baS feit feinem erften (5rfd)einen (wal)rfd)einlid) ju Dürnberg, weld)e
©tabt in fpäteren Ausgaben als Drudort genannt wirb) bis in baS erfte SSiertel beS folgenben 3al)rl)unbertS
binein, mehrmals wieber aufgelegt worben, ift für ßieber unb SBeifen beS Äird)engcfangeS ber S3rüber bie
£auptquelle. ©S ifi in jmei 4?auptabfd)nitte geseilt, beren elfter ben urfprüngtid)en heiligen ©efang ber
SSrüber, meift auS bem S3bbmifd)en in baS £>eutfd)e übertragen, enthält, unb in jwei Unterabteilungen
jcrfällt. SSon biefen begreift bie frühere bie geftgefänge, bie fyätere bie 2el)rlieber. ©er anbere .Ipaupt--
abfd)nitt ftellt eine 3feit)c beutfd)er, feit ber Äirchetwerbefferung auS bem eoangelifeben ßl)oralgefange ent=
lebntcr älterer unb neuerer lieber jufammen, unter bem Sitel: ,,©eifilid)e 2iebcr, bereu etlid)c von "tflterS
ber in ber Äird)en eintred)tiglid) gebraud)t, unb etliche ju unfer jeit oon crleud)tetcn, frommen ßf)rijten unb
gottfeligen ßerem new jugerid)t finb, nad) orbnung ber jarjeit." Den meiften biefer Sieber ftnb il)re ©ing=
weifen beigejeid)net, unb fofern biefe legten urfprünglid) auS latcinifd)cm (5l)oralgefange entlehnt finb,
finben wir jeberjeit bie 'ÄnfangSworte ber ©efdnge angeführt, ju benen fie gehörten. (Sine dbnlidje £iuellen=
angäbe treffen wir aud) in ben beiben Unterabteilungen beS erjlen ^>auptabfd)nitteS unfereS 2ieberbud)eS.
GS ift nun unfere 2lbfid)t, auS bem 9?eid)tl)ume »on ©ingweifen, weld)e baffclbe unS bietet, biejenigen
auS^ufonbern, bie in ber £eimatb b« SSrüber urfyrünglid) entftanben, unb nid)t etwa nur burd) fie ent=
lefjnt finb 5 unter biefen aber bie von ber lutbcrifd)en Äird)e l)inübergenommenen aufjufinben. ^)aben wir
bann an ber ©cfammtl)eit jener erften geprüft, wiefern in Tonart unb melobifd)en SäJcnbungen ficßtwaS,
ibnen, alfo aud) bem Siolfe, unter bem wir fie entftanben glauben, Cngent()ümlid)eS barftellen, fo wollen
269
wir baffelbe bei biefen anbem wieberum auffüllen , unb genauer betrachten, um auf btefem 2Bege ju er=
forfd)en, ob trgenb ein bebeutenber (Sinfluß ausgegangen fep »on bem heiligen ©efange ber SSrüber
auf ben ber £utberifcben.
3n ber früheren Unterabtf)eilung be§ erften £auptabfcbmtteS t>on bem S3rübergefangbucbe »on
150G haben nun bie aus> altem latetntfchen Sboral gefcböpften 93Mobieen bas> Übergewicht. 3u äSermeibung
jebe§ 9Jiifwerjranbe§ ijr ju bemerfen, baß hier t>on ben ©efängen allein bie 9?ebe ifi, bercn 2Beifen rbptb*
mifcb finb, einem bejiimmten ©tropbenbau ft'cb anfcbließen, unb bie SSeftimmung haben, von ber ganzen
©emeine gefungen ju werben. Denn auch SntroituS, ©equenjen u. f. ro. im SEone be§ alten rbmtfcben
■ÄircbengefangeS finb hier aufgenommen, bie nur ber ©eijrticfyeüorjutragen bat, ber ben©otteSbienjr hält, unb
berennäbereSetracbtungunferem3mede hier fremb ijr. Sie SEftelobieen ber erften Unterabtheilung, in biefem
©inne gefaßt, ftnb alfo, ber 9Kebr$abl nach, <*u3 lateinifcbem alten fjetttgen ©efange entlehnt. @§ finb
beren 57 unter einer 3abl »on 86gen; 13 won ihnen hat auch bie eoangelifch -lutherifcbe .Kirche fcbon frühe
ftd) angeeignet, mit ben ffirübern alfo au§ gemeinfamer Quelle gefcböpft. 3wei biefer 9Jlelobieen —
bie ber SßeibnacbtSfequenj Grales nunc omnes , unb bes> 2iebe§ Ave Hierarchia. nach benen Michael
2Beiffe feinen treflichen 2Betbnad)t3gefang : ,,£obet ©Ott o lieben ßbriften" bicbtete, unb fein
2(bt>ent»lteb : ,, SEften f cbenf tnb merf eben ma§ ba f et> bein ßeben" — bähen auch biefe
ihre Siebet- mit hinübergezogen in bie lutberifcbe -Kirche. Sennocb haben mir bei ihnen hier nicht ju
Derweilen, wo un§ nur bie ©ingweifen bbbmifcben Urfprungeö befd)äftigen. Unter ben übrigen neun unb
jroanjig SBeifen ft'nb beren jmei, bie ju alten, beutfchen Äircbenlicbem gehören; ju bem SDfterliebe:
S t> r tfl ift erjtanben, unb bem $>fmgjigefange: Äomm heiliger ©eift, £erre ©Ott. ©ie
erfcheinen aber hier mit anberen Dichtungen : bie erfte ÜJielobie ju einem Siebe ähnlichen Snbaltö :
(SJjrtftuä ijl erfianben, won be3 SobeS SSanben,
be§ freuet ftd) ber ßngel ©chaar, unb fingt im Gimmel immerbar
^aüeluja !
fo auch bie jweite
£) heiliger ©eift, £erre ©Ott
33efucb aü' Snrenben mit beiner ©nab',
9?icht ihr' ^)erjen an mit beinern ©efefc
Unb jeucb fte mit beiner ßebr au3 be§ SEeufelS 9le<3,
SEreib fte bem £irten ßbrtjto ju
S5et welchem fte ft'nben Srojr, SBeib' unb 3?ub,
©eborcbenb ihm in allen Singen
2CU$eit mit reinem ^>erjen fröhlich mögen fingen,
•£>aüeluja !
£ienad) bleiben un3 fiebert unb jmanjig ©ingweifen, oon benen mir üorauSfefccn, baß fte bbb=
mifd)e fepen; freilief) nur be^halb, meit fie weber au§ bem älteren tateinifeben, nod) beutfchen jtirebem
gefange hergeleitet merben tonnen. Siefe, für ftch genommen, nur febwaeb begrünbete Annahme ben!en
mir inbeß fpäter burch innere ©rünbe noch beffer ju unterjlü^en. SSon biefen 99Mobteen erregen jwei unfere
'tfufmerffamfeit. Sie eine fanben mir am früheren bem ^falmliebe SutberS: @3 woll unö ©ott
genäbig fepn, vereint; fpäter tfi: fie feinem ÄatecbtSmuSltebe angeeignet, nach welchem fte gewöhnlich
270
genannt wirb : „Gljrijl unfcr Qecx jum ^orban f am," wäbjenb jenes erfle bie SSJlelobie erhielt,
bie ihm feitbcm ftetS geblieben ijl. ©ie erfdjeint hier, mit geringen Abweichungen, ju einem Siebe ton bem
SBanbel dbnfii:
Sin neue 35al)n tpir alle b,a'n
3u bem ewigen Sehen,
Senn ©ortcS ©ohn vom höd)jlen Zt)Xon
Serfelb' ijl ber 2Beg eben,
Sen foll'n wir gern crfennen lern
Unb ja trewlid) nachwanbeln,
Aber jurücf unfer bo§ 3M
(Sntlernen unb t>erwanbeln.
3Bie nun biefeS Sieb um eine 3eile fürjer ijl al§ bie betben fo eben genannten, ihm fonft im
©troph^bau übereinfommenben, fo fehlt aud) feiner SJJelobie bie le^te Seile, bie nad) ihrem regelmäßigen,
borifchen SEonfd)luffe ftd) bem '#olifd)en juwenbet. Stefe ijl alfo entweber einßufa^ Süthen? für feine beiben
Steber, ober fte mag bon ben 35 rübern, eben ihrer Unregclmägigfeit wegen, »erworfen werben fepn, ju=
mahl fte berfelben für ihr Sieb nid)t beburften. Zm glaubltd)flen ijl ba§ Se^ste, unb baß alfo 35eibe, ßutljer
wie bie 35rüber, aus> berfelben älteren Quelle fchopften, wal)rfd)einlid) bem SSolfeigefange. Senn um 1525
wo wir unferer 9Jlelobie in 2Batter§ ©efangbud)e jum erjlen 9Kal)le begegnen, unb wo 9Jiid)ael Söeiffe feine
beutfd)e Übertragung einiger SSrübergefänge nod) ntd)t herausgegeben hatte, fonnte Suther faum beranlaßt,
nod) im ©tanbe ferm, eine ihrer ©ingweifen für fein ^Pfalmlieb ju wählen; bie ton il)m angewenbete fam
ihm wol}l t>on einem anbeten ©ebiete her, bem aud) bie 85rüber fte fd)on früher entlehnt hatten. — Sie
jweite SKelobie ijt bie be3 2luferjlel)ung3ltebe3 :
3efu§ 6£>rtflu§ unfer £err unb ^eilanb,
Der für un§ ben bittern Sob überwanb,
Ser ijl üon bem £ob
'tfuferjlanben, ein gewaltiger ©Ott !
£ter fommt fte t>or ju einem $)affion$liebe:
Zd) wie groß ijt ©otteS ©üt unb SBohlthat,
Sie er un£ auö lauter Sieb erjeigt hat,
Surd) 6l)rifium feinen ©ol)n,
Sen er hat gefanbt »om himmlifd)en 5£l)ron !
3ene6 erfle Sieb, bief er SJletobie gefeilt, ijl wor bem %at)ve 1584 (in bem, »on @ud}artu§ 3inf=
eifert bei ©igmunb geperabenb ju granffurtl) am SJlarm herausgegebenen ©efangbudje) mir nid)t oorgefom=
men : mit einer fremben ©ingweife ftnbet e§ ftd) 17 %aV)TC jtiüor, in SetfenrritS ©efangbud)e (351. 126) um
L567. Sas SSrübergefangbud) erfd)etnt alfo al§ bie früf)efte Quelle für unfere SJZelobte, unb fte fbnnte in
ber ^olge ton bem bort aufgenommenen Siebe entlehnt fepn, wie fte benn, fpäter nod), als» jweite ©ing^
weife für ©imon Sad)s> Sieb angewenbet worben ijt: „£) wie feiig fet?b il)r bod), o frommen*)."
') ©. aud) S3ad)* ßdoralgefängc. Ceipjig, 1786. St). III. p. 127. 9tro. 219.
271
@tn ganj uerfcbiebeneS SSerfjaltmj? be§ UrfprungS ber aufgenommenen SJlelobicen finbet ftcb in ber
2ten Unterabteilung be§ erften £auptabfcb;nitte3 unfever Äircfyengefänge. #ter bilben bie oorauSfefjslicb
bbbmifcfyen ©efänge bei weitem bie SDßebjrjaf)!. (§3 ftnb nämlicb tjiex im ©anjen ber rbctbmifcben, für
ben ©efang ber ©emeine beflimmten SKelobieen 148; unter ifmen ftnb 30 au3 lateinifd)em Qfyoxd entlehnt,
oon benen üier aueb. bie lutberifcbeÄircbe ft'cb angeeignet bat; fünf ftnb beutfcbenUrfprungö, üier berfelben oon
älteren g eifllidt) en Biebern, eine von einem weltlichen erborgt; bie übrigen galten roir bbbmifcben
Urfprungä, mit2lugnal)me »on berenneun, über bie roir, eben roie über jene fünf, noch, befonbere SJccbenfcbaft
ablegen roerben. 25a§ aber barf un3 nicfyt irren, bafi einige ber 9Jielobieen, bie roir al§ bor)mifd)e bezeichnen,
mit ben ^nfangöroorten lateinifcfyer Pfannen nad) ber SSulgata übertrieben ftnb. £)er 3nbalt ibrer gteber
geigt, baß biefe nacb ^falmen gebietet roorben, unb bie Überfcbrift beutet baber nid)t bie Quelle ber ©ing=
roeifen an, fonbem be§ ©egenftanbcs» ber Bieber felbft. —
Sene fünf ©ingroeifen alteren beutfcfyen UrfprungS erfreuten jum grbfjeflen Sbeile in SDlicbael
2Beiffe'§ ©ingebucbe »on 1531. ©o jundcbft bie SÜBeife beS alten beutfcfyen SBallfabrtliebeö : „3n ©ottee
tarnen fallen roir," roeldje Sutber auf fein ÄatecbtämuSlieb „Sieg ftnb bie Ijeil'gen §et)n ©ebot" übertrug,
©ie ijt bter für ein Sieb gleiten Anfanges, unb äljnlicfjen 2>nf)alt§ oorgefcbjieben :
Sieg ftnb bie beil'gen jebn ©ebot,
2Bie fte unö ©ott »erflaret bat,
Surcb SSKofen unb fein' lieben ©obn,
©cfyaro Genfer;, bafü bu banacb roirjl tb,un.
@6 feblt ibr jeboeb, ba$ „ÄtnieleiS" am ©cbjuffe ber <Stro^r)en, unb beSbalb aueb, ber borifebe Entlang
(bureb. bie fleine Serj) am ©ebluffe ber werten 3etle; rote benn aud) bie jroeite 3eile nicfyt in bie £>berquarte
(Unterbominante) ausSroeicfyt, fonbem in ben ©runbton jurücffebrt.
25ie jroeite tiefer ©ingroeifen ijl bie beS alten 9Diarienliebe$> : ,,9Karia jart, oon ebler %xt." ©te
erfebeint tjier mit einer Umbicbtung beffelben
£) Sefu gart, in neuer %xt
(Empfangen unb geboren,
Su baft unS alles roiberfart (roiebergebradbt)
SÜBaö Wcam fyatf »erloren
3m ^arabieS, ba er oerlteS
©otteä SSunb unb ©efefce,
giel in be§ SeufelS Stelle,
©arau§ ber Zoe unb alle 9tot
83ber in fam unb frafft geroann,
(Srbet auf feine Äinber, ,
Saüon nu roir teglicb, für bir
Un§ nur beftnben ©ünber.
Seneö ältere Sieb unb feine SBeife fanben roir auch, im glamlänbifeben; SSeibeö fann nun roobl
ben S3bbmen eben fo gemeinfcfyaftlicf) geroefen fenn, melletdjt nur ben beutfebrebenben (Sinroobnern beS iaw
be§, unb oon biefen fobann auf ben eigentlich, eingebornen «Stamm unter ben SSrübern übertragen.
Die Dritte jener geiftlicben SJMobieen tft bie be§ bekannten ©efangeS : ,,9Kitten roir imgeben
ftnb. " 2Bir ftnben fte biet mit folgenbem Siebe :
SEBtr maren in großem ßeib,
3n Ubam aW gejtorben,
2Ber hat un3 bie ©eligfeit
S5ei ©Ott roieber erworben?
GhriftuS nur alleine
Der ftcb bie geopfert hat
Sur TlbamZ ©ünb' in ben SSob!
^eiliger Sperre ©ort, ^»eiliger ftarfer ©ort, «^eiliger barmherjiger SBater,
Du eroiger ©Ott,
Danf fen. bir gefaget,
Das? bu au3 lauter ©nab
Sur un§ bie beinen ©on
baft laffen SBuffe thun,
Unb unö roieberftatten
Die »erlerne Äron.
Der verlängerte ©cbluß be3 ßiebeS bat, roie erflärlid), auch einen abroeicbcnben ©cbluß ber
©ingroeife jur golge gehabt, obgleich fte bte> ju ben legten fünf Sailen mit ber be3 alten beutfcben ßiebeS
obllig übereinfhmmt, beffen ganjem 35aue, foroeit er burcb ben Inhalt bebingt wirb, ej> aud) an 33ejiebun=
gen ju bem fjter mitgeteilten nicht fehlt.
Sfllen biefen ©ingweifen, nur bie erfre aufgenommen, iff bie 2tnfangöjeile ihrer urfprunglicben
ßieber in Söeiffe'S ßantional »orangeftellt, unb ba roir fie als» ältere, fcbon üor ßutber gebräuchliche rennen,
bürfen roir au3 biefer SSejugnabme fcbließen, baß fte bei Verausgabe btefeö 33ucbes> ben Siebern entlehnt
roorben, benen man fie um bie Seit ber Äird)em>erbef[erung aneignete. @in »ierteö ßieb erfcbeint erft in
bem burcb 3obann Sporn gereinigten ©efangbucbe ber S5rüber, unb auf biefes? ftnben mir bie 9J2elobie beS
S3olf3liebe3 angeroenbet: „gntlaubt ift un§ ber SBalbe," bie im lutbertfcben Äircbengefange ju bem SJlor*
genltebe »on Äof)lroß gebraucht roirb: ,,3cb banf bir lieber Sperre. " SJlit beffen 2uifang3jeile bezeichnet
j£>orn biefeö , hier folgenbe ßieb :
ßob' ©ott getroft mit ©ingen,
grolod' bu d)riftlicbe ©cbaar,
Dir fotl nicht mißgelingen,
Denn ©ott hilft bir immerbar;
Dbgleicb bu bie mußt tragen
SSiel 2Biberroärtigfeit,
9lod) foltu nicht »erjagen,
Denn er hilft bir au§ allem ßeib.
Die ©nlbenbebnungen ber fücelobie in ber 2ten, 4ten unb legten 3eile haben bem Dichter biefeS
ßtebeö bie Sr^'^eit ©ergönnt, »on bem ©tropbenbaue bes> urfprunglicben abzuweichen, bem hienach ber beö
feinigen nicht ganj übereinftimmt, obgleich in ber ©ingroeife felber nichts geänbert ift.
273
Die fünfte unferer SBcifcn, unb unter ihnen bie vierte geiftlicben Urfprungö, ift bie bee> tfbenb^
mablSliebeä ,,©ott fep gelobet unb gebenebeiet." 9cacb tf>r foll im JBrübergefangbudbe t>on 1566 ba§ fol=
genbe, bort jum erften 9Äa$I erfebeinenbe Sieb gefungen werben:
©ort woG'n wir leben, ber mit eblen ©aben
Die Jlircb fein Zeitig <2tab herrlich erbaroet bat:
Durch, fein'' ©eift unb SBort an eim lieblichen £rt
3Cn ben febbnen S5erg 3ion auf @brijtum feinen <Son.
Da fte fein SErübfal »erleben fann,
Sonbern weebft unb blühet für jeberman,
(Scfybn unb gart in SBolfart,
3n lieb unb einigfeit,
3u jrer ©eligfeit.
©ie ift ganj unoeränbert, nur bafj, wie ihrem neuen Siebe bas> jfyrieeletfon am ©cbluffe ihrer
beiben 2(bfcbnirte fehlt, ber oon biefem fonft eingenommene Sbeil ber Strophe nun in bie Seifen be§ Siebe»
fclbft mit übergegangen ift, unb ft'cb weniger »or bem Übrigen auszeichnet, ©ine ^nbeutung ber Quelle
woher bie SDtclobte gefebbpft fep, fehlt hier, wie überall in biefem Soucbe, wo bie entlehnten SBeifen nicht
aus> lateinifcbem Äirchengefangc flammen. Dennoch ift mit Sicherheit anjunel)men, fte fer> »on bem
genannten älteren beutfehen Siebe erborgt. Denn wir ftnben fte bereits 42 3abre früher, in SBalterS
©efangbuche oon 1524, mit bemfelben, unb über biefes» haben wir Sutber» Seugntfj, baß e§ lange t>or
ihm gemacht fep.
Die neun ÜJKelobieen, bie wir neben jenen fünf befprochenen noch ju betrauten uns »ornabmen,
ftnb jum SEbeil jweifelbaften UrfprungS. 3u älteren beutfehen geiftlicben (ober weltlichen) Siebern fommen
fte nicht oor, fonbern ju folchen, bie unleugbar brachte ber Äirchenüerbefferung ftnb ; fönnten fte aber ben=
noch nicht bem SBrübergefange entlehnt femt? 2fm wenigften wirb biefe» üon benen unter ihnen üorau3ju=
fe^en ferm, bie weber in 2Beiffe's> ßantional t>on 1531, noch in SSarnierä Ausgaben tion 1538 unb 1539
ober ^>orn§ Überarbeitung, fonbern erft 1566 üorfommen ; hier barfbie frühere Aufnahme in lutberifcbe
geiftliche Sieberfammlungen al§ entfeheibenb gelten gegen ihren bbbmifcben Urfprung. <£o fteht bie
pbrr>gifche SBeife be§ *Pfalmliebe» : „2(cb ©ort »om Jpimmel ftet) barein" für ein anbereS über ben 80ften
9>falm worgefchrieben: £).£irt unb £eilanb 3fraet:c; feine mirolr;bifcbe für ba§ Sieb :
^fllmächtiger, ewiger ©ort,
Der bu bie SBelt regiereft,
SSon bir fümpt beibe Statt) unb £bat
Da3 Regiment bu fübreff,
Du fefjeft Äbnig' ab unb ein
S3ift aller $errn ein £err allein
Unb enberft jeit unb ftunbe.
S5egnab' bie ganje Gibriftenbeit
Stach beinern SB oh (gefallen
SSJtit weifer, frommer £berfeit,
Daß" bein Sob mbg' erfchallen,
». SBinttrfd», itt «angcl. (S^oratgcfang. 35
274
SSerleib, baß ftc ft)t mad)t unb gmalt
83 on bir annebm unb red;t uermalt
ÜRtt ©üt' unb <£rnft in 2111cm.
©te er fte bctber SÖMobicen erfcbeint bereite um 1535 in JUugS gciftlidbem ©efangbudje, bie
lefcte in bcm »on SRicbacl Sieb herausgegebenen (1537) 511 einem fremben Siebe, allein gleichzeitig auch
in SBolf Stbpfß ©efangbuche *>on bemfclben Sfcfyre, ju SutberS $>falmliebe; beiber höhere» Hilter als baS
be» jtirchengefangbucbeS ber SSrübcr v>on 1566 ift baber nid)t ju bejmetfeln. gerner feben mir bie ionifebe
?9ielobie beS ^falmliebeS ,,2tu3 tiefer Sftoth febrei id) ju bir" ($)f. 130) in biefem fpdferen 33rübergefang=
buche für ein Sieb über ben 42ften spfalm oorgefebrieben:
©letdnme ber $ir\d) jum SBaffer eilt ic.
ftc mar aber febon um 1537 »orbanben, roo mir ftc in Siebs geifttiebem ©efangbuche ju einem Siebe an=
gemenbet finben, baS al§ ©inleitung ju bcm SSatcrunfer bas> ©anje eröfnet, unb fo beginnt:
Unfer 3uflud)t, 0 ©Ott bu bift.
Grnblich. ift um 1566 bie SSBeife be§ Siebet : ,,£>er £err ift mein getreuer Sfrkt," über ben 23ften
9>falm, ju folgenber Sichtung über ben 74ften angemenbet:
3ld) ©ott marum »ertcffejfu
Sn großem berkcnletbe,
Unb gürnfl alfo, üerftbßeft nu
25ie fd)eflein beiner meibe?
©ebenf ba§ bu, eh fte geborn
33or alters fie bir baft erforn
3um SSolf von allen Reiben.
£as erftgebacfyte *Pfalmlieb fielet jmar im Anhange t»on 33apft§ ©efangbucfye (1545, 9cro VII)
nod) ohne SERelobie, inbem bort auf bie beS SiebeS: „9lun freut euch lieben ßbrifrengmein" oermiefen
mirb: allein 15 %at)te fpäter, um 1560, alfo feebö Sahre oor bem ©rfd)einen beS großen S3rübergefang=
bucbeS, finben mir fte in bem großen ©traßburger Äircbengefangbucbe, unb bürfen beSfyalb fie für eine bei
ben Sutberifcben früher gebräuchliche, unb auS il)rem Äirdjengefange entlehnte halten. Merämeifel barüber
febminbet enblicb baburd), baß mir bei genauerer Prüfung fte für biejenige ernennen müffen, bie febon um 1524
Johann SBalter für ba§ lutberifcfye ^falmlieb : „2lcb ©ott »om Gimmel fiel) barein" angemenbet bat.
Crrfcbeint unS bei biefen üier Singmeifen ba§ SSerl)ältniß beS jtircbengefangcS ber SSrüber ju bem
lutberifeben als ein Empfangen, nicht ein ©eben, fo ift bei ben fünf anberen barüber fehmerer ju entfebei--
ben. 3n SSeiffe'S Giantional oon 1531 unb übereinftimmenb bamit in S3arnier3 'tfuSgabe beffelben eon 1539,
finben mir folgenbcS Sieb :
©elobt fet? ©ott, ber feinen ©ohn
3n bie 2Belt bat gegeben,
£>aß man follt feinen Sßillen tbun
Unb feines ©laubcnS leben;
Sa man aber fein Sßort veracht,
Unb nach unnützen gabeln tradjt,
erjürnet marb gar eben.
075 — -
3fym tft bort eine ©ingweife beigegeben, bie, wenn auch. nid)t in ihren erjlen beiben Seilen,
bod) in ihrem ferneren Fortgänge eine ficbtlicbe 33e$icbung jeigt ju ber beä befannten ßiebeS : „(53 ift ba3
£eil uns fommen ber." £>iefe ift t'bm benn aucr; fpater, in Qoxnä gereinigtem ßantional, unb bem
großen von 1566, bort mit ber überfcbriebenen erjlen 3eile jenes 2iebe§, Fjter ohne biefe Angabe, beU
gejeicbnet. £afj fte ml früher »orfomme als 1531 — bereite 1524, wie mir gefeben — ift jrceifelloS,
aUein ihr erfteS @rfd)einen in ben geiftlicfyen ©efangen ber 33rübcr, in einer Umgeftaltung , bie fte jebod)
immer nocb erfennen läfit, bleibt merfmürbig. Wim mochte fte eben be§balb für eine urfprünglid) einem
Siebe in frember 3unge abgehorchte unb unüollfommen fortgepflanzte falten, feie Anfangs! in biefer tyx--
gebracbtcn *#rt überliefert, erft fpater bei mehr unmittelbarer ^Berührung mit bem SSolfe, in beffen SKitte fte
entftanb, berichtigt mürbe. (Sin ©runb rnebr, um fte bem beutfd)en S3olf§gefange entflammt ju halten !
SEBie leicht fonnten beliebte, anfpred)enbe SDßelobieen berübertbnen oon einem beiber, wenn aud) md)t
ftamm = bod) reid)3t>erwanbten S36lfer 5U bem anbern, bei jebem gleich, beimifch werben; fönnen wir
bat>on boeb fpater nocb entfebeibenbere S3eifpiele aufzeigen! — 33ei bem Siebe
SBer ©otteS Diener werben wiU
25er nehm' ibm (Ehrijlum jum SSeifpiel,
Unb rhu au§ bemütbigem ©etft
SDttt 33lei$ alles wag @r jn beipt,
ftnbet ftcf> inSBeiffe'Sßantionat Bon 1531 bie SBerweifung auf bieSDWobie be§S5ufliebe§ berS5rüber: ,,Äebr
um, febr um bu junger ©obn;" in 33arnier3 Ausgabe üon 1539 ift biefe ©ingweife felbjl betgejetchnet,
wenn aud) niebt biejenige, mit ber biefes? ßieb tiom verlornen @ob,n fpater um 1566 erfd)eint. 3n Spoxnä
ßantional aber ift bemfelben bie SBeife be3 ^PfalmliebeS von Sobann jloblrofs beigegeben : „2Bo ©Ott jum
Jpauf niebt giebt fein' ©unft," jebod) ofme bie Angabe, e§ fei in beffen SEone ju fingen. iftun ftnbet ftd)
biefe 9JJelobie, foweit meine gorfdbung reicht, juerjl in ÄlugS @efangbud)e t>on 1535; fte ift bort biefem
ßtebe, unb bem lutberifd>en : „SBobl bem ber in ©ott§ gitrdjte fiebt" gemeinfcbaftlich, ba§ in SBalterö
©efangbuebe »on 1524 eine anbere ©ingweife hat. iDaS ^ornfcfye @antional bat in feiner (üorau§=
fe^licb) dlteften 2Tu3gabe jwar weber £)rucfort noch 3abre§jabl, allein e3 ifl erft nach, SÖßicbael SBeiffe'S
Sobe (1540) erfdjienen, unb bie ältefte mit einer SabreSbejeichnung erfebienene Ausgabe beffelben nennt
1544. (£3 ift alfo jeberjeit jünger als? bie beiben SJrucfe be§ Älugfcben ©efangbucheS t>on 1535 unb
1543, unb ber Umjlanb ift beSbalb nicht weiter entfd)eibenb, baß .£>om in ber 9?egel entlebnte SSKelobieen
aß folebe bezeichnet, 'tfbnltcb. verhält e§ ftd) mit bem 83ufjltebe :
2Cu§ tiefer 9cotb laßt un§ ju ©ort
SSon ganjem ^»erjen febreten,
S5itten, bap er au§ feiner ©nab
Un§ wollt 00m Übel freien,
UnS alle ©ünb' unb gjiiffetljat
SEBelcb,' unfer gleifd) begangen fjat
ein S3ater »erjetyen.
@§ trägt bie pf) rngifd) e Sölelobie be§ lutberifd)en SiebeS über ben 130ften ^)falm: „tfu§ tiefer SJcotb
fd)rei ict> ju bir," obne ba£ weber um 1531 nod) 1539 bie £lueX|e bezeichnet ift, wober fte gefeböpft fen.
5Jibglid) fönnte eö bemnad) fepn , bafj fo Sutber aB 5CRid>ael SBeiffe au§ einer gleichen, alteren Quelle bie
35*
276
©ingmcife entnommen hätten. Sa tnbefj £orn fpäterbin ihr bie "tfnfang^cile be§ lutbcrifcben SiebeS öw«
anfefct, btefeS mit ihr aud) fd)on 1524 in SBaltcrS ©efangbttd)e erfebeint, fo bleibt ber mabrfd)einlid)erc
gall ffcetä ihr Entlehnen »on fcatjer. — (Sinige S3ebenfen enblicb, erregen nod) jroei anbere SJMobteen, bie
leinen beiben ber neun als zweifelhaft hervorgehobenen. Sie frühere Süßeife bes> lutf)erifd)en Siebes „9<cun
freut eud) lieben ßljrtilengmein" ftnben wir in bem 33rübergefangbucbe r»on 1566 bem Siebe gefeilt:
£s gläubig ^>erj gebenebev),
Unb gib Sob beinern Sg> erren ,
©ebenf bafj er bein Sater fep,
SBeldben bu ffct§ füllt ehren ;
Siemeil bu feine fiunb an (ob» in
•SDZit aller ©org' in beinern ©inn
Dein Seben f'annft erneeren.
gerner eignet bafelbjl bie ©tngmeife be3 $)falmtiebe§ : ,,(£3 fpriebt ber Unroeifen Sftunb mobl" folgenbem
©ebete für bie cbrijtlid)e Äirdje
£) rpcbjer ©ott oon (5migfeit
<Siet) beut' an all' Gülenben,
Sie ft'cb »ort Ungered)tigfeit
3u bir fya'rt laffen menben,
Unb aller Soweit abgefagt,
Samit ft'e nur, ma§ bir besagt
SBirrlid) mochten »ollenben.
Sie '#nfang§jeilen beiber lutherifeben Sieber, beren SKelobieen mir bereits in 2Balter§ ©efang^
buche »on 1524, bie be3 erfien fclbft fd)on in ben acht einjeltt gebrudten Siebern au§ bemfelben %dl)xc
fauben, haben fomol)l SBciffe (1531) ale> Skrnier (1539) unb Jporn über biefe ÜJielobieen gefegt. (Sntlebnt
mürben baf)er beibe bureb bie SSrüber, unb aud) mof)l bem ©efangbud)e SBatterS. Sa inbefj einige 2ßabr=
fcbeinlicbfeit »orbanben ift, bafj aud) btefcS ft'e einer alteren £Utelle »erbanfte, fo bürften biefelben aud) bei
ben SBrübern auf biefe jurütfjufüfyren fenn, SBalterS ©efangbud) aber nur ju beren Berichtigung gebient
haben.
S5ei ber Betrachtung biefer älteren unb neueren ©tngmeifen trat unö eine S3ejicl)ung jmtfeben
bem Äircbengefange ber 33ruber unb bem ber Sutberifcbm unleugbar entgegen. Mein ft'e befhinb tbeilS in
bem ©d)ö»fen au§ gemeinfamer £).uellc, tbcilS mar ft'e bei ben SSrübem bie eines @m»fangen3, bei ben
Sutfjerifd)en beS ©ebenö; nur ba faf)cn mir aud) biefe als Scebmcnbe, mo fte »on ben SBrübern, nament=
lict> jenem 9)}id)ael Sßeiffe, geiflltcbe Sid)tungen borgten, mit benen ft'e aber ©tngmeifen empfingen,
bie, in bem alten lateinifdjen Äird)engcfange l)eimifcb, aud) burd) bie S3rüber nur entlehnt maren.
3cne Schiebung aber mar nid)t bie etnjige: aud) bie Sßrüber ft'nb ©ebenbe, bie Sutl)erifd)cn Grm»fan=
genbc gemefen, fte haben mit Siebern jener aud) beren ©ingmeifen aufgenommen; eine 7bt bc§ Qm-
»fangenö, bie hier, mo bie SDZelobic, nad) bem ©inn unferer Aufgabe, in ben SSorgrunb tritt, un£
»orjugemeife befd)äftigen mufj. ©o merben mir benn mieberum Eingeleitet auf jene SBeifen, bie, nad)*
bem mir baö anberen Quellen Gntftammenbe beä großen SSrubergefangbucbeö »on bem Übrigen gefon--
277
bert, wir bofjmtfcben Urfvrungä balten, unb bie wir junäcbft in i()rem SBerbättniffe ju bemjvangelifd)
lut£jcrifd)cn jtircbcngefange, bann aber, ifyrer cigentbümlicfycn S3efrf)affent)cit nad), im Allgemeinen be=
trachten werben. 2>on jenem erftcn SJerbaltniffe aber werben wir im 3ufammenbange banbeln, mögen wir
bamit auch, über bie ©renken be3 3eiftautti3 fjinaugfdjreiten, ber un§ gegenwärtig bcfd)äftigt. Sbäten
wir anberS, fo würben wir imfcre Sarftellung obne sJcotl) verwirren unb jerftüdeln. ^Beginnen mufj
fie in biefer 3eit, wo ba$ (Sntlebnen am lebhafteren war; baS erfte hervortreten biefeS Aneignend wie
fein fpaterer Fortgang unb feine enblid)e Abnahme finb mit biefer $>eriobe feiner grbfjcften Spbtye in ein
©efammtbüb ju faffen.
T>a$ erjte bewufjte Aneignen eines? Siebes? ber S3rüberf'ird)e mit feiner, in beren Witte entftanbenen
Stngweifc, ift wofyl ba3 be» S5egräbni(jgefange§ von SDiicbael Sßeiffe : „SSlun lafjt un3 ben 2 ei b be=
graben." Sine eigene Stngweife bat biefer jwar noch, nid)t, weber in SBeiffe's? ßanticnal (1531) nod)
S>arnierö fväterer Aufgabe (1539) nod) enblid) in jQQtttä Überarbeitung. (§3 wirb bortauf „ben naebften
Sbon" verwiefen, bie 9Jielobie bc3 SiebeS ,;S Sefu ßbriftc, ©ottes? Sohn," ba§ bei S5egräbniffcn ber Äin*
ber gefungen würbe. ÜJtit biefer SOcetobte giebt auch um 1545 bai> ä3avftfcbe ©efangbueb (iHro. LXXXj
unfer Sieb, nur bafj fie, mit wenigen Abweichungen, au3 bem urfvrünglicbcn Umfange ihrer Sonart, ber
»brvgifcben, in beren verfemten übertragen erfdjeint. 9Kan hatte SBeiffe'3 Sieb früher als eine Arbeit SutberS
angefehen, unb aß folebe genannt;. biefer war inbefj fogleich bereit bem wahren Urheber bie (Sfjre ju geben.
„Sa3 Sieb, fo man ju ©rabe finget (fagt er in feiner äSorrebe ju bem eben genannten ©efangbucbej führet
meinen tarnen, aber e§ iji nicht mein, unb foU mein SRatne hinfort bavon getban fevn; nid)t, baf id)3
verwerfe, benn es? gefallet mir febr wobl, unb t)at ein guter $)oet gemacht, genannt Johannes (Wufyaei)
2Beis, obn' bafj er ein wenig gefd)warmet bat am Sacramcnt ; fonbern ich will niemanb fein Arbeit mir ju=
eignen." (5$ bat ftcb bis? auf unfere Sage in bem evangelifdb = lutberifeben jtuebengefange erhalten, nicht
fo bie ©ingweife, mit ber es? in SBapffS ©cfangbucfye unö begegnet, Sdion ber jmei 3abrc juoor, um 1543,
erfd)icnene fvätere Abbrucf von ^ofepf) .ÄlugS ©efangbuebe gab es? mit einer anberen SJJclobie au3 ber (»er*
festen) mirolwbifcfyen Sonart; bie 123 Steter für bie gemeinen Sd)ulen, welche ©eorg 3?bau ju 2Bitten=
berg 1544, um ein %at)x fväter aß jene Aufgabe von ÄlugS ©efangbudje, unb um eben fo viel früher aß
ba3 a5avftfd)e herausgab, enthalten eine britte, von 3o()anne3 Stahl mit fünf Stimmen gefegte, ionifd)e
Stngweife. Siefe, weld)er wir bann bei ben S5rübern in ihrem ©efangbuebe von 1566 evfi wieber be-
gegnen, ift biejenige, welche ü)m feitbem geblieben ift. 5Bob er ft'e ftamme, ob ihr S£onfcf>er auch ihr Qx--
ftnber fev> ? wiffen wir nicb,t, von ben ffirübern aber fd)eint fie nid>t fyerjurüfyren, fonbern e^er burd) fie
ibjem Äircb,engefange angeeignet ju fepn. Sie wirflid) auf bem ibrigen entlehnte, unb fogar füdter alö
jene anbern beiben, würbe aber, wenn ft'e nid)t etwa ortlid) eine Seit lang nod} ftd? erhalten l;aben mag,
von ber burd) Stafyl gefegten überall verbrangt, biefe lebt nod) unter un§ fort unb wirb ju vielen anberen
üiebern g(eid)en ?Duiaf3e§ gern unb g(üdlid) angewenbet, von benen wir nur bie beiben fpäteren nennen:
Schaff in mir ©Ott, ein reines? £cr$" unb: „Sie Seele ßbrifti beifge mich."
£>a$ ©efangbueb SSalentin S5apft§ bat jwar aud) 9)tid)ael SBeiffe'ä fd)bne§ StBcibnacbtstieb auf=
genommen ,,2obet ©Ott, o lieben Gbriften ; " fein 9)affion3lieb : ,, Sie Propheten ban vropbejeit; ein
Sieb wirb febier ber te^te Sag fye-rfc-mmen." Allein bem erften liegt bie SBeife ber alten lateinifeben
SBeif)nacbtä=Sequenj unter: Grates nunc oranes; bem jweiten bie beä^)t)mnu6: Vexilla regis prodeunt:
-bei bem britten weift baä ©efangbueb ber S5tüber jurüd auf bie SKelobie be§ 2iebe§ :
278
,,lLä) ©ort, mag man roofyl in tiefen Sagen
•Db beiner Äirdben weinen unb f tagen it."
welcbe freilidb, mit einigen 2lbtt>eid)ungen, biejenige ift, bic auch, jefct noch, für jenes Sieb t»om jüngften Sage
angevoenbet roirb, burd) ifyre Überfd?rtft: „Felici peccatrici," jebocr; als bem lateinifctjen Äird)engefange
urfprünglicb, cntfiammenb bejetdmet wirb.
Sie nacfyfk ©ntlebnung won fiiebern berSSrüberfircbe unb it>rcn SKelobieen ft'nben mir erftU^abre
fpäter, in brei gleichzeitigen ßieberfammtungen. Sie erfte berfelben erfd)ien 1569 ju granffurtf) am
Main bei Sob^nn SBolf , unb tyex finb beren fünf aufgenommen. Sunacbft ein 2tbt>entlieb :
©laubige @eel', fd)am bein $err tmb Äonig roill fommen,
Sir ju Srojt t>nb ju frommen,
(§r left ft'cb. bir »orbin anfagen,
©ieb ba§ bu ibm mir)! belogen,
S3nb feim grieb' »on SQexfym nachjagen,
fobann jroei 2Beibnad)teilieber : ba3 erjie »on einer brcijeiligen ©tropfe '
ßafit un§ frbblicb unb einträcbtig fingen,
Sie 3eit feliglicr; Einbringen
Sieben »on göttlichen Singen tc. ;
ba3 jroeite won einer m'erjebnjeiligen :
£> Gf>rtfle mabrer ©otteS ©on
Ser bu »om bbcbften Styron,
SSom SSater ber SSarmberjigfeit
©eborn »on @n>igfeit,
©efanbt un£ ju frommen
3n bie SEöelt bijl fommen ;
SSom beil'gen ©eijt empfangen,
Sfteun SSKonat »ergangen
SSon SSJiaria auSerforen
©anj rein bift geboren,
©eroinbelt in gering' ©eroanb
3n ein' itripp geleget,
Unb burcb, @ngel ju Spant*
Sen 4?irten crgeigct tc.
9(äd)ji ibnen ein 8ieb oon ber ffiefcb, neibung 6f>rtflt :
ßob fei ©ort, benn ber ©amen
Itbraba »erbeifien ift nun fommen,
Sie fleifd)licbe S5efd)neibung
Unb figürliche SSerfdbreibung
S5ei bem gelobten ßanb,
SSBirb üollenbet burcb. ßbriftum ben £eitanb tc.
<§nblid) eine Umfcbreibung oon bem ©ebete beö £errn :
279
Saft unS fchreien alle gleich
3um SSater gen Himmelreich,
33egeren mit Snnigfett
Unfcr Seelen Secligfeit,
Spie ©enab, unb bort ewige .Klarheit,
Sprcdienb einträchtig in ©eifi unb SBahrheit:
Safer unfer, Sperre ©Ott,
Allmächtiger 3cbaotb,
Du unbegreiflicher ©eift,
3m Jpimmel unb ßrbenfreiS :
Jpilf baS mir biet) recht lernen erfennen,
Sieb ^aben unb mürbig Skter nennen ic.
Die üier erjkn tiefer Sieber enthalt bereits baS dantional Sßeiffe'S t>on 1531 mit ihren Sing=
weifen; baS fünfte hat in ihm unb SSarnierS Abbruc? oon 1539 feine eigene 9Jielobie neben fict), es finbet
ft'e erft in £ornS Ausgabe unb bem S3rübergefangbuct)e wn 1566; tf>r früheres SSorfommen in einer
lutherifchen geiftlichen Sieberfammlung ifl inbef* nicht nachjumetfen.
3n eben biefem 3at)re (1569) erfd)ien ju Strasburg baS jmeite ber gebadeten ©efangbücher
bei Sbeoboftus 9?eid?el ; eine (Sammlung oon ^falmen unb geiftlichen Siebern. Aufkr 12 Siebern ber
33rüber, beren Singmcifen aus lateinifd)em Äird)engefange ftammen, unb 6 anberen, bie nicht auS bem
ber SSrüber berrübrenbe 9JMobiecn haben, enbtict» bem ju Anfange fct)on ermähnten 33egräbni£liebe,
bas hier mit feiner fpäteren, allgemeiner oerbreiteten Sftelobie erfd)eint, fmben mir in biefem £3ud)e jroei
Stf ch lieb er ber S5rüber, bie auch ihre Singroeifen mit herübergenommen haben. Dem erften begegnen
mir erft in Nortis ^Bearbeitung bes SSeiffe'fchen Gantionais, boch fchon mit ber in bie Strafjburgcr
Sammlung aufgenommenen Singmeife aus ber iontfeben Sonart:
Allmächtiger, gütiger ©ort,
Du emiger Sperr 3ebaotr),
2fller Augen marren auf bich,
Unb bu fpetfeft ft'e gnäbiglidt).
@ben fo bem $roeiten :
Danfet bem £erren, benn er ift fehr freunblich,
Denn feine ©üt' unb S55abrt)eit bleibet emiglich.
Der als ein barmherziger, gütiger ©Ott,
Uns bürftige ßrcaturen gereift hat ic.
dnblich erfd^ien, gleichfalls um 1569, ju granffurth an ber £ber bei ben ©ebrübern Eichhorn, ein
SEÖieberabbrucf eineS bereits 1552 oon benfclben herausgegebenen geiftlichen ©efangbucheS, baS britte ber
oon unS in 95ejug genommenen. DiefeS fmben mir unter anberen gemehrt buret) ein Sieb ber 33rüber
,,oom GEreufj ber .Kirchen, " baS jum .Kampfe ermuntert miber bie äSerfudningen beS Sbfen, unb ju fefrem
SSerbarren im ©lauben :
£) SBächter, mach', unb bemar beine ft'nnen,
Denn bie geinbe fommen für beine jinnen,
SBollen betn fdiloS geminnen.
Dein fd)lo3 ift bein rcineS unb einfeltigS t>er^
3n welkem bu f>afl bie allerbeften frf>cfe
9cemlid) beS £erren gefe^-
Der 4?eubtman, fo t>iefe feinbe regieret,
3fl ber ©atan ber bie .£eoam verfüret,
2Betch' alle§ fleifd) gebieret tc.
#ugenfd)einlid) iji baffelbe auS Sölid)ael 2Beiffe'S ßantional oon 1531 entlehnt, reo eS juerji unS be=
gegnet mit feiner ©ingroeife.
DaS ju SBittenberg 1573 oon jleuchcnthal herausgegebene geiftliche Sieberbuch fyat allerbingS
elf ßieber unb jcfjn baju gehörige SDlelobteen ber S5rubcrfird)e entlelmt: bocf) ftnb biefe legten lateintfdjen
UrfurungS, unb Fommen beSljalb hier nicht in ^Betracht. SRad) ihm giebt erft baS Äirchengefangbuch
Eucharius 3mfeifcnS (granffurth am Wtain 1584) roieber ein SSeifoiel ber Aufnahme einer ÜJKelobie
b&bmifcbcn UrfprungS. ©ic gehört bcm Siebe :
£) SKenfcb,, betraf rote bid) bein ©Ott
2tu§ ber SJZaaßen gelicbet hat,
Daß er fein' aller liebjien ©olm
©cfanbt fyat oon feim höchfien Sb,ron.
£ier ift baffelbe für ben ^almfonntag befiimmt; in bem SSrübergefangbud)e oon 1566, oon bem ee> auS
£orn§ ßantional aufgenommen rourbe, frefjt eS unter bem 2lbfcb,nitte : „oom SBanbel ßhrifti." 3mar iji
in 3infeifenS ©efangbud)e auch baS Sieb oon 9JZid)aet SBeiffe nod) aufgenommen :
©ef)r groß iji ©otteS ©ütigfcit,
Denn er fdmf unS jur ©eclig!eit,
Unb ba roir fein' ©utS funben thun,
#alf er un§ burd) fein' liebfren ©ofm,
allein mit einer fremben ©ingroeife, roeSl)alb roir e§ tjter nicht rechnen bürfen, fo wenig rote baSSieb:
Sob fei bem allmächtigen ©Ott
35er fiel) unfer erbarmet hat,
©efanbt fein' aller liebften ©ob,n
3luS ihm geborn im f)6d)|ten Sb,ron;
benn beffen 9Jielobie iji fjier bie be§ lateinifchen %\)mm§>: Conditor alme syderum" unb biefe flingt bei
urforüngltchen, bbl;mifd)en, nur entfernt an. Die übrigen ad)t geifilidjen ©efdnge ber S5rüber, bie roir bei
3infeifen nod) antreffen, haben ©ingroeifen lateinifdjen UrforungS.
©nblid) ift hier baS ju DreSben im Saint 1593 herauSgefommene Äird)engefangbud) $u nennen.
Außer ben beiben Sifdjliebem, unb bem SSegräbnißgcfange, bie roir in ben ©traßburger Ätrchenliebern oon
1500 fanben, erfdjeinen hier jroei SOßorgenlieber, ober grühgefdnge, wie fte bei ben S5rübern heißen, beibe
fchon in 9ftid)ae[ SßeifTe'S Gantional oon 1531 enthalten:
Der Sag oertreibt bie fmjtre 5Jtod)tA
D Gfvrijien feib munter unb macht
greifet ©ott ben Herren.
281
Die Gjngel fingen immerbar
Unb loben ©Ott in großer ©cbaar
Der alles regieret ?c.
unb
Der Sag bricht an unb jeiget ft'd?
£> Sperre ©ort, roir loben btcb,
2Bir banfen bir bu t?6d>fte6 ©ut
Da3 bu un§ bie 9cad)t f>aft bel)ut.
S3itten btd> aud>, bet>üt un3 beut
Denn roir ft'nb allste 9)ilger§leut,
©teb un§ bei, tbu bülf, un£ beroabr,
Da§ un§ fein übel miberfabr tc.
.äußer ibnen bat ba$ DreSbner ©efangbucb jmar aucb ba$ Sieb aufgenommen :
(f§ gebt baber be3 £age§ Schein
3br @brijten, laßt un§ banfbar fevm
Dem gütigen unb milben ©ort,
Der un§ bie 9cacbt bemaltet bat,
jebod) nicbt feine ©ingroeife mit ibm; e3 foll bort nach, ber be3 jmeiten ber eben angeführten Siebev
gefungen werben.
3»ölf Sieber mit ihren © ingmeifen bat bienad) baS 16te 3abrbunbert au£ bem jtircbengefange
ber S5rüber aufgenommen, roenn aucb %ie ^njabl ber überbauet t»on bal;er entlebnten uiel größer fepn mag.
Denn, roir mieberbolen e§, an biefem £rte tonnen biejenigcn nicbt in ^Betracht fommen, bie obne itjre
9Kelobieen übergingen, ober beren ©ingmeifen au3 lateinif ehern jtirebengefange ftammen. 9hir einer oor=
Übergebenben (Srmäbnung bebarf bie Sbatfacbe, baß Sobann ßccarb , ben mir ber ganjen Stiftung feinet
©trebenS jufolge jum 16ten Sab^bunberte reebnen müffen, roenn fein Sehen unb SBirfen aucb noeb in bie
erjten Sab" be§ folgenben b'neinragt, um 1603 bie SJMobie be§ folgenben £ocbieit3liebes ber 95rüber,
unter beffen ^Beibehaltung , als ©elegenbeitSgefang »ierftimmig feljte :
Saßt un§ fingen, unfre Stimmen
ju ©ott erbeben,
Unb ibn preifen, ©hj' beroeifen,
als lang mir leben,
Der unfer 9iatur fo ehret,
3m dbffanb »ermebret,
(Ert)dlt unb ernäbret.
Denn ftnb auch manche ©elegenbeitSgefänge biefeä treflieben SöieifrerS mit angemeffenen neuen Siebern
fpäter fireblicb gemorben, fo ift bieS boch nicbt mit biefem Siebe be3 33rübergefangbucbe3 ber gall gemefen,
ba$ ohnebin allejeit ein gelegentliches bleiben mußte.
DaS folgenbe 17te Sabrbunbert, jumabl in fetner früheren £älfte, bietet un£ ebenfalls mehre
SSeifpiele foleber Sntlebnungen, bie mir jumeift in ben oier* unb mebrftimmigen ßboralbücbern jener 3eit
$u fueben baben.
s. SBintetfetli, ttt «angtl. <5§oralgefang. 36
282
Die oierfiimmtgen Sieberbücfyer oon ^)an§ 2eo Qa&ex, ©ottbarb (Srptbräuä, SSartfjolomäue-
©efius, haben feine, bem Skübergefange angebbrenbe SBeifen aufgenommen; mofyl aber SSJltdjael ^PrätoriuS
umfaffenbe Sammlung öter« unb mel)iftimmtger Äircbengefänge, unter bem SSitel ber ©ionifcfyen SJlufen
(Zt). V — VIII, 1607 — 1610). Darunter finb beren- üter, ifyren Überfcbriften jufolge au§ lateintfcfyem
Äircbcngefange genommene, unb aueb unter biefen nur jroci ben SBeifen bee> SBrubergefangbucbeS übereim
ftimmenbe. Denn ba§ Sieb :
Da GsbriftaS geboren mar
gremet fid> ber ©ngcl @d)aar,
im SSrübergefangbucbe überfebrieben : In natali Domini , fycit bei 9)rätoriuS eine anbere ©mgmeife;
ein jroeiteS :
SBeltticb @br' unb jeitlid) @ut k.
mit ber Überfcbrift ,, Cedit hyems eminus"*) mirb »on $)rätoriu3 fogar mit brei, merftimmig gefegten
Söeifen gegeben , beren feine jeboeb ber be§ S5rübergefangbud)e§ übereinftimmt. 83on biefen jmei ßiebern
fann f>tcr eben fo wenig bie 9febe ferm a(§ t>on jenen beiben anbern. Denn nur bie 2 1 ei? er bat ^PratoriuS
aufgenommen; mit ben einen, SDMobieen, bie auch burd) bie SBrüber entlehnt maren, mit ben anbern,
foldje, bie fomobl ibnen, ale> bem lateinifdjen jttrcfyengefange, mober bie ibren flammen, fremb finb.
2Ba3 nun ba§ »ort ibm aue> bem urfprünglid) bbbmifd)en Sfyeile be§ 33rubergefanges> 2tuf=
genommene angebt, fo begegnen un§ in feinen ©ionifdjen 9Kufen jmar neun baber jlammcnbe Sieber,
jeboeb. nur fünf ber baju gehörigen SBeifen. Denn bie Sieben ©ott bem SSoter im bödmen £bron (VIII.
87); £) gläubig $erj gebenebet) (VII. 110); itebr um, fef)v um bu junger ©ofyn (VII. 76) baben bei
ibm abmeiebenbe SCRelobieen, ein üierteä aber „Sob fet? bem allmächtigen ©ott" (VI. 14), bie fd)on bei
3infeifen üorfommenbe alte, ber bc3 S5rübergefangbud)eä nur anflingenbe üßetfe. Der Sieber : ©läubige
©eef je. ; Danfet bem £erren it. ; Der Sag vertreibt bie ft'nftre 9?ad)t; £) 2Bäd)ter, macb, ic, benen mir
bier roieber begegnen, unb bie mir febon im Sabre 1569 in bem bei 3. SSBolf erfebienenen §ranffurtl)er
Äird)engefangbucbe, ben ©trafjburger Äird)enliebem unb bem ©efangbuebe ber 33rüber Cncbborn aus» bem--
felben Sabve, fo mie bem DreSbner ©efangbudbe »on 1593 »orfanben, bürfen mir nur oorübergebenb er=
mäbnen. Den SEonfafc be§ SOteifterö , in beffen «Sammlung fie t)'m erfdbeinen, merben mir fpäterbin
näber betrad)ten, fo meit e§ t) t er unferem ßmede frommt; bie genauere Sßürbigung beffelben fparen mir biö
babin auf, mo mir feine großen S5erbienfte um cinfad) mebrftimmige 33ebanblung geiftlicber giebmeifen im
3ufammenbange barjuftellen gebenfen.
•) Sei Ceifentrit, CXLVI
Cedit hyems emiDu.s
Surrexit Christus Dominus
Tulitque gaudia ;
Vallis nostra floruit,
ReviviscuDt arida,
Postquara ver intepait
KevalescuDt frigid».
Der bei Seifcntrit oortommenben SDtctobic biefeg tiebeö jtimmt bie uon sprä'toriue; (VII. 9tro. 172) uicr(itmmifl
gefcfcte überein; rcat)rfd)cinlid) entlehnte er fie Bon bafier. Die beS S3rübcrgcfangbucf)eg unter gleichem SEitel ift eine
anbete, fie mag beefjalb aber bod) bie utfprünglidjc fci)n, ba in mandjen gälten Ceifentrit bie ÜKctobieen nicfjt treu auf«
gejeidjnet, aud) root)l oerroedjfelt fjat.
283
S3ereid)ert t>at er ben 9Helobieenfd)ak ber eüangelifdjen Äirdbe um nur eine ©ingroeife,
Die er mit ifyrem Siebe aufnahm, ba§ fcbon äßeiffe'S ßantional uon 1531 enthält. @§ ift ein Sieb t>om
Reiben @f;rifti, ber bem ©ünber bie burd) fein 33lut treuer erfauften 2Bof)ltl)aten ber Grrlöfung t>orf)ält, unb
ihn prr ffiupe ermahnt :
©ünbiger SKenfd), fd)aro roer bu bift,
©prid)t unfer £erre 3efu3 Sbrift,
©ebenf bu fepfi in ©otteö 3orn
5!Kit beim £f)un eroiglid) »erlorn ic.
Seine ©ingroeife, auS ber äolifdbenSSonart urfprüngticben Umfanget, trägt (jumabj aud) in bem
unbebingt barin trorberrfcbenben breitl)eiligen 9Jiaaf?e) völlig baö ©epräge einer auj> bem 33olfSgefange —
f)ier öorauSfefclid) bem bob,mifd)en — ftammenben. ©oroobj 2Beiffe, als Garnier unb Sporn haben fie ofjne
alle 83e$eicbnung gelaffen. äBenn aber ba3 ©efangbud) ber 33rüber üon 1566 fie mit ber Überfcfyrift :
„Conditor alme syderum" »erfefyen bat, fo ift biefeS ein offenbarer ^ntfyum, ba fie mit ber ©ingroeife
biefeS bekannten ^pmnuS ber romtfcfycn Äirdje nichts gemein b,at. — Sie SKelobieen ber Sieber : ©otteS
©obn ift fommen jc. unb: 9Jienfd)enfinb merf eben ic, bie be§ 2Betbnad)tSgefangeS : Sobct©ott o lieben
Gbriften, ic. bie ebenfalls t>on ^Prätoriuö, bie erfte merffimmig, bie leiste abroecbfelnb $u brei unb fünf ©tim=
men, befyanbett finb, ftammen au§ lateinifd)em Äircfyengefange.
9ldd)ft $)rdtorius> ©ammlung ift baei, juerft um 1612 ju ßaffel erfcbjenene 9Jlelobteengefangbud)
be§ Sanbgrafen 9ttori£ Don Gaffel ju nennen, von roetdbem eine neue Auflage um 1649 erfcbien. Tlufjer bem,
üon9ft.9>rätoriu3 roieberbolt aufgenommenen 3lb»ent§liebe : „©laubige ©cetic." unb jroei, au§ latein'fcbem
Äircbengefange entlehnten Sölelobieen, tfyeilt e§ folgenbe Sieber unb ©ingroeifen ber S5ruber mit. 3uerft
ein 'tfbüentetfieb :
IIIS Zbam im g)arabie§,
SSerfüfjvt burd) bie ©erlange,
©ort unb feinen SSunb uerliefj,
SBarb ihm treflid) bange;
Senn er fam in grofje 9lotb,
giel in jroeifettigen S£ob,
SBarb mit gurd)t umbfangen ;
SBebet t>or ©otteS ©eriebt,
SRbdbt üor feinem 2lngefid)t
§ur 2lngft fein «ergangen.
Unb ©ott »erbief? jm ju SSroft
S3on bem Söeib ein ©amen,
Unb ba§ er burd) jn erloft
©olt ju ©naben fommen;
2lbam glaubte au3 ^erfeengrunb
Sbetö aud) feinen Äinbern funb,
36*
284
Unb bie eä annamen
onb bewarten bi§ in tob,
bie cntfd)lieffen all' in ©Ott
SBartcnb auf ben ©amen,
©o fahrt nun ba$ £ieb fort, big e3 bal)in gelangt, wo bie Seit erfüllet war: ju ber S3erfunbigung unb
ber #eimfucr;ung ber SSJiaria , bem Traume 3ofepl)3, unb ber barin erneuerten SSer^etfung, roo e3 bann
mit einem ©ebete ju (5l)rifto um ©laubenSfraft fd)ltef t. S5ei SBeiffe unb SSarnier (1531 unb 1539) fommt
bereite bie SKelobie cor, bie f>ter üierftimmig beljanbelt ijt, unb welche eben fo ba§ ©efangbud) ber ©ruber
von 1566 enthält. 9cur £orn§ Bearbeitung unb Reinigung jener alteren ©mgebüd)er tfjeilt bem Siebe
bie ©ingweife be§ 2Beirmacf;tSgefangc$ : Dies est laetitiae ju, unb ifjr f)at auch, ÄeucfyentfyaB ©efangbud)
fieb angefcbloffen, weshalb wir unfercS Siebes? aud) bort nicfyt gebaut haben.
(Sin jweiteS ßieb ift vom 9)ftngfifefte :
203 3efu§ ßl)riftuö, ©otteS ©of)n,
Wit feiner leiblichen perfon
SSon biefer weit abfd)eiben wollt,
©agf er feinen Büngern fef)r fyolb:
3d) gel) ju ©otteS gftajeftat
ihr aber gef)t nicht aue> ber jtabt
bis euch jueor l)immlifd)e fraft
beftettg jur ritterfdjaft jc.
Diefen 2(nfang§ftropf)en folgt ber Bericht »on AuSgietjung beS ^eiligen ©eijfeS, unb mit ^etruS 9?ebe an
bie bamalS Anwefenben, unb einem ©ebete, wirb baS ©anje gefd)loffen. £)a3 2ieb erfcheint bei SBeiffe
unb Stornier mit ber ©ingweife be§ £r;mnuS: Beata nobis gaudia: in £om3 Bearbeitung unb bem
©efangbud)e »on 1566 f>at e3 bie if)m eigentümliche, vorauSfeklid) bbf)mifd)e SEftelobie, bie auch ßanbgraf
9Kori£ aufgenommen f>at.
&'n britteS ijt ,,ba3 ©laubenSbefenntnifi ber Apoftel, in 3?eim' gefaffet:"
2Bir glauben an ©Ott ben SSater,
Allmächtigen £crrn unb ©chepffer,
£>er im Anbeginn ließ werben
25urd) fein Söort Gimmel unb ßrben.
Bei SBeiffe wirb biefeö Sieb auf bie SDMobie: ,,£>ie ©onne wirb mit ihrem Schein" jc, bei Stornier auf
bie gleidjlautenbe „(5f)rijlu3 leibt ben SEob mit ©ebulb" »erwiefen : erji in QomZ Bearbeitung , unb in
bem ©efangbueb, e t>on 1566 erfcheint bie t>ier üierfiimmig bef)anbelte, eigentümliche SBeife. — £)e3
Jrühgefanges enblid): , ,25er Sag bricht an unb jeiget fid)" gebadeten wir bereits bei bem £>re3bner
©efangbuche von 1593, baS tf;n mit feiner ©ingweife jucrji aufnahm.
©amuel BreSterö £ird>en = unb £au$ = Stfcufka (Breslau 1618) bietet uns, neben fed)S,
auö lateinifd)em &ird)engefange gefchöpften 9JWobteen beS Brübergcfangbud)eS, unb bem Abt-entSliebe,
baö aud) ben Sammlungen beS ^rätoriuS unb beS Üanbgrafen SOZonfe gemeinfehaftlid) ijt, nod) m'er ©ing=
»reifen unb lieber bbf)mifd)er J^erfunft.
285
SineS auf ben 'palmfonntag :
©unberlid) btng bat ftd) ergangen,
ßbriftuS warb aB ein Äbnig enfpfangen,
ba er jur Softer 3ton fam.
©anftmütbig onb oot guter fttten
fam er auff eim efel eingeritten,
2Bie 3ad)aria§ weiffagt tjat :c.
©in jweiteö auf (grifft tfuferftcbung :
9Jtit frewben wollen wir fingen,
reben oon frölicben bingen,
wie fiel) ßf)riftu§ nad> feinem tob
feiner Äirdjen offenbart bat tc.
<5in ©terbelieb :
ßob fen bir gütiger ©Ott,
baft bu mir baft offenbaret
beinen <5on, mein £eil unb 4?ort,
ber ftd) felbS nid)t fparet;
fonbern gab in elenb groS
mir on ma£,
bis in tob willfaret.
Snblid) ein gieb com jüngften Sage :
SD jr alle, bie jr eud) bem Spdxm oereiniget,
unb all ewer gliebemaS jm babt gebeiliget,
fcftt ju baö jr biefen SSempel ©otteS ntd)t entwehr,
unweife 3mtgfrawen onb tobte ßbriften fepb;
S3ergleid)t euch, nid)t biefer weit in Ungerechtigkeit,
fonbern tr)ut wa3 jm gefeit ju ewrer feligfett,
finget jm ein geiftlid) lieb, lobt jn au3 ^erfeengrunb,
preifet feine warbett, onb galtet feinen S5unb ;
£) jr geredeten frewet eud)
benn ber «£err bat euch, »erjetdmet im bimelreid).
Me biefe liieber unb Sölelobieen, mit 2lu3nabme be§ britten, be$ ©terbeliebeö, ba§ erft um 1566 erfebeint,
finben roir bereits um 1531, in 2Betffe'§ ©efangbucfye.
German ©d)ein§ ßantional (ßeipjig 1627) bringt un3 nur ba3 folgenbe 'tfbenblieb, bas mit feiner
fd)bnen SJMobie erft in bem 23rübergefangbud)e oon 1566 erfebetnt :
Sie 91ad)t ift kommen, brin mir ruben follen
©ott maltö ju frommen, nad) feim SBoblgefallen,
bafj mir un§ legen, in feim ©'leit unb ©egen
ber Stur) ju pflegen.
286
2lnbere, fonji bei ihm nod) aufgenommene Sieber fommen, aus ben oft fd)on angeführten ©rün=
ben, hier nid)t in ßrmägung; wie wir benn berer ebenfalls nicht gebenfen, bie, menn aud) »on 9tticf>aei
SBetffc berrübrenb, bod) in bem ©efangbud)e ber SSrüber titelt unter bie ihnen eigenen aufgenommen
ftnb, ober berer, bie uns in ben juüor genannten geijtlid)en Sieberfammlungen bereits begegneten.
3n ©tobäuS fünffiimmigem 9JMobieenbud)e, in welchem er bie ßhoralfäfce feines SSJleifierS 3o=
bann Eccarb unb feine eigenen vereinigte, unb um 1634 herausgab, ftnben mir eine bisher noch, nicht auf=
genommene Gelobte ber 33 rüber nebjt ihrem Siebe, einem S£ifd)gefange, betbeS fd)on um 1531 bei 9Kid)ae[
SBetffe crfdxinenb, unb feitbem ffetS übereinftimmenb im S3rübergefange heimifd)
£>en Später bort oben mollen mir nun loben
Der unS als ein milber ©Ott gnäbigltd) gefpeift hat
unb ßbriftum feinen ©ol)n burd) meldten ber ©egen fbmpt
»om allerf)bd)jien Sl)ron.
3»at erfd)eint biefeS Sieb — ob mit feiner Gelobte, miffen mir nid)t — bereits um 1576, mit
nod) neun anbern, unter benen eS bie vierte ©teile einnimmt — ju Seipjig burd) 9citfcl Verlieh ($orm--
febneiber) gebrudt; baburd) wirb inbeß für feine frühere Einführung in bie evangeltfd) > lutherifd)e Siixfye
nod) nichts ermiefen. Eben auch. ©tobäuS fefcte um 1639 bie SSJMobie jenes, bei ©elegenheit ber ,,Äird)en=
unb £auSmuftca" ©amucl SSreSlerS fd)on ermähnten ©terbeliebeS : ,,Sob fct> bir gütiger ©Ott" fünf*
ftimmig, inbem er fte einem anberen ©terbeliebe anpaßte, baS fein ©onner, ber Pfarrer ©eorg SDißliuS,
ft'cb felber gebid)tet hatte, eS auch, nod) auf feinem ©terbelager mit beS 9JieificrS Sonfafce ftd) »or=
fingen ließ :
£err id) benf an jene 3ett
ba id) biefem furjen Sehen
SBegen meiner ©terblid)fett
gute 5J(ad)t muß geben.
SBenn id) merb' burd) bein ©ebot
£>urd) ben SSob
MeS überjtreben.
Surd) biefeS Sieb fanb bie an ftd) fd)on anmuthenbe SBeife, beren mir fpäter nochmals gebenfen
werben, größere Verbreitung ; nod) je£t lebt fte in vielen ßl)oralbüd)ern fort, unb faum bürfte bieS gefd)ef)en
mm, menn SSreSler — ein mittelmaßiger ©e^er — ber einjige geblieben märe, ber fte eingeführt, ober wenn
man fte nur ju ibrem urf»rünglid)en Siebe gebraucht hätte.
9lad) ber Stifte beS SafjrfjunbertS werben bie Entlehnungen auS bem bbl)mifd)en Äirchengefange
immer feltner. £)aS ©othaifche Eantional (1649 — 1657) hat nur bte in ben lutb,erifchen Äirchengefang
Damals feit mehr als hunbert fahren eingebürgerte SDMobie beS ffiegräbnißliebeS : ,,9hin laßt unS ben Seib
begraben," von ber mir nid)t einmahl wiffen, ob fte von ben SSrübem herrühre, ja, eS ju bezweifeln hoben.
ErbarbS 5Kelobieengefangbud) (1659) bringt nur ein SDlorgen^ unb ein £ifd)lteb, bte wir fd)on juvor an=
geführt; mehre baS Erfurter Bieberbud) von 1663, bod)/ bis auf jwei Sieber, nur bereits früher Ent=
lehnteS. £aS eine biefer beiben, ein ^affionSlieb : „Den? 5!Kenfd) wie bieb. bein £eilanb liebet," foll nad)
ber 2ßeife gelungen werben : „Jam moesta (fuiesee querela," gehört olfo nicht ht'eher: nur bie SJlelobie
ceS ^roeiten rann als neu Erworbenes gelten :
287
£ Sbrtfte, 3Sabrl)eit unb geben,
3Bir bitten bu roolleft geben
deinen ©eijt üon oben,
'DJi'it feinen ^eiligen ©aben,
£afj bein rein SBort un3 auff Grrben
Wofot verfünbet merben,
ein &eb, nad) bem ßoangelio, »or ber ^»rebigt ju fingen. Gs fommt jrcar bereits bei 2ßeiffe um
1531, jebod) ohne eigene Singmeife, wor; biefe finbet es_ erft bei .Iporn, unb um 1566, übereinftimmenc-
mit ber Pes Erfurter 8icberbud)e§.
äSopeliuS Seidiger ©cfangbudi Dom 3afyre 1684 enthalt 12 2ieber ,,ber S5rüber in 33öbmen,"
allein unter ihnen, bi§ auf eine§, nur früher fd)on entlehnte; biefeS eine, ein rftergefang , ,,33ctrad)t" mir
beut ju biefer grifi bietfuferfictmng gef« ßf)rift," flammt aber, feiner Sßeife nad), aus lateimfd)em Äircben=
gelange. (Resurrexit Dominus.).
5Bir fönnen bienad), roenn mir bas oon 3of)ann ©ccarb gefefete £od)$eit3licb bin$u rennen, im
©anjen 24SDZelobieen jablcn, bie aus bem Steile bes Äird)engefanges ber SSrüber, ben mir bobmifeben")
') ber gegenwärtige tfbfcbnitt febon längere 3cit auggearbeitet war , ber Sruct bes ganjen SBertes auch
fdjon begonnen tjattc, gelangte ber 23crfaffcr ju eigener Qlnfcbauung bes in S3ccters £arftctlung ber mufifalifeben Sitera=
tur (Nachtrag Col. 157) unter ber Sabrjabl 1564 angeführten böbmifdjen G>antionals, beffen üitcl in böhmifeber Sprache
fid) bort oollftänbig abgebruett finbet. £crfclbe nennt bie in bem SSucbe enthaltenen ecangelifcbcn ©cfänge, „oon neuem
burebgefeben , oerbeffert unb burd) neue, fdjriftmä'fiigc ocrmetjrt," beutet alfo auf eine früher fdjon oorbanbene Samm;
luug ähnlicher 2Crt. SBie es bamit befebaffen gewefen, erfahren wir, ebne genauere 3eitangabcn, burd) bie in ber 5Bor=
rebc unferes Gantionals enthaltene ßrja'fjlung. Ss btipt barin: ber 33orfd)rift bcS tfpoftels geborebenb, bas SBort
Sbrifti reichlich wohnen ju laffen in ber ©emeine, Ijätten bereits in älterer 3cit erleuchtete SJtänner bes bö'hmifcben
53olfcs in beffen Sprache geifilicbc Sieber gebichtet unb gefungen. So fen es fchon um bie 3eit bcö 9Jcagiftcr Jpufs unb
beffen (Schüler gefdjeben, unb bas juoor weif geworbene ©oangelium habe nun begonnen fid) aufzurichten, unb als fd)öne,
troftreiche SSlume ju erblühen. Unter ben SSrübcrn, ihren Nachfolgern , habe man jene Sieber jufammengetragen, fie mir
neuen gemehrt, unb fid) ihrer öffentlich bebient, wenn es thunlich gewefen; insgeheim, wäljrenb ber £)rangfale ber S3er=
folgung. ©nblicb, als burch ©ottes ©nabc ben SSrübcrn größere grci'bcit geworben, fei) auch eine grofje SlnjabJ berfelben
im ©ruefe herausgegeben. (Später habe ber S3accataurcus , SSrubcr Sucas, unter ©enchmigung ber tflteften, unb auf
beren ©eheifj, eine umfangreichere Ausgabe unternommen, bod) mit wenigem Srfolge ; 2luslajTungcn , SScränbcrungen,
Aufnahme nicht gebilligter Sieber hätten bas SKifsfallen ber 33rüber erregt; es ferj eine abermalige 2frbeit crforberlicb ge=
wefen , über welcher SSrubcr SucaS hingefdjicben fei) , unb bie erft nach langer Unterbrechung habe }u Stanbe gebracht
werben fönnen. ©ie fet) oon ben Älteftcn ber SSrüber s Unität geprüft, berichtigt, baS ßantional enblich §u ^rag ge^
brueft, unb bis auf bie gegenwärtige 3cit, fchicr 20 Sahrc lang, in Übung gewefen. (@S wirb alfo etwa 1544 erfcf)i€=
nen fei)n.) 2luch feit jener 3eit fei)cn nod) neue anbächtige Sieber gebichtet, unter fehweren Prüfungen, bie bes Jperr,
wie jur Säuterung be§ ©olbcS, jugelaffcn habe. SJiefe Sieber habe man nicht minber gefammelt unb bem 2>ructe über.-
geben, boch habe Unfunbe ber 2fbfcbreiber fie jum grofjen Steile cntftellt. Sin neuer, oerbeffertcr 2lbbruc£ fen nötfjtg
gewefen, unb nun fei) befdjloffen worben, jene alten, wie biefe neuen Sieber in ein einiges S3uch jufammenjufaffen , unb
fo jum ©ebraud)e ber ©emeinen bei Jf)errn heraussugeben. St'efeS fei) nun gegenwärtig gefd)cl)en, unb ba bas S3ud)
junäd)ft für bie ©emeine ber SSrüber beftimmt fc», möge man es wobl bae SSrübergc fangbuch nennen, wie jenes
ältere, jweimahl, ju >l)rag unb Seutomifd)l gcbrucEte. 9}Jan empfehle es aber aud) allen anban ßhriften böhmifdjer
3unge, jumaht ben ©laubenegenoffen sub ntraqae, mit benen man in bem Slrtifel oon bem ©enuffc bes heiligen 2Cbenb=
mahles in beiberlci ©eftalt, unb in mehren anbeten übercinftimme , unb mit benen man fid) nad) ©ottes heiligem
SBillen gern oereinigen unb »ertragen möge.
Siefes ift, furj jufammengcfafjt, ber Snhalt biefes Vorworts, bas unterjeichnet ift: „bie SSrüber ; Ältcften
bes ©efe^es (Stjrifti, wcldje oon einigen, theils aus 3rrtf)um, theils aus Jpa#, ^idharben ober SBalbenfer genannt wer^
ben." Über bie SJcelobieen ber Sieber finbet fid) feine SSemerfung in bemfelben.
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UrtprungeS balten bürfen, in bie Iutt>ertfd?e Äirdje übergegangen ftnb. £>iefer Zfyeil, in feiner @ef ammt=
beit, ifi von nicht unbeträchtlichem Umfange. 2öir jäblten in ber erften Unterabteilung be§ erjten
tfbfcbnittä üon bem S5rübergefangbud)e be3 %ai)ict§> 1566, unter 86 rbptbmifdben SBetfen beren 27, in ber
jroeiten unter 148 beren 104, jufammen alfo 131, benen mir einen folgen Urfprung beimaaßen. ^Betrachten
mir biefe junächfi nach, ihren Tonarten: fo ftnben mir, baf? bie meiere SEonart »or ber harten hier ba3
entfdbiebenfte Übergewicht bat. Senn biefe letzte fommt in nur48§dUen, jene bagegen in 83 t>or, fajt
boppelt fo oft. S3ei ben £>urmelobicen aber berrfebt mieberum bie i o n i f cb e SEonart t>or : fie erfcheint neun
unb jmanjig 9Jiabl in bem Umfange t>on F mit »orgejeiermetem b, unb breijeljnmabl in ihrer urfprünglidjen
Sonböbe »on C, im ©anjen alfo in 42 gdllen : nur fedbSmabl begegnet un£ bie mirolpbifcbe £onart. 3n
biefem SEbeile ber bbbmifcbcn SKelobteen bürften mir baber ein üorfjerrfdjenb »olfgmäfjigeS ©epräge
febon be§balb ttorausSfefjen, meil jene fircblid)e Tonart eine fo feiten anjutreffenbe ijt. 2tnber§ fdjeint e§ bei
bem erjkn 2lnblicfe mit ben ©ingmeifen meiner Tonart ft'cb ju »ehalten. 2Cu§ ber äolifeben SEon=
art ndmlicb ftnben mir nur beren 24 ; — 13 im Umfange t>on A, elf tton D mit »orgejeiebnetem b ; rt>o=
gegen 37 in ber bor if eben SEonart ft'db, bewegen (17 in D, 20 in G mit t>orgejetd)netem b), unb 21 ber
pbrpgifcben angeboren (16 im Umfange ton E , 5 in A mit »orgejeiebnetetn b) ; bie ftrenger fird)=
lieben Tonarten alfo bie öfter üorfommenben ftnb. %a, e§ erfd)eint um> hier, freilicb nur in einem emji=
gen galle, ber fonjl megen ber falfcben Quinte wermiebene Tonumfang won H, in melcbem fogar jeneö mif ■-
tbnenbe 33erbältnif? , menn aud) nicht in unmittelbarer S5ejiel)ung auf ben ©runbton, al§ SBejeicbnenbeei
auftritt, rooüon fpdter ju reben ferni mirb. S5ei ben SKollmelobieen mdre bemnach bie firdjlicbe SEon*
art bie unbebtngt übermiegenbe, in 58 fallen gegen 24 , menn mir nämlich, jene feltene 2Cnmenbung einer
SBae nun biefe betriff: fo ftnb beren im ©anjen 424, üon benen 269 aud) in bem beutfd)cn SSrüber;
gefangbudje oon 1566 enthalten, 155 alfo unferem böbmifd)en eigentümlich, finb. 95on ihnen finben fiel) nod) 15 in
bem Slnhange bc6 beutfetjen, fo baf bie 3afjt jener fid) auf 140 ücrminbert. Stiebt alle unter tiefen ftnb aber rt)t)tb=
mifdje ÜKetobieen ; beren 74 ftnb bloße Citurgiecn , unb ee bleiben alfo an ©efä'ngcn jener 2Crt nur 66 übrig, bie in bem
böbmifeben (fantional ausfdjlieficnb angetroffen »erben. 2tber aud) bae beutfdje bat bcrglcidjcn nur in i b m enthaltene ;
es finb ihrer 56, ober, »enn mir bie bloe coUeftcnartigen , jebn an ber 3abl, bacon in ZCbjug bringen, 46.
3u biefen geboren nun aud) bie SMobiecn folgenber fiebert Sieber :
1) Cafit un§ fröblid) unb einträd)tt'g fingen u.
2) 9(16 2fbam im ^)arabic6 :c.
3) SBunbcrlid) Sing bat fid} ergangen :c.
4) 2Cllmäd)tiger gütiger ©Ott u.
5) D (Jbrifte SBabrbeit unb Beben.
6) 2)er Sag bridjt an unb geiget fid).
7) Sie 9lad)t ift fommen, brin »ir ruben follen it.
Siefe SMobtcen ftnb ale »abrfdjeintid) böbmifdjen Urfprungee in bem oorliegcnben '2ibfd)nittc bejeidjnet;
ba fie tnbef? allein in bem beutfeben (Santional ber SSrüber fid) finben, fo fdjeint baburd) jene SSermuttjung »ibcrlegt
ju werben.
Diefer 3»eifel ocrfcb»inbet inbeß bei ben meiften unter ifjncn nad) genauerer «Prüfung.
3unäd)ft fann bae 5Jid)toorfommen biefer SRelobiccn in bem böbmifdjen S5rübergcfangbud)c nid)t unbebingt
gegen ihren böbmifdjen Urfcrung cntfdjeiben, eben fo »enig otfi ba6 SBorbanbenfenn in bcmfclbcn eine SOJelobie ju einer
böbmifdjen ju ftempeln uermag. Senn unter ben in bemfelben aufgenommenen finben fid) mehre, bie urfunblid) beut--
fdjen Urfprungee finb, unb beren mehre bod) in bem bcutfd)cn (5antional nidjt angetroffen »erben. ®er umgctetjrte
JaU, ba& aud) böbmifd)e fmelobicen nur in biefem legten fid) finben »erben, liegt baber nidjt aufjer ben ©renjen ber
5J(öglid)feit. Der böhmifdje unb ber bcutfd)e (Stamm, in bemfelben Canbc angcficbelt, fanb, »enn aud) burdj bie ©pradjt
aueeinanber getjalten, bod) in ber ©cmeinfdjaft bce ©laubene einen lebenbigen SSerübrungepunft, ja, bie, beibe auf glcid)c
3Beife treffenbe Verfolgung mugte fie näher an cinanber fd)licfjen. SOtan eignete fid) gegenfeitig an , nadjbt'lbenb , »a6
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Sonleiter nid)t mitwählen, bie wir weber ben fircblid)en, nod) ben uolBmdfiigcn beirecbnen bürfen. @S ift
jebocb ju erwägen, baf? bie ©ingweifen in bem boppclten Umfange ber bovinen Tonart beren etgenthüm=
liebe» ©epräge bod) feiten ftreng beobachten, unb mehr unb minber I;tnübcrfd>n>etfen in bae> '#olifd)e. (ix--
innem wir un3 nun aucf> , bafj, felbft wenn wir in S3eftimmung ber Tonart unS an Umfang unb £>orjeicb=
nung ftrenge galten wollten, bennoer; im ©anjen ber ©efdnge auS üolBmdfjigeren Sonarten minbeftenS
eben fo uiel feiert würben, als» ber auö Fivd?Itd>en — üon jenen 42 auS garten, unb 24 au3 weichen, gegen
(i auS garten unb 58 au3 weichen t>on biefen, ohne bie 9Jcelobie in II, — fo bürften wir nid)t irren, wenn
wir einen großen Sbeil ber 9J?elobieen beei böl)mifd)en Äird)engefangc§, fooiel au 3 ben SEonarten ju fcbliefkn
ift, atS urfprünglid) weltlichen Siebern angebbrig erachten, ©ebon früfje wirb bie 2tbftd)t gewefen
fepn, wie fie ja aud) in ber 83orrebe unfereS ©efangbud)e3 beutlid) au3gefprod)en ift, mit füßem ©efange
bie 3ugenb ju ber reinen d)riftlicben ßebre ju gewönnen, unb fie baburd) t>on unnüfjen unb fd)dblicben SBelt--
liebern abjuwenben, jumabl wenn biefen ihr locfenbfter ©ebmuef abgeftreift unb basjenige bamit angetfyan
war, waö man ihr lieb machen wollte, fragen bod) üiele jener ©ingweifen nod) beutlid) ba§ ©epräge
ihre» UrfprungeS ! @o bie JJJZetobie be§ SiebeS :
9lun fef)t unb merfet lieben Seut
@briftue> ift für ber Sbür ic. *)
(23 wirb in bemfelben v>on ber ©itetfeit bc3 2Beltwefen3 abgemahnt, unb ber Verlauf beffelben nach ben »ier
fogenannten Sßeltaltern, bem gülbenen, ftlbernen, ehernen, eifernen, barcjeftellt; feine SBeife mag aber
urfprünglid) einem Sanjliebe angehört haben, bem fie wohl entlehnt würbe, um fo bie Sßett mit ihre»
eigenen SBaffen ju befdmpfen. ©o wirb aud) bie äöeife be3 SehrliebeS :
einer unb anberer ©cit« an ßob*, SBet: , SBcEcnntntf ttebern cnf ftanb , unb rcurbe bie bid)terifd)c gorm beibehalten , fo
folgte bie SJfclobie unmittelbar nad). Oft aber roar e$ aud) biefe allein , bie fiel) 33af)n niadjte , unb nun bie
bidjten'fdjc gorm bebingte. ©o ift ti bötjmtfdjer ©citS namentlid) häufig gcfd)cl)cn. £ie Sßcife bc6 lutfeerifdjen
Siebes „Sin' fefte SBurg" finben roir einem 9ccu)at)rSgefange angeeignet; bie SERelobie beS alten ©efangeg oon bem
SBiberftreite bc$ gleifd)eS unb ©eiftcS
9Jun l)öret ju ihr @f)riftcnlcut
SQSie glcifd) unh ©eift gen anber ftreit
einer Umfdjreibung bet? 120ften «PfalmS ,,3d) t)ebe meine tfugen auf ju ben Sergen it.," beren einjclne ©tropfen burd)
tfntiphonieen nad) einer befonberen ©tfangSroeife unterbrod)en roerben; unb ttinlidjeS gcfdjieht öfter. 23afj es beutfeber
©eitö in «Böhmen ebenfalls fo gefdjeljen fei), roirb faum ju begroetfetn fenn, fo roenig, aU baS ©djöpfen aus gleidjcr
Cuclle bcibcrfeitS bei ben SJJelobicen. <Bo bat unter anbern baß Qtyükb bc« beutfd)en 6antionaK
Safjt un§ fingen, unfre ©timmen
ju @ott ergeben
eine (in gegenwärtigem 2tbfd;nitte mitgetf) eilte) SMobie, bie in bem böfjmifdjen einem S5$cif)nad)teiiebe angeeignet ift,
beiben Siebern alfo faum urfprünglid) angehörte ; eine SJcelobie, bie früher in feinem beutfdjcn 5Welobieenbud)e fid) finbet,
unb roenn einem SSolfSliebc entlehnt, »of)I oon einem böf)mifd)en ftammen bürfte.
3Bae nun inSbcfonbere bie fieben juoor namentlid) aufgeführten «Ocelobieen betrift; fo mödjten bie mit ben
Stummern 4 unb 6 bejeidjncten aus ben in unferem 2tbfd)nitte felbft angeführten ©rünben aU entlehnte, unb ba fie in
beutfdjen Sammlungen fid) niebt finben, aud) als böhmifdje gelten fönnen. SSei benen unter 1 unb 3 ift biefeS um fo
•) @. 162 b. 162.
PS
ffiititerfclfc, ber e»artgct. G^oralcjefang.
290
ein ebler ©dbaij ber SÖ3etät>ett
Sft ©otteä SBort unb Sehr*;
ihrem ganj weltlichen 2fnfcf)en jufolge, ähnlichen Urfprunge§ fet)n. 3n ben SBeifen aber, bie wir, mit
23e$ug auf ihre Tonart, für urfprünglid) geifttichc galten motten, trägt bod) ber rf)»tbmifd)e33au wieberum
bei, ba3 »olBmäfjige ©epräge ju erhalten. S5ei ihnen, ben ©rjeugniffen tiefer, frommer 33egeifierung,
maltet bie w eid) e Tonart fo mächtig t>or — fajl in bem 33erf)ältniffe »on jcbn ju einS (58 : (5) — bafj wir,
aud) ba<> SSerbältnifj im ©anjen fcfi^altenb, nid)t anftehen bürften ju behaupten, bafj bis in ba3 16te 3abr=
bunbert hinein bei bem böl)mifd)en SSolfe in feinen ©ingweifen eine entfd)iebene Vorliebe für fie ftatt=
gefunben fjabe.
Wad) biefen allgemeinen Betrachtungen gehen wir nun über ju ben ©ingweifen, welche ber e»an=
gelifcfye Äircbengefang aus> bem ber SBrüber fid) aneignete, unb befd)ränfen un£ einftweilen wieberum bar=
auf, nur ihre Tonarten in ba$ tfuge ju faffen. 2Bir fehen junäd)ft, bafj bei berSBaf)l feine biefer formen
übergangen ift, bis auf bie pbrwgifcfye Tonart in tfjrer »erfefcten Setter 5 fogar ba§ einige S5eifpiel einer
©ingweife au3 bem ungewöhnlichen Tonumfänge »on H gebort mit ju ben gewählten. £)ie Jpälfte ber
aufgenommenen SOMobieen bewegt ftd) in ben mehr »olBmäfjigen Tonarten, bem 3onifd)en unb 'Xoiifdjen :
brei in bem Umfange »on C, jwei in bem »on F mit »orgejeiebnetem b, fünf in bem »on A, jwei t>on D
mit SSorjeic^nung be§ b: jufammen alfo jwblf. @ben fo bat auch l)ier, wie im ©anjen, bie weid)e
Tonart baS Übergewicht; fie fbmmt fed)$ef)nmabl »or**j. £>ie 2Baf)l würbe baher eben fowohl burch ba3
mehr XSolfSmäfjige im Allgemeinen, aB beffen eigentümlich, e3, eben bei bem böbmifeben SSolfe in ber
Tonart ben>ortrctenbeS@epräge benimmt. £)ie ionifebe Tonart in iljren beiben formen ftnbet ftd) jumetfi
bei ©efängen heiteren Inhalte» ober ßobgefängen angewenbet. ©0 bei bem Siebe »on ber troftltcben 83er=
beifjung an 2lbam »on bem jurunftigen SEBeibeSfaamen (2lB"J(bam im^)arabie§), bem#uferftef)ung3gefange:
9Cßit Jratben wollen wir fingen, bem £>anfliebe: £)en S3ater bort oben, bem Tifcbliebe: Allmächtiger,
gütiger ©ott; bod) erfd)eint fie aud) bei bem ©terbeliebe: „2ob few bir gütiger ©ott, " ein 3eid)en einer
mehr nod) anjunebmen, ba bie brcijeilige ©tropfe bem beutfdjen Ciebcrgefange fremb ift, in bem böbmifdjcn bagegen
bäufig erfchetnt. 2lud) bie gorm ber fccbSjcitigen in bem Ciebe „D @bnfte Sffiabrbcit unb Ceben" — jrccimabt jroci
ad)tfi)lbige Seiten x>on einet fed)6fi)lbigen gefolgt — ift, fo meit ber 25erfaffer fid) erinnern tann, im beutfeben ©efange
if)m nidjt üorgetommen. Sie SDSeife unter 2 fdjtiefit ber ©tropbc beö Siebes : Dies est laetitiae fid) an, auf beffen
SJklobie ihr Sieb aud) früher gefungen rourbc, atfo einer nidjt urfprünglid; böbmifeben-, reo ber fie nun flamme, mujj
fteilid) uncntfdjiebcn bleiben, aber in früheren geiftlid)en bcutfcfycn eieberbüdjern au^er benen ber SBritber tommt fie nietjt
cor. Die Sßeife bc6 Mbenbtiebeö: ,,Die 9Jad)t ift fommen" enbtid) tonnte aud) einer SSctonung bcö fappl)ifd)en SJcaajks
urfprünglid) angehören, bem fid) itjr 3<t)ntt)muS anfd)liefit, alfo einem rootjl lateinifdjen ©ebidjte entlehnt fenn. 33er
SSerfaffcr bat fie unter Betonungen fold)er 2trt oor bem 3abre 15C6 nidjt aufftnben tonnen, üicllcidjt ift ein Änbcrcr
inbefi glüctlicber. 3br Urfprung bleibe, als jrceifelbaft, babingeftellt.
*) ©. 193.
") A fünfmabt.
I) oiermabl.
D.b E. G.b
2. 3. 1.
291
trbftlicben, fetteren Anficht »on bemSobc. Sie mirolnbtfcbe finbm wir bei bem$Pfingftliebe: „'#ls3efuS
(Sfjrtfiu^ ©ottes ©obn" unb bem '.ttbenbgeiange : „Sie Stacht ift fommen, brin wir ruhen fallen;" bod)
neigt ft'dr> tt>r aud> bie SBeife beS tfuferftebungsliebes ju „Mit greuben wollen wir fingen/'*) obgleich fie
fonft tonifcben Umfanget ift. (53 jeigt ftd> biefes bind) bie "tfusweicbung in bie Unterquinte bes ©runb=
tonS, unb bie TTnwenbung feiner f leinen Serj unmittelbar »or bem ©d)luffe, einen Entlang beS Sori=
fcben. Sie äo lifcbe Sonart ift angeroenbet für bie Sieber am 9)almfonntage: „£) SJJenfd) betraft, wie
biet) bein ©ort/' „2ßunberlicb Sing bat fieb ergangen;" ba3 Sieb »om ßeiben @brifti „©cbau fünbiger
SOZenfd) wer bu bift;" ben ©efang wem ^reuj ber Aircbe ,,£) 2Bdd)ter wad>, unb bewahr beine ©innen;"
bas Sanflieb nach bem (Sffen „Sanfet bem #errn, benn er ijt febr freunbtieb;" bas Sebrlieb: 2Bir glau=
ben an ©ott ben Skier" für lefyrenbe, warnenbe, erma()nenbe ©efänge. Sarum ift fie wof)l auch für bas
SBeibnacbtstieb „Saßt un§ fröhlich unb einträchtig fingen," gewählt, beffen 3nfyalt mehr Sebre ift, al§
geftesTreube. S orifcb ift bas 2(b»entslieb ,, ©täubige ©eel' febau bein £err unb £eitanb will fommen,"
baS 2öeibnacbtslieb : „£) drifte wahrer ©otteS ©obn," beffen rbötbmifcber S3au (ba§ Ausgeben bes" breU
tbeiligcn 9J2aaßes in bas jweitbeilige) neben bem&rnft ber Sonart and) biegefteSfreube binburcbflingen läßt ;
bas Sieb: ,,2ob fen ©Ott, bem ber ©aame Hbxalja »erbeißen ift nun fommen" »on @brifti S3efd)neibung;
ba§ SDlorgenlieb : ,,Ser Sag bricht an unb jeiget fieb," ba3 ^rebigtlieb : ,,£) Grifte, Sßabrbeit unb
geben," bas @beftanbslieb „Saßt unS fingen, unfre ©timmen ju ©Ott ergeben;" ein mehr ernfter, oft
ftrenger, aber aud) f räftigerer Son berrfebt in biefen ©ingweifen als in ben genannten äolifeben. ^)l)rr;gifd)
ift bie SBeife be§ Siebes »om jüngften Sage: „£> ir>r alle bie if>r euch bem £errn »ereiniget;" bie ber Unv
fd)reibung bes fßater Unfer „Saßt uns fcfyreien alle gleich," unb bie freilief; balb »erbrängte bes 33egräbniß-=
liebes : 9cun laßt un§ ben Seib begraben. 3nt Umfange »on H enblid) bewegt fieb ba§ SOIorgenlieb : „Ser
Sag vertreibt bie finftre Stacht"**). Sa§ ©epräge biefer Sonreibe ift »on ÜJZicfyaet 9>rätorius in ber Wleio-
bie treulieb beibehalten, bat er fie auch in ben Umfang von A mit »orgejeidmetem b werfest, benn er febreibt
im britten Saft bie falfcbe £luinte es »or; Solenn ^ermann ©djein bagegen unb bas Erfurter ©efang=
buch »on 1663 haben biefes ihnen mißfällige Son»erbältniß getilgt, unb nur ben legten ©cblußfall beibe=
halten, ben bie Seiter »on H mit bem ^)h^gifd)en theilt. Saburch ift aber bie SCßetobie, welche fonft einer
in ber älteren Sonfunft unbenannten Sonart angehört, jener ftreng=fird)lid)en angeeignet.
3Bir finben hienad) bei ben aus bem S3rübergefange aufgenommenen ©ingweifen bie gebräud)ü=
eben gormen ber fird)lid)en Sonarten in jwedmäfjiger ^(nwenbung, boch bürfen wir nicht behaupten, baß
ber eoangelifche Äirchengefang eine wefentliche ^Bereicherung baburd) erfahren habe. @r nahm in ihnen nur
bemjenigen ©leichartiges auf, bas er febon befaß. Sie einzige, feltene gorm aber, bie als eine neue in
292
ihn überging, mixte balb in eine f tx*dt?Itct> berfbmmlicbc umgebilbet, verfd)roanb alfo gänjlid), fo weit fie
eine eigentümlich, auSgcjeicbnete war.
^Betrachten wir bie ©tropfen be§ böl)tnifd)en S^eileö ber ©ingweifen be§ 33rübergefanges>, unb
beren rl?ptt)mtfd>en 33au, junäd)ft im Allgemeinen, wie e§ eben bei beren Tonarten gefd)ab, fo tritt un$
bierin eine große SKannicbfaltigfeit von Salbungen entgegen. Svoetjeiligen; bis! vierjebnjeiligen ©trogen
begegnen wir in jteter gortfcfyreitung, ja, auch brei einzelnen SBeifpielen einer 18;, 27=, 28jeiligen 5 biefe
ftnb jebod) 3ufammenfe^ungen ruberer, in ftd> felbfiänbiger ©tropfen. Sie 18jeiligc befrebt au§ jwei
ft'ebenjeiltgen unb einer vierteiligen ©tropbe; bie 27jeiltge au§ brei neunjeiligen; bie 28jeilige aus? jwei
acht-, unb jmei fed)6jeiligen. Um meiften auSgebilbet aber ftnb bie brei= big ad)tjeilige ©tropfe; bie brei=
unb bie fünfteilige erfd)einen in neun, bie fed)3= unb ftcbenjeilige in jwblf, bie achtteilige in bretjebn Jor«
men; am bäuftgften bie vierteilige, in beren funfjefm. SSon allen biefen finb jebod) eben bie eigentümlich
ftcn auch, einjeln jler;enbe ; bie am bäuftgften vorfommenben aber bem bbbmtfcben roie lutl)erifd)en Äird)en--
gefange gemeinfame. ©0 erfcbeint bie vierteilige ©tropbe be§ ßiebeS: „2Bo ©ott jum .£>auf' nicht giebt
fein' ©unjl" — eine jener furtfjetjn gormen — in 28 galten. Sie ftebcnjeilige ©trovbe beä ßiebeS: ,,(£3
ift ba§ £eil un§ fommen her" roar urfvrünglich wohl bem bbl)mifd)en Siebergefange fremb; unter neun
Sailen, in benen ft'e in bem S3rübergefangbud)e von 1566 vorfommt, erfcbeint fte in ad)t ju Sftelobieen,
bie bem lutberifcben itird)engcfange entlehnt ftnb, unb nur in bem neunten begleitet fte eine, fonft nirgenb
anjutreffenbe, ihr anbequemte ©ingroeife. 9cal)men aber bie 33rüber mannid}fad)e mclobifd)e Überflcibun*
gen biefer einen gorm ber ftebenjeiligen ©trovbe von ben 2utl)erifd)en an, fo haben biefe bagcgen anbere,
ben 23rübern eigentümliche formen biefer ©tropbe fid? angeeignet, ohne bei einer berfelben vorjugSweife
fiebert ju bleiben. 3n »ter ©ingroeifen biefer ©trophengattung, bie fie bafyer fcbbvften, haben fte tugleicb
eben fo viel verfcfyiebene 'tfuSgeftaltungen berfelben aufgenommen. Srei unter ihnen bieten ben volfs>mäßU
gen Söecbfel be3 9?l)»tbmu3. 3uerft bie Söielobie be§ Abenbliebeö Sie Wacht ift fommen*). ©eben
mir auf bie bloße ©wlbenjabl ber einzelnen 3eilen, fo roecfyfelt in tfjr regelmäßig eine fünffnlbige mit einer
fecb§fr>lbigen. (üben fo regelmäßig entfpreeben einanber auch bie gleid)fvlbigen Seilen in ihrem rlmtbmifcben
S5aue. 3n ben fünffwlbigen beginnt ba§ breitl)eilige Sftaaß, unb e§ folgt ba§ jweitbeilige; in ben fecbSfpl*
bigen (lebt jenes ungerabe jmifd)en bem geraben in ber Sftitte. (StwaS anberS bat ©djein, ber unfer Sieb
mit feiner SJMobie aufnahm, biefen urfprünglicbcn S5au geftaltet; ihm geboren bie fünffwlbigen Seilen bem
jroeitbeiligen, bie fed)§fplbigen bem breitl)eiligen an : eine nid)t unglüdlid)e Umbilbung, roeil ftatt ber ver=
febiebenen 9)cifcbung beiber 9Jcaaße in jeber Beile, nunmehr wecbfelnb, balb ba§ eine, unb balb ba§ anbere
überwiegt, unb über ba§ ®anje fo eine größere 9?ul)e verbreitet roirb, ber ftille griebe nad) einem bewegt,
aber fromm verlebten Sage. 'Kbnlicben, rl)t)tbmifd)en 33au jeigt bie SBeife beö fiiebeä: ,,Sen SSa t er
in
IV
a-ö-
Sie 9la^t ift fom men bttn reit ru = ^n fol-- ten ©ott roattg frommen nadj feim Sffiotjlge » fal = ten bagrcir
. VI VII
uns te gen in feim ®ieit unb ©eegen ber Mut) ju ppe = gen.
293
bort oben."*) Sr>\ex wecfyfelt in ber erften bi§ vierten Seile — beren erfle betbe fecfySftjlbig ftnb, r>on
ben testen beiben bie erfte fieben=, bie jweite wicberum fed)§fr;lbig — ber 9?ln;tbmu§ bei Swet unb Srei.
Sie fünfte Seile ftel)t, als nad) gerabem Safte gemeffen, einzeln in berSJlitte; fie fann aber auch,, if)ren
21nfang3= unb Crnbton ausgenommen, für eine Sufammenfefjung jweier breitfyeiligen Safte gelten, in beren
erftem bie Sange, in bem jweiten bie Äürje üoranftef)t. Sie legten beiben, fteben= unb fed)3fr;lbigen Seilen,
erneuern ben frühem 2Bed)fel. Sn anberer Stellung enblid) fmben wir eben einen folgen in ber 2Beife be§
(SbeftanbSliebeS : „Saft unS fingen, unfere ©timmen ju ©Ott erbeben."**) ©eine ©tropfe jeigt
in il)rcm erften ©efäfje jwetmabl eine fünffylbige Seile einer adjtfplbigen nad)ftef)enb ; im jweiten folgen jwet
fed)Sfi)lbige einer won ad)t@r;lben. Sie@ingweife bietet im erften ©efäfce, 3eile um Seile, juerft ben dttytffy*
muS ber Srei, unb nad) il)m ben ber3wei, in ben beiben erften Seilen be§ jweiten jundcbft baS gerabe, in ber
legten wieberum ba§ ungerabe SJJaafj. Sie üierte §orm ber ftebenjeiligen ©tropfye jeidjnet ftd) nid)t burd)
rb»)tbmifd)en 2Bed)fel biefer 31rt auS ; tl)r @igentl)ümlid)e3 gewinnt fie burd} baS S3erf)älmifi ber Seilen an
ben ungeraben unb ben geraben ©teilen, roo benn bie vorlebte, furje, unb bie jweite, längere 3eile befon=
bers? bejeidjnenb berüortreten. Sie erfte, britte, fünfte ©teile nimmt nämlid) eine ft'ebenfylbige, bie ftebente
eine fed)3ft)lbige 3eile ein; bie jweite, vierte, fed)fte, in ftetem 21bnel)men eine adb>, fed)3=, breifylbige,
unb eben biefeS 21bnel)men ift eS, baS, bei anfänglichem Überwiegen, gegen bie ©leicfymäfugfeit ber übrigen
Seilen, ber gefammten ©tropfe ii>r befonbereS ©epräge üerleil)t***).
SSon ben übrigen ©tropfen beben wir nur biejenigen IjerauS, bie in if)rem S3aue, jumabl wie er
in ben ©ingweifen erfdjeint, etwas 33emerfenSwertf)eS jeigen. Ser ©t)lbenjal)l nad) wäre bie in ad)t Bal-
len bem Äird)engefange ber SSrüber entlehnte r> i er j eilige ©tropfye überall biefelbe, nämlid) »on burd)l)in
ad)tfr,lbigen Seilen. 3n biefem ©inne laffen ftd) aber nur bie ßieber anfefyen : Sftun lafjt unS ben Seib
begraben tc., £) Sfftenfd) betrad)t, wie bid) bein ©Ott :c, ©d)au, fünbiger 9Kenfd), wer bu bift x., 211S
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Cob fei bir gti 5 tisger ©Ott bafi bu mir ijaft of:fenba ; retbeinen@ob^mein£eitunb£ortb£rfid)fetb6nicr;t
fpa;tet fcnbetn gab in @;(etib grcf, mir ot)n maaf bis in S£ob roill = faf) : ret.
294
3eful (SfyrijhtS ®otteS @0&n ic, 2) er Sag bricht an, unb geiget ft'ci? ic. , bereit britteS jebod) burd) ben in
fehlet ©ingvoetfc oonvaltenben ungeraben Saft, ba3 le£te burd) rt>v>tf>mif4>en 2Bed)fcl*), ein befonbereö
Gepräge erhält, ©anj abweid)enb aber jeigen fid) bie SSBeifen unb ©tropfyen ber brei übrigen Sieber. Sie
Gelobte bc3 £>jlerliebe3 : ,,9)cit greuben wollen wir fingen" betrachteten wir fd)on juüor it>rer Tonart
nach; ben barin corwaltenben , batb iambifd)=, balb trod)äifd)=baftt)lifchen 9?bt)thmuS fann man aus> ber
Dort aufgezeichneten SGBetfe leicht erfennen, in ber freilich burch ©pneopen ba3 SQcaaf? ber Skrfe oft werwifd)t
wirb. Sie ©troppe be§ Sel)rliebe§ : „Sßtr glauben an ©Ott ben Skter" — wenn auch nicht bie erfk, bod)
bie meinen ber folgenben, benn berfetbe S3au ifi nicht überall gleichmäßig feftgehalten — weicht fepon burd)
ihren anapäftifdHambifcpen SipptpmuS ab von ber gewöhnlichen, üierjeilig=achtfi;lbigen, iambifchen. 3n
Der ©ingweife") haben bie brei erjien 3cilen gletd)en rpptpmtfchen S3au: jwei porfcplagenbe Äürjen, jwei
Bangen, eine Sänge cor jwei jtürjen unb wieberum jwei Sängen ; bie lefcte 3eile bagegen beginnt mit bem
9cieberfchlage, unb bewegt fid) gemeffen im mertpetligen Safte fort : eine auf anbere Sieber nicht ju übertrat
genbe ©ingart, ©ben fo wenig fann biefeS bei ber SBeife be3 Sifcpliebeg gefchehen : Allmächtiger, gütiger
©ott ic. Sie bid)terifcpe ©troppe (jufolge ber beutfehen Übertragung)***) befiept in ben erften jwet 3et=
len au» einem 3ambuS, bem ^wei Anapäften folgen, in ber britten auS einem Sambuö jwifepen jwei
Anapäften, in ber legten au3 einem Sambuö hinter jweien Anapäffen. ©epon pieburd) wirb rppthmifeper
SBecpfel angedeutet, nur baß bie ©ingweife ihn in etwas anberer Art auSbitbet. ©ie jeigt in ber erflen
Seile ba§ unbebingt perrfepenbe ÜJiaafj ber 3wei : einen Auftaft, unb ©cplußtaft, unb bajwifcpen einen
Anapäfi unb Saftplus ; in ber ^weiten, britten unb vierten Seile oon je pier Saften, ben ^weiten unb brit=
ten ungerabe, burd) gerabe umfd)loffen -J-).
Sie aufgenommene ©ingweife ju ber jwcijeiligen ©tropbe bes> StebeS: ,,Sanfet bem.£>erren, benn
Diefcr 23au, mufifatifö) niajt anberS baräuftctlen, roürbe inbep feine cöllige SRccfitfcrtigung tt>of>t
burd) bie Skrglcidjung ber Gelobte mit bem bbf)mifd)en, urfprüngtid)en Siebe, ba üieteS, bem beutfehen nicht
t)ier, »nie in anberen gälten, in ber SMangclfjaftigfcit ber Übertragung liegen lemn.
") .
erft erhalten
2tngemeffene,
'Jl Um ästiger, gütiger ©ott,
X?u etviger Jptrr 3cbaott).
itUtr 2fugcn roärten auf bid)
Unb bü fpe'ife'jt fie gnabiglFd).
a 1 @~e=
mrd-d-<4-\-£> ] - A A A boi^r
— .— 1 — 1 — ff
295
er ift fefyr freunblich"*,), roeid>t in foroeit »ort ben berfbmmlichen Intonationen ab, nad) benen einige^falme,
unb jumabl bte 2obgefange ber 9Jiaria unb be3 3acharia§, noch jefet in Wielen et>angelifd)en .ftirchen gefun=
gen werben, unb benen fte bei bem erften 2lnblicfe fict) anjufchliefjen fcheint, bafj fte befiimmt melobtfcb unb
rbptbmifch auSgeftaltet ift, unb nicht eine blofje 2lnfang3= unb Schlußformel jeigt, in beren SOiitte auf einem
Sone ber grbfsefte Sheil ber SBorte in fangabnltcber Sfebe auSgefprochen roirb. (Sine jebe biefer beiben 3ei=
ten f>ebt im geraben Safte an, unb fcfyließt im ungeraben; berfelbe 3ibr;tbmuS fefjvt in ber einen rote ber
anbern wieber, nur in ben melobtfchen SBenbungen unterfcheiben fte fict) : für ein furjeö Sanfgebet, wenn
e3 gelungen fepn foll, eine f?bct>ft angemeffene gorm.
Sie breimahl erfcheinenbe bretjeilige ©tropfe giebt in ihrer rbhtbmifchen SSefcbaffentjeit ju
feinen befonberen ^Betrachtungen 2lnlafj. Sie wegen ihrer ungewöhnlichen Sonart ausgezeichnete ©ingweife
beS 9Eorgenltebe3 : Der Sag oertreibt bie finftre Stacht, beren ©tropbe hieher gebort, unb bie ganj im
ungeraben (1) Saft gefegt tft, haben wir in jener erflen, allein bemerfenSwertben 33ejief)ung fdwn jur>or
betrachtet. Sie im lutberifcben itirchengefange fo oft üorfommenbe ach, tjeilige ©tropfe ift in feiner non
ben breijehn formen, in benen fte bei ben SSrübem beimifcb war, in jenen übergegangen ; nur eine, bie
au§ lateinifd)em Äird)engefange entlehnte bes> 2iebe§ : ,,@briftu§, ber un§ feiig macht, " ift ben SBrübern
unb ben Sutr^erifdjen gemeinfam, unb bie einjige, bie bei jenen in boppelter, melobifcber gorm erfcheint,
ba fonft alle übrigen nur in einer einzigen »orfommen. Sie SÖtelobte ber fecbSjeiligen ©tropfe be§ erft
fpat aufgenommenen $)rebigtliebe3 : „£) <5f)rtfi:e, SSabrbeit unb geben tc." bewegt fict) in gleichen 9?oten
fort, unb hat nichts riwtfnnifd) 2luggejeict)nete§. Sie jehnjetltge ©tropfe t>e§ 2lbt>ent3liebeS : „2ll§
2lbam im $)arabie§ ;c." gehört bem au§ latetntfebem Äircbengefange ftammenben Siebe an: Dies est laeti-
tiae ; fte ift t>on ben SSrübern unb ben gutberifeben auö gleicher £luelle entlehnt, unb erfcheint hier nur mit
neuen melobifcben gormen. Sie elf jeilige be3 ©efangeS t>om jüngjten Sage: „£) ihr alle, bie ihr euch
bem £errn oereiniget" erfcheint ju einer ©ingweife t>on Sbnen ganj gleicher Sauer, unb »erbient nur
roegen ibreSSBaueS im2lllgemeinen erwähnt ju werben, ©ie befteht au§ einem »ierjeiligen, einmahl wie=
berholten (Uefafee, beffen brei erfte Seilen breijehnfplbig ftnb, bie »ierte jroblffplbig ift, unb auS einem br et=
j eiligen, oon einer acht*, fech$>= unb ftebenfwlbtgen Seile. 3ßir fbnnen un3 bei allen jenen formen mit
biefer flüchtigen 3lnbeutung begnügen, unb gebenfen jum ©chluffe allein noch mit einiger 2lu6führlichfett
ber fünfteiligen ©tropbe be3 2lbüent§ltebe3 : ,, ©laubige ©eef fchau bein #err unb Äöntg wirb fommen"K.
3h" erfte Seile ift gegen bie übrigen anfehemeub »on unüerbaltnifjmäfjiger Sange, breijebnfylbig, fo wie
gegen fte bie jweite auffallenb furj, t>on ft'eben @t)lben, faft nur halb fo lang, ©in angemeffenereg S3er=
hältnif? haben bie brei lefjten Seilen, eine acbtfylbige jwifchen jwei neunfplbigen. Sag rechte 9Kaag inbefj
ftellt fich leicht auch bei ben erften ^wei 3eilen hei", wenn man bie fünf ©ptben ber brei erften SBorte ber
beginnenben Seile, bie eine bcfonberS nacbbrücfltcbe 2lufforberung unb Ermahnung enthalten, als bebeut^
fam erwetternben Sufa'fe, al§ feierlichen Eingang betrachtet. Sann ftimmt auch t>er r£)V)tf)mifd>e S3au ber
einjelnen Seilen in ber 9ftelobie harmonifch überein. Sie jweite unb üierte ftnb lebiglich nach ber 3wei
gemeffen ; bie erfte, britee, fünfte heben mit einem anapäftifchen StypthmuS an (jwei Äürjen einer gange
in gerabem Safte ttoranftebenb) unb ihnen folgen jwei trochäifdje, breitheilige, in einen ©ponbäuS (jwei
SanEet bem Herren benn er tfi fetjr frcunbtid) benn fei ; ne ©ut unb 2Bahrt)eit bleibt e : rcig;tic^.
296
gindu- fangen.) auegebcnbe; benn bic bei bcr Aufzeichnung jule^t gebrauste gönn ber £3reoi$ beutet nur
auf ben ©cbluß ber Seile, unb ba$ übliche, n>tUFüt?rItd?e SScrweilen auf bemfelben*).
SBStv fonnen an ben fo eben betrachteten ©ingweifcn unS überzeugen, wie eigentümlich ber böh-
mtft&e Äird^cngefang in mclobifcber, rbvthmifcher, unb, bafj wir fo fagen, tonifcbcr ^inftd)t auSgebilbet
gcrocfcn ; unb bürfen un§ bcS feinen ©inneS freuen, mit bem bie Sutherifcben eben bie heften feiner ©ing=
weifen ftdb aneigneten, unb faum eine bebeutenbe gorm übergingen. Au3 bem oon ihnen Aufgenommenen
tonnen mir feine »efentltcfyenfBotjage erfennen, wenn auch, freilid) nid)t alle; mir mußten un§ hier begnügen,
unferem 3we<f jufolge, fein 83crhältniß ju bem lutberifchen bargelegt ju haben. £>l)ne bie aud) auf bie
83rübergemeine oerberblid) rüdroirfenben golgen bes> böt)mifd)en AufftanbeS, ohne bie üerheerenben folgen
bess breißigjährigen .Krieges!, tjatte aud) mobj ein innigeres, burd)greifenbcrc3 ä$erl)ältniß be3 einen ju bem
anbeten .fiird)engcfange fid) gebilbet, »on bem mir bis> babin manche einzelne, fpäter erjh'dte jteime wahr*
nehmen. Mieles? nämlich enthalt bcr Ätrchengcfang ber bbl)mifch=mäbrifchen SBrüber, ba§ auf ein lebenbi=
ge3 äSerbältniß binbeutet jmifdjen bem Siturgen unb ber ©emeine bei bem ©ottegbtenjle. £>iefe antmortet
bier ben won 3cnem im ©cfange oorgetragenen SBerrünbigungen, 2el)ren, Sobgefängcn aus« ber ©chrift, mie
in ber fatbolifcben Äirdie ber @)or bem $)riefkr. £)aß eine ndbere S5ejiel)ung jmtfd)cn ©emeinegefang
unb Äunftgcfang, mie fte l)ierauö l)dtte entfielen fonnen, auch in ibj mirflid) ermad)fen fei;, mollen mir
nicht magen ju behaupten; allein bie in ber Xfyat geijh'ciche Art, mie bie 23rüberfnd)e hier an bie alte
anhumfte, mie fic jumabl bic oon biefer auf fte übertragenen gcifHid)cn ©ingweifcn lebenbig erneute unb
burebbilbete, läßt mit Siecht oorauSfcfjen, baß eine folcbe 23ejiebung unfehlbar mürbe cntjknben fetm, wäre
il)r in biefer 9cicb,tung eine längere 3eit ruhiger (Sntwidlung vergönnt gemefen. iDaburd) aber würbe aud)
bie lutbcrifd)e, mit ibr bereite in näheren SBerfefct getretene .Kirche, fid) geforbert gefeben haben, unb il)r wie=
berum burd) ben größeren 9veid)thum bcr .Kunfientwicfumg in ihrem ©d)Ooße förberlid) geworben fepn.
25enn Ähnliches* als baSjcnige, wot>on wir reben, unb woran eine gegenfeitige (Sinwirfung ftcb, b,ätte eintet
ten laffen, befaß fte nod) ju Anfange bes> 17ten 3al)rl)unbertsv unmittelbar »or bem breißigjäf)rigen .Kriege.
3n ber SKegalpnobia bcS 93iicb,aet sPrätorius> ftnben mir einige mehrftimmige Sonfä^e besi ßobgefangeä ber
beiligen Jungfrau, beffen einzelne (ganze ober halbe) lateinifche SSerfe beftimmt ft'nb, »on bem ©ängerchore
uorgetragen ju merben. 2}ajwifd)en werben bezügliche gefttieber gefungen, in welche bie ganje ©emeine
mit einftimmen fann. Sener ßobgefang, ber bamaB, nact; ©itte ber alten .Kirche, nod) ben Abenbgotte3=
bienft an fefilieben Sagen befd)lo^, würbe babureb in neue, frifcb,e S3ejicbung gebracht ju ber jebe§maligen
Jefte^feier. 2Bae> in J^ofnung, auö liebenbem, gläubigem ©emütbe, bie Butter unfere§ ^)eilanbe§ einjl
weiffagenb gefungen, ba§ wirb nun an bem ©ebenftage einer jeben ber großen ^Begebenheiten ber ©rlbfung
alö ein erfüüteö »on feiner ©emeine mit 2)anf unb Anbetung gepriefen. 3n äl)nlich,em ©inne ftnben wir
bie alte ©equenj für baö geft ber äSerfunbigung -Kariä: Mittit ad virginein (Als» ber gütige ©Ott t»ollen=
ben wollt fein 2öort) bei eben jenem Söceifter mit beutfcb,en fiebern burch,moben. Auch bie ältere S3rüber=
-o - i - o
©läubuge Secl fdjaubein^ert unb Äbnig rei'U fommen
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bir ?u Srofl unb ju
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frommen tr left fid)
bir oorbin an
ficbba^buibm mirft
tja.-gen unbfeimgrieb »on Jpcrjcn nod) = gen.
297
firchc hatte ben gobgcfang ber SHaria wie ben beS 3acharta3 (ba§ Magnifioat unb Benedictas) beibehalten,
unb fie war beftrebt, jene gobgefonge ber heiligen ©chrift unb bie ihrer eigenen geijiücfyen £)id)ter in ein
nähere» SBerbältnip ju bringen. S3eibe ©ebriftgefänge würben in it>r »on jwei Sporen vorgetragen : ben
erften SSerS berfelben, fo fc^etnt eS, ftimmte, wie in ber alten .Kirche, ber Siturg etnlettenb an, unb bann
trug wecbfelnb, unb wohl nur im Einf lange, ein Ztjeil ber ©emeine baS ©dbriftwort, ber anbere eine
gereimte Umfdjreibung unb Erflärung beffelben vor: jeneS, nach litt ber alten firef) liefen Intonationen,
biefe, in volfSmäßiger SBeife. £)em evangelifeben ©inne um Mieles angemeffener tjt biefe 2lrt beS ©efan=
geS, als bie bei $)rätoriu3 vorfommenbe ; benn bie ©timme ber Schrift unb il)re Auslegung ertönen b ier
in einer ber ©emeine verjfänblicben ©pradje, fie felber hält fich eines unb baS anbere vor; bort wirb mit
bem ©efange in einer fremben, nur SEBenigen jugängltcben Sprache, unb in vaterlänbifeber gewechselt, unb
nur ein Sfyeil ber ©emeine gewinnt von bem ©inne ber Seier baS volle 33erftänbnifj. (Sine nähere, in
frieblicfyer 3eit gepflegte ^Berührung beiber .Kirchen, eingeleitet fdwn burd) bie große ^Beliebtheit beS
SBrübergefangbucbeS , würbe für bie Siturgie ber ßutberifeben, unb ben lebenbigen 3ufammenf)ang
ber ©efangeSfunft mit il;r, fo wie beren reichere Entfaltung, l)bd)(it fruchtbar gewefen fepn; allein fie war
ib,nen ntdjt vergönnt, ES wäre alSbann auch, ju hoffen gewefen, baß bie finnige %xt ber SSrüberfircbe,
einzelne SBeifen beS alten gregorianifchen ©efangeS jlircbenliebem in ber SanbeSfpracbe anjueignen, fie im
bebeutfamften ©inne für ben ©emetnegefang ju gewinnen, feftere SBurjel in ber lutherifchen gefaxt hätte,
unb baß ber ©efang ber ©emeine mit ber Äunfi, als haftet SBlüthe ber gemeinfamen geier, in bie engfte
S3ejiel)ung getreten fepn würbe. SBir ftnben bei geftgefängen ber SSrüberfircbe, jumal)t folgen, bie auf
bie SJlclobieen alter lateinifcher Äircbenlieber fid; grünben, bie eigentbümlid)e Einrichtung, baß jwet ober
auch brei ©tropben berfelben abwechfelnb von 7lbtl)eilungen ber ©emeine gefungen werben. £>ann folgt
ein 2ob= ober Sanfruf, eine SBarnung, eine 33efräftigung, von ber ganjen ©emeine angeftimmt, unb ein
SBechfel folcher Zxt febrt burch ein ganjeS längere^ ßieb wieber. ©o in Michael SBeiffe'S SBeilmacbtSlieb,
baS er auf bie SEJZelobie ber©cquenj Grates nunc omnes,unb beS ihr angehängten 9?efponforiumS grünbete,
unb baS wir auf 33cranlaffung berfelben bereits besprachen. ES ijt ein frommes ©efpräd) ber ©emeine in
fid) felber, eine in ber S£f)etlung unb Bereinigung um fo wirffamere gemeinfchaftlid)e 2lnbad)t im ©efange.
Sänger balb, unb halb fürjer, ft'nb in anberen Stehern folcher lixt jene3wifd)engefänge ber ganjen ©emeine;
balb ein unveränbert wieberfehrenber, ober auch wecbfelnber 9?uf von wenigen Seilen ; balb eine eigenthüm=
lieh geglteberte ©trophe, beren lefjte Betten bureb überetnfttmmenbc SSetonung bod) wieber auf bie ihr voran=
gegangenen jurüdweifen, unb biefe einzelnen Steile beS ©efangeS ju einer einigen, größeren ©trophe
gehalten. Sn biefer legten 5lrt ift jener Sobgefang gehaltet, beffen 9Jielobie auf baS lateinifche: Ave pul-
cherrima regina fid) grünbet:
1. 2ob unb Ehr mit jtetem £>anfopfer 2. Sem heiligen ©eift gletdjer weife,
©ep ©ort unferm 83ater, 'Mmächtigem ©dwpfer Ser mit feiner ©abe bie ©eelen fann fpeifen
©ampt feinem ©ohn, Unb fein ©efeg
2)er hie für unS t)at genug gettjan ! ©^reiben in ber 3luSerwählten ^>erj !
3. Diefem ©ort, bem einigen ©ebaoth 2fuf bem ganjen Erbreich
©ep ju allen 3eiten Sanffagung unb Klarheit
2ob unb Ehr wm ganjen himmlifchen ^)eer ?>reiß, ^eiltgf'ett,
Unb auf allen ©epten ! Senebeiung, Äraft unb ^errlichfctt !
38
298
jDft muffen mir aber aud) an ein SSorftngen be§ Siturgen benfen, bem bie ganje ©emeine folgt, ©o in bem
'2lufcrjiehung§gcfange : „freuet euer; heut alle gleid)." @r beginnt mit vier 3eilen, angeeignet ber ^>f>rt>gi=
feiert SBetonung be§ erffen 2>tfttd?on§ ber alten ^fierfequenj : Salve festa dies. Sann folgt eine fieben--
jeiligc ©trophe auf bie SDielobie be3 nad) tf>r gebilberen 2luferftehung3liebe3 : „2llfo heilig ift ber SSag ic."
3ene erffen Seilen enthalten fietS eine tfufforberung, eine Ermahnung ; bie folgenbe ©tropfe ein Sanf lieb,
ein ©ebet. ©o in bem legten "Kbfa^e bicfeS SiebeS :
S3alb nachher fd)on, als Sof)ann .£om§ ßantional ber 33rüber juerft erfd)iencn mar, ft'nben mir
in bem mit SutherS SBorrebe herausgegebenen ©efangbud)e Valentin SBavjtS (1545) ba§ 2Beifmad)t3lieb
Widjael üJüeifjVö aufgenommen, beffen erffe ©trophenfette mir früher mitteilten ; auf er ihm erfcheint von
Siebern dl;nltd>er ©efkltung nur baS juvor angeführte, von S3re3ler 1618 gefegte Sieb vom jüngjten Sage:
,,£) tt>r alle, bie il)r eud) bem £erm vereiniget," baS mir aud) als eine golge von jmei achtteiligen ©tro=
pl)en betrachten fbnnen, benen fobann ein breijeiliger Smifdjenruf folgt. S5ei biefen beiben ift eS aber aud)
geblieben, unb nur baS erfte von ihnen f)at eine etmaS größere Verbreitung in ber lutf)erifd)en Ätrd)e gemon=
nen, baS ^meite ft'nben mir fonff nicht mieber, unb fie (jat fid) biefe ganje 2lrt ber SBecfyfelgefdnge nid)t
bauernb angeeignet, eS ft'nb feine ärmlichen Sieber von ihren Sichtern üerfuebt morben.
©o groß alfo aud) in mannid)fad)er 3?ücfftd)t bie SSorjüge beS SBrübergefangeS femi mögen, fo
erfreulieb ber ©eminn erfd)einen mag, beffen ber lutl)crifd)e Äird)engefang burd) ba§ au§ il)m Entlehnte
tfjeilbaft mürbe, ja, fo viel beträchtlicher, felbff an 3abJ, aud) bei nur befd)ränftcm Entlehnen, baS von
baher Tingeeignete fid) jeigt, ale> ba§ auS bem alten rbmifd)en jtird)engefange, unb ben §3olf3meifen blcibenb
$erübergenommene ; bennod) ift bie ©inmirfung biefer legten beiben ©ebiete eine um fo SSielcS bebeutenbere
gemefen, als fie eine lebenbige, fd)bvferifd) rücfmirfcnbe mar, mogegen hier nur bie 33erüf)rung jmeier
benachbarter ©ebiete erfd)eint, in anerfennenber Neigung unb Siebe, aber ohne innige 2Bed)felmirfung. 3n
beiben ©ebieten erfennen mir auf ähnliche 2Beife ben (Sinfluf be§ Ttltfirchlichen unb beS S3olf3thümlid)en ;
bie ^Beziehungen, bie S3ergleid)ung§punftc, bie baher entfielen, fommen aber nid)t von gegenfeitiger
(5inmirf ung her, fonbern von ben gemeinfamen Quellen, auS benen beibe fd)6pften, unb burd)
fie erfrifd)t unb belebt, ein jebeS eigentümlich, von bem anberen unabhängig, gebiehen. 33etrad)ten
mir bie au§ beiben hervorgegangenen ©ingmeifen nad) ihren Tonarten, fo ift im "JlUgemeinen ba§S3ormal=
ten ber meid) en für bie bbhmifd)en SCRclobieen bejetebnenb ; fonft fmben mir in beiben bie f ird)ltchen gor=
men, bie feiner bem anberen verbanft : eine auf ergcmbhnlid)c, bie mir in bem bbhmifd)en jtird)engefange
antrafen, unb bie ber lutherifd)e mit ber barauf gegrünbeten SUtetobie fid) aneignete, blieb bort eine ehv
jelne, hier mürbe ihr eigentl)ümlid)ffer 3ug balb au§gelbfd)t, fte mürbe ju einer ihr nahe ftehenben,
ftrd)lid)en umgebilbet. ©teilen mir ihre ©tropben gegeneinanber, fo ft'nben mir nur einjelne, in VolfSlie-
£) mie loblid) unb gut,
©o ber SQlenfch recht S3uße tl)ut,
©ein Äreuj auf fid) legt, unb ßhrijto nachträgt,
©o lang er fiel) regt !
Siturg.
©emeine.
£3 mie große £errlid)feit
Sff im Himmelreich «Uen bereit,
Sie tfct mit einfältigfeit
Semen ©otteS SEBahrheit
Unb verlangen ßhrifti ©erechtigfeit.
©o hilf nun ©Ott unb fleh unS bei,
Saß aud) biefe greub' unfer fen, 2lmen.
299
Dem uorfommente, betten gemeinfam, im Übrigen f>at jeter feine eigenen, unb wo einmafjt Seilen unb
©plbenjabl übereituuftimincn fcfyeinen, febwinbet btefe Übcveinfttmmung bei ber näheren 33cobad)tung, ober
eS fbmmt nur bie 3al)l, nid)t baS ®ewid)t ber ©Dlben überein, twUenbS aber wirb turd) ben befonbern
StyptbrnuS ber bbbmifd)en 9Dielobieen jebe S3ejicbung wieberum aufgehoben. Den r(n;tr)mifd>cn 2Bed)fel
cnblicb bat feiner von bem anbern geborgt, fonbern in ben SBolfSwetfen ber Deutfd)cn roie ber 33bb=
men war er in gleicher SBeife beimtfd). DaS burd) aüe btefe btlbcnbcn 33eftanbtbeile — ober wollen
wir «Kräfte fogetl — t>ier wie bort eigentümlich £ert>orgebracbte, bleibt aber, wo eS binübergenommen
wirb, immer alS ein grcmbeS einjeln fteben, eS erzeugt feine, ihm in irgenb einer SSejiebung ähnlichen 83iU
Hungen ; an feiner Ungletcbartigfcit bleibt eS leidet ju erfennen.
2fl>er vielleicht fanb eine mebr lebenbige unb fruchtbare (Sinmirfung beiber Ätrchengefänge auf ein=
anber flatt burd) bie l)armonifd)e S3el)anblung ibrer SJlelotieen, ober, wie wir eS am liebften nennen, ibre
Entfaltung, bie «ollftänbige Offenbarung be§ in ibnen webenben ©etfteS burd) mebrftimmigen Sonfalj?
£ier brängt fid) benn aud) bie grage auf: ob ber Äird)engefang ber S3rüber jemals, wie ber lutberifebe,
einbeimifd)e SEonfeljer gefunben, bie tl)n in biefem ©tnne bearbeiteten, fo bafj neben bem einfad)en, fpäter
oft wieber aufgelegten ©ingebuebe, aud) mel)rft immige vorbauten gewefen waren? 9)Ian fyat eS viel*
fad) t>eiftd)ert, wobl mit 9iüdftd)t auf bie Siebe ber 33bbmen jur SEonfunft, unb il)r grofieS ©efd)td für
biefelbe, bod) ift mir niemals eine bejh'mmte, auf eigene 2lnfd)auung, ober fiebere 3cugniffe gegrünbete
9cad)rid)t barüber befannt geworben. Sri beutfd)er ©pracbe ift vor bem Sabre 156G wobl fd)wertid)
eine§ erfebienen; felbft an bem Dafevn eineS bbbmifd)en bürfte ju jweifeln fenn. Die §3orrebe beS Sie=
Derbud)eS ber S3rüber nennt, wie wir faben, beren eigentümlichen, ursprünglichen Äird)engefang nur einen
mebr als fjunbertiätjrigen, ber alfo etwa umÜjobanneS $uf3 3"ten begonnen haben wirb. Daf? in ben Seiten
gewaltiger Aufregung, glübenber Begeiferung, neue Sieber unb ©ingweifen cntjtanben, tft erflärlicb, aber
für bie Äunjl, im engeren ©inne, namentlich beS Sonfa^eS, waren folebe Seiten faum fbrberlicbe, wie
benn bie ibnen folgenben ber Unterbrüdung unb Verfolgung eS eben fo wenig fewn fonnten. Die Seiten
gerbinanb beS ©rjten unb SJiarimilian beS Steifen, felbft bie folgenben bis jur <&d)laö)t am weisen SSerge,
waren bie einjigen, von benen öorauSgefefjt werben fbnnte, bafs bte-Eunft teSSEonfafjeS bamalS aud) bieSBei-
fen ber SBrüber in beren #eimatb fid) als Aufgabe gejMt habe. Darüber tft unS jebod) nid)tS berichtet; baS
etwa vorbanben ©ewefene bat wobl ber nad) S3eftegung beS bbl)mifd)en 2fufftanbeS waltenbe fanatifebe
SSefebrungSeifer, entweber gänjtid) jerftbrt, ober bod) unjugängltd) unb völlig unwirffam gemacht. SBir
ftnben aber aud) eineS fold)en mebrftimmigen geiftlicben gieberbudjeS ber SBrüber bei beutfd)en ©cbriftftellem
beS 16ten unb beginnenben I7ten 3abrbunbertS ntrgcnb gebad)t; felbft $)rätoriuS fd)weigt barüber gänjlicb,
fo viel geiftlid)e SEomneijier er in feinen jablreicben 2Serfen aud) nennt, ober auf fie als SSorbilber unb Speh
fer bei me()rftimmiger S3el)anbtung geijtticber fiiebweifen bmbeutet. Tin einer lebenbigen (Sinwtrfung beS
bbbmifd)en geiftlicben ßiebcrgefangeS auf ben lutberifd)en von ©eiten ber Äunft beS ©a£eS her, ift r)tenad>
billig ju jweifeln. ©c£en wir aber voraus, wie wir eS bürfen, bie (Snfwidlung tiefer Äunft fei) unter ben
83bbmen nad) eben ben ©efe^en, unb in gleicher golge gefd)eben, wie wir fie bei ben Deutfcben an ben unS
glüdlid) erhaltenen Dcnfmal)len tutt)erifd)en mebrftimmigen Äird)engefangcS vollftänbig ju überfd)auen ver=
mögen ; fo fjdtten wir ben Sicrluft eineS l)armonifd)en Äird)engcfangbud)eS ber S5rüber — war namlid)
überall ein folcheS »orl)anben — jwar immer ju beflagen, bod) bürften wir ihn nid)t einen uaerfe^ltcben
nennen. £bd)tf enS wäre babei bie Entbehrung einer erbeblid)en Äunftanfd)auung ju betauern, wenn wir
38*
300
annehmen müjjten, ber fo reiche, rb*)tbmtf che SBeftanbtbeil be§ bbbmifchen .KircbengefangeS fep wohl in
mebiftimmigcn Säben ber ihm angcl)brigen Sieber auch, in eigentümlicher ©ntwidlung hervorgetreten. 25en
'2fnblicf einer folcfyen bietet un§ inbefj aud) ber lutberifte Äircbengefang in fo retd>ltd)er gülle, bafj rotr
nicht beforgen bürfen, für unferen gegenwärtigen Stanbpunft, ben einer ©efd)id)te be§ evangetifch=beutfcben
GboralgefangeS, ein bebeutenbeS gefcbicbtlicfyeS Senfmabt ju vermiffen.
@S wäre alfo nur noch von b cutfeh en Söletflern ju banbeln, welche b6()mifd)e SDiclobieen geijb
lieber Sieber ju Aufgaben ibrer Sonfäfje geroäblt haben. @3 ftnb beren fed)§, fo viel ich habe ft'nben !bnnen:
3obann Ccccarb, unb fein Schüler StobäuS, beibe Gjapellmcifter ju Äonigöberg in ^Preufjen; 93iid)aet
9)rätoriu3 ju 33raunfd)wetg; Sanbgraf SKoruj »on Reffen; «Samuel 33re3ler, Terror ber Schule jum bei=
ligen ©etji unb ©. 33ernbarbin ju SSreSlau; Sobann ^ermann Schein unb ©ottfrteb SSopeliuS, ßantoren
in Seipjig. £>ocb, ift ju bemerfen, bap bergleid)cn Singweifen bei ihnen nur gelegentlich vorkommen, fofern
nämlicb in ben Äircbengefang ihrer Sßohnorte aud; Sieber bbbmifchen UrfprungS aufgenommen waren, bafj
aber feiner von biefen SOteiflern jene 9)Mobieen etgenbS unb auSfcbliefslicb, für feine Sonfäfje gewählt bat.
3obann (Sccarb fe£te bie SSBeife be3 £od)jeitj>ltebe3 : „Safjt um> fingen, unfereStimmen ju©ott
erheben" vicrjrimmig im Sah« 1603, at§ ©elcgcnbeitSgcfang für ba§ £ocbseit§fejt Sorenj Sauferä, £>ia=
fonuS am £om ju .Königsberg, unb ber Dorothea, SBittwe .Knaufnaget. £>b er bie SBeife felber gewählt, ob
ft'c von einem ber ^Brautleute ihm vorgefd)rteben war, ift nicht ju fagen. (5r bat fte, wie alles, wa§ er
gemacht, mit Sinn bebanbelt, unb jumabl bem rbvtbmtfdjcn S3aue, wie wir ibm juvor befchrieben, fein
9?ed)t wiberfabren laffen. £)amit hat er aber nichts geletftet, wag wir nicht in ben SBerfen feiner reifften
Seit in viel höherem Sföaafje antreffen, jumabl wo bie behanbeltcn SBeifen einen größeren inneren 9feid)thum
an £armonieen barboten, als bie eben befprochene. @S ift eine einzelne willfommene 2tnfd)auung, bie er
unS gewährt, aber nicht eine fruchtbare, tiefer wirffame : fein £onfa£ nimmt eine ehrenvolle Stelle ein in
bem gefammten Äreife feiner SBerfe, bie wir fünftig näher werben fennen lernen, allein baS 2lnrcgenbe,
S3elebenbe in ihnen, woran ft'cb, bie ffieftrebungen einer, faft ein halbes Safn'bunbert fortlebenben, burd) ihn
gegrünbeten ^)reufifd)en Sonfchule fnüpfen, ft'nben wir hier nicht eben in eigentümlicher SScife. StobäuS
fünfftimmige Sälje über bie SBeifen ber Sieber: „SenSSater bort oben" unb ,,2)anf fen bir gütiger ©ort, "
beren lefeter er ein Sterbelieb feines greunbeS ©eorg SDtyliuS unterlegte, haben vielleicht bahin mttgewirft,
beibe bem lutl)erifd)cn Äirchengefange bauernb ju erhalten, inbem fte beren rhpthmifchen 93au, wie ihren
harmonii"d)en ©ehalt eigentümlich, ausprägten ; fte fyaben ihm aber, ber 3ahl nach, nur SBenigeS gewon=
ncn. üßegen ber Sonfä^e 9)ctchaet§ ^>rdtoriu§ unb be§ Sanbgrafcn 93Zori^ bürfen wir auf baSjenige oer=
weifen, waö über beibe SKeijter ba ju fagen fewn wirb, wo von ihrem 83erl)ältniffe ju ber (Sntwicflung be§
lutherifchen ßhoralgefange§ gehanbclt werben mufi. ^)rätoriu§ hat/ Wie f$on vorläufig bemerft Würben,
eine SDielobie au§ einer ungebräud)lid)en Tonart gefegt*), unb, waö von feinen Nachfolgern nicht gefchahe,
ihre eigenthümliche Seiter unverleljt erhalten. (Sö ift biefer Seiter eigen, bafj fte, wenn einmahl harmonifd)
bebanbelt, bie "Mrt bes Sonfchluffe§ mit ber pb^S'fd^n gemein hat- Nur baä hervorheben biefeö befon=
beren Schluffeö, auch burd) bie bcgleitenben Stimmen, hätte ba§ SSßefen ber SEonart erft fühlbar gemacht.
<Prätoriuö hat bieö ju thun verfäumt, er begleitet bie Sd^lujjtöne ber SBeife, — bei ihm b unb a, —
') Da Sag oertreibt bie finflre 9la^t. S. ftinen Sonfnfe über bie SKrlobie btefcS Cicbes Uro. 101 ber SBei--
fpielfammtung.
301
burcb ben weisen £)retflang auf G unb ben garten auf D, ba er ftatt beS legten ben garten r>on A f>ätte
wählen follen. Saburd) flingt nun aber bie 2Beife als eine in G mit ber fleinen SEcrj unb ©ecbSte gefegte,
in ber £berquinte ober Dominante fdjliefsenbe, unb ber £brer ahnet faum, welche Sonreibe ihr witflid)
ju ©runbe liege, ©o fonnte eS benn aucfy leicht gefcbcben, baß ©pdtere auch nod) bie t-erminberte £Utinte
biefer Sonrcibe, eben tf>r SSejeidjnenbeS, in bie reine uerwanbetten ; unb baS feltenc 33eifpiel ber in ifyc
bargcffcüten, als ungebräud)lid)e nicht einmal)! mit einem befonbern tarnen genannten SEonart, ift ganj ohne
allen (Einfluß geblieben. 83on Schein haben wir bereits ber rljptbmifdjcn Umbilbung ber SBeife beS 2lbenb=
liebeS gebadet: „Sie Stacht ifi fommen brin wir ruhen follen;" feine einfache merftimmige SSebanblung
berfelben ift würbig unb fcbon, aber eS ifi bie einer einzelnen SDMobie, bie nicbt einmabl einem eigentlich
fircblicbcn Siebe angehört, fonbern einem 51t bäuSltd)er (Erbauung beftimmten. §3opeliuS bat feine Sonfäfce
meiji aus» ©cbeinS ßantional entlehnt, wäre alfo hier allein mit SKücfftcbt auf bie oon ihm fclber üierftimmtg
gefegte Söeife beS 2lufcr|W)ungSticbeS ju nennen: ßhrijiuS ift erftanben, hat übcrwunben; biefe gebort
inbeß nicht einem urfprünglicb böhmifcben Siebe an, fonbern einem lateinifcben : „Surgit in hac die Chri-
stus Dominus," iji alfo hier nicht ju faefprechen, fo merfwürbig fonfi fte auch ift burcb ihre Tonart, bie,
roenn gletd) augenfcbeinlicb eine weiche, uon 3of). 'S. 33acb fpäter als mirolobifd) gefaßt roorben iji.
derjenige Söteifter, ber oerbältnißmaßtg bie meiften SOtelobieen beS SSrübergefangbucbeS mebrfiinv
mig gefegt hat, ift © amuet SSreSler. ßr gab im Sabre 1618 bei ©eorg S5aumann ju SSreSlau unter
bem Stiel: Äircben unb .ipauS SKuftca (Concentus Ecclesiastico-doraesticus) 50 geijtlicbe Sieber in jmei
SSbeilen heraus. 2Mefe Sieber ftnb mit ihren üEßeifen tbeitS aus» lutberifcben ©efangbücbcm genommen,
theil» ftnb eS Sobwafferfd^e ^Pfalmen mit ihren franjoftfcben SBeifen; mir begegnen hier einem »ier=
Gimmigen ©a^e über bie SBeife beS alten wn Friller umgebilbeten DfterliebeS : 2)u Senje gut, fo wie
einem über bie 50ielobie won SBurcarb SÖßalbtS 98ften ^falrn ; enblich mehren über SSBeifen beS S5rüberge=
fangbudjcS. 2Bie weit biefeS lefcte bamalS in ©cblefien (Eingang gefunben habe, namentlich in ben
gürftenthümern Siegni^ unb SSricg, — bercn ^)erjoge ©eorg 3?ubolph b& crfte £betl gewibmet ift, —
unb in 83reSlau, — beffen gürftentbumSbauptmann Qlbam Dobfchü^, unb beffen S3ürgermeijier, ©tmbifuS
unb ©tabtfcbreiber ber Sonfe^er ben jweitcn jufdn-ieb, ■ — fonnen wir barauS erfehen. £>er SKeifter nennt
feine Sonfä&e eine geringe SSeifieuer jum ©d)mucfe beS SabernafelS, bie er als armer ©cbulmeijier unb
SJluft'cuS bargebracht; wir tl)un ihm nicht Unrecht, wenn wir in biefeS fein eigenes Urtbeil einftimmen.
Sin gewiffeS ©treben nad) Sebenbigfcit in gührung ber einjelnen ©timmen barf man ihm jugeftehen, er
hat biefelben jeboch ju oft als für ft'd) beftehenbe betrachtet, unb baburcb ber SSebeutfamfeit ihrer
©efammtwirfung gefd?abet, ja, felbjl baS wiberwdrtigfre DJiißjlimmen »eranlaßt, baS man nicht immer
ben Srutffehlem fd)ulb geben fann, bie fein 2Berr entftellen. %l$ Äunftwerf ift feine ©abe nicht oon
SSebeutung; eine (Erwähnung oerbiente fte hier nur wegen eineS SheileS ber Aufgabe, bie er ftch
gejteat hatte.
2Bir burften ben Äirchengefang ber S5rüber als eine an ftch merfwürbige @rfd)einung nicht umge=
ben, um fo weniger, als er mit bem lutberifcben in SSejicbung getreten iji, unb beibe »on einanber geborgt
haben. 2lber feine ßinwirfung auf biefen legten, wenn wir eine fdjbpferifcbc, neu geftaltenbe, allein biefeS
9camenS werth halten, war nur eine geringe, oorübcrgebenbe. gür ft'd) genommen jeboch (wir wieberholen
eS) »erbient er, feiner S3ebeutfamfeit wegen, eine felbfldnbige gorfd)ung unb ausführlichere S3ehanb=
lung, als ber 3wecf biefer SSldtter ihm hier angebeiben ju laffen erlaubte.
302
fttittet Slbfdjttttt*
t)te ftvcblict)en 2Äel0biembü<$et beg IGten Safyvfyuubeitg.
Die geifilicben SSJlelotieenbüdjcr beS 16ten SahrhunbertS , bis gegen beffen erfie ^>dlfte bin,
haben mir in bem ä5orangef)enben fd)on Ijduftg ermähnt, felbji ausführlich über fte berichtet @S mar babei
bie 'tfbftcht, bie älteren, metobtfcben, ber Sßorjett entlehnten ©runblagen beS et>angelifd)en .EircbengefangeS,
in ihnen nachjunmfen, fepen fte ftrcbltcben ober oolfSthümlid)en UrfprungeS gemefen ; bte früheften eigenen
©cbbpfungett ber erneuten £ird)e auf bem ©ebiete beS heiligen ©efangeS in ibrten aufsuchen, fte in ihrer
urfprünglicben ©eftalt roieberjuftnben ; mo benn »or allen bie ßieber SutberS unb ü)re ©ingmeifen unfere
Äufmerffamfeit in 'tfnfpruch nahmen. Dem crften 2fuffeimen, ber frübeften 23lütbe beS neuen Äircbenge=
fangeS forfcbten mir nach in ihnen ; ein ausführlicher 23ertd)t über fte, als befonberen 3meig beS S5ücber=
wefcnS jener 3eit, lag außerhalb unfereS 3medeS. Zud) jefct ift eS nicht bie 2fbficbt, fte »on biefem
©eftcbtSpunfte auS »orjugSmeife jum ©egenftanbe unferer Betrachtung ju machen, unb etma eine »oEftäm
bige Überficht btefeS SbeileS ber Literatur ju geben, din anbereS 3iel haben mir unS geftecft bei ber jufam=
menbaugenbcn 23etrcd)tung ber tiorjüglichftcn S3üd;er biefer Hxt, »ort bem 3eitpunfte an, mo mir fte
früherhin »erließen, ©te foIX unS ein 23ttb gemähten »on ber großen SSbätigfeit ber ©oangelifchen auf
biefem ©ebiete, bis hin zu bem ©d)luffe beä 3«brb"nbertö ; fie foE unS baS SSerbältntß beS ©emeinege=
fanget anfcbaulicb machen ju bem neuen ©otteSbienjte, fo mie beffen befonbere 2ütSgeftaltung. Denn biefe
23 ü eher ftnb bie »orjügltchfte £lucEe, auS ber mir unfere Äcnntniß über23eibeS ju fd)bpfcn haben. ©o finb
benn auch nur 9J£elobieenbüd)er, nicht geiftlid)e ©efangbücher überhaupt, baSjenige, maS unS hier
befchäftigen mirb, eS märe benn, baß eines ober baS anbere biefer legten, menn eS auch feine ©ingmeifen
enthalt, boeb iftachmeifungen gemährte, bte unS über ben Urfprung üblicher Äirchenmclobiecn unterrichteten,
tfber auch unter ben SOielobieenbüd)crn fcbließen mir einige abftcbtlicb auS »on unferer gegenmärtigen Dar--
fteUung. 3unächft bie mehrftimmigen überhaupt; biefen mibmen mir einen befonberen Ttbfchnitt, in
melchem mir oon ben ©e|ern früherer Jtirdbenmeifen mährenb btefeS SeitraumS hobeln merben. @ben fo
beftimmen mir bem 23erichte über bte (Sntfiehung neuer SCRelobieen feit ber SOlttte beS 16ten 3>abrbun=
oertS eine eigene ©teUe, fofern mir beren Urheber namentlid) fennen, ober boch bie befonberen Umjtänbe
aufgezeichnet ftnben, unter benen fte entftanben ; eS möge nun Did)ter unb ©änger, »ieEetcbt auch ©e(jer,
in ber Sperfon ihrer Urheber ftd) vereinigt finben ober nicht. (Srbebliche ©rünbe cerantaffen unS ju biefer
tfnorbnung. 9ftebrftimmige SQtclobieenbücber, finb fte auch meift gemifebte ©ammlungen für Ftrdblt-
d)en ©ebrauch, mie jene einfachen, bie uns hier befchäftigen merben, ftnb boch »orjüglich geeignet, über
baS S^erbaltniß ber Aunft beS £on faires ju bem ©emeinegefange unS ju belehren, unb bie Sntmicflung
ihreS ©eifteS unS anfchaulid) ju machen; fte eignen ftd) alfo jum ©cgenjlanbe einer befonberS abgegrenzten
DarfieUung, welche eben biefe Aufgabe ftd) fteEt. 9ceue SDcelobieen treffen mir jumeift in ©ammlun=
qen eigener .öcroorbringungen einjelner SDleifter, bie, menn aud) benimmt ben Steber- unb SÖMobiecnfchafj
cer Äirche ju mehren, boch nid)t ©ingebücher unmittelbar für ftrd)lid)c 3mecfe genannt merben bürfen.
Unter biefen begreifen mir nur folebe, bie baSjenige umfaffen, maS bie Äirche ftd) bereits angeeignet hatte,
ma? in ihr eingebürgert mar. '2luS jenen ©ammlungen neuer lieber unb ©ingmeifen lernen mir baS eigem
tbümliche Sierbienft beftimmter ©änger fennen, gemtnnen eine '.ünfcbauimg ihreS S^erhältniffeS jur Äird)c,
unb belebten uns über bie ©rünbe, meShalb biefe, mäblenb ober »ermerfenb, ihren neuen ^erüorbringttngen
303
gegenübertrat. 2Btrb nun baburd) ein in ftct> gefcbtoffencr, befonterev 33ericbt über fie wünfcben?wertb,
fo ifl bie» um fo mebr noch, ber JaU, weil jene Sänger mit ihrer ©abe oft auch bic te3 Dicbtcrf, ntd>t
feiten aud) te§ SeljerS verbinten, unb taturd) ju einem längeren Verweilen bei tf>nen auffortem, aß ber
©eficbtSpunft unb bie ©renjen unferer gegenwärtigen Darjrctlung e§ geftatten. Denn tiefe bat bie SJIcb^
rung teS SchaljeS an geiftlicben Sietweifen jum ©egenftante, wie fie au» firdjlicb anerfannten Somni=
lungen beroorgetjt.
Den Urfprung einjelncr, feit 2utber§ Auftreten enrjianbener, unb in ber cvangelifcben .ftirebe
beimifcb geworbener geiftlicher Sieber unb ibrer SKelotieen fönnen wir allerttngS bis" jum Jahre 15*23
jurüdfübren, nach bem Seugniffe jener febon früber befprochenen Sammlung von acht Siebern au§ bem
Jahre 1524. Die allgemeinere Verbreitung be$ beutfeben gcifllid)en ©efangc§ tureb eine Sicibe nabmbafter
Sammlungen bciliger Steter unb ihrer 93Zelobiecn beginnt inbejj erft im Jahre 1525. Jene acht üieber, bie
Erfurter Chicbiritien, waren bie Vorläufer be§, wobl gegen tas> ©nbe teS JahrcS 1524 erfchienenen 2Balter=
feiert ©efangbudieS ; tiefet brudte 9>eter Scbbffer 1525 ju Strasburg nacb, unb nun traten im norbbfh
lieben, im fübwefilicben Deutfcblanb, fo wie im 9Kittelpunfte be$ 9ieicb§, geiftlicbe Singbücber an ta?
Siebt, bie ber .Crbnung unb bem Inhalte nach, mit wenigen 2üislafjungcn ober 3ufä£en örtlicher, geifilicbcr
Dichtungen, ber SBalterfcben Sammlung fich anfcbloffen. Von SBittenberg her ging bie Anregung au$;
bie bebeutenben Santftätte unb ^)auptorte Grrfurt unb ^Breslau, bie mächtigen 9?eicbsftätte Dürnberg unb
Strasburg folgten nach, ber Vorrath ber Druder war halb erfebbpft ; viele tiefer SSücher mögen tureb ben
häufigen ©ebrauch ©runbe gegangen fepn, ober man mag fie, bei ben feit ber SJiitte te§ 16ten Jahrbum
terti ftattgehabten ©egenwirfungen in fatbolifcbem Sinne auch wohl abficbtlicb vernichtet höben. 3weifello6
gehören fie jefet $u ben größeren Seltenheiten, fo verbreitet fie auch früher waren. Diefc Seltenheit, fo wie
bie nur unvotlftänbigen, oft nicht auo eigener 2(nfd)auung berrübrenben Nachrichten über mandie unter
ihnen, unb über bie in ben nächsten Jahren erfchienenen gleichartigen Sammlungen, vergönnen un$ von
Vielem nur muthmaapenb, unb nicht mit voller ©ewifjheit ju berichten, unb fiebern un£ nicht vor unrichtigen
Solgerungen auS ber 3ufammenfteUung einjclner, mel)r ober minber fefjgcfjcllter Sbatfacben. So viel aber
ift alS gewif? anjunebmen, tag jenen SBücbcm in jebem ber nächften Jahre anbere, in gleichem Sinne
jufammengetragene nachfolgten. @in um 1526 ju Nürnberg erfchieneneä 33üchlein unter bem Sitel :
,,Da§ teutfd) ©efang fo in ber SQief gelungen wirbt, ju nu£ unt gut ten jungen Lintern getrudt" nahm
auS tem im vorangehenten Jahre tafelbjt bei £an$ £ergott gebrudten ,,£anbbücblem geiftlicher ©efänge"
teren jebn auf, unt fügte jmölf antere binju. @3 enthält nach 9fieberen> Verfkherung feine Singjeichcn,
unb ift für un§ nur beSbalb bemerfenSwertb, weit e§ wohl ju einer umfangreicheren, im folgenben Jahre
1527 erfchienenen Sammlung veranlaßt hoben mag. Sie war überfebrieben : ,,Die evangelifch SftefB
teutfeh- %uä> babei ba» ^)anbbuchlein geiftlicher ©efänge, al» ^Pfatmcn, Sieber unt Sobgefänge, fo am
Sonntag oter gewertag im tfmpt ber SEftefj, begleichen vor unt nach ber 9)retig in ter Gf>rtftltd)en Ver=
fammlung im newen Spital ju Nürnberg gefungen werben." DiefeS ©efangbuch enthielt nicht allein bie
38 Steter te£ 5mei Jahre juvor tafelbft erfchienenen JpantbücbleinS, miftfuSnabme teS^falmS: 5öohl tem,
ter in ©ottS gurebte fleht, alfo ten wefentlichen Jnbalt teS SBalterfcben, unter Sutherä tfugen gcfammclteu
©efangbucheS ; fontern auch '3, im Jahre 1526 befonter§ erfchienene $)falmlieber von ^)an§ Sachö, unb
16 anbere geifjlich. e Sieber verfdu'ebener Dichter, unter ihnen neun Umbichtungcn weltlicher ©efänge auf ihre
urfprünglid)en SBeifen ju fingen. SBahrfcheinlid) war e§ tiefe Sammlung, welche Suther »,u feiner ^weiten
304
SSocrebe veranlagte, t>ie freilid) bityex nur bB auf bie 1533 ju SBittenberg erfd)ienenen ,,©eiftl. lieber,
aup neu) gebeffcrt" bat jurücf oerfotgt werben fönnen, allein ebne 3wcifel früheren UrfpmngS ift, unb
mobl in ba3 3al)r 1528 ju fe^en fepn möchte. Sutber beginnt in biefer SSorrebe mit bem £obe derjenigen,
,,bie ftd) wobl beweifet, unb bie Bieber gemebret, fo baf? fie ibn weit überträfen," aber aud) ber *2lnbern
gebenft er tabelnb, „bie wenig ©uB baju getban;" er befebroert ftd) barüber, baf? be3 3utl)unö fein Gmbe
werbe, bafj bie erfreu Sieber be$ SBittenberger ©efangbud)e§ je länger, je falfcfyer gebrueft würben, unb
ermabnt aüe, bie ba§ reine SBort lieb baben, btefeS 33üd)lein binfort ol)ne SBiffen unb Sßiflen feiner Urbeber
nicht fjü beffern unb ju mebren. £>as? ernfie SBort be§ bccbgead)teten SJtanneS fonnte nid)t obne SBirfung
bleiben. 3oad)im ©lüter, Pfarrer ju Siojrocf, ber für 9>ciebcrbeutfd)lanb ba§ SBittenberger ©efangbud),
unb ben grbfjeftcn S£t;eit jenes Nürnberger £anbbüd)lehB, in ber SDiunbart jener ©egenb Verausgab, trennt
beiber Snbalt auf ba3 SSejtimmtefte von einanber, aB jwei werfebiebenen ©ingbüd)ern angebbrenb, unb
nimmt in feinem, bem jweiten oorangcftcliten Vorworte auf 2utber3 S3orrebe atBbrücflid) ffiejug. ©o ftn«
ben wir es in ben ju ÜKagbeburg (1534, 1538, 1540, 1543) erfd)ienenen 3tbbrücfen biefe§ nieberbeutfd)en
DoppelgefangbücfyeS; fo in ber, burd) ^ermann 33onnu§ „©uperattenbenten su Cübecf" »erbefferten, bei
3ebann 23alll)om bafclbft 1545 gebrueften 2uBgabe beffelben, wie eö benn überhaupt in biefer ©cfialt,
brtlid)c 'tfnberungen unb 3ufä£e abgeregnet, im Horben 2)eutfd)lanbs> allgemeine ©eltung erbalten ju
baben fd)cint, unb in eben bem SDiaafje ftd) mebrte, aB bie Söittenberger ©efangbüd)er anwud)fen. 9cun
ift aber, nad) ©cbbber§ 3eugniffe*), 3oad)im ©lüter bereitö um ba§ %at)x 1532 ju Stoftocf geftorben; bie
von il)m in S3ejug genommene SSorrebe 2utl)er§ muß alfo vor biefem %d)xe, in bem fünftägigen 3eitraumc
von 1527 bB bal)in, bereite be!annt geworben fepn. 2uB biefem 3eitraume heften wir jwar fein 3Bitten=
berger ©efangbud), wo()l aber ftnben wir eine 9cad)rid)t von einem fold)en, aB im Sabje 1528 bei £an§
Sßevffe bafclbft erfd)ienen, ba§ bisher nod) nid)t wieber jum S3orfd)ein gefommen iji**)- 25tefeä wirb,
aller SSal)rfd)einlid)fcit nad), bie erwäl)ttte SSorrebe £utber§ entl)alten baben, bie, wenn fte aud) nod) in
ber von 3ofevb .Klug 1535 beforgten, im ©inne ber Söittenberger Sbeologen vermehrten 2UBgabe bee> bor=
tigen ©efangbucbeS ,,eine neue SSorrebe 2). 9Ji. 2utl)er3" genannt wirb, bod) wol)l nur mit Sße^ug auf
Die frühere ju Söatterö ©efangbud)e fo Ijet^tt, unb nid)t bttyalb, weil fie eben bamaB guerfl erfd)ienen
wäre. SBie nun ÄlugS ©efangbud) bie ßieber 2utl)er§ allen anbern vovanfMIt, — bie gefigefänge juerft,
bann bie &ated)BtmB=, bie SOfalm*, bie 2el)r=, S3et= unb Soblieber; nad) tiefen ,,anbere ber unferen 2ie=
ber" folgen läßt mit beigefügten Namen tfjrer £>id)ter; ältere lieber barattf, „jum 3eugnip etlicher from=
men 6f)riflen (aufgerafft; fo vor un3 geweft ftnb in ber großen ginfternif? ber falfd)en £ebre;" enblid) mit
iiobgefängen au§ ber beiligen ©d)rift in ungebunbener 3?ebe fd)licpt ; fo ftnb wol)l aud) bie früheren 2Bit=
tenberger ©efangbüd)er feit 1528 — von bem 1533 erfdjienenen bejeugt e§ ©d)bber***) — auf äbnlid)e '2frt
georbnet gemefen ; wie benn biefe £rbnung nod) in bem legten unter 2utbcr§ 'itugen erfd)ienenen unb mit
einer britten SSorrebe von ibm verfebenen ©efangbud)e beobachtet i% ba§ SSalentin S3a»ft ju Seipjig 1545
herauegab. Surd) biefe 2lnorbnung follte einem jeben fein 9fed)t werben. 2Bae> von ßutber unb ben ©eü
nett herrührte , follte üoran(rel)en, aB ben ©rünbem be§ neuen Äird)entbum§ angeborig; baö in ber
•) ©. Beitrag jut Ctcbtrtjiftone ©. 79 mit Sfjug auf ©rofd)ii Sßirttjcibigung ber a>angeltfa>n Äirdie
e. tu. 23.).
") Wicberer §. 18. llnm. d. ©. 144. 1 46.
—) @. 63 f.
305
Soweit, ober, wenn aud) in ber ©egenwart, bod) aufjer bem engeren Äreife ber Wittenberger ©ntftanbene,
foüte ntdr>t au3gefd)loffen bleiben, fofern eS bem eoangelifcben «Sinne jufagte. Tillein eben fo roenig wollten
bie Wittenberger mit fremben fiebern ftd) fd)müd'en, al» maS fte nid)t billigten, unter ihrem Sd)u£e au§=
geben laffen. 3n 33a»ft3 ©efangbud)e ift jebod) außer ber fo eben befcfyriebenen golge oon Siebern, welche
beffcn .Kern bilben, nod) eine beträchtliche 9JM)rung enthalten gegen bie früher ju Wittenberg ' crfd)ienenen
S5ücb,er biefer lixt. 63 umfaßt nicht allein ben ooüftänbigen Inhalt ber oon Suther brei %at)xe früher
(1542) herausgegebenen 33egräbnifjgcfänge, fonbern, gleich, ben nicberbeutfdjen Sammlungen, aB Anhang
noch, ein jweiteS Singbüd)lein, unter ber beförderen 2£uffci>rift : ,,^)falmen unb geiftlid)e Sieber, welche
oon frommen ßljrifren gemacht unb jufammen gelefen ftnb." Daffelbe weicht jebod) in feinem Inhalt völlig
ab oon jenen nieberbeutfd)en. ©iefe nahmen neben ben Biebern beS bei jeber neuen Auflage allgemad) oer=
mebrten Wittenberger ©efangbucbeS jumeift alle§ basjcnige in ftd) auf, waS in bem Nürnberger ^>anbbüd}=
lein oon 1527 enthalten roar, namcntlid) bie breijebn spfalmc be» JpanS Sad)3, unb jene neun (»on ihnen
burd) anbere nod) vermehrten) Umbicbtungen roeltlid}er Sieber mit ^Beibehaltung ihrer SKelobteen. So
gefd)al)e eS in bem ©efangbudje, baS £an3 kalter 1543 ju 9Jiagbeburg fyerauSgab, fo aud) in bem bei
3of)ann S5aUf)orn 1545 gebruiften Sübcder (Snd)iribion. 3n ber S3a»jtfd)en Sammlung bagcgen finb biefe
Sieber oerfcbmäf)t, unb an ihrer Statt anbere au§ bem ©efangbudje ber mäf)rifd)cn S5rüber von 1531,
meift ton SSKicfyael Weiffe, aufgenommen, unb ©efänge anbcrer, nid)t ju bem Wittenberger Äreife gehören:
ber geiftlid)er Sichrer, jumal)l Q)falmlieber oon Subwig Öler, Wolfgang Dacbftein, SRattbäuS ©reifer
unb anberen ; Sieber, bie ftd) im ©anjen aud) allgemeiner in ber eoangetifd)en Äircbe oerbreitet unb länger
erhalten haben. Wie man nun auch, wählen mod)te l)1er unb bort, jugeftelien muffen wir, bafs bie Samm=
iungen jener 3eit nidjt engherzig auf einen fleinen Ärei§ beftimmter örtlicher Sichtungen ftd) befd)ränften,
bafi bie £oangelifd)en im Süben unb Horben DeutfcblanbS mit SScjug auf ben Äird)engefang in naher
Berührung blieben, ba£ Sutt)er biefe in Feiner 2lrt abwies, roenn er im prüfen unb Sid)ten ber unter fei*
nen tfugen, mit feinem Vorworte herausgegebenen Sieber aud) ftrcnger fenn mod)te aß anbere Sammler.
Darum erfd)eint bie Tlnjahl ber burd) ihn gebilligten, in S5apftS ©efangbud)e (1545) enthaltenen Sieber
allerbingS geringer, als bie beS Sübeder @nd)iribionS oon bemfelben Safjre. 9?ed)nen roir »on jenen nur
ad)t lateinifche JBegräbnifjgefänge ab , bie feine liebmäfugen Weifen haben, unb nehmen fo bie 3«f)t ber
Siebter beS £au»tgefangbud)e3 auf 81, bie beS Anhanges auf 40 an, fo beträgt bie @efammtjaf)l aller nur
121, wogegen baS Crnd)iribion beren 199 enthält. Wollte man nun aud) ntdjt in 9tüdftd)t ber Waf)l ber
Steber ber S5apftfd)en Sammlung ben SSorjug geben, fo wirb man ihr biefen, als üßelobteenbud)
angefehen, unbebingt gugeftetjen muffen. DaS Walterfcbe ©efangbud) enthält 35 Singweifen ju 32
beutfd)en geiftlid)en Siebern ; in bem 83apftfd)en finben ftd) beren 113 ju 121 Siebern, mit Ginfd)luf3 ber
Sdjriftgefänge in ungebunbener 9?ebe unb ber baju gel)brenben Intonationen, nur bie juoor gebad)ten ad)t
lateinifd)en IBegräbni^gefänge aufgenommen. Werben nun felbft jene Intonationen — 15 an ber 3abJ —
al§ blefie oon TllterS f)crgebrad)te ©efangSformcln, unb nid>t im ©injelnen auSgebilbete SCRelobieen, eben=
falls mit abgerechnet, fo bleiben une> immer bod) 98 Singweifen nod) übrig; im Saufe von 20 fahren
hätten alfo bie unter Sutl)erS ZuQen erfd)ienencn getftlid)en ©efangbüd)er faft um baS Dreifache an liebhaf=
ten Singweifen ftd) oermehrt. £>iefe ftnb nun in 33apjt3 ©efangbud)e forgfältig, genau, mit fd)öner
fd)arfer Schrift gebrucft, wie benn überhaupt biefe 'tfuSgabe burd) wol)lgewählte Snpen, jierliche 9ianb=
leiften, beigegebene auf ben Inhalt bezügliche ^>oljfd)nitte, unb faubern Tlbbrud ftd) auSjeicfanet. %em
v. äßintftftlb, ber etangel. S^oratgtfong. 39
306
ntcterbeutfchen ©ingebücher bagegen, wenn aud) an ßiebern reid)er, finb bod) an ©ingweifen ol)ne SScr-
a,leid) armer. SaS von .£>anS SBatter 1543 ju Sftagbeburg gebrucfte hat nur 20, baS von ^ermann
fBoitnuS ju Sübcd herausgegebene Ghichiribion (1545) nur 19 SKelobieen, beren Srud, anfcheinenb nid)t
mit beweglichen Svvcn, ol)tie ©orgfalt unb ©auberfeit gemacht ifh 3n ber Sübetfer (Sammlung flehen
fcie ©ingjeichen balb auf fd)warjem ©runbe, roetf? auSgefvart wie bie Sinien, balb in gewbl)nlid)er 2Beife,
eng jufammengevüdt, oft unleferlid). Über ben Sicbcni, benen feine ©ingweifen beigegeben f.'nb, nament*
lieb, benen bcS SBittcnberger ©efangbud)eS, fi'nbet fiel) metft feine SBcjugnafyme auf tf>ve SJiclobie al6 eine
allgemein befannte, unb beSbalb nicht beigefügte 5 oft finb eben bie gebräud)lid)jten 2Beifen beigejeichnet,
wie unter anbern bie bcS Siebes? „CrS ift baS £et'l uns? fommen her/' fo bafj ber ©runb, weshalb eben nur
bie vorhanbenen jur Aufnahme in bie (Sammlung gewählt worben, nicht einleuchtet. 9cur burd) bie 9?ejug=
nalime auf bie SBeifen ber umgebichteten weltlichen Sieber, welche jene nieberbeutfd)en ©efangbüd)er ent*
halten, werben biefe unS wichtig, inbem fie unS eine ©pur gewähren, benfelben in ben Sammlungen weltli=
eher Sieber jener 3eit nachjuforfchen, unb fo ben Urfprung mancher fpatern ßhoralmclobie ju ermitteln.
SeStjalb hatten wir an biefem £>rte ihrer ju gebenfen, unb weil fie, bie älteften Senf mahle evangelifd)en
JtircbengefangeS in 9cieberbeutfd)lanb, unS jugleid) beffen 5?erl)ältnifj erfennen laffen ju bem oberbetitfehen.
SaS von 33avft herausgegebene ©efangbud) erfd)ien fväter in vielen SÖßieberabbrüden, aud) 9cad)brütfen.
Stn 3af)re 1586 gab 3ad)ariaS SSerwalbt ju Seivjig (41 5al)rc nach beffen erjtem (Srfcheinen) eS abermals
heraus, um SßiclcS vermehrt, jebod) fo, baß alles neu ^injugefommene in einem ^weiten Anhange jufam=
mengcftellt, von bem urfvrünglid)en 5nl)alte bcS 33ud)eS alfo gänjlid) gefonbert war. So l)ßd) ehrte man,
lange nach feinem Äobe, ben SSunfd) SutherS, ber baS ihm unb ben ©einigen 2i"ngel)brcnbe nicht mit
grembem vermifd)t ju fel)en wünfd)te, bafi man, waS aud) nur unter feinen 2tugen, mit feinem Vorworte,
SigeneS unb grembcS gefonbert umfaffenb, erfd)ienen war, wieberum als ein ihm felbftänbig 2lngcl)örenbeS
betrad)tete, unb waS man hinjuthat, forgfältig bavon trennte. Siefer zweite Anhang enthält jebod) nur
eine einjige neue SRelobie beigebracht, bie unS ju feiner ^Betrachtung veranlagt; wichtiger ift er burd) $>in-
weifung auf elf weltlidje ©ingweifen für geifilid)e Sieber.
Unter ben erf)eblid)eren 9)Zclobieenbüd)ern, bie bereits ju Sutl)erS Sebjetten erfd)ienen, finb nod)
bie von ©Langenberg um 1545 ju SDiagbcburg herausgegebenen Äird)engefänge anzuführen*). sJcid)t
ihreS 9feid)tl)umS halber; fie enthalten, bie ZUax= unb Giborgefängc ungerechnet, nur 24 für ben ©efang
ber ©emeine geeignete ÜDMobteen, unb unter ihnen, ftreng genommen, nur eine einjige, bie wir in bem
gleichzeitig erfd)ienencn 33ap1tfd)cn ©efangbud)e nid)t ftnben; bie bcS beutfd)en 'tfgnuS bei: ,,*D Samm
©otteS unfchulbig." Senn bie, obgleich liebhafte, bod) für jebc ©trophe wechfelnbe Sßeifc beSSiebeS:
„2CIS ber gütige ©Ott votlenben wollt fein SBort" — bie SERelobie ber ©equenj: Mittit ad virginem —
fbnnen wir in ber ©eftalt, wie fie hier erfd)eint, unter bie eigentlich volfSmäfjigen ntdjt red)nen ; unb bie
Sßcife beS SiebeS : Sanffagen wir alle (ber ©equenj Grates nunc omnes entlehnt) ftnben wir, wenn
aud) nicht ju biefem Siebe, bod) ju bem 2Seif)nad)tSgcfange von Michael SBeiffe : ,,Sobet ©Ott 0 lieben
Ghriften" in bem S8apjtfd)en ©efangbud)c angewenbet. Siefe Äird)cngefänge finb vielmehr baburd) wichtig,
baj? fie unS ein S3ilb ber bamaligen einrid)tung beS fonntäglid)en unb gejt=©otteSbienjtcS gewähren, baS
wir auS ihnen hier entlehnen, eine jebe geicr biefer Tlxt würbe mit bem ©efange beS SiebeS begonnen :
') Äirdjcngcfcngc, beubfd), auff bie (Sonntage fnb fürnemliaje gcjte, burd)« gan^e 3ar, jum 2fmpt, fo man
bo« t)o^roirbige ©acrament bc6 Mbtnbmats Citjrifii tjanbelt, auffs fürjcft burd) 3of;an ©Langenberg »erfafftt.
307
.Romm beiliger ©ctfr, Jperre ©Ott,
@rfüü mit betner ©naben ®ut
deiner ©laubigen Jperj, €Diuth unb Sinn ic.
iftacb einem beutfdjen ©ebet, (dollecte), obne ©efang, ober nur in ben gebräuchlichen rebedbniicben ®efang=
formeln vorgetragen, folgte bann ba3 Kyrie summum , ein breifacber SBittgefang an ©ort 33ater, ©obn
unb heiligen ©eifr :
Jtprie, ad) 58ater, aUerböd)(rer ©Ott,
2Bie flein ad)t' man bod) bein ©ebot,
SJerfcbon' unfre SBlinbbeit, bie »iel ©unb' tbut,
Cnrbarm' bieb unfer ic.
Danad) bie beutfdje Intonation beS ©lorta :
«Preis fei; ©Ott in ber Jpbbe,
worauf bie ©emeine ba3 Sieb
Allein ©ott in ber Spotf fep @br',
anfhmmte. 9cacb einem ©ebete mürbe bann bie ©piftel be§ ©onntagä üor bem Altäre gelungen, unb tl>r
fd)lofj ein bejüglicbeö Sieb fxd> an: fo am erften "tfbttentSfonntage ber ©efang be3 burd) Sutber oerbeutfebterr
9?u fomm ber Reiben 4?eilanb ic.
$lad) beffen ©eenbigung trat, an bie ©teile be§ ©rabuale unb ber ©equenj, ber Qfyox mit bem ©efange
be$ Siebet t»on ber ©enbung bes ©ngelS an 9Jiaria ein, ba§, roie für ben erften ^bsentsfonntag, fo aueb
für ba§ geft ber 83erfunbigung 99tariä bejeidmenb ift :
ber gütige ©Ott oollenben roollt fein 2Bort ic.
tflSbann mürbe ba3 Grvangelium, beutfd), mie allcSSSorangebenbe, oor bem lltare gelungen; ftatt beö latei=
nifeben Credo ftimmte bie ©emeine SutberS Sieb an
2ötr glauben all' an einen ©ott
©djbpfer Rimmels unb ber (Srben ic.
auf ba§ bie ^rebigt folgte. £>iefer reifte ftd? bann bie 2Ibenbmaf)l3feier an. ©ie begann mit ber »erbeutfd}=
ten ^räfation : „SBafjrlid) e§ tjt billig unb recht, nüfclicb, unb auch fjeilfam, bafj mir bidi ^)err, aümäcbtü
ger ©ott, aüjeit loben, unb (btr) banfen burd) Sefum ©jriftum beinen ©obn unfern £txm," meldte ben
©efang beS beutfeben ©anctuS einleitete, beä Iutf>ertfd)en Siebeä :
Sefaia bem 9)ropbrten ba3 gefebab,
£)aß er im ©eift ben £erren ft'fcen fat) ic.
baö mit bem dreimal --£eilig ber dberubim enbet, meldje bem betligen ©eber in feinem ©eftebte erfd)ienen.
I)em ©anetuä folgte bie SJorlefung einer Umfcbreibung be3 äkter unfer, „bie ßommunicanten ju Germanen
jum ©ebet," ber ©efang ber (SinfeljungSroorte, unb bann bie #benbmabl3feier felbft; roäbrenb tt>rev mur=
ben bie Sieber gefungen: „SefuS ßbrifjuS unfer £eilanb, ber t»on un§ ben ©otte§ 3oxn roanb" ober ,,©ott
fep gelobet unb gebenebetet, ber un3 felber i)at gefpeifet" ober enblid) ber lllte^Pfalm ,,xscb, banfe bem
£errn won ganjem ^erjen" nad) Sutyerä ungebunbener Überfe^ung, unb in ber befannten ©efang&form beö
»PilgertoneS. 2)aS beutfebe 2fgnu§ bei:
39'
308 ,
£3 Samm ©otteä unfd)ulbig,
Um ©ramm beS ÄreujeS gefd)lad)tet ic.
trat am ©cbluffe ber ßommunion ein: es> folgte ein beutfd)ee> ©ebet, ber ©egen, unb ber ©efang
beS Siebet
SSerleib, une> grieben gnäbiglid)
£) ©ort ju biefen 3ettert k.
£>a$ ©anjc enblid) würbe, nach, einem abermaligen ©cbcte, burd) ba§ Sieb :
grfjalt un§ $m bei beinern Söort it.
befd)loffen. Äfmlid), nur bafj ©piftel unb (Stangclium, ©ebete unb Sieber nad) ber jebeömaligen feftlicben
SSeranlaffung wecbfelten, würbe ein jeber fonn* unb feiertägliche ©otteSbtenft begangen, unb fo folgt ©pan=
gcnbcrg bem Saufe beS ganjen Äircbenjabreg. ©ein SGBerf enthalt aber auch lateinifd}e ilircbengefänge,
älmlid) gcorbnet, wie benn Sutber ja ben lateinifchen getftlichen ©efang neben bem beutfcfyen aufred)t erf)al=
ten haben wollte in ber ewangelifcben Äirdje*). ©ie nehmen ben erften 5£l)eit be§ ©anjen, ungcfäbr beffen
£älfte ein, unb ©Langenberg äußert fid) über fte in ber SSorrebe bej> beutfdjen S^eileS batjin : „weil ber
allmächtige ©ott in allen ©prad)en unb jungen will gelobt unb gepriefen fepn, ift bie lateinifd) unb beutfd)
bei einanber geftellt, baS lateinifd) umb ber fd)üler unb gelerten, baS beutfd) um ber lat)en tmb ungelerten
willen, auf baö ein iglidjer habe, bamit er fein bcrfj in ©otteS bicnft erquide." 3n gleichem ©inne, unb
Sutberö oft wiebcrljolter (Srmabnung jufolge, blieb benn aud) im Saufe be§ 16ten 3abrb"nbert3 bcr latei5
nifche £ird)engefang, neben bem beutfchen, ja felbft mit tf)m üerbunben, fjeben, unb wir befugen eine 9teif)e
oon SBerfcn, bie baS ©ebeibjn jenes erften bcabftd)tigten. £>as> bei weitem wid)tigfte unter ihnen ift bie
Psalmodia be§ Süncburger ©uperintenbenten Suca3 Soffiuö, ju SEBittenberg bei ben ßrben ©eorg3 9tb<m
juetfl 1552, fobann in uiclen fpäteren Ausgaben erfd)ienen, mit einer SSorrebe 5DMand)tl)on3 uom Ijten
Januar 1550, unb einer 3ueignung be3 -Herausgebers v>om 12ten 2tuguft 1552 an bie ^Prinjen griebrid)
unb Johann, ©ölme Äönigg <5l;rtfttan beö dritten non £>änemarf. 3n »ier 33üd)ern werben unS hier bie
üorncbmften ©efänge ber alten .Kirche bargeboten, in ihren 9JMobieen unoeränbert, in ihren SBorten nur
oon bemjenigen gereinigt, wa§ ber ©trenge be§ eüangelifcfyen ©innee> anftbfjig erfdbien. 3n bem erften
Suche erhalten wir "tfntipbonicen, 9?efponforien, ^mnen unb ©equenjen für bie ©omv- unb hohen gejt=
tage beä Äirchenjabre§, nad) £>rbnung beffelben; in bem jweiten bie ©efänge für bie beibehaltenen gefte
ber heiligen Jungfrau, Sierfünbigung, Reinigung, £etmfuchung, ©eburt ber 9Jiaria; für bie Sage ber
S5efel)rung $)auli, flippt unb Sacobi, ©eburt SohanneS beä Säuferö, ^)eter unb $)aul, 9JJaria 9)iagba=
lena, 3obanni§ (Sntbauptung, 93iid)aeli§, Allerheiligen, unb ber Apoftel unb SJcärtprcr inggemein; in bem
brüten bie ©efänge für baä £od)amt — ben^)auptgotte§bienft, mit bergeier be§ heiligen Abenbmahleä t»er=
bunben — benen ftd) auch bie SBegräbnifigcfänge anfd^liepcn ; in bem legten enblid) bie ^)falmen mit ihren
Antipbonieen unb Intonationen, bie brei ecangelifd)en Sobgefänge, ber SJZaria, be§ 3ad)arta§ unb ©imeonS
nach ibren ad)tfad)en ©efang§formeln, ba§ Te Deum, unb bie üerfchiebenen 9Jielobieen beS 95ften ^)falmö
rVenite exsulteraus Domino) nad) ihrer tfnwenbung bei t>erfd)iebenen geften. 9lur neun beutfehe Sieber
') CantioMl eecleuutieaa latinae, dominicis et festis diebns in commemorationc Coenae Domini, per totios
aoni circulom cantandae. Per Joannem Spangenhergum Herdcssianum , Bcclesiae Norlliusiaoae Ecclesiasten , col-
ieciae et io ordioem redactac. (2fm ©chluffc: ©ebrudt ju tWagbeburg burd) SOJidjQCl Cotttjer. «Dl. £>. jrl. o.)
309
mit ihren 9ftelobieen jtefyen neben tiefen lateinifchen ©cfdngen. 9cod) gegen ba3 (Snbe bee> :3ahrbunbert£
finben wir ähnliche SBerfe. Äeucbentbaß fpdter auSffobrltdh ju befprecbcnbcS (iantional, ju Wittenberg
1573 erfcbienen, giebt lateinifcbe wie beutfcbe ©efänge, für bie ©onn=, gejt* unb 2fpoftettage beö ganjen
jtircb enjabreS ; DpfopoeuS 511 SDIüblbaufen (1583) nur lateinifcbe ©efänge, im ©inne beö 2uca§ goffiuö;
granj 61er 511 Hamburg (1588) eine gleichartige Sammlung, unb all bercn Anhang eine 3Jeil)e beutfcber
geiftlicber Sieber, mit 83ejeidmttng ber Äircbentone, benen fte angeboren. (Sinjelne ©elebrte verfud)ten ft'd>
an Überfettungen gebräucblid^cr beutfd)cr Äird)en[ieber mit ^Beibehaltung ihrer Wlaafye, SKcimjtellung unb
ÜJielobieen: fo ©leiban an Sutbers. $)falmliebe ,,ßin' feffe 33urg ift unfer ©Ott;" ©tigeliuS an beffcn 33itt=
liebe um ^Bewahrung be§ achten eoangeltfcben ©laubenä : „Grrbalt und £err bei beinern SBort;" ©clneccer
an feinen Siebern über ben 12tcn unb Uten 3)faän „2lcb ©Ott com £immel fiel) barein" unb: fpridit
ber Unmeifcn SKunb wohl;" SBolfgang 2lmmontu$, ^Pajtor ju iDinfelöbübl in graulen unternahm
enblid) bie Übertragung einer ganjen SJeibe folcber Sieber, burcb bie, in SSerein mit ben beibehaltenen ©e=
fangen ber alten .Äircbe, ein volljfänbiger lateinifd;er ©ottcybienft „für bie ©datier unb ©elebrten" im
Sinne ber euangelifcben j?ird)e auSgefkttet werben fonnte. ©ein Sffierf, 00m britten £jtertage 1578 bem
^arfgrafcn©eorg'griebricb von53ranbenburg = 2lnöbad) jttgefebrieben, unb, rote eS fd)eint, juerft in eben bem
3abre burcb T>. ßbriftian ©gcnolf ju grantfurtb am SOcain öffentlich gemacht, erfchien brei %ai)xe fpäter,
1581, bei ben (Srben jenes1 erften £erau3geber§ auf Soften ber £>octoren 2lbam ßonif'er, Johann Äniep unb
$aul Steinmeper, in vier 33ücbem, welche jufammengenommen fechS unb acbtjig lateinifd)e Überfettungen
bekannter Äird)enlieber enthalten , bie ihnen in ihrer beutfd)en Urgewalt nebft ihren SJiclobieen beigebruef t
ftnb. iDaS erfte 33ucb giebt: „Äirchcngcfäng" Dom @atecbi§mo unb ben befonberen £aupfftücfen d>rtfi=
licher 2el)re ("19 Sicbcr); baö jmeite, „•Eircbengefäng' von etlichen fürnchmen ^»falrnen £>acibs> (27£ieber);
baä britte: ,, jUrcbengefäng' von gejten unb (%iftlicben 3tifammenfünftcn" (18 2teber); baS vierte enb=
lieh : Äirchengefdng', welche aue> ben alten lateinifchen oertcutfd)et, ober ber gleiche gleidjen entgegengefefct
unb jefeunb brdud)lich ftnb" (22 Sieber). Die S3orrebc »erbreitet ftd) über ben ^u^en von Übertragungen,
wie fte hier geboten werben; unter ben ©rünben bafür fprid)t 2lmmonius> auch folgenben aus»: würben
geiftlicbe Äernlieber (fagt er) mit Beibehaltung ihrer 9Jiaafje unb ©ingweifen tateinifch umgebilbet, fo
fbnnten fte auch 2tu5länbern, bie ber beutfd)en ©prad;e unfunbig, ber lateinifchen aber mächtig fenen, ju
frommem ©ebraud)e bienen; auf fotehe 2frt mürben biefe enblid} mit ben eoangelifchen, hochgelobten Äirchen
ju rechter Sinmütl)igfeit in ber wahren Sehre jufammenmachfen, unb ©Ott mit ihnen einftimmig »erfünbi-
gen unb »reifen. Sötr miffen nicht, ob biefer SwecE irgenbmic erreicht morbenfet); ben Äatholifchen ba-
gegen erregte ber &>erfuch, bie eüangelifche Äirche burd; fold)e SQZittet ju mehren, großen Unwillen, wie er
ftch namentlid) in ber S^orrebe »on ßaspar Ulenbergerö ^)falmlicbern (6bln 1582) lebhaft au§fprid)t, ber
hierin einen greoel erblicft gleich bem alter fe^erifcher ©eften, bie burd) amrtutbige SKelobieen ihren in ßieber
gebrachten t»erberblid)en Svrthümern allgemeinen Eingang ju »erfchaffen gefirebt hatten.
©roperen Umfangeä noch als bie lateinifd;e ßicberfammlung beö 2lmmoniu§ ift So bann 2«u=
terbach§ Cithara Christiana Psalmodiarum sacrarum C<5l)rtfi:ltcl>e ^arpfen geijrlicher ^)falmen unb 2ob=
gefeng), bie ju Seipjig um 1585 in fiebert Suchern erfchien. £>a3 erfte berfelben enthält 9>falme, ba§
jweite geftlieber, ba§ britte Äatechi§mu6gefdnge, ba§ vierte „bie J^aupttafel von aller heiligen £)rben unb
©tänben 2lmpt in biefer SBelt ;" baS fünfte führt ben Sitet be3 S5uche§ ber ©ottfeeltgfeit, ba§ fed>jte ber
feeligen ©terbefunjt, baö ftebente enblich begreift bie ^)»mnen, jumeift alte, urfprünglich lateinifche. Siefe,
310
wie bie gc^ilicter, ftnb ber jablreid)jte %ty'ü beS5Bud)eS, baS im ©anjen 175 Sieber giebt mit 94 SUlelobieen 5
ba Herausgeber felber bat oon jenen 44 beigesteuert, unb alle Sieber SutherS, fo wie bie meifren Sodann
$errmannS in lateinifdjen Übertragungen feinem SBerfe einverleibt. "Kn SSKelobieen geben 2lmmoniuS wie
l'auterbadi nichts, baS unS nid)t fcbon burd? frühere ober gleichzeitige geijtltche ©efangbüdjer befannt wäre,
wenn mir eine 9ftelobie auS ber verfemten borifcfyen Sonart ju bem (»ierjeilig abgeheilten) Siebe : ,,$m
3efu (Übrift wahr' Sölenfdj unb ©ort" ausnehmen, bie (auf ber Sfücffeite beS 67ften SBlatteS) ton 2fmmo*
niuS mitgeteilt wirb, jcbod) Feinen 'tfnFlang gefunben ju l)aben fer/eint.
Wir haben baSjenige, waS im Saufe beS lCten 3ahrf)un&ert§ in ber ecangelifchen .Kirche auch für
larcinifcbcn gcifilidien ©efang gefdiahe, bei ©elcgenl)eit unfereS ^Berichtes über baS SBevF ©pangenbergS
in tiefe gebrängte Sarftcllung faffen wollen, um jenen, unS fremben ©egenftanb, ben mir bod) nid)t außer
äät laffen burften, t>ier im Sufammenhange abjuhanbeln, bann aber ofme Unterbrechung unb ^bfchwetfe
unferer eigentlidjcn Aufgabe unS wibmen ju Fbnnen. 3>u biefer Fef;ren mir nun jurücF, ju ben beutfcfyen
geiftlichen 9)Mobieenbüd)ern, bie im Saufe beS 16ten S«l)r^iinbert§ unb namentlid) nad; SutherS Heimgänge
erfdnenen.
Unter tiefen blieben bie üon Wittenberger Sljeologcn beforgten, überhaupt bie in ©achfen, ber
Wiege ber Äird)etmerbefferung, erschienenen, auch jefct noch bie l)auptfdd}lid)jten, auS benen bie £erauS=
geber in anberen ©egenben fchbpften, unb bie ben Äern il)rer jtird)engefangbüd)er bilbeten. ©er fpdteren
Ausgaben unb 9cad)brücFe beS 33apftfd)cn ©efangbucheS ift fd)on Erwähnung gefcheben; von einem ju
Wittenberg (1562) burd? ben bortigen ©uperintenbenten tyaul Grber überfein unb »ermehrt t)txau&
gegebenen SCRelobieenbud)e ftnbe ich nur bie 9cad)rid)t feines £)afer;nS. 2fuS eigener 2l"nfd)auung bagegen ij!
mir baS 1573 burd) Äeuchenthal bei bem bortigen S5ud)l)änbler ©amuel ©eclfifch herausgegebene, burd)
Sorem? ©d)wencf gebrud'te befannt. (SS führt ben Settel: „Äirchen©efenge, latinifd) unb beubfeh, fampt
allen ßuangelien, EptfMn mib @otlecten, auff bie ©onntage mib gefk, nach Srbnung ber 3eit, burdjS
gan^e 3h<*r, jum 2fmpt, fo man baS (>od)tx»trbtge ©acrament beS 2lbenbmalS unfereS Jperm 3efu ßhrifri
hanbelt, ober fonft ©otteS mort prebiget, in ben euangelifchen Puchen breuchltd). #uS ben heften ©efang*
büchern unb Egenben, fo für bie Euangelifchen Kirchen in beubfeher fprach gcfiellct tmb uerorbnet ftnb, fru--
fammengebracht, SSnb ifjunb erftltd? auff biefe gorm in S5rud ausgegangen." ©ine Furje Erinnerung
ßbjiftoph ^efjeß an ben ührifllichen Sefer, gegeben Wittenberg am Sage 33tid)acli§ 'Kuno 1573, belehrt
unS, in welchem ©inne baS S3ud) jufammengetragen fc»;. (SS fei; nid)t für eine einzelne Äird)e ge=
fchehen, fonbern um bem oft auSgefprod)cnen S5ebürfniffc cineS allgemeinen eöangelifd)en ßantionalS
abzuhelfen. 3uerft habe eS 3oha"n Äeuchenthal, ^)farrl)err auf @. 2(nbreSberge, etlid)ermaaf cn 3ufammen=
gebracht, nachmals fep eS, mit w'el anberen ©efdngen vemtfyxt, burd) ben gegenwärtigen Serleger „»ff
biefe gorm in £>rucf »erorbnet" unb auf feine Soften herausgegeben. @S folgt bannÄcuchenthalS3ufch"ft :
er wibmet fein SBerF SolFmar SBolffen, $mn ju Sora unb Plettenberg, unb 9?id)tern unb 9?atl), S3erg=
meinem unb ©efchwornen, 33iertelSmeiftern unb eiteften ber löblichen freien SBergftabt ©. 2(nbreSberge,
unb fUftlä biefe 5Sibmung „am 25flen ÜKartii linno 1573, auff weld)en Sag 'tfbam foll fct;n erfd)affen,
onb auch unfer lieber ^)Grr SefuS (5l)rifiuS in bem jüd)ttgen Seibe unb geheiligten ©eblüte bcr £odjgclobten
jungfrawen SOiartc, burd) überfd)attung beS 2ttlevl;üd?ften SDicnfd) worben, onb hernad; an felbigem Sage
ftd) felbS feinem himmlifchenSater ju einem füfjen ©erud? auff bem^)ohcn?(ltar bcSßreu^eS, jur uerfünung
für rnifere, onb ber ganben Weit ©ünbe auffgeopfert hat, bem fep lob, ehr ünb preis gefagt, in (Swigfeit,
311 '
ju (Swigfeit, 2lmen." <5o fotlte biefeö 33ud), ber gefammten e»angelifd)en £trd)e benimmt, jum greife
beö <Sd>ö^fer§ unb (SrlbfcrS, an bem Sage, ber fo »iel geheimnifwolle 2ßunber in ffd> Bereinigte, bem
Sdmfce berjenigen empfohlen ferm, unter beren Lütgen eS cntjknben war ! ©6 fd)liefjt ftd) ber £)rbnung be$
•ftird)eiijahrej> an, Dorn elften XbocntSfonntagc bis jum 2Gften Sonntage nad) SrinitatiS ; alSbann folgen,
üon ber Öfucffeite beö 458flen 35latte3 ab, ©efänge : am Sonntage nad) bem Gfyrijltage ; nad) bem neuen
3fl$£tage; antreffe ber Saufe 6J)rifti ; an ben Sagen ber tfpoftel, alS: ©. "tfnbreaS, Sl)oma§, $auli
S5efe{)rung, 9J?atthia§, ^l)itippt unb Sacobt, ^eter unb ^aul, Sacobi, ^Bartholomen, ©. SDiatthäuS,
Simon unb 3"baS, jroifd)en welche aud) foldje eingefIod)ten ft'nb, bie ftd) auf bie Sage SERatta 9Diag=
balcna, ©. ßorenj, Johannis Enthauptung, 9)iid)acli§ bejicben. liefen fchlicficn ftd) an: bie £itanct),
lateinifd) unb beutfd); einige Jaunen, jum ©ebraud) an ben Sonntagen nad) ber ^Prebigt; $)auß üort
©pretten SSet- unb S3uflieb: „4?ilf ©oft wie ift ber SOienfd)en 9cotl) fo gvofj ; // $od)jeit3pfalmen; bie brei
eoangc!ifd)en ßobgefänge; ^»pmnen jum 9JZorgengcbet auf bie 2Bod)entage; 2£ntiphonieen auf bie ad)t
Äird)ent6ne. Sin genaues S3er$eid)ttif3 orbnet ben reichen Snfjalt bee> ©anjen nad) Hxt unb JBeftimmung,
unb erleichtert bie 'tfufft'nbung aüeS Einzelnen burd) eine jweite SufantmenfteUung ber ßieber nad) ben
'#nfang3bud)ftaben i()rer erftett Seilen.
35er ßieber ft'nb im ©anjen 212, ber SJlelobieen , foroeit fte beigejeicfynet ft'nb, 165; beibeS um
SSieleS mel)r atS in SSapftS ©efangbud)e. 9Jlan erfennt beutlid) bie SSenuljung ber beften bis bal)tn erfd)ie=
nenen ©efangbüd)er unb 3Igenben, wie ber Sitel fte üerft'd)ert; fo ift unter anbern SieleS auS ben, bamatS
erft feit einigen %at)tm an baS ßid)t getretenen üottftänbigen Äird)cngefdngen ber bbfjmtfcl) = mdl)rifd)en
33rüber entlehnt, bod) mel)r an ßiebern als eigentümlichen ©ingweifen berfelben, ba bie meiften ber auf-
genommenen ju benen gel)6ren, bie auS altem lateinifd)en Äird)engefange ftammen. 2Btr treffen hier aud),
fooiel mir bewufst, jum erften SCRal)(e in einem eüangelifd)cn Äird)engefangbud)e, ,,bie $)affion, beubfd) in
-Perfonett gefteüt, " baS heifst, üorjutragen burd) ben 6t>angcliften, als ßrjäl)ler; burd) bie in feiner @r=
jäljlung rebenb eingeführten ^)erfonen ; — ßhnffum, einzelne ber Singer, feine 9cid)ter tc. — unb burd)
anbere, als sDZehrf)eit barin auftretenbe, — bie jünger als ©efammtl)eit, baS SSolf, bie £riegSfned)te,
u. f. ro. (turbae nad) bem lateinifd)en 2ütSbrucfe). (Sine SOJittetgattung entftanb burd) biefe 2trt beS
Vortrags jroifd)en einfacher Srjähtung unb lebenbig gegenwärtiger Sarftellung, unb baburd) wirb biefer
fo wichtige Sl)eil ber (Süangelien oor allen anbern, in bem fird)lid)en Greife oorfornmenben ausgezeichnet.
(SS mag femt, bafj man eben bamalS juerft begann, bie ßetbcnSgcfd)id)te beS £errn beutfd) oorjutragen
auf biefe 2Crt: ihren. lateinifd)en SSortrag in jener herrommlid)en SOBetfe h«tte man wol)l an üiclen £)rten au§
ber alten Äird)e her beibehalten, fd)on feiner SSebeutfamfeit wegen; etnmal)t befeitigt, würbe man il)tt faum
wieber eingeführt haben, ©ie hier mitSingjeichett aufgenommene 2ciben§gefd)id)te in beutfd)er Sprache ift bie
in Üftatt()du§ ßoangelium aufgejeid)itete : eine furje oierftimmige ©inteitung gel)t il)r »oran, ein gleichartiger
Schluß folgt il)r: aufjer beiben ft'nb nur noch, bie turbae üierftimmig behanbelt, aEe§ Übrige ift im (Sfjoralton
gehalten. SSierjehn %at)xe fpdter, in X), 9licolau3 ©elneccer§ 1587 ju Seipjig herausgegebenen „Gi^rtftlic^en
sPfalmen, Siebern unb Äirchengefdngen," »on benen, ba ein großer Sheit berfelben unb ihrer ©ingweifen
»on bem Herausgeber herrührt, fp&ter bie Sfebe fepn wirb, finben wir auch ^ie 2eibenägefd)ichte nad) bem
ßiHtngeüftat Johanne» auf ähnliche 2Beife behanbelt*), fonnen jebod) auö ber^rt, wie@elneccer biefe unb bie
") ©. 285 — 380.
312
bee> Matthäus einführt, unb auS bem Unterricht, ben er über beiber SBortrag giebt, abnehmen, bafj fte in
Wefa SBetfe m'd?t in ollen Äircfcen eingeführt gcroefen fcr>. ,,2Bir mollen fyiefyer feiert, fagt er, bie SBeife,
mit mir in etlichen Äirdjen bie ^Paffion aus ben Csoangeltftcn Sftatthäo unb Johanne pflegen ju fingen:
ba ber @v>angeliji alljeit ijl eine «Perfon, bie ben SEert, ober historicam narrationem finget, mie aud) Qi)xu
ftuS ein" fonberbare SPetfon im ©tngen fewn foll. T>ex 6l)or aber repraesentirt ber Süben, unb ber Zpo-
jteln ftebe mit einanber, unb finget juglcid} Stgural. Der anbern ^Perfonen , als Subä, ßaiphä, ^Petri
u. f. m. Sieben unb Antwort tonnen burd) ein' einige ^erfon aud) »errichtet werben. ©Ott gebe fein ©nab,
baS fold)3 aud) ju feinem 2ob unb (£t)xen gereichen möge, Timen." 2Bäre biefer ©ebraud) ein nod) atl-
gemeiner gemefen, fo hätte e§ jener gingerjeige offenbar nid)t beburft. ©o fjattc aber ßutfyer baS Abfingen
ber 2eiben§gefd)id)tc nad) allen vier ©oangetiften , wie cS juwor fiatt gefunben, in bem Vorworte ju feiner
beutfeben 9Kcffe für ein äufkrltd)e§ SBerf erflärt, an beffen Übung feftjuhalten feine 33er»flid)tung bor*
hanben fep; nur bie^)affion in ber9)?artcrmod)e ju prebigen, mtnbeftenS am 6b,arfreitage, hatte er gebo=
ten. liefern jufolgc mod)te benn, je nad) bem befonberen 2Bertl)e, ben man auf tiefen gotte§bienjtlid)en
©ebraud) legte, berfelbe in einigen euangelifd)en itird)en ganj, in anberen tbeilmetfe gefallen fenn : fpäter
mod)te l)in unb roieber ©ebalb £ettbene> befannteS Sieb ,,£> SKenfd) bemein' betn'©ünbe groß," beffen brei
unb jvoanjig ©tropfen bie ganje 2eiben3gefd)id)te in 9?eime faffen, bie ©teile ber »on ben ©eiftlid)en unb
bem ©ängerd)or vorgetragenen biblifd)en (Stählung eingenommen fyabm. ©ebunben mar man an baö
Tüte nur burd) freie Überjeugung von feiner @rbaulid)feit; behielt man eS l)ier bei, roeil man ftd) lebhaft
unb l)eilfam angeregt fanb burd) ben bisherigen, etgenthümlid) bor 2(nberem au6gejeid)neten SSortrag beS
33erid)te3 von ber Sollcnbung bee> emigen £>pfer§ G>l)rtfti, fo l)ielt man bort es> bagegen l)cilfamer, biefe
@rjdl)lung ber ©emeine in 2iebform in ben SOiunb ju legen, bamit ba§ von allen einmütig ©efungene ftd)
ben ©emütl)crn tiefer unb bleibenbcr einpräge.
9cäd)fi Äeud)entl)al§ ©efangbud)e ijl unter ben in ©acbjen erfd)ienenen ba§ üon ben ßl)iirfürjilid)en
£ofprebtgcrn X). Martin SDiiruä unb 9Kattl)äu3 Srage ju ©reiben 5ufammengebrad)te, burd) ben ^)ofmu=
jtfuö Martin gritTd) unb ben S5ud)brudcr ©imel S5ergen bafclbjl im %d)xe 1593 herausgegebene, ba§ mid)=
tigfte unb rctcbhaltigfie*). ©S ift am 24fren Wlai jerteS SahrcS üon ben genannten beiben Herausgebern
bem bamaligen #bmtniftrator be§ Gfjurfiu-ftentljumg, grtebrid) 2Bill)elm, ^erjog ju ©ad)fen, ßanbgrafen
in Thüringen unb SKarfgrafcn 5U beißen gemibmet, unb enthält, — baS 23efd)luf3lieb nid)t gerechnet —
241 ßteber mit 180 baju gcl)örenbcn ©tngmetfen: »on jenen alfo 29, von biefen 15 mel)r alS baS Sleufyen--
thalfche. 5)ied)nen mir jebod) btcoon fieben lateintfd)e Begräbnifjgcfänge unb bereu 9Kelobiecn ab, meld)e
bem £)reSbner ©efangbud)e mit bem 33apftfd)en gemeinfd)aftlid) finb, unb bie mir au» gleid)em ©runbe
mie bort, aud) hier nid)t in 'tfnfd)lag bringen, fo oerminbert ftd) bie '2lrtjal)l ber in jenem mel)r enthaltenen
Sieber unb ©ingmeifen auf 22 unb 8, unb f'ann namentlich, roaS biefe legten angel)t, nicht beträchtlich
genannt werben. Sagegen enthält unferc ©ammlung einige Üicber, bie bem Snl)alte unb 2Bertbe nad) eine
') ©cfangbud) bannnen 6t)rifKid)e ^»falmcn unb Äirdjcn Cicbcr D. Martini Luihcri unb anbercr frommen prü-
ften. Me fampt mit ben SKotcn »nn itjrcn rechten SERctobcycn, roie fotetje in ber Sf;urfüf)ttid)cn ©ädjjifchen ©djtoß-
firc^c ?u Bresben gefungen «erben. 3e^ aufg ne» nad) ben geften unb nac^ D. Lutheri SntcdjtSmo, aud) 2tuff bie
SBegräbntfi, Lateinisch onnb beubfd) , fein orbentltd) »erfaffet, »nb jiifammcn gebradjt, bcSgteidjcn juoor niemals ge=
fd)e()cn. XUen Gbrifttidjen ^aupoä'tern onb Jpaufmüttcrn inn jtjrcn ^eufern, mit if)rcn Äinbcrtcin , fo rool als in Äir=
d)en t>nb edjuten fetjr nü^[id)cn onb bknftttdjen. ©ebrudt in ber 6f)urfürfttid)en ©tabt Bresben, bei ©imet S3ergen.
Cuiu privilfigio Friderici Wilhtlmi Elecl. Sax. Admiuist. Aodo MDXCII1. 1593.
313
wahrhafte ^Bereicherung ceS evangelifcben Ärrcbengefangeä finb, unb rodele, fo weit meine gorfebung
reicht, eben fte jum erften 9)iablc aufgenommen bat. 3d) nenne nur jene betten : ,,4?erjlicb lieb bab' td)
btcb o Jperr," teffen Sftelotie minbeftens> mir jum erften 9Jiablc hier in einer fircblid)en Sammlung
begegnete, unb „§3on ©ort will ich niebt laffen" von SRarttn Scballing unb Sutwig «öelmbolb gebietet;
beibe bamalo niebt lange erft entftanben, allein turd) tf>re SBabrbaftigfcit unb ^nnigfeit fo allgemein anfpre=
cbenb, bap fte fogleid) ©ingang fanben in bie .Strebe*). So erfebeint aud) hier jum erfien Sftable abS in
bicfelbe aufgenommen ba£ Sieb: ,,Sobct ben £>emt, benn er ift febr freunblidi," beffen SSeife, unb beren
vierftimmiger iXonfafj, von bem bamal» in SreSben angcftclltcn ßapcllmciftcr Scanbclli herrührt, fo wie
wohl aueb ber von ber 93Iclobic bei? Siebe;?: „£) Samm ©orte» unfdntlbig" ihm angehören wirb; beibe
ftnt bie einzigen Säöe tiefer 2ht, meldte unfer ©efangbud) enthalt, "ilm Gjnbe be§ alpbabetifcben 33er =
jeiebniffes ber ©efange btefes» 33ud)e3, womit. baffclbc fcbliefjt, finben mir bie Unterfd)rift : ,,@nbe beS
erften ^beilS tiefe» ©e|angbucbes>. Feslina lente." (53 ift faum ju glauben, bafj bie Sammler, von
tamt baffelbe jufammengetragen mar, fd)on bamalS einen fo bebeutenten Sicbervorratf) gehabt, um einen
2ten Sbeil ihrer Sammlung bamit auSjuftatren , wie benn aud) von ber Herausgabe eine» fold)en nirgenb§
eine 9?ad)ricbt fieb ft'nbet. SBabrfcbeinlicb mar mit jenen 2B orten nur eine £ofnung, unb ein SSorbebalt
auSgefprocben. Sem Srcstner ©efangbud)e ift offenbar ba6 SJapftfcbe, bas> lefjte bei Sutl)er§ Scbjeiten
erfchienene, ju ©runbc gelegt; ift tod) 9Kand)e§ von beffen innerer (Einrichtung in baffelbe übergegangen,
aud) Sutberi? Siorrebe ju jenem ihm vorangefteUt. Um fo weniger fonnte c§ ben Herausgebern entgehen, tafj
feit jener ^cit, innerhalb ^Sabten, ber Steter = unb SRelobteenfftafe ter evangelifdien Äirche um ba$
doppelte fid) vermehrt habe; um fo gemtffer Durften fte, bei ber Svuftigfeit ihrer 3citgenoffen auf bem
©ebiete be» fircblid)en Sichtend unb Singeng, ber Jpofnung Staunt geben, jener Scba£ möge halb in tem
9JZaaf?e anwaebfen, bafi eine jweite, gleich umfangrcidie Sammlung ber ihrigen ftch anfd)liefjen renne. 93coch=
ten auch 3ab™ barüber hingehen ; mit SB ei le ei lent, meinten fte, werte tiefeS 3iel fid) wobt erreichen
laffen , unb fte fprad)en bie3 in jenem gemeinen Sprüdnvortc auS, mit tem fte ihr SBcrf befd)loffen. Sie
haben ftcb barin nicht getäufdtf, wenn auch eine gortfe£ung teffetben in ihrem Sinne nicht fiart=
gefunben bat.
Über tie bamaligc ©inriduung ter fird)lid)en Jeier giebt unfer ©efangbud) un3 feinen beftimmten
tfuffcblufj , wenn es" aud) «ne 3ufammcnftctlung ber barin enthaltenen lieber mit 9?ücfftd?t auf ihren ©e=
braud) an geft= unb Sonntagen giebt. £afj ber ©ebraueb btS "Jlbfingcnä ber ^affion in ber Gbarwocbe
nadi tfrt ber alten .Sircbe, in Bresben nicht beibehalten worben, unb man oorgejogen habe, bie Seitens^
gefd)ichte, in Siebform gefaßt, in ben ©emeinegefang aufzunehmen, türfen wir tarau» fd)lief3en, bafj ftatt ber
teutfeben äff tonen wie .Seucbentbal ttnt Selneccer fte bieten, f>ier nur 9)affion3lieber in tiefem Sinne
gefunten werten: $ftf ©ort, bafj mir gelinge, — © SSKenfcb bewein' tein' Sünte grofi, — S)a ter #err
©htift Sifd)e fafj, — SSollt ihr hören ein neu ©etid)t :c, ein Siet, au$ ter ßrjählung ter vier ©oam
geliften von tem Seiten te» ^>errn jufammengetragen.
Unter ten oberteutfd)cn Stätten hatte Strasburg mit juerft taö ju SBittenbcrg getrudre
9Salterfche ©efangbueb vervielfältigt, unb eine neue felbftänbige Sammlung, meift von 9)falmlietern, ju=
•) Sie entjtttjung biefer Sicbcv unb tt)rcr SKclobiccn wirb im porlcfctcn 2(bfd)nitte au6füf>tttd) bcfprod)cn
»erben.
». SBintctfttt, »tt cDangcl. (S^otalgcfang. 40
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fommengeftellt. Siieberer*) nennt un§ unter ben bei SutberS Sevelten erfd)ienenen ©efangbüd)em aud)
cm, bafclbft um 1537 burd) #an§ 3)reuffe im SSerlagc SBolff £6pl)l3 berau3gcgebenee>, obne jcbod) ba=
bei ju bemerfen, ob e§ <£tngjeid)en enthalte ober niebt. 33icllcid)t meint er bamit ein in jenem SSertagc
erftytenateg, in ber 33rcslauer Uniüerfttat'obibliotbef aufbewahrtes Sftclobieenbud), bem jcbod) feine 3abj=
jabi beigefügt ift. (53 fübjt ben SEttel: „$Pfalmcn unb ©et)ftlid)e Sieber, bie man ju ©trajHutrg, onb
aud) bie man inn anbem Äird;en pflägt ju fingen. $oxm unb gebet jum einfegen ber @e, bem beitigen
SEauff/ 'tfbcntmal, 33cfud)img ber itranfen mib SBegrebnüS ber abgeworbenen. 2ttles> gemert vmb gebeffert."
22olfgang Äbpbl/ ber Verleger, fübrt btefcä 83ud) mit einem Vorworte ein. Seit etlichen Sauren , fagt
er, fei) e3 ber 33raud) in ber ©emeine ju Strasburg, bie @l)e auf fd)riftmäf?ige 2lrt einjufegnen, unb fo
aud) Saufe unb 2lbcnbmaf)l ju feiern; man finge $)falmen, unb geiftltd)e Sieber ,,fo aud) febriftlid), onn
au§ bewertem geijt angeftellet fet)n, rote ba3 lcid)tltd) üerftanben roürt t>on allen, fo nitt mit rumfücbtigem
jantf bie fad) erroegen t>nb rid)ten." (5r tjabe jene £ird)em'tbungen oft gebrudt, unb allemabt neue
^)falmcn unb Sieber f)irtjugetl)an, ,,fo fyie ober anbcrfjroo aufgangen," bamit burd) fte ber ©emeine
Übung unb gleifj crfrtfd)et, unb fte ju roeiterer Srf'enntnif @l)rijti geretjt unb getrieben werbe. £afj bie
©emeine baburd) mit ©efangen überfd)üttet ober üerwirrt werben mod)te, fei) nid)t ju befürd)ten. Äein
9>falm bleibe obne Srud)t, wenn er mit 2lnbad)t bee> ©cmütbes» gebanbelt werbe, unb ©otteS ©nabe ba=
bei fei), „ft'ntcmal an allen orten baS eynig lebenbtg roort, @briftue> üMue>, mit ben winblen beS bud)=
(laben oerwidlet, fürgetragen ift." SBeil aber $aulu3 nid)t allein ju ^Pfalmen, fonbern aud) anbem
gcift(id)en, lieblid)en Biebern ermal)ne, fepen aud) beren in biefeö ©ingebud) aufgenommen. $reilid) nur
bie beroäbrten, ,,bie nit allein ben reinen fd)riftlid)en ftnn in ftcb balten, fonber aud) bie art onn rWt bee>
^eiligen ©cijteS etwas gewaltiger beweifen;" beim mit Siebern, weld)e bie red)te getjllid)e 2frt unb Siebltd)=
feit nid)t bitten, ober Sebren einführten, weld)e bte Sauterfeit beteiligen Gbangelii betrüben, unb oer=
unreinen würben, bürfe bie ©emeine G>brifti nid)t befd)wert werben. — Sem S5ud)e, wie eS mir vorliegt,
ift aber aud) ein 2lnbang beigebunben ; ob tirfßrimglid) baju gcl)örenb, ob nur ju S3equemltd)feit beS
33eft£er$ beigefügt, ift nid)t ju entfd)eiben. SDRan bürfte ba§ Sefcte oorauSfcljen, benn unfer Steberbud)
bat <£eiten$ablen (331), ber "Knbang »lattjablen (151). @r ift überfd)rieben : ^fairer. £>aö femibt
alle ^Pfalmen £amb3, mit jren SKelobteen, fampt uicl @d)bnen 6l)riftlid)en Siebern onb Ä»)rd)en übun=
gen, mit feimem 9icgi|tcr, 2ln. MDXXXVIH (1538;. 2Bolf Äopl)l, ber Herausgeber, bemerft: er r>abe
früber bie *Pfalmen unb ©eiftlid)en Sieber, wie man fte in ben 6l)rifi(id)cn ©emeinen l)in unb roieber pflege
$u fingen, ftüdroeife gebrudt, wie er fte ju jeber 3eit babe befommen tonnen. 9cun fen burd) oiet berül)mte
Did)ter ein ganjer ^)fa[ter bi§ anS @nbe r>ollbrad)t, unb biefen l)abc er famt ben üorigen Äird)enübungen
unb geifilieben Siebern jufammen in bie§ S3üd)lctn gebrudt. 'Km ©d)luffe be§ ©anjen l)cift e§ bann:
,, folget ba§ anber Sbepl ber ^)falmen onb 6bviftlid)cn Sieber." SSKan fbnnte annebmen, ba3 l)ier vm
anftebenbe Sieberbud) bilbe biefen anbem S£t>eil : biefeS ift aber aud) mit ben SBorten: „Sa§ @rji Sepl"
bejeid)nct. So roal)rfd)einlid) e§ alfo aud) fetjn mag, baf beibe S5üd)er ftd) auf einanber begeben, fo
roirb man bod) annebmen müffen, baf in bem oorliegenbcn ßvemptare jroei t»erfd)iebene 'tfuSgaben berfelben
oerbunben finb, unb e§ roirb bie be§ <£ingebud)e§, baö, nad) bem S5orroorte be§ $falter§, roobl febon o or
bemfelben corbanben roar, oieüeid)t in baö 3abr 1537 gefefjt werben bürfen.
'] §. 21. Not. m. ©. 164. 1G5.
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25a» ©efaugbucb enthält 87 SOIelobteen ^u 130 Siebern, an tiefen alfo mehr, an jenen weniger
als ba3 83apftfcbe. 25ic Singweifen erfebeinen jumeift in Giboralnoten , wenige ausgenommen ; ju biefen
geboren bie ber lutberifd)en Sieber: „(Sin' fefie S3urg ift unfer ©ott" unb Später Unfer im $immelreid), "
beren lefete icb i)iex jum erfren 9)table gebrueft fabe. 25er 9)falter enthält 148 Sieber, alfo feine»weg$ ein
»ollfttjnbige» ^falmbud), jumabl unter jenen aud) noeb anbere gciftlid)e Sieber begriffen finb, „bin tmn
miber aa$ ber f ehr ift gebogen, fampt benen bie nacb anmutung be» gepftcS gemaebt finb worben." 25er 9)ie;
lobieen finb 30, bie bis auf eine einjige in Gboralnoten aufgejeiebnet finb; bei ben mäßen Siebern werben
befannte Singweifen in S3e3iig genommen, auch wcltlicbe, als „Stoftna wo warb ein' ©cffalt; ber Unfall reut
mich gan; unb gar; -ÄbnigSafjlinSSon k." S5eibeS5üd)«' gingen nur um wenige Jahre einem umfaffenben
StrapburgerjUvcbengefangbudv eoran, Don beffen 25afeon, unb feinem ßrfebeinen um 154 1 eine fpäterc Ausgabe
un$ Aunbe giebt; au» eigener 'tfnfd)auung ift bie frühere mir nid}t bef'annt. 25ie fpäterc führt ben Sitel:
„25a§ ©ro» Äird)en©efangbucb, barinn begriffen finb bie allerfürnemften unb heften Dfalmen, ©eiftlicbc
Sieber, Äpmnen, vmb alte 6l)orgefenge, 'tfu» bem Üöittenbergifcben, Strasüburgifcben, vmb anberer Jtircben
©efangbücblein jufamen brad)t vmb mit »leiS corrigirt unb gebruefet. .!pat nahe an L Stücfen jefeunb
mehr, bann ba» Crrfte Äircbengefangbud), 2tnno XLI allbie au»gangen, beren etliche
gan§ new b'nju getban finb. Sur (äbriftlid)e Statt unb 25orff Äircbcn, Satinifcbe pnb beubfebe Schulen
•,ugericbt. ©ebrueft ju Strasburg, bei ©eorgen Ü3cefferfcbmib , Anno 31DLX. (1560.)" 2Btr feben,
bas SBittenbergifcbe ©efangbueb blieb bas SSorbilb unb bie ©runblage für bie fpäteren Sammler, auch im
füblicben 25eutfd)lanb ; aud} bort fachte man nun nicht mehr an BufammenfteUung eine» bt t lieben,
fonbern allgemeinen evangelifcben ©efangbud)c». 25as" uorlicgenbe wirb burd) eine SSorrebe 2). Martin
JßucerS eingeleitet. iJcacbbem er Äraft unb 2Bürbe ber Sonfunft gebübrenb gepriefen, jeigt er, um wie
mel fünblicber alfo ber Sftifjbraudi berfelben fei) ,u ffiublliebern ; er rebet cinbringlicb oon ber sJcotbwenbig=
feit biefe ,u oerbrängen, ber fangesluftigen Jugenb »on frühe an heilfame ©efdnge in bie £anb ju geben,
unb fie babei aufjuerjicben , wojii bann bie (Sltem ernfrlicb unb bringenb ermahnt werben. 25a§ S5ud) ift
in £od) Jolio mit grofjen, febbnen Schriftformel! gebrueft. tfbtt)eilungen, £aupt = Überfcbriften, Anfange
ber gerieben, 3eilen, Strophenabfa^e, finb burd) rotbe Schrift ausgezeichnet : rotbe Jnitialen, aud) wohl
InfangSworte bienen bem ©anjen $ur 3ierbe. 25ie Sonjeicben, burebbin fchmar^e dboralnoten , fteben
auf Srjftemcn oon fünf rotben Sinien. 25a» ©anje bietet une>5ucrft: „Etliche fchöne £r>mni, reimwei»
oerbeutfd)t;" es finb beren 26, mit eben fottiel baju gehörigen, meift au» altem lateinifeben .ftirebengefange
ftammenben Singweifen. Übertragungen be£ .Kprie eleifon, ©loria, bes ©laubens>befenntniffe§ ; bas
JÜaterunfer; SutberS beutfd)e§ SanctuS: Jefaia bem ^»ropbeten baS gefebab, werben t)'m ebenfalls unter
ben ^>pmnen mit aufgeführt. 25er übrige Inhalt bes> 5Bud)e§ ift in brei 'übtheilungen 'lUfammengefaft.
,,2)er erftc Sbeil haltet in fid) bie "'Pfalmengefenge" lautet bie Überfcbrift fceä erften. Gr bringt 41 Q)falm=
lieber, mit 42 baju gehörigen Singweifen; bie brei eoangelifd)en Sobgefänge, aud) wohl bie größeren
dfalmen genannt, finb barunter mit begriffen. 25er Sobgefang ber ÜJJaria erfd)eint b'"' wie in ^bpbl&
Singebud)e in ber gereimten Umfdireibung beö Snmphortan s])oUio : ,,9)Jein' Seel' erbebt ben sperren
mein" mit feiner fd)bnen, ber SERelobie be$ Siebe»: ,,25urcb 3(bam» §all ift gan, oerberbt" etwas an=
flingenben, borifeben SSeife, bie aber hier regelmäßig enbet, unb in ihrer Alraft unb Erhabenheit ber nur
unbebolfenen 25id)tung weit überlegen ift. 25ie Soblieber be» 3acbariaS unb Simeon finb in Johann
(Snglifd) 25id)tungen aufgenommen: ,,©ebenebeit fep ©ort ber^jerr," unb ,,3m griebe bein, o £erre
40*
31C
mein," bod) ift neben bem legten aud) gutfyerS: „Sftit grieb' unb gmtb' id) fal)r' babjn" mitgegeben,
unter ber SBemcrfung: „baS erfrgefefjtc Sobgcfang ©imeontS beS altoatterS beffer in reimen bameben."
tiefer elfte 'tfbfdinitt fd)liefjt mit ben £)orologicen (Gloria patri etc. (Sfyre fe» bem SSater unb bem ©ol)n,
unb bem ^eiligen ©cijic), „bie uon etlidjcn Sinfyen ju (Sttbe ber ffalmen angefyenfet fetjen fte [inb jebod)
mit feinen ©ingroeifen »eiferen. Sie 2te '2lbtl)cilung tji überfd)rieben : „25er jroeite Sfyeil galtet in ftd) bie
@eiftlid)cn lieber. " (£S ft'nb hierunter bie ilated)tSmuS*, 2ob=, S5et= unb 2el)rlieber begriffen, 23 an ber
3af)l, mit eben fo fielen ©ingroeifen. „SaS ßngltfd) 2obgefang, Gloria in excelsis, in ein Sieb unb reimen
gefaffet," befd)liefjt biefen 2lbfd)nitt: nid)t jenes? bekanntere: „"Mein ©Ott in ber «£>öl)' fen @f)r'," fonbern
baS frühere, mit il)m gleiche ©ingroeifc fyabenbc: „211T @tyt' unbßob foü ©otteS fecn." „£>cr britte Xi)til"
enblid) „galtet in ftd) bie gefuieber," 20 im ©anjen, mit Smfötuf jroeier Segräbnißgefange, rooju
13 SOielobiecn beigegeben ft'nb. 2Bir ermatten fyienad), 'MeS jufammcngered)net, 110 ßieber unb 106
©ingroeifen, alfo um ein ©eringeS weniger, al§ baS 15 3<ri)i' jusor crfd)ienene S3a:pfrfd)e ©efangbud)
gebrad)t f;atte. 2BaS in biefer äroifcfyenjeit oeraltet, unb aufer ©ebraud) gekommen roar, oielleid)t rool)l
überall in jenen ©egenben feine allgemeine 'tfufnal)me gefunben f)atte, roar befeitigt roorben, bie bloS auS
ber ©d)rift roörtlid) entlehnten ©efange fyatte man roeggelaffen, weil fte bort bereits ju finben roaren;
rennen roir aber biefe legten ab (nebft ben baju gehörigen f)ergebiad)tcn ©cfangSformeln) von bem Sntjalte
jener alteren geiftlid)en Sieberfammlung, fo bleiben biefer ju 100 Biebern 98 SDielobiccn, unb baS Strafe
burger ©efangbud) erfd)eint an jenen um »ier, an biefen um ad)t fogar reid)er.
®etrdcl)tlid)er ftellt biefe S3ereid)erung fid) bar in einem, nur neun 3al)re fpäter, in Utu
nem gormat, bei £l)eobofiuS Reichel, ebenfalls ju Strasburg, jierlid) gebrückten ©efangbucfye (1569;.
(2S fünbigt ftd) nid)t, rote jenes, als? ftrd)lid)eS ©efangbud) an, voenn eS offenbar aud) jene 33eftim=
mung l)at, fonbern nennt ftd) nur: „ffalmen, genftlid)e Sieber mib ©efange, fambt etlichen ©ebeten
2). SOiar. 2utl). 2lud) Ruberer ©ottfeligcn Serer »nb Banner, auffS fleijngft r>on neroem äugerid)t,
rmb in eine rid)ttge orbnung gebracht." Stefer rid)tigen Srbnung jufolge ft'nb bie Sieber in fed)S
Steile gefontert. £er erffe begreift: ,,bie |>r>mnoS unb 6l)orgefenge, fampt etlichen ßobliebera,
roeld)e man auff bie fürnetnbfte geft bttrd)S gan£e %ax pfleget ju fingen." 3n il)rer Bufammenficllung
ift bie golge ber gejte com ^Beginne tes? jiird)enjal)reS ju ©runbe gelegt. @S finb il)rcr 54, mit
35 SEßelobieen ; biefer £l)eil für ftd) genommen, enthalt alfo bereits 22 Sieber mel)r, als baS 45 3ab.re
ju»or erfd)icnene 2Balterfd)e ©efangbud), unb eben fo btel 93iclobicen alS baffelbe. gn bem jtveiten
Steile finben roir: „bie fed)S Stüde 6l)rifilid)er 2el)rc barin ber 6ated)iSmuS furj gefaffet ift, in
lieblid)e ©efenge unb lieber gebracht." öS finb beren 22 mit 17 9)ielobiccn, bei benen nid)ts SSefonbereS
ftd) ju bemerfen finbet. Ser britte Sl)eil begreift in ftd) „eitel fd)bne ^)falmcn beS Äöniglid)en ^)ro^l)eten
SasibS, in liebliche ©efäng' 3ieimen rociS gefteUet." 'iluper ben ^falmliebern 2utl)erS, bie roir in jebem
. eoangelifd)en ©efangbud)e jener 3eit aufgenommen finben, treffen roir beren f)ier »on 2. öler, '^InbreaS
Änoppcn, }J<att[)äus> ©reiter, 2ßolf Sad)ftein, Äol)lro^, £l)omaS S3laurer, ©rljarb ^egenroalb, SSeit
Dietrid), £cinrid) ä5ogtb,er, ©ebalb ^>et;ben, 9i. ©clncccer, ^eter Äe^mann, faul r>on ©pretten,
3ol)ann "2lgricola, 3ujluS 3onaö, ßonrab Hubert, 2eo Sub, unb beren elf auS bem f fattcr beS äßtncarb
2öalbi6, barunter fieben mit ben itmen bort beigegebenen Söielobieen ; roir fel)en, bap beffen £id)tungen,
roie im Cfjcn beö beutfdjen 9feid)eS unter ben bbl)mifd)en S3rübern, fo aud) an beffen 2Bcjlgrdnje bereits
in ber Äird)e Eingang gefunben Ratten. Sie ffalmlieber bilben ben am meifien nor ben anbern übcr=
317 —
wiegenben£l)eil unferer «Sammlung, unb ben gegen ba§ neunmal)« früher erfchtcnene,,©rof!e fStrafwurgcr;
©efangbud)" am erhcblid)ften bereicherten : eS ftnb ihrer im ©anjen CG über 58 %rlmen (ba ihrer acht in
boppeltcn ^Bearbeitungen oorfommen) mit 52 baju gehbrenben SÖMobieen. 3n bem merten Steile ftnb
enthalten: ,,£ie Schrift üieber, aufj bem 2Uten onb Heroen Scftament, Wit ben St)mboli§ unb Te
Deum laudamus , Sambt anbern fümemen £aubtftücfen @l)rijtlid)er vmb ©uangclifcher 2et)rc, 2n liebliche
©efänge r>nb Sieber gefteUet." Unter ben Sd)riftliebem erfcheint hier an ber erften Stelle Sutl)er» Sieb nach
bem Sobgefangc ber ßberubim bei bem spropfyeten 3efaia3 ; beffelben Propheten ©ebet im 33jien ßapitel,
oon2Bolfgang SJibfel in ein Sieb gcfafjt: „£ Sfrmt ©Ott erbarme bich 3ad)aria3 unb SQiaria'S Sobgcfang
burd) Johann (Englifd) unb Spmpborian |>oUio in Keime gebracht, benen wir mit ihren Sötclobieen fchon
in bem großen £ird)cngefangbuche begegneten; ein jweiteS Sieb auf ?0iarid 4?cimfud)ung, in weld)em beren
Sobgcfang mit enthalten tft: „SKaria ba§ Sungfrärolem jart" unb Simeone Soblieb nad) Sutf)er unb
Johann (Englifd). Sutl)en> Sieb nach &em 12tcn ßapitel ber Offenbarung 3ol)annt3: „Sie ift mir lieb bie
roerthe ÜDJagb," befchliejjt ben ÄrciS biefer geiftlicben au§ ber Schrift unmittelbar gefebbpften £>id)tungen.
£iefe, unb bie Sob =, M)x- unb 33etlieber biefes 2ibfd)nittes> geben jufammen 52, mit 37 baju gehbrenben
SKelobieen ; nach ben $>falm * unb geftliebern bie beträd)tlid)jte "^njaf)!. Sie beiben legten Steile biefer
Sammlung bagegen ftnb üon nur geringem Umfange. 25er fünfte Sheil ,, haltet in ftd) Älag' unb £roft=
gefänge wom Sob, S3egrdbmfs, 2tufcrftet)ung unb jüngftem ©erid)t": 19 mit 12 5DRelobieen; ber fechfte
unb lefjte Xfytil „haltet in ftd) bie 9Korgen=, 2(benb = unb 3)tfd)=©efäng, Unb wie man ©Ott umb 3et)tlicbe
unb ©et)ftlid)e Nahrung, erhaltung, wol)ltt)at anrufen, loben unb banfen foüe;" ber f)ief)er gehbrenben
lieber finb 1(5, mit 10 93Jelobieen. 3m ©anjen erhalten wir fonad) in biefen fed)3 2l~bfd)nitten unferer
Sammlung 229 Sieber unb 1C3 SJielotieen ; eine 2Cnjahl, bie ber beä 24 3al)re fpätern ^Drcsbncr ©efang-
bucheö oon 1593 beinahe gteid)fommt. 3(ud) hier, wie in bem ©roßen &ird)engefangbud)e, vertritt baS
Sieb: „£) SDienfd) bewein' betn' Sünbe groß" bie Stelle ber nach ben Soangetiften gefungenen Seibem>=
gefchichte: überhaupt ftnb, big auf wenige, — ba3 fonntdgliche unb bfterlid)e Äprte, bie Sitanct), unb baS,
gar nicht für ben ©efang beftimmte 2fthanaft'anifd)e ©laubenäbefenntnifs — alle ©efdnge biefeS 33ud)e?
liebhaft, fo wie ihre SJJclobieen. —
£inter ben fübbeutfehen 9ieid)3ftäbtcn bleiben auch bie et>angelifd)en dürften biefeö Steiles öon
Deutfchlanb in 33eförberung be§ Äird)engefange3 nid)t jurücf. 2Ba3 »on ihnen in biefer 2lrt gefchahe, be=
trachten wir nun junachft, nod) ehe wir ber ju granffurtl) am SQIain erfd)ienenen 9)ielobieenbüd)er gebenfen,
wohl ber umfangreichften biefer 3eit ; benn tiefe haben jum Äbeil aud) ben ^Bemühungen benachbarter Jür=
llen ihre SBoUfiänbigfeit unb 9?eid)haltigfeit jtt banfen gehabt. S3cfonbere OTufmcrffamfeit oerbient hiev bie
für bie Sürftenthümer 3weibrü<f unb 9ceuburg, burd) ben^)faljgrafen 23olfgang errichtete £ird)en=£rb=
nung. Schon beffen am 3ten Secember 1532 »erftorbener SSater, ^faljgraf Subwig, war bem er>angelifd)en
SSefenntniffe jugethan gewefen ; er felbft liefi, ju ffiefbrberung ber dinigfeit in Seljre unb ©ottcSbicnft, biefe
Äird)enorbnung entwerfen, legte fte ^l)ilipp SKeland)tl)on unb Johann 33rcn(j jur ^Begutachtung wor, unb
liefi, nad)bem biefe fte gebilligt, biefelbe juerft am Ifien 3uni 1557 jtt 3wcibrücf, fobann am 2ten Januar
1500 jtt 9ceuburg an ber £>onau öffentlid) »erfünbigen unb einführen, 'ftachbem er fd)on im 3abje 1508,
nad) (Errichtung feines lefeten 2Billen3, ftd) nad) granfreid) begeben hatte, bort aber im folgenben 3^I)rc 1509
am Ilten Sunt mit £obe abgegangen war, folgten ihm in ber Sfegierung, unb jwar ju 9ceuburg fein älterer
Sohn, Philipp ßubwig, ber Stammvater ber jüngeren pfdljifd)en Gtjurlinie , ju 3weibrücf ber jüngere,
318
Johann. 33eibe ließen eS eine ihrer erften ©orgen fenn, btc fird)tid)en Angelegenheiten it>rer Sänbev ju
ordnen, ©cbon ber Langel an ©rcmplaren ber son ihrem £>atcr eingeführten .Ktrcbenorbnung hätte eS notl)wen=
Dig gemacht für eine neue, ausreichende Auflage berfelben ju forgen. @S war aber nicht bie SRothburft allein,
weldje fte baju beftimmte, fie würben nod) *>on einer höhten 9füdftd)t geleitet. 3n ifyca am Sage ber
heiligen (flifabetl), bem 19tcn 9cot>ember 1570, crlaffcnen 5Bcf'anntmad)ung, burd) weld)e fie bie £ird)en=
orbnung ibreS SSaterS in einem neuen Abbrucfe, ein jebcr in feinem SanbeStbeile, abermals befannt machten,
unb beren Beobachtung einfchärften , theilen fte jitnad>ft baS, bem legten SEBillen ibreS SSaterS einverleibte
©laubenSbcfenntniß beffelben, wörtlich unb bud)ftäbltd) mit; als ein SSorbilb, fagen fie, um bie ihnen
oon ©Ott befohlenen Unterthanen befto mehr ju erinnern, ,,waS ein jeber ßhrift in biefen legten gefährlichen
unb unruhigen 3eiten in ©laubenSfad)en ju bebenfen fchulbig fep, nemltd) biefcS, baß wir unS in biefen
beben ^anblungen, fo ©otteS @br unb unfer aller ©eelcn ©eeltgfeit betreffen, nicht einen jeben 2Sinb
bewegen, ober auff ein anbere Meinung, bann mir juvor burch ©otteS 2Bort grünblid) unterwiefen, ober
in unnötig gebend, baburch bie arme gewiffcn betrübet (werben) unb bie marljeit »erbunfelt unb verfelfcbt,
füren laffcn follen." ©ic halten eS nun, bem 9iatf)e erfahrner ©otteSgelef)rten jufolge, aud) für notl)men=
big, alS 6t>rtflltd?e gürften ju biefer £ird)enorbnung unb ben barin angebogenen 2ebrfri)riften fich auS=
brürflich ju befennen. Senn ein jeber ßbrift fei; fchulbig, feinen ©lauben frei unb lauter an ben Sag ju
geben; jebcrmänniglid) folle auch wiffen, unb erfennen, baß in allen ©rüden d)riftlid)en ©laubenSbefennt=
niffeS, Abminiftration unb 9feid)ung ber heiligen ©acramente, unb (Zeremonien, „wie bie biß anhero im
dhriflenlichen SBerfianb frommen, *>nb gebräuchlich gewefen" nid)tS geänbert fc», fie aud) nichts ju än=
bem gebächten, wobei fie ,,bte eingefallenen ©ejend, 9J2ißt>erftenb , unb ungewöhnliche £)ifputationcn,
beren fich erlief) biefer 3eit theilhaftig machen, unb biefelbigen anberen Äirchen einzuhängen unterftehen,
gar nicht irren laffen." ©ie träten, t>erftd)crn fie, in bie gußtapfen il)reS feeligen SkterS, ber fold)e Ätr=
chenorbnung ftattlid) beratl)fd)lagen laffen, unb festen Demjenigen nach, fo oorlängft burch gottfeelige,
gelehrte, unb erfarne Theologen unb Äird)enbiencr bebad)t unb erwogen few. Die abermalige Verausgabe
war, biefen 3.$erftd)erungen jufolge, jugleid) ein erneutes SSefenntnif? beS väterlichen ©laubenS, eine wie*
berholte ßrflärung treuen geftl)altenS an allem bemjenigen, waS auf ©runb beffelben ju Erbauung ber
.ftird)e ©ottcS angeorbnet worben, unb baS jeM, wie eS auf bem Sitelblatte beS S3ud)eS beißt, „one
ainige oerfclfchung ober »erenberung wieberumb erholet" werbe. Diefe Anorbnungen betrafen aber ben
.ftirchengefang nicht minber, als anbere S£l)ctle beS bffentlid)cn ©ottcSbicnfteS. S5ci ©elegenheit ber üxtyab
tung chriftlicber ©cbulen wirb anempfohlen*), bie Äinber jur SOtuftca unb jum ©ingen anzuhalten, woju
für bie Änaben täglich bie erfte ©tunbe nad) SöZittag alS ÜbungSjeit befjimmt wirb **). Die jtirchenbiener
Collen baS 23olf ermahnen, baß fie bie verorbneten ©efäng' lernen ; bie .fttrd)cngefänge follen in ben Äir=
d)en beS gürftentbumS teutfd) gefungen werben, ,,wie aud) bie anberen (Smpter mit fürlefen unb fürfprechen
in teutfeher fprad) gefchehen follen. 3ebod) nad)bem ©. ^auluS bie frembbe, bod) etlichen befanbte fprad)
\u feiner 3eit in ber Äirdjen $ur S5effcrung juleft, ©o mögen bie ©chüler ju jeiten lateinifd) gefang auf
ber heiligen ©chrifft, ober berfelben gemeß, jnen jur übung in ber &ird)cn fingen, fürnemlid) aber, bie^
weil bem größeren &f)eil ber Äirchen allein bie £eutfd)e fprad) befant, foll aud) ber mehrer theil ber ©efang
Seutfcb »errichtet werben." Durch ben ©efang foll ein jeber an ©otteS 2Bort, baS barin »erfaßt,
•) CL
••) cxinb. cxim.
319
erinnert, unt> barauS an rechter &rfenntnij} ©otteS, an ©laube, Siebe, ©ebulb unb allen anbeten Sugen=
ben c^ebcfTert roerben.
Die alteren Abbrütfe biefer jlircbenorbnung au§ ben fahren 1557 unb 1560 habe ich jmar nte=
maß gefeljen, nach bem 3uoor, unb jum großen Sbeil wörtlich, Angeführten , ftnb wir jebocb ju ber gol=
gerung berechtigt, baß bie Aufgabe oon 1570 ihnen im SBefentticfycn obllig übcreinftimme, bafj jene alfo
auch in einem Anhange, roie biefe, biejenigen oerorbneten Äird) engefänge enthalten haben roer=
ben, roelcbe ju lernen bie Diener ber Äirche baeS S5olf ermahnen follen ; ein Anhang, ber vielleicht in ber
fpäteren Ausgabe oon 1570 nur um Dasjenige wirb oermehrt worben ferm, wa3 innerhalb ber 13 Sah"
feit ber erjten Sefanntmachung , beS 6infübren3 in bie Äirdie würbtg geachtet mürbe. 3n biefem neuen
Abbrucf führt er ben Sircl: ,,Äirchengefang, Seutfcb onb Üateinifcb ; baoon in 9ceuburgifcber onb 3wer>-
brucfifcher gleichförmiger Äircbenorbnung melbung gefcbicbt. SBelcbe auch in betben gürftentbumben alfo
in allen .Kirchen onb Schulen, nach gelegenheit ju jrer jeit orbenlich gelungen unb gebraucht roerben follen.
Damit 3ung *>nb Alt ber rechten reinen Sert, fo ©ottlicher ©chrifft gemcjj ftnb, gewöhnen, onb alle
fcbeblicbe neroerung, mipoerftanb onb oerfelfchung oermitten bleibe. MDLXX."
Die beutfdien SQcefjgefänge madjen ben Anfang: e§ ftnb ihrer funfjebn, ein boppelteä Äprie unb
©loria eingerechnet, bie mit bem ßobgefange be§ 3acbaria§: ,,©elobet feo ber £err, ber ©ort Sfvaele», benn
er bat befucbt unb erlbfet fein SSolf" äfö 3ntroitu§ ("Eingang ber f'ird)Iichen geier) beginnen, baö äkterunfer
unb bie GrinfefjungSworte in fkb begreifen, unb mit ben Siebern: ,,.£> 2amm ©otteS unfcbulbig" unb
„Sbriffe bu Samm ©otte§" fcbliefjen, als> bem beutfcben Agnu§ Dei, nach ber ßommunion ju fingen.
3bnen ftnb bie beutfcbe SHtaner;, unb ba§ .Jperr ©Ott bich loben mir angehängt; jeber biefer ©efänge hat
feine eigene 9Kelobie beigebrudt. Sin jroeiter Abfchnitt umfaßt bie ^Pfalmlieber : eä ftnb beren 23 mit 25
Singweifen, inbem ßuther§ „Ach ©Ott oom Gimmel fteh barein" über ben I2tcn ^Pfalm eine boopelte
ÜQielobie bat, bie gebräuchlichere phrngifohe, unb bie im ©üben Deutfdilanbs" gangbare mirolnbifd)e, unb
eben fo bem ^)falmliebe: ,,Au§ tiefer 9?otb ftyrei ich ju bir" fowobl feine »hmgifche als ionifcbe 2Beife bei-
gebrudt ift. Die itatecbrömuSlieber, 5 an ber3abl, bilben ben 3ten Abfchnitt: auch hier ift ber 9Kelo=
bieen eine mehr, inbem ba6 Sieb : DieS ftnb bie beifgen jebn©ebot, fomobt biemirolpbifcbe, bem alten 2Ball=
fabrtSliebe: ,,3n ©ottcS tarnen fahren mir" entlehnte Singmeife neben ftcb hat/ al§ feine fübbeutfcbe,
borifche. Acht Sehr*, Söet= unb ßoblieber folgen nun, unter ihnen ba3 Sieb: „s7cun freut euch
lieben dbriftengmein" mit feiner alten unb neueren -DJelobie. ©tl unb jwanjig gejtlieber mit eben
fo oielen SJZelobieen enthält bann ber näcbfte Abfchnitt: für bie AboentSjeit, ba§ 2Beibnacbt$>feft,
'Maria Steinigung, bie 2eiben§jeit, baö T(ler = , JpimmelfabrtS *Pfmgjt = unb DreieinigfeitSfeft, oon
benen, nad) ben SBefiimmungen ber Äird)enorbnung , jebeS ber brei hohen fiefte bureb biet Sage
gefeiert roerben foll. Aujjer ihnen rechnet ft'e noch bü ^ 5cften ßbrifti ben Sag ber S5efchneibung
((]ircumcisionis), ber ©rfebeinung ßbriftt (Epiphanias) ober hef'9C11 bxei Äbnige Sag, ber S$er=
fünbigung 9Äariä ober ©mofängnifj ßhrifti; ft'e mill auch bie Aoofteltage, ben Sag SobanniS bee
Säuferg, Ataxia ^>eimfud}ung unb Sfticbaelij, burd) oormittägige g)rebigt unb Ausheilung be§ Abenb=
mahle», roenn ßommunicanten oorhanben fepen, gehalten roiffen; boch ftnb au^er ben Sobgefängen ber
sHRaria unb beö «Sachariaä, bie aber eine anbere allgemeinere S3eftimmung erhalten haben, befonbere geft=
lieber für biefe nicht oorhanben. AIS einjigeS 9)affion3tieb ftnben mir <£ebalb ^>ep6en§: ,,S SKenfch be=
mein' bein' ©ünbe groß," unb bürfen borauS fchlic§en, — ba auch unter ben lateintfcben Äirdiengefängen
320
bie &eibenSgef$i$te nach einem, ober allen (Soangeliften nid)t enthalten ift — baß biefeS bie ©teile beS
altberfommlidu'n SSortragS ber Rafften oertreten tjabe. dagegen wirb wäbrenb ber SeibenSjeit brtngenb
empfohlen: „bie #iftorien be§ SeibenS ßbrtfti aud) an ben 2Berftagen (ju) prebigen (ba man fonft ju pre=
tigen pfleget) unb fleifj (ju) haben biefclbige £tjforien bem SSoH recht einjubtlbcn." Damit foü man febon
balb nadi Batate beginnen, unb ba3 SSüdjlein vom Setbert ßbrifti, au§ ben (Soangeliften jufammert gebogen,
Dabei ju ©runbe legen: am sPalmtage foll eben biefc ©efebichte, „ju breimablen ausgefeilt" bem jungen
S>olfe früh um feebö, Nachmittage, unb jur SSefiwrjett »orgclefen, unb am grünen Donnerfiage unb 6bar=
freitage SSor = unb 9cad)mittag§ barüber geprebigt werben: ja, in ben ©täbten rönne biefeS bie ganje
(Muimocbc binbureb gefd^eben. Wlan wollte alfo biefe fo wichtige (Stählung auf anbere SBeife als bisher in
ber ÄirdK lebenbig erhalten, fte ben ©emütbern ber ©emeine nicht fowof)l barftellenb, alö auslegen b,
einprägen. WS ,,ä>efpergefang" fcbließcn ben geftlicbern ftd) an: ber Sobgefang ber 9J2aria (mit ber Danf=
fagung: ßbriftum unfern $eilanb), unb beS Simeon, beibe nach ber Schrift, im ^ilgertone, unb ber
fed)ftcn f'ird)lidien Intonation ju fingen; enblid) ©wmpborian ^PolIio'S Sieb über baS 9J2agnift'cat, beffen
mir öfter fchon gebaebt höhen, in welchem hier einige gärten beS 2utSbrucfS gemilbert erfcheinen. SSter
Segräbnißgefänge mad)en ben 33efd)luß, unter benen nur ein latetnifdjer, jeboeb mit einer liebhaften ©ing=
roeife fid) beftnbet, ber <£>9trmuS beS ^PrubentiuS : Jam nioesla quiesce qucrela.
2i>ir erhalten alfo hier im ©anjen 86 SQcelobieen ju 82 ©efängen, eine ßahl, bie jwar bie ber
©ingweifen ju S3apjlS ©efangbud)e noch nicht erreicht, unb hinter ber beS nur biet 3abre fpäteren Meuchen;
tbalfchen um Mieles jurüeffteht, jebod) in ber Sbat baS (Srlcfenfte hegreift, waS um jene Seit porbanben war.
2lud) mar eS hier nicht bie 2lbffd)t, ein allgemeines ettangelifcbeS ©efangbud) jufammenjufiellen , fon=
bern ein ben S3cbürfniffen jener Bänber gemäßes, unb jwar junäd)ft bem ttrd) liehen, mit '2luSfd)luß
Neffen, was mehr ju fitller, häuslicher Erbauung geeignet mar. Namentlid) ftnb ber S ehrlicher im enge-
ren ©inne nur fet>r wenige, wenn wir bie ÄatechiSmuSgefänge abrechnen; ftreng genommen nur jwet,
eben biejenigen, in benen ber Äern ber lutherifchen Scbre gefaßt war: „@S ift baS Spell tmS fommen her,"
oon ber Svecbtfertigung, unb ,, Durch 2lbamS gall ijt ganj Derberbt" von ber ©rbfünbe unb ©rlöfung.
Die 4?crjen feilten bureb ben ©efang ju innerer ©infebr unb jum ©ebet erwetfet werben; bie 2 ehre ben
©emütbern einjuprägen fehlen bie Stebe geeigneter, lin ben hohen geften füllten bie $)rcbiger, wenn fte
bie $>rebigt anfingen, alte beutfebe bem SSolfe fd}on bef'annte gejllieber auf ber Jtanjel anftimmen unb
mit ihm fingen; als einer ©emeine mit ihm, follten fte feine geftfreube in althergebrachter SBeife
theilcn. £ier werben unä bie Sieber genannt: ©in jtinbclein fo lohelid); CEbrift ift erftanben; 2tlfo heilig
ift ber Sag; 9cun bitten wir ben heiligen ©eift '^Itt ben ^)rebigten ber SOBerftage, 93iittwod}§ unb §rei=
tagö, weld^e ber Auslegung ber ^)falmen unb ßpifjcln gemibmet waren, follten vor unb nad) ber ^3rebigt
teutfd)e Sieber gefungen werben, bamit fte bem Siolfe gemein unb bef'annt würben; biefc Sage alfo waren
beftimmt, weniger überall gangbare Sieber erft allgcmad) auszubreiten ; bie 3ßl)l Deffen, waö ju biefem
3wecfe torforglid) jufammengeftellt war, fonnte beöhalb nicht beträd)tlicb fepn. Dennoch war ffiebacht
genommen, namentlid) bei ben ^)falmliebern, jumabt benen üher bie wid)tigftcn ©efänge bc$ ^falterö, nicht
beren eineö allein, fonbern auch anbere baneben 511 heftigen, in meldten ber eine ober anbere Sbeil be§ Sn=
baltö cinbringlicher heroorgehohen war. ©0 ift ber I4te, ber 51fte, 124fte, 127fte in hoppelten 33ear=
beitungen worhanben, unb auf biefe 2lrt ift mittelbar für größeren 9Jeid)tbum von ©ingweifen ebenfalls
geforgt. (*S ift bieö aber auch unmittelbar babureb gefiebert, baf3 ju wed)felnbem ©ebrauche, befonberen
321
äSeranlaffungen jufolge, boppelte SOßelobieen für baffelbe ßieb aufgenommen ftnb, wie bat>on fdion juüor bie
Sfebe gewefen ift. — £en beutfd)en ßiebern folgen, nacb,£rbnung ber heiligen 3eiten unbgefte, bie lateinifdjen
©efdnge in alten ßfwralnoten ; bie für bie 2(pofteltage beftimmten, unb bie 9J2eßgefänge fte()en jule^t. 2>n
35efd)luß macht baö Süiagniftcat, ber ßobgefang ber Jungfrau, uierftimmig in bcn acht Äirchentonen ; ju=
erft in einfacher auf aUe ^falmen anwenbbarcr ©cfangform*), bann in feftlichen Intonationen, welche fei=
ner 2tcn, 4ten, 6ten Strophe unb fo ben folgenben angepaßt ftnb ; in ber2(rt, baß bem einfad) angc=
ftimmten Vortrage einer Strophe immer ber oierftimmige ©efang ber folgenben auf bie glcid)e SJJelobie ft'cb
anfcbließt. Diefe (ateinifdjen ©efdnge waren jumeift für bie Sefper beftimmt, wenn für ben näd)ffen Somu
ober geiertag feine ßommunicanten ftd; gemelbet Ratten, ©3 mar worgefchrieben, baß aßbann oon ben
Schülern etliche lateinifche ^)fa(mcn mit einer lateinifcfyen "tfntiphonie, unb einem ^>pmnu» gelungen werben
follten: barauf folle ber jlirchenbiener ein (Sapitel au§ ber heiligen Schrift beseiten unb teilen £eftament§,
„fampt jren Suminaricn, orbentltd) nach einanber bem gegenwärtigen S3olf ju tcutfd) uorlefen" unb bann
ber ©efang be§ beutfd) en SJiagnificat folgen , ba§ juweilen, ber Schüler wegen, auch latctntfd? gefungen
werben fönne, woju benn wohl jene m'erftimmigen Intonationen beftimmt gewefen fei;n werben. Sie
ßieber : @rf)alt un§ 4?crr bei beinern SBort, unb SSerleib. un3 grieben gnäbiglid), blieben allejeit jum
Schluffe ber firchlichen geier beftimmt. 25a$> SSilb, bae> mir hienacb, »on berfelben im ©anjen gewinnen,
ftimmt im SEßefentlichen bemjenigen überein, ba3 un§, 25 %al)xe früher, So^nn SpangenbergS geiftliche
©efdnge gewährten.
Um SBenigeS nur reidjbaltiger an beutfcfyen ©efdngen war ba§ Äirchengefangbuch, bas> ßubwig,
£er$og ju SBürtemberg, 13 %d)xe nach, ber legten S5efanntmad}ung ber äroeibrücf = 9ceuburger £ird)en=
orbnung, für feine Sanbe $u Bübingen um 1583 Verausgab; lateinifche ©efdnge enthält e§ nicht. 3ch
fenne baffelbe ntd)t in biefem urfprüngltchen 2lbbru<fe, fonbern in einem, 81 %at)te fpäter (um 1664) $u
Stuttgart im £>ru<f unb SSerlage Sohann SBeprid) SibßltnS, gürftlid) Sßürtembergifchen 33ud)brucfer§,
erfchienenen. Doch fann man auS bemfelben über ben Snljalt jeneS früheren ftd) hinlänglich unterrichtet
galten, weil baSjenige, waS bie fpätere 2üt§gabe t)injugetl)an hat, in einen befonberen Anhang jufammen=
gefaßt ift. Sftur ba§ ift ju bebauern, baß ber neue Verleger bie Sjorrebe ^jerjogö ßubwig, welche bem
erften ©efangbuche beigefügt gewefen fet;n foll, nicht mitgegeben, fonbern fid) begnügt fyat, bae> SSorwort
be§ erften DrucferS, ©eorg ©ruppenbach ju Bübingen, aufzunehmen, burch bas> man nur bie äußeren
Schicffale bes> SSucfyeS erfahrt, unb nicht über ben Sinn, in welchem eä jufammengefteUt worben, unter=
richtet wirb, liefern 83orworte jufolge ließ 2ubwig, £erjog bü 2Bürtemberg, ber »on 1568 bis 1593
regierte, bie reinften unb beften geiftlicb,en ©efdnge, welche in feinem £erjogthume hi§ bahin gebräuchlich
gewefen, auch anbere, bei Äirchen unb Schulen 3tug§burgifcher ßonfeffion übliche, jufammentragen, fte,
wo e§ bie 9cothburft erforberte, mit befonberem gleiße berichtigen unb beffern, unb um 1583 für bie j£ir=
dien unb Schulen beä £erjogthum§ 2Bürtemberg in gorm eineä fleinen ©efangbucheä jufammenbruefen.
2)er 83orrath bawon war jeboch balb erfchbpft, man bejeigte aud; an anberen £)rten 2fug§burgifchen S3e=
FenntniffeS ein Verlangen nach biefem S3uche, unb begehrte nur eine größere gorm. So würbe e§ benn
mit S3orwiffen £erjog§ griebrich, ber, nach bem #u§jterben be§ 3)^ann§ftamme§ feineä SDt;etm§ UIrtd>
in ber $)erfon feines 83orgdnger§ , jur Nachfolge in bie SBürtembergifchen Sanbe gelangt war, in größerer
') Isomelra symphonia ad psalmum quemlibet accomodabilis irirb fic genonnt.
r. ffiintttfttk, ttr e?angel. d^crnlgefang.
41
322
Seffolt (golto) herausgegeben: wann? iffc auS ber SBorrebe, welcher Sag unb Sahrjabl fehlen, nid)t ju
afdnn, bod) wirb eS jwifchen 1593 unb 1608, ber SJegierungSjeit jeneS gürften, gefd)ef)en fepn. SBobl
bamalö fdwn führte e$ benSttel, unter bem e$ 1664 aufs 9ceue aufgelegt würbe: „©roß £irchen=©efang=
23udi, baiinnen außerlefene, reine ©eifilid)c Sieber unb spfalmen, auch, lehrhafte unb troftreiche ©eiftliche
©efängV für bie Äirchen unb Sd?ulen im löblichen ^erjogthumb SBürtemberg, auch, anbere reiner Aug--
fpurgifdw ßonfeffion oerwanbte Kirchen, jufammengeorbnet, unb in tiefer großen §orm mit fchönen
fanbtlid)en gigural=9coten, unb groffen leßltchen (Schriften mit gleiß gebrueft fepn." Der 3ufal§ „Sambt
einem Anhang ober 3ugabe etlicher fdjöner Sieber, fo »orbin in biefem ©efangbueb, nicht gewefen" gehört
benn wol)l bem neueren Abbrude an. Siefer Anhang würbe überhaupt hier, wenn er auch nicht mchreS,
urf'unblich um SSieleS (Spätere enthielte, bei ben 9JMobieenbüd)em nicht in Betracht fommen fbnnen, ba
unter ben 43 Siebern , bie er mittheilt, fein einjigeö mit einer (Singweife üerfehen ijf. Der ältere, unb
wie »orauSjufefecn ift, urfprünglichc Sheil beS ©efangbudheS , ba bie 3ug<we oon ihm getrennt, unb mit
einem befonberen Settel »erfehen ift, enthält fünf Abfchnitte. Der erjie umfaßt „©eiftliche Sieber auf bie
fteft' unb geiertäg'" mit ginfcbluß ber brei chriftltdjen Sobgefänge — ber SKaria, 3ad)aria3, (Simeons —
in ben Dichtungen SomphorianS ^ollio unb SohannS ßnglifd). (SDßein' SeeF erhebt ben Herren mein —
©ebenebeit fep ©Ott ber Spexx — 3m griebe bein, o $erre mein — ). @S ftnb biefer Sieber 28 mit 24
Singweifen. %i)nen folgen 12 Äated)iSmuSgefänge mit eben fo üiet SSÖeifen, aB 2ter Abfchnttt. Der 3te
enthält bie 9>falmlieber, 36 an ber 3ah^ mit 30 SJcelobieen, ben 2ten, 51fien, 124fkn, 127ften $>falm
in jwei Bearbeitungen, ben 130(ten (AuS tiefer 9coth fdjrei ich ju bir) mit feiner phrngifchen, wie ionifchen
9ftelobie; einige Sieber ohne (Singweifen, ober mit bloßer 4?inweifung auf fchon uorgefommene; baher
bie Abweichung jwifchen ber 3ah' btx Sieber unb SÖMobieen. Sn bem 4ten Abfchnitte ftnben wir „Anbere
©eiftliche Sob = , Sehr= unb 33et = ©efäng'" jufammengefaßt , unter benen t)ier auch SutherS beutfcheS
SanctuS s „3cfaia tem Propheten ba§ gefdbah" unb baS ,,^)err ©Ott bich loben wir" feine Stelle ftnbet.
63 finb beren 19 mit eigenen (Singweifen, unb brei ohne biefelben, unter ihnen bas> leljte $)aul CjberS :
,,4?err 3efu ßbrijt wahr' SDienfcb. unb ©ort" nach, fed)Sjeiligen Strophen abgeheilt, mit SSerweifung auf
bie Singweife beS SiebeS: „SSater unfer im £immelreid)." Der fünfte Abfdmitt befaßt fünf „ßhrifiliche
©efäng' jum Begräbniß," beren jeher feine eigne 50ielobie hat; baS ©anje befchü'eßt, für ftch, allein
ftchenb, bie beutfehe Sitanep. 3u 104 Siebern erhalten wir alfo hier 91 SKetobieen; fünf *>on biefen, ad)t=
jehn oon jenen mehr, als in bem Anhange ju ber 3weibrüd = 9ceuburger Äirchenorbnung ftd) ftnben.
(5in %ai)r oor ber neuen Auflage biefer Äirchcnorbnung, unb gleichzeitig mit ber jiwor befproebenen
Straßburger Sammlung geifllid)er Sieber unb ^falmen, um ba§ %al)x 1569, erfd)ien ju granffurtl) am
SQiain, wohin wir nunmehr unS wenben, bei Johann SBolf, bie, fo weit meine §orfd)ung reicht, an ©e=
fängen unb 9Jielobieen reichfie geiftliche Sieberfammlung beS 16ten 3nh^»nt,e^*)- Sie war mit Äaifer=
Itcher Freiheit auf 6 3ab" begnabet, unb führte benSitel: ,,Äird)engefäng, AuS bem 2Bittenbergifd)en
unb allen anbem ben bejten ©efangbüd)ern fo biß anhero hin unb wteber außgangen, colligirt unb gefam=
melt, 3n eine feine, richtige, unb gute Drbnung gebracht, unb aufS fleißigft onb nad) ben heften @renv
') Xitv größere Weic^ttjum an Cicbern bei anberen, oon benen fpätcu bie Siebe feyn roirb, entfdjeibct tjter nidjt,
ba biefe an SKelobiecn um fet>r ffiiele« ä'rmtt ftnb.
323
plaren corrigiret unb gebeffert. gürnemlid) ben *Pfarrberrn, ©d)ulmeiftern tmb @antoribu§, fo fiel? mit
jren Äird)en ju t>er @briftlid)en '#ugfpurgifd)en ßonfeffion befennen, »nb bei benfelben ben ßbor mit fingen
regieren vmb oerforgen muffen, ju bienft ütib jum SSeften." Die Vorrcbe unb 3ueigmtng be§ 93ud)brutferS
Sodann SBolf an 33ürgermeifter unb 9?atf) ju granffurtt) am SCRain oom ljien September 156U ift nur eine
(Erläuterung be» SiteB »on biefem 33ud)e, unb fagt im 2Befenttid)en baS allein au3, roaS au§ biefem fd)on
ju erfeljcn ift. ÜJhlt bei ben ^pfalmliebern ift ju bemerfen, baß ber JperauSgeber, feiner 33erftd)erung jufolge,
ba§ Ungebräuchliche, ober „nid)t fonberlid)e" au3 anbern ©efangbüd)ern binroeggetban, unb ,,ba man
einen ganjen ^faltet gefang j>roei§ fyaben roo II X," anbere feine ^»falmen aue> ben ©efangbüd);
lein, fo ber roürbige unb rool)lgelebrte £err 3ol)anne3 SJlagbeburgicuS ju Hamburg gcmad)t, baju gefegt
f)abe; ein 3ufa£, ber fretlid) für bie Vergrößerung be3 ?Kelobieenreid)tl)ums> nid)t auSgtebig fenn tonnte,
rocil bie $}falmlieber biefeS getftlicfyen Did)ter3 inSgefammt nad) ben Sttelobiecn gefungen werben fonnen,
roelcbe auf baö ton if)m burd)l)in angeroenbete, fel)r gangbare fiebenjeilige Sföaaß paffen, in beffen elftem,
oierjeitigen ©efätj jweimal)t eine ftebenfrjtbige iambifd)e 3eile einer ad)tfnlbigen folgt, in feinem ^weiten,
breijeiligen bagegen jmei ad)tfr>lbige Beilen biefer 7£rt einer ftebenfnlbigen t?orangel)en. Deshalb ift aud) bie,
fonft beträd)tlid)e 3af)l ber ©ingroetfen, um mefyr aB ein Drittel geringer gegen bie ber Sieben biefer ftnb im
©anjen 375, jener 200. 3n fed)§ #bfd)nitte ift ber 3nl)alt jufammengefaßt. Suerft ftetjen bie geftlieber,
nad) SDrbnung be§ .Äircfyenjafyreä , 114 im ©anjen, mit 79 ©ingroeifen; fobann bie Äated)i§mus>lieber,
30 an ber ßabl mit 22 9Jielobicen. Der jal)lrcid)fte 2lbfd)nitt ift ber bie ^)falmlieber befaffenbe, britte;
er giebt, rote ba§ Vorroort »erbeißt, einen ganjen $Pf alter, gefang$wei§, manchen ^Pfalm in
boppelter Bearbeitung: im ©anjen 171 Sieber biefer %tt, oon beuen jebod) faft nur ein Drittel, 58, mit
eigenen SJielobiecn üerfcfjen ift. Die bret legten 2lbfd)nitte geben juerft Sefyrlieber, 24, mit 17 SSBeifen;
ßobgefange fobann, 8, mit 6 SJielobieen ; enblid) SS etgefdnge, 28, mit 18 ©ingroeifen. Begräbnis
lieber fehlen ganj, roenn mir nid)t ba3 £icb: ,,9)titten roir im £eben ftnb" bafyin rechnen roollen. Da?
S3ud) ift auf fd)bnem ftarfen Rapier, mit großer ©cfyrift, unb fd)arfen, fetten, aud) in jiemlicfyer @ntfer=
nung nod) erfennbaren £on$etd)en gebrudt: £aupt = unb Unterabteilungen, jumabj ber geftlieber, ftnb
mit jierlid)cn 2(nfang3bud)ftaben, unb bezüglichen £otjfd)nittcn gefebmüdt, bie in einigen *Prad)teremptaren
mit leud)tenben fiaxben, beren 2id)ter mit ©olb gef)bl)t finb, ftd) au3gemal)lt ft'nben. @ö mar bie 2lbftd)t,
ein allgemeine^ ßieber = unb ©ingebud) für bie etiangetifcfye Äird)e ju geben , unb e§ in mürbigfter 3£u§=
ftattung erfdjeinen ju laffen. Dennod) fanb ftd) l)ier SCRand)e§ jufammengerafft , ba§ bie>t)er eine allge=
meine fird)lid)e ©ültigfeit nod) nid)t erlangt f>atte, unb man oermißte bagegen 9Rand)e§, bem man eine
©teile geroünfd)t f)ätte. Daburd) aller 2Bal)rfd)einlid)feit nad), rourbe bie ^eraulgabe be§ nunmehr ju
befpred)enben, ebenfalls ju granffurtl) am Wlain erfd)ienenen ©efang= unb SDtelobieenbud)eS veranlaßt,
obgleid) in beffen SSorrebe biefe§ früheren nid)t au^brüdlid) gebad)t rotrb. ©d)on ber Sitel btefeS neuen
läßt bie nab,e S3ejiel)ung aufjeneS ältere nid)t oerfennen. @r lautet: Ätrd)engefäng, ©o bei ber prebigt
be§ ©örtlichen 2Bort§ , mtb außfpenbung be§ ©acramentä in ben Äird)en "Jlugfpurgifd)er Gonfeffton
gebraucht werben, 2tuß bem 2Bittenbergifd)en, t»nb anbern ben beften ©efangbüd)ern gefammelt, in eine xid)-
tige gute .Crbnung gebracht, tmb jum fleißigften corrigiret mtb gebeffert, burd) ben moljlgelaljrten ^>errn 931.
(Sud)arium 3inf eifen, $Pfarrl)errn ju ßangen. gürnemlid) ben Äird)en = unb ©d)ulbienem, fo ftd) mit
ibren ^ird)en jur gemelten ßohfeffion befennen, tmb bei benfelben »orft'ngen muffen, ju bienft onb jum beften.
©ebrudt ju granffurt am STtapn, 3n Verlegung ©igmunb geperabenb MDLXXXHII. a584.)
41*
324
©08 S3ud) ifi jugeeignet „ben ©eftrengen, ©blen, ©mocften, &od)* unb rootjtgetaf>rten auch ei)x\a-
men unb fürftchtigen #errn Slathmännern ber jtattferlichen fyofylbbtifym unb weitberhümbten Stabt
93rej?law :c. meinen grofsgünfh'gcn unb vielgeliebten £errn »nb görbcrern" burd) ben SSerleger Sigmunb
generabenb, 33ürger unb S3ud)hänbler ju granffurt am SERarm. @3 fei) bieS gefd)el)en, fagt berfelbe am
Schluffe feiner Siorrebe , wegen ber 33erbicnfte jener Stabt um görberung be3 reinen ©laubenS 2lug3=
burgifeber ßonfeffion, wooon bie bort wol)lbeftellten Äircl)cn unb Schulen, beren feine, lbblid)e, dt>rtfl=
liehe £}rbnung, bie rechte ginigfeit ber Selker, bie ftattltche, herrliche Unterhaltung ber .Kirchen = unb
Sc^ufbienet öielfältig unb genugfam jeuge; ju 33ejeugung einer herzlichen greube barüber, unb 2lufftellung
eineS löblichen 33eifpteB ber Nachahmung. 2lud) wolle er, ber SSerleger, baburd) ftd) bantbar bezeugen,
weil er, um 1583 feiner ©cfd)afte roegen in SSreeilau anroefenb, oon »ielen fürnehmen unb anfetmlicfyen
£errn ©unfi unb greunblichfcit empfangen, jumafyl t»on Sacob 9v6tinger, Sacob 9Konau, 9Jlcld)ior Setljo
unb 2Tnbein. 21B Quellen ber (Sammlung werben namentlich bezeichnet : ba§ ©cfangbüd)lein £>. SutherS,
fo nod) bei feinem Sieben aufjgangen, — alfo wahrfd)cinlid) bas> 33apftfd)e, aB ba§ lefjte burd) ihn über=
fetjene ; — ba3 anbere, fo Ttnno 1562 ju Wittenberg gebrueft, unb »on bem £errn ^)aulo ©bero (auch feel.
©cbächtnifj) uberfehen unb gemehret roorben : bei ben $>falmen ber ^Pfalter be3 33urff)arb SBalbB (aB ju
großem Steile fchon juüor in ber Kirche braud)ltd)); bie Steber Nicolai $ermann6, aiB gleichem ©runbe,
unb roeil er ft'e mit anberer gottfeeliger, gelehrter Seute ^)ulfe, unb nicht allein gemad)t; bie bes> Johannes
SftagbeburgioB, ba er bie SBorte ber teutfd)en S3ibel mit allem gleifi behalten, unb nicht weit vom Sert
abgangen, ßnblid) roirb auch nod) ke3 neuen 83üd)leüB gebadet, ba§ ßubroig, £erjog ju SBürtemberg burd)
feine Theologen habe jufammentragen , unb mit feiner eigenen SSorrcbe ju Bübingen 1583 bruden laffen.
£ier ift nun allerbingä r>on biefen 33üd)ern mehr aB Quellen für bie Sieber felbft, aB für ihre SOJelobteen
bie $ebe; fte roaren 3?id)tfchnur für ba§ ,,corrigiren unb beffern" berfelben, mit roelchen beiben Sßorten
feineSwegS nur Saffelbe in weitfehwetftger SBieberholung gefagt roerben foll. 6§ roar bie ^bftcht, theiB
bie Äcrnlicber, namentlid) bie lutherifchen, in urfprünglid)er ©efklt herjuftellen , SSerunftaltungen ju üb
gen; in biefem Sinne bie entjMlt fortgepflanzten ju corrigiren; anberen bagegen ba§ bem frommen
Sinne ^nftöjjige, ober auch nur nicht '2lnmutf)enbe ju nehmen, baö minber S3erjtänbltche, halb 2uB=
gebrüdte, flarer, einbringlid)er ju machen, fte baburch ju beffern. £atte ^od) auc^ be' ben ®t"9;
weifen , bem S3ebürfniffe ber äSolfömdfHgfeit jufolge, roie bem ©ebote ber £ird)lid)fcit, eine Umgejtal=
tung, eine Jßefferung , eintreten müffen! '^luch hatte ba§ Seffern an ben Stetem felbft fd}on mit ben
erflen Anfängen be§ neuen ÄirchengefangeS begonnen. @ö rourbe juerfi an Siebern ber alten Äird)e
geübt, beren Inhalt, bei Spielern, ba§ eine blcibcnbc S3cbeutung hatte, bod) an Manchem baneben litt,
baS bem er»angelifd)en Sinne roiberfhebte ; roie nun allgemad) au6 ber neuen Äird)e felbft ein urfprünglid)
ihr angehörenber heiliger ©efang errouchö, roenbete e§ ftch auch an biefen , um ihn erfi recht ju einem
©emeinguteju geftalten, ihm jebengledcn, jttmahl jebe jibrenbeSkfonberhcit abjuftrcifen, bie etroa aB eine
'2(broetchung gelten tonnte oon bem gemeinfamen ©laubensSbef'enntniffe ; baoon hatten bie 3roeibrüder unb
2ßurtemberger Äirchengefangbücher bamaB ein neuefteS S3cifpiet gegeben. 2(uö bem Fortgänge ber S5or=
rebe unfereö granffurther ©efangbud)e§ fehen wir aber, bajj bamaB auch gegen bie SSRelobepen S3ebenfen
erhoben würben, bie, wenn freilich bamaB noch nicht, bod) fpdter, $u angeblichen SBcffeumgen führten,
burd) bie enblid) alle SUJannichfaltigfett beö eüangelifchen Äird)cngefangeä auf gleiche %vt ju ©runbe
geben mujjte, wie fpäterhin burd) SÖUfeln an ben Siebern felbft oft ber ganje Äern berfelben jerftort würbe.
325
,,£>ie 9Jielobepen betreffend , " beißt e3 in jenem Vorworte, „baj? »« batwn auep berichten, laffenS
ihnen etliche fcf>r mißfallen, bafj biefelben etwa frewbtg; unb were jwar ju wünbfcpen, nad)bem e3
in ber &ird)en, »nb bep bem ©otteSbienjt, orbenttid), ernfiltd), anbäd)tig, vnb niept leichtfertig jugepen
foll, ba§ etliche ?9ielobepen, wepl bie ©efeng an ihnen felbfi repn unb gut, anberS weren bann ft'e
ft'nb. Aber umb ber 9coten willen, laffen wir Pn3 bebünfen, f;abe man, waS fonften gut, angenom^
men »nb brdud)lid), niept wcgjuweiffen ; <5£ ift bod) niemanb gezwungen, biefeS ober ein anber Sieb
ju fingen, viel weniger ift man an bie SDielobepen gebimben. 2Bir backten , e3 mod)t' ein SSorfänger
nach feiner anbacpt, pnb willrubrltcpem gefallen, onb nad) gelegenpept, wo bie gefegte SEftelobepen ber
Autorum jm onb feiner £ird)en niept anmutig, anbere weilen pnb nemen, wie benn auch, ber feiige
Wann ©otteS, SutberuS, in feinem ©efangbüd)lein, von ben ©rabliebern faft ber Sftepnung mit »ns
ift. 3n Saronia, »nb an anbern etlichen orten, ba3 mir rühmen muffen, tompt bas> junge polcf auff
bie geiertagenacpmittage, ba man fonften in bicfen Sanben allerlei) Spiel, Seichtfertigfept pn tän£ ge=
ftattet, in bie jUrcben, onb fingen bie Dorfanger, ef>e bie Scpulmeifter mit ben jpren, pnb ba§ anbere
gemepne SSolcf jufammenf ommen , bem jungen SSolcf nad) ©elegenbept eine tjalbe Stunb, langer ober
fürfjer, etliche ©ciftlicbe Sieber für, bamit eä biefelbige lepmen pnb bcgrepffen, pnb pernacper bapepmen,
in ben Jpaufern ober auff bem gelbe, bei) jf>rer Arbept, anftatt ber fd)n5ben, leichtfertigen pnb ärger=
lieben S5uU onb SBubenlieber naepfmgen möge. Sa man nun, berfelbigen ©rempel nad), e3 enblicp
einmapl anfaben wollte, wie man warlid) fcpulbig, pnb beffer nid)t tbun tonnte, fo achten wir, man
möcpt' bie gcpfilidien ©efang' pn Sieber mit ben freubigen SOtelobepen bapin galten pnb fparen, ba man
jn biefelbigen SDielobepen juenben (anjuwenben) epn 33ebenfen3 traben wollte, wepl wir fepen, ba§ auch
bep ber rechten, alten pnb repnen Äircpen, bie SDcelobepen ber Äinberlieber frölicher unb freubiger, bann
anberer, gewefen." @3 ijt bie (Stimme eine3 gefunben frommen Sinnes, welche fid? f)ter gegen baö
Schelten weniger, einzelner (Sifcrnben erbebt, inbem ft'e biefelben an 2utpers> SSort erinnert, bap eine
jebe jUrcpe tf>re Noten nach, ihrem SSucb unb S3raucp JU balten babc, unb bafi e3 nid)t bie Meinung
fep, bie gegebenen SOielobepen müpten fo eben in allen .Streben gefungen werben. SSorforglid) war
beSpalb auep mandie Stngweife mit örtlichen Abweichungen gegeben. Mein wenn man einmapl ein
allgemeines (SpriftticpeS ©efangbuep ju geben trachtete, wie benn gegen ba§ dnbe be§ 16ten 3öprpunbert§
ein folcpeS Streben fyerDortrat, fo patte man niept allein ba$ 6rtlid)^>erfbmmlicbe allein, man batte auep ben
naep Sitten unb SSerpältniffen, wie nad) urfprünglid)er geiftiger Sticptung nerfepieben entwicfelten fird)=
liepen Sinn ju beaepten, ber l)iex ftrenger unb l)erber, bort milber unb frcunblicper l)eroortrat, fyier ba§=
jenige perwarf, wa§ man bort mit g^rtb-m in ben Ärei§ ber gemeinfamen Srbauung b,tneinjog. ©n
oermittelnbeä 2Bort, ba§ einiget meljr für pduälicpe *2inbad)t, unb fromme peilfame ©rgb^ung bei
ben manniepfaepen iJJcü^en be§ Sebent geeignet erflärt, unb e§ baf)in Perweift, wenn man einmab.1,
wie man niept foüte, eö ber Äircpe für mipjiemenb annepme, fuept f)ier bie Stelle ju rechtfertigen, bie
in bem geijilicpen Singebudje bem einen neben bem anbern gegönnt fep; ein permittelnbeS Umgeftalten
bat im Allgemeinen i>itt nod) ntd)t begonnen. £>iefe§ unterfepeiben wir auf ba§ S5ejtimmtefte »on jenem
anberen Um bi Iben, burd) baä wirflid) eine neue Scpbpfung hervorging, bie baö Äird)lid)e bem SSolfö=
mäßigen oerfchmolj, einem inneren, allgemeinen Crange folgenb, nid)t aber bapin trachtete, »erfchiebenen
2£nftd)ten burd) Ausfd)eiben unb Abflachen gerecht ju werben, gür biefe§ war bie 3cit noch nid)t ge=
f ommen, e3 beutete fid) nur au§ ber gerne erft an.
326
2Bie bas funfjebn Sabje früher erfchienene, juoor befvrocbene ©efangbucb, ift ba§ 3inf=
eifenfdje, ba§ ihm auch in ber äufjeren Ausartung jumeijt übereinfommt, in fecb§ Abfcbnitte
getbeilt. £>en erften bilben bie ©efänge für bie heiligen Seiten unb gejle be§ £trcbenjabre§ , wie
fort; e§ ftnb jebocb ber Sieber hier nur 93, ber 9)Jelobieen nur 65, von jenen olfo 21, von biefen
14 weniger als in jener alteren ©ammluttg. ßwar fcat bie 3infeifenfd)e jtuei Sieber, eines von ber
Auferftebung, ba£ anbere von ber Himmelfahrt beö Jperrn, mit ihren ©ingweifen aufgenommen, welche in
jener nid)t enthalten waren: „3e|u§ GtyrifhiS unfer£err unb £eilanb, " unb „AB vierzig Sag' nach, Dfiern
warn;" bagegen ft'nbcn wir 12 geftliebcr be§ SBrübergefangbucbeS, jwei von SEfwrnaS unb eben fo viel
von AmbroftuS SMaurer, fo wie anbere anberer Siebter nebft ihren ©ingroeifen, nicht wieber, waf>r=
fcbeinlicb weil fie in ber Ätrcbc nid)t beimifd) geworben waren. <5ine gleiche Serminberung, t)ter aber nur
um jwei Sieber unb eben fo viel SJMobieen, jeigt ber jweite Abfchnitt, bie Äated)i§mu§gefdnge; eö ftnb
von jenen hier nur 28, von biefen 20 vorbanben, weit ba§ Sieb: „Ach Skter unfer ber bu bift," von So=
bann 3wicf , unb ein jweiteö: „Saft un£ febreien alle gleich." auö bem SSrübcrgefangbucbc nebft ihren
©ingweifen auögefd)ieben ftnb. 3n ben übrigen Abfcbnitten aber jeigt 3infeifcn§ ©efangbucb, überall eine
Bereicherung; wenn auch ber 3«bl nach nicht eine febr beträchtliche, boeb jufolge be§ Snbaltee» unb ber
größeren SDiannicbfaltigfcit ber gorm be§ Aufgenommenen, ©o ftnb ber $)falmlieber — im 3ten Abfcbnitte
— bie einen votlftänbigcit $>faltcr geben, hier 174 mit 61 9J£elobieen, bort waren jener nur 171, biefer
nur 58. @» ftnb nämlich 12 spfalmlieber mit 5 9Jielobieen au§gefd)ieben, unb bagegen 15 anbere mit 8
9Jielobicen neu binjugef ommen ; ftatt Sieber biefer Art von SBolfgang 50Zofel, Sfubolf SÖJalter, Stomas
S5laurer, unb Sohann V011 9Hagbeburg, ftnb beren von ©tiefet, SBolfgang AmmoniuS, ©eorg Ämiliue>
jumabl aber von33urcarb2Balbi3 aufgenommen, unb eine grbfjcre Abwechslung an biebterifeben unb metobü
feben formen ift bamit gewonnen. Der Sehrlieber ftnb ferner ftatt 24 mit 17 SERelobiccn, nun 29 mit beren
20; ber Soblieber 9, mit 7 ©ingweifen, ftatt 8 mit beren 65 ber SSetgefdnge 30 mit 18 5Diclobieen,
ftatt 28 mit eben fo vielen. SSet allen biefen Abfd?nitten ftnb mehr ober weniger Sieber be3 älteren ©efang^
buebeö befeitigt, unb neue binjugetban : bafj unter biefen Sieber, wie: Äommt ber ju mir fvriebt ©otteS
©obn; Jperr ßbnft ber einig' ©ott'ö ©obn; 2Beltlicb @br' unb seitlich ©ut; Ach ©Ott rhu bieb erbar=
men k. befinblid) ftnb, bie jum Äbetl noch ben dlteften Betten ber Äircbenverbefferung angeboren, unb
burd)3nf)alt roieSO^etobte ftcb gleich auszeichnen, wirb man unbebingt alS eine Sßerbefferung betrachten bürfen.
3tnfetfen§ ©efangbuch ift hienacb, wenn aud) nicht baS umfaffenbfte, bod) baS reicbbaltigfie aller
sJKelobieenbücher beä 16ten SahrhunbertS ; baeijenige, auö bem wir am ft'cherften erfeben tonnen, wa§ an
Siebern unb ©ingweifen gegen bas> @nbe biefcS 3eitraum§ in ber evangelifchen .Kirche (Singang gefunben,
unb eine ©tdtte in berfelben behalten hatte, ginben wir manche bamalä fd)on crfd)ienene ©ammlung geift=
licher Sieber unb ihrer ©ingweifen — wie etwa bie fvätcr ju befvred)cnbcn Subwig§ J^elmbolb unb
3oad)im5 von SSurgE — hier nicht benu^t, fo ift bie Urfacbc bavon, bafj ihr ^nbalt um jene 3eit noch nicht
firchlich geroorben war, namentlich nid)t im ©üben ScutfchlanbS. 9Rtt bem 15 3al)re juvor herauögege^
benen Sieberbuche gleicher Art tbeilt eö aber ben SBorjug, Sieber unb 9Kelobieen }U geben, bie wir fonft in
wenigen Sammlungen finben. ©0 jeneö Sieb auf baS SKognificat ,,9Jcein' ©eef erhebt ju biefer grift"*)
mit einer febbnen mixolpbifchen Sßeife 5 fo ein anbereä über biefen Sobgefang, von Gfradtratä Alber, einen
■) ©. Seifpiet 9lro. 95 bie «Wclobic biefe« Cicbcfi in SOi. ^ratotiu« oicrjtimmigcm Äonfafec.
327 — -
feiner beften geiftlidien ©efänge, unb auszeichnet burcb eine liebliche iontfdje SÜielobie, bte man bei
M. ^taiomtä oierftimmig finbet, bocb auf bas1 £ieb
,,9Jiein' ©eel", o ©ort, mup loben btcb"
angewenbet, »on beffen cierjeiligen ©trophen babei je jwei unb jroei jufammengejogen werben, um bie
achtteilige tiefer ^lelobie unb ibreö hier in feiner erften ©tropfe folgenben 2iebe§ ju bilben :
Wein lieber 4?err, ich preife btcb *),
2>on ganjem Jperjen freu ich mich,
Safj td), bein' arme Wienerin,
Mit ©naben angefeben bin !
2CU' ©orte» ilinber werben micb,
25ep feelig fprecben ewiglich,
SM baft mich burd) bein' grofje Stacht
3u foldben hoben (Ihren bracht ic.
ä>ergletd)en mir bie -Dftelobie biefeS SiebeS, mie unfer ©efangbuch fte giebt, mit ber oon $Prätoriu3
»ierfiimmig gefegten, fo mod)te einer jener wenigen gdlle £>ier uorbanben fcbemen, mo auch ber©efang
eine wmittelnbe Umgeftaltung erfuhr. Sie SOtelobte unferes SBucbeS enthält ben wefentlicben ©ang, alle
©runbjüge ber oon ^rätoriue bebanbelten 5 aber ber rb^tbmifche 2Becbfel, ber biefe fcbmüdt, bie ÜJieliSmen,
welche fie gieren, eben ba» greubtge, mangelt, unb mürbe oielleicht barum bem ©efange abgeftreift, meil
bie SJtelobte eine noch, neue, weniger allgemein uerbreitete mar**). 5lllein e§ ift fcbonenb, üielleicbt an biefer
einen Stelle ausfcbliepenb gefcfaehen.
2Ba3 über 3mfeifen$ treflicbe» SJZelobieenbucb fonft noch ju fagen fepn möchte, fparen mir
auf bis" ju einem oergleidbenben ©djlufjworte über bie f>ier befprochenen michtigften be§ 16ten 3abr=
bunberts im Allgemeinen. SSir menben uns gegenmärtig ju ben wenigen Suchern biefer 2£rt aus" bem
Horben £eutfcblanb3, beren eigene Tlnfcbauung bem SSerfaffer biefer S5ldtter gewährt war.
3m Storbweften Seutfchlanb» begegnet uns? f>ter jundebft eine £ieber= unb 5ERelobieenfammlung,
bie nicht, wie bte »on uns? eben betrachteten, ein allgemeines" geiftlicbeä ©ingebuch ju geben beabfiebtigt,
fonbern einem örtlich; en S5ebürfniffe entgegenjufommen trachtet, ©ie erfchien ju Hamburg bei Sacob
SBolf im 3«hre 1588, herausgegeben t>on granj @ler au£ Ülfeen***). 3unädbft bietet fte lateinifefae heilige
') @. SBetfptet 9Jto. 93.
***) Cantica sacra, partim ex sacris literis desnmpta, partim ab ortbodoxis patribus et piis eeclesiae docto-
ribus composita, et in usum eeclesiae et juventutis scholasticae Hamburgerisis collecta, atque ad daodecim modo.«
ex doctrioa Giareaai aecomodata et edita a Francisco Elero Ulysseo. Accesserunt in fine Psalmi Lutberi et
328
©efänge, tfyctlS au§ ber ©chrift unmittelbar entnommen, tr)etl§ »on rechtgläubigen SSatern unb frommen
Sturmi ber Äircbe gebtcbtete; bann aud) bcutfcbe geiftlid)e ßiebcrSutbers» unb anberer frommen Siebter feiner
ocir ; bn&eS $um ©ebrauche bei Äirche unb ber ©djuljugenb #amburg§. 2Ba3 aber biefem 33ud)e einen
befonberen SBcrtb. giebt, ift bie 33ejeid)nung ber f trd>itd>en Sonart eines jeben ©efanges» nad) ber Setjre
©lareanS t>on ben jvoblf Zonen. Qctyalb lobt auch Sa»ib ßf)»;trau§ in einem bem 33ud)c worgebrueften
©enbfdbjreiben beffen Herausgeber. (53 lautet vom 2ten Suli 1588, welchen Sag @hv>tväu§ folgenber=
maafjen bezeichnet: ,,%m Sage ber 3ufammcnfunft ber heiligen grauen ßlifabetr; unb SJiaria, welche ba
war bie erfte ©pnobe be3 neuen 33unbeS, beren S3efd)luf? »on bem bereits gemährten unb empfangenen
SOiefftaö SJIaria, in einen gobgefang eingefd)loffen, üerfünbigte im ^axjxe ber SBelt 3962." 2Bol)l mochte
tiefer Sag, an wcld)cm einft baS erfte cbrtjtliche ßoblieb, bie 33lütl)e einer gläubigen, reinen bemütbigen
©eele ertönte, ihm ein bcfonberS geeigneter fcheinen, üon heiligen ©efängen an il)m ju reben, ju fchreiben,
unb bte§ freubig ju befennen, tyat ex e§ aud) in erwae> pomphafter "Kxt nad) ©itte feiner Seit getl)an. (§in=
fad)er lauten feine Söorte an granj ßler. „Sieb mar eS mir (fagt er), au3 Seinem ©riefe an mich ju »er;
nehmen, baf Su bie 2lbftd)t l)abefl, in Seinem 33ud)e bie ©efänge nad) ben jmolf Sonarten ju unter=
fdjeiben, wcld)c ben »crfd)iebenen ^rten ber £>ctat>e jufolge ba§ 2£ltertf>um annahm, unb fte mit ben tarnen
frer S3ölfcr bejeid)netc, benen fte gemein maren ; bafj Su aud) bei jebem ©efange furj anbeuten wolleft,
welcher »on biefen Sonarten er angehöre. Siefer Sein funbiger gleiß ift mir unb 2lnbern, nicht ganj ber
Sonfunft gremben, um fo willkommener unb erfreulicher, al$ ich, felber t>ormals> grofie 9Rüf)e gehabt habe,
t>ie geiftlid)en ©efänge biefen ihren jwölf Sönen jujutheilen, unb babei fel)e, tote bie gewöhnlichen ©chrift
fjeller über Sonfunfl, unb bie meiften ©änger, biefen tieffmnigften Sheil ber Äunft werabfäumen unb »cr=
nad)läfftgen, ber bie ©runblage ber jtenntnifi t>on ben t>erfd)iebenen Sönen unb ^armoniecn, ihren @igen=
fchaften, ihrem SBefen unb Unterfd)iebe in fid) begreift. SBelche roürbigere Aufgabe für einen Sonfünftler,
aß jene ßetjre ju betrachten con ben Sonarten, burd) welche bie ©efänge halb erregt unb fräftig, balb
feierlich unb gemeffen, trauerooll unb flagenb, ungeftüm unb Ijefttg, brol)enb unb eifemb erfcheinen, unb
von ben ©rünben, burch welche fo abweiebenber tfuSbrucf, fo verfchiebene ©igenfebaften ber ©ingwetfen
entgehen!" 23on weiteren Unterfud)ungcn hierüber ift freilid) in bem 33ud)e nicht bie 9tebe, obgleich &
bem, ber eine Neigung baju hatte, bafür al3 ©runblage bienen fonnte burd) bie beigefügten JBejcichnungen
ber Sonarten. — Ser Herausgeber begnügt ft'd) in feiner 3ufd)rift üom Cftertage 1588 an bie Hamburger
Senatoren unb ©chuloorfteher S. ßbriftopl) Älinghaufen unb Sohann ©d)ulten, unb bie Äird)entoorjtcher
S. ©imon Sf)o SBcftcn, S5artl)olb S5ufd) u. f. m., nad)bem er ba§ £ob einer guten S)rbnung unter S5eru=
fung auf göttliche unb menfehliche 3eugniffe aüägefprochen, ben 3mecf feincS 2Berfe§ bal)in ju bezeichnen,
oa§ er eine folche Srbnung ju beförbern ftrebe. @r habe, bamit fte in ©ottee» ^)aufe hevrfche, bie alten,
aliorum ejus seculi Doctorum, itidem Modis applicati. Humburgi Excudebat Jacobus Wolf Anno MDXIIC. 2>iefer
Mnbang führt ben befonberen SEitet: Psalmi Martini Lutberi et. aliorum ejus seeuli I'salmistarum, itidem Modis
applicati.
Ut quos Lutherus Psalmos, Germanicus Orpheus
Qnosquc patres alii concinuere, canas
Hos quoque Francisci solertia reddit Eleri
Ordinc digestos, applicitosque raodis.
C. S. H.
Ilamburgi per Jacobum Wolhum MDLXXXVIII.
329
in Den .Kirchen .Hamburgs gebräuchlichen geifilicbcn ©efänge fleifjig gefammelt unb gefiebtet, unb fte in
gereinigter ©eftalt herausgegeben ,um ^cufcen ber Äirchen unb Schulen, in benen nun eine gute Überciiv
ftimmung im ©efänge eingeführt roerben fbnne. ©ine Überficht, bie geier be§ werftäglichen, bes" fonn=
unb fefhägli*en ©ottesbienfteS mit S3ejug auf ben ©efang betreff enb, jeigt uns, bat? btefelbe ber in anberen
eoangelifcben Äirdn'n eingeführten im 2ßefentlichcn übereinftimmenb war.
£>ie Sammlung lateinifcher ©efänge, bie bem ©anjen ooranftebt, hat im 'Jfllgemeinen gleichen
Inhalt unb gleite Einrichtung mit ber ^falmobia bes SitcaS Soffüts, nur ift balb fte, halb jene reicher,
jene namentlich in ^jpmnen unb Sequenjen. 9cur jehn Steber in nieberbeutfeher SJiunbart finben roh-
unter biefen latetnifchen ; tbeils SOiefjgefänge, — ba$ beutfehe Sanctus : Scfatö bem Propheten bas gefdjab;
ba§ beutfehe 'tfgnus Sei : dhrifte, bu Samm ©ottes, — tbeils geftlieber : Sofepb lieber ^ofepb mein, jeneS
alte 2Biegenlieblein bes ßbriftfinbes 5 Momm ©oft (Schopfer heiliger ©eift; %l\o heilig ift ber Sag; —
allgemeine fird)licbe Sob-- unbSSefenntniplieber: jroeiSSearbcitungen bes£e£eum laubamus; — ben^falm:
Da Sftael aus 'tfgopten jog — ben Sobgefang ber heiligen Jungfrau 5 enblich bas SSufjlieb : 9timm oon uns
Sperre ©ort :c, alle oon unmittelbar fircblidw Schiebung, unb meijl Übertragungen lateinifcher ©efänge.
Die im Anhange mitgetbeilten Äircbenlieber finb, brei gereimte lateinifche aufgenommen, ebenfalls in nieber=
beutfeher SJtunbart. Sh™ 9Kelobieen finb nur einftimmig aufgezeichnet, mit alleiniger "tfuSnahme be?
^ftngftliebes für bieÄinber: Spiritus saneti graüa, roelchcs oierftimmig ift. .Reine 9Jielobie crfd)eint in bem
oerfefeten Umfange ihrer Sonart, fonbern jeberjeit in beren urfprünglichem; bie Angabe ber Sonart fehlt nur
bei jroei Siebern: jenem latetnifchen ^fmgftliebe, unb einem anbern, bem lateinifeben $rmtnus ,,Viia saneto-
rum decus angelorum" nachgebilbeten : ,,Der Jpilligen Seoenb x." rrbnen mir biefe ein an bie ©teile,
bie ihnen nach ©lers" ©runbfä^en, jufolge ihrer Tonarten, gebühren mürbe, unb nehmen babei auch 9Jü<f=
ficht auf bie in ber erften 'tfbtbeilung bes SBerfe» enthaltenen beutfeben ©efänge: fo befaßt tiefet ad)tjebn
9)ielobieen bor if eher Sonart; acht hhpoborifcher; fed)S pbrpgifcber; acht b pp op hrpgif cb er 5
brei mirolpbifcber; fteben hhpomtrolpbifcher; neun doli f d> er; acht bppoäolifcfyer; neun toni=
fcher, unb einunbjmanjig hhpoionifcber Sonart: im ©anjen 97 firchliche 9Kelobieen unb Sieber neben
ben latetnifchen ber älteren £irche. Unter ihren Tonarten aber erfepeint ein bebeutenbe» Übergewicht ber
ro eichen (57) über bie harten (40), jumahl auch, tiefer legten jroei weniger finb al3 jener erften, inbem
bie mbifche unb bppolpbifcbe Sonart gar nicht oorfommt. Über einige befonbere, hier oorfommenbe ©ing=
meifen, roerben mir bei bem 33erid)te von ben Sehern ber legten 4?ätftc be§ 16ten Sabrbunberts, auf %$er--
anlaijung be» fpäter herausgekommenen oierftimmigen Hamburger üftelobieenbuches" reben. @§ genügt hier
bie SSemerfung, baß, foroeit bie gorfchung bes SSerfafferä reicht, bie hier erfcheinenbc ^Bezeichnung ber
9Relobieen nach ihren Tonarten bie frübefte ift, bie er in einem eoangelifd)en SKelobieenbucbe angetroffen hat.
©eben mir nun über ju bem iftorboften Deutfcblanbs, unb junachft ju ber 9KarE SSranb en bürg,
fo fcheint oor bem Söhre 1552, fteben %abre nach Verausgabe beS S3apftfd)en ©efangbucbeS, unb jmblf
nach (Erfcheinen ber erften Äirchenorbnung für biefe Sanbe, ein felbftänbige§, ihnen beftimmte» 9JMobieen=
buch nicht erfchtenen ,u fetm. früher alö 1540 (ba erft im Scooember 1539 ber SanbeSherc bort ju ber
gereinigten Sebre fich bekannte;, mürben mir auch ein folchcs nicht haben ermarten bürfen; biö ju bem
©rfcheinen beS nun ju befchreibenben SBuches mag man ber SSittenberger geijtlid)en Sieberfammlungen
fid) bebient haben. ©5 erfchien jenes S3udi, mie bemerft, im 3ahre 1552 ju Jranffurth an ber £ ber bei
Sobann ©ichborn unb führt ben Sitel: ,,©eiftlid)e Sieber D. sDiart(in) Sut(herö) onb anberer fronten Qlyri-
b. SBinterfelc, tcr tvangel. E^OTOlgcfaag. 42
330
ften, nach orcmung ber Sarjeit New jugerid)t." Sie 2lttjaf)l bei: bann enthaltenen Sieb er Ijabe ict) mu
nicbt angemerft, wol)l aber bie ber Sing weifen : e£ ftnb beren 57, üon bcnen 23 geftliebern angehören,
unb jel)n ^falmtiebem : fo baß alfo bie SRelobteen biefer 2lrt, jufammengenommen, ju ben übrigen, ber
'tfnjabl nad), ungefähr wie 4 ju 3 (genau 11 ju 8)ftd) »erhalten. @3 ift bcfrembenb, baß bem Siebe: „Grin'fejte
SurgijtunferSott" feine Singweife nicpt beigefügt ift; eineSSeranlaffung baju tfl nid)t ju erfeben, baanbere,
»oiauöfefcüd) bomalö eben fo befannte 93ielobiccn, ihren Biebern bcnnod) betgejetdjnet ftnb. 3u bcfonberen
33emerfungen geben bie in biefem 33ud)e enthaltenen Stngweifen nid)t 2Cnlaß; boppelte für ein Sieb
enthält e§ nid)t, unb wo bergleichen oorbanben waren, tyat es> nur beren eine gewählt. So für ba3 $)falm=
lieb: „2CuS tiefer Notf) fchrei id) ju bir" beffen ältere, pbrwgtfcbe; für ba3 Soblieb: „Nun freut euch,
lieben ßbriftcngmein, " bie fpätere unter feinen beiben ionifdjen, bie in ber golgejcit gewöhnlich bem Siebe:
,,(£3 ift gewißlid) an ber Seit" angeeignet würbe. Um ba3 %a§x 1569 ftnbe id), bei bemfelben Verleger
crfdjienen, einen SBicbcrabbrucf btefcö 33ud)e3, mit 170 Siebern unb 02 9Jcelobieen, an biefen alfo nur um
fünf vermehrt, unb mit einer SSeigabc von ßollecten unb diebeten. Seltene ^bweid)imgen in ber Srbnung
ber Sieber unb 9Jlelobieen abgerechnet, jlimmen beibe 'tfbbrücfe im SBefentlichen überein. ßine ähnliche
Übereinftimmung bcrfclben finbet aber aud; ftqtt mit einem anberen 9JMobieenbud)e, ba§ unter gleichem
SEttel/ mit gleicher SSorrebe um 1571 bei Dietrich ©erlafj ju Nürnberg erfchien. S§ fehlen biefem jw..r
wer SOZelobieen, bie wir in jenen beiben ftnben, e§ bat aber beren fed)jef)n mehr ju Siebern, bie jenen man=
geln, unb fünf Umbid)tungen, tbeils? älterer geistlicher, rpetlä weltlicher Sieber, unter 3urücfweifung auf
ihre 5CRelobieen. 2Babrfd)etnlid) haben alle brei eine gemeinfd)aftlid)e £Htelle, vielleicht ein ältere§ Nürn=
berger Singebuch ; unb jene beiben norbbeurfeben wie bicfeS oberbeutfdje ©efangbud) werben ju bemfelben
ftd) etwa fo »erhalten, wie bie t>on un§ früher betrachteten nieberbeutfehen geiftlichen Sieberfammlungen ju
bem Nürnberger von 1527 unb biefe 5U bem Sßalterfdjen ©efangbud)e von 1524.
gür Bommern ftnbe ich "1* 24 ^ahre fpäter ein eigeneö SCJMobieenbucb, unb ein jweite§ biefer
%xt lO^ahre nachher; anbere au§ bem lOten^ahrhunberte außer biefen beiben ftnb mir, ungeachtet aller gor-
fchungen an £)rt unb Stelle, unb in ben nabmbafteften SBücbcrfammlungen, nicht befannt geworben. Da3
ältefte beiber erfchien ju Stettin im Sah« 1576 in plattbeutfcher Sprache unb führt ben Äitel: „'jPfalme,
©einliefe Sebe onb ©efenge, von D. SSJZartmo Suthero £>cf Velen anberen ßbnjiltcfen Seerern vnb ©obtfe=
[igen Zennern geftcllet. Wit flpte thofamenbe gelefen, borchgefeen, vnb in gube SDrbeningc gebracht. 9)Zit
einem richtigen 3?egifier ber ©efenge, bie up be Sonbagc vnbe geftbage gefungen werben, SSnb mit ben
(Svangclten vnb geften averein famen. £)rbeninge ber ©efenge in beffem S5ofe oinbefttt na ben SSörreben.
©ebrueft tho «jlben Stettin boreb tfnbream Äellner. MDLXXVI." 2)oS S3üd)lein beginnt mit Sutherö
SBorrebe ju bem 5Balterfd)en ©efangbuche (r>on 1524), ber alSbann bie ju bem S5apjtfd)en (1545) folgt,
beibe in ptattbeutfeher Sprache. Die leiste ift jebod) nicht »oüftänbig abgebrtteft; e§ fehlen tyt bie beiben
_ lefeten ÄbfÄ%e, in benen Sutljer r»on bem Siebe „Nun laßt unä ben Scib begraben" unb „Tfoß tiefer Notl)
fchrei id) ju bir" rebet, unb ft'e cnbet mit bem bureb TLmm befräftigten 2Bunfd)c beö aiorrebnerä, baß ©Ott
burd) be§ SSaltin JßapftS luftigen £)rucf bem rbmifchen S5apft »iel Abbruch möge gefchehen laffen. Über
bie '2lnjaf)l ber Sieber habe id) bei SSenufjimg biefe§ S5uche§ mir feine SSemerfung gemacht ; fte übertrifft
jebod), bei beffen beträchtlichem Umfange »on 454 SBlättem (908 Seiten), of;ne 3weifel nod) bie beS fonfl
inhaltrcid)ften granffurther ©efangbucbeö »om 3a()re 1569, unb bürfte leid)t über 400 hinauägehen. Die
Sieber ftnb in fünf Steile jufammengefiellt. Der erjte befaßt: „Die oornemefte ^falme Daüibä fampt
331
öen ©efengen in 9Jioft unb ben Propheten." £tefe legten, fo roie bie ihnen folgenbe beutfdic SieSper unb
Letten, ftnb ohne SKelobieen; bei ben spfalmlicbern bagegcn ftnben ftd) beren 18 beigejetdinet; unter
ihnen elf, bie SJlebjjahl, auS SBurcarb SBalbiS ^Pfalmbud)e, ihren von boviner entlehnten, nur in platte
beutfdje SDiunbart gebrachten Siebern. 25er jroeite ift überfd)rieben : „2)at anber £)eel beffeS ©efancfbofeS
£efft in fief be (Sbfj fiücfe beS @ated)ifmi, com £. SDlartino Sutrjero tmb anberen ©efangeS n?t)fe foroatet,
fampt bem borgen unb Aocnbt Segen, 33enebicite »nb ©rariaS." 9lur jroei beutfehe Sieber:
So roafjr id) leb, fpricht ©Ott ber <§>crr,
2>S SünberS SEob id) nid)t begehr u.
unb SBolfgang ßapifo"S 9KorgenIieb :
Sie 9cad)t ijt hin,
fmb hier mit üDcelobieen uerfehen, baS letzte mit ber bcS latemifdjen £r;mnuS : Jam lucis orto sydere ; bie
übrigen brei Singroeifen — eS (t'nb tl;rer im ©anjen fünf — befielen auS einem Amen auf baS Sater
unfer, unb ben Sttetobieen beS: 0 sacrum convivhim unb Discubuit Jesus, ftnb alfo nid)t eigentlich. lieb-
hafte. „2>at brübbe Deel beffeS ©efancfbofeS — heißt eS bann metter — 2Belc?eS in fiel ijblbt ß&rtfWcfe
.^pmnoS vmb ©efenge up be »ornemften geftbage unb etlicfe fonbere h)be im Sare." — 25er 3ftelobieen
ftnb hier bei SBeitem bie gröfkfte Anja!)!, 33 im ©anjen. 3u ben geftliebern werben hier auch gmei (Spott*
lieber auf ben ^Papft gerechnet, t»on benen bahingeftellt bleiben mag, ob jemals ein fird)lid)er ©ebraud)
baxron gemacht ift, unb beren 93lelobieen, unjroeifelf)aft üolfSmafjigen UrfprungeS, ftd) beigejetchnet ftnben.
2>aS erffe ift eine Umbid)tung bcS alten Siebes com Austreiben beS SobeS, bie hier ju Unrecht mit SutherS
Stamm bezeichnet ift:
„9cu brroe rot) ben ??at>cft berutb, k."
Seine jroeite Strophe vornehmlich bejeidjnet eigentümlich ben herben ©ctfi beS ©egenfafjeS, ber, roie über*
haupt in bem fräftigen pommerfchen Siolfe in jenen aufgeregten Seiten, fo inSbefonbere gegen bie alte
?>riefterf)errfd)aft ttorroaltete :
Srull bp heruth, bu oorbambe Son
2)u robe S5rut t>on 58abilon,
25u bifi be ©ruroel onb Anticbrijt
S3ull Sogen, morb m arge Sift u. f. tt>.
Stttfianben ift jroar baS Sieb nicht tri jenen ©egenben, allein feine Aufnahme in eine fird)lid)e Sammlung
roerben mir biefem ©eifte immer jufebreiben müffen, ba eS bis bahin in feiner anbern angetroffen wirb.
DaS jroeite tiefer Spottlieber ift eine ^arobie beS SiebeS : <
25er Äucfucf hat ftd) ju tobe gefall"n tc.
in
2)cr ^aoeft beft ftcf tbo bobt gefaUn,
rote roir berfelben fd)on in 83eSpaftuS Umbidbtungen begegneten.
Außer ben 9JMobieen tiefer beiben Steber, bie ich hier jum erften SD^able antraf, habe id) in bie*
fem Abfcfmitte feine befonberS bemerfenSroerthen gefunben. S3ei SutberS Siebe : „Sefaia bem Propheten
baSgefcbab," bem beutfeben «SanctuS, baS hier aud) unter ben gotteSbienfilid)en Siebern ftebt, roirb auS*
brücf lieb t>orgefd)rieben : bie ©emeine foüe baS £eilig breimahl, tangfam, mit Anbaut unb großer @hrer*
42*
332
btetung fingen; in ©fäbten, wo Änaben fei)en, möge eS von biefen, uor bem Altare fnieenb, gefunden
»erben, unb bie ©cmeine ihnen antworten. 9cad) bem britten Stahle befd)liefje berßfjor mit ben 2Borten :
©ein' El)r bie gange SOßelt erfüllet l)at k.
©iefe S3cmerhmg, als einen 5£f>etl ber ouferen Einrichtung bc6 ©otteSbicnfteS betreffend unb namentlich
bcS ©efangeS, burftc hier nicbt übergangen werben.
©er vierte, öorleejte Zty'ü bicfcS ©efangbucbeS führt bie Überfcbrift: „£>at Beerbe Deel beffeS
33ofeS, in welcferem tl)ofamen gebracht fmi ßl)vtfrlt<fe fyne gefenge »on ben übrnemjten Artikeln unfer (5(;rtft=
liefen Scer." 3weiunbjwanjig ©tngweifen finben wir hier, unter il)nen feine fonft unbefannte, wenn aud)
meift nur minber gembt)nlid)e. Der leiste £l)eil enblid) fünbigt feinen 3nl)alt uollftänbtg an, , als ein ganjeS
früheres ©ingbud) Butlers in fid) begreifenb, beffen SSorrebc, nur inS spiattbeutfche gebracht, f;ier aud)
wieberum abgebrueft ift. „3m hofften onb leften beele r)§ gefettet — i)ei$t eS i)iet ■ — £>. Söcartini ßutberi
SBbfclin, bat infonbcrl)eit Anno XLII f)cft laten t>tf)gan, mit beffem Titel : ßbrifilicfe ©efenge, latinifd)
onb bübefd), ti&om SBegreffmS k." Außer ben aud) in 33apftS ©efangbud)e aufgenommenen lateinifd)en
Biebern biefer Art, finbet fiel) l)ier aud) $tobS Siebe: „Spähen wir baS ©ute empfangen," lateinifd) unb
beutfd), jebcSmal)l mit einer befonbern9)ielobte ; baS Media vita in morte sumus;" ber©pruch ,,In pace
simul dormiam et mjuicscam," ber ben 4ten $)falm befchliefit; enblid) SfacolauS Hermanns £ieb mit
feiner ©ingweife: ,,©ant ^auluS bie Gorintf)ter" nad) 1 Gor. 15, »on Aufcrjtebung ber Tobten.
33ei feinem beträd)tlid)en Umfange ijl biefeS ©efangbud) an ©ingroeifen nur arm ; eS ft'nb beren
im ©angen nid)t mehr als 85, oon benen bie 2DM)rgal)l, 51, §ejl= unb ^falmliebem angeboren. Auf
AuSbilbung unb 9Kannid)faltigfeit beS ©efangeS fd)eint man an ber bftlidjen 9lovbgrenje £)eutfd)lanbS
bamalS nid)t große ©orgfalt werwenbet ju haben. Auch bebanbett bie SSorrebc biefen ©egenfranb nur oben=
bin. SBcgcn ber ftebenjeiligen 2ieber üerweift fte auf bie SSeife beS ßiebeS : „SRun freut eud) lieben Gf)ri=
jtengmein" unb nod) fünf anbere gleichen SSKaafieS ; wegen ber »ierjeiligen auf bie beS ßiebeS ,, Erbalt unS
Spm bei beinern 2Bort" unb ebenfalls anbere fünf; über bie mehr* ober weniger=gciligen fet; ,,eine funbrige
sJcota gefettet." 2Bem fte nicht gefalle, möge fid) nad) einer anbern umthun. SCßuftci, GantoreS, Gompo=
nijien, fonnten in biefem Salle jur Ausbreitung unb Erhaltung ber Ehre ©otteS ,, anbere gube lefflife 9cota
malen, unb ben benachberben Äercfen mitbeelen." Qin unb wieber ft'nb weltliche SJiclobiecn in S3ejug
genommen*), als : „2Son ebler Art tc. ,^cf gtnef einmal fpafceren ic, 2öol hpr baS Elenb bauwen will tc,
"vrf armeä S3rbberltn ic. ; bei bem &ebc „Ewige Skber im ^)emcln)f" wirb auf „beS SSernerS 5El)on"
verwiefen; aud) auf SBeifcn älterer fatl)olifd)cr Sieber finben fid) J^inweifungen, alS ,,9Karia gart, »on ebler
Art ic, Sic grau üorn Jpimmel ruf id) an." Eine forgfame ©efangeSpflege wie ©achfen, Thüringen,
baS füblid)e Scutfchlanb, ja, ber wc(tlid)e Äl)cil beS nbrblichen fte erfennen laffen, legt biefeS S3ud) nid)t
iu iagc, eS ift aber, wenn aud) als SSKclobiecnbud) »on geringerer S5cbeutung, bod) beSbalb wichtig, weil
- e? über bie gortfdjritte beS ÄirchengefangeS in jenen ©egenben unS belehrt.
Gin ähnliches Ergebnis gewährt unS ein jweiteS, ebenfalls pommerfd)eS ©efangbud). Sem von
mir beiluden Abbrucfe beffelben fehlte baS Titelblatt; bie ©d)lupbemerfung auf feiner legten ©eite
„©nwhi^walt, ©ebrueft burch Auguftm Serber, Anno 31DXCII (1592)" jeigt jebod), ba^ eS für jene
©tabt beftimmt gewefen femi werbe; baS gebruefte SSerjcidjni^ ber ©reifSwalber UnwerfttätSbibliothef
') Bf. 1U9.1' IM. 303. 303. 328. 331. 342.
333
bezeichnet e§ (9cro. 6975) al$ „$)ommerfcheS ©cfangbud) burd) griebrid) 9?unge," üielleicbt auf ben
©runb bcfonberer, barüber oorhanbener Nachrichten. Da3 33ucb felbfi jeigt, aufier jw6tf *Pfalmtiebem
»on griebrid) Stunge tue e3 enthalt, feinen weitern Äntbeil ben berfelbe baran genommen, e3 müßten
benn bie „(Sbriftlicben ©ebctlein," womit e§ fcbliefit, oon ihm fjerrüfjrcn, bie jeboeb nicht mit feinem
tarnen bejeidmet ftnb. 3n ber 'tfnorbnung fommt e3 bem eben befebriebenen (Stettiner ©efangbuche über^
ein, nur bafj bie SBegräbnifjlieber in feinem werten 2tbfcbnitte mit enthalten ftnb. beginnt mit III
9)fa Im liebem, in hod)beutfd)er Sprache, wie ber gefammte Snbalt be§ SBud)e3 ; Der tjte, 2te, 13te, 15te,
23fie, 25fie, 37fte, 51fte, 79fte, 91fter H7te, 124fie unb 127fte 9>falm ftnben ftd) in boppelten 33ear=
beitungen, »on bem 119ten ^Pfalm ftnb brei Steile in Sieber gebracht; für biefe beträchtliche 2£njal)l üon
©efängen werben nur 13 SKelobieen mttgetf)eilt. £)er .£atecht$>mtte>lteber, benen ftd) hier, wie in bem
(Stettiner ©efangbudje, „bie 9)iorgen= unb Äbenbfeegen, aud) baö S3enebicite unb ©ratiag, gefangSweife
gefegt" anfcbliefjen, ftnb 47, mit nur fünf beigefef'ten SSJcelobteen ; für baößieb: //9f?u mad) unö f>etttg,
^»erre ©Ott" ift bie SDtetobie be§ 134fiert ber franjoftfetjen ^)falme beigejeidmet ; ßieb unb SEJielobie „Stu
laßt unä ©ott bem Herren" werben bem Dr. 9cicolau§ ©elneccer äitgefchrieben. Sie gefigefänge, unter
benen aud) „bie ©cfdnge, fo in oflicio missae pflegen gefungen (ju) werben/' mit begriffen ftnb, belaufen
ftet) auf 119, 14 nid)t liebmäfjige ober bloße ^Profett ntd;t mttgered)net. Nur 25 (gingweifen ftnb für bie=
felben üorb,anben. '2üid) l)ier fd)lief?en bie fd)on bei bem (Stettiner ©efangbud)e erwähnten Spottlieber auf
ben ^Papft ben ^Cbfctjnitt ber gefttieber. £>ae> t>on bem Austreiben beS ^PapfteS — l)ier jeboch neben 2utf)er
aud) nod) bem SftattbeftuS jugefcfyrieben, v>on bem eS wohl herrühren mag — in feiner ganjen urfprüng=
liefen Jg>erbf>ett, unb mit feiner Singweife ; ba§ jweite etwas gemilbert, unb ohne SDielobie :
Der Skpft hat ft'd) ju tobte gefalln
S3on feinem höh™ Stule,
Wit wem foll um mein1 arme Seef
S3ortan nun weiter bitten?
SefuS ßbriftuS ber foll e§ feim,
Äein anber lieber werben,
9JZad)t unS »on aller Sünben frep
3m Gimmel unb auf (Srbcn k.
25er eierte Sbeil „barin jufammengebrad)t allerlei; ßbrifiliche ©efänge von ben fürnembften Jpauptartifeln
(5f)riftlicher Sebrey/ begreift 146 Sieber, bie unter t>erfd)iebene 2Cbtbetlungen jufammengefafjt ftnb. @s>
beginnen: ©efdnge r>om nufjen mtb frafft göttlichen SBortS, unb ihnen folgen : ©cfdnge v>on ber (Srfcbaffung
aller Kreaturen — SSom galt "2tbam§ — SSom ©efe£ unb (Süangelio — S3on ßhriftt SBobtthaten — SSon
ber S5uf — SSon ber Äraft beä ©laubenS — SSon d)riftlicb,er £tebe unb guten SBerfen — SSom d)riftlid)en
geben unb SSBanbel — SSon ber ebrifitieben Äirdjen — SSom Äreuj unb Reiben berßb,^" — SSom ©ebet;
'Äbtl)eilungen, wie fte fpäter in ©efangbüchern immer häufiger werben, unb je länger je mehr an Umfange
wachfen. £>en*93 Biebern, bie hier barin befafjt ftnb, fchliefjen fid> an: 16 „etlicher Äontge unb Herren
d)riftlid)e lieber, " brei barunter auf SBablfprücbe pommerfcher gürften, wie benn auf begleichen ©prüche
bie meiften biefer Sieber gebid)tet, aud) wohl bie 2tnfang3bitchftaben, ober ÄnfangSfytben ihrer <Btxopi)m fo
gewählt ftnb, ba£i fte bie tarnen berer bilben, bie ft'd) jene Sprüche angeeignet. @3 folgen „©eifttiche
ßieber »om ©heftanbe unb d)riftlid)er Haushaltung," fiebert an ber Safyt uon TOcotauS ^errmann unb
334
SDfottyeftuS; ßlmfiltcbe ©efänge „uon ber SBergänglicbfeit biefeä jeitlicben SebenS, aud) t>om £obe unb
SSegräbnifj, " 16, bie fleinen lateinifcben ©prüd)c nicht gerechnet ; hier begegnen wir aud) bem Siebe $>aul
©berS „£err Sefu Gbrift mal)r" Sftenfdb unb ©Ott" in ©tropfen ju r>ier Seilen abgeheilt, ohne 5!JZeIobie=
angäbe, unb bem Siebe SKarttn ©cballingS „^erjlicr; lieb l)ab' ich bid) o £err," bei bem auf bie SSBeife:
& ftnti bod) feiig alle bie k. (welche aud) bem 36ften unb G8ften ber franjofifcb^n^falme eignet) bjngewiefen
wirb. Den 33efcblujj machen 14 „ßbriftlicbe ©cfdnge »on ber tfuferfrebung ber lobten, ttom jungten
©eriebt unb ewigem Sehen." gür biefe, fo beträd)tlid)e ^Injabl »on Biebern werben nur fieben SSKelobieen
gegeben; hier, wie bureb ba3 ganje 23ud) wirb meifi nur auf wenige, be?annte, S5ejug genommen, ©ine
.pinmeifung auf weltliche 99cclobiccn fanb id) nur in uier fallen; ba3 Sieb: „3"n traur'ger ^)ein ich muf?
jefjt feijttt," ol)ncl)in febon Umbidming etneä gleich beginnenben, weltlichen, foll gefungen werben im £on:
3d) wei§ ein 23lümtein bübfcb unb fein; .pclmbclbS: „S3on ©Ott will ich nicht laffen" nach: Sdb jümb
an einem SKorgen :c; ba§ Sieb: „SSon aller SSBclt üerlaffen" nach: Sie ©onn tft »erblichen; enblich
Johann grriebrid)§ v-on ©aebfen Sieb: „Seh 1)ab§ gejtalt in3 ^)errn ©emalt" nach: 33efd)affens> ©lud u.
Die ©efammtjabl ber Sieber be» ganjen SBucbeS, 423, größer noch al§ bie beS fonjt umfangreicbjteft granN
further Sicberbud)e3 von 1561), hat an mitgegebenen ©ingweifen nur 52 fieb gegenüber, faum ben achten
£beil berfelben. greilicb bürfen wir annehmen, man werbe bei bem Äircbengefange fich nicht auf biefe
befchränft haben, ba ft'c nid)t alle SSerSarten be§ ganjen 95uche§ umfaffen, unb man habe bie nid)t beige=
festen, nur in SSejug genommenen 9Jcelobieen, all befannt t-orauSgcfefjt. Allein aud) unter biefer SSorau3=
feijung würbe fich ftetS nur ein geringer 3uwacb§ an gangbaren SRelobicen ergeben, ba bie grofie 2lnjabl
oon Siebern fieben« unb vierteiliger Strophen, — beren in jeber ©attung bie weiften finb, — unb bie 9Q?bg=
lichten, biefe nad) benfelben SDMobieen ju fingen, bie einen nach ber SSBeife : @§ ifi baS £eil un§ fommen
her, bie anbem nach,: Crrfyalt un3 .perr bei beinern SSBort, immer auf einen Ä ird)engcfang uon befd)ränftcm
melobifchen Umfange beuten. Daö 23efanntejte, ©angbarfte wirb immer vorjugSwcife gewählt werben,
wo nid)t ein größerer Sicicbtbum jur Auswahl unmittelbar geboten, unb mit ihm SSeranlaffung gegeben ijt,
auch "ifteucS fid) anzueignen.
SSBir bcfcbliefjen l^iemit unferen ^Bericht über bie »ornebmjtcn, einfachen 93ielobieenbücher be§
lGtcn 3abrhunbert§. Die JCnfangS nur geringe 3abl an ©ingweifen geijtlidier beutfeber Sieber, benen wir
in 2ßalter§ ©efangbuche begegneten, hatte gegen ba§ ©nbe be§ 3al)rhunbert§ fich fajt um baö 3el)nfacbc
»ermehrt; felbjl in bem 3wifd)enraume »on 1593 — bem ga^te beg fpatcjlcn ©cfangbucheö, baö wir
befprachen, be3 Dreöbner — biö jum 3«bre 1000, entjtanb nod) mand)e neue ©ingweife (wie wir an feU
nem Crte ba»on berichten werben;, bie, wenn auch, wohl febon örtlich im ©ebrauebe, bod) fyäter erft in
firchliche ©cfangbüd)er aufgenommen würbe.
Uberfd)auen wir nun ben gefammten 9?eid)thum geiftlid)er ©ingweifen, ben bie cüangelifefae Äirche
in liefern Seitraume gewann, fo ft'nben wir, bafj bie ge jimelobicen, unb bie Sßcifen ber f almlieber
unter ihnen bie SWebrjabl bilben, wie benn biefeö XJerhdltnip febon in SBaltere; ©cfangbud)e ju bemerfen
war, unb noch in bem S3a»(tfd)en fortbauert, wo eö obugefäbr wie 7 ju 5 — genau 57 ju 39 — fich bar=
jtellt. '2tm bebeutenbjien erfcheint biefeä Übergewicht in bem britten Viertel be§ 3«hvhunbertö ; in ben
©efdngen ju ber 9ieuburg=3weibrüder Äirchenorbnung (1570) unb bem ©trapburger ©ro^en Äircbenge^
fangbuebe (1500) bilben gcfi; unb ^)falmwcifen faft baö Vierfache ber übrigen (04 : 17 ; — 87 : 23),
in bem granffurtber Sieberbuche ton 1509 baö Dreifache (285 : 90); nur baö ©trafwurger ©efangbud)
335
uon bemfelben Sab"1 jlellt un$ ein weniger bebeutenbeS Überwiegen jener SBeifen bar (127 : 102, ungefähr
7 : 6). ©egen ba§ leiste SSiertel bee> ga^r^tmbertS unb innerhalb bcffelben hält ft'd? ein 83erl)ältnip feft,
woburd) baS doppelte niä)t mehr erreicht wirb. Äeud)entbal§ ©cfangbud) jetgt ba3 33orwalten ber
gefi» unb fjfalmwetfen ungefähr in bem SJcrbdltniffe r>on 8 : 5 (128 : 84), ba3 SBürtemberger ©cfangbud)
von 1583 (teilt biefeö 53erbältnifj ganj genau bar (64 : 40) ; in bem 3infeifenfd)en t>on 1584 erreicht eS
fajt wieberum baS 2>retfad)e (2G7 : 96), in bem £>rcSbncr t>on 1593 jebod) bort jene§ Übergewicht ganj
auf-, ber geft» unb Q)falmmelobieen finb bort 104, gegen 137 anberer 2lrt. Äonnen wir aber, biefem allem
gnfiolge, bod) att gewiß annehmen, bafj jener beiben Birten uon (Singweifen, im Saufe bes löten %atyctym>
bertS, bie meijten, tbeilS im ©ebr aud) e waren, t^etK entftanben finb, fo ift bamit auch ba§ ©epräge
gcred)tfcrtigt, ba£ bie meijten 9)ielobieen biefeS 3eitraum3 an fid) tragen : Äraft, SBürbe, gebcimnifwolle
5£iefe. SBie tfjre Sieber felbfl, gingen ft'e benwr auS bem ßrgriffenfewn von S()atfad)en d)rijllid)cr ©efd)id)te,
ober oon propbctifd)en 2lnFlängen uralter bciliger ßieber, beren ewige S5ebeutung ber bewegten ©egenwart
aufS 9?eue lebenbig aufgegangen war, unb in manniebfacben, jeitgemafien 9cad)= unb Umbilbungen jener
XSorbilber fid) betf)ätigte. Stefe 2faflänge, bie burd) Sehr», burd) 2ob» unb 33etlieber eben fo manntebfad)
bintönen, geben benn aud) ihnen, wie ihren (Singweifen, einen ähnlichen 2tu3brucf, eine übereinfommenbe
gärbuug. Sene ©djilberungen befonberer ©celenjuftänbe, wie fte in bem ebriftlicben SSewufitfenn aEer-
bingS oorfommen, unb in ben Siebern wie SJMobieen fpätercr Seit fid) abspiegeln, ftnben wir bamalS feite»
ner nur; allgemad) erft gewannen ft'e ba3 Übergewicht, unb üeränberten bann ba$> ganje ©epräge be6
geiftltdien ©efangcö ; ja, fte würben SSeranlaffung, ba§ ber früheren SBeifen, aud) wenn man ft'e beibehielt,
allgemad) au§julöfd)en, unb feinen (Srjeugniffen eine anbere, ber nun Überwiegenben 9fid)tung mehr gemäfje
gdrbung $u geben. ß3 ift wahr, ein grofjer Sbeil ber gejlmelobiecn, weld)e bie befprod)encn £ieberbüd)er
un$ bieten, geboren einer alteren 3cit an, unb fbnncn nid)t grüd)te ber Äird)enüerbefferung genannt wer»
ben; fo bie SBeifen ber SBetbnacbtSIieber: ©clobet fc»ji bu SefuS Styttft; Der Sag ber ift fo freubenreieb;
ßbnfium wir follen loben fd)on ; ba§ Resonet in laudibus, al3 SBtegenlteb (5t)rtftt umgebilbet:
Sofepl), lieber Sofepl) mein,
£ilf mir wiegen mein Äinbelein IC. ;
baS Quem paslores laudavere, unb Nunc angelorum gloria, beutfd) übertragen in ,,®en bie Ritten
lobten febre," unb ,,£eut finb bie lieben Ghigelein ;" be3 DfterliebeS ,,ßbrijt 'tf erfianben;" ber ^Pftngft»
gefdnge: „Äomm beiliger ©eijt £erre ©Ott," unb ,,9cun bitten wir ben heiligen ©eift," unb anberer.
83iele anbere SBeifen alteren UrfprungS aber ftnb baburd) wieberum ber Äird)enüerbefferttng angel)brige,
wir bürfen fagen, neue geworben, bafs il)rer uralten fird)lid)en ©runbform baä eolfSmdpige ©eprdge auf--
gebrüeft würbe, wie bei ben Siebern: 9^un fomm ber Reiben J^eilanb; Äomm ©ort (Sd)6pfer beiliger
©eifi ; £)er bu bift brei in (Sinigfeit, unb anbern. Sa, e3 gefd)abe wobl, bap bei Umbilbung eines ßiebeö
aud) feine SEJMobie eine fold)e erfahren mupte, woburd) fte, felbft wenn ihre ©runbjüge bewahrt blieben,
mehr bie Färbung jener 3eit gewann, wie unter anbern bie be3 £iebe§: ,,©f)rijt i(t erfianben," bei beffen
Umwanblung in „ßhrift lag in Äobeäbanben." S3ilbeten nun aud) jene älteren, jene umgefchaffenen (Sing»
weifen, allerbingä eine breite unb- reiche ©runblage be3 bamaltgen Sejlgefange§, fo barf bod) jene 3eit aud)
neuer bebeutfamer Schöpfungen auf beffen ©ebiete ft'd) rühmen. (So ber SBeife be§ 2Beihnad)t§liebeö
,,9Som Gimmel l)od) ba fomm td) her," — wäre ft'e aud), wie wir uermutbet, üon einem SBiegenliebe auf
baffelbe übertragen — unb : „greut eud) i()r lieben ühriften;" ber SDfterüeber ,,Sefu§ 6hriftu§ unfer -!pei=
336
tanb," „£eut triump&tret ©otte8 ©obn," ,,ßrfd)tenen ift ber f)errlid> Sag;" ber ^immelfabrrSlieber :
^■Dlun freut euch ©ottes Äinber all/' ,,2luf biefen Sag, fo benfen wir/' „2tl§ vierzig Sag nach £}jtern
mar n," unb anberer, bie näher ju befvrecben f«?n werben, wenn wir ihrer @ntjtehung unb tt>rcr Urheber
gebenfen. ©o geboren eben ihr SRelobieen j« Siebern nad) ben coangeltfcfjert Sobgefängen ber ©ebrifr. ©3
enrftanben in il)r bereu vier ju Siebern auf ben Sobgefang berSDiaria: ,,9Jlein' ©eef ergebt ben ^erren
mein; 9Kein' ©cef erbebt ju biefer grijl; SReiti lieber ^>err ich greife bich; SJlein' ©eef, o ^)err, muf?
leben bid); bie erjle burd) ©rbabenbeit unb 28ürbe, bie jroeite burd) milben Grmft, bie britte burd) 2lnmutf)
unb .^eiterfeit, bie vierte burd) greubigfeit in Scmutb. ausgezeichnet*). £>iefe§ ©evräge ermatten fte burd)
ihre firdilid)en ©runbtonarten, bie borifebe, mivoh)bifd)e, ionifd)e, äolifd)e; e3 bilbet ftd) aber aud) burd)
ihren, bem 3>olF3gefange angehorenben 33efranbtbeil. Senn bie erfje unter ihnen gebt gleichmäßigen ©cbrit=
tes fort, in gcrabem Safte, unb in ber fo volfSmäfjigen ad)tjeiligen ©trovbe, roo acht unb fiebert iambifd)e
feilen mit einanber roecbfeln; in ber jmeiten unb britten maltet rbvthmifcher SBecbfel auf finnige SBeife vor;
bie vierte bewegt fid) ganj im breitbeiligcn Safte ; biefen brei legten liegt bie vierjeilig=ad)tft)lbigc ©tropfe be3
SSolfSliebeö ju ©runbe, bie nur bei ber jweiten unb britten verbovvelt ift ©3 geboren biefer 3eit ferner
iwei Sieber auf Simeons Sobgefang : ,,Wlit gtieb' unb greub' id) fafjr' baf)in," unb „3n griebe bein, o
#errc mein" mit tfjrert Sßeifen; unb eben fo jwei auf 3acbaria3 Sobgefang: ,,©ebcnebeit fco ©ott bei-
den-, " unb ,,©elobet fen ber £crr, ber ©ott ic." 3n allen biefen SBeifen, bie iftre Sieber inSgefammt
überflügeln, waltet ein fräftiger ©cbwung neben ernfter §eier; bie greubigfett, über bie ein befchränfter
©inn gegen bae> @nbe be§ SahrfmnbertS, boeb nur hin unb wieber, murrte, möchte eher in ben alteren, in
bie evangelifcbe .Kirche l)erübergebrad)ten ©ingweifen jit ftnben fepn, oIS in biefen au§ ihm hervorgegangen
nen, obgleid), im redeten ©inne, fte in itjrtert allen vorwaltet. (Sin büfteres> ©evräge wirb man vielleicht
in einigen spfalmliebern ftnben, bod) wanbelt bie @igenthümlid)feit ber pforpgtfchen Sonart, fraft beren fte
bem ^onifdien fo nahe ftefjt, biefeS allejeit wieber um in feierlichen (Srnff unb in (§rl)abenl)eit ; fo werben
bem unbefangenen ©inne bie SJielobieen ber Sieber: ,,Grrbarm' bich mein, o £erre ©Ott," unb „2fu3 tiefer
-}?otb fchvet id) ju bir" erfcheinen, bie über ben ölften unb 130ften *Pfalm gebietet ft'nb. ©chon früher,
bei näherer Betrachtung bcS 2Balterfd)cn ©efangbucbeS, bemerften wir, bafü fein ^afftonglieb in ihm ent=
halten fev, affo auch feine SSJMobie eineS folcben. 'Um ©ebluffe be§ 3abjhunberte>, bei äufammenftellung
ber mandjerlei Quellen be§ jUrcbengefangeS, bie wir fo eben befvrachen, ftnben wir freilich mehre Sieber
biefer äxt. Pehmen wir aber bie ©ingweifen ber Sieber: „£) Samm ©otte§ unfchulbig" unb ,,(5briffe bu
Samm ©otteö" au§, bie erff nach ber jtirchenverbefferung entfranben ft'nb; bie ber Sieber: ,,£>ilf ©Ott,
ba§ mir gelinge," unb
£) Sefu ßhrifi, bein Slam' ber ift
fo gwaltiglich, bafür aud) fid)
ein jeglid) Änte mufj beugen,
welche für älter ju halten feine S3eran(affung vorhanben ift; fo möchte feine 9Jlelobic ju finben fepn, bie ju
einem ^)afft'onöliebe erfl in biefem äeitraume entjfanben wäre. Die aüerbingö fbfrltchen ©ingweifen „£>a
3efus an bem Äreu^e ftunb," ,,(Shriflu§ ber un§ feiig macht," „£> wir armen ©ünber" ft'nb hier nicht ju
") Die erfte 1525 (3B. Aöp()(6 Aird^enamt, l.)5 bie gweite unb beitte 1569 (granffurttjer ©efangbuch); bie
sierte am 6nbe bce 3at>rf)unbert6. ©. bie SSeifpielc 9lro. 50. 95. 93. 94.
337
nennen ; fte waren febon in ber alten .Strebe üblieb, bie leiste geborte urfprünglicb bem Subasltebe. 'tfueb
Dürfen mir jene juerft genannten Steter faum bier in 33etracbtung jieben; fte waren nicbtetgcntlicbe^Pafftons^,
fonbem SDiejj lieb er, nad) bem tfusbruefe jener 3eit, fte nabmen bie ©teile ein, bie bas Agnus Dei in
Dem alten ©otteäbienfte behauptet hatte 3 bie ©emeine fang biefelben jefct nacb bem Empfange bes ^eiligen
'^bcnbmabß. Sie Sßeife bes Siebes: „4?ilf ©Ott, bajj mir gelinge" eignete wol)l urfprünglicb einem
SolBliebe. 33etrad;ten mir überbauet tic bamalS gebräucblid)en $>affionslteber, fte mit benen ber fpate-
ren 3eit oergletcbenb, fo meieben fte in tfuffaffung unb Sinn bebeutenb »on ibnen ab. Sie SDlcbrgabl
oon ibnen ftnb einfad) erjäblenbe, ben ^jü)<üt bes" ßrjäblten mit wenigen SBorten an bas £erj legenbe;
bejiimmt, im ©emeinegefange bie Stelle ber, in ber alten Ätrd)e oon ben ^riejicrn unb bem ©ängerdjorc
auf eigentbümlicbe , barjieUcnbe SSetfe vorgetragenen Sctbensgefcbicbte ju »ertreten. Sabin geboren bie
Sieber: „£) ÜKenfcb bewein' bein' ©ünbc groß — £ilf ©Ott bafj mir gelinge — £) ©ott 53arer in @wig=
fett — Sa ber #crr @b"it 5" Sifcbc faß — ©ott bem SSater Sob unb bem ©obn — ßbrijius ber uns
feiig maebt — £> Sefu ßbrift bein 9iam' ber iji tc." 83on biefen baben bie SJlebrjabl feine eigenen ©ing--
wetfen. @3 ftnb bem erjien, bem britten, werten, fünften, bie SDielobieen bes 119ten Claims : ftnb
boeb feiig alle bie," ber Sieber: Safer unfer im ^immelreid) ; .Kommt l;er ju mir, fpriebt ©ottes ©obn;
(ibrifte ber bu biji Sag unb Siebt, angeeignet, Söetfen alfo »on urfprünglid) anberer 33cjtimmung. SSon
bem britten unb ftebenten iji fd)on juüor gerebet; bie ©ingweife be§ fed)jien, allerbings' eine urfprüngtiebe
9)afftonsmelobie älterer Seit — bem Siebe Palris sapienlia eignenb — erbält burd) bie pbrpgifd)c
Sonart jene§ eigentbümlicbe ©epräge, beffen mir gebadeten, woburd) bie Süjterbeit ausgefcbloffen mirb;
erji bureb melobifcbc Umbilbung unb mtjwcrjianbene b^rmonifebe S3et)anblung t;at fte in neuer 3eit jene
garbung ber Srauer unb .Klage erl;alten, bie ibu urfprünglicb nidjt eignet. tfnbere Sieber com Setben
ßbrifti bebanbeln einen beftimmten, bebeutfamen ^ugenblicf beffelben. ©0 l;aben jene betten : „Sa %t)\x$
an bem Äreuje ftunb," unb „Sa Stfus" ßbriji gefreujigt mar" bie fiebert SBorte be§ £erm am üreujc
}um ©egenftanbe; fte geben einfacb beren Snbalt, unb fd)liepen mit ber 2(ufforberung, ihn mol)l ju erwä=
gen, unb mit bem ©ebet, bafj biefe SSetracbtung gefegnet fepn möge. 3&« Pbftlidbe alte, beiben gemein*
fame SBctfe, nid}t, mie man roobl irrig behauptet, urfprünglicb bie eines mcltlicben, fonbem gewijjltcb
eines getfilid)en Siebes, eben »on btefer 23eftimmung, ift pbrpgifcber Sonart, gleicben, meüeid)t noeb ernjier
erhabenen ©eprägeS, als bie jule^t ermähnte, mit ber fte örtlich gleicbes <Scbtcffal gehabt bat. Sa3 Sieb:
„Saßbriji fein' jünger gefpeift" banbelt t>omgujjwafd)en berSünger; es berichtet ben Vorgang, bie Sieben
bes Jperm unb bes Petrus, unb forbert bann auf, bem SSeifpiele be$ (Srlbfers nachzugeben ; gelungen foll
es roerben nad) ber fdjon genannten Sßeife: ,,^>ilf ©Ott, bafj mir gelinge." Sas Sieb : „Sie ^»ropbeten
ban propbejeit" rebet in wenigen ©tropben oon ben SSerbeipungen ber alten ©eber über ßbrifli üerfölmen=
bes £?pfer, betraebtet baä t)ß^xie^cxü6)e Zmt bes ßrlöfers im ©inne bes £cbräerbriefes, jumabl jener
Sßorte „dbriftuö iji bureb fein eigen Blut einmabl eingegangen in bas ^eilige, unb bat eine ewige drlö-
fung gefunben," unb ftytieft bann mit ©ebet unb @rtnal)nung gleich bem oorigen. Sine eigene ©ingmeife
hateänid)t; einige ©efangbüd}er beftimmen ibm bie SQSetfe „ßbrijie ber bu b iji Sag unb Sicht," anbete
bie bes alten £r;mnu$ : Vexilla Regis prodeunt. Sa§ Sieb : „£) SKenfcb, betract)t' wie bieb bein ©Ott
aus ber 9Kaapen geliebet bat" lärjt ©ebet unb (Ermahnung in ernjiem Zone über bie (Srjäblung oorwalten;
in biefem ©inne wirb ba§ Seiben bes £erm, nid)t im (Sinjelnen, fonbem im Qfllgemeinen, in Erinnerung
gebraebt. Sie 9Jlelobie: „Erbatf unä |)err bei beinern SSSort" iji für baffelbe oorgefcblagen. Saö Sieb
». ÜBintttfelb, *tt tocingtt. ßboratgifang. 43
338
enblid) von .Iperrmann S3onnu§ „£) wir armen ©ünber," nach ber SBeife be§ SubaSliebeS ju fingen,
erwägt ba§ Dvfer @hrtjh' als Quelle beS £eile3, al§ Urfach beS £)anfe$, unb biefeS ©evräge trägt auch,
ferne tvcfiicbc, mixolpbtfd^e, alte ©ingweife; baS .Kvrie, <5t)rtfter Änrie eleifon fctjlte^tt Sieb wie Sßeife als
bemüthigeS ©ebet. SencS fromme Vertiefen in ben Abgrunb beS ßeibenä unfereS .£>errn, jene 3lnbad)ten
ju feinen SBunbcn, wie fte in fvätcren 9)afftons>licbem erfcheinen, fannte jene 3eit nid^t, ein, biefer ©innes-
unb ©efüblSweife gemäss ©evräge, baS bie 3)affton$melobieen vor anbera auSgejeidmet hätte, fonnte in
ihr nid)t entfielen. «Sie nahm jwei ©ingweifen ju Siebern von bem Seiben beS Spmn, bie wir bereits
genannt, auS ber älteren .Kirche herüber, allein beren eigentümlich. SBejeidmenbeS war anberer Art, wie
wir e§ anjubeuten verfugten. 9teue$ f)at fie an SJielobieen foldjer JBejtimmung nicht gefchaffen, aber
fte t>at in barmontfci)er Entfaltung baS auS ber SSorjeit (Entlehnte, gleich bem in anberer Stiftung von ib,r
©efd)affenen, feiner tiefjten 33cbeutung nad) gefünbet; auf fold)e 2lrt l)at fie jene beiben ©ingweifen belebt,
unb in biefem ©inne war fte aud) fjtev fchopferifd).
25iefe allgemeinen Anbeutungen, beren weitere Ausführung bem Solgenben vorbehalten bleiben
mufj, mögen bjer genügen. 2)en ÄreiS, ben unfere Aufgabe an biefem Site unS vorjeidmete, l>aben wir
burd)tneffen, unb gehen ber Sbfung einer neuen entgegen, bie unS allgemach aud) bahtn führen wirb.
SSiettet mfdmitt.
Sie <©e§cv früherer geiftltcfyer Siebwetfen um bie jwette J^älfte beS 16ten ^afyrijunberte.
£)aS SBejeidmenbe beS Sonfa^eS geijtlicher Siebweifen um bie erjie ^älfte beS 16ten 3<ihrf)un=
bertS war bie runftlid)e ©timmenverwebung, welche Anfangs bie in ber Senorftimme erfdjeinenbe £ird)en=
melobie umgab, im Sortgange ber 3eit aber, je länger je mehr, von ü)r in ber fybdjjten ©timme befjerrfcht
würbe. SSlit biefem Übergange ber Gelobte bahin, wo fte in ben fjellften unb flangreidjjten SSönen am
meiften ftd) geltenb machen fonnte, bahnte ftd) allgemad) eine neue Art beS SonfaljeS an, burd) ben fväter
jener ältere, funfrreid)e, erft feine redete 33ebeutung gewann. @S war ber einfache, auf l)armonifd)e (Snt?
faltung ber ©ingweife gerichtete, unb wir fallen, wie berfelbe burd) baS auS ber §3orliebe ju bem f lafftfetjen
Alterthum gewedte SSeftreben, bie Sftaafje gried)ifchcr unb rbmifdjer Siebter in einfad) mel)rfiimmigen %on-
fäljen barjuftellen, vorbereitet würbe. 2Bir fnüvfen nunmehr unfere Sarftellung ba wieber an, wo wir
von ben Sonfe^ern ber erften Jpälfte beS 3af)rhunbertS fd)ieben; unb wenn wir b, offen btirfen, bie irrten
gemeinfame tunjtlerifche Siichtung einigermaafen jur Anfd)auung gebracht ju haben, werben wir fürjere
3eit nur bei jenen fväteren SKeijtern verweilen bürfen, bie, wenn aud) fonft auSgcjeichnete Äünftler, bod) auf
bem ©ebiete fird)lid)en SiebergefangeS jene 3ftd)tung nur weiter verfolgten, ober im Gnnjclnen weiter auS*
geftalteten. 2Bo wir einen Äeim neuer, frifdjer ßntwidlung ftnben, werben wir ihm aufmerffam nachju-
gehen haben, fo unfdjeinbar er auch f«9 in feinen Anfängen, bis bahin, wo man mit SSewuptfepn, neben
bem »Üben, auch mit 2öorten ausbricht, baf man ein 9tcue§ wolle.
^ie 2onfe^er am Ghurfmitlid) ©äd)ftfchen ^)ofe ju Dreöben, Sofjann SBalterö Amtsnachfolger,
gingen meift auf bem 2ßege fort, ben biefer geebnet hatte. fgftattl)ta$ le Mai fite, Stomlänber
von ©eburt, in Italien unter bem tarnen Maestro Matteo Fiammingo hochgefd)ä^t, bem SEitel eineS feiner
339
SGBerfe $ufolge fogar Gapellmeiflcr am £>ome ju SSJIailanb (1552), mürbe burd) ben ßburfürften Ttugufi,
nad) Unteren fcbon burd) beffen Vorgänger SÖRoriö, an 2Balter3 ©teile jum ©ängermeifter nad) Bresben
berufen. 2Bir beft^en SBerfc »on ibm auS ben %ai>nn 1552, 57, 63, 66, 73, 74, 77; allein nur eines
oon i()nen tann fjter in 33errad)t fommen, feine burd) 3obann ©djmartel ju SBittenberg 1566 gebrudten :
,,©eiftücbe unb 25eltlid)e Seutfdje ©efang, mit vier unb fünf Stimmen fünjtlid) gefegt unb genta d)t."
(§3 ift feinem ©önner unb £>ienfiberrn, bem ßfmrfürfjenTtuguji gemibmet, unb beutet fd)on burd) feine 2luf=
fd)rift an, meld)e @efe£te3unb©emad)te3 unterfd)eibet, bafj ber 9Jteifier nid)t ©efjer allein, fonbern
aud) ©dnger gemefen, fo wie, baf? man funftreid) üerf!od)tene ©dfce »on ibm ju ermarten b,abe. 2BaS
er nun aud) als ©dnger gefebaffen tjat, fo meit eS bem geiftlid)en 2iebergefange angehört — eine merftim*
mige SDßelobie $u ©elneccerS Siebe ,,^)ilf ^)err, mein ©Ott, in biefer Nott)," unb eine eben fo bebanbelte
SBeife beS SiebeS „£err Sefu 6f)rift, mabr' SKenfd) unb ©ort" nad) vierteiliger 2lbtbeilung — barf unS
hier nid)t befd)dftigen, ba eS niemals in fird)lid)en ©ebraud) gekommen ift. 2113 <5e£er bebanbelt er manche
SQlelobie, bie, roenn aud) fd)on »orbanben, bod) bei SBalter nid)t angetroffen mirb; fo bie beS ßiebeS
,,2fllein ju birJperr3efu (Sbrift tc." (9fro. 21), bie fydtereSBeife oon SutberS: ,,9cun freut eud) lieben @f)ri=
ftengmein" (3lro. 22), bie beS $t)mnuS: „Gjbrifte ber bu b ift Sag unb ßiebt" u. f. m.; allein meift
motettenbaft, bie melobifcben SBenbungen ber einzelnen Seilen befonberen 2luSful)rungen ju ©runbe legenb,
unb biefe burd) 3mifd)cnbarmonieen verfettenb, fo bafj bie ©runbmelobie nirgenb als fefter ©efang, unjer=
trennt unb jufammenbdngenb, erfebeint. hierin gebt er, baS (Sinjelne fortbilbenb, roeiter fcbon als 2Bal=
ter, ber mit 2CuSfübrungen foleber 'tfrt, menn aud) nid)t von gteid)er SSreite, bod) nur ben feften ©efang
ber ^auptftimme umgiebt. tfbnlid) verbdlt eS ftd) mit feinem 2lmtSgenoffen unb fvdterem Sftacbfolger,
Antonio (Scancelli, von bem mir, ba er aud) ©dnger fird)lid) anerfannter SBeifen mar, unter
tiefen auSfübrlid)er berid)ten merben. 2lnbem^)ofe beS £anbgrafen von Reffen tritt 3 a CO 6 Wteilattb
mitttuS^eicbnung auf 5 man rübmt ibm mobl ein mebrftimmig gefefjteS geiftlicbeS ßieberbud) nad). 2)ie2luS=
arbeitung eines foteben tyA aEerbingS in feiner 2lbftd)t gelegen, fie ift jebod) nie jur SSollenbung gebieben.
Dennod) veranlaßt unS bie grofje S3erebrung, bie er bei feinen SUtitlebenben genof?, fein unleugbarer Ghnflufs
auf bie geiftlid)en ©dnger unter ibnen, ju etwas längerem SSermeilen bei i()m. ©eboren vor ber SDiitte beS
3abrbunbertS — mir bürfen baS 3abr 1542 annebmen, benn unter einem 1575 im 4?oljfd)mtt von ibm
erfd)ienenen SSilbe mirb er ein 2)reiunbbrei^igjäl)riger genannt — nad) ©inigen ju ©enftenberg in ber Ober*
lauftfc, nad) 2tnberen in SKeiffen, mit einer fd)önen ©ingftimme begabt, fam er in jartem Hilter aB ©ing=
fnabe in bie 2)re§bner ^)ofcapelle, unb mag bort mobl nod) ben Unterrid)t beS greifen SBalter genoffen
haben. 3n ben ftebjiger 3abren beö S<Jf)rbunt>crt5 *) ftnfcen mir ibn im Sienfte beö SERarfgrafen ©eorg
^riebrid) oon 3lnf»ad} ; biefer entlief? ibn nid)t lange naebb« auf fein Sitten, feinem eigenen 2lu3brude
jufolge, „ebrlid) unb gnabig"**) au§ feiner ^ofcacelle, unb nun begab er ftd) nad) Jranffurtb am SSKain.
^)ier, mie er fagt, mollte er bie Äräfte feineä ©eiftel ber alten ©emobnbeit beS Sonfa^eä mieber mibmen,
morauä mir fd)lief en bürften, er fep am ^)ofe feineg legten ©önnerä nid)t als febaffenber SEonfunftler, fon=
") ©. bie 3ufd)rift fu'ner selectae cantinnes 5 et 6 voc. Norib. 1572 an ben Gburfürften Mugurt oon
Saufen.
") dementer et honeste. ©. bie 3ufd)rift feinet sacrae qaaedam caotiones latioae et germanicae 5 et 4
voc. Fraocof. ad Moeoum 1575. an ben Sanbgrafen 3Bili)elm oon Reffen.
43*
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fern dS ©ängcr angejtellt gewefen. 3n granffurtb ermunterte ihn .gjieronnmuS ©lauburger, ^atricier
cafeibft unb SJoctoi Betbec Sickte, ben beutfeben ^falter ßutl)er§ — üielleicbt ba§ erjt fürjlid) bort bei
Jobann Sßolf (15G9) erfebienene geijllicfye ©efangbud) — burd) feine £onfä|e ju fcbmücfen. ©ern unter=
nahm er biefeö SBerf, hatte auch, febon mehre ^falmen gefegt, als jener fein befter ©bnner burch einen ülbfc;
lieben S£ob babingerafft würbe, dx felber fiel in fcfyroereS ©iecbtbum, fein anbertljalbjäljrigeS Äranfenla=
gei brachte bog begonnene SBerf in ©tod'ung, fein SBoblfranb, feine £ofmmgen auf bie Sufunft jerrannen
auf betrübte SBeife. ©o oft ihm nur öergbnnt war aufjuatbmen , befestigte ib,n ber ©afj oon Motetten;
er ooUcnbete beren 33, 19 latetntfdje, 14 beutfebe ju fünf unb wer Stimmen, unb roibmete fie bem 2anb=
grafen SBtlbclm von Reffen (1575). *) SStelleicbt biefe Sueignung, ohne 3wetfel fein allgemein begrünbeter
JRuf, brachten ihn an ben £of jencö ©bnnerS. ©ebon bamal§ rühmte man ifym nach,, er unb £>rlanbuö
ÜaffuS hatten bie Sonfunfi auf bie bbcbftc ©rufe gebracht, Bon Seutfcblanb, Stalten, granfreidb, (Snglanb
fclbft, werte feine unuerglcicbltd)e Äunjl »erfünbigt unb gepriefen; Q)aul SJMiffuS ftanb nicht an ju »er=
fiebern, märe DrlanbuS ßaffuS hingefchieben ju ben @l)bren ber (Enget, fo mürbe man glauben müffen,
biefer habe ben SDicilanb, ben ihm fo gleichenben, al§ ©rben feiner Äunft bintcrlaffen. Sie wenigen ©ä£c
über fircbjicbe Söeifen, welche ba3 jule^t erwähnte SBerf enthält — SSrümmer uielleicbt be§ utwollenbet
gebliebenen geiftlichen 9Jiclobieenbucbe§ — finb freilich, nicht geeignet, fo bof)e ßobfprüche ju rechtfertigen**).
Unter acht ©äf^cn über Ätrchenlteber hat nur beren einer bie SSJMobie in ber Sberftimme, mere thcilen fte
bem Senor ju, bie übrigen brei bem 5weiten SMSfcmt, ber, feiten über bie anberen binauSfcbreitenb, unb fte
fenntltch beroorbebenb, metfl nur als? SSftittelfttmme erfebeint. Ser motettenbaftc ©a(j ber SKeijter aus> ber
eilten 4?älftc oeö SabrbunbertS tritt etwas jurücf, unb mit ihm bie tunftoolle, bebeutfame ©lieberung,
Dagegen wirb Sülle, bracht, ttrd)ltd)e gcierlicbfeit ber Harmonie ftcfytlicb erftrebt. Siefe erfd^eint jeboch
nicht immer rein, bie #ärte »erbedter, verbotener gortfcfyreitungen wirb oft uerlejjenb emüfunben. ©in
anbereä 2Berf SÖZetlanbS, eine ©ammlung teutfeber weltlid)er ©efänge — breijehn ju wer, fünf ju fünf
©timmen — gab in bemfelben Sabre (1575), unter SSorwiffen be§ SKeijkrS, ber S5ud)brucrer ©eorg Stab
$u granffurtl) am 5ERain bcraus>, ein Söerf, ba6 burch bie 9ccubeit ber SSehanblung S5eifall gewann, unb
auf ben %m\<x\\ fircfylicber SBeifen mittelbar nicht ohne ©inwirfung blieb. 2Bir ftnbcn hier mehre ältere
beutfebe Steter, bie wir burch ©eorg gorftcr fennen, ober aus> anberen gleichzeitigen Sammlungen ; nirgenb
aber begegnet unS bie urfprüngltcbe SDZelobie auch nur eineö biefer ©efänge. einen jeben bat 9Keilanb neu
betont, boeb nicht in ber 2£rt, bap er in einer eigenthümlid) au6geftalteten SUlelobie ein 3lbbilb, ein ©egen=
bilb beö ©ebidbteS gegeben hätte, ©eine S3el)anblung ift burchweg rb,i)thmifch=beclamatorifch, etwa ben
um feine 3eit beliebten muftfalifch=l)armonifchen 5Jcad)bilbungen antüer SKaape %w oergleichen, nur baß hier
nicht ber Siebter eö war, beffen gegebenem 3?fwtl)mu3 ber ©änger nachging, fonbem biefer, ber ben,
annäljernb freilich,, »on il>m felber erfunbenen auf ba§ ©ebid)t übertrug***). Tille biefe ©äfce waren,
nach ber S3erftd)erung beö ^>erau§geber§, bereits längere 3eit »or beren Öffentlicbwerben entjianben, aud)
,,bin unb wieber in ehrlichen 9Jcal)hjCiten unb 3edben »ielmalö »robirt unb gefungen;" man batte fte mit
SJeifall aufgenommen unb nachgeahmt, unb il)re (Sinwirfung fnüüft ftcb baber nicht juerft an ba§ %ai)x
') Q6 finb bie in ber oorangcljcnben 2tnmertung crroätynten, bei ©eorg 5»ab unb ©icgmunb geterabenb 1575 ju
^rantfurtl) q. SO?, gebruetten.
") ©. SRro. 43 ein SBcifpiel eine« biefer <S%.
"•) <S. bai Scifpiet SRro. ii.
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ibreS (SrfcbeinenS. Seutlid) wahrnehmbar ift ue aber am frübeften an Den SHelobieen Des Soacbim von
35urgf, fpärcr Denen Sobann SteurleinS, tie wir unter Den fircblicben (Sängern DiefeS 3eitraumS in ber
golgc werben fennen lernen; fte oerfcbmiljt bcrr jugleicb tem ©nfluffe ber melfchen SSiÜanellen, unb es
wirb eine (Seßweife DaDurcb cr$eugr, auS ber, fo wenig fte in ihren Anfangen alS eine erfreuliche erfcheinen
mag, fo wenig ihr tbeilweifeS SSorbilD bei SRcilanD, wahren ÜKeloDicen gegenüber, unS anmutbenD fenn
fann, bod) bie ächte, tjarmonifebe Entfaltung )ule$ ftd> bercorgebilbet hat. 2Cuf SDScilanbS näd)fte Umge=
bung febeint übrigens feine befonbere Se^weife nidjt unmittelbar eingewirkt ju baben. ©eorg £>tto,
gürftlicb .öerfifeber ßapcUmeifter 511 Gaffel, fein tfmtSgenoffe unb oielleicbt Reifer juerfi, fpäter fein 9cacb=
feiger, gab 1588 eine Sieibe »on Sonfäßen über geiftlicbe SJIclctieen b«au§, welcbe, turchweg motetten=
baft, mehr an bie genannten Sonfünftler in Sacbfen, alS an SJieilant erinnern.
Sie dantoren an ber Schule gu SJiagbeburg , von benen wir in tem oerangebenten Zeiträume
bereite bem SKartin 2fgricola begegneten , jeigen bei großen SSertienften nur SSoranteutungen tes fpäter
erftEnrnncfelten. Öalluö ^ teilet, iftacb folger 2Igricola"S in Demßanterat, giebt in feinen uml575
unb 1580 ,u Dürnberg erfebienenen „auSerlefenen teurfeben Siebern ju sier unb fünf (Stimmen" meift nur
nach SDZetettenart bebanbelte ffiibelfprücbe in furjen (Säfcen, unb wenig SietbafteS, DaS aber, wenn eS er=
febeint, nur bem Serte, niebt aber ber tonfünftlerifcfjen Sßebanblung nacb auf tiefen tarnen 2fnfprucb
machen fann; fo fein vierftimmiger Sonfaß über bie erfie Sitropbe teS SieteS: ,,.&erc Sefu (Ibrifi wahr'
SRenfcb unt©ort''fiftro.23Dafclbft). UmäSieleS widriger tft £epttl)ar& Schröter, Denwirwobl
Da3 «öaupt ber magbeburger Schule im IGten 3^brhunberte nennen Dürfen. @r war 511 Sorgau geboren;
ein SöeitereS »on feinen Sebensumftänbcn tft unS nid}t berichtet. Seine üier = unb mebrftimmig behanbelten
lateinifchen Äfrcbenhr.mnen geboren ju ben heften Sonwerfen feiner Seit*). X>ie merftimmigen unter tiefen
•Säßen geigen Die 90£elotie ^umeift in Der Cbcrfiimme; fo bie Jptjmnen: Veni creator spiritus ; 0 lux
beata trinitas; A solis ortus cardine etc.: feltener gefebiebt DiefeS bei Den mebrftimmigen, ebgleicb es
auch Dort rorfommt, roie bei Dem «önmnus : Vita sanetomm decus angelorum. 2fUejeit ift fte ber rubenbe
©runDgeDanfe Des ©an$en, Der fefre ©efang, fte febroebe nun über Den anberen «Stimmen, ober werDe
»on ibnen umgeben; felbft in ber ©runbftimme finDen mir fte, unjerrrennt, als Trägerin Des gefammten
SongebäuteS, wie in Dem feebsftimmigen Veni creator**), roo Der Senor, »orangebent, bie 5Jcelobie Des
4?pmnuS in bem urfprüngltcben Umfange teS ÜJiirolptifcben ergreift, ber ä>a£, nacbfolgenb, fte in bem
»erfe^ten, um eine £Utinte riefer, boren Id^t. (Sin Sufaß an ihrem Scbluffe oerbinDert aber hier DaS Spin--
überjieben DeS ©anjen in tiefen perfekten Tonumfang , unD ftellt für Daffelbe, für Die ©efammtbeit Des
Sufammenf langes, Den urfprünglicben mieDer her. 2)aS »Streben nacb Entfaltung Der ©runDtonart briebt
hier überall mächtig bercor, Die Harmonie ift reich, flar, ooll roürDigen CrrnjleS, ein gorrfebrirt auf ber
33abn ber älteren Sonmeifter ift unleugbar. üftoeb enrfebtetener tritt baS S3efrreben, ejne neue S3abn ju
breeben, beroor in Schröters „^eibnacbtSlieblein,'' bie in eben bem Sabre (1587) ju Jg)eimfldtt bei Jacob
SuciuS erfebienen ; ein SBerf, bas bei nur geringem Umfange bech, eine große fKannichfaltigfeit Der gormen
beS SaßeS jeigt. Einige tiefer Steter ftnt mehr oter minter einfach gefegt, juroeilen nur Son gegen %on,
toeb tient ibnen auch roieberum eine freiere S5eroeglicbfeit ter SRittelftimmen 5U größerem (Scbmucfe, ohne ben
') ©ie erfc^tenen 1587 ju ©tfutt bei ©corj Saumann
") aBcifpiel 9lrc. 40.
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Anfpruch auf fünftlicfye Ausführung; fo erfdjeinen bte Sföelobieen: „greut eud) ihr lieben Gfjriften tc. *);
gin Äinbelein fo löbelicb w. ; "Mein ©Ott in bet £öh' fep ©fnV 2>r fünfjiimmige ©afe über bie SBeife:
,,2obt ©ort ihr Gtyriften alljugleichK."**) geftaltet biefe Stimmen ju einem brei=, unb einem fünfjiimmigen
5Bed>feld>ore; ber breijtimmige burcb bie h oberen Stimmen gebilbete, geht »oran, unb tragt bie SDielobie
in ber höchjren berfelben, berüollere, fünffiimmige, folgt nach, unb umgiebt bie, bem Senor jugetb, eilte.
So ertönen im SBecb, felgefange je jroei unb jroei Beilen beS öierjeiligen SiebeS in einfacher Harmonie, Son
gegen SSon, unb erft bie SBieberholung ber ©chlufjjeite bringt, wie in ben meiften biefer ©äfce, eine
runftlidjere Ausführung. £)aS2ieb: „Sofeph/ lieber Sofeph mein," eine Umbicfytung beS alten, latei=
nifd)en: Resonet in laudibus etc. ju einem SBiegenliebe (Sfjrifti, in baS einige Seilen beS urfprünglichen
©efangeS roieber eingestreut finb , ftnben roir einmal, unjertrennt, in einfachem, uierftimmigen ©a^e, bie
SDielobie in ber Sberftimme ; ein anbereS 9ERaf)l ftnb einjelne ©teilen feiner ©ingweife in einem acb. tjiimmi=
gen für jroei üierftimmige SBed)feld)öre, ber eine fyoijer, ber anbere tiefer ©ttmmen , benu^t. £>er t)bf>ere
läfjt jene Steile ber SJlelobie in ber SDberfrimme ertönen, ber tiefere, unabhängig »on allem ©egebenen,
fingt bajwtfcben: „©aufe liebe 9Wnne; dx fagt, baS jtinb foll heifj'n Immanuel; 9Dlaria ift bie SDßutter
fein; ©Ott ber SSater roill beS ÄinbeS SienerS ßofyner fepn ic." unb biefe 3wtfd)enfä^e greift bann
balb ber obere ßfjor auf, balb weinen beibe fid) ju beren ©efange. Auch baS SSeihnachtStieb : Ia dulci
jubilo etc. ftellt fid) bar in bem SBechfel eines t>of>eren unb tieferen (5f)oreS , nur bafj biefe bie einzelnen
Seilen ber SKetobie einanber abnehmen, nicht fie bloS wieberholen, unb bafj bie SKetobie felbft t)on ber
^weiten ©timme jeben @hore§, — einer SÖftttelftimme alfo — geführt roirb. SSebeutfame SBorte, wie:
,,unb leuchtet tute bie ©onne 2c. Alpha es et 0 Sfc.ie werben von beiben, »ereinten ßhören »orgetragen.
Unter ben 9Keiftern, bie noch in ber legten Hälfte beS SafjrhunbertS bie altere Dichtung beS £om
faljeS bei bem geiftlichen ßiebe »erfolgten, gebührt ßeonharb ©chroter ohne 3weifel bie oorjüglichfte ©teile,
auch jeigt er fid? als ein ©old)er, burd) ben eine neue ©ntwtcflung biefer Äunft angebahnt roirb. £)rlan*
buS SaffuS, Sacob © a 1 1 u S (4?anbl), bie £eroen ihrer 3eit, in beren SBerfen roir roohl einzelnen,
^erftreuten, motettenhaften Sonfäfcen über altere geiftliche SKelobieen auS ber Seit wor ber Äirchenoerbeffe--
rung begegnen, fbnnen roir in biefer einzelnen 9?ücfftcjbt ihm nicht an bie ©eite ftellen.
Allein alle biefe 9EReifter arbeiteten, mehr ober minber, bod) nur an einem ©chmude beS @otteS=
oienfteS für bie Äunbigen. Sie ©chule freilich, fofern ber Unterricht im ©efange, unb bie Übung in
bemfelben an ben Äunftwerfen jener 3ett, eifrig in ihr gepflegt rourbe, roirfte roohl baju mit, allgemach
eine größere Anjahl von SJiitgliebem ber ©emeine ju itunbigen heranjubitben : für bie SötehrjabJ berfelben
beftanb jeboch fein lebenbigeS 83erhältnif3 jroifdjen bem allgemeinen, unb bem Äunfigefange. Auch roar
biefer in ben meiften gälten, bei feiner bamatigen 33efd)affenheit, felbft unter ben itunbigen, bem £heil;
nehmer an ber Ausführung erft recht jugänglid), weniger bem $örer; unb roie nun erft ben fo »iel
*) 25icfes Sieb fanb ich, ieboet) ofjnc SOcclobic, guerfl in ben burch SRictjaet Cottfjer ju 93Jagbeburg 1540 gebruet-
ten ©ciftlidjen Cicbern unb ^falmcn. ®g fjat bie ©troptje be6 93ot€gticbeS : „entlaubt ift uns ber 2Balbc," bafjer es
root)l Anfange auch auf befTcn OTetcbic gefungen reorben feijn mag, roaS um fo roabrfcheinticher ift, at6 es in bem er=
roä'fjnten fiieberbuche bem Siebe: ,,3d) ban! bir liebet Jperre" ooranfteljt, ba6 auf biefe Sötelobie auSbrücflich oerraiefen
wirb. Die oon (Schröter gefegte SBeifc tjabe ich frütjer als in beffen SBeifjnachtSlicbern nicht angetroffen. ©. bae SBci--
ipiel 9tro. 4t.
JBcifpiel 9tro. 42.
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jaf)lreid)eren Unfunbigen unter irmen! ®afj tiefet als ein Langel empfunden werten mufjte, leuchtet ein,
unb Daraus mufjte Das Streben erroad)fen, nid)t nur ben einfad) barmonifdjen Sonfafc ber fünftlicpen
Stimmenoerflecbtung oorjujieben, fonbern auch, ber 9J}elobie ihre Stelle burebaue in ber £)berftimme an=
juroeifen, tamit auch, ber Unhmbige fie üernepme, roäfjrenb fie juoor, als SJiittelftimme , ipm meift uner=
fennbar geblieben fep. Saß aber babureb eine Entfernung »on ber Äunft nur feb, einbar hervorgegangen,
Daß fie vielmehr ju höherer 33lütbe auf biefem SBege gebieten fep, bürfen mir an biefer Stelle nur an*
beuten, auf basjenige bjnroeifenb, roas wir am Scbluffe bes erften 33ucbes barüber ausfprachen, unb
oon bem Sortgange biefer DarfteHung »erbieten.
Sie größere einfach beit ber Harmonie hatte fcfyon 3>at> t b 3*5 o If c nfi c t n »on Breslau
fieb unbebingt als Aufgabe geftellt; in ber S>orrebe feiner ,,$>falmen für Äircbenunb Schulen" fagt er tiefes
mit ausbrüdlichen SBorten. Der Aufnahme ber Söielobie in bie £berjtimme gebenft er freilich, nicht in glei-
cher 21rt, er bejeugt inbeß bureb bie Sbat, baß tiefe Stelle ihr »orjugsroeife gebühre. Sene $>falmen
,,auf bie gemeine Söielotepen fpüabenroeiß ju vier Stimmen gefegt" erfchienen ju Strasburg 1583, bei
3ciclauß SBpriot. Sn feinem gereimten SSonvorte ju benfelben fagt ber Sonfefcer, baß, tute 2Clle$ orbent-
lich, ,ierlicb, einträchtig in ©ottes ©emeine angeftellt fepn folle, bamit bie Unorbnung nicht unanbdeptig
mache :
,,alfo )oü auch angftellet fepn
bas Äircbengfang einballig fein,
5ßon fplben vnb roort einerlep
ba3 es nicht fd)etn ein vogelgfchrep
ba einer biß für fid> nur fingt,
ber anber viel ein anbers flingt,
Sonber jr ftimm jufammen richten
SSBte fie jr ber^ in ©ort verpflichten 2c."
dr bat bies auch, meiji burebgefübrt, rcenige verjterte Schlußfdlle aufgenommen, ober beibehält
tene Splbenbebnungen ber von ihm gefegten fiiebroeifen. Unter ben 64 Sonfd^en feinet SBerfcbenä fmb
beren 36, mehr als bie ^)dlfte, welche bie SJlelobie in ber Sberftimme jeigen; in beren fiebert erfebemr fie
im Senor; bie übrigen 21 laffen uns ungetviß über tf>re Stelle. Denn bie behanbelten Singmeifen fd)einen
nur örtlich, übliche ju fepn, unb es ldf3t fiep nicht entfeheiben, ob fie bem Senor, ob ber höcbften Stimme
jugetbeilt finb. 2£ucb ift unfer 3roeifel ohne anbere £ülfe febon besbalb nicht leicht §u löfen, roeil bas
Äennjeichen, an bem bie £auptmelobie fonft fid> uns funb geben mürbe, ber regelmäßige Umfang ber
SEonart, oft roeber in ber einen, noch ber anberen Stimme benoortritt. Überhaupt, auch roo bie Sber=
ftimme entfd)ieben bie b.errfcr;enbe ift, erfcheint in ihr bie 9Relobie nicht immer ungefdlfcht, fie hat nicht
feiten, jumat)l bei ben ScblußfdUen, ben S5ebürfniffen bes Sonfafjes in ber .£>anb eineS nicht eben gemanb=
tenSetjerS, mie SBolfenftein, fieb fügen müffen*). (5in e^renmerther, menn auch mangelhafter §3erfucb,
ift biefes SBerfd)en; von ungleich größerer SBichtigfeit, »on entfepiebener ßinmirfung, ift ein, brei 3abre
fpdter (1586) ju Dürnberg erfcb.ienenel. <£$ rührt oon einem Spanne b,er, beffen 9came an einen Urheber
— minbeftens eine S3eranlaffung — üon mancherlei 2Birren in ter ecangelifcb,en Äirchc erinnert, unb ber
') ©. SRro. 49 cm SSetfpiel beö SGäotfenjtetnfc&en Sonfa^cS.
feinerfeitS ein unermüdlicher SBarner war *>or ben Stänfen t»cr Sefuiten, unb ein tüftiget .Kämpfer für bie
Feinheit beS lutherifcben ©laubenS gegen 9>äpjtifd)e unb (Saluinifche, beten Reibet Sefjre et in feinem Qjifer
fogar bem .Koran beS falfcben Propheten übereinftimmenb hielt. @S ifi D. ßucaS SDfianber, SBürtem;
bergifdjer £ofprebiger. Sieben Safjre früher, um 1569, hatte et nebft feinem tfmtSgenoffen, 83althafar
33ibcnbad), als SSorrebner ein SBerf eingeleitet, baS bamalS füt ein »orjüglicr; jeitgemäfjeS , tteflicb.eS,
galt, ein SBerf , baS fdjon langete 3eit juttot in bet gürftlid) 2Bürtcmbergifd)en Gapelle ju Stuttgart im
©ebraueb gewefen, beffen öffentliche Bekanntmachung uon gremben unb ginf)etmifd)en btingenb gewünfebt
worben war. SamalS erft, 1569, nad) bem Jpinfchetben feines Urhebers, erfd;ien eS, bei Ulrich 9JJorl>art§
©ittib ju Bübingen gebtuc!t, untet bem Sitel: „Set ganfe ^faltet Sam'bS, wie betfelbig in teutfebe
©efeng uerfaffet, SQitt »iet «Stimmen Funftttct) tmb lieblich, t>on newem gefegt bureb (&tegntunb
Semmeln, feiigen, gütjtlicbSBittembetgifcljenSapellmeijtet, begleichen juttor inSrucf nie autjgangen."
3n bet Sbat war biefeS ^falnrroerf baS erfte, baS, noch »or bem ßobmafferfchen, mit üicrfitmmigen £on=
fäfeen in Scutfchlanb erfebien; bie 3ufammenftellung cineS ßollftänbigen ^PfalterS auS ben bamalS am mei-
ften gefcbä|ten <Pfalmltebem unb tyxm SJMobteen, wie beibe im Verlaufe bet etftcn fünfzig Sabre feit bet
•ftirchenoerbefferung entftauben waten. Scn Siebem nad) mar eS alfo ein ©efammtroerf , meift überbeut =
fcher Siebtet, t>on ,£>anS Sad)S bis herab auf SbomaS SBlaurer; ben Sonfdfjen nad) gehörte eS nur
einem Steiftet, bet unS eben butd) biefeS eine SBerf allein befannt geworben ift. SBie einer roftlidjen
©abe fab,e man bamalS biefem erften wollftänbtgen, beutfehen, üierjtimmigen 9)falmbucbc entgegen, baS
einem allgemeinen 33egef)ren genugthun werbe; unb bod), wie balb I>at man eS üergeffen, fo, bafj ju 2üv
fange beS folgenben ^abrbunbertS kaum ber üftame beS Sonfe^crS noch, gefannt war ! 2Btr haben bie Ur^
fad>e biefeS fcbnellen VergeffenwerbenS nicht eben in beS SfteijfcrS Unfähigkeit ober Ungcfd)icf ju fucfyen.
Gr beftfjt im ©cgenthetl eine nambafte ©ewanbtheit im S£onfa|e, barum giebt er in ben wenigen fallen, wo
biefelbe SDielobie $u «erfdji ebenen Siebern wieberfehrt, aueb ftetS neue 33ef)anblungen betfelben. Sie SSlaü)--
abmungen in feinen begleitenden Stimmen, mögen ft'e biefelben nun auS bet Vauptmelobte febbpfen, ober
felbftänbige SOßotroe frei gegen biefelbe ausführen, ftnb flat, lebhaft, felbft geiftreid); man begreift, wie
um bie Seit , wo biefe Sonfä^e entftanben, innerhalb ber legten SJegicrungSjahrc £erjogS Ulrich, unb ber
Jg>evrfdbaft feines SobneS, (5f)vtftopt) »on SBürtemberg — 1548 bis 1568 — fte bei ben Äunbigcn gropen
Jßeifall gewinnen, unb ben SEBunfd) nad) il)rer Verausgabe rege machen fonnten. 2fllein eben fo erfldrlid)
ifl eS, ba§ ber Sauber, ben fte eine SBeile geübt hatten, balb nad) il)rer Verausgabe wieber »erfchwanb.
Senn weber ben Äunbigen, nod) bem SSolfe, fonnten ft'e bauernb genügen. Spemmel tl;cilt bie SJJclobic
feiner ^)falmlieber fietS bem SSenore 51t, nur nier gälle ausgenommen, in beren einem fte in ber ©runb=
fiimmc, in ben übrigen bret in ber £>berftimme erfdbeint. Scr gröf^re %v)til ber ©emeine fonnte alfo in
ben gälten vielleicht, wo bie begleitenben Stimmen, etnanber mit SSejug auf bie 4?<uwtwctfe nachabmenb,
berfetben vorangingen, wohl ahnen, auf welche 9Kelobie baS Sieb gefungen werbe, ohne jeboch im Stanbc
i,u femi, ihr mit Sicherheit ju folgen; oft aber mufjte felbfl eine folche IHmung unmöglich bleiben, eben
in ben terbältnifjmäfjig einfacheren Sä^en — ber kleineren Hälfte beS ©anjen — wo bie S3cglcitftimmen,
mit ber SJtelobie ^gleich eintretenb unb fortgehenb, boeb ihrem SfhpthmuS ftch nicht anfchloffen. Si ef en
^orern, bie nicht zugleich 'üuSführenbe fepn fonnten, benen baS tiefere eingehen uerfagt war, »erfchwanb
baher, nad) ber allgemeineren Verbreitung biefer Sd^e, mit bem 3Teije ber Neuheit, ber bnrd) fcltnereS
Ünbören, bei fejilicben Veranlaffungen, unter feierlicher Umgebung, ftd) erhalten hatte, aud) ber 'ilntheil
für fte; wäbrenb für t>ie Äunbigen bie eben bamals rafcb fortfcbreitenbe Jtunft Oes Tonfatjes jenes frühere,
für feinen JKubm leiter ju fpdt erfcbjenene 2Bcrf fcbnell überwucbs. Denn oon achter, barmonifcber 6nt=
faltung ift in ibm nicht bie Svebe; ja, bie Harmonie #cmmels gicbt einzelnen 50ielobieen nicht feiten einen
ganj anberen Sinn als ben, ihnen urfprünglicb beiwolmenbcn. So erfdieint ber 94jie ty\alm in bem Zon-
umfange son C unb c mit »orgejeidmeter fleiner Septime, »orausfefclich alfo ber mirolpbifcben Tonart in
ibrer SBafegung angebbrenb. 3n ber SJtelebie waltet aber jugleicb bie f leine Ter, überwiegenb r»or, ja, fte
macht am Sdiluffe, ber »on ihr aus in fcbrittweifem 2lbftcigen ,u bem ©runbtone gebilbct wirb (es d cj
auf bas ©ntfdn'ebenfre ficb geltenb. Diefe brei Scblujnöne begleitet nun Rommel im S3affe burch bie
Caave, grope Unteiterj unb Huinte (es b f) auf biefe 2£rt einen halben Schluß in F bilbenb. Durch feine
Harmonie alfo erwedt er bas (Gefühl beS SJZirolpbifcben in einem, ihm fonjt fremben Tonumfänge, tjon f
mit fleiner fiebenter Stufe (es). Der immer mehr erwacbenbe Sinn für einen inneren, engen äufammem
bang jmifchen SSJtetobte unb Harmonie, ber unfcrem SDteijier in anberen gällen jwar feineswegs fremb ift,
aber becb, nur fern bei ihm aufbämmert, lief alfo im gortgange ber 3eit immer mehr ba£ Ungenügenbe
feiner Arbeit empfinbcn, unb Derminberte ben 2Intbeil für biefelbe. Daju fommt noch, bie Dürftigfeit ber
rfyptbmifcfycn gönnen feiner Sftelobieen felbji, bie freilich, mit ber feiner Sieber jufammenhdngt. Über bie
Jpälfte aUer gehören jroeierlei SJtaapen an: bem ftebenjeiligen bes Siebes: „66 ift bas Speil un§ fommen
her" unb bem jwblfjeiligen bes 9)falmes : ,,(is ft'nb boch feiig alle bie;" jene§ fommt in fünf unb fecbjig,
biefes in brei unb ,wan$ig gallen uor. Die übrigen, feltener erfd)einenben gormen (fteben unb jvoanjig;
geigen ficb theilS mit SSftelobieen , »on benen es fdjon bamals beffere harmonif che SSebanblungen gab, ober
mit Siebern, bie allein ju ©rganjung be§ »ollftanbigen *Pfalter§ aufgenommen, nicht geeignet waren, ILn--
tbeil ju gewinnen. Gnblicb haben bie SJMobieen felbft nicht feiten ben 2lnforberungen be§ Sonfafces fid)
bequemen müffen, vielleicht aucb einer gerben, ftrengen Anficht oon bem fircblid) ©ejiemenben; wie benn
feine 9)ielobie oorfömmt, beren ©runbgeftalt auf rbptbmifchem SSechfel beruhte, unb nur eine einjige —
bie bem ^fairer bes S3urcarb SBalbis entlehnte bes" 90ften ^falms — bie bem breitheiligen Safte angehörte.
Daneben ift biefe oieUeidjt bie einzige, beren rhhtbmifcber S5au burch bie harmonifebe SSehanblung wirffam
hervorgehoben wirb, wa3 bei ben übrigen, nach ber S5efd)affenbeit biefer lebten, ber gaCC nicht ferm fann.
£>b es einer folchen Strenge ber 2inftd>t beijumeffen ift, bafj bie fejtlicb freubigeSJlelobie bes 103ten *Pfalm3 :
,,9tun lob mein' Seef ben Qmen" einer etwaS trodenen, aus ber borifeben Tonart b.at weichen müjfen,
ober ob bie SJerftümmelung biefes Siebes um feine neunte unb elfte 3eile bie Veranlagung bacon gewei'en,
laffen wir unentfebieben.
9hm müjjte es befremben, wie nur wenige Sahre nachher ber Sobwafferfcbe ^)falter einen fo
Cauernben S5eifall, eine fo allgemeine Verbreitung b,abe ftnben fennen, beffen einjelne Sieber boeb; ben mei=
ften bes ^emmelfchen nicht ju »ergleicben ftnb, beffen fünftlichere Tonlage an gewanbter 35ebanblung unb
gjiannicbfaltigfeit benen biefes 5Dteifters unbebingt nachgeben, bie einfacheren aber an gleichen ©ebredjen
franfen: ba§ nämlid) bie con höheren unb tieferen Stimmen umbaute SEJielobie eben baburd) oerbunfelt
wirb. Der ©runb biefes febeinbar ungerechten Sorjuges ift aber lebiglid) in bem größeren Keichtbume ber
rhntbmifcben gormen, unb barin ju fi'nben, baf biefe burch ben vorwaltenb einfachen, ben Schritten
ber SOßelobie genau ftd) anfchliepenben Sonfa| ft'cb überall geltenb machen, wenn auch bie melobifche
gorm burch bie Aufnahme ber ^auptweife in eine ÜJiittelftimme unter ben begleitenben »erfchwmbet. 9Jlan
erhielt fo ein burch Neuheit 2(njiehenbes , burch bie 33ebanblung auch bem allgemeinen Sjerftänbniffe näher
«. SBinteifctS, ttr crangtl. Q^ctatgtfang. 44
©cbrachteet, unb halb »raren, wie nriv bereite gefeiert, and) Sonfeljer »on 9?uf befebäfttgt, ber SJcelobie
nicht mtnber ihr 9xed)t wiberfabren ju laffen. Sn £cmmel>o SBcrfe bagegen ftellten, eben bureb fein fpdteö
(Mcbcincn, bie allgemad) crf'annten SJiangel ber ©egenwart im Allgemeinen, ^ufammengenommen mit feU
nen befenberen, ft'd) erft recht beutlicb in ba§ 2id)t. 9JJit bem gortgange ber 3eit mußte biefeä jumabl bei
einem SRanne bergatl femt, rote & fianbev, ber e§ felber in bie Öffentlich eit eingeführt hatte, bem ba3
SBofy! ber Äirdie, ber ©efang ber ©emeine alö fräfttge? (SrbauungSmittel lebhaft am ^erjen lag, ber bie
Äunfl aufrichtig liebte, unb fofern fte jenem nid)t ©intrag tbue, fte feineSwegS auS ber jtirebe oerbannen
wollte. 2Bic er für beren Erhaltung neben bem allgemeinen Äircbcngefangc geftrebt, möge er felber burdi
fein nunmebr ju bctrad)tenbe§ SBerf , unb fein SSorwort ju bemfelben unS fagen. 3cnc3 oem ihm früher
eingeleiteten $Pfalter3 gebenft er babei nicht auSbrüdlid), er beburfte überall nur allgemeiner ^Betrachtungen,
um fein Unternehmen 51t red)tfertigen.
Sein für bie Schulen unb Äirchcn bc§ gürjkntbumS SBürtemberg bcjttmmte§ Singebuch führt
t>en SSitcl : „gimfjtg ©eiftlicbc Sieber unb Salinen mit oicr Stimmen auf contrapunctSweife alfo gefegt,
baß ein' gange Gbrifllidie ©emeine burd)attS mitfmgen Fann." SDie 3ufd)rift beffelben, am lften Januar
158(5 Don Stuttgart au§ an bie „Ehrenhaften, Sßohlgclabrten .Ipemt Scbulmetjter in ben Stäbten beS
löblichen gürftentbumei SBürtemberg, feine lieben unb guten greunbe" gerichtet, bewahrt bie SSoraujU
feijung, baß er ber Erjle gewefen, ber mit SBewußtfcrm unb Überzeugung jenen neuen SBSeg gewählt habe,
auf welchem bie SBcftrebungen ber SEonfefjer gciftlidjcr ßiebweifen »on ba an gleichmäßig fortgehen, ©aß
Sänger neuer SEJMobieen biefer Art, wenn fte juglcid) beren Se^er waren, S3eibe§ alfo, bie SBeife
unb beren «öarmonie tynen gleichzeitig entflanb, barin um einige Sabre $m vorangingen , wie wir fpäter
feben werben, cntfdjcibet hier nicht. Sie würben »on bem rtdjtigen ©efübl geleitet, baß nur auf folche
Art ihre Grftnbung ftcb geltenb machen tonne, unb bennoeb ftnb fte fpäter nicht feiten mißoerftanben worben,
inbem man ihre SDRelobteen ba noch fachte, wo fte bisher in mcbrftimmt'gcn Seiten ihre Stelle gehabt
hatten, nämlid) im Senor. £>ftanber bagegen »erfuhr nach überbaebten ©runbfäljen, mit ber bewußten Ab=
ficht, ben bisherigen 2Beg ju oerlaffen, unb einen neuen ju betreten, wooon feine 3ufcbrtft uns> bie Über=
Zeugung geben wirb.
Gr beginnt fie mit ber SSemerfung: ber bunbert unb funfjigfte ^falm enbe mit ben SBorten:
„ AUeS wa§ £>bem bat lobe ben^errn." SBenn btcfeS nun aller Ereatur gebühre, wie oiel mehr bann
bem SDJenfd)cn, ben ©ott nad) feinem Sbenbilbe erfd)affen, ihn burd) ben ewigen Sohn erlöfet, burd) ben
heiligen ©eijt gebeiligct habe. £)c3batb müffe all' unfer £bun unb Saffen ber heiligen £>reifaltigFeit ju Sob
unb Ehre gereichen. Auch forbere ©otteS SBort un§ »iclfältig auf, ihn ju »reifen mit lieblichem ©efange
bc§ 9Jlunbe§; jumaf)l un3 bie ©abe »criieben fc», beö ^erren 2ob ju oerfünben mit oielen Stimmen ju=
gleich, bie boch alle wohl unb lieblich ^ufammen gingen. 9cun fe» aber in ber Äonfunft bie heilige £)xei-
faltigfeit felber abgebilbet, inbem nid)t mehr al§ brei Stimmen gebad)t werben tonnten, bie wohl jufam=
men lauteten; wolle man ihrer mehr haben alS brei, fo müßten biefe mit ilmen in bie Sctaoe fallen, ba eS
benn gleich oiel fep , alö wenn ber breien Stimmen eine wicberbolet ober gcbo»»elt werbe. 9(un gebe eS
oiel h^liche, lateinifche ©efange, boch nur für bie ber Sprache Äunbigen braud)bar; auch »iel trcflid^c
beutfehe geiftlicbe Sieber iu.mebr Stimmen, allein »evfiebe man auch gelobte unb Zext, fo fönne bod)
„ein 2ap, fo ber gigural9Kuftf nid)t beridjtet, nid)t mitfmgen, fonbern müffe allein juhören." ©ero^
wegen rfdbrt ber ä>erfaffer fort) id) oor biefer 3eit 9cachbenfen§ gehabt, wie bei einer ebriftlichen ©emeine
347
eine folcbe SJluftc einzurichten wäre, ba gleichwohl mer Stimmen jufammen gingen, unb bennocb ein jeber
Gbrifl wohl mitfingen fönnte. £ab* berwegen, all jur fycobe (in benen Stunbcn, ba id) fonften von on=
bern, wichtigem ©efcbäften müb gewefen) biefe 50 geiftlid)en lieber unb Statinen mit uier (Stimmen alfo
gefegt, baß ein gan£e cbriftlicbe ©emem, aud) junge jtir.btr, mitfmgen fönnen, unb bennod) biefe 9Jtuftc
barnebcn ,ur 3ierbc biefcs ©efangeö, ihren gortgang hat. SBie auch, mit ber 3eit anbre dergleichen mehr
ßompofttionc*, welche ich, aübereit unterhanben, erfolgen mögen. Unb bin ber tröftlidien 3iwerfid)r, baß
burch folcbe meine ringfüge Arbeit ba§ 6h rijllid) al lg emein' ©efang in berÄtrdben nicht allein
nicht gehinbert, fonbern auch, bic gutherjige (5r>xiftert burch folcbe lieblid)e SKelobeien noch mtty jum *Pfal-
menftngen angereiht werben foÜen.
3d) jweifle aber nid>t, es werben etlidie ßomponiften unb SDiufici, ihnen biefe meine ringfüge
Arbeit Anfangs nicht allerdings gefallen laffen. Serowegen id) hierüber furjen ^Bericht thun will, warumb
ich biefe ßompofttiones' eben fo, unb nid)t anberft, gemad)t fjab. 3d) weiß wohl, baß bie Gomponiften
fonften gewöbnlid) ben ßboral im Senor führen. 23cnn man aber ba§ tbut, fo ift ber ßhoral
unter anberen Stimmen unfcnntlicb, ber gemeine 9Jknn verfielet nid)t, was" es? für ein ^falm ift, unb
fann nicht mit fingen. Stemm habe ich, ben Gborai in ben Riskant genommen, bamit er ja fenntlid), unb
ein jeber garte mitftngen fbnne. SOiir ift auch unt>erborgen , baß ber gemeinen Siegel unb ©ewobnbcit
nach bie anber' Scoten nad) bem signo $ nidn füllte unter ftd), fonbern über fich fteigen. Siewcil aber
in einem Gontrapunct, ber nur oier Stimmen, unb nidn mehr haben foll, entweber ein großer Sbeil ber
fiieblicbfeit abgehen würbe, wenn biefes seniitonium r-ermieben, ober, ba e§ gebraucht, unb bie folgenbe
•iftoten über fich gehen (bitte, bie ein' Stimm' oerloren würbe, unb in einen unisonuin gertetbe, unb alfo
in ben Gaben,cn nur brei Stimmen blieben ; bah ich obgemelte gemeine regulam (bie perfectas eoncordan-
tias in ben Gabcnjcn ju erhalten), wiffentlid) etlid) mahl überfchritten. Senn es wirb fid) in ber Übung
befinben, baß foldicS im Singen ja fo wenig Langel bringet, als wenn man fonften ron bem nri ins ut
herabfinget. SSie auch ber fitrtreffentid) Gomponift, dominus £)rlanbuö, nach obgemeltem semitonio mit
einer fchrrarjen 9cotcn unter ftd) ju weichen in feinen berrlid)en Couipositionibus nit 33ebenfen§ bat. 3d)
weiß audi wohl , wie ber Senor gegen ben SiScant in ben Gabenjen, ber gemeinen 2Beife nad) , claufuliren
follte. SBenn man aber in einem Gontrapuncte in ben Gabenjen will vier Stimmen perfecte erbalten, unb
der ©efang nur auf wer Stimmen gefeket, fo fann bie gemeine 9?egula, bas claufuliren belangenb, nicht
ftatt haben. Gs uerfteben aber alle Gomponiften , wie fdiwer es iff, einen fold)en Gontrapunct ju machen,
ba man jwifeben bem Gborai im SMscant, batton man fein' Stotcn ändern barf, unb jwifeben bem S3aß,
bem man nicht gern, mit Abwechslung ber Goncorbanjcn , fein' gramtatem unb Sieblicbfeit nehmen will,
gleich al§ jwifeben jweien ©räben, in ber Straßen bleiben muß, unb bod) nichts befto weniger eitel
perfectas concordantias haben will, unb fo uiel befto mehr, wenn man bie ganje 9ioten (propter
laciliorem applicationem textus) nid)t gern refowiren will*). Saber unterweilenS bie Snteroalla
im 2flt unb Senor etwas ungewöhnlicher werben, wiewobl id) mich aud) befliffen, biefelbige alfo ju
machen, baß fte bie Änaben leichtlich lemen mögen. Sarumb id) aud) bie Serien, als bie ben Änaben
ju treffen etwas fd)wer, nid)t mel gebraucht. GS wirb aber bie täglid)' Übung alle§ leicht machen,
wenn man ben .Knaben erftlid) nur ein' 9>falmen fürgiebt, unb fte benfelben laßt wobl lernen, biß ein jeber
') b. i. roenn man bie Stellung ber 9totcn in flcincrc rermeiben roill, bamit bem Sänger bic Untcrtegung ber
3Bcrte um fo teiebter »erbe.
44'
348
rein' Stimm gleich attSwenbig fann, unb alle ©efäfc beS oorbabenben *PfalmenS barunter weifj ju appli;
riren. — 3d) will über euch, alS meine lieben 4?erm unb guten Sicunb, ganj fleißig gebeten haben, wenn
ibr tiefe ^falmen in bet £trd)en gebrauchen wollet, bafj xt>r eS ja allerbtngS baf)in richtet, bamit bie ganje
d)rifrlid)e ©emein mitfinge, unb nid)t burd) eine fold)e Stufte baS ©efang ber ganzen ©emein' in ber Äir=
eben, weld)S »iel nötiger, gel)inbert werbe. SBic id) aud) alle $>farrl)errn freunblid) erinnert l)aben will,
baß fte mit gelegener 6rmaf)nung bei ihren d)riftltd)en ©emetnen anhalten, bamit baS ^Pfalmenfüigen nicht
abgebe, fonbern vielmehr junehme. Senn ba burd) biefe meine 6ompofttioneS füllte am gewöhnlich $Pfalmen=
fingen einige Sierbinbentuf; entftehen, wollte id) wünfd)en, bajj ich 9loten nie baran gefegt hatte.
2Bie aud) tiefe meine ringfüge Arbeit nicht für treffliche SRuficoS, fonbern für bie ©d)ulen unb (S^rtftltcbe
©emeinen fürgenommen worben. Sarumb hab' id) auch unterwetlenS bie ©efdng in ber erften 9coten auf
einen 6laoem, in allen vier ©timmen gerichtet, ober ja nur ein £luint gemeinlid) barjn)ifd)en mitlaufen
laffen, auf bafj alfo bie 6hrifilid>e ©emein' bejlo leid)ter unb lieber mit ben .Knaben anfaf)e ju fingen, unb
eS h^nad) burd)auS mit ihnen continuire. 6S follen aud) bie anbern (Stimmen, fonberltd) ber "Kit unb
&enor, nid)t atlju laut gefungen werben, bamit »or allen anbern ©timmen ber ßhoral weit ben 83orjug
habe, unb aufs wenigft jwcimahl fo fiarf alS ber anbern «Stimmen eine, gehört werbe. Unb wirb ein
sJcotl)burft fepn, baß bie SDtenfur im Sact nad) ber ganzen ©emein' gerichtet werbe, unb alfo bie Schüler
fich in ber SDlenfur ober Sact nad) ber ©emein' allerbingS richten, unb in feiner 9coten fchneller ober lang*
famer fingen, benn ein d)riftlid)e ©emein' felbigen £)rteS ju fingen pfleget; bamit ber ßfjoral unb figurata
musica fein bei einanber bleiben, unb 33eibeS einen licblidjen 6onccntum gebe, jur @f)re unfereS lieben ge=
treuen ©otteS, unb ju Erbauung ber 6hrifilid)en ©emeine, 2lmen."
Sie Söichttgfett biefer 3ufd)rift für bie @efd)id)te beS eoangelifchen 6t;omtgefartgeS ift bie S3eran=
laffung gewefen, ben legten £f)eil berfelben ohne tfbfürjung hier aufzunehmen. Senn fte belehrt unS über
SJieleS, bie bamalige 2Crt beS ©efangeS ber ©emeine in ber Äird)e 33etreffenbe. SSBenn junäcbj baS S5eftre=
ben offenbar barin ausgebrochen ift, ben ©emeinegefang mit bem htnjlmäfjigen in lebenbige SSerbinbung
,,u bringen, unb baburd) bem ganzen ©otteSbienfie eine würbigere ©eftalt ju geben; fo bürfen wir barauS
fchliejjen, bajj eine folche SSerbinbung bis baf)tn nicht beffanben habe, ja, auch nicht ein ihr ähnliches
Sierhältnifj, nämlich bie ^Begleitung ber £)rgel ju bem allgemeinen ©efange. Siefer le^te ftanb
offenbar ber fogenannten giguralmufif, ber funftmäfjig gefegten unb ausgeführten üieljlimmigen, in
feiner ©infrimmigf ett fheng gegenüber, unb würbe eben wohl nur burd) bie 6antoren geleitet, nicht
burd) bie £rgel, welche entweber ben jtunftgefang begleitete, ober felbftänbig mit funftgemäfjem «Spiele
jwifchen einzelne Sheile beS ©otteSbienfteS eintrat. 6S wirb biefeS befonberS wahrfcheinlid) burd) bie am
Schluffe unferer 3ufd)rift an bie 9)farrf)errn unb ©chulmcifter geftcUte Srmahn'ing, bahinjufehn: „bafj
ber Giboral unb figurata musica fein bei einanber bleiben, unb 33eibeS einen lieblichen Concentum gebe."
Senn wir fefjen barauS, bafj man bamalS einen jeben mehrfiimmigen Sonfa^, auch ben einfachfien, wie
ber unfereS SJerfafferS, ber giguralmuftf beigerechnet, unb ihn bem (5h oral alS ber fd)lid)ten SCßelobie
eines geistlichen üiebeS, gegenübergejlellt habe; baf? auch S3eibeS eben nur im Äunftgefange bis bahin r»er=
bunben gewefen fep, wo jener, ber Choral, ju bem mehrff immigen ©a^e, unb ebenfalls t»on gefdjulten
©ängern, ausgeführt würbe. SKehrffimmige Crgelbegleitung würbe nun in biefem ©inne bem ©efange
ber ©emeine, bem 6h oral, wieber aud) als giguralmuftf jur ©eite geftanben haben; unb wäre fte
bereits allgemein üblich gewefen, fo hätte eS faum einige ©d>wierigfeit haben fönnen, ben mehrfiimmigen
349
©efang eines ©diülerchores an ihre ©teile ju feigen ; es würbe aber aud) aisbann bas SSebürfni^ bat>on
nid)t eben bringenb, unb eine äkrbinbung bes ©emeinegefanges mit funfhnäjjiger SCRufif Übung bereite vor-
bauten gewefen femi.
©in ^weites, worüber wir burd) ©ftanbers Zueignung belehrt werben, ijl bie Crntfiebung £es=
jenigen , was wir gegenwärtig in ooU|timmigem gciftlidien ©efange 6 b oral ftp l ju nennen pflegen, im
©egenfafc bes figuralen. @s ijt bem juoor ©efagten jufolge flar, bajj "Dftanbers 3eit biefen ©egenfafj
in bem Sinne, ben mir gegenwärtig bamit uerbinben, gar nid)t fannte, bafj *>ielmef)r ein jeber mef)r=
ftimmige Sonfalj, ohne Ausnahme, it>r ein figuraler war. 2fllein feit man, wie wir fei) en werben,
nad) feinem Vorgänge bemüht war, ben 6l)oral, unb bie giguralmuftf in lebenbige Serbinbung ju bringen,
unb jenen babei als herrfd) enb hervorzuheben , mufjtc allerbings eine 3lrt bes Sonfaljes ftd) bilben , ber im
©egcnfaijc bes früheren, beffen ^aupt^wed bie fünftlidie SScrwebung unb Verflechtung ber ©timmen gerne*
fen war, auf biefes neue 3iel ftd) richtete. S ief er burfte nun, jenem älteren gegenüber, allein ftets inner=
halb bes ©ebietes ber giguralmuftf im weiteren ©inne, ßfjoralfa^, fein (Sigenthümliches unb 5Bejeicb=
nenbes, ©boralftul genannt werben: für ihn aber mufjte bie einfad) s barmontfd)e S5el)anblung beöbalb
als bie angemeffenfte erfdjeinen , weil es barauf anfam, alles ju entfernen, was bie Sftelobie verbunfein,
unb bie Sfyeilnafyme ber ©emeine febmieviger machen fonnte. 2Bar biefes, aud) neben jenem hmftlicfyen
Sonfafce möglich, war es ju erreichen, bafj aud), mit ihm »erfnüpft, ber (Sboral niebt aEetn berrfebent-
beroorflang, fonbern burd) if)n in allen feinen Söenbungen, feiner »ollen S3ebeutung nad), hervorgehoben
würbe; fo blieb, feinem Sßefen nad), ber ßhoralftpl niebt allein ungefährbet, fonbern würbe fogar in
höherer SSebeutung nod) in bas ßeben gerufen, gür eine S3eb,anblung tiefer 2lrt war jebod) bie 3ett nod)
nid)t reif, fie fonnte burd) jene einfachere erft ben ©runb legen jum tieferen SSerjlänbniffe ber hamioni=
fchen S3ebeutung ber Äirchenweifen, unb fo allgemad) erft biefen poipphonifchen (Sboralfrpl erreteben,
wie wir ihn nennen mochten, jenem hontopf) onifdjen gegenüber. 25ie einfache, Son gegen Son in
allen Stimmen jumeifi einführenbe ©ejjweife unb ihre Gmfwtdlung wirb in bem gegenwärtigen 2lbfchnitte
uns befd)äftigen : ber funffoolleren, immer jebod) bas ©epräge bes ßhoralftyls bewahrenben, wibmen wir
fpäter eine befonbere ^Betrachtung.
©in drittes, worauf unferes SSerfafferä S3ertcbt hinweift, ijt bie immer mehr erwad)enbe £uft bes
3eitalters an bem Jtlangreid) en in ber mehrftimmigen SSehanblung geifflid)er ©ingweifen, gegenüber
ber früheren 9Jid)tung auf bas in mannid)facher ^Bewegung unb 2lusgejtaltung bes ©injelnen in einanber
©efd)lungene, unb nur eben nicht SEHipflingenbe. Huf bas £)eutlid)fte thut ftd) bies funb, wie in £)ft'an=
bers SEonfä^en, fo in demjenigen , was er fagt ju feiner SFfecbtfertigung barüber, bafj er bei ihnen »on
einigen gebräueblicben Siegeln abgegangen fei). 25enn biefe waren eben fold)e, bie barüber wachten , bafj
jebe einzelne ©timme ein in ftd) 2lbgefd)loffenes fet), unb für ftd) genommen, bie gehörigen ©d)lufjfälle
barftelle mit S5ejug auf ihren ©runbton, als ben einer einjelnen SEelobie. Tin biefe SSorfcr/rtften will er
nicht gebunben fepn, unb oor Willem t>ermeiben, bafj ber £)reif lang eines feiner nothwenbigen ©lieber erman*
gele; er ftrebt bahin, bafj jener fietS coli unb reich hwrtone, möge es babei mit ber regelrechten 2fusge=
fialtung ber einjelnen ©timme werben, wie es wolle, fofern ber wefentlid)e S^beil ber 9?egel nur burd)
bas ©an je ftd) bewähre. Unb hieoon geht er nur ab wegen eines bbberen 3wedes, ber £3eförberung bes
Äird)engefange5 ber ©emeine; bamit biefe nicht etwa burd) einen wollen ©reif lang gleid) beim ^Beginne
bes ©efangeä gehinbert werbe am ftd)ern unb reinen (Imftimmen , fo wählt er bort ben ©inflang, bic
350
£)cto»e, bbdhfienö eine mit betben inniger »erfcbmeljenbe, nid)t gleich Öer SSerj felbflänbtger ftdj machenfce
£luinte jur Begleitung. Unb bennod) wirb e3 ihm fd)wer ju leiten, wag er erftrebt, unb er gefiebt treu=
berjig, bafj er jtvtfcben &ber = tmb ©runbfiimme ftd> eingeengt finbe wie gtuifcben jroei ©räben, innerhalb
beren er bie ©trafje halten folle.
©o geringen Umfangt nun aud) DjtanberS SSücblem ift, fo tonnte er bod) in ben ÜJJielobieen, bie
er nach feinen ©runbfdfjcn mcrfitmmig bel)anbclte, genügenbe ©elegenbett ft'nben, biefelben auf mannid)facbe
sSSetfe anjuwenben. 3unäd)fi bat er unter biefen fünfzig Sötelobteen beren au£ jebem bamalS gebräucbli=
eben Umfange ber fachlichen Sonarten gegeben, ja, in jwei galten einen in ber Äeget nicht öorfommenben
Tonumfang angewenbet für beftimmte Tonarten; fo ben Don F mit worgejeiebnetem b für bie mirol»=
bifebe ©ingweife beö SiebeS : ©elobet fe»fi bu Sefu^ (Shrtfi*) ; fo ben von D mit SSorjeicbnung von b,
unb 'tfnwenbung von es für bie fpätere, »brwgtfcbe SERelobie be§ *Pfalmtiebe3 : wollt' un§ ©Ott
genäbig fenn." 2Mefe bat er jebod) in ber ©runbftimme mit G gefdbloffen, wie benn überbauet unter ben
oier bei il)m uorfommenben 33eif»ielen ^Ijrpgtfdber SQZelobteen urfprünglicben UmfangeS, nur eine am
©cbluffe tongemäfj bebanbclt ift, bei ben anbern aber jeber^eit A bie ©runblage bc§ legten 3ufammenflan=
ge§ bilbet. @§ ift biefeö eine 2lrt pbrngtfdben £onfcbluffee>, bie jwar auch r>on ben beften SEonfe^ern bin
unb wieber angewenbet wirb, unb burd) ba§ ä3erhatttttfj beS ©runb= unb (SnbtonS ber SOZelobie, ju bem
©d)lufjtone ber Harmonie im ©äffe, ben ^hrt>gifd;en Sonfalj immer nod) wefentlid) unterfchetbet twn bem
äolifcben, aber bie S5ebeutung ber SEonart bod) nicht genügenb auSprdgt, ja, burd) bie barin gegebene
3urüdweifung auf D etwas ©d)wanfenbe§ t)at unb Swetfelhafteö. 2Bir ftnben bei ihm ferner SKelobieen,
Die aus altem latemifd)en, aus> altbeutfdjem itirebengefange ftammen, neben fold)cn, bie ftd> auf 33olBwei=
fen grünben ; wenn aud) im ©anjen bie meiften bem erften halben Sabrbunberte ber Äircbenüerbefferung
angeboren. ©3 liegen unö ©ingweifen »or ju ßiebern auf alle i)oi)m gejte; jti ben jwei eüangetifeben
Sobgefdngen ber Ataxia unb be3 ©imeon, — ben befannten ßiebern oon ©wmpborian ^Dollio (SKein' ©eel'
erbebt ben sperren mein**) unb ßutber (SDlit grteb' unb greub' id) fahr bahtn) ; — SDRelobieen ju ^)falm=
liebern, Äated)i$>muSliebem, ßebr= unb SBetliebern***), einem SLftorgengefange, einem ©terbeliebe, fo bafj
mit ihnen bem fird)lid)en SSebürfnifje febon einigermaafjen genügt wirb. 9lun wirb man allerbingS nicht
lagen tonnen, bafj £)ftanber, bem eigentfjümltchen ©epräge jufolge, baö bie einzelnen SBeifen burch il)re
tfbftammung, t£?re SEonart, tfjre Beftimmung tragen, auch feinen SonfaJj eingerichtet habe. 2113 überall
gleichmäßig befolgter ©runbfafj jeigt ftet) ber, einen jeben SEon ber SKclobie ju ber ©runbfiimme in bem
SSerbältniffe ber £>ctaue, £luinte, Serj, feiten einer ©erte, nod) feltener, unb im Durchgänge nur, einer
Jüuarte erfebeinen ju laffen, unb fo in ber Jparmonie eine 3?cibe von £>reif'ldngen barjuftellcn, bie juweilen
nur burd) einen ©ertenafforb unterbroeben werben. 3lud) bei ©plbenbel)nungen ber 9}Jelobic ift beren ein-
zelnen Sönen fafi jeberjeit ein £>rciflang jugctbeilt. SSJiufj, ju SSermeibung fehlerhafter gortfd)reittingen in
ben dufkrften ©timmen, eine ©»Ibcnbehnung im S5affe erfolgen, fo ftnbet fte aud) in ben 9Kittclftimmen
ftatt, unb ju bem ungebrochenen Sone ber 9Jietobie ertönen bann jwei Sreiflänge, ju benen biefer in wed)=
felnben Ü>erbältniffcn ftel)t. 'Übnlich wirb aud) ba »erfahren, wo bie gortfebrettung einer einzelnen 9JiittcU
') 6. SBcifpicl 9lro. 51.
") ©. SBcifpicl 9cro. 50.
•••) ©. »ctfpirt 9lco. 53 fsinen ionfa^ über bie OTelobie be6 ttiebefi: gröblid) »oUen ttir Meluta fingen.
351
ftimme gegen ben 33aß in unmittelbarer golge von SDctaven ober Sluinten ocrfjutet werben foll. £m unb
wiebcr fommen burd)gel)cnbe, verbinbcnbe Zone vor in bcn SCRittelfttmmen, auch tnof)l in ber Unterfiimme,
meldte bie ©runbbarmonie nid)t veränbern ; ober eS tritt bie golge einer £luinte unb Serte ein in einer
93iittclfttmmc gegen ben rubenben SSafj, wäbjcnb aud) bie anberen (Stimmen ben £on feftl)alten, fo baß ein
(Sertenafferb einem Srciflange ftd) anfd)ließ t. Sjt baö ?yovtfd>vctten ber SWctobic in bem ä$cr()ältniffe einer
Üuartc gegen ben SBafj ttnvermeiblid), fo wirb biefe in ber ©egenbemegung im Heuere verbovvclt, unb bem
^flt bie ©beroctave jugetheilt, fo baß fein £luartfertenaccorb ftd) bilbet. (Selten ft'nben ftd) angefd)lagene
Scrtenaccorbe; St)nco»en, burd) welche vorgehaltene £)iffonanjen entftänben, niemals. @S fommen aber
aud) £onfä£e vor, bie uns, ofme alle Untcrbrcdntng, eine ftrenge golge von Sreiflängen entgegenbringen 5
fo bie ber Singweifett von ben Siebern: ,,^fuf biefen Sag bebenfen voir; 3n bid) bab' id) gel)offet £err;
£>er Sqcyx ift mein getreuer £irt; 63 ift ba£ Jpcil uns? fommen Ijex*), unb anberer, in benen felbft nicht
eine burchgcl)cnbe 9tote einmabl angetroffen wirb. £aß £/ft'anber bei biefen SKetobiccn nid)t abft'cbtlid) nach,
einer fold)cn Strenge ber 33cl)anblung geftrebt l)at, wirb baburd) fd)on wal)rfd)einlid), baß feine berfelben
ju ben altertl)ümlid)en, urfird)ltd>en gehört, eine von ihnen fogar wal)rfd)einlid) bem S5olf6gcfange ent=
ftammt. £>ennod) bat, bei biefer im Allgemeinen gleichmäßig angeroenbeten äSchanbtungSwctfe, unfer £on=
feljer ein rid)tige£ ©efübt bewährt für bie (5igentl)ümlid)fett ber Sonmeifen, unb wo ihn nid)t einmahl eine
melobifd)e 9iüdftd)t, etroa bie SSermeibung eineS SritonuS ober eineS nid)t biatontfd)en SkrbältniffcS in ber
Solge ber Sbne einer einzelnen Stimme, ju einem £luecrjtanbe verleitet l)at, ober einer fd)roffen 3ufammen=
fteüung von £>reif längen ohne innere 5Sejiel)ung, ftnb feine ^)armonieen, fird)lid), würbig, unb babei
flteßenb. 6r b.at bie für einzelne fird)licbe Sonartcn bcscicfmenbcn Sonftufen, namentlich bie mirolnbifd)e
flehte Septime, bie uf;r«gifd)e fleine Secunbe, bie borifd)e große Serte, burd) feine bcglcitcnben (Stimmen
fräftig unb bebeutfam hervorgehoben, nid)t minber aud) ben volfStl)ümlid)en rl)»tl)mifd)en 2Bed)fel burd) fte
nod) etnbringlicber gemacht, unb man barf il)m in ber Sl)at nacb,rül)men, baß er, tote bem ©emeinegefange,
fo ber Äunft barmonifd)er Entfaltung ber Äird)enmeifen burd) fein SBerf förberlid) geworben ift.
üfianberS früherer Nachfolger, foviel mir roiffen, mar 3 am 11 et ffllavf d) all ju S5afel, in
feiner um 1594 ju Seivjig herausgegebenen vierfiimmigen ^Bearbeitung ber franjbftfd)en ^Pfalmmelobieen.
£b feine (eben mie biefeä SBerf fväter aud)) um 1606 ju S3afel bei Äonig erfd)ienenen Äird)engefänge unb
geijtlid)en Sieber ic. ju vier Stimmen, fd)on mit beffen früherer Aufgabe gleichzeitig an ba§ Siebt traten,
ift mir burd) eigene Anfd)auung ntd)t befannt. Sd) fal)e fte nur in jener fpäteren Aufgabe, beren Zueignung
jebod) barauf ju beuten fd)eint, baß fte fogar früher fd)on al§ ber 2obmaffcrfd)e ^)falter burd) 9J?arfd)alI
bearbeitet unb herausgegeben maren. 3tt biefer SBibmung an 9Kcld)ior £amlod)er, oberften 3unftmeifter,
Sebaftian Sporlin, <Sd)olard)en ju S3afel, unb 3oI)a"« Sflubolf gäfd), beS 93ieifterS bewährten greunb
unb ©eoatter, heißt e§: 9cad)bem er ben Sobmafferfchen ^)falter auf eine neue lixt gefegt, unb „auf ba§
gemeine Q.i)oxal im £>ifcant gerichtet," tjabe man ihn erfud)t, „bie jttvor in vier unterfchiebenen
(Stimm)büd)lein gebrudten, feinen genannten ©önnern gemibmeten J^armonieen anberer 'jPfalme unb
geijtlicher Sieber X). SutfyerS unb fonjt gotteSgelehrter Seute wieber ju überfehen, unb wo eS nbthig, ju ver=
beffern, „bamit bie Harmonie befto lieblicher jur 2fnbad)t inS ^)erj fließe;" biefer SSitte habe er nunmehr
ftd) gefügt. £)iefe Sieber mögen alfo juerft balb nad) Sft'anberS <Singebud)e erfd)ienen fevn, vielleicht, ba
*) <3. SBsifptel 9cro. 54.
man bie von biefem verheißenen, fein SBerf ergänjenben £onfä(se eine Sßßeile »ergebend erwartet hatte, um
t>cm Sebürfniffc entgegenkommen, bcffcn man burcb baffelbe fid> erft völlig bewußt geworben mar. 3bnen
folgte bann ber 9)falter, bie franjbftfcben SJWobieen, einen beliebt geworbenen neuen ßrmerb, beibehalten^
aber bie ©ebrecben ihrer früheren 33ebanblung burcb eine neue tilgenb ; eine 33ebanblung, burcb bie er nun
erft feinen 3wecf ganj ju erreichen, unb langgehegte SBünfcbe 311 erfüllen fchien, benen ba3 SBürtemberger
"Pfalmbucb nk&t genügt batte. 23on bem Waltet SDßarfcbaUS haben mir bei ©elegenbeit be§ «Rircbengefan=
geö ber ßalviniften gerebet. Unter ben geiftlicben Biebern biefeS 9Jteiftcrs> mad)cn bie $)falmlieber ben Anfang ;
es finb beren 38, verfd)icbener Sichter, mit 35 SDielobiccn unb SEonfä^en, ber reich fte^lbfcbnttt be§ gefamm=
ten SSBerfeS. Sbnen folgen fecbS Sobgcfänge, jeber mit feiner vierfh'mmigen SDMobie ; fünf biblifcbe, ber
Spanna, ©amuelS SKutter, ber SJiarta, be§ 3<3cbaria§, unb be3 ©imeon, in jwei Biebern; neben ihnen
baS „Jperr ©ort bid; loben wir." 3wblf ÄarccbiSmuSlteber fobann, mit 10 SJMobieen unb ©äfcen,
29 geftlieber mit beren 20, enblicb 20 anberc Bieber mit beren 17, unter ben 2lbtbeilungen : ßebr= unb
Srofigefänge, ©ebetlieber, SBegräbntßlieber, SRorgengefänge, Sifcblieber. Sa3 ©anje umfaßt alfo 105
Sieber mit 88 baju gebbrenben, vierftimmig einfach gefegten 9JJelobieen, bie nun in ein einziges! SSücblein,
bie Stimmen je jwei cinanber gegenüber, jufammengebrueft ftnb*). 2Bir ftnben bei biefen £onfä£en mit
wenigen Ausnahmen biefelben ©runbfäfee beobachtet, bie £)ftanber fich vorjetebnete. Sie SretflangSbar;
monie ift auch hier bie vorberrfebenbe, boeb wirb ft'e häufiger burch ©ertenaecorbe unterbrochen; bei bem
^Beginnen ber einzelnen ©al^e ertönt ft'e meift vollftänbig, im Baufe berfelben wirb nicht feiten bie Serj, unb
mit ihr ba3 SSejcicbnenbe, ber firengen 3?egelrechtigfeit aufgeopfert. Ser SSorbalt ber £hiarte auf ber fünf*
ten (Stufe ber SEonart, in welche ausgewichen ober jurücfgefebrt wirb, erfebeint faft regelmäßig bei ben
©cblußfällcn. 3» ber pr)rtjgifd)ert Sonart werben biefe auch hier, wie bei £>ftanber, meift auf ber £)ber=
quarte beS ©runbtoneS — A ober D, je nach kern gewählten Umfange — gebilbet; unter jw 6 If Sailen,
wo biefe SEonart erfebeint, gefebiebt biefeS neunmahl. 3u ben felbfiänbigen görberem ber itunft barf SDlar*
fchall nicht gerechnet werben. SÜBir fel)en bei ihm lebiglich ein Sortgeben auf neu gebahntem SBege, unb
nur frühere ©ewbbnung unb unbewußte Vorliebe führen il)n juweilen ab von ber gewählten ^Richtung.
Um S3ieleS wichtiger erfcheint <Sct() ©alöifittö. Siefer trefliche 99ieifterwaram21fiengebr.
1550 ju ©orfchlcben unweit ©aebfenburg in Thüringen geboren, ber ©obn eineS BanbmannS bafelbfl,
3acob Äalwifj. 3ur Schule gehalten in granfenbaufen, burd) gleiß unb gute ©rimme empfohlen, gelangte
er nach SJiagbeburg als (Sborfcbüler, unb wußte von feinem SSerbienfte foviel ju erfvaren, baß er fpäter bie
Univerfttäten £elmfiäbt unb Beivjig befueben fonnte. 3n ber legten biefer ©täbte verwaltete er furje 3eit
bas "Kmt eineS 9Kuftfbireftor3 an ber ^aulinerfircbe, würbe 1582 jum ßantorat in ©cbulpforre berufen,
unb von ba enblid) um 1594 nach Beivjig aB ßantor unb SSJJufifbireftor ber SEbomaSfircbe befbrbert, wel=
cbeS 'ämt er am erften ^fingfitage biefeS 3ar)re§, ben 29ften 2Diai, antrat, unb einunbjwanjtg 3tobre, biS
ju feinem am 24ften November 1615 im fed^igfien 3«hi"e erfolgten Sobe, rübmlictjft verwaltete. Sie
SSerbienfte biefeö au§gejeid)neten 5CRanne§ al§ ©clehrter, namentlich um ©ternfunbe unb 3eitredmung,
fbnnen un$ hier nicht befchäftigen, unb eben fo wenig feine fcbäl^baren SBerfe über Sonlehre unb Sonfunft.
9lur eineä berfelben, feine um 1600 erfebienene 2lbhanblung über bie richtige Äenntniß ber Sonarten
(ExerciUtio de modis musicis recte cognoscendis) ifi unö hier wichtig wegen ihrer nahen SSejiebung auf
•) ©. mto. 45. 46 SSeifpicte »on SKarfc^QU6 Xonfa.
353
fein ju 8eipjig bei 3acob "2fpel herausgegebenes , burcb Jranj Scbnellbolj bafelbfi mit ben Schriften ber
33et)erfcben Erben um 1597 gebrudteS Eborahoerf : Harmoniae eantionum ecclesiasiicarmn : benn er
bezeichnet bort feine ßboralfä^e meijt alle ihren Sonarten jufolge, nacbbem er beren Sßefen unb Äenn=
midien erflärt bat, unb giebt un3 babureb ©elegenbeit, feine Stiftungen nach feiner eigenen ßebre ju prüfen,
auch roobl ben SEonlebrer burcb ben Sonfünfiler ju berid)tigen. £>ie Zueignung tiefe» dboralroerfS,
am lOten Noocmber 1596 ju Seipjig niebergefebrieben, unb an SBürgermeifter unb Siatb bafelbft gerichtet,
belehrt un§ weniger über bie Sfegeln, nacb benen unfer SÖJeiflec bei feinen SEonfä^en oerfubr, aß fie uns
oon feinem frommen unb ernften (Sinne 3eugnif3 giebt. Er rübmt böcblid) ben 9?ui?en bes> ^eiligen ©efan=
ge3, fofern er, nacb ben 5B orten bes> 2(poftel3 ^auluS an bie ßoloffer, in geiftlicben unb lieblicben
Siebcm geübt werbe. 3n geijtlicben Biebern, ba3 t)ri$e in foleben, bie au3 bee> fjeiltgen ©eijteö 33ucb,
ber Schrift, genommen fepen, unb bem ©efe£e unb 3eugnifj übereinkamen ; benn fonft gefalle ©Ott baS
auch Wt ber S3ernunft nod) fo febön Sautenbe nid)t, unb fct>affe feinen Stufen. Sn lieblicben Siebern,
bamit ber Äeij ber 2lnbad)t baburd) vermehrt werbe; wie benn auch hier, bei ben Sötelobepen, ber Ijeilige
©eift £irecror unb SEBerfmeifter gemefen, wag unter oielen anbern au§ ber freubigen SfKetoben be§ febbnen
■»PfalmeS : (Sin' fefte S5urg ijl unfer ©Ott, mit SSerrounberung ju oernebmen fen. Solche Sieber habe er
\u ©ottes Ehren einfaltig, bod) richtig gefegt, unb jugleid) mit einigen anbern, bis anhero gebräuchlichen
Biebern, fo oon bekannten autoribus oor biefer Seit gemacht worben, unb bie er, ihrer ©üte unb £>rbnung
roegen hingenommen habe, ausgeben laffen.
2)iefe3 S3ucb rourbe ju feiner Seit fehr boebgefebä^t, unb erlebte feit feinem erften Erfcbeinen big
ium Sabre 1622 fünf Auflagen. £ie le£te berfelben ift um elf ßieber reicher oiä bie erfte ; benn bat fie
auch beren im ©anjen oierjebn mehr, fo fehlen ihr bod) wieberum brei, roelche in ber früheften befinblicb
fvnb. £iefe bietet nun fchon 127 gieber, wenig minber als ba3 dreifache von bem Inhalte beä .Cftanber^
fchen 2Serfd)ens, unb umfaßt ben gefammten ÄreiS beS .Kirchenjahres, unb beS fachlichen Sebent über=
baupt. 2Bir erfennen in ihr ben gelehrten, benfenben £onfe£er, ber Einfachheit beS SafceS ungeachtet ;
nur baf? babureb eben EaloifiuS, wie er manches juin Scbmud feinet SBerfeS ©ereichenbe fanb, auch 8"
einigen ^rrthümem oerleitet voorben ift, roelche feinem Vorgänger fremb geblieben fmb, ber bei feinem
Unternehmen lebiglicb burd) baS JBebürfnip ber ©emeine, unb baS Streben nach SüUe unb SBoblflang fich
leiten lief?. SMefe betten hat EaloiftuS unbebingt jurüdgeftellt tymtex Sangbarfeit unb Sfegelmäfjigfeit ber
Stimmenführung, unb fmb babureb juroeilen auch leere £armonieen entftanben — roir mochten fie bohle
nennen, benn bie SSerboppelung beS ©runbtonS unb feiner Huinte ohne bie Serj erregt in ber Shat baS
©efühl ber £oblbeit, eines mangelnben .KerneS — fo fmb bod) auf biefem SBege juroeilen auch Sonoer=
binbungen, oietleicht unberouft, heroorgegangen, migflingenbe Sonoerbältmffe oon eigenthümlid) herbem
3?eij, bie feine Nachfolger fpäterhin abftebtlich aufgefud)t, unb mit S3orliebe angeroenbet haben. Einige
Söeifpiele werben bienen, biefeä näher ju erläutern. Sn bem oierftimmigen Sa^e ber alten 2Beife be§ 2ie=
be§: <S f> r i ft ift erftanben*) finbet fich mehre SJiale bie SSerbinbung ber großen SEerj ber ©runbftimme
mit beren fleiner Serte, auf ber Dominante ber SEonart, für, oor bem Sd)luffe. Sie entfielt auf bop=
pelte SEBeife. Sie oier Stimmen tönen ben harten £>reiflang au§ auf ber fünften Stufe ber ©runbtonart ;
bie £berftimme, roelche bie £luinte beä S3affe§ hören läfjt, fteigt, roäbrenb bie übrigen fortflingen, um
') SBecEer unb SBillrot^ : Sammlung oon Gborälen :c. 9cro. 3.
k. SCtntttfeU, 6et eiangct G^cralatfaiig. 45
354
einen falben Zon auf, unb fenft ftd) bann melobiegemäß um eine f leine Serj, ben Sd)lußfatl ju bilben.
üCber eine ber SKittclftimmen, jumahl bev 211t, ftatt bie große Serj unmittelbar anjujtimmen, tritt erft burd)
bie vorgehaltene Sluarte in biefelbe ein, woburd) nun, inbem bei ber 2ütflbfung biefeS legten S£onüert)ält=
niffeS §ugleid) ber juoor befchriebene, aufwärts gel)cnbe Schritt ber SDZelobie auS ber Slutnte in bie fteine
Sertc erfolgt, jene Seiwcrbinbung nod) unerwarteter eintritt unb herber. (Sine regelmäßige tfuflbfung ber
CarauS t)croorgel)enben oerminberten £luarte erfolgt in beiben gälten nid)t, unb beShalb erfd)eint, jumar;l
in bem lefcten gälte, ber Eintritt biefeS gerben SRißftangeS nur als jufälttgeS Crrgebniß ber Stimmführung.
£cm £bre miberftrebt jebod) beffen £crbf)eit nid)t, wenn aud) bie flehte Serj, baS auflbfenbe S£onoerf)ält=
niß, nid)t gehört wirb : eS ift eine unfanfte, bod) nid)t wiberwärtige 33erüt)rung beffelben, bie eines gewiffen
9?ei$eS nicht entbehrte, unb beSfjatb nidjt ohne 33eifatt blieb.
dm ganj ähnliches (§ntftef)en beffelben 9JlißftangeS finben mir gleich in bem erfien Sonfafce beS
2BerfS über bie Singwetfe beS 2tb»entSticbeS : 9cun fomm ber Jpeiben 4?ettanb*). $ier erfd)eint
ber Eintritt beffelben nod) unerwarteter unb herber. SSei bem ^Beginne ber -.weiten 3eile, ju ben SBorten :
„£>er Jungfrauen jtinb erfant" fdbreitet bie SDiclobie »on bem ©runbtone ihrer Sonart, G, eine fleine
£er$ fjinauf nach *V »on bort auS aber um einen Son weiter hinauf, unb bann abwärts*, über ft'd)
nad) c unb wieberum jurüd nach b. Sie ©runbftimme begleitet biefe vier Sbne, abfteigenb, mit ber
£luinte (es), ber Serte (d), ber £>cta»e (c) unb ber flehten £erj (g), währenb ber "Kit, juerft im @in*
flange mit ber SERctobte (in g), bann einen Schritt unter ftd), unb oon ihm wieber hinauf nad) g tritt. SSei
biefem abwärts gehenben Schritte ift nun, wegen eineS regelmäßigen SonfatteS nad) g/ wohin bann auch
am Schtuffe ber Seite bie gefammte Harmonie ftd) wenbet, ein (SrhbhungSjeichen angewenbet, fo baß fyex
ein gleicher 3ufammenflang ft'd) bitbet wie in bem vorigen gälte. 9Rit großartiger SBirfung macht er
ft'd) geltenb burd) feinen Eintritt unmittelbar nad) bem harten Sreif lange auf ber großen Unterterj beS
©runbtoneS, hinter welchem ein Söiißf lang weniger nod) ju erwarten war ; fpannenb aber burd) bie »erjo-
gerte 2tufl6fung, bie nicht burd) ben näd)ftcn Schritt ber SJMobie, bei beren StufwärtStreten, erfolgt, fonbern
erft bei bem folgenben, wo biefelbe ft'd) wieber jurüdwenbet. 2tud) biefe SBirfung beruht augenfd)ein=
lid) auf bem Streben nad) regelmäßiger Stimmführung, jumaht bei ben £onfd)lüffen ber einzelnen Stirn =
men, unb faum ift fte wohl beabftd)tigt worben, wenn aud) gewiß nicht üerfd)tnät)t ober unbeachtet gebtte=
ben, nad)bem fte auf biefem 2Bege gefunben worben war.
3n einem britten gälte entftel)t, eben wieber auf biefelbe SGßeife, ein um jene 3dt nod) feltenereS,
unb wie baS ber »erminberten £luarte, nid)t biatonifd)eS 33erf)ältniß in bem 3ufammcnflangc ber Stimmen.
@S ift in bem Sonfa^e über bie SJletobie beSSiebeS: 2BaS mein ©Ott will baSgfd)ef) alljeit**).
Diefe Singweife ift einem franj6ft'fd)en SSolfSliebe entlehnt: II me suffist de tous mes maulx, wie
fd)on bemerft worben. Seth Gatüift'uS hat aber aud) faft unoeränbert ben Sonfaf-***) aufgenommen,
mit bem wir fie in einer ju 9)ariS (1530) gebrudten Sammlung oierftimmiger fratijöftfd)er Sieber ft'nben,
beren ebenfalls junor bereits gebad)t ift. £in unb wieber hat er einige gärten beffelben gemilbert, unb bie
a)crfcfjungS^eid)en beigefügt, wo er eS nbtbjg fanb. £>ieS ift nun namentlich bei bem Ausgange ber britt=
leßten 3eile gcfd)et)en ju ben 2ßorten :
uno jüd)tiget mit SKaaßen.
•) <3ben ba 9cro. 15.
") ßbtn ba 9cro. 20.
"*) 6. Seifpid STCro. 138".
355
$ter bilbct bie tfltftimme, für ftcb genommen, einen ©cbtufjfall nad) d ; in eben biefen £on (bie £ber=
quinte be3 ©runbtoneö) fteigt ber S3ajj fd)rittweife binab. 9cun war e3 eine gemeine (burd) biefen ganjen
©afc in ben brei tiefern Stimmen auch frreng befolgte) 9?egel um biefe 3eit, bafü in einem folgen Salle ber
unmittelbar über ber £htinte liegenbe SEon ba£ 83erf)ältnifi eine§ #albton3 bü 'br haben, alfo um fo mel
erniebrigt werben muffe. Qetydb bat benn hier baS e be§ SBaffeS bie SSorjeichnung eines b erhalten, ba§
c aber, unmittelbar »or d, bem ©d)lufjtone ber 2(ltjiimme, tft, al§ ßeitton, burd) ein Äreuj gefcbärft wor=
ben. ©o entftel)t nun bie unmittelbare golge jweier Sftifjflänge : juerft bie über bem 33af?tone in ber 2Ht=
ftimme vorgehaltene fleine ©epttme; biefe loft ftd) bann auf in bie übermäßige ©erte, weld)e bei bem
Jortfcbritte beiber Stimmen in bie Sctaoe übergebt; ju ifjr laffen bie Dberftimme unb ber SEenor bie Quinte
unb fleine SEerj froren, biefer mit bem 2llte, jene mit ber ©runbftimme in gleicher ^Bewegung.
.Rann man bie SKifjflänge, von benen wir eben gerebet, eine jufäüige 2Bürje ber Harmonie nen=
nen, fo finben mir boeb aud) beren bei unferem SOZeifter, bie auf ähnlichem SBege, aber unter anberen 33er =
bältmffen gebilbet, ju augenfcbeinlid)en SJiifsftänben werben, ©ie finb e§ tbeil§ melobifcb, tbeilS barmo=
nifch. (Sinem melobifcben SJiifjftanbe biefer %xt begegnen roir in bem »ierjtimmigen ©a^e ber @boral=
roeife: <5 t^r t ft unfer Qtxx jum Sotban fam*). £)ie erfte Seile biefer borifeben SRelobte roeiebt in
bie Dberquinte au§, jeboeb im 2(b(teigen, fo, baß ber Seitton nid)t berührt mirb. ßawiftuS bat burd) feine
Harmonie biefe SJlobulation nad) ber Dbertevj be§ borifeben ©runbtonS, f, gemenbet; biefen Son legt er
bem ©d)lußflange ber erfien 3etle unferer SEBeife (a) unter. SOZag e§ nun fepn, bafj er bennod) in ber SSJMobte
bie urfprünglicbe 2lu3wcid)ung bat auSbrücfen wollen, mag bei bem au§ alter 3eit bekömmlichen, felbftän*
bigen 33etrad)ten ber einjelnen ©timmen mobl baö 2Baf)rfcheinlicbfte tft ; genug, er bat bem fünften
SEone in ber £berfiimme (g), ber Quarte be§ ©runbtonS, ju melcber fte bier »on ber Quinte au§ abftetgt,
um bierauf mit einem £luartenfprunge beffen fleine ©eptime ju erreichen, von ber fte bann febritfroeife wie=
ber ju ber Oberquinte berabfteigt — er bat biefem g ein jlreuj »orgejeidbnet, unb inbem er eS fo ju gis,
bem ßeittone »on a, umbilbete, melobiemibrig in bie Cberftimme baS Sonuerbdltnifs einer »erminberten
£tuarte, ein nietjt biatonifd)e§, eingefebmärjt. Offenbar tjt ber Sonmeifter in biefem §aüe von bem
gelebrten Äonforfcber verleitet morben, inbem er bie ©elbffänbigfeit ber ©tngweife antajiete, unb fte
gewiffermaaßen wie eine SDiittelftimme bebanbelte. 3ugfeicb möchten mir barauS fließen, er babe nicht,
wie Ofianber, cor Willem ba§ 33ebürfntß ber©emeinen im ©inne gebabt bei feinen SEonfä^en, meil er
fonft einen fo febmer ju treffenben, aueb unoolfSmäßigen, melobifcben gortfehritt »ermieben baben mürbe.
©anj ähnlich, gefebiebt e3 in bem SEonfalje ber SDßelobie: 4?erjtid) lieb bab' td) btd) o
^)err**). ©etb 6al»iftu§ bejeiebnet biefe SSKelobte aU ber btwoionifcben Sonart angebbrig, bemerft aber
babei, bafj fte ibrert Umfang in ber J^>bbe ntebt erretebe, unb nacb ber Siefe bin benfelben überfebreite.
2)iefe§ ijt aud) rid)tig, benn fte fdbrettet um eine fleine SSerj binauö über ibre tiefere Songrenje, unb bleibt
oon ber bbberen nod) um ba§ SSerbältnif? eineä ganjen Soneö entfernt. 2Bar nun g, bie Unterquarte be§
urfprünglid) Sonifd}en, bie ©renje ber bt)^otontfcben Sonart in ber SEiefe, fo geborte biefer SEon offenbar
ju ben unt>eränberlid)en, ober boeb, ju ben, niebt obne bringenbe SSeranlaffung ju üeränbernben, meil er ein
ber Sonart mefentltcb er mar. ©leid) bie erfte 2fu§meid)ung ber 5E5ielobie nad) tbrer Unterquarte hatte
alfo ntdb.t »erwifcht werben bürfen. Sa aber nad) ber SGBieberbolung ber erften melobifchen 3eite burd) bie
") (Sbcn ba 9iro. -4.
") ©. SSeifpicl 5Rro. 56.
45*
356
zweite, auf leneS g in ber britten Beile unmittelbar a folgt, fo ijt ber ÜKetfter t)ier roiebcrum oerleitet worben,
eine SHobulation anzunehmen in biefen julefct erwähnten £on, ober in ba§ '#olifd)e, unb tjat be§t)alb burd)
ä>orjeid)nung eineS ÄreujeS jeneS g um einen falben £on gefd)ärft, eS jum Seitton umjubitben. 9hm ift
e» aber babci wieber auffallenb, baß er, in ber britten Seile, bennod) jene oorauSgefekte SEftobulation burd)
bie Harmonie nid)t ausgeprägt, fonbern, ber befferen Stimmenfüf)rung wegen, unb um nun roieberum im
*2£ltc eine Sölobulatton nad) g ju bilben, baS a beS 33affe§ in jener 9Jhttclfiimme ftatt mit ber £>berquinte,
mit ber großen Dberfcrte, bem Seittone nad) g, begleitet l)at. So ift il)tn auch, fn'er, — freilich, weniger
auffaEenb unb ftörenb, als in bem vorigen JBeifpiele, roeil ber üeränberte Son aud) eine melobifd)e 3eile
fcbließt, unb nid)t in ber SDhtte einer folgen vorfommt, — ein nid)t biatontfcbeS Skrbältniß jwifeben bem
2Cue>gangc ber erften unb bem Anfange ber jweiten Seile melobieroibrig entftanben. (Sine fpdtere S3eränbe=
rung biefer ILxt in ber £>berfrimme, roo, roegen beS folgenben d, baS c, rooburd) bie 3eile ,,9Jlein ©Ott
unb £err" abfcbließt, um einen halben Zon ert)6r>t ift, l)at eine gleiche Skranlaffung unb entftellt einen ber
©runbtonart roefentlid)en £on unb ben ©ang ber SJMobie, wenn aud) baburd) nid)t ein gleicher Übelftanb
beroorgebraebt roirb.
@in tabelbafter unb übelflingenber barmonifd)er gortfebritt ft'nbet ftcb, ebenfalls auö einfeiti=
ger (Sorgfalt für bie (Stimmführung, in ber SSebanblung ber bekannten alten SJhlobie: ©ott ber SSater
wobn' un§ bei*), an brei, uöUig übereinfommenben ©teilen. (Einmal ju Anfange be§ ^wetten SSbeileS
ber Singweife, bei ben SBorten: „gür ben Teufel unS bewahr;" ein jroeiteö 9Jhihl im S3eginn beS jw>et=
ten 2lbfalje3 oon eben biefem Steile, reo eS beißt: „£)ir unS laffen ganj unb gar;" enblich in ber oor=
legten Seile, welche lautet: „3lmen, 2lmen, baS fet) wahr." £)ie £)berftimme fteigt hier jebeSmabl oon
bem ©runbtone c ftufenweiS auf ju beffen SDberterj e ; 33aß unb 2llt, in ber ©egenberoegung, laffen c ju
biefem legten Zone crfltngcn ; ber 5£enor gel)t nad) g, won bem oorbergebenben Zone fd)ritlweife auffteigenb.
Diefe euworfcbreitenbe ^Bewegung roirb nun roieber angefeben als felbftdnbige 2tu§weid)ung nad) g, welche
Iis aß Seitton erbeifebt, baS benn aud) jebeSmafjl auSbrüdticb beigefd)rieben roirb ; unb fo bilbet ftcb, bar=
monieroibrig, unb ber Seitcr ber Sonart entgegen, ftatt bc§ 2lccorbe3 ber großen Serte mit fleiner Serj,
ein fold)er mit ber großen, ohne baß er, als 3ufammcnflang, irgenb beabft'cbtigt rodre, ober roiUf ommen
erfd)einen fönnte, inbem eben biefe frembe, baS ©anje ftörenbe 9J£obulation einer einzelnen Stimme uns
notbwenbig oerle^t. SBir ftnben bergleid)en jwar aud) bei anberen Seitgenoffen bcö ßaloifütS, felbjl aus>=
gezeichneten SQleiftern ; eS fallt aber weniger auf in Säfeen oon fünftlicber SSerflecbtung ber Stimmen, als
in foleben einfachen, eine befannte Singroeife barmonifcb befyanbelnben, wo bie (SntfteUung um fo wibriger
empfunben wirb, jemebr fte bie wal)re 9Jcobulation ber £auptftimme uerbunfelnb, eine nur begleitenbe
^ubringlid) in ben S3orbergrunb rücft.
Sonft beruht ber Sonfa^ bcS Setl) GatoiftuS jumeift auf gleichen ©runbfdfecn mit bem £>fianbers>.
Seltener freilich, ftnb bei il)m foldje ^armonieen, bie nur auS einer Sfeitje »on 2)reif längen befteljen, aber
c5 giebt beren bod), wie bie ber SUielobieen : „SSotn ^immel Ijod) ba fomm id) b,er**);y/ Vit*
laactorum decus angeloram u. f. w. 3Bir fonnten aud) bie ber SBBeife beS alten SiebeS über
<5t>rifti fieben 2ß orte am Äreuje nennen, „£)a SefuS an bem ßreuje ftunb***), wenn l)ier nid)t im
Senor unmittelbar oor bem (Snbe, ju bem üorleljten S3aßtone (ber Unterquinte beS pl)rr;gifd)en ©runbtoneS),
•) ©. SBcifpiel Wxo. 57. ••) eben ba 9tro. 19. ' —) eben ba 9lro. 5.
357
auf welchem Der weiche £)rciflang ruht, in einer melobifcben 2lu3$ierung bie große Serj beä folgenben pbrp;
gtfdbcn ©cblußtonS fid) im S>orau$ f>bven liege. £ie ©runbbarmonie wirb jwar burd) fte nicht geänbert;
ju bem rubenben Sone ber ©runbftimme, über bem fte als bcffen burcbgebenbe große ©eptime, ju feiner
großen ©erte berabfteigenb, erfdheint, roirb fte nur flüchtig »ernommen, unb tritt bann ju bem pf;rt>gtfcr;ert
©runbtone E unmittelbar roieber in ihr rechtes S3ert?dltntf?. Mein fte trübt bocb ben reinen £)reiflang auf
bem »orlefeten Sone, unb üergonnt alfo nid)t oon biefem ©afje ju fagen, baß er nur au§ folgen ^)armo=
nieen beftebe. ©ben fo häufig als bei Sftanber ftnb bie ©ä|e, in benen nur feiten erfcbeinenbe ©erten=
accorbe, ober burcbgebenbe, uerbinbenbe Söne bie Sfeibe ber 25reiflänge unterbrechen. S3iel öfter als bort
fommen jebod) ©yncopen vor, unb bie baburcb cntftcbenben aSorbalte. ©ehr gewöhnlich ift bie auf ber
Unterquarte (Dominante) be3 ©runbtonä »or bem ©cbluffe erfcbeinenbe Quarte al§ 33orbalt ber £erj. Sn
bem ©a(5e über bie 9Jielobie be3 £)fterliebe§ : „Surrexit Christus hodie"*) bilbet ft'cb burd) bie
beiben £)berftimmen, welche im \ Saft trocbäifcb fortfcbreiten, wäbrenb bie untern iambifcb ftd> bewegen,
ber, bann regelmäßig in bie große ©erte (mit Keiner Serj) aufgelbf'te SSorbalt ber fleinen 9cone unb
©eptime. ßine längere Steide r»on S3inbungen erfcbeint in ben beiben ©cblußjeilen (ber fünften unb fecbjlen)
ber (miroltjbtfcben) SSetfe be§ 2iebe§: #err Sefu ßbrift wahr' Söienfcb unb ©ott**), wo bie
beiben £)berfttmmen juerft eine 9?etbe fid) auflofenber ©ecunben bilbcn, ber 2llt aber gegen bie Unterftimmc
'Anfangs eine, in bie £)ctat>e binabfcbreitenbe, 9?one barjiellt, bie burd) Fortbewegung be§ SkffeS bann
in eine Saiarte oerwanbclt, in bie große Serj at§ ßettton übergebt ; jule^t Dberfjimme unb £enor in bem
aSerbaltniffe oon ©cptimen flehen, bie in ©erten ftcb lofen, wabrenb jene erfte ju bem 83affe in SJinbungen
2lnfang§ eine ©eptime unb ©evte, bann eine Quarte unb große Serj, al§ ßeitton, jeigt. £at @etb €al=
mftu§, wie wir faben, ben eigentlich melobifcben Sbeil ber con ihm gefegten fird)ticben ©ingweifen
juweilen angetaftet, fo ift bieS bocb mit bem rbptbmtfcben nirgenb gefd)cben; hierin haben alle ihre
ursprüngliche ©eftalt bewahrt. Sie ©igentbümlicbfeit ber Sonart ift burd) bie begleitenben ©timmen meift
einbringlid) hervorgehoben, felbft ba, wo fte burd) SSerdnberung ber SQlelobie tierwifcbt ju fewn fd)einen
mochte, ©ben ba3 juoor befprod)ene Sieb : 4?erjlicb lieb bah' ich bid) o .!perr, giebt bat>on ein SSeifpiel.
25er erfte ©d)lußfaü ber SDielobie wirb burd) bie S3eranberung ber tieferen SEongrenje bee> .^ppoionifcben, g,
in gis nun ein pbttjgifcber, unb fo ftellen ihn auch bie anberen ©timmen ganj regelrecht bar; er ift alfo
fein ber Sonart frember, »ielmebr tterwanbter, unb bie $ol$e be§ h^ten 25reiflangö auf bem pl)rt)gifd)en
©runbtone, E, unb beä, ebenfalls harten auf bem ionifchen, C, fyat fogar, eben biefer SSerwanbtfcbaft
wegen, etwaä erhaben feierliches, fo baß man fid) gebrungen fühlt, ben SEonfe^er felbft ba ju loben, wo
man il)m fonft ben gerechten SSorwurf machen muß, bae> JBebürfniß ber ©emeinen t>emacblafftgt ju höhen,
©inige 9Kal)le hat er, bei pbrpgifcben 9Kelobieen, beren ©cblußton mit feiner Unterquinte begleitet, wie bei
bem 9)falmliebe : %&) ©ott tiom ^immel fleh barein, bem J^t)mnuS : A solis orlus cardine, unb anberen ;
eine %xt be§ ©afje§, üon beren S!JJangell)aftigfeit wir früher fd)on rebeten; auch fömmt bei ihm ein burch
bie Harmonie ionifd) gebilbeter ©d)lußfaü einer mirolpbifcben SBeife »or, ber bes> 3lbenbmahl§liebe§ :
©Ott fep gelobet unb gebenebeiet. Suweilen finb üon ihm in feiner 2lbf)anblung bon ber rechten Äenntniß
ber Tonarten einzelne SÖZelobieen feinet SBerfeS nicht ganj richtig nad) ben ihrigen bezeichnet, öießeicbt nur
nad) bem ©ebdd)tniffe. ©o foll bie SEBeife be§ 2iebe§ : 9JJag td) Unglüd nit wiberftahn, bem urfprünglichen
•) (56en ba 9tto. 18.
") SBeifptcl 5«ro. 55.
358
(regelmäßigen) ^Phrwgtfchen angehören, ba fie boeb, äolifcher Tonart ift; fo t)at er bte SJlelobie be§ ^)t>mnu§ :
Rex Clirisie f;ictor omnium*) bem üerfeljten SRirolpbifcben jugetbeilt, ba3 nur einen abweichenben
©cblufs habe, ba fie boeb in ttjrer Urgeflalt (namentlich wie fie in ßueaö £offiu3 Psalmodia aufgezeichnet
ift) bppomirolpbifdjer SSonart ijt**;, in ber Aufzeichnung unfereS SEßeifterS aber burd) S3orjeicb,niincj
eines b in baS verfemte Dortfeh e fieb umgewanbelt ftnbet, unb nur in ber biemit nicht ju »erwifebenben
Ausweichung nad) ber Unterquinte noch, einen mirolnbifcben Anflang behalten bat. £>urcb, ihn ijt vielleicht
daloifiuS verleitet worben, il)re Semart ju befitmmen, wo er benn allerbingS, wenn er bie SJcelobie in ber
©eftalt, wie er fie giebt, an feinem SSBobnorte al§ gebräuchlich, »orfanb, unb fie nicht felber oeränberte, eine
richtige Ahnung ir>rc§ urfprünglicben ©eprägeS gehabt haben würbe.
Nach biefer Darlegung ber ©e^weife unfereS 9JJeifter§ muffen wir berfelben zugefteben, bafj fie
auf folgerecht angewenbeten ©runbfäfjen beruhe, unb ber feince> 33orgängers> an Sftannicbfaltigfeit ber $ar=
monieen überlegen fet). 3Cucl; ift fie auf anbere Sonfe^er, bie fieb eine gleiche Aufgabe ftellten, oon bebeu=
tenbem (Sinfluffe gemefen; fo namentlich auf feinen Seitgenoffen £anS 8eo Rapier, ber hin unb wieber
gleiche fehler mit ihm tbeilt, unb auf feinen Nachfolger Sobann ^»ermann Schein, beffen SSerbältnijj ju
ihm erft im folgenben 17ten Safjrfmnberte ju befpreeben fei?n wirb. Dfianber hatte junächjt ba§ ©an je
unb beffen ©efammtwirfungin .Klang unb Sonfülle im Auge gehabt, unb be§halb war ihm bie ein=
Z eine Stimme, unb ihr guter Fortgang weniger wichtig gewefen, ja, er hatte fid) für berechtigt gehalten,
feinem ©eficbtSpunfte jufolge, herkömmliche Regeln beS S£onfal[3e3 unbcbenflicb ju überfchreiten. GEawifütS
bagegen fafje ba3 (Sinjelne mehr wieber an ale> lebenbigeS ©lieb beg ©anjen, unb hielt e§, eben beSbalb,
auch bei ber größten Schlichtheit beS ©a^eö, für einen ©egenftanb genauer Aufmerffamfeit. £>ft i(i e3
ihm gelungen, bie boppelte Svüdficbt für 33eibe3 ju vereinigen ; zuweilen ijt burch ba§ ©heben nach
geftaltung be§ ^injelnen auch für ba§ ©anje ihm Neues f)eroorgegangen unb Unerwartetes ; anbere SJlable
hat er ba3 ©anje barüber eingebüßt, ja, e§ ift gefcheben, baf er ben nächsten ©egenftanb feiner Aufgabe,
bie SJMobie in ihrer 9?einbeit, babei angetaftet hat. Allein ihm, bem finnreteben SDieifter, ift felbft ba noch,
neben bem 9Jlif3jtanbe, auch fcae3 ©chöne unb (Srhebenbe hervorgegangen ; ftbrt un3 jener, wenn wir ber
©eftimmung feiner SEonfäfje gebenfen, fo toerfbbnt un§ biefeS wieberum, aB lebenbige 23etbatigung
ihreö jtunjtmertheS. ©o ift ihm mit »ollem 9?ed)te nachzurühmen, bafj bie Äunft beö einfachen 6f)oraI=
fafee§ burch ihn lebenbig fortgefebritten few; unb ift er hod;juhalten wegen beffen, wa3 ihm gelang, unb
ber Äunft angehört, — wie feine treflicben SEonfäfce ber SJMobieen : Sin' fefie S3urg ic. ; £eut' triumpbiret
') Seifpiel SRro. 59.
") Lucas Lossius Psalm. 331. 9i.
M. Praetor. HymDodia XI.
pla - ca - re vo - tis sup.pli - cum te lau-di-bus co - leu - ti - um.
359
©otteS ©olm ;c. uno vieler anbeten, — fo bleibt er aud) ba nod) belel)renb, roo er fehlte, roeil ©inn uno
©ehalt fefneS ©treben» fclbft burrf) bal Mißlungene un§ offenbar werben*)-
SBele^renb in biefem ©inne ijl ein 3eitgenofTe bc§ ßalviftuä, 3} a rt b o l o m ä u $ (*J>efe,
ober wie er ftcb fpatcr nennt, Wcfillö. @r roar ju 9DZund)eberg in ber 9Kittelmarf geboren, roahrfcheinlid)
in ber legten £älftc fco lOren 3af)rbunbert3. Um 1588 ft'nben roir tön ju Wittenberg, von roo au§ er am
Sage be§ "tfvofteß Matthias eine von ifym 5»et< bis fünfflimmig gefegte Rafften nach, bem (Svangelijien
3ob,anne§, SSürgermeiffern unb 9Jatl) ber .Kaiferlichen ©tabt ©brli£ jueignet; eine SBibmung, burd) bie roir
erfahren, caf? er von Sugenb auf in ber Sonfunft geübt rvorben, baß er eine äeitlang bem 4?an3 ©eorg
von ©d)onaid) gebient, unb beffen ©d)u^e§ fich. erfreut, aud) theiß unter beffen tarnen, tl)etl§ fonfi,
viel fd)6ne, herrliche Sertc gefegt habe, ©cgen bae> @nbe bee> SahrhunbertS, um 1598, erfcfyeint er aß
(Santor ju granEfurtl) an ber £)ber, von roo aus> nod) im %at)xe 1624 fünf*, fed)§=, ad)t= unb mefyrjiimmige
£>od)$etßgefänge von ihm in ben 25rud gegeben ftnb. 9cad) ber ^affton, bem früheften ber von ihm
gebrudten SBerf e, gab er um 1594 geiftlid)e Sieber ju vier ©timmen, 1595 fünfftimmige lateimfcfye ^pvmnen
für bie ^auvtfäcr;lid)fien gejte be§ Sab.re§, 1598 anbere fünfjtimmige Sonfdfce b,erauö; er gehört beSfjalb,
unb aud) fünft feinem ganjen ©treben jufolge, bem 16ten Sabjfyunbert an, mögen feine ^auetroerfe aud)
erjt in ben fvüf)efien 3abjen bes> 17ten erfd)ienen ferm. 25a§ erfte berfelben gab um 1601 Sofyonn $art=
mann, 33ud)führer ju granffurtf) an ber ©ber heraus, unter bem SEttel : ©ei(tlid)e beutfd)e 2ieber 25. SJiar--
tini ßutberi unb anberer frommen @l)rifien, welche burdß ganje %ai)x in ber G>l)riftlid)en Äird)cn ju fingen
gebräuchlich, mit vier unb fünf ©timmen nad) gerobbnlid)en 6boral=9Kelobieen richtig unb lieblich, gefefcet
ourd) Bartlioloniaeum Gesium, Francofurtensiura ad Oderara cantorem. 25er 33erfaffer roibmete biefeS
2Berf ,,2ftlen .Kirchen unb ©d)uten, aud) allen d)riftlid)en £auSvätern unb ber MufifFunji £iebl)abern in
ber ganjen Mardt (fo fd)reibt er) aß feinem lieben SSaterlanbe" unb bemerft in ber SSorrebe, er l)abe bie
9>falmen unb lieber, bie man barin ftnbe, vor etlichen Sauren in vier unb fünf ©timmen gefefjt, unb vor=
neljmlid) baf)in gefeiert, baß bie gebräuchliche unb gerobf)rtltd)e ßboralmelobte im 25ifcant behalten, unb
unveränbert geblieben, bamit bie d)riftlid)e ©emeine mitfingen fonne; rote auch biefelben biöfjer in ber
Äird)e unb ©emeine ju granffurth an ber £)ber ju ©otteS 2ob unb @b,ren gebraucht roorben feven. 2£uf
gutfjerjiger 2eute Inhalten unb 33egehren l)abe er fie nun in ben 25rud gegeben. 25ie ßantoren in ben
©d)ulen unb £ird)en mbd)ten aber erinnert fenn, unb biefeä merfen, „ba^ fold)e ßieber bei ber (5r)riftlid)en
©emeine fonberliclben angenel)m aud) lieblid) unb nüfelid)en anjubbren fevn, rvenn ftealternatim in choro unb
orgauo gebraucht roerben, alfo, baß ein Änabe mit lieblicher, reiner ©timme, einen SSerS im organo mitfinge,
barauf ben anbern SSerö ber chorus musicus, unb alfo jebermann neben bem concentu aud) bie verftemb-
lid)e SBort in gebräuchlicher unb gewöhnlicher SJielobie hören unb mitftngen fann, roeld)e§ benn ohne großen
unb merflid)en 9lu^en nicht abgehet." 25er Sonfdf^e ftnb im ©anjen 97, ber ßieber einige mehr, roeil hin
unb roieber auf befannte S^elobieen, roie fie hier mehrftimmig erfd)einen, verroiefen roirb. (Sä fdjeint, baf
biefe ©ammlung mit Beifall aufgenommen rourbe, benn nur wenige %ar>xe fyatex, um 1605, erfebjen eben
') 25er Sonfä^e beS ßatoift'ug bem spfalml>ud)e beS 25r. SornetiuS SSecter roerben roir in bem Scripte über
ba$ 17te 3aJ)rt)unbevt gebenfen, roo oon it)ncn äroecEmäfigcr im 3ufammenl)ange mit bem ©ctjictfatc biefcß SBudjcS ju
reben ijl, als tjier, roo oon iijnen ntc^tö 2fnbcreS gefagt roerben fönnte, at€ oon feinen fo eben befprodjenen einfachen
Stjoralfä^en.
360
Ca, gleichfalls im Berlage ^obatm £artmann§, unb bei feinem ©ohne griebrid) gebrucft, eine gortfefeung
berfettot, unter bem SEitet: „©in anber neu £tyu§ ©eiftlicber bcutfcbet Siebet 35. Martini Süthen, 9cico=
lai .£>ermanni unb anberet frommet ßf)riften, abgeteilt in jwei SSbeile; im erften Sheile bie auf alle £obe=
feit, unb alle Sonntage, 2lpoftet= unb Seiertage burd)ö ganje 3<$*, im anbeten Steile bie »on ben fürnem=
ften ^auptartifeln cbrijtlicber 2ef)rc, in Jlirdjen, bei ber ©emeine ©otte§, unb fonften cbriftlidjen .^ausüätern
in Käufern ju fingen ganj bequem, unb in allerlei üJcotfy unb Greulje febr trbftlicben unb mißlichen. 9Kit
vier unb fünf Stimmen fehlest Gontrapunftsweife nach befannten gewöhnlichen Äitcbenmelobeien gefegt
bureb Bartholomaeum Gesium u. f. w." 25er erfte S£beil biefer Sammlung enthält 66, ber jweite 54
Sonfätse, beibe alfo 120, unb mit ber früheren jufammengenommen 217 SEonfä&e. 25tefe frühere wirb
burd) fte ergänzt, inbem mebre altere, in berfelben mangelnbe ©ingwetfen l)ter aufgenommen ftnb, unb
aud) fyätere, ber Seit be§ 33erfaffcrS angebbrige, nun mitgeteilt werben; e§ fommen aber auch Sölelobieen,
bie in jener bereite enthalten waren, mit anberen Biebern unb in neuen ^Bearbeitungen üor. Jg>ter haben
mir nun ntd)t eine ganj allgemeine Sueignung wie bei bet erfien ; ©eftus hat ftd) bier an befonbere ©bnner
gemenbet, bei bem erften Steile an ben SSüvgermetflcr ber ©tabt gtanf'furtb an ber £>bcr, griebrieb ©cbaum,
bei bem jmeiten an ben bortigen SfatbSoerwanbten ©trt ©anbreutter, unb feine ältefien ©ohne, Sofyann
©eorg unb ©irt; an beibe, ale> ber 9ftuftftunft mächtige görberer, an jenen erften ,,al§ barauf fo geübet,
bag er mit berfelben aufm ^nftrument ftd) oft unb »iel ergeben fann, auch ohn allen Sweifel feine »ielgeliebte
beibe ©bbne neben ben anbern freien fünften bjeju halten unb auferstehen wirb, ©internal bet lieben
3ugenb eine grofje 3ier unb @bre, wenn fte neben ihrem ©tubiren mit ©ingen, unb auf muftfalifchen
jnftrumenten ftd) üben, unb ©Ott loben unb rühmen fbnnen, baju benn fo£d>e ©eiftlicbe Sieber unb com-
positio contrapuneti simplicis nid)t unbienftliclben." SSSir mürben ungerecht fet)n, wenn mir ben wad'ern
©inn, unb ben gleiß btefes braoen 9JJanne§ uerfennen mollten. Grr bat nach, Gräften in feinem 3lmte für
feine jtirebe gemtrft; erbat, mie mit au§ feinet etfien 83orrebe feben, ft'cb angelegen fcpn laffen, neben bem
©emeinegefange auch bie Äunft ju fbrbern, ein lebenbigeä 3Sctf)ältnif! ju erhalten jmifchen jenem, bem
Orgelfpiele, bem ©ängerd)ore ; unb menn mir ihn nun freilich merben tabeln müffen rcegen ber meiften
feiner Sonfäf^e, unb megen 2lntaften§ bet Sftelobieen, fo bürfen mir — fo miberfprecbenb e§ flingen mag
beim erften "tfnblicf — ihm boch glauben, baf? e§ feine '#bftd)t gemefen, bie gewöhnlichen, gebrauch;
lid>en ©ingweifen unüeränbert ju geben. Senn bat er auch atlerbingS manche SSerfefcungäjeidjen ein*
gefebmärjt in biefelben, fo gefebabe es bod) immet nur in bem ©inne, bie 9Jcobutattonen ber ©ingmeife
auszulegen, fte, ihrer S5ebeutung nad), hert>orjul)ebctt, wie, feiner Überzeugung nad), es? burd) ben
Sänger gefd)ehen müffe, wenn aud) bie urfprüngltcbe '^ufjeicbnung bergleichen (5rbbbung3= ober (Srniebri;
gung%icben nicht üorgefcfyrieben habe. GttwaS baran ju anbern war nid)t feine SJceinung ; er bat an
bem bie auf ihn gortgepflanjten, auch wenn e3, üon SJJunbe ^u SOZunbe gebenb, eine Umbilbung erlitt
ten hatte gegen feine frühere ©eftalt, felbft in feinet ©runbtonart — wie bie SBeifen ber beiben ^afftons=
lieber beren wir früher gebachten : GbtiftuS ber un§ feiig macht tc. ; 25a Sefuö an bem Äreuje ftanb —
nicht ba§ wirflid) unb wefentlich Umgeftaltete wieber jurücf bringen wollen auf ba§ Urfprünglicbe,
fonbern baö, was, umbilbenb ober forrpflanjenb, ju rechter Ausprägung ber ©eftalt oerfdumt werben fet),
ergdnjen. ©o fbnnen wir ihn benn aud) als Quelle annehmen für bie, ju feiner 3eit in ber 50iarf
23ranbenburg üblid)e ©ingart, freilid) mit ber aus bem Vorigen üon felbft ftch ergebenben JSßefchrdntung ;
als Ctuelle ndmlid) für bie gewöbnlid) unb üblid) geworbene Umbilbung, nid)t aber bie Auslegung
361
Der SJlelobieen. Denn e§ möchte ju bcjroeifeln fcwn, baß man fdjon vor il)tn einzelne ©teilen ber üblid)en
geijtlicben SEßelotteen ftd) fo gebeutet fjabe, rote e§ in feinen Sonfäfcen gefd)iebt, unb e§ ift roabrfd)einlid)er,
baß ber große Einfluß, ben er in ©d)ule unb jUrdje, unb all ©efanglebrer, auf gefijMung ber ©ingart
haben mußte, baju beigetragen habe, biefelbe fo ju berotrfen, wie »tr fic bei ihm finben, unb bem ©eroöf)n=
liefen unb ©ebräud)lichen eben biefen 2Beg tiorjujeid)nen.
@be wir nun roeiter bietion banbeln, baben rotr auf baS (Smjelne feineö SonfafccS jutior näher
einjugeben, um unfer Urtbeil über tt)rt gehörig ju begrünben. 3unäd)ft fann feinen mebrftimmigen 33el)anb=
lungen Unftd)erbeit unb ©d)roanfung im ©tple mit 3ved)t »orgeroorfen roerben. dr nimmt juroeilen einen
tfnfafc jur ©timmenoerflecbtung (?)olv)pbonie) , wobei er bie melobtfd)en ©runbgebanfen bem Choral ent=
lehnt, fte erfebeint aber nirgenb grunbfa^ltd) unb folgerecht burd)gefül)rt. Sn ben meiften gäüen aber
mangelt auch bie großartige SSreite unb Klangfülle beS einfad)en @boralfh)te§ ; bie begleitenben ©timmen
ftnb mit burebgebenben 9coten unb tierbinbenben Sroifcbenroenbungcn überfüllt, ol)nc babureb, barmonifd) rei=
d)er ju roerben. ©er Sonfe^er mbd)te ber ©emeine genugtl)un roie ber Äunft, allein bie Stifte, bie er
}tt>ifd)en beiben hält, jeigt ftd) meift ab3 leerer Surchfchnttt. Sie jroeite Stimme in feinen fünfffimmigen
©äljen, inbem fte bie Sdtelobie häufig überfd)rcitet, »erbunfelt biefe oft, unb binbert fo bie S£betlnal)me ber
©emeine bei bem ©efange, roäbjenb b^b^en Tlnforberungen bennod) fein ©enüge gefd)ief)t. Sie 83erdn=
berung einiger »brtigifeben SBeifen in äolifd)e roirb man ibm nid)t jurecfynen bürfen, fte berul)t offenbar auf
örtlicher ©ingart, unb fefct ein Sttiß bebagen tiorauS an ben gebetmnißuoll fd)roebenben £onfd)tüffen be§
sPbn>gifcr;en , unb einen Srang nad) oolfSmäßtg befttmmter abfd)ließenben metobtfd)en SBenbungen am
6nbe ber ©efdnge. Sri titer gälten fommt eine fold)e Umroanblüng tior. S3ei ben SKelobieen ber fd)on
früber bef»rod)enen jroei ^)afft'on§lieber : ,,@f)riftu3 ber un§ feiig mad)t," unb : „Sa SefuS an bem Äreuje
ftunb"*); bei ber ftidteren SBeife be§ ^falmliebeS : roolf un§ ©Ott genäbtg fecn, " enblid) bei ber
be§ 2tebe3 tiom jungften Sage :
©ott bat ba§ (Stiangelium**)
©egeben, baß roir roerben fromm;
Sie SBelt ad)t folcfyen ©d)a& nicht hoch,
Ser mebrer S£f)eil fragt nid)t3 banacb;
Sa§ ift ein Säfyen tion bem jüngfien Sag!
Sie Strophe» btefeä ©efangeS enben fdmmtlicb mit einer gleiten Seile, bie bal)er, roegen ihres »ro»beti=
fd)en SnbaltS, einer befonberen 2lu3$etd)nung bebarf, unb fte eben burd) ben auffteigenben, »l)rr;gifd)en
£onfd)luß ftnbet. Sie fonft gewöhnlich im Umfange biefer Sonart in ibrer §8erfe^ung — ber Sonletter
tion A mit SSorjeidjnung tion b als fleiner ©ecunbe — gebräucblicbeSKelobie erfd)eint bier in bem Umfange
oon D mit fleiner ©ecunbe unb ©erte, inforoeit alfo lettergemäf?, «nb ber »olle S£onfd)lup burd) eis ftatt
c roirft um fo auffallenber, ba er ba§ b tior bem eis beibehält, unb baburd) ba§ nid)t biatonifd)e S3erbält=
niß einer übermäßigen ©ecunbe in bie SKelobie einführt. Sa3 botitielt angefcblagene b ber ©ingroeife ftellt
ftd) in ber Harmonie juerft bar alä fleine S£erj be§ roeid)en Sretflangä auf G, bann als oerbotitielte £)cta»e
beS ©ertenaecorbeä auf B ; ba§ folgenbe, ebenfalls jroeimabl hinter einanber geborte eis bilbet bie große
") <5» Sßeifpiet 9lto. 62.
") ©. Seilpiel 9cro. 60.
r. SBinUrfete, tec etanget. C^oralgefang.
46
362
iSerj be§ barten £>rciflang§ auf A, oB nunmehriger Dominante, bei (einem erjien SBorfommen bält aber
oer "Kit (bie britte Stimme von oben in biefem funfjlimmigen ©a£e) ber £htinte jenes 3ufammenHangeS
bie fleine ©evte vor, rooburd) gegen bie £)berftimme ba$ frei eintretenbe, unb regelmäßig aufgelbfte SSer-
hältniß ber übermäßigen (Unter=)£iuinte entftel)t. 9JJan fiebt, ©eftuS t)at fn'er barmonifd) bebeutfam ferm
wellen, unb baSjenige vergüten, ma§ biefer ©d)luß burd) feine melobtfd)e Umbilbung fonft an 9?ad)brucf
verloren l)ätte ; fein f"ird)lid) gebeimnißvolleS ©epräge bat er freilief) auf biefem Söege nid)t erfe^en fonnen.
£b man bamaß in ber 9Diarf mirflid) jenen ©d;luß fjerfommltdjer SBeife fo gebilbet babe, mie er nun i)iex
uns> vorliegt , ober nid)t vielmehr ganj einfad) burd) bie Sone unferer aufftetgenben meid)ett Seiter (hier
h eis d) fortgefdm'tten fer;? mochte fd)n»er ju ermitteln fewn. §3olf§mäßtg allerbing§ ift ein ©d>lußfall
nid)t, roie ber von ©eftusü aufgejeid)nete, er fonnte aber, bei bem SBiberftrette ber ftd) nacbbrüdttd) geltenb
mad)enben vl)rvgifd)cn gortfd)reitung, unb be§ £)range3 ju einem vollen £onfd)luffe, mol)l ftatt gefunben
baben, bann aber gcroifi mit fdnvanfenber Intonation bes> brittle^ten unb vorlebten Sones>, roo fie einan=
ber begegnen, fo baß ber Sonfefcer i)kx ber SSermittelnbe gewefen märe. Saß bin unb rvieber in
ben 93ictobicen ein rlmtbmifcber SBccbfel ba eintritt, roo mir ibn in beren urfprünglid)cr ©eftalt, unb aud)
bei anberen brtlicben ©ingarten nicfyt ft'nben; baß er bei anbern mangelt, roo er fonft gewbbnttd) ift (mie
in ber be§ üiebe§ „£5£amm ©otte§ unfdwlbig"), ober baß an bie ©teile be3 fonft gebräud)licben ungeraben
£afte§ einiger ©ingweifen hier ber gerabe getreten ift (wie in ber beö £iebe§ : „2(llein ©Ott in ber $bb'
fep ©br'"); baß enblid) nid)t feiten fwneovirte £onfd)luffe in ben SJielobiecn vor!ommen: alle§ biefeS
mbd)te 'tfnfangS an ber SEreue ber 2lufjeid)nung be§ brtlid) .!perrommlid)en bei ©eftuä jweifeln laffen,
fänben mir nid)t fonft aud) in biefen Singen fo Ijauftge Abweichungen «ju feiner Seit, baß mir bie fyter
bemerften nid)t eben erft ibm jufdjreiben bürfen. Allein bie 25 eutungen ber SEftobulationen ber von ibm
aufgenommenen SBeifcn geborten ol)ne Smeifel ihm allein ju. Qm nun ftnben mir in einer fef>r großen
9Jlenge von gälten, von benen mir nur einige l)eraue>beben, ein gänjlid)c§ Skrfcnnen mefentlidjer "ilu&
roeiebungen ber von il)m bel)anbelten 93Mobieen, intern er bergleid)en meift in berSKitte ber einzelnen
3eilen fud)t, jtatt bie Siubcpunfte ju beachten, weldje burd) beren ©d)lußtbne bezeichnet merben. (53
ift mabr, baß er jumeilen bie @rbbl)ungen einzelner Sone, bie er vorfd)rcibt, be3l;alb angeorbnet
baben fann, um auf bie mirflid)e SJJobulation am (Snbe ber 3eile bureb fie bt'njubcuten ; gewbl)n=
lid) aber ft'nb fie auf folebe 2lrt nid)t ju erf'lärcn, unb führen Unterbalbtbne ba ein, mo gar feine
Ausweichung vorbanben ift. ©o ift in ber jmeiten Seile ber, im Umfange von F ftel)enben, tont--
fd)en SDielobie : ,,6in' fefte S5urg ijt unfer ©Ott"*) ber vierte Son, c, in eis vermanbelt, weil d
Darauf folgt, ol)nerad)tet bier feine ^u§meid)ung nad) d ftatt ftnbet, fonbern bie Seile in f, bem ©runbtone
beö verfemten 3omTd)en fcbließt. Hud) läßt ©eftu§ ju jenem eis, d, ben 33aß von A nad) B l)inauffd)rei--
ten, vrägt bie 9Jlobulatton alfo in ber Harmonie nid;t au§, fonbern jerftört fte mieberum burd) einen S£rug=
febluß. Sie ftebente Heile, ober bie britte be§ jmeiten Sbeileg enbet er nid)t mit ber Dbcrquinte beö
©runttoneö, c, fonbern in eis, meil d bie näd)fte Heile beginnt, unb leitet nun aud) burd) feine Harmonie
ben SScginn biefer legten mirflid) nad) d. Qx nimmt aber baburd) ungehöriger Söeife bie erft folgenbc,
pbn)gifd)e SOiobulation biefer fväteren 3eile (burd) b a) vorauf inbem er ben ©d)lußtbncn ber vorangeben^
ben Cd eis; ben meid)en, unb ben barten Sreiflang von ben SBaßtönen G, A, unterlegt, mit benen er fie
') ©. SBeifptct 9?ro. Gl.
363
begleitet. Siefpätere, wirf liebe Ausweichung bief er Art beutet er fobann burd) bie£öne GunbF in ber @runb=
jtimme völlig ionifd), verwirrt baburd) bie SRobulationen, unb entfMt bie Singweife. 3n ber p f>r»j=
gifd)en SBeife bes QMalmlicbeS : Ad) ©Ott »om Jpimmel fiel) barein, bie t)ier in ber äJerfefjung
jener Sonart, mit bem ©runbton a unb beffen fleincr Secunbe, b, erfd)eint, iji ber britte Zon ber legten
3eile, b, in h veränbert, weil c barauf folgt; e$ ijl jebod) von einer Ausweichung l)ier nid)t im geringften
bie Siebe, unb bie be,eid)nenbe fteine Secunbe wirb überbem nod) burd) biefe Sorjeicbnung ausgemerzt.
3n ber borifeben SÖJelobie be$ £fterliebe£: ,,Sl)rijt lag in SEobeSbanben"*) fönnte bie SSerfo
berung beä jweiten SoneS ber erften 3eiler g, in gis baburd) gerechtfertigt erfd)einen, baß biefe 3eile nad)
a, ber STberquinte bc§ ©runbtones, ausweicht. SBenn aber in ber folgenben Seile, leiterwibrig, bie f leine
Serj, f, in Iis vcrwanbelt wirb, wegen beS folgenben g; wenn ein ©leid)eä in ber erften Seile be§ jweiten
&f)eile3, anfd)einenb aus gleidier Sjeranlaffung gcfd)iel)t ; wenn in ber folgenben, jweiten, c ju eis werben
muß, weil es" einen Sd)ritt über fid) gel)t, fo ift »on allen tiefen Grrl)bbungcn feine einjige aus" einem
foleben ©runbe ju erflären, unb namentlich ftnb bie beiben er(!cn völlig entftcllenb, weil fte wefentlicbe
äSerbältniffc ber Sonart ,erftoren. 3?od) verte^enber wirft eine äl)nlid)e, enrjtellcnbe SSeränberung in ber
SBeife be§ ÄatecbismuslicbeS : Qfyxifi unfer £err jum Sorban fam, weil eben bas" erjte SEon--
verbältniß, ba§ ber gortgang ber 9)Zelobie barfteüt, bie f leine Serj (0, ein ber borifcfjen Sonart wefent=
licbeS, leiterwtbrig in bie große (Iis; verwanbelt wirb, bie Harmonie aber gar niebt einmal eine Au3wei=
ebung barftcllt in ben folgenben SEon g, fonbern bie erften vier SEone ber SKelobie — wie fte l)ier fteben,
d, Iis, g, a — in ber Unterftimme burd) D, D, C, F begleitet, ©ans übereinftimmenb, unb mit eben fo
übler SSirfung verfahrt ©eftu» in ber erften 3eile ber SEßelobie : SSater unfer im 4?immelreid). ®*e
miroh)bifd)e SBcife bes" alten ^pmnuä: Der bu bift brei in ßtnigfeit wirb burd) Erhöhung
be£, ihr leitergemäß wefentlicben SEonverbältniffes ber fleincn Septime ol)ne wirflid)en £onfd)luß nad) g
ihres" cigentl)ümlid)en ©eprägeS beraubt. 5n ber erften Seile ber 2Beife beä^)pmnu§: ßbrijie ber bu
bift Sag unb 2id)0 wirb ber fünfte %on, f, in fis verdnbert, wogegen nichts erinnert werben fbnntc,
mit 33e$ug auf bie fpdtere, ohne SSerübrung bes Unterl)albtone>, nad) g gewenbete Aufweichung. £>a$
biefem Iis folgenbe g wirb bann mit bem harten £>reiflange begleitet, anfeheinenb au§ feinem anberen
©runbe, als weil in bem Scnor, ber beffen große SEerj, h, enthalt, wegen be§ folgenben c, baS b bem
Sonfefeer unftattl)aft erfdicinen mod)te. Nun geht aber ber Alt mit ber £>utnte biefeS Dreiflangö, d, um
einen Schritt, nad) e, aufwärts, unb läßt bie, wegen bee> folgenben Dreiflangö auf f, wibrige S3erbin=
bung ber großen Serj unb Serte hören; boppelt verlefeenb, weil b, ber Son, in welchem ba§ erfte SSer=
bältniß fid) barftellt, bie übermdfjige £hiarte von bem ©runbtone jeneS £reiflangs ift. 9cad) allem biefem
cnblid) weidit nun bas> @nbe ber 3eile nid)t einmaht regelmäßig auf nad) g; bie harten £)reiflänge von
f, b, f, g fteben nebeneinanber, burd) bie gar feine SDiobulation auageprägt, in benen ber Unterhalbton von
g nicht berührt, ja, burd) ba£ boppelt angcfd)lagene f fogar ba5 ©efühl beffelben verwifd)t wirb, ©leid)
ber erfte SEon ber SQielobie bes SiebeS: bitten wir im fieben finb, g, wirb mit einem Äreuj be$eid)=
net, weil a folgt ; biefe» gis unb a ftellen fid) aber in ber Harmonie bar als" bie großen SEerjen ber SEbne
E unb F, unb e§ ift- feine Ausweichung nach a auggeprägt. 3n ber vierten unb fünften 3eile be§
^weiten 5£f>eiteö :
") SScifpiet 9?ro. 63.
aSeii'pt'cl 9tro. 64.
46*
364 •
Jpeiliger Sperre ©Ott,
.^eiliger fiarfer ©Ott!
roirb bie leitergcmdfje fteine Secunbe be§ $Pbi'99ifd)en, f, wegen be§ folgenben g, §u fis umgeflaltet, bie
Sonart alfo eineS »efentlu$m SSer^äftttiffeS willfül)rlid) beraubt. £>ie 33ef)anblung ber 9Jietobie 25urd)
Äbomö Sali ift ganj uerberbt führt in ber cvfien 3eÜe gis ein anftatt bee> oierten SoneS g, in ber
jmeiten 3ette eis ftatt beö jweiten SSoneS c, »eil a unb d auf biefe urfprünglid)en SSone folgen, allein ohne
burd) eine fpdtcre SSJiobulation eine Berechtigung ju ftnbcn für biefe Umdnberung, ba bie erfte Seite nad) d,
bie jroette nad) a ausweid)t. 9Jlan wirb an biefen neun gällen ft'd) hoffentlich genügen laffen ; üiele ät)n-
licbe bieten ftd) t>on felbft bar, ol)ne bafi man banad) ju fud)en braucht. 91un f'bnnte man in ©eftuS
S5ebanblungen, biefem allem jufolge, fd)on einen 58 er fall beS einfachen 6f)oralfa(3cS finben wollen. So
SBteleS aud) biefe SRcinung mochte ju unterfiüfcen fcheinen, fann id) if>r bod) nid)t beipflichten; id) finbe in
©cfüB Salden ein anbereö Skrbdltnif? ju ber ©ntmtd'lung jener 2frt be3 mel)rftimmigen Sonfa^eS, unb
voill mid) ndl)cr bariiber erfldren.
£>afj bie erfte 4?dlfte beö lCten ^ß^rljunbertS in ber Äunft beS Sonfa^eS alS bie ber @ompo=
ntjien, ber Sufammenfügenben, angefefjen werben fbnne, bie jweite bagegen aB bie ber l)armo=
nifd)en (Entfaltung, ift öfter fcfyon bemerft worben. Sn jener früheren Seit würben bie einjelnen
Stimmen, beren SJZclobiecn, für ft'd} genommen, meifl in irgenb einem bebeutfamen 33erl)dltniffe ju einan=
ber flanben, fünftlid) mit cinanber üerbunben, um fo, ohne S3erle|ung bee> £)l)rc3, eine jebe ungetrübt
burd) bie anbere, mit einanber ju erflingen. Sag, aB fold)e3, gewiffermaafsen jufdllige ©anje baute
au3 bem (Einzelnen ftd) jufammen, jeber Stimme für ft'd) würbe 9Jiobulation jugefchrteben, unb eine eigene
Sonart, bie aB eine »erwanbte ftd> anreihte an bie beS SenoreS, ber $auptf!imme, beffen SEonart baber
aud) für bie be§ ©anjen galt, So war eS, wenn bem Senore irgenb ein fird)lid)er ©efang, ober eine
«Singweife anberer 2ut jugetljeilt war, bie man burd) ein ©ewebe »on mehren Stimmen verherrlichen
wollte; fo auch aBbann, wenn er feinen feften ©efang in biefem Sinne enthielt, fonbern nur, ben übrigen
ähnlich, einen gaben biefeä fünfilid>en @ewebe§ bilbete. 25a$ ©efefc beS einzelnen waltete l>ter gebie=
tenb cor, unb fd)affenb; gab e3 ein fold)e3 aud) für ba3 ©anje, fo war beffen £l)ättgfeit nur eine
oerbütenbe, ben Übelflang abwebrenbe. 2fober§ verfielt e3 ftd) um bie 3cit l)armonifd)er
(Entfaltung. £ier gab e§ nun eine ©runbtonart beä ©an jen, aB foldjen, unb SJcobulation in bie=
fem Sinne, bie, wenn aud) burd) baö ©injelne, bod) in bem ©anjen erfolgte, unb in il)m erfl jur
'^nfd)auung fam, bie alfo nid)t mel)r angefe^en werben fonnte aB üorljanben in bem, für ftd), aB felb=
ftdnbig betrachteten einzelnen. 2)a§ gebietenbe, fd)affenbe ©efe^ offenbarte ft'd) alfo in bem ©anjen,
bem jebeS einjelne untertljan blieb; unb gab e§ ein S3efonbereö für biefeS ©injelne, fo war eö wieberum
nur ein »erbütenbeä unb abwefyrenbeS, baö bab,in gerichtet war, bem eigentümlich au^gepalteten Xi)t\k
bie Schränken anjuweifen, in welchen er ein gntfattenbeS fei) für ba§ ©anje. 9lun war wol)l ba§
@efe% für baä (Sinjelne, bis über bie Sötttte be§ 3al)rf)unberB hinauö, in ber Sehr e genügenb jur (Srfennt=
nig gefommen, unb feftgcftcllt worben; baö ©efef^ für baö ©anje bagegen beruhte, aB fold)e§, allein in
bem inneren ©efühle unb triebe beö Äünftlerg, in feinem richtigen Safte unb Snftinft, wenn wir e§ lieber
fo nennen wollen; in baS 2ßort war e§ nirgenb genügenb niebergclegt. £)ic 2el)re fpann lebiglid) auf
bem bisherigen 2Bege ftd) fort, unb jeigt nur hin unb wieber lichtere S3tide. Mein im Sinne ber alteren
geiftlichen Sonfunfl, ber bie Äird)entöne in ber Crntwid'lung be§ biatonifchen Älanggefd)led)teä ©runb;
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formen geworben roaren, unb burd) barmonifebe Entfaltung biefeS in noch üiel tieferem ©inne mürben,
fam eine genügenbe Üetjrc, bie bas» ©efel? be§ ©anjen oerfünbet unb gebeutet hätte, überall nicht ju
©tanbe. Senn mit bem S3eginn be§ folgenben 17ten Sabrbunberts» trat jener Umfcbmung ein in ber
Äunft, ber bie bisherigen ©runbformen burd)brad), inbem er bie 4?errfd)aft bes> biatonifchen Älangge=
fd>led>tes? aufhob, unb bie be3 d)romatifd)en an feine Stelle fe|te. Sie 3abl ber SSonv-crbälrmffe, bie auS
ber SufammenfieUung ber einjelnen ©lieber ber biatonifchen Setter fiel; bilben, vermehrte fiel) nun um 23ic=
le3, burd) Scharfen unb 2lbftumpfen, Erhöben unb Erniebrigen biefer ©lieber; mar tiefet bisher nur in
bcjtimmten ©renjen gefebeben, meldte burd) bie 9catur be3 Siatonifcben gefteeft maren, ' fo gefd)abe e3 nun
olme alle Siücfficbt auf biefelben, meil bereit ©eltung aufgebort f>atte. ©o entftanb eine gülle oerminbertcr
unb übermäßiger Sonoerbältniffe, unb burd) fie eine Spenge ber mannid)fattigften SJiifjf länge, bie aB
envünfd)te 93iittcl für neue £onfd)öpfungen aufgcfud)t unb angemenbet, ein ganj neues» SSerfabren für ben
mebrjtimmigen Sonfa| mie für bie SJMobiebilbung bebingten, unb ber S5etrad)tung bei» 3)onlebrers» eine
ganj anbere 9?id)tung gaben. ^)iemit hing allerbingS ein jeitiger Verfall ber alten fird)lid)en SEonfunft
jufammen; ein trübes» ©emifd) bei» Gilten unb be3 9Zeuen ging baraus» Ijeroor. ©puren eines» folgen
S3erfalles» aber ftnben mir bei ©efius» nicht; mie mir aud) faum »orau6fe^en bürften, in ben legten fahren
bes» 16ten, unb ben erjten be3 folgenben 3abrbunbert3, einen folgen in Seutfd)lanb bereits? anzutreffen.
Senn am früb eften in Stalten, unb bort aud) erft um jene le^tgenannte Seit, bahnte jene 9?icbtung fid) an,
bie »on bort aus? bann meiter, jumabl über Seutfd)lanb, fid) »erbreitete, unb ben SS er fall bes» Gilten jur
golge hatte, ©efius» aber fud)t melobifcb feine neuen Sonücrbältniffe, jtrebt in feinen £armonieen nid)t
nad) fremben ^Dttflf langen, unb mo mir 35eibee» bei ihm ftnben, tonnen mir e3 auf anbere ©rünbe juruef*
führen. Sie Littel, beren er fid) bei feinem SSerfabren bebient, bie erhöhten ober erniebrigten Sone, bie
er einführt, finb lebiglid) folche, mie fie burd) bie Enrmicflung bes» biatonifd)en Älanggefcblecbts» fd)on v»ot
ihm gegeben maren ; über fie geht er nicht hinaus». 2Ba§ uns» bei ihm ftort als Unflarbeit unb SSermorrem
heit, hat einen ganj anberen ©runb. Senes» fünjtlerifd) richtige ©efübl nämlich, jener fieber leitenbe Srieb,
ber bas» ©efefi für bas» ©an je eines» mebrjtimmigen Sonfa^es» in ber Äunjtübung erfennen unb beobachten
lehrte, aud) ohne in SBorten barüber Sfecbenfcbaft geben ju fonnen, mar nur ben in »ollem ©inne
bilbungs»f räft igen Sonfe^ern ber jmeiten £älfte bee> 16tcn Sabrbunberts», nnb allerbtngS in t>orjüg=
lid)em SJiaafje eigen, ©elten nur, unb auSnabmSmeife, »erläßt fie berfelbe, bann aber fallen fie einem
unreifen ©rübeln anheim, unb fo entfielen bie fleinen glecfen ihrer SBerfe, bie uns» anfiofitgen ©teilen
berfelben. 2lu§ ntebts? 3lnbcrem alfo gehen fie hervor, al§ aus» bem SBiberftreite jmifchen bem»@efe|e bes»
(Sinjelnen, ba£ bereite in ba3 SSort niebergelegt mar, mit bem ©efefje für ba3 ©anje, bas» nur in bem
ermachten, höheren Äunftfmne beruhte, unb mofür ba§ beutenbe SBort noch nicht gefunben mar. Sie
ßöfung tiefet SBiberftreite§ mar aber allejeit nur in jenem ©inne, ©efübte, Sriebe, beä ÄünfflerS gegeben,
unb mo biefemeniger mächtig maren, fonnte ft'e nicht ermartet merben. Sie befchränftere 33ilbung§=
fr aft bes> Sonfe^erä alfo brachte nothmenbig einen 9Jiangel an fünftlerifcher Sicherheit hettmr, unb hatte
bas> überhanbnehmenbe .Ipeimfallen jur Solge an bie ungenügenbe ältere 2ebre, unb an bie Folgerungen,
bie burd) unreifes» ©rübeln aus» berfelben hergeleitet mürben, ©o ift e§ mit ©efius» gefebehen, unb bie
"Srt, mie biefes» bei ihm herbortritt, ift lehrreich, fo menig Sßefriebigung unfer Äunftfüm auch babei finben
mag. ift eigenthümlich, in ber £hat, ju fehen, mie er balb ba§ ©anje über bem ©injelnen oerliert,
bann aber aud) mieber ba§ ©njelne über bem ©anjen. 3nt (5l)oralfa&e ift allerbingö auch bie £auptftimme
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nur ein etnjelneS ©lieb bcS ©anjen, fie ftebt aber baburcb ben übrigen üoran, baß fie eS ift, aus ber biefe
ftd) entwitfeln, unb burd) ihren Sufammenflang bie innerfte Seele jener .Ipauptftimme offenbaren foUen.
Ohm finb beren AuSweid)imgen in ibsen einzelnen Seilen entweber feb on benimmt ausgeprägt, inbem ben
Sd)lufHbnen ihr Untcrbatbton »Orangeat; ober fie ergeben ftd? au§ bem 3ufammenbange beS gortgangeS
ber SJiclobie, unb bebürfen nur noch einer fd)ärferen Ausprägung burd) bie begleitenben Stimmen, beren
eine nun ibrcrfeitS ben erforbertid)en Untcrbalbton einführt. Sber enblicb, fie finb jweibeutig ; bann ent=
fd)cibet bie Gngcnthümlicbfcit ber ©runbtonart, unb ber SEonfefcer bat fie nach beren 83erwanbtfd)aften ju
ben übrigen burd) bie anbern Stimmen ju beuten, unb fo entweber » o II e SEonfcblüffe ju bilben burd) bie
gehörigen Unterbalbtone, ober halbe, inbem er irgenb ein S£ont>erbältnif in ben begleitenben Stimmen
fdjdrft ober erniebrigt, foweit er beffen bebarf. Sie SSeränberung einzelner £om>erbältniffe, jumabl für
bie Sßilbung von Unterbalbtönen, f)at alfo nur für baS@anje einen Sinn; fofem nun biefeS burd) bie
$auptftimme bebingt wirb, fann fie, ber Sfegel nad), in biefer, als einem ©egebenen, nicht flatt haben,
eS wäre benn, baf$ in ihr nur baS 3eid)en ber fd)on ü orauSgefe^ten Scbärfung eines einjelnen
SoneS, ber wirf ltd? Unterbalbton ift, mangelte; wo bann aber nur bie ©rgdnjung einer fehlenben Anbeu=
rung ftatt ft'nbcn würbe, ntct;t eine wirtliche 33eränberung. Sonfd)lüffe in ben einzelnen Stimmen,
fofem fie nid)t auS bem©anjen hervorgehen, finb im 6boralfa!=5e einUnbing; Unterl)albtöne in ihnen,
bie feine AuSweidmng beS ©anjen barftellen, ftbrenb, unb ungehörig. biefem Sinne bat nun ©efiuS
felbft bie 4?auptjtimme, bie ju entfaltenbe SSJJelobie, ju einer ein je Inen Stimme gemacht in befebränftem
Sinne ; er bat i()r Unterbalbtone jugetf)eilt, wo feine 5öiobuIation üorbanben war, ober bie üorauSgefeljre
ben wefcntlid)jtcn SScbingungen ber ©runbtonart wiberfprad), inbem fie Anbcrungcn erforberte, burd) bie
bejeiebnenbe SScrbältmffe jener jerftbrt würben, G>r l)at bann aber jene SJlobulation nid)t einmal)! burd)
bie Harmonie ausgeprägt, beSjenigen alfo, baS ben j£cm feiner Aufgabe enthielt, als Littel ju Grrret=
ebung eines fremben 3wedeS ftd) bebient. £)a§ ©anje ift ihm in bem einzelnen »erloren gegangen,
aber aud) baS Crinjclne, baS ben Äeim bcS ©anjen in fid) trug, über einem fremben ©anjen. Am auffaU
lenbften wirb biefeS ba, wo er eine am Gmbpunfte einer Seile ber SJJclobie mit SScftimmtbeit bargejMltc
Ausweichung üerwifebt, unb beS werdnberten Sd)lufstonS fid) bebient, um baburd) eine ganj anbere einju=
führen, wie wir biefeS in feiner 83ebanblung ber SSBeife: ,,6in' fefte S5urg ift unfer ©Ott" bemerften. So
will er bilben, entfalten, aber er ttmt eS in bem ©injclnen ftatt beS ©anjen*, eS fd)webt il)tn ein ©anjeS
cor, aber eS ift feiner Aufgabe fremb ; biefe entjieht fid) unaufhörlich feinem ©rübeln, er ift jerftbrenb, wo
er entfaltenb fepn will. SSBaS bei bilbungSfräftigcn Sehern feiner Seit Ausnahme, ift bei if)m baS SSor=
waltenbe; bei bem Langel genügenber 2ef;re einesteils Unftd)erbeit jeneS fünftterifd)ctt SEafteS, ber biefen
Langel erfeijen tonnte, anberntl)eilS Unreife ber ^Betrachtung; unb fo entftebt ifjm jumeift baS Ungehörige.
Doch, biefeS freilid) nur ba, wo er ein©egebeneS entfalten foll, wie in feinen ßboralwerfen ; wo er
felbjtdnbig erfinbenb ift, ba fef)rt il)m aud) bie fünftlerifd)e Sid)erf;eit jurüd, ein ganj Anberer jeigt er
ftd) bann, unb fo ift benn aud), i()rem Äun(twertl)e nad), feine ?)affion, eine freie Sd)öpfung, feinen
geiftlid)en Siebem um XSicleS »oranjufteUen. AUein biefe belehren unS bod) wieber über baS Streben feiner
3eit bureb alle ihre ©ebreeben, benn biefe finb burebweg in beren befonberen 33erbälrniffcn gegrünbet, unb
wir burften ihm beSbalb aud) nid)t uorübergeben. Um fo weniger fonnte bieS gefebeben, weil wir fpdter,
wo ein 58 er fall, ben wir bei ibm noch nicht finben, nicht mehr abzuleugnen ift, an ihn mieberum
anfnüpfen werben. Senn an feinem Streben unb Srren wirb unS bann erft red)t beutlich werben fönnen,
367
wie, bei bem £injutritte anderer, in feinen Sagen nod) nid)t oorbanbener 33ebingungen, ba$ Silben jener
fpdteren 3eit eben fo fief? babe geftalten muffen, wie wir eS aßbann [eben werben.
Sfteben ©ctl) ßaroift'uS unb ©eftuS maren im norblidjen Seutfd)lanb für ben einfachen ßboralfaij
aud) anbere SSonfeljer nod) tf)dtig. Unter btefen jeid)nen fid) au3 bie oier £amburgifd)en Drganijten
.ÖieronnmuS 9)rdtoriu3 (ober ©dmlfc), 3acob ^rdtoriuS, Satub ©djeibemann unb
3oad)im Seder. Sa3 SBerf, an voclcfjem btefe vier gemetnfd;afttid) S£f)ctl I^aben, erfcfjien jmar erft in
ben früheren Sagten be3 17ten 3abrbunberts>, um 1604; bennod) gebenfen mir beffelben abft'd)tlid) an
biefem £rte. £ierom)mu3 9)rdtoriu§, ber, jwar nid)t ber 3af)l, bod) bem Sßcfen nad) baran ben »orjüg=
lid)jten 2lntl)eil bat, mar um 1560 ju Hamburg geboren, ®elfyn be§ bortigen £rganijten Sacob ©d)ulfj ;
von biefem feinem Skter rübren mobl bie mit bem tarnen Sacob ^rdtoriuS bezeichneten ßboralfd^e jenes
25ucbe§ ber, benn ber gleichnamige ©ol)n unfere§ £ierom)mu3 fann if>r Urheber nicht fenn, ba er erfl um
1600 geboren mürbe. Über bie beiben anberen fehlt un§ jebe nähere 9tod)rid)t. ^einrieb, ©d)eibemann,
um bie SJiitte be§ 17ten Sabrbunbertä t^n'9/ 9Kitfd)üler be3 jüngeren Sacob 9)rdtoriue> im £)rgelfpiele bei
$>eter ©weelind, mar ein ©ofm #an3 ©d)eibemann§, oorauSfeljltd) alfo etne§ 2tlter3genoffen unfereö
£ierom)tnu3 ; Saoib ©cheibemann, uon bem bier bie 9febe ijt, tonnte ber SSater biefeS legten, alfo 3eit=
genoffe beS alteren Sacob ^)rdtoriu§ gemefen fewn. Joachim Seder lernen mir allein burd) ba§ ju bef»re=
chenbe SÜßcrt fennen. £)l)ne 3meifel »erlebten alle btefe Scanner bie Idngfte unb frdftigjte 3eit tfjre§ SafennS
im lOtcn Sabrbunterte. 83on £icrom)mu$ *Prdtoriu§ miffen mir bie6 benimmt, ba er, wie bemerft, um
1560 geboren, mit bem (Eintritt be§ 17ten 3abrf)unbert3 alfo bereits ein 83ierjiger, um 1629 jtarb; fein
XSater unb beffen WterSgenoffe Sam'b ©cheibemann geboren alfo um fo mein- bem 16ten Sal)rl)unberte an;
mit ibnen allen tbeilt Seder ein »oUfommen gleid)c<j ©treben im ©inne jener merfmürbigen 3cit. See>f)alb
ijt aueb, obne 9iüdfid)t auf bie Sabrjal)l il)re3 fpdter gebrudten @efammtmerfe§, von ihnen bier ju reben.
Siefen 2Berf fübrt ben Settel : 93ielobci)en©efangbuch, barein Sr. 2utf)er3 unb anber (griffen
gebrdud}lid)fte ©efdngc, ibren gemblmlicben SUMobieen nad) burd) ^ieronpmum Oratorium, Soadn'mum
Sederum, 3acobum Oratorium, Saüibem ©ebetbemannum, SJRuftcoS unb »erorbnete £>rganiften an ben
vier @afpelftrd)en ju Hamburg, in »ier ©timmen übergefe^t, begriffen ftnb. ©ebrudt ju Hamburg burd)
©amuel 9?tebinger, 3£nno ßbrijtt 1604. @§ enthalt 88 Sonfd^e im ©anjen: 5 von nicht genannten
9Reijiern, 21 oon ^)ieronnmuä $)rdtoriu§, 30 »on 3oad)im Seder, v>on beiben bie 95Zet)rjaf)l beö ©am
jen ; üon Sacob sprätoriuS 19, t»on Saöib ©cbeibemann 13. ©ie ftnb fdmn it)rer golge nad) alpbabetifd)
georbnet, bi§ auf bie 5, am ©d)luffe ftel)enben ©d^e ungenannter SSJJeifter. 3flle biefe ©efdnge baben,
ber S3orrebe jufotge, bie ju Hamburg ben Iften ©ept. 1604 gefd)rieben, mit bem tarnen: ©abriel ^>uäbu=
»iu§ 9ttobberanuS unterjeid)net ijt, mit ten gleichartigen SBerfen be§ Sft'anber, 9Jiarfd)all, ßaloifiuS unb
©eftu§ benfelben 3med. ,,©ie ftnb in vier ©timmen alfo abgefegt <t>etf3t e§ bort), baß ben SiScant aud)
ein jeber Gtjrtft, mann er fd)on ber Stufte unerfahren, unb nid)t fdjriftfunbig, bennod) mit ben anberen
breien unterfd)ieblid)en ©timmen fein übereinlautenb, gleid) mit mufteiren, unb neben unb fammt ibnen,
im füßen unb lieblid)en 5£ono ©otte bem £errn fingen, unb mit ^>er5en unb Sföunb ib. n l)errlid) loben unb
greifen fann. Senn e§ f>at unb finget ber SBcant, meld)er ftetä oben an ftetjet, bie gemöljnlicbe, unb
fonberlid) biefer Örter befannte SDielobep, meld)e benn aud) gar nid)t mit (Soloraturen unb weit umberfab=
renben Äunftgdngen fd)wer gemacht unb verlängert, fonbern fein fd)led)t, wie fte auf un§ fommen ftnb,
unb bem gemeinen SSolfe in Äird)en unb Käufern üblid), obne aud) bie geringfte fßerdnberung, allste
368
behalten werten." Über bie Verherrlichung be3 ©otteSbienjfeS burch folgen ©efang äußert ftd> ber §3or=
rebner mit S3ejug auf Äimfifptcl unb Äunftgefang auf eigentümliche SBeife. fet> fetjr anmutbig, fagt
er, flinge lieblich, tbue einem cbriftlicben $erjen fanft, unt> helfe nicht wenig jur 2lnbacbt be§ SEBorteS (bei
fleißigem tfufmerfen eincä auf ben anbern), „wenn fold)e cbriftlicbe ©efange entweber bic liebe Sugenb
aufm (Sbor her quinfeliret, ober auch ber Organift auf ber Orgel fünjflicb fpielet, ober fie beibe ein 6f)or
machen, unb bie .Knaben in bie Orgeln fingen, unb bie Orgel binwieberum in ben ©efang fpielet, aß
nunmehr in biefer ©tabt gcbräucblid)." Uber, fährt er bann fort, ,,aßbann mag auch ein jeber @brift
feine fditecbte Saienftimme nur getroft unb laut genug erbeben, unb alfo nunmehr nicht aß bae> fünfte,
fonbern aß ba3 vierte unb gar füglid)c Sfab ben SRufifwagen beS 2obe3 unb *Preife§ göttlichen SRamenö
gemaltiglicb mit forrjieben, unb bß an ben 2CUcrf)bct>ftert treiben unb bringen helfen." Sule^t wirb noch
betn Älügling eine 2el)re gegeben, weld)er bergleichen für ,,ein fchlecht thun" halte, unb wa» S5effere§ unb
.RunjtrcicbcreS gern haben wolle. £ier beißt e§ nun: ,,.Kunft will e3 allejeit nicht aufmachen, fonberlid),
wenn man für ©ort ju fchaffen hat. Sempet ober Archen unb fcfylecbte ßbrijfen laffe man mit überaus
großer, angemaaßter Äunfi unverworren, man fpare biefelbe viel lieber auf anbere Orter. Safelbjf muß
unb foll alle§ fd)lecbt unb recht, langfam unb gravitätifcb im 2efen, ^rebigen, ©ingen unb ©fielen juge=
ben. 2Bo nicht feine ernfihafte Motetten unb berjrübrenbe, bewegliche ^Pfalmen unb ©efange, fonbern
leicbtfertiglicb einher büpfenbe (Stüde unb ßieber auf Gtyor unb Orgeln gefungen, unb mit fremben welfcben
S3ublenfprüngen unb Sidtaden, ober wunberlicben Sugen, aß wemß jum S£anj ginge, gefpiclct werben,
ba fann nicht allein feine 2lnbacbt folgen, fonbern muß auch rcobl bamit ein ©fei für ber lieblichen unb
herrlichen SDiuftca in bie anwefenben £erjen hinein gefeboben unb gepfropfet werben. Unb wäre jwar biefen
vier 9Jluftcß allbie ju Hamburg, unb fonberlid) «Ipcrrn ^)icronwmo ^rätorio fold^S gar wohl ju thuti gemeft,
ja, fte hatten auch viel lieber baran ein jeglicher feine Ättnft beffer fehen laffen, bann wie gefebeben, wenn
fte nicht auf frommer ßbriften rreuberjige§ Ermahnen, um ^nbaebt willen, berfelben $u bienen, fieb ber
lieben ßinfältigfeit alfo befleißigen müffen." 2}iefe SSorte, wenn fte auch, nur ben Sftißbraucb ber Äunff
ju ftrafen fcheinen, laffen boch auch nicht unbeutlich ein Mißfallen burchbliden an berfelben überhaupt.
Vielleicht waren fie veranlaßt burch ba3 fo fel)r überfyanbnebmcnbe ©efallen an ben italienifd)en ©efange
formen ber 33itlanellen, ßanjonen, unb anberen biefer 2lrt, weld)e bamaß häufig auf beutfdic 2ieber, felbft
geglichen Snbalß, angewenbet würben; formen, beren rafcb bewegter, melobifcbcr gortfd)ritt aud) bem
fünftltcberen Sonfa^e größere Belebtheit gab, von biefer Seite alfo nid)t minber ben Grrnff fachlicher geier
mit ©efäl)rbung ju bebrohen febien. S3on baher befonberS mochte man SSerberben fürchten für bie beilige
Sonfunft, baS man von 3(nwenbung ber SOtelobieen vaterlänbifclber weltlicher ©efange bßber nicht beforgt
hatte; beSbalb mochte man — jumabl aud), bamit burd) bie immer freier unb reid)cr fid) entwidelnbc
Äunjl bem ©efange ber ©emeine nid)t ©intrag gefebebe — auf bie altbcrfbmmlicben SJielobicen verweifen,
unb ihre einfache JBebanbtung. Smmer waren e§ jebod) bamaß nur S3eforgniffe wegen möglichen 8Ser=
falleö, benn aud) in ben fünftlicheren ©efängen für firchlichen ©ebraud) fönnen wtr in jener 3eit üon einem
folcben nid)ß wahrnehmen, ©oviel barf inbeß jugegeben werben, baß minbefteiß ^teron^nttte
^Prätortuö, wie er überhaupt glüdlicher war in f ünff lid)en aß einfachen ©äfecn, bergleichen aud) wol)l
lieber gearbeitet haben würbe. Gr iff barin ba§ SEBiberfpiel feine§ 9camenggenoffen 9ERicbael, oon bem fpäter
]u reben ferm wirb. 2)ic fd)lid)ten @boralfäl?c biefeö SKeifferä flehen ben feinigen weit voran, vorjüglid) in
bem feinen ©efüble für bie ßigentbümlicbfeit ber firchlid)cn ©runbtonart jeber bebanbelten gjjelobie ; in
360
tunjtltd)er gearbeiteten ©efängen wirb £teronr;mit3 bagegen bei weitem nid)t von iljm erreicht. ' 25ennocb
gebührt ben üierfiimmigen 35ebanblungen be§ ^)ieronmnu§ ba§ Sob einer reinen, fltefienben, oft bebetttfa=
men Harmonie bei untabelicher ©timmenfübrung. ©ie ift (wenn wir ben bin unb wieber »ortommenben
Langel ber Serj aufnehmen, ber auch, bei ben anbern brei Hamburger £)rganiften un§ juweilen unange=
nehm berührt) frei von allen ben Sflängeln, bie wir bei ©etl) CjawifütS unb ©efütS, wenn auch, au§ »er*
fchiebenen ©rünben, ju rügen fanben. Überall f)errfd)t eine grofje fünftlerifche Sicherheit cor, unb eine
gleiche tfufmerffamreit auf ba§ ©injelne, wie ba§ ©anje, nur baß biefeS in feinen wefentlicben 33ejiehun=
gen nicht immer uöllig t>erftanben unb burcbbrungen, nicht in tiefflem ©inne barmonifch entfaltet ift. 25ie§
gilt jumaf;! »on feinen ©äfjen au§ firengcr fird)lid)en SEonarten, wie ba3 SSRirofybifche unb ^)[)n;gifd)e.
25abei ift jeboch ju erwägen, baf? in feiner SSaterfjabt manche SQMobieen aus? jenen Sonen im Verläufe ber
3eit nicht unerhebliche SSeränberungen erfahren hatten, bie fte ben weltlicheren Sonarten näher brachten,
unb bafj er, feiner Aufgabe jufolge, an ba§ ^erfommlidje ft'ch halten muffte. S3etfpiel3weife ft'nb hier bie
alten ©efänge ju nennen: ,,2(ch wir armen ©ünber," unb „25a SefuS an bem Äreuje ftunb;" jener hatte
einen borifchen unregelmäßigen ©chluf? erhalten, in biefem waren (Erhöhungen einzelner Sbne eingefchlichen,
bie ba3 ftrenge ^f>rx)gifcf;e ©epräge milberten. ©ingweifen au§ ber borifchen, äolifchen, ionifchen Sonart,
wie bie von ben Stebem: 2ßa§ mein ©Ott will, ba6 gfdjeh atljeit*) — Mein ju bir #err Sefu Qfyxift —
£5 Sptm ©ott bein göttlich SBort — £)at er bagegen angemeffen unb würbig behanbelt, unb fte fmb jenen
anbern oorjujtefjen.
Sftod) mehr als fmnbert Sabre nach bem ©rfcr/einen unfere§ 9J2etobieenbud)e» ftanb ^>ieronmriuö
9)rätoriu3 in bem 9?ufe grofkn GriferS für ben Äircr/engefang feiner S3aterfjabt. SOiatthefon erjagt un§
nämlich"), er habe mit eigener £anb ein üoüjtänbigeS Qtjoxalbud) auf Pergament in alten Sonjetcben fehr
fauber gefchrieben, bie SEonart eines? jeben ©efangeg richtig oabei gejeid)net, unb e§ auf ben ©cbülercbor
ber ©t. Sacobi=Äirche feiner SBaterfiabt geftiftet; er leitet von ba ben Urfprung ber um 1588 erfchienenen
6lerfd)en ©ammlung tjex, JpieronpmuS war, al§ biefe berauSfam, 28 Saint alt, unb bamalS ohne 3wei=
fei fchon im 25ienfte jener Äirdje; e§ ift alfo SSKattbefonS S3ermutfmng nicht ohne ©runb. 25aju fommt
bie ft'chtbare S5e$ief)ung ber (Slerfchen ©ammlung, unb be§ SKelobieenbucheS »on 1604, an welchem Sbiexo--
npmuS boch worjüglichen Sheil hatte. S5eibe enthalten genau biefelbe 3£njahl oon Siebern unb SDMobieen,
nämlicb 88 ; in 68 baoon ftimmen beibe ttblltg überein, in jwei anbern haben fte nur bie Sieber, nicht bie
Seifen mit einanber gemein, bei ben 18 übrigen weichen fte ganj üon einanber ab; boch nur, weil ba3
SKelobieenbuch oon 1604 ältere, meift au§ lateinifchem Äirchengefange ftammenbe, ober nicht eigentlich
firchliche Sieber, auSfchieb, unb anbere, $um S£f>eil erft fett 1588 entfjanbene, bafür aufnahm, wie bie
beiben Sieber ^Philipp 91icolai'§ : „SBie fchon leuchtet ber Sflorgenftern" unb „SBachet auf, ruft unS bie
©timme." ^)ierom)mu§, mag er auch fünftlid) üerwobene SEonfä^e lieber gearbeitet haben, als einfache,
hat baher an bem fchlicbten Äird)engefange bennod} mit wahrer Siebe gehangen. (5r hat für ihn gefammelt,
bie erfje SSeranlaffung ju einem berichtigten Gbor-- ""b Siebergefangbuche für feine Skterftabt gegeben, unb
bem 2tttar= wie bem ©emetnegefange bamit auf gleiche llxt gebient ; er l)at biefem legten fpäter angeeignet,
waä bie golgejeit, jumahj in ber 9^ähe »on Hamburg, hervorgebracht hatte, unb gern auch, felbjt gegen
') S. SBnfpicl 5Jro. 66.
*•) (Sljrcnpfotte, <S. 325.
d. SBinterftlt, ttr tranget. e^oralgcfans.
47
370
fein« Steigung für ba§ .Rünfllichere, einen SEfyetl be3 ©cfammclten einfach bearbeitet, um feinen SanbSleuten
ftd) nü^lid) ju crmcifen, unb ben ©ottcSbienft ju »erf)errlid)cn. £>a§ ßob, bas> fein fpäterer SanbSmann
ihm erteilt, ift baher gcwifj ein wohl verbienteS.
3rtCP& rät o tritt ber 33ater be§ Jpieronmrmg, wie wir »oraugfe^en, tjat unter ben
19, meift alten, von if)m behanbelten Sföclobteen auch, eine, erfi ju feiner Seit mit ihrem Siebe entftanbene
gefegt. ES ift bie befannte ju Philipp TOcolai'3 Siebe : „SBadjet auf ruft unS bie ©timme"*). 2Beil
fein iJiame über biefem Sonfa^e ftel)t — Jacobus Praetorius composuit — fo t>at man il)n aud) wol)l für
ben ©änger ber SBeife gehalten, ohne ju erwägen, bafj auS biefem SSermerfe, für fid> genommen, bafür
nid)t§ folge ; etnmaf)l, rocil ba§ SSBort composuit nach, bem bamaligen ©pradjgebraudje ftd) lebiglid) auf
ben Sonfafc bejief)t, bann aber aud; ein äf)nlid)er 33ermerf über folgen Sonfä^en ficht, beren 2Jfelobieen
urfunblid) weit über bie ©eburt ber ©el^er hinaus jurüefreichen. Über Sieb unb SBcife wirb im näd)ftfol=
genben "Mbfdmitte näher ju reben fepn. 2Ba3 ben £onfa£ betrifft, fo f>at Sacob sprätoriuS ftd) treu an bie
2tufjeicb,nung ber SOielobie gehalten, wie mir ft'c am ©d)luffe »on Philipp 9cicolai'3 „greubcnfptegel be§
ewigen Sebent" finben. Sftur einige, ben Sthpthmue» entftellenbe 9cad)läfftgt'etten bcs> £)rude3 im ^weiten
S£b.eile, t)at er mit 9fed)t werbeffert. ben melobifd)en SBenbungen erfdjeint fte ganj fo, wie fte nod)
gegenwärtig an ben meiflcn £)rten im ©ebraud)e ift. 3Sf)r rhpthmifd)er S3au nur ift im gortgange ber
3eit unfenntlid) geworben, unb entbehrt jefet ber majeftdtifd)en SSreite unb bracht, womit gleid) ber Anfang
in il)rer urfprünglid)en ©eftalt ftd) anfünbet, unb burd) welche fpdtev bie Aufrufe :
wo lauf ber 23rdutgam fommt,
ftel;t auf, bie Sampen nehmt,
4?aUeluja !
mad)t euch bereit ju ber 4?od)äett,
im jweiten Steile ftd) auszeichnen; wo bann ber rafcfyere, unb bod) feierliche gortfetyritt be3 golgenben
eine eigentl)ümlid)e ^Belebtheit gewinnt. £>er Sonfafj entfprid)t vollkommen bem Söerthe ber treflid)en
SJlelobie. Gr ftel)t in F, in ben oerfefeten £onfd)lüffeln, unb hat bal)cr wof)l in bem Umfange unfercö
heutigen D dur ausgeführt werben follen, ber ihm aud) ber angemeffenfte ift. Sie «Harmonie befielt meift
auS Sreiflängcn unb ©ertenaecorben, nur einige £onfd)lüffe, bod) nicht am Enbe ber beiben Steile beS
©anjen, machen eine Ausnahme, ©leid) ber erfte jeigt cor Einleitung beS ©d)luffeS in bie Dominante
beS ©runbtonS, in welche ber SSafj eon beren Sberquinte auS tjmabftetgt, auf bem Unterhalbtone biefer
legten, ben in jener Seit feiten t-orrommenben ßufammenflang ber fleinen ©erte unb »erminberten Gutnte,
ber um fo wirfungSwotler ftd) l)eroorl)ebt, ot§ il)m fteben Streif lange »orangegangen ftnb, unb er nur burd)
einen if)m unmittelbar t>oranftel)enbcn, bie »erminberte Quinte twrbereitenben ©ertenaecorb eingeleitet wirb.
%n jwei anbern ©teilen wirb auf ber erften ©tufe üon bem ©runbton auö, unb jwar im 'tfbfieigen ju ber=
felben, bie ©eptime im Senore, unb bann im tflte t>orgel)alten, unb in ben Sufammenflang ber Serj,
©erte unb Guarte aufgelbft, »on benen jeboeb, bie lefete in beiben Sailen weggelaffen ift. Sie ein anbereö
SKal ber Za^ auf ber Dominante üorgel)altene Quarte bebarf, alö eine bamalö febr gewöhnliche <Sä)lup
formel, nur einer »orübergehenben Erwähnung.
•) 0. SBcifpict 9lro. 69.
Die Sonfdfce I$at>t& eibemann ^ jeidmen fxd> auf burd) eine geroiffe SBelebtbeit
unb griffe; fafi immer hat er baf rhvtfnriifcb, @igcntr;ümlid)e ber von i()m bemäntelten SDielobicen glücfltd)
aufgefaßt. SSon tym ift eine jroeite, ju feiner Seit, wenn aud? wof)l nttyt entftanbene, bod) für fird)=
lid)e 3wecfe juerft verrvenbete Singmeife vierftimmig gefegt; bie bef giebef : ,,3Bie fd)ön leuchtet ber SOior;
genftem"*), baf ben 'Anhang bef juvor genannten SBcrfef von Philipp Nicolai cröfnet. Dafj tiefe
SJielobic urfprünglid) bie einef beliebten weltlichen Siebeö gewefen, haben wir fchon früber ju jeigen gefucht.
Ob fte nun bei ibrer Übertragung auf beffen Umbicbtung ju einem gciftlichcn irgenb eine Umbilbung erfahren
habe, miffen wir nicht; fo viel ift gewifj, bafj ©d)cibemann ju feinem Sonfafce fte ganj in ber ©eftalt
aufgenommen hat, rote er fte in 9cicolai'f 2Berfe fanb. 3srt i£>ren melobifdicn 2Benbungen ftimmt fte —
eine geringe 'tfbmeidmng ju Anfange bef jweiten Sbeilef aufgenommen — ganj ber nod) je£t gebräudilid)en
*Singart überein; nicht fo in ihrem rl)t;tl)mifd)cn S3au. Denn bei Scheibemann beginnt fte feierlid) unb
prachtvoll, mit einer Steilje von Sbnen ju vier Vierteln, bie faft bie ganje erfte Seile einnehmen, unb- beren
3eitbauer beinahe verboppeln gegen bie ber jweiten, beren einjelne Zone nur halb fo lang finb aB bie
irrigen, bie alfo um Sßieles rafcher fortfebreitet. Die britte Seile bewegt fict> bann, bis auf bie ©cblupformel,
rhvthmifd) wcdjfelnb, im brcitheiligen Safte. SSon ben vier furjen 3etlen ju Anfange beS jweiten SbeileS
jeigt bie erfle abermals bie langgebebnten Söne ber erfreu Seile beS ©anjen; bie brei anbern verfürjen biefe
Sbne um bie £dlfte, bie 33ervcgung befd)leunigenb ; fobann gel)t bie lefcte Seile be6 ©anjen roieberum glet-
cben Schrittes fort mit fetner erften. Sn biefem Ausbreiten unb 3ufammenbrängen, ba eS nach einer
beftimmten, ebenmäßigen ©runbform gefd)iel)t, füllen mir fein unruhige» ©d)wanfen, fonbern eine gülle
unb OJIannicbfaltigfeit, bie ben begeifterten Son, ben baS Sieb anfd)ldgt, wohl beffer noch, trift als biefeS
felber. Die SJielobie beS ßiebeS vom jüngften Sage, baS in vielen ©efangbüchern je£t nicht mehr
gefunben wirb,
SBacbt auf il)r ßl)rijten alle**;,
2Bad)t fleißig in bem Streit
3n biefem Santmerthale,
SSadjt auf! eS ift mehr benn 3eit!
Der £err wirb balbe fommen,
Der Sag will ein' Abenb h«n,
Die Sünber wirb er verbammen,
SGßer mag für ihm beftab,n! ***>
tritt ebenfalls triftig bemegt auf bei unferem SDieifter. 3n ihren brei erften 3eilenpaaren beroegt bie frühere
Seile ftd) jeberjeit in gerabem, bie fpdtere in breitheiligem Safte, georbneten rlwthmifchen 2Bed)felS ; bie
beiben legten 3eilen fd)reiten, bie Schlußformel ber früheren aufgenommen, in ungerabem Safte fort. Diefer
S3au ift burd) bie Harmonie einbrtnglid) aufgeprägt, nur bürfte an tiefer ju rügen ferm, baß fte, bie
') ©. SSetfpiel 9lro. 70.
") ©. äkifpiel 9lro. 71.
"') 2)qS Ctcfa ftctjt in nicberbeutfdjcr SOJunbart in bem SübecEer (Sndjiribion oon 1545, iebod^ ofine Gelobte. Sic
oon ©aoib ©djeibemann gcfc|te bürfte fpäteflcnö ber jroetten Jpälfte bei 16ten 3atjrt)unbert6 angehören. S5iS ju ttjrem
(Stfc^einen irirb man ba§ Cteb nac^ ber SBolBroeife : „©nttaubt ift un6 ber 3Balbe" gelungen Ijaben, bie mit ihm
gleicher ©tropljt ift.
47*
372
brittlefcte 3eile ausgenommen, bie voüfommen eine Ausweichung in baS Sorifche barftellt, bie ©runbtonart
bcr 93lelobie, bie mirolvbifche, faft burdjgdngig verwifd)t, unb biefelbe tüte unfer G dur behanbelt tjat.
3 o ad) int Werfer, ber vierte unter ben Teilnehmern an unferem 9J2elobieenbud)e, von
bem ber grbfefte $£f)eil ber barin enthaltenen SEonfcuje t>evrül)rt, hat für bie feinigen faft auSfchltefjenb fold)e
©ingweifen gemault, bie aus altem latetnifchen unb beutfehett Äirchengefange flammen, unb tf)r altertf)üm=
licbeS ©evräge bureb, feine £armonieen wohl wiebergegeben. @r liebt babei eine golge von Sreiflängen,
bie er feiten nur burd) ©ertenaecorbe unterbrid)t. SBürbe eine Solge biefer Art ihn ju £)ctaven= unb £luin=
tenfortfehreitungen ber SDZitteljlimmen gegen ben 33af? führen, fo pflegt er beffen Zone gern ju teilen, um
eine ©egenbewegung ju gewinnen, burd) bie ein folchcr geiler vermieben werbe. Selten bebient er ftdb
etneS anbern SSorhalteS als beS ber £luarte bei feinen ©chlufjfällen. Auffallenbe, unerwartete ©d)ritte
ber Harmonie fommen juwcilen bei ihm cor; SKifjlanbe, wie mir fte bei (klviftuS unb ©eftuS ju rügen
fanben, niemals. Unter ben von ihm bchanbelten 2Beifen fallt eS auf bei ber fd)önen beS ßtebeS „£) 2amm
©otteS unfchulbig," bafj fte ganj auf baS ©leid)maaf? beS geraben SSafteS jurücfgebracb,t tfi, unb ber, eben
bei il)r fo bejeid)ncnbe rfwthmifd)e 2Bechfel hier gänjlid) mangelt*). Siefe nid)t t?ortf>eitt?afte Anberung
bürfen wir inbefj nid)t il)m jufd)reiben ; fte gehört wof)l ber örtlichen ©ingart an, wie benn eine gleiche
aud) bei ©eftuS gefunben wirb, vorauSfcklid) alfo in ber 9J2arf SSranbenburg üblich mar.
SEBir ftnb bei unferer Betrachtung beS einfad)en ßhoralfafjeS mit S3orherrfd)cn ber £)berftimme,
bisher von ©übbeutfd)lanb, mo mir beffen ©puren jucvft antrafen, ber Seitfolge feiner AuSbilbung nach,,
junäd)jl in baS norblid)e, »roteftanttfd)c £>eutfd)lanb geführt morben : nad) ©ad)fen, ber SQtarf 95ranben=
bürg, ben ©eeftäbten. (Iben biefer golge gemäf? fehlen roir nun jurücf in baS fübltd)e £)eutfd)lanb, um
bort jene ©puren weiter 5U verfolgen. 3u ben ad)tbarftcn Sonfef^em, bie f)ier für tlm tf)dtig waren, gehört
Jg>an$ Sco >>aMcr. (Sr war ju Dürnberg um 1564 geboren, ein ©ol)n beS von 3oad)imS=
tbal in 33ohmen baf)tn gezogenen SonfünfllerS 3faac Rapier. Siefer fanbte tl)n in feinem 20(ien Satire
(1584) nad) SSenebig, um bort »on bem berühmten AnbrcaS ©abrieli in ber ©e^funfl unterrichtet 5U wer=
ben, wo er bann mit beffen Neffen, 3ol)anne3 ©abrieli, feinem 9Jlitfd)üler, eine enge greunbfd)aft fd)lof?,
unb aud) fväter mit biefem ausgezeichneten Söieifter in fletem 33crfef)r blieb, ©ein Aufenthalt in S3enebig
wirb inbep räum langer als ein %abx gebauert haben, benn um 1585 franb er bereits in ben Sienften beS
©rafen £ctavian Buc^tx ju Augsburg, als £>rgantfh (Sine S^et^e von Sonwerfen, theilS ju Augsburg,
theilS in Dürnberg erfchienen, in ben Sahren 1590, 1591, 1596, 1597, 1599 jeigt, baß feine tonfünft=
lerifd)e Shätigfeit jumeift nod) bem löten 3al)rf)unbertc angehöre, wie fte benn aud) bis an baS @nbe
feines SebenS, bem Seifte unb ©tnne nad), ber 9tid)tung biefer benfwürbigen Seit fortbauemb nachgeht,
©eit bem Anfange beS %abxe$ 1602 ft'nben wir ihn in 9)rag, an bem #ofe beS fimfiliebenbcn ÄaiferS
SRubolfS beS 3weiten. 3n SfiegerS Ard)rö ber ©efd)id)te unb ©tatijitf von SSöh^en**) wirb unS eine
sJlad)rid)t mitgetheilt über ben £ofjlaat jenes gürfien, wie er bei feinem am 20jtcn Sanuar 1612 erfolgten
- £obe gewefen, nad) einer von SÖZid)aet ©dh<»vb, beS ÄaiferS ,,^)of ßontralor AmbtSbienern" gefertigten
Abfchrift. ^)ier ficht ^)anS ßeo ^jaßler aufgeführt unter ben „Stenern auff jwei ^)ferbt" neben mehren
3n bt'efct rfjorfjmifd) auSqcbt'Ibetcn «c(tatt f. biefc «Kclobic SRro. 96 bcr SBcifpictfammtung in SS. *prcitoriuS
Dtcrftimmigcm Xonfa^e.
") II. (VII.; pag. 103 u. f.
373
Jreiberrn unb (Sbelleuten, mit einem ©ehalte von monatlich funfjclm ©ulben feit bem erfkn Januar 1602 ;
bei oer ßapcüe gefd)tcl?t feiner feine (Srroälmung. Orr mag ba£)er rootyl oon bem Äaifer in ben tfbelftanb
erhoben roorben fepn, roie un$ berichtet roirb; ein ebrenbeS, roob>erbiente3 'tfncrfennmiß feine» auögejeid)-
neten 9Bertb,e» aU SEonfünftler. Nach ©erber, ber feine (ürjablung uon .^aflerS gebenSoerbältniffen aus
Srcbcr^ Theatrum unb DoppelmeierS Nachrichten fcbbpfte, roäre unfer SJJcifier im Sabre 1608 alä Spo\ox--
ganift in ben ^icnft bes @burfürftcn ßhrijtian beS 3meiten »on Sad)fcn getreten. Damit ftimmt bie eben
mttgctbeilte Shatfache nicht überein, baß er nod) am 20fjten Januar 1612 ju bem £offtaate SfutolfS be$
3meiten gehört habe ; auch nennt ftch £afjler felber auf bem Sitel bei? fpdter ju cnväbnenben 2Berfe3, um
1608 fortrodbrenb : Sfbmifd) Äaiferlicher SJJajeftät £ofbiener. Dafj er jeboch uon bem ßburfürficn ßfyriftian
feiner großen jtunft roegen bocbgefcbäfjt roorben fei), unb ihn als feinen 33efd)Ü£er geehrt babe, fehen roir
aus" ber Zueignung, gegeben ju Ulm ben lOten 'tfuguft 1607, roomit ^>afjler bemfelben feine, in biefem
%at)xe ju Nürnberg bei ^)aut Kaufmann gcbrudten: ,,^)falme unb chrtjtlid)e ©efänge mit t>ier Stimmen,
auf bie Söielobeoen fugroeiß componiret" überrcid)te; ein SBerf, von bem 170 %abxc fpdter, Äirnberger,
ber auf SSeranlaffung ber ^rinjeffin tfmalia von Greußen eS aufS Neue bem Drude übergab, ein SDiann,
fehr fparfam fonft mit feinem 2obe, ftch bahin äußert, e§ fep , durchgängig befonberö fchon, ber Äunft
gemäß, erbaben, unb mit meiern ©efdbmad bcfjanbelt;" unb t>on bem er bie .ipofnung auäfpricb,t, e3 werbe
bahin mitroirfen belfen, „baß bie .ftunft ber SSJiufif, welche beut ju Sage burcb ungeteilte ßomponifien fo
jämmerlich mißbanbelt vuerbe, oielIeid)t roieber empor fomme unb au» ben SiSolfen ber Umrüffenbeit unb
©efdnnadloftgfeit ficb fyeröortbue." Die 52 funftreid)en Säfce über 27 ßfjoralmelobieen, roeldje
biefe» 2ßerf enthalt, bürfen unS hier inbeß nidrt befcfyäftigen. gür um> ift baS im nächsten Sabre 1608 bei
bemfelben Verleger ju Nürnberg erfdn'cnene SSerf hier baS wichtigere, nämlid) #aßler3 : „£ird)engefäng,
fyfalmen unb geiftlid^e ßieber, auf bie gemeinen 9)telobei;en mit vier Stimmen ftmpliciter gefefjt. " @3 ift
bas" lefete, beffen mir t)on ihm gebacbt ftnben, — fpdtere Auflagen früherer Söerfe ungerechnet; — auch
fcbieb er wenige %al)xe nachbe-r, am 8ten 3uniu$ 1612, faum ein falbes Sabr nach Äaifer SaibolfS SEobe,
an ber Scbwinbfucbt bereits au3 biefem 2eben. @j> mar ju granffurtb am SJiain, moljin er im ©efolge
beä ßhurfürften Sodann ©eorg oon Sachfen ftch begeben l)atte, in beffen Dienfte er wohl, nach 2utflöfung
feinet früheren 83erhaltniffeä ju bem Äaifer, getreten fepn mag. dv mirb mit Siecht ju ben gröpeften Som
meijtern ber lefeten ^dlfte be§ löten 3ahrlmnbert§ gejdhlt, unb auch feine einfachen ßboralfä^e gereichen ju
feinem Scubme. @r mibmete fte fechö SSürgern feiner SSaterftabt Nürnberg, unb 9JZitgliebern beä großen
Sfatbeö bafelbft; feine Sueignung an fte bezeugt un§, ba^ feiner Arbeit eine gleiche 2(bftcht ju ©runbe lag,
al§ ber Sfianberö. @S Ijeifat bort : „Nachbem ich v»or menig %<il)xm nur etliche teutfd)e geifttiche ©efdng
auf ben contrapunctum simplicem mit vier Stimmen folcher %xt unb SCRaafsen gefeilt, baf? biefelbigen
auch in ben chriftlid)en SSerfammlungen von bem gemeinen Spanne neben bem gigural mitgefungen merben
fbnnen; barüber felbften auch oermerft unb erfahren, baf? folcheS in ben Äircben ju Nürnberg, allermeift
aber, unb jmar anfänglich in ber .Kirchen bei unferer lieben grauen, fo ooln in meiner als anberer berglei=
eben compositio» t>on ber lieben gemeinen Jßürgerfchaft mit fonberer 3(nmuthung, ßbrijtlicher 2uft unb
(Stfet gefebehen; t)ab ich, jmar ju feinem anbern ßnb, benn ju 2ob unb 6hr beS 2nimdd)tigen, mebrer
Ermunterung unb Erhebung gottfeliger ^)erjen, unb Srmechtng größerer 3(nbad)t jum ©ebet, unb Danf=
fagung, auch bie anbern ©efdng' unb $)falmen, fo man beren nicht allein in ben Nürnbergifchen, fonbern
aud) anbern Ühriftlidjen .Kirchen burd)§ ganje Sabr ju fingen geübt unb gemobnet, auf gleichmäßige
374
ÜJlanier, nicht jwar ber fubtilen unb großen Äunfi nad), fonbern als für einfältige dfyrifilicfye £er$en,
(bieweil bicburcb gro£e (£t)x, wie ftd) mancher gebünfen laffen mochte, ganj unb gar ton mir nicht gefucbt
wirb) compontren, unb ic männiglicb jum 33ejien in Srud auskommen laffen wollen." ©iebenunbfed)äig
SDtelobieen geiftlicber ßieber t)at Rapier auf biefe 2lrt »ierjtimmig bearbeitet ; nur eine fünffiimmt'g gefegte
beftnbet ft'd? unter ihnen, bie be§ 2iebe§: ,,9tun bitten wir ben heiligen ©eiji." Srci acbtjiimmige ©ä£e
("unter ben Stummem 68. 69. 70) fmb bann ber SUtclobie be§ SiebcS: „^crjlid) lieb t>ab' id) bid), o £err"
gewibmct, beffcn brei ©tropbm, eine jebe befonberS, ju jmei »ierftimmigen ßbbren auf jene ©ingweife
gearbeitet fmb. Scn 33cfd)lup mad)t ein ad)t(timmiger ©afe auf bie SDielobie be§ 9teujabrs;gefang3: „Sa3
alte %at)t »ergangen iji," bie jebod) hier, ber fünfilicben Sachführung wegen, mit einigen (Einfcbaltungen
uon 3mifd}cnfä§cn erfd)eint. "XUc übrigen ©tngwetfen ftnb, bem £itel be3 2Berfe§ gemäfj, ganj einfach,
gefegt, unb faji bttrcbgängig mit feinem ©inn für bie Grigentbümlicbfcit ihrer ©runbtonarten, unb ihres
rtirjtljmifdjen 33aue§. ©ne 9tetbe »on Sreiflängcn bilbet bie ©runblage eines» jeben biefer @ä£e, fte iji
jebocb nicht burd) ©ertenaccorbe allein, fonbern aud) burd) anbere 3ufammenflänge juweilen bebeutfam
unterbrochen, ber ffiinbungen unb ber Siorbalte bei ben Sonfcblüffen nicht ju gebenfen. ©o erfd)eint bei
2lu3weid)ungen in ba§ 'Üolifdbe unb Sorifd)e nicht feiten ber 3ufammenflang ber fleinen Serj, reinen
Sluinte unb großen ©erte, auf ber Sberquarte ber Tonart in meiere ausgewichen wirb, wie j. S5. am
©cbluffe ber erjien 3eile ber SJtelobie ber Siebet : ßbrift lag in £obe§banben*), unb: ßfmji unfer .Iperr jum
3orban fam, unb am ©nbe ber erften Seile bc§ ^weiten SSbeiles» ber SBeife : 9tun freut euch, lieben @l)ri=
jiengmein. 'Kuf ber fiebenten ©tufe ber tonifeben SSonatt bagegen , wenn bie SOtelobie bie £luarte ibreS
©runbtonS berührt, wirb ber £luartfertaccorb burebgängig üermieben, bamit niebt ba§ Sonocrbältnifi ber
oerminberten Quinte (ber Umfebrung be3 SrttonuS) burd) bie äu§ erjien ©timmen entfiebe, wenn aud)
bie unuermeiblicbe SBilbung be3 £ritonu§ felber burd) bie 9Jt ittelfit mmen, wie in ben juüor angeführten
Sailen, überfeben wirb. Unter jener SSorauSfefcung be§ 33erübven§ ber £)berquarte ber ©runbtonart burd)
bie SOtelobie wirb üielmebr beren ftebente ©tufe, wenn fte in ber ©runbfiimme begleitenb erfd)einen foll,
um einen halben SSon — ber urfprünglicben ßeiter ber SSonart entgegen — erniebrigt, unb fo baS S3erbält;
nijj ber reinen Quinte gebilbet, ber £luintfertenaccorb aber mit einem hatten ©reiflange v>crtaufd)t. Sie
unferem £)bre, ba§ unter gleichen SBebingungen an jenen erjien 3ufammcnflang gewohnt iji, unerwartete
©rfebeinung biefeS legten hat benn freilich etwas S5efremblid)e§ , bei unferem SOteijter aber bureb bie '2lrt,
wie er ben Sretflang einführt, jugletd) etwas ©roßartigeS unb ©rbabeneS ; e§ ifi ein, immer bebeutfam
benwrtretenber, miroh)bifd)er "Jlnflang innerhalb be§ Sonifd)cn, wegen be§ melobifchen 5ortfd)ritteä ber
©runbftimme burd) bie fleine jiatt ber großen ©eptime. Sie SSehanblungen ber Söeifen „(Sin' fejie
S5urg ifi unfer ©Ott"**) unb „Allein ©Ott in ber £bb' fep @hr'"***) jeid)nen ftcb eben
baburd) auö, unb gewinnen ein eigentf)ümlid)eS ©eprdge beg geierlicben unb Äird)lid)en, ba§ in ber erjien
burd) ben fühnen rht)thmifd)en 2Bed)fel ibre3 "MufgefangeS, bem in ber jweiten unb britten furjen 3eile be3
'übgefangeö langgehaltene Sone gleid)er Sauer nad)brüdlid) entgegentreten, in ber legten burd) ben |ietig
oorwaltenben breitheiligen Saft fräftig belebt wirb. Sie ionifebe SEonart erfdjeint in biefer SSebanblung,
*) ©. SBetfpict Stto. 74.
") <Z. SSeifptel 9lro. 76.
"•) ©. »cifpicl "31x0. 77.
375
burd) bie Unflätige be3 ^rpgtfcfyen unb SCRirotpbtfc^en, al§ eine oon unferen fjarten Tonarten wefentlid)
oerfd)iebene, unb ber Äird)e angel)6rige, in ber fte mit frtfdjer .Kraft auftritt, unb bod) mit einem "tfnl)aud)e
bc§ ©cljeimnißüollen. ©o f>at aud) unfer Söieijrer bie tonifdje SBeife be3 £iebe3 „#err ßljrijt, ber einig'
©ott'S ©ofm"*) wortrcflid) unb bod) 0&$fi einfad) bebanbelt; bem fo ftnrwoU in il)r üorwaltenben
rl)t)tt)mifd)en Sßecbfel gefd)iel)t fein wolljtcä 9fed)t, unb ber unerwartete ®työ$ nad) ß ftott D am Snbe
ber erjien 3etle — man fonnte tljn eine 2lu3weid)ung nennen in ba3 £t)bifd)e jtatt in ba3 "tfolifcfye"),
wie bie 9)ielobie fie erwarten läßt — ift burd)au3 glücfltd) ; er iji ungezwungen, wenn aud) unerwartet, er
trift in jeber Strohe auf bebeutenbe SBorte, fte l)ert>orl)ebenb, unb lapt bie in ber vorlebten Seile enblid)
erfdieinenbc aolifcfye SDRobulation bann um fo befriebigenber eintreten. — 2tud) in 83el)anblung ber anberen
fird)lid)en Sonarten ijl #aß (er glücflid) gewefen. ©o üornefjmltd) in ber bortfd)en; ein entfdjtebeneS
SBeifpiel baoon gewahrt ber £onja| ber SJMobie; „ßfyrijl unfer Qexx jum Sorban fam"***),
gleid) in ben öier erjien 3ufammenflangen. Die SBetfe, in ber ©ingart wie fte tjter erfcfyeint, fleigt t>on
bem ©runbton be§ Dorifcfyen, d, nad) beffen fleiner SDberterj f, unb Dem ba jlufenweife burd) g nad) beffen
©berquinte a auf. Der weid)e Dreiflang t>on d in t>erfd)tebenen Sagen erfd)eint ju ben erjien beiben S£bnen
ber SKelobte ; bas> folgenbe g wirb in ber ©runbfltmme burd) feine f leine Unterferte (aber äugleid) bie
große borifcfye Sberferte) begleitet, worauf bemnad) ber 3ufantmenflang ber fleinen £erj unb ©erte
rul)t ; t>on ba au§ wirb in ben weichen Dreiflang auf a fortgefd)rittcn. 9tun fann bie Sonart nid)t nad)=
brücflid)er bejeidmet werben, als burd) biefe legten beiben 3ufammenflange, beren früherer (eine S3erfe|ung
be§ mirolt)bifd)en, b, arten Drei? langet) auf ber borifd)en großen ©erte, als ©runblage, ruf)t, ber jweite
ben äolifdjen weichen Dreiflang jeigt, beibe aber bie jwei £<utptrid)tungen be§ Dorifcfyen nad) »er=
wanbten Tonarten unmittelbar neben einanber ftellen. @3 iji bieg eine berjenigen ^armonieen, burd) welche
bie »olle (Sigentbiimltcfyfeit bej> Dorifd)en fid) red)t einbringlid) entfaltet, unb bie bei aller 2lbweid)ung oon
ber 2lrt, wie wir in ben weichen Tonarten ber ©egenwart fortjufcfyreiten pflegen, burd) ifyre große Unge=
jwungenfyett unferem ©efüfjle ft'd) bennod) fofort als gültig bewährt. Da§ aber mag an unferem SJieijier
als> juweilen oorfommenbe sparte in SBefyanblung ber borifd)en SEonart gerügt werben, baß bei einer 2ut3=
weid)ung, eö fep nun nad) bem 3£olifd)en f)in, ober t>on bort nad) bem Dorifd)en jurücf, wenn fte burd)
eine abjteigenbe fletne SEerj gefd)iel)t (c a im erjien, f d im jweiten Salle), wie in ber jweiten 3cile ber
SJMobieen: Durd) 2£bam3 galt ijl ganj »erberbt, unb ßfjrijl ijl erjlanben, er am ©d)luffe bie groß e SSerj
gegen bie unmittelbar t>orl)erget)enbe f leine anwenbet, jumafyl biefe burd) il)re Sage in ber Sberjlimme ft'd)
befonberS geltenb mad)t. Diefer plö^licfye 2Bed)fel be§ SBeidjen unb garten, veranlaßt nur burd) bie bamalö
obwaltenbe ©ewoljnb, eit , 5£onfd)lüffe am @nbe einer 2£btf>etlung ober beä ©anjen eine§ mel)rjlimmigen
©a^e§ jletö mit ber großen Serj ju bilben, üerlefjt notb.wenbig unfer ©efül)l, bem ein gall ber 2lu§nal)me
eben l)ier bringenb angejeigt ju fetjn fd)etnt burd) einen fold)en SDiißjtanb. Unter ben pljrpgifcfyen Son=
fä^en $aßler3, »on benen befonberö bie ber 9JJelobieen : ,,%&) ©Ott vorn Gimmel ft'ef) barein," ,,'iluö
tiefer 9}otI) fd)rei id) ju bir"-^) unb „(Srbarm' bid) mein o sperre ©ott^ff), alle t>on ^)falmliebern, au3--
•) @. Setfptet Stro. 78.
") SBeibeS in ber S3erfe§ung, tpeil bie 5Ketobie in bem Umfange beS oerfe^ten Sonifc^en (F mit 93orjeid)nung
eines b) fidj bercegt.
"*) ©. SSeifpicl SRro. 75.
f) <S. S3eifpie( SRro. 79.
+|) ©. SScifpiet 5Rro. 73.
jujeidmen ftnb, »erbtmt eine ©feile beä gule^t genannten befonberS unfere tfufmerffamfeit. 3n ber ^wetten
3eile, ju ben SBorten :
nach beiner groß' n S5avmf)cr§igfeitr
ftnb bie fünf elften Töne ber Sftelobie, g c h c a, welche burd) bie 33erbältniffe einet £luarte, etneg ob=
unb wieber auffjeigenben £albton§, unb einer nieberfteigenben f (einen Ter$ fortfet) retten, in ber ©runb=
ftimme burd) C A G F f, bie golge einer f leinen Terz, unb jroeicr ©anjtone im 2£bfieigen, fo wie einer
auffteigenben £)cta»e, begleitet, welche ju ber £>berfh'mme eine £lumte, eine f leine unb große Terz, unb
roieberum eine £luinte unb gvofje Terz bilben. Sie beiben erften SSaßtbne ftnb bie ©runblage eines fyavten
unb weichen £>rciflange§, ihren Tonleitern gemäß ; auf bem britten rubt ber Sufammenflang ber großen
Terz unb ©erte, eine 33erfefmng bc§ pbrpgifcben 2)reiflange6 ; nun bleibt aber e, baS im 2Üt bie ©erte
bilbet, unb auch nicht rool)l aufzeigen barf nad) f, wenn nicht verbotene £htintenfortfd)rettungen entjteben
follen gegen bie £berjtimme, liegen, unb fo bilbet ftd) auf f ber 3ufammenflang ber großen ©eptime, SEerj
unb Sluinte, regelmäßig vorbereitet, unb bann in ben iDretflang »on f aufgelbf't; eine feltene ©rfebeinung
ju biefer 3eit, unb zumabl im ßboralfa^e, in feiner ^>erbt)ett aber t>on großer SBirfung, üorzüglid) ju ben
SBorten ber erften ©tropbe:
beiner groß'n SSarmberjigfeit k.
id) fenn mein ©unb' unb ift mir leib,
Daber benn aud) biet wobl feine abftd)tlid)e Sinfübrung »ermutigt, unb fein SDrudfebler üorauSgefefct
werben barf, für weld>en überbem eine befriebigenbe SSerbefferung fchwer ju ftnben fetm bürfte. 2Beni=
ger befonbers? Ausgezeichnetes) ift üon ben 33el)anblungen ber mirolpbifchen SJMobieen, beren überbem
nur eine geringe 3£njabl »orfommt, zu rühmen; bod) ift aud) hier überall bie bejeiebnenbe ft'ebente ©rufe,
bie fleine ©epttme (f), nacfybrüdlid) in ber Harmonie geltenb gemacht, unb ba3 ©epräge be§ £)orifcben
bei einer Aufweichung in baffelbe genügenb hervorgehoben, wie bie Söielobieen: ©elobet fepft bu SeM
dbrift, unb : ©ott fet) gelobet unb gebenebeiet, beutltcb zeigen. Grine melobtfcbc, geroanbte Sübrung ber
©timmen zeichnet alle btefe (Sljovalfdr^e au6, burd) welche einSeber, ber an leicht überftcbtlicbenäScifpielen »on
ber 6igentbümlid)feit ber nrcblicbcn Tonarten unb ibrer barmonifd)en SSebanblung ftd) untemebten will, bie
gewünfd)te S3etel)rung auf befriebigenbe 2Beife erhalten wirb, ©ie zeigen ben ächten Äünftler, ber in bem
oollen23erftänbniffe be§©mnee unb Umfanget feiner Aufgabe ftd) bewährt, unb in bem rechten ©ebrauebe ber
Littel, biefelbc ju lofen; gleichviel, ob berSBau feinet SBSevfeS ein nur einfacher fei), ober ein nad) jener ,,fub--
tilenÄunft" eingerichteter, welche £aßler bier tterfebmäbte, fo febr er bod) oor SSielen bcrfelben Söieifter war.
Jpaßler junäcbft ift (3vtt1)a.vb (&vptf)väu$ zu nennen, dt war ju ©traßburg gebo=
ren, ftubirte ju Altborf, wo er im 3af)re 1587 bie 2D?agifterwürbe erhielt, würbe um 1595 ju bem ßantorat
bafelbft berufen, womit ber Unterriebt in ber Tonhtnft bei ber bortigen gelehrten 83tlbung§anftalt »erbunben
roar, fam enblicb um 1009 an bie tortige ©tabtfcbule al3 Sfector, welche ©teile er ad)t Sab™/ bi§ ju
feinem im 3abrc 1017 erfolgten Tobe befleibete. @§ ftnb un§ jwet feiner SBerfe, beibe im 3<thre 1608
erfebienen, aufgezeichnet, von benen jeboeb nur etneS hier in Betracht fommt. ©ein Titel lautet: „£errn
D. SUcartini Sutberi unb anberer gotte§fürd)tigen SKänner ^falmen unb geiftlid)e Steber, welche man fonften
alä bie fürnembften burd) baS ganje 3al)r in ber cbriftlicben ©emeine pfleget ju fingen, jefct ju mehrem
©ebraud) in oier ©timmen gebracht burd) M. Gotth. Erythraeum, Argentinensem, Cantorcm ju 2(lttorf.
©ebrudt ^ Dürnberg burd) Abraham Sßagemann, 1008." Siefe Tonfäfee ftnb »on "illtborf, ben 17ten
377
2Cprt£ jeneS Sa&teS, 33urgeimeifrern unb SRafy bei- 3feid)3flabt Dürnberg jugefd)rieben, unb aud; au$ biefer
3ufd)rift gef)t hervor, baß ber Sonfefcer eine gleiche '#bftd)t fjattc bei feinem SBerfe, wie bie Urheber ber
juwor befprochenen. „Sieweit id) t>or ber 3eit (fagt @rwthrdu§) etwa in meinen Srübfaten unb &ümmer=
niffen, ettid) wenig ^Pfalmcn unb geifilid)er Bieber trojhetdje Sert unb einjetne SJMobieen ju ©emütf)
genommen, Ijab id) mich unterwunben, nad) meinem geringen Skrmbgen biefelb' in üier Stimmen ju
bringen, bod) alfo, baß ber Stwn ober SKelobie in bie höchjtc Stimme gebogen, bamit biefelbigen jum
bequemlidjjicn unb bejlen SSraud) »on jcbermdnnigtich, aud) bem gemeinen SJcann, tetd)ttich mögen erfannt
unb gefungen werben." Siefe Arbeit, fahrt er bann fort, fei) »on einigen Siebhabern göttlichen SBorteS
unb ber lieblichen SJJiuftc für gut geartet worben, man habe if)n ermahnt bamit fortzufahren, unb fo habe,
unter göttlichem S3eijtanbe, enblicb, ein ,,t>olIfommigere&' SBerf" fid> jufammengefunben, bas" burd) baS
ganje Satyr füglich in ber ctyrijttictycn ©emeine ju gebrauchen fe». SSon biefem ©eftd)tS»unft au§ iji aud}
baS 3ufammcnget)brcnbe nebeneinanbergefteUt, unb fo ba§ ©anje georbnet. @3 beginnt mit ben 9>falm=
liebern, 21 im ©anjen, nad) ber golge bes> ^Pfalter»; ihnen ftnb angereiht üon ber 3af)t 22 big 51 (biefe
eingerechnet) „bie ©efdng', welche man in gefttagen burd)ä Satyr m ttyriftlictyer ©emein ju fingen
pflegt." liefen fd)ließen ftety an bie ÄatedjiSmuSgefdnge (52 — 59), Sob= unb SSittgefdnge (60—78), ein
Sieb »om jüngjlen Sage (79) unb ihrer fed)§ »on S£ob unb SSegrdbniß (80 — 85). 25er SSonfd^e finb tyie=
nach 85, unb eben fo tuet aud; ber 9Jielobieen ; benn rommt auch «n Sieb boppelt »or (ber Sobgefang ber
SRaiia nach ©»mphorian spollio unter ben Sagten 31 unb 50), fo finb bod) unter ber 3al)l 52 jwei »er=
fchiebene SBeifen unb Sonfdfce beS Siebet: „£)ie§ jtnb bie heit'gen jel;n ©ebot" aufgeführt, unb bie 9cum=
mein 59 unb 32, ebenfalls bem 2Befentlid)en nad) in 9JMobie unb Harmonie übereinftimmenb, jeigen bod)
gegen ben Schluß hin eine wefentltd)e Abweichung, fo baß ft'e bennod) nicht für eine jdhlen fbnnen.
betrachten wir ba§ SBerf)dttniß beSSntyalts' »on @n;tl)rduö ©efangbuche gegen ben be3 £aßlerfd)en, fo haben
beibe 53 Sieber unb 9Jie(obieen gemeinfchaftlid). Rapier hat beren 13, weld)e bei @rttttyrdu6' nicht ju finben
finb, unb eine 9E)celobie tjt in beiben, jebod) ju »erfetyiebenen Siebern anzutreffen ; worauf fid) benn bie 3al)t
07 ergiebt, aB bie ber einfach behanbelten ©ingweifen bei^ajjler; benn bie »ier actytfttmmigen ©dlje,
bie fein 2Berf als Anhang enthalt, ftnb Riebet nicht mit in Anfd)lag gebracht. CrruttyrduS, bem jene 13 man--
geln, hat bagegen 29 Sieber unb Söeifen, unb eine SBeife beffetben SiebcS, mehr al§ Häßler. 9limmt man
nun baju, baß er einmaht eine bei Rapier »orfommenbe 5Dcelobie einem anbem Siebe juttyeilt aB biefer,
unb einmaht für jwei Sieber üerfctyiebcncn SntyaltS eine gleiche ©ingweife hat, fo finben wir bie juoor ange=
gebene Saht »on 85 Sonfdfjen bei ihm gerechtfertigt. 3m ©anjen bieten uns> bienacb in ihren Sonfdfjen
beibe SJieijter eine 3ot)I uon 96 9JJelobieen, welche ft'e behanbelten, unb bie wir atS bie gangbarflen ihrer
Seit in bem ©ebiete ber 9fcid)Sfiabt Dürnberg annehmen muffen. 2BiU man ©rwthrduö ben SSorjug juge=
ftehen, baß fein 2öerf eine größere ßaht geiftlicher ©ingweifen enthalt, unb namenttid) mand?e, weniger
beJannte, fübbeutfdje SOZelobie mittheilt, fo muß bod) £aßler jletS eine größere Feinheit beö ©tplS, unb
eine geijlreid)ere SSehanblung nachgerühmt werben. ©rttthrduS ©timmfül;rung ift mit ber feinigen nid)t ju
vergleichen, unb biefem fehlen bie bejeichnenben 3üge, an benen bie (§igentl)ümlid)feit jeber Sonart fofort
her»ortritt. ©eine begteitenben ©timmen ftnb hin unb wieber mit burd)gehenben %bnm unb SSerjierungen
auögcfchmüdt, wie in feiner SSehanblung ber SJlelofcie beö Siebe»: „Sanffagcn wir aCe;"*) ein ©d)tnud,
•) ©. Scifpict 9Jro. 81.
s. SBinterfelt, tet esangcl. G^cratgefang.
48
378
ben wir unbebeutenb nennen muffen, weil er ein willftthrlicb. aufgetragener ifi. Senn burd) tiefe fct)mucf=
reiben äßenbungen ber untergeorbneten Stimmen werben weber btefe felbft eigentümlich auägeftaltet, nod)
erfd)eincn jene au§ ber ©runbmelobie gefd)bpft, unb it)r ein fünftlicheS SSongcwebe unterbreitenb, nod)
wirfen fie enblicb, bahin, bie Harmonie reicher ju entfalten ; e» ifi alfo feine wefentliche SScranlaffung ju
entbeefen, weshalb ber STCeifier uon feiner fonfligen litt ber S3ehanblung hätte abweiden bürfen. 3n Säfcen
fold)er 2frt nähert ©tt)tr)rau8 fidj) ber SBehanblungSweife be§ ©efütS, obgleich er fonft über ihm fleht in grb=
fjerer 9?eitu)eit ber SQMobicen, unb SSermcibung ber garten in ber Harmonie, burd) bie jenes 9JJeifter§
£onfä£e fo oft entfiellt voerben, weil e3 ihm an Sicherheit funftlerifchcn ©efüf)B mangelte. 2Mefe§ beftfjt
(Srpttjräuö in viel höherem 9Jcaafjc ; er barf ftetS mit Ghrcn neben £afjler genannt werben, wenn er ihn
aud) nicht erreicht, unb mir beftfeen an biefen betten, fo wie an Oftanber, bie heften Sölufier be§ einfachen
(ShoralfafjeS in Sübbeutfd)lanb um ben Ausgang be§ 16ten 3at)rhunbert§. 9J2tchacl $}rätortu3, in ber 33or=
vebe feiner Urano-Chorodia nennt unS noch, »IC« breast Stafcltttö unter ben fübbeutfcfyen Sonfunfb
lern, bie in biefer Sfichtung fid) ausgezeichnet, unb beren SBerfe er empfiehlt. Siefer mar in Imberg gebo*
ren, unb mir finben ihn um ba§ Sfafa 1383 als SDZagifter ber 9)l)ilofopl)te, (5l;urfürflttd> spfäljifchen #ofs
capeümeijier, unb Sehrer an bem $>äbagogium ju $cibelberg. 9htr ein Saht barauf, um 1584, erfdjeint
er aber ju SfegenSburg alS @antor unb College am Gymnasio poetico, hochgeehrt megen feiner Äenntniffe,
feiner Äunfrfertigfeit, feiner ÜDtilbe unb greunblidjfett, burd) bie er bei Äött)olifdjen mie sproteffanten fid)
gleiche ©unfi erwarb. Wit bem Ausgange beS SabrlrnnbevtS foll er in feine frühere Stellung nad) ^>eibel=
berg wieber jurücfgefefyrt fepn unb bort fein Üeben befchloffen haben, dasjenige 2Bcrf, wegen beffen biefer
trefliche SRann hier ju nennen fepn mbd)te, wäre baS t>on ©erber*) unter folgenbem SEitet angeführte:
,,9?egenfpurgifcher Äird^en (Sontrapunft. 2CUerlep üblid)e unb in d)riftlid)cn SSerfammlungen gebräuchliche
geijrlid)e *Pfalmen unb ßieber D. ßutherS unb anbercr gottfeligen Scanner, mit fünf Stimmen. Stegenfpurg
1599." Sd) renne baffelbe inbeß ntdjt auS eigener 2tnfd)auung, unb ber eine Sonfafe, ben ^rätortuS,
wahrfcheinlid) eben bafjer, in feinen Sionifd?en SDiufen mitteilt, genügt nid}t, um über ben Sßertb, beS
SonfefcerS ju entfdjeiben, um fo weniger, alS l)ier nid)t einmal)! bie £>berftimme, fonbern ber SSenor bie
ÜHelobie führt.
@be wir nun übergeben ju bem 9Jieifter, beffen reiche Sammlung einfach gefegter getftlicher Sing=
weifen wobj 2lUe§ umfaffen bürfte, waS »on biefen im Saufe beS löten bis in bie erften Saf)re beS 17ten
3ahrfmnbertS in ber lutfjerifcfyen .Kirche fjeimifd) geworben war, ju SDlidjael sprätoriuS nämlich, ; bleibt ein
£onfc(jer unS nod) ju erwälmen, ben wir, weil er ber 3?id)tung ber legten ^älfte be§ 16ten Sabrt)unbert6
folgte, bter ju befpred)en haben werben, wenn aud) 2ÜIe3, waö er öffentlich, gemacht, erft in ben früheren
3at)«n beö 17ten 3ahvhunbert§ erfchien. @ö ift $£fceld)iot &tttp tuö. @r war ju SÖJafungen in
ber gürfllichen ©raffd>aft J^enneberg geboren, wahrfcheinlict) in ber jweiten ^älfte be6 löten Sahrh"nbert6,
unb mag wohl gegen beffen 2(u3gang bereits bie Stelle al§ ßantor ju SBeimar erhalten haben, in ber wir
ihn biä an fein Sebenöenbe (1G16) finben; benn baö 2ßerf, oon bem wir ju reben t>ben, erfchien bereits
J«m ff*™ 9Kal)le um 1(503, unb erfl 1609 in ber ©ejlalt, wie wir eS in »ielen S3üd)erfammlungcn finben.
eö würbe ju 3ena burd) Johann SBeibner gebrueft für ben 83erlag be§ ©uchhänblerö ^einrieb, S3irnftiel ju
granffurth, unb führt ben Zxtd : Gin fd)6n geiftlid) ©efangbuch, barinnen Äirchen=©efange unb geiflltche
•) ÄS. II. Col. 233. 231.
ßieber 25. ÜRatttni Süthen unb anberer frommen ß[)riften, fo in ben chrijtlichen ©emeinen &u fingen
gebräuchlich, begriffen. Wit »ier, etliche mit fünf Stimmen, nid)t allein auf eine, fonbern beS mehren
3$gft§ auf J^et Dtier breicrlci 2lrt mit fonberem gleiß contracunctSmeife gefefjer, im £>ifcant ber Ghoral
richtig behalten, unb jum anbcmmabl feftr vermehrt unb »erbcffert in £>rucf »erfertiget (1609). ©S ift
»on bem 2Beimarfd)en ©cneralfimerintenbentcn, ©. XntontuS 9)robuS, mit einer SSorrebe begleitet,
„gefchrieben ju 2öeimar ben 17ten Sag SecembriS, im %at)X ber legten 3eit 1603/' roeld)e für bie
©efd)icbte beS S3ud)eS tute beS SonfcfscrS nichts ScnfroürbigeS enthalt; eS f»rid)t ft'd> eine aufrichtige Siebe
für ben heiligen ©cfang barin au», bod) nur als fd)voad)er sJcad)flang ber begeiferten Sobrebe SutfjerS auf
bie Sonfunft, »on ber faft in allen 83orrcortcn ©eiftlicher ju fird)lid)en Sieberfammlungen jener 3eit etr»aS
roicbertönt. folgt eine 3ufd)rift beS SonfefcerS, »on SSBeimar auS am lften 9Kai 1609 gerietet an
bie ©eiftlichen ju Coburg, £clbburg, ©otH GriSfelb, 4pil»er[)aufen, 9?6l)mhelb, 9ceuftabt, 2BalterSf)aufen,
ftobad), unb mehre Cjble jener ©egenb, 9Reld)tot »on S3obcnI;aufen, Urban »on (Sfdjroe, £)i»»olb »on
©d)önfelb, u. f. ». GS roirb »on ihm barin berichtet, bafj er, um nid)t in bie ©ünbe beS §3ergrabenS
feineS ^PfunbeS ju fallen, jroci Steile lateinifd)cr ©efänge in bffentlidmi Srucf oerfertigen laffen, unb nun
in gleichem ©inne aud) biefeS 3Berf herausgebe, über baS er ftd) fonjt nid)t näher »erbreitet. @S enthält
135 sJcummern, unb unter ihnen 157 ©mgroetfen, unb 266 Sonfäfce. Senn »erfd)iebene SJcelobieen
beffelben Siebes, unb abroeid)enbe SEonfäfce aud) gleicher ©ingroeifen jtcf)en allejeit unter berfelben 3al)l
nebenetnanber, baljer benn bie 2lnjal)l beibcr bie 3al)l überfd)retten muf?, unter ber fte baS 33ud) aufführt;
unb roenn biefe Überfd)rtitung nid)t nod) beträchtlicher Jji, fo rührt biefeS baber, roeil b,in unb roieber aud)
SDMobie unb Sonfafc fid) ju »erfd)iebenen Siebern roieberbolen, neben benen fte aber bann »ollftänbtg
roieber abgebrucft finb. SBenn $ProbuS unfern 83ul»iuS einen febr roeitberübmten SKuficuS nennt, ,,alS
ber mit ben excellentissimis artificibus superioris et hujus saeculi, Orlando, Meilando, Gallo, unb
anbercn gleid) ge()c, rote feine herrliche, im Srucf ausgegangene composiliones bezeugten, " fo ijl biefeS
Sob mehr auf feine üftotctten ju bejteben, als bie einfad)en ßt)ora[fdfje , roelcbe fein burd) ben SSon-cb=
ner eingeführtes1 S3ud) unS bietet. SSutpiuS liebte ben funjfreid) »erf!od)tenen SEonfafe, ben er treflid)
bebanbelt, unftreitig »iel mehr, als ben einfad) barmonifchen. Diefer franft bei il)m nid)t forool)l an
gärten im 3ufammenf lange, aB an mangelhafter ©timmenfübrung. gajl burd)gängig in feinen 5£on=
fäfcen ju »ier gleichen ©timmen, fo wie in ben meiften fünfftimmigcn, überfd)rettet bie jroeite 35i§fant=
ftimme bie in ber erften eingeführte ^»auptmelobie, unb »erbunfelt fie baburd) mehr noch, oX% menn fte,
roie bei ben älteren 9Keiftem, in bie Senorftimme gelegt roäre. Senn bort fann fte, »»eil biefe ©timme
»on jvoci ihr ungleichartigen umfdjloffen mirb, fd)on burd) beren eigentümliche Sonfarbe herauögeho^
ben ruerben, roie fte benn aud), meift ernfter unb gemeffener einherfchreitenb, alö bie fte begleitenben, fd)on
baburd) »or ihnen mehr heroortritt. ^)ier, in einer ©timme ftd) beroegenb, bie »on einer gleichartigen, fid)
meift Son für £on in gleichem gortfehrttte il)r anfd)lief?enben überfd)rttten roirb, »erftnft fte »bllig in bie
©efammtheit be§ 3ufammenflange§, ohne h«au§gel)6rt merben ju fbnnen, fo ba^ jenes „richtige Schalten
be§ ühoralS im SiScant," beffen SSulpiuS ftch rühmt, ju einem ganj leeren, bebeutungölofen 58orjuge
roirb. Durch eine eigentümliche S5ehanblung»art unterfd)eiben fid) übrigens roeber bie fünffiimmigen,
nod) bie hin unb mieber »orfommenben fed)S= unb ftebenftimmigen SEonfälje beS S>ulpiuS »on benen ju »ier
©timmen. %n feiner S3el)anblung beS lutberifd)cn SiebeS ,,3efflia bem tyxoyfyetm baS gefchah," be§
beutfehen ©anctuS, (teilt er, beS ßontrafleS roegen, dergleichen ©ätje ju »ier, fünf bis fieben ©timmen
380
jufommoi mit einzelnen jmciftimmigcn, ja, ganjen Siethen foldjer 2frt; abmcchfclnb tritt auch etnmahl
ein oierfiimmiger ©a£, ober eine einfach, befyanbelte Intonation ba$rotfd)cn. Mein nur bie gübrung
Der Stimmen ft'nben »vir, mie c§ nid)t anbers? fewn fann, bebtngt burd) bie größere ober geringere
'tfnjabj ber mitwtrfenbert/ bie SBebanblung bleibt bem SBefen nad) biefelbe.
2>er an 9J}elobieen, mie an Sonfdljen geipeber ßieber unjtreitig rcid)ffr itünjtler biefes? 3eit-
raumS, S9ltd)<tcl ^JratorutS, i(t in ber Sbat auch einer ber bebeutenbftcn auf bem ©ebtere be$
einfachen Gihoralfa^eS. dv fielet, im eigcntlid)jten ©inne, an ber ©renjfdbeibe beiber 3>abrhunberte, be§
16ten unb 17ten, unb trenn man aud) nid)t fagen fann, baf? er in ber Äunftrichtung bes? einen ober bes?
andern, febaffenb unb erfinbenb, aB gübrer unb #aupt gelten fbnne, fo haben bod) beibe 9?id)tungen in
ibm ein finniges? SScrftänbnifj unb eine funftgeübte £anb gefunben. £)arum fchliefsen mir hier unfere 2)ar=
ftellung mit ihm, roie wir, in bem folgenben Sflbvbunberte, fie an il)n roieberum fnüpfen merben. @r mar
ju ßreujburg an ber SBerra in SEbüringcn geboren, am 15ten S^ruar 1571, unb fd)ieb an eben bem Sage
be§ 3abre3 1621 aus? biefem ßeben, follenbete alfo eben funfjig Sabre, unb nicht 43, voie au3 ber bei
©erber mitgeteilten Unfcrfd)rift feines? SSilbes? ju fd)liefjcn mdre, bas? ftd) in ber jlird)e ffieatae SCJZartae
83irginiö ju SBolfenbüttcl beft'nbet. £>iefe Unterfd)rift nennt ihn $rtor be§ ©tifteä 9?ingelt)eim, ßa!peU=
meifkr unb @ammerorganift am 33raunfcl)mcig:2üneburger .£>ofe, unb al§ aud) von anberen @burfürftlid)en
unb .^erjoglicben Spbfm mit bem Stiel ihres? (Sapellmeijters? beel)rt. ©ebon feit 1596 befletbete er fein 'tfmt
ju SSBolfenbüttel ; SSBcrfmctflcr führt il)n an mit feinem SEitel unter ben Sonfünjtlcra, meldje bie in jenem
Sabre wollenbete neue £>rgel ju ©roningen prüften unb ihr ©utad)ten barüber gaben. Und) als? ©el)eim=
fdjreiber ber #erjogin (Slifabetb, ©emal)lin Heinrichs SultuS von 33raunfcbmeig, mirb er genannt, '#ufjer
feinen ndebfren 5ßefd)ü^ern unb ©onnern, ben .^erjogen ^einrieb Sulius? unb griebrid) Ulrid), gelten aud)
anbere gelehrte unb funfiltebenbe gürften feiner Seit tt)n in hoben (Sbren, unb nahmen bie £)arbringung
feiner jablrcicben 2Berfe gern auf. ©o l)at er feine Hymnodia Sionia bem Abnige 3acob bem (Srften von
Gnglanb jugeeignet, feine Missodia bem ßburfürften Johann ©igis?munb von S5ranbenburg, feine Urano-
Chorodia bem ^)erjoge Johann griebrid) von SBürtemberg. @r war einer ber tbdtigjten unb jtrebfamjten
SKdnner feiner 3cit; faum gab e3 ein ©ebiet ber Sonfunft, mobin fein forfd)enber ©eift unb fein unermüb--
lid)er glcip md)t gereid)t l)dtte, unb nid)t leid)t wirb man ^entanb ft'nben, ber gleid) il)m, in fo großem
Umfange, mit ben grjeugniffen feiner SSorjeit unb ©egenroart befannt geroefen rodre, unb il)r SBefen mit
gleicher ©rünbltdifeit ftd) angeeignet f)dtte. SBa6 bem ©efd)id)tfd)reiber ber Äunfl fo roertl) fe»n muf,
eine gültige ©timme über ben (Sinbrucf, ben if>ve ^erttorbringungen auf bie 3eitgenoffen ber Aünjtlcr mad)=
ten, ba§ ft'nben mir bei il)m, unb bttyalb ift, jufammengenommen freilid) mit ben Äunftmcrfen felbjt,
namentlich ber britte Sbeil fetneS Syntagma musicum eine ber fdjdfjbarften Quellen für bie ©efd)id)te ber
Sonhtnff, jumalil er un§ aud) barüber belehrt, auf roeld)e SBeife man Sonmcrfe um feine ßeit jur £)ax<
Teilung brad)te. T>ie genaue unb grünblid)c SBeurt^eilung biefeö gelehrten unb umfaffenben 2Berfe§ barf
jebod) hier un§ nid)t befd)dftigen, fo mand)e§ SSelchrenbe mir audb für unferen 3mecf barau§ febbefen mer=
ben. äud) fbnncn mir nicht auf jebeS ber 25 2Berfe eingehen, meiere ©erber im britten S5anbe feines?
neuen Sericon§ ber Sonfünjtler (Col. 758—761), freilid) nid)t ganj genau, won ^)rdtoriu§ anführt, unb
bie au§ bem 3eitraume von 1600 big 1621 herrühren. 91id)t genau nennen mir jene Angabe; benn mollen
mir, gleid) ©erber, jeben £f)eil eines? umfaffenben SBerfeö, menn er einigermaafjen als für ftd) befiehenb
betrachtet merben fann, für ein befonberes? 2ßerf jdhlen, fo mürben, aufjer beren fecbjebn, bie entmeber
381
nicht geglichen 3tu)altS ftnb, ober bocb mit beutfcbcm unb lateinifcbem ßboral ftd; nicht beschäftigen, an
SBerfcn biefer legten TSxt 15 vorbanben ferm, von benen jebn ba§ beutfd)e geijllidje Sieb, fünf bagegen ben
(atetmftyen Äircbengefang jum ©egenftanbe haben, fo, baß wir alfo beren 31 im ©anjen jäblen müßten.
(?$ ft'nb nun jene erflen vornehmlich, über bie mir ju berichten haben, menn mir auch Cegten nicht ganj
vorübergehen bürfen. 3mei fpätcre SBerfe, eine neue SBebanblungSart be§ @boraß bietenb, merben
mir bann in unferer Darjlellung be§ evangelifd)en ÄirdiengefangeS im 17ten Sabrbunberte näher
befpreeben.
SOcidbacl tyxittami begann feine Arbeiten über ben beutfcb=cvangelifcben Gshoralgefang juerft um
ba$ 3abr 1605 bffentlid) ju machen; bei ihrem großen Umfange haben fte ihn gemip längere 3eit vorher
febon befebäftigt. 3n bem gebadeten 3abre erfebien von ihm ju 9iegen3burg ein SBerf, beö Sitelö: „Masae
Sioniac ober gciftlicbe Cmnccrtgefänge über bie fürncmbften £erm Sutberi unb anbercr teutfehe spfalmcn,
mit acht Stimmen gefegt, unb jugleid) auf ber £rgel unb ßbor mit lebenbiger «Stimme unb allerhanb
3nftrumenten tri ber .Kirchen ju gebraud)en; 3" Srud verfertigt burch, 9Jiict)aelem Oratorium, gürjllid)
33raunfcbroeigifd)cn ßavellmciftcr unb ßammerorganifkn. ©rfter Xtjeil." tiefem folgten jmei Sabre
fväter, um 1607, brei anbete nach; jmeite, acbt= unb jmblfftimmtgc Giboräte entbaltenb, ju 3ena;
ber britte, adjt- , neun= unb jmolfjtimmige, ber vierte, nur ad)tjtimmige mittheilenb, ju ^"petmffdbt
gebrudt. £iefe vier Sheile bieten un§ jmei= unb mehrd)brige ^Bearbeitungen ber gebräud)lid)ften Sing=
meifen beutfeher geifilicher Sieber, hunbert an ber 3abX untcr bemn 23 Sonfäfce ?OZelobieen Sobmafferfcber
"Pfalmen jum ©egenftanbe Gaben. 3m ©anjen ijt babei meniger auf eine gelehrte, erfcbbpfenbc £)urcb=
führung gefehen, mie etma bei £an§ Seo £ajjler§ fugmeife gefefjten ^Pfalmen, al§ auf eine feftlicb
prachtvolle SÖSirfrtng gcgenübcrjtebenbcr ßbove. 9cacb ber Sitte ber Seit bcS SRetßerS mürben biefe entme=
ber mit ©efang unb 3nih'umentcnfviel einanber burchmeg entgegengefcfjt, unb auf folche Ztt eigentbümlicb
hervorgehoben, ober, theilmeife burch Stngftimmen unb verfd)iebenartige 3nftrumente befetjt, mechfelten
fte bebeutfam mit einanber. So ftellte man Streich* unb S3laöinjlrumcnte alS ^Begleiter be$> ©efangeä in
bem einen unb anberen G>bore gegenüber, ober fonberte bei brei dljören biefe legten mieberum nach
unb 9JietalI»feifen, ober auch nach Saiteninfbrumenten verfdjiebcncr 2frt, jenad)bem biefe burch SSogcnjfrtcb
ober burd) Steifen jum Soncn gebradjt mürben. 3n einigen gällen führt nun ^rätortuS einjelne Beilen
ber Singmeife in ben gegenübergcfiellten ßboren juerft nachahmenb burd), bevor ber eigentliche 2Becbfel=
ßborgefang beginnt, mie j. @. in bem Siebe: ,,©elobet fcr>fl bu 3efu3 ßbvijt;" ober e3 gehen folche 9cacb=
abmungen Anfang? auch mobl burch ad)t Stimmen fort, bis biefe ftcb in Sböre fonbem, mie in SutberS
Siebe über ben Sobgefang Simeons : ,,Wlit grieb' unb greub' ich fahV babin;" ober gemählte Stimmen
aus jebem ber jufammenmirfenben ßbbre bilben in ber SÖRitte be£ (Sborgefangcs> an bebeutfamer Stelle einen,
au§ bemfelben hervortretenben (Sinjelgefang, ohne ben gortgang beä ©anjen ju unterbrechen, mie in bem
breichbrigen : ,,-Öerr ©ott bieb loben mir" bie £bcrftimmen ber ßhbre, ju ben SBorten: „^»eilig ift unfer
©ott," bie bann miebermit ber vollen ^)rad)t aller Qfybxe ertönen. 3fl nun ber Snbalt biefer vier erften
Sheile beS SBerfeS mehr für bie SSebürfniffe be§ Sängerchorö, unb fejtliche 3(u5fchmüdung be§ ©otteS=
bienjteS benimmt, fo haben bie vier fpätern bagegen mehr baS S5ebürfnip beS ©emeinegefangeS bebacht,
jumahl bie brei legten unter ihnen ; benn ber- fünfte hält |tcb theilmeife an ba3 (Sine unb bae> 2lnbere. gür
bie brei früheren Steile h"tte ^)rätoriuä fürftlicbe ©önnerinnen unb ©bnner gefucht : bie beiben erften ft'nb
ber ^erjogin ßlifaberh oon S3raunfchmeig unb ber ßhurfürftin «^ebmig von Sacbfen, gebornen ^3rinjefft'nnen
von Sänemarf, ber britte ifi bem ©rafen (Srnft »on $oljiein jugeeignet, nur ber »ierte ifi ofyne 2Bibmung.
Sie üicr lefeten ftnb ju 2Bolfenbüttel in ber fürfilid)cn Sruderei aufgelegt, in be§ §3erfaffer§ Selbfberlag.
Ser£itcl be$ fünften runbigt, unter ber allgemein beibehaltenen ^Benennung Musae Sioniae ,,©etftlid)e
beutfcbe in ber (5l)rijilid)en Äird;e üblid)e 2ieber unb ^Pfalmen" an, mit 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 Stimmen,
unb fübjt ebenfalls bie 3abrjal)l 1607. dx ifi allen £ird)cn be§ ^eiligen romifd)=beutfd)en 9?etd)e3 gemib=
met, unb 33afüiu§ Sabler, bamaß 4?ofprebiger ju SBolfcnbüttel, bat eine SBorrebe baju in mürbigem
frommem Sinne gefdjrieben, bie jcbod) über einjelneS S33 1 ffen 6n> evtl; e uns> nid)t belehrt. 25er Sonfä^e ftnb
166, beren oft fteben big neun biefelbe SDMobie bebanbeln, fo, baß ber Singmeifen, bie mir bjer mitge=
tbeilt erhalten, bebeutcnb weniger ftnb. Sd)on f)ier beginnt aud) bie 3ufammcnfiellung meiner örtlicher
Singarten berfelben SKelobte, bemerfenämertl) burd) bie 2(nfd)auung, bie mir baburd) t>on ber SBeife ermat-
ten, mie bie ©emeinen in t>crfd)icbenen ©egenbcn bie gctfilid)cn Singmeifen auffaßten unb nad) ihren befon=
beren 33ebürfntffcn fogar umbilbcten. greilid) haben ftd) baburd) bie SSonfäfje oft gehäuft, meil ber
gemiffenbaft genaue Herausgeber felbfi ganj unbebeutcnbe Abweichungen aufzunehmen für Pflicht gehalten
f>at; mir l)aben ihm jebocb immer ju banfen für ba§ treue S3ilb, baS er unS baburd) gemährt von bem
S5ilbung§gange bee> geifilid)en 33olBgcfange§ in bem beutfd)en 6f)oral. Aud) einige Sd^e älterer ober
gleichzeitiger Sonmeifier werben un§ t)iex mitgetbeilt: toon 3ol)ann SBalter, SacqueS be 2ßert, Johannes
SBaptifia (S5onometti?), AnbreasS JKafeliuS, ^Bartholomäus? ©efüß, unb von ^rätortus> Schüler, Heinrich,
©rimm, bamaß einem Knaben »on Merheim fahren. ®er fecbfte Styeil, um 1609 erfd)ienen, enthält nur
»ierftimmige Sonfä^e, unb jmar gleid) bem fünften, über bie bamaß gebräuchlichen gejimelobieen. @r ifi
$PbWpP Sigßmunb, ^)erjoge von 33raunfd)weig, pofiulirtem 33ifd)ofe ju £>3nabrüd jugeetgnet, unb bringt
unö, eben mie ber »orangebcnbe, unter befonberen Bahlen, mancherlei örtliche Singarten aus> ben metfien
protefiantifcben 2anbfd)aften : SDZeiffen, 33raunfd)meig, ber 9Karf, S£l)üringen, ben Seefiäbten, granfen
unb Schwaben — unter weld)er ^Benennung ber bamaß proreftantifd)e 5£l)eil S3aicrn§ mit begriffen ju
fet>n fd)eint — unb Greußen, ma3 aud) ferner in bem fieberten unb ad)ten Steile geflieht. 3n bem
3nbaltöoerjeid)niffe merben aud) bie tarnen ber £icberbid)ter bemerft, ober bod) ber Urfprung ber ßieber im
Allgemeinen angegeben, namentlich, berer, bie au§ fatbolifcber Seit (lammen. SSonfd^e frember SKeifler
werben burd) Angabe ibreö Samens über benfelben au§gejeid)net, SBerfe unbcfannter Urbeber burd) bie
Überfdnift „Incerti" al§ folcbe angebeutet. SCBir begegnen bier mieber bem 3ob«nn S5aptif!a; einem fonfl
nid)t »orf ommenben 83alcntin 9ccanbcr ; am bfterjten bem Soad)im a S5urgf, bcffen Warne aber jumeilen
über Säfeen feine§ 'tfmtSgenoffen unb greunbeö 3obanrt ©ccarb flebt. Sie "Kxt, mie ^)rdtoriuä biefe legten
bebanbelt, merben mir ndber befprecben, menn mir über jenen Sfteifter befonber§ bcrid)ten. 35er fiebente
Sbeil, in bemfelben 3al)re (1609) berauSgegeben, enthält 244 Sonfä^e, jebod) nur 240 für ben ©efang
beftimmte. S8on ben oier legten fagt ber S3erfaffer : er l)flbe, auf etlicher Srgantjten injldnbigeö Inhalten,
oier beutfd)er ^)falmen ohne SEert hinten anbruden laffen, bamit ein angebenber Örganifi, melcbem fte erma
gefallen möd)ten, biefelben alfo jttm ©ebraud) au§ ben 5Jcoten mieberum in bie Sabulatur bringen möge.
<5ö ftnb bie gjielobieen berßieber: (Sin' üejle 5ßurg ifi unfer@ott; ßbrifi unfer ^)err jum 3orban fam;
2Bir glauben all' an einen ©ott ; Wun lob' mein' Seef ben Herren. Sie lefete, aß bie eineS Sobliebeg,
unb üon frifd)er, belebter SSemegung, bat bem SDZeifier nur ju allerbanb melobifd)en 2Cu§jierungen in ber
^auptfiimme unb ben begleitenben ©elegenbeit gegeben, an benen ein Drganifi feine ^anbfertigfeit jeigen
{ann ; für bie anbern bat er bagegen bie Darlegung feiner contrapunftifcben Äunfi aufgefpart, inbem er bie
0
383
einzelnen 3etlen ber ©ingweifen theiB in fugirten ©äf^cn oon mancherlei Art burchfübjt, theilS fte al$ fejlen
©efang benufjt, meijl inbem er ein SEongcbäube über tränen, aU beffen ©runblage, aufrichtet. Siefe
©älje, mit gleiß unb ©eroanbtheit gearbeitet, jetgen un8 bic ©rufe, auf ber bie Äunft beS ^rganiften am
©cbluffe beä lfiten unb beginne be3 17ten Sahrhunbcrtö flanb, unb finb bc6f;alb nicht ohne SBStchtigfett ;
»vir werben funftig fel)en, wie 9)rätoriuS in fpäterer Seit bei feinen gefchmücften SSehanblungen ganjer Stc=
ber unb ihrer SQiclebiecn, für ©efang unb ^njlvumente, ftch ihnen wieberum angcfd)loffen hat. SEBaS bie
eigentlichen Sieber biefeä ftebenten Zljcitt betrifft, fo flehen unter ihnen bie .KatechiSmuSlteber ooran ; ihnen
folgen Sieber oon ber SBufje, 9ied)tfertigung, bem 2£benbmahl, 25anfgefänge, unb Steter oom chrifllichen
geben unb SBanbel. 3<>hann SBait«/ ßhrifaph S3uel, 3oadn'm a 33urgf, 25. 9cicolauS ©etneccer erfcr>et=
neu hier at3 Urheber ber aufgenommenen fremben Sonfäfje. Siefer S£f)eil ift ben weiblidjen unb männlichen
SSorjlebern aller Älbfler unb ©tifter in ben S3raunfchweigifd)en üanben gewibmet, gürjlinnen, 'tfbtiffmnen,
Sechantinnen, ßanonifft'nncn ; Prälaten, '#bten u. f. n>. 2tm reid)jlen an Sonfa^en ift ber achte Sheil
be§ SBerfeS, ber um 1610 erfchien; er enthält beren 302, unb tfl ben ßanbfiänben be3 £er$ogthums
S3raunfd)weig jugefd)rieben. 25er Sitet btefeS Steiles? belehrt uns», baß er nicht allein Ätrchenlieber ent=
halte, fonbern auch folche, bie ,,in Käufern" gefungen werben, auf bie gemeinen, unb anbere, an unter-
fchiebenen Drten gebräudjliche SJJelobeoen ; er bcmerft, bafj biefe alle „contrapuncto simplici, nota contra
noiam" gefegt feoen (roie mir e§ fchon in ben oorangebenben ^heilen finben), unb baß ftch barunter
„einuntjroanjig an ber 3ahi/ unterer GEomponijlen" befänben. 25iefe ft'nb: Joachim a S5urgf, @r»=
tbräuS, ©eftuS, Valentin £au§mann, Sacob SÜRcilanbuS, unb 25. ^icolauö ©elneccer, über beren brei
mir furj juoor berichteten, unb oon anbern noch hobeln werben. 25ie ©efänge ft'nb unter folgenbe
TCbtheilungen gebracht: oon ßreuj, SSerfolgung, Anfechtung; oon ber christlichen .Kirchen; oon £ob
unb (Sterben; oom jüngften Sage; 9Korgen= unb 2lbenbgefange; ©chlufsgefänge. @S finb unter ihnen
brei, beren Sichter $)rätoriu3 ohne Sweifct ift, ba er ftch felber al§ folchen nennt. Suerft SRxo. 32 über
ben 23ften «Pfalm :
55er £err ijl mein getreuer Q\xt,
lin bem mir nichteS mangeln wirb,
SBeib' mich auf grüner 3tuen,
3um frifchen 2Baffer er mich fett'/
gür mem follt' mir benn grauen?
25iefe§ Sieb ijl, roie feine fünfteilige «Strophe jeigt, beS gleichen 2(nfang3oerfe§ ungeachtet, bod) oon benen
beö Söolfgang Sttofel unb 25. ßorneliuS S3ecfer über benfelben $falm auch in feinem S3aue ganj oerfdn'e*
ben, welche beibe bie ftebenjeilige tambifche «Stropbe be3 ßtebe§ „9cun freut euch lieben Gihrijlengmem"
haben ; man barf e3 baher nicht mit ihnen oerwechfeln, mie wohl juweilen gefctjeöen tfl. (Sin jweiteS tfl
bat» befannte SEßorgenlieb (9lro. 25) :
Sd) banf' bir fchon burd) beinen ©ohn k.
ein britte§ (9lro. 291), oon nur einer ©tropfe lautet:
2Bir banfen ©ort für feine ©oben,
25ie mir oon ihm empfangen haben.
2Bir bitten unfern lieben ^)ern,
(Sr moll' unä hinfort mehr befchern.
@S bleibt nur bie Srage: ob 9)rätoriuS auch alS ©änger ber Söielobieen tiefet ßtebev gelten fönne? Am
mahrfcbeinltd)flen möchte biefeS »on bem erflen berfelben anjunehmen fepn. Senn bie AnfangSbuchftabw
beS Samens unfereS 9)lcijlerS flehen übet bem Sonfa^e (99c. unt) auf btefe SBcife pflegt er gewöhnlich,
beren Urheber ju bejeicbnen. Sp'ux aber fbnnte eine fo(d>e SSejeicbnung immer nur auf bie Gelobte ju
begehen fepn, weil bie Urbeberfchaft, ben Sonfafc betreffenb, boch »orauSgefefct werben mußte. Allein
tiefe SJe^cicbnungSart cntfcbeibet bennod) nicht, benn ^PrätortuS ift iabn nicht immer folgerecht »erfahren,
juweilen beutet er auf biefe SSSetfe auch bie Sieberb id) tcr an, wie benn über einigen Sonfä^en ber 9came
beS 3oad). 93iagbeburg fleht, »on bem nicht hefannt ifl, baß er irgenbwie auSübenber Sonfünfller gewefen,
roenn wir ihn auch alä Sieberbicbter fennen*). S3et bem jweiten unb brittcn Siebe aber ifl eS noch weniger
wabrfcbeinlid), baß er ber «Sänger ihrer SOMobieen fetj. ^PrätoriuS fjat nämlich in feinem StibaltStterjeid);
niffe »or ben 3ablen unb Anfängen ber Siebet juerft eine ßolonne, überfchrieben : ,,Autores compositionis
unb Äirchenmelobep, " bie in ben meiflen gällen ganj unauSgefüüt bleibt, ober in ber boch nur bie tarnen
ber ßanbfdbaften flehen, in welchen bie mitgetbeilten, örtlichen (Singarten üblich fmb. £inter ben erPen
Siebjeilen !ommt bann eine jweite ßolonnc, worin bie ,,Autores textus" aufgeführt fmb. ginbet eS ftd>
nun, baß Sichter, «Sänger unb Sonfe^er ftd) in einer ^erfon »ereinigen, fo fleht beren 9came in ber erflen
fowohl als legten ßolonne, wie 5. 35. im ft'ebcnten SSbeile 9cro. 236 bei bem Siebe: ,,£ilf £crr mein
©ott/' ber 9came S. Sttcol. «Selneccer in beiben ßolonnen $u ftnben ifl; wogegen er im achten £beile
9cro. 272 bei bem Siebe: „SQun laßt uns ©ott ben Herren" nur in ber erflen, nicht ber legten fleht, in
welcher ber 9came SubwigS ^»elmbolb, als bcS SichterS, angetroffen wirb. SSei ben legten beiben, hier
eben besprochenen Siebern enthält aber nur bie leiste ßolonne, nicht bie erfle, bie SSucbflaben Wl. 9). 6.,
beren leljter auf beS 83erfafferS SSaterjlabt ßrcujbnrg beutet, wie tiefet benn auch wohl allen breien jufam=
mengenommen bie Deutung gu geben pflegt, baß fein wahres SSaterlanb ber Gimmel fen, in feinem 2öabl=
feruebe: Mihi pairia coelum. 9Kan wirb vielleicht einwenben, baß eS bei ihm ber Ausfüllung ber erflen
(Solonnc nicht erfl beburft habe; baß ein SSonmeifter, ber ein geifllicheS Sieb bichte, baffelbe aud) wohl mit
feiner «Singwcife jugleicb werbe erfunben, unb biefe unmittelbar mit ihrer barmonifeben AuSgeftaltung
erbacht haben. 'Mein biefe SBorauSfefjung ifl nicht cntfdbeibenb. 3n bem ft'ebenten Sbcilc (9cro. 66) nennt
^rätoriuS ftd) als Sichter beS SiebeS: „50cein ©Ott, mein ©ott, 0 Skter mein," beffen Sftclobie ifl aber
bie bekannte, alte, beS SiebeS: An Sßafferflüffen äkbolon. @r l)at alfo auch für feine Sieber frembe
Sftelobteen entlehnt, unb fann beShalb bei ben julefet genannten beiben eS ebenfalls gethan haben. Sarum
•) 3oact)im ättagbeburg gab im 3al)rc 1572 (bei ©eorg SSaumann ju ©rfurt) ein äßertdjen in »icr <Stimm=
büdjern fjerauS, unter bem Sitel: ,,G>f)riftlid)c unb troftlicfjc £ifd)gcfa'ngc mit SSicr (Stimmen, bamit man »or unb nad)
Sifd) ben lieben @ott anrufen, unb für feine »a'tcrlidjc @ütc etyren, toben unb banfen mag. 35er lieben 3ugcnb ju gut
jufamm gcfdjricben, <8nb mit Seit, fo baju bient, jum Sfjett oerenbert onb oerbeffert. Surd) Soadjimum 5Dfagbcbur--
gium, ©arbekbenfem." es ift feinen beiben ©bi)ncn, SOcatttjt'ag unb 3oad)im, am 2Jftcn ?Kni 1571 con Srfurt au$
mit einer fdjöncn, berjlidjen, cfyriftlidjcn Grmaijnung ju gottfecligem Seben, in gorm cine6 Seftamente, gercibmet, unb
enthält ©efänge ju oier (Stimmen für ben (Sonntag unb alle SBodjentagc, SOcittagS unb 2tbenb6 }U fingen. 5Son roem
bie 2onfä^c tjcrrütjrcn, ift nidjt gefagt. Sie finb meift einfach, wenige nur jeigen einen S?erfud) funftooltcr 2tu$füt>--
rung; oon SBebeutung ift reiner berfelben. ©6 ift tjier bie einjige ©elegenfjeit, biefeS 3BerEd)en6, baä meljre befanntc
6l)oralmelobiccn enttjalt, ;u gebenfen. ©enn unter ben Sehern biefcö 3eitraumä burften roir Soadjim »on 9Jcagbeburg
nidjt aufführen, ba er fid) fclbcr als foldjcn nid)t nennt ; für fid) genommen aber ocranlapten bie Sonfägc feine« 58ud)e«
ju feiner ßrwafjnung. SDäcnn ^)rätoriu6 einen ober ben anbtrn berfelben entlehnt unb ifjn mit bem 9tnmcn bc6 £crau6--
geberg bejeidjnct, fo bat er bamit mobl nur bie Cuclle anbeuten troUcn, morauß er ü)n fdjöpftc.
385
bürfen wir beren ©ingweifen, weil fie unö in feinem Sßerfe jum erften SEJlabJe Vorrommen, nod) nid)t bie
feinigen nennen, um fo weniger, weil wir fmben werben, baß bei ihm bie ©abe be§ ©efcerS bie be§
©ängerS bei weitem überwog, unb baß jene in ber 9Dtef)r$af;l feiner umfangreichen SBerfe bie auöfdjlie-
ßenb hervortretenbe ifi. — Sn bem neunten Steile ber ©ionifchen SDZufen, ber um 1610, ju SSBolfenbüttel
gebrucft, erfcfyien, verläßt $>rätorius> wieber bie in bem fed)ften, ftebenten unb achten,, jum 5£l)eit auch bem
fünften, beobachtete SSSeife ; bie ©efänge in bemfelbcn ftnb, wenn auch auf fivd>Iid>e SEBetfen gefegt, nicht
fowohl für ben ©ebraud; in ber Äircfye bcftimmt, für ben ©ängerdwr ober bie ©emeine, fonbern jum
£au3gebraud)e. £)em SEitel zufolge ftnb fie „mit jwei unb brei ©timmen auf SDcutetten, mabrigaltfche,
unb fonften nod) eine anbere vom autore erft erfunbene 2£rt gefe^et, wie bavon in ber nota autoris ad
lectorem musicum wahrer S5erid)t ju beft'nben." Siefe neue "Kxt bes> ©a£eS befiehl, nach be3 SSerfaffer§
^Berichte, barin, baß „etwa eine ßtauful mit bem Serte aus bem <5boral genommen, unb biefelbe contra=
»unftäweife jum ganjen 6b, oral burch unb burchgefüfjrt ifi." ©o gefd)ieht bie§ unter anbern bei ber
breijrimmigen 33el)anblung ber 13ten ©trovhe von bem Siebe:
„@§ ijt ba§ Jpeil un§ fommen her/'*)
für jwei SiSfante unb einen "Kit. Sfur bei ber erften Seile :
„©en 2ob unb @f)r mit hohem 9)ret§"
führt tiefer lefcte ben feften ©efang ; mit ber jweiten Seile berfelben :
„Um biefev @uttf)at willen"
ergreift ir>rt bie Dberjlimme, unb gegen fie führen nunmehr bie beiben anberen bie melobifchen SSBenbungen
ber jweiten unb vierten Seile burch, welche bie SSBorte begleiten :
„Um biefer ©utthat willen"
unb
,,2)er woll' mit ©nab' erfüllen,"
welche legten auf bie ber » oranger; enben Seile: ,,©ott SSater, ©ohn unb ^eiliger ©etfl/y fid? bejiehen.
Die geringe Sahl ber©timmen, bie melobifchen Musterungen in benfelben, ihre Verflechtung in 9cad)ahmun=
gen, il;r meifi bewegter gortfchritt, alle§ biefeS beutet bahin, baß biefe ©efänge ju häuslicher, geiftlicher
(Srgofcung funflgeübter ©änger beftimmt gewefen. 9cur juweilen, unb nicht ohne fünjllerifche Mbficht,
tritt eine größere ©timmenjahl ein, ale> bie gewöhnlich angewenbete von jwei ober brei Mue>füf)renben.
3n biefer lixt hat ^rätoriuö bie vier erjien ©trovl;en be§ 2iebe3 bebanbelt: 2Bie fchbn leudbtet ber Wov-
genftern. SSon jwei £>i$>fantfiimmen wirb bie erfte ©trophe aufgeführt; bie jweite von einem Mit unb
$wei Senoren ; bie brttte tragen bie vier gewbl)nlid)en ßhorpimmen in einfachem ©afee vor, boch fo, baß
bei ber SEBieberholung ber SJMobie ber erjten brei Seilen ju ber vierten, fünften unb fechjten, ftatt ber
anfänglichen Fortbewegung im geraben Safte, unb in langgehaltenen SEönen, nunmehr in 9loten geringerer
©eltung ber gortfchritt rafcher, unb burch rhwthmifchen SBechfel mannigfacher wirb, big ju bem jweiten
Sheile ber SKelobie ber breitheilige SSart, burd) ben vorangehenben 3?hwthmu§ angebeutet, bis an ba3
@nbe herrfchenb hevvorbricht. Sie vierte ©tro»t)e „SSon ©Ott fömmt nur ein greubenfcbein"**) wirb
nun, in ftetS anwachfenber ©timmenfüUe, einem fünfjtimmigen @hore, ebenfalls in einfachem ©afce juge*
•) ©. IBcifpia SRro. 98.
") ©. SBetfpiet 9tro. 99.
3ßmt«tf(lb, *tt esangtl. S^cjalgefinij. 49
386
tbeilt. gür bie fecbS erjten 3eilen bauert ber »orangegangene, ungerabe Saft fort; erjt mit bem jweiten
Sbeile bcr ©ingweife ju ben SBorten:
glimm mid) freunblid) in bein' 2lrme
tritt bcr gerabe ein; mit großem 9>cad)bru<f, langgebalten, wirb ba3 2Bort freunblid) gcfungcn; twn
ba wirb bic ^Bewegung etwas rafcher, bis am ©cbluffe, ju ber Seile :
2fuf bein 5Bort fomm id) gelaben
bcr immer breiter, feierlicher geworbene ©efang in üollem Sonjtrome bem dnbe entgegen fcbreitet. '^Cr)nltd>
fcrfatjrt ^)ratoriu§ mit ben brei ©tropfen beS 2iebe3 : „3Bad)et auf, ruft unS bie ©timme." (Ein Senor
unb 33aß tragen bie erfle cor, bie einzelnen Seilen ber SSJJelobie in jvoeifttmmigen gcad)al)mungen gegenein=
anber auSfübrenb. S5ci ber jweitcn crfcbeincn jwet £>te>fante unb ein Senor; ju ben gtachabmungen jener
bilbet bicfer Anfangs einen fejten ©efang mit ben brei erften Seilen bcr ©ingweife; ju ben brei folgenben
tritt eine anberc SBcbanblungeSart ein, hier nehmen bie Stimmen bie einzelnen Süßenbungen bcr 5Jcelobie
cinanber ab, fo baß biefe fidt) jwifeben ft'e ücrtbeilt, unb aus> tt)rev Skrflechtung immer nod) herausgehört
roerben Fann. £>er jwettc £l)cil (flbgefang) beS Siebes beginnt mit ganj einfacb, %on gegen £on, t»orge=
tragenen breiftimmigen ©ä£en, bie auS ben SBenbungen ber ©mgweife ju ben brei näcbften Seilen beS
JHebcS gefdjöpft ft'nb, unb ft'e in allerbanb 8Serfe|ungen boren laffen. Wlit ben SBorten :
SBir folgen aU' jum greubenfaal
tritt bie tiefere ©timme ben leeren woran, welche ifjr bann in jwetjttmmigem ©efange nachfolgen ; erfi
mit ber legten Seile :
Unb galten mit baS '2fbenbmal)t
ergreift bie crjtc ©timme bie ©cblußjeile bcr SJMobic als feften ©efang unb roirb nun »on ben anbern bei=
ben umfptelt. £>ie britte Strophe ift einem üierjiimmigen ßbore jugetbeilt ; ibre brei elften Seilen ertönen,
prächtig unb beroegt, in breitbeiligem Safte :
©loria fep bir gefungen ic.
,u ben näcbjten brei wecbfelt biefer mit bem graben, unb erjt ju ben legten beiben Seilen tritt jener wteberum
ein, unb befd)ließt baS ©anje.
gür unferen unmittelbaren Swccf, unb an biefem £rte, bitten wir, febeint eS, bei biefen ©ä£en
fo lange nicht verweilen bürfen. 2Bir jler)en jebod) bei ibnen an bcr ©renje ber älteren fünjtlerifcben 9fid)=
tung unfereS SfteifterS ; ft'e beuten bereits bie fpätcre an, unb werben babureb ein ^nfnüpfungSpunft, wenn
wir in ber £>ar|rcllung beS eüangeltfcben ÄircbengefangcS in bem folgenben 3abrf)unberte SBertdjt über
ibn wieber aufnehmen. £ier aber Ratten wir oon ibnen ju b<*nbeln, weil ft'e fein umfangreiches 2Berf
befd)lteßen, bem er wobl nur, um ber 9tcunjal)l ber SSJcufen willen, biefen neunten Sbeil noch beigereebnet
bat. er entbält 21« Sonfäfee im ©anjen, unb ijl bem ßburfürften ßbrijtian won ©aebfen, unb beffen
beiben Srübern, Johann ©eorg, unb 2fugujt, Jpcrjogen ju ©aebfen, gewibmet. 3m folgenben ^al)re 1611
bat ibn *P*ätoriu§ unter einem neuen Sitel: Bicinia unb Tricioia Micliaelis Praetorii C. in eigenem
Sßerlage einzeln herausgegeben, unb 9Jiid)ael geringen ju Hamburg beffen SSerfauf übertragen ; baburd)
fdjeint er fclber einjugefteben, baß bie barin enthaltenen Sonfäfee, aueb unabhängig üon feinem größeren
Sßerfe, eine eigene ©ammlung bilben.
2Bir jäl)lten in ben erften oier Steilen ber ©ionifeben 9Jlufen beö Michael 9)rätoriuö 100 Zon-
fäl^/ in bem fünften 166, in bem fechten 200, in bem ftebenten 244, in bem achten 302, unb 216 in
387 —
Dem neunten; bas ganje SBerf enthält alfo Die bebeutenbe 'tfnjabl von 1248 £onfäl*eu. 2>a Oer Sierfaffer
von »teten füftelobieen nicht allein mehre SEonfäfce giebt, fonbern auch bei jenen oicle örtliche ©ingarten
mittbeilt; ba ju oerfebiebenen fiebern oft biefelbe Gelobte angewenbet wirb ; fo ift leicht ju erachten, baß
bie 3abl ber SKelobieen ber oon ben Sonfäljen nicfyt gleichkommen werbe, jumabl menn biejenigen ©älje
nicht mitgerechnet werben, welche rtidjt fowobl blos motettenbafte 33ehanblungen befanntcr geijtlicfyer
©ingweifen ftnb, als melmebr überall feine fird)lid)e SBeife als ©runbmelobie burcbjübren ober begleiten.
Da es nicht ohne ^ntereffc feytl fann, ju überfein, in reellem 9Jkaße bie 3al)l ber £ird)enmelobieen in
ber lutberifd)en .Kirche im Saufe bes erften 9fcformations=3abrbunberts angemaebfen fen, unb mir in ^rä=
torius SBerfe unbcjwcifelt bie üollftänbtgfte Sammlung ber um bas ßnbe biefes 3eitabfd)nittes in berfelben
gebräud^licben befifeen, fo §ät>Ite td) bie in bem fünften bis ad)ten Sbeile ber ©tonifchen Stufen gefegten
©eifert, meil eben biefe oorjugsweife für fird)lid)en ©ebraud) jufammengcftcllt ftnb, nahm aber babei auf
jene örtlichen 'tfbmeicbungen , bloßen SBieberbolungen, unb ©älje ohne f ircbliche SBetfen in jfrengerem
©inne, feine 9fucffid)t. ©s bebarf ju einer fold)en 3äl)lung einer genauen Vorarbeit, ba bem SBerfe ein
allgemeines" SBerjeicbniß, ja, ben einjelnen Steilen beffelben ein al»habetifd)es fel)lt, bie Sieber vielmehr
in ben befonberen 83erjeidmiffen jeben S£l>eileä nach ihrem Inhalte jufammengeftellt ftnb, ohne aud) nur
in biefen einjelnen 2lbfd)tiitten bie alpbabetifcfye golge ju beobachten, ober bas SBieberf ehren berfelben
©ingweife ju oerfch, iebenen Siebern anjubeuten. SDZan fann alfo, auch, bei aller ©orgfalt, nicht oollfom=
men vor einem Srrtbume fteber fenn, barf aber boch ein, aud) nur im 2fllgemeinen richtiges ©rgebniß für
ben hier obwaltenben 3mecf als genügenb annehmen. 3cb jäfylte nun in bem fünften Sbeile 68, in bem fechften
109, tn bem ftebenren 167, in bem achten 193, im ©anjen alfo 537 9Jielobieen. (Enthielt nun Sobann
SBalters ©efangbud) oom 3«bre 1524, bie erfte oolljtänbigere, geiftlicfye Sieberfammlung Des 16ten 3ahr=
bunberts, für 32 beutfebe Stebcr in 38 Sonfäfcen nur 35, altere, ober bamals entjlanbene, ©ingmeifen;
fo feben mir, baß ber SDßelobieenfcfyafj ber Äircfye in ben folgenben 85 Rohren big 1610, mo *Prätorius
SBerf erfchien, ftch um beren 502 oermehrt habe, eine 3at)l, bie, auch oorausgefefct, baß bei ber 2lufred)=
nung in biefem SBerfe fein 3rrtbum oorgefallen fei), freilich immer nicht ganj genau fepn mirb, meil $rä=
toriuö manche auch ältere Sftelobieen aufgenommen hat, bie mir bei SBaltcr noch nicht ftnben, wogegen
oon ben bort gefammelten mieberum manche fpäter außer ©ebraud) gefommen, unb oon ^)rdtortus feinem
S3ucbe nicht einoerleibt ift. @s fyanbelt ftch. f)ter aber aud) nur um Dasjenige, mas ju einem befttmmten
3eitpunfte in ©ebraud) mar, unb ba»on, um mie r>iel biefes © ebraud) Ii d)e innerhalb eines gewifTen
Zeitraums ftd) vermehrt habe, gleichviel, ob bas fpäter .£>injugefommene in jenem früheren 3eitpunfte
febon oorhanben mar, ober nid)t; untcrfdn'eben mir ja bod) bei biefem Vermehren eine anetgnenbe £bä=
tigfeit, unb eine febaffenbe! SBas aber, burch bie eine mie bie anbere Sh.ätigfett, in biefem 3eittaume
gefamtnelt ober entjlanben mar, bas fef)en mir in ^)rätorius SBerfe ju einem ©efammtbilbe jufammenge=
(teilt, bei bem er nicht »ergeffen hat, bie eigentümliche, oft fonberbare SBeife aufjubemabjen, mie es, »on
9Kunbe ju 9Jiunbe gehenb, burch £bren unb ^Jladjftngen oerbreitet, ftch ausgemalter, oft auch ju feinem
^acbtbeile oeränbert f;at, boch ftets bas ©epräge einer befonberen ttuffaffungsmeife noch, trägt, bie ftch
halb hinneigt ju ben ©runbformen bes alten geijlltd)en ©efanges ber SSorjett, halb ju benen bes 58olfsge=
fange?, in mcldie es basjenige umfchmiljt, bas urforünglid) jene erften an ftd) trug. £>aram fiellen mir
ihn mit 9fed)t an bas Snbe biefes merfmürbigen 3eitabfd)mttes, ben mir bei ihm, mie tmn einer ^>öhe
überfd)aucn, bie einen weiten, mannicbfaltigen Überbltcf gewährt, wie wir benn auch bas innere Sehen,
49'
388
bie harmonifche SBebeutung ber big ju feiner Seit entjfanbenen ©ingmeifen in feinen einfachen ©äfcen auf
ba§ Erfrculichfie entfaltet fef)en, unb, mir bürfen e§ fagen, in if)m unb ben juvor befvrochenen SEJceijtern,
— nur völliger bei il)m, feines» größeren 9ceid)tl)um3 megen, — alle bie eigentümlichen 3üge burd) bie
Harmonie au§gebrüdt finben, meld)e bie ältere geifilid)e Sonfunft auszeichnen, bie im 16ten Sahrhunberte,
unter ber Jperrfdjaft ber ,£ird)entbne, tt>rc vollfie äMütfye erlebte. 2Ba3 aud) in fvätercr Seit ©roße§ unb
JperrlicheS gefcfyaffen mürbe auf bem ©ebiete bes> beutfch*evangeltfd)en SiebergefangeS, e§ tragt bod) biefe
garbe nicht mehr, weil feine S3lütb,e rntyt mehr auf gleichem S3oben ermächjt, unb ma3 mir von fpäteren
©äfcen älterer Jtirdjenmelobiecn befugen, jumahl au§ ber frühejien Jpälfte be§ folgenben Sabjfyunbertl,
fann böchftenS ein chrenmertheS gortbilben in bem früheren ©inne genannt merben, ofme baß bas> barauS
hervorgegangene an fein SSorbilb reichte. E i n SJieiftcr nur betrat, t)vmicxt Sal)re fpäter, einen ganj neuen
2Bcg, inbem er, feine 3ett abfviegclnb, unb bennod) feine burd) ft'e bebingte, aber, fomeit ba3 überhaupt
von irgenb einem Jtünftler gefagt merben fann, von ü)r bod) felbftänbig gelbf'te Eigentümlichkeit in ganjer
gülle offenbarenb, auch, ein SSilb feiner SSorjeit unb ihrer £onanfd)auung jurüdftrahlte. ES ijt Scharm
©ebafftan &5ad), auf ben mir l)inmeifen, nicht um irgenb einer, eben hier burd)aus> nid)t ftatthaften SSer=
gleichung millen, fonbern um anjubeuten, baSjemge, ma§ mit *Prätoriue> feine lebenbig fortfchreitenbe
Entfaltung ju enben fd)eine, fe» ein 3ahrl)unbert fpäter noch ganj neuer, veränberter ©ejtalt einer folchen
bennod) mieberum tl)eill)aftig gemorben.
9)rätoriu3 höuötfächlicheS SSerbienjl bejief)t in ber finnig angemenbeten ©abe be§ ©efcerS; al§
Erfinber jtel)t er um SSieleS jurüd gegen bie ^Begabteren unter feinen Seitgcnoffen. 5Cßag er jene ©abe,
bie mir ihm nachrühmen, mit 9Qland)em unter biefcn theilen, mag er, im Einzelnen, felbjt von ihnen über=
troffen merben ; mögen feine Sonfä^e, eben meil ihrer eine fo große 2Injaf)l ijt, meil ft'e über fo manche,
nur in ganj unmefentlichen 3ügen verfcbjebene ©ingmeifen fid) verbreiten, nicht alle von gleichem 2Bertf)e
fe»)n: er mirb unter Tillen, bie fid) eine gleidje Aufgabe {teilten, immer ausgezeichnet bajtef)en, meil er ft'e
in fo großem ©inne gefaßt hat. S5ei feinem ft'nben mir einen gleichen 9fcichtf)um an 93celobieen fo mannid)-
fachen UrfvrungS ; er bietet uns beren aue> allen ben £luellen beä evangelifchen Äird)engefange3, bie mir
juvor befvrachen, unb bie erlefenften unter ihnen, bie burd) ihre SBcnbungen unb 2lu3meid)ungen am mei=
ften hervorragenben, l)at er aud) ftetS mit ber grbßejten Siebe gefegt; von vielen unter ihnen finb feine
SSehanblungen bie einigen, bie mir auS feiner Seit, ja, bie mir überhaupt befugen. Einige fanben mir ju
betrachten bereits früher ©elcgenheit, al§ mir jene Quellen unfereö JUrd)engefange§ betrachteten, ihren
SEBerth prüften, ihre S3ebeutung ju entmidcln ftrcbten ; e§ genüge, an baS bamaß ©efagte ju erinnern.
Dort galt eS, baS eigenthümlid)e SBcfen beSjenigen barjujlellen , maS, als Erjeugniß einer bejiimmten
9Jid)tung ber Jtunjttl)ätigfeit auf einem anbern ©ebiete, ber evangelifche JUrd)engefang ftd) angeeignet
hatte; ift eö an feiner ©teile burd) unfereS SKeijlerS SSehanblung in feinem vollen 2id)te erfd)ienen, fo mirb
biefe um fo mel)r ihm hier jum Sfuhme gereichen, unb fein SSerbienft, mit bem mir un£ h^r vorjugSmeife
befchäftigen, recht hervortreten laffen. £>k alten lateinifchen ©efänge : Grales nunc omnes, unb Mittit
ad viipnem, in ihren Übertragungen : £>anffagen mir alle ©Ott, unferem ^erren ßhrifto, unb: 2fß ber
gütige ©Ott voUenben moüt fein SSBort; ba§ beutfdje 3ubaölieb, unb jene! von ber 9?ofe auä jarter SBurjel
entfvrungen, bie ba5 heilfame SfbSlein brachte; bie au§ bem geiftlichen ©efange ber trüber herübergenom=
menen ©ingmeifen ; viele anbere außer ihnen, merben, ftnb ft'e nur erjl allgemein gefannt unb gemürbigt,
feinem tarnen auch alö Jtünftler bie Ehre mieber geminnen, bie ihm gebührt. Er ijt reich an eigentl)üm=
389
liefen tfuffaffungen ber Kopulationen feiner 9Jcelobieen, unb prägt biefe in einer SBetfe aus?, bie bemjeni=
gen, ber nur bie 5£onjetd)en lieft, ober auf bem fd)neü oerflingenben Planiere ben ©ang ber Harmonie
ftd> beutlich macht, att £ärte erfcheinen fann. 9JZeijt aber »erfdjroinbet alle £erbigfeit, roenn feine ©äfce
burd) finnige ©änger mit jartem Serfdjmeljen ber 5£one vorgetragen roerben ; ein £aud) be§ geierlid)en,
©eheimnipreid)cn, roebt un$ bann au§ folgen ©teilen entgegen. ©o am ©chluffe ber crjten SKelobieseile
be§ Siebes über ÜRaria'S ßobgefang : ,,9Jtein' ©eel' ergebt ju biefer grijt.''*) SJian erroartet t>ter einen
©d)lufj in ben ©runbton be$ 9Jiirolr;bifd)en ; nur fo fd>etnt unfere, biefer SEonart angehorenbe Kelobie
oerftanben roerben ju fonnen, alle »orangebenben ©dritte, bie ganje (Sntrotdlung ber Harmonie beutet
barauf bin. 2fllein biefe menbet ftd) nad) c ; eine 2fu$roeid)ung, in ber eben Ijter ein jtiller, ^eiliger griebe,
eine tiefe Feinheit bes- ©emütheS ftd} abriegelt, rote fte bem fird)lid)en ©efange, unb jumafjl biefem erften
aller e»angelifcb,en ßieber vor tfUem gejiemt. Saju fommt, baß fte ber Sonart uollfommen angemeffen
ift, ihre @igenthümlid)feit lebenbig jur #nfd)auung bringt, unb ben unmittelbar folgenben ©d)ritt nad) f,
— ber ftebenten, eben f i e bejeidmenben, ©tufe t>on ihrem ©runbtone aus, — ungejmungen einleitet.
93itd)ael ^PrätoriuS große SSebeutung für ben einfachen Gthoralfafe roirb red)t anfd)aulicb, roenn
roir ihn mit feinem, als* Srftnber um fo SSieleS begabteren 9camene>genoffen ^)ieront)muä ^)rdtoriu6 t>erglei=
d)en, ben er in jener %rt beö ©afceS fo fetjr überragt. S3eibe galten ftd; frei im ©anjen von ben glecfen,
bie roir bei anberen mitlebenben Sonfünjtlern ft'nben, bie ftd} in biefer ©e&roeife t?erfud)ten ; eine 8Serglei=
dutng jroifcben beiben fann alfo, ba in ber größeren ober minberen §rett)ett t>on folgen geilem ber SSorjug
be§ einen »or bem anbern nicht ju fudjen ijl, um fo reiner ifyren voirflid)en SBertb, in ba§ 2id)t jMIen.
SBeibe traben eine ©ingroeife gefegt, bie außer bei ihnen, fo roeit meine §orfd)ungen reichen, im mefyrjtim*
migen Sonfa^e nur einmaf)l noch angetroffen roirb**): bie bem Siebe Süthen?: ,,©ie ijl mir lieb, bie
roerthe 9Jiagb," unb bem ber SSrüber: „heilig unb jart ift ß^rijti 9JIenfd)b.eit// gemetnfd)aftlid)e, aus
beutfd)em SiolfSgefange ftammenbe. ***) ©ie ift äotifcher Sonart, unb betrachtet man fte für fiel) felbft,
ohne 9?ücfft'd)t auf eine beiber Bearbeitungen, fo ift leid)t ju ernennen, baß biefe ihre ©runbtonart jnnfd)en
ihren jroei 4?auptbejiehungen, ju ber ionifd)en unb ber pb,rr>gifct)en Äonart, ftd) fortbauernb bewegt, neben
benen f)tn unb roieber nur bie ju ber miroh)bifd)en erfcheint; baß fte alfo, aud) melobtfd) bereits, auf bas"
SMfommenfte auggeprägt ift. JpieromjmuS foroof)l aß ?Qiid)ael ^)rdtoriu§ haben bieg auch roob.1 beachtet;
baSjentge aber, rooburd) fte im dinjelnen ftd} unterfdjeiben, jeigt, bap SQiidjael bie (Stgentb,ümlid)feit ber
Sonart finniger aufgefaßt tyabe. @r beginnt mit bem meieren Sreiflange auf bem ©runbtone A, roeldjem
er ben, ebenfalls meieren, oon beffen Dberquinte, E, anfd)lie§t. Sie Sberfiimme, bie in ber urfprüng^
liefen Sftelobie v>on c um eine £luarte nach o h^abjteigt, fdjreitet nid)t unmittelbar fo fort in ber ©ejtalt,
bie fte burd) dlerS Einrichtung für baä Sieb 2uther3 geroonnen hat, unb ber beibeSEonfefcer ftd) anfd)liepen;
fte thut e3 in einer auf bem legten SSiertheil beö beginnenben Soneö angebrachten, fchrittroeife burd) h a
nad) g hinabeilenben !Hu§jierung. 2IIS fold)e behanbelt fte Michael; fo geht fte, bei üerroeilenber ©runb=
barmonie, leicht unb flüchtig vorüber, ohne bie "JCufmerffamfeit in %ri}pxud) ju nehmen, unb erfcheint nicht
•) ©. SBcifpiet 9lro. 95.
") SSet Qtimiä) ©rimm, in feinen SEonfä&en ju SremcoroS Cithara Davidica Luthero-Becceriana. 25en Slonfa^
be6 urfprüngltch rceltiic^en Siebes, rote mir ft)n juerft 1512, unb bann bei g°rfter antreffen, tjabe ich mcht mitgejablt.
'") ©. SSeifpicl 9tro. 87 unb 68 biefe beiben Sonfäfce.
390 —
iii» wcfcnrlicher 5£t)eil t>er 9Eelobie, wie ft'e e§ benn aud) nid)t ift. ©anj anberS #ieronr;mu3. ©aß er
t>en beginnenben £on ber 9JMobie, c, nid)t als Fletne £>berters beö ©runbtonS anfahe, fonbevn ihm feinen
bauen ©reiflang untergelegt hat, wirb man nicht tabeln bürfen : man f önnte eher ber ^etterfeit pdf) freuen,
bie ber Anfang bc§ ©anjen baburd) erhält. 2lber nun wirb jene blofie '^uSjiertmg mit 9tod)brucf, ja, man
bürfte fagen, mit ©d)werfälligfeit befyanbelt; eine neue Harmonie wirb bei ihrem Eintritte eingeführt, alle
Stimmen fefcen ftd> baju in ^Bewegung, ja eS wirb ein ©ewtd)t gelegt auf jeben einzelnen ttjrer Zone,
beren erftem ber 3ufammenflang ber fleinen Serj unb großen ©erte, bem jweiten ber ber fleinen ©eptime,
fleinen SScrj unb Sumte fid) untergelegt ftnbet, ein mißflingenber, wenn aud) nur »orübergehenb erfd)ei=
nenber, bocb regelmäßig aufgelöfter. 3n gleid)cm ©inne bel)anbclt .Jpteronnmuä ben Tonfall be3 2£ufge=
fangeä ber SOielobie, nad) ber ionifd)en SEonart: bie aud) l)ter in auf= unb abftcigenben, fd)rittweifen
©ängen worfommenbc "tfuSjierung wirb mit ärmlichen in allen anbern Stimmen begleitet. ©ie Unterjttmme
fd)reitet, bis ju bem gewöhnlichen ©d)lußfalle burd) £Utinte unb £)ctat>e, terjenweife, Xon gegen SEon,
mit ber SJielobie fort ; bie SDitttelftimmen auf äl)nlid)e 2lrt in ber ©egenbewegung. ©a§ ©cwid)t, ba§ auf
btefe ©teile baburd) gelegt wirb, jerftört ganj bie Einmuth, bie jener ©dnnuc? fonft in ber £>bcrfttmmc
gewinnt, wenn er wie ein eben erft frei erfunbener erfd)eint. ©o läßt ihn 9CRidt>aet erfd)einen; bis bie
Dberftimme bie äußerfte £onl)öhe erreicht hat, ju ber fie auffteigenb gelangt, tönen bie begleitenben ©tmv
men mit blcibcnbcr Harmonie fort ; erft bann, wäln'enb nun jene fortfallt, führen ft'e eine leichte, entfpre*
d)enbe 2luSjiemng bagegen auS, bie tjarmonifd) genommen, aud) nur auf baS @infad)fte ben ©d)lußfall
einleitet. 3n tiefer 2lrt,— wie if)m gegenüber #icronnmu3 in ber feinigen, — t>at er jebe im SJaufe beS
©anjen nod) uorfornmenbc melobifd)e 'Muöjierung gefaßt, unb baburd), wie bem ©efange größere ßinfacb^
heit, fo ber Oberftimme erl)öl)te 33ebeutung gegeben, »or jenem alfo ohne SSebenfen ben $>reiS gewonnen.
(Eben fo gebührt if)m biefer be§halb, weil er bie üorfommenben, bejetefmenben 2lu3wetd)ungen, fchärfer,
befiimmter, ausgeprägt bat. 9tur bei ihm finben wir bie eigentl)ümlid)e 2trt ber S3ebanblung pl)rt)gifcb,er
£onfcblüffe in il)rer boppetten ©eftalt. 2ll§ halben ©d)luß juerft in ber, aud) anberen weichen SEonarten
gemeinfamen 'tfrt, burdi ben garten ©reiflang auf bem pbrogifdjen ©runbtone, nad) bem weichen auf bem
äolifd)en; fo in ber jweiten 3etle beS 2lbgefangc§ ber SQielobie, ober ber jweiten #älfte ber erften Seile
bee> ©ebid)teS an eben bem £>rte. 211S SSereinigung fobann beS ab- unb beS auffteigenben pl)rwgifd)en
Tonfalls im barmonifdien 3ufammenflange, am ©d)luffe ber folgenben, britten 3ette beS 2iebe§. 3n
biefer Sßeife t)at ^»ieronwmuä feine ber »orfommenben pb.rngifd)en "2lu§weid)imgen bel)anbelt, fonbern fie
entweber ganj äolifd) genommen, ober vorfommenbe 9J?obulationen anberer 2lrt pl)rngifdi gefaßt, wie bie
mixolr;bifd)e am ©d)luffe ber britten melobifd)cn Seile be§ 2lbgefange§, wo bann, wegen ber eingeführten
üwei weichen Sreif länge, beren lefcter burd) ben miroh)bifd)en ©runbton fg) bebingt wirb, ba§ ©epräge
oeö halben ©djluffeS, unb bamit aud) eineS pl)rt)gifd)en, notbwenbig »crloren gebt, ©aß 9ttid)ael§ ©inn
umSSieleä feiner unb ftd)erer gewefen, wie für bie@igentl)ümlid)feit berSKelobieen unb il)rer SBenbungen, fo
für beren barmonifd)en ©ehalt, baß er SBeibeä burd) feine begleitenben ©timmen meifterlid)er l)er»orjub,eben
gewußt, jeigt fi'd) auf baö ©eutlid)fte an biefem ffieifpiele. @§ tritt nid)t minber h^ox bei SSergleicbung
ihrer Xon^e ber mirolpbifcben ©ingweife beö Subaöliebe§*). 5!Kan barf eingeftehen, baß £ieronmnuev
ber ftd) h«er einer örtlichen ©ingart mit einem unregelmäßigen, borifchen Ausgange anjufd)ließen hatte,
•) ©. beibe 2onfä^c 9(ro. 'Jl unb 07 bfr ©vifpiclfammlung.
391
weniger begünftigt gcwefen fen 5 bodi ftimmen bis auf biefe, bie Stenart uerbunfelnbe Abweichung in beut
angebängten: „Jtprie eleifon, (ir;rifte eleifon" bie r<on beiben Sonfünftlem bebanbclten SJcelobieen im
SBcfentlicben überein. £ier war nun bie "Aufgabe, burd) bic Jparmonie baS ©epräge ber Sonart fofort im
Anfange bebeutfam hervorzuheben. Senn bei unferet Singweife uerjogert ficb bie ber mirohibifcben Sonart
eigentümliche 'Ausreichung in bie Sberquarte Ujreä ©runbtonS — in baS 3ontfd)e — bis jum gebluffe
ber britten Soppeljcile, bie erfte aber fcbliefu in bem ©runbtone felbft. SQttdjael bat tiefe Aufgabe erfannt:
er fehltest bie £älfte ber elften Seile mit bem roeieben Sreiflange von d, ber, auch, abgefehen t>on feiner
trefiieben SBirfung nach jroei harten Sreif längen, febon baburch bie »olle digentbümlidjfeit beS SJcirolpbi-
fchen barlegt, bafj bie ihn bejeichnenbe Fleine SEerj jugletd) bie ftebente Stufe biefer Sonart ift, burd} welche
fie ihr wefentlicbcS ©epräge erhält. $ieronpmuS hat in biefer ganjen Soppeljeite eine Sfeibe harter Srei-
flänge, an ber bejeidmeten ©teile aber ben Sertaccorb auf ber britten mirolpbifdjen «Stufe in ber ©runb=
ftimme; man vernimmt bei ihm nur eine harte Sonart unferer ©egenwart, unb feine f trd?Itct>e. dagegen ift
unter ben vielen Motetten sDiid)aelS feine, bie an gei(rreid)er4 bebeutfamer Anorbnung unb Äraft beS AuS=
brucfS ficb einer beS .JpieronmnuS vergleichen fönnte, namentlich unter benen, bie er um 1599 ju Hamburg
bei Philipp be £)br herausgab.
SJctcbael 9)rätoriuS hat aber aud) bem lateinifchen Äirchengefange nicht minberen gleifj gewibmet,
als bem beutfehen 5 mar boeb um feine Seit jener ju großem Sbeile noch in ber evangeli|"cben Äircbe heimifch
geblieben, wie eS bie SBerfe beS SucaS SofftuS, £pfopbuS unb ßler unS jeigen. ©leiebjeitig mit feinen
erften Arbeiten über beutfdie Äirdxnmelobieen, um 1605, erfebten bei SBagemann ju Dürnberg unter bem
Sitel: Musae Sioniae latinae eine Sammlung lateinifcher Motetten von feiner Arbeit ju üter bis fecbjefm
Stimmen, tbeilS freie (Srfinbungen, meift auch auf alte latcinifd)e (ihoralmelobieen gearbeitet. Allein erfi
mit ber ä>ollenbung feiner beutfehen Sionifcben SSKufen burch beren neunten Sheil, um 1611, gab er feine
Lciturgodia Sionia heraus, in vier felbftänbigcn Sheilcn: ber Missodia. Hyrnuodia, 3Iegalynodia unb
Eulogodia. Sie erfte enthält, nach ber Skrfd)iebenbeit ber SJfelobieen an ben hohen geften, benen ber
SDJaria, ber Apcftcl, unb ben gewöhnlichen Sonntagen, bie £auptgefänge ber SKeffe fowobl, als bie babei
oorfommenben dotierten, Otefponforien, ^»räfationen u. f. w. bis ju acht Stimmen. Sie Hymnodia
bringt unS mehrftimmtge ^Bearbeitungen von 24 Spinnen, beren SJielobieen, bis auf jmei, auS ber
Psalmodia beS SucaS SofftuS entlehnt finb. Siefe ©ehanblungen erftreefen ficb, auf alle einjelnen Strophen
ter .önmnen, unb beginnen ftetS mit einem einfad) vierfhmmigen ßboralfake, bei welchem bie alte jtircben=
weife in ber £>berftimme erfcheint. Sann wirb fie auf bie mannid)fad)fte Art weiter burebgefübrt. So
finben wir von bem £mnnuS ber heiligen Sreifaltigfeit: ,,0 lux beala trinitas," ber nur brei Strophen
bat, vierjebn ^Bearbeitungen, von benen bie erften fünf nur bie erfte Strophe jum ©egenftanbe haben, bie
feebfte alle brei Strophen, bie übrigen halb bie zweite unb britte allein, ober bie beiben legten, ober bie
erfte unb britte. Sie Gboralmeifc erfd)cint in tiefen jwet=, brei=, vier=, fünf, fecbS* unb ad)tfiimmigen
Säften balb als fefter ©efang, balb in canonifcher ^Durchführung verfd)icbener Art ; in freier S5ehanblung
mit brei= ober oierftimmigen 3Bcchfetchbren, ober in ihren einjelnen SBenbungen unter alle mitwirfenbe
Stimmen oertheilt, fo bap jene bic ©runbgebanfen ber eingeführten Nachahmungen hüben. Auch S^ci für
bie STrgel beftimmte ffiebanblungcn ftnben wir hier, beibe ju »ier Stimmen, unb mit ber ßboralweife, als
feftem ©efange, in ber tiefften; in ber legten, bie jugleid) bie ganje 3?eibe biefer Sonfä|e befchliefjt, führen
bie brei höheren im \ unb f Safte (wir würben ihn gegenwärtig mit f bejeichnen), einanber nachahmenb,
392
ein von Der ©runbweife unabhängiges ©ewebe au§. £>af? $)rätoriu§ bei Durchführungen fotcher 2£rt ein
in fich jufammenbängenbe§ ©anje rttdjt geben wollte, iji aufjer 3weifel; er wollte nur jeigen, auf wie
oerfcbicbene 2lrten eine fachliche SSJielobie fich behanbeln laffe, e3 einem jeben freifrellenb, von biefen ©äfcen
auszuwählen, unb an einanber ju reihen, wa§ ihm für ben ©ebraudb, bei einer feierlichen Äirchenmuftf am
jroecfmdgigilen fcheinen möchte. Sie Megalynodia befcf)äftigt fich mit Dem SJcagniftcat, bem Sobgefange
ber heiligen Jungfrau, burch ben ber ^auütgotteöbienjt be§ 2Cbenb§ befchloffen wirb, ©ie enthalt 14
©äfce, von benen jeboch nur 2, ber 12tc unb ber 13te, bie CEboralmelobie be§ Sföagniftcat jur Aufgabe
haben, ben neunten ober fogenannten ^ilgerton, hier: „Chorale melos germanicum" genannt, weil nach
ihm herkömmlich in bem beiitfch=eoangclifchen ©otteSbienfte biefer heilige ©efang vorgetragen würbe, ©ie-
ben von ben anbern ©ä^en finb nach hergebrachter, früherer 2Beife, auf SJielobieen beliebter italienifcher
SERabrigale, jumetjl bee> 2uca SERarenjio, gearbeitet, einer barunter auf eine franjöftfche SDielobie; vier grün=
ben fich a"f SQZottoe aus lateinifchen SSJiotetten, ba3 lefcte hat ?>rätoriu§ auf bie Tonleiter gefertigt, unb
barüber allerhanb ©rftnbungcn angebracht; ernennt e§ ,,meae ipsius phantasiae." Um wemgften alfo
ift in biefem SBerke ber alte .Kirchengefang feine Aufgabe gewefen; boch fyat er biefen, unb jumahl ben auö
ihm entwicfeltcn geifilichen jtimfigefang hier auf eigenthümliche 2Beife in SSerbinbung gebracht mit bem
beutfchen ©efange ber ©emeine. S5ei ben erften brei SQiagntficat nämlich, bie, für ba§ 2Beihnacht§feji
beftimmt, auf einzelne 9Jlelobieen gearbeitet finb au§ ben SCRotetten: „Angelus ad pastores ait etc.,'-
,,Ecce Maria genuit nobis etc.," „Sydus ex claro etc.," fo wie bei bem folgenben, ba§ auf bie
SJiotette für ba6 Dfterfeft: „Surrexit pastor bonus" fich grünbet, finb beutfche geiftliche ßieber jwifcben
bie ©trophen eingefchaltet, bie auf jene gefte SSejug haben, ©o wirb nun eine ganje ober halbe Beile be§
lateinifchen 9Kagnift'cat juerfl einfach angeffimmt in ber ©efangSformel eineS Äirchentone§, wie fte bem
folgenben mehrjtimmigen ©al?e am heften übereinkommt; biefem fchliefjt bann bie ©trophe eine§ 2Beib=
nachts ober £)jterliebes> fich an, in beffen bekannte -UZelobie auch bie ©emeine mit einftimmen kann, ßiturg,
©ängerchor unb jule^t bie ©emeine, mit biefem oereint, follten fo in lebenbiger SÜBechfeltbätigkeit erfcheü
nen bei ber kirchlichen geter. "Much biefeS SBerk alfo tritt, nicht bem ©egenftanbe allein, fonbern auch ber
gorm nach, in ben .KreiS ber übrigen wefentlid) mit ein. Sie Eulogodia enblich feat bie ©efange jum
©egenftanbe, welche in ber alten .Kirche ben täglichen ©otteSbienjl befchloffen : bie 9)falmen be3 ßom»leto=
riumS, bie in evangclifchem ©inne umgebilbeten 2lnti»h<>nieen ber heiligen Jungfrau nach ihren alten
OJielobieen, bie ßenedicamus für verfdbiebene Seiten unb gefte. ©o finbet man bei SDiichael *Prätoriu§
tfUeS jufammen, wa§ bamalS, an Überliefertem unb Sceugcfchaffenem, in ber alten Äirchenfürache unb ber
beö S3olke3, einen Sbeil beS JlirchengcfangeS bilbete, unb alles biefe§ im ©inne beS erften SahrhunbertS ber
.Kirchenverbefferung harmonifd) auSgeftaltet; ba$ voUftänbigjte SBilb aller Dichtungen ber geglichen £on--
funft in jener merkwürbigen Seit, unb ber aus> ihnen hervorgegangenen SSilbungen. freilich erfcheint biefeS
aUeS, ba bie wenigen, burch ben 9Jteifter mitgeteilten SSBerke frember Sonkünftler hier nicht in 33etracht
kommen, nur in ber ©eele eineS einzelnen SDZanneS abgeriegelt, aber eineä eben fo finnigen, al§ kunjige=
lehrten, mit beffen «Berken wir baher am würbigften unfere Sarjtellung biefeS 3eitabfchnitte3 befehlen,
unb auf beffen weitgreifenbe SBirkfamkeit wir fväter jurücfkommen werben.
393
fünfter 2ll»fdmitt.
Sänger unt> Seßcr neuer j?ir<§em»etfen in bev legten -§älfte beS 16ten 3ar)rljunbett8.
SBenn mir in ben r>orangebenben betten '^bfcbnitten bie größeren Sammlungen geijtlid)er Bieter
unb ihrer SSonmeifcn betrachteten, bie in ber jmeiten «Stifte beS 16ten SabjbunbertS unmittelbar für fach-
lichen ©ebraud) $ufammengetragen mürben, unb bie ^Bemühungen ber Sonfünftlcr befprachcn, bie ju glei-
chem 3mede jene 93ie(obieen burd) einfachen roie funftreicheren Sonfab fcbmüdten, fo werben unS hier
biejenigcn SJJeifter befd)äftigen , meld)e, eS fer> als Sänger, ober auch. Sefjer jugteid), ben »orhanbenen
Schafe geiftlid)er SEonmeifen burd) neue bereicherten. SSReift merben mir beibeS, ben Sänger mie ben Sefeer,
in ihnen Bereinigt finben.. auch mobj ben Siebter nod); ober in beiberlei Gngcnfdiaft fd)licf3t ftd) ber 5£on=
fünfiler an einen uor allen r>on ihm gefd)äfcten Siebter, gembl)nltdi einen l)eimatl)tid)en.
9£tcoIau$ »<3errtnann, Giantor ju SoacbimSthal in ^Böhmen, auf ben mir juerft hier
unfere 2fufmerffamfeit richten, barf unter bie nahmbaften SEonfefeer feiner 3cit smar ntd)t gerechnet merben;
als Sänger unb Sichter jeboch gebührt ihm eine ehrenvolle ©teile. SBenn er fie hier ftnbet, ba ber grbgefte
%t)äl feines tbätigen Sebent bod) in bie erfte £difte beS SabrbunbertS fällt, fo ift eS barum, meil feine,
'Anfang» bie fleine ©emeine beS 33ergftäbtd)cnS 3oad)imStbal allein umfaffenbe SSirffamfeit, burd) 4?eraus=
gäbe feiner Bieber nach ber SJiitte beS SabrbunbertS erft auf einen größeren ÄreiS fid) auSbebnte, unb er
beren (Srmeiterung noch erlebte. SBenig tfnbereS miffen mir mit Sicherheit über feine SebenSumftänbe, alS
maS in ben SSorrctcn feiner fpäter ju ermälmenben SBerfe er felber unS fagt, unb fein greunb, ber bortige
^farrberr9ftattheftu». Söalter, in feinem 2Bbrterbud)c ber Sonfunft, hat über ihn nichts 2lnbereS ju berichten,
als bap er „jur 3eit SEatthefü ein guter SKufiruS unb 9>oet gemefen, unb alS 9)obagricuS anno 15G0 ben
3ten 9Raji in hohem Hilter geftorben;" mobei er fid) auf SBeßjlS Sieberf)iftorie bejiebt (S. 413 u. folgenbe).
ein SRehjeS ju erforfchen, ift auch bem fleißigen ©erber nicht gelungen; maS er in feinem alten unb neuen
2B6rterbuche mittheilt, ift nur eine bürftige SSieberholung beS SBalterfchen S3erid)teS, uerbunben mit ber
Angabe, bafj auf ber SBibliothef ju ©otha üier v>erfd)iebene Ausgaben ber ©efdnge $errmannS ju ft'nben
fepen, in ben Sahren 1560 ju Wittenberg, 1562 unb 1581 ju Seipjtg, 1576 ju Dürnberg erfd)ienen,
mobei aber Sitel unb 3nf)alt biefer 2Berfe nid)t angegeben ift. 2BaS märe aber auch »on biefeS SDßanneS
einfachem, bemütr)tg frommem Seben, baS in ber bemegteften Seit ftill unb rul)ig bal)infIof3, anberS ju
fagen gemefen, als maS feine eigenen SBorte funb geben, bie er alS bod)betagter ©reis nieberfchrieb, freu»
btgen SRutbeS, menn auch fcurd) .Kranfbett <*n feinen Sebnjtubt gefeffelt; ftd) anberö nicht nennenb, als
,, ber alte (Santor" nach feinem, ihm fo mertben £eben§berufe? 2BaS anberS, als maS SKattbefütS unS
aufbemahrt hat auS feinem SJiunbe t?on feiner innigen Siebe ju ber Sonfunft, beren gortbauer auch jenfeitS
ju feinen heften ^)ofnungen geborte? „2Beil im fünftigen Sehen — fo febjeibt SCRattl)efiuS — alle Sreatur
fd)bner, unb alle greube größer unb herrlicher fepn merben, ftehet auch, ber Sichter biefer ©efänge in ber
£ofnung ; mie ich benn oftmals »on ihm gehöret hab : eS merbe ein £rganijt ober Sutenift in jenem Sehen
auch ein' heiligen SEert in fein £ rgel unb Sauten fd)!agen, unb ein jeber mirb allein unb auSmenbig auf
oier ober fünf Stimmen fortiftren unb fingen fbnnen. GS merbe auch ff in Sehlen unb Gonfufton mehr
merben, melche je%t manchen guten SKuficum unluftig machet, jumahl menn man oft mufi anheben." §rei--
lid), überall mag eS eine $>lage fepn, ein ebleS ©eifteSmerf, baS erjt burd) üereinte ^Bemühungen S3ieler
jur Grfchcinung fommen fann, mie mehrftimmiger ©efang unb Sonfpiel, ungenügenb unb oerftümmelt
s. SEBintttftlb, bet eioangtl. CS^ctJtgefang. 50
394
burcb ben Sftunb unb burd) bte .Ipänbe ber (Sänger unb Spieler fyertwgefyen ju feiert : am meiften aber
bod) für einen ©old)en, ber bieSEonftmft als ba3 ebelfte@otte§gefd)öpf fromm unb gläubig im ^erjen trägt,
unb ber für baS m'elfad) SSerlefcenbe, ba3 fein 23eruf notfjmenbig mit ftd) bringt, mol)l nur mit ber 4?ofmmg
nd) tröfien mag, bafj aud) fie einft in »oller Sßerflärung, ohne gel)l unb SEabel, Verborgenen merbe ju ©ot=
te§ @hre. Sarum, lächeln mir immerhin über bie tjalb unmutige 2lrt, momit er feine Erwartungen au$=
fprid)t, aber freuen mir un§ aud) über bie innige, treue Siebe, au§ ber fie flammen. Senn Dichten,
©ingen, mar ihm ©otteäbienft, bie tnnigfte greube in bem #erm ; in bem ©inne feines §reunbe§, mie in
feinem eigenen, fprid)t SKattfyeftuö ftd} barüber au§. „3ad)aria3, 3ol)anne§ SSater (fagt er in ber S>or=
rcbe ju .frerrmannS £iftoriett von ber ©ünbfluth), unb bie merbe Jungfrau 9Karia, unb ber alte Simeon
haben aud) ba$ neue SEeftament, unb ben £errn Sefum G>l)riftum angefungen, unb fiel groS ©el)eimnifj in
ihre furje unb liebliche ©efänglein gefd)loffen, barju ber heilige ©eift als ber oberfte ©ang= unb ßapellmeü
fter felber geholfen, mie &uca§ bezeuget, bafj 3«d)aria3 »oll be§ heiligen ©eifte§ gemefen fei), ba er fein
23cticbictu3 fange. Senn ber heilige ©eift ift ein fonberer 2icbl)aber ber merben 9)iuftca, menn man jumab,l
©ort, feinen ©ofm, unb momerbiente Seilte bamit lobet unb greifet. — Sie SEert ber heiligen ©d)rift finb
jroar an ihn' felber bie allerliebltd)fte SDiuftca, bie SEroft unb Seben in Sobesmbthen giebt, unb im $erjen
mahrhaftig erfreuen fann. SBenn aber ein' füpe unb fel)nlid)e Sßeife baju fommt — mie benn ein' gute
belobet) aud) ®otte§ fd)on ©efd)öpf unb ©abe ift — ba bekommt ber ©efang ein' neue Äraft, unb geriet
tiefer ju #erjen. 2Bir müffen Snffrumenten if>re @l)r unb 9)rei§ aud) laffen, menn man fie ju ehrlicher
greube, unb ju ermeefen ber 3uf)örer £erjen in Ätrd)en unb ehrlichen Kollationen gebrauchet. 3lber 9Jien=
fdjen ©timme ift über 2flle3." — ©o mar benn unferee* alten ßantorö ©inn aud) bafjin gerichtet, bafj mo
freubiger unb lieblicher ©efang ertöne, in if)m aud) cor 3lllem, ja, allein, ©otteS S5arml)crjigfeit gepriefen
merbe, mie im alten unb neuen SSunbe bie ©djrift fie un§ offenbare." Sd) table, fagt 9Kattheftu3 a. a. £).,
ber alten SKeifter ©efänge unb S5ergreit)en aud) nid)t, benn id) t)aV viel fd)öner alter ©etid)t, barin man
gute unb d)riftlid)e £eut' fpüret, gefefjen, al§ ba3 vom ^elifan, t»on ber SJlühle, unb anbere. "über ma3
lehret, unb men trbftet ber alte £ilbebranb, unb ber 9?ief ©igenot? Ser heilige ©eift hat 9ioe £tftorien
auffd)reiben laffen, bie ift mahr, unb befd)reibt ©otteS grimmigen Soxn brinnen, miber bie SSeräd)ter feines
2öort3 unb treuer Siener. ©o giebt fie aud) geben unb SEroft, meil fie von Sefu ßlmfto flar jeuget, baf;
©ort um biefeS einigen 9Renfd)en unb feeligen Siegenbogenä millen bie SQSelt nimmer »erflud)en, fonbern
um be3 einigen SBeibeö ©aamen millen alle ©efd)led)t auf Erben feegnen unb annehmen will." — Suerft
oon #errmann§ ©efängen auS ber ©chrift fd)einen feine ©onntagö ©»angelia erfd)ienen ju fe»n.
Die worliegenbe "MuSgabe berfelben, ju Seipjig 1574 burd) Johann S3e»er gebrueft, führt jmar eine fpätere
3ahre§jahl al§ bie ber 2(u§gabe feiner Sq ift orien »on ber ©ünbfluth/ melche eben ba 1569 erfd)ien ;
allein bie 3ufd)rift jeneö SBerfleinä „an glorian ©riefjpeden won ©riepbad)" ift am SErinitätSfonntage
1559 gefchrieben, bie ßueignung biefeö anbern „an SBürgcrmeifter unb 9?ath ber faiferlid) freien S3ergftabt
- 3oad)im§thal" aber erft im folgenben %ab,xe. Ser »ollftänbige SEitel be3, l)ienad) mol)l früheren, lautet:
,,Sie ©onntag§ Eoangelia unb »on ben fürnembftcn geften über ba§ ganje^at/ Sn ©efenge gefaffet für
d)riftlid)e ^auötäter unb ihre Äinber. 9Kit flcip corrtgiret, gebeffert unb gemehrt — alfo aud)
beShalb fd)on früher bagemefen — burd) Slicolaum ^»errmann in 3oad)im§tl)al. [Ein S5erid)t auf maS
Shcm unb 93Zelobp ein jebeö mag gefungen merben.] üflit einer 58orrebe S. ^)ault (Sberi, ^farrherrenö ber
Äirchen ju SSBittemberg." Äird)enlieber mollte inbep unfer ßantor feine Sichtungen nicht angefehen
395
wiffen. ©ie waren ihm nad) ben SSebürfniffen ber fleinen ©emeine, in beren £)ienfle et wirfte, unmittel-
bar au$ bem geben Terror entftanben; fie füllten bem gcifligen Verlangen ber ©lieber berfelben entgegen*
fommen, beren 9J?ef)r§af)l er perfönlicb befreunbet gewefen fe»>r. wirb. £>ie Äleinen follten fid) baran
nähren, bie (Srwachfenen im traulichen Äreife be3 £aufe§ fi<*> bamit erquid'en, unb burd) feine treuen
^Bemühungen feilte, neben benen beS eigentlichen ©eelforgerg, ber, rote feine ^rebigten über fiutberS geben
jeigen, aud) an beiliger ©teile ju feinen ^farrfinbem rcbete, wie ein SSater frbfjlid) in ber SÖfttte ber ©eini=
gen rebet, ba$ 2Bort reichlich wohnen unter ihnen. 3n biefem Sinne bot er fie bar, in biefem wollte er
fie aufgenommen wiffen. „£5arumb id) — fagt er — auch biefe unb anbere meine ©efänge nur für Ätn=
ber= unb £au3lieber ausgebe unb gehalten haben will. 2ld)t fie jemanb würbig, baß er fie in ber Äircben
brauchen will, ber mag§ thun auf fein Abentheuer. " §ür bie Jtinber fjatte er in feinem ftnbtid) freunb*
liehen (Sinne ein rechtes £erj. ©ern erinnerte er fid), baß feine Sugenb eine freublofe geroefen fei) unb
gequälte, unb erjäblt unä baoon, roie geplagt bie Änablein geroefen mit meiern ittrebenbienft unb Qi)ot-
fingen bei rauher SabreSjeit, roie fie oon ©cbule ju ©cbule gebogen in SKübfal unb junger, ihren 2cben3=
unterhalt ju erbetteln ober gar ju fteblen ; bod) junächfl nicht einmahl für ftcb, biefe armen kleinen, ober
©cbüfjen, roie fte bamaB genannt würben, fonbern für bie größeren ©dwler ober 33ad)anten, beren ©ebu^e
fte befohlen waren, meift aber ihnen ÄnecbtSbienjle leiten mußten, unb ba§ mit faurer 9flübe Erbettelte
ober ©rfcblicbene genbthigt waren, ,, ihnen, als eim brachen, in ben SpalZ ju fteden, unb babei maulab
ju fepn, unb ju barben." 9cun aber, in ben neu errichteten, cbriftlicben ©cbulen, waltete eine ftrenge
jwar, boch üäterlicbe 3ud)t, bie be§ göttlichen SSorteS, ba§ aud) unfer ßantor nach feinem SBerufe al§
fruchtbaren ©aamen in biefe jungen ©emüther auäjujtreuen bemüht war; unb fo preif't er fröhlich biefe
beffere 3eit, bie nun gefommen fet?, für ihn be§ ©eben§, für bie üinblein be§ 6mpfangen§. 2lber nicht
für bie Knaben allein, auch für bie SKägblein, bie SDiütter, bie leiblichen wie geiftigen Pflegerinnen eines
fünftigen ©efcblecbtS, war fte gefommen, auch für biefe febafte er treulich burd) feine ßieber. ©o bid)tete
er: „für bie 3ungfräulein in ber SJiepblin ©cbul ju SoacbimStbal" ben noch iefct unter um? al§ Äird)en=
lieb üblichen ©efang „üon ber fröhlichen Qluferftebung unfereö 4?etlanbe§ 3efu ßbrifti:" @rfd)ienen tft
ber t)crrtid)' Sag*), nad) ber SQielobie be3 soranftebenben £iebe§ r>on gleicher SSejlimmung:
"Km ©abbatb=£ag Marien bret)
.Samen junt ©rab mit ©pecerep tc.
mit bem auch baS ßieb: ,,2tlS öierjig S£ag' nad) £>ftern tc." bort gleiche ©ingweife hat. ©o fang er
„einen cbrijtticben 3lbenbreien oom Seben unb 2lmt SohanniS be3 SäuferS, für cbrifHicbe unb jüd)tige3ung=
fräulein," beffen fröhlich anmutbige SBeife er aud) anberen Siebem jum öfteren angeeignet bat, jumabl bem
oon ihm ebenfalls gebiebteten 2Beibnacbt3ltebe : ßobt ©ott ihr Cübrijten all jug leid)**), ©o
ftnben wir in ben balb naher ju befebreibenben ,,^)ijtorien üon ber ©ünbfluth ic." einen Tlbenbreien »om
^)errn ßhrifto, »orjufingen für „bie ©chwejterlein, " bie barin aufgeforbert werben, beS ^eilanbeä 8ob
ertönen ju laffen; fo enblid) „(Sin ©efpräd) jweier d)rijtlid)en 3ungfrdulein t>om 9(u^ unb Äraft ber f>eilt=
gen Sauf, in ein' 3lbenbreien gefaßt unb in grage unb Antwort geftellet." 3mmer waren bie 5Jlelobieen
") ©. 9lro. 82 ber SBetfptete biefe SKetobte in @ottf)arb @rptl)tauS üierftimmigem Sonfa^e.
") @. biefe SWetobie 5tro. 4i ber SBcifpicle in Seontjarb (Schröters fünfftimmigem SEonfafce.
50*
396
fafjlid)/ bewegt, frontet) unb frifd) ; bie bet juerft genannten 2luferftef)ungtliebet, Anfangt im Sripeltaft
munter Jraluu-rdn-citenb, l)at erfi fpäter burd) 2lutlbfd)en tiefer urfprünglicfycn ©eftalt ein berberet, ftrengeret
©eprdge gemonnen. 25ie greube an bem ©eiftltcfyen feilte ftd) anfnüpfen an t>ie gemormten 6rgb|ungen
ber jtlcincn, bie Erinnerung an bie f)od)fkn ©üter foUte eine ftete, tägliche, lieblid)e ^Begleiterin bet Sebent
ferm, nicht eine fmflcve SDlafynerin an ein äußerlid), pflidjtmdßig auferlegtet Sagemerf. £)rei5ef)n 9JMobteen
enthalt riefe» SBücfylein, »on benen mir oorautfe^en bürfen, baf? fte auch, »on bem Siebter fjerrüfyren ; if)t
»olftmdfjiget ©epräge ift biefer S>orau§fef|ung nid)t entgegen, benn ein finblicfyet ©emütf), mie .Sperr*
mannt, fonnte ben finblid) einfachen Zon, mie in Siebern, fo in SBeifen mof)l leid)t treffen, jumabl
unter einem gefangreid)en SSölFcfyen mie feine SBcrgflabter unb ©rubenleute; obmofyl er aud) »on if)ren33erg=
reiben mol)l geborgt baben mag. @in mcfyrftimmtger Sonfafj ifi l)ier nid)t ju ftnben. £urd) fpätere ©amrm
lungen geiftlicfyer Sieber f)aben mand)e feiner SKelobieen ftd) meiter fortgepflanzt; eine allgemeinere SSerbrei=
tung baben nur bie beiben jimor genannten erfahren, bie noch, gegenmdrtig in unfern G>lmralbüd)ern fort=
leben, menn aud) entftellt. ©ein fpdteret juwor fd)on angebeutetet ©ingbücfylein befd)äftigt ftd) jumeifl
mit bem alten Seftamente unb feinen ©cfd)td)ten, alt SBciffagungen , SSorbilbern, ber (Srlbfung burd)
Sefutn ßbrijium. @t ift genannt: „Sie £tj}orien »on ber ©ünbflutf), 3ofepf), SSJlofe, Stella, @lifa,
unb ber ©ufanna, fampt etlichen ^»ijtorien aut ben (Süangelien ; aud) etliche $)falmen unb geiftlicfye Sieber
ju lefen unb ju fingen in 9ieime gefaffet, für d)riftlid)e .£>autt>äter unb jre Äinber, burd) 9ficolaum .Sperr*
mann in Soacfyimttfjal. SJttt einer SSorrebe Sobannet 9Äattl)efii , ^)farrl;errn in Soacbjmttfyal.''
©d)on ber Sitel — mie mir um jene Seit oft finben — forbert bie S3efifjer bei? 33üd)lcint auf ju beffen
rcd)tem ©ebraucfye; l)ier mit ben SBorten bet SBriefct ^auli an bie (Spfyefer: (C. 5.) ,,©epb »oll ©eijlet,
unb rebet unter einanber t>on $)falmen unb Sobfängen, unb gciftlid)cn Siebern, finget unb fpielet bem .Sperrn
in euren «Sperjen." 2>n Anfang machen bie ©efd)id)ten bet alten SBunbet, menn aud) nid)t befctjranft auf
bie allein, meld)e ber Sitel nennt, bod) oorjüglid) mit 2Baf)l ber alt vmrbilblid) erfd)einenben; ©prücfye
folgen fobann, einbringlid), mid)tig cor Willem für bie erneute d?rtftttd>e Sefjre, mie jenet 2Bort: 2lbrab,am
glaubet, bat ift il)m jur ©cred)tigfeit gerechnet ; 9M)nungen an bie £)ürftigtett menfd)lid)en ©cfd)led)tet ;
Sßarnungen miber bie ©td)erl)eit, unb bet Seufelt Sift unb ©efcb,minbigfeit. 3b,nen fd)liefjen fiel) an
©regoriutlieber, ©efdnge, menn man am Sage ©regorii bie jungen ©d) üler in bie <Sd)uf ju fjolen pflegt,
in benen fte erinnert merben, baß ber .Sperr felber bat Seb,ramt bestellt l)abe, bap er geheißen, feiner ©timme
ju folgen, ba er geboten, bie Äinblein ju t^m fommen ju laffen, um nad) feinem 2Billen ber jungen 3ab,re
mabrjunebmen. T>m S3efd)luß mad)en S3rautlieber ; £>ier begegnen mir abermalt ber 2Beife bet 2Beib,=
nad)ttgefanget : „Sobt ©ott il)r 6l)riften alljugleid)'' ju bem Siebe: ,,©raf 2lnbret ©d)ticf, ber eble
•Sperr," ein Seugnifj für if>rc S5eliebtl)eit. 3lud) ein ^»aar jmeifiimmige Sonfdfee ftnben ftd) b.ier, jmei neue
S5ergreil)en. 2)er eine ijl gerichtet : ,, miber bie rfyumretigen Sb^fon^ ""b rad)girtgen Seut, unb bie jeber=
mann autrid)ten unb oerbamen," unb fd)ärft unt ein:
£>rei 9? gebüren ©Ott allein,
9?l)ümen, 9?ed)en, 9?id)ten idt) mein;
Sat ©rid)t, bie 9rad), unb aller 9?l)um,
25ie brei ftnb ©ottet (gigentljum.
S5er imeite: „58on S3efd)eibenb,eit unb ©anftmutb. ber Regenten unb Seb^rer, miber bie ©dutarger unb
eigenftnnigen Äbpfe" oerftebert:
397
2Ber fcbnurrt unb putrt alljeit im $aus,
£er rid)t' bamit gar menig aus>,
(Sin freunblid) 2Bort mehr grommen fcbaft,
SBeib, ©finb unb Äinb e§ milfger macht.
2>ie jmeiftimmigen Sonfäfce, in melden tiefe Ermahnungen oorgetragen merben, haben nid)t3 ^uögejcid)--
nete§; anbere mebrftimmige JBehanblungen ihrer ©runbmetobieen ijabe id) ntcrjt aufftnben fonnen, eben
fo roentg als id) beren £<nmtmenbungen in anbern geiftlichen Siebern angetroffen habe, liefern
jufolge bürfen mir 9ficolaud 4?errmann nur unter bcn ©an gern eoangelifd)er Äird)enmeifen nennen, aber
auch, nur jener beiben bed oon ihm aud) gebid)teten3Beihnad)tS= unb Sjierliebed. 9ftan pflegt ifnnmohl aud)
bie 9Kclobieen ber gieber ju,ufd)reiben : ,,7lu$ meineö ^)erjenä ©runbe," unb: „2Benn mein <StünbIein
oorhanben ift." 2£tlctn jeneS erfte ftel)t fo menig alS feine SJielobte in ben und berannten SBerfen £err=
mannS, unb eine anbere Quelle für feine Url)eberfd)aft , ber ju oertrauen märe, ift und nid)t genannt.
Später finben mir ÜJZatttjeftuä al§ ben Urheber biefeS 2iebe3 genannt, mie er ed in ber Sfyat fenn mag.
Daher ftammt benn mo()[ aud) bie S3orau§fe|ung, bafj fein tfnberer als fein greunb, ber alte ßantor, eine
SJlelobie baju gefungen haben merbe. £ad jmeite ifl jmar in ben £iftorien bon ber ©ünbflutf) ju finben,
mit ber Überfdjrift : ,,6in geijtlid) Sieb, barin man bitt' umb ein feeligcd Stünblein" (2tu§ bem Spruch
'tfuguftint: Turbabor scd nou perturbabor, quia vulnerura Christi recordabor), eä folgt aber bie S3emer-
fung: ,,3m Sl)on: mie oon ber Sünbflutl), ober @d ift bad $eil und fommen her, " unb bie erfte biefer
beiben Singroeifen ift eine ganj anbere, ald bie be§ £errmannfd)en SterbeliebeS*).
(5rfd)eint uns in 4?errmann ber Sänger unb Sefjer im Vereine mit bem £>id)tcr, fo finben mir,
um menigeä fpäter, in Joachim öon SSttrgf* jene erften beiben ©aben be3 £omatnftler§ allein
mit einanber, beibe aber mit feltener Sreue nur einem einzigen Siebter gefeilt, bem ©önner unb greunbe
bed 9Jteifter§, Superintenbenten Submig ^elmbolb ju 9Jiüf)lhaufen. Joachim mar ju S5urg im 9)iagbe=
burgifdjen, mafjrfctjeinlid) 1546") geboren, um oieled alfo jünger als? 4?errmann. ©einen Familiennamen
fennen mir nicht, unb bafi ber, ben mir bafür annehmen fonnten, nur feine 4?erfunft bezeichne, mirb und
oon 4?elmbolb in oielen feiner 83orreben unb 3ueignungen bejeugt, namentlich in ben latetnifd)en 83erfen,
mit benen er feine oon 3ohann decarb (1596) gefegten £)ben in gleicher Sprache über einige SBerfe bed
Schbpferd, ben S3ürgermei|iern unb bem Statte ber freien 9?eid)Sftabt 50Züf)lf)aufert mibmete. Über Joachims
frühere Sebendoerhältniffe unb namentlich feine SSorbilbung für bie Sonfunft gebricht eS und an allen 9cad)=
richten, mie uns" benn auch urfunbliche Beugntffe über feine 2fmt3thätigfeit ju SO^ühtbaufen mangeln, inbem
bie häufigen jerftbrenben S3ränbe, meldje biefe «Statt im Saufe be3 17ten unb im Anfange bed 18ten 3ahr;
hunbertä betmfuebten, ben grbpten Sheil ber Urfunben üerjcbrt haben, bie und barüber 2Tue>funft geben
") Sie Angabe einet fd)on um 1550 oon 3. a SBurcE ju (Srfutt gebtueften ^affion (©erbet 9c. C. I. Cnl. 570)
l'djeint auf einem Srttfjume ?u betufjen.
398
tonnten. Sarauä, baß t>aS erfte von ibm ju SDH ü t) I Raufen gebrückte SBSerf (f. ©erber a. a. £).) bie
3ab,rjab,l 1569 trägt, f>at man folgern mollen, baß er in biefem 3af>re borten als ßantor unb £>rganijt an
ber £auptfircbe ju ©. SBlafien berufen morben fen. @r mar inbeß, menn aud) öielleicf)t nod) niebt in
biefem tfmte, fd)on um 1566 bafelbft etntjermifd), wie mir au§ ber Sueignung feiner ju Dürnberg bei 9?eu=
ber unb ©erlad) erfd)ienenen Harmoniae sacrae an Sftdjarb, ^faljgraf bei Sityein (SBrubcr be§ ßtjurfürfren
griebricbS be§ ©ritten von ber ^)fa(j) erfetjen. Sie nid)t unbebeutenbe 2Cnjaf)l üon 2Ber!en, bie er in feiner
neuen £cimatf) berauSgab, jeugt von feiner großen SJjätigfeit für feine ÄunfL 3bm mirb bie ©rünbung
beS 9Küblb,aufer ©ingcboreS jugefcfyriebcn; niebt obne SBabrfcbeinlicbfeit, ba meiere feiner geblieben
©efangSmerfe für ben ©dmlgebraud) beflimmt maren. Unter feinen Mitbürgern genoß er eines großen
'ifnfeljenä, fo baß er fclbft in ben SJatl) berufen mürbe; in biefer SBürbe ftnben mir ibn am 2ten Secember
1583 als SBräutigam ber "Unna gaber, SEocbter feines 'tfmtSgenoffen @bnfio»b gaber; ba3 ^ocbjeitölieb
biebtete ibm fein greunb £elmbolb, er felber fefcte e§ t>ierfiimmig unb ließ e§ um 1596 in feinen beitfnbreaS
^jan^fcb ju SJh'tblbaufen "berauögegebenen 41 Siebern t»om t>et(tgen (5t)eflanbe mieber abbruden. (Sin
ffieitereS als biefeS SBenigc ift über feine äußeren 33erf)ältniffe mit ©tcberljeit nid)t ju berieten. SSon ben
fecbjebn SBerfen, melcbe ©erber al§ oon ibm bevrübrenb nennt, geboren nur fiebert bieber, als? mit
beutfebem geijilicbem ßiebergefange fieb befcfyäftigenb. £>b bie jmei SSänbe geifllicber £)ben, angeblid) 20 an
ber 3ab'/ ber erfie ju Arfurt 1572, ber jmeite ju SEJcüblbaufen 1578 erfebienen, beibe Sonfäfje nad) S3iüa=
neHemtfrt entbaltenb, ber te^te ju brei (Stimmen, ebenfalls t>iel) er ju rechnen finb, fann id) megen 9Kam
gelS eigener 2£nfcbauung nid)t mit ©evx)tf t>ett behaupten. Surfte es> gefdjeben, fo mdren fie bie frübeften
Jpervorbringungcn 3oad)ime; auf jenem ©ebiete, unb e§ f bnnte uns> babei nid)t irren, baß ber SSonfalj nad)
einer 2£rt melfcber, gemeiner lieber bejeiebnet mirb, ber Aufgabe alfo miberfprecbenb fdjeinen möcbte. (5§
fofl baburd) nur angebeutet merben, baß bie ©ingmeifen fcbmudloS, üolfs>mäßig, faßlieb, bemegt fenen,
bie Ausführung be§ mebrftimmigen ©a^eS obne ©cbmierigfett, unb biefer niebt von fünftlicber unb breiter
Anlage, mie etma in ben für gcfdbulte ©änger bejlimmten Sttabrigalien. Siefe Gngenfcbaften batten ben
©a£ nacb SSiUanellen^rt barnaB in 3t«lien febr beliebt gcmad)t, unb man menbete ibn obne Unterfcbieb
auf ßieber meltlicben unb geiftlicben SnljaltS an; beutfebe SQZeifter abmten ibn mit ©lüd unb ©eifall nad),
unb Soacbim bürfte unter ben frübejien von ibnen ju nennen fenn. Sie "Kxt, mie er ibn geübt, mirb inbeß,
menn mir von feinen fpäteren 2Berfen jurüdfcbließen bürfen auf feine früberen, bamalS febon biefe eber
ben ©äfeen 3acob Mcilanbö über beutfebe meltlicbe ßieber gleicbgefieüt b^ben, al§ ben SMllaneUen italieni=
fdjer 9JZeifler. S3ei aller (Sinfacbbeit ift in biefen legten eine gemiffe ßierlicbfeit, ein leidster ©cbmud, nid)t
auSgefcbloffen. 3oad)im3 f»ätere , liebbafte Sonfä^e gleicben ibnen etma in ben 4?au»tmelobieen felbfi,
melcbe mebr, mie 9Jceilanb3, al§ SKelobieen in eigentlichem ©inne au§gejlaltet finb, menn aueb in ibnen
ba§ Seflamatorifcbe oorberrfd)t ; biefeS aber mirb bureb bie, allen ©cbmud Derfcbmäbenbe S3egleitung,
enblicb boeb al§ ba§ SBefentlicbe beroorgeboben.
Siefen ©efängen junäcbft ftcl)en jmanjig beutfebe ßieblein, meld)e Soacbim ,,auf ßr>rtfllicr;e 9iei^
men M. Ludovici Helmboldi, lieblicb ju fingen, t>nb auf ^njtrumenten ju gebraud)en, appliciret unb
gemaebt," unb bie bei ©eorg Sßaumann ju Arfurt 1575 gebrudt finb. er bat fie bem bamalö 13jabrtgen
^erioge griebrid) 2Bilbelm ju ©ad)fen='«ltenburg, @nfel be3 ßb"rf"^en 3obann griebrid)§ beö ©roßmü=
tbigen, jugeeignet, .unb beginnt mobl be§balb ba§ SBerfcben mit bem 2Bablfarudbe beffen S3aterö, ^erjog
jobann SBilbelmö Don ©acbfeiuSSeimar : ,,^)err ©Ott regier' mieb burd) bein SBort," unb mit feiner
399
©rabfcbrift: ,,3cb weif}, bafj mein (Srlöfer lebt, " ber mir in ben balb ju erwäbnenben breiig geiftlicben
Siefcern (1585) wieber begegnen werten. Überbauet bat ber ©efammtinbalt fciefer jwanjig Siefcer in äbn=
liebe fpätere (Sammlungen unfereS SJZeifterS ftcb jerftreut ; fünf ftnb in jene breifjig geiftlicben, meift geft-
lieber, übergegangen ; eineS in bie Crepundia sacra (1577) 5 ein anbereS in bie merjtg 2ieber vom beiligen
Cfbeftanbe (1595); bie breijcbn übrigen bilben bie juerft ftel)enben unter 22 fiiebern Joachims, melcbe 1599
'tfnbreaS «Ipanfcfcb ju Sttüblbaufen'mit 18 anberen Sobann @ccarb§ jufammen bruefte. 2Bir behalten un$
vor, biefe ßieber bei ibrem fpdteren (Srfcfyeinen, wo fte, meift nach, beftimmteren ©eft'cbtgpunften georbnet,
in genauerer S5ejiebung ju einanber fteben, ju befüreeben, unb wenben unS fogleicb ju ber Crepundia
sacra, SoacbimS näcbftem SBerfe. ©ie befaßt jum grbfjeften Sbeile fogenannte ©regoriuSlieber, wie mir
beren febon bei 9cicolau§ J^errmann gebaebten, lateinifcb unb beutfd), von £ubwig £elmbolb gebiebtet, unb
von ibm bereite am 20ften gebruar 1577, mdbrenb er noeb JRector unb £)iacomt£ an ©. SSlafien ju SQlüf>l=
baufenmar, fünf bofnungSü ollen ©cbülern jugeeignet: ©ittieb von 33erle»fcb, unb ben 4 jüngeren ©bb=
nen be§ fcamaligen ©uperintenbenten ©ebaftian ©tarefe bafelbft, ©ebaftian, 9catbanael, (Srnft unb Sacob
£>antel. SBabrfcbeinlicb erfcfn'enen fie bamaB febon aueb mit SoacbinB 9Jielobieen. "fteunjebn Sabre fpä=
ter, um 1596, bruefte fie 2lnbrea§ £an&fcb ju SQRüblbaufen abermaB mit einigen 3ufäi?en für ben S3erlag
beS S5ucbbänbler§ SpkxonymuZ Sfeinbart bafelbft, unb noeb um etwaä »ermebrt ftnben mir fte um 1626 in
einer bei Sobann ©tange berauSgegebenen ©efammtauSgabe mebrer SEBerfe £elmbolb3 mit 3oacbmB unb
3obann ßccarbä SUielobieen, unter bem Stiel: ,,Odae sacrae M. Ludovici Helmboldi Mulhusini, Theo-
logi et poelae &c." £)iefe öfteren #bbrü<fe jeugen von ber großen äBeliebtbeit jener ©efänge, bie ftcb aueb
über einen Sbeil be$ nbrblicfyen, proteftantifcbenSeutfcblanbS verbreiteten. Unter ben von SJiicbael ^rätoriuS
in bem feebften Sbeile feiner beutfdjen ©ionifeben 9Jiufen mitgetbeilten ©regoriuSliebem ft'nbet ftd> aueb
(9tro. 93.) eines (ba3 neunte) au§ ber Crepundia*); beren vier (ba£ jmeite, britte, neunte, jebnte) nabm
fca§ febr gefefyäfcte ©otbaifebe Gantional in feinen jmeiten Sbeil auf**), (1655, 9cro. 22. 23. 27. 25.);
bie SJlelobie beS legten unter biefen ift noeb gegenwärtig ju SDZüblbaufen in firebücbem ©ebrauebe, roenn
aueb mit einem anberen Siebe. 9Kan fingt bort gegenwärtig:
.Kommt Äinber, Sefu weibet eueb,
©ebt ein ju Sefu ßbrifti Stetd> !
©ort, ©ott tft bi«r- «bebt ben ©eift
3u ©Ott, ben (£rb' unb ^immel »reift,
ftatt be$ urfprünglicben :
£6ret tbr eitern, ebrtffai§ fprtcljt : ***)
2)en Äinbern follt tbr webren niebt,
©onbern fte laffen ju ibm fomm'n,
Dafj fte von ibm werb'n aufgenomm'n.
•) £ert ©Ott, bu bt'ft in Sroigfeit it. eben baS aus jenen §man§tg Webern (1575) fierübergenommene.
") 2. Referre nihil pntatnr etc.
3. Agite nanc, o pueri etc.
9. ©. ba6 juoor genannte.
10. Jpöret tt)t eitern, et)ri|ruS fprtcbt x.
@. SBeifptel Slcro. 104.
400
gjeltebtet nocfe unb üerbrettetev, bi§ in bie SDlitte be§ folgenben Saferfeunbertä Eminem, waren JpelmbolbS
unb Soacfeimä breiig getftltd?e Sieber, bie wir, wenn auch, ber Seitfolge nach, nicfet bie nädfeften be§ %fleu
jlerS, bocfe beäljalb eben Ijier befprecfeen. Sfev toollfidnbiger Sitel lautet: Streif ig ©eiftlicfee Sieber auf bie
geft' burd?§ gan^e Safer, auefe fünften bei ßferiftlicfeen SScrfammlungen unb ßeremonien ju Übung ber
©ottfeeligfeit, mit SSier Stimmen lieblicher #rt, auf befonbere baju t>on M. Ludovico Helmboldo t>erorb=
nete textus ju fingen geftellt, unb außgangen von Joachimo a Burck Symphonista Mulhusino. Sie
vom 21fren SKdrj 1585 batirte 3ufcferift an ©ebaftian ©cferoellenbergen unb ©tepfean gürer, bamalige
SBürgermeiflcr OTcüblfeaufcnS, laßt vermutfeen, baß btefe§ 2Berf in jenem Safere jum erjten SSKaftle gebrueft
worben fet> ; eine jroeite 3tuägabe erfefeien im Safere gebrueft burefe 2Cnbrea$ £an£fcfe ; enblicfe bilbet
aud) biefeS SBerf einen Sfeetl ber jueor gebaefeten ©efammtauSgabe »om Safere 1626. 83on ben Sftelobieett
unb Sonfdfccn, bie e§ befaßt, rüferen uier »on Sofeann ©ccarb feer, bie übrigen von Soacfeim a S5urgf.
35ie Sieber »erbreiten ft'cfe niefet allein über bie feeiligen Seiten unb feofeen gefte, fonbern auefe auf bie Sage
Sföariä fBerfünbigung, Reinigung, £eimfucfeung, ben Sag SofeanniS be§ SduferS, bie 2lpofieltage in§ge=
mein, ba3 gejt SJlicfeaeliS be§ (SrjengelS ; auefe ft'nben wir unter ifenen ein 2lbenbmafeBlieb, eineä für bie
Äinberlcfere, jroei »om $>rebigtamt, je eine§ für feocfejeitlicfee Sage, unb vom ©tanbe ber £>brigfeit, ein
£>anflieb, unb julefct unter bem Sitel ,,ein gemein (Spttapfeium unb Srojtlteb wtber ben Zoo" jene ©rab=
feferift £er$og Sofeann 2Bilfeelm§ »on ©aefefen au§ ben jwanjig Siebern von 1575:
Scfe weif, baß mein (Srlbfer lebt*),
£)b id) fcfeon feie auf @rben
4?ab ©ünb' getfean, unb fierbe.
Till meine getnbe ft'nb erlegt,
liefet einer fann mir fefeaben,
©0 groß ift ©otte§ ©naben,
SBelcfeer mir feinen lieben ©ofen
Sefum Sferiftum feat gefefeenfet,
SieberS mar ntcfetS in feinem Sferon,
hieran mein ^>erj gebenfet.
©ecfeö r>on biefen Siebern unb SBeifen nafem SOiicfeael ^rätoriuS in ben feefeften Sfeeil feiner beutfefeen ©iont=
fefeen 9Jcufen (1609) auf**), alle bi§ auf eine§ (ba3 Sieb : (B liefen t>or ©otteS Sferone) auefe mit iferen
unoerdnberten Sonfdfjen, unb mit beffen 2lu3nafeme alle fcfeon 1575 in ben jmanjig Siebern erfefeienen.
(Sben biefe, mit 2lu3nafeme be§ ^weiten, ft'nben mir in bem erften Sfeette be§ ©otfeaifcfeen 6antional3, ba3
breißigfte in beffen brittem [1647 (51) 1657], unb außer ifenen nocfe üier in beffen erftem Sfeeile***) unb
') ©. SSeifpiel SRro. 103.
•') 9lto. 1. (88.), 2. (91.), 18. (179.), 21. (188.), 2C. (92.), 30. (200.)
1. 9tun ift ee; 3et't ju fingen f>eU. — 2. 3f)r lieben Äinber, freuet euefe. — 18. ©er 3acfearias ganj oev--
ftummt. — 21. (5g ftcbn für ®otti$ Sfjrone. — 20. SSBie (iebtiefe unb roie fcfeöne. — 30. 3cfe met'g, ba§
mein Srlöfet lebt :c.
-) 9lro. 6. (47.). 9. (62.). 23. (119.), 25. (120.)
6. «Maria fommt $ur «Reinigung. — 9. 5Bie follt' iefe nun niefet fröbjid) fenn. — 23. gifdjer unb 3öUner
finb'e. — 25. ®u tieber Jperre 3efu dljrift.
}jpei in fernen ^iveiten *) j fünf von tiefen"; erfdmnen miebentm in bem 1663 ju (Srfurt berausgefommenen
©efangbucbc, unb aufjer ihnen nod> ba$ je^nte bei 3oad)im, ein £>fterlieb : ,,Ser £etlanb ift erftanben."
2Bir feben, fte oerbreiteten unb erhielten fid) in Binningen geraume 3eit ; ft'e blieben aber auch, nid)t auf
beffen ©renken bcfdirantt. Sa$ erfte, mit bem unfere Sieberfammlung ftd) eröfnet:
iftun ift eS Jett ju fingen hell***),
©eborn ift uns> Immanuel,
pflanze fid) mit feiner Singroeife fort in 3- ßrügerS ©efangbud) von 1(5-49 (sJho.48), unb mir begegnen ilnn
noch in ber 29ftcn 'tfuSgabe ber praxis pictaiis melica biefeä maefem Sonh'injtters (33erlin 1702). SaS
Sroftlieb : ,,3d) roeifj, baf? mein ßrlbfcr lebt," unb ba§ Sieb von ben (Ingeln:
(58 ftefjn vor ©orteS £l)rone-j-),
Sie unfre Siener ftnb,
Ser in feim lieben Sol)ne
Siebt aller «ÖIenfd?ert Äinb,
Safj er aud) nidjt ber eines
33erad)t roill f>an, fo Flein es
"Mud) jemals ift geborn,
ftnb, beibc, Sieb unb SScife, auch, in baö 5retlingei()aufenfd)e ©efangbud) übergegangen ('tfusg. von 1741
"Jtro. 397. 1385) unb leben brtlid) nod) unter un§ fort. ^>elmbolb§ Sanflieb: „9hm lafjt un3 ©Ott ben
Herren lobfingen unb il)n ebjen," fielet jvoar aud) in tiefen breifjig Siebern, allein 3oitd)im3 SKelobic hat
ftcb nicht mit ihm verbreitet; eine anbere, Don ber fpater bie Siebe fewn roirb, hat tf>r benä>orjug abgewonnen.
9Zur einer uorübergel)enbcn ©rroäbnung bebürfen bie jroei Sammlungen ^>elmbolbifd)er Sieber „vom
heiligen ßbeftanbe" mit 5oad)im» pierfiimmigen SEonfdfcen. Sic erfte «Sammlung bcrfelben erfd)ien roal)r=
fcheinlid) jum erften Wlat)k um 1583: bie gereimte Zueignung 4pelmbolb3 unb 3oad)tmS an Johann
Süberen, beiber 3fed)te Soctor unb ^)atricicr ju £ilbe3t)eim, ift mit biefer Sabjjafjl bejeichnet. 3um anbe=
ren »Ifiabjc brudte 2tntrca$> ^anf^fd) 511 SOiübüiaufen tiefe Sieber um 1595 unter bem Stiel: SSom ^eiligen
(Iheftanbe SBierjig Sieblein, in leibhaftige, trbftlichc, freubenreiche unb benfmürbige Steinten aufj göttlicher
$Bal)rl)eit von 901. Subovtco £elmbolbo gefaffet, unb mit wer Stimmen lieblicher tyct ju fingen, aud) auf
^nfirumenten ju gebraud)cn, abgefeilt von Joacliimo a ßurck, Symphoncta Mulhusino. ©in %a\)x fpäter,
um 1596, folgte biefer Sammlung eine jmeite, unter gleichem SEitel, eben ba gebrudt, von Sin unb SSier*
iig Siebcrn. Sie erfte beiber mirb mit einem ©etid)te erbfnet: De nuptiis Adami et Evae; biefem fd)lie^
gen ftd) ^)od)jeit§lieber an auf bie @t)rentage von ©bnnern unb greunben beS Sid)ien> unb Sonfefcerä,
feit bem %at)xe 1574. Sie ftnb, wie man ftef)t, alle gelegentlich entjlanben, fpäterhin gefammelt, unb be$
lehrhaften Snhaltä ber Sieber roegen, beffen fchon ber Sitel gebenft, ju einem ©anjen vereinigt roorben.
•) 9cro. 8. (123.) 24. (1.)
S. SEBtr haben ©ottes 3Bort gehört. — 21. -öerr ©ett erhalt' uns für unb für :t.
") 1. 2. 18. 21. 24.
•") ©. SSeifpiel 9lro. 102.
+) <S. SSeifptet 9cro. 105.
ÜBintttftl*, tet eoangel. (J^oralgefang. 51
402
An btefeS reibt ficb bie jroeite «Sammlung, melcbe bie von So«d)tm gefegten ^odjjettögebidjte #elmbolbs
fett 1583 bis 1595 umfaßt, unb von bem Sonfefjer bcm bamaligen SmtbicuS ber 9ietd)3ftabt 9Küf)lbaufen
.^Benjamin Sileftus, feinem günjiigcn $ettn unb freunblicbem lieben ©eoattern" jugeeignet ift. (Hines" unb
baS anbete btefet Sieber crfd)eint mit feiner SBeife »orübergebenb in geijilicfycn ©efangbüdjern be3 folgenben
3ab,rf>unbert§5 bauernb tjt feines' in bem coangelifd)en jtircfyengefange beimifcb gemorben, nrie mir e§ bei
Rateten ©clcgenbeitsliebcrn erji ft'nben. SKerfroürbig bleibt bennod) biefe (Sammlung; fie füfyrt un3 in
rie inneren äkrbältntffe ber bamalS blül)enbcn 9rcid)§jtabt 9[Jlür;lr;aufert ein, unb gerodet maneben Auf=
fcbltiß über bie Seben3umjianbe ad)tbarer SOtdnner jener Seit, roie mir benn barauS über bc3 Sonfe^erS S5er=
mdblung bie vieüeid)t einjig uorbanbene 3lad)xiä)t fd^opfen, unb aud) erfahren, baß Submtg Jpelmbolb
menige Safere »or feinem Sobe jmei £6d)ter üerbeiratbete, 33arbara (am Ilten Suli 1591) an ben Sftagijter
Quirin £>»malb, ßatbarina (am 28ften 9M 1592) an ben *Paftor Sodann Stepban; beibe alfo an ©ot=
tesgelcbrte, eine weit oerbreitete gcifilid)e gamilie grünbenb, roie e§ oft in jener Seit gefebabe. 2Bir tonnen
tiefe Sieber aud} mit als? bie erjien betrachten, in benen bie fpdter fo verbreitete Siicbtung üon bem ©injelnen
aus auf baS 'Allgemeine ft'd) beroortbut, unb burd) meiere bergleicben ©elegenbeitsgefdnge allein eine tird)=
liebe S3ebeutfamf'eit geroinnen, unb felbjt in ben jftrebengefang übergeben formten. £>er Siebter gebenft
oarin jmar ber perfbnlid)cn SSerbdltniffe ber neuen (Seeleute, jebod) immer nur unter allgemeineren, d>rift=
lieben S5ejiebungen. So bürfen mir aue> bes" SonmcijicrS ^eb^eitSlt'cbc fcblicßen, baß er früher eine geliebte
©attin verlor ; allein biefe SSejiebung mirb in ben $intcrgrunb geftellt, unb ©otteä 2öcis1)eit unb ©nabe
oor Allem gcrübmt, mie im ÜJiebmen, fo im ©eben, beren (SineS unb bas> Anbere im ©lauben unb ber
Siebe bem 9Kenfcben jur Seeligfeit gereid)en folle, mie an «£nob3 SSeifm'elc fiel) ermeife. (Sinen großen
etebterifeben SSBertl) tonnen mir biefen Siebcm nid)t beimeffen, allein fte ftnb ein erfreulid)e§ 3eugniß djrift;
lieben, fejicn Sinnet unter ben Gnxtngelifd^cn jener Seit.
3m %a\)x 1599 enblicb. erfdjiencn, von bem oftgebad)ten AnbreaS #ankfcb. ju 9Kül)lbaufen
gebrueft, im Berlage £ieronttmu§ 9teinl)art§ bafelbjt „äSicr^ig beutfdje @brijilicbe Sieblein 901- Subovici
Jpclmbolbi ; Auf fd)6ncn, rrbftlicfjcn Serten ber ^eiligen Sd)rift, artlid) unb liebltd) ju fingen, unb auf
allerlei) 3nftrument ber SDZuft'ca ju fpielen, in vier Stimmen abgefegt; bie erjien 22 bureb. 3oad)im
a SBurgf, bie legten 18 bureb, 3ob<mn Crccarb." Sie maren, roie auSbrüdltd) beigefügt ftef)i, „auf§ neu
i,ufammcn gebrudt," alfo früber bereits erfd)ienen; mie mir benn febon bemerften, bap bie breijelm erjien
Hummern unter ibnen auä ben 1575 gebrudten Smanjig Siebern l)iel)cr übergegangen ftnb. Aus? berSufcfyrift
ce§ £3erleger§ »om 15ten Sflooember 1599 an ben 9Jtagijtcr 9Rattl)dug Stolberg, Pfarrer ju Sd)bnjiebt, ben
SKagijter 95iattbia§ Sftetb, unb Sobann unb (Sfaiaö Stiefel, S3ürgcr ju Sangenfalje, entnehmen mir ein
abermaliges 3eugnifj r>on ber S3eliebtbeit 3ofld;im§; c§ beißt barin, baß feine unb 3c>bannc§ @ccarb3 ©e--
fänge fo mobl abgegangen fepen, baß fein ©remplar bcrfelben mel;r ju erfragen, nod) ju üerfaufen gemefen,
unb baß fie besl)alb mieber aufgelegt unb jufammengebrudt morben fepen. 2)ie neun legten Soad;im§ (vom
14ten biö 22jien; finb mieberum ^)ocb,jeit§gefdnge, unb von ibjtcn bie früheren fiebert au3 bem %ai)xe 1596,
bie übrigen von 1597; mabrfcbeinlid) für bie befonberen ©elegenbeiten, auf bie fte ft'd? be3iel)en, juoor
einzeln gebrudt, unb biet jum erjien 9flable gefammelt. SSon ibnen finben mir feincä in fpäteren
Sammlungen geiftlicber Sieber unb SBeifen für fird)lid)en ©ebraud); au§ ben brei^ebn übrigen
Stebern, meldte tl)ei(ä gejigefänge, tbeilä Sebrlieber ftnb, t)at 9JJid)acl ^>ratoriuö bie 9SKebrjabl, ibrer
ft'eben, bem fed)jien, ft'ebenten unb aebten Ebeile feiner beutfdjen Stonifcben 9Jlufen mit ibren SDielo«
403
Dieen unb Benfofen ctnoerleibt *j ; bod) nur eincS tavon f>at ficb längere 3eit in ber .fiircbe erhalten, ba$
©eibnaduSlieb :
Un3 ift ein Äinb geboren,
bef? freu'n wir un§ ju I)6ren,
fonft roär*n wir all' verloren,
ja, ewiglich geftorben ;c. ;
e* begegnet unS noch in greiling§baufcn§ (Mangbucbe mit feiner Widobit (1741. 9iro. 89.). 3n ba£
©otbaifebe Ganticnal ift nur eme§ pon ben übrigen Siebern übergegangen, ba§ pierte: „3dj, ict> bin euer
Srbfrer," baS in beffen jweitem Sbeile (1655. 9?ro. 12.) fleht. 3wblf anbere Sonfdfee, angeblich,
Joachim^ a 33urgf, enthält eben biefeö geiftliche Sieberbud) in feinen erften beiben Sheilen, bod) ftammen fie
weber au3 ben bi^I^er besprochenen SlueHen, noch b^ben ihre Sieber ober 93ielobieen eine roeiterc Verbreitung
geümben, ober fich im epangelifcben ßboralgefange erhalten.
2Baö au» eigener 2lnfcbauung ber Quellen über ^oacbimS a S3urgr Bemühungen für
Bereicherung be§ ÄircbengefangeS ju berichten roar, haben wir in bie porangebenben Blätter nie*
bergelegt. 3n neueren SJielobieenbücbern , unb namentlich in ben 1834 erfchienenen ßboralmelobieen
für bas 9Rüblt)aufer ©efangbuch, werben ihm noch onbere geiftliche ©tngwetfen jugefd)rieben , jeboeb
ohne Quellenangabe. 3uerft bie be§ SefuSliebeä : „Sefu meinet 4?erjen3 Sreub**), füfjer
Seftt" unb jwar biefelbe, bie man auch, in SreilingsbaufenS ©efangbuebe von 1741 (3fro. 856;
ftnbet. £as> Sieb ift bie Überfefeung einc§ alteren lateinifchen : Salve cordis gaudiuru, salve Jesu etc.,
allein in biefer S3crbeutfchung habe ich «8 erft in ben lefjten fahren be§ 17ten 3abrbunbert$ auffinben
fbnnen, unb e§ ift alfo nicht mabrfcbcinlicb , bafj bie SKclobie für tiefe erfunben fep. SJibglich, ba£
bie lateinifche Urfchrift bc3 Siebet in einem ber mir unbekannt gebliebenen SBerfe 2oad)im§ mit einer mebr--
ftimmig gefegten SJMobic von ihm fich ftnbet; boeb fann auf eine fo unverbürgte SSermutbung bin bie eben
bezeichnete Singweife ihm nid)t beigemeffen werben. 9locb unn>abrfd)einlicber ift e3, bafj bie Sflelobieen
ber Sieber ,,#err ich habe mipgebanbelt" unb ,,2lcb wie nichtig, ach wit flüchtig"***)
oon ihm herrühren. 3u tiefen Siebern unmittelbar b<rt er fie taneswegS erfunben, benn ber dichter beS
erften, 3ob<mn granf, mürbe um 1618, ber be§ jweiten, Sigiämunb pon Bircfen, um 1626 geboren,
beibe alfo erfi nach Joachime SSobe. Beibe Singweifen tonnten alfo nur pon anbern feiner Sieber entlehnt,
unb auf jene fpateren übertragen fepn. £>urcb feine jupor besprochenen SBerfe wirb jeboch tiefe £3orau3=
fefeung nicht beftätigt, unb fie ift audi fonft unhaltbar. S)cnn bie 3eit, wo jene Sieber gebiebtet mürben,
brachte jumeift auch eine neue Singweife mit jebem neuen geiftlichen ©efange; nur in feltcncn gällen, unb
meift bann allein, wenn beffen Strophe einer febr beliebten unb perbreiteten alteren SSKelobie angepaßt wer=
ben fonnte, nahm man ju biefer feine 3uflucbt, unb permarf bie neue, eben bte§ bürfte nun hier faum
gefcheben fepn j benn bie fecbejeilige «Strophe be3 Siebet : #err ich habe mifjgebanbelt, ift bemfelben nur
mit fpateren gemeinfcbaftlicb, unb ftimmt ber feineS älteren überein; bie be3 BiebeS ,,2lcb wie nichtig, ach
•) SEI). VI. 9tro. 1. (88.) 2. (90.) UnS ift ein Äinb geboren. — 2>cr enget bringt wahren SBcrictjt :c.
Sb. VII. 9t». 7. (216.) 11. (234.) 13. (233.) £crr (Sott bu fjafi: mir geben. — 3$ reünfebe roeber (Sbr
noeb, ©ut :c. — £) SDlenfcb, beben!' bein' 2fnfang tc.
Sf). VIII. 31td. i. (83.) 9. (82.) 3$, icb, bin euer Sröfter. — SDBaS frenctjtu bidj, rcaS fcb,rcctftu mieb tc,
") 9tro. 2. (I32.a)
-) «Rro. 127. 139.
51*
404
wie flüchtig" ficht aber ganj etnjeln ba im eoangctifchen Äirchengefange. £>ie betbcn «Singweifen bce
$elm&oU>f$en ßtefceS ,,9?un laft un3 ©Ott ben Herren/' welche in ben ^ül)lhaufet Qhoralmelo-
bieen ftebn*), unb oon beren ^weiter balb näher ju b.anbeln fc»m wirb, ftimmcn nicht berjenigen überein,
bie Joachim «I feinen breifjig geifiltd)en Siebern baju gefegt hat, ja, fie haben nicht bie minbefte S5ejieb,ung
jit berfclben. SBirb ihm enbüch nod; bie ÜÖMobie eines SSufjticbeS jugefd)ricben „2lu§ ber Siefe rufe
idr*), fo fmbet ftdj auch bafür feine SSefiättgung, *umahl aud) biefeö Sieb etne§ unbekannten 33erfaffer§
con neuerem Urfprunge ju femt fd)eint***).
Soadu'm a Sßurgf erbfnet eine 9feil)e tüchtiger, ja ausgezeichneter Kantoren unb Organifien ju
3Rür)Ü)iiufen an ber bortigen .^aiwtfrrche @. 33lafü, unter benen, wenn freilich nur ein Sah* lang
(1707—1708), aud) Solenn ©ebafitan Sßaä) eine ©teile einnimmt, ©eine treue Sl)ätigfeit für feine
Äunft, jumabj bureb, bie ©rünbung ber noch bort befiel)enben tfnftalten für biefelbe, macht ilm ehrwürbig :
feine geifilid)en SERelobieen unb ^onfa^e gewannen ben S5eifall ber SJiitlebenben, unb erhielten ftch, wie wir
auä ibrer Aufnahme in gefd)äfete getfUtcfye ©efangbüchet fd)ltefjcn bürfen, langer al§ ein I;albeö Sahrbunbert
in fird)lid)cin ©ebrauche. 3a, einige berfelben ftnb bis gegen bie Witte be§ »ergangenen Sahrbunberrev
vielleicht bis $u unferen Sagen, in bemfelben geblieben. Allein ju ben ausgezeichneten ©magern unb ©efjern
fird)lid)cr ©ingweifen bürfen wir ihn nicht §df)lert in feiner Seit. £>ie feinigen ftnb fltcfjenb, im ©anjen
richtig betont, bie Sonfäke fehltet)!, fird)ltch ernft; eine gewiffe Srocfenl;eit macht inbefj bie meiften berfelben
unerfreulich- SKan mochte fie ben treujtcn ©ptcgcl ber ßieber beS £)id)terS nennen, bem er al§ ©dnger
unb ©e&er fo manbelloS ftd> angefcfyloffcn hat, unb ber bei waefrer, männlidjcr ©efmnung, unb dd)ter
Srbmmigfeit, bie ihn eb,renwcrtl) machen, bod) nid)t minber an einer ähnlichen 25ürre leibet, auS ber nur
zuweilen er ftd> mit einiger gvtfdt>e unb Snnigfeit ergebt. SBie hier Sodann ©ccarb, fein SanbSmarm, frei-
lid) jumeifl in feinen fpdtcren ©ingweifen unb ©ä£en erft, tf)n, wir möchten fagen, belaufcht, burch feine
Zone ihm baS rechte SBort erft in ben SDhmb gelegt habe, werben wir in bem 2lbfdmitte naher befprechen,
ben wir biefem, in fo oielem ^Betracht ausgezeichneten SSonmeifter wibmen, ber, ein greunb unb ©enoffc
3oad)im§, fein Mitarbeiter an ben meiften feiner ©ammlungen, Anfangs feiner befonberen £)arfteü"ungS=
weife fid) anfchliefjenb, ilm boeb, fyäterbjn fo weit überflügelt hat.
Joachims a 33urgf nur wenig älterer Seitgenoffe war 9?tcoIau§ «Selneccer, geboren
am 6ten £)ecember 1532 ju ^erf^brud bei Dürnberg, geftorben ju Seipjig am 24fjen Sölai 1592 als £>r. ber
Rheologie, ©uperintenbent unb Pfarrer an ©t. ShomaS, nach einem oielbewegten ßeben, beffen dm^eh
heiten wir hier nicht folgen bürfen. @S genüge, ju bemerfen, baf? gleiche ©efmnung mit SKelanchthon,
feinem ßefjrer, unb innige greunbfd)aft für benfelben, il)n in bie mancherlei #änbel »erwidclten, welche auS
bem heftigen SBiberftreitc ber Anhänger firengen 2utherthum§ entftanben gegen feinc§ grcunbeS unb feiner
©chüler milbere 2lnftd)ten, bie mit bem tarnen „üerftedter ßabiniömuä" fchmähenb bejeichnet würben;
bafj er baburd) im Saufe weniger %at)xe raftloS umhergetrteben würbe, biö er, in fein "Kmt ju Seidig wieber
eingefe^t, bort feine Saufbahn enbete. Spiet befd)äftigt er un§ oorjüglid) alö ©änger geiftlicher Äirdjen-
weifen, beren einige ihm jugefchrieben werben. ©d)on frühe foll Neigung unb grofe§ ©efehief für bie
•) 9Jro. 180. 199.
") Ulto. 210.
T)a6 alte S3rc6lautv fiicfangbud) nennt als SScrfaffer: ©. 6. @d)n)ämlein. <Son(t : MnbrcaÄ Änaut.
405
Sonfunft bei ihm ftd? entwidelt haben. Sobann 'AnbreaS ©leid), in feiner SJeformattons^^ifiorte (iijüt-
fddiftfcbs'tflbertinifcher Sinie, erjagt unS (S. 92. 93j, Setneccer fep fdwn als Änabe »on 12 fahren
beftellt worben, bie Orgel in ber Surgcapelle ju Dürnberg ju fpielen, unb habe bafür feinem SSater acht
£baler jährlich unb jwei guber 4?olj »erbient. Daburch fet? er bem römifchen .Könige gerbinanb bei feinen
öfteren Anwefenheiten ju Dürnberg befannt geworben ; fein munteres, aufgewedteS SBefen habe ihm bie
©unft ber Sänger beffelben, ja feines SSeichfoaterS SJialoenba gewonnen; ber Äönig felber habe »erlangt,
baf? er, mit feinen Sängern wed)felnb, baS 9Kagniftcat in ber SSefper öot ihm fpicle. Zn biefem Spiele
beS Änaben fer> nun beffen ©efallen fo grop gewefen, bafj er ihn heimlich habe mit fortnehmen wollen, was
auch gefcheben wäre, wenn man feinen SSater nicht gewarnt hatte, ben jtnaben ferner ju beS £bntgS Sän--
gern fommen ju taffett. Dürfte man biefe Stählung als hmlänglid) »erbürgt annehmen, fo wäre freilich
iener SSarnung bie Erhaltung SclneccerS bei bem ewangelifchen ©lauben, unb feine fpätere Sljdtigfeit für
ben heiligen ©efang feiner Äircbe ju banfen. ^ebenfalls erkennen wir barin ben 9?uf SelneccerS als früh^
reifen SalenteS für bie Sonfunft, unb bafür bürgt unS jenes ©efd)id;tchen felbjt bann noch, wenn eS auch
nicht in allen angegebenen Umftdnben richtig fenn foUte. ÜZBäbrenb SelneccerS Aufenthalt ju Bresben als
^»ofprebiger in ben fahren 1558 bis 15G1 foll er für bie SSilbung beS bortigen kirchlichen SängerchorS
befonberS thdtig gewefen femt; ihm war bie 'tfufficht über bie Schüler anvertraut, auS benen baffelbc
gebilbet würbe. Der $auptort feiner SSBirffamfeit fcheint inbep Seipjig gewefen $u fe»n ; hier erfdn'en im
3ahre 1587, bureb. Sohann S3ct>cr gebrudt, fein gcifilicheS ©efangbuch, unter bem Sitel: „ßbriftlicbe
iPfalmen, Steter unb jtirchengefenge, 3n welchen bie @hrijtlid)e Schre jufam gefaffet, »nb errleret wirb,
'.Xrewen ^rebigem in Stetten »nb Dörfern, Auch allen frommen dbrijten ju biefen legten »nb fehweren
jeiten, nüfe unb trbftlicb. k." ©ewibmet ift bieS 33ud) ber fpäteren @hurfürjh'n, bamaligen ÜXftarfgrä;
ftn »on S3ranbenburg, @atbarina, ©emahlin Soadn'm griebrichS; unb auS ber folgenben ,,Sreuherjigen
(Erinnerung an ben chriftlichen Sefer" erfehen wir, bafi bamalS fchon einige Sieber SelneccerS ft'ch weiter
»erbreitet hatten, in ©efangbüdjer, $u Seipjig, Strasburg, in $)reuf?en gebrudt, aufgenommen, auch
bereits ,,»on fürnehmen SöiuficiS" alS: SQiarthäuS ßemaifrre, Scanbelli, 33accuftuS (ju ©orha) gefegt
waren ; weshalb er benn leichter ju »ermögen gewefen, bieS Büchlein ju »erfertigen, »on bem wir oorauS;
fe|en bürfen, bafi eS 2CXXe§ enthalten werbe, waS er bis bat)in gebietet unb gefungen, neben ben »on ihm
aufgenommenen fremben ßiebern. Denn auch bergleichen hat er nicht »erfchmäbt, feinem 33uche einju»er--
leiben; meijienS »on ßeitgenoffen, feltener »on Älteren ©ebichtetcS. Suther, als rechter Stifter beutfehen
geglichen ©efangeS, wirb »on il)m hoch gepriefen; tfmbroftuS Sobwaffer in ^reufjen, 9cicolauS ^errmann
in 3oachimSthal „fampt feinem frommen ^»farhern, D. 9JJatthefto feeligen,'' SSurcarb SBalbiS, bie Äir=
chengefdnge ber SSrüber in SSöhmen ; bod) geht er an ihnen jumeift worüber; »on „beS frommen ^)aupt=
mannS (©eorgii?) 5Jlegibii*) fchönen 9Kelobeien" befennt er „eine in ben 79jlen ^Jfalm gefegt ju i)abm."
') £iemtt ift otellct^t fotgenbc§ SBerf gemeint: Geminae undeviginti odarnm Horatii melodiae, quatuor voci-
bus probe adoroatae, cam selectissimis carminum, partim sacrorum, partim prophanorum , coocentibus: additis
circa fioem aliis item cantiooibus, matutiois, meridiaois et serotiois : Paedagogiis recte iostitutis, ac scholis qui-
buslibet pro exercenda iuventute literaria aecomodatissimis. 2fm ©cljUtfl'e: FraDcoforti, apud Christiaoum Egenol-
phum Hadamarium. Anno M.D.LII. (1552.) Mense Maio. 25icfeg SBcr!, cincö berjenigen, bag bie Sugenb an
SBetonungen antifer SKaa^c ju bilben trachtete, fjat ^>cter 9tigibiuS am erften 2tuguft 1550 oon SKarpurg aus einem
bofnunggoollen ©c^üler (Guolfgango a Thanne) jugeeignet. 2i) errcabne befielen mit jRücrftc^t auf bie am ©djlufie
406
Qx berietet im$ aber ausführlich, baf? man 2utl;er§ Steber »or allen in ßetpjtg beibehalte, unb wie man
ihrer, nebjt benen v>on anberen erleuchteten Sölännem, an ©onn= unb gcfltagen ftd> bebiene. Spitt erfcbeint
eS nun bebeutfam untev 'tfnberm, bafj am $alm(fonn)tage, ehe bic ©efd?td>te be§ SeibenS unb ©tcrbenS
unfere§ .^eilanbeS nach bem ßüangelifien 9fJiatt£)äu§ beutfcb gefungen wirb, bie ©emeine SutberS $Pfalmlieb
anftimmt: 2ut3 tiefer iTiott) fdjret icb Z" bir, jeneä gläubige, innige ©ebet um ©rlbfung ; am ßbarfreitage
aber, oor bem ©efange ber SeibenSgcfcbichte nacb, SobanneS, au£ ber be§ Sr>mn SBort am Äreuj: tji
vollbracht" un§ tjevoortont, wie auS jener fein Sfuf au§ bem 22fien $>falm: ,,9JJein ©Ott, mein ©Ott,
warum baft bu mid) »erlaffen, " ba§ frol)lid)e Sieb gefungen wirb: „Scun freut euch lieben ßbviftengmein, "
t>er 9)rei3 ber oollcnbeten ßrlbfung. ©o erfebjen ber 8eiben§tag be§ Spexxn nicht al§ büftercr Srauertag
allein, auch aB ber beb" Sag ber 33oüenbung feineä großen SBerfeS, als> ein Sag d)rifHid)er greube in
©anf unb Anbetung. 9cad)bem un§ ©elneccer fo »on bem fortleben älterer geiftlicber ßieberbiebter in
feiner ©emeine erzählt fyat, ber mit feinem S5üd)lein er einen neuen Beitrag ju t'brer (Erbauung nad)
feinen Gräften ju roibmen gebenft, fährt er fort: er habe nicht unterlaffen, feinen grünen unb ©efängen
auch einige fd)6ne 9>falmen beizufügen r>on etlichen feiner geliebten S3rüber, bie nun bei @hrijb fernen: als
,,©octori3 ©eorgii 2fcmtlti, unb Sol). SBal^ü, ber ja ein woloerfucbter unb geplagter SDlann geroeft, bem
£crrn ©octori Jpieronumo SBeller gottfeeligem, unb ihm felber, fehr lieb unb wertb;" auch bake er einige
alte ©equeni,* unb $Profas>, wie fte genannt werben, mit aufgenommen, boch gebeffert unb ohne galfd),
aud) bisweilen etliche beutfebe 6l)oral auS ben Äird)engcfängen be§ altern .£>errn 3ob<mn ©Langenbergs baju
gethan. ©eine ßieber, bie ben Äern beS ©anjen bilben, t)at er mit ben S5ud)ftaben ©. 9c. ©. bezeichnet,
bie auf feine ©octorwürbe, feinen Sauf* unb Familiennamen beuten, bie übrigen t^etlS mit ben ganzen
sJcamen ihrer -Dichter, tbeilS mit beren 2lnfangSbud)jtaben ; aud) wol)l fte burch Überfchriften t-or ben feini=
gen ausgezeichnet, unb nur hin unb wieber fte ohne alle nähere ^Bezeichnung gelaffen.
©aS Jßuch fclbjl bat ©elneccer in bret Sheile unb einen 2M)ang georbnet. ©er erjle Sbeil
enthält $>falmlieber, ber zweite jtatechiSmuSgefänge, ber britte Sieber auf bie »ornehmfien gefle. Söir
ftnben barin bie alte ©equenz am Sage ber SSerfünbigung SEJiariä: „211S ber gütige ©Ott wollenben wollt"
fein SBort k." bie ßeibenSgefcbicbte nach ben dvangeliften ÜJJcattbäuS unb SobanneS, bie Älaglteber 2ere=
miä; bazwifchen wieber ©cfänge ©elneccerS. ©er Anhang beginnt mit furzen Sprüchen auf alle ©oniv
ber tfnmcrfung §u ©citc 287—290 aufgeftelttc SSermutfjung, baf bic 9Jcelobie be§ CtebeS ber SSrüber: ,,£>ic Stacht ift
fommen, brin mir rut)cn fotten" rcoljl einer SSetonung beö fappfjifcbcn SJZaafieS urfprünglich angehören möge. 2Mefc Sßer-
mutljung fjat fi'tf» fpätcr, im SSerlaufe be§ 2tbbruct6, beftatigt. Senc 50letobie (mit menigen, unertjebtichen 2tbmeid)ungcn)
finbet fieb in bem eben angeführten Stßcrf c unter ben Stummem XXX. XXXI $u einer £>bc Hermanns oon bem SSufd)c :
,,De contemnendo mundo, 8f amanda sola virtute" in jmei Sonfä'^cn, mit ber Überfcfjrift :
Vetus raelodia sapphici carminis.
Dis-par et cn - ras si - bi dis - si - den - tes cas - sa-que vo - ta.
fcf)icn t)icr ber jmectmagigfte Ort, biefc SSemcrrung nacbjuijolcn, roenn gleich einiger 3rccifcl bleibt, ob
Selneccer a. a. C. ba6 fjicr befchriebene XBert gemeint Ijabe, weit er einen anberen Saufnamen bc6 ^erauggcbcrS nennt.
407
tagö= unb §ejieuangelien . ^nm f0(gen fceurfd;e unb lateinifcbe Äird)engefänge, vx»ie fte in »ielen &ird)en oor
bem Altäre gelungen werben. Sie Überfielt t>e§ ©anjen mirb burd) ben SKanget eine§ 9?egifter3 fcljr
erfd)mert. £en SSefdjlujj machen m'er lotetntfdje ©efänge ju uier Stimmen*) auf baä 2Betbnad)t§fejl,
Sföaria Reinigung, Dftern unb 9)fingfrcn, unb ein fünfftimmigeS £)anf lieb ©elneccerS :
©Ott bir fep £>anf, Sob, ^Jreiö unb dt)X,
(Srljalf un3 nun bei beiner Setyr',
Unb unfer #erj ju bir befebj',
2£men !
Unmittelbar oor biefen fünf legten ©efdngen ftnben mir auf 23 eng gebrueften Seiten „©in ßbriftltd) alt
©efpräd) vom jüngften ©ertd)t." @§ tft in 20 2lbfd)nitte geseilt, beren jeber aue> einer längeren ober
förderen Sfeibe Soppeljeilen ju wer S^mben bcftct>t, unb für beren ©efang eine ^Pfalmobie »orgefebrieben
ijr, äbnlid) ber bei ben Soppeljeilen ber SBeife be§ ,,#err ©Ott bid) loben mir" angemenbeten. Gmgel
rufen mit 9)ofaunenfd)alIe jum ©erid)t : Stimmen ungläubiger, uerbammter ©eelen erbeben ftcb junäd)ft,
bann bie ber ©laubigen; mit ben (Sngeln mecbfeln SEeufel, ©efeg, bie 3uben, Reiben, Surfen unb
Umgriffen, ^)cmfte, anbere päpftlid)e 9)erfonen, Äeger, nad)läfftge Sekret, Scannen, gottlofe Sßeltleute,
fünbige (Sbriflen, bis ber 3?id)ter 2sefu3 @l)rijtu§ erfd)etnt. Sfm »ernennten mir juerji im 2Bed)fetgefpräcb
mit ben ©laubigen, bie fobann, jur .£>errlid)feit eingebenb, baS ,,^)err ©Ott biet) toben mir" anjn'mmen;
plegt boren mir tt)n bas> SBort ber SSermerfung reben ju ben Ungläubigen. @tngerid)tet für ben ©efang,
mie biefcS ©efyräd) hier gefunben mirb, fcfyeint e3 faft, al§ fjabe man aueb mobl einen fird)lid)en ©ebraud)
baoon gemad)t, fo jmeifelfyaft bteS aud) mieberum mirb burd) feine gro£e Sange, bie, trog beS SBecbfel^
ber spfatmobieen für bie rebenben ^erfonen, bod) crmüben mufj.
25er mit ben 33ud)jkben D. N. S. unb einfad)en SKelobieen, obne ©runbjfimme, werfebenen
lieber finb 28 in biefem 33ud)e; ungeredjnet biejenigen, bie jmar jene äSejeidnumg füt)ren, benen aber
feine ©ingmeife, ober eine, al§ entlebnt genannte, beigefügt ift. 9Jleij} flammen bergletd)en entlebnte
2Beifen au3 bem alten lateinifdjen Äird)cngefange unmittelbar, ober beffen Umbilbungen in bem geiftlid)en
©efange ber böl)mifd)en S5rüber. 2fud) fold)e Sieber b<*ben mir nid)t mitgejdblt, bie, obgleid) burd) jene
S5ud)jiaben bcjetcfynet, bod) nur mit einer pfalmobifd)cn gormel, nid)t aber einer georbneten SJMobie beglei-
tet finb. SSon jenen 28 SUlelobieen nun bürften mir annebmen, baß fte üon «Selneccer berrübren : feine un§
befannte ©efcbicflid)feit in ber SSonfunjt, unb jene 33e$etd)nung läßt e§ mutbmaafsen, menn aud) feine
23orrebe un3 feine 2(nbeutung meiter barüber giebt. 2Cuper ben fd)on jut»or ermdbnten fünf w'er= unb fünf=
ftimmigen SEonfägen be§ 2(nbang§ entbalt aber unfer ©efangbud) nod) beren toter ju »ier (Stimmen.
3uerjl nennen mir Submig ^>elmbolb§ Sieb :
9tun laßt uns» ©ort bem $erren**)
25anffagen, unb ir)n ebren
SSon megen feinen ©aben,
2)ie mir empfangen baben.
•) Puer natus in Bethlehem 8fc.
Ex legis observantia Sfc.
Surrexit Christus hodie §c.
Spiritus saneti gratia §*c.
") ©. 139. ©. SScifpiel 5lro. 106.
@5 ift überfcbrieben : „^erjog Sodann grtet>rtd>en ju ©acbfen II ßieb unb Gratias?" roeber ber 9tame be§
Siebter^, noch be§ ©e^erS ift genannt, auch mangeln bie S5ud>fiabert D. N. S. Sie ©ingroetfe, einfach,,
burcbbin 9cote gegen 9cote gefegt, ift bie noch unter un3 fortlebenbe, jumeifi für $>aul ©crf>orbg Söiorgen-
lieb: ,,2Bacb' auf mein ^>erj unb finge" angeroenbete. 9Kan pflegt fie ©elneccer jujufdjreiben, wofür
inbefj Fein anberer ©runb »orbanben ift, al§ ihr evfieS Ghfcbeinen in feinem ©efangbucbe; bie mangeinbr
^Bezeichnung laßt feine Urbeberfcfyaft voieberum bezweifeln. 2ßal)rfd)etnlicber ift biefelbe bei einem anbern
oierftimmigen Siebe, über bem jene S3ud)ftaben ftebens
Saß mich bein fepn unb bleiben,
2)u treuer ©Ott unb £err,
SSon bir laß nichts midb treiben,
4?alt' mid) bei reiner Setjr.
$err laß mich, nur nid)t wanfen,
©ieb mir SSejiänbigfeit,
Safür will ich bir banfen
Sn alle ßwigfeit.
©leid) ber oorigen bat biefe ©ingweife rbtjtbmtfcben SBecbfel, bie 2lrt beS £onfa£eS läßt auch, wohl auf
einen gleichen Urheber fcbließen. £)od) ift 33eibe$', SBetfe rote @a&, weniger anfpreebenb; jene minber
fließenb, biefer bureb ben Langel ber Serj jumeilen leer, aud) fehlt e§ bem ©cblußfa^e, ber fid) in S3inbmv
gen bewegt, an ©eroanbtbeit. £)aß biefe SJielobie fpäter in fird)licbem ©ebraucfye geblieben fet), habe ich
nid)t ft'nben fonnen ; man tjat für bas> ßieb jumeift bie fo trefltcbe, auö weltlichem ©efange ftammenbc bes
©tetbeliebeS : ,,^>erjlid) tl)ut mid) »erlangen" angewenbet.
£)a§ britte, mit üierftimmigem Sonfafj begleitete Sieb füljrt bie Überfdbrift: ,,'Knno 1565, ©ott
weiß warumb, " unb feine weitere S5ejeid)nung. @§ lautet:
£tlf #err mein ©Ott in biefer 9totb,
£)u treuer £eilanb,
Erbarm' biet) mein, idb bin ja bein
Zto% SSBelt, Teufel unb ©ünb'.
3d) trau' auf bid) o Qm,
3Ba§ will id) mehr.
Sd) bab' ja bid;, ^)err Sefu (Sbrift,
£)u mein Erretter bift!
Sd) fing', bin frbt)lid), guten 9SJ}utb£
Unb harre bein.
2tmen, t)ilf #err, 2lmen !
©d)on feine roenig oolBmäßige, nicht leid)t faßlid)e ©tropbe, tonnte biefem Siebe feinen Eingang gewüv
nen in ben Äircbengefang ; ber baju mitgetbeilte Sonfafe erfebeint aud) feineöroegeö al§ mebrftimmtgr
SSebanblung einer liebbaften ©ingweife. ©eine Sberfiimme führt jmar wof)l ben £auptgefang, unb wenn
wir au§ biefem bie SSBieberholung einzelner SEBorte unb ber ihnen gleichmäßig angepaßten, melobifchen 2Ben
bungen auöfdbeiben, unb fo ba3 ©an je jufammenbrdngen, laßt ftch enblid) eine einfach beflamatorifcbc
^Betonung barauS herftellen, allein immer feine SJlelobie, ein in fieb übereinftimmenb geglieberteS , auch
409
otjne Die SBorte verjiänbltcheS SSonbilt. 2Bte ber Sonfafc vorliegt, hält er ftd> an bert rebegemäfjen 2£uö'
brucf ber 2Borte, unb fucht nicht in funffreicher SSerflecbtung ber (Stimmen, fonbern nur juwetten in 2Bed)=
felgefängen ber oberen unb tieferen Stimmen einige SSftanntchfaltigfeit. Sieb unb Sonfafe werben aber, ber
fehlenben SSuchftabenbejeichmmg ungeachtet, bennocb von Selneccer herrühren. £)ie Überfchrift beutet auf
eine beftimmte, verfonliche SSejiefyung bes> £iebe3, auf einen 83orfaU in bem barüber gefegten 3af)re, ben ber
Siebter nicht nennen mag. Daß Selneccer ein ötel angefochtener 9Rann mar, bafs man ihm wie feinem
ßefyrer unb greunbe Sftelancfytfyon, ßauigfeit unb t)etmltcr;eä hinneigen ju (SalvtnS 2ef)re fchmähenb vorwarf,
roiffen wir; in bem Siebe felbft trbftet ein Angefochtener ftch mit bem S5eiftanbe be§ ^>errn, feines drlbferä,
Erretter», S5efd)üfeer6 ; faum bürften wir einen anbern, aB Selneccer, für feinen Urheber hatten, ber
wohl, in einem Augenblicke bitterer Äränftmg, £roft fuchte mit ben ihm verliehenen ©aben bei Sem, aB
beffen digenthum er ftch muffte, ,,trofc SBelt, Seufel unb Sünb," wie ba3 Sieb verftchert. ßefen wir nun
in feiner SebenSbcfchveibung von ©leid), bafs er im Sabje 1565 feines Amtes? aB ^»oförebiger, fo fehr auch
ber ßhurfürft Auguft unb feine ©emahlin ihn liebten, aB ein hart S5efchulbigter entlaffen worben, unb
£onnerftag3 ben loten SUZärj £>re§ben verlaffen habe, fo bewährt ftch biefe SSorauSfefjung um fo mehr.
2)a§ vierte 2ieb enthält ein ©ebet an ©ott SSater, Sohn unb heiligen ©eifjt, in brei fedBjeiligen,
in ber SRitte reimenben Strophen, beren erfte folgenbermaafüen lautet :
£> 4?erre ©Ott in meiner 9coth
9?uf ich ju btr, bu hilfeft mir,
SJiein ßeib unb SeeF ich bir befebj'
Sn beine £änb', bein' @ngel fenb',
25er mich bewahr, wenn ich f)tnfal>r
S3on biefer SBelt, £err, wennS bir gfält.
@§ ift aber nicht von Selneccer, fonbern, ber Überfchrift jufolge, von Sacob ^änbl (Gallus) gefegt, einem
gefchä^ten SKeifter feiner 3ett, au£ @rain gebürtig, ber um 1587 am £ofe Äaifer 9?ubolf§ be§ 3weiten ju
9)rag lebte, unb vier 3al)r fväter (am 4ten Suli 1591) in noch blübenbem Alter ftarb. £)a3 2ieb ft'nben
wir noch in Sreiling^Jjaufen^ ©efangbuebe*), bod) mit 83erweifung auf bie SQWobie: 83ater unfer im
Himmelreich; £änbl hatte für jebe Strophe eine eigene, einfache, würbig behanbelte, aber nicht volf§=
mäßige «Singweife angewenbet ; ich habe nicht finben können, bafs eine berfelben in ben evangelifchen jtir--
chengefang aufgenommen wäre.
Aufier biefen vier Siebern fchreiben bie Nachrichten von älteren unb neueren ßieberverfaffern aB
Anhang ju $reiling3baufen3 ©efangbuch, noch einige anbere nebft ihren SDlelobieen unferem (Selneccer ju,
mit SSe^ug auf fein eben befvrocheneS ©efangbuch. So ba3 (Sterbelieb :
@in Söürmlein bin ich, arm unb flein,
SSon SobeSnotb umgeben**).
@3 ift auch wirklich bort (S. 182) ju ft'nben, allein ohne betgefefjte 9Jielobie, mit ber Überfchrift: „Durch
Bartholomaeum grohlich, pastorem;" hat alfo, nach SelneccerS eigenem 3eugniffe, einen anberen Urt)e=
ber. (5ben fo wirb bort bas> Sieb :
•) 9?ro. 1405. (1741.)
~) «Kro. 1365. (1741.)
i. SBintttfetb, ttr esajtätt. C^otafgefanj.
52
410
2Ccb bleib' bei un§, £err 3efu S^riji,
SBeil e§ nun tfbenb worben iji,
al§ ba3 feinige genannt*). SSiele feiner Sieber, ja, bie meiften fonnen wir fagen, haben bie ©tropfe biefeö
Siebes, bie »ierjeilig=ad)tft)lbige, tambtfdjc, für bie »tele allgemein bekannte ©ingwetfen »orbanben ftnb,
unb für bie aud) ©elneccer in feinem ©efangbudbe mel)re neue giebt. 2UIetn Weber Sieb nod) ©ingweife,
wie §reilingSb<*ufen fie mittbeilt, beftnben ftcb in bemfelben; eben fo wenig ftnb fte in $rätoriu§ umfang*
reifer ©ammlung »on Äircbengefängen anzutreffen. Sa3 Sieb, jebod) mit einem motettenbaften 3)onfa|e,
|tebt, »ielleidbt jum erften 9Qcable, in 9Qccld)ior grattfS Rosetulum musicum (Coburg 1627) ; ber erfte Ztyil
be§ ©otbaifd)en ßantionaB (1646) giebt c§, obne ben Siebter ju nennen, mit einem fünfftimmigen Zon--
fafce »on SBiereigen ; erjt (Srbarbt'S 9Qluftcalifdb.eS @bor= unb gigural=©efangbudb (1659) nennt ©elneccer
all ben Siebter beS SiebcS, neben bem jebod) eine anbere ©ingweife fleht, als bie »on SreilingSf)aufen mit*
geseilte. £)b eS nun gleich, moglid) bleibt, baß ©elneccer Sieb unb Sßeife jroifdben 1587 unb 1592, bem
Safere feines ^tnfdbetbenl, gefungen baben fonne, fo ijt boeb fein 3lntb. eil an beiben ju wenig »erbürgt, um
S5eibe§, nad) fo »iel fpäteren 3cugniffen, ü)m jufd)reiben ju fonnen. Csben fo beißt in ben angefügten
sJcad)rtd)ten ©elneccer aueb SSerfaffer be§ S£tfd)ltebe3:
£err ©ott nun fe» geöreifet.
SQlit einer eigenen ©ingweife erfetjemt biefcS ßieb bei greilingSbaufen (9^0. 1537) nidbt; es> roirb bort auf
bie be3 Siebes?: ,,$err ßbrift, ber einig ©Otts ©ol;n" bingewtefen, mit bem e§ eine gleicbe ©tro»be bat.
©elneccerS ©efangbueb, auf baS ftcb jene 9^ad>rtd?ten aB £luelle beziehen, enthalt aber aud) ba§ Sieb felbfi
nid)t, ja, niebt einmal beffen ©tropbc Sic Angabe jener SRadbridbten ift baber eine unju»erldfftge. (Sben
fo ift c§ mit einer »ierten ©tropbe biefeS StebeS, einer furjen Umfdjreibung bei SSaterunfer befebaffen :
£) SSater aller grommen,
©ebeiligt werb' bein 9lam' :c.
bie in einigen ©efangbücbcrn ilnn beigefügt ift, obgleich biefe ©tro»be auch roobl bem ^Bartholomäus 3cing=
roalb, ober SSincent ©dbmud jugefebrieben ju werben pflegt. — SaS 9QJüblbaufer 9Qcelobieenbud) nennt
©elneccer, ohne feine Quelle anjugeben, als Urbeber ber Sßeife beS £ifd)liebeS :
©ingen wir auS 4?er£engrunb,
Soben ©ott mit unferm 90lunb »c.
SaS Sieb felbft gebort aber nicht ibm, wie wol)l einige angeben, fonbern bem ^Bartholomäus 3?ingwalb
an ; feine ©tropbe »on fiebert trod)äifd)en ftebenfplbigen Seilen f ommt unter allen 9Qielobiccn in ©elneccerS
©efangbuebe aud) nicht ein einjigeS 90cabl »or, wie fte überbaust im folgenben Sab^hnnbert erjl, wiewobl
immer nid)t häufig, im Jtircbengefange erfebeint. "Xuä) In'er haben wir alfo eine Annahme ohne bejiimmteS
3eugnij5, bie ftd) allein auf ber S3orau§feljung grünbet, bap ber angeblid)e Siebter, ba er jugleicb SEom
fünfter gewefen, aud) wobl Urbeber ber 2Beife feineä SiebeS fe»n werbe,
enblid) gilt ©elneccer auch all Siebter beS S^eujabrgliebeS :
Sefu nun fe» ge»reifet,
unO ©änger ber Gelobte beffelbcn ; bevjenigen namlid), bie aud) Johann ©ebaftian S3ad), feinen (Sboval
') «Kro. 481. eben ba.
411
gefangen jufolgc, dreimal bearbeitete, unb bie bort jebeSmabl ionifd)er Tonart erfcfyeint. SSon tyr finbet
ft'cb bei Sodann ^»ermann ©dbein (1627) eine Umbilbung, meld)e fie jutefet nad) bem 2>ortfd)crt binmenbet.
£>urcb ©elneccerS ©efangbud) wirb jene 33ebauptung ntd)t bemäbrt, benn biefcä enthält meber Sieb nod)
SSeife. £a3 Sieb fanb idb juerft in 33ulm'u$ ©eifilid)en ßiebem (1609), jebod) mit einer ganj »erfdjiebe;
nen SDtelobie, bie mobl uon biefem Sonfefeer tjerrütjren bürfte. SSulpiuS nennt ben £)id)ter be3 ßiebeS
ntd)t, eben fo wenig Schein ; 33opeliu$, ber <Sdjein§ 9Dielobie imb Sonfafc unter Nennung feinet Samens
aufgenommen bat*), bejeidmet ben Siebter beS ßiebeä burd) bie nid)i ganj beutlicfyen SBorte : Johanuis
Hcrmanui Itali Senioris, au3 benen aber minbefjcnS in feiner Zxt auf ©elneccer gefd)loffen werben !ann
al» 25id)tcr, ober gar ©änger"). 2mbere nennen Sacob .Ipänbl, beffen mir jimor gebadeten, aB Siebter unb
©änger ; noch 'tfnberc meinen, er fep nur bas> legte gewefen, unb bafyer rubre bie falfd)e SSoraueSfeljung,
er babe aud) ba3 ßieb gebiet) tet, biefeS fep aber t>on ©elneccer gefdbeben. Scirgenb ft'nben mir aber babei
Die ^Berufung auf eine beftimmte Quelle. 3n ben Sonmerfen 4?änbB, bie mir bisher jugänglid) maren,
babe td> meber ba3 Sieb gefunben, nod) einen SSonfag ber bejetc^neten SDZetobtc ; aud) läßt fid) au3 bem
£itel feine§ ber mir unbefannt gebliebenen »ermutben, baß e3 fie entbalten fbnne.
35ie ©tropbe be§ ßiebeS, mie fie in ben be5etd)neten ÜKelobieen gefaxt morben, ift eine jmbifjei;
lige iambifdje, »on regelmäßigem 2öed)fel einer fiebern unb einer fed)§f»)lbtgen Se'üe ; fie fann aber aud)
finngemäß fo gefaßt merben, baß fie, »ierjetlig, mit gleichem 2Bed)fel, burd) ba§ ganje ßieb fjingeljt, mo
Dann bie ©ingweife: „GbrifnB ber ift mein ßeben" fid) ü)r anfdbließt. ©o febr nun aud) ©elneccer bie
furjen ©tropben, namentlich, bie tierjeilig aebtfr/tbige tambifebe, geliebt bat, bie am öfterften in feinen ßie=
Dem vorkommt, fo ft'nben mir boeb bie ©tropfe be§ ßiebeS: ,,3efu nun fep gepreifet" in ber legtgebacbten
Raffung niemals bei ibm. 9cad) allem biefem mangelt e§ an genügenben Seugniffert feiner Urfjeberfcbaft, fetj
e3 DeS ßiebeS, fep e$ ber ©ingweife.
Giner SBiberlegung ber SBebauptung, baß ©elneccer ©änger ber SSeife: „Mein ©Ott in ber
$6^ fcp Gl)r'" gemefen, mirb e§ faum bebürfen. Gr müßte fie, ba fie fdjon um 1540 in ben t>on 2ottt)er
ju Söiagbeburg berauSgcgebenen 9>falmen unb geifilieben ßiebern, bann (1545) in SSalentin 33apfB ©efang-
buebe, aud) bei ©Langenberg, »orfommt, als .Knabe oon 8 Sabren gefungen baben. 9cun mirb er jmar
aB frübreifeS Talent für Sonfunft gefebilbert, in fo jarten Sabren aber nur aB fertiger £>rgelfm'eler
gerübmt; ba3 ßieb felbft mirb aud) nicht aB ein im ©üben, fonbern im 9lorben SeutfcblanbS enrftanbeneä
genannt, fo baß jebenfalB ©elneccerS Urf)eberfd)aft ju bejmeifeln ift.
Ginige ßieber ©elneccerS follen, nad) feiner 83erfid)erung in ber SSorrebe feines ©efangbucfjeä,
febon »or beffen Grfd)einen »on „fürnebmen SKufwif" gefegt morben fepn, beren er brei nennt: 9Kattf)äu3
le 5Kaijtre, ©canbeüi unb SkccufiuS. Sn meld)em tfjrer SSBerfe fie ju finben fepen? fagt er nid)t; id; t)abe
nur eineä berfelben: ,,^)ilf £erre ©Ott in meiner 9cotb" unter ben geiftlidjen unb meltltd)en beutfd)en
©efängen be§ ?Kattbäug le SDZaiftre gefunben. %ud) merben mir babei nid)t fomobl an liebmäßige 9Kelo=
bieen unb einfache, mebrftimmtge S3ebanblungen berfelben, aU an fünftltdjere Sonfäge „nad) SJiotetten-
') ©SS. 1682. p. 94— 96.
") 2)qS ©orfjatfdje ßantional in ber früheren 2CuSgabe fetnc§ erjten StjetleS (1646) läf t ben Urfjebec ber oon
itjm mitgetfjeüten SBcife unb iftreö SonfafceS ungeroipj in ber fpateren (1651) nennt eS SSutpiu«, obgleid) SeibeS nic^t
auS beffen Äirc^engefd'ngcn entnommen ift.
52*
ort" ju benfen haben, dürfen (lifo attd) ntctjt hoffen, ben Sföclobieenüorrath fea er>angelifd)en £ird)e baburd)
vermehrt ju fernen, ober 2(uffd)lüffe über t>ie Urheber fdjon in bcnfelben aufgenommener ©ingmeifen ju
erhalten.
£>afj in ©elneccer btc ©abe beS £>ichterS unb ©ängerS in »ielen gälten, feltener bie beS Severe
mit beibcn, ober einer »on irmen, »ereint gemefen fei;, haben wir in bem Vorigen gefefyen. SSJiit einiger
Sicherheit rönnen mir jebod) nur eine einzige ©ingmeife nennen, bie, mit einer geringen 33eränberung,
noch, gcgcnmdrtig unter unS fortlebt, ©ein TTnbenfen als etneS frommen, milben, treuen SDlanneS, wirb
ber eoangelifchen Äird)e immer efnwürbig bleiben.
Äurje 3eit, nad)bem ©elneccer feine ©teile als .!pofprebiger 51t £)reSben oerlaffen hatte, mürbe
•21 nt Dilti» Z £ an bellt, ein Italiener, bort 5um £>irector ber ßhurfürfilidhen ßapellc ernannt,
gegen 3Beil)nad)tcn 1562. @S ift ungemifj, ob er nicht bereits jur Seit beS @l)urfürften SJiorig eine ©teile
al§ SSonfefcer bort befleibete; SBalter, unb nach il)m ©erber, nennen eine Don il)m gefegte, fed)Sftimmigc
SJieffe, unter bem SSirel : Epitaphium Mauritii, welche ©eorg gabriciuS herausgegeben t>abe, morauS min*
bejtenS bieäkrmuthung »on einem §3erl)dltniffe bcS©bnnerS unb ©d)ü£lingS entftcl)t jmifd)en il)m, unb bem
in ber ©d)lad)t oon ©icoerShaufen (1553) gefallenen ßhurfürjten SJZorifc. 3n bie Seit feiner fpäteren
Amtsführung fallt bie Verausgabe jmeier »on il;m herrühjenber 2iebcrbüd)er, megen beren er hier eine
©teile uerbient. £)aS erfte berfelbcn erfd)ien ju Dürnberg bei £>ietrid; ©crlafj um 1508 unter bem Sitel :
Werve teutfeibe ßieblein mit SSier unb §ünff ©timmen, melcfye ganj lieblid) ju fingen, unb auf allerlei)
3nftrumenten ju gebrauchen, burd) Antonium ©canbellum, ßhurfürftltcher ©naben ju ©achfen (Sapellmei*
fter, »erfertigt. @S ift bem ßhurfürften Auguft jugeeignet, unb enthalt jmblf geiftlidje ©efdnge, jel;n ju
»ier, unb jmei ju fünf ©timmen, alle motettenhaft behanbelt, bis auf bie einfad) gefegten Sieber: „gobet
ben ,£>errn, benn er ift fefyr freunblid)" (9cro. 5.) unb „SBenn mir in f)bd)ften 9lbtl)en fetm" (9cro. 7), für
bie er aud) bie ©ingmeifen erfunben hat. £>enn ju biefem legten t>at er ftd) nid)t ber fpäter erft üblichen
bebient, bie urfprünglid) bem 140(ien ber franjbfifcfyen $)falme, unb ben ihnen angehängten jel)n ©eboten
eignet; biefe bat inbef; nad)malS, burd; einige SSeränbcrungen bem ßiebe nod) eigener anbequemt, bie feinige
übermogen, bie faum irgenbmo örtliche ©eltung erlangte, ©eine SSJielobie jenes anberen SiebeS bagegen
fanb fofort tfnflang, ja, ft'e pflanze bis in baS 17te 3al)rhunbcrt hinein mit ihrem einfad) mürbigen SEom
fafce unoeränbert fid) fort, unb fchmücft nod) gegenwärtig ben ©efang in unferen Äirdjen. 3hr Sieb ift
über ben 147ften $)falm gebid)tet, unb feine erfte ©trophe lautet:
Cobet ben sperren, benn er ift fel)r freunblid),
es ift fehr fbftlid), unfern ©Ott ju loben;
©ein £ob ift fd)bn unb lieblid) anjufjbren,
ßobet ben sperren!*)
©canbeüTS ©ingmeife ift mehr pfalmobifd) als liebhaft gehalten; auS bem 33eftreben beS SftetjterS, jebem
2Sorte, jeber ©t)lbe bie richtige unb angemeffene S3etonung ju geben, ergiebt ftd) rhpthmifcher SBechfel oon
felber. 3n anberer SSebeutung freilich erfd)eint er hier als bei »olfSmäfjigen ©ingmeifen, mo er auch melo*
bifd) geftaltenb unb bejetd)nenb ift. £)ennocf) hat er, obgleich beflamatorifd) herüortretenb, bei bem ange^
nehmen gtuffe ber ganjen 2Beife, berfelben ©unft unb ©auer gemonnen. @in jmeiteS IMeberbud), baS unS
') ®. Scifpitl 9Jro. 39.
413
ben SOtetftcr jebocb nur all Sonfefter, unb nicht als Sänger jeigt, erfriert 1575 ju £)reSben bei ©trael
Sergen, unter bem SEitel : „9ceue fchöne aufjerlefene beutfehe gcifllidje 2ieber, ganj lieblicf) ju fingen, unb
auf allert)anb Jnffrumenten ju gebrauchen, Samvt einem dialogo mit ad>t Stimmen. 25urd) 'tfntonium
Scanbellum, ßf)urf. Surchlaudjt ju Sachfen ßavellmcifter comvoniret, auch von ihm fclbft corrigiret unb
in iSrttcf verfertiget." 6S enthält im ©anjen, — bie fünfmal)! vorfommenben jroeiten Steile einzelner
©efänge nicht mitgerechnet, — 23 £onfdl|e: 19 fünfflimmige, jroei fcchSftimmige, einen ju fteben unb
einen 3U acht Stimmen, roeld)e mit alleiniger tfuSnar/me breier (Rxo. 4. 14. 18.) geiftliche £teber
behanbeln. £>iefe S3el;anblung ift faft burdnveg eine motettenfjafte 5 bie vollftänbige, unjertrennte 9Kelobic
erfebeint in feiner ber verbunbenen Stimmen, bie vielmehr nur bie einzelnen SOMobtejcilen nacbafjment
bureb, führen. So ijl eS unter 2lnberm bei bem ftebenjttmmigen Safte über bie fvätere Sftelobie beS lutherü
fd)en ßtebee : „9hm freut euch, lieben ßhrifiengmein"; roirflich Ijarmonifdrj entfaltet begegnet biefe unS
erft in 3- EccarbS fünffiimmigem Safte (1597). 9htr in fteben gällen giebt Scanbelli bie SJielobie bem
Zmot, als einen, von ben anberen Stimmen umfchloffenen, feften ©efang. Allein auch hier iff fte feiten
frei von SBieberholung einjelner Beilen, unb von 3n?tfd>enfd^en. 2lm reinjien noch erfdbetnt fte in bem
&ebe: ßhrijle ber bu bift 5£ag unb Sicht, roo nur bie lefeje Seile voieberholt, unb baburd) baS
innere SSerhättnifj ber SSeife nicht getrübt roirb ; in anberen gällen bagegen treten 2Bicberl)olungen biefer
Kxt in ber Sötitte ein, juroeilen nach bem 2üifgefange, jtbrenber noch w SOZitte beS 2lbgefangeS, jumal)!
roenn noch @infd)iebfel hinjufommen, rote bei ben Söielobteen ber 2ieber: £err r ifl ber einig
©Otts Sohn je, SBo ©ott ber Spexx nicht bei unS hält 2c, £) £erre ©ott, bein gbtt=
lieh SB ort tc. liefern allem jufolge ftef?t Scanbelli in mehrjtimmigen Säften über geiftliche Singroeifen
lebiglid} auf bem Stanbvunfte ber SEJieijler auS ber früheren ^älfte beS Jahrhunderts, unb roenn er auch
einige berfelben an ©eroanbtheit ber Stimmenführung übertreffen mag, fo ijl bod) ein roefentltdber gort--
fchrttt in wahrhaft harmonifchcr Entfaltung ihm nicht nachzurühmen, unb nur ba, roo er felber auch Sän=
ger ber SJlelobie tjt, ein Streben banach ftchtbar.
Sie brei ©aben beS Richters, SängerS unb SefterS, ftnben roir vereinigt in Johann
3teurletn. 2öaS mir von feinen 2ebenSumjiänben roiffen, befebranft ft'ch faft einjig auf bie tfmter
unb ©brenftellen, bie er ju verfdn'ebenen Seiten befleibete. 6r roar im Juli 154G ju Schmalfalben geboren,
ein Sohn beS erften evangelifchen ^»aftorS bafelbft. Um 1580 fi'nben roir ihn als Stabtfchreiber ju 3Bafun=
gen in ber Jürfltichen ©raffdjaft Spenneberg ; fväter, roohl erft nach 1588, benn in biefem Jahre führt er
nod) jenen Settel , rourbe er ßanjlew s SecretariuS ju SJieinungen, um 1604 Stabtfchultheifj bafelbft.
Äaifer 9fubolf ber ßvoeite oerlieh ihm bie £>ichterfrone unb baS limt eineS öffentlichen faiferlichen Notars ;
als fein SobeStag roirb ber 5te Wlai 1613 angegeben. So bürftig btenacb unfere Äunbe von ihm aud) ift,
fo reicht fte bod) hin, unS bie Überjeugung ju geben, baff £icb> unb Sonfunft nicht fein SebenSberuf
roaren, fonbern baf er an beiben als Erholung von feinen tfmtSlaften f<ct> erfreute unb ftärfte. Seine
SBerfe geben 3eugnifi bavon, baß er in ber legten eS ju einer achtbaren gertigfeit gebracht batte, unb auch
alS SSonfünjiler gefehlt roar. S3on ihnen, wie SSBalter, unb ©erber in feinem alten unb neuen £onfünfiler=
ßericon fte anführen, h^e ich nur ei" einjigeS gefebert unb genau unterfudjt, vielleicht roohl baS roichtigfte
unter allen, fofern nach ben Sitein ber übrigen mit Sicherheit barauf ft'ch fd)liefjen laßt. Wit Übergehung
berer, bie fdjon banad) nicht fn'eher gehören mürben, jeichnen roir biejenigen auf, bie für ben evangelifchen
Äircbengefang von Erheblid)feit fevn bürften. Unter ben Jahren 1571 unb 1578, juerjl ju SSittenberg,
tarni ju Dürnberg (vielleicht als neue Auflage) gebrucft, werben üier=, fünf* unb fed)§ftimmtge ©efängc,
Iatcinifcb unb beutfd), genannt; 1573 ein @brültid)cr SOßorgem unb 2lbenbfegen au§ ßutfyerS £ated)temus
gejogen, burd) 9cicolau3 Jperrmann reimvocife »erfaßt, unb mit ttier Stimmen jufammengefefct; 1574 ba§
trcftlicbe ©ebetletn: ^)err Sefu ßbrtft, ma!)t' Sftenfd) unb ©Ott, ju »ier, fünf, fed)S Stimmen,
in (Erfurt gebrucft; 1575 baS beutfd)e S3enebicite unb ©ratiaS ju fünf Stimmen, unb XXI geijtlicfye Ste=
Der von »ier Stimmen, ben gottfeeligen ßfjrtflen jugertdjt burd) 9Ji. gubroig 4?etmbolb aus gERütjIfjaufen,
ju (Erfurt erfd)ienen; 1588, nad) einem längeren Zeiträume, menn nidbt melleid)t frühere Ausgaben ooram
gingen, juerff, unter bem SSitel Epithalamia, eine Sammlung beutfcfyer unb lateinifcber £od)seit3gefänge,
mabrfdieinlid) bei früheren ©elegenbciten einjeln gebid)tet unb gefegt, unb nunmehr jufammengeftellt, unb
baSjentge SBerf, uon bem f)ier allein au3 eigener 2lnftd)t gerebet «erben fann. @3 ftnb 27 geiftltd)e ©e=
fange, ju Arfurt bei ©eorg S5aumann gebrucft, unb t>on &;riacu§ Scbneegafj, Pfarrer ju grtebrich§roba,
bureb ein SSormort eingeleitet*). SSon biefen ©efängen ftnb beren brei mit SteurleinS, als be§ Std)ter§
tarnen bejeiebnet (ber 4te, 6te, 17te), oier in eben biefem Sinne mit bem be§ ßpriacuS Sdmecgaf, beS
SSorrebnerS (ber 5te, Ute, 12te, 16te), jroei mit bem be§ (SraSmuS tflber (ber 22jte unb 23jte), ben
übrigen fehlt jebe 9iamenbejeid)nung. (Elf unter biefen SEonfä^en ftnb auf Söiotettenart gerichtet, bie übrü
gen fechjelm, bie SOßehrjabl, haben liebmäfjige§ ©epräge. SSefannte SCßelobieen fommen barunter nicht
oor; bod) ift e3 merfroürbig, ju bem ßiebe SutbersS : ,,3efuö SbriftuS unfer £eilanb, ber ben £ob über*
roanb"**) (iftro. 10) eine mirolpbtfdje 2Beife ju ft'nben, welche, bie Tonart abgeregnet, in ihren
melobifd)cn SBenbungen jumeijt ber borifd)en ftd) anfcbltefit, mit ber baö ßieb in ÄlttgS unb SSalenttn
S5apft§ ©efangbüdjern (1535, 1543, 1545) erfdbeint. Siefer »on ihm mtroltjbtfdb, umgeftalteten SDlelobte
bat aber Steurlein am Ausgange burd) bie Harmonie einen tonifeben Sd)luf3 nad) C gegeben, wäbrenb
mir nacb ber gortberoegung ber tieferen Stimmen ju bem legten fortflingenben Sone ber £)berftimme einen
balben mirolt)btfcben Schluß erwartet hätten. So ift bie Umbilbung ber SJMobte in eine »eroanbte £on;
art burd) beren näcbfie mobulatorifebe 33ejiebung faft mteberum »eroifebt ! ein jroetteä motettenbaft beban=
beltcS £ieb ßutberS: ,,SDiit grieb' unb greub' id) fahr' babin" (üftro. 14) bat eine oon feiner urfprünglicben
ganj oerfd)iebene Singmeife, beren 3eÜen bie melobifcben ©runbgebanfen be§ SEongeroebeS bilben. 2tHe
sJKclobieen biefe§ 2Berfd)en$> bürfen mir bienad) unferem Steurlein als erfunbene, ober bod) umgejlaltete
beimeffen.
Sie ftnb fangbar, unb in ben einfad) gefegten tritt, eben roie bei 3böd)im von SSurg! nad) %<xtob
Meilantö Vorgänge, ba3 S5eftreben berüor nad) fpracbgemäp richtiger S5etonung ber SSBorte unb Selben,
moburd) aud) b'" iumeijt rfwtbmifcber SBecbfel ft'd) bilbet. Siefer jebod), — unb barin übertrifft Steurlein
beibe SKeifter, — ift b,'m mit bem eigentlich melobifcben S3e(tanbtheile ber SBeifen mehr »erfchmoljen, fte
erfcheinen fangbarer, ftnb in ber Harmonie aud) reicher unb mannichfaltiger. Sie meifien biefer SBeifen,
menn fte ihre erjte Bette mit rht)thmifd)em SBechfel beginnen, mieberholen biefe mit berfelben melobifcben
•) Sieben unb 3rocnjigf SKeue ©eijltiche ©efängc mit »ier Stimmen tompbnirt, unb in 2)ruct, ber lieben
3ugenb ju ©ut oerorbnet bureb, Johanncm Steurlein ScbmalkaldeDsem, ©tobtfcb,rciber ju 2Bafungen in ber prftlicben
«raffchaft £ennebetg. 5Wit einer SBorrebe beS (Sbrnürbigen Jperrn SOc. Stiriaci ©ebneegaf, «Pfarrer ju gricbricbSroba,
unb ber 2Beimartfd)en ©uperintenbenj adjnocii, 1588. ©ebruett Srfurbt bureb ©eorgium SSaromann, »of)nf)aftig
atf bem gifcb,marctt.
") ®. Seifpiet 9cro. 107.
SBenbung, aber nunmehr mit £önen gleicher Sauer ; juweilen fommen dergleichen SBStebertjolungen aud)
am dnbe be3 Aufgefangen ber SERetobie, ober am ©cbluffe t>or; an biefer ©teile bleiben felbft längere ©nl=
bcnbeljnungen bem ©efange nidjt fremb. (§3 fmb biefeS Eigenheiten, bie bem oolfSmäfiig liebhatten
©epräge be§ ©efangcS ber Siegel nacb, entgegen fmb, bod) würben fte ber Aufnahme biefer SJielobiecn in
ben Äirdbengefang nicht binberlicb gewefen fenn, ba alles biefeS, tf>rer ©runbgeftalt unbefcfyabet, ju befei=
tigen mar. dennoch, läfst ft'cb, nicbt nadjweifen, bafj eine ber SEftelobieen aus biefem SBcrfe, ober fonft eine
»on ©teurlein berrübrenbe, in ben Äircbengefang übergegangen wäre, ©ewbrmlicb wirb ibm bie SBeife
be§ 9ceujabr3liebe3 : „Sa§ alte SUb* »ergangen ift," ba3 er felber bietete, unb bie ju tyaul
(SberS Siebe: „4?err Sefu &i>xifi, wahr' SKenfcb, unb ©Ott" jugefcbrieben. Sa3 erfte ftebt
allerbingS mit einer SDMobie oon ©teurlein in bem eben befproch enen SBerfe, wo e§ bie erfte ©teile ein=
nimmt; allein jene ift nicht bie nod) je^t gebräuchliche, bie angeblich oon ilnn berühren foll. Siefe ftnb»
ich nicht früher, al§ in bem erften Sheile be3 ©othaifchen GanttonaB (1646, 9cro. 19), wo fte mit
©teurleinS tarnen bezeichnet ift. Allein baburch wirb nichts entfchieben, weil jener burch biefe SSejcicrr
nung wohl nur als Sichter be§ StebeS genannt werben foll, wie benn überhaupt jenes ßantional bie
Urheberfchaft als ©änger ober ©efeer gewöhnlich burch bieSöorte: autor melodiae, ober autor compo-
sitionis anjubeuten pflegt. Sie ^Bezeichnung biefer 9Jielobie mit ©teurlcinS üftamen burch ben fo tuel fpä=
teren SSopeliuS (1682) \)at noch »tel weniger ©ewiebt. SaS Sieb : „£err Sefu Gbrift, wahr' SKenfch unb
©Ott" bichtete ^aul gber im Sah" 1557 für feine Jtinber; Hambach [Anthologie II. 122] fanb e3 juerft
in einem, noch bei be£ Sid)ter§ Seben erfchienenen Hamburger ©efangbuche oon 1565, wo e3 bie Über*
febrift führt: D. P. Eberus filiolis suis faciebat, 1557. (Sine eigene SBeife wirb e§ bamalä noch mch*
gehabt haben, fonbern nach ber SDielobie : „SSater Unfer im Himmelreich/' gefungen worben fepn, welcher
feine fechSjeiltg^acbtfwlbige, iambifche Strophe fid> anfcbließt. Ser (Srfte, fo üiel ich fmben tonnte, ber
ihm eine felbftänbige SDlelobie gab, jeboch nach »ierjeiligen ©tropben, war SKattbäuS te SQtaifjre, um 1566,
in feinen ©eidlichen unb ©Seitlichen Seutfcben ©efängen mit toter unb fünf Stimmen (Sero. 61) 5 fte ift
ionifcher Sonart*), imb erfcheint fpäter in feinem ber ©ingebücber beS 16ten Sahrh"n^ertS wieber. Senn
biefe oerweifen entweber — wie bie ju ©traf bürg bei SbeoboftuS Reichel 1569 erfdjienenen „9>falmen,
geiftliche Sieber unb ©efänge," in benen ba§ Sieb auf bem 222ften ^Blatte ftebt — bei fccbSjeiliger ©tropbe
auf bie SQielobie oon SutberS eben genanntem Äatedn'ämuSliebe ; ober, wenn baei Sieb nach »ierjeiligen
©trophen abgetheilt wirb (beren eS bann jwblf ftatt jefm erhält), neben jener erften auf „fonft eine gemeine
SEßelobie mit wer ßlaufeln," wie e3 in bem Anhange ju ben Äirchengefängen ber böbmifeben SSrüber
(1566, Sßlatt 70) gefd)ieht. 9cun wirb un3 als oon ©teurlein ju oier, fünf unb fech§ ©timmen gefefet,
unb ju ©rfurt 1574 gebrueft, ba§ juoor fdjon erwähnte 2Berfd)en genannt: „Sa§ trbftltche ©ebetlein :
$err 3efu <5t)rtft, wahr' 9)cenfch unb ©Ott," ohne weiteren SSertdjt barüber ju geben; ju feiner eigenen
Anfchauung habe ich, t^ofe aller gorfdnmg banad), nicht gelangen tonnen. Au§ bem Sitel biefes S3üch-
leinä folgert man, ©teurlein habe eine Söielobie ju unferem Siebe gefungen, ohne biejenige unter ben breien,
2Mefe 9Ketcbte erfdjeint oierftimmig bei SKtc^acl ^rdtoriug (Mus. Sion. VIII. 1610. 9Zro. 173.). (Sr füf>rt
inbef biefelbe, fo rok anbete für btefeS Sieb, nur als oorfyanbene, nid^t als ort lieb 9 ebr ä' ud) lieb c «"f/ *oit er
ti fonft ju tljun pflegt.
c-ie nod) jc§t fafür in ©ebraud) fmb, näher ju bejetdjnen. Allein junächft fann tiefe bloße 2(uffd)rift eben
io wobl auf mehrftimmige ©ä^e nad) Slftotettenart gebeutet »erben, al§ auf liebbafte; biefen fann aber
auch eine ber für baS Sieb früher fd)on in "JCnfprucb genommenen fremben ©ingwtifen, e£ fann ihnen bie
t<e? Matthäus le SJJaijfre ju ©runbe gelegen haben, ©teurlein alfo blofi Sonf er, ntdjt ©änger gewe=
fen fcrm. %ud) bleibt bie Vermittlung nicht auSgefchloffen , jene ©äfce, wenn motettenf)aft, fetjen auf
freien Srftnbungen be§ SonfünftlerS gegrünbet gemcfen, unb e3 f;abe eine äufammenbängenbe, fliefenbe
füMobie burd) bie 3ufammenjretlung ihrer SJcotiüe nid)t bargefMt werben fbnnen. (5inen ©afe foldjer 2frt
beft'feen wir über unfer Sieb namentlich, r>on ©alluS krepier, ju üier Stimmen, unb ^l)rpgifd)er Sonart, in
feinen 51t Dürnberg 1580 gebrucftcn ,,au§erlefenen teutfchen Siebern. " £)aju fommt, baß felbjl um 1584
nod) — alfo jel;n %a[)xe fpätcr atö ©teurlein feine neue SJZetobie gefungen haben foll — ba§ an ©ingweifen
fo reid) unb luVllftänbig auSgcftattcte 3infeifenfd)e ©efangbud) immer nod) eine ähnliche Surüdweifung auf
ä 1 1 e r e ?Ketobieen für unfer Sieb enthält, al§ bie früheren, unb baß fogar nod? um 1593 ba§ £>re3bner
©efangbud) nur eine fold)e, unb feine eigene ©ingweife bafür giebt. ©elbftdnbtge, unb allgemeiner »er=
breitete SDtelobieen unfereS StebeS ft'nbe ich erft gegen ba§ @nbe be3 3af)rhunbert§ : jmei berfelben erfcbeinen
gleicbjeitig um 1597, eine mtrolpbtfdjem ©etb ßalüifiuS Harmon. cantionum ecclesiasticarum*),
nad) fed)§jeiliger ©trophenabtbeilung, unb eine i 0 n i f d) e in3>ol)ann@ccarb§ fünffitmmigen itird)en=
gefangen**;, nad) üierjeiliger. 2Bal)rfd)einlid) tfjt bie eine rote bie anbere »on bem 9Jieifter gefungen, bei
oem fte hier jum erften 9Kable erfcbeint; namentlich bürfen wir biefeS t»on ber beiS. ©ccarb uns> begegnenben
annehmen, ©ein ©onner unb 2)icnftl)err, SERarfgraf ©eorg grtebricb »on 33ranbenburg=2(nfpad), 33erwal=
ter be§ ^)erjogtt)um§ Greußen, liebte, wie ba§ beutfcbe #gnuS Sei: „£) Samm ©otteS unfdmlbig," fo »or
allen ba§ Sieb : ,,Sr>m Scfu @brift, roal)r' SJienfd) unb ©ort" als> erbebenb unb troftticb. ©ein Seidben--
veoner, '2(bbia3 5ßicfer3, erjdblt uns>, er habe e§ in bie meijfen feiner ©ebetbücber einfchreiben laffen, um
eS ftetS jur £anb ju haben ; bie i()m liebften ©tropben beffelben habe er in anbere mit eigener £anb einge=
tragen ; er habe beffen nod) in feinen legten ©tunben gebad)t. £>a§ Sieb mar in Greußen, wie in #nfpad),
nad) incrjeiliger 2(btl)eilung gebräuchlich ; biefer ift auch bie ©ingmcife angepaßt, bie mir bei Grccarb ftnben.
55romme, heitere 3u»erfid)t brüdt fid) in ihr au$, ber rhpthmifcbe 2Bed)fel am ©cbluffe ihrer jmeiten unb
inerten 3eile tritt jugleid) frdftig unb belebenb ber»or. Äaum bürfen mir jmeifeln, bap in ber Vorliebe
fetneS gürften ber 9)ieijter eine S3eranlaffung gefunben f;abe, biefem Siebe, ba$ bisher nur fremben 9JMo=
bicen angepaßt »orben mar, eine ihm eigene, feinen Äon eigentümlich, anflingenbe, ju gefeiten. Sine äbn=
liehe 95emanbtnip mag e§ mit ber bei ©etl) ßalüiftu§ für bie jmeite, fech^jeilige gorm unfereS Siebet juerfi
erfcheinenben ©ingmeife haben. Von beiben ftnbct ftcb früher feine ©pur, fpdter bebient man ftcb ihrer
für bie eine unb anbere ©tropbenart »orjug§meife; follte man fte alfo nicht juöor fd)on angemenbet haben,
menn fte mirflid) vorhanben gemefen mären? ©an5 millführlicf; hat man wohl bie ionifdbe, »terjeilige,
c-em ©ottharb (S:rr;tbräu3 beigemeffen ; benn nicht aüein bap (Sccarb§ Äird)engefänge ben feinigen, bie erft
1008 erfdjienen, um elf 3at)te »orangegangen waren, fo ifl auch weber Sieb nod) SKelobie in biefen entl;al=
ten. (Sine britte, ebenfalls jefct noch übliche SKelobie beffelben, auä ber pbrp gifd)en Sonart, wirb mit
eben fo wenigem Stecht als ©teurteinä (grftnbung genannt, ©ie erfd)eint am früfjeften erft 1009, in
•) S. SBcifpicl 9lro. 55.
") <3. Stitpiet 9lro. 125,
417
a>ulptus> geiftlid)cn Üiebern'j, unb mag aud) wol)l biefem angehören. (Sine üierte, aus bei »erfefcten
borifdjen Tonart, — ober fünfte, wenn wir bie »on le 9JJaiftre berrübrenbe binjuredmen, — t>at SBolfgang
'2fmmoniui? in feiner Psalmodia nova Germanica (1578. 1581. 9cro. 19, 33latt 67\), fte t>at inbefj eben
fo wenig Unflätig gefunben alS jene").
liefern allem gufolge fbnnte ©teurlein nur alSbann für ben Urheber einer noch, gegenwärtig ju
unfererh Siebe gebräuchlichen Singweife gelten, wenn ftd) naebweifen ließe, — wa3 nicfyt wabrfcbetnlicb
ift, — baf? jene mirolpbifcbe ober ionifebe Sftelobie bei ßalmftuS ober (Sccarb fdwn feinen Sonfäfjen uom
3abrc 1574 ju ©runbe liege. 33i3 biefeS gefebtebt, bleibt bie SBcbauptung, bie ilm im Mgcmeinen bafür
auSgiebt, auf einem blofjen SBüdjertitel begrünbet, biejenige aber, bie tl)m eine beftimmte, einzelne beimißt,
unwal)rfd)einlicb unb unbaltbar.
Vlaä) tiefer Unterfucbung, bie un3 für eine SBeile »on ber betrad)teten ßieberfammlung ©teurleinö
entfernt bat, fetjren wir ju berfelben jurüd', um mit ibr abzufließen. Sie Sötelobieen, welcbe biefelbe
enthält, fanben wir ibm obne 2lus>nabme angebörig, bie meiften al§ eigene drftnbungen, eine als UmbtU
bung einer älteren. 9Zod> einer ^weiten bürfen wir biefen tarnen beilegen, ber ju ber Umbicbtung beS
alten SSolfsliebc» gehörigen :
Sie SBrünnlein bie ba fliegen, bie fotl man trinfen tc.
ba§ nunmebr lautet :
25er ©nabenbrunn tbut fliegen, ben foH man trinfen***),
welcbe, bie ©runbjüge ber melobifcben Sßenbungen ber alten SBeife bebaltenb, eine neue barauS febafft,
unb in beren barmonifdw 58cl)anblung ba§ ©epräge ber Sonart wieberberfteüt, ba3 brei frühere Sonfefcer
bei jener älteren burd) feltfame Überfleibung, ol)ne fte boeb, melobifcb, anjutajten, völlig umgewanbelt batten.
2Bir bürfen un3 mit biefer 'tfnbeutung begnügen, ba wir früher fd)on ausführlich, barüber berichteten. 9tor
biefeeine, umgebilbete SEftelobie, bie jeboeb, bei abermaliger Umfcb,affung bes> 2iebe§, einer anberen wei=
eben mußte, fo wie biefe enblid) wieber ber befannten unb beliebten „£) ©ort bu frommer ©Ott" ü)re
©teile räumte, tonnen wir in biefem befd)ränften ©inne als> eine, ©teurlein angebbrige, in bie .Kirche
aufgenommene bezeichnen, unb unfere ©ammlung als> beren Quelle nennen.
2>en eben befproebenen fünf Sonmeijtcrn faben wir manebe bebeutenbe ©ingwetfen geiftlidb er 2ieber
jugefebrieben, unbboch tonnten wir in ben meiftengällen biefe Sßebauptungenburcb, genügenbeßeugniffe nicht
bewäbrtfinben; bei ber SCßebrjabl biefer 50ielobieen gewannen mir nur bie Überzeugung, baß fte ber legten #älfte
be§ 16ten SabrbunbertS angebörten. 9cun ftnb aber beren noeb »tel mebrere, bei benen unfere gorfdmng
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feinem anberen Cirgebniffe gelangen fann, unb für bie wir feinen tarnen aufzeigen vermögen. 2lQetn
üiicb bte nur ungefähre 3eitbcjlimmung bleibt immer t>on (Srfyeblicfyfeit, benn roir geroinnen baburd) eine
2fnfdbauung »on bem eigentfyümlicpen ©epretge, baS eben biefer 3ettabfd)nttt ben geijllidjen ßiebweifen auf=
brüdte, bie in il)tn entjlanben. £>arum fep e§ »ergonnt, nod) einige berfelben r>orüberjufüf;ren, unb baS«
ienige abgeben, wa§ über bie Seit unb SSeranlaffung J&teS @ntflel)en3 un3 aufbehalten ift.
2>a§2ieb: „^erjlict) lieb l)ab' ich, biet) o Sfrtxx" unb feine Sttelobie geboren unjwcifel=
haft ber legten £älfte be§ 16ten 3«f)vf)unbert§ an. SeneS rül)rt »on SJlicfyael ©Galling l)er, ber am
21flen Tfpvtl 1532 geboren, um 1550 ju SBittenberg ber ©otte§gelal)rtl)cit oblag, bann ^rebiger in SJegenS--
burg würbe, Pfarrer ju SStlfjecf, einem Sftarftflecfen ber £berpfal$, barauf £)iafonu3 unb ©upertntenbent
,u Imberg, feines bortigen tfmteS oerluftig ging, roeil er bie Unterfcfyrift ber ßoncorbienformel verweigerte,
aber ju Dürnberg SBieberaufnafjme fanb, roo er im 3al)re 1608 als ^rebiger an ber Mixä)c Unferer Sieben
grauen flarb. SiealtcfteSUtelle für unfcrSieb ijl, fo weit meine gorfdjung reicht, eineim Saint 1571ju9?ürn^
berg bei iSietrid) ©crlalj erfcfyienene (Sammlung »on ©efdngen unter bem £itel: „Äurfje onb fonberlicfye
sJi*cwc Symbola etlicher gürjlen unb £erren, neben anbern mel)r fcfyonen Siebletn mit fünf unb uier ©ttm;
men, auf alle 3>njlvument ju gebrauten gan£ bienjllid), componirt burd) atth tarn ©atfttfc."
J^ier fmben roir an ber jefjnten ©teile unfer Sieb*), in ber Senorjiimme allein mit ben 33ucbjabcn 9JL ©.,
fonjl aber nid)t aI6 2Bal)l= unb ©innfprud) eines? gürften ober ^>errn bejeidmet. (53 ift fünfftimmig, einfach
gefegt, in ber oerfefcten tonifcf>en Sonart (F mit b); bie ^atiötmelobie fuf>rt ber SEcnor aB feflen ©efang,
unb nur bei ifyrem Eintritte erfcfyeint aud) bie ©runbflimme, bie ju bem Eingänge unb ben ©afeen ber
übrigen brei Stimmen jwifdjen ben Beilen fcfyweigt. Sie brei &ikn bes> Aufgefangen gelten ol)ne 3iül)e=
punfte, alfo auch, ofme 3wifd)enfd£e ber anberen Stimmen fldttg fort, unb nur jwifcfyen ifmen unb iijxex
SBieberfyolung werben bergleicfyen gel)brt; ber 2lbgefang üerbinbet bie britte unb toierte Sieb= unb 9Jielobie=
$eite, trennt bagegen bte erfite ^älfte ber fünften »on ber fpdtercn, unb fügt biefe an bie fecbjle; baburd)
bebingt ftd> ba§ Sorfommen ber Swifdjenfä^e. @3 fann jugegeben werben, bafi, wenn einmabj l)tx--
rbmmlid) ber SSenor bie melobicfüfyrenbe Stimme fepn foll, biefe Zxt ber S3cl)anblung ganj wol)l geeignet
ijl, feinen eintritt unb ba§ (Srfcfyeinen ber ^auptmclobie fenntlicb, ju machen; aber bie Stropbe be3 £>id)=
ter§ unb tfn- innerer S3au werben burd) biefeS wtüfüljrltcfye 3ufammenjiel)en unb brennen unbeutlid)
gemacht, unb alfo bem SSerjldnbntffe ber Steiften entjogen. Sep c3 nun beäfyalb, fep e3 wegen Langel
anfpredjenben ©efangeS unb an SDiannicfyfalttgf eit in ben SBenbungen ber9J2elobie: genug, biefe v>on©ajlru>
erfunbene unb gefegte fanb feinen Anflang, ft'e erfdjeint in feinem ber mir au§ eigener Anfcfyauung befann=
ten geijllid)cn 2ieberbüd)er, unb diejenigen, bie jenem Sonfünftler bie jef^t allgemein gebrdud;ltd}e unfereS
SJiebeS beimeffen, f)aben entweber beffen eben befd)riebene§ SBerf niemals gefeiten, ober nur nacb, beffen
SnbaltSanjeige beriebtet, ober »ielleid}t grünben fte il)re S5el)auptung auf ein anbereS SBerf beffelben, baö
fte aber bann hätten nennen follen. ©ooiel ijl gewif?, man fanb ftd) üeranlajjt, weil baS ßieb, nid)t aber
bte ifjm beigegebene SD^elobie gefiel, eine anbere für baffelbe aufjufud)en. Sn bem ©reifSwalber ©efang=
bud)e von 1592, in welchem id) unfer Sieb, aber ob,ne eigene SJMobie bafür, juerjl antreffe, wirb auf bie
beS ^3falmliebeS: „Grs finb bod) feiig alle bie" babei S5ejug genommen. @S leuchtet aber ein, ba^ biefe
nur für beffen tfufgefang genügen fonnte. 3war wäre bie abweid)enbe ©plbenjal)l ber britten unb fedjjlen
*) @. Seifpia 9iro. 109.
419
3eile beS tfbgefangeS — fiebert flatt ad)t — für ft'd> genommen/ fein fo erbeblidjeS ^)tnberni^ bei bem
2fnpaffen gewefen ; atiein in biefer entlehnten 9Kelobie orbnen ft'cb, bem ©ebtebte jufolge, je brei unb brei
Seilen jufammen, einen größeren (Sinfdmitt bilbenb, in SdballingS 2lbgefange bagegen treten beren jwei
unb jwei ju einanber, bie (Sinfcbnitte erfebeinen alfo nid)t an gleicher Stelle, bie frembe SSMobie fcblof?
ft'cb bem neuen Siebe nicht geborig an, unb eS würbe SSebürfniß, eine paffenbere bafür ju erft'nbcn. 2)ie
nunmehr gebrducbltd>e erfebeint aber fd)on ein 3al)r fpäter, 1593, in bem £>reSbner ©efangbuebe t»on
eben biefem Sa()re, unb ich wüßte nicht, baß feitbem je eine altere, ober eine fpäter erji erfunbene, für baS
Sieb angeroenbet worben wäre ; einen früheren Sonfafc berfelben als ben beS Seth GEalmft'uS in feinem jupor
befproebenen ßboralwerfe (1597) habe id) nicht aufjufmben üermoebt. SSSir bürfen ft'e ju ben treflicbjten
beS eiiangelifcbcn ÄircbengefangeS rechnen; ft'e trägt baS ©epräge beS Snntgen, ^»eiteren, unb bod) §eier=
lieben, einer rechten ©laubenS= unb SiebeSfreubigfett, ben 2Borten be§ SiebeS übereinftimmenb :
^>erjlid) lieb bab' id) bid) o «£>err,
Scb bitt, wölljt fein »on mir nit ferr
9Kit beiner güt unb gnaben.
£>k gan^e SBelt nit freroet mid),
9Zad) bimel r>nb erb nit frag ich,
SBenn id) bid) nur fan b<*ben.
SSnb wenn mir gleid) mein tyrfy jerbrid)t,
©o biji bod) bu mein ju»erfid)t,
SERein tf>etl önb meinet bergen troft,
25er mid) burd) bein blut fyaft erloft!
#erc Sefu Gübrift mein ©Ott unb Sgm,
Sn fd)anben laß mid) nimmermebr!
3Bir fonnen ©afrri£ nad) bem ©efagten nicht ju ben etfangelifd)en Äirchenfängern rechnen, benu^en
inbeß bie unS hier gewährte ©elegenbeit, über ihn unb fein 2Berf (SinigeS beizufügen. Über feine SebenS=
oerbältniffe ftnb wir nicht unterrichtet, aud) giebt er felbft fo wenig auf bem Sitel feines SBerfeS über feine
Stellung (StwaS an, als in bejfen Bufchrift. £>iefe ijl an bie brei bamalS lebenben «Sohne griebrid)S beS
©ritten, ßhurfürjien t>on ber ^falj, »on Arnberg (ben 14ten gebruar 1571) auS, gerichtet: an Subwtg,
ben nad)berigen ßhurfürjien, ju jener Seit «Statthalter ber £)berpfalj, Sobann CEafünir, unb @briffopb.
©er Reiftet greift bie SEonfunft als eine göttliche ©abe, ber eine Sobrebe ju fchreiben er ftcb unwürbig
erfenne, von ber aber feinen ©onnern ,,auS bod)erleud)tem fürflticbcn SSerftanbe" ju reben gegeben few.
gür fte habe er bie Sinnfprüd)e feines 83ucbeS nebjt anberen fd)bnen geiftlicben Herten jufammengejiellt,
unb ft'e ju fünf unb vier Stimmen gefegt, in ber Meinung, fte ju ehren, unb ihnen etwas SiebeS baburd)
ju erweifen. (SS ftnb junädbj bie SOBahlfprüd>e beS Ghurfürften, SBaterS feiner ©bnner; ihre eigenen; ber
Don beS ßburfürften griebrichS beS ßweiten Söittwe, ©orothea »on ©änemarf, SEodbter ßbriftianS beS
3wetten; mehrer 9Jätf)e, Siener, Angehörigen beS ^Pfäljifcben ^aufeS, alle in Sieber gebrach, t ; baneben
anbere geijilicbe, meift «Schriftlieber, bod) nur jwei, beren 9Kclobieen in bem e»angclifd)en Äird)engefange
heimifd) waren: „@l)rijt ift erftanben," unb Snmpborian ^ollio'S Umfcbreibung »on Simeons Sob=
fpruebe: „Sm griebe bein, o #erre mein." ©ie meinen ber Sonfäfje (23) ftnb fünfjtimmig, nur einer
(baS genannte 2£uferjlebungSTieb) ju fecbS, bie übrigen jwolf ju t>ier Stimmen. 2)ie SSebanblung ift
53*
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gcwanbt, woblflingenb, würbtg, ber Senor bie mclobiefü^rent'e ©timme ; boch bürfen wir bei bev gerin-
gen 2lh$ahl ftrcblid)er SRelobieen, bie wir hier ftnben, ben Sttcifter faum ju ben fachlichen Sonfe^ern red)--
nen, tonnen auch einen (Sinfluß feiner S3ef)anblungöweife auf anbere Sonfünfiler, bie mit meiern 9ted)te
auf tiefen tarnen 2tnf»rud) haben, nicht nad)weifen. 2>aju fömmt, baß eben jene jwei ftrcb/liche-n 9J}elo=
bieen nid>t einmal^ als ftetig fortgehenber, fefter ©efang erfchemen, fonbem burd) (Sinfchiebfel unb SBieber^
holungen zertrennt werben, baß alfo, wenn auch bie ©ewanbtheit be3 Söletftevö in fünftlid)=motettenhafter
©timmenverflechtung unb Durchführung einzelner SEelobiejeilen als 9ftufter gelten fbnnte, bod) von b,armo=
nifeber (Entfaltung in eigentlichem ©inne, burd) bie er vorbilblid) hätte werben fonnen, bei ihm bie 9?ebe
nidjt fevn barf.
Dag fd)öne Sieb: SSon ©Ott will id) nicht laffen rührt von bem ©uvermtenbenten
Subwig £etmbolb au3 9jjüt)tf)auferi h"-; faß ^ unt 1563 f«* Regina Qdbiü) ju (Erfurt gebietet, unb
eS bann in feinen ©ciftlichen Siebcm über etliche ^falmcn (1572) öffentlich befannt gemacht haben*). 3n
eben biefem 3al)re erfcheint e§ auch unter btn von 3oad)im von 9Jlagbeburg gefammelten Sifchgefängen,
mit einer vierftimmigen Sonweife aue> ber verfemten borifd)en Tonart. (Erft vierjef)n Sahre fväter, um
1586, ftnbe ich & in einer fachlichen ©ammtung, in bem zweiten Steile ober Anhange eines in biefem
3af)t'e erfd)ienenen SBieberabbrucB von Valentin Saffig ©efangbuche, ben 3ad)aria§ 33erwalbt zu ßeipjig
beforgte. (Eine eigene 93ielobie hat e3 bort aber nicht, e§ wirb verwiefen auf bie be§ SiebeS : ,,3d) ging
etnmal)l freieren." SÖZtt ber bei 3oad)tm von SJlagbcburg ihm angeeigneten erfcheint c§, fo weit meine
5orfd}ung reicht, juerjt wieber in bem DreSbner ©efangbuche von 1593 (9lro. 175); bod) tl)eilt e3 bie=
felbe bort mit bem 9ceujal)r3gefange $aul (SbcrS : ,,^)elft mir ©Otts ©üte greifen," nur baß fte
bei biefem im Umfange be3 verfemten Dorifchen erfcheint, bei ihm in bem be3 urfvrünglichen. (E§ ift jene
©mgweife, bie am ©d)luffe ihrer erften beiben ßettenvaare burch ben Abfall in bie Unterquarte ihres
©runbtonS von beren ©berquinte auö — einen feltenen SKelobieenfvrung — ftd) auszeichnet**), ©väter,
in ©erb. ßalvifiuS ^armonieen getftlicher ©efänge (1597), hat unfer Sieb allein biefe ©mgweife, nur baß
fte wieber in bem Umfange be3 verfemten £>orifd)en aufgezeichnet ift; bem erwähnten 9?euiaf)rSliebe bagegen
ift eine, ihr jroar anflingenbe, boch feineSwegS übereinftimmenbe, beigegeben. 9hm ift e§ zweifelhaft, welchem
von beiben Stebern biefe Gelobte urfprüngltd) angehöre? eine §rage, bie in fofern von (Erl)eblid)feit ift, als
beren Beantwortung un§ vielleicht ben Urheber unferer SBeife entbeefen fönnte. 3unäd)ft läßt ftd) nid)t
beftimmen, weld)e§ beiber Sieber baö ältere fei). $)aul @ber bid)tete, wie e£ heißt, fein Sieb für feine SEocb^
ter Helena, beren 9came auch ^i^d) t>te '^nfangöbuchftaben ber ©tro»hen beffelben fich bilbet; wann er eS
bietete? ifl un§ nid)t berichtet. Allein ba er um 1509 ftarb, fo war c§ vor biefem Sah" unbejweifelt
vorhanben. 5Dtel)r läßt fich nicht angeben über beffen 'Hilter, baö alfo nicht unbebingt über baS be§ Spclm--
bolbfchen hinaufreicht. 2tuf welche ÜJKelobie eS 2lnfang§ gefungen werben, wiffen wir nicht, boch niag e§,
') ©. Kambac^e 2£nttjofogie Zt). II. <S. 148, unb beffen SScrufung auf SDätmmerS SicbererÜä'tung Zi). IV. ©. lüü.
n :
A f |i' | ' | n p , j =d=d-f-f^
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421
al§ Äinberlieb, roofjt juerft auf t>ic jeneS weltlichen, bamalS gangbaren, »ermiefen werben femt, bie man
fpäter auf baS 4?elmbotbfche anmenbete. 2fllein biefeS erfebeint früher als baS (Sberfcbe, mit ber juüor
befdbriebenen et g enen -iBielobie; 14 Sabre nachher mirb eS bann auf bie jeneS meltlichen öermtefen; erft
ein 3ahr fpäter, 1587, in Schröters äBeibnacbtSlieblein, ft'nben mir $aul ßberS Sieb mit einem SSonfafje
über bie, juoor bem Jpelmbolbfcben angeeignet gemefene SÖJelobie; 1593 mirb ft'e mieber beiben gemein*
fcbaftlich, 1597 aber eignet ft'e bem ^elmbolbfcben auSfcbließenb. 99ian b,at nun mobl bie «Behauptung
aufgeteilt, jene 5!Ketobie fep für beibe geiftlid)e ßieber eine entlehnte, urfprünglicb gehöre fte eben bem
roeltlicb, cn Siebe an : Scb ging einmahl fpajieren, »on baber fer; ft'e 1586 für baS £elmbolbfcbe in
S5ejug genommen. ©S ift auch richtig, bafj mir in bem elften Shetle ber geijilicben Sieber ju »ier unb
fünf Stimmen von ^Bartholomäus ©efiuS (granffurtb a.b.£>. 1601 CXI) ein geifflicbeSSieb ft'nben, beffen
erfte 3eile fo lautet, unb bafj eben biefeS in bem ftebenten Steile ber ©tonifeben SKufen beS Michael ^)ra=
toriuS (9iro. 199) oorfommt ; auch ift beibe ÜJlabte für baffclbe bie ©ingmetfe angemenbet, »on ber mir
reben. 2tllein beibe Stahle mirb fte ber £on beS Sieben : Helft mir ©ottS ©üte preifen" genannt,
unb bamit bezeichnet, bajj ft'e ihm entlehnt fei). Sft alfo auch, mie nicht bezweifelt merben fann, jeneS
geiftlichc £ieb bie Umbichtung eines meltlichen gleichen Anfangs, fo folgt barauS boch nicht unmittelbar,
bafj bie SJielobie, mit ber eS in biefer ©eftalt erfcheint, bie ber urfprünglichen Dichtung fet>, zumabl feine
Überfchrift ein ganz tfnbereS befagt, unb bie fo oiel frühere SSermeifung auf jene altere SSJielobie nichts bage=
gen entfeheiben fann. 2ütcb pflegte man ©ingweifen meltlicher Sieber, bie man geiftlichen gnpafjte, ftetS
mit ben 2lnfangSw orten ihrer urfprünglichen Dichtungen zu bezeichnen, wie ^rdtortuS namentlich alle-
zeit tlmt; man fefjte, bei gleichem Anfange beiber Sieber, beS umgebichteten meltlichen, unb ber geiftli-
chen Umbichtung, entmeber bann nod) eine folgenbc 3eile beS urfprünglichen hinzu, ober mar, mie eS oft
gefchahe, bem meltlichen Siebe in bem SRaafe nachgegangen, bafj etma nur ein SBort, ober boch menige,
in fpäteren Seilen erfcheinenbe, ben neuen, geiftlichen ©inn bezeichneten, fo ließ man mol)l bie alSbann
unnbtbige Sßerweifung auf bie meltliche SDWobie ganj meg. Senem alteren beutfehen meltlichen Siebe mirb
alfo unfere ©ingweife nicht angehören ; eine anbere SSermuthung miU fte auf bie eineS franjbftfchen Siebes
Surücf führen. SSalter nämlich fanb in bem ttierten Suche »on Soh. Sapt. JBefarbi'S Thesaurus harmo-
nicus (Solln 1603, ©ette 73) ein folcbeS Sieb, beS Anfanges :
Ma belle si ton ame
Se sent or allumer,
beffen SKelobie er unS auch auf ber brttten SSeifpielStafel ju feinem SQiuft'falifcben SBörterbucbe F. 5. mit*
theilt. 2Cuf biefe führt er bie Sßeife unfereS SiebeS jurücf, inbem er bemerft, bafj beibe in ihren zweiten
Sbeilen faft burchmeg übereinftimmenb, unb nur in bem erften etmaS abmeichenb fepen. DaS ©rfte ijt nicht
in 2(brebe ju ftellen, menn auch allerbingS örtliche Abweichungen »orfommen, wohl aber baS Se£te. Denn
eben in ihrem erften Sbeile trägt bie ©ingmeife: „SSon ©Ott will ich nicht laffen" ganz eigentümliche
3üge, namentlich ba$ 2lbfaEen in bie Unterquarte ibreS ©runbtonS r>on beren Dominante auS ; ihre #bn;
licbfeit mit jener franjoftfeben, meltlichen, ift hier eine nur gan$ oberflächliche, burch bie gleiche SEonart
allein bebingte, ihre äkrfcbiebenbett bagegen eine wefcntltcbc. Daju fömmt, bafj bie Quelle, in ber unfere
SJielobie unS nachgemiefen merben foll, um zehn 3«hre jünger ift, als beren erfteS @rfcbeinen in einem fireb*
liehen Sieberbuche, ja, um t>olle 24, als ihr frühefteS 83orfommen in einem geiftlichen ©ingebuche jum
Hausgebrauch- SJlöglicb, bleibt eS immer, ba jene Sluelle eine SBlumenlefe oon atlerbanb für bie Saute
422
eingerichteten ©efängen ift, bajj ftc auch, früher 33orbanbeneS aufgenommen habe, unb baS Sabr ttjrcS
GhfcheinenS wirb alfo nicht für baS Alter jebeS einzelnen in if)r enthaltenen jeugen rontten. Über biefeS
jebod), wenn eS in eine längere 33ergangcnbeit binaufgerücft «erben foll, mürbe immer mieber eine anbere
^Beweisführung nbtf)ig werben, wcld;e hier mangelt. S3ei einer fo wefentlichen Abweichung, eben in bert
be$etcbnenbften3ügcn, jwifcbcn unferer geiftlid)en£onweife unb ber weltlichen, bie auS jener Quelle gefdwpft
werben foll, fann inbefs eine weitere gorfdntng faum lobnenb fe»n.
Die SBorauSfefjung alfo, bafs bie SJlelobte, meiere $aul ßberS 9?eujahrSliebe unb bem ©ebiebte
Subwig 4?elmbolbS jule^t gemeinfehaftlich ijt, einem weltlichen entlehnt fe», fönnen wir für begrünbet nicht
annehmen. 3br eigenthümlichcr Schlttfjfall am ©nbe ihreS erften SSbeileS läfst auch barauf fchliefjen,
bafj fie »on einem gelehrten Sonfünftler erfunben fe». @S fehlt nun feineSwegS an SSermutbungen, bte
einen folgen bafür angeben, ßinige reben »on Joachim a 33urgf, ohne nachweifen ju fbnnen, in welchem
feiner jahlrcidjcn Sonwerfe fie ft'ch ftnbc, in benen ich fte »ergebend auffuchte. Diefe grünben ftd> auf bie
33orauSfe£ung , einmahl, fie gehöre urfprünglich 4?elmbolbS Siebe an, unb ferner, ft'e fbnne bann »on
feinem anberen Sonmeifter herrühren, alS bem genannten, ber bem Dichter beS ßiebeS am treuften unb
beftänbigften ftd> angefchloffen habe. Die erfte ift nicht gerabehin abjuweifen; benn bafü $aul ©berS Sieb
baS ältere fc», ift nicht ju behaupten, eS erfcheint mit unferer 9Jielobie juerjt achtjehn 5af)r nach beS Did)=
terS £obe, baS Jpelmbolbfcbc bagegen ift in früheren Quellen nacbjuweifen, unb wir ft'nben eS in bemfelben
3ahre, wo ber Dichter eS ber Öffentlichkeit übergeben haben foll, bereits in einer anberen (Sammlung geifb
licher ©efänge mit jener SBeife. Die jweite SSorauSfefjung aber würbe nur bann ft'ch begrünben laffen,
wenn wir einen Sonfal? über fie »onSBurgf befäpen, benn alSbann tonnte man biefen auch für ben (Sänger
ber SBeife halten; einen folchen hat man inbep nicht nad^uweifen »ermocht. Anbere nennen bie Sab^bl
1571, aber nicht ein mit berfelben bezeichnetes SSerf ; fie erfcheine fchon bamalS, fagen fie, mit ber S3emer=
hing, bafj ein fonft unbekannter Sonfünfiler, £anS »on ©bttingen, fie »erfertigt habe. 9tun habe ich
unter jener Sabril — bie eben bef»rod)enen Symbola nicht gerechnet — nur jwet geiftliche ßieberbücber
aufjufinben vermocht, bie Umbichtungcn weltlicher Sieber nämlich »on ilnaujt unb SBeSpaftuS, beren wir
fchon früher gebachten. 3n ben legten fommt allerbingS ein Sieb »or, beffen erfte 3eile bem flüchtig ^)in--
börenben ober SBetracbtcnben wie bie unfereS SicbeS flingen fonnte: „£) ©Ott, wem foll ich klagen," unb
bort finbet ft'ch eine ^)inbcutung auf „be w»fe »an $anS »on ©öttingen." Diefe hat unS nun auch
©eorg JorfterS ßieberbueb in feinem fünften Steile (91ro. 38) aufbehalten ; fie gleicht jebod) ber SDlelobie
unfereS JHebeS nur ganj oberfIäd)lid) burch bie gleiche Sonart, wenige melobifche SBenbungen, unb baS
übereinftimmettbe SSJiaaf? ihrer erften »ier Seilen ; bie legten »ier bagegen ft'nb hierin ganj abweichenb, fo,
bafj eben nur ein fo flüchtiger 4?örer ober ßefer als ber, bie SSBorte ber erften 3eile mifjoerftehenbe, beibe für
übereinftimmenb halten fönnte. Sd) jtelle biefen SSermutbungen eine anbere entgegen, bie id), weil ft'e eine
folche ift, eben hier »ortrage, unb nid)t bei bem S3erid)tc über ben au§gejeid)neten Sonfünjiler, ben ft'e
betrifft. SBir beftfjen nämlich einen Sonfa^ unferer 9ftelobie »on Johann eccarb, ber bem Dichter
nicht minber nahe befreunbet war, als 3oad)im »on SSurgf. ©ebrueft erfcheint biefer ©afe freilich erfi
1634, in einer fpäteren Ausgabe ber fünfjtimmigen geiftlichen Sieber @ccarb3, welche juerfi 1597 erfebie*
nen, unb »on beffen (Schüler StobäuS in bem erftgenannten Sahre auf's 9ceue bem Drucf übergeben wur=
ben. 3n bem früheren Abbrucfe war er nicht enthalten gewefen, ift alfo ein 3ufafc ju bem füäteren. ^)ter
war eS bie Abfid)t, alle ßboralfäfce beS 9)ieifterS (benen auch ber Herausgeber feine eigenen beigefügt hat)
»
423
»olljiänbig ju geben, fofem if>re ßieber in Greußen fircblicb waren; rote benn außer ihm noch einige anbere
binjugefornmen finb. 9cun fann er auS einem früheren noch nicht mieber aufgefunbenen Söerfe geiftlicber
©efänge »on (Sccarb flammen, mo er als einzelner liebbafter Sa£ ftanb, er fann aber auch innerhalb beS
SeitraumeS feit ber erften Verausgabe jener geiftlichen lieber (1597) bis jum SSobe beS SCßetfterS (1611)
entjlanben unb bem fpäteren tfbbrucfe beigefugt femi. £>aS dürfte ift mir auS inneren ©rünben baS 2Babr=
fcbeinlicbere. GüccarbS £onfa& nämlich, ein fünfftimmiger, trägt beutltcbe Spuren etneS erften 33erfucbeS
in biefer Se|art, bie bem 9Keift«r fßäter fo febr geläufig mürbe, in ber mir 'tfuSgejeicbneteS »on ihm beftljen.
£>k Rührung ber einzelnen Stimmen jeigt jmar bereits ©efebtef, allein ihre Skrmcbung bringt nid)t jene
bebeutfamen SERobulationen ber»or, bie mir in ber golgejett an ihm bemunbern ; fie ftebt barin felbfl ben
Sä^en nach, bie er im Sab,re 1578 Verausgab. 2tuf ber anberen Seite aber ift mieberum mabrfcbeinlicb,
baf? ber Se^er jugleicb ber Sänger gemefen fet> ; mir erfennen eS an bem beutltcb beroortretenben Streben,
bie SSebeutung ber einzelnen melobifcben SBenbungen auch in ber Harmonie auSjuprägen, menn btefeS auch
bem SDieifter bamalS nicht in bem SJlaafJe gelang, mie fpäter, felbft an fremben SERelobieen. Namentlich
tft biefeS ber gall bei ber Scfylufiroenbung beS erften £heileS. £>er eigentbümlidje Abfall ber Singmeife ift
l)ier, eben als foleber, auf baS £)eutltchfte beroorgeboben, mäbrenb bei ßeonbarb Schröter (ber, mie
bemerft, um 1587 biefelbe gefegt bat) bie jmeite Stimme bie erfte überfteigt, unb babureb eine anbere,
gewöhnlichere SBenbung nach bem ©runbtone bin für baS ©efybr geltenb macht, fo, bajü bie ber Gelobte
al§ eine blofi begleitenbe, in ben Schatten tritt. SMefeS nähere 33erl)ältnifs »on GüccarbS Sonfafee ju ber
SKelobie, unb auf ber anberen Seite beffen innere 25efcbaffenbeit, bie ihn hinter feine älteren Arbeiten
jurinffteHt, entfebeiben mich, bafür, tf>n älter ju galten als ben Scbroterfcben ; unb biefeS »orauSgefel^t, fo
hat nunmehr bie Annahme feine Sdbmierigfeit meiter, baß ber 9Reifter ju bem ßiebe beS ilmr nahe befreum
beten 2)id)terS aud) jene Singmeife erfunben fjabe. £ieS mochte bann um 1571 ober 1572 gefchebert
fepn, ehe Sieb unb Sttelobie noch in SoacbimS »on SJZagbeburg Stfcbgefänge aufgenommen mürben. S5iS
babin mag jeneS in ber SEbat im £one: „Scb ging etnmabl fpajieren" gefungen morben fe»n, unb baf)er
nod) bie ^inmeifung auf biefen in bem ßeipjiger ©efangbuebe »on 1586 rühren. Cüccarb, um 1553 gebo^
ren, mar 1571 erft achtzehn 3<*bre alt, bureb Soacbtm »on S5urgf aber bem Siebter, mie fpäter in greunb=
fdjaft, fo bamalS in Verehrung unb tfnbänglicbfett »erbunben; fein jugenblicbeS Hilter erflärt um fo et)er
bie SSKängel feines SafceS*). £)eSbalb hielt ber SQZeifter benfelben aud) mobl ber Aufnahme unter feine
reiferen SBerfe biefer 2Crt ntd)t mürbig, unb fd)lo£s if>n auS »on beren Ausgabe um 1597 ; eine Überarbei-
tung mochte er beSbalb nicht für notbig achten, meil er nur bie in Greußen bamalS gebräuchu'cbften 2Bei=
fen geijilicher Sieber mit feinen ^armonieen h^auSgeben mollte, baS ßieb aber um jene Seit noch nicht ju
ben allgemein »erbreiteten geborte. Sein Schüler aber fammelte nach bem SEobe feines SKcifkrS 2llIeS,
maS ihm ber 2trt noch «^anb mar, auch grühereS; ihm mar eS um »olljtänbige Sufammenjtellung feiner
(Shoralfäfje ju thun, mie er benn auch noch einige anbere feiner neuen Ausgabe binjugetban hat, bie beShalb
bem befproebenen noch nicht gleichjeitig gemefen ju femt brauchen, unb beren 2llter ju erforfchen mir feine
Seranlaffung fyabm, um baburch unfere 83ermuthung näher ju rechtfertigen. 25er bei Joachim »on SSRagbe^
bürg erfcbjinenbe Sonfa^ ijr ein »ierjtimmiger, f>od)fi bürftiger; bie Anlage feines SSerfchenS erlaubte ihm
mabrfd)einlicb nicht einen mebrjiimmigeren aufjunehmen; bie SÄelobie, als in Thüringen (ju 5Kül)lhaufen)
•) ©. benfelben 9tro. 110 ber SSeifptelfammtung.
424
entftanbet, formte ju ihm, t>cr ftd) bamalS in Arfurt auffielt, leicht ihren SBeg fmben, et gtebt fte aud),
bie unerheblid)c 'Abweichung bei einem einjigen Sone aufgenommen, ber (§ccarbfd)en ganj übereinftimmenb.
©iefe Gelobte ift aber nicht bie einzige für Jpetmbolb§ Sieb geblieben. Sn ber SJiarf SSranbem
bürg menbete man bafür bie t o n t f d> e ©ingmeife be§ faft gleich alten SiebeS üon Sodann SKattheftuS
an: meine§ ^erjenS ©runbe"*); fpäter (1640) erfanb 3ol)ann Grüger baju eine neue, bie neben
ber, bie mir Crccarb beimeffen ju bürfen glauben, noch jefjt in biefen ©egenben gebräuchlich, ift**). 25er
©runbton bes* ©ebtrf>teö mar hier, mie in anberen gällen, auf boppelte SBeifc ju cmpft'nben : al§ fromme,
bemütl)ige 3tmerftcbt im Seiben, al§ gobgefang auf Den, ber alle§ Übel in $eil unb greube üerfeljre ; unb,
voeil S3eibeö mit gleicher 33cred)tigung gefd)chcn fonnte, l)aben aud) bie beiben julefct genannten SJMobieen,
bie baS ©ine unb ba$ tfnbere auSbrücfen, neben einanber ©ültigfeit behalten.
£>a§ Sieb: „25 u griebefürft, £err 3efu ß^rift, beffen ©ingmeife mir jundd)ft betrad)=
ten, mirb nicht »on Allen bcmfelbcn 25td)tcr jugefdjrieben. (ginige nennen Submig ^elmbolb (1532 — 1598)
unb eben be§l)alb mol)l nur Joachim a 33urgf als ben ©änger ber 2Seife; in ber SSorauSfefcung, bafj
fein Anbercr, als biefer, jenem 25id)ter fo treu anl)dngenbe Sonfünftler, ftd) il)m hier gefeilt haben merbe.
3d) ftnbe fte jebod) am früheren, eben fo mie ba§ 2ieb, in ben »on ^Bartholomäus ©eftuö t>ier= unb fünf-
fttmmig gefegten geiftltd)en Stebcrn ***; (granffurtl) a. b. £>. 1601. S3latt 198), unb hier ftef)t ber 9came
Dr. Jacobus Ebcrtus al§ ber be§ 25id)ter§ angemerft, eine§ $rofeffor§ ber ©otte§gelaf)rtl)eit ju granffurtli
a. b. ber bort am 5ten gebruar 1614, 65 %at)X alt, ftarb, tjorauSfellid) alfo 1549 geboren mar.
Am fid)erften merben mir alfo mobj aud) tr)n bafür ju galten ^aben, ba für £elmbolb fein juöerldffigef
3eugnifj torl)anben ift; momit aud) bie Annahme Einfallt, bafi 3oad)im aSBurgf bieSJJclobie unferee» 2tebe§
erfunben l)abe. @§ mürbe fid) nur nod) fragen, ob nid)t vielleicht ©efiuS, bei bem mir fte juerft ftnben,
für beren ©änger ju galten fep? Mein feine fonftige 9lad)rid)t nennt il)n a!3 fold)en, unb in ber SSorrebe
ju feinen t?ier= unb fünfftimmigen Sonfä^en bemerft er felber nur: ,,er l)abe fold)e ^falmen unb ßieber
nad) feiner geringen ©abe, fo il)m ©ott »erliefen, in öier unb fünf Stimmen f efc en mollen, unb fürnetm
lid)er bahin gefehen, bafi bie gebräuchliche unb gembhnliche 6l)oralmelobie im 25i3cant behalten,
unb unoerdnbert geblieben, bamit alfo bie d)riftlicf)e ©emeine mitft'ngen fbnne." Siefen feinen eigenen
Sßorten jufolge geboren ihm nur bie mel)rftimmigen ©äfce an, nicht bie SERelobteen, bie er gebräuchliche unb
gemöl)nliche nennt, bie alfo al$ früher fchon worljanbene anzunehmen ftnb. Aud) bemerft er, bafj jene
©äfce fd)on feit etlichen Sohren oon ihm aufgearbeitet gemefen fepen, me§h<*lb um fo mehr bie ©ingmeifc
unfereö giebeö ber legten ^älfte be^ 16ten S^hrhunbertS angehören bürfte. ©ie brüeft in ber mohlgemdhl-
ten, ionifchen Sonart, heitere Suoerficht au§, mie e§ ben SBorten beä 25ichter§ gekernt :
25u griebefürft, Jg)crr Sefu Qi)xi%
2ßahr' SSJlenfch unb mahrer ©ort!
@in frarfer 9iotl)helfer bu bift
3m üeben unb im £ob,
') ©. q)rätoriug Siontfdje OTufen, Zt). VIII. 9lro. 7.
") OTan finbet beibe Singroeifen, mie man fic^ if^rer je§t bebtent, Slro. 31 unb 301 ber fünften 2tu6gabc oon
Hüljnau'ä Cfjoralbudje.
"•) ©. «efiuö Sonfafc ber SWelobie biefc« CiebeS 9tro. 05 ber SSeifpictfammlung.
425
rvumb mir allein, im SRatnen betn
3u beinern föater febrepen.
9?ed>t große 9cotb imi ftbpet an
Sott .Krieg unt Ungemach,
Saraue uns üRtemanb helfen fann
Senn bu, brumb führ' bein' ©ad),
Sein' §8ater bir, baß er ja nit
3m 3onr mit uns mollt fahren,
öu ten übbnften unt erbabenfien ihrer Äirchcnmeifen jählt bie eoangelifcbe Äirche mit Stecht t>ie
Oes i'ietes :
SBachet auf, ruft unö bie Stimme
Ser SEBächter fehr hoch auf ber 3tnne,
2Sach auf bu Stabt IJerufalem!
Mitternacht beißt tiefe Stunbe,
Sie rufen all mit hellem SOtunbc:
23o fewb ihr !lugen Jungfrauen?
2Bolauf, ber S3räutgam fommt!
Steht auf, bie Rampen nehmt !
£aUeluja !
S&iacbt euch bereit ju ber ^odijett,
3hr muffet ihm entgegen gehn!
Das iiieb ift uon Sr. Philipp Nicolai, unb fleht im Anhange einer üon ihm 1599 erfd)ienenen Schrift,
beren Sitel mir unabgefurjt hier folgen laffen, meil er über ihren Inhalt jugleich, bie uoUftänbigjte Siech en-
febaft giebt. @r lautet: greroten Spiegel teß emigen Sehens, tas ijt: ©rünttlicfye S5efd)reibung teß
berrlicben Sßcfens im eroigen ßeben, fampt allen beffelbigen Sigenfchaften »nb 3ufianben, auß ©ottes SSBort
richtig vmb verftanttlicb eingeführt: "tfucr; fernere, molbegrüntete '2£njeig ont ©rfldrung, mas es allbereit
für tem jüngfte'n Sage für feböne mit herrliche Gelegenheit habe mit ben außermebjten Seelen im bimmlü
fehen ftoabtej). Hillen betrübten CJbriften, fo in tiefem Sammertljal tas Grient auf mancherlei Söege bamen
müffen, $u feeligcm unb lebenbigem SBtofi jufammengefaffet burch Pliilippum Nicolai, ber benligen Schrift
Soctor, Dnb Liener am Söort ©ottes ju Hamburg, (©ebrueft ju granffurtb am SDiapn, burch (Srafmum
Äempffcr, 3n Verlegung Johannis Jacobi Porsii.) Ser mir »orliegente "tfbbrucf führt bie Sabril
1617, er ift aber ohne 3rocifcl eine überall unoeranterte SBietcrauflage tes früheren oon 1599, ba nichts
barin auf3ufäee metcr tesS>erfaffcrs noch, Herausgebers beutet. Sie 33orrete unb 3ueignung, unterzeichnet
Unna am lOten tfuguft 1598, unb gcridnet an JBürgermeifter, Siatb unb3mölfen ber löblichen Statt Soeft,
giebt über tie ©ntftcbung unt ten 3me<f tes 33ucbcs SJecbenfcbaft. Ser SSerfaffer febrieb fte im %at>xc
1597, als in Unna, mo er bamals Gjccleft'aft mar, eine furchtbare Seuche mütbete, unb nachher über einen
großen Sheil üöeftpbalens unb ber umliegenben 2antfchaftcn ftcb verbreitete. Unferes Siebes, unb ber trei
anteren, tie ihm gefeilt ftnt, mirt tarin jmar nicht austrüeftieb getacht, allein ta ter SSorrebner in ihnen
tichtent tarftellte, mas er in tem SSuche felbft trbftcnb lehrt, fo werben mir terfelben gern eine furje 2fuf-
merffamfeit fchenfen, ^urnabl fte ein 3eugniß ablegt von bem frommen Sinne ter 3eit, in ber fte gefcbrie=
t. SBimtrfclt, cer evrniQf!. G&eralgtfang. 54
426
ben würbe. .Spören wir ben SScrfaffer, fo viel möglich, mit feinen eigenen SBorten. >,3n folgern Sammer
unb (Stent* (fagt er) als eS f)ie ju Unna in allen ©äffen rumorte, unb oftmals etliche Sage an einanber
über bie jwanjig, nun wer, fiebert, acht, ober neun unb jwanjig, unb bis in bie breiig Sobten, nit weit
von meiner 2Bobnung, auf ben Ätrdbbof, unter bie (Erben »erfebarrt worben, l)ab' id? mit SobeS ©eban-
fen mich immer fd) lagen muffen, unb mar mir, nit einmal)!, ju 9Kutf) wie bem Äonig .Spißfia, ba er
fpracb : iftun muß id) nit mehr feiert ben Spdrxn, ja, ben ^)@rrn im ßanb ber Sebenbigen, meine 3eit ift
babin, unb von mir aufgeräumet, wie eines ^irten .Spürte, unb reife mein geben ab, wie ein SBeber,
3cfaiä 38. — (5S überfiel bie $)efte mit ihrem ©türm unb SBütben bie ©tabt rote ein unverfebnlicber
SjMafjregen unb Ungewitter, ließ balb fein .SpauS unbefebäbiget, brach, enblicb aud) ju meiner SBobnung
hinein, unb gingen bie 2eute mcificS SfyeiteS mit »erjagtem ©emütb unb erfebrodenem .Sperren, als erftar-
ret, unb balb tob, einher, baß einer hatte mögen bieber sieben, waS 9JlofeS febreibet (Deuteron: 28) mit
nacbfolgenben SBorten : Der .Sperr wirb bir ein bebenb .Sperf.5 geben, unb verfd)mad)te 2lugen unb verborrete
©eele, baß bein 2eben wirb für bir fd)weben. 9cacbt unb Sage wirft bu bid) fürchten, unb beineS Sebent
nit fieber fepn; beS Borgens wirft bu fagen: %<S), baß ich 2lbenb erleben mbd)te; beS "tfbenbS wirft
bu fagen, ach baß id) ben borgen erleben mochte, für furcht beineS ^>erjen6, bie bid) fd}reden wirb, unb
für bem, baS bu mit beinen 3lugcn fel)en mirji. — 3u ßübef, Hamburg, Süneburg, .SpilbeSbcim, ©ottin-
gen ic, teSgleicbcn in SJtieber^effen, unb in ber ©raffd)aft Söalbed, meinem lieben S3aterlanbe, ju ßor=
bach, SSilbungcn unb SJiengertcbbaufen, fehlet eS aud) nicht. Unb waS einer an folchen £>rten, bin unb
wieber, von bekannten Sreunben hatte, bavon hbret er faft nichts, benn von ihren Äranfbeiten, unb tbbli=
ehern 2lbfcbieb von biefem ßcben. Smnaaßen benn aud) mir eitel traurige Seitungen unb traurige SSotfchaft
ju Sbren tarnen von etlichen meinen @d)roejrevn, SBlutSfreunbcn unb Schwägern, burd) bie 9)efk erwürget
unb hingeriffen, welcbeS nur meine SBefümmerniß vermehrte, unb fo viel weitläufiger "itnlaß gab, all mein
Datum, £er$ unb ©ebanfen, oon ber 2Belt abjuwenben. — Da mar mir nichts füßereS, nichts lieberS unb
angenebmerS, als bie ^Betrachtung beS eblen, hohen 3lrtifelS vom emigen Seben, burd) ßbriftuS 5ßtut
erworben. Siefs benfelben SagS unb Nachts in meinem «Spcrjen mallen, unb burd)forfd)te bie ©ebrift, maS
ft'e bievon jeugete, lafe auch beS alten ßehrevS ©. 2luguftini lieblid)e Sractätlein, barin er bieS hohe ©ebeim=
niß als ein Scüßlein aufbeißet, unb ben wunberfüßen Äern l)erauSlanget. 35rad)te barnad) meine medita-
tiones, von Sage ju Sage, in bie geber, befanb mich, ©ottlob, barbei febr mohl, von .Sperjen getrofi,
frbblid) im ©eijt, unb wobl jufrieben, gab meinem scripto ben tarnen unb Sitel eines greubenföiegelS,
unb nähme für, benfelben «erfaßten greubenfviegcl (ba mid) ©Ott von biefer SÖSelt abforbern mürbe) als ein
3eugniß meines frieblid)en, frbblicbm unb d)rififeeligen 3lbfd)iebeS ju binterlaffcn, ober aber, ba er mid)
gefunb fparete, anbern notbleibenbcn Gbriften (meieren er bie ^Deft aud) ju Jg)auS fenben mürbe) auS chriji=
lieber, fchulbiger Siebe bamit ju bienen, unb gleid) als mit gegenwärtigem Srojl beijuwol)ncn. — 9hm
hat mich ber gnäbige, fromme ©ott, mitten unter ben (Sterbenben, für ber graufamen SOcjt allcrgnäbigft
bewahrt, unb mein geben, über alle meine ©ebanfen unb £ofnung, wunberbarlid) gefrifiet, baß id) mit
bem Propheten Davib ju ihm fagen fann : SEBie groß ift beine ©üte, bie bu verborgen haft benen, bie bid)
fürchten ! Sperr, bu haft meine «Seele auS ber Rollen geführet, bu baft mid) lebenbig behalten, ba bie in
bie £blle fuhren. Sb* ^eiligen, tobfinget bem ^>errn, banfet, unb »reifet feine £errlid)feit. Denn fein
3orn währet einen Tlugenblirf, unb er bat ßuji jum ßeben. Den 2£benb lang währet baS 2ßeinen, aber
beö Borgens bie greube ; bu haft mir meine Älage verwanbelt in einen Steigen, bu baft meinen ©ad auS=
427
gejogen, unb mid) mit greuben gegürtet. ($f. 30. 31.)" £>a nun unferem £>id)ter fo große ©nabe
gefcfyeben war, unb er fid) fragt, wie er bem £erm feine SBobttbat »ergelten folle, bie er an if)tn getban,
bietet ftd? ifmt oon felbfi bie Antwort, wie ber ^falmtjr fie giebt auf eine gleite grage: ,,Jd) will ben beil=
famen Äeld) nehmen, unb bcS £erm Flamen prebigen." ©o bringt er benn feinen ©bnnem feine ©eban=
fen bar com eroigen geben, „baß fte unb alle gottfeelige SSürger unb Bürgerinnen, wlaffene Stßittroen
unb SBaifcn, traurige unb befümmerte ^»erjen, fo iljrer naben greunbfcbaft in wäbrenben 9)eftilenjläuften
burd) ben jcitlid)en SEob auf biefer 2öelt beraubt ftnb worben, ftd) bierin ergoßen, ben feeligen, freubenreU
d)en 3ujtartb aller 2lus>erwäl)lten bei unferm lieben ©ott in feinem 9?eid) beS ©d)auen3 barauS »ernebmen,
ftd) beffen trbjten, unb bal;er aud) all' if>re ©ebanfen oon ber Söelt ab, ju ©ott im Gimmel, unb nach,
bem eroigen SSaterlanb bjnroenben mögen." 2lu3 einer foldjen ©inneS* unb ©efüblSwcife, wie unfer 2Md)=
ter in ben mitgetl)eilten Söortcn fte barlegt, unb wie fte wäbrenb einer fo fdjvoeren Prüfung ftd) entroicfeln
mußte, ftnb aud) bie gieber (jeroorgegangen, bie er feinem SBerfe angehängt l)at. £>er ©ebanfe, baß ber
näcbfte 'tfugenblicf, roenn aud) ntdjt unmittelbar ber lefjte, bod) berjenige fepn fonne, ber ben 2BebrIofen
ber SOiad)t ber furchtbaren ©eucbe übertiefere, bie in fuvjer grift fein irbifd)e3 £)afet)n oernicbte, unb tt>n
feinem 9fid)ter gegenüberjtelle, leitete ben an ber heiligen ©cbrift ftd) Sröftenben, burd) fte fid) Vorbereiten^
ben, leid)t auf bie ©leid)nißrebe oon ben flugen unb t()brid)ten Jungfrauen ; auf bie Scotbwenbigfeit, ftd)
ftetS bereit unb gerüftet ju galten, roenn bie abrufenbe ©timme un»erfef)en§ ertöne. SBenn er aber babei
nun bie .Kraft be§ eroigen Söorteä an ftd) empfanb, roenn er bei ftd) erwog, baß jene (Stimme, eben aud)
jener ©(eidjnißrebe jufolge, tljn nid)t abrufe auS einem bellen, bewußten Safepn, $u einem büjiern, bäm--
mernben, fonbern ju einem erbosten, einem wabren unb ewigen geben : fo fabe er aud) nid)t ferner mit
beforglid)er 2lngjt, fonbern felbfi mit freubiger ©el)nfud)t tf>r entgegen, unb baS ©cpräge einer folcben, bie
nun tt>r 3iel gefunben, trägt aud) unfer gieb, bae> ber 2)id;ter überfd)rieben bat: ,,8Son ber ©timme ju
9Jlittemad)t unb ben flugen Jungfrauen, bie ibrem bimmlifdjcn Bräutigam begegnen. (SDlattb. 25.)" @S
ift nid)t o()ne Bebeutung, baß bie 9)2clobie ber erften 3etle beffelben ber Intonation be§ gobgefangeS ber
heiligen Jungfrau nach bem fünften Jttrd)entone übereinjtimmt, ja, bie erfte Hälfte berfelben ganj unoeräm
bert barftellt. Gnnem jeben, bem biefe in jener 3eit gegenwärtig war — wie gewiß ben meiften bei fort'
wäbrenber 3lnwenbung jene§ Zb.e'ti§ be3 alten rbmifchen £ird)cngefangc§ — mußte mit bem fräftigen,
majejtätifcben Aufrufe be§ ©efangeä ju ben erften SGBorten be§ giebeS : „SBadbet auf, ruft un3 bie
Stimme," jugleid) ba§ ©efübj be$ eigenen «^erjenS antwortenb wieberflingen in jenen befreunbeten Sbnen :
SJieine ©eele erbebet ben £errn, unb mein ©etjf freuet ftd) ©otteS meines ^)eilanbe§, beffen ©timme mid)
nunmebr ruft ju feiner greube. (Sben biefer 3ug, ber bem greunbe unb Jlenner be§ ^eiligen ©efangeS
nid)t leid)t entgeben fann, unb ber »on bem innigften 3ufammenbange jeugt jwifdjen bem Siebe unb feiner
SBeife, begrünbet bie Vermutbung, baß biefe le^te wol)t bem S)id)ter angeboren werbe, mag er aud) ber
£ülfe eine§ befreunbeten SSonfünftlerS ju ibrer 2lufjeid)nung ftd) beiimt baben ; benn faum anberS al§ auä
feiner, oon i()m felbfi befd)riebenen ©timmung, unb unmittelbar mit bem giebe felbjt, wirb ein foldjer
3ug entftanben fepn. (Sine au§ bem SSotBgefange jlammenbe SBeife baben wir gewißtid) bier nicht nor
klugen, wenn wir e3 aud) bcebalb oermutben mbd)ten, weil ber Didbter bie beiben anbern, bem unfern
ooranftebenben unb nacbfolgenben gieber, weltltcben 50telobiecn angepaßt bat. ©anj ju gcfcbweigen, baß
bie ©tropbe bes unferen mit ibm überbaupt jum erfien SDtable crfd)eint, unb namentlid) bem SSotfSgefange
bis babin burd)auS fremb war, fo fireitet gegen bie (Sntlebnung feiner ©ingweife auS bemfelben fd)on beren
54*
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fo augenfcheinlidbe ©rünbung auf ben alten £ird)engefang, Deren (innige Hxt auf -ben Dichter felbfl alS
Urheber bcr Sftclobic beutet. Sie mag bann wol)l unter ben #änben beg Sacob ^)rdtoriuö, »on mU
tyem wir ben erfien »ierftimmigen £onfa£ berfelben in bcm Hamburger SKelobieenbuche »on 1G04
(9tro. 80) heften, bie ©eftalt gewonnen haben, in bcr ft'e gegenwärtig in ber e»angelifd)en Ätrct^e üblich,
ift. 9Kit il)rem fcfilid) prächtigen S3eginn ftcl)t alles* golgenbe in innigftem (Stnflange, e3 entroicfelt ftch auö
ihm auf bie ungejwungenfte 2Beife, in lebenbigcr ©licberung, fo baf, bid>tertfd> unb tontunfUertfd) bctrach^
tet, bie SJJelobie als? ein »ollf'ommcneS ©anje erfd)cint, unb wir aud) in bem entlehnten Sbeile berfelben
nur SSeranlaffung ft'nbcn rönnen, ihren Urheber ju greifen.
©in jwcitcS Sieb Philipp ^kolafS, baS mit feiner ©ingweife ebenfalls noch, unter uns fortlebt,
ift übcrfcbricben : (Sin gciftlid) SBrautlicb bcr gläubigen ©celen »on Sefu 6l)rifto, ihrem l)immlifd)en S3räu=
tigam, gcffcllet über &cn 45ften $>falm be3 $)ro»l)eten DaoibS. @§ geht bem eben besprochenen »oran, unb
ift in gleichem ©mite gebietet. £tcr »reifet ber Did)ter bie Sieblichr'eit, grcunbltcfyf'eit, £errlid)feit bee bimnv
lifchen SSräutigamS ber ©ecle, beffen abrufenbe ©timme in bem nad)folgenben er mit Jamben »ernimmt :
2Bie fchon lcud)t' un$ ber Sttorgenftern
SSoU @nab unb 2BaJ;rt)ett »on bem £errn,
Die füfjc SSBurjel Scffe!
Du ©ol)n Da»ib§ au§ 3acob3 ©tamm,
SKein Äbnig unb mein ^Bräutigam,
$aft mir mein ^)erj befeffen !
Sieblich,, freunblid), fd)bn unb l)errlid),
©rof? unb ehrlich, reich an ©aben,
£ocb unb fel)r prächtig ergaben.
SBir fahren bereite; früher, als wir une> mit Umbidjtungcn weltlicher Sieber in gciftlid)e, unb mit bem ©ntlcl):
nen »olfemäfjiger ©ingweifen für fird)lid)en ©ebraud) bcfd)äfttgtcn, bafj bicfeS Sieb auf einem SiebcSge=
fange jener 3eit beruhe, unb mit beffen ©trophe aud) feine SKelobie entlehnt h^e. Der Zon ber @nt=
-,ürtung, ber in ihm »orberrfd)t, unb ber, mel)r noch, »ielleid)t im ©inne be§ lwl)en SicbcS, alö be3 in SSejug
genommenen 45ftcn ^)falm§, bie ©d)meid)elwortc trbtfd)cr Siebe anwenbet auf ben ©rlbfcr, wirb in ihm
vielleicht am ©d)luffe bc§ 3flf)rr;unbertg jum erften Stahle in biefer 'ilxt »ernommen, unb ift in bem
folgenben ntd>t ohne reichen 9cad)flang geblieben. 3« jener Seit ber S£rübfal unb bc£ ju jeber ©tunbe
brohenben, fchmerjwollcn SobcS, in ber biefcö Sieb entftanb, einer 3eit, wo bieäkrgänglichr'cit bcö 3rbifcben
auf bie herbfte SSBeife fict> geltenb mad)te, unb wo, wenn leichtfertig unb frech ©efinnte jene ©üter unb
©enüffe in aller ^)aft nod) fiel) anzueignen fuchten, um ben flüd)tigcn 'tfugenblid ju erhafchen, ernfte unb
fromme ©emüther bagegen auf bie ewigen ©üter ihren 33lid richteten, um un»ergänglid)e ©chäfec p fam=
mein als Nahrung unb Sroft ber ©eele; in einer folchen 3eit lag e3 nal;e, bag SBeltlichc umjuwanbcln in
ba§ ©eiftliche, um feiner »erführenben 9)iad)t fid) ju entgehen, unb bie ganje ©luth, mit ber baö Svbifche
in feiner fchbnftcn (!rfd)einung erfaßt worben, überjutragen auf ba§ ©wige, um bejto fefter in ihm ju wur-
zln. TOerbingö in biefem gaUe ein gefährlicher äkrfuch, wie aud) an bem S5eifüiele unfereö Siebeö fid)
gezeigt hat. (5ö ift,.fagt ©chameliuö in feinem eoangelifd)en Sieber=ßommcntariuö (£1). ©• 428)'
wegen feiner herrlichen SDiaterie unb lieblichen 9ftelobie fehr gebräuchlich bei unö, man fingetö unb f»ielet6
in ber Äird)e, baheim auf ber SBerfftatt, man läfjt cö »on hohen Stürmen unb ©»ifjcn ben SEobten nad)=
429
fpielen, braucbetä in grcub unb Üeib. ©chabe nur, bafj cö unuerftänbiger 2ßeifc oft übel gebeutet wirb, fo
bap eö beSbalb auf ^oebjeiten ju fingen »erboten morben. — Grben jeneä »erjücfte SicbeSfcbmärmen, ba3 in
ihm fx'ct) auSfpricbt, ueranlafjte jene üblen ©Ortungen ; e€ braute ben flcifd)lich ©eftnnten entmeber feinen
Urfprung roieber in ba§ ©ebaebtniß, ober vermittelte bod? ein fred)e§ 33erjUnbni§, unb e3 trat an bie ©teile
ber Crrbauung Hn]io$, bem bie Äircbe mehren mußte, roenn fte auch fonfi ba§ Sieb, al§ ein fo allgemein
beliebtes, gern beibehielt. SSielleicbt bat aud) ber Sidjter fclbft abficbtlicb üermieben, an beffen Urfprung ju
erinnern, um nid)t ju @ntmeibungen 2(nlafi ju geben, unb beStjatb lieber bie SKelobie in ©ingjeieben neben
feine UmbidHung fe^en, als tiefe bureb aSe^ugnabme auf ba$ urfprünglicbe Sieb unb feine ©tngmeife au3=
brücflid) <ÜS folebe bezeichnen mollen. Senn bei bem britten feiner Sieber, ba3 auf bie jmei fo eben befprod)enen
folgt, hat er jenes unbebenflid) getban, roeil hier ein SQZißbraud? nid)t leicht ju beforgen mar. @$ ift
überfebrieben : ,,Ser SBelt '•tfbbanf für eine bimmelburftige ©eele. ©eflellt über ben 24jten (42?; 9>falni
Sa»ib3, im SEbon: ©o münbfcb ich ihr ein gute üftaebt." Sie hier angebeutete ©ingmeife finben mir im
erflen Sbeile uon ©eorg gorfterS frifeben Siebtem (iftro. 130) mit ihrem Siebe, unb mit einer Umbicbtung
beffelben auch am ©ebluffe »on SSalentin Frillers geiftlicbem ©ingebuche ; nur ift e3 auffallenb, baf bie,
beiben angeborige ©tropbe um jmei Seilen länger ift. Senn lautet 9ltcolat'§ geiftlicheS Sieb :
©o münfeb ich nun ein' gute 9lacbt
Ser SBclt, unb laß fte fahren,
£)b fte mir gleich *>tel SammerS macht,
©ott wirb mich wobl bemabren,
3cb meint' bie SBelt mar' eitel ©elb,
SSeft'nb' e3 nun piel anberS;
fo heißt eö in bem urfprünglicben, mettlichen Siebe :
©o münfeb ich ihr ein' gute 9cacbt
3u bunberttaufenb ©tunben,
©o ich ihr Sieb' erft recht betracht,
3ft all mein Seib perfebmunben,
SBenn ich fte feb, erfreut fte mich,
«£>at mir mein ^)erj befeffen.
Srumb id) in meinem .Iperjen brenn
Unb fann ihr nicht »ergeffen.
£>iefe tfbroeiebung bei fonftigem Übereinjtimmen be§ 9Kaaße§ mag juerfi SSeranlaffung gegeben haben, bie
legten Seilen jeber ©tropbe bej> 9ttcolaifcben Siebes? JU mieberholen, um fte ber SJJelobie anzupaffen, bann
aber eine neue bafür ju erfinben, mit ber mir baö Sieb in greitingSbaufenä ©efangbuche ftnben (1741.
sJlro. 876. ©eite 580), unb bureb roetche »oUenbei jeber ^frtflang an feinen Urfprung, ben fein Inhalt obne--
bieö nicht aufruft, »erfebminben mußte.
3u ben gegen ba§ (Snbe bes> 16ten SabrbunbertS entjknbenen geijUtcben ©ingmeifen gehört auch
bie be§ £>fterliebe§ :
Sgeut triumphiret ©otte§ ©ohn,
25er je^unb ijt erjtanben fd)on,
mieluja, mieluja!
430
9Kit großer bracht unb Jg>errltct)fett,
2)eß banfen wir in ©roigfeit,
^alleluja, 4?afleluja!
©cbameliuS (Langel. Sieber=(5ommentariuS, I. 9cro. 124. pag. 196) fcbeint geneigt, baS 3af)r 1594 ober
ood) 1596 aß baS ibreS (5ntjler)enS anzunehmen, roeil bie Sufcbrift ber oon bem Gantor SUSI, gricbrid)
S3ieB ju ©rimma (roenn auch, erjt 1604) herausgegebenen 4?9mnen, in benen baS Sieb jtebt, jene erjle
3abr$abl trage, tiefer ©runb würbe jebod? eben (o roenig entfd)eiben, aß ber, baß bie Sueignung ber
£armoniccn geiftlid)er ©efänge oon ©erb, ßabiftuS, roelcbe ebenfalls baS Sieb unb eine fecbSjtimmige
Bearbeitung feiner SJWobie mitteilen, bie 3af)rjal)l 1596 enthält; benn in ber frübejten 'tfuSgabe biefeS
SieberbucbeS von 1597 ijt SBeibeS noch nicht ju ftnben, fonbern erjt in einer fpäteren »on 1622 (9lro. 130),
con roo 33eibeS untteränbert in Sof). ^ermann ©cbetnS ßantional (1627, 9cro. 54) übergegangen ijt. 2Bie
bienacb, Sieb unb SKelobie eine 3ugabe ft'nb ju ben fpäteren Ausgaben ber ©efange beS ©erb. GialüifiuS, fo
(bnneri bcibe eben fovoobl bem SBerfe beS ermähnten 33iefS b,injugefommen fewn bei einer erneuten Auflage.
Jtm frübejtcn, fo viel ich tjabe ft'nbeit fonnen, erfcbeintSSeibeS um 1601 in ben üier= unb fünfftimmigen getjtlü
eben Siebern beS Bartholomäus ©ejtuS (Blatt 41) mit ber Überfdjrift : ein neu Sfterlieb ; beSbalb 9Rcmd) e
auch biefem Sonfe^er, ben roir aß 3Md)ter fonft nicht roeiter fennen, BeibeS §ufd)retben wollen. Mein er
felber hat an bem ermähnten Orte roeber aß Siebter noch ©dnger ftd? genannt, unb eben fo roenig bejeid)--
nen u)n GatwfmS unb ©d)ein, 9Kid)ael «PrätoriuS (M. S. VI. 1609. 9lro. 142), noch, baS ©otbaifdje
ßanttonal (3Jr)« I. 1646. 9cro. 63) aß folgen : bie (erstgenannte ©ammlung nennt ©d)ein, aber als Son=
fefcer, roeil fte ben SSonfa^ uon ihm entlehnt bat. 3n bie legten 3af)re beS 16ten SabrbunbertS roerben
aber bennoeb, fo Sieb aß ©ingweife hinaufreichen, auS benfelben ©rünben, bie roir bereits bei bem Siebe:
,,£)u griebcfürjt £err Sefu ßbrift" angeführt haben. £)ie SJZelobie ijt feftlich unb prächtig, roie eS einem
'tfuferjtehungSgefange jiemt: fte beroegt ft'd) burebroeg im breitheiligen Safte, beginnt in ber ionifchen Son-
art, bie im Serlaufe beS ©anjen fich roiebcrbolt mit fräftigem 9cachbrucfe geltenb macht, unb enbet mürbe:
ooll nach einigen 2CuSroeicbungen in baS 'tfolifebe mit einem pbwfcben Sonfcbluffe. ©anj in biefem
©inne bat ©erb. CEafoiftuS*) fte gefaßt in feinem fechSjtimmigen Sonfa^e. S)aS 4?alleluja nach ben erjten
jroei 3eilen läßt er breiftimmig burch bie höheren ©timmen ausführen, in beren flaren SSbnen eS einem
©efange ber (Sngel gleicht; nach bem pbrpgifcben £onfd)luffe, mit bem eS enbet, erflingt ber »olle Gbor in
bem ionifchen Dreiflange um fo mächtiger, ben SiebeSroorten gemäß, unb baS jroeite $alleluja aller ©tim=
men mit bem rücffehrenben, roeitauShallenbcn pt)rpgifd)crt ©chluffe front baS ©anje auf bie roürbigjic
2Beife. 2Bie biefe 9JJelobie felbjt ben bejien beS 16ten 3ahrhunbertS an bie ©eite ju jtellen ijt, fo erfcheint
auch 'b* Sonfafc aß einer ber »orjüglichjten beS ©eth ßafoiftuS.
©leid) biefer SKelobie unb ihrem Siebe pflegen noch jroei anbere, mit eben fo roenig ©runb, bem
Bartholomäus ©eftuS jugefebrieben ju roerben. 25aS eine ijt eine 9cachbichtung beS SobgefangeS ber
beiligen Sungfrau ;
SHein ©eef, o £err, muß loben biet),
2)u bift mein £eil, beß freu' ich mich,
') 0, beifen 2onfa£ ber 25?cIobie biefeß Cicface 9cto. 58 bet aStifpielfammluna.
431
©afj bu nid)t fragji nad) welttid)' ^ract>t,
Unb fjaft mid) 2£rme(n) nid)t »erad)t;
Unb angefebn mein' ÜJltebrigfett,
S3on nun an wirb bann weit unb breit
9Jiid) feiig greifen jebermann,
23u {jafl grofi 25ing' an mir getban.
25a3 Sieb unb ein merfiimmiger Sonfafj feiner 9JMobie ftnben ftd) allerbingS in bem 1605 erfd)tenenen
^weiten Steile ber geijitidjen Sieber biefeS 9KeijicrS (SSI. 125)*), t>on wo fte tt>ot>I in ben fünften SSfjetl
ber <2ionifd)en SJiufen beS 9Jlid)ael ^PrdtoriuS (9lro. 61) übergegangen ftnb ; allein an beiben £)rten bejeugt
feine SSemerfung bie Urbeberfdjaft beS ©eftu§, unb nur bieg erjte SSorfommen in feinem 2Berfe fönnte für
tyn entfebeiben. £>a$ 3eugnij3 beS ©otbaifcfyen CEantionalS (£b- I- 1646. 9tro. 116) ift won feinem
©ewid)t, benn eS nennt ©eftuS offenbar nur als Sonfe^er, unb biefe feine (§igenfd)aft iji nid)t ju be^wei=
fein, weit ber bort mitgetbeilte £onfa£ au§ feinem SBerfe entlebnt ift.
SBirb enblid) mit SSerufung auf bie erwdbnten SBerfe bem ©eft'uS aud) ba§ Sieb : ,,2Senb' ab
beinen 3orn, großer ©Ott in ©naben" unb feine SJMobie beigemeffen, fo fann bieS nur burd) eine 23er-
wed)3lung gefebeben fetm, ba beibe roeber baS eine nod) bie anbere enthalten.
3weifeu)aft ift eS, ob Sieb unb 9Ketobie :
2ld) ©ott unb Jperr, wie grofi unb fdjwer
©inb mein' begangne ©ünben !
25a iji niemanb, ber Reifert fann,
Auf biefer SBelt ju ftnben !
ber ^weiten £älfte beS 16ten 3al)rbunbert§ angeboren, ober erft in ber früberen beS folgenben entjiam
ben finb. SBenn wir ber ©ingweife biefeS StebeS i)kx fo ganj im Allgemeinen gebenfen, fo iji ju bemerfen,
bafj bamit jene b o r t f d) e gemeint iji, weld)e am aUgemeinjien in ber Äirdje Eingang gefunben bat, unb
bie, t»on ber £>beroctaüe beö ©runbflangee» ibrer Sonart erft fdjrittweife ju beffen Sberquinte fyexab, unb
bann eben fo tion bort wieberum ju bem beginnenben Sone binaufjieigt. 2Mefe wollen (Sinige fd)on aus
bem Äircbengcfange ber bbf)tntfd)en SSrüber ableiten, unb behaupten breiji, fte finbe ftd) bereits in bem von
SKidjaet SBeijfe um 1531 berauSgegebenen Santional. 3d) fann, nad) genauer gorfd)ung, t>erftd)ern, bafi
weber biefeS, nod) bie burd) 3ol)ann 4?om fpdter überfebene unb t>ermef)rte Aufgabe beffelben, noeb enblid)
bie üoUjidnbtgen, um 1566 bem Äaifer 9Jiartmilian bem 3weiten überreizten Äird)engefdnge ber S3rüber
ein Sieb entbalten, beffen ©tropbenbau bem be§ angegebenen glid)e, ober baS aud) nur gleiche Anfangt
worte mit ü)tn bdtte, unb bafj eben fo feine SÖMobie barin ju ftnben iji, bie mit ber feinigen übereinfäme.
ߧ iji nid)t abjufefyen, wober biefe Meinung rübren fönne, ba ibr aud) nid)t eine einige S£batfad)e, nod)
ein erbeblidjeS 3eugnij? jur Seite jiebt. Anbere feljen ben Urfprung be§ Siebes tief hinein in baS 17te
Sabrbunbert: fte nennen al§ feinen Urbeber Sobann ©ölbel, ber um baS Sabr 1685 als Pfarrer ju X>im--
jidbt an ber 3lm bei SSeimar fiarb. ginbet ftd) aber fd)on um 1627, nad) @d)ameliuS 3eugniffe**), eine
•) ©. 9iro. 94.
") ©oangel. 2tcber=(Sommcntartu6 9lro. 165. ©. 280. St). I.
432
tatcinifcbc Überfefcung unfereö Ütcbefv unb läßt fxd> barauS fchtießen, baß eS bartialö minbeftenö einige
3abre febon befannt unb beliebt gewefen fewn muffe, fo werben wir baburd) entweber genötigt anzunehmen,
baß ber Siebter in ben erffen Sauren be§ 3abrl)imbert§ geboren fe», unb ein fefjr I)obe§ 2Clter erreicht f>abe,
ober gelangen ju ber Überzeugung, baß er überhaupt nidjt beffen Urheber fevn tonne, weil baS (gntftetjen
beffelben in feine frübeften Ätnberjahre fallen müßte, ©laubbafter ift bagegen bie Meinung derjenigen, bie
tä fem SDlartin SRutUtuS jufd)reiben, ber um 1550 geboren, feit 1586 basi %mt eines 2l"rd)ibiaconu3 ju
Sßeimar befleibcte, wo er um 1618 ftarb. 2lucb wirb fie burd) eine aufgefttnbene #anbfcbrift unfereS 2ie=
be$ noeb untcrßüljt, welche mit bem 29ßcn 5Diai 1604 bezeichnet fetjn, unb bie Angabe enthalten foll, baß
JKutiliuS es felbft gefertigt unb eigenbänbig gefebrieben habe, ©ine ©pur fcineS 33orl)anbenfe»n§ lagt
außerbem bi£ jum %av)xe 1607 ft'd) jurüeffübren. Gürbarb, in feinem #armonifd)en &>ox- unb gigural=
gcfangbudic (1659) bringt uns baS Sieb mit einer vierßimmtg gefefjten SDMobie von 3ob<*nn Seep,
einem SEonfefeet au§ ben legten Saferen bc§ 16tcn unb ben erften be3 17ten 3al)rf)unbert§ ; eine SOfclobic,
roelcbe wol)l au§ beffen, um 1607 ju Dürnberg gebrueften gcißltcben ^Pfalmen unb Äird}engefängen entlehnt
femi tonnte, »aS bei mangelnbcr eigener 2lnfid)t btefeS ä3ucbe£ mit voller ©emißbeit nicht verfiebert werben
fann. Sicfc SDielobic iß jebod) nid)t bie zuvor bezeichnete au§ ber b orifd) en Sonart, fonbern ftc get)ört
ber pbrpgifdicn an, unb bat fid), foutel idb ft'nben fonnen, nicht weiter verbreitet. 3cne erfte begegnet
un? am frübeßen um 1627, in Johann ^ermann ©djeinS ßantionat, nur baß fie in C mit ber fleinen
in; gefefet ift. 3" D erfdicint ftc um 1638 bei Sobann ©tobäus? (ben mir fväter werben fennen lernen)
;m einem fünfßtmmigen 33cgräbnißgefange, bem jebod) nid)t ihr urfprünglid)c§ Sieb, fonbern ein ©elegen=
beit^gebidit unterliegt. 'Mein aud) jenes- bat berfelbe SCJZetfter, in eben bem %ät)xt, ju einem gleid)en 3wecfe
gclegcntlid) benutzt, unb baju eine neue ©ingwetfe (aue> ber verfemt n borifchen Sonart) erfunben,
bie er ebenfalls fünfßimmig gefefct bat. ©lcid)jeitig mit ©c!bein§ ßanttonal ft'nben wir bas Sieb in 9)ield)ior
fixanU SRufifaltfcfyem 9?ofengärtlein (Coburg 16§f), wieberum mit einer neuen ©ingweife, au§ ber ioni=
fcbenSonart, fünfßimmig gefegt. £>on biefen vier SJiclobieen bat jebod) nur bie borifebe allgemeineren
Eingang gefunben: wir treffen fie in bem zweiten Steile be§ ©otbaifeben ßantionalS (1655. 9cro. Hl),
in bem Erfurter ©efangbudje ( 1(563. ©. 322) unb fo fort, bi£ gegen bas Grnbe be§ 3al)rl)unberts. SSKag
fie nun aud) nid)t bie urfprüngli'-be gewefen fevn, worüber nicht ju entfd)eibcn ift, fo bat fie bod) gcroiß ben
Zon bes Siebes am beften getroffen, unb besl)alb beS meißeti BriftangS fid) erfreut. #13 eine fünfte 9)Jelo=
bie fonnten wir enblid) bie Umwanblung anfehen, welche ftc fpäterl)tn erful)r. Sn bem Sieipjiger ©cfang=
bud)e von 3ol)ann äSopetiuS ndmlidj (1682), beffen »orjüglicbfte Quelle ©cbeinö ßantionat gewefen ift,
ftebt fie, unter SSeibebaltung aller il)rer mclobifd)en SBenbungen in ber harten SSonart von C; wir roiffen
nid)t, ob abftd)tlid) fo umgebilbet, ober jufdllig, au§ 9)Jif?verjtanb ihrer tfufjeidmung bei ©cbein, wo fie
eben jene SEonbbbe bat, olmc Süorjeicbnung neben ben @d)lüffeln, unb wo bie fleine Serj erft bei jebem
einzelnen SSorfommcn burch ein Sierfetningejeid^en angebeutet wirb. Sem feu nun wie ibm wolle: biefe
Umbilbung bat feitbem faft gleiten SSetfoU geroonnen alö bie urfvrünglid)e 2ßcifc, unb ift von ba an neben
ihr, aud) mobt mit Vu6f$tufi berfelben, in viele (Sl)oralbüd)er übergegangen; fo namentlid) in greiling§=
baufenö ©efangbud) (1741. SSlxo. 599. p. 392.). d'm eigentbümlichcr SSerfud) Sobann ©ebafiian S3ad)?,
ihr, felbft in biefer ©eftalt, burd) bie Harmonie allein, il)r urfvrünglicbeä ©evrdgc wieberjugeben, mirb
^u befvreeben fevn, wenn biefer, aud) auf bem ©ebiete bc§ Äircbengefangeö fo große SEonmcißcr unö näher
befd)äftigen wirb.
433 — -
DaS SScbeutenbfte beSjenigen, wa§ t»ie leiste £älfte beö IGten Sa&t&unbatl Dem SJMobieenfcfyaije
ber eoangeltfdjen .Kirche bereid)ernb $ubrad)te, eS fet> burd) bie (Srftnbung fimfhrtäßtg gebilbeter Sonmeifier,
ober bod) ntd)t of)ne beren 33cil)ülfe, haben wir in ben uorangebenben SBldttern betrachtet. 9lur einem biefer
SJieifter, Johann ßccarb, ftnb wir, jroar nicht gdnjttd) »orübergegangen, benn wir haben bie 5ßorau§fe^ung
aufgehellt unb wrtbetbigt, er fonne ju jwei getftlichen ßiebern tt;re in ber eoangelifchen .ftirdje gebräuchlichen
SKelobieen erfunben haben; boch ftnb wir ihm fünft nicht naher getreten. 2Bir unterließen biefcS aber mit
tfbftcht; benn feine bi§b> nicht genugfam gewürbigte SBebcutfamfeit erheifcht eine au§fü^rlid;ere, in ftd>
gerunbete unb gcfd)loffene £)arftellung fetneS SBirfenS. 2H§ ©änger neuer itird)enweifen hatten wir
hier »on ihm 5U reben gehabt; wir befchränften un3 barauf, nur in foweit twn ihm ju hanbeln, al§ wir
ihn mit SBahrfcheinlichfeit, wenn auch nicht urfunbltd), a£S fotehen rühmen burften. 111$ ©eljer ber
alteren, in ber erften, begeiferten Seit ber Äirchenoerbefferung entftanbenen 9Jlclobieen, hätte feiner ba
gebacht werben muffen, wo wir bie Sonfünjtter befprad)en, bie auf folche SBeife um ben euangcltfd)en Äir=
chengefang fid) »erbient machten. 3n jeber biefer beiben Sigenfchaften ift fein SBirfen aber »on eigenthüm^
licher S3ebeutung. @r ift wichtig al§ ©änger in boppelter 33ejiehung, inbem er neben bemjenigen, wa§
er baburch war für ben ©emeinegefang, auch einen lebenbigeren 3ufammenf)ang beffetben begrünbete
mit bem Äunftgefange; aB ©e£er jeigt er fid) in ganj neuem ©tnnc, ttbllig anberS aB bie efjren=
roerthen SJJeifjer, bie wir früher befprachen. Mancherlei gäben fnüpfen fid) an ihn; bie 95ejtrebungen
untergeorbneter SQieifter feiner Seit, bie burd) ihn erft SBebeutung unb SBerth erhalten; gepriefene @rfd)eü
nungen fpäterer Seit, bie fid) auf ihn grünben. Ratten wir feiner nun an fo uerfduebenen Srten gebenfen
wollen, fo würbe au§ einer jerfplitterten iSarfiellung biefer "Kxt ein reines S5ilb eine§ fo begabten unb ein=
Ausreichen SDZanneS nicht haben hervorgehen fönnen, wie wir c3 bod) ju geben wünfd)en. ©elingt un3 nun,
baffelbe anfd)aulid) ^irijujcic^rten, fo erreichen wir bamit wohl, wa3 wir an biefem £)rte nod) nicht »er*
mochten : bie SBirffamfeit ber fpäteren ^älfte be3 löten Sal)fl)unbertä auf bem ©ebiete bc§ e»ange=
üfchen Äirchengefangeä in einem ©efammtbilbe üor ba3 2£uge ju bringen.
Zed>\tcv ^bfcfmttt«
3of)auneg (Sccarb.
Über ba§ geben be§ oorjüglid)en SOfamneS, beffen tarnen wir biefen SSldttern t-oranftellen, mangelt
un§ eine Sfeihe jufammenhängenber 9cad)rtd)ten, wenn wir aud) über ßintgcS in bemfelben urfunblid)e
SSelege aufjujeigen im ©tanbe ftnb. 2Bae> wir beft^en, iji hinreichenb, einen allgemeinen, leichten Umriß
feiner 2eben§ereigniffe, ber äußeren ©infaffung feiner geifttgen Ähätigfeit, ju gewähren; genügenb freilich
nicht für ben, ber eine ihm werth geworbene ©eftalt in allen, aud) ihren fleinften ^Beziehungen, aufjufaffen
wünfd)t. Söir »erfud)en, wo e3 thunlid) ift, burd) Skrfnüpfung unb 3ufammenftellung bc3 gefd)id)tlid)
©ewiffen in ben SSericfjten über t'hn, aud) bem nur allgemein unb fchwanfenb une> Überlieferten größere
S3eftimmtheit unb .Klarheit ju geben.
5 Planne© ©ccarb würbe im Saht* 1553 in ber thüringifchen 9feid)3ftabt 9JZüb>
häufen an ber Unftrut geboren. 2Btr würben weber fein ©eburt3jaf)r fennen, nod) ba3 feines ^ttu
0. SBüitttfetb, itr esangtL (S^cralgcfang. 55
434
f$dbm§, befafen mir nicht fein SBilbniß als 3terbe eines fetner Sonwerfe, baS 31 Sabre nach feinem
Sobc wietcr aufgelegt würbe. £>iefeS 33ilb würbe, wabrfcbetnlid) nach einem vorbanbenen ©emälbe, bureb
3obann Jperrmann geftodjen, unb feine Unterfcbrift bejeugt unä, baß unfer SJccifter im %dt)xe 1553 geboren,
mit- 1611 ferfdueben fe». Über ben Sag feiner ©eburt, ben ©tanb unb bie SSerfjdltntffe feiner (Altern,
finb wir nid)t unterrichtet. Öftere S5ränbe in feiner SSaterftabt mäbrenb beS 17ten unb 18ten SabrbunbertS
haben .Sircbenbüd)cr unb anbere Urfunben jerftbrt, aus benen 9cäbereS Darüber ju fd^bpfen gewefen roäre.
3m 3abre 1837 lebten ju 9D(üblbaufen noch jwei SDiänner fetneS StamenS, ein ©ärtner unb ein ©erber,
bei benen jeboeb feine Ättnbe über tf>n , noch über tfjve 35lutStterwanbtfd)aft mit ihm ftd) ermatten bat.
SBorauSfeisen tonnen wir jebod;, baß feine (Sltern nidjt ganj unbemittelt gewefen, weil fte im ©tanbe
waren, feine tonfünjtlerifd)e 33ilbung bem berühmten 9iolanb be Sartre, befannter unter bem 9iamen
SrlanbuS 2affuS, ju übertragen, unb itjven ©obn ju biefem 3med nach SJcüncben ju fenben. 2>aß bteS
gefebeben few, erfahren mir gclegentlid) burd) ßccarbS Schüler, Sobann ©tobäuS, unb bureb beffen greunb
unb S>erebrer, ben befannten gcijtlidjen unb weltlichen Siebter, Simon £)ad). 3cner, bie Verausgabe
beS SBerfeS einlcitenb, burd) baS, wie mir ermähnten, feines SKeifterS SStlbniß unS erhalten worben tji,
nennt it>n ,,beS meltberufcncn Orlandi diseipulum;" biefer, nad) ©itte jener Seit ju beS ©d)ülerS unb
£erauSgeberS ßobe bem SBerfe einige lateinifcbe £>ijtid)en beifügenb, fdulbert in ihnen baS fünftige 3ufam=
mentreffen feines ©tobäuS mit ßccarb unb £)rlanbuS unter ben ©ecligen. £)ort, fagt er, wirb (Sccarb
beine ©cbläfe mit bem Sorbccr umwtnben, ben er auf ben buftenben ©eftlben für bid) erjog ; er wirb bid)
mit Sbränen umfangen, wenn anberS jener SDrt fit nod) gemattet. Sann wirb er bid) bem £)rlanbuS
jufübren, ju ihm fpreeben : biefer ift eS, t>on bem ich bir oft gefagt, mag er nun eine $robe ablegen ber
Äunft, beren mir unaufhörlich, gebenfen; AlleS werbantt er mir, feinem SSater, bir, feinem Ahn! 2)er
eble, gemütfwolle 2>acb hat hier nicht bloS bid)tcrifchcn Traumen ftd) überlaffen, er wußte cS, weld)e berj=
liebe 2iebe fein greunb feinem „frommen 9)räceptor" bewahrte; felbft geflaut hat er biefen wohl niemals,
benn ehe er noch fein »ierteS 2cbcnSjabr jurüdgelegt, hatte ßccarb .Königsberg bereits üerlaffen. Mein
beffen ©cbülcr, fein älterer greunb, wirb ihm oft erzählt haben, wie innig fein Server bem berühmten
9Kei(ler angehangen, beffen v>äterlid)cr ©orgfalt er feine S3tlbung oerbanfte; unb fo mag in feinem Innern
baS S3ilb beS 3ufammentreffenS biefer brei auSgejeid)neten Sonfünftler, »on bem er fang, ftd) gehaltet
haben. £>iefe§ fo fd)öne 83erl)dltnip be§ 9DieifterS unb ßchrltngS, wie eS ftd) lebenbig fortpflanzt, wenn
biefer jenem nad)wäcbfi, unb in baS eben nur bineinjubliden unS ^ter gewahrt ift, erregt un§ freilich ben
2ßunfch, Näheres barüber ju wiffen; aber hier üerftegen unfere £luellen, unb nid)t einmahl bie 3ett »on
©ccarbS Aufenthalt in 9Künd;cn wirb unS berichtet. SSSir glauben fte in ben 3eitraum jwifdjen ben %ai)xm
1571 bis 1574 fe^en ju bürfen, unb lehnen unS bei biefer Annahme an folgenbe £batfad)cn unb @rwcu
gungen. ©eit bem %at)Xt 1557 befanb ftd) DrlanbuS ju 9Künd)en an bem ^>ofe £erjog Ulberts beS ©rop='
müthigen t>on S3aiern; im %al)xe 1562 hatte ihn biefer ju feinem erjlen 6apcUmcijler ernannt. 25er 9?uf
feiner großen Äunfi hatte ad)t 3ah" fydter ganz ®eutfd)lanb erfüllt; auf bem 9?cid)Stage ju ©peier »erlteh
Äaifer SCRarimilian ber Sweite burd) bie Urfunbe »om 7ten Secember 1570 ihm ben SKeicbSabel aus eigenem
Antriebe, unb nid)t für feine $>erfon allein, fonbern für feine rechtmäßigen Äinber unb beren eheliche 5iad>=
fommen beiberlci ©efchled)ts. einem fo bodjgccbrten, allgemein gefeierten SOJcijler burfte ein auswärtiger
©djüler faum anberS, als febon mit einem gewiffen gortfehritte ber (gntwtrfelung überwiefen werben, wo
er bem SBielbefcbäftigten ^ugleid) ©ehülfe fepn fonnte ; benn baß jener, wo fein Amt ihm nicht unmittelbar
435
Die Pflicht tagH auferlegte, einen noch rohen Anfänger merbe in Die üebre genommen haben, ift nidjt glaube
lieb. SBir fef?en alfo voraus, Sccarb werbe als fcfwn f)eranrcifenber, in ben AnfangSgrünben feiner Äunjl
bereit? unterrichteter Jüngling ju ihm gefommen femi. SKbglicb ift eS, baf; er feine früf>cfle Unterwcifung
Dem Joachim von S5urgF ju banfen hatte, mit bem mir ihn fpäter in nal)en 33erbältniffen mieberft'nben, unb
ber, funfjefm 3al)r alter als er, bereits feit 15G6 ftch ju SOcüblbaufcn auffielt, in mclcfycm 3abre er von
bort auS bem ^Pfaljgrafen Sficharb bei 3?hein fein erfteS Sonmerf" mibmete. 3m Sabve 1571 mürbe SDrlam
buS in Q)ari5, mobin er gereift mar, von ßart bem Neunten ehrenvoll empfangen ; mir befifeen vier 2Berfe,
Die er mäbrenb biefeS feines Aufenthaltes gefegt, unter ihnen auch ein 33ucb fünfftimmiger franjöfifcher
©efänge. Sftun ift eS mabrfd)ctnlid), baf? ber bamalS achtzehnjährige Eccarb ihn auf biefer STcife begleitete,
mo ein ©ehülfe, jumabl ein tbätiger, lebensvoller, aufgemedter, mie biefer »on Seitgenoffen gcfcbilbert
mirt, ihm befonberS crmünfd)t fepn mußte. (Sin fünfftimmigeS franjbftfcheS £ieb EccarbS — baS einzige,
fo viel mir befannt gemorben, baS mir von ihm befigen — fcheint eine §rud)t biefer Sfcife, ober bod) eine
Erinnerung an biefelbe ju fewn. Sie ßaune unb SBemeglicbfcit, bie in ihm vorberrfd)t, beutet auf eine
unmittelbare Anfd)auung bcS Sebent in ber ^auprftabt granfreicbS, bie bem Jünglinge mohl faum anberS
als burd) feinen SD^etjlcr mochte gemährt morben fe»n, bem er bafür, nach, ber AuSbrudSmeife jener Seit,
feine SBcrfe „in £)rud verfertigen" half, unb Dabei angeregt mürbe, auch, einmahl auf gleichem gelbe mit
ihm ftch ju verfuchen, moju mir, eben in biefer Dichtung, in feinen anberen SBerhältniffen feinen Antrieb
entbeden fonnen. %m Sahre 1574 mürbe von Sari bem Neunten DeS SDrlanbuS ©egenmart, ja, fein fort;
mahrenber £>ienft an feinem £ofe lebhaft verlangt, ©ein fürftlid)er £err unb 33efd)ü£er willigte nicht
allein in biefe Skränberung feiner bisherigen SSerbältniffe, er forberte ihn felbft baju auf. SSBenn nun auch
tiefe Überfiebelung fpäter burd) ben S£ob beS ÄönigS vereitelt mürbe, ben SrlanbuS auf ber Sieife nach
^Pavt6 erfuhr, unb foglcich nad) 9JIünd)en umfebrte, fo mag ftc Doch, für Eccarb eine Söeranlaffung gemorben
fewn, fd)on vor ber Abreife feines gehrerS von biefem ju fcheiben, bem er bauernb in bie grembe ju folgen
nicht münfebte. ©o merben mir benn auf jenen 3eitraum beS 3ufammenlebenS S3eiber geführt, ben mir
jiiüot annahmen ; mir vermögen jmar nicht, ihn mit voEer, gefdn'chtlid)cr ©emifibeit fejtjujlellen, halten
unfere Annahme inbefs einigcrmaafjcn für gerechtfertigt. Auch bie näcbften ßebenSverbältniffe unfereS SJieü
fterS liegen im 2)unfeln. Einiges Siebt mürbe vielleicht fein erfteS, um 1574 ju SJiübthaufen erfd)ieneneS
iöevf un§ barüber gemäbren fonnen, menn eS nämlich eine SSorrebe ober Sueignung enthält, bie feinen
Damaligen Aufenthalt unb feine Stellung nennt. ©S tfl unS jeboch nur fein Sitel aufbehalten, unb trog
aller gorfebung iji eS bisher nid)t aufjuftnben gemefen. S3ermuthen bürfen mir nur auS bem £rte feines
@rfd}einenS, ba^ Eccarb bamalS auf einige Seit in feine äkterftabt jurüdgefehrt mar, unb bort ben 25rud
DiefeS feineS ErftlingSmerf eS leitete. 9lur ju vermuthen ift eS ; benn ein fpätereS, vier Sah" nachher eben
Dort erfchjeneneS jeigt burd) feine 3ucignung, bap er nicht am £)rte ber Verausgabe anmefenb mar. Allein
Damals hatte er febon einen tarnen unb Anfehen; bei biefem frübeflen feiner 2Berfe beburfte eS mohl noch
feiner »erfbnlichen Anwcfcnheir, unb ber Unterftü^ung geachteter ©onner, um bemfelben Eingang ^u ver=
fdiaffen. Äehrte htenad) Eccarb mabrfcbetnlich im Sahre 1574 jurüd nach SSJlüblhaufen, fo ift eS boeb
rool)l !aum auf bem graben 2Bege gefd>ehen; unb menn mir bie SSermutbung magen, er fet? über Augsburg
nach Senebig gegangen, unb einige SDionatc nad) feiner Abreifc von SDZüncben erft in ber ^eimatl) einge=
troffen, fo fehlt eS für biefelbe nicht an ©rünben. 3unäd)ft hat er 9Künd)en mohl fchon mit Dem grüblinge
1574 verladen, ßarl ber Neunte, ber am 30ften SDiai btefeS Lahres ftarb, harte feinen Sßunfch, EccarbS
55»
436
L ctnnnifrcr, CrlanbuS, an feinem £ofe ju feljen, obnfcblbar febon längere Seit jusor. ausgebrochen; treffen
tfbfcbicb au6 feinen bisherigen a3erbältniffcn, bie Trennung be§ SebrerS unb ©cbülerS waren befcbloffcn,
uni auf baö IDjlafeji mag bie 2lbreife bicfeS legten benimmt gemefen fepn. 2Bir finben ihn fpätcr in 5ugge;
rifeben Dienficn, offenbar burd) ß-mpfeblung be3 £>rlanbu3 ; biefen ©bnnern ftd? perfonlid) »orjufteUen,
roirb er für Pflicht gehalten haben, beS^alb fein SSSeg über 2lug3burg. 3n SSenebig fianb bie SEonfunft
bamoIS in bober S3lütbe: Sofepb 3avlino alS ©ängermeifter, ßlaubio SDJerulo unb 2lnbrea§ ©abrteli als
£}rganiften, ftanben an ber (£pi£e feiner berühmten SEonfcbulc; biefe Banner ju feben, ibreS Umganges
iu genießen, ihrer ^Belehrung ftd> ju erfreuen, mar für unfern ftrebfamen jungen Äünftter bie lodenbfie,
erfrculidifre '.HuSftcbt, unb wie leicht fonnte Sacob Sugger, fein fpäterer Dienftberr, ihm ben SÜBcg in biefeS
gelobte 2anb bahnen ! (Sin etnjetneS fünfffimmtgcS Sonftüd unfcreS 9)ceifterS üeranlafst unS noch mehr ju
glauben, baß bie eigene tfnfdiauung jener rounberbaren 9JIeereSjrabt ihm gemährt mar. @S flellt eine ©cene
oor, bie in bem (betriebe bcS 9DiarcuSplaf,5eS üorgebt, unb er f)at eS „Zanni e Magnifico" überfebrieben.
3mci SSettler beifeben mit Ungcfiüm ein 2Hmofen t>on einem ffolj »orübergehenben ßbeln, einanber im Grifer
Das; 2öorr quS bem 90iunbe nebmenb :
0 messir, o patru, o non pos plu cantar,
perclie crep dclla fam,
Diefer berrfebt ihnen entgegen :
Che distu, che fastu, che vostu, ah bestion etc.
3n biefcö ©efpräd) binetnrufcnb, mie eS fd)eint mit einer befannten SSolfSroeife, fud)t ein SSierter ftd) v>er=
ftanblicb 51t madien, bei jeber SBtebcrbolung feines ßtebcS einen höheren Anlauf mit ber ©timme nebmenb,
big er bei ber legten genbtbigt roirb, ftd) roteber berabjufttmmen, meil er bis an ihren äußerfien Umfang
gelangt ift :
Ella bella franceschina, ninina,
huflua, la iili bustachina etc.
£>ae ©an$e ruht in ber ©runbftitnme auf bem bchaglid)en Srinf'liebe eines beutfd)en ©blbnerS:
Mi slar bon compagnon,
Mi trinckere col flascon,
Mi piasere Moscatelle etc.
Die frifebe ßaune, mit ber baS ©anje gefegt ift, baS bei rafeber, belebter 2luSfül)rung auch gegenwärtig
nicht feine SSÖtrhtng verfehlen mürbe, beutet auf eigene 'tfnfcbauung bcS SebenS, baS in ihm ftd) abfpiegelt,
unb baS in feinen eigcntl)ümlid)cn 3ügen rennen ju lernen bamalS nicht, mie jeljt, jahllofe S3erid)te, Sße-
fchreibungen, auch roobl mtmifchc Darftellungen, bem 5U £ülfe famen, ber feine £eimatl) niemals »erlaffen
hatte. 2lUerbingS befifjen mir für (SccarbS Sieifen außer £)cutfd)lanb fein roeitereS Bcugnifj, alS baSjenige,
baS mir neben anberen, begleitcnbcn Umftdnben, aus» biefem unb bem jtroor befproebenen Sonftücfe herneh-
men. S5eibc erfd)eincn jeboch, eben meil einzeln ftcbenbc, unb auö bem gcmbl)nlichcn Äreife franjbftfcber unb
ttalienifcher ©efänge jener 3cit hcrauötretenbe, alö ein fo üiel mcl)r lebenbiger ©piegel ber fremben 3uftänbe,
welche bie empfängliche ©eele beS 3üngling§ anregten. SSeibe treffen mir jmar erft in einer fpäteren oer--
mifebten Sammlung »on ©efängen, bie eccarb im Sahre 1589 ^u Äbnigöberg herausgab, ihre frühere
Gntftebung mirb aber babureb nicht auögefchloffen.
(5ccarb§ erfteS Slonmerf, baö, mie ermähnt, um 1574 in feiner SSaterftabt 9föühlbaufen erfchien,
437
enthalt unter Dem Sitel Odae sacrae jwanjtg geiftlid)e ©efänge ju fünf unD mein- Stimmen, oon feinem
Sanbsmanne Subwig £clmbolb gebicbtet. Siefer, bamals fett brei %at)xm (1571) Siector ber bortigen
Stabtfd)ule, unb feit ,weien (1372) Siafonus an Der £auptfird)e $u @. SSlaft'en, trug sugleid) ben Sorbeer
bes Std)ters, mit bem Äaifer Sftarimilian ber 3weite auf bem 3feid)Stage ju Siegensburg (1566) tl>n
gefrönt hatte. 2Sol)l mochte es bem jungen SQtcijter ein würbiger Anfang feiner fünftlerifd)cn Saufbabn
erfd)einen, wenn er, ber Egling etneS SEonfünftlers , bem fein 9tuf ben OfeidjSabel »erbient l)atte, ftd)
einem hcdigeacbteten ©ciftlicben feiner SSaterftabt juerft anfd)lo{5, ben biefelbe faiferlidbe Sganb, bie jenen
ju einem bolleren Stanbe hinaufgehoben, mit bem Äranje bes Sid)ters gefd)tnüdt hatte. So ftiftete ftd)
Denn aud) jwifdmt Stetten eine nähere §reunbfd)aft unb ein geiftiger ä>erfcl)r, ber bis ju Jpelmbolbs Sebent
enbe (am 12ten 2fprit 1598) fortbauerte, unb aud) burd) gccarbs Entfernung feine Unterbrechung erlitt,
wie wir in ber gclge fcben werben. Safj ßccarb bie frühefte Untcrwcifung in ber Sonfunft von Soachim
twn 33urgf erhalten haben möge, würbe »on uns fcfyon juwor als Skrmutbung aufgeftellt; jeijt fehen wir
ihn mit bicfem, baraall elftem @antor unb .Crganifteu ber SSIaftcnrirc^e, als Mitarbeiter unb ©ebülfen in
näherem Verhältniffe, wenn wir aud) bie Stellung nicht anjugeben wiffen, bie er nunmehr in feiner SSatei^
ftabt einnahm. Vermittler war aud) l)ier jumeift $elmbolb ; an feinen latcinifcbjn unb beutfdjen Sid)tun=
gen für .Kirche unb Schule oerfuchten ftd) SSeibe gemeinfd)aftlid). SGBtr begnügen uns für jeljt, über ©ccarbs
£eroorbringungen nur im Allgemeinen ju berichten, unb.fo in Umriffcn ein 33tlb feiner fünftlerifchen £h>
tigfeit $u geben, inbem wir eine jufammenhängenbe Sarftellung feiner geifttgen ßntwidelung in feinen 2Ser=
fen, aus ber auch bie Stelle ftd) rechtfertigen wirb, bie wir ihm in ber Äunftgefd)id)te anweifen, bis bah.in
oorbchalten, wo wir ihn burd) alle äujjeren 8Serh,ältniffe feines Sehens werben begleitet l)aben. Sas erffe
2Berf, an welchem Gccarb in ©emeinfehaft mit 33urgf arbeitete, erfd)ien ju 9Jtül)ll)aufen im ^at;re 1577
jum erflert 9Jcaf)le, t>on bem Sid)ter, ^elmbolb, fünf hofnungsiwllen Schülern jugeeignet, unb führt Den
Stiel: Crepundia sacra Ludovici Helmboldi : ßhriftlicbe Sieblein, An S. ©regorii, ber Sd)üler gefttag,
unb fonfien ju fingen, mit oier Stimmen jugerid)t. 9cur brei vierftimmige ©efänge ßccarbs ftnb barin
enthalten (ber erfte, ftebente unb adjte), ein lateinifd)er unb jwet beutfebe; bie übrigen rühren alle oon
Joachim uen 23urgf f)cr. Sas 2Berfd)en würbe beifällig aufgenommen burd) .£)ieront)mus 3?einhart, Sßuä)-
hänbler in 9Jcül)lhaufen, 19 Sabre fpäter mit einigen 3ufäl3en wieber aufgelegt (1596) unb 30 3<tf)re fpäter
in bie 1626 ju SSJiüblhaufen erfd)iencne ©efammtausgabe ber Sichtungen -Öelmbolbs mit ben Sonfäßeit
beiber SJieifter wieber aufgenommen. £b (Sccarb bei bem erflert ßrfd)einen tiefes Sßerfchens noch in feiner
Skrerftabt anwefenb war, ift wieberum zweifelhaft ; nur fouiet wiffen wir mit Sicherheit, taj? er ein Sahr
fpäter, um 1578, fich ju 2lug6burg alä SKuftcuö im £>ienjle ^acob Suggers befanb. Senn »on bort aus
eignet er am Sage S3artbolomäi (ben 24ften 2luguft) tiefe» 3ahre§ 24 beutfehe Sieber ,,mit »ieren unb fünft
Stimmen, ganfj lieblich ju fingen, unb auf allerlei) 9Jiufifalifd)en Snftrttmenten ju gebrauchen" ben brei
SSrübern SJcarr, ^anfen unb %uob gugger ju, „als ju folcher löblichen Äunfr, wie aud) ju allen anbern
bodwerftänbigen ^>errn." Sod) ift bieö 2Berf, wie fein erftes, in SDJühlhaufen bei ©eorg £an(3fd) gebrudt;
fein bloßer S£itel alfo würbe Aufenthalt unb Stellung bes 9Keijters ungewip laffen. dntjtanben ift es aber
ohne 3weifel bereits in feinem neuen £>erl)ältmffe, benn er fagt es ju Anbeginn feiner 3uetgnung, bie uns
fonft feine weiteren Auffchlüffe giebt, mit ausbrüdlid)en SSBorten.
SSon langer Sauer war biefes S3erhältnip ju ben guggern nicht 5 ber Stuf eines funftliebenben
gürften entfernte ihn weit »on feinem bamaligen Aufenthalte unb oon feiner SSaterftabt, unb wies ihm bie
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©teile an, wo feine frifd)e|te, erfolgreiche, in tyren SBirfungen weit über feine ßebenSjeit binauSreid)enDe
Sbätigfeit ft'd> entfalten follte. SDiaifgraf ©eorg griebrid) üon 58ranbenburg=#nfpad), 33erwalter beS Sptx-
jogtlntmS Greußen für beffen gemütbSfranfen «£erjog Ulbert griebrid), nafmt tfm nad) .Königsberg mit in
feinen Dienft. ©o wirb unS »on ©tobäuS, bem ©d)üter (SccarbS, berichtet; biefer foll mit bera Wlaxb
grafen auS £>eutfd)lanb gefommett fepn. 9hin leuchtet eS aber ein, bafi biefeS nid)t bei ©eorg griebrid)S
etjla Wnfunft in Königsberg gcfdjcfyen ferm fbnne. Siefer §ürft, nad)bem er feit bem %at)xe 1573 aner=
Fannter ffiormunb 2llbred)t Sricbrid)S, jweiten ^>erjog§ »Ott Greußen, gewefen, erhielt am 27ften gebruar
1578 ju 2Barfd)au bie 9Jiitbelel)ntfd)aft über baS ^crjogtbum, unb ging r>on bort nad) Königsberg bie
t>ormunbfcbaftltd)e Sfegierung anzutreten, bie er bafclbft ad)t ^avixe perfbnlid) verwaltete, bis er, ber ©rret-
tigfeiten unb 3«würfmffe mit bcn Gtänbcn mübc, um 1586 roieberum nad) granfen ft'd) jurüdjog.
(Sccarb mar aber im ©patfommcr 1578 nod) im ©ienfte Sacob guggerS, er fann alfo in ben erften 9Jiona=
ten beffelben SatyreS nicfyt als £>iencr ©eorg grtebrid)3 nach, Greußen gekommen ferm. ^Begleitete er tt>n
aber auS £>cutfd)lanb bortbin, fo muj eS bei einer fyäteren 2lnwefenl)eit biefeS gürften bafelbft gefd)ef)en
fetm. (Sine foldje f»at nun, fow'el roir wiffen, nur einmabj ftattgefunben ; ©eorg griebrid), ber in fei*
nen ©rblanben eine eigene ©tattl)alterfd)aft angeorbnet, alfo feine SSeranlaffung f)atte, fte perfbnlid) ju
befud)en, tjat Königsberg nur im %avjxe 1579 werlaffen, um nad) 25cutfd)tanb unb bann auch, wobl
feinen fränfifd)en S3eft£ungen ju geben. 'tfm 8ten 9J2ärj 1578 trotte er feine erflc ©emablin — (Sltfabetb,
£od)ter beS SRarfgrafen Sofjann in ßüftrin — »erloren; am brüten 9Kai beS folgenben SabreS nermäblte
er ft'd) ju DreSben ber $)rinjeffüt ©opf)ie, £od)ter £erjogS 2Biu)clm ju 33raunfd)weig=2üneburg. @et)
eS nun, bafj er »on bort auS aud) Jvanfen befud)te, um feine neue ©emal)lin bafelbjl einjufül)ren, ober
unmittelbar nad) Greußen jurüdfel)rte ; immer ift bie 9Jlbgltd)feit gegeben, bafj er mit (Sccarb, ben er für
feinen iDienfr geworben, trgenbwo in £>cutfd)lanb jufammentraf, unb baß biefer nun feinem ©efolge ftcb
anfd)lof$. SBann, unter weld)en Umftänben er tJ)n geworben? wiffen wir nid)t; bafj aber ber SSefüj eines
9ReifterS, ber als ber üorjüglid)jte unter beS l)od)gefeicrten CrlanbuS ©djülern gerül)mt würbe, unb ber
bereits burd) jwei nabmbafte ÜJBerfe ft'd) ausgezeichnet fjatte, tl)m, bem äd)tcn Kunfjtfreunbe, münfd)enS=
wertb ferm muß te, leibet feinen 3weifel.
©cwö()nlid) nennt man baS 3al)r 1583 als baS ber tfnfunft (SccarbS in Königsberg, unb grün=
Det ftd) babei auf baS 3eugnifj ^MfanSfi'S in feiner, leiber nur jur #älftc erfd)ienenen £iterargefd)id)tc
»Preu^enS. (5in fo beftimmteS 3eugnif? jcbod), als man üorauSfe^t, ift bei ^ifanSfi nid)t ju finben. @r
fagt, Crccarb fet) nacf) feiner 'tfttfunft in Königsberg 1583 bem SEbcobor Sftccto als SSicecapellmeifter beige=
geben movben, woraus nur bann $u folgern wäre, aud) feine 3(nfunft fet) in biefeS %al)x ju fe^en, wenn
man bie Saf)rjar)t mit bem üorangel)cnben 2Borte, ftatt mit bem folgenben ©al^e, in Sktbinbung ftellen
wollte, woju feine 83cranlaffung worbanben ift. llu&) barf nid)t unbemerft bleiben, ba§ aller #nfd)ein
oorbanben ift, ^)ifanSfi, Der bie Quelle feiner 9lad)rid)t vcrfd)weigt, l)abe, feiner fonfiigen ©enauigfeit
ungeacbtet, eben i)iex geirrt. (Srft um baS 3afyr 1585 nämlid), üom 30ften %uti, ft'nbet ft'd) in bem 7lrd)be
ju Königsberg ber Entwurf einer S5e|lallung beS, mit ©eorg griebrid) nad) ^)reupen gefommenen, jum
eoangetifd)en ©lauben übergetretenen Sbeobor Kiccio auS Sßrefcia, alS ßapcümeifter, woburd) ibm ein
jdbrlid)er ©ebalt »on 360 ©ulben (ipreu^ifd)), freie 2Bol)nung unb jwei Kleiber jäbrlid) jugeftd)ert werben;
febr mäßige JBortbeile, wenn man bie 'ilnforberungen ber ©egenwart unter äbnlid)en SScrbaltniffen bamit
rrrglficbt, unb ein SKaajiftab für baSjenige, was (Sccarb als fein ©ebülfe unb Vertreter ju begeben baben
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,mod>re ! Sap er tiefet aber wirflieb gewefen fe», leibet feinen Zweifel, obgleich, feine SBeftallung, weber
als SSicecapellmcifter, noch als ßapellmeijter mehr bat aufgefunben werben fbnncn. ds bejeugen bie Sitel
aller feiner größeren, wie gelegentlichen, fleineren SSonwerfe feit bem Söhre 1389 (von wo an wir ber-
gletct>cn in Königsberg erfebienene beftgen), auf benen er bis in bas 3abr 1603 „gürjtlidjer Surcblaucbt in
"Preupen SJiuficuS unb ajicecapellmeifter" genannt wirb, Ciapellmeifter aber nennt er fieb erft, nad) bem
Sobe ©eorg griebriebs, auf bem Sitelblatte bes ^ochjeitsgefanges, bureb ben er bie am 29ften 'tfpril 1604
gefeierte äkrmäblung ber "Prinjcffm iÜJaria, jweiten Softer bes gemütbsfranfen £erjogs 'tflbrecfyt griebrich
»on 'preupen, mit ÜHarfgraf Gtjriftian von S3ranbcnburg-ßulmbad) befang, bem Sohne bes ßburfürjten
Sobann ©eorg, unb jüngeren ffiruber bes bamals regierenben ßburfürjten Soacbim griebrid) von 33ram
benburg; unb es ifl febr wabrfcbeinlicb, bap" er bei biefer fefttid?en ©elcgenljeit jene höhere SSejMung
erhielt, naebbem bie ßapellmeifterftelle um 1599 bureb Siiccio's Sob erlebigt morben war.
(Sine günftige Stimmung erwartete unferen (üccarb nicht bei feiner 2lnfunft in ^reufjen. 9Kan hegte
bamals in Königsberg ein SSorurtbeil gegen bie 'tfuslänber; man hatte felbft ^erjog Wibrecht, bem ©rünber
ber borrigen .Jpocbfcbule, gejürnt, bap er beren in fjo groper 2lnjahl borthin berufen habe, weil ihnen, nicht
mit Unrecht, ein grofjer Sheil ber bort entftanbenen heftigen Streitigfeiten beigemeffen würbe, jumahl bie
3erwürfniffe unter ben ©ottesgelebrten ; man grollte je^t bem SCftarfgrafcn ©eorg griebrid), megen ber
„granfen," bie er mit in bas 2anb gebracht. Sin befto ehrenvolleres 3cugnip mar es für biefe — unter bie
man aud) wohl ßccarb, als Siener bes aus granfen gefommenen neuen £errn, gerechnet f)aben mag — bap"
mehre unter ihnen balb atigemeine Siebe unb Achtung ermarben. So gefdjabe es ©ccarb, wegen feines freunb*
liehen SBefens unb feiner fünftlerifchen £üd)tigf eit ; ja, felbft ben 4?ofbtafonus unb Beichtvater ©eorg
griebriebs, Sebajtian 2lrtomebes, erbat ber Äneiphöfer Stabtratr; von ihm, meit er ihm bie eben
erlebigte ©teile bes Pfarrers an ber bortigen Somfircfye ju übertragen münfehte. Ser gütige gürfi gemährte
biefe SMtte, verfieberte aber bie 2Ibgeorbnetcn, bie fte ihm vortrugen : fie follten nur glauben, bap er ihnen
bamit ben grbfjeften Sbeil feines ^)erjens hingebe. @s mar, bei SSBürbe ber ©eftnnung unb einem frieb=
fertigen ©emüth, bas biefen madern ©eiftlichen von allen Streitigfeiten fern hielt, unb feine ungeteilte
Sbätigfeit auf bas Sßohl ber Äircbe unb Schule lenfte, wohl auch ber treuherzige Son feiner ^rebigten,
ber ihn balb empfahl, auch wo er, felbft von ber Kandel herab, feinen ganbsleuten bas 2Bort rebete ; wie
er benn einmahl wiber bie 9>ejt ber ©elbfucht „bas liebliche, fräftige, tugenbbafte .Kräutlein ©enügfamfeit"
gerühmt h^hen foll, „bas in Seutfchlanb, unb fonberlich im granfenlanbe, mohl gebeihe, wo man ehe
bunbert jwitlerne Kittel finbe, benn einen 2Bolfsbel£, unb wo biefes Kräutlern, bas bie ©riechen uvtu(j%üuv
genannt, in teutfeher Sprache beifie: ©Ott, unb genug!" Sticht allein als ©efäbrte unb Siener beffelben
£errn, fonbern auch als geijtlidw Siebter fam 2(rtomebes mit ßccarb balb in näheres S3erhdltnip ; wir
werben bavon ju reben haben, wenn wir unferes Söleifters Sonwerfe näher betrachten. 9cäcbji 3(rto=
mebes traten als beutfebe 2ieberbid;ter fpäterhin jwei anbere, jüngere SOiänner mit ihm ju Königsberg in
engere SBejiehung. ©eorg Jeimann, um 1570 ju ßeobfchü^ in £bcrfcblefien geboren, mar Anfangs
ßebrer an ber Stabtfcbule ju Sägernborf gewefen, unb hatte fich bann nach SBittenberg gewenbet, wo er
im Söhre 1595 bie SOkgifterwürbe erhielt. 5m folgenben Söhre 1596 würbe ihm bas aufserorbentlicbe
Üehramt ber 33erebtfamfeit ju Königsberg übertragen, unb hier fehen wir ihn balb mit unferem (Sccarb
befreunbet; 1599 erhielt er bie Stelle eines 2lrchipäbagogen, unb 1601 bie orbentliche ^)rofeffur ber
S3erebtfam!eit. 9)eter ^)agen, ober ^)agius, aus bem Sorfe ^>enneberg bei ^)eiligenbeil gebürtig, wirb
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l"d)on, währenb er in .Königsberg jtubirte, unferem 93ieijler befannt geworben fema 5 naher jeboeb, wohl erfi,
Halbem er feit 1594 @d)iifoorftef)er bafelbft geworben war. ^rtomebeS SSobeSjafjre, 1602, würbe er
jura Siector ber Äneipljbfcr ©chule befiellt; (eine ferneren (Scfyicffale ftnb unS unbekannt. Siefe brei nennt
un§ (StobduS als feinem SKeifter innig SSerbunbene, „ben »ortreflichen ShcologuS unb ^oeten 2(rtomebeS,
teil weitberufenen $)rofeffor Sieimann, ben frommen ©djulrector $agiuS," unb bemerff, baß er „biefelben
mit feiner freunblichen @otwerfation unb licblidjen ßompofttionen bahin bewogen, bafj fte bann unb wann
ihm mit einem geifilichen Siebe bebienlich erfchtenen." Sn feinen näd}jlen, wdfjrcnb fetncS ÄbnigSberger
•itufentbalteS in 9Küf)If)aufen erfd)tcnenen #ert>orbringungen fehen wir tf>n aber noch mit feinem SanbS=
manne £clmbolb uerbunben. ©S ftnb tner Sonfd^e, bie einen 5£b,eil ber »on 3oad)im uon 35urgf, wahr=
fdicinlid) juerfi 1585, herausgegebenen brctfjig geiftlid)en Sieber bilben, unb wir werben fpdter fehlen, bafj
von ihnen unb ben brei, in bie Crcpundia beffelben SOieifterS aufgenommenen ©d^en ©ccarbS, mehre, theilS
im Saufe beS 17ten SahrljunbertS in fircfylicfyem ©ebrauche blieben, theilS noch ie£t, 6rtttdf> minbeftenS,
t>em ©emeinegefange angehören.
Um 1589 erfdu'enen, ju jtonigSberg bei ©eorg £>fterberger gebrueft, in fünf ©timmbücfyern
"25 tbcils fünf=, theilS merfttmmige, getftltd)e unb weltliche Sieber GrccarbS, unter einem ähnli-
chen £itel wie bie fcfyon 1578 ju SEJiühlfKUtfen üon ihm herausgegebenen. 25eS SEftetjrerS 3ufd)vift
oom 13ten 2fpril 1589 an „ben ^Burggrafen, bie SBürgermcijrer, Sfathmanne, 9?id)ter unb ©erid)tSt>er=
wanbten ber .Königlichen ©tabt ©anjigf" belehrt unS, bafj berfelbe früher wie fpäter CrntftanbeneS in biefe
©ammlung vereinigt habe. @r fagt hjer: „SBenn id) benn bie Seit her weif ich tn ^i)m gürftl. £)urch-
laucht ju ^reufsen, meinet gndbigften gürffen unb £errn Capellen, für einen 83ice=@apellmcifier mich
gebraud)cn laffen, neben anberen (SonwofttionibuS auch gegenwärtige ©cfänge verfertigt, habe ich *>iel=
fältiges Inhalten unb ^Bitten meiner guten £errn unb greunbe, ber 9Jluftc Sicbhabern, biefe in £>rucf ju
geben mich bereben laffen," unb giebt bamit ju erfennen, baß wenn er feinen ©onnem aud) 9Jland)eS
biete, was ju üerfd)tebencn Seiten entftanben fet) — wobei wir nicht im firengften SSevftanbc werben anneh=
men bürfen, bafs nichts barunter t>or bem 3 eitpunfte feiner Ernennung a!S 33icecapeUmeiftcr gefegt wor=
oen — boch TOcS erft jefjt jum erften 9Kaf)le an baS Sicht trete.
Eingeleitet werben biefe ©efänge burch einen lebenbig bewegten, funftreichen S£onfa£ »on fünf
Stimmen, auf ein Sieb, baS fchon fein Vorgänger, .£>anS Äugelmann, für <£>erjog Ulbert breiftimmig
gefegt hatte; auf eine befannte 33olfSmelobie, wie eS fcheint, wäbjenb (Sccarb nunmehr eine felbfterfunbenc
motettenhaft baju burchgeführt hat :
„Frölich will ich fingen, fein Sraurigfeit mehr pflegen,
Seit thut 3?ofen bringen, bie ©onn' fcheint nach bem Stegen,
^ach bem 2Binter falt, fo fommt ber ©ommer mit ©cwalt,
9lach ber ftnftern 9cacht ber heUe Sag anfad)t mit 9Kad)t,
3tlfo hoff id) roerb ftct> baS ©lücf auf mich
3n furjer Seit wohl wenben,
£>arumb id) will ferm ftia, bis ftd> erfüll',
darnach mein ^>erj thut lenben."
Diefem folgen jwölf geiftlid)e unb eben fo viel weltliche Sieber, bie fünfftimmigen juerfl, unb bann bie
oierftimmigen, wobei immer bie geiftlichen »oranftehen. S3on biefen legten werben wir fpdter ju reben
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haben, jene freilich, ft'nb unferem gegenwärtigen 3wede fremb, wir werben fie aber nidbt ganj übergeben bür=
fen, »eil unfereS 9Jceijter3 %xt unb Jtunjr, wie fein ©emütb unb feine ©efmnung barau§ erfannt werben
tonnen. 5Ba§ jene betrifft, fo jeigt ft'cb Sccarb tytx aß gewanbter 3&gling ber 33elgtfcben ©dbule. 50Ztt
meiern ©efdu'cf weiß er »erfebiebene SEficlobtecn ju üerfnüpfen, unb nicht allein eine 9Jiannid)fattigr'eit ber
£armonieen bamit b«»orjubringen, fonbern auch, brollige, erbeitembe ©egenfäfce. daneben jeigt fieb
überall eine ehrenhafte, reine ©eft'nnung, ber ©cber^ tji burdjweg barmlo§, unb allein ba§ mit aufgenotru
mene franjöft'fche ßieb — baäjenige, beffen wir früher gebauten, unb ba§ wir nebft jenem anberen, üenebi=
feben, hier wieberftnben — enthält ein $aar mutbwillig verwegene SSBorte. 3" jener Seit/ bie fo öiel
©d)limmere§ »ertrug, waren bergleidjen atlerbingä nicht auffällig, aber ft'e ft'nb boeb, bie einzigen biefer
2£rt bei unferem SEReifter geblieben, bafyer wir aud) t>orau3fe£en müffen, e§ möge biefeS Sieb in jüngeren
3abren, unb unter bem unmittelbaren Gnnfhtffe be§ 8eid)tftnne§ ber franjbftfchen ^auptjlabt entjranben
fepn; Sccarb aber fyabe bennoeb aud) btefenSonfa^, aß einen geiftreich. belebten, nicf)t jurücff)alten wollen, fo
wenig aß fein SJieijter £>rlanbu§ feine „SOZoreSfen unb SBillanellen, " bie um gar S3tele§ leichtfertiger ft'nb,
unb bie er, fcfyon alternb, herausgab, mit bem ©eftänbniffe : e§ würbe ihm beffer gekernt haben, in feinen
jüngeren Sabren, wo er fie gemacht, bamit berworjutreten. ©ern begegnen wir hier ben SBeifen unb 3Bor=
ten einiger 33olf§lieber, beren Anfänge wir fonfl gewöhnlich, nur in jenen £Utoblibeß ftnben, an benen bie
frühere 3eit ftd) ergö^te, wie: ,,£)er SBtnter falt ijt oor berSSbür;" „9hm febürj bid), ©retlein, fchürj
bieb," unb anbere. 2Me Srinflteber, beren mehre hier t>orfommen, ft'nb ganj ber 2trt, wie fte jene Seit
„bei fröhlichen Conviviis ju ehrlicher ßrgb^ung" gern gebrauchte; ntrgenb t)errfd)t rofjc ober tobenbe
Sujtigfeit in ihnen, aber berbe, gefunbe grbhlicbfeit. ©o fingen in einem fünffttmmtgen ©a|e biefer "Kxt
oier Stimmen jene befannten lateinifdhen &ikn*), ben ©aft ber Sraube rühmenb, wte er ben Pfaffen ba§
bejte Catein reben, bie 3tlten mit Seichttgfeit tanjen lehre, wie er bie tfrmen reich, bie Sahnten geljenb, bie
©tummen berebt, bie Sauben bbrenb mache; unb baju läßt bie fünfte ©timme bie SBorte ertönen:
3d) bring meim £errn ein ooiIe3 ©kß,
ex bona caritate,
er fefct baä ©leßlein an ben SSJiunb,
ex bona caritate,
dx txanU beraub bß auf ben ©runb, :c.
@r hat fein' Singen wobl getban, it.
©ein SRacbpaur foll ein volles t)an, :c.
er fefet 2C. dx tranfö ic.
dx {>at jm lejben wol gethan, :e.
£)a£ ©leßlein ba§ foU umbber gan,
ex bona caritate!
') Fertur in conviviis
Vinus, vina, vinum :
Maskulinum displicet.
Placet femininum,
Volo inter omnia
Vinum pertransire;
Vinum facit vetulas
Leviter salire ;
Et ditescit pauperes,
Ciaudos facit ire,
Mutis dat eloquium
Sardisque audire !
Sed in neulro genere
Vinum est divinum !
Loqui facit clericum
Optimum latioum !
». 3Bintcrfelb, 1er esanjtt. (S^oratgefang.
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3ch- riefet geilen tragt fte in etnev munteren 5DMobie »or, beven ©runbjüge wir noch bis auf biefen Sag
im SOiunbc beS SSolfeS mieberfmben, mobureb, bei ben mecfyfemben ^armonieen, baS ©anje ungemein
belebt wirb. 3n einem anberen Siebe biefer 2£rt ju toter Stimmen betfit eS:
Vinum quae pars, toerfie^ftu baS?
3jf auß latent gejogen, —
Sa, nur ganj wol, id) bin eS »ol,
3ft waf;v, tft nicht erlogen,
Sn bem £>onat, ber Sfeiflein bat,
#ab id? eS oft gelefen;
Quod nomen sit? eS fef)It ftch nit,
9JJan trinft jn auS ben ©lefem!
2lber allcS btefeS beutet nicht auf müftc Scbmelgerci, auch wirb bie fietjre auf Weitere SBeife baneben gcftcHt.
,,2Benn baS £aupt oon bem geftrigen ©elage fcfymerjt," fagt ein britteS, lateinifd)cS Sieb, „maS bann?
erbebe baS ©laS unb trinfe roteber! unb bann? fänftige ben Schmerz immer auf gleiche 2lrt! aber jule^t?
wirft bu ein SEbor fetm gleich, mir, pflegte ßlauS S^arr ju fagen!" — @S fann nicht gleichgültig femt, ju
betrachten, in welchem Sinne eben ber Sittann, ben mir in geiftlicben Siebern baS Sicffte unb Sattefte bureb
feine £6ne werben fünben feben, auch unter fröhlichen ©efäbrten feiner barmlofen SDiuntcrfett ftch hingab ;
ja, eS gebort ju SMcnbung feines 33tlbeS, unb barum haben mir nicht »erfebmäbt, ben Snbalt jener Sie*
ber, bie er für folebe Äreife gemdhlt unb gefegt, hier anzuführen. Stacht bie Sonfunft bei heiteren ©ela-
gen, rote es burd) ©ccarb gefchabe, in ber Sbat, als folebe, ftch geltenb; bringt ber £örer ein offenes £)br
für fte büi5U, unb fann bie greube an ber SBiebcrbelebung ihrer ©rjeugniffe nur bann in »ollem SCßaafj e
obmalten, rcenn bie QluSfübrcnben, ihrer itunflfertigfcit uollfornmcn mäd)tig, in alle bie feinen, launigen
3üge eingehen, an benen bie Sonfa^e unfereS SOZeifterS fo reich ftnb, unb jumabl auch über baS lefcte
Sieb ; bann ift gewißlich ber £ang ju roher Schlemmerei entfernt, bie bamit nicht befteben fann ; ein ^)ang,
oon bem mir leiber nicht leugnen tonnen, bafi er oft genug bie ©efelligfett jener 3cit gefchänbet habe, dnb-
lieh hat unfer SDicijter auch feinen 2Bablf»rudb :
„Scblcd)t unb recht behüte mich !"
nach bem Siracb, auf eigenthümliche SBeife gefegt. (§r wiebcrbolt ihn fiebenmabl; baS erfte 9JJabl leitet er
feinen fünfftimmigen Sonfafj ein burd; beffen einfache SOMobie oon fiebert Ebnen; nach fiebert Raufen (tein-
poribus) läßt er ihn regelmäßig mieber eintreten in baS ©emebe ber übrigen vier Stimmen, unb bicfeS flicht
ft'd; jufammen in bem Vortrage folgenber lateinifchcr £)t(licbcn ju jenem feften ©efange beS SScnorS:
Altum alii sapianl, numerosa voluniina condant,
Foecundique crepent dotibus ingenii ;
Unica mi faveat, siüjue comes una fidelis
Simplex integritas, integra simplicitas.
,,9Jcbge Tlnberen bobeS SBiffcn befd>eert fcon, mögen fte jabltofe 33änbe febaffen, mögen fte fcbmctlenb auf/
brechen oon ben ©aben beS fruchtbaren ©eijteS s mich begünftige allein, mir fcp einige, treue ©efäbrtin,
rechtliche einfalt, einfältige Siedjtlicbfeit." 3n biefem Sinne, ftetS bie Kufoabm fetner Äunjl »or ^ugen,
niemals fid) felber ; feine reichen ©aben nie überfcbäfjenb ; als ihren £luell jtetS ben erfennenb, »on bem
aUein alle gute unb uollfommene ©abc fomint; ihm bie (Ihre gebenb in bet berjlid)en unb rechtlichen
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greut-c an tan SSSoblgelungencn, beffcn it)in ötel gewahrt würbe; fo hat unferSSJlcifter in ber %{)at fein fciebe=
lang gcftrcbt, unb wir bürfen fagen, baß er wahrhaft gelebt habe !
Seit ber Verausgabe biefeS SBerfeS gingen fiebert Safjre t)\n, er)e ßccarb wicberum mit einem
neuen hervortrat. 2üir bürfen aber ntcfyt glauben, baß biefe Swifcbcnjeit ihm eine muffige gewcfen. "2(u§=
gefüllt würbe fic cl)ne Sweifcl mit Vorbereitungen ju feinen vorjüglicbfien «Schöpfungen, bie bann htrj
nach, einanber an baS Std?t traten, unb burd) gelegentliche 4?eroorbrmgungen, wie man beren von bem
gefeierten sKiciftcr bei fcftlid^cn Veranlaffungcn oft »erlangte. £)cn näheren Bericht über baS nun ju erwäb=
nenbe SBerf verweifen wir ebenfalls in bie jufammenhaugenbe £>arjtcllung ber fünftlcrifdKn ©ntwict'lung
unfercö (fecarb, unb eS fe» hier nur angebeutet, baß, wie bem begabten Äünfiler baS Verfehlen feiner
Aufgabe oft jur 'tfufflarung über fid) felbjt gereicht, unb baS fruebtbarfte ©Clingen vorbereiten hilft, eben
biefeS SSßcrf in folchem Sinne unS bcfonberS merfwürbig erfcheinen wirb. @S finb 20 latcinifd)c £)ben
Üubwig VelmbolbS*), "ber einige SBerfe beS ScbbpferS nach bem erften Kapitel beS erften BucbeS 9)lofe,
bie oon ©ccarb oierftimmtg unter Beobachtung ihrer Svlbenmaaße (pro scansione versuum) gefegt wur=
ben. SSir fel)en in biefen ©ebichten bie Söerfe ber Schöpfung allgemad), bis ju ben $)flanjen ^tn, ent=
flehen, unb hören fie »reifen; nur bie fechjelmte .Cbc unterbricht bie 9?ei£)e ber übrigen burch einen fremben
©cgenftanb, inbem fie ein 2ob beS SBanbernS, jumahl ber Schüler enthält, um neben ber (Sinfammlung
nü^licher Äenntniffe auch an 2e'b unb ^eele fid) gefunb ju erhalten. £>icfe Sonfäfse erfchienen um 1596
ju 9)cüblbaufen bei VterotmmuS Steinhart. (Sccarb hatte fic feinem greunbe, bem Diditer, von ÄonigS=
berg auS jugefenbet, mit ber Bitte, fie ben Bürgermeiftern unb bem fRatijc feiner Vaterftabt ju überreichen,
waS von biefem in jierlid)en lateinifchen Verfen gefchahe. „So weit ift ber kregel von ber Unftrut ent=
fernt," fagt er bort, „baß biefe jenes tarnen faum oon .£>brcnfagen fennt; boch finb meine £>ben mit
gefunben güßen ju mir jurücfgelangt, fangreid? l;üpfcn fic, ba bie Sbne ilmen »affenb angelegt finb, lob-
würbig ift fo tonoolle Beobachtung beS SDiaaßeS. @ucb, 3hr Väter unferer Stabt, hat (Sccarb bie gruebt
feines Bemühens weihen wollen : benn, ift er auch bem 2eibe nad) von unS entfernt, fo will er boch b«n
©eifte nach bem Vaterlanbe ftdE? nahe jeigen, wie eS allen Verehrern beS wahren ©otteS, allen Pflegern
ber Äunft gejiemt. dt ift ein 93iühll)aufer, er ift Sontunftter am £ofe Greußens, er ift aUbefannt auf ben
Vöhen beS fönigtidien BergeS ; wer von ben Unferen ift wohl bis bal)in gebrungen, fo in ber jtunft auS=
gejeidmet? Selten finb feine ©aben, feiner unter ben Söhnen unferer Stabt hat vor ihm »erftanben, fo
anmutl)ig bie £one ju verbinben, bie lebenbige Gelobte fo ben SBortcn anjufebmiegen." So fährt er
bann fort, er freut fid), bie Sonhmjl f)iet fo würbig ju ©otteS 2obe angewenbet ju ft'nben, er forbert bie
Väter ber Stabt auf, il)reS Crccarb 9Rüt)c ju lohnen, unb barin ßhrifti Beifpiele ju folgen, ber bem ju
geben verheißen, ber ba habe, unb ber würbige ©aben auch würbig verwenbe ! — Saß man biefeS SBerf,
wie ber dichter gethan, mit Beifall aufnahm, ift barauS ju erfennen, baß breißig Sabre fßäter, als jener
fowohl als fein Sonfe^er fchon lange babjn gegangen waren, BeibeS, bie £)ben wie beren Betonung, ber
(1620 ju 93tül)lhaufen erfd)tenenen) ©efammtauSgabe Vclmbolbfcher Sichtungen wieber einoerleibt würbe;
jener frühere tfbbrucf war bamalS gänjlid) verfauft, unb nirgenb mehr aufzutreiben, eben fo war biefeS
') Odae sacrae LudovicL Helmboldi Mulüusini de quibusdara creatoris operibus, G«d. I. Harmonicis oumeris,
pro scansione versuum ornatae, et compositae quatuor voeibus a Johanne Eecardo Mulbusino etc. Impensis Hie-
roDvtni Keinhardi Mulbusini Anno MDXCVI.
56*
444
mit a$$e$n tcutfd?en Biebern (Sccarbg gefdjet^cn, »on beren erftem (Srfcheinen wir feine juwerläfftge 9cad)--
rieht haben. «Sie bilben ben Heineren Zljc'ü einer «Sammlung 4?elmbolbifd)er Sieber, unter bem Sitel :
„Stetig beutfehe ßb,ripd)e Sicblcin SER. Subom'ct .Ipelmbolbi, auf fchbnen trbftltd)en Herten ber heiligen
©chrift, ertlich unb lieblich, ju fingen, tmb auf allerlei) ^nftrument ber SDZuftca ju fm'elen, in t>ier ©tim»
men abgefefeet;" unb bic erjten 22 berfelben ftnb burd) Soadn'm »on S5urgE betont. £ieronr;mu§ 9?einhart,
ber Verleger biefeg SBerfeg, wie beg eben befprochenen, fagt in ber Sufcfyrift, womit er baffelbe im Sahre
1599 einigen ©bnnem überreicht, baß beffen 2Bieberf)erauggabe burd) häufige Nachfrage, bei völligem
Abgänge ber früheren 2lbbrücfc veranlaßt worben fet), unb baß bie Sieber nunmehr jufammengebrueft erfdtjie=
nen; ohne babei ju bemerfen, mann ber unferem SKeijfer angefjbrenbe SÖEjett berfelben juerji herauggefommen
fe». SBafjrfcheinlid) bilbete biefer ein felbjtänbigeg 2Berf, mie eg minbefteng mit ben Sonfäfcen S3urgfg ber
gall tjt, bie mit ihm hier ju einer ©efammtauggabe »ereinigt ftnb. 3Cuf tt>n paßt oorjüglid) ber SSttel biefer
legten, ber bie Sieber auS frönen unb trbftlid)en ©d)riftftellen gezogene nennt. Über bem Sonfalje eineg
jeben biefer acb^tjelm Sieber ijt bie ©d)riftffelle angejeigt, aug ber eg gefdjbßft ift, unb baneben fielen nod)
jmei auf beffen Snfjalt bezügliche Sieimjeilen. ©o ftnben mir über bem erjten Siebe, bag f)ter mieber, mie
in jener gemifd)ten Sammlung t>on 1589 bag Gängangglieb, jur gteube aufforbert:
©e»b fröhlich, in bem #erren
Unb bienet if)tn ju @l)ren,
bag fünfte Sapitel beg 33riefeg an bie (gpfjefer angezeigt, mit befonberer 3?ücfft'd)t auf beffen 17ten big 19ten
SSerä, mo S3orftd)t im SSanbel, 9Käß igfett, bie greube im ©eift unb am ßobe ©otteg in heiligen Siebern
empfohlen mirb; unb baneben flehen bie §3erglem:
Sing mie ©ott min,
£>ber fcrjwetg ftill.
So f)at bag üierjehnte Sieb, eine SBamung »or bem falfchen ^rieben :
„Der grieb' ift gut nach, ©otteg SEBort,
©onjl ift er drger alg ein Sföorb,"
bie 23ejugnabme auf bag neunte (Eapttel in Sucag Gbangelium, unb namentlich beffen 23flen bis 25jlen
33erg, mo ber Sr>m bie jünger jur ©elbftüerleugnung ermalmt, ju miUiger tfufnabme beg .ÄreujeS, jur
Nachfolge, unb bann augruft: „Unb wag 9htk hätte ber SKenfd), ob er bie ganje 2Belt gewönne, unb
oerlbre fid? felbjl?" Daneben ftnben mir bie Seilen :
Der grieb' obn' SBafjr^eit tobt' bie ©eel,
©Ott ung bafür behüten mbH'.
£>b biefe tfnbeutungen ber heiligen ©d)rift alg Quelle ber Sieber, unb biefe 33erglein, ber Dieter beigefügt
habe, ober ber Sonmeifler, miffen mir nid)t ; fte fielen über jebem Siebe, ja, über beffen einzelnen SEbeilen,
mo eineg bereu jmei bat, unb fo bilben biefe nunmehr eine in fid) gefcfyloffene gleichmäßig georbnete ©amm=
lung in if)rer neuen 2luggabe, auf ähnliche 'üxt »ieUeid)t mie bei tf)rem erjren (5rfd)einen. S3orlduft'g fet>
bie SBermutfmng f)ter aufgepellt, jene fyätere 2luggabe fet? eine Erneuerung beg früfjeften, um 1574 gcbrucf=
ten 2Berfeg unfereg (Sccarb ; mir werben bei ber ^Betrachtung feiner SEBerfe nad) ttjrer 3eitfolge, unb ber
inneren (Snrmicfelung feiner Äunft in benfelben, wieber barauf jurücHommen. Der lateinifdje SEitel jeneg
älteren DrucfeS fleht biefer Jücrmuthung nid)t entgegen, benn ein folcher mürbe nicht feiten auch bei ©amnv
tungen beutfeher üieber alg nolltbnenber öorgejogen.
445
2Bir fommen nun, in ber vorläufigen Aufzeichnung unb duneren 33efchreibung ber SBerfe Gfccarbö
ju feinen betben testen unb groß eften, burd) bie er feinen 9fubm oorjüglid) gegrünbet, unb als ©änger wie
©eljer ben 'tfnfprud) gewonnen bat auf bie ©teile, bie wir ihm in ber ©efd)id)te beS eoangelifd)en Kird)en=
gefangeS anweifen. 9Karfgraf ©eorg griebrid) hatte ihm t>or feiner Greife auS Königsberg im Safjre
1586 ben Auftrag gegeben, über bie SSBeifen ber in Greußen gebräud)(id)fien Kirchengefänge fünfftimmige
Sonfäfce anzufertigen. £>ieS fjatte er nun nad) unb nad) getban, unb fie in jroei Steile gebracht, beren
erfier unter 23 Hummern 24 £onfälje enthielt über 3eit= unb geftlteber, ber jweite beren 31 unter 299cum=
mern über Kated)iSmuSlicber, ^Pfalmlieber, Sehr*, 33et= unb ßobgefänge, fo baß in betten, tflleS jufanu
mengenommen, 55 SDielobieen bebanbelt waren. SSeibe erfebienen ju Königsberg bei ©eorg £>jlerberger,
im Sabre 1597. 2>en erjten S£b,eit batte er feinem gürften unb £errn, ben jweiten ben S3ürgermeij!ern
unb 9?atbmannen ber brei ©täbte Königsberg zugeeignet ; feine greunbe "JfrtomebeS unb Sfeimann hatten
ben erfien 5£f)eit mit einigen lateimfehen 25tfttd>en ju feinem Sobe begleitet, Grin eigenes Vorwort beS Wleu
fierS, an Sonfünftler unb ©änger gerichtet, giebt aber aud) S^ecbenfcbaft barüber, waS er mit feinem SBerfe
ju leijten geftrebt habe. 2Bie wir nun bei jenen jwanjig Iatetnifcbert £>ben #elmbolbS, beS Dichters lobenbe
SBorte über ©ccarb anfübrten, um ju jeigen, wie t>on 3ettgenoffen feine ©chöpfungen aufgenommen unb
gewürbigt würben, fo mögen bter, tbeilS im 2£uSjuge, tbeilS urfunbltcb, beS StteijterS üffiorte fiebert, burd)
bie er ein richtiges SSerftänbniß feines SBerfeS einzuleiten fud)te. 2llIeS biefeS wirb unS einen gaben gewäb=
ren, an welchen wir fpäter bie näbere ^Betrachtung beS inneren ©ehalteS feiner ßeijtungen fortleiten fönnen.
Einige, beginnt er, bitten wobt früber fd)on bic SJWobieen ber gebrducbltcbften Ktrcbenlieber in eine folcfye
Harmonie gebracht, baß ber Qfyoxal, wie er an ftd) felbft gebe, in ber Sberftimme beutltd) gebort werbe,
unb bie ©emeine benfelben jugleicb mit einftimmen unb fingen tonne. S)iefe gutherzige Meinung few fei«
neSwegeS ju fcbelten, fonbern höchlich ju loben, ©ine folebe Arbeit gereiche zu rtü^ltcber Übung ber ©ot=
teSfurcbt, jur 3ierlid)feit unb jum SSBoblftanbe beS ©otteSbienjieS in ber Strebe, vornehmlich aber ju Sob
unb @bren ber göttlichen SOiajeftät. £)ennod), fdbrt er fort, „i(t bod) nod) jur 3eit fein ßantional, barin
nad) mufifalifdjer 2lrt waS anmutbigeS unb ber Kunft gemäßes enthalten wäre, ju unS anf)ero in Greußen
gelanget." £)eSbalb, beißt eS bann weiter, habe er, auf Inhalten etlicher günfiigen #errn unb guten
greunbe, infonberbeit aber auf feines gnäbigjten gürften unb 4?errn S3efeb)t jene SDielobieen in eine beffere
unb richtigere ßompofitton gebracht, unb fte in öffentlichen £>rucf herausgegeben, @r hoffe bamit ber
djrijttichen ©emeine gebient ju haken, „welche bie gewöhnliche Kirchen=5DZelobe» auS bem Discantu wohl
unb Berjidnblich hören, unb bei ftd) felbjf, nach 'hrer ^nbad)t fingenbe, imitiren fönne;" aber aud) erfahrne
Äünfller würben „ihnen fold)e Arbeit, angewenbete SWühe unb gleip, günftig gefallen laffen." 6r fd) liegt
bann : „Sn gührung beS Chorals habe id) mid) nad) unferen ^)reuf ifeben Kirchen in Königsberg, wie ber=
felbe barin gefungen wirb, gerichtet. SBofern aber an auSldnbifdjen Srtern, wie eS benn wohl fepn mag,
eine variatioa an einem ober anberm gefpüret würbe, bitte id) bienftlid), mir folcheS nicht ju impuüren, als
ob td) »ielleid)t ben Gfyoxal, in SKeinung anbeten ©timmen baburd) ju fügen, ober ju belfen, studiose
unb data opera »erdnbert hätte, fonbern — wie erjl gemelbt — wie er aUbie gebraucht, alfo bab' id) ihn
auch behalten. (Snblid) unb jum SSefcbluf will id) einen jeglichen Cantorem hiemit obiter ganfc freunblid)
erinnert haben, baf er im fingen biefer Kird)enlieber ftct> eines feinen langfamen SafteS befleißigen
unb gebrauchen wolle. £)aburd) wirb er juwege bringen, baß ber gemeine SJiann bie gewöhnliche melodiam
bejlo eigentlicher hören, unb er mit feiner ßantore» umb fo mel beffer unb leichter wirb fortfommen fön=
ncn." 59t<m Kirf tiefe leiste Girmabnung nidjt bahtn verfteben, als habe bet SSJceifter einen jbgernben,
fcblevvcnbcn SBortrag feiner ©efänge bamit vorfchreiben wollen ; fte ift vielmehr erft bann richtig ju würbU
gen, »erm man bie ju feiner Seit übliche 2trt ber ßettung mebrftimmiger ©efänge babei in Betrachtung
jieht. £ätte man §w jene alte Vorfcbrtft angemenbet, wonach eine semibrevis — eine Vicrviertelnote —
oie ©eltung eincS © cblageS hatte, fo würben GrccarbS Sonfä^c, ba bie gortfebritte ber SJcelobie barin
jumeift burch Viertelnoten auSgcbrüd't fmb, einen übereilten ©ang erhalten haben, bei bem jcbcS Gnnjelne
untergegangen, unb Verworrenheit an bie ©teile wohllautenber Harmonie getreten wäre, deshalb empfiehlt
er bie langfame Bewegung; er burfte ftcher fetjn, baf? bei ber gewählten Bezeichnung, woburch fonft 9fafch-
heit unb Belebtheit im ©inne ber alten Sonfcbrift angebeutet würbe, BeibeS auch bem würbig entfielt 3kt=
trage nicht fehlen tonne, weil jene fchon von felber bahnt leiten werbe. £>cr naebbrüeftiebe Vortrag beS
SBorteS, ohne jbgernbeS Verweilen ; bie völlige £>cutlicbfcit beS gortfchrittcS ber SJielobie, bie bei großer
ßangfamfeit leicht ganj verloren geht, äumabl wenn jener burch eigentümliche rhvtbmifcbe Beziehungen
ftch auSjeidmet : biefeS BeibeS giebt für bie ju wäblcnbe Bewegung ben rechten SDcaa^ftab, mit bem man
nicht leicht beS SJceifterS Meinung verfehlen wirb. 25te %xt ber Beljanblung beS Chorals, wie fte in biefem
SBerte erfcheint, unb beS geftliebeS in engerem ©inne, wie fte in bem nunmehr ju befebreibenben hervor=
tritt, ift biö über bie SEJcitte beS 17tcn SabrbunbertS hinaus, in ber burch Grccarb, vornehmlich burch beibe
Sßerf'e, gegrünbeten 9)reuf3tfcben Sonfcrmle, ein dufter geblieben; ihre nähere Betrachtung wirb ben 50cit=
telvunft unferer folgenben Darjtcllung bilben. Gibe wir baju übergehen, vollcnben wir ben Umrifi ber
äußeren ßebenSereigniffe unfereS SEJieifterS unb ben vorläufigen Bericht über feine Stiftungen. 25aS zweite
jener 4?<mvtwerf"e GjccarbS erfcfjien nur um ein Saht fpäter, als feine Giboralfäljsc, um 1598, in jwei %x)e\-
len von fechS ©timmbüchern, unb führt ben Äitel: ,,$PrcufHfd)e Sefilteber burcbS ©anje Sabr, mit fünf,
fecbS bis acht ©timmen." 2lller angewanbten 5SÄüf)e ungeachtet I;abe ich tiefe erfte (von ^MfanSfi, ©eite
329 fetner ßiterargefchichtc Greußens angeführte) 2CuSgabe nie §ur 2Cnftd;t erhalten tonnen; ich fenne nur
ihre fvätere, von GjccarbS ©d)üler unb Nachfolger, ©tobäuS, beforgte Auflage, ebenfalls in jwei Sbeilen,
beren erjter um 1642 ju Gflbing bei ffißenbel Bobenbaufen, ber zweite ju Königsberg, 1044 bei Johann
Sieufjner erfchien, burch ©tobäuS Sonfäfce ähnlid)er 2trt bebeutenb vermehrt. GjS ift ju bezweifeln, bafj,
auch nur an ©efängen von Gjccarb, jene erfte 2tuSgabe alles baSjenige enthielt,-- waS unS in biefer zweiten
geboten wirb. £>iefe enthält im ©anjen 27 Sonfdfee unfcreS 9JleifterS, 13 im elften, 14 im jweit'en
SSbcile; eine 3abl, bie ftd) noch vermehrt, wenn wir in 2fnfd)lag bringen, bafj ein Sieb beS erften SheileS,
von ©ebaftian 'tfrtomebeS, baS ftd) fchon in ber um 1589 von Grccarb herausgegebenen, gcmtfd)tcn ©amm=
lung befmbet, in fecbS ©ä£e von ziemlich bebeutenbem Umfange geseilt ift. Nun feben wir aber Grccarb
hier, aufier mit ßubwig ^elmbolb, ©ebaftian 2£rtomebeS, ©eorg Sfcimann, $>etcr Spaden unb anberen
ungenannten Did)tern, auch mit ©eorg SBeiffet unb Valentin Sbito in Verbinbung, mit jenem in vier gäl=
len, mit biefem in einem; unb bod) ift eS unmöglich, ba^ Beibe, benen fein ©d}üler©tobäuS oft fid) anfcblojj,
ihm, beffen ÜJieijter, fchon um 1598 einrieb bid)ten fonnten. ©eorg Sßciffcl würbe ju Somnau in Greußen
erft um 1590 geboren, unb trat erft am britten 3(bventSfonntage beS SahreS 1023, alfo nach (SccarbS Sobe,
lein ILmt alS Pfarrer an ber neuerbauten 9fopgärtifchen Äird)e ju JlbnigSberg an; SSalentin SEbilo ber
ältere, — benn von beffen ©ohne gleichen SiornamenS fann bie Sfebe hier nicht ferm, ba er erft am 19ten
äyxil 1007 ju Äbnigsberg geboren würbe, — war von ßinten in ^reufjen gebürtig (ben 2ten S«nuar
1579;, würbe um 1003 Pfarrer ju ßilau, unb ftarb 1020 ju Königsberg als DiafonuS ber altftäbter
. 447
■ftivcbc. £r formte MB mobl Ott neunjebnjäbriger Jüngling unfcrcm Sfteiftcr fcbon ein geiftlicbeS Üteb
gerichtet haben, auch jiartb er unzweifelhaft mit t'bm in ^Berührung, wie mir beim ftnbcn, bag ßeearb für
ben 20ftcn Xpril 1007 ein fünfftimmige? bfctntföeS SJiotctt fegte ,ur geier ber ©rtbcilung ber Sectertvürbe
an $cbn jüngere unb altere Scanner, unter benen ftd? auch, Valentin Sbilo unb ^)cter .fragen befanben.
20Iein tt mar bem in ber £bat nicht fo. Sic ÜSeife beS Sbilo'fcben 2£tt>entSlicbeS : /,25er grofje Sag
be3 Herren" geborte urfprunglich einem .öod^citglicbe an, ta§ Grccarb um 1004 für bte J&ocb;eit be$
UnfrttniHfiffcH £cbalb SRMtec unb ber tfnna, Söittme hageln feste, unb erft fpäter bat man ft'e mit
ibrem Sanfa|e für jenes, angemenbet. Qjben fo verhält tä )iä) mit fünf anbeten ©efängen GrccartS in biefer
fpätcren Ausgabe feiner gefttietcr. 3mei bcrfelben erfebienen in ben fahren 1003*) unb 1004**) als «öoeh*
jeitslieber, unb ©eorg Jeimann verfab ft'e erft nachher mit geiftlichen Sichtungen; ein britter mar urfprüng--
lich***) für bie S3crmäblung SDtartinä von 23atlenrobt mit SRaria Srciin von Äirtlife beftimmt (1005) unb
©eorg SBetffel hat erft in ber geige ihm ein Cftcrlieb angepaßt; noch jmei anbere entlief;, ebenfalls .£och=
jeitsgefänge au§ ben Sahren 1002 f) unb 1007 77), erhielten burch, unbef antue Siebter eine f trci>ltd>e
S3eftimmtmg. £bne 3meifel mirb c§ mit bem fünften, ftebenten unb ftcbjebnten Siebe be§ erften Sh,eileä,
bie von SBeiffel gebietet finb, eben fo befchaffen fepn :
2Bcr burch fein eigne Söunbcrrraft
Sen SSlinben ba3 ©cft'cbt verfdiaft :c.
©td) einen ßhriffen nennen,
Unb CEbrijhim nicht befennen k.
9hm liebe Seel', nun ift e§ 3eit
nur habe id; bieber bie ©elegenfjeit^gefänge noch niebt aufjufinben vermocht, bie ju tiefen £enfäfcen unfereä
SRetfterä urfprünglicb geboren. SBir hätten bienacb anzunehmen, bafj ber erfte Sl)eil ber gcftlieber fünf,
ber jmeite vier Sonfäfce meniger enthalten habe in ber frül;effen Aufgabe, al§ in ber fpätcren be3 @tobäu§,
alfo nur fechjehn im ©anjen. Sagegen ift c§ mahrfcheinlicb, bafj er noch einige ßhoralfätje enthielt, bie
von decart, entmeter meil er ftcb tfjvev nid)t erinnert, ober ft'e erft nad) 1597 gefertigt hatte, in bie beiben
Sbeilc feiner geiftlichen Sieber auf gemeine Äircbenmclcbieen nid)t aufgenommen morben maren, unb bie
StobäuS bei beren, burch eigene Sääje biefer 2frt vermehrten SBiebcrauflagc um 1034 mit ihnen 3ufammcn=
juftellen gcratbener fanb. ft'nb beren feebsv ju ben Siebern: Sie Propheten han propbejeit ic ; S3on
©ott mill ich nicht laffen :c. ; SBaS mein ©ett will, ba£ gfd)eh alljeit :c. ; Stadl bir verlangt mich, Sgen,
mein ©ott :c. (von D. ßonteliuS JBccfer auf ben 25ften ^falm), unb ju bem £vmnu$ be§ ^rubentiuä:
Jam moesta quiesce querela etc., fo mie beffen teutfd)er Überfe&ung: ,, frort auf ju trauern unb flagen."
") 9B i r fingen all mit lautem <3d;atl u., auf bic SSermätylung SBilbelmö oon klaren mit 92largarctl?a
SfferS, 1603. (II. 1.)
") SDtaria rommt gut Steinigung — auf bie Jpocfocit 2tntonä oon Äoljlen mit dorbula Sommers
1604. (I. 19.)
•") 9So ift bein Stapel nun, o Sob :c. (II. 3.)
+) 5Rir ift ein geiftlid) Äircbelein IC, 1602 auf bie $Qd)i<it grtebric^g cen 3Beinbecr mit Zfnna SRcTen--
firt^. (II. 13.)
tf) Scn fröhlich allcseit bu rcert^c ©otteSftabt, 1607 für SKic^ael Sölfeöffel unb Mnna SBagner.
(II. 33.)
448
iflimmt man biefe f)inju — vielleicht nur mit Ausnahme beS jmeiten, über ben mir juoor eine anbcrc 2Cnftd>t
aufhellten — mie cS benn nicht unmahrfchemlicb, ift, ba£ fte mit ben gefttiebern um 1598 erfdnmen, fo
enthält bie 2luSgabe berfelben t>on biefem %at)n 20 SEonfäfje, ober beren 24, menn mir bie einjelnen SStfjeite
beS SiebeS von 2lrtomebeS befonberS mitwählen. 33on biefen geborten bann beren fteben ^)elmboIbfd)en
Sichtungen an, jmei Siebern von 2trtomebeS, je brei unb biet beren von Jeimann unb ^)agen, bie übrigen
älteren, ober unbefannten Dichtern. SBenn unS nun auch, olme 3meifel in ber fpäteren QluSgabe nichts
entjogen ijt an SBerfcn unfereS SDictfterS, maS bie frühere enthielt, ja, biefer baS SBerbienft gebührt, burd)
Unterlegungen fpäterer Sieber SKancheS erhalten ju haben, maS, als ©elegenbeitSmerf, fonft leichter verloren
gebt, fo haben mir bod) immer ju bebauern, bafj ©tobäuS, mie er bei ber fßdteren Verausgabe oon ßccarbS
ßborälen beffen SSorrebe mcgließ, fo aud) biejenige unS nicht erbalten fjat, bie fein Scl)rer, neben einer
3ufd)rift an ©bnner ober greunbc, gerotfs auch, biefem 2Berfc woranfefcte, um über bie neue unb ganj
eigentümliche 3£rt ftd) auSjufprechen, in ber beffen ganjer 3nr)alt befjanbelt ift, vielleicht aud) über beffen
aümäblicbeS Sntfteben. 5>on ©tobäuS erfahren mir barüber nur menig : eben nur, maS mir fchon ange=
führt, bafi (Sccarb burd) SDZarfgraf ©eorg §riebrid) unb feine 9cad)folger in Greußen, bie ßburfürjten
3oad)im griebrid) unb Johann ©igiSmunb, eben fo mie auS eigenem Antriebe, veranlagt morben, vorjüg;
lid) gciftlicbe Sieber $u fe^en; bafj er beren von feinem SanbSmanne Submig £elmbolb mit nad) Greußen
gebracht, aber aud) an 2lrtomebeS, 9?eimann unb .£>agen bort befreunbete Siebter gefunben, unb bafj fo
biefe (Sammlung, meil in Greußen entjtanbcn, mol)l red)t ben tarnen 9)reufHfd)cr gejtlieber »er=
biene. 2Bir müjfen unS l>ier baran genügen laffen, unb merben an feinem £)rte »erfud)en barjujtellen, mie
in ben ßborälen mie geftliebem unfereS SöieifterS ein reid;er ©d)a| von Äunji niebergelegt, unb in ihnen
vor allen ju ernennen ift, in melcbem ©inne er ben ©otteSbienft feines SSaterlanbeS baburd) ju fdnnüden,
unb mieberum aud) feinen beften unb reifften Schöpfungen burd) t'bn eine höhere S55ett)e ju erteilen geftrebt
babe. — 3um ©d)luffe unfereS S3erid)teS über fein Seben unb SBirfen in ^reufjen bleiben unS nur nod)
einige SBorte beizufügen über feine ©elegenbeitSgefänge. 3n ber 2Ballenrobtfd)en S5tbliotbcf ju ÄbnigS*
berg ftnb beren 30 aufbemabrt, leiber nur nid)t in allen baju gehörigen ©timmbüd)crn : ber Senor unb
S3af3 fehlen. Unter ihnen beftnben ftd) 31 £od)jeitSgefange, von benen 10 im SDZotettenftnle gefefet
ftnb, bie übrigen 21 in ber litt, bie mir fpäterf)in als geftliebfivl merben fennen lernen, jener eigen*
thümlichen 23ebanblungSmeife, burd) meldje baS fo eben befprod)ene SßSetf ßccarbS ftd) auSjeichnet. 2Bir
begegnen hier befannten unb geehrten 9tamen : 33ot)en, ^»laten, SBaüenrobt, SDiölIer; fo aud) ber S£od)ter
eineS 3oad)im SSäthocen, 2lbnocaten ju @lbing, bie ftd) bem Pfarrer ©cbaftian »om ©anbe bafelbft t>er=
mahlt, unb beren ©h^entag unfer ßccarb befingt ; ft'nben ihn alfo in SSejiebung ju einem 9tamen, ber unter
ben erften ber Sonfünftler unferer 3eit glänjt. ©o fyat er aud) feinem greunbe Jeimann einen neunftinv
migen ^)od)jeitSgefang gemeiht, bei feiner jmeiten &>t mit ©ibplla ton ©ehren (1002); einen ftebcnftiim
migen ber SBitfme feines 3lrtomebeS bei ihrer jmeiten S3ermdhlung mit ©imon SSöhmc, ©enator ju Änetp=
hof ; feinem ©d)üler ©tobäuS, bamalS SEKufifbireFtor an bem Some bafelbft bei feiner ^jeirath mit 6lifa=
beth ^auSmann rl007) ein fed)SftimmigeS SSttotett, auf bie SBorte: ©Ott fennet bie Sage ber Unbefledten
unb ihr Girbtbeil mirb ein emigeS fet)n ; fte merben nid)t ju ©d)anben merben in ber böfen 3eit unb gefät=
tiget merben in ben Sagen ber Steuerung. 2n allen biefen ^)od)jeitSgebid)ten, bie (Sccarb fefete, menn fte
nicht, mie manche unter ihnen, nur SSerfe ber lateinifchen ©chriftüberfelmng ftnb, bilbet jeberjeit ben
©runbgebanfen bie groge ©nabe, bie ber £err burd) ©tiftung beS @beftanbeS ben 9Dienfd)en ermiefen hebe.
449
3ft einer t?on beiben Steilen oerwittwet, fo wirb er bamit getröftet, baß ©Ott nidbt ewig jürne, fonbern
bie Sraurigfeit in greube verfebre. Sfleift geben bie tarnen ber SSrautleute ju Tlnfptelungen ©etegenbeit,
jumabl griebrid) unb Sorotbea; ba beißt e§, baß bie berrlicbe ©Ott e 3 gäbe Sem gewährt wirb, ber in
gläubigem ©ebete barum flebt; ba^ 6f>riftuö un$ ben grteben erwarb, unb bie Siebe, bie ju ©otteS
Äinbfdjaft führt. 33erbinbet ft'd) Sfetnfjoib SSotjen mit #nna Stbmerin, fo ermahnt tr)n ber Siebter,
in 3udbt, £eufd)beit, Steinzeit ber S3raut t) olb ju fepn, benn föfttid)er fep S3etbeä al§ ©otb unb dUU
ftein; ©eipio, ber tapfere 3f 6 nur, babe barauf gehalten, ßufi unb Sßegier babe er in ftd> ntebergeranwft,
er, ber £eibe, wie mel mehr müffe e3 ein ßbnft! ©ebafh'an gröbner bat 83eronica 9f autter als SSraut
gewonnen, ba ift fte ba<> Äräutlein @I;ren^ret§, bie ebte 3? a u t e, bie ben jungen gelben heilt, ber an febwe*
rem ©iecfytbum barnieberlag ; ein jarteS eble§ gräulein brad)te Sem ©enefung, bem niebt ^riefte, nicht
3?echt§anwalb, nid;t 9JJatbematicu3 belfen fonnte! SSon btebterifebem SBertbe ift faft feineö biefer ßieber,
aber ein woblwollenber, reiner, ebrenfefter, treuherziger ©inn berrfebt oor in ihnen allen, frifd) unb wob>
tbuenb. <3o haben benn auch, alle in unfereS SKetfterS Sonfäfjen, wenn ber ©cherj in ibnen üorwaltet,
etwa§ gefällig 2lnfprecbenbe3, wenn ber (Srnft, etwaS fräftig @rbebenbe§, fo baß leicht ber SBunfcb, entfte=
ben fonnte, biefen ©efängen bureb Unterlegung eines geiftlicfyen SerteS eine längere Sauer ju fiebern, als
ibre anfängliche, gelegentlicbe SSeftimmung ju tbun im ©taube war. S5ei ben »on ©eorg Jeimann beforg=
ten Unterlegungen biefer %xt bat wobl ber SReifter felbfi noeb bie SSeranlaffung baju gegeben, unb biefen
feinen jweiten Stüter babei geleitet ; bei benen ©eorg SSBeiffeß unb 83alentin SEbilo'3 mag e3 ©tobäuS
getban haben ; überall aber finben wir bie unterlegten SBorte, aueb wo wir ibnen felbftänbigen, biebterifeben
SBertb nieb, t jugefteben fonnen, boeb ben Sbnen fo wobj angepaßt, fte fo treftieb. beutenb, baß wir faum
anfteben würben, wenn wir ben 3ufammenbang niebt wüßten, jene fpäter angeeigneten ©ebtcfyte für bie
urfprünglicben, biefe bagegen für einen, ber SBürbe beö SEonwerfS nicht angemeffenen, fte für frembe 3">ede
in 2fnfyrud) nel;menben Sert &u halten, ©o ft'nben wir unter ben geftliebern, »on 9?eimann gebietet,
(I. 19.) eine§ auf 5!Jiariä Reinigung:
Söiaria fommt jur Reinigung,
2Bie baS ©efefce lehret,
Unb fdbiefet ftd) jur Opferung,
3wei Sauben fte »erebret,
Unb ftellt bem £erren ein
3br Sefulein;
©ottlob, fpridbt ©imeon,
SSJlit grieb' unb greub' fahr' ich. batton!
©ein fed)3ftimmiger Sonfafj geborte aber urfprünglicb einem ©ebiebte an auf bie im 3abre 1604 gefeierte
SSermäblung tfntonS üon Äobten mit Gorbula ©ommerS, baö lautet:
greu' bieb, bu frommer SBräutigam,
Sieweil bu baft begebret
Sie tugenbreiebe (Eorbulam,
Spat fte bir ©Ott gewäbret ;
Stach @br' unb Sfeblicbfeit
#aft bu gefreit,
». SBmttrfetk, Mt wangtl. ß^ctalgefang. 57
450
2Bol)l bir, bu baft bein &beil,
©ott geb' bir ©lud unb £eit!
-Dm* bell ©lücfwunfd) an ben ^Bräutigam, womit biefeS ^>od)jeit§licb enbet, iß für ben «Sänger unb
Sonfefeer bereite ein befonbcreS ©lieb beS ©anjen angebeutet, baS bei ber Unterlcgung für ben eintritt »on
Simeons? Sob- unb ©cbeibelicb bettlet werben formte; Jeimann fyat ba§ iijm ©egebene glucfltcb; aufgefaßt,
mit finnigem Einbringen in bie £6ne feines greunbeg, bie wal)rlid) ein beffereS «Scbicffal »erbienten, al$
^Begleiter jener troefenen Sfeimerei ju fetm. 2Bo bie Sorte, bie »or Eintritt jener ©teile, ju einzelnen,
mechfelnben @borjcilen weniger (Stimmen vereint, ft'cb gegenübertraten, nun, in eine, flangreid)e ©emein=
febaft, tiefer ftetS anfcfywellenb ju präd)tiger gülle, wieberum jufammenftreben, unb ba§ ©epräge be6
©ebeteS in ernfter, frommer SDemutb bennoeb bewahren; ba pafit er, würbig unb bebeutfam, tbnen bie
SSBorte be§ glaubig boffenben tfltüatcrS an. — 3lu^erbiefen^ocbjeit§liebern begegnet un§ in ber befprocfyenen
«Sammlung noeb SolgenbeS: ein fünfftimmigeS lateinifcbeö SKotett (1598) auf bie (Sinweibung einer neuen
Orgel in ber Äircbe ju Stemel ; ein gleid)e§ (1607) auf bie ©rbebung t>on jebn alteren unb jüngeren Sfilan--
nern ju £)octoren, unter benen, wie jufcor gefagt, aud) ber ältere Valentin £l)ilo unb $)eter ^)agen ftcb
befmben ; ein fecbs>ftimmigce> Sieb Dorn trojtlicbcn tarnen Sefu, »on grof er Snnigfeit, obne anbere äußere
S3eranlaffung nur „ju ©bren unb SBoblgcfaöen," bem «Stabtfcbreiber Sobann ^)änifcb ju SBeblau, wobl
einem greunbe unfereS SJZcijterS (1604), gefegt:
Sd) fc*> an wclcbem SDrt td? woll,
So ift mein ^erj Verlangens »oll
SSlaä) Sefu meinem lieben 4?errn,
T>m id) wollt' feben f>er§ltd> gern ;
SD wie werb' tdt> fo frolict) fepn
SBei feim lieblichen "tfugenfcbein,
©efretjet aller 2lngjf unb ^3ein.
önblicb (1604) ein fünfftimmige§ Sßaletlieblein „3u &t)xm unb SBol)lgefalIen bem erbarn unb wolgeacbten
©corgio Scbubart t»on ^)ricbu§ auö ©djleften, gewefenem Äorufcbreiber auf bem gürflltcben £aufe ©alga
in $>reufjen, feinem freunblid)en, lieben «Sd)wager, componiret." Qt§ bat allen 2lnfcbein, bafi biefeS Sieb
an einen jüngeren S3ruber ber ©attin unfeteS Sccarb gerichtet ift; ©atte feiner Scbwejler fann ber S5efun=
gene niebt fepn, benn ba§ ©ebiebt ift offenbar an einen ganj jungen SSKann geriebtet, ber einem fünftigen
SBerufe unb ber ©rünbung eincS eigenen £aufe§ erft entgegengebt :
SD SJienfcb ber bu geboren biß
ein e^rtjl burd) ©otteä ©nabe,
Sieb' ©otteSfurcbt obn' golfcb unb Sijt,
(So trift bid) gwift fein ©d)abe,
2Beil bu bijt jung, nadb. 3ud)t unb dty
Unb Sugenben tl)u jlreben,
2ln falfcbe ©fellfcbaft bid> niebt febr
Unb fübr' ein reblicbS Seben.
SD junge§ S5lut, mit ©ott unb @l)r
Sin' freien gjtot& tl)U lieben ?c.
451
Saß (Sccarb üerbcirathet war, lernen wir aus feiner fpätcr ju erwabnenben JBcftalluiig als 6burfüvfilid)er
ßapcllmeifter ju SSerlin, worin feiner ©attin nach feinem Sobe ein ©nabengehalt jugeft'd)evt wirb; au§
biefem ©ebid)te föttnen wir mutbmaaßen, baß fie eine Schlcficrin, eine geborne Schubart war. Seine
hat er wohl erft in Greußen, unb nicht fd)on in Söiüblbaufen gefd)loffen, benn unter ben jahl*
reichen, von feinem bortigen Äunftgenoffen unb greunbe 3oacbim von S3urgf gefeiten 4?od)äeit3liebern
— bereit wir 91 befugen — ifi feinet an ihn gerietet. 2Babrfd)einlid) fegte gecarb feine .!pod)$cit?gefängc
fid> felber, wie e§ aud) SSurgE getban, unb e§ fönnte fevjn, baß jwei Sonfä^e biefer 'Xx\, bie,
wenn aud) ohne weitere 33ejeicbnung , in ber »on ihm 1589 herausgegebenen, gemtfehten (Sammlung
ftd) befmben, feine eigene äScrmäblung feiern. SBeibe ft'nb fünfftimmig : ber eine auf ben 128ften ^Pfalm,
nad) SobmafferS Überfefcung, jebod) nid)t beffen gewöhnliche, bem franjöfifd)en $>faltev entlehnte ©mg*
weife, fonbern eine frei erfunbene gerichtet ; ber anbere auf Sirad)3 SBorte: SBobl bem, berein tugenbfam
SBeib fjat, beß lebet er noch, ein» fo lang. S>on beiben werben wir, als au§gejeid)ncten SBerfen unfere?
SEJieifterS, noch fpäter ju reben haben, unb wir jweifeln nicht, baß bie troftreichen SScrbcißungen beiber SEertc
an ihm, ber beffen fo würbig war, ftd? werben erfüllt haben.
äöeniger reich an ©elcgenbeitSliebern (Sccarb» ifi bie UniocrfitätSbibliotbef ju JtbnigSberg. Q.Z
fmb bereit nur fünf bort ju finben, aber mit allen Stimmbücbern ; jwei lateinifche, fünfftimmige SKotertett
auf Soctorpromotioncn — ba§ eine bavon baS fdwn erwähnte — unb brei £od)$eitSlteber, von benen jwei
fünfftimmige auf jtirebengefänge gefegt ftnt, eines auf ben 128ften spfalm nach ßobwaffer mit beffen fran=
;öftfd)er 5)telobie (1598), ein anbercs (1603; auf ein (^belieb ber mäbrifdjen 33rüber unb feine Singwetfe:
Saft un3 fingen,
Unfer' Stimmen
3u ©ott erheben tc.
bie wir alfo beibe feinen 6l)oralfatjcn werben betjurcctjnen haben, £a& britte, nur oiaftimmige, (1598;
auf SSalthafar Ben Sangerhaufen unb SRaria Üorenfjcn, ift freie (Srfinbung.
SSStr fehen auS biefer allgemeinen Überftd;t ber ©elegenheitSgefänge (SccarbS, baß fie inSgefammt
fröhlichen unb feftlich-feietlichen SSeranlaffungen ihre (Sntftebung verbanfen. (Sin ©rabe§= ober Sterbelieb,
beren fpaterbin fo viele vorfommett, finben wir barunter nicht; war e» nun, baß man bei SterbefäUcn an
ber fird)licbcn geier, unb ben babei angewettbeten geiftlichett ©efängen ftd) bamalS genügen ließ, unb bie
pcrfönlicben ^Beziehungen ber 2eid)enrebe, unb bem babei ju gebenben ßebtnSabriffe be£ 33erftorbenen
auffparte; fex? e$, baß jene 3eit überhaupt mehr jum grobfüme hinneigte, al» jur Srauer. 2fud) war biefe
3eit ber vormunbfd)aftlicbcn Regierung SEftarfgraf ©eorg griebrid)3 in Greußen im ©anjen eine glüdliche,
gebeiblicbe ju nennen. 2)er burd) ^)erjog Wibrecht ben ©rften auSgeftreute Saame in SBiffenfchaft unb
Äunft hatte, nach vorübergegangenen, heftigen Stürmen, nachhaltige grüd)te getragen; bie burch ihn
geftiftete 4pod)fd)itle blühte fort, ba§ 2anb erfreute ftd) be» griebenS unb eines junehmenben SBoblftanbee»,
unb war auch für ÄönigSberg bie feit bem Setober be3 3abre3 1601 biö in bie legten Sage be§ 9cot?ember&
im folgenben ^aljxe wüthenbe ^)eji, welche im Saufe be6 2luguft biö 650 £pfet rcbchentlid) bahinraffte, eine
fchwerc ©eißel, fo fcheint ihr bamaß bod) fein bebetttenbeg £aupt gefallen, nod) bie Stabt in bem SDfoaße
»erbbet worben ju fepn, alä bei fpdteren plagen ähnlicher 2lrt. So gewährt unS benn freilich ba§ Saht
1601 feinen ©elegenheitsgefang unfere» SöJeijler^, ba§ folgenbe beren nur »ier; aber in ihnen jeigt ft'ch
boch wieber ein fchnelle? ?lttfathmen nad) überftanbenen ßeibett, unb fröhlichere J^ofnung für bie 3ufunft.
57*
452
Sftarfgraf ©eorg gricbrid) mar UnZbaü) am 26jten 2fpril 1603 gefiorben. 9cad) mancherlei
Verbannungen mit bem .Ronige von 9)olcnr bem aB ßehnSherrn bie mieber crlebigte 33ormunbfcf)aft über
ben noch, lebenben gemüthBfranfen ^)crjog Wibrecht griebrtd) gebührte, mar biefe burd) ben Vertrag
vom Ilten SJiarj 1605 auf Soad)im griebrid), @f)iirfürficn von 33ranbenburg, übertragen morben. tiefer
hatte nad) bem (am 30ften ©evt. 1602 erfolgten) Sobe fetner erjlen ©emahlin, .Katharina, fid? mit ber
vierten Socbter ber £erjogin 9Jiarie Eleonore von Greußen vermählt (23jten £>ct. 1603), unb au3 biefer
eije mar am 22jten Sflärj 1607 eine Softer, SJlarie Eleonore, ber etnjige Sprößling berfelben, geboren
morben. £)er ßburfürjt jeigte bie§ frohe ©reigniß ben ^Pratßifcben Oberrathen burd) ein gnäbigeö ©dbreü
ben an, ba3 er noch bemfclben Sage von ßolln an ber (Spree auS an ft'e erlief, unb bem er eine eigene
■hdnbige Nacbfcbrift beifügte, bie mir, meil ft'e unferen Stteifter unb fein ferneres ©cbicffal nahe angeht, hiev
mittheilen. „SBeil 2Bir auch ba$ fürftlicbe Äinbttattfen ©onntagS £luaftmobogeniti angejlalbt (beißt ee
barin) unb ant'^o in unfercr ßaveGen allbter nid)t gar viel $)erfonen, alfo begehren 2Bir ganj gnebtglid),
rooüet in ungefeumbter evl, nicht allein ben *Preußifcben Giapelnmeifter, Sobann ßefbarten, mit feinen heften
Änaben vnb DBcantijlen, fonbern aud) Soban ßrofern (bamaB SBicecapellmeifter unb ©ccarbS Nachfolger
in biefer Stellung) fambt einem guten 2tttiften, vnb ben heften £>Bcant=©eigem vnb 3infcnblafern, alfo
anhero nad; vnferem 4?oflager abfertigen, baß ft'e fobalb möglich vor angeheiltem Äinbttaufen, vnb vB
lengjte ben neunten ober jebnten 2(pritB bei vn§ gewiß anlangen mögen, ©ie foltert in vnferen Neunter;
fifchen ßanben von Sfmbren ju "Umbtin fchleunig vortgeforbert, auch nach verrichteter .Rinbftaufe mieberumb
hinein gefd)icfet werben. Unb ihr werbet fold)e§, Unferer gnebigften 3iwerftd)t nad), mit gleiß anorbnen
vnb bejiellen. £)e§ ßapellmeifterS bebürfen SSBir auch juvorberft, baß er einrathen helfe/ wie vnfer @apeln=
wefen alf)ier wieberumb etmaS in Orbnung ju bringen. 6r foll ftd) bejio fcbleuniger mieberumb bei euch
ju .Königsberg einfallen."
tiefem S3efe£>Ie mürbe ©etwrfam geleiftet, aber bie 2fbgefenbeten fanben fein fröhliches Äinb=
tauBfeft; 3oad)im griebrid), ber in feinem ©d)reiben an bie 9>reußifd)en 9fatl;c ft'ch fo berjlicb, freut, „ba§
ber allmechtige, getreue ©ott gnebiglid)en Vorlieben, baS 33eibe§, Butter vnb Äinbt, nad) folcber ©elc-
genheit ftd) bannad) bei jimblicher SeibeSvcrmbgcnbeit entpft'nbet," mar neun Sage fpdter, am 31ftcn 9JZdrj
1607, jum jweiten 9)ial)lc Sßittwer geworben. @§ ift nid)t ju bezweifeln, baß für 33cibe3, bie traurige
unb bie fejftid)e geier, bie burd) biefe (Srcigntffe veranlaßt würbe, ©ccarb mit ©clcgenhciBgefdngen aufge*
treten fevn werbe; e§ r;aben ftd) biefelben inbeß nid)t attfftnben laffen. £>ie ^Berufung unfereS 9JJeiftcr§
verbanfte biefer feinem bamaB erworbenen, wol)lverbicnten großen 9?ufe: feine $Perfbnlicf)feit, wie bie
3wecfmdßigfeit ber für Aufnahme ber ßburfürftltcbcn ßavelle von il)m gegebenen 9fatl)fd)ldge fd)cint il)m
aud) bamaB bie 3uneigung unb baS Vertrauen beS ßburfürffen gewonnen, unb beffen SBJunfd), il)n für
. immer an feinen £of nad) S5erlin ju jiehen, veranlaßt ju haben. @3 fam bamit aber erft am 4ten 3ul«
1608 — nur 14 Sage vor bem Sobe be§ Gf;urfürften — jum ©d)luffe. 2)iefcr fd)reibt betyalb an jenem
Sage von Sangermünbe au3, unter eigen()dnbigcr SSolljiehung, unferem 9JJetjler, unb mir theilen biefe§
(gehreiben unb ba§ folgenbe Soh«"" ©igi^munbg um fo lieber mörtlid) mit, aB fte über bie bamaligen
SBerhältniffe ber Gavellmeifter, ihre ßinfünfte, it)re Obliegenheiten, millfommenen '2(uffd)luß geben, unb
nicht allein altertümliche, fonbern aud) bclcl)renbe Senfmale ftnb.
3n bem crjtcn Jßriefc h«ißt e6 : Unfer ßammermeiffer ^>an§ gri^e berichtet UtB, ma§ er auf Unfer
©ehetß, beiner S3cflallung halben, mit bir gerebet, unb barauf erhanbelt, baß bu mit 200 Sblrn. 5BcfoI-
453
bung, ein ©ewiffcS jum Äleibe, 2 2BtnfpeI Dorfen, 2 SBinfpel ©erfie, 12 ©Reffet £afer, 1 £>d)fen,
2 feifte (Schweine, ± Sonne SSutter, 1 Sonne Ääfe, 3 £ammel, 2 (Steffel (grbfen, 2 Steffel 33ud)wei=
jengrülje, 1 Sonne @alj unb 1 (Stein Saig jum Deputat jährlich, jufrieben, welches 2Btr bir auch nebft
freier Söobnung in bem £aufe, tarin 4?err Sofyan 33uffeniuS ftd> bisher aufgehalten, gnäbigft gcwilliget,
unb beine 83eftallung barauf forberlicbft ju verfertigen oerorbnen, barin aud) üorfefyen laffen wollen, baß
bir fotdjer Unterhalt gänjlid) ad vitam üerbleibe, unb beine £auSfrau nach beinern Abfall gleichfalls mit
einem notbbürftigen Deputat oerfeben roerben foll. Die fed)S Gapellfnaben anreiebenb, Ratten SEBtr bafür,
wenn 2Bir bir, eins sor alleS, auf biefelben 120 Sf)lr. ausfegen, nebft 2 SBinfpel 9?oden jdf>rltd>, baß bu
bamit wobt frteblicb fepn ronneft, wollen aud) jebem jährlich, ein Äleibung, bamit ft'e ftch bereifen tonnen,
bureb unfern #offd)neiber verfertigen laffen. Den anberen *Perfonen, fo jur SJcuftca notfjtg fennb, SBir ein
SKebrereS nid)t benn jebem 85 Shaler jur 83efotbung, 1 SSBinfpel 9?ocfen, 1 SSmfpcl ©erften unb 25 gute
©ulben jum Deputat, wie fie bisher gehabt, ju geben gemeint. 33egebren bemnad) in gnäbigem SSefef)l
an bid), wolleft mit benen, fo im £oflager allbereit fe»nb, bafem fie jur Musica genugfam, bergeftalt
hierauf fcbließen, unb bie anbern, fo bu auS Greußen mitzubringen gemeint, alfo unfertroegen behanbeln,
unb fbnnen mir hierüber gefchehen laffen, baß überbem 3obann @rofern (roeil er 33ice=C>apellmciffer fepn,
unb auf ber Keife bei uns» aufwarten, aud) bie Änaben mit unterrichten helfen foll) herüber etwas, wie bu
bich mit ihm aufS ©enauefte ju »ergleichen, jugelegt roerben möge. (Sonften haben SBir bir für beine
bisher geleiftete Dienfte in Greußen, foroohl aud) jum jefeigen Anjuge unb bisher gefebebene Aufwartung,
aud) baß bu bein Anberjieben befto baß ju beftellen, etnS üor alles, ein ©ewiffcS jur 33egnabigung gewil=
ligt, welches bir unfere £berrätbe rc. in Greußen ifco baar entrichten laffen werben. SSerfehen UnS hingegen
ju bir, bu wirft eS an beinern gleiß inSfünfttge nichts erwinben laffen, unb bie Musica, baß eS UnS jur
3ier unb bir felbft jum 9vubm gereicht, anrichten, auch beibeS in unb außer 4?oflager untertbänigji gebül;r=
lief) aufgewartet werben möge/' u. f. w.
Dtefem „Unferm ßapelmeifter unb lieben ©etreuen 3ob<"w Eccarten" überfchriebenemCfrlaß war
noch eine 9cacbfd)rift beigefügt, welche ben §3icecapellmetfter betraf. „Damit (heißt eS barin) bu aud) befto
eher mit 3ob<mn ßrofern auf baS S3icecapellmeifter=Amt fannft jur .£>anbtung fommen, laffen SBir gefd)ebcn,
baß bu ihm 100 Sblr. S3efolbung unb baS Deputat unb Sifcbgelb, wie bie anbern 3nftrumentiften haben,
verfprechen mogeft, foll er barauf ju feiner SSieberberauSfunft fd)riftlid)e 33eftallung erlangen, feonb aber
vor beiner Abreife eines fehrifttteben S5erid)teS, wie bu ihn unb anbere behanbelt, gewärtig. @S bat aud)
juoor ermelter @rofer an unS fupplicirt, ihn in Greußen an beiner Statt jum @apellmeifter ju beftellen,
fbnnen aber noch jur Seit berfelben ßapell halb, weil eS aud) ohne baS in ber Srauerjeit, (wegen beS am
23ften SJcap 1608 erfolgten Ablebens ber #erjogin SKarie Eleonore) nichts gereiftes verorbnen, berwegen
wolleft bu ihn nur allbier ju unfern Dienften auf obbemelte SQlaaß behanbeln."
SÖStr lernen hieraus, baß nur ber ßapellmetfter unb fein Vertreter, ber SSicecapellmeifter, in
unmittelbarer, G>hurfürftlid)er SSeftallung ftanben. Die anberen Sonfünftter ber ßapelle, fo tttel ber @apell=
meifter ihrer notbig fanb, würben »on ihm, nach einem ihm »orgefd)riebenen SSJcaaßftabe ber hbd)(ien, für
fie ju bewilligenben gorberung, gebungen, hingen ganj von ihm ab, unb empfingen »on ihm ben mit ihm
werabrebeten 2ohn an ©elb unb ßebenSmitteln, ben er für ft'e bei ber ßfmrfürftlichen Kentfammer erhob.
Da eS bei ihm geftanben haben wirb, ft'e ju entlaffen, unb anbere anjunebmen, worüber er nur Bericht ju
erftatten hatte, fo war ihr ©eborfam ihm gefiebert, fo wie ihre, t>on ihm allein ju prüfenbe Süchtigfeif, für
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cie er cinjujiehen harte. Sie ßapellfnabcn aber befanben fid> in feiner Kofi unb Pflege, er batte fte ju
unterrichten, unb empfing bafür eine im ©anjen fcfigefefcte SSergütung an ©clb unb SebenSmitteln.
Gfmvfürjt Seacbim griebrid) flarb am 18ten Sult 1608, ef>e er (SccarbS 33ejMung vollziehen,
unb ten von ihm erforberren 33erid)t wegen be£ 33icccapellmciftersi empfangen fonnte. Unfer Stteifter
mar beSbalb an ben neuen @l)urfürjten, Sodann ©tgiSmunb, verwiefen. Siefer fanb fid> aud) geneigt,
bie Sufage feines 83ater§ ju erfüllen, ©r fdjreibt beS^aCb am Ilten September beffelben Sabrcä an feinen
©ebeimen 9fatb, Abarn ©ans?, (Sblcn von ^uttlife : „£>cr alte (üapellmeifter l)at une> angezeigt, welcher =
geftalt er fieb mit Unferm £erm SSatev cbrtjlmilber ©ebädjtmf} in SSefMtmg eingelaffcn; wenn 5Bir bann
nicht vorbei fonnen, feiig gebadeten UnferS Sgcxm SSaterS £anblung ju galten, SSSir auch, einen Üapellmcifier
baben unb galten müffen, unb er von männigltdb gerühmt wirb, bafi 2Btr fo leidjt feines? ©(eichen nicht
haben fonnen, unb ein alter friebfamer, piller SKann tjt, bie SSejkllung auch feinen Qualitäten nach, nicht
fo gar hoch, als haben SBir ihm jufagen laffen, biefclbe unfercs? S£beil§ ju continuiren, unb banacb befolg
len, ftcb, nunmehr einen SBeg wie ben anbem bjnauS ju begeben unb baffelbe anzufangen unb ju verrichten,
was er bteSfaUS fdjulbig unb obligirt ift. SBann aber Shr au3 bem aufgerid)ten ßontraft ju erfehen, bajj
ifjm freie SBohnung jugeftchert, unb ein fonberltd) |>au§ baju benominirt worben, fo wollet befehlen, bafi
fold) J£)au3*) aßbalb geräumt, unb ju feiner ÜJJ otl)burft aecomobiret werbe, inmaaften er c§ mit bemSSotctu
maßet »erfofien fyabcn foll, bamit er zu feiner fbrbcrlidjften Anfunft aBbalb hineinziehen, unb zu Unferei
gtüdlicben SBtebcrfunft mit feinen Sad)cn fertig, unb gebührlich aufwarten fönne, u. f. w.
S5iö Richer reichen unfere 9fcad)rid)tcn über ßccarb, unb wir wiffen nur noch, bafi er bic ibm
geworbene ©teile nicht lange bef leibet habe, unb im 3<d)re 1611 geftorben fe». darüber unterrichtet uns
aber nur bie Unterfchrift feines S3ilbcä vor ber fpäteren Aufgabe feiner gefilieber; Urfunblicbes' befifjen wir
öarüber nid)t. Ser alte £>om zu (Solln an ber Spree, an bem er, vermöge feiner Stellung, vorjüglid)
tbätig gewefen fevn wirb, ift nid)t mehr vorhanben, bie Kirchenbücher beffelben retchen nur bis jum Sabrc
1614 jurüd, wo Gburfürft Sol)ann SigiSmunb ftcb, zum reformirten ©lauben bekannte. Unter ben ©rab=
benfmalen beffelben aber, bie uns" in Äüfterä altem unb neuem SSerlin befdjrieben werben, ft'nbet ba$
unfereS SKeijferS fid> nicht erwähnt. Unb wäre vielleicht anzunehmen, (Sccarb habe, feiner SBobnung
Zufolge, ju bem Sprengel ber ehemaligen $})etrifircf;e in bem Stabttbeile Solln al6 (Singcpfarrtcr gehört;
fo i fi biefe Äirchc feitbem mehrmals burch geuer jerftbrt worben, alte Senl'mäler unb Urfunben berfelben
ftnb babei ju ©runbe gegangen, unb bie £ofnung ft'nbet ftcb getdufcfyt, e§ möge vietleid)t burch, S'cach.ridbten
über beS SQZeifrerS perfbnlid)e SSerl)altniffe, — wie man fte um jene Seit wohl, ebrontfenartig, in bie .Kircbem
bücher eintrug, wenn von au§gejeid)neten, eine§ längeren ©ebächtniffeS würbigen 5)crfonen bie Siebe war, —
ein 90ßebre§ über ihn erhalten worben fevn, al§ wir auä anberen Quellen ju fchbpfen vermod^ten.
Allein wir mögen un$ barüber trbjlen, ba ber 25eft£ be§ SBichttgeren un§ geblieben ifi, feiner
äßerfe, bie von feinem SBollen unb SSolIbringen un3 baä vollflänbigfie ffiilb gewähren, freilich l;aben
niebt alle, manche auch nur brud^ftüdweife, ft'd? aufft'nben laffen, unb über bie Sbdtigfeit feiner legten
3abre ftnb wir gar nidbt unterrichtet; c§ fcheint, als fen er in ber faum breijal^rigen Seit fetneö S3erliner
Aufenthalts mit feinem größeren 2ßerfe mehr öffentlich hervorgetreten. SBäre etwa§ SBebeutenbeS biefer
Art vorbanben gewefen, fo bürften wir vorausgehen, fein Schüler Stobäuö werbe c§ ber S3ergeffen=
") DicfcS Jg>Qu6 roar in ber jefcigen iHofcnflrafe, in bim &ird)fprcngit ®t. spetri belegen.
455
beit endogen fyaben, ba tiefer fein 33ejieS mit fo treuer Siebe gefammelt, unb aud) baS SSorjüglicfyjle
unter bloß gelegentlichen vlperoorbringungen ju erhalten gefucfyt bat, inbem er bemfelben eine rjbfyere unb
allgemeiner gültige SSeftimmung gab. 2ütd) wirb, felbji wenn mir einjelneS S£reflid)e bennod) entbehren
foütcn, eine neue 9iid)tung tunjtlerifd)cn ©trebenS barin nictjt beruorgetreten fewn, minbeftenS nid)t eine
fold)e, bie auf bie gotgejett üon erbeblid)er SBiri'ung gcroefen mdre. SBaS mir »on einer foldjen ßinmb
fung mabrnebmen, läßt, obne AuSnabme, auf feine unS befanntcn SSBerfe ftd) jurücffüfjren. -Die 23ergeb=
liebfeit unferer gorfdmngen nacb, Sonmerfen auS feinen legten Salden laßt unS baljer aud) nid)t ben Broeifel
jurüd, oIS möge baS 33ilb, baS mir »on il)tn als Äünftler ju geben nimmebr t>erfud)cn, in irgenb einer
mefentltd>en SSejiebung unüollftänbig geblieben fepn ; eS mdre tenn, baß bie jträfte beffen, ber biefe £>ar=
jtellung unternimmt, feinem ©egenftanbc nid)t gemacbjen maren.
Sie eigene '2lnfd>iuung beS SöerfeS, baS alS ©ccarbS frür)ejieS genannt mirb, jmanjig geiftlid)er,
ju SKüblbaufen 1574 berauSgefommener geijtltdjer ©efdnge ßubmig £elmbolbS $u ötec, fünf, unb mebren
©timmen, mar mir nid)t gewährt. 3d) l)abe inbeß bie 33ermutl)ung aufgehellt, baß mir in ben acfytjebn
Siebern, bie als SBieberabbrud ebenbafelbft (1599) bei ^»ieronpmuö 9feinr)art erfcfyienen, mal)rfd)einlid)
einen großen £l)eil uon bem Snljalte biefeS SBerfcS befugen. 3116 frühere £cruorbriugungen nennt fte
fd)on ber Settel jener neuen Ausgabe; nur über bie Seit if>reS erjien (SrfdjeinenS merben mir burd) ihn nid)t
belehrt, ßine Söermutfmng barüber auS äuß eren ©rünben giebt unS tt)re Bufammenftellung mit £on=
fallen 3oad)tmS von SSurgf, bie nuV um ein Satyr fpäter, 1575, erfd)ienen; mir folgern barauS leicht,
baß fte mit tiefen ungefähr gleiten Alters gemefen, unb merben fo auf jencS ältere SSÖerf jurüdgeführt.
25iefe Folgerung mirb aber aud) burd) innere ©rünbe betätigt. 3undd)ft fbnnen bie Sonfäfje, bie unS
jene, als SBieberabbrud angefünbigte Ausgabe bietet, nicht fpater alS 1589 entfianben fenn. SSon biefem
Sabje an ernennen mir in ben SBerfen unfereS SJieifterS, mie mir baoon in ber §olge unS überzeugen merben,
ein. fo frifcbeS SSorwärtSftreben, baß jene um jetyn Satyre fpäter aufs 9ceue erfd)ienenen Sonfä^e, menn mir
fte innerhalb biefeS BeitraumeS festen, unS einen ©ttlljtanb, mo niebt einen 9?üdfd)ritt jeigen mürben, ber
allen unferen (Srfafjrungcn über ben SBilbungSgang (SccarbS miberfpräd)e. SMefeS angenommen, fo über=
jeugen mir unS aud) balb, baß fte noch, bober hinaufreichen müffen als jener, nur wergleid)ungSmeife ange=
nommene Beityunft. £)ie ©efdnge, meld)e ber SBieberabbrud toon 1599 enthält, ftnb ttyeilS einfad),
ttyeilS mit fünftlid)er 33erfled)tung ber (Stimmen gefegt, unb bie einmal)l gewählte 2Crt ber S3ebanblung tji
aud) ba beibehalten, mo bie meiji cinftropbigen Sieber einmal)l auS jmei ©efd^en befteben, unb jebem berfet=
ben ein befonberer £onfa£ geroibmet ift. ©infad) betyanbelt erfd)etnt ber <2afe oon jetyn Siebern, beren eines
jmei ©tropfjen bat, fünjilid) t>erflod)ten ift er bei ben übrigen ad)t, beren »ter auS jmei ©troptyen, alfo
aud) jmei SEtyeilen, bejieben. (Slf einfache, jmolf fünftlicfye ©dfee alfo fiebert einanber gegenüber. %me
erflen nun muß man im Allgemeinen mel)r beflamatorifd) nennen als melotifd). «Sie gleichen benen beS
3acob SSKeitanb unb Soad)im »on SSurgf ; eS i(i in ibnen bie ©inmirfung einer fremben ßigentl)ümlid)feit
beutlid) ju erfennen, bie eigene beS S[ReifterS tritt jurüd, ober richtiger, fte tfi nod) unentmidelt. Um SSie=
leS bebeutenber ftnb bie übrigen, motettenbaften ©d|e, fte ermangeln triebt einzelner geiftreid)er Büge, aUein
gecarb gebt bier auf bem ebenen, betretenen SSege beS Sonfa^eS mit feinen Beitgenoffen fort, unb böd)jienS
erfennt man bei itym bie lebenbige ßtnmirfung feines SetyrerS, ben mir motyl bieSSlütfoe ber belgifd)en ©d)ule
nennen bürfen. 2flleS biefeS beutet auf einen jungen Äünftler, ber, maS er bisher bilbenb gelernt, mit
©id)erbeit, felbft mit ©eiji, fortübt, unb baneben, meil er ju bem »ollen S5emußtfepn ber ibm eigene
456
rbümlichen ©abe noch nirfjt gelangte, baSjenige ergreift, was bie ©egenwart olS S^euefteö if)tn entgegen;
bringt, unb baran fortbilbet. ©elbjt an bem Vergreifen in ber Aufgabe mochten wir einen folgen
jungen Äünjller erfennen. Siebe unb SSerefjrung gegen feinen greunb unb ©onner #elmbolb haben ihn
rvohl vermocht, beffen Sichtungen für feine SSonfäfce ju wählen. 2TCtetn er hat babei überfeinen, baß, aller
ehrenwerthen ©cfinnung feines SichterS ungeachtet, burch alle bie Sieber, welche t>ter erfcheinen, eine gewiffc
trocfene Sef)rhaftigfeit l)ingel)t, bie Weber ©änger noch, ©e^cr ju begeiftern vermag. .Keine ber SJMobieen
jener einfach, liebmäßig behanbelten ©ä£e, in benen @ccarb 3acob SJleitanb unb Joachim von S3urgE mä)--
ging, ift firchlicb, geworben, wie auch, faum ju erwarten war. S3emerfenSwerth ift in ber ganjen ©amm=
lung, wie fte unS jefet vorliegt, baS Übergewicht ber harten Tonarten über bie weichen, fo wie ber jirenger
fachlichen — beS ^irolvbifcljen, ^tjx^ifäjen, Sorifchen — über baS Sonifcr/e unb 'tfolifche: bort fteüt
ftch baS SSerhältniß bar wie 12 ju 6, hiev wie 11 ju 7.
©et 3eitfolge nach müßte unS nunmehr junächfi ber 2lntf)eil befchäftigen, ben ©ccarb an ber juerft
1577 von Joachim von S5urgf herausgegebenen Crepundia hat. 2Btr wenben unS jeboch lieber ju jenen 24
beutfehen Siebern, bie er um 1578, währenb feines SienfieS als guggerfcher 9JluftcuS, ju 9D2üf;l^aufert er=
fcheinen ließ, Senn biefe fließen ftch fät bie ^Betrachtung leichter an jene julefet befprochenen Sonfäfce, eben
wie ©ccarbS 33eifteuer ju SBurgfS Crepundia beffer bemjenigen ftch anreiht, waS er biefem feinem greunbe ju
beffen fpäter erfchienenen breißig geijllichen Siebern lieferte. 3ene 24 Sieber ftnb jum f teinften Steile geijtlichen
3n^«ltS : folcher ft'nbcn wir nur jwei. Sag eine ift ein bloßer Sceimfpruch, ober heimgehet, motettenl;aft gefegt :
fO> Sqcxx burch beinen bittern Sob
©teh unS h'e &£9 m aHer ^oth/
Unb alles Unglüc! von unS wenb,
SBef)üt unS auch am legten @nb.
SaS anbere ift bie erfie ©trophe beS alten SDfterliebeS : „ßhrift ift erftanben," in gleicher SSehanblung unb
auf beffen SJielobie ftch grünbenb, bie jeboch m von ben verflochtenen Stimmen aB fefler ©efang
unjertrennt erfcheint. (Sin @r>elieb, ein Sfeirnfprud) über Heuchelei unb galfchheit ber SJJcnfchcn, ein anbe=
rer über ihr vergebliches brachten nach Äunft, (ivjx unb ©ut, beren 33eft£e, wenn erreicht, ber SEob balb
ein Grnbe mache, flehen jenen geifttichen als ernffe jur ©ette. Sie anberen ftnb meift fcherjhaften, felbft
»offenhaften Inhalts, bie SiebeSf tagen ausgenommen, einige auS ©eorg gorftcrS ©ammlung unS
bekannte Sieber, benen wir hier begegnen, haben nicht ihre alten, gebräuchlichen SDcelobieen ; ©ccarb hat
neue baju erfunben, wie eS auch &on SJlanchem feiner unmittelbaren Vorgänger unb feiner ßeitgenoffen
gefchahe, von Sacob SDieilanb, Seonharb Sechner, Sacob 9tegnart, Sacob Sfaincr, Melchior ©chramm,
unb Anberen, beren 2Berfe baher, eben fo wenig als bie feinigen, unS Quellen fevn tonnen für bie volfS-
mäßigen SEeifen älterer Seit. 9htr einen einzigen vierftimmigen ©efang finben wir einfach gefegt, meifi
Zoxi gegen SEon, faft bänfclfängcrifch : bie gäbet von einer ftoljirenben jungen elfter, bie burch eine alte
£enne in einem Sßafferfruge erfäuft würbe, eine fcherjhafte S5ejiel;ung vielleicht auf ein bamalS befannteS
(Sreigniß. 3n ben übrigen ©äfcen geht bie einfache SSehanblung, wenn fte im SSeginne auch bie vorwaU
tenbc ift, bennoch balb in bic fünfllichere über. Sie SKehrjahl aller ift burchweg motettenhaft behanbelt,
unb burch SüUe beä ÄlangeS unb 9?cichtf)um ber Harmonie ben eben juvor betrachteten überlegen, bie wir
auch beSfjalb fchon für älter halten möchten. 3n bem unS jefct vorliegenben SGBerfe, baS feinem 4>auvtin=
halte nach nicht hieher gehört, unb baS unS alfo nur vorübergehenb befchäftigen barf, ft'nben wir (Sccarb
457
rüftig, ftrebfam ; matmicbfaltigeren Aufgaben gegenüber als jiwor, mit fid)erem ©efül)lc ben rechten Son
treffenb ; ber funftlertfdjcrt Sufammenfiellung »ort ©egenfäfjen mächtig, bie ernft baf)erfd)reitenbe metobifdje
SBenbung ber lebhafter bewegten glücflid) »erbinbenb, bie funfiticfye 33erfled)tung ber Stimmen unterbre*
d)enb, mo burd) einfädln, rl)»tf)mifd) beroortretenben ©cfang ein bebeutfamer Sputd) auSjujeid)nen ift,
eS fet> in ernftem ober fd)erjf)aftem «Sinne; bod) immer nur fortbilbenb in bem ©eijte fcineS 33orgängerS
unb SDieifterS, als ein roürbigeS ©lieb ber üon bicfem gcfitftetcn Schule. #f)nlid) jetgt er ftd) aud> in einer
fünfftimmtgen SJteffe, bie ebenfalls in bie Seit feines SienfieS als SJiuftcuS %acob SuggerS gehört. Sie
beftnbet ftd) unter ben muft'falifcfyen $anbfd)riften ber itbniglicfyen äSibliotfyef ju 9)?ünd)en (S^ro. 57) unb
eS barf unS nicfyt befremben, unferen Söicijter auf beren Sitelblatte nad) jenem Sienftoerbältniffe noch,
genannt, unb bennod) baS %al)t 1598 beigefügt ju fefyen, in meldjem er lange fd>on als 33icecaßeHmeifrer
in bem Sienfte beS SSJiarfgrafen ©eorg griebrid) ju Königsberg ftanb. £>enn biefeS 3ab,r bejeid)net l)icr
unjroeifelfjaft nur bie Seit ber »ollenbeten ^>anbfd)rtft, meld)e auf ftarfem Rapiere in fef)r grofsem gormat
fd)6n unb forgfältig gefd)rieben ift. "Küe einzelnen Stimmen (leben J)ter auf jroei S3lattfeiten einanber
gegenüber, fo bafj man ft'ebt, bie 2(bfd)rift mar jum ©ebraud)e ber Sänger bejtimmt, bie of)ne einjelne
Stimmbücfyer, baS ©anje auS ifyr, bie auf einem itirdjetmulte in if?rer SDZitte lag, abjuftngen Rattert;
rooju bie großen, für SSiele roeitbin erfennbaren Singjeid)cn ft'e leid)t befähigten. Sonft tft biefelbe ofyne
Sdjmud, nur bei jebem 4?auötabfa£e ber 9fteffe finb 2lnfangSbud)j!aben mit ^)ei(igenbilbern — S. 3Tn=
breaS, Mauritius, Scbaftian ;c. — rotfy eingebrucft. @ccarb mirb biefe SJleffc roäf)renb feines 2lufentl)al=
teS ju 2lugSburg feinem Söietfter DrlanbuS SaffuS nad) 9Künd)en gefenbet, fte mirb 33eifall gefunben fjaben,
unb jule^t ber 2lufnal)me unter bie für ben ©ottcSbienft in ber £erjoglid)en ßapelle bcfiimmtenSonfrücfe für
roürbig erachtet morben fenn. 9?ad) ber Sitte einer früheren Seit, bie »on ber jftrcbetmerfammlung ju Srient
jroar verworfen mar, jebod) außerhalb 9?om lange nod) fortbeftanb, ift fte auf bie SJMobie eines meltlid)en
ßiebeS gefegt : Mon coeur se recornmande ä Vous ; ofyne S^eifel meil fte ein 2Bet'bgefd)enf beS Sd)ülerS
an feinen geliebten SEßeijler, t>ielleid)t aud) eine Erinnerung an bie in $)ariS gemeinfdjaftlid) »erlebten Sage
ferm follte. SSon ar)nlid)en Arbeiten beS £>rlanbuS ijt fte faum ju unterfdjeiben.
Sie allgemad) reifenbe Selbjtänbigfcit ßccarbS erfennen mir juerft in ben, ibrem Umfange nad)
freilid) nur geringen Beiträgen, bie er feinem greunbe 3oad)im t>on SBurgf ju beffen Crepundia (1577)
unb feinen breiig geifrlidjen ßiebern (1585) lieferte: bort brei SMobieen unb SEonfcujen, bibberen öier,
alle einfad), SSon gegen Son, mit menigen SSinbungen gefegt. £)ie brei alteren in ber Crepundia gefjören
©regoriuSliebern an, beren 2lrt unb S5eftimmung in ben folgenben gleichzeitigen Stroßben ftd)
auSfprid)t:
ßin alter SSraud) bei'n ßbrijlen ift,
25aß man ju tiefen Seiten
2)ie 2ugenb burd) bie Stabt auflieft
Unb in bie Sdjul ti)ut leiten.
9Kit Älang, ©efang, lieblid)em Son
2(ud) mebren (Zeremonien fd)on
25ieS Sd)ulfejt mirb begangen.
Sn meinen Äleibern treten ein
Sie Änaben, f>übfd? gejieret,
s. SBtnttrfttb, itt tsangtl. S^otalgcfang. 58
458
#dnben füfyr'n fte gdfynelein,
©ar füfj wirb ifyn' fjoftret :c.
3wei berfelben ft'nb beutfd)e :
£>aß nod) viel 9Kenfd)en werben
3u biefer Seit gebofym tc. (Kto. 7.)
Sfyr 2£lten pflegt ju fagen
SSon euren Äinberlein ic. (9?ro. 8.)
etne6 ijt ein latemifd)e§:
Age nunc parve puer, dum viret aetas etc.*) (9lro. 1.)
alle t)at $clmbolb, felber bamalS ©d)ulüorftef)er, für ba§ ©regortuSfcft unb CrccarbS öierjtimmigen Sonfaft
gebid)tet. 3n tiefen Siebern wirb ©Ott gepriefen, ber bie SDZenfdjen tagltct) mehre, unb in ifynen fein 9?eid)
auf (Srben grünbe, wenn ber gleiß ber Sefjrer nid)t ermtibe, ber ©el)orfam ber Schüler tfmen folge, unb
burd) ©ottc§ ©nabe ber alte SEKafel ber ©ünbe »ertilgt werbe; e3 wirb eingefd)drft, baß, ber bie 2flten in
ben jungen erneue, tl)nen aud) gebiete, btefe bann iftre ©teile einnehmen ju laffen; unb ber junge Änabe
wirb ermabnt, in frühen Sagen tüd)tig ju fd)affen in gleiß unb ©el)orfam, bamit, wenn er einjl wieberum
weichen muffe, er feinen 9Jad)bleibenben einen rechten ©d)a£ ber 2Bei§f)eit f)interlaffe. Sic fnüpfen ftd> an
eine befh'mmte, nid)t eigentlich, fird)ltd)e, aber bod) in ben Äreiö bee> ©otteSbienfteS in weiterem ©inne
gef)6renbe SSeranlaffung, unb ft'nb in biefem ©inne geiftlidje Sieber. 3&re ©ingweifen ft'nb faßlid) unb
anfprecfyenb; bie be§ erften ift gleichen, geraten SKaaßeS, wogegen in ber beä jweiten rl;ptt>mifd>er 28ed)fel
t>orl)errfd)t, bie be§ legten aber bem anapdf!ifd) = baftwJifcfyen SSKaaße il;re§ lateinifcfyen SerteS ftd> treu
anfdjließt, unb fo, manntd)fad) belebten @d)ritte§ etnfjerger^enb, bem ©d)üler jugleid) eine lebenbige 2Cn=
fd)auung be§ in ber Betonung bargejletltcn SJJaaßcS gewahrt. SSJir ft'nben, faft fyunbert 3al)ve nad) ifjrem
frül>eften ßrfcfyeinen, bie erften beiben nod) in fird)ltd)en ©efangbücfyern, jumeift &f)tirtngen§, unb alle brei
mögen roofjl, wenn fte aud) feitbem in biefen nid)t mefyr angetroffen" werben, bod) ba, wo dl)nlid)e ©d)ul=
fefte ftd) nod) erhalten l)aben, bis auf biefen Sag im ©ebraud)e geblieben fet;n. 93Zid>ael $rdtoriu§ b,at in
ben fed)ften Zvjeil feiner ©ionifd)en Stufen (1G09, 9lro. 94. 95) bie beiben erften aufgenommen, benen er
nur eine anbere Harmonie gegeben l)at ; in einer fpdteren 3(u§gabe ber üierftimmigen Äird)engefdnge beS
©etf) Gjaluift'uä (1622) ift ba§ jweite, in SSBeife unb SEonfafc mwerdnbert, al§ SSefgabe mitgeteilt
(9cro. 127) ; ber jweite Sfjeil be3 ©otl;aifd)en GantionalS (1655, 9lro. 26) enthalt e6 ebenfalls in feiner
urfprünglid)cn ©cflalt, unb baö Erfurter ©efangbud) t>om 3af)r 1663, baS feine mel)rftirmnigcn Sonfdfee
giebt, bietet bod) beibe Sieber mit il)ren 9JJelobieen (p. 655.657); ein 3eugniß für ben S5eifall, ben fte
lange ftd) erhielten. Sof)ann ^ermann ©d)ein, ber in feinem Gantional wn 1627 beibe Sieber aufnahm
CülxQ. 281. 282.) unb auf tl)re bekannten SJlelobieen uerweif't, »erfud)te ifynen neue, eigene anjupaffen,
bie ftd) aber nid)t weiter oerbreitet ju haben fd)einen.
Die »ier Sonfdfee (SccarbS in ben breißig geiftlidjen Siebern 3oad)im$ »on S3urgf fd)lief en ftd)
Mgefängen ^)etmbolb§ an. 3undd)ft einem SDfterliebe:
3u btefer öflerlid)en 3eit**)
Saßt fahren alle Sraurigfeit,
') <S. bic SBcifpicte SRto. 111. 112.
") S. Seifpul 9{ro. 113.
459
3fr muffeligen ©ünber,
©ort bat getban grof? 2Bunt>er ic.
einem ^>immclfaf>rt6Itebe :
©en Gimmel fdfrt ber £erre ßtjrijl,
©ein' üftiebrtgfeit fürüber ift tc.
einem ^ftngfiliebe :
25er f)eilig' ©eift vom ^immel fam*),
9Jiit SBraufen ba§ ganj' SgauS einnahm,
Sarin bie Sürtger fafen,
©Ott mollt' ft'e nieft »erlaffen!
£> meld) ein feelig geft
3ft ber spfmgefttag gemeji tc.
enblid) einem Siebe auf ba§ geft ber Jpeimfud)ung:
Über'3 ©ebirg SOßaria gebt ic.
2flle biefe Sieber faben eine fird)u'd)e S3eftimmung in engerem ©inne ; aud) ift ifre SBefanblung mefentlid)
unterfd)ieben »on ber jener brei ©cfullieber. 3n ben SKelobieen felbft mie in ber begleitenben Harmonie ift
ein «Streben fteftbar nad) fefttiefer 9>rad)t unb reid)erem ©efmuef. Sie SBeife be3 £)fterliebe3 bemegt ftd)
bureb; gängig im breitfeiligen SDZaafj e ; bie 83erbinbung erweiterter Sityjfymtn in ben begleitenben Stimmen
mit S3inbungen in ber £>berfh'mme gerodbrt ber britten unb vierten Seite einen eigentümlichen, ben SBorten
angemeffenen 2fu3brud, auf ben bie Harmonie aud) burcfgdrtgig gerichtet ift. Sie t ont f d) e Tonart ift
bie beS ©anjen ; in ber borifefen bemegt ftd) ba3 folgenbe ^)immelfal;rt6lteb. £ier maltet ba§ gerabe
9Kaafs »or, bod) mirb bie SDMobie burd) rbt)tbmifd)en 2BecbJel, unb bei ber ©teile:
groflocFet, froblocfet mit Jpdnben all' tc.
burd) beftimmt auSgefprocfenen ©egenfag be§ breitfeiligen SEJZaafjcS (in ber gorm beä £ Saftet) belebt, mie
benn aud) in ber Jparmonie 33inburtgen unb einfache Sufammenflärtge einanber bebeutfam gegenübergefteüt
ftnb. ©ben biefer 2Bed)fel, be§ 9it)\)tt)mu§, ber SBinbungen, be§ einfachen 3ufammenflingen§, burd) ba§
jumeiff ber rbi)tf)mifd)e 2Bed)fel ferttorgeboben mirb, fmbet fid? aud) in bem ^)ftngftliebe. ©einer £)ber=
ftimrne jufolge mürbe feine ©runbtonart bie mirolübtfd)e fepn, in bem Tonumfänge »on C mit fleiner
Septime, allein bie Harmonie begleitet ben ©cftufjton be§ SisfantS in ber ©runbftimme mit feiner Unter*
quinte, F, unb mirb baburd) ju einer ionifefen, mie fte benn aud) im Saufe be3 ganjen ©afceö nirgenb
ba§ ©epräge ber mirolpbifcben Tonart tragt, dagegen ftellt bie Tenorfhmme (für ftd) genommen fdjon
ton anfpreefenbem ©efange) in il;rem gortfd)ritte bie ionifefe Tonart »ollfommen bar, auf meld}e auch, »on
ber Harmonie bingebeutet mirb. Safer mirb e§ gefommen fepn, bafs 9Jiid)ael ^)rdtoriu§, beffen ©ionifdje
5Diufen alle biefe m'er Sieber ßccarbS (menn aud) nidjt unter feinem 9camen) in ifrem feefften Tfetle (1609.
Sfro. 148. 152. 161. 181) entfalten, eben ben Tenor für bie ©timme genommen bat, melcfe bie QaupU
melobie füfre, unb baß er beämegen biejenige, bie er bort »orfanb, in bie Sberftimme »erfefct unb ifr eine
neue Harmonie gegeben bat**); mie er benn bicfeS le^te überhaupt bei biefen oier Äircfenliebern eben fo
") ©. SSeifpiet 9iro. 114.
") @. SSeifpiet SRro. IHK
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\voi)l al§ bei ben bcfprod)enett brei ©d)ullicbem gctf)an, 2Ba§ tton bem jweiten unb britten unferer Sieber
getagt worben, gilt im ©anjen aud) üon bem werten: feine ©runbtonart ift bie t>erfe£te borifd)e. Dreien
tiefer ©efänge — baS |>tmmetfa&rt§lteb aufgenommen — werben wir in @ccarb§ gejiliebcm mit neuen
Sftelobicen unb eigcntr)um[id;cr 33cl)anblung ber Jparmonie wieber begegnen, unb fte abermals ju befpredjen
haben. Sene» £immelfal)rtSlieb habe idt>, außer bei 9)rdtoriu§, in (Sammlungen be§ 17tcn 3af)rt)ttnbert£!
fpätcr nicht wiebergefunben. Sag $)ftngft= unb £eimfud)ungSlieb, in SÖMobie unb Sonfa^ unoerdnbert,
nur mit Unrccbt bem Soacl)im üon S5urgf $ugefd)rieben, enthält ber erfie £I)eil beS <Sotf>aifcf>en ßantionalS
(1646, 9iro. 90. III); in baS Erfurter ©efangbud) üon 1663 ift nur bie 9ftelcbie beS erften mit ihrem
Siebe aufgenommen (pag. 1/6), jebod) nicht bie be§ SenorS, fonbern ber £)bcrfttmme, bie aud) wol)t t>on
(Eccarb al§ bie £auptmelobie gemeint fev>n mag, ba er biefe fonjt nirgenb einer SDZittclftimme jujutheiten
pflegt. Söiit biefer SBeife ift ba§ Sieb aud) in grcilingShaufenS ©efangbud) übergegangen (1741, SRxs>. 318)
unb fte, eben wie bie @ccarbfd)e be§ ,!pelmbolbifchen £)fterliebe3, lebt bis auf biefen Sag in bem ,Ktrd)en=
gefange feiner Skterftabt -DZüblhaufen fort. SSeiben SKelobieen hat man aber bort neue Dichtungen unter*
legt. Der beS .SfterltebeS bie folgenbe (91x0. 57 beS 9Jlül)ll)aufer 9Dtoobieenbud)eS) :
SSergefH bie Seiben biefer ßeit,
Der greube fei) baS geft gemeint ic.
unb ju ber beS 9)ftngjt[iebeS (eben ba 9?ro. 71) fingt man gegenwärtig:
Sftun banfet ©Ott bem tjeil'gen ©eift,
Der .Kraft unb S5eiftanb unS t>erf)eifit
3u eblen, guten SBerfen ic.
©he wir nun t>on biefen fteben Siebern, bei benen (Sccarb, Sttelobieen in achtem ©inne baju erftn=
benb, bie ©abe beS ©dngerS mit ber beS ©e^erS erft wahrhaft Bereinigte, ju feinem ndcbjen SEÖerfe über*
gehen, füllen wir unS gebrungen, für eine SEBeile unferen SSlicf in bie SSorjett unfereS 932eifterS jurüc! ju
wenben, unb unfere Darfiettung ber fortfd)reitenbcn ©ntwidelung feiner 2Trt unb Äunft burd) bie folgenben
S5etrad)tungen einzuleiten.
@o lange jene beiben ©aben beS ©dngerS unb beS©e£crS nod) getrennte waren, unb t»on ben
3eitgenoffen eigentlich, nur ber üollfommenen tfuSbilbung ber legten ber SRame einer Äunft jugeftanben
würbe, befanb fidt> ber Sonfcfeer, ber nad) bamaliger ©itte über eine gegebene SCJMobic arbeitete, meift in
einem boppelten galle. ßntmeber legte er fte unsertrennt, unserdnbert, feinem Sonfa^e ju ©runbe, ober
er lieg in bemfelben nur tfjre fenntlid)flen Jpauptjüge anflingen, bamit er baS ©eprdge berfelben trage, unb
fo auf fte gegrünbet erfcheine. Diefe ©runbmelobie war aber im ©inne feiner 3ett il)m jwar ein fbftlicheS
3uwel, ju welchem fein Sonfafc bie fun(treid)e ßinfaffung bilbete, ober wollen wir fte einen feltenen Duft
nennen, ber it)rt würjen füllte; allein wir fonnen bod) nid)t fagen, fte fet? eigentlich ber ©egenftanb
feiner Aufgabe gewefen. ©ie war eine SSeranlaffung »on 2Cufen f>er ju Darlegung feiner Äunjt,
jugleid) aber ein biefelbe Sebingenbeä, il;m befiimmte ©d)ranfen 8Sorfd)rcibcnbeä. Dal) in alfo
war fein ©treben oorjüglid) gerichtet, wie er innerhalb biefer S5egrenjung bie mbglicbje greil)eit ber S5cwe=
gung, unb für feine Äunfi genügenben Sfaum gewinne; benn t t>r e Darlegung in ftnnreid)em 5ßerfled)ten
meljrer Stimmen betrachtete er al§ feine eigentliche Aufgabe, ©in ganj anbercö S3crl)altnip trat l)eroor,
al§ bie beiben ©aben be§ ©ängerS unb be§ ©efcerS mit bem gortgange ber 3eit in bemfelben 5DJeifter ftcb
aUgcmad) »ereinigten. Dicfem würbe e§ nun Aufgabe, burd) feine Äunft eine eigene ©d)bpfung, bie
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oon ihm erfunbene 9)ielobie, von 3nnen ^erauö ju entfalten, Sie war if)tn nicht länger ein oon 2luß en
ijer SBebingenbeS unb S3efd)ränfenbe3 ; burcb, fte empfing feine .Kunft erft ©eftalt, — SBebeutung, geben,
greilid) hätte e§ von Anbeginn alfo fepn füllen, aber jc£t erjt fonnte e3 böllig erfannt »erben, wo 33eibe3,
Singen unb Scfjen, untrennbar in berfelben ^erfon «erfchmoljene ©aben, eineÄunft, nur in boppelter
2lu§jrraf)lung geworben waren. 3weterlei aber waren bie nothwenbigen folgen biefer neuen (Stellung be§
&onrunftler$>. 3unäd)jt ber Übergang bee> ^)auptgefangc§ in bie £)berftimme, bamit, waS nun wahrhaft
©egenftanb ber Aufgabe geworben war, vernehmbarer werbe; baneben aber bie größere Vereinfachung be3
Sa^eö, bie vermehrte (Sorgfalt für bebeutfames? Verhältniß ber einzelnen 3ufammenflänge, welche in bie
©lieber ber SRelobie, al3 tf)re hoebfte Spilje, ausliefen ; benn fo nur fonnte bem Sinne, in bem ber Äünfi=
ler nunmehr ju febaffen hatte, genügt werben. 2Cnbeutungen biefer neuen fütifilerifcbcn 9?icl;tung treffen
wir aHerbingS fd)on in jenen früheren Seiten ber Trennung beiber ©aben. Sie mußte in bem naturge*
mäßen SntwidlungSgangc ber barmonifdjen Äunft fd)on beSbalb allgemach hervortreten, weil, mochte man
auch, juoor e§ anberS angefeben haben, bod) bie gewählte SUMobie ben Sonfafe ntdjt nur bebingte, fon=
bern, bem Selker unbewußt, auch, geftaltete; allein erft burd) ben Verein jener beiben ©aben vermochte
fte wirffam fich Söahn ju brechen, Damit hatte jugleicb, bie Aufgabe mebrjtimmiger ^Betonung auch einer
gegebenen, fremben SOZclobte eine wefentlicb, veränberte ©eftalt empfangen, e3 jeigte fiel) bie fRothmn-
bigfeit, baß aud) biefe überall in bie £berftimme übergebe, wie es> benn von ba an immer allgemeiner
gefebabe. Sollte eS aber bei jener Vereinfachung be3 £onfa£c§, bie bamit fo nahe jufammenf)ing, nun
überall fein Verbleiben behalten, fo ftanb ju befürchten, baß bie Se^funft in bem bisherigen Sinne barüber
ju ©runbe gebe. Denn ba§ bloße £)rbnen unb ßrft'nben angemeffener Sufammenflänge für bie einzelnen
Schritte ber SRelobie, ol)ne eigentf)ümlid)e, melobifd)e 'tfuSgeftaltung ber verbunbenen Stimmen, in benen
jene bargeftellt würben, ohne ftnnreidje S5ejieljungen berfelben ju einanber, festen biefen tarnen nicht ju
verbtenen. 2lls> nun um 1589 Crccarb mit feinem nächsten Söerfe hervortrat, war e§ mit ber Äunft be3
SSonfefcerS fo befetjaffen ; fte betrat eine neue SBafyn, aber mancherlei 3weifel befmgen babei notbwenbig ben
Äünftler, unb auch, unferem SOieijler fonnten fte nicht fern bleiben.
2flle feine in biefem SBerfe enthaltenen geiftlid)en ©efänge ftnb ju einer ober mehren gereimten
ßiebftrovben gefegt, big auf einen (^cro. 2;. tiefem liegen einige Verfe (ber erfie bis vierte) aus> bem
26jten ßapitel beS SefuS Siracb, ju ©runbe: ,,3Bob,l bem ber ein tugenbfam SBeib bat, beß lebet er noch
eins fo lang tc." Unter ben übrigen tritt ein furjer Sfeimfprucb unS entgegen (Hlxo. 8.) :
2lUeS von ©Ott,
Unb wenn bie 9cotb.
SSBär wie ber SEob,
4?ilft bod) ber treue ©Ott.
SSter anbere ftnb über ^Pfalmlieber gearbeitet: 9fro. 3 über eine gereimte 9cad)bilbung beS 33fien, üftro. 5
be§ 128flen, 9tro. 6 beS löten, 9tro. 16 be3 23jien ?>falm§. 3wei haben Äirdjenlieber unb ihre Sing=
weifen jum ©egenftanbe: ,,9JJag ich Unglüd nid}t wiberjlahn" (5cro. 17), „SerSag ber iji fo freuben=
reich" (Rro. 18) ; ein britter behanbelt jwar ein befannteg Äirchenlteb (<Rxq. 4) :
©rweeft hat mir mein #erj ju bir,
#err ©Ott, bein SBort ber ©naben tc.
aber nicht feine SCRelobie : je einer jeigt eine einzelne Strophe 5 9fao. 14 eines? Sifd)liebeS :
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2Bir Kernten ©ort für feine ©ab'n,
Sie mir »on ifym empfangen l)ab'n,
•ftro. 15 eines Siebet t>on 33erad)tung ter Söeltlufl:
@S trau'r ma§ trauren foll,
SJiein ^)crj ifl freubenooll;
%ic bu fdmbbe mit,
Sein ©inn mir nidjt gefällt,
Sd) Jjab' ma§ befferS funben ic.
Ser auSgefübrtefle unter allen tfl ein spafftonSlicb oon 2lrtomebe§ (9lro. 7):
SOtein ©ünb mich, fränft, ba§ ©fefc mid) bringt,
SKcin ©miffen jagt, ber 5£ob mid) jagt tc,
Deffen fed)3 ©tropfen , batb brei=, balb wer* ober fünfflimmig befjanbelt, jebe einen befonberen SEonfa^
bilben. Unter biefen jmblf ©efängen jeidjnen mir beren »ier aus>, bie mir für unferen 3mecf näber ju
betrauten l)aben, unb begnügen un3 megen ber anbern mit ber allgemeinen SBcmerrung, bafs fte im SSJioret«
tenflple gefegt ftnb, unb forfmäf)renb ein 3cugnif? baoon ablegen, baf; unfer (Sccarb burd) bie ©d)ule bee>
tüd)tigflen belgifd)en SSKeifterS feiner Seit gegangen mar.
Um nun ben SJiotettcnflpl, mie mir benfelben l)iet üerflefyen, näber ju bejeidjnen, bamit mir bann
prüfen rönnen, miefern bie 5Bcl)anblung ber übrigen ©efänge, benen mir einen eigentümlichen 33au nad)=
rühmen, ftd) baoon unterfd) eibe ; fo fet> barüber golgenbeS bemerft. 3m SCRotettenflple mirb jebem ©a|e
lex betonten Sprüche, ober jeber Seile, aud) mobl -ipalbjeile be§ bebanbelten Sieben, menn fte einen in ftd)
abgerunbeten ©ebanfen enthalten, eine eben fo in ftd) felbftänbige, mclobifd) jufammenbängenbe 9?cif)e r>on
Könen angepaßt. Siefe mirb nun in mel)r enger ober meiter, freier ober flrenger 9tad)al)mung bttrd)gefül)rt,
mo e§ bann aud) gefd)iel)t, bafj, menn ein ©prud), eine 3eile, jmei einanber gegenübcrflebenbe SEtjetlc jetgt,
mie bei Herfen ber ©d)rift nid}t feiten ber Sali ifl, biefe, ein jeber einer befonberen Sonmcife angepaßt, att
©a£ unb ©egenfa^ gegen einanber geflellt merben, unb burd) tb,re ©lieberung eigentümlich, unterfebieben,
ftd) med)fet§roeife im 3ufammenflange beroorjubeben bienen. SBenn nun, nad) ä3efd)affcnl)cit ber jebe$ma=
ligen Aufgabe, ein foleber melobifcfyer ©a£, langer ober fürjer, in ben »crfd)iebenen ©timmen burd)gefül)rt
tfl, unb biefe 2lu3fübrung bem ©djluf falle ftd) jumenbet, fo erfd)eint aßbann ber näd)jle ©a(^, bie neue
S5etonung ber folgenben Seile be§ SScrtcS, eb, e ber 2lbfd)luf3 erfolgt, in einer ©timmc, bie bis babin eine
SÖBeile gerubt bat, ober bed) geeignet ifl, biefen neuen (litttritt befonberä fül)lbar ju machen; unb ber Zon--
meifler flrebt, fomeit fein ©prud) ober fein ©ebid)t ein 'tfnbereS nid)t erbeifd)t, in biefer 2lrt fortgel)enb,
babin, bafj fein Sonfafj obne Unterbrechung, obne eigentlid)cn 9?ul)epunft, bis jum ©ebluffe ftd) gleid)mä=
f?ig forfroebe. 3n biefer SSebanblung, als Sftotett, jeid)nct ftd) nun jener fünfflimmige ©efang über oier
33erfe auS 3«fuS ©irad), jum ßobe etneS tugenbfamen SöeibeS, befonberS auS, Don bem mir juoor bie SSer=
mutbung auSfpracben, (Sccarb möge ibn für fein eigenes £ochjeitSfeft gefegt baben. 3u biefem ©afce gebort
offenbar aud) ein ebenfalls fünfflimmiger ju SobmafferS Sieb über ben 128flen ^falm :
©elig ifl ber gepreifet*)
£>er ©ott für Lütgen f>alt tc.
') ©. Seifpiet 9tro. 113.
463
unb bei bem erften 2CnbIt(fe fd>cint er gang gleid) angeorbnet ju fepn. dine nähere Prüfung geigt jebocb, eine
wefentlid)e 33erfd)iebenl)eit gwifctjen beiben. gobwafferS 9cad)bid)tung beS oort Clement 5Diarot umfd)riebe=
nen 128ften 9)falm3, ba fte ftd) ber ©tro^tjc unb Sötaobie il)re3 UrbilbeS genau anfcfyließt, bat, rote biefeS,
eine ad)tjeilige, iambifd)e, ftd> breimabj wieberfyolenbe ©tropfe, unb enbet mit einer ^>albftropf)e von nur
oier Seilen, bie ben erltert Doppeljeilen ober bem 2tufgefange ber t>orangef)enben ©tropfen übereinfommen.
tiefem 33au be§ SiebeS jlimmt aud) ber beS Xon)aty$ überein. Suerft im ©anjen; er wieberl)olt fid>
breimaf)l unocränbert, erneuert ftd) aber gänjlid) bei ber fdjliefjenben ^albjtropbe. %m Qt in je Inen; benn
bie erften beiben ^eilenpaare jeber ©tropfe fjaben aud) biefelbe 35etonung, unb nur bie gweite unb britte
©timme med)feln unter ftd) mit bemjenigen, waS fte baS erfleSQtat>t oortrugen. 9lun ift jwarbie25el)anblung
nad) SERotettenart, aber bod) erbeblid) unterfd)ieben von ben gewöhnlichen Sonfäfjen biefeS ©rt)l3. 9tid)t
allein läßt fte in jenen allgemeinen ©runbgügen bie 2iebform binburd)fd)einen ; biefe tritt nod) befiimmter
baburd) fyevoov, bafj bie melobifcben SEonretben, bie ben einjelnen Beilen ftcb, anfd)liefsen, fobalb man in ber
£berfttmme il)nen baSjenige abftreift, waS nur 3wifd)enfajj gur gortfül)rung beä SongewebeS ift, ftcb hü
einer Itebfjaften in ftd) gufammenl)ängenben ©tngmeife »erbinben laffen, bie, als (5tnE>ett beS ©angen, er=
fennbar burd) baffelbe ftd) ()ingief)t. Siefe auf fo!d)e 'Kxt in ben Sonfafj oerwobene 9JJelobte ifi beS SOZetflerS
eigene Ghftnbung, fte ift »on ber beS franjoftfcfyen *Pfalm§ gänjlid) t>erfd)ieben, wie fte benn fd)on in ber
©runbtonart von ifyr abweicht, ba fte in ber tonifd)en, jene in ber verfemten borifd)en ftd) bewegt. £)iefd)lie=
penbe Jpalbftropbe enblid) ifl einfad) unb liebmäfjig gu fünf Stimmen gefegt, von benen, fo ber£)isfant wie
ber Senor, eine gleid) anfpred)enbe, bejlimmt auSgebilbete ©ingweife geigen, — wenn jebe aud) in ibjen
©runbgügen ber anbern ä()nlid) ift, — baf man rool)l gweifeln bürfte, welche oon beiben als ^attptftimme
gemeint fet), wenn ntd)t bie beftimmter ausgeprägte 9Jiobulation enblid) bod) für bie £)berfh'mme entfd)eiben
liefe. Siefer S5au beS ©angen, biefeS Skrbältnifi feiner Steile, giebt unferem Sonfa^e, ijl er aud) im 2111=
gemeinen ein motettenl)after, bod) ein eigentümliches ©epräge. Sie mufifalifd)en ©runbgebanfen, burd)
weld)e baS Songewebe eines SEUotettS in engerem ©inne ftd) gufammenflid)t, werben feiten burd) 9?ebenein=
anberftellen gu einer wtrfltd)en, eine @inl)eit barftellenben ©runbmelobie ftd) gehalten. Um fo weniger wirb
bie§ möglid) fevjn, als in ben meiften fallen bie S5elebtl)eit unb 2lnmutl) biefeS SongewebeS eben baburd)
eneid)t wirb, ba£ jene in melobifd)em S3au, in SQiobulation, nid)t allein abwetcfyenb, fottbern fogar einanber
entgegengefe^t ftnb, um burd) if)ren Eintritt bem Sonftrome eine anbere SBenbung gu geben, bie ©införmig*
feit feine§ gluffeS gu unterbred)en, burd) 2Bed)fel unb 9ccul)eit ju ergoßen, ©o freien benn bie beiben £od)=
jeitägefänge ©ccarbS ftd) gegenüber; ber eine, als einS3ilben auf bem biSl)er betretenen SBege, ber anbere al§
SSerfud) eine neue SSaf)n ju ftnben, wo bem ©dnger wie bem ©efcer, bie in unferm 9Keifter ftd) »erbanben,
in gleicher 3lrt ©enüge gefd)et)e; eine S5af)n, auf ber jener waf;rl)aft einer SSerflärung be3 von ibm @rfun=
benen tt)eilbaft werbe, unb biefer, inbem er biefelbe erjlrebe, baburd) aber bienenb ftd) unterorbne, bod) feine
Äunft, ale> fold)e, nid)t barüber einbüße. (Sine Soranbeutung biefer neuen 9fid)tung erfd;eint allerbingS
fd)on früher, nid)t fowobl in ben Steffen über geiftlid)e ©efänge ober SSolfSweifen, weil ältere Sonfünjtler
bergleid)en feiten gang, fonbern nur einzelne SBenbungen berfelben tfyren Sonfd^en ju ©runbe legten, als in
jenen SJlotetten beS le 9Jiaijtre, ©canbelli, unb tfnberer, bie über »ollftdnbige SQielobieen beutfdjer gei|!lid)er
Sieber gearbeitet ftnb. £>er wefentlid)e Unterfd)ieb ifi nur ber, baf? biefe 9JZeifier über ein ©eg ebenes
arbeiteten, ßccarb aber für feine gegenwärtige Arbeit, unb mit berfelben, ein SfteueS erfanb, baS um fo
wefentlid)er unb lebenbiger beSfjalb ben Äern beS ©anjen bilbete. üftur mit ber fd)6pferifd) bi Ibenben
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.Rtaft formte bie in gleichem (Sinne auSgejtaltenbe erroad)cn, unb ber Äünfiler befähigt roerben, bann
auch in ba$ ©cgebene, gleict) einer eignen ©d)bpfung, fiel) belebenb ju vertiefen.
2iuf einem embern SBege l)at Grccarb ein ©teid)e3 erreichen gefud)t in bem üierjtimmigen Sonfafee
eines fiiebeS über ben 23ften ^falm. £>iefe§ Sieb I;at jroei ft'cbenjeilige ©tropfen, übereinfttmmenb benen
be§ befannten ,Kird)enlicbc3 : „(53 ijt ba3 £eil unS fommen f)er". 9cun fyat aber ber SJteijter jeber biefer
©trogen eine befonbere 9JieIobie gegeben, ja, felbft bie erften beiben Beilenpaare berfelben, bie in ben §aE>l=
reichen ©ingroeifen, roeld)e biefem ftebenjeiligen 5Cßaafje fiel) anfcfyliefjen, jeberjeit gleid) betont ftnb, auf »er-
febjebene SSBeife gefimgen. ber erften ©tropfe
Der #err SefuS mein Jpirte ift,
£>cr @r$trt unfrer ©eelen ic.
iji bie 33el)anblung grofjentbeilS ganj einfad); bie SÖWobic — rote überbauet burd) baS ©anje f)in — fd)rei=
tet in gerabem Safte fort, ber juroeilen burd) vl)t;t£;mifcf)cn 2Bed)fel belebt wirb ; 9fad)al)mung unb ©tim-
menüerflecbtung tritt erft mit ben legten Seilen ein :
er beut mir »olle ©nüge an,
foll l)ie unb eroig leben.
Sie jroeite ©tropfe bagegen
Unb ob id) fdjon im ftnfiem £t)al
in 2lngft unb 9cotl) foUt' roanbern it.
jeigt un§ fofort 9lad)al)mungen ber beginnenben Sberjtimme burd) bie übrigen©timmen, bie ft'd? bt§ in ben
tiefften S3eretd> if)rer SEöne fyinabfenfen, bie gtnfternifj auSjubrücfen ; roie benn aud) S3inbungen in ber 9fte=
lobie roäljrenb gletd^mäfjigen langfamen gortfcfyritteS ber tieferen ©timmen burd) bie Steile bee> Safts, unb •
ein pfjrpgifcfyer £onfd)luf3, ba§ S5ilb ber SSeängftigung burd) ba3 Sunfel gewähren follen. ©o fdireitet
benn biefer jrociteSfyeil fort, melobifd) mcl)r inS5tnbungen al§ rb,r;tl)mifd)em 2Bed)fely barmonifd) mebr
in ©timmem>erfled)tung als einfachen Sufammenf längen, bie nur f)in unb wieber ftd) l)ören laffen. Die 2Bie=
berfjolung einzelner Seilen ift in ber ^Betonung nid)t uermieben, fte ftnbet ftd) jebod) in beiben feilen regel=
mäßig auf bie merte unb ftebente Seile befdjränft, unb nid)t ofyne SBebeutung. @ben .biefe 3eilen fpred)en
in beiben ©tropfen befonberS trbftlid)c ©cbanfen au3. @o fyeifjt c3 im erften Sbeile, nadi ben 2Borten:
£>er gute 4?irt fem Seben lagt
in ber werten 3eile:
Sur mid), roaS fann mir fel)len?
biefe ©tropfje aber enbet mit ber Skrfyeifjung :
©oll bje unb eroig leben.
- 3n äl)nlid)er %xt fprid)t bie üierte Seile ber jroeiten ©tropl)e bie 3uftd)erung auS :
£>u fannft c§ balb ueränbern
— 2)aS Unglücf, baö mid) febreefen möd)te — baö ©anje aber fd)liefjt mit ben 2Borten :
Sein ©teef unb ©tab mid) tröften.
Siefe 2Bieberb,olungen nun Ijcben jugleid) bie roefentlid)ftcn @infd)nitte ber ©tropfe l)er»or, baö @nbe beö
oier= unb beö brcijeiligen Sbeileä berfelben, beS 2luf= unb bcö 'tfbgefangeS; bei bem erften biefer dm
fd)nitte treten fie b,er»or burd) einfachen SBecbJel ber mehren ober minberen SIMftimmigfcit — brei^ unb
»ierftimmigen ©efang - - ein 2Bed)fcl, ber, jcnad)bem bie größere gülle r>orangeb,t ober folgt, bie 2Bie=
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berbolung aB 9?ad)f)aU erfdjeinen tapt, ober S3efrdftigung. 2(m Sd)luffe ber Strophen bagegen empfmben
mir ftc nur aB ein volleres 2üBtbnen be§ ©efangeS, ber ohnehin bort, bt§ er fein 3iel erreicht, burd) feinen
einfcfynitr unterbrochen wirb, So bleiben wir benn im Stanbe, baS Wlaa$ ber ©tropfe, auch, bei biefer
33ef)anblung§art, noch burcbjuempfinben, unb vertieren nicht baS ©efübl be§ Siebmdfjigen. Sie ©runb=
tonart beiber Steile ijt bie mirolvbifcbe, mit einem, gegen ba§ @nbe beiber, burd) 2lnwenbung ber fletnen
£er$, recht benimmt unb abftd)tltd> aiBgefprod)enen ^nflange be§ £>orifd)en. (S§ fann nicht geleugnet
roerben, baf? in biefem Sa£e mehr noch, ba3 Streben unfere» 9J?cifter3, feine 21 b ficht, hervortritt, aB
ba§ Erreichen feinet 3iele3, bajj roir in mancher ©teile iljn nicht frei fi'nben fonnen von gärten. Mein
jenes Streben nach einer fünjrlerifcbcn SSebanblung, bie in gleicher ILxt volfSmdjjig fen, wie bem Kenner
genügenb; bie bem £iebf>aften fein 3?ed)t wiberfabren laffe, aber e3 bod) auf mannid)fad)e SÜBeife jur Ttn>
fckniung bringe; einer Äunjt, bie burd) ben ©otteSbienft geroeiht, ihn auf bebeutfame SBeife fchmücfe,
aber ganj in evangelifd)em Sinne, bem baS Sieb in bie SDßitte getreten war, aB bie §orm, in ber ba§
©efammtgefübl ber ©emeine, aB folcher, ftd) ausbreche, auf beffen gorm alfo auch, bie fird)lid)e Sonfunjt
ju grünben fev ; jeneS ©treben ift e§, rooburd) unfer Sieb mB voerth, für bie Crntrotdelung ber Äunji unfe=
re§ €QtetfterS aber befonberS feba^bar roirb.
S5etrad)teten roir biefen nun bei jenen jwei ©efdngen, bie mir befpracben, aB freien Gjrfinber,
fo haben mir tbn nun auch in &ew SScrljaltniffc aB 2ödf)lenben noch in ba$ 2fuge ju faffen, um ju erfen=
nen, wie er, einer gegebenen SSJielobie gegenüber, feine Äunft geübt habe. £>aju bieten feine Sieber vom
3ahre 1589 un£ jwei galle, bie um fo millfommener finb, aB mir in beiben eine ganj verfd)iebene 33ebanb=
lungshveife wabmebmen.
2Bir ftnben unter 9cro. 17 einen vierjiimmigen Sa£ über bic SBeife be§ bekannten Jtird)enliebe§ :
„SQtag ich UnglücE nicht wiberftafm."*) Siefe SSJielobie liegt in ber £berj}imme bem S£onfa|e unjertrennt
ju ©runbe, nur baf} bort ihre erfte 3eile mit verrurjten Sbnen unb einem etwas; abmeichenb gemenbeten
Sonfd)luffe, unmittelbar nach ib^m eintritt ein jweiteS 9Jtal)l mieberholt wirb. Diefe SBieberholung, bie
ftd) inbefj nur auf ba§ erfie Crrfcbeinen biefer melobifd)en #nfang§jeile befcbrdnft, unb bei beren SEBieberein;
tritt ju ber vierten 3et£e be§ 2iebe3 nicht ferner ftatt ftnbet, erfldrt ftd) leicht au3 bem SSau be» ganjen £on=
fafeeS. ßr ijt burchmeg fugirt gehalten; bie einzelnen SDielobiejeilen erfcheinen meijt in jeber Stimme nach=
geabmt, unb fobalb von biefen bie eine ber anbern ßtnjugetreten , unb fo ber volle, vierfttmmige Sa£
gebilbet ijt, ftnbet feiten, unb jumetfi nur in ber melobieführenben £>berjtimme, ein furjer SJubepunft jtatt,
unb ber £onfa£ mebt ftd) ohne Unterbrechung big an§ (5nbe fort. 5lun tft ber Sa| 3lnfang§ jweijtimmig,
wobei ber Senor bie erjte Seile ber SÜMobie führt, bie ©runbjitmme einen ©egenfa| baju bilbet; bann wirb
er breijiimmig, mo nun biefelbe melobifche 3eile in bie rberftimme übergeht, unb ein bovvelter ©egenfag
baju im 3llt unb Senor erfcheint; erft bann beginnt ber vierftimmige Sa^, moju ba6 83orangehenbe nur
bie Einleitung gewefen ift. (5r jeigt ben gewanbten, erfahrnen Sfteifter, unb nähert ftd) ben fvdteren 6horal=
fd^en (SccarbS, von benen ihn jeboch eine roefentltcbe S3erfd)iebenheit trennt, bie willführlichen, nicht eben;
mäßigen SJuhepunfte jwifchen ben Seilen. (Ein jweiter vierfiimmiger Sa^ über bie SBeife be6 2Beihnad)B--
liebeS: „Ser Sag ber ijt fo freubenreid)," nur für hohe Stimmen (9tro. 18), ift ganj abmeichenb georb=
net. 25ie einzelnen 3eilen ber 9Kclobie ft'nb burd) alle Stimmen hin jerjlreut, au§ benen ftc enblich wohl
*) <S. aScifpiet 3lto. 116.
t. SBintttf«!*, tet «anget. S^otalgefojig.
59
466
wicber jufammcngeftcllt werten tonnten, aber boch nid)t ju fortgebendem gtuffe, weit fie oft in höherem,
rann wieber in tieferem Tonumfänge ftd) bort hören laffen. 3n il)rcr 83crfled)rung ftnb bie vier Stimmen
motettenbaft bcbanbclt, bie einzelnen Steile, aus> benen ba£ SDZotclt ftd) jufammenwebt, erhalten tl?re ©e=
ftaltung burd) bie Seilen ober ©lieber ber ©runbweifc, bie jebod) weniger lebhaft al§ folebe emvfunben
wirb, weil fte burd) bas> ©anje bin ftd) ju fet>v jerfpltttert, aud) ben SSebürfniffen be§ Safjeö an vielen
Stellen fieb bat fügen muffen. (Srfcnnbar bleibt inbep bie urfvrüngltdje ßtebform immer nod) an ber über=
cinftimmenben S3etonung ber erften beiben Seilenpaare, unb ben burd) fte fenntlid) gemad)ten (üinfd)nittcn.
0tt biefer 33cbanblung3art feigen wir Grccarb nicht wieber jurüdfeljren; wogegen wir bebittgter SQSetfe fagen
tonnen, bafj auf ber eben juvor bcf»rod)enen bie feiner reifjien unb treflid)fkn ßfjoralfäfee beruhe.
3n ganj anberer *2fvt bemerfcnSmcrtt), ab3 bie ©efange @ccarb§, von benen wir jefjt febeiben,
finb bie jwanjig lateinifcfeen Dben $elmbolbS, bie mit feinem Tonfafec ju 2ö?ül)lbaufen 1596 herauskamen.
(Sie ftnb jwar gcifUid)en Sn^aftS, ba fte von einigen Söerfen be§ Schöpfers fyanbeln, unb fromme 33etraa>
tungen an biefclben fnüvfen ; eine fircblidje S5e|timmung jebod), unb namentlid) für ben ©emeinegefang,
tonnten fie niemals l)aben, unb nur ju baulichem (Srgöfjcn, böd)ften§ jttm Sd)ulgcbraud)e bienen, e§ fep
bei bem Singunterricbte, ober in ben Siuljepunften ber 2el)r(tunben, etwa wie bie von 3oad)im von 35urgf
gefegten, für alle 2Bod)cntage beftimmten, lateinifd)en £)bcn «IpclmbolbS. <Sie ftnb aber unferer gegcnwdr=
tigen Darftcllung bennod) nid)t fremb ; weniger freilid) l)dngen fte, für ftd) genommen, mit beren ©cgen=
ftanbe jufammen, als> burd) bie S5etrad)tungen, weld)e ftd) baran fnüvfen, unb biefe bebürfen abermaß
cinee. einleitenden Sfüdblideö in bie Soweit unfereS 9JJciftcr§.
Sn ber ^Betonung anttfer SKaape — ■ unb biefer 2lrt ftnb bie jener, von ©ccarb gefeöten £)ben —
t)atte in ber erften #dlfte be§ IGten 3af)rl)unbertev nad) bem Vorgänge beS $eter TritoniuS, vor 2£Uen
ßubwig (Senfl ftd) auSgcjeicfynet. Sein völlig einfacher, au§ Snfammcnflängen von Tönen gleicher Dauer
bcjtebenber Tonfalj, beren jeber eirtjelne ber Sange unb Jtürje ber Splben bc3 betonten ©ebicbteS genau ftd)
anfcblofj, l)atte auf biefe Zxt §üße, 83erfe, ben gefammten 9?l)ntt)mu§ bc3 Dichter», jur 2£nfd)auung
gebracht, unb ba bei biefer S3ebanblungeiwcife bie Äunft be§ TonfefjerS, bis auf bebeutfame 3ufammenjtel=
lung ber 'Äccorbe, unb ftnn= wie fvracbgcmafje SSctonung, aller Littel ftd) entäufem mufüte, burd) weld)c
fte fonft $u berrfeben pflegte, fo war fte gebrungen gewefen, eben ba3, waS ib,r vergönnt geblieben war, um
fo met)x geltenb ju mad)en. 2öa3 aud) für einfach. t)armonifd)e S5el)anblung einer gegebenen SJZelobic bamit
geleiftet werben fönne, war fo erft red)t jur 2tnfd)auung gefommen, unb baburd) für bie geiftlid)e Tonfunjt
nicht minber fruchtbar gewefen.
@§ ift nid)t ju bezweifeln, bafj ©ccarbS S5ctonung ber £>bcn ^elmbolbS, bereit '#uffd)rift febon
anjeigt, bafi fte unter 33cobad)tung ber 9)iaafjc gefegt fet) (pro scansione versuum), beabftebtigt l)abe,
bem £id)ter unb feinen gönnen völlig ju genügen, unb wir baben febon juvor gel)ört, mit wie beifälligen
SSorten jener über biefe§ ^onwert ftd) au6gefvrod)en l)abe. Allein nad) biefen 'Xufjcrungen cinc§ grcunbcS,
ja, auch nach ber Stimme ber SDlitlcbenben, werben wir ben SBertl) biefer 58erfud)e unfereö 9Jieifter§ nicht
meffen bürfen. Denn SB er fu che ftnb e§ geblieben ; ber Sinn feiner Aufgabe bat xi)\n nidbttlar vor ber Seele
geftanben, unb ihre.übfung alfo auch nid)t gelingen tonnen*). Sene Selbflentäufjerung, vermöge beren
ber Sonfe^er, bis, auf bie £ü(fs>queUe ber einfachen Jparmonie, allen ben Mitteln entfagen mufj, bie fonft
<3. SScifpicl 9tro. 117, bie fünfte ber £c(mbolbfd)cn Oben in (SccarbS 3:onfa^c.
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feiner Äunft ju ©ebote freien, unb fingenb felbft, ber Siebe, unb ihren Hebungen unb ©enfungen be&
SoneS, ein Dienenbcr nur, nachzugeben bat; jene ßntfagung war baju nbtf)ig, unb Ujt bat Sccarb ftd>
nicht unterwerfen wollen, ßr backte, wie cs> febeint, bilbenb, ficf> felber ju belegen, wie weit er feiner
Äunft baöjenige erhalten fbnne, wa§ tfnbere willig, — feiner 2fnft'rf)t nacb wobt voreilig, — aufgegeben ;
boeb hat ihn ber ©rfolg bie 9Jich,tigfeit ihreä Verfahrens, wenn niebt als Sorfch er, bod) alS-Künftler
gewig emfeben gelebrt. 3u billigen tjt eS, bag bie £berftimme in feiner SSetonung burebgängig bie me(obie=
führenbe £auptftimme ift, wdbrenb biefeS, nacb alter SSeife, bei Subwig ©enfl noch eine SQftttclfHmme
gewefen war"). 2Bir bürfen aud) jugefieben, — wenn wir einige Dehnungen auf langen ©plben au3nef)=
men, bie baS jireng profobifche fBerbdltnig überfd) reiten, unb anbere, geringe Unregelmdgigfeiten über-
feinen, — bag bie Sföaage beS Did)terS in allen einzelnen Stimmen fid> meift beobachtet fmben. Dabei
inbeg l;dtte ber Äünfiler ftd) noch, nicht berubigen bürfen. DtefeS 2lnfd)tiegen an feine Aufgabe im
einzelnen ftellte nod) immer niebt baS jufammenfltngenbe ©anje bar als ein burd; feine Sbne abge=
fpiegelteS S3ilb ber SJJaage beS Dtd)ter3. 5n ber ©efammtbeit aller ©timmen erfebien vielmehr ein völlig
tfnbereS, bei ber 2lrt ber 33ef)anblung, bie er geweilt fyatte. 3undd)ft waren Nachahmungen, S5inbun=
gen, unb anbere £ülfSmittel beS SSonfageS, bie er anwenbete, fd)on ganz unjuläfftg. Sene fe^en baS Gim
treten ber Stimmen nach einanber »orauS, »erfd)rdnfen alfo bie in ibnen bargeftellten tonfünftlerifd)=bidjte=
rifeben Sitwthmen, unb inbem fte baburd) üerbmbern, bag biefelben flar jur 2lnfd>auung gelangen, finb ft'e
bem Sinne ber Aufgabe beS SonfefcerS entgegen, welcher zufolge eben baö 9?f;tjtf)mtfct)e geltenb gemacht
werben foll. Nicht anberS oerbdtt es ftd) mit ben SSinbungen. Diefe beruben wefentlid) auf bem £onge=
wicht; auf bem befonberen Nacbbrude, ber einzelne ©teilen ber regelmäßig wieberfel)renben 3eitabtbetlun=
gen cineS SonftüdS auszeichnet t>or ben übrigen, jene als gute Safttbeile bejeidjnenb, tiefe alS f d> l e cf> t e.
Die SSinbung (©pneope), inbem fte biefeS SSerbdltnig in einer ober mebren Stimmen aufbebt, wdbrenb eS
oon ben übrigen feftgebatten wirb, erhalt tljren Sieij »on ber barauS beroorgefjenben ©chwebung unb
©d)wanfung beS gortfdjrttteS. Dem rbptbmifcben gortfdjreiten in ftrengerem Sinne jebod), wie wir,
nach bem SSorbilbe ber antifen, burd) Sange unb Äürje geregelten 5üiaage eS uns ju benfen baben, ift tiefer
rein tonfünftlerifcbe EReij wollig fremb ; ein ungebbriger, dugerlicb aufgebrungener ©ch. mud, weil er eS »er=
wirrt unb »erbunfelt. Crnblid) bewdbren beibe, Nachahmungen wie S3tnbungen, if>re rechte Äraft nur ba,
wo eS bie Entfaltung einer 93ielo bie im eigentlichen S3erftanbe gilt. Damit meinen wir baS©egen=
bilb ber Dichtung im ©efange; ein fold)eS, baS burd) bie£bne bie ©runbempfinbung beä ©ebid)te3
wieberfpiegelt, wie fte bort in bem SB orte niebergelegt ift. Sri biefem ©tnne ifi bie SDielobte freie
©d)öpfung beS SonfünftlerS, boch t>aftet fte an bem Siebe burd) beffen ©tropbe, wie eben 3abl unb SDZaag
in tiefer walten ; beibe leiten ben SNuftfer, fie geben ibm bie dugeren Umriffe feineS Sonbilbeä, jwingen ibn
aber nicht, ber Dichtung im einzelnen nachzugeben. Dtefe empfangt burd) beibe wefentlid) ihre dugere
©eftalt. Die 3abl waltet bei ber3ufammenfügung ber 2Borte in 3eilen, ba§ SQJaag in ben SSerbdltniffen
ber ©ptben nach ihrer 3eitbauer; bod) erftredt ftd) beiber Jjperrfcbaft nicht weiter auf beren ©ebiete,
nur auf bem ber Sontunfi ifi ihnen feine ©chranfe gefeljt, bort nur ft'nb fie unbebingt geftaltenb. 3lber
baä 23ort tont aud); e3 ft'nb Saute, bunfter ober beller, reiner ober gemifd)ter, bie wir in ihm »ernehmen ;
für bie 9?ebe, fetbft beä Did)ter3, freilich nid)t megbare nach ^g>bf>e unb Stefe; nur abnungSooll
•) £cr iiceite SiSfant: secundus discaotos, teoorem agens, t)at er tfjn übcrfcfjneben.
59*
468
cämmern bette in ihr auf, ein Anhauch beS 9J2ufifalifd)en, ber fut bie Sületobie, bie freie Schöpfung beS
ScnmcijfcrS, bcm Siebe gegenüber, l)öd)ftenS ein SSermittelnbeS fci;n fann. 33on einer SDlelobte in engerem
Sinne fann aber bei einer Aufgabe, wie fte unS eben bcfd)äftigt, bie Siebe ntctjt fetjn» £)cnn l)ter tft ber SEom
fünjtler an bflS ©inline, als foldjcS, auSbrücflid) gewiefen, nid)t an jenes Skrmittclnbc. (Sr foll ntdt;t,
ber ri*titng gegenüber, in bem jarten, ihm 5U ©ebote ftefyenben 33ilbungSftoffe fetbftänbig [Raffen, unb
bod), vermöge beS tf)m mit tt>r ©emeinfamen, unb burd) jene SBcrmittclung, in fte aufgeben. @S ift i()m
geboten, an baS ©emeinfame jtreng fiel) anjulc()nen, jenen verwanbten Anl)aud) aber burd) Betonung beS
SßorteS — mufifalifdje T> cf lamation — in cntfd)iebene gdrbung, ausgeprägte ©cjtaltung umjufd)af=
fen. So entfielt jmar ein SEonbilb, allein nur ein mit bem SBorte vollftänbigeS, nicht, roie bort, eines
von aud) felbftänbiger ©cltung unb ©cbeutung. £>arum fann beim bei biefem legten allein bie volle
.Kraft ber SSilbungSmitrel beS SonfafccS l)crwortreten ; jenes erl)eifd)t beren Aufopferung, mett burd) fein
SBefen bie tlntcrorbnung ber Äunff beS SefccrS unmittelbar bebingt ift. üftag nun unferem 9J?eifter feine
3eit, unb felbjt fein £id)ter eS als SSerbienfi angerechnet haben, baß er baS gcroagt habe, maS frühere
Sonfünjtler unter ähnlichen S3erf)ältniffen üermteben, fo muffen mir bod) mit Überzeugung biefem Urteile
miberfprcd)en, weil baS von jenen äkrmiebene burd) bie Sad)e felbft verfagt mar. Allein gefcf)ärft unb
gereinigt mürbe ohne allen 3meifel burd) biefe S3erfud)e (SccarbS bilbenbe .Kraft, er gewann l)ier, felbft burd)
baS SJiißlingcn, bie gäl)igfeit, auf glänjenbe SBeife eine anbere Aufgabe ju löfen, unb babei nid)t allein
bie ganje Sülle ber ihm als Sonfünftlcr verliehenen ©aben, fonbern ben 9Jeid)tl)um an ©eift unb ©emütl)
ju offenbaren, burd) meld)c ber mürbige ©ebraud) jener ©aben erft geftdjert mirb.
2>aS 2Berf nun, baS mir l)iebei junächft im Sinne fyaben, ftnb feine fünfjlimmigen, im %al)xe 1597
ju Königsberg erfd)ienenen 6horalfä£e. gür biefeS 2Berf J>atte eS il)m an äußeren unb inneren Anrcgum
gen nid)t gefehlt. (Sine äußere SSeranlaffung mar baS ©ebot feines gürften — SftarfgrafS ©eorg grieb=
rid) — beffen er in ber 3ueignung an biefen auSbrüdiid) gebenft; eine innere, jene Bereinigung ber ©abc
beSSängerS in il)m mit ber beSSef^erS, unb bie neuen Anforderungen an feine Äunjt, bie il)m barauS unmtt=
telbar ermud)fen. 3e mehr in biefem Sinne er nun ju bilben fortfuhr, um fo bringenber fühlte er ju einem
Unternehmen ber Art fid) oeranlaßt, wie wir eS je£t betrachten moUen; baju famen aber nod) bie (Sinbrücfe,
bie er Don SSerfen Anbercr empfing, weld)e in ben näd)ft vorangef)cnbcn 3«l)«n mit mel)rftimmigcn 33ear=
beitungen gebräuchlicher jtird)enweifen hervorgetreten waren, ihre Aufgabe aber fid) anberS gejMlt, fte
enger umgrenjt hatten.
3u biefen legten gehörte junäd)ft ßucaS Sfianber, beffen 50 vierjltmmige ßhovalfäfee um
1580 erfd)iencn maren, eben bem 3al)re, mo 93tarfgraf ©eorg griebrid) Greußen verließ, unb feitbem bie
Regierung beS SanbeS von AnSbad) auS leitete. @S ijt nid)t ju bejmeifeln, baß biefe Sonfä^e, bie fid) in
£cutfd)(anb überall oerbreiteten, balb aud) nad) Greußen l)in gelangten. Sd)on ber wol)lbefannte 9(ame
beS SEonfefcerS, — war biefer aud) nid)t berjentge, ber in ©utem unb Sd)limmcm fid) bort einen 9?uf
erworben hatte, — mußte bie Aufmerffamfeit auf fte leiten. SDftanber h«tte bei feinen Chorälen bie S3ebürf=
niffe ber ©emetnen worjüglid) im Auge gehabt, unb ihnen bie Anforderungen ber .Runfit untergeorbnet.
3enen ju Siebe hatte er bie Sföetobie überall ber £berjitmme jugetheilt, bamit fte beutlid) vernehmbar fcv.
Denn eS war feine Abfid)t gewefen, baß bie ©emeine, mitftngenb, feinen Sonfäfeen fid) anfd)lteße; baß
biefe bem d)ri(tlid)en allgemeinen ©efange in ber Äird)e, ohne tt>n ju hinbern, jur Sterbe gereichen möchten.
6r hatte bie Pfarrer ermahnt, auf biefen vorjugSweife ju halten, unb nad)brücflid) ausgebrochen : wenn
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er befürchten müßte, baß burdb. feine Sonfäfje „am gewöhnlich, *))faltnenfingen einige SSerbinberniß entftchen
fbnne, wolle er wünfcben, nie eine 9?ote baran gefebt ju haben." Sic "tfiBgeftaltung ber einjelnen
Stimmen, aB fold>er, hatte er babei jeberjeit ber Tonfülle iljreS 3ufammenf lingenS nadjgefcfjt. Sa§
©anje, bas?, jttmetft burd) Sreiflänge, fet?r fetten in bereit SSerfcljungen, feltener noch in SMnbiingen ober
mit burd^geknben Sbnen einberging, burfte niemaB auch, nur eines ber notbwenbigen ©lieber be§ Srei*
flangeS entbehren, barmt jebcr gortfchritt ber SDietobte eine foldje in fid) genügenbc .Klangfülle bringe. 9lur
bei bem erften Anheben be3 ©efangeS war baoon eine 2UBnahme gemacht, be§ leichteren 2(nfttmmen3 wegen. »
(So trat btcfcs neue Gboralwerf unferem (Sccarb entgegen, dt lobte bie fromme %b)iä)t be§ £onfeljer§, bie
oerftäneigc 'tfiBfübrung, allein er uermißtc bie Äunft in höherem Sinne, bie lebenbige ©lieberung be§
(Sinjelnen ju einem ©anjen. ©egen feine ©bnner unb greunbe, feinen gürften unb £erm, wirb er biefe
feine 3(nftd}t ausgebrochen haben, unb wof)l mag eS gefd?ef)en feun, baß febon bamaB, »or feinem Hbfökbe
aiB Greußen, 9)iarfgraf ©eorg Sriebrtd) it)n aufforberte, felber baSjenige ju leiften, wa§ er in £)ftanbers>
SBerfe nid}t erreid)t ftnbe. ©eben wir bod) »on ba an jene neue Aufgabe tt)n fortbauernb befd)äftigen ;
ftnben mir bod) in feinen 2Bcrfen feit jenem %ai)xt Sonfä^e, bie un3 aB Vorübungen erfd)einen müffen ju
beren ßbfung. 2lud) werben bamaB fd)on einzelne ßboralfäi^e oon ihm entworfen femi, jenad)bem Sieber
unb 9JWobiccn ilm anjogen; wie e§ benn auch, nicht unwaf)rfd}einlid) ift, baß feine SSerfucfye metrifdjer
SSebanbtung jener 20 lateinifd)en £ben Subwt'g ^elmbolbä gleichzeitig gewefen fei;n werben mit btefen
Arbeiten. SSBaren bod) bie latcinifcb,en geijllid)en Sben biefeS Sid)ter3, nach beffen Sufdjrtft, womit er
33ürgemeiftern unb 3?atl) 51t S01üt)Ir)aufen ©ccarbS ^Betonungen berfelben überreichte, gleid)jeitig entftanben,
unb 40 bauon in ben Salden 1572 unb 1578 bereite üon Joachim von JBurgf gefegt, ßccarb fonnte bal)er
febon in bem fpäteren biefer %al)xz in bem SSeft'fje jener legten jwanjig fepn, unb ft'd) mit beren £onfa|se
befchäftigen. 2Bäbrenb biefer Arbeiten erfd)ien ein jweiteS 2Berf, ba3 feine 2fufmerffamfeit erregen mußte;
bie »ierftimmigen £onfä£e be§ Srganiften Samuel SSJlarfd) all über bie Sttelobieen ju £obwaffer§ $Pfal=
men, welche jum erften SOial)le in Seipjig um ba3 Satyr 1594 gebrudt würben. Sene, ben franjbftfchen
^falmliebem SKaroB unb 33eja'3 nachgebildeten beutfd)en, waren in *))reuß en am £ofe -^erjog 'Mred)t3
t>e§ älteren entfianben, unb biefem eine Sßeile eigenbä gewtbmet gewefen; bann aber, burd) öffentlichen
2)rucf befannt gemacht, mit S3eigebung ber ju ber Urfctyrift gehörigen Sonfä^e ©oubimeB, bem |)erjoge
Wibrecht griebrid) »on bem Sichter jugeeignet worben. £)a fte nun in .Königsberg beSbalb, unb aB ein
ooUftdnbiger, beutfeher ßiebpfalter, hochgehalten würben, fo fonnte ein fold)e3 SSerf bort nicht unbemerkt
bleiben, wie SDiarfchalB, ber c§ unternommen hatte, ityre SOZelobteen in gleid)em Sinne wie £)ft'anber jum
9lu^en ber ©emetnen üierftimmig ju bearbeiten. 2tud> hier mußte (Sccarb ftnben, baf er bie SSafjn, bie er .
fudje, fid) felber ju ebnen habe, benn e3 würbe, bem2Befentlid)en nad), nid}B 2fnbere§ gegeben aB SDftanber
bereiB geleiftet hatte, ©r burfte ,,bie gutherjige SORetnung" beiber Sonfe^er £?6cf>licf> loben, aber muf te
bennoch eingeftehen, bap jur 3eit fein ßantional nach Greußen gelangt fep, „barin, nad) mufifalifcher "Kxt
wa§ anmuthigeS unb ber Äunfl gemäßes? enthalten wäre." freilich war bie SBafm, bie er fuchte, um biefeS
ju erreichen, i)\ex leichter 5U ftnben aB bei feinen juttor befprochenen, metrtfehen ^Betonungen. Senn
hier waren e§ SOielobieen, in bem erläuterten engeren, eigentlicheren «Sinne, — ©egenbilber berSich=
tungen, — bie burd) jebeS »ergbnnte SQitttel ber Sonfunft höhet belebt werben füllten, fo, baß bei aller reis
eben, mächtigen Klangfülle ber Harmonie, boch bie ©lieberung ber einjelnen Stimmen ungefährbet bleibe,
ja, in ihr erft ihre oolle ßigenthümlichfeit entfalte. 2fUetn bie toornehmfte Schwierigfeit babei beruhte barin,
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t>afj nun in engen 9faum jufammcngcbrcmgt werben mußte, waS ba, wo t>ie Seitung bet ©emetne, ber
fird)lid)e ©ebraud), nid)t in ber Aufgabe lag, nad) ©efaUen breiter auögebelmt werben burfte, ju ge=
febmeigen, baß e3 in bem SOtotctt uollfommen frei unb ungel)inbert fid) ergeben tonnte. Siefe ©ebrängt=
beit ber©timmenoerwcbung mußte erreicht werben, ofyne baß fie ©puren irgcnbeine»3mange§ an fid} trage;
für bic Bereinigung be§ 3icicbtbuirB im Sufammenflange mit ber 'Äu6ge)ialtung bc§ (Sinjelnen, mar in bem
fünfftimmigen ©afjc lcid)t ein Littel gefunben. Sem erften Entwürfe bot £)fianber eine crwünfd)te
©runblage; bic 'tfnfcfyauung ber einfad)en, l)armonifd)en SBcbeutung ber gegebenen ©ingweifen, mie fte ber*
vortrat in bem äkrbaltniffe, tf)eiB i()rer einzelnen Sßcnbungen ju ben Sreiflängcn, momit fie begleitet wur=
ben, tbeiB bc3 ©anjen, ba§ in biefen mclobifd)=f)armonifd)en gortfd)ritten fid) barfiellte, ju ber ©runbtom-
arr. ^ierin ftimmte Sccarb oftmaB mit £)fianber nid)t überein. Sie 93Wobic festen il)irt eine anbere golge
oon äufammenflängen, unb in biefen ein entfd)iebnerc§ £ert>orbeben berjenigen Sonfhtfen ju erforbern,
bie in ben jUangreibcn, wetd)c bie ©nmbtonarten ber ©ingweifen barftellten, aB wefentlid)e, iljr eigem
tl)ümltd)e6 ©epräge bejeidjnenbe, gelten mußten, tfuf biefem SBegc be§ §orfd)cn3 unb S3ergleid)en3 bilbete
fid) in il)trt, waS bei Dftanber unb SEJiarfcball aB ba§ 3tel ü)reS ©treben§ erfd)icnen mar, aB ©runb*
Jage be£ feinigen au3, auf ber fein S£onfaf} nunmehr fid) weiter fortwebte; au§ Zweifeln, au3 Erwägen,
au§ bem ©ud)en ber redeten SOiittcl, um baö 33ilb be§ meljrftimmigcn .Kird)enliebe3, wie e§ in feinem Sn=
neren lebte, ju flarcr 2(nfd)auung ju bringen, erwud)§ cnblid) fd)bpferifd)es> ©eftalten, in jener
erfreulid)en Äbjtufung unb 9Kanmd)faltigf'eit, wie fte bamit jeberjeit »erbunben ijt. @ntfd)eibenb war bafür
fid)erlid) bie bei ber früheren unb tbeilweife gleichzeitigen Arbeit an .£>elmbolb§ 20 £)ben, allgemad) gewon=
nene Jlare Änfcbauung be§ wefentltdjen Unterfd)iebee> jwifd)en mctrifd)=beflamatorifd)er ^Betonung unb SDie--
lobie in Iwberem ©inne. 3n üol!e§ 2id)t trat nun mit £eid)tigfcit jener Unterfd)ieb. Sie $R e l o b i e f)atte
ber SKeifler, aB ein fd)on ©cgebeneS, bei feiner gegenwärtigen Arbeit fid) gegenüber; jene anbere 5trt ber
^Betonung, bie bei ber früheren il)m bie ©teile ber SEftelobie üertrat, fjatte er felbfi jutwr fid) bilben müffen;
bie Aufgabe, bie er für beibc fid) gcftellt, — runftreiebe t)armonifd)e Entfaltung — war eine gleiche. SRun
fanb er aber, baß biefer Aufgabe bie eigene £croorbringung , ir)rer befonberen S5cfd)affenl)eit jufolge,
wiberftrebt babe, wäfyrcnb baS üon 'tfußen ber ©egebene beren gbfung fid)er »erbeiße. Stefem begeg=
nete er mit ungetrübtem ffilid'e, benn Aufgabe unb ©egenjknb traten fyex beutlid) auSeinanber; befangener
batte fein 'Äuge für jene bleiben müffen, benn bie Sbätigfeit be3 GrfinbenS unb be3 2tu3gejtalten3
mar in feinem inneren faum eine getrennte gewefen. Sel^t fonnte eS für beibe fid) offnen, unb jcmeb,r bie
'.tfnfdjauung if)re§ eigentl)ümlid}en SBefeiB fid) ibm erl)ellte, jemebr bie wabrbafte SBebcutung ber SDielobie
fid) ibm entbüllte, »erfcbmolj nun biefer fein ganjeö Silben unb ©treben, unb waä er an t£>r geleiftet,
i<t fein eigen tfeS 2öerf, mebr, aB ba§ an bem ©elbftgebilbeten nurSSerfud)te.
©eine Aufgabe war aber febon an fid) ber mannid)faltigfien ILxt. Sn ben 54 Sölelobieen , bie er
in biefem 2ßerfe bebanbelte, treffen wir alle S5ejlanbtl)eile be§ eoangelifd)en Äird)cngcfangeä. ©ine 9)fal*
mobte, bie beä neunten, ober *)Mtgcrtone$, auf ba§ beutfd)e 50iagniftcat angewenbet, nebjl einer baju gebb--
rigen Äntipbonie; fünf Qymnen ber alten rbmifd)en Ätrd)c, meift von Sutber terbeutfebt, tl;eiB mit
ibren urfprünglidnn, unoeränberten £Dtelobieen, tbeiB »olf§mäßigen Umgeftaltungen berfclben ; »ier SBeifen
mittelalterlicber lateinifd)er Äird) enlieber, ju fpateren a>crbeutfd)ungen berfelben, unb fieben
berglcidjen ju älteren beut f eben Äircben gefangen ; S3olBweifen, auf geiftlid)c Sieber übertrat
gen, minbeftetB brei, beren ^abl eine eigenbg bicrauf gcrid)tctc ftorfd)ung nod) t-ergrößern büvftc; bieSDcebi =
471
jal)l ber ßtebev 2utf>et§ (breiig), bie, fofem ffe nid;t ^Bearbeitungen älterer lateinifd)er ober beutfdjev
©cfänge finb, unb ityce (Singweifen von ba^er entlehnten, mit ben 9JMobiccn erfdjeinen, bie man woljl bem
Did)tcr beijumeffcn pflegt, unb bie minbeflenS gcwifj ju feiner 3eit entftanben. 3n biefen ©ingweifen treten
un» alle fircblidien SEonarten jener 3eit entgegen, meijr aud) in il)rem boppelten Umfange, bis auf ba39Jliro=
Iwbifdje unb '#olifd)e; jenes erfcbjint in feiner urfprünglid)ett SEonweife allein, biefeS, unb einmal^ nur, in
feiner uerfefcten. £>em 3nb,alte nad) f)aben wir Sieber auf alle f)ol)en geffe, jwet eoangeltfd)e Sobgefänge, —
ber Söiaria unb be3 ©imeon, — ^falmlieber, unb in ifjnen ©ebet, Sefyre, Sobgefang; ÄatedjtSmuSlieber;
— in allen bie S3lütb,e be§ ewangelifdjen Äird)engefange§ im löten Sabrfnmbert. £>ie fjter vereinigten, üer=
fdnebenartigen ©ingwetfen finb jum grbficfiett Sljetl mit funjrreid)er 8SerfIed)tung ber ©türmten gefegt : nur
wenige machen bawon eine 2lu3nabme, wie il)re innere S3efd)affenl)eit fte erl)eifd)te. Sie *))falmobie be§ beut*
fd)en Sttagniftcat, unb bie ju il)r gehörige 'tfntiplwnie
ßb,rijium, unfern £ettanb,
(Swigen ©ort, 9)larien ©ofyn,
greifen wir in ßwigfeit, 2lmen
finb beibe einfad), Sota gegen SEon, gefegt ; jene, nur gefangäf)nlid)e 9?ebe, erforderte, itjrer ffieftimmung ju=
folge, eine foldje S5el)anblung *, biefe, ju if)r gehörig, ijatte fd)on ber Übereinftimmung wegen fiel) barin if>v
anjufd)liefjen. 9iod) ein SSeifptel biefer 2lrt uon ßccarb gewahrt un3 bie fpätere, »on ©tobäuS (1634) oer--
anftaltete "tfuSgabe feiner Gljoräle, in bem äkgräbnifbnmmtS bc§ ^)rubentiu§:
Jam moesta quiesce querela, *)
Lacrymas suspendite, matres etc.
unb beffen beutfd)er Übertragung
^>ört auf ju trauern unb f lagen,
£)b bem £ob niemanb »erjage ic.
ben er, burd)weg bem Söiaafie ber Urfdjrift, unb ber alten, baju gehörigen SBeife ftd> anfdjltef enb, einfach,
fünfftimmig fejjte. 3>n vollen 3ufammenfldngen, meiji nur im SBecbfel fjarter unb weicher 25reiflänge, von
benen jene jeboeb bei weitem überwiegen, »ragt ber 9?lwtbmu3 be§ ©ebicbteS lebhaft ftd) auS, getragen »on
bem anmutbig melobifd)en gortfd)ritte bei? ©efangeS. Stacbft biefen beiben finb es> bie SJielobieen im unge=
raben Safte, beren begleitenbe Stimmen niebt fowobl SSerwebung jeigen, alö lebenbige, mannid)fad) ge=
fdbmücfte ^Bewegung ; fte überfebreiten einanber, burebfreujen ftd), gefellen ftd) ju gemeinfamemgortwanbeln
in 5Bol)lftcmgen, entfernen ftd) bann, unb nähern ftd) wieber, bi§ fte am ©cbluffe mit einanber oerflingen.
©o in ben beiben 3Beibnad)t3liebem : Ia dulci jubilo**), unb Resonct in laudibus, beren lefcteS in cin=
jelnen 9cad)abmungen fd)on ber eigentlichen ©timmenoerfled)tung ftd) ndbert; fo in bem Siebe ,,2llleüt ©Ott
in ber ^)bb' fcr> Qjbt", bem beutfd)en ©loria; fo enblid) in bem Sobpfalm:
9tun lob' mein' ©eel' ben £erren***),
2Ba3 in mir ijt ben Tanten fein tc.
2lud) bie SKelobte be§ Siebes
*) ©. SBcifpiel 9lro. 139.
") ©. SSeifptel 9tro. 120.
"*) ©. SSeifptel 9lro. 136.
472
(SbviftuS, ber uns feiig mad)t,
Mein S56f i)at begangen
bewegt fid> faft auSfcblicfsenb in einfad)em£onfa£e fort, ber nur gegen bie Schlußfälle bin, jumaf)l berjwei=
ten, werten, fccbjren, achten Seile, bei benen benimmt auSgefprocbene 9?ul)epunfte eintreten, in ben 9Rittel=
ftimmen größere ^Beweglichkeit gewinnt. -Denn bicfeS Sieb enthält bie Skrfünbigung üon ben ßeiben beS
4?errn nad) ben t>icr <&><mgeltjten, unb forbert, fd)on als Crrjählung, einen gleichmäßig ernften gortfd)vitt
aller Stimmen. S5ei ben übrigen ÜDMobieen, für fid) betrachtet, haben mir eine jweifaebe 2lrt ber ©eflal-
tung ju unterfd)eiben. Sie enthalten in ihren Strophen entmeber einen £>oppelfa£ ober S£f) eil, beren
erfter bureb eine wieberfebrenbe 3?eil)e metrifcb unb melobifch gleicher 3eiten gebilbet mirb, ber anbere bann
mit einer gleichen ober ungleichen 3eilenjal)l ft'd) ihm anfchließt (2lufgefang unb 3lbgefang) ; ober eS tritt
eine folche Sbeilung nicht beroor, unb bie 3eilen ber SfKelobie fonnen nur, infofern fie melobifche (Entfaltung
eines ©runbgcbanfenS finb, einanber ähnlich genannt werben. 2>iefer legten %xt finb jumeijl alle, auS
altem latcinifcben ober bcutfd)en jlirchengefange ftammcnbe SEBctfen. S5ei biefen flicht, ber 9?egel nach, bie
Stimmenoermcbung fid) fort, ohne unterbrochen ju werben, fo, baß wenn auch Vit einzelnen geilen burd)
Sd)luf?fälle fcnnfltd) gemacht finb, in biefen boch fofort eine ber begleitenben (Stimmen mit einem Sone ein=
tritt, an wcld)en baS ©ewebe fid) weiter fortfnüpft. *) 2ttS Ausnahmen fonnen hier nur genannt werben
jene beiben, fo eben erwähnten latcinifcben 2öeibnad)tSlieber, unb baS Sieb »on bem ßeiben beS Jperrn :
„(SbrijtuS, ber unS feiig mad)t". Söte überhaupt, im eigentlichen Sinne, bei ihnen feine SSerwebung bei-
stimmen ftattft'nbct, bie nur auf Nachahmungen unb ©ngführungen beruht, fo haben fie aud) bejtimmter
auSgefprod)ene 9?ul)epunfte, bie jebod) nur burd) gcmeinfchaftlicheS längeres SSerweilen ber Stimmen fid)
bilben, unb nicht burd) Raufen. £)iefeS le^te gefchieht nur bei einer SJMobie biefer 2lrt, ber beS ßiebeS:
„2Bof)l bem, ber in ©Otts gurd)te ficht", unb nur einmahl, nach ber »erlebten 3eile: „bein eigen £anb
bich nähren foll"; als fei) eS bie 2lbftd)t gewefen, auf biefe SBorte befonberS bie 2lufmerffamfeit ju richten,
unb bann ber Scblußjeile
So lebflu recht, unb geht bir wohl
um fo größeren 9cad)brud ju geben. S5on ben brei Strophen beS ßtebeS „ßl)rifl tft erftanben", beren britte
in ber erjten $älftc ihrer SJielobie aud) von ben übrigen abweicht, ijt eine jebe befonberS l)«nnonifd) bel)an=
belt. 4?ier gebenfen wir enblid) auch beS ^)pmnuS '„4?err ©Ott, btd> loben wir". Nur uneigentlid) fann
feine SDWobie ju benen ber hier bcfprod)cnen "Kxt gerechnet werben, fie bilbet vielmehr eine eigene, für fid)
beftebenbe, in unferer Sammlung nid)t weiter twrfommenbe. Sbje fed)S unb jwanjig £)oppcljeilen, — me^
lobifd) betrachtet, auf etwa bie Jpälftc jurüd ju führen, weil bie SBeifc von einzelnen biefer Seilen jwcü,
brei=, fed)Smal)l fid) wieberholt, aud) eine berfelben fpäter, ju erneuerter SBieberbolung, noch einmal jurücf=
fefyrt, — biefe beträd)tlid)e 3eilensahl crl)cifd)t fd)on beShalb beftimmtere2lbfchlüffe, weil in bie gleichen £älf=
ten jeber einzelnen Bette antwortenbe Gl)öre ft'd) tl)eilen, unb unterfagt eine fortgefefete SBcrmebung berStim=
men. Sie finbet alfo aud) hier nid)t jtatt, unb eS wechfelt nur, je nad) bem Inhalte ber Beilen, ber mit t>oI=
lern 9cad)brud von allen Stimmen jugleid) begonnene ©efang, mit aHmählid)em2lnfd)WcUen beffelben burd)
3ufammentreten einzelner Stimmen, ober Stimmenpaare; wie benn aud) bie £onfd)lüffc halb fürjer balb
breiter gehalten finb, bei mehr ober minber langem gortballcn ber Sd)lußtbne, ju benen fie, üerweilenber
") SSergteidjc fjicr Beifpitt 9tro. 122 bie SSctjnnblung ber SBct'fc bce ficbeS: 58om Gimmel fjoci) ba fomm' t'd) tjer.
ot>er rafcper, üon ben begleitenden «Stimmen gebildet »erben. 2Ba3 bie SDWobieen üon groei Steilen betrift,
welcpe bem größeren S£petle nach, entweber au3 bem SSolfSgefange Rammen, ober, mit 2ut3napme weniger,
um bie 3ett ber jürepenoerbefferung entjianben ftnb, fo ftnb bei beren fünfftimmtger, barmontfeper 33epanb=
lung bie ©timmen jumetft funftreiep uermoben, unb gewöhnlich in ber Tlxt, bafj ber erfle Spetl (2utfgefang)
bei feinem früheren ©rfepeinen »öllig abfcpliefjt, bei feiner fpätercnSSÖicbcrbolung aber baSÖewebe ber Stim-
men an ben ©d)lafjfaU unmittelbar fich weiter fortfliegt. 9cur fccpS gatle mad)en baoon eine Ausnahme,
unter benen wir bie SSebanblung ber SBeife bc§ ütebeS : „Allein ©Ott in ber £bb' fev> (5pr'", bie wir fepon
früber befpradben, nicht mitjäblen. Unter biefen fecbS wirb bei ben Sonfäfcen ber Sieber: „©ott ber SSater
wohn' un3 bei; ©Ott fep gelobet unb gebenebeiet; jD ^>erre ©ott betn göttlich, SBort; 3d) banf bir lieber
£erce" auch bei 2Bteberf)olung be§ erften SbeileS beftimmt abgefcploffen, unb fobann ganj neu begonnen,
©djon bie 33efcbaffenbett ber SERelobieen unb ber Inhalt ber Söorte beftimmt ju biefem SSerfabjen, inbem
nach bem erflen SSbeile ein gememfcbaftlicberG'tntritt aller, ober boeb meiner ©timmen erbeifd)t, baburd) aber
ein gortweben in bem angegebenen ©inne unterfagt wirb. ÜJcametittid) werben bei bem 2lbenbmabl3liebe :
,,©ott fep gelobet unb gebenebeiet" bie beiben SEbctle ohnehin burd) ein ,,Äpriceleifon" getrennt, ba§ aud)
am ©cbluffe be§ legten wieberfebrt, in berSDfttte aber einen Stubepunft notbwenbtg bebingt. 3n bemßiebe:
„3cb ruf ju bir, .iperr Sefu (übrijl"*) webt bie SSerflecbtung ber ©timmen burd) ba3 ©anje fiep fort ohne
Unterbrechung, unb felbft bie 2Btebcrl)olung be3 erften SbeilcS wirb auf biefe Hxt eingeführt» 25a§ $falm=
lieb enblid) „S'cun lob' mein'©eef ben sperren" jeigt hinter jeber »on feinen fecpSiDoppeljcilen ben entfd)ie=
benfien tfbfcfytufi, niept allein burd) einen fortpallenben £>rctflang, fonbern burd) jwei ihm folgenbe Raufen,
welche bie erften beiben Steile be§ nad)ften SaftcS einnel)men, fo, bafj fünf 93Zal)le ber ©efang gänzlich
fdjweigt; ber einjige gaü biefer 2frt, ber in GsccarbS ßboralfäfjen oorfommt unb nur burd) genaues 2£nfd)lie=
fsen an bie SEßelobie, wie er fte fanb, ju erklären ift. Senn fett if)rem frübeften SSorfommen ftnb bort jene
Raufen übcretnjiimmenb t>orgefd)riebcn, unb würben baper aud) wobt im ©efange ber ©emeine beobachtet.
£iefe 33emerfungen geben freilich nur bte allgemeinen 3üge be§ (Sccarbfcben @poralfafee§ ; bie
waljrbaft eigentümlichen, bejeiepnenben, »ermag ba§ SBort be3 SSericbterftatterS nur anjubeuten, unb erft
baS SBerf felbft bringt fte frifcb unb lebenbig entgegen, ba fte notpwenbig an bie£3efd)affenl)eit unbS5ejlim=
mung ber einzelnen 9Jielobteen ftd) nutpfen. 3" ben meiften Sailen beginnt ber ©efang mit allen ©timmen,
jumapl bei trdftig fd)wungwollen SBcifen ; ober e3 bleibt nur eine ©timme jurücf hinter ben übrigen, um
burd) ihren eintritt, gewöhnlich mit ber erften Sftelobiejeile in »erfürjten SEönen, eine nachbarlichere
güüe be§ Älangeö, ein 2(nfd)weUcn be§ ©efangeg ju erreid)en. **) SEreten bie ©timmen naepeinanber ein,
fo gefd)iebt e§ feiten in gorm eineS fugirten ©a(^e§ — wie etwa in ben SBetfen : „Äomm ©ott ©ebbpfer
heiliger ©eift;***) 3efu§ ßl)rijlu§ unfer ^eilanb, ber »on un§ ben©otte§ 3om wanb"; — juwcilen burd)
©onberung ber ©timmen in jwei= unb breijlimmtge, einanber naepahmenbeßpbre, aud) wol)l jwei breijlim=
mige biefer 2lrt; wobei benn eine ber ©timmen (gewbhnltd) bie ticfjte) beiben 6l)bren gemetnfcpaftltcp bleibt,
unb ber ©afc nur burd) Säufchung bc§ al§ fed)öftimmig crfd)cint, inbem fo ber nad)gealjmte wie
nad)al)menbe ßl)or al§ breiflimmige gehört werben. SSie lebenbig ber 2fu3brucf innigen glebenS burcp eine
•) ®. SScifpicl SRro. 129.
") ©. bte erfte SKclobiejctlc oon SSetfpiel 9tro. 135.
'") @. Seifpül 9iro. 119.
». SBinterftlb, t« «angel. S^otalgefang. 60
474
folcbc SBcbanbiung hervortritt, jcigcn bic betten ^falmlicber: ©ort vom £immel ficb barein ; *) 6?
wollt' un3 ©ott gen&btgj feon". ©ben fo mannigfaltig aB bie 'tfrt, bcn ©efang anjubcbcn, jcigt fid) (eint
rtortfüimmg nach ben einjelnen melobifd^en Seilen. £)ft ift eS mir eine einjelne Stimme, bie in bcn »et*
batlenben ©cbluffall bet ttotanget)enben Seile bincinruft, unb bie äbtigen nach ftcb jiefyt; bann fmb e3 jwei
SRitteljlimmen, bie, einanber überflägelnb, in enger SRacfyabmung, ober 31t gemeinfamem, gleichmäßig fort*
febreitenbem ©efange oeteint, bic folgcnbc mclobifcfye Seile in »ecfarjten S5onen fct)on öorau8nel)men, anbete
ju ihrer SRadbfolge aufforbemb, bis cnblich ernfter, feierlicher, bebeutfatner, bterberftimme ben ©efang fort=
n-i-t \u biefem SEongeroebe. So (tnb unter anbetn in ben Siebeens ift bas 4?cil im§ fommen t)er**) ;
©ciobet fenft bu 3eful S^tiil***) — bie Stellen gefungen: ,,011? ©nab' unb lauter ©utc : von einer 3ung=
trau, ba8 ift wahr." 'tfuf ba8 ©lütflicbfte weif; @cearb fiel) ber ©runbfh'mnte ju bebienen, um bengluf; be€
©efangeö ftetig fottjuleiten, unb juglcicb bie bebeutfamften mclobtfcbcn Sügc nacbbrüd'licb hervorzuheben;
fo bie Stelle: „fonfi müßten wir verjagen" in bem jmeiten Steile b«ä 8iebe8: ,,{D Samm ©ottes" tmfctml*
big*'****)? fo bie Dotierte 3eite be$ ßiebeS ,,S5So ©ott 311m $anf niebt giebt fein' ©unjt" bei ben SBorten:
„wo ©ott bie ©tabt nicht felbfl bemadjt" unb anbete. (Sin 83orau8net)men bet folgenben mclebifcbcn Seile,
nie wirecsuvorbcfchricbcn, tnüyft auch oft ben jwcitcnSEbcil einet Sölelobie an ben elften, nad) beffenSBiebet«
holung. .pbchft großartig gefebiebt bie8 in bem Siebe: ,,Sr>m CEbrtjt, ber einig' ©ott-3 (Sohn"-!-); bie
SBSorte „et ift ber SDtorgenfterne" tönen bei ber JBieberl)o(ung be-o elften SKr/eileS febon in beffen eben ficb
bilbenben iSe^luffaB binein, bis bann auch, bic rübn aufftrebenbe SDberfh'mme fte ergreift unb ben ©efang
maieftätifcb auf feinen böcfyftcn ©ivfel erbebt, aufbeut er, bcii9ibvtbmu3 mccfyfctnb, in breitem, breitbeiligcm
93iaafjc verweilt, baß ficb. bann, juerft" trocbäifcb, bann iambifcl) wieberum verturjt. 3n ber Sarftcllung ber
rbiitbmifcben (iigcnthüntlicbrcit feiner s?)Mobiecn tft @ccarb jumabl vortrcflicb: mit feinem Sinne weif er 311
unteifcbeiben, wo ber 8Be<r)fel be83?r)tttl)mu8 febarf unb entfebteben bervorjubeben ift, wie etwa bei ben2Bor=
reu „fein' gtaufam JRüfhing ift" in bem Siebe: „(Sin fefte 33urg ift tmfer ©ott"-H-); — wo er in Sß'm-
bungen unb Durchgängen pief enbet erfebeinen batf, unb weicher, wie in bem 5Diorgenlicbc : ,,3d) banf bir
lieber sperre" fff), — wo er, bei einfacher Harmonie, burd) oeränberte Sage ber ©lieber forthallenber
Sreiflänge, 0011 aller Schärfe frei, t'langrcid) unb feierlich ertönen muf;, wie bei jenen JUÖOI angeführten
SBortcn „er i|l ber ^iorgenfterne". 2Bo ber Inhalt bei 8iebe8 unb bie 23cfchaffenheit feiner 93Jclobic einen
ftetigen, gleicbmäf;igen ^btf be>o ©efangeS, einen gemeinfamen gortfehritt aller Stimmen gebietet; wo bie
Singweife bie Wrunbtonart faimt cinmahl oerläfit, unb '^uyweiebungen, bie tUfi ihrem inneren ,3ufammcn~-
hange nidu hei'iwrgehcn, ib,r nur äufierlid) burd) 2Billh'tt)r bc§ S£onfel^er§ aufgebrungen würben ; wo aHeS
biefc§ fid) ftnbct, wie bei ber fpäteren Singweife beö Iuthcrifcben ßiebeÖ „9hm freut euch lieben öhriften^
9mein//-l-f-H-j)/ jeigt unfercö 53Ieiftcr§ finnige '^luffaffung, feine gereifte Jtunft fid) im fdibnftcn Sichte. 35er
gemeinfam fortfehrcitenbe ©efang aller Stimmen jeigt in jeber einzelnen von ihnen bie cbclfte, auöbrucf^wollfte
*) ©. SBcifpict 9iro. IX. bc« MnljangcS mebefHmniigM 2onfä(ic ju CutJjerö ijcijtl. fiebern.
") S. »cifpkl 9t», 13'.>.
"*) ®. Sctfpicl 9ito. 121.
"") ©. SJcifpicl TKro. 12 i.
t) ©. Scifpicl Vivo. 133.
H) ©• Scifpicl 9tro. XIII. bc$ Knljangc« mcljvftimmigcr 2onfä?c ju CutbcrS geifll. Sicbern.
U-r) ©• Scifpicl 9lro. 137.
■r+tr) ®. «eifpiel 9iro. 134.
9JZelobie ; fo tont aus ihrer Öcfammtbeit ein ItcbcooUcr herein frommer, uon gleichem @efüt)le tief ergriffener
©emütber uns entcicc^cn, eine rechte <5inf)eit im Weifte, fiüx bie Sd)lufifäUe ber 3ei(en bes i?iebes, roo es
gilt, ben ftetigen Stuf bes ©an^en ju fiebern, tfl jenes aUmäblid)e Gintreten ber Stimmen ausgefpart, roo=
burdi bie Harmonie ein fo cigcntbümlid)es iieben gcroitmt, roenn, roie es hier ftets gcfd)iebt, ber Sßieberein-
tritt ein für fie bebeutfames SEonücrbättnifj berührt. £>bglcid) nun am Scbluffe einer jeben Beite ber 9JieIo=
bie, bie fünfte ausgenommen, immer nur bie ©runbbarmonie ertönt, fo roirb man boeb nirgenb eine Ginför^
migfeit gemahr roerben ; bie immer mannicbfaltige, unb bod) gleid) einfache 'äxt ben ©efang fortyuleiten, »er*
binbert bicfclbe. 3a/ in bex worfelten Bette, roo bie ©cfammtbarmonie fafi ausfcbliefienb nur ben Sretflang
ber ©runbtonart barfteüt, entfielt burd) bie anmutige gortberoegung ber Stimmen, bic ftd) überforderten
unb bann roieber binabfenfen, fclbft unter folcbe, bie tieferen Tonumfanges mit ibnen fortgeben, ein reges
ikben, ein 2ßellcnfd)lag bes ©efanges, erquid'cnb unb evfrifd)enb. "tfnbereSJZable roeifj ©ccarb burd) fübnen,
unerroarteten ftortfd)ritt baö ©ebcimnifrooUe, Srernbe aus^utbnen, bas, roenn ber erfte ä3ltcf aud) ein folebes
aus ber SEßclobie nicht berausgelefen hätte, bod) allezeit in il)r, jumabl ibrer fircblicben ©runbtonart, notb=
roenbig berubt, ftd) aus i()r tebenbig entfaltet, unb nid)t al§ Scbmuct tfjr »on 'tfufien ber aufgetragen roirb.
So in ber »orleljtcn 3eile besllicbcs: ,,&omm ©ott Sd)bpfer bctl'ger ©eift"*), roenn ju ben 2ßorten
,,mit ©naben fie füll', roie bu roeifjt" ber SEJleijter bie '2(u5roeid)ung nad) ber £berquarte bes> ©runbtones
alä eine »erroanbelnbe 9Jiobulation bes urfprünglt d)cn 9Jcirotr;bifd)en in feinen üerfefjten SEon=
umfang betrad)tet, unb bcsbalb bei bem Scblufifalle ben X>reiftang ber ftebenten Stufe beffelben (B) bem
bes ©runbtons (C) fübn üoranfebreiten läfjt. 3eber 3ug biefer Ttxt erfd)eint aber entroeber burd) bie Wie-
tobie felbft in ber £auptftimme nad)brüd'lid) beroorgeboben, ober gefd)iel)t bies burd) eine ber begleitenben,
fo erreicht ft'e es ebenfalls; burd) einen melobifcb bebeutfamen ^ortfd)ritt, in roelcbem fie bas £otroerl)ältnif3
berührt, bas für bie jebesmablige ©runbtonart unb beren 9Kobulationen eben ba§ SSejcicbnenbe ift. So in
ber britten Beile bes 2Seil)nad)tsltebes : ,,©elobet fepft bu 3cfuö ßbrift"**;. 2ßenn in biefer bie Singroeife
berabfteigt in 1), bie £berquinte bcö miroh)bifcben ©runbtones, fo berührt ber erfte Tenor, bie melobifcbe
ÜBenbung bes Anfanges jener BeÜe nachabmenb, in feiner böcbften ilage bie fleine SEerj biefes Tones, unb
prägt es beutlid) aus : bie SQiobulation fet> nicht bie hergebrachte einer hörten Tonart in bie gleichartige ihrer
£berquinte, fonbem bes SDZirolpbifcbcn in baö £)orifd)e. 2ln eben biefer Stelle roirb unmittelbar barauf,
nicht minber leid)t unb ohne 3roang, nad) bem Sd)luffe ber »Orienten Bette ber ©efang fortgeleitet ju ber
legten burd) eine 'tfusroeiebung in bas »erfeljte <Phn)gifd)e, in r'räftig rbptbmifcber ^Betonung ber Sßorte
,,befj freuet ftd) ber öngel Schaar", unb fo noch eine ^roeite Steigung beä 9Kirolt)bifd)en ju einer t»erroanb=
ten Äirchentonart jur 'tfnfcbauung gebracht. Unb roa§ follen roir ber 'äxt nod) ausführlich gebenfen, roic
unfer SJicifter ba5 9)brr)gifcbe unb Sortfche gleich treflich pi bebanbeln roeig? roie er bie SKelobie be5 ^)af=
ftoneliebee
25a 3efus an bem Areu^e ftunb**';
Unb il)m fein ßeichnam roarb »errounbt
fo gar mit bittern Schmerlen
*) @. Scifpiet 9Cro. ll'J.
") @. iBeifpiel 9lro. 121.
•'•) ©. »eifpiet SRro. 123.
fiO*
476
faß ßetS in gememfam fortfd)reitenbem ©efange aller ©timmen ertönen läfst, unb nur bei ben hinüber leu
renCen Stellen an bem ©chluffe ber einzelnen Seilen baoon eine Ausnahme mad)t; rote er am Enbe ber jwei=
ten fo träftig ausweide in baS 3onifd)e, fo fchwungvoll burd) ben Senor, ber l)ier ben Ult überflügelt, ju
Der britten Einleitet; wie er in ben SBinbuttgcn beiber Senore ju bem ©d)luj} falle ber SKelobte (ben er hier
äoltfd) unb erfl am ©d)luffe, wo eine gleiche S5el)anblimg wiebcrfel)rt, »hrpgifd) gehaltet) auf ba§ 2eben=
bigfte ben Sinn ber Motte auSbrüdt
„fo gar mit bittern ©chmerjen"
unb bod) feierlich ernft bleibt, ohne alle falfcfye Empftnbfamfeit, bie fein 3eitalter überall nicht fannte. Sie
l>eJ)ve SOtajcftät feiner S5el;anblung ber borifd)en Sßeife „Surd) 2lbam§ gaE ift gan$ »erberbt"*) hat faum
ihres" ©teidjen; trofj ber fortgel)cnben, engen 9cad)al)mung aller ^auptjüge ber ©runbmelobie burd) bie
begleitenden ©timmen, erfdjeint ba§ ©anje nur als" ein gewaltiger, bod) flarer ©trom einfacher v^armonieen,
mcld)e bie Eigentf)ümlichfett ber ©runbtonart fr&ftig abfm'egeln. Sas" ift ee> aber auch, wobureb, mehr ober
minber, alle biefe Ehoralfdfje ftd) anzeichnen, ©ofem ihnen ein finniger Vortrag nur volle ©erecr/tigfeit
wiberfa()ren läfjt, unb bieSöiclobie burd) eine verhdltnifjmdfjig ftatfeS3efefeung genügenb hervorgehoben wirb,
mad)cn jte burdbgdngig ben Einbrud bes> Einfachen ; bie funftvolle ^Begleitung bient ftetö nur ber £au»t=
ftimme; fie ift il)r, map einem wohlgebauten Selbe feine innere ©lieberung, in ber feine @d)6m)eit erjt voü=
fommen jur 2lnfd)auung gelangt. Scs1)alb ftnb ft'e aud) ßl)oralfd(je im dd)ten ©inne, wenn man ftd)
über bie SSebeutung biefe» SBortes" red)t vcrjtdnbigt. Senn felbjt bei völlig einfacher Entfaltung — fjomo=
pl)onifd) er S3el)anblung, roie mir e§ jel^t nennen mürben — müffen mel)rftimmige Sonfd^e über Ätrd)en=
melobteen allerbing§ ber giguralmuftl bcigcred)net werben; ber S5egriff bes" Qit)oiaH, wie er gewöhnlich,
gefaxt wirb, ber fclbfi auf einfache 9JMobieen, fofern man il)nen aud) nur rl)t)thnttfd)en 2Bed)feI ju=
geftel)t, nid)t mehr anwenbbar ift, erfcf>etnt für ft'e vollenbei unpaffenb. ©el)en wir jebod) ab von biefem
©egenfaf^e be3 Chorälen unb giguralen, ber innerhalb ber SSttehrfttmmigfeit überhaupt feine Skbeutung ver=
liert, unb halten uns" ftatt feiner an ben bes" 8tebf)aften unb SDlotettenartigen, wo bann ber ßl)oral
alö ge ift liehe § ßieb auf jener erften ©eite feine ©teile ftnbet; fo mufü uns" ein jeber mehrftimmige ©afc
als" wahrhafter ßl)oralfa£ erfcheinen, ber, bie SBeife eines" geiftlid)en Siebes" behanbelnb, il)re rhpthmifche
S5cfd)affenheit, eben al§ bie eines £iebe3, vollfommen jur 2lnfchauung bringt, bie 9Jlelobie als" fold)c alfo
nicht jertrennt, fonbern erft völlig unb nad)brüdltd) aufragt, unb babei ihre harmonifche SSebeutfamfeit,
wie ft'e burd) ihre ©runbtonart bebingt unb offenbart wirb, lebenbig entfaltet. Sie reid)ere, bie einfachere
©lieberung ber begleitenben ©timmen fann hiebei nicht entfd)eiben; unb will man aus" anberen ©rünben
biefer legten ben S3orjug geben, fo wirb man immer geftehen müffen, wo in ber funftretd)en Stimmen*
verwebung wefentlid) unb vorjüglid) bod) bie Entfaltung hervortritt, wo bie $)olt)»honte in ihrer
©efammtwirhmg ba6 ©evrdge ber Homophonie tragt, ba fet), was" man als" 2lnforberung hingeftellt, im
bbd)ften ©inne erreicht.
Siefeö nun ju erreichen, war unferem (Sccarb gegeben. §ür jebe ber 9ftelobieen, bie ihm aB
Aufgabe geftellt war, hat er bie ihr oerwanbten ©eifter ber Sbne aufgerufen, unb ft'e f^ben ihm gehorcht;
hier ift er baö erfte SKahl jum »ollen SBewu^tfenn ber ihm verliehenen fd)b»ferifchen Äraft gelangt, benn
biefe beruht nicht atlein-im Erftnben, fonbern aud) im Entfalten. SBie aber biefe§, baä Entfalten,
•) 0. SScifpict Kro. 128.
477
überall her»orging bei ihm au§ bcm Surchbrungenfewn »ort bem ©eijie ber lieber imb SJlelobieen, erf'ennen
wir beutltch, roenn wir, an feinen ©efdngen un3 ju erfreuen, ol;ne bod) bie ganzen, oft längeren üieber
burchftngen ju wollen, innert eine, auch wohl jwci jufammenl)dngenbe ©trophm fpdterer ßieber unterlegen,
in welchen ber roefentlicfye Sn(;alt tt)rer urfprüng(id;en gebrangt jufammengefafjt ijl. 4?ier empftnben roir
lebhaft, baft biefe SEonfdfce nicht an ben SBorten ihrer Sieber haften, fonbern belebt ftnb »on ihrem ©eijle;
unb haben roir anbcrs? wobJ gerodelt, fo wirb, wer nicht ju»or baoon unterrichtet ift, nicht leicht eine Unter=
legung ahnen, ©o hat ber SSerfaffer biefer SSldtter CrccarbS Sonfafe über bie SSBeife be3 2lb»ent§liebe3 :
,,9iun fomm ber Reiben £eilanb" gern angewenbet auf bie folgenben jwei ©tropfen be§ gleichartigen 2ie=
be§ »on Heinrich #elb: ,,©ott fe» Sanf in aller SBelt":
2BaS ber alten SSdter ©djaar*)
^)bd)fter SBunfd) unb Seinen war
Unb wa§ fte geprophejeit,
Sil «füllt in Jperrlichfeit !
©ep wtllfommen bu mein £eil,
$oftanna, o mein Sl)eil!
3iiä)tt nun aud) eine S3alm
Sit in meinem 4?erjen an!
So fcfyien ihm bie herrliche SSetonung ber 9JMobte „9cun freut euch lieben G^riftengmein" ber »ierten
©trophe be§ SBcifmachtSIiebeä »on ^)aul ©erljarb : „Sd? {leb, an beiner Grippen tn'er" »ollfommen ftd)
anschließen :
Sd) lag in tiefer £obe§nad)t**)
Su warefl meine ©onne,
Sie ©onne bie mir 5ugebracht
Sicht, Seben, greub' unb SBonne!
£) ©onne, bie ba3 wertb.e Sicht
Se§ ©laubenS in mir jugeridjt,
SSBie fdjbn ftnb betne ©trabten!
©o glaubte er in ber folgenben ©tropfe be§ SiebeS: „2öer ©ott »ertraut, l>at wohlgebaut" baSjenige
auägebrüdt ju ftnben, wa§ SajaruS ©pengier in bie neun ©trophen feines Siebes : „Surcb, 2lbam§ galt
ift ganj »erberbt" niebergelegt hat :
Sein trofl ich mid? ganj ftcherlid)***),
Senn bu fannjl mir wohl geben,
SBa§ mir ijl Sftorh, bu treuer ©ott,
Sn bief'm unb jenem geben.
©ieb wahre SJeu, mein £erj erneu,
Anette Seib unb ©eele!
•) @. Setfpiel STCro. 118.
') @. SBetfptel SRro. 134.
') @. SBeifpiel 9tro. 128.
478
2lcb höre Sperr, bieg mein 33egcbr,
Unb lafj mein' S5itt' nict>t fehlen !
■9?t<±>t bap hier unb in ben früher angeführten SBeifvielen eine folcbe einjetne ©tropfe ben ganzen Snljalt ber
urfvrünglicben Sieber in ftd) fafjte, ober bicfe überflüfftg machte, fonbern baf? fte, für fich allein verftänbticb
unb voüftänbig, ben Xon jener Üieber im ©anjen treu abriegelt, unb tarier geeignet ift, aud) einzeln ftd)
tcn Säljen unfereä SOicifterö anjufd)liefen, bamit ber fpätere Sporn, ber bem älteren Siebter nicht burcl)
ein ganjeg fold)e§ Sieb folgen will, ftd) baran erquiefe unb erbaue.
Die von ßccarb in biefem SBerfe neugefebaffene "ilrt ber SSebanblung bcS ßboralS ftnben wir, bet-
auteren §orm nad), in gleid)artigen Säften fetrieä Sd)ülere> StobäuS fortgepflanzt, unb burd) beffen (SÖJs
flufj in ber von beiben gegrünbeten ^reufjif eben Sonfdjule noch über bie Hälfte be3 folgenben 17tcn
3abrbunbert§ hinaus fortlebenb. S>on biefer Schule ift gegenwärtig nicht näher ju berid)ten. Sie erfor
bert eine befonbere, i()r eigcnbS geroibmete £>arftellung, äumabl fte aud) mit ber ju StobäuS Seit aufblü=
benben $)reuf3ifcben £>td)terfcbule nal)e zufammenbängt, ber wir fo mand)eS, big auf unfere 3eit fortlebenbe,
geiftlid)e Sieb verbanden, ju welchem bie ben Diestern nahe befreunbeten Sonrunfiler bann bie 50celobiecn
fangen. 2)afj von anberen beutfeben, mitlebenben ober fväteren Sonfefjcra ein 'ÜbnlicbeS geleiftet ober aud)
nur mit einigem ©rfotge verflicht worben fei), als baS von (Sccarb (Srreidhte, habe id) nid)t ftnben rönnen.
25ie fünfftimmigen ßboratfätje von SJlartin 3euner (Dürnberg 1616), bie gleichartigen von '.JlnbrcaS .Jperbft,
in (Srbarbi'S l)armonifd)em ©efangbud)c (granf'furtb a. 1659) unterfebeiben fich f)od)ftenS burd) eine
ctwa§ lebhaftere Sübrung ber 9)2ittelfiimmen von benen ihrer 3eitgenoffen, unb namentlid) gebrid)t il)nen
baSjenige, wobttrd) SccarbS Säf^e biefer 2Crt fid) auszeichnen, bie ftete Sortleitung beS ©efangeS am
Scbluffe ber SJMobiejetlen. £)icfe ftnben wir freiliefe in ben fiebert Sonfä^en „in coutrapunclo compo-
siio," welche 3ob. ^ermann «Schein in feinem ßantional (Seidig 1627) neben feine übrigen, einfachen
geftetlt hat. Allein fd)on t£)rer befchränften 3al)l wegen bleiben biefe ein nur unerbebltd)cr SSerfucb, wenn
fie auch beSbalb fcbäfjbar ft'nb, weil wir an ihnen bie Zrt unb Äunft ihres neueren Urhebers mit ber beS
älteren SJleifterS vergleichen fönnen, ba fte, bis auf bie Ausnahme einer eitrigen, nur SEJZelobieen bcbanbeln,
bie aud) Gsccarb gefegt hat. 3u einer Skrgletcbung berfelben wirb bie geeignete Stelle fid) ba ftnben, wo
wir von SdjcinS Sicrbienften um ben evangelifcben ßboralgefang hanbeln werben, wo ftcb bann aud)
ergeben wirb, bafj er jwar rege aSeweglicbfeit in feinen SJitttelftimmen, unb wed)felnbe Harmonie 51t
erreichen gewufjt habe, nicht aber jene ernftc Stetigfeit bie bei allem lebenbigen gortfebritte aud) baS 20ian=
nid)faltige nod) als @infad)eS erfebetnen läfjt, wie wir feinem SSorgängcr fte mit 3icd)t nachgerühmt haben,
"tfnbere 9J£eifter beS 17ten SabtbunbcrtS, wie etwa dbrifiovl) Sbomaä SBallifer in feinen Ecclcsiodiis
(Strasburg 161-4) bel)anbeln ben ßboral ganj motettenl)aft. Sie erlauben ftd), ehe fte bie £au»tftimme
eintreten laffen, ein langet SSorfviel ber übrigen, fte geftatten am Sd)luffe ber 93tclobiczctlen fürjere ober
längere 3wtfcbenräume jur äkqucmlicbteit ber 'tfuSfübrung ; ober fie zertrennen bie SDWobie burd) 3mi^
fchenfä^e unb Sßieberbolungen, wie fte benn aud) nid)t feiten biefelbe, nad) älterer Söeife, bem Scnor
jutheiten. %t)re Sonfä^c, beren Sßerth hier ganj auf ftd) beruhen mag, ftellen ftd) baber eine ganj anberc
Aufgabe, alö bie unfercä SOieifterä, unb e§ mangelt eine jebe SScjiebung jwifd)en biefen unb it)nen.
Scheint nun öccarbö ßinflufj auf bie Skbanblung be§ 6l)oral§ tjienad) ein nur örtlicher geblieben
üu fepn, fo tritt er bod) in einer anberen Skjiebung, wenn aud) nur mittelbar, um fo bebeutenber hervor,
ßccarb hat auf baö Crgelfpiel alä Begleitung beö ©emeinegefangeä eine febr erhebliche ßinwirfung geübt.
%
479
2Bir werten freilich faum behaupten bürfen, baß jwifeben beiben, bem OrgelfptcCe unb bem JUr=
cbengefange ber ©emeine, fchon jur 3ett unferes SOlcifterS ein folebe» SSerbältniß ftatt gefunben habe, wie
gegenwärtig befteht. Jg>atte bie £rget nicht noch in ber elften Jpälfte be£ lßten SabrbunterB, wie toor
ber Äirchenoerbefjerung, allein jur Begleitung be$ .£ u n ft gefangeS, unb für felbftänbige Seifhmgen be§
Ürganiften gebient; wäre fte bamaB fchon bei bem ©efange ber ©emeine angewenbet worben, ihn ju ku
ten, ju »erftärfen, fo würben jene febwärmenben Bilber= unb Äirchenftürmer nicht gegen fte gewütbet, unb
mit ben Söerfen bilbenber Äunft auch bie fcbbnften SBerfe tiefer 2Crt jerftbrt haben. £ätte man in ber lefe=
ten Jpälfte be3 SahrbunberB, naebtem jene wilben Bewegungen beruhigt waren, bem allgemeinen ©efange
auch üollftimmigcn £rgelflang gefeilt, fo würbe e§ um 1586 bem waefern Üucaö £ftanber nicht fo »iel
^aebbenfen» gemacht haben, „wie bei einer @briftlicben ©emein eine folche ÜRuft'c anjurichten wäre, ba
gleichwohl oier Stimmen jufammen gingen, unb bennoeb ein jcberßbnft wohl mitfingen fönnte"; e§ würbe
ihm auch nicht aB ein neuer gunb erfchienen fenn, bureb einen merftimmigen ßbor bie ©emeine leiten §u
laffen, um ihrem ©efange auf biefem SBege eine größere gülle unb Einmuth ju verleiben. 2Bar aber biefer
2Beg einmahl gewählt, unb in bem Sinne, wie £fianber ihn betreten, fo mußte bie Begleitung ber £Drgel
felbjt aB unpaffenb erfcheinen. 2kne golge bloßer Sreiflänge, mit gleicher Stärfe auSgetönt, wie bie
£rgel e§ nicht anbers vermag, unb mit burchbringenben Stimmen, wie fte für bie Leitung einer beträcht-
lichen Spenge Singenber erforberlich gewefen wären, hätte etwas? ÜberwältigenbeS, unb babei bennoch $al=
tung§= unb garbtofe» gehabt; ganj anberS wie bei bem reinen ©efange, bem bie manniebfaebfte 2tbfcbat=
tung be§ £one$ vergönnt ift. 9lun hatte e§ unferem SKeijier gefchienen, aB ermangele ein foleber leitenber
ßborgefang ber Äunft in engerem Sinne; er hatte babin getrachtet, ihn auf eine höhere ©rufe ju erheben,
©rbßere SSollftimmigfeit war ihm Bebürfniß geworben, ein bewegter, bebeutfam gefchmücfter gortgang,
ein 2lbfe£en unb SStebereintreten ber begleitenben Stimmen, ein fteteS gortletten be3 ©efangeS : 2flle§ ber
2frt, baß e$ auch bem £rgelfptele, aB Begleitung gebacht, eine beftimmtere gärbung unb größere Tännich;
faltigfeit geben fonnte, trolj ber nicht ju befeitigenben Mängel beö SnftrumenteS. Sem Gibore SftanberS
hätte bie £rgel nur atS ein einiger, üieljtimmig erflingenber Körper jur Seite ftehen fbnnen; ©ccarbä @hore
gegenüber bürfte fte erfcheinen aB ein SSerein melobifcb eigentümlich geglieberter Stimmen, bie nun auch
bureb 9?egtftrirung unb 2lnwenbung ber »erfebiebenen SKanuale unb be3 9)ebaB auSeinanberjubalten waren;
nicht mehr farblos, bei ber möglichen SSerbinbung üerfchieben gefärbter Älänge ; nicht mehr untüchtig jur
Leitung ber ©emeine, ba für bie SDZelobie burchbringenbere Stimmen gewählt werben fonnten; felbft ber
Ibfchattung fähig, bureb ba§ 2lbfe|en unb SBiebereintreten ber »erbunbenen Stimmen. Sie burfte fo
erfcheinen; benn e§ fann allerbingS nicht oerftebert werben, baß fte bamaB fchon fo erfchienen fen, baß
man fte in biefem Sinne angewenbet habe, 'tfüem eS liegt in ber Statur ber Sache, baß eine folcfye 2lnwen=
bung nun nicht lange" ausbleiben fonnte. Sie Sbeitnabme ber ©emeine an ßboralgefängen wie bie unfereS
SJieifteB, fefct eine nicht geringe unb jugleicb allgemeine 2üBbtlbung be§ ©efangeä bei berfelben »orau§,
felbft wenn wir annehmen, baß bafür in jener Seit, wo man mit größerer Siebe, mit tieferer 2tnbacht in
ber .Kirche fang, bureb bie Schule bereiB eine größere SSorbilbung ber ©emeineglieber ftattgefunben r)abe.
Unb wenn wir auch jugeben müffen, baß ber SSJlelobie in CrccarbS Sä|en ihr »olleS Stecht gefebehen fei), baß
er ffcb ber üblichen Singart angefchloffen, unb ftch nirgenb wtüführliche, ben gleichmäßigen gortfehritt be§
©efange^ ftörenbe SJuhepunfte erlaubt habe, ba feine fortleitenben äwifcfyenfäfee niemaB hinaufgehen über
ba§, bem rechten SJiaaße ber SJlelobie gesiemenbe 2(uSflingen ber Schlußtöne jeber einzelnen 3eile ; — wenn
480
wir aud) alles tiefet eingegeben muffen, fo fann un3 t»od? bte Schwierigkeit eines fortbauernb rechten @in=
ftimmenS bei: ©emeine ntdit verborgen bleiben, ba§, wo e3 einmal)t unterbrochen war, aud) ben leitenben
Sdngerd)or, bei fo grofter Übermacht jener, notbwenbig in Verwirrung bringen mußte. 2Bie wir nun
balb fd)on nad) unfere» 93leifter3 Eingänge ftnben, namentlich in ben Sonfd^en be§ 9Kid)ael $Prdtoriu3,
baß bei bem ©ottesbienjtc ein 2Scd)fel ftattgefunben habe im ©ebrauebe geifjlid)er Sieber jwifd)en reinem
©cfange bes SdngcrchorS, ^Begleitung einzelner Stimmen burd) bie Srgel, unb vollem Sufammenfh'mmen
biefer, bei? ßl)orc3 unb ber ©emeine, fo lafst e§ fiel) leidet benfen, baf man, wot)l fd)on bei Sebjeiten
(SccarbS, wabrfd)einlid) eben bann, aß man feiner Seitung entbehrte, bei feftttd)cr ©elegcnf)eit gewechselt
haben werbe, Strophe um Strophe jwifeben reinem Vortrage feiner Sonfä^e burd) ben Sdngercbor,
wobei bie ©emeine bem Siebe leid)t ju folgen vermochte, unb allgemeinem ©efange jur Orgel, bie im Sinne
be§ SJJeijterS begleitete, aud) nur feinem Sa£e ft'cb genau anfd)ließen burfte. Senn wie wir fat)en, war
biefer ganj geeignet, auf ihr mit 2Btrrung unb 3wecfmdfig!eit vorgetragen ju werben, ja, er entbehrte
ber Smifcbenfviele nid)t, bie bei ber befonberen ä3cfd)affenf)eit ber .Orgel febon unentbehrlich. erfd)einen,
wenn ft'e nid;t ftetS in gleicher gülle unb Starte ermübenb fortbraufen foll; 3tt>ifd)enf»iele, bie hier in einer
©eftalt eingeführt ftnb, bie ft'e nid)t aB wuchembe unb fjorenbe 2lu3wüd)fe barfiellt, wie ungefebidte ober
eitle SDrganijlen fiel) barin wohl ju gefallen pflegen.
2n bem treflieben SBerfe, von bem wir bisher gebanbelt baben, unb von bem wir nunmehr
febeiben, war e§ bie 2lbftd)t unferes» 5öieifter§, aud) bem ©emeinegefange bie .Runft ju gefellen; follte ft'e
bod), nach SutberS 2lu§f»rucbe, burd) ba§ Evangelium nid)t ju S3oben gefd)lagcn fenn, wie 2lbergeiftlid)e
vorgaben, fonbern tbdtig im £)ienfte iDcffen, ber fte gegeben unb gefebaffen habe. Aber auf einem anberen
SBege nod) wollte (Sccarb, bap fie jum Sobe if)re3 Schöpfers, tf?reä ©eben? gereiche, inbem ft'e, aud) in
ihren tiefftnnigjlen, reichten ©rjeugniffen, bod; ©eift unb ©emütb ber ©emeine in Anfprucb nel)me, unb
nid}t allein nad) bem SSeifaUe ber Äunftgelel)rten ringe ; inbem fte, bem allgemeinen JUrd)cngefange ftd)
ndber anfd)liefenb, als beffen l)bl)ere SBlütbe erfd)eine. 35iefe§ ju leiften, eine fird)lid)e Äunfi in dd)t
evangelifebem Sinne ju fdjaffen, bat (Sccarb in feinem legten SBerfe geftrebt, feinen ?J) reu fnfeben §ef>
Ii e bem, in welchem bie ©abc bee SangcreS unb be§ Selkers in il)m ftd) vereint; unb von tiefem 2Berfc,
bem Scblufjftcine feiner Äunjltbdtigfeit, gebenf'en wir nunmel)r $u bmibeln.
Über beffen äußere (Sinrid)tung, feinen Snl)alt, b,aben wir juvor bereits im Allgemeinen berid)tet,
unb tonnen il)tn nun fofort nd!)er treten. 2Bir bemerrten fd)on, al» wir bie geifllid)en ©efdnge @ccarbs> in
feiner gemifd)ten Sammlung vom Sabre 1589 bcfprad)en, ein beutlid) bervortretenbeö Streben be3 93cei=
fterS, bei Anwenbung ber für Äunjtgefang bamalS allgemeinen SDtotett en form bießiebform l)inburd)=
febeinen ju laffen. 9?un ifl eä biefe le^tc, auf welcher ber allgemeine Äird)engefang in evangelifd)em Sinne
beruht, unb jenem Streben GrccarbS lag bamalS fd)on, wenn aud) minber bewupt, bie 2lbfid)t ju ©runbe,
Äunftgefang unb ©emeinegefang in ein Icbcnbigcree», inntgereö SScrl)dltni(3 ju bringen. SJitt 9icd)t ftnben
wir in jenen früheren SScrfudien bie Äeime begjenigen, wa§ fvdtcr in ben Jeftliebern 3U voller 5ßlütbe ft'd)
entfaltete, gretlid) war biefe Entfaltung in ber Seele unfereä SDicifterä nothwenbig, wefentlid) vorbereitet ;
es fehlte aber aud) an dufteren SSeranlaffungen nid)U ft'e JU befbrbern. 3u tiefen gehörte bie im Saufe be§
lOten Sahrhunbertö immer mehr wad)fenbe Siebe jur SSonfunjl, burd) weld)e fte ftd) über Greife vcrbrei=
tete, benen ft'e früher, wenn aud) nicht fremb, bod) weniger jugdnglid) gewefen war. Sn älterer 3eit Ijatte
man bes mehrftimmigen ©efangeS, neben feiner geiftigffen unb würbigfjen Anwenbung in ber Aird)e, faum
481
anberö fid) bebtent, als „jur 3iecreation bei eljrltdjen Conviviis" ober beim SEanje, ftd) mebr fmnltd) baran
wergnügenb. 2fllgcmad) aber fanb er als eble Sterbe nun aud) Eingang bei feftltd)en ©elegenbeiten, bte,
junddbft nur £au3 unb gamilie angebenb, in biefen bod) an bie bödmen S3ejiel)ungen erinnerten, baS Seben
be3 (Singeinen al§ innig »erbunben barjMten mit ber Äird)e, bie in ibren Wienern, fegnenb ober trbjtenb,
babei eintrat. £ier nun erfdn'en ba§ funftreidje SDiotett, wo e§ triebt etroa burd) einen .Kunftgelebrten au§=
brüdlid) geforbert mürbe, ju anfprud)3ooll, gu feterlid), bie Siebform bagegen heiterer, allgemeiner fajjlid) ;
aud) lag ber SSttittetroeg nafje, biefe gorm einer tontuttftlerifd) forgfälttgeren £>urd)fül)rung aB ©runblage
gu geben, mie mir eS bei jenem .£>od)gett3liebe unfere§ SRetfterS über ben 128ften *Pfalm roabrnabmen..
£)iefe ©elegenbcitSgefänge ftnb ntd)t of)tte roefentlicben dinfluß geblieben auf bie ZCuäbilbung ber gorm be$
JeftltebeS; fte bat an ibnen, al§ Vorübungen, bei unferem SDieijler ftd) allgemad) entroidelt. SBte in ben
allgemeinen Äircbengefang, neben jenen uralten, ^eiligen SBeifen, aud) bie SKelobte be§ roeltlicben StebeS
©ingang gefunben batte unb burd) ibn geroeü)t roorben war, rote auf biefem SBege eine Sermittelung
groifd)en ber £ird)e unb bem Seben ftd) gebilbet batte, fo erbfnete ftd) nun aud) ber SBeg gu einer äbnlicben
S3ermittelung groifd)en Äunfrgefang unb getftlid)em 33olfSgefange. Sener füllte niebt länger biefem
febroff entgegenjteben ; ba§ SQiotett follte nid)t etwa serfebwinben aus> ber Jtird)e, benn e§ mar bie
feierlid)jte, feftlicbite gorm be§ ©efangeä, bod) follte e§ auf ber ©runblage beruben, bie für ben e»ange=
lifeben Äircbengefang einmabl fdbtert bie allgemeine fet;n gu müffen, ber be§ SiebeS. £>afj alle Sonfäge
6ccarb§ in biefem SBerfe in ber £l)at auf fte gebaut ftnb, geigt fd)on ber iJlame „gefilteber," ben er
ibm beigelegt bat; unb bod) roie mannid)fad) tritt fte in tl)nen b^oor! (SS ftnb beren, roo bie einfad)e
9J2etobte unbebingt berrfd)enb waltet, unb bie begleitenben Stimmen ttjr nur bienen, roo fte alfo aud) für
ben ©efang ber ©emeine geeignet ijl, roie bei jenem Siebe tton $eter #agen für baS gejt ber SSerfünbigung
ber SKaria :
greu bid) bu roertbe Gbriftenbett*),
£>ein £eil ijt jefct »orbanben tc. ;
anbere, roo baS Sttotett in allem ©lange retdber 2lu3fübrung »or unS ftebt, unb baS ©ange bennod) ©eftalt
unb 35ebeutung erji burd) bie Siebform empfängt, wie jener SBeibnacbtSgefang ©eorg 9?etmann3 :
JD Sreube über Steub!**)
£>a ift fte nun bie 3cit/
25 a unS gum £eit unb Rommen
£5er eroig' ©Ott ift fommen
Sn'S gleifd) obn' alle «Sünben,
SDßit uns ftd) gu öerbinben,
Sungfrau SEßaria auSerfor'n,
Sie bat ibn in bie 2Belt gebor'n;
anbere, roo balb mebr bie eine, balb bie anbere gorm ftd) geltenb mad)t, immer im innigjlen (Sinflange
mit bem Snbalte be§ SiebeS. Um btefeS beutlid)er ju mad)en, t»erfud)en roir an einigen SSeifpielen e§ ju
erläutern, fo febroer e§ aud) fevjn mag, eben an drjeugniffen ber Sonfunfl bie dinbeit beä ©eijie§ unb ber
•) ©. SSeifptet 9iro. 140.
") @. SSeifptet 9lro. 143.
b. SBinterfelb, ket esongtl. (S^erotgefang.
61
482
gorm beizulegen, unb baäjentge in SBorte ju faffen, »a§ in feiner ganjen gülle nur in Sbnen
fieb aufriebt.
:Da3 erfte ßieb, ba§ nur baju wallen, ift eineö bon ßubroig #elmbolb auf ba3 Seft ber Jpeim;
fuebung ber Wlaxia :
Über'§ ©ebtrg 9Raria gebt
3u ibrer S5af (Slifabetb.*)
25a büpft ba§ Äinb in beren ©eboofj,
3n ©eifteS Drang' ibr SSBort ertönt:
De» Reiten Sttuttcr, fct> gegrüßt!
SKaria warb frbl)lid) unb fang:
SJiein' ©eel' ben £erm ergebet,
5SKein ©eijt ftcb ©otteS freuet,
(§r ifi mein Jpetlanb, fürchtet ibn!
Qx will alljeit barmfjerjig fetm!**)
5Öir feben, baö ©ebiebt tbeilt fid), ber gorm nad), in jroei 2£bfd)nttte, ber erjie ju vier, ber leiste ju feebs
3eilcn 5 bem Stielte nad) würben mir e§ anberS orbnen, unb bie erften fecb§ 3eilen, welcbe nur erjäblenb
ftnb, als ben erften Sbeit betrachten, bie folgenben bier, bic au§ bem ßobgefange berSöiaria bie bebeu--
tenbjien Süge berborfyeben, ol§ ben jroeiten. ©ebr finnig f>at (Sccarb bier eine SSermittelung treffen
genügt. Die beiben erften 3eilenpaarc Ijaben in feinem fünf ftimmigen ©a^e gleiche SSetonung ; baS
erfte fcbliefjt böllig ab, in ben @d)lufjfaU be§ ^weiten mebt ber ©efang ber folgenben fünften Seile ftcb
binein ; biefe aber unb bie fecbjle erfd)einen nur als- einleitenb ju bem Sobgefange, bem Äerne be§ ©anjen,
ber in feinen erften brei Seiten, faft burd)gdngtg Son gegen Zon gefegt, »or allem Übrigen fid) au$jeid)net,
unb in ber werten, legten Seile erft bie motettenl)afte 33ef)anblung wieber ergreift. £)urd) ba§ ©anje bin
fkllt bie £berjiimme eine in fid) genügenbe SDMobte bar; unb wie bebeutfam roirb fie bureb bie übrigen
t>ier (Stimmen entfaltet! Sucrft vereinen fid) biefe ju einem felbftänbigen ßfjorgefange, biefem gefeilt fid)
bann bie £)berjiimme, um einen Saft il)nen nad)tretenb, unb fd)tt>ebt leid)t unb anmutig über ibnen.
') Sie aroeire bis fünfte 3eilc lauten urfprüngltcf) :
3u ber fcfjrcangcrn (Slifabetf).
Dag Ainblein tjüpft in ibrem 2cib,
Der beilig ©etft bureb/g SBort fie treibt,
25afj fic beg Herren «Kutter nennt 2c.
Die leifc tnberung bei bem Unterlegen beg SertcS in bem mitgeteilten SSeifpiele bat nur bie 2tbfid)t gehabt, bureb,
Tilgung einiger Unebenheiten beg ©cbicfjteg ben burcf)roeg unocrä'nbcrtcn Sönen beg 9Keiftcrg Dotiere ©credjtigfeit roiber--
- fahren ju laffen. Die urfprünglicfjen SBortc ftcfjen bjer, bamit nirgenb ber biftorifdjen SSreue Sintrag gcfcfjefje. einem
Seben bleibe fo bie SBafjl, rocldje er bei bem ©efange cor^cn woUe. — 2£uc^ bie zweite ©ttoptje unfereS Ct'ebeö ift
ber Mufbercaljrung wertt). ©ie lautet :
2BaS bleiben mir immer bafjeim?
2Cud) ung laßt auf'ö ©ebirge gefjn!
£>a cing bem anbern fpreetje ju,
Deg ©eifteg ©ruß bag >^erj au'ftbu',
Saoon cg freubig «erb' unb fpring,
Der ©eift in «abrem ©lauben fing:
«Kein' ©eel' ben ^errn erfjebet it.
") @. Seifpiel 9lro. 141.
483
Sie ahmt ben ©efang ber jweiten Stimme nach, ber gübrcrtn jerteö ihr »orangehenben ßhoreS, aber fte
jkigert ihn jugleicb. auf jarte SOBeife, ftd) höher binauffcbwingenb als jene; eS ift wie eine innigere Antwort
auf ben juoor oernommenen ßiebeSruf. Unb wenn am Gmbe ber jweiten unb werten Seile bie Dberftimme,
bat fte gleich bie eigentliche melobifd)e Scblufjwenbung, bennoer; fiel) binabfenft unter bie zweite, unb biefe
nun mit einem leeren Tone über ifjr fd)webt, gleid) bem burchftebtigen Spiegel einer flaren Quelle, ber
baS »on if>r Überjlrbmte nicht »ertjüüt, fo empft'nben tr>ir wohl etwas bem gleid), waS £utf)er in bem 3Bed)=
felfpiele ber Stimmen eines ©efangeS „Jperjen" nennt, unb „liebliches Umfangen"; baS lebenbigjte SSilb
frommen JpeimfucbenS, freubigen 33eretnenS, wie bie SiebeSmorte eS befd)reiben. SiefeS 33 Übliche,
'tfnfchaulicbe ift eS, baS unfern ©efang, wie fo ttiele anbere in gccarbS geftliebern, fo ungemein anjicfjenb
mad)t. SOitt bem ©rufe ber Slifabetb an 9Jlarta, bem oermittelnben ©liebe jroifd)en (Srjäblung unb ßob=
gefang, gewinnt baS ©anje einen l)6l)ercn, fül)neren Schwung, greubig ftreben beibe Tenore empor,
bie ©runbjtimme folgt, nad)al)menb, bie Dberftimme, in tijrert tieferen Tonen, leitet bie SJiobulation
in baS ^tjrrjgtfdje hinüber, bie jweite, fte überflügeint», wenbet fte »on ba ju bem '#otifd)en bin;
nun ergebt ftd) bie erfte Stimme wieberum über jene in hohen, gellen Tbnen, unb fd)ritfroetfe, in
fanften SSinbungen, ftd) fenfenb, ben »ollen ßhor bel)crrfd)enb, ftnbet fte baS 3onifd)e, bie ©runbton=
art, wteber. Sie bemütl)ige Jungfrau beugt ftd) ttor bem ©rufe ber älteren greunbin, im 33eroufitfewn
ihrer 9tiebrigfeit, aber mit bober greube erfüllt fte jugleid) baS ©efül)l ihrer geheimnisvollen 33egnabigung,
unb fo bfnet fte bie Sippen ju begeiftertem Sobgefange. Sie einfachen Sreiflänge, in benen biefer, er(t
brei=, bann fünfjiimmig, in fortgebenber Steigerung erflingt, bilben gegen baS SSorangegangene, worin
burebgängig faft bie Stimmenüerroebung beS SSJiotettS »orberrfd)t, ben bebeutfamften ©egenfa^, unb (äffen
eben hier ben SJiittelpunft beS ©anjen erfennen. Sie erftert jwei Seilen biefeS TbeileS :
SKein' Seet' ben £erm erbebet,
«Kein ©eijr ftd) ©otteS freuet,
ftnb, in bem Tonumfänge won C, mtrolpbifd) gefungen; bie 2tuSweid)ung nad) ber britten Heineren
Stufe, abwärts »on biefem Tone, baS ^)er»orl)eben ber ft'ebenten, ebenfalls fleineren Stufe aufwärts »on
ihm, prägen, in bem geringen Umfange weniger Safte, bie ©igentbümlid)!ett biefer ftrd)lid)en Tonart auf
baS £3efiimmtejte auS ; mir würben, olme bie SEBorte ju üemehmen, bod) empft'nben, baf eS ein heiliges
Sieb fen, baS in tiefen Tonen erflingt. 9JJit ber Seile :
(ür ift mein 4?etlanb, fürchtet ihn !
erbebt ftd) baS ©anje auf ben bbebfien ©ipfel ; aud) bie ©runbtonart, — bie ionifebe in bem Umfange Bon
F, — empfängt in bem mäd)tig auSgetönten Sreif lange if>rer ft'ebenten, t>ter fleineren Stufe aufwärts (Es),
einen mtrolpbtfcfoen 2£nl)aud), ber bebeutfamer nod) berüortritt, ba aud) rfyntfymifcber SBechfel ihm
gefeilt ift; unb nun, ftd) wieber abwärts netgenb, fcbliefit baS ©anje in lieblicher Stimment-erwebung
mit ben trbiilid)en SBorten :
(Sr will alljeit barmherzig fe»n.
^)ier wirb bie £berfiimme nid)t allein t>on ber jweiten, fonbern aud) ber britten Stimme überflügelt; unter
beibe fenft fte bemütfug ftd) hinab, allein ihre Sd)lufwenbung wirb bennod) beutlid) »ernommen, unb
gefiebert nod) erfd)etnt hier am gnbe beS ©anjen, waS an bem ber erften beiben Seilenpaare unS fdjon fo
anmutbig unb finnig erfchien.
61*
484
<5in lebent>tge§ 33ilb beffen, wa$ bte 2Borte bc§ Stebcä un3 entgegenbringen, erfcfyetnt in biefen
Sönen, aber ^gleich eine fromme, geiftooEe Erinnerung an bie SBorte ber heiligen Schrift, bie fid> auf
ba§ geff bejiehen, ba§ burch unferen ©efang gefeiert werben foll. Sene fd)one @rjdf)(ung t>on bem S5efud)e
ber ^eiligen Jungfrau bei ihrer greunbin, balb nach ber SSerfünbigung be§ (Engels an fte, »on bem begei=
{taten ©rufje, womit biefe fte empfing al3 SERutter be§ Jpcrrn, t>on ihrem erhabenen, bemütf)igen 2obge=
fange, wirb in ben ttr$fi$en 2£bfeJ?nittcn ber (Schrift für ba§ geft ber #cimfuchung, mit Bielen anbern,
prophetifeben, bichterifchen, lehrenben unb ermal)nenben ©teilen berfelben in SSerbtnbung gefegt. Sunäcbji
mit jenen Sßorten be§ 3efata3/ wo er üerfünbet, baß ein Sweig ber SBur^el Scffe grud)t bringen, bafi auf
ibm ber ©eijt be§ #errn, ber SBetSheit, be§ 9?atl)3 unb ber ©tärfe ruhen werbe (XI. 1. 2.); bann mit
jenen bcj> £ohen 2icbe§, ba mit bem l)erbeige?ommcnen Senje, ben fyerüorgefprofsten S3lumen, bie ©timme
be§ greunbeä laut wirb, ben nach ben lieblichen Sbnen ber greunbin »erlangt (II. 8—14.) ; mit ber Sefyre
bes> StomerbricfeS enblich, meldte bie SSrünftigfeit be§ ©eiftesi empfiehlt, bie -£>erjltchfett ber brüberticfyen
Siebe, bie juüorfommenbe @l)rerbietung. Clingen nicht alle biefe 5£6ne an bei unferem SJJeifier, in ber
anmut[)igjien 83erfcb,me[jung, füblen wir nicht, baf? bem tatest fo fepn würbe, wenn ba3 SBort nicht lebem
big geworben wäre in feinem Innern? Sa, wir bürfen ihm nachrühmen, baft wenn jene 2lufforberung beS
'ilpoftcB, baS SBort immer reid)lid)er wohnen ju laffen in ber ©emeine be3 #errn, ntdtjt allein »on bem
gefprochenen ober gefd)riebenen, fonbern vornehmlich aud) bem in SErjat unb 2eben übergegangenen ju »er=
flehen tft, er burd) bie Äunft, al§ feine etgenfte Sl)at, eS geleiftet l)abe, fo m'el an ib,m war.
Äbnnen wir biefeS Sieb, wie unfer 50ieifter e3 fang unb feljte, einen ©efang heiliger Siebe nen--
nen, fo trägt ein anbereS, auf ba§ gejt Rannte be3 SäuferS, ba§ ©epräge eincS ©laubenSliebeS.
©ebid)tet ift e§, wie ba§ vorige, von ßubwig ^elmbolb, unb jieEt in ärmlicher SSBeife, erjählenb unb
ftngenb, ben ßobgefang be3 3 a ch, a r i a 3 bar :
£)er 3ad)arta§ ganj vermummt*),
33i§ baf von feinem SÖßeibe fummt
©in ©of>n burd) ©otteS ©üte;
S3on welchem bie 3ufag gefdjehn,
£)af er follt vor bem Spexxn ftevgebn,
£>efj freut ft'dj fein ©emütf)e;
©er ©eijl bie ©prad) il)m wieberbringt,
SJZit greuben I;ebt er an unb fingt:
©elobet fep ber £erre,
©anj Sfwel if)n el)re!
©r b«t befucb,t, er I;at erlof't
©ein SSolf, glaubetö, unb fepb getrofi!
2)er S5au won bem S£onfa^e unfere§ 9Keifter§ über biefeä ßieb ift in feinen allgemeinen 3ügcn bem beö juoor
befprodjenen äbnlid), bei aUer großen &crfd;iebenf)eit beö einjelnen. @r ift fünfftimmig wie jener; wir
untertreiben in ifjm, übereinjlimmenb mit ber ©tropbe be§ Siebe§, ju Anfange je bret unb brei gleich,
betonte 3eilen, beren erfte brei benimmt abfd)ließen, bie jweiten aber bei ihrem ©chluffalle fid) mit bem
•' 6. »etfpiel 9lro. 143.
485
©efange ber folgenben beiben 3eilen oerfetten, bie als fermittelnbeS ©lieb hinüberleiten ju bem gobgefange,
ben bie üicr lefcten uns bringen. 2lud) tjter {teilt bie SDbcrftimme, boch nur bis hin ju ber legten #ätfte
beS fediften SafteS »om dnbe beS ©anjen, eine für ftd) bejiehenbe, »ollftänbige SKelobie bar; biefe gef)t
inbejj an ber bejeid)neten ©teile über in bie jweite Stimme, inbem ft'e bort ihren ©chlufjton burd) bie legten
brei Safte fortfallen läfüt. ©onft f)errfdjt ft'e burd) baS ©anje hin unbebingt über bie anberen Stimmen,
üon benen feine ft'e überfcfyreitet. ©anj einfachen ©a£, Son gegen SEon, laffen nur bie erfte unb britte
Seile in tMerjtimmigcm ©cfange unS hören, wdhrenb bie britte ©timme fd)weigt; wirffamer unb einbringe
lieber burd) rh>)thmifd)en 2Bed)fel, inbem baS bewegtere, breitheilige Sföaaf? finüberleitet in baS ernjtere,
jweitheiltge. 2Sie bie 3weifel beS betagten ^PriefrerS an ber ifym gefchchenen S5erl;eipung übergeben in wolli-
ges 58crjtummen, unb fein inneres ©fr nun ben »erflungenen SBorten berfelben laufet, bie bajwifchen,
in funjtreidjer SSerflechtung ber ©timmen, ertönen; roie fein ©emütf) baoon beroegt wirb, fct)ilbern unS
lebenbig biefe Seilenpaare. 311S aber ber ©eift bie SSanbe ber 3unge bem 33erj!ummten wieber Voft,
fdbwingt ftd) ber ©efang mactjtig auf, bis baS Soblieb felbft beginnt, Anfangs, im ©egenfafee ju bem
SSorangegangenen, mehr auSgejetdjnet burd) ben TluSbrucf tiefer SSeugung unb £)emutf), als burd) eine
abroeidjenbe gührung ber ©timmen. Sod) nun, in ber 3etle:
„©anj Sfrael tf)n ehre"
erregt ein felteneS SSerhdltnij? ber £berfttmme gegen bie tieferen unfere »olle 'tfufmerffamfeit. £)tefe bewegen
ftd) fort, rfr;tl)mifd) wed>felnb, auS bem breitheiligen SÜJaafje, Son gegen Son, übergel;enb in baS jwei=
heilige, bei beffen (Eintritte bie jweite ©timme in Serjengängen ber oberen ftd) anfcfyliefjt; jene bagegen
bewahrt wäbjenb biefer ganjen Bette unüeränbert baS jweitheilige. S)ie eigentl)ümlid)fte SBirfung mad)t
biefe 83erfnüpfung feierlicher ©tetigfeit mit fortjirebenber ^Bewegung. £>iefe erfetjeint bei ber tiefen Sage
ber ©timmen, in benen fte bargejlellt wirb, bennod) ernjt unb gemeffen; cS i|t, wie ein rafcfyerer ©d)lag
beS £erjenS, währenb baS 2Bort nur tiefe, fttUe Anbetung auSbrüdt, ober wie bie in (Styrfurdjt jurüdge*
haltene, ftaunenbe ^Bewegung ber juhord)enben Spenge, als nad) langem ©d)weigen bie ßippe beS $)riefterS
ft'e wieberum aufforbert ju heiligem Sobgefange. Smmer frdftigeren ©diwungeS ergebt ftd; biefer ju ben
SBorten: ,,@r tjat be\u<i)t, er l;at erlbft fein 33olf," bis bie tieffiten ©timmen, in lang' auShallenben
Sönen, auf bem SSorte: „glaubt'S" it)m bie würbigfte unb feierliche ©runblage bilben. £at nun bie
in bie jweite ©timme übergegangene SDMobie, jufammenflingenb mit bem jweiten Senore, ben ©d)lu§ton
hören laffen, ber bis jum @nbe beS ©anjen in t£>r fortflingt, fo rufen, t)iet wieberum gleichgefellt, bie
übrigen ©timmen mit 9}ad)brud bie SBorte nod) einmaf)l baju auS: ,,©laubt'S, unb fei)b getroji,"
unb fronen fo unferen ©efang. (§r tragt nicht, wie ber »orige, baS ©epräge jarter Einmuth, fonnenf)eller
£ eiterfeit, ntd)t, wie bort, blüht baS ßoblieb f)«oor gleich einer S3lume auS bem uon ßiebe burd)brungenen
©emüthe. $ier f)errfd)t Stefftnn t>or unb fettiger @rnft ; auS bem 35erftummen beS 3weifelS ergebt ftd)
ber ßobgefang beS ©laubenS. Sie ©runbtonart tjt baS £>orifd)e in feiner SSerfe^ung ; bis auf bie auSge=
zeichneten ©teilen herrfd)t überall bie ©timmenoerwebung beS 9KotettS oor, bie in Nachahmungen ftd) bar=
ftellt, in benen jumeiji ©timmenpaare einanber gegenüberjtehen, ober, wenn einzelne ©timmen, alSbann
biefe gegen einen breiftimmigen 6hor geftellt, woburd) eine feltenc Sülle unb .Kraft entftef)t.
9?eihen wir für unfere ^Betrachtung ber geftlieber CrccarbS, ohne unS an bie golge ju binben, wie
beffen ©d)üler fte nebeneinanberftellt in ber 2TuSgabe feineS SBerfeS, biejenigen jufammen, bie in ndchfter,
innerer SSejtehung »erfnüpft ftnb, fo hohen wir jefct tton jenem 2Bethnad)tSliebe ©eorg SfeimannS ju reben :
486
£> greube über greub, *)
DcfTen 2Borte roir fcfyon volljtdnbig mitteilten, unb fein ©evrdge in unfereS SOletftcrö Sonfafce bereits im
'ifllgemeinen anbeuteten. $ier begegnet un§ ein fDiotett ju jwei vierftimmigen ßbören, ber eine von fioben,
Der anbere von tiefen Stimmen, beibe von manniefefaefifter 33efianblung. SEBo fte mit einanber rveefifem,
unb burd) ifiren Tonumfang febon ftcfi gegenfeitig fiervorfieben in biefem SBecfifel, fierrfefit einfache 33eto=
nung vor; rvo fte bauemb ftcfi verbtnben, tritt bie funjtreicfie, motettenfiafte SSerroebung ein, boefi fo, bafü
nun niefit mebr ein £) ovvelcfior, fonbern ein »oller, acbtjtimmiger ftcfi bilbet, in roelcbem ©timme
um «Stimme, nicfyt ßfior gegen ßfior, fiel) nadjabmenb bewegen. SBcnn im ^Beginne be£ ©efangeä bie
l>ot)e greube laut roirb über bie nun erfüllte 3ett ber Skrfietfjung, ba fierrfefit in bem SBccfifel ber gegenfeitig
in ihre ©#luf falle eingreifenben ßfibre, ba3 brettfieilige SDiaaf vor; bie fidleren .Klange bc§ fiofien CüfioreS
gefien voran, unb bie ernfieren be§ tiefen , bie ifinen nacl) folgen, ertbnen um fo naefibrücf lieber, als fte in
bie verfiatlcnben Saute jene3 mit vollftem 3uf<immcnflangc eintreten. £)a3 jroeitfictlige SQcaaf? regelt ben
acfitfttmmigcn ©a£, ber nun ftcfi anfcfiliefj t, ju ben SSBorten :
£>a un§ jum Spe'd unb frommen
£>er ervig' ©ott ift fommen tc.
SSJiit ifim tritt utgletcfi. jene ©elbftdnbigfcit ber einzelnen Stimmen ein, rote roir fte befefirieben, au§ beren
9cacfiafimungen, bei ben etnfaefiften ©runb^armonieen, ber feierlidbjie unb »rdcfittgfte (Efiorgefang ftcfi jufatru
menreebt. (S§ tont fiter ba3 SSenmjütfevn einer fiofien ffiegnabtgung au§, bie in bem lebenbigen ©efüfile
ber (Einzelnen jugletcfi ein erfiebenbeS ©efammtgefüfil roirb. S5ei ben folgenben 3etlen :
Sn'§ gleifdb, ofin' alle ©ünben,
fSlit un§ ftcfi ju verbinben,
belebt rfiptfimtfefier SBBedbfcI, mit bem breitfieiligen SÖZaape, rote jumeifi, beginnenb, unb in baö jroeitfieilige
übergefjenb, ben roieberfefirenben ©egenfa| etneä fiofien unb tieferen ßfiore§, roelcbe, nacfiflingenb, julefct
frdftig in einanber greifen, unb einen volligen ©cb/lufj in ber ©runbtonart, ber tonifefien, bilben. 9tun
fcfiliefjt ein jroeiter Sfieit be§ ©efangeS ftcfi an. Sßicbcntm gefit ber fibfiere (üfior voran, in breitfieiligem
SJiaajje, unb einer golge fiarter £>reifldnge, bie an jroet ©teilen nur von einem roetefien unterbroefien wirb,
bie SSBorte auSfvrecfienb :
Jungfrau SDiaria auSerfor'n.
£>er tiefere @fior tont fte ifim naefi, boefi ofine Eingreifen, er lafjt ben ©cfilufflang jeneö crfi völlig verfial--
len; um fo mdefitiger, feuriger, bringenber, in ber engjtcn 9cacbafimung ber einzelnen ©türmten, »ernefi=
men mir aber bie ©cfilufnvorte :
2Me fiat ifin in bie SBelt gebor'n.
£ier fefirt auefi ber ad)tftimmige ßfiorgefang roieber, auf furje 3eit nur unterbroefien burefi einen gleicfige*
glieberten, vierftimmigen bee> tieferen ßboreS, naefi roelefiem bie mdcfitigjtc Tonfülle ben großartigen ©trom
be§ ©efangeä ju feinem 3iele fiinleitet.
£5a3 einfaefie fiarmonifefie ©ntfalten, ba§ funjtreicfie SSerroeben, jtefien fiter gegenüber, Gfioral
unb SJcotett; in jenem roirb bie ßiebform vollfommen beutlicfi, fte erfidlt inbefj burefy ben SBecfifel ber ßfibre
einen Entlang motettenfiafter SSefianblung ; biefe macfit ftcfi, an geeigneter ©teile auf ba§ Stacfibriidltcfifte
') ©. SSeifpiet STtro- Iii.
487
geltenb, allein ba» ©eprdge be» ßicbe» fann fcfyon be§halb niemals fid? verlieren, »eil ber SSerwebung ber
©timmen allejett nur bie in fid) felbjldnbige metobtfd>e 2Benbung einer einzelnen Seile ju ©runbe liegt.
25ie ©egenfdfce ftnb gejtaltenb, nicht entjweienb; in einer Skrmtttelung, welche biefelben nicht aufgebt,
aber werfdjmiljt, empfangt ba3 ©anje feine lebenbige ©lieberung. Sene golge reiner £)reifldnge, mit wel=
eher ber jweite Sl)eil unfere» ©efangeS beginnt, fönnte bem flüchtigen Sgbxcx juerft fremb erfdjeinen. ©ie
ift aber eine in ftd> wot)l begrünbete, bie, je öfter man fie vernimmt, mit fo tieferem Sauber ba» ©emütb,
befdngt. Die Äunbe von einem jarten, heiligen ©eheimniffe, wie hier bie Sßorte unfereS Siebe» fie offen-
baren, mag faum in würbigeren Sbnen gefungen werben, als einer 9fetl>e von Sreiflängen, reine» ©enü=
gen, vollen ^rieben, auSftrahlenben SBohllautcn. 25iefe fdjtte^en aber auch einanber nicht an olme innere
SBejiehung. SGBenn bie Fortbewegung ber ©runbfiimme burd) bie vierte ober fünfte ©tufe, auf- ober ab-
wdrt3, vernommen wirb, fo r)at eine golge, jumahl harter Sreifldnge, nichts 33cfrembenbe». ©ie beru-
fen bann in ihrer ©runblage auf Sonverhdltniffen, bie in ber natürlichen Sntrotcfelung ber Äldnge fd>on in
genauerer SSejielmng ju einanber ftehen, unb eben in biefer ©ntwicfelung ift ber harte Sreiflang ba3
jundchft (Sntftanbene, von bem inneren ©efül)l alfo auch Erwartete. 2ln ber befprochenen ©teile
unfere» Siebe» aber tritt bie ©runbfümme einmahl um nur eine ©tufe aufwärts, ein anbere» 9Kahl in bie
britte größere ©tufe abwärts. Sn bem erflen §aEe folgt auf ben fürten Dreiflang ein weicher, unb bie
£öne, burch welche beibe in ben dußerften Stimmen begrenzt werben, jeigen, bei jenem ba» 33erhdltniß
ber Sctave, bei biefem ber £luinte, bie ndchfien in ber Älangcntwicfelung. freilich beziehen biefe beiben
S3erhdltniffe ftdt> nicht auf einen gemeinfamen ©runbton, fonbern jebe» von ihnen beruht auf einem befon=
beren ; allein bie fo nahe ffiejiehung eine» jeben auf ben feinigen laßt fte auch in ihren £armonieen einanber
naher treten, jumahl bei bem fchrittweifen 2ütfftetgen ber ©runbftimme. @o geben fte benn jener golge
von Dreif langen, fte umfangenb, einhüllenb, ihre Berechtigung, e§ fo ju nennen; ba» ©eprdge wahrhafter
Entfaltung. %a, auch ber w e i ch e 25reif lang ftellt hier ftch bar als ber nothwenbigere, in bem ©efühle
ber SBejiehung jeber einjelnen ©tufe ber Sonart ju ihrem ©runbflange ; cS ift aber eine biefer ©tufen,
burch feie ber weiche £>retflang hier fein eigentümliches ©eprdge empfangt. 2£uf biefe ©tufenleiter weift
fchon baS fchrittweife 2utfwartSbewegen ber ©runbjiimme naher hin, unb ruft jenes ©efühl barum brin=
genber hervor. 3n bem jwctten Salle, wo bie ©runbfiimme um bie britte, größere ©tufe ftch abwart»
bewegt, ijt bie harmonifd)e Beziehung ber äußerten ©timmen wieberum bie ber £)ctave unb ber £luinte.
SS folgen einanber jeboch jwei harte ©reifldnge, von benen baS bejeichnenbe ©lieb beS erften, bie große
SSerj, ber ©tufenleiter beS ©runbtoneS nicht angehört, wohl aber baS beS jweiten. 9fun ijt bie unmittel=
bare Solge eines leiterfremben unb leitereigenen SoneS hier baS 2utffallenbe, unb jumahl baS bem £>tato=
nifchen frembe, mclobifcr/e SSerhdltniß ber verminbertcn £luarte, ba§ in ber britten ©timme baburch entfieht.
2ülein auch hier mangelt nicht bie innere Berechtigung. £>a§ ©efe^ ber Tonleiter tritt hier jurücf »or
bem allgemeineren ber Ä lang entwicf elung, welchem jufolge jeber iDretflang jundchfl ein faxtet ijt.
Sie ©runbjtimme jeigt in ihrem gortfchritte ba» »ierte au§ jener (Sntwicfetung her»orgel)enbe S£onoerhdlt=
niß, bie große £ er 5, unb biefe ihre melobifche SSejiefntng ermecft um fo mehr ba§ Verlangen nach einer
ihr entfprechenben harmonifchen Solge. Siefe ift nun auch h'er wieberum eingefüllt unb umfangen wie
juoor. ©0 wirb ba§ grembe eben nur wie ein ^nbauch, unb bc^alb um fo jarter, geheimnißcoUer
empfunben; wie e3 benn fo auch erfcheint in bem S3erhaltniffe, wie ber tiefere &)ox bem höheren ftch
anfchließt. 25cr ©chlußton ber ©runbjiimme biefe» legten, unb ber beginnenbe »on ber jene§ erften, bilben
488
Den gortfd)ritt eines Ijalben SonS, bie Sufammenflänge ihrer äuperjtcn «Stimmen geben in ihrer golge wie*
Derum ba3 SSerhälmifj einer £)ctaoe unb£lumte; f)ier aber folgen einanber nun jwei fjarte £>reif lange.
@ie ftnb unter ftdj fremb, aber bod) geforbert; ber erfte al3 fchliefjenber ßufammenflang, ber anbere t>on
bem ©efef?e ber Tonleiter, burd) ein inneres S3anb alfo werben aud) l)ier beibe oerfnüpft. 2Benn wir in
bicfem Sinne bie Sufammenjiellungen näher betrachten, bie wir in ben SBerfen alter SKeifter ftnben, fo wer=
ben wir leicht ben ©runb entbecfen, weSfyalb fte un§ balb mehr, balb weniger fremb erfcr/einen, gewifj
aber aud) be§ uorctligen 2luSfprud)e§ unS enthalten, baß fte nur zufällige fer>cn, ober gar burd) Ungefcbjd
t>eranlafjte, unb bafs wir alfo irgenb eine ^Berechtigung Ratten, baran ju beffern.
3n ber 9teif)e ber d)riftlid)cn gejle tritt nad) ber 2Beif)nad)t§feier — wenn wir baS 9ceujaf)r3= unb
SreifbnigSfcfl ausnehmen, welche in (SccarbS SBerfe nid)t burd) bebeutenbere ©cfänge ausgezeichnet ftnb, —
baS gefi ber Sarfteflung ßhviftt im Sempel, ober SJkriä Steinigung, une> junäd))! entgegen. (Sccarb J>at für
baffelbe ein Sieb feinet greunbes» $Peter Spaden wn fünf Strophen ju vier Seilen fed)s>jiimmig gefegt*). Sie
3eilen biefeS @ebid)te§ ftnb iambifd)e, jwei längere r>on 14 ©tjlben flehen woran, jwei türjere »on nur jefm
folgen ihnen. 25ie erften brei ©trophen ftnb crjäfylenb, bis auf bie lefcte Seile ber brttten; mit tt>r beginnt ber
ßobgefang beg (Simeon, ber burd) bie üierte Strophe ftd) fortfe^t, welcher enbltd) bie fünfte mit einem @e=
bete, einer 9ht£anmenbung au§ bem ©an5en, ftd) anfd)liept. 25er Strophe bicfeS ©ebid)te§ hatte ©ccarb
genau folgen rönnen; fein innerer S3au inbefj, ber ben item be§ ©anjen, Simeons ßobgefang, jertrenntunb
jerfiüdt, war einer, für alle Strophen gültigen ^Betonung nid)t t>ortf)eilhaft. ßr hat biefe Schwierigfeit
wohl gefühlt, unb fein SBerf ift baburd) erfreulich unb au§gejeid)net, bafj er fte glüdlid) überwanb. 3u=
näd)ft h«t bie Strophe burd) feine ^Betonung eine anbere ©efklt gewonnen. £>em ©ingange giebt er, bie
") ©. Seifpiel Sßro. 144. 2)aS @cbid)t »oh ^peter Jpagen tautet in feinen fünf ©trovfyen fo :
SKatia ba6 3ungfrä'uelein itjr liebes Sefulein
3m SEempel, roie gcrobfmlid) roar, bem Herren ftellet bar,
25aS Opfer, roie man pflegt, willig erlegt,
©amit fie baS ©efefc ja nicht »erlclj.
3b> Opfer fjat fie jubercit roie pflegten arme Ceut,
3roei fd)led)te SEurteltä'ubetein ofm allen falfcffen ©djem,
Samit itjr Äinb fie Ibf't, fid) fräftig «oft,
(Sr fen baS eroig SBort, be6 Rimmels «pfort.
£>a fömmt aurfi, tjin ein alter ©reiß aus göttlichem ©ctjeijj,
Umbfäbt ben £eilanb aller SSBctt unb auf fein' tfrmen t>ätt-
Snbem er itjn anficht, gan| frölid) fpricht:
D Jperc mit grieb unb greub oon t)ier ich
Sffieil meine Mugen f;an erfannt, bu fei)ft ber SOBelt ^>eplanb,
©in Cidjt, roetdjcS bie Reiben foll erleuchten überall,
&en @ott bereitet t)at aup lauter ©nab,
Dap er bie CSljr unb ?>reif 3fraelS Ijeifj.
^)ilf nun, bu liebfter 3cfu (Sljrift, baf roir ju jeber grift
2£n bir, roie aud) ber (Simeon, all' unfre greube %an,
Unb cnblich feon bereit, roenn fompt bie 3eit,
gein fanft }u fd)lafen ein unb bei bir fenn.
489
erfte Seile mit gleid>er33etonung mieberbolenb, ftatt jroeier, beren brei ju pierjebn Splben; bie britte, ^ei)n--
fplbige ^e'üe jertrennt er, fte jttgleicb perlängernb, in bereu jroei ju fecbä Splben, unb jeicbnet fte burcb
oierfrimmigen ©efang au£; bie lefjte, jelmfplbige Seile enblid? bleibt ibm, unb er f)at fte nadjbrüdlid) berpor*
gehoben burcb ben SSSed?fct jweier, in canonifdjcr 91acr;al)miing ineinanbergreifenber ßböre, bte er au§ ben
fecbS Stimmen bc$ ©anjcn jufammenfteüt. SDabwcfc bat er ben Übelftanb bejwungen, baf ber JSeginn
be§ Sobgcfangcg an ba§ @nbe einer Strophe geftellt ift, inbem er nun fenntltcb beroortritt por bem Übrigen,
unb in reicherer Sonfülle einen ©egenfag bilbet gegen bie fürjeren, nur pterftimmigcn Seilen, bie ihm porcuv
gehen. Durd) bie SBieberbolung ber beginnenben längeren 3eile gewann er aber aucb fyier ein näheres
'tfnfcbliejjen im melobifd)en unb barrnc-nifc^en 35aue an bie anbeten jwei, pon ibm betonten epangelifcben
Sobgcfangc; benn wohl mag er tiefen auch, in ber äußeren drfdjeinung jenen beiben übereinftimmenb
gewünfdit haben, benen er, ein Sieb ber £ofnung, jur Seite fielet. Die treuherzigen SB orte fetneS Did)=
ters ftnb ber 'tfufbewabrung wohl mertf), jUtnabl um ju jeigen, wie ber SReijter feine Aufgabe gefaxt unb
fte gelbft habe, auch, befcbränft burcb, feinen Sichrer, wie er e§ mar. Allein man füblt bod) ba3 S3ebürf=
nifj, baS SBerf feinem Skuc, unb bem ©etfte gemäfj, ber eS belebt, burcb anbere SBorte genügenber au§=
julegcn, feiner 33ejlimmung babei treu bleibenb, unb jumabj bem SSorbilbe ftd) anfdjltefjcnb, ba§ bie anberen
beiben Sobgefänge bes SSftciftenj gemäbren. Die folgenben Seilen ftnb ein SSerfuch, biefer 2£rt. Die beiben
erften, gleicbbetonten Sötelobiejeilen ftnb in bemfelben aucb jmei befonbereSiebeSjeilen geworben; bie britte leu
tet ein $u bem Sobgefänge, ber bie brei legten 3eilen einnimmt. Die freubige Ergebung, mit melcber berfelbe
beginnt, burfte wobl ben Seilen fidj anfcbliefien, in benen unfer SKeiftet bie willige Ergebung ber SKutter
beS 4?errn unter ba§ ©efefc beS alten S5unbe3 gefungen t)at, unb paffenb erfd)ienen für bie letzte bie SBorte
be3 ©reifes wie fte hier ftehen, ba ihre SEöne in bem urfprünglicben Siebe ähnlichen SBorten be3 Did)ter§
ftch einen, wenn er pon bem Chlöfer rübmt :
@r fep ba3 emig SBort, be3 Rimmels $>fort,
ober:
Daß er bie (£l)x unb ^)reip SfraelS beif3.
So lautet benn nun biefe Unterlegung f
Ataxia wallt jutn £eiligtbum unb bringt it)t Äinblein bar,
Das febaut ber greife Simeon, wie ibm oerbeifjen war,
Da nimmt er 3efum in ben #rm, unb fingt im ©etfte frob:
9cun fabr' iä) bin mit greub,
Diel), £eilanb, fah icb beut!
Du Srofr von Sfrael, ba$ Sicht ber SBelt!
Die Siebform waltet in biefetn ©efange bei weitem por über bie SÄotettenform, biefe tritt, ftreng genom=
men, nur in ber legten 3eile beroor, in ben erften beiben ift fte nur angebeutet. 2fllein aud> feine einfach^
ßai £armonieen weiß ©ccarb babureb, ju beleben, ba^ fte au3 bem Sufammenflange ebler, wortgemäp
betonter SOielobieen ber einjelnen Stimmen berporgeben, unb fo gefd)ief)t e§ aud) bter. SSJJtt geterlid)fett
unb bracht beginnt baB ©anje, lebfjaft werben wir erinnert an bie SBorte ber ßpiftel für ba3 gep ber Stei-
nigung gjcariä, wie fte im erften SSerfe be3 britten GapiteB beö ?J)ropbeten 9JJalead;i aufgejeiebnet ftnb :
,,Unb halb wirb fommen ju feinem SEempel ber Sperr, ben tfjr fuebet, unb ber Sngel be§ 33unbe3, bef ibr
begebret." SBir füllen unS umgeben Pon bem hehren ©lanze be6 alten SempeB, ber nun Perflärt wirb
v. ÜBinttrfttfc, ttt esangel. G^eralätfang. 62
490
Dur* ba& Ütd)t bcffen, ber ba erfcfyienen war betten, „bie ba ftgen in ginjternifj unb ©Ratten beS £obes,
baß er rid)te unfere güfje auf ben 2Beg beS griebenS." ©o fcfymingt ftd) ber ©efang immer f)bl)er auf-,
nad) ben beiben pf)n>gtfd>en ©d)lüffen ber erften Otiten, — bie tton ben begleitenben ©timmcn jebod) in
baS verfemte Äolifcfye, bie ©runbtonart beS ©anjen, jurüd'gewenbet werben, — enbet bie britte in ber f)ar=
ten Tonart ber britten, größeren ©tufe abwärts »on bem ©runbtone, eine AuSwcidmng, bie, bem tyfyny-
gtfctien urfprünglid; eigen, bem ©anjen einen Anfyaud) btcfeS ÄircfyentoneS gewährt. 4?ier tritt bann ber
bemütl)ig fromme merftimmige ©efang beS SSJteijterS ein, unb feinem ©djluffe verfetten ftd) unmittelbar jene
feurigen 2Bed)feld)bre ber legten Seile, wie mir ft'e bcfcfyrieben, beren ©runbgebanfe enblid) nur einen £f)eil
ber ©d)lufjwenbung ber erften Seile melobifd) entfaltet.
SBir bürfen hoffen, burd) btefeS nähere Gängetycn auf üier ber treflid)jren ©efänge (SccarbS in fei =
nen gejtliebern beutticr; gemacht ju fyaben, worin baS eigentümlich, S3ejeid)nenbe ihrer gorm befiele, unb
gebenden nun mit wenig SBorten nod) brei anberer für bie f)ot>cn gejte beS ßeibenS, ber Auferjlebung beS
4?errn, unb ber AuSgiefjung beS heiligen ©etfteS. Unter ben üier befchriebenen mar einer, ber Sobgefang ber
fJJiaria, uon decaxi in früheren Salven bereits merftitnmig gefegt; ein ^weiter, baS ßoblieb beS 3adbariaS,
mar t>on feinem greunbe, !3oad)tm uon 33urgf, ebenfalls ju üier ©timmen, betont morben. SSon jenen
breien, ju benen mir unS nun menben, hatte (Sccarb bie legten beiben, S5urgf ben erften früher fd)on bear-
beitet. Sie Sichtungen aller rühren oon 2ubwig $clmbolb her, beffen 2iebem, mo fte irgenb nur bilblid)
maren unb anfcbaulid), unfer SEJleifter gern ftd) anfcblofi. ©ein SDftergefang :
3u biefer bjterlicben Seit*)
ßafit fahren alle Sraurigfeit,
tfi ein furjer, feuriger ©ag in ber mirolpbifcben SSonart, §u fecbS ©timmen ; ooller ßborgefang wecb feit in
ihm mit brei= unb mebrjtimmigem, mie biefer balb auS ben höheren, balb ben tieferen ©timmen ftd) jufam=
menfteüt. 3m Allgemeinen h. errfdbt hier bie gorm beS SJZotettS »or über bie beS SiebeS, menn aud) eine
liebbafte SBeife burd) baS ©anje ftd) hingebt, meldte balb in ber Dberftimme, balb in ber jmeiten erfd)eint.
Sie befttmmt hertiortretenbc ©runbtonart giebt biefem ©efange baS ©epräge beS Altertbümltdben, baS feine
33ebanblung fonft nid)t an ftd) trägt.
S3ebeutenber, aud) in ber Anlage, ift ber, ebenfalls fecbSftimmtge, ©efang üom ßetben ßbrtjti,
auS ber pbrpgifcben Sonart:
Sm ©arten leibet GbrijtuS «Roty, **)
Sen USater bitt', ringt mit bem Sob,
©ein blutig' ©cbweifj auf (Erben fällt,
Sen geinben er ftd) willig ftellt.
©iel)e baS tjt ©otteS gamm!
2Cller SBelt ©ünb macht ihm bang,
©unb unb ©traf jugleid) eS trägt,
©eelig ift, wer'S berjlid) gläubt!
') ©. 9iro. 140 bec SSeifpiclfammtung in SBcrgteia^ mit 9tro. 113 eben ba, bev fvüfjeven Setonung btefcS 2icbe6
buca) Gccarb.
") ©. Seifpiel 9lro. 145.
491
Sie crfien vier Seilen ftnb merfh'mmig gehalten 5 bie tieferen Stimmen tragen ftc uor, ber 2lltfrimme, ber
boebften tbre^ GbereS, ift bie SEelobie jugetljetlt, bie in einigen 3ügen erinnert an bie beSßiebeö: ,,Sa
3efu§ an bem Äreu^e ftunb." decarb bat ftc im ©anjen feinen ßf)oralgefängen af)nüd) bebanbett, nur
bat er f)ier fieb SRancbeS vergönnt, n?a§ er bort auä 9füdftd)t für ben ©emeinegefang ftet) »erfagen mufite.
Surd) alle Stimmen werben bie ^auptjüge ber 9Jielobie in enger golge naebgeabmt, jumeift oon bem
jroeiten Scnor. Sa nun bie Singroeife an fd)arf betonten Stellen reieb ift, unb namentlicb bie ber pbrn=
gifeben Setter etgentt)ümltct)en £onuerf)ältniffe, im 2£uffteigen wie XbfaU, immer mit SBebeutfamfeit beroor--
treten, bie 9?ad>abmung burd) ben jmeiten Senor aber faft atlejeit auf anberen SKbetlen be3 SafteS eintritt,
al5 bie naebgeabmte SEelobie ber £berftimme, fo entfte()t bierauS eine gülle ftd) b^oorbebenber melobifd)er
^Betonungen (llccente), benen ber SKeifter burd) bie Harmonie, jumabl burd) 33inbungen unb SSorfjalte,
ben frdftigfien 9lacbbrucf ju geben gemußt l)at. Die brttte Seile jeigt in ben äufjerfien Stimmen rtmtbmt*
feben 2Becbfel, voäl)renb bie mittleren ba§ jroeitbeilige 93ZaafJ beroabren ; eine Sroeifältigfeit jufammenflin-
genber ütfyflfjmm, bie mir, in anberem Sinne, unb abroeiebenber 2£rt ber ßmfübrung, bereits in bem 2ob=
gefange bes> 3ad)aria3 fanben. £ier ift fie befonberä in ber Ttuefübrung fermnerig, bis> bie SSebeutung ber
Stelle ben Sängern ft'd) eingeprägt t>at. 9EJian füblt, Grccarb fyatte bie 2lbftd)t, baS S5tlb be§ leibenben
@rlbfer§, baS 3<»gen unb Sßanfen feiner menfd)lid)en SRatur, anfd)aulid) barjuftellen, bod) bat er bie jarte
©renje nid)t überfebritten, reo bergleid)en in fird)licben ©efängen nid) t mebjr ftattfjaft ift. Sie Söietobie
enbet in ber £berfttmme mit bem »otlfommenften pbrogifd)en Sonfd)luffe, auffteigenb, bie ©runbftimme
fd)liefjt ibr jroar, abfteigenb, einen gleicben an, bod) nur jene ballt tt)n au§, biefe, mit ben anbern beiben
Stimmen »ereint, leitet einen Böllen Scfylujjfall ein in bie Unteiquinte mit grofjer Serj. 91un tritt aber
ber solle, feebsftimmige ßbor ein; jroei l>of)e Soprane gefeiten ftd) bem ©efange. Sa3 büftere SSilb be§
2eiben§, be§ 6rliegens> ber menfd)lid)en Statur in bem ©rlbfer, bas? bie tieferen Stimmen in ibrem jumeift
liebbaften ©efange barfiellten, erfd)eint nun in t)er;rer SSerflärung als Süfjnopfer für bie Sünbe ber SEBelt.
'tfn bie Stelle be6 ^rpgtfdjen, »on ib,m auägel)enb, ergreift bie SERobulation bas? Sonifd)e, ba3 SDltrolt)*
Dtfd) e ; »on bort au§ erft fef>rt ftc in ben legten beiben 3eilen in bie ©runbtonart jurütf. Siefe vier Sd)lu{3=
jeilen ftnb, im ©egenfa^e ju ben früfjeren, burd)au3 motettenbaft gehalten ; bie ©leicbmäfjigfett ber 33e=
banblung im ©anjen roirb allein burd) bie Stimment>erwebung, bie aud) in bem früheren Steile oorberrfd)t,
erbalten. Siubig unb großartig, in gleicbmäfiiger gortleitung, ftrömt ber ©efang bem Sd)luffe ju, fünf*
ftimmig nur in ber »erlebten, fed)3ftimmig roieber in ber Scblufjjeile. S5emegt er ftd) bort in bebeutfam
berben, ttorgebaltenen SEifjflängen, aß bie 9febe ift oon ber 2aft ber Sünbe unb Strafe; fo erfd)eint bier
fein glup milber unb fanfter, reo bie Seeligfeit beffen gepriefen wirb, ber oon ^)erjen glaube an biefeS üer=
fobnenbe .Cpfer. Sie %id)abmungen te$ erften Senor§, ber ©runbftimme, ber £berftimme, ergreifen
bier biefelbe melobifd)e, au§ ber ^>obe febrittroeife um fünf Stufen ftd) fenfenbe SBenbung ; bie be§ erften
£enor§, unb ber jroeiten Stimme eine entgegengefe^te, um bret Stufen auffteigenbe, mit ber biefe le^te
eine SBeile bie Cberftimme überflügelt; in lang unb ernft gebaltenen Sonen tritt bie 2lltftimme ibnen
binju. SSiö ju bem 5>erflingen be5 legten Sone§ fd)roingt ber ©efang ftd) fräfttg empor; er geroäbrt un§
ein S3ilb, bas>, inbem e§ bie Seele fcfymerjlid) ergreift, fte jugleid) ftärft unb erbebt.
(Sccarb§ fed)?ftimmiger ©efang für bas ^ftngftfeft enblid) *) jeiebnet ftd) burebgängig mebr au§
') <£. 9iro. 148 ber Scnpielfanimlung, in 33tralci* gegen bie frühere SSetonung bt'efee Siebeg burc^ ©ccarb (9fro. 114).
62*
492
burd? fräftige, balb mebr, balb minber volltönenbe SRtjtjtfymen, aU burd) funjtretcfje ©timmenocrwebung,
ober fclbjt burd) Sflelobie, unb tritt unter ben übrigen geftliebern baburd) eigentt)ümltd) f)err>or. SEBenige
33inbungen unb §3orf>alte ft'nben wir fax, bod), roo fte erfdjeinen, immer t>on Sßebeutung ; meift aber eine
golge finnig jufammengereil)ter Sreiflänge. 9fl)v>tt)mifd)er 2Bed)fel in £rod)äen unb ©ponbäen jeigt ftd)
gleich, im beginne :
£)er heilig' (Seift t>om «gnmmel tarn;
biefer üierftimmigen Seite in ber borifcben Sonart urfprünglidben UmfangS, folgt nadjbrücfltcber,
fedj^fiimmtg, bie jweite; rbptbmifd) wedjfelnb wie biefe, nur baf? ftatt beS erjren Srocbaen hier bie brei
Steile bes> ungeraben Safte§ berührt werben, ber erjle um bie $älfte verlängert, ber zweite um eben fo
oiel tierfürst :
SDtit S5raufen ba§ ganj' £au§ einnahm.
£)urcb biefe Seile roirb bie SJJobulation jurüdgeleitet in bie ©runbtonart, ba3 öcrfefcte Sorifcbe.
©cbeint jene erfte Seile ben milben ©lanj eine§ g et) eimnifiti ollen 2tcbtc§ unö entgegenjubringen in ber unmit-
telbaren Solge Don titer garten £)reiflängen, fo tonen bie mächtigen, flangreicbcn Kbctbmen biefer lefjten,
bie in einer langauSballenben ©cblußwenbung geraben Saftes» »erraufcbt, gleich einem geroaltigen SBeben,
unb es> bewährt ftd} auch hier wteberum bie Neigung unb ba§ @efd)icf be§ 9Jleifter§ am SSilblicben. SSon
fax an wecbfelt nun tiierftimmiger ©efang, au§ ben tierfcbiebenen ©timmen be§ QiboreS in mannicbfacber
tfbftufung jufammengeftellt, — bocb fo, baf? bie £>berftimme allejeit babei tbätig ift, — mit bem »ollen,
fecbSfttmmigen. Unter ftd) treten, titerftimmig, bie britte unb üierte Seile einanber entgegen ; bunfter jene,
au$ ben brei tiefern Stimmen unb ber £>berftimme gebilbet :
„£>arin bie jünger fafen,"
heller biefe, im S3erein ber brei beeren unb ber ©runbjh'mme:
„©Ott wollt' fte nicht tierlaffen."
Äräftig, begeifert, jum legten SKable rbntbmifcben 2Becbfet barftellenb, in üollem ßbor, ertönt nun bie
fünfte, bei beren ©cbtupfalle bie «Dberftimme tion ber sweiten überflügelt wirb :
„£) meld)' ein feeltg §eft,"
mit gleicher Äraft unb ©timmenfülle , aber gemeffener burch ben weniger bewegten, geraben Saft, folgt
bie fecbfte :
„Sfi ber <Pftngefttag geweff!"
9tun fcb, tiept ftd) ein ©ebet an in ben brei folgenben Seilen ; merjlimmig wieberum, ergebt e§ ftd) allgemach,
unb fcbreitet in ber mittleren Seile fort burd) ©nncotien in ber £)berfiimme:
©ott fenbe noch jefcunb
Sn unfer Jperj unb SKunb
£>en heiligen ©eift!
unb befräftigenb tönen alle fecbö ©timmen hinein :
£>a3 fet) ja,
©o fingen wir ^aHetuja.
©iefer »olle (Sfjorgefang jeigt ju ber crften, fürjeren, öfter wieberholten 3eite, in ben brei oberen <S>timmm
unb bem S3affe anapäfiifcben gortfcbritt, wäbrenb ber erjie Senor eben biefen 9?^tbmug, um ein S3iertl)eil
493
»orangehenb, fpncoptifch bajrotfchen hören laßt, ter jweite aber bie brei legten S£f?et£c beö 5£afte§ berührt;
eine mächtig großartige 83erfnüpfung *>on SKhpthmen, rote benn überhaupt ber SBechfel be3 »ollen @f>ore§
mit mannichfad) gefärbtem, merftimmigen ©efange, unb ber ©egenfafc, wie bie 33erfnüpfung uerfchiebem
artiger iRf^tymen, ba$ S5ejeicb,nenbe biefeS ©efangeS ifh
Der ^Bericht über biefe ft'eben Sonfäfje wirb freilich bem, ber ft'e niemals üernahm, ober minbe--
ftenS aufgejetdmet faf), eine genügenbe 2lnfd)auung berfetben nicht geraderen. SBereint mit ben SBldttern
jeboch, bie roir bieferDarjfellung beilegen, unb auf benen wir biefe ©efdnge, wohl ba§ erfieSHabJ, in »ollftdn=
biger Partitur ber Öffentlichkeit übergeben, wirb man benfelben bennoeb, nidjt überflüfft'g nennen bürfen.
<£t hatte ben 3wed, bie mancherlei 2Bcge unb formen beutlich ju machen, bureb, welche ber SDieifter baö
won ihm innerlich. ©efchaute nach tfufjen bilbenb hinjuftellen fuchte, unb fo eine lebenbige SSermittelung ber
bejeidmenben 3üge be3 9Kotett3 unb beS Stcbeä ju erreichen ftrebte; alleS in bem ©inne, bamit bie Äunft
be3 £onfe£er§, ben eüangelifchen ©otteSbienft fchmücfenb, unb burd) ihn ihre SBeifje empfangenb, ju bem
©emeinegefange in ein enge§ unb wefentlicheS S3erl)dltnif trete, ©elang biefeS unferem ^Berichte, unb hat
er nur einigermaafjen gejeigt, wie all biefeS SSilben auf ber ©runblage eines innig frommen, t>on feinem
©egenftanbe tief burd}brungenen unb begeiferten ©emütheä ruhte, fo hat er geleiftet, wa3 er follte. 2H3
reiner Spiegel eine§ foldjen ©emütheä erfcheint nun auch «in fünfftimmigeä Sieb, ba§ ©tobduS feiner %\x§--
gabe ber gejilieber mit einigen anberen als Anhang beigegeben hat; wenige SBorte fepen barüber nod) t>er^
gönnt. (53 führt bie Überfchrift: „2luf £)ftern"; eine SSejeidmung, bie nur burch feine lefcte «Strophe
ftch rechtfertigt, bie an eine Sfebe im düangelium üon ben Büngern ju (SmauS erinnert. SBir fonnen bahin
geftellt fepn laffen, ob e§ (Sccarb eben für bie geier be3 jweiten £)ftertage3 bejtimmt gehabt. Die SBorte
brüden eine tiefe Siebe au$ ju bem (Srlbfer, unb mit großer Snnigfeit ffnb fte gefungen, ein rechter ^)erjenö=
ergufj be3 99ieifter§, bem man auch fte neben ben Sbnen jufdjreiben mochte, ba ihnen ber 9lame be§
Dichters fehlt:*)
SKein' fd)6nfte %kx unb Äleinob biji
2luf erben bu, £err Sefu ßbnfr
£err Sefu Gbnft,
Dich will ich laffen »alten,
Unb aUejeit
Sn Sieb unb Seib
3m #erjen bich behalten.
Dein Sieb unb £reu für alles geht,
Äein Ding auf erb fo feft befteht,
@o feft befiehl,
<Solch$ muß man frei befennen,
Drum foll nicht £ob,
Sticht tfngft unb $TCotf>
SSon beiner Sieb mich trennen.
*) @. Seifpicl 9iro. 147.
494
Sein SBort ift wafyr unb treuget ntd)t
Unb l)dlt gewiß, wa3 e§ t>erf»rid)t,
2öa3 e3 »erf»rid)t
3m £ob unb aud) im ßeben;
£)u bijr nun mein
Unb id) bin bein,
£)ir b^b' id) mid) ergeben.
£)er Sag nimt ab, o fd)bnjte 3ier,
Jperr Sefu ß^ijt, bleib bu bei mir,
ffileib bu bei mir,
will nun 2lbenb werben,
2aß bod) bein £id)t
tfuSlbfcfyen nidjt
S5ei uns allljie auf (Erben. *)
S5ei nur geringem Umfange, meld)' ein 3?eid)tbum an Äunjt, eine rote finnige Anlage! Sn ben erften
jwei 3eilen bewegt baffelbe ©efüfyl bie audSbrudstoolle Sölelobie einer jeben ©timme, lebenbigeeS Verlangen
nad) bem (Srlofer. ßiebeoolIeS hinneigen unb 2lufftreben begegnen ftd) aß ©afc unb ©egenfa^, bie eine
(Stimme eilt ber anbern jut>or, afymt fte bann nad;, *>on einer britten in t>erfd)iebenem Sonumfange balb
roieberum nadjgebilbet, bi§ Wlc§ julefjt ftd) »ereint, unb in bemütfnger Eingebung bie folgenben 2Bortc
auStbnt: Did) will id) (äffen malten. 3n biefem erften Steile, unb bem nunmehr folgenben, breitbeiligen
SJlaaßeS, ber bie werte unb fünfte, fürjere Seile umfaßt, ift bei aller eigentümlichen 2luSgefialtung ber
tieferen «Stimmen, bod) bie £>berftimme bie berrfcfycnbe; biejenige, au§ ber fte if)re 5Rad)al)mungen fdwpfen,
aus ber itjrc ©egenfäfce notl)roenbig beroorgeljen, beren melobifdje SBenbungen fte ooranbeuten, unb wenn
fie oon il)r nät)er entfaltet ftnb, fte nad)btlbenb wieber ergreifen; juerjt im 2Bcd)felfüiele einzelner ©timmen,
bann, mit (Eintritt be§ ^weiten £beile§, in merjtimmige, eng in einanber greifenbe 2Bed)feld)öre ftd)
orbnenb. ßiebfyaft alfo fbnnen mir biefe ©ä|e nennen, mit motettenbafter ©lieberung; ein britter über
bie lefcte 3eile :
3m ^)erjen biet) behalten,
bringt eine bis an ba$ (Snbe ftd) fteigernbe Entfaltung einer einfachen melobifd)en SBenbung nad) 9Kotetten=
art, roie Eccarb fte in feinen ©cblußfäfjen befonberS liebt. Sebe ©timme, inbem fte ben eben gehörten
Zon ber tt>r »orangegangenen ergreift, fet> e§ ber erfie, ju bem biefe nad) il)rem ^Beginne fiel) aufgefebwum
gen bat, fep e$ ber, mit bem fie bem ©d)luffe ftd) juwenbet, jteigt von ifym meiter empor, big 'Mc§ jum
©ebluffe binftrebt mit einer großartigen, unerwarteten SSBcnbung ; in bie SreiflangSbßi'monie ber ftebenten
Heineren ©tufe aufwärts (Es) »on bem ©runbflange ber berrfdjenben Sonart, ber ionifd)en in ibrem »er=
feßten Umfange (F). £>urd) biefen mirolwbifd)en "Änflang — bem ein dt)nltct)er bereite in bem jwetten
Xheile corangebt — erhalt ber "KuSgang beS ©anjen bie würbigfle, fird)lid)|re geier, mäbrcnb bie Spalte,
') £in unb triebet begegnen reit biefem Siebe in fpätcren gcijtlidjen ©cfangbüd)crn, bie bann auf bie «OTctobiecn :
„£a 3efus an bem Jtreuje ftunb" ober „3n bieb, W icb, gef)offct, .&err" hjnrocifen.
495
juerft ber grofjen, bann t»er fleinen «Septime, bie auS ber Entfaltung unb Nachahmung ber Gelobte in ben
einzelnen Stimmen ungezwungen fid) bilben, bem ©efange baS ©epräge ber Innigkeit »erleiden. Die
f leine Septime leitet aber bie Schlußfälle niemaB unmittelbar ein ; auf ber fünften Stufe aufwärts von
bem ©runbf lange ber SEonart, in welche ausgewichen wirb, erfct>etnt julefet immer ber harte Dreiflang
ohne S3eimifchung biefeS SEonoerhältniffeS, baS fjodjffenö vorder im Durchgänge ober als SSorljalt üernorm
men wirb. So ft'nben wir eS überhaupt bei Eccarb, in feinen <2l)oralfäfeen wie geftliebern; jeber SQiifjflang
ift vorbereitet, unb giebt fiel) bann als Vorhalt, ober er wirb im Durchgänge flüchtig, boeb, nicht ohne
SBebeutfamfeit, gehört. 2Cuf ber vierten Stufe aufwärts von bem ©runbton erfcheint juweilen, bem Drei--
flange auf ber folgenben, fünften vorangehend unb ben Scfylufjfaü einleitenb, bie Verfnüpfung ber Sluintc
mit ber großen Serte, boeb, wirb alSbann jene erfte allejeit vorbereitet.
2Bir ftnb bisher unferem SSKetfter feit bem ^Beginne feines fetbjiänbigen 33tlbenS nachgegangen
burch. alle Stufen feiner Entwicklung. ES beburfte einer flüchtigen 2(nbcutung allein, wie er feine Äunjt
in ber von feinen Vorgängern überlieferten 2lrt nur fortgeübt habe; wichtig allein war eS, ju jeigen,
wie er baS auf ihn gortgeerbte weiter gebilbet habe. Die SBcbeutung feines gefammten StrebenS in
biefem Sinne faffen wir nun gebrdngt jufammen in wenige SBorte, nachdem wir jenes ausführlich ju
entwickeln gefucht.
Die Hauptaufgabe von EccarbS fünftlerifchem 33ilben war bie Sieb form. 2tlS Sefeer tyat er
bie kirchliche, bem ©emeinegefange angel)brenbe 9Jielobie beS geiftlichen SiebeS, wie er fte vorfanb als ein
©egebeneS, nach iljvcm inneren 9?eichthume, ihrer hwmontfchen SSebeutfamfcit, jur 2lnfd)auung gebracht,
ohne beShalb auf bie Äunji ber Sttmmenverwebung verjichten ju bürfen, bie er, wenn ihr auch bie Statur
feiner Aufgabe nur befebjänften 9?aum ju gewahren fdjien, bennoch mit SKetfterfchaft babei entfaltete. 2113
© an g er hat er ben Schafe ber Ätrche an Singweifen jener 2lrt jwar um einige bereichert, aber mit viel
größerem Erfolge noch beren für ben Äunftgefang erfunben. ES gefchahe in bemjenigen, waS er gefc
lieb nannte, einer, baS Sieb unb baS SCfiotett lebenbig »ermittelnbcn gorm. ©ereift war, nach allmdhliger
Entwicklung in Vorgängern, bereits in feinem ßehrer jene fünjilerifche SEhättgteit, auS ber bie lefete biefer
gormen, eine mannichfach jufammengefefete, hervorgeht, unb auf ihn als Erbtheit übertragen ; gereift nicht
minber in ihm felbft, nach 2lnberer Vorgänge, jene gertigfeit, welche bie erjte biefer formen burch einfache
3üge ju beuten unternimmt; ihm aber war babei gegeben, fte nicht allein ju beuten, fonbern auch ju
fchaffen, unb in biefer ©abe, wie fte jenen gertigfeiten ftch gefeilte, ging, auf bem naturgemäßen SBege
fünjtlerifchen gortbilbenS, ihm feine neue gorm fywoox, in ber SJiannichfalttgeS unb Einfaches, gülle unb
.Klarheit verfchmolj, bie er nicht allein wahrhaft erfanb, fonbern auch uollenbet auSgejtaltete. So fleht er'
benn hier auf ber £bhe ber Äunjl, unb nicht f einer ^eit allein. Denn er hat jwar fortübenbe9cach=
folger gehabt in ber »on ihm gegrünbeten ^reufjifchen Sonfchule, aber feinen wetterbilbenben
Schüler; in feinem Sinne fonnte er von feinem Späteren übertroffen werben, weil in biefem
feiner etwas ferner auSjugeftalten fanb. Denn waS Jlnberen unter gleichem tarnen fpäter gelang, liegt
auf einem ganj vergebenen ©ebiete unb ift feinen Seiftungen burchauS unvergleichbar. Deshalb ijt er
von hbchfter S3ebeutung für bie ©efchichte ber 2luSbilbung beS geiftlichen ßiebeS in ber evangelifchen Äirche
als Aufgabe für hoheve SEonfunft. gür bie SSelebung beS breiter ausgeführten 9JlotettS burch bie ßiebweife
ifi er aber auch mannigfach anregenb gewefen, unb hat auf biefe %xt burch feine SSerfe Saamen auSgejireut
für bie 3ufunft.
496
@ei ift eine hohe Stellung, bie mir unferem SJleijler in t>er ©efd)id)te ber heiligen Sonfunjt anmei=
fen, ober fte gebührt il)tn aud). §rüf)c fd)on jog bie ©ingmeife be3 SSolfSltebeä, ba§ (Erjeugniß unbemuß=
ten ÄunjttriebcS, bie Sonfefcer an, unb in mannigfaltigem ©inne. ©anj abgefetjen t>on ben erften,
rohen S3erfttd)en, fte burd) Segleitung mehrer Stimmen ju fd)müd'en, ftnben mir fte mit einiger 33ebeu=
tung juerft im Saufe be§ löten 3al)ri)unbert3 , menn nicht früher fd)on, al§ Sterbe größerer, funfireid)
uermobener SSonfäfce geiftltd)en Inhalts. Siefe follte fte burd) tyve bem £)f)re gefälligen, frifd)en SBenbun»
gen, anmutig beleben. Saß man aber üon il)r borgte, flatt felber ju erft'nben, hatte feinen ©runb in ber
früheren, nothmenbigen Trennung ber ©abe bes> ©ängers> unb be§ ©e^erS. Sie noch, junge jlunjt biefeS
legten mar, aB fte eben ©ejialt ju gewinnen begann, faum mehr als fd)arfftnnige3 gorfdjen unb (Srgrübeln,
forgfältigc§ 3ufammenfe(^en ; ein lebenbigcS ©chaffen fonnte fte ntd)t heißen, ©ie beburfte nod) be3 %x\--
lehnenS an ein ©egebeneS, al3 äuß ere SBcranlaffung ihrer Shätigfcit. (Eine fold)e mürbe il)r bie SÖMobie
be3 SiebeS; bie Siebform, ale> foldje, fonnte inbeß bei ber 2trt, mie bie ©efjfunfl: bamalä an jener geübt
mürbe, in ibrer rcd)ten SScbcutung nid)t hervortreten. Senn nid)t immer, mir fasert e§, mürbe bie al§
©runbgebanfe eine! geijllidbcn Sonfa^cS gemähte SEJielobie »ottjtänbtg babei angemenbet; oft erfd)ienen
barin nur einzelne 2lnflänge berfelben. ©efd)al) aber jenes, bei einiger 2lu3behnung eines? ©a^eS, fo maren
ibre ©lieber burd) ba§ ©anje hin ju fefjr jerftreiit unb jerriffen, um als belebenbe (Einheit in 9Jht)tl)mu$
unb SHobulation jur 2lnfd)auung ju gelangen. SJcun gefct)ab,e e§ jmar mof)l, baß eine Siebnmfe unjer=
trennt eingeführt mürbe; bann mar eS aber jumeift im Senor, einer Mittelfiimme, mo fte oon ben übrigen
bebeeft, nid)t beutlid) merben fonnte, oornel)mlid), meil bamalS man fiel) bie Aufgabe nid)t fteütc, il)re Wiobw-
lation bie leitenbe fet;n ju laffen für baS ©anje, unb nur auf bie güfirung ber einzelnen ©timmen bebad)t
mar. SSon ber bebcutenbften (Sinmirfung mar aber nun bie Äircfyenoerbefferung im 16ten 3al)rhunbert.
©ie nal)m, mie mol)l fdrnn früher gefd)el)en mar, nun aber erft in größerer 2lu§bel)nung gefchafje, bie
oolfSmäßigc Siebform in 2lnfprud) für ben Äird;engefang, unb al§ Aufgabe für bie Äunft ; fte bilbete einen
erheblichen be§ alten gcifilid)en ©efangeS hinein in biefe gorm, unb brachte beibe üor 2tUem baburd)
in lebenbtgen 3ufammenl)ang, baß fte bie tonifdje ©runblage jenes auf biefe übertrug. SSet ben £om
feiern freilich, bie nunmehr bie entlehnten, bie umgebilbeten, bie neu entjlehenben Äirchcnmclobieen mehr=
jtimmig behanbeltcn, trat 3lnfangö ber alte Übclftanb hcroor, bafj tiefen im Senore ihre ©teile angemiefen
blieb. 'Mein fte maren bod) nun beftimmter, um ihrer felbft mitten, ein ©egenjtanb gemorben für bie
Äunft, unb aud) bei motettenhafter 33ehanblung boch jumeift bie »ollftänbige, burch ©infchaltungen unjer=
trennte ©runblage be§ Sonfa^eö. 2luch jeigten ftd) frühe fdmn Äeime hfli'monifcher (Entfaltung, unb »or
2fUem ba, mo einmahl bie 50ielobie hinaufrüefte in bie £)berfHmme, unb ftd) bort üernel)mbar geltenb
machte, ©epflegt mürben biefe Äeime mittelbar, burd) bie mit bem ©eifte allfcitiger gorfd)img, r»ornehm=
lid) in ben ©prad)en, ermad)enbe Siebe ju ben btd)tcrtfd)en SOZaaßen ber Gilten, unb bie SSerfud)e, ihre
5Rht)thmen burd) l)armonifd)en ©efang ju beleben. Senn follte biefeö erreicht merben, fo burfte ber S£on=
fa^ ein nur einfacher, in allen ©timmen gleichmäßig fortfd)reitenber fet)n, um bem 9il)Wtl)muö be§ ©efangeS
genau fid) anfd)ließen ju fönnen; tonfünplerifd)e aSebeutfamfeit mar il)m nur in ben Sufammenflängen
üergönnt unb ihren gegenfeitigen a5ejiel)ungen. 9cun mar bie ©abe be§ ©ängerä im Anbeginn allerbingö
bie mehr fd)bpferifd)e, bie beg ©efcerS eine, mcl)r in forgfältiger SBabJ jufammenfefeenbc
gemefen. begannen aber erft bie .Reime ber (Entfaltung in ihr ftd) ju regen, fo gefaltete fte nothmenbig
ftd) um in eine forterjeugenbe. Sie juerff nur äußere ^eranlaffung ihrer 5£l)ätigfeif, bie gegebene
497
SJlelobie, würbe ihr min wahrhaft Aufgabe, burd) bie Harmonie follte bie Schöpfung beS SängerS ftd)
voOcnben, unb würbe jene in folgern Sinne einmal)! gcfafjt, fo mufjte baS SBirfen beffen, ber ftc übte,
notbwenbig ju fdjaf fenbev Äraft allgemach, [ich erbeben. 9hm auch tonnten Sänger unb Sefcer einer
werben, unb aus bem Entfalten beS ©eg ebenen ba§ Schaffen be§ EtuSgeftaltcten enblicb erblü=
hen. So haben wir cS werben fehen in unferem (Sccarb, unb nur in ber eoangelifcben Aird^e tonnte e» beroor*
geben in ber von ihm erfunbenen gorm beS gefiliebeS. S)enn nur in biefer ©eftalt ebrifilieber ©emeüv
febaft allein war ein innerer ßufammenbang vorbanben jwifeben bem ©emeinegefange unb bem Äunftge=
fange, ben unfer fXJJetfler bureb jene gorm 5U lebenbiger Elnfcbauung brachte, unb ber, fo lange eS eine
Äunft fireblicben ©cfangcS gegeben, in ihr wohl hat gelocfert, niemals jeboch gänjlicb gelöft werben ton-
nen. &on ben burdi Gccarb alS gejitlieber für ben Äunftgefang erfunbenen SKelobieen tonnte freilich, nicht
leicht eine übergehen in ben weiteren jtreis beS ©emeittcgefangeS. 9hd)t etwa, weil fie baju weniger geeig-
net gewefen wären, als manche anbere, felbft um feine Seit nodb, auS bem v>iel ferneren Äreife bcS weltlN
chen ©efangeS gcfd)bpfte SBeifen. 2lUcin fcfyon ihre eigentümliche, in ftch vollenbete EluSgeftaltung in
harmonifchem Saf^e lief eS nicht ftattbaft erfdjeinen, »on einem folchen ©anjen nunmehr einen einzelnen
Zfyeil wieber abjulofen, um ihm eine anbere, wenn auch oerwanbte SSeftimmung ju geben. Sie für (Sccarb
gebichteten Sieber: ,, greif bieb bu werthe ß^riftenheit" (»on $cter .ipagen) unb „EluS Sieb' läßt ©Ott ber
dbriftenbeit »iel ©uteS wiberfabren"*; (won ©eorg 9feimann) waren jwar nad) SfogallS Äern alter unb
neuer Sieber noch um 1735 ju .Königsberg in fircblicfyem ©ebraud)**); dttetn jeneä fang man bamalS nach
ber 9Jcelobie : ,,2Bie'S ©Ott gefällt, gefällt mir'S auch,," ober: „£)urcb 2lbamS gall ift ganj »erberbt,"
biefeS nach ber beS lutbertfeben SiebeS: „9hm freut eud) lieben ßbrifiengmein." 9hir ElrtomcbeS 9ceu=
jabrSlicb: „9kchbem bie Sonn' befchloffcn ben tiefften SBinterlauf"***) tonnte man um jene 3eit wohl
nach ©ccarbS 9Jielobie noch gelungen haben ;> eS ift an bem angegebenen £>rte bafür minbcjlenS feine anbere,
befanntere, angegeben, obgleich beren allcrbingS »orbanben finb. f) 2lucb überwiegt hier bie Singweife
felbft bie '2luSgeftaltung, in ber ihr Sonfaij ftch unter ben übrigen nidbt auSseidmet, unb fo tonnte fie leichter
wohl bem allgemeinen Äircfyengefange erworben werben.
3luf bem SBcge ber gortbilbung beS »on feinen SSorgängcrn ^Begonnenen, burch geijlreid; forter-
jeugenbeS (Entfalten beS ©egebenen, erwud)S alfo ©ccarbS Grfi'nbung, unb geftaltete ftd? in eine gefcbloffene
oollenbete gorm, ohne baburch eine fernere ©ntwicfelung in einem anberen Sinne, als bem feinigen auSju-
fcbliefjen. 2n biefer SBejicbung ftnben wir in feinen fßorgängern entfernte Einbeulungen beS »on ihm
©rfunbenen, unb in ihm wieberum aufbämmcrnbe S3licfe auf fpäter ©ebilbeteS. 9täf)ereS £inbeuten
auf ihn bei früheren, ober boch älteren SKitlebenben, möd)te taum nacbjuweifcn fetm, wenn man eS nicfyt
etwa bei einem Spanne antreffen will, über ben einiges mitjutb eilen eben nur an biefer Stelle ftch ©ele=
genheit finbet. ©inen älteren SÜRitlebenben freilich wirb man lfm taum nennen bürfen, ba er fecfy§ Sabr
fpäter als ßccarb geboren würbe, um 1559; einen früheren nur beSb^alb, weit bie 2Berfe, in benen man
Einbeulungen ber erwähnten 2£rtftnben mochte, um einigeSabre früh er erfebienen waren, alSCrccarbSgeftlieber.
") @. SBcifpiel 9lro. 149.
") ©. bafctbjl @. 71. 9iro. 66. ©. 179. 9tro. 162.
"*) efaenbafctbfi ©. 47. Stro. 47. ©. 9tro. 150 ber aSct'fpielfammlung.
i) 25on @ctt rciU iä) niäjt taffen ic Jg>etft mir ©Otts ©iite pretfen :e.
d. äBinterfell, ttt «anget. ß^orotgefang. 63
498
2l£»<tm Qj untp clfc fi «imcr, geboren ju SEroSperg in Skiern, auS bem etterlidjen ^»aufe
burch bie ©trenge feines SSatevS wegen jugenblicben SKutbwillenS vertrieben — er unb fein S5ruber Ratten
beS Sfacfybarn genfter mit 2lrmbrüftcn jerfcboffen — t>on feinem ©rofwater freunblicb aufgenommen, bei
nicht gemeinen Anlagen für bie SEonFunfr, ju biefer erlogen, feit 1581 Gantor ju Augsburg, i(l ber Sflann,
ben wir meinen. @in über ihn in neuerer Bett gefprocbeneS SBort — »on gctiS in feinen ßebenSbefcbrei;
billigen ber Sonfünftler (33anb IV. ©eite 469) unb in feiner, benfetben t<orauSgefcbicften pbilofopbifcfyen
Überft'cbt ber ©efdjtdjtc ber Sonfunft (33. 1. ©. CCXXII.) — weift ihm eine bebeutenbe ©teile an in ber
jfrmfTgefcbicbte, flellt ihn, in gewiffer 33cjichung, fogar höher als GrccarbS ßebrmcifter, DrlanbuS SaffuS,
unb forbert baber jur Prüfung auf, wie »iel etwa unfer SJZeijter ihm ju üerbanfcn haben möge ; jumahl
©umpelfebaimer mit einigen SBerfen hervorgetreten ijt, bie man ben geffliebem (SccarbS gleichartig halten
fbnnte. SeneS rübmenbe 2Bort be§ neueren ©efdjtchtSforfcberS lautet, bem SBefentlicben nach, wie folgt:
,,£>iefer je^t wenig befannte Sonfünjtler »erbiente boch, baß fein Sftame unfterblicb wäre; benn
ihn fann man betrachten als einen ber ©cböpfer jener fräftigen beutfcfyen Harmonie, üon ber £änbel,
$. ©. 33acb unb ?QZojart feitbem einen fo fchbnen ©ebraucb, machten, ©umpel^aimer theilt biefen 9?ubm
mit $anS 2eo ^aßler, ßbriflian ©rbach unb einer fleinen 3ahl feiner 3eitgenoffen ; boch 'ft feine Überlegen*
beit in ihrer 2trt beroorragcnb genug, um ihm eine eigene ©teile ju t-erbienen. £)er SSerfaffer biefeS SSucfyeS
hat einige feiner Sonfäfje in Partitur gebracht, unb mit ©taunen unb SBewunberung bemerft, baf? feine
2üiSweidmngen, burcbauS auf ber SEonalität ber neueren 3eit beruhenb, ftetS lebhaft finb unb unerwartet,
aber boch angenehm unb natürlich, ; Sigenfchaften, t>on benen wir »or ihm fein 33eifptel ft'nben. ©ein
©rwl, weniger reich an formen als ber beS DrlanbuS ßaffuS, beffen 3eitgenoffe er war, hat bennoch, 9?ein=
heit unb Einmuth- £>er berühmte ßapellmeifter beS Ghurfürflen (4?erjogS) tton 33aiern, ohne in ber Hgox*
monie etwas ju erft'nben, hat ftch unfterblicb gemacht burch bie glücfliche tfnwenbung beffen, waS ttnbere
tor ihm erfunben hatten : ber arme ©chulmeifter üon Augsburg, hat er gleich; neue S5ahnen geebnet, ijl
bennoch in ber £)unfelbeit geblieben/'
£ier ift freilich nicht auSbrüdticb, gefagt, welche biefe neue, burch ©umpelfcbaimer geebnete ©ahn
gewefen fep; man barf aber auS bem 3ufammenhange fchliefen, baf? bie SUZeinung beS S3erfafferS bahin
gehe: er fe» eS, ber bie moberne Sonalität angebahnt, unb nicht etwa, halb jufällig nur, eine neue
3ufammenftellung im ©inne berfelben gewagt, fonbern fich ihrer bereits mit 33ewu§tfet;n unb Erfolge
bebient habe, ©o ift eS benn auch wirflidb, unb nähere 2lufflärung barüber gewährt unS eine bejüglidbe
©teile aus gctiS pbilofopbifcfyer Überftcht ber ©efdbicbte ber Sonfunji 2Bir bürfen fte nicht übergehen,
obgleich, fie Anfangs unferm ©egenjlanbe fremb fcheinen mochte; ihr innerer 3ufammenbang mit bemfelben
wirb fich im Sortgange biefer 9ERittbeilungen entwicfeln.
©eit bem 14ten ^abrbunberte — fagt gctiS, bem wir hier nur bem ©inne, nicht aber ben 2Bor=
ten nach folgen, an bem angegebenen £)rte — war jenes S3erhältnip beS mi gegen baS fa »erboten gewefen,
b. h. bie Ißerbinbung be§ legten ©liebeS beS ^albtoneS an ber erften ©teile feineö ©rfdbeinenS in ber
biatonifcben Seiter, mit beffen erjrem ©liebe an ber legten ©teile bafelbjt. deshalb war auch bie unmittel=
bare golge jweier großen Serjen unterfagt, benn in biefen flang, jwifchen bem tieferen £one ber einen, unb
bem höheren ber anbern 5£erj, biefeS »erbotene S3erhältni^ ber übermäßigen Sluarte (beS SritonuS) an; ein
SSerhältnif, baS man im 3ufammenftange nur alSbann bulbete, wenn eines ber ©lieber beffelben bereits
^uoor gehört worben war, unb nur fortflingenb mit bem anberen »erbunben würbe, einen wirflidhen
499
Seitton tonnte beäfjalb bie ältere Sonfunft nicht befugen, unb bie Sonalität unferer Sage war bamaß
unmöglich,. ber wirtliche Seitton geht Ijeroor auS bem gegenfeitigen Söiberjlreben ber werten unb fieben-
tcn Stufe ber biatonifchen Seiter, woburcb jene abwärts, biefe aufwärts ju fcfyretten genothigt wirb ; bie
SJielobie, für ficb genommen, fafjXt ihn nicpt herbei. SSBaS bie Sonlcfyre fo beftimmt untcrfagt blatte, mürbe
aber burcb einen glücflid?en Snftinct SDJonteverbe'S gemagt; er febuf baburd? bie natürlichen SÖZififtdnge ber
Harmonie, benn er erfannte ben in ber btatontfcf)en Seiter enthaltenen SrttonuS aß regten Jeebel für bie
Ausweichung, unb erfanb baburd) bie neue Sonalität, baS ebromatifche ©efcblecbt. ©in 9Jiann nur cor
il^rn, %bam (Bütrvpeltsfyaimex, bahnte biefe Erft'nbung an, aber niemanb hat feiner gebaebt.
äkrgleicben mir ben 3»halt beiber ©teilen mit einanber, fo ift baS Sob, baS ©umpcl^haimer bei=
gelegt mirb, allerbingS ein febr grofeS. ES mirb ihm barin nad)gerühmr, bafj feine Stimmenoerwebung
leicht unb anmuthig, feine SDJobulation Eübn unb boch natürlich fep, unb bafj alle biefe SBorjüge barauf
beruhten, bafj er jucrfl ein cor ihm unbeachtetes SSerhältniß in ber biatonifchen Setter, feinem malten SBefen
unb feiner S3ebeutung nach, wfannt habe, äßir wollen nun mit bem Verehrer bcS waeferen SJianneS nicht
barüber rechten, bafs er mit unS in ber Art nicht übereinftimmt, ben Urfprung beS SeittoneS ju erklären.
Erinnert fep nur baran, bafj, wo wir, über ben alten rbmifeben JUrd) engefang beriebtenb, feine Sonarten
erwähnten — benen, aß £>ctaüengattungen betrachtet, ber Seitton allerbingS, unb in ben meinen fällen
fogar, n i ebt eignete — wir ihn jurüif führten auf baS @efe£ ber barmonifchen Sonentwicflung, in welchem
wir auch bie gegenfeitigen S3ejichungen ber kirchlichen Tonarten begrünbet fanben, unb baß wir barauS
einen gefchloffenen .ErciS oon £ülfStbnen für bie fjannonifebe Entfaltung beS biatonifchen SpftemS berju=
leiten oerfuchten. Ehromatifcb nannten wir in biefem Sinne jebeS hinaustreten über jenen .Kreis,
inbem baburch bie Umfärbung einzelner Stute erfolgte, ohne baß fle auS ben S3ebingungen l)eruorgegan=
gen wäre, welche bie Entfaltung beS biatonifchen mit fiep brachte; wir würben alfo einer, burch ben
SritonuS, aß einen biatonifch en SKifaf lang, herbeigeführten SJiobulation, eben nicht »orjugSweife biefe
Benennung beilegen, boch btefeä bleibe auf ftd) beruhen, benn eS ift unjireitig, bafs ber SrttonuS ein fehr
wefentlicher Jeebel ber Ausweichung ift, unb bafj er bei ben älteren Sonfünftlern eS auch war, wo er
nid?t auSge fp rochen erfebien, wo baS ©ebor ihn nid)t unmittelbar uemahm. 9cun fyaben wir gejeigt,
baß bei Eccarb eben biefeS Sonoerhältniß nicht feiten ausgebrochen »orfomme, baß eS aßbann bie 9Jiobu=
lation vorbereite, boch *>« bem legten, fte entfeheibenben Schritte, in ber Siegel nicht angetroffen werbe.
Seiner SBefchaffenpeit jufolge bat eS in ber Shat efwaS 3wingenbeS, bie Ausweichung notbwenbig £erbei=
führenbeS, fie fchärfer AuSprägenbeS, unb ba wir in unferer Sonfunft baran gewohnt ft'nb, fommt eine
jebe, auf biefem SBege eingeleitete SCßobulation unS auch leichter, natürlicher »or. SBir haben Eccarb
barum gerühmt, bafj, wo ein 3ug ber Sehnfucht, eines unwiberftehüchen brangeS auSjubrüden war, er
jenes Soroerbältniß anwenbete, unb rühmen ihn je|t noch beShalb, bap er auf finnige SBeife in jener An=
wenbung ftd? befebränfte, unb ftd? mit einer Anbeutung begnügte.
9cacbbem wir biefeS, oon unferer Entwidmung febetnbar abfehweifenb, ttorauSgefchicft, tonnen
wir nun unferem ©egenftanbe näher treten. ES ift unS nicht näher bezeichnet, w o ©umpel^hatmer mit
befonberem Erfolge beS SritonuS für feine 9Kobulationen ftd? bebient habe; eS werben unS nur SKotetten
im Allgemeinen genannt, worin biefeS gefebeben fep, Sonfä|e alfo, bei benen bie Stimmetwerwebung baS
SSorberrfcbenbe ift, unb zugleich in ftd? felbft ein bannonifch uolIftänbigeS ©anje bilbet. ©umpelfchaimer
hat aber auch geiftliche Siebe r gefegt, unb zwar bereiß in ben3ah"n 1591 unb 1594, fiebert unb »ier
63*
500
\sat)tt früher, als (SccarbS gejtltcber erfchienen. SBürben wir in biefen eine gorm antreffen, ähnlich bet,
bie »viv gccarb als eine ton ihm crfunbene nadjrühmten; begegnete unS barin ein 9?eichtf)um an 2luS=
weichungen, finnig wie biejenigen, welche bie geftlieber un§ entgegenbrachten, unb, wären biefe in allen
ihren SBorjügen wefentltd) »ermittelt burd) jenes Sonüerljältniß, beffen SSebeutung ©umuelfehatmer juerft
erfarmt haben foll, fo würben wir freilich, gefielen muffen, biefem SJieifter gebühre ba§ £ob, baS wir bann
voreilig feinem rrcflid)cn Scitgenoffen beigelegt Ratten.
SmSo^t 1591 erfd)ten ju Augsburg bei Valentin ©djönigf baS erfte SEÖerE ber gebacken Art »on '
©imwelfebaimer, unter bem Sitel: ÜJleue teutfehe getftlidje lieber mit breien Stimmen, nad) Art ber wel=
feb, en 35 Ulan eilen ic. ; baS jweite eben ba um 1594, bezeichnet: „SBürfegärtleinS teutfd) unb lateinifcher
{Hebet Gjrjrcr Sl;ci(, nach Art ber weifchen (Sanjonen mit toter Stimmen üomponirt." ©in jweiter
£hetl biefeS Büchleins fommt mit ber Sjah^jahl 1619 cor; bie 33orauSfefeung, baß er bennod) mit bem
erffen gleid^eitig fepn tonne, wirb burd) bie 3ueignung beS SfteifterS an bie ©ebrüber ßaSßar unb 9Keld)ior
fiangemantel, 3Jatt)Sherm ju Augsburg, unb jDberrichtet beS ^eiligen 9f6mifd}en 3?eid)eS, wiberlegt; fte lau*
tet t>on bem Safere beS £)rudcS, unb ber erfte Xljtil wirb barin als» wx fünf unb jwanjig Sauren rjetauS*
gegeben bejeidjnet. SSSir werben unS baf)er junächfi an bie früher erwähnten SBerfchen ju galten haben.
(Sin großer Zfytil berfelben bietet unS eigen erfunbene Sttelobieen ju befannten geijitichen Biebern,
brei= unb merfrimmig gefefet; balb einfacher, balb mit größerem Anfpruche auf funjiretd)e Durchführung.
@o haben wir In'er einen breU unb einen merftimmigen ©afe über baS bekannte ©terbelieb : „£) SBelt id)
muß btrf> laffen"; einen oierjtimmtgen über baS gleichartige: „2Benn mein ©tünblein üorhanben ift"; einen
über baS ^Pfalmlieb: „Ser^err ift mein getreuer Jpirt", unb über baS StKorgenlieb i ,,5d) banf bir, lieber
£crre". S3ci allen tiefen erfdmnen nun nicht ihre befannten SBScifen, fonbern neue, tf) eitS gefdjmüdtere,
theilS foldje, bie aufmerr'fame 9füdftd)t auf 2Bortbetonung üerratb,en, unb nicht, gleich ben £ird)enmelo=
bieen, mit größeren, allgemeineren, aber aud) kräftigeren Sügen fid) genügen laffen. Aud) an geftgefängen
fehlt eS nid) t. Der ßobgefang ©imeonS, nad) £utf)erS Sichtung : ,,Wlit grieb' unb greub' id) fal)r' baf)in"
wirb un3 in brei= unb in merftimmigem ©afee geboten ; ber Sobgcfang ber SDkrta erfd)eint wierftimmig in
<Spmpl)orian ^ollio'ö Siebe: „SDlem' ©eel' ergebt ben ^erren mein''; ein weniger befannte§ £)fterlieb :
,,2ßie fömmfä, baß bu fo frblid) bijl'' finben wir ju brei Stimmen betyanbelt. SQieift bürfen wir annel)=
men, baß bie Dberfiimme bie ^)au»tmelobie fül)re, wenn e3 aud) in einzelnen fallen baburd? jweifclfjaft
wirb, baß in il)r bie ©runbtonart be§ ©anjen nid; t unoermifd)t fid) barjlellt. 2Ba3 bie 5Bejeid)nung ber
breifiimmtgen ©efänge al§ nad) a3illanellen=, ber merjlimmigen aB nad) ßan^onenart gefefet betrifft,
fo bürfte e§ fd^wer fepn, baö S5ejeid)nenbe biefer, l)ienad) al§ t»erfd)ieben t»orau§gefefeten formen mit @d)drfe
abjugrenjen. Ser Unterfd)ieb wirb in ber 2lrt beä SSonfafeeö mehr, «IS in ber Sßenbung ber Gelobte
beruht haben, unb wenn auch in ben einen wie ben anbern biefer ßieber Nachahmungen üorfommen unb
- Üf)nlid)cs> über ben einfachen «Safe bjnauSgehenbe, fo ift bod) in ben breiftimmigen bie ©runbmelobie mehr
tein gehalten t>on fremben 6infd)altungen unb öfteren, nur üerfefeten 2Bieberholungen einzelner Seilen ober
auch 3ßorte, aß bieg in ben üierjhmmigen ber galt iji. ©d)on Sterin finben wir eine »erhaltnißmdßig
größere unb geringere Annäherung an ßccarb. Sn ben breiftimmigen (jugleid) ben älteren) ©efän=
gen erfcheint mehr eine melobifch=harmonifd)e Entfaltung berßiebform, als fold)er; in ben t>ierflim=
mi gen (ben füät er en) mehr eine motettenhafte ^Durchführung einzelner SDlclobiejeilen; bort alfo ein
bem gefiliebe 'ÜhnlichereS, f>ter ein baüon SierfchtebenereS, unb mehr bemjenigen ÜbereinEommenbeS, was
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mir al§ Vorarbeiten ju temfelben in ber ^Betrachtung ber SBerfe (SccartS beäeicr)neten ; ein nod) nid)t vblli=
geS, lebenbigeS 23erfdimol$enferm ter ßietform in bie teS SMettS. 3n tiefet Art teS ©afceS fbnnte aber
©umpel&baüner bann immer nid)t als SSorbilb ßccarbS gelten, roeil mir it>n bamit erft um taS 3af)r 1594
hervortreten feben, tiefen aber bereits fünf Sabre juvor, um 1589, in feiner vterftimmigen SSebanblung be§
I28ften Claims nadb einer felbftcrfuntenen ©ingweife. 2SaS aber bie SSiHanellcnart betrifft, fo bitte in
tiefer ©ccart febon um SJielcS früher, in ©emeinfebaft mit Joachim von SBurgf fid) verflicht, in ber Cre-
pundia ndmlicb, unb ben treijjig getfilieben Siebern. @r bat alfo wobl faum auS ©unrpelkbaimerS Siebern
einige Anregung in tiefer Art erfahren. Auch hatten mir bann in jenen SSiüaneUen, jenen Sanjonen, immer
nur jroei, vor beiben SEReiftern bereit» beftebenbe Arten beS (Sa^eS, welche 95 et t e als ©egebeneS
bereits vorfanben ; unb würben jwifeben ibnen ftetS ben wefentlid)en Unterfd)iet fe^en muffen, tafs ter eine
— ©umpelßbaimer — fid) ohne weiteres l>ielt an taS ©egebene, bem anbern aber — ßccart — eS eine
Anregung wirrte jum gortbilten unb AuSgeftalten. 2Sir türfen bienacb nicht behaupten, ©umpeüjbaimer
habe unferem ßccart tic SSabn geebnet für tie Ghrftntung ter melotifcben ©runtform, unb ber Art beS
SonfafjeS feiner gcfrlietcr ; biefer fanb vielmehr in bereits SSorbanbenem nur f erne Anbeuttingen teS von
ihm, fortbilbent, ©rfuntenen. 2flletn er fbnnte ibm vielleicht SSorbilb geroorben fenn in AuSgefialtung teS
ginjelnen, jumabl in geroantter gührung ber Stimmen bei bem Crintritte bebeutfamer Ausweichungen;
unb eben tiefeS fbnnte tureb, neue unb geiftreiche Anwcnhtng teS SritonuS gefebehen feon. Auch tiefeS
habe ich ntcf)t ft'nten fbnnen. (SS ift roahr, ©umpel&batmerS ©timmenführung ift jumeij! natürlich unb
leicht, feine Nachahmungen ftnt oft glüeflich unt fangbar; allein feiten bienen fie taju, irgent ein für tie
©runttonart bebeutfameS Sonverbältnip im 3ufammenhange bejeidmenb unb fräftig hervorzuheben, wie mir
eS decaxt tod) vorjüglid) nachzurühmen hatten. £>eS SritonuS aber bebient er fid) in ben meijlen gällen
eben nicht anberS als biefer; in ber Art, roie mir eS unter anbern bei teffen treflicbem fünfftimmigen
©efange: ,,5Rein' fdjbnfte 3ier unb Äleinot bift" anzumerfen fanten. Allein tie erfie (Sinfülnimg jenes
SJlifjflangeS auf foldje SBeife gebührt meter tem einen noch, tem antern von ihnen ; früher als bei ihnen
fommt er in biefer Art bei Sobann ©abrieli vor, in einem acbffttmmtgen SJiotett für taS SBeit)nacr;tSfeft :
„0 magnum rnysterium , o admirabile sacramentum," taS fid) in ter von tiefem SJtciffer um 1587
herausgegebenen Sammlung von Sonfd^en feines £>betmS AnbreaS unt einiger eigenen fintet.*) @S erfd)ei=
nen freilich bei ©umpelfehaituer «Stellen, roo ber SritonuS, — ober, wa§ bamit als gleid)bebeutent angefe*
hen werten fann, tie verminterte Sluinte als teffen Umfebrung, — fogar frei, ohne Vorbereitung eintritt;
fo im achten Safte beS vierfiimmigen Siebes : „3>cb tanf bir, lieber .£>erre."**) $kx ift er jetoeb. offenbat
502
nur ein in fcbrittweifer Fortbewegung ber Stimmen ftd? ergebender SSorfjalt ber fleinen ©erte, unb zugleich
ohne allen ßinfluß auf bie Sölobulation. Änbere 9Jkl)le aber bat ü)n ©umpelljbaimer nicht eingeführt, wo,
in ber SSorauSfefcung, baß er beffen SSebeutung für fchärfereS Ausprägen ber SKobulation erfannt, ober
bodb mit richtigem ©cfübJe geaFjnet hätte, er eine nahe Skranlaffung ju feiner Cnnführung gehabt haben
würbe, ©o bei bem ©ebraucbe beSAccorbeS ber großen ©ecunbe. @r läßt biefe, wo er fte anwenbet, in ber
©runbjttmme ganz richtig um eine ©rufe unter ftcb. treten, wäbrenb biejenige habere ©timme forttont, bie,
mit bem 33affe jufammenflingenb, jenes Sonoerbältniß barftellt. 2£lletn er gefeilt biefem Sufammenflange
bann nicht bie Quarte unb ©erte, beren erjfe, bei bem 2£brodrt§f erretten ber ©runbjiimme, bie Umfefyrung
beS SritonuS einführen würbe. S3iclmebr verboppelt er bie fortflingenbe ©timme, bureb welche bie ©ecunbe
f) er» ortritt, unb fügt beiben nur noch bie £luinte fyinju, fo, baß biefe ganze gortfebreitung nur erfcheinen
fann als Umfefyrung einer, auf ber fünften ©tufe beS ©runbtonS aufwärts oorgebaltencn Huarte. ©o
ftnben wir bie ©ecunbe bebanbelt in bem ft'ebenten Safte beS t-ierftimmigen fitebeS: ,,SOJein' ©eef
erbebt ben £erren mein''; unb ganj übereinftimmenb in bem 9)falmliebe: ,,£)er £erre ifl mein
treuer Jpirt."*)
£ft enblicb ijt ©umpel^baimer reich, an SEßobulationen, obne aud) nur eine einzige berfelben burd)
ben SritonuS ^erbetjufü^ren ober ju würzen, ©o in bem merftimmigen Siebe : „SJlit grieb' unb greub'
ich fafjr' baf)in." 3n beffen erjler Seile meiert er auS in bie fünfte ©tufe aufwärts (D), in ber zweiten
fefyrt er in bie ©runbtonart jurücf ; in ber britten leitet er bie SERelobie nach ber vierten ©tufe aufwärts (C),
in ber eierten, nach ber britten, fleineren, ebenfalls aufjleigenb (B) ; Ausweichungen, bie er beibe, wie
jene erjten zwei als in weiche, fo hier als in harte SEonarten bezeichnet. Sie fünfte unb fechte Seile enblich
bringen bie anfänglid)en beiben Sßobulationcn wieber. 2Bir werben eS nicht tabeln bürfen, baß er hier
nirgenb oon bem 9Jltßflange ©ebrauch machte, ben er fo oft unb fo glüdltd) angewenbet haben foll, aber
wir bürfen zweifeln, baß biefeS, wenn eS gefchah, mit 2Baf)l unb Überzeugung gefchehen fep.
9cad) bem ©efagten leud)tet eS ein, baß ßccarb t»on biefem, fonjl allerbingS fcbäljbaren Söleifler
Anregungen nicht empfangen fonnte, weld)e berfelbe ju geben außer ©tanbe war, unb baß jwifchen beiben
nur entfernte Schiebungen »orhanben finb. Auch waren beibe auf ganj oerfebiebenen ©ebieten tbättg.
(Sccarb gehörte mit feinem ganzen ©treben ber jtirche, ©ttmpelkbaimer fcheint mehr für häusliche Erbauung
gearbeitet ju haben. SBo er ftd? auszeichnet, ift er gefühlvoll, fein, zierlich ; faum einmahl fchwingt er ftcb
auf zum ©roßarttgen unb (Erhabenen**), währenb (SccarbS ©ebbpfungen biefeS ©epräge auch ba nicht t>er*
leugnen, wo fte heiter unb anmutbjg finb. 2Bäbrenb biefer bahin trachtet, in feinem gejlliebe eine höhere
S5lüthe beS ÄunftgefangeS auS bem ©emeinegefange zu entfalten, bem ©otteSbienfte zu größerer Sterbe, ijt
jener nur befjrebt, eine heitere gorm beS weltlichen ©efangeS geblieben Sweden bienftbar zu machen, unb
bem engeren Äreife ber gamilie eine eblere ©rgöf^ung babureb, Z" bereiten, als fte an jenem gefunben haben
würbe, einige Äirdjenweif en ftnben wir freilich auch in feinem 2öerfd)en, toierjlimmig gefegt; fo bie
•) 25aS erfte, fo wie ba« ebenfalls vierftimmige „5Kit grieb' unb greub' ich faW babjn" tjabe id) in bic
SBeffpielfammlung aufgenommen als groben beS ©umpcl^aimcrfcticn SSonfalcS, unb fic eben unter feinen oorjüglicheren
©efä'ngen ausgerollt. ©. SScifpiel 9Jro. 154. 155.
") ©eine OTetobfe ju bem ^affionSliebe: „3efu (5teu|, Cciben unb ^ein" (im jroeiten SEöeile beS SEBürjgärtlcinS
9tro. 8) giebt, eben wie tfjr 2onfa^, ein reürbigeS 93eifpiel baoon; fie ttfcfceint aber erft 1619, ad)t 3abre nach SccarbS
Dafjinfcheiben. ©. Seifpiclfammlung 5«ro. 156.
503
ber 2Beibna*t$lieber : „S3om Gimmel ho* ba fomm' i* ^er ; ©elobet fet>fl bu SefuS dfjrift," ba er fonfl
gewbbnli* au* für gebräuchliche Äircbenlieber eigene Sßeifen 51t crft'nben pflegt- SEHefe beftnben ftd) aber
in fem jweiten S£b,eile feineS SBürjgärtleinS, ber um 1G19, ad)t Sah" na* (SccarbS Sobe, jum erjten
9M)te erfebten. Allein angenommen au*, biefe ©äfce fet;en um 1594, wenn au* niebt öffentti* erf*ie=
nen, bo* f*on oorbanben, unb (Eccarb befannt geroefen, fo ift faum anjunehmen, baß biefer t»on benfelben
irgenb berührt worben fe». Denn fie jei*nen ft* hb*ften§ bur* lebhafte Bewegung au3, unb f*mucf=
retebe SSBenbungen ber bcgleitcnben (Stimmen, fo wie bur* einen ohne Unterbrechung fortgeführten ©efang,
beffen berrfdienbe SDielobie in ber Oberftimme erf*eint. 58on funjlreid)cr Durchführung jener, fo bafj fie
in jebem Sbeile al§ belebenber ©runbgebanfe erf*iene, ift hier nicht bie Stebe; e§ jeigt fich nur, bbchflenö
mit etwas mehr ©ewanbtheit, baSjenige, wa3 unter ähnlichen ffiebingungen auch, f*on bie SKeifter ber
erften £älfte bc3 löten 3af)rhunbert3 3" erreichen wußten. 25er bloS fortübenbe Sontunjtter, wie er
es? geblieben, barf baher mit bem fort bil ben ben auf feine SSBeife werglichen werben; mag er mit ©hren
unb Anerkennung genannt werben fönnen, in ber ©ef*i*te ber Äunft gebührt ihm nur eine untergeorbnete
©teile, währenb (Sccarb, einmahl erft wieber ber 33erna*läfftgung unb S3ergeffenheit entrtffen, in feinen
SSBerfen bauernb fortleben wirb.
Snbem i* nun hier üon ihm f*eibe, mit bem 2Bunf*e, baß bie ^Bemühungen, bie ich ibm mit
treuer Siebe gewibmet, fein Anbenfen neu beleben mögen, werbe ich in ber (Erinnerung ju feiner 33aterftabt
unb ihren Umgebungen hingeleitet, unb e£ erfebeint mir ein S3ilb, in welchem bie ©genthümlichfeit feine§
©d)affen§ unb SBirfenS ft* lebenbig unb anfebaulieb abriegeln bürftc.
©übwärtS »on SO^üblbaufen, auf einem, t>on bort au§ fanft anfteigenben Abhänge, entfpringt
eine Quelle, no* jefct, nach einem im breißigjährigen Äriege 5erftbrten, feitbem nicht wieber aufgebauten
Dorfe, ber spoppenrober S3runnen genannt. Auf fteinernen ©tufen, ring§ »on bi*tbelaubten, hohen
S5dumen umgeben, fteigt man hinunter 51t ihrem weiten SBafferbeden, unb f*aut hinab in ben reinften,
flarften ©piegel. An einem füllen, heiteren Sage, um bie 3eit jwif*en Abenbröthe unb Dämmerung,
ift ihr Anblid" in ber S£l)at jauberhaft. AuS bem Dunfel ber fie biebtbefebattenben SSäume , beren ßaub in
ihr wieberf*eint, tritt fte heroor, fr^flallbell, auf ihrem ©runbe erfennt man frtf* unb faftig grünenbe
Sföoofe, beren lichtere garbe unter ber bunfleren ber abgeriegelten 33aumwtpfel beroorfebeint, eine anmu=
*ige 5£äufd)ung für ba$ binunterblicfenbe Auge, ba$ jene in wunberbarer SSerflärung ju erbliden wähnt.
Do* ift e§ nicht ein erfreuliches SSilb allein, ba§ biefe £lueüe gewährt, ©ie ftrömt reich unb ^oU hinunter
gegen bie ©tabt, fte treibt bie Stühlen, t>on benen biefe ihren 9Jamen trägt, fte ergießt ftdt> bur* biefelbe,
fie erfrifchenb, fäubernb, erheiternb, belebenb. Aber bie (Einwohner ber ©tabt wiffen au* biefe ©abe
©otte§ wohl ju f*ä£en. Dreimahl im Sah", an beftimmten Sagen, wanbern bie .Knaben, bie 9Jiäb*en,
bie Sebrer, »on ber SJZenge begleitet, ju ihr hinauf, auf bem2Bege£ob = unb Danflieber anfh'mmenb,
na* ben SEBeifen alter Stteifter, wie biefer fangreiche £>rt beren »iele hen>orgebra*t bat. Di*t brängt fi*
AHeS auf ben ©tufen, bie ju bem SBafferbeden hinabführen; anbä*tig, entblößten 4?aupteS, hört man
einem Danfgebete ju, im £erjen e§ ftill wieberholenb. SBie lei*t beut ft* ba bie (Erinnerung an ben
geiftli*en §el§, von bem bie Dürftenben in ber 2Büfte getrunfen, an ben Srunn beS SBafferä, baä in ba§
ewige geben quillet ! Die 9Jläb*en winben auä S3lumen manni*fa*er garben einen Äranj, ber ben gan=
jen UmfreiS beä 23eden§ umf*ließt, aber fte erfreuen ft* au* baran, fleinere Äränje »on allen Slumen
ber3ahre§jeit, ober buftige ©träufe, mit ©teinen bef*wert, hinabjuwerfen. Denn fobalb eine SSlumc
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binabtaucbt unter ben 2Bafferfpiegcl , ift es , als wenn tt>r garbenglanj einen neuen, nerf larten ©crmtelj
Durch, ihn empfange, atS trenn bte Sfofe, bie Sitte, burcbft'djtig werbe unb blinFenb, gleich bem Sfubin ober
2>emant, ohne jeboeb ihr cigenjies 2Befen babei einjubüfjen.
@ine äfj>nlid>e ©abe, wir bürfen es fagen, roar bem reinen unb frommen ©emüthe unferes 9Jlei=
flcrs gewährt; was ftcb »erfenftc in beffen Siefe, ftrablte neu oerfldrt jurücf aus bemfelben; nicht als eine
flüchtige @rfd)einung, fonbern feftgebalten bureb bte Äraft ber tücbtigjten, gebiegenfien Äunjifertigfcit. 3n
feinen geftliebern gewinnen bie SBtlber heiliger ©efebiebten balb ben jarten @d)me[j heiliger Einmuth, balb
ffrablcn fte uns entgegen mit bem bellen ©lanje bes eroigen Sichres, bas hineinleuchtet in bie bun!le, fün=
bige SBelt. SBir fet>en SKaria, roie fte hofnungsretd) über bas ©ebirge gebt jtt ber geliebten greunbin,
unb ihre Sippen öfnet ju hohem Sobgefange; mir boren fte pfeifen als bie auserforne Jungfrau, bie ben
(Srlöfer geboren, unb unferem innern 2tuge erfcheint lebenbig bie Schaar ber »erfünbenben Crngel, beren
bimmlifcber ©lanj bie fiaunenb freubigen £irten umleuchtet. SBir febauen ben greifen ©imeon, wie er
üon bem hehren ©lanje, ber feftlicben $rad)t bes alten Sempels umgeben, ben finblicben ©rlöfer in feine
tfrme nimmt, unb nun gern t>on binnen febeiben will, ba er ben 33 erb, eigenen gefeben, ben SEroft Sfraels,
bas Siebt ber 2Belt. ©rfebeint uns bann auch bas 33ilb bes £eilanbes in ber ganjen Siefe feines bitteren
Seibens, fo üerflären es boeb wieberum jene »ollen, crnjten, lichten Sbne, welche bte ©celigfeit beffen
preifen, ber herjlicb, glaube an feine erlöfenbe Äraft, ber in bem leibenben ©ottcslamme ernenne bas ewige
Dpfer für bie ©ünbe aller SBelt.
3n ber flangreicben «Seele unferes Sfletfters entfalten aber aud) bie alten heiligen ©efänge ber
eoangelifcben Äircbe erjl tf>re rechte, »olle S3ebeutung. £at er ihre Sonweifen aud) nid)t gefebaffen, gleid)
benen feiner geftlieber, fo erfebeinen fte bod), burd? feine £armonieen belebt, gleid) einer neuen (Schöpfung,
in ber innigften greubigfeit enthüllen fte bte ganje Siefe ihres SBefens. 2ln feinen Sonen fül)len wir uns
neu geftärft, gereinigt, erbaut; heiliger griebe wohnt in ihnen , neben ber gefunbeften, frifcfyeften Äraft.
©o waren fte feinen Seitgenoffen ein labenber, erquiefenber £luell, eine ©tärhtng für bie 9Jiül)en eines
bamals melfacb angefochtenen, verworrenen Sehens; bie tiefgehenbe SBirffamfeit bcS frommen ©eiftes,
beffen fchbpferifcher .Kraft fte entftrbmten, beffen runftlcrifche Süchtigfett bas innerlich gefchaute S3ilb
bauernb feftjubalten »ermoebte, betätigte ftcb, über bas irbifche Sehen bes SKeifters tjtnauS, an feinem
Sehrlingc unb greunbe ©tobdus , an einer burd) bas ^)reupenlanb weit verbreiteten, auf ihn gegrünbeten
©chule heiligen ©efanges; auch ba lebt fte noch fort, wo man feines Samens unb feiner Söerfe uergeffen
hat. 2)och wahrlich ! wenn biefe, bie wir wohl Sonbilber nennen bürfen, wie bisher in nur fleinem
Äreife, einft allgemeiner wieber in ba3 Sehen treten, werben fte bem offenen, empfänglichen ©inne baS
fepn, wa§ fte ben 3eitgenoffen @ccarb§ gewefen. Senn er war ein reiner Spiegel be§ ^)bchjten, unb barin
liegt bie ©ewäbr für bie 2)auer feiner ©chbpfungen.
& dtiufiw vtt.
3n wenige SBorte faffen wir, auf bte burchmeffene S5ahn jurüdblicfenb , nun baSjenige jufam=
men, was auf unferer SBanberung burch baS erfte ^ahrhunbert ber ilirchcnüerbcffcrung uns hefd)dftigte.
'211s um ben SBeginn bes Sahrhunberts , an beffen ©renje wir nun gelangt ftnb, bas lebens-
fräfttge SBort, bie entfchloffene Shat eines feltenen SJlannes bas in ben ©cmüthern Met lange angeregte
505
SBebürfnifj einer Steinigung ber d)riftlid)enÄird)e ju gellem 33ewuf?tfet)n erwcdt fjatte; als bie f)eilige@d)rift,
bisher in bem au§fd)lief?enben SSejtfee eine§ bevorrechteten ^)riefterftanbe§, ben ©laubigen wieber aufgefd)lof=
fen war, ba würbe ba3 heilige 2Bort ber Offenbarung nid)t allein laut in ber SOrebigt, fonbem aud) im
©efange. 9feid)lid) füllte e§ wofmen in ber ©cmcine ©otteS, in mannigfaltigen Neimen neuer ©eftaltun*
gen follte e» ft'd) bewähren aß ein äd)te§ SBort bc§ Scbenö. Der geiftlid)c ©cfang ber ©ememe in ber
9Jiutterfprad)c, nur in fpärlicfyen, »ereinjeltcn S3äd)lein beroorgcbrocfyen, mad)te ftd) nunmehr fräftiger
SBabn, immer tiefer unb reidjer anfd)wcllcnb bt§ ju einem mächtigen Strome. Den Snbalt gewährte
ifjm vor Willem, waS bie ©djrift an heiligen ©efängen beut, wa3 in ber älteren Jtircfyc, wenn aud) bem
SSolfe unjugängtid) burd) frembe ©prad)e, aus> uralter Seit fid} fortgepflanzt t>atte : bae> ^Pfalmbud), an=
fnupfenb in feinen Siebern an bie Sdjicffale be§ ifraelitifd)en 23olfe3 unb feiner Jpäupter, aber ge^etmntjfc
reid), wetffagenb, einer neuen ©nabenjett SJcrfünber, in ewigen SBortcn feine ©ültigfeit für alle Seiten
beurfunbenb ; neben it)m jene früt>eften ©lütten eineS neuen heiligen ©cfangeS in ben (Stählungen be§
2ucas>, oon bem ber ©eburt beS >£>errn ahnungSuoll Vorangegangenen, unb feinen erften finblidjen Sagen;
enblid) bie erneute, reine, bibltfd)e 2el)re felbft, unb wa$ nun, burd) alleS biefeS neu angeregt, erwedt,
belebt, in frommer SSegeiftcrung bie ©emittier beroegte. Sie §orm gaben bie SBeifen be§ ^3riejler=
gefangen ber alten £ird)e, oor Willem aber bie be§ S3olBliebe§. Diefe waren, gletd) il)m felbji, @rjeug=
niffe unbewußten .EunfttriebeS, mäd)tigen inneren DrangeS, laut werben ju laffen, was> in 2ieb' unb ßeib,
in <2d)crj unb ©rnfr, in ©innigfeit unb Übermut!) bie ©emütl)er bewegte. 2lber bie ältere 3eit f)atte in
tflmung unb Erwartung ber jefet gefommenen, aud) ^eilige» gefungen in Sauten ber 9ftutterfprad)e. Um
fo lieber würbe biefeS ergriffen, aß ein wertheS ä3eftfctl)um; in feinen SJWobieen unbebingt, währenb man
bem 3nf)alte nur ba§ abjtreifte, waS nid)t beftefjen fonnte cor ber @d)rift, ber allgemeinen, unr>erbrüd)=
liefen 9?id)tfd)nur ber 2et)re wie be§ 2eben§. (Sie fep herbeigekommen, bie ©tunbe, fo badite unb rebete
man mit bem 2lpoftel, aufzuliegen üom @d)lafe, baä £etl fet; näher gekommen al§ man geglaubt, bie
9cad)t fep »ergangen, ber Sag herbeigekommen; nun gelte e§, bie SBerke ber ginjlernip abjulegen, bie
SBaffen be3 2id)te3 anjutfjun. Die Zone, bie au§ ir)nen gebilbeten SBeifen, fenen eine föftlid)e ©abe, ein
ljerrltd)eS ©efd)6pf ©otte§, aber erflingen bürften fie nid)t ju Söorten falfdjer Se^re , abgöttifdjen ^reifes,
unreinen, fleifdjlicfyen £5cgebren3 ; abgetan muffe werben, wag tiefer 2lrt an ilmen hafte. Die SBeifen
be$ 33olf3liebe3 würben fo ihrer alten SSeflimmung ganj entjogen, unb einer neuen, reineren geweift; al§
gormen beä ©efangeä blieben fte unangetajtet, eä wäre benn, tap etwas in if)nen il)rem ^eiligeren SSerufe
witerftrebt, unb ju einer Umbtlbung gebrungen l)ätte, bamit ft'e it>rt würbig erfüllen fbnnten. Selten
burfte e$ gefd)e^en; aber ftetS gefd)al)e e§ mit finniger, jarter <£d>onung, bie aud) ba geübt würbe, wo
altersgraue formen urfprünglicb, ^eiligen ©efange6 bem SSerftänbniffe ber ©egenwart näl)er ju bringen wa=
ren, ob,ne boeb; tf>r @igentl)ümlid)fte§ babei ju oerwifdjen. ©o wud}§ ta§ ^eilige in ta§ SSolfämäßige, fo
tiefet hinein injeneS; auS ber SSerfcfymelsung be§ wefentlid) (Sigentb,ümlid}en betber, bort ber Sonart,
hier bes> 9?l)wtl)mu§, gingen neue formen ^eiligen ßiebergefangeä ^ercor. Diefe neuen, jene älteren,
gereinigten, umgefdjaffenen, aud) wof)l nur entlehnten gormen, ergriff nun tie fd)on tamalä auf namhafte
^)bl)e gediegene Äunjt te§ Sonfa^eS; turd) fte belebt unb gefdjmüdt, füllten fte aud) tf)r wieterum in tie=
ferem ©inne neues Seben einl)aud)en. 6S bewährte ftd) l)ier taS SSBort te3 erjien Urhebers jener gropen
^Bewegungen, bie, taS Seben jener 3ett in feiner ©efammtljeit ergreifenb, ein jebe§ ©ebiet beS Äird)lid;en
gewaltig burd)brangen : turd) baS ©oangelium follte tie Jtunft nid)t ju S5oten gefd)lagen werben, ade
». SBinttrfelb, *tt tsanflet. C^otatatfaiij. 64
506
Äünfre oielmebr foHren bem Sienfte Scffen gewetzt fepn, ber fte gegeben unb gefd)'affen babe. Sie Äunft
war bejrrebt, bie Sugenb burd) bie gor m für bert Snbalt ju gewinnen; bie ©d)ule follte ba3 bittet
werben, 23eibe3, bie Äunft, unb burd) ft'e bie rechte Erfenntniß beS ©d)bpfer§ unb ErlbferS $u fbrbern.
Dennod) fianb bie Äunfi, wie e§ in ber alten Äirdjc gewefen, ber ©emeine oft aU ein grembeS gegen*
über bei bem ©otteSbienfte. Wit il)rem ©efange war biefe jwar beimifd) geworben in ber jtird)e, aud)
ber Äunftgefang fd)lofj ft'd> aügemad) ben gormen beffelben an, bod) jumeijl nur als einer SSerantaffung,
ben ganjen 9ieid)tbum feiner Littel an ibnen barjulegcn, auf eine SBeife, bie nur bem unmittelbar tbeil=
nebmenben, ftmbigen 93Jitfänger gejtatten fonnte, ju ooUem SSerjränbntffe ju gelangen, ntd)t bem blo=
fjen £brer. Entgelt ftd) ber Sonmeijrer aud) be§ ^PrunfenS mit ben Mitteln feiner Äunjt, war er be=
frrebt, fd)lid)t unb einfad) ju bleiben, fo uerbüllte er bod) in feinem ©a£e, einem alten ©ebraud)e
jufolge, baö ber ©emeine wefcntlid) 2lngcl)brenbe, bie ©ingweife; baäjenige, was? ibr faplid), aud) ba§
SSerjränbnifi ber Äunfr ibr allein ju erfd)lie^en »ermod)te. Die SJWobte fd)ritt fort in einer SUlitteljlimme,
in ber Spblje unb SEiefc bewegten ftd) anbere über unb unter ibr, oft mufjte ber £brer, ba er jene nid)t beut=
lieb oernabm, ungewifj bleiben, wcld)e Aufgabe ber Sonmetfter ftd) geftellt b«be. Sie Äunjl follte er=
balten bleiben jur 58erl)errlid)ung be§ ©d)bpfer3; bie ©emeine, fo erbeifd)te e§ ber ©inn ber ftd)
oerjüngenben Äird)e, follte t£> d 1 1 9 2lntl)cil baben an bem ©otteöbienfte ; 33eibem war niebt ju genügen
obne Erneuung berÄunfi; biefe felbjl ftrebte au§ innerer SRotl)wenbig?eit einer wollfommenen Entfaltung
be3 SonlebcnS entgegen ; mit 5Eftad)t brdngte 2Mes> nad) einem gleichen Siele bin. 2Bie aber war e6 ju
erreichen ? ©d)ten e$ md)t, man müffe für bie Äird)e nun ben tiefftnnigften Erjeugniffcn ber ©efjfunjt
ganj entfagen, al§ bem SSerftänbniffe ber 9)iel)rjal)l entjogen, für gemetnfame Erbauung unauSgicbig ? Unb
bod), waren biefe nid)t baSSSejie, wa§ in biefer9?id)tung ber menfd)lid)e ©eift gefd)affen? ©d)ienen ft'e nid)t
ber würbigfte ©d)tnud für bie fird)lid)e Seier, fonnte eä nur tterträglid) fepn mit ber reicheren Entfaltung
beS SEonlebenS , nad) ber man ftd) febnte, ein fold)e§ Errungene wieberum aufzugeben? Sagegen ftröubte
ftd) ber innere ©inn, abnenb, bajj b'" noch, cm retd)er ©d)af^ ju beben fenn werbe, gelänge e§ nur, feine
©pur ju ft'nben ; flet6 aber beforgenb, nur ber 2Beg ber Entfagung werbe enblid) ber rid)tige bleiben. Ein
für SJeinbeit ber £el)re wie beö ©ottcgbicnfteS rüftig wirf famer ©eiftlid)er, Sucaö «Dftanber, entfd)lof? ftd)
julefjt, ben Äunfrgefang fccS ©ängerd)or§ ber ©emeine »bllig bienftbar unterjuorbnen, il)n alles» ©d)mude§
foweit ju entfleiben, bafi er burd) feine Sonfülle nur bie SBeifen be§ ©emcincgefangeS fd)tnüd'e, ft'e einem
3eben oernebmlid) erflingen laffe, unb fo, wenn aud) jundd)ft nur leitenb unb jufammcnl)altenb, ben all=
gemeinen Äird)engefang bod) in ba§ Äunjtgebiet erbebe. Vorangegangen barin waren ibm um einige
3abre jene Sonmeifter, bie, geraume Seit nur ©e£er — einen gegebenen muftfalifd)cn ©runbgebanfen
in maneberlei gormen funjtmäfjig Surd)fübrenbe — nun aud) als ©dnger beroortraten, Erfinbervon
9Kelobieen in liebmäfjiger gorm; Sonmeifter, bie bis baljtrt nur tbätig für Äunjtoerftänbige, nunmebr
aud) für baö Söolf ju bilben begannen. Siefeö trotte bi§ bal)in bie SBeifen feineö geblieben ©cfange§ auö
ftd) felber erjeugt, bie begabteren auS feiner 9Jiitte batten ft'e ibm au3 innerem Srange, au§ »oller 33ruji
gefungen, cö t>attc fte freubig Bon ibnen empfangen, fte waren ©emeingut geworben burd) ben allgemeinen
tfnflang, ben ft'e fanben, bie tarnen ibrer Urbeber waren t>erfd)wunben, biefe batten nur bem , wa§ in
2lOen lebte, if?re ©timmen geliel)en. 2ttö nun ©änger unb ©efcer ftd) einten, aI3 ber Äunftgefang ben
©emeinegefang wal)rl)aft at§ feine Aufgabe ju betrad)ten begann, ba war bie red)te 3eit ber Entfaltung
einer neuen SJlütbe gefommen, ben Entfagenben follte ber ©d)a(j, beffen ©pur ft'e lange »ergebend nad)=
507
gegangen waren, nun wirrlid) ju SEfyeil werben, fie follten nicht, wie fte gefürchtet, bae bis babin 6rrun=
gene aufgeben bürfen. (Sine itunft, bie in einfachen, großartigen, lebenbigen 3ügen ben ©eifi ber SBeifen
bes ©emeinegefanges erfd)loß, inbem fte burd) ben ©ängerebor ihn trug unb ftüijte, hatte ihn ftch ge-
wonnen; tfjr war es »orbebalten, aus ihm, mit ihm vereint, unb wenn enblid) auch in bem ©inne ihm
gegenüber, baß fte für einen SEbeil ihrer neuen ©d)bpfungen nur bas fti 11 e, anbäcbtige £ören ber
©emeine, ntd)t ihre t tätige £ülfe anfprad), bod) Allen eingänglich, verftänblicb , eine fd)bne höhere
33lütbe ju erringen j eine bof>ere, weil fte babet bes wollen 9feid)tf)ums ber Littel mächtig blieb, mit benen
fte juvor fo ftegreid) gewaltet t)atte. ©o entftanben bie Choräle, fo bas geftlieb 3obann ©ccarbs,
bes eblen SJieifters, beffen fachliches Sßirfen wir julefet betrachtet haben, in wahrhaft evang elif ehern
unb beutfehem ©inne, eine ächte Vermählung bes «ftunfb unb ©emeinegefanges. £>as geftlteb,
von bem rein Siebmäßigen aus hinjtreifenb bis an bie ©renje bes alten funftreichen SJcotetts, aber auch ba
nod) jene» formen fenntlid) erhaltenb, unb bem allgemeineren Verftänbniffe babureb begegnenb, blieb bem
Äunftgefangc ausfcbließenb vorbehalten, alfo bem Vortrage burd) ben ©ängerebor; ber ßboral erfchien
nunmehr in funfireieb geglieberter Harmonie, unb alle SOiittel bes Sonfa^es aufbietenb, im ©egenfafje
feiner vorangegangenen, fd)lid)ten S3ebanblung. 3n tiefer ©eftalt blieb jeboch bie ©ingweife unjertrennt,
unveränbert; in großen, fenntlidjen 3ügen ausgeprägt, war fte ber ©emeine beutlid) vernehmbar, unb
biefe fonnte mit ihrem ©efange ftch an fie leimen. 5DZag nun auch für biefen eine SBcile noch töe ältere,
einfachere SBeife ber .^Begleitung bureb ben ©ängerebor vorgewogen worben fevn, fo bahnte bod) bie neue
einer noch wirffameren, fräftigeren juerft ben 2Beg. (5s war bie burch bie £)rgel, beren Sonmitteln bie
neue Art ber SSehanblung bes ©ai<es voUfommcn angemeffen, alfo auch geeignet war, bie jlunft bem
©emeinegefange auf eine Art ju gefellen, wo fie feines ihrer Vorjüge fich entäußern burfte, wäl)renb fte
jenem eine um Vieles mehr fichere, fräftigere ©tü§e bot, als juvor.
@o geftaltete ftch ta§ Verbältniß bes euangeltfcfaert ©ottesbienftes jur Sonfunft imSaufe bes fech-
jehntenSahrbunberts. An ber £iebform wuchs biefe Äunjt heran in ber neuen itirebe, wäbrenb ifjr ©otteö^
bienft im Allgemeinen, nur bas ©ebriftmibrtge befeitigenb, an bie formen bes rbmifd)en ftch lehnte, hei
einzelnen geften felbft bie alte Äircbenfpracbe für ben cigentlid) liturgifcben S£t)eit bes geijtlicben ©efanges
fo lange beibehaltenb, bis er in bie OJiuftcrfpracbe übertragen, ober burd) urfprünglid) in ihr ©ebiebtetes,
bem ©inne ber gereinigten Sebre ©emäßeres, erfe^t war. Saß aber frühe febon bei ber für ben ^>aupt=
gottesbienft (bis auf ben ßanon) erhaltenen gorm ber SJleffe, bie babei üblichen, fonft burd) ben ßbor
vorgetragenen ©efänge, nun ju Biebern für bie ©emeine geworben waren: — Ävrie Vater in Swigfctt;
— Mein ©Ott in ber Spot)' fei) @br'; — SSir gläuben all' an einen ©Ott; — Sefaia bem Propheten bas
gefd)ah ; — £) ©ottes 2amm unfd)utbig ; — giebt uns bie Überjeugung, wie tief bie giebform in bie ganje
neue ©eftalt bes Äircbenwefens eingebrungen war, fo baß eine gefunbe, neue (Entfaltung ber Sonfunft aus
ihr allein hervorgehen fonnte; jener itunft, bie ber gereinigten jtirebe am näcbften ftanb, von ihr am böd)-
ften gehalten würbe.
@ine SJicbtung bes ^rotejtantismus allein, bie jwinglifd) = caloinifche, wie fte überhaupt nur
baö »on ber ©chrift ©ebotene anerfannte, »erfchloß eine SBeile in h"bem ©inne ber Sntfagung ber
Äunfi bie Ätrcbe überall, ober ofnete fie nur ben Pfannen. 9Zid)t in bem frifchen ©inne, wie bie ßutfje;
rifeben in ihren ßiebern bie ewige 33ebeutung biefer -heiligen ©efänge, ihre tröjienbe, erhebenbe, erbauenbe
Äraft für alle Seiten, burch neue, lebenöfräftige ©proffen jenes uralten ©tammes bewährten, ßiner in
64*
508
beftiinmtcm ©eijte bcrgebre umfd)reibenben, gemeierten Übertragung ber^Pfalmen, nad) jtet)enben ©efangeö-,
[a ©anformen, war allein ber (Eingang in ba§ ^>eiligtl)um bei Senen geöfnet; fo nur, t)ieß e§, werbe
©otteS SBort in rechtem ©inne in it)m t>tmifd), unb ber Genfer; greife feinen ©d)ovfer unb (Srlofer burd)
basjenige, wa3 er felber il)tn burd) ben ^eiligen ©etft in ben 9Jlunb gelegt, wäl)renb allc§ tfnbere feinem
greife nicht jieme. (sine unerfreuliche, alle lebenbige (Sntwidlung auSfd)ltcficnbe ©trenge ! £ier würbe
nicht einmal)!, wie in ber alten £ird)e, ein äd)te§ 3lbbilb bc§ Urf»rünglid)en in getreuer Übertragung be=
wahrt; eine breit auSlegenbe Untfd)reibung trat an beffen ©teile, fie t)ielt ba§ ber ©egenwart fremb ©e=
worbenc fcineS tl>atfad)ltd)en Inhaltes in allen ßinjelbeiten fejt, ohne baburd) mel)r aB ein auf erlid)e3 2ln=
eignen ju gewinnen, währenb bie ebrwürbige gdrbung be3 2lltertl)um§ verloren ging. 2Ba§ innere, leben*
bige (Erfahrung ben ©evrüften burd) jene alten t)eiligen ßieber in ber ©egenwart neu gelehrt, würbe
verfdnnäbt, jurüdgewiefen würben bie grüd)te be§ ©eijteö, bie fte in ihnen gereift hatte, man
vergaß be3 ©eboteS von bem reichlichen 3öol)nen bc6 heiligen 2Borte§ in ber ©emeine! £)arum
ift cs>, in £>eutfchlanb jumahl, nicht lange babei geblieben; ja, ein Unternehmen ähnlicher 2trt,
baä im ©inne ber lutr)erifchen 2el)re im folgenben 3al)rl)unberte beftimmt war, bie calvinifd)cn (£ob=
wafferfchenj ^Pfalmen bind) eine anbere Umfchreibung, als fiel) en ber Äird)engefang, ju verbrängen, bat
nid)t SBurjel gefaßt, wiewohl man ben grbfjeften Sotimetflcr jener Seit, ben gefeierten ©d)üfj, bafür mit
in 2lnfvrud) genommen hatte. (Sin ftd)crer SScwei» von ber Sicgfamfeit unb Srifct)e be3 ßeben$>brangee>,
ber, burd) bie Äird)enreinigung gewedt, aud) bie Äunfl mit neuer Sriebftaft burd)brungen hatte.
(Einer anberen Seit gehen wir nunmehr in bem folgenben Sahrhiwberte entgegen. £>er heilige
©efang unter ben (5vangelifd)en in £)cutfd)lanb hatte ftch higher in ftd) felber fortgebilbet ; eine neue ©eftaU
tung jlanb ihm nun bevor burd) bie ^Berührung mit ber im ©üben auf einem anberen SBege, unter anberen
JBebingungen, in ganj abweid)enbem ©inne, ftd) entwidelnben geifltid)en Sonfunft ber alten Äird)e. 9(id)t
ber jtunftgefang allein erfuhr biefe (Einwirfung, obgleich fte jumeifl auf il)n ftch au§bel)nte; auch ber©emeine-
gefang blieb bavon nicht unberührt. Sie Äunjt in älterem ©inne blieb am längjlen bort beimifd), wo fte
juvor bie J>öd)fle ©tufe erjliegen hatte ; bie neue feimte bort auf, wo bie ^Berührung mit bem tfuSlanbe am
lebenbigften vermittelt würbe burd) jenen Sonfünjller, auf ben wir oben gebeutet; il)n, ben Högling ©a-
briclu?, eines ber bervorragenbflcn SDWftcr StaltenS, ber nid)t allein bie 3ett be3 Sitten unb be3 bleuen nur
erlebt hatte, fonbern von SBeibem tief innerlich berührt, unb ju eigentl)ümlichen ©d)6»fungen angeregt
worben war.
Glicht ba$ (Snbe be3 3al;it;unt>ert6 allein ijt e§ alfo, baS unS &tet ein bejtimmteS 2lbgrenjen im«
ferer £>arftcllung auferlegt, aud) ein innerer ©runb veranlaßt un§ baju. ©ie hat ihren 3wed erreicht,
wenn ba3 JSilb, baö fte biäfjer ju geben verfud)te, ben ßefern aB ein in ftd) voIljtänbigc§, anfchaulid)e3
erfd)ienen ift, wenn baä SBirfen unb Seben beö «Dceijlerö, ber un§ julefet befd)äftigte, in ber £t)at als bie
Slüthe ber ihm vorangegangenen Seit ftd) bewährt hat.
SSct5cid>ni§ ber SSJluftfbeilagen nad> i^rcr golgeotbmmg , unb nad) ben
Urhebern ber Sonfafce.
Sic beigefügte 3af)röjat)I geigt baö Bructjafyr an ; baS bei einem SEonfa^e ftefjenbc bafj ber Sonfefcer (minbeftenS
mahrfdjeinlid)) aud) ©rfinber ber SOietobtc ift.
I. £onfat?c ofjne Tanten ifircv Urheber.
1. 6t)rift ift erftanben. (1513.) SSierftimmig.
2. 2fuö tiefer Stotf) :c. (1540.) 3mei ©tropfjen. SSierft.
II. £onfä$e mit ben Tanten ifjver Urfjefcer.
3of>ann SBalter.
1. Sofepf), lieber Sofcpt) mein k. (1544.) günffr.
(Resonet in laudibus.)
2. ©elobet feuft bu SefuS Gfjrift :c. (1551.) SSierft.
£ubrotg <5enfl.
3. 25a 3cfu6 an bem Äreuje hing je.
3mcite ©troptje: SaS erft' SEBort reb't Sott it.
(£anbfcf)rift[idj, ofjne jkitbeftimmung.) 93ierft.
4. ©elobet fenft bu Grifte :c. (1544.) günfft.
(D bu armer 3ubaS.)
5. 2Clfo heilig ift ber Sag lt. (1544.) ©cdjSft.
(Salve festa dies etc.)
6. Gfcift ift erftanben :c. (1544.) ©ectjöft.
7. O £crre ©ott begnabemicb:c. (1544.) SSierft.' [©. 180.]
8. D allmächtiger ©Ott, biet) lobt ber Gtjriften SRott :c.
(1544.) SSierft.' [©. 180.]
9. Ber ef)lid)' ©tanb ze. (1544.) SSierft." [©.181.]
10. Veni sanete Spiritus etc. (1564.) tfd)tft.
11. Diffugere nives etc. (1534.) SSierft.'
-gmiutd) ginef.
12. greu' bid) bu roerthe G>briftenf)eit jc. ) , v m. -
(66 ift baS «eil uns fommen fjer ic) j (Ia36,) SB,et'1'
©eorg 9?t)au.
13. (5f)riftum mir follen loben fa>n u.
(A solis ortus cardine etc.)
(1544.) SSierfr.
(1544.) SSierft.
SRcuttn 2Tgrico ta.
14. 3(d) ©Ott oom Gimmel fiel; barein :c. (1544.) SBterft.
35altf)afar 9?eftrtariu3.
15. 9tun bitten mir ben ^eiligen ©eift :c. j ^-44 ^ <gjerj-t
16. etjrift lag in SobeSbanben :c. j
35 enebtet 2)uct§.
1". 3Ccf) ©ott com Gimmel fiel) barein it.
18. 9iun freut eud), lieben Gfjriftcngtnein«.
2upu§ ^ellincf.
19. 2ln äüafferflüffcn SSabi)lon it. (1544.) SSierft.
Sofyartn <5taf)l.
20. 9lun lafst uns ben Seib begraben :c. (1544.) günfft.'
[@. 200. 277.]
©eorg gotftet.
21 . 93om Gimmel fjoeb, ba fomm' id) t»er :c. ) günfft.
(33om Gimmel f am ber (Sngcl ©cb, aar it.) i
$an§ Äugelmanrt.
22. 5cun lob' mein' ©eel' ben Herren it. (1540.) günfft.*
[©. 207.]
23. "Mein ©Ott in ber £öh' fen ®W it.' ) [©. 210.]
24. ein' fefte S5urg ift unfer ©ott it. \ (1540.) Greift.
Claude Goudimel. (1565.)
25. Ainsi qu'on oit le cerf bruire etc. Ps. 42.
26. Misericorde au poure vicieux etc.
27. Oh Dien, la gloire qui t'est due etc.
28. C'est en Judee propremeot etc. - 76. > SSierft.
29. A Dieu ma voix j'ai haussee etc. - 77. i
30. Cbaatez gayemeat etc. - 81. I
31. Oh Dieu, tu cognois qui je suis etc. • 139. /
Ps. 42- v
- 65. /
510 -
100.
tu.
116.
131.
142.
Claudin le Jeune. (1613.)
32. ©ott fte&et in feiner ©emcinc jc. günfft. «pf. 82.
Dieu est assis en l'assemblee etc.
33. 3()r SSölfcr auf ber erben all jc.
Yous tous, qui la terre habitez etc. SSierft.
34. 3d) banf bir £crr, r>on Jpcrjcn rein jc.
Du Seigneur Dieu en tous endroitsetc. günfft.
35. 3d) lieb' bcn Herren, unb ibm brum banffag' jc.
J'aimemon Dieu,carlorsquej'aycrieetc. SSierft.
30. SDccin Jbcrj ftdj nidjt ergebet febr jc.
Seigneur, je n'ay pointle coeur fieretc. SSierft.
37. 3u ©Ott bem £crrcn id) mein' ©timm' auf;
tjeb' ic günfft.
J'ay de ma voix ä Dieu crie etc.
#nton ©canbellt.
38. Mein ju bir Jberr 3efu ©t»rtfl jc. (1575.) ©edjSft.
39. Sobet bcn Herren, benn er ift febr freunblid) lt. (1568.)
SStcrftimmig.* [©. 412.]
ßeonfyart ©devoter.
40. Veni creator spiritus etc. (1587.) ©ed)6ft.
41 . greut eud) ihr lieben ßbriften jc. (1 587.) SSierft.' [©.342.]
42. Cobt ©ott ibr Gftrtften aUjuglci«^ ?c. (1587.) günfft.
Sacob SEßetlanb.
43. ©et) Cob unb ebr' mit tjofjcm $>rei§ jc.
(®g ift ba$ £cil uns fommen ber it.) (1575.) günfft.
44. Jperjtt'd) tbut mid) erfreuenjc. (1575.) SSierft.' [©.340.]
©antuet SDicufcfyall.
45. tfd) ©ott oom Jpimmel fieb barein it. \
46. 6« ift ba§ Jpeil un6 rommen ber it.\ /j5g4 \ gjier«.
47. SBie nach, einer SBafferqueUc jc. $>f. 42. i
48. 3u bir aus £erfccngrunbe it. ^f. 130. '
£)atnb 2Botf enjlein.
19. ©d)au wie licbtid) unb gut «. (1583.) 93ierft.
lluca$ Sftanber. (1586.)
50. £0cein' ©ecf erbebt bcn Jpcrrcn mein jc. \
51. ©elobet fei)ft bu 3efuS (Sbrift it. j
52. 25er 2börid)t' fpridjt, eS ift fein ©ott it
53. grötjlid) roollen wir 2tlleluja fingen jc.
54. - 6$ ift ba6 £eil uns tommen ber jc.
©etf) SalötftnS.
55. Jberr 3efu Gbn'ft, roabr' SDccnfd) unb ©ott jc.'
[©. 416.]
56. Jperjlicb. lieb t)ab' id) bid), o £err jc.
57. ©ott ber SSater roobn' uns bei jc.
58. .beut triumpbiret ©ottcS ©ohn jc. (1621.)
59. Rex Cbriste Factor omnium etc. (1597.) S3ierft.
JBartb, olomäuä ©efe. (®eftu§.) 1601.
60. ©ett bat ba« Coangelium jc. günfft.
61. Gin' fefte 33urg jc. SSierft.
SSierft.
(1597.)
SSierft.
SSierft-
62. 35a 3efuS an bem Äreuje ftunb jc. SSierft-
63. Gbrift tag in SobcSbanben jc. SSierft.
64. Grifte, ber bu bift Sag unb Cidjt jc. SSierft.
(Christe qui lux etc.)
65. Su griebefürft, Sptzt 3efu 6brift jc. günfft.
^tetortpmuS 9)rcUonu§. (1604.)
66. SBaS mein ©ott roiU, ba« gfefieb/ altjeit. .
(II me suffist de tous mes maulx.) 1
67. 2td) mir armen ©ünber jc.
(£ bu armer 3ubaö jc.)
68. ©ie ift mir lieb bie roertfce SJcagb jc. ]
(TIA) Sieb' mit Seib :c.) '
Sacob $ratoriu§. (1604.)
69. 3Bad)et auf, ruft un$ bie ©timme jc. SSierft.
Daöib ©d)etbemann. (1604.)
70. SBie fdjön leudjtct ber SJtorgenftern jc. SSierft.
(SBie fd)ön leudjten bie Äugelcin.)
71. 3Bad)t auf ü)r Sbriften alle jc. SSierft.
4?an§ Seo Rapier.
72. © SOtenfd) bercetn' bein' ©ünbc grofi jc.
(es finb bod) feiig alte bie jc.)
73. erbarm' bid) mein, o .öcrre ©ott jc.
74. Sbrift tag in SEobeSbanben jc.
75. Sbrift unfer Jperr jum Sorban fam jc.
76. ein' fefte 33urg jc.
77. Allein ©ott in ber £öb' fei) ebr' jc.
78. Jperr 6brift, ber einig ©Otts ©obn.
(ertöbt' unti burd) bein' ©üte.)
79. 2tu§ tiefer 9tott) jc.
80. Jg>erjlict) tbut mid) certangen. (1613.) günfft.
'.Sötern ®'mütb ift mir oerroirret.) (1601.) günfft.'
[©. 91.]
©ottbarb GrrptbräuS.
81. ©anffagen mir aUe. (1608.) SSierft.
Grates nunc omnes etc.
82. erfd)icnen ift ber berrtid)' Sag. (1608.) SSierft.
«Slelcbtor aSulpiu*.
83. Jpcrr 3efu 6brift, rcafjr' SOccnfcb unb ©ott jc. (1603.)
SSierft.* [©. 417.]
9Jltd)ael SPreUottuS. (©. aud) 9cro. 114».)
84. Cobet ©ott, o lieben ßbriften jc. ^1607.) -Dreis unb
fünfftimmig.
Grates nunc omnes etc.
85. 2£te ber gütige ©ott jc. (1607.) SSierft.
Mittit ad virginem etc.
Ave Hierarcbia etc.
86. 35en bie Birten tobten fetjre jc. (1607.) SSierft.
Jöcut finb bie lieben engetein jc.
(.»uem paslores laudavere etc.
Nunc angeloruin gloria etc.
(1608.)
SSierft.
87. ©ie ift mir lieb bic rcettbe «Otagb it. (1610.) SBierfr.
(Kd) Sieb* mit Seib 3t)
88. Sieb, grau pom Gimmel ruf ic& an :c. (1609.) SBierfl.
89. Flavia jart :c. (1010.) SSicrft.
90. 6S ift ein' SRof entfprungen :c. (1609.) Steril.
91. <D rcir arme ©ünber :c. (1607.) SBierft.
(D bu armer SubaS.)
92. SHirtcn wir im Scben finb :c. (1610.) SBierft.
93. SDlein lieber £err tetj preife bieb it. (1607.) 58ier(t.
94. SJlcin' ©cel', o ©ott, mufi (oben bid) :e. (1607.) SBierft-
95. sDcein" ©eel' ergebt ju biefer grift :c. (1609.) SBicrft.
96. £5 ©otteS Samm unfcbulbig it. (1607.) SBicrft.
97. .Komm ©ott ©cböpfcr feeittger ©eift :c. ( 1 607.) »ierft.
98. ©cpSob unb 6br mit tjödjftcm «preis :c. (1610.) ©reift,
(©en Seb unb ebr' bem t)6d)ften @ut :c.)
99. 23on ©ott fommt mir ein greubenfefeein :c. (1610.)
günfftimmig.
(3Bie febön leuchtet ber 9Jcorgcnftern )
100. D SBelt ic& mufj bid) laffen 2C. (1610.) SBierft.
100". (Jpeinricfe 3faac. 1339.) 3n[bruct iefe mufi btc^ laf-
fen it. SSierft.
101. ©er Sag oertreibt bie finftre «Racbt :c. (1610.) SBierfl.
Soadjtm t>on 33urgf.
102. STCun ift cSSeitju fingen belln/f©. 401.] 1(1575.)
103. 3* »eifj, bof mein Srlöfcr lebt it.' [©. 400.] j SJierft.
104. £öret ibr eitern, ebriftuS fpricbjt 2c. (1577.) Sierft.*
[©. 399.]
105. (56 ftebn oor ©otteS Sbrone it. (1585.) Sßierft.*
[©. 401.]
^licolauä ©elneccer.
106. 9cun lafst uns ©ott ben Herren jc. (1587.) S3icrft.'
[©. 407.]
Sofjann ©teurletn.
107. SefuS ßbriftuS unfer Jpcilanb :c. )
108. ©er ©nabenbrunn tbut fliegen ze. ) (1388,J mt$'
108». (»altbafar XrtopbiuS. 1537.) Sie SBrünntetn bie ba
fliefsen it. SBierfiimmig.
9Katthta$ ©aftrt£.
109. £er?licb lieb bab' icb, bicrj, o £err it. (1571.) günfft.'
[©. 418.]
3of)anne3 Grccarb.
110. «Bon ©ort roill icb niebt laffen :c. 1571. (1634.)
günfftimmig. ' [©. 422.]
111. 3br Xlten pflegt §u fagen k. ' j [©. 458.]
112. Age nunc parve puer etc.* f (1577.) SBierft.
113. 3" biefer 0^1^^^." [©.458.] ) (1585.) Sßierft.
114. Ser beilig' ©eift com Jpimmel fam :e.* , (©. audj 9tro.
[@. 459.] ' 146. 148.)
114a. (SDtidjael >prä'toriuS. 1609.) 35er beiltg' ©eift com
Gimmel fam it. S3ierft.
115. ©elig ift ber gepreifet it. (1589.) günfft.* [©. 462.]
116. SOlag icb, Unglüct nit roiberftabn it. (1589.) SBierft.
117. Haec coeli genitrix est et bumi dies etc. (1596.)
S3icrftimmig. "
günfftimmige ©äfce au« eccarbS 61)orä'len.
(1597.)
118. 9cun fomm ber Reiben £eilanb :c.
(SBaS ber alten SSätcr ©cbaar it.)
(Veoi redemptor geotiam etc.)
119. Äomm ©Ott ©cböpfer tjeitiger ©eift it.
(Veni creator Spiritus etc.)
120. 9Um finget unb fenb frob it.
(In dulei jubilo etc.)
121. ©elobet fenft bu 3cfuS eferift :c.
122. SSom Gimmel boct; ba fomm' ich, ber :c.
123. ©a ScfuS an bem Äreuje ftunb :c.
124. £) Samm ©otteS unfcb,ulbig :c.
125. ^»err 3cfu 6f)rift, roafjr' SKenfcb, unb ©ott it.' [©. 416.]
126. 3efu€ ebriftuS unfer Jpeilanb it.
127. Äomm ^eiliger ©eift, ^erre ©ott it.
128. 33urcf) 2fbamS gaU it.
(Sein troff icb, mid) ganj ftd) erliefe,.)
129. 3d) ruf' §u bir, J&crr 3efu Sbrift :c.
130. Mein ju bir, £err 3efu 6brift jc.
131. £> ^>erre ©ott, tein görtlicfe SBSort 2c.
132. es ift baS ^>eil un§ fommen ber it.
(3cfe roiU bieb all mein Sebcn lang :c.)
133. £err Sbrift, ber einig' ©ottg ©obn it.
(Safj uns in beiner Siebe :c.)
131. 9cun freut cueb lieben ebriftengmein :c.
(3d) lag in tiefer SobeSnacfet ic)
135. 2CuS tiefer 9lotl) fcferei) icb, ju bir :c.
136. 9hm lob' mein' ©cel' ben Herren jc.
137. 3cb banf bir, lieber ^erre :c.
(entlaubt ift uns ber SBalbe it.)
138. 2BaS mein ©ott roiU, baS gfebeb' aUjeit :c. J634.)
günfftimmig.
138 a. 11 me suffist de tous mes maulx etc. (1530.) SSierft.
139. Jam moesta quiesce querela etc. (1634. 1 günfft.
SEonfäfce aus eecarbS geftliebern. (1598)."
[©. 481 unb folgenbe.]
140. greu btcrj bu roertbeebriftenijcit, bein ^>eil :c. i
COcariä Sßerfünbigung.
141. Über'S ©ebirg SSJcaria gebt :c.
5Kariä ^eimfuetjung. ) günfft.
142. 2)er 3acbariaS ganj oerftummt it. \
2fm Sage 3ol)anntS beS Sä'ufcrS. /
143. £> greube über greub' :c. 2£d)tftimmig.
2Beif)nacfeten.
144. Flavia baS 3ungfräuelein :c. ©edjSftimmig.
(ÜHaria roallt jum ^)eiligtf)um it.)
SJcariä Steinigung.
512
3m ©arten leibet @f)riftuS 9cotb, ic <£cd)6fttmmt'g.
23on efjrifti Ceiben.
3u biefer oftetltdjen 3cit ic. (@. 9cro. 113.') ©edjSft.
tfufecftcfjung.
SOtein fdtjönfre 3ier unb Äteinob bift u. günfft.
"Km Stetten £)ftertuge.
©er fjeilig' ©eift oom Gimmel Eam u. ©ccfjSft.
«Pfingften.
Zui Cieb' lägt ©Ott ber 6t)riftenf)cit 2c. günfft.
9Ktd)aelt6.
150. 9lact)bem bie (Sonn' befdjloffen zc. günfft.
9ceujaf)r.
151. 2flfo tjetttg ift ber Sag zc günfft.
Oftcrn. (Salve festa dies etc.)
152. ©Ott fet) getobet unb gebenebetet 2C.
153. SSater unfer im Himmelreich ic.
%bam ©umpelfefjaimer.
154. SJiein' ©ecl' erbebt ben sperren mein zc." ) (1594.)]
155. gjiit grieb' unb gteub' zc* J 33ierft.
156. 3cfu «Pein, Cetben unb £ob ic. (1619.) SBierjt.'l
(1597.) günfft.
Überfielt ber in bem t>orfref)enben S3erjeicf)niffe enthaltenen geijtlityen SRclo*
bieen, nad; ifyrem Urfpruna,e, unb ber 3eit ityrer ©ntftc^ung*
I. 9tug Iatehüfcf)em jtir<J)engefange ftammenfce. 15*eö 3af>rf)unbert.
4te8 Sa Wunbert. Id dulei jubiio. 120.
veni redemptor gentium. 9cro. 118. umbitbung 00m u %u§ mitteMtwti<fcem beutfe^en geijHicfcem
Saljre 1525. ' J
Jam moesta quiesce querela. 139. ©e|on)JC ^ammeitte.
5teS 3af>rf)unbert. 12te8 3<if>H)unbert.
A solis ortus cardine. 13. @$rift ift erftanben z«, I. 1. II. 6.
6te3 Safyrfyunbert.
Salve festa dies. 5. 151. Umbitbungcn: bie erfte aus bem
löten, bie jroeite aus ber lc|ten Hälfte beg löten
3af)rt)unberte.
Rex Christe factor omnium. 59. Umbitbung auS ber U%-
ten ^Stftc beg löten 3at)rb,unbcrtS.
8te§ 3ctf)d)unbert.
Veni creator spiritus. 40. 97. Umbilbungen com Seifte
1535. 119. Umbtlbung oom 3af)re 1525.
Christ« qui lux etc. 64.
lOteS 3af>rf)unbert.
Grates nunc omnes. 81. 84.
llteö 3af)rf)unbert.
Veni sanete Spiritus, reple etc. 10.
12te« Sa&r&unbert.
Mittit ad virginem elc. 85.
14teß 3af)rf)unbert.
Resonet in laudibus. II. 1.
Quem pastores laudavere. 86.
Nunc angelorum gloria. 86.
Ave Hierarchia etc. 85.
13te§ 3af)rf)unbert.
9cun bitten mir ben fettigen ©eift. 15.
15te8 3at)r()unbcrt.
©etobet fei)ft bu 3efuS ©fjrift ze. II. 2. 51. 121.
Sa 3cfuS an bem Äreuje ftunb 2C. 3. 62. 123.
£) bu armer 3ubaS 2c. 4. 67. 91.
Sief) grau com Hi^mtet ruf tcb, an :c. 88.
SOiarta jart 2c. 89.
(56 ift ein' 9?of entfprungen. 90.
«Kitten mir im Seben finb. 92.
Äomm ^eiliger ©eift H«" ©ott 2t. 127.
©ott fei) gelobet unb gebenebeiet. 152.
©ott ber SSater roofjn' uns bei 2c. 57.
III. 9tuf toeltlt^e 9Mobicen gegrünbete.
(©. aud) unter IV. baS 3af)t 1562.)
15teö 3af)rf)unbert.
@6 ift bae Heil uns tommen f>« 2c. 12. 43. 46. 54. 98. 132.
SaS mettttetje Sieb , beffen mafjrfctjeintidb, bem löten
3af)rt)unbcrte angcfjötenbe SScife bem ooranftefjenben
geiftltdien angepaßt roorben, ift noeb, ntcf)t aufge;
funben.
Gtjrift unfer Spm jum 3orban fam 2t. 7ö.
SeSgleirfjen.
513 —
16te$ Sa&r&unbert.
2ic ift mit lieb bie roertbe SOlagb. 08. 87.
Heb, Sieb' mit Seib u. (1512.)
2Ba6 mein ©ort wiü it. 66. 138.
II me soffist de tous mes maul.v. (1530.) 138".
OTag id) UnglücE nit mibcrftabn it. 116.
2Bclttid)c6 Sieb gleichen 2tnfang6. (»or 1535.)
25om Gimmel Um ber enget Schaar. 21.
(SSom ^)immc( f>od) ba fomm id) ber.)
2fu6 frembben Sanben fomm id) ber jc. (cor 1535.)
3er ©nabenbrunn tfjut fließen jc. 108.
£ic SBrünnlein, bie ba fließen. 108". (oer 1537.)
3d) banf bir, lieber £erre jc. 137.
entlaubt ift uns ber 2Balbe jc. (cor 1539.)
D aßclt id; muf) biet) taffen je. 100.
Snebruct id) muß biet) taffen. 100». (cor 1539.)
2ßic fdjön leudjtet ber SOcorgcnftcrn. 70. 99.
SBic fd)ön leudjtcn bie Äugelcin. (cor 1599.)
£erjlid} tfjut mid) «erlangen jc. 80.
(D Jöaupt doU SBlut unb Sffiunben jc.)
SOlcin 0'mütb. ift mir oermirret jc. (cor 1601.)
IV. «eifiltc^e 2)Mobieen beö löten 3cu>
l)unt>ertg.
1523.
9cun freut eud) lieben Gljriftcngmein. 18.
1524.
3Iu$ tiefer Sfcott) it. (bie pt)n)gifdje 3Beife.) I. 2. II. 79.
ebnft lag in SobcSbanben. 16. 63. 74.
sJKcin' ©ccl' erbebt ben Herren mein lt. 50.
grötiltd) roollcn mir Jpaltetuja fingen it. 53.
(Srbarm' biet) mein, o £erre ©Ott it. 73.
£err efjrift ber einig" ©Otts <Sof)n jc. 78. 133.
1525.
£> Jberre ©ott begnabe mid). 7.
2tn SQJaffcrftüffen SSabiilon. 19.
25er Zt)6ti$V fpridjt, ei ift fein ©Ott it. 52.
6« finb bod) fcelig alle bie jc. | 72
(D SEJeenfct) bemein' bein' ©ünbe groß jc.) \
1529.
ein- fefte SBurg. 24. 61. 76.
1531.
©er Sag oertreibt bie finftre 9iad)t it. 101.
1535.
2£d) ©ott com Jbimmel fiel) barein. (bie pf)rogifd)e SBeifc.) 14.
3efuS (SbriftuS unfer Jbeilanb, ber ben 2ob ic. 126.
£urd) 2lbamä galt jc. 128.
3d) ruf iu bir, £trr 3efu ©brift it. 129.
£> £crre ©ott bein göttlich, fffiort it. 131.
9cun freut eud) lieben @l>riftengmein (jmeite tonifd)e2Beifc).134.
t. SBinterfclb, ber cuanget. ßfcoralgefang.
1537.
2td) ©ott »om Jbimmel fiet> bartin it. (bie mivolybifdjc
SIBeife.) 17. 45.
2tu6 tiefer 9lotb fd)rei id) ju bir (bie ionifdje SEBeife). 135.
SBatcr unfet im Apimmclrcid) jc. 153.
1540.
9cun lob' mein' ©eef ben Jberren 22. 136.
2i"Ucin ©ott in ber Jpöb' fei) efjr' :c. 23. 77.
£> Samm ©otteS unfdjulbig. 96. 124.
1543.
SSom Gimmel bod) ba fomm id) ber it. (jmeite ionifdje
SBeife.) 122.
1544.
£) aUmäd)tiger ©ott, biet) lobt ber ßfjriften SRott ic. 8.
25er eblid)' ©tanb it. 9.
9cun laßt uns ben Seib begraben it. 20.
1545.
2fUein ju bir, .berr 3efu CSbrift it. 38. 130.
1551.
©ott bat baß eoangelium. 60.
1560.
Cobt ©ott ifjr ebn'ften aUjugleid). 42.
erfd)ienen ift ber herrlid) Sag jc. 82.
1562.
Sie unter ben 9cummern 25—37, 47 unb 48 in bem oor«
ftetjenben SßergeictjnifYe aufgeführten üicrjefjn franjöftfdjen
^)falmmelobieen :
^falm 42. !
Mro,
. 25. 47.
// 51.
26.
» 65.
27.
-/ 76.
28.
« 77.
29.
» 81.
30.
,< 82.
32.
» 100.
33.
./ 111.
34.
<> 116.
35.
i 130.
48.
„ 131.
36.
// 139.
31.
« 142.
37.
23a6 3at>r ibreö erften erfdjeincnS mit ben 9Jcarot= unb
SBcja'fdicn ^falmen, alfo ihrer Bcrmcnbung für geift;
lid)e 3mecte, gilt l)kt aud) für baß ifjreö entfteb,eng.
3u roeltlid)cn Siebern, benen mobl alle urfprünglid)
angehörten, fang man fic fdjon bebeutenb früher, bod)
ift eine beftimmte 3eitangabe f)ier nid)t möglid).
1566.
©d)au roic lieblid) unb gut. 49.
1568.
Sobet ben Jberrn, benn er ift febr freunblid). 39.
65
514
1569.
«OJctn liebet £trr, ich preife biet; ZC. 93.
SOTcin' ©eel' erhebt |u biefer grift. 95.
1571.
£crjlich lieb W ict) bid), o £err 2C. 109.
(Sie nid)t gebräuchlich geworbene SOBcife beS 50lattt)ia6
©aftri|.)
Sßon ©ott roilt ich nicht taffen zc. 110.
1575.
£erjlid) tt)ut mid) erfreuen zc. 44.
9iun ift cS 3cit &u fingen t)ell. 102.
3ch meif), bafs mein ©rlöfcr lebt. 103.
1577.
£öret it>r eitern, 6t)riftu6 fpridjt zc. 104.
5f)t 2Clten pflegt ju fagen zc. 111.
Age nuDc parve puer etc. 112.
1585.
(5S ftef>n an ©otteS Sfjrone ic. 105.
3u biefer öfterlidjen 3cit zc. 113.
2>er fjeilig' ©eift com Gimmel tarn zc. 114. 114".
1587.
greut euch, tf>r lieben Sfiriften zc. 41.
9tun laft unä ©ott ben Herren zc. 106.
1588.
3efu6 SbriftuS unfer £ei(anb zc. 107.
(Umbilbung ber unter bem 3at)re 1535 angeführten
oorifdjen SBeife in baS SJfirotnbifdje.)
1589.
©eelig ift ber gepreifet zc. 115.
(teuere erfinbung beS £onfe|er$, 3ot)- eccarb.)
1593.
£erjlic$ lieb tyaV id) biet), o £ert :c. 56.
(J)ie jefct gebräuchliche SOlelobie.)
1594.
SJlein' ©eel' ergebt ben Herren mein jc 154.
SKit grieb' unb greub' zc. 155,
(Steuere erfinbungen beS Sonfe|erS, 2tbam ©unu
pelfetjaimcr.)
1597.
£err 3efu Gtjrift, wahr' SJcenfdj unb ©Ott zc. 55. (miro*
Inbtfche StBeife.) 125. (ionifche SSkife.)
1598.
Sie in »orftebjnbem SBerjeidjniffe unter ben Hummern 140
bis 150 aufgeführten elf geftlieber eccarbS.
1599.
SOBadjet auf, ruft uns bie ©timme jc. 69.
%u$ ben legten %at)xm be§ 16ten 3af)rf)unbertS,
of»ne genauere Beitbejiimmung :
Jg>eut triumphiret ©otteS @ohn zc. 58.
£)u griebefürft, £err 3efu ©tjrift zc. 65.
SZBacfc-t auf if>r ei)riften alle. 71.
Jperr 3efu <$t)ti$, wahr' SOlenfcfj unb ©Ott zc. (phnjgifdje
SBeife.) 83.
SKein' ©eel', o ©ott, muf loben bid; zc. 94.
1619.
3efu <?>ein, Ceiben unb 3ob zc. 156.
3) t u f e $ I e r.
Seite 10 3eile 11 ». o. mufj es ftatt üon ber: öor ber Reißen.
. ii 10 " 12 o. u. mufj hinter ben Sorten: beS (SinflangeS ein ßomma flehen.
ii 16 w 3 mufj ftatt 3ürüd: 3urüc! flehen.
» 22 mufj bie ©chlufjnote ber in ber Slnmerfung mitgeteilten SJlelobie nicht — £}— fonbern — g— Ijeifjen.
» 34 3eile 9 ift ftatt : 91 a et) a nb eren, 9t o dj anb ere ju fefcen.
ii 118 n 12 am (Silbe, ftatt: 9lro. IV muf e<5 heifjen 9tro. V.
» 126 » 3 if if)t n <> u i^m.
p 205 // 14 ü. o. muß bie 3a()rjaf)l 15*4 heißen, nicht 1554.
" 208 v 5 mufj in bem «erlebten Sffiorte „fpätern" ftatt bei f ein f flehen.
" 291 ii 15 mufj cS l)eifjen ftatt: bem ber <3ame u. f. ro. beim ber (Same.
H 336 « 11 muß hinter bem »erlebten SBorte „fieben" fylbige ergänjt Werben.
:i">0 ii 1 ift »er Sem legten 9Borte: „machen" ba« 2ßort „gelten b" ergäujenb einjufchalten.
p 3ö5 ii 8 ftatt f leine mufj e« Ijeifjen : grcfje ©eptime.
" 417 » 3 hat fich in bem Slßorte : Psalmodia ein pottrifdjeS burrhftrichene« 1 eingefchlichen.
■ 471 " ö muß ftatt Zvn to e i f e : Ion t e i h e gelcfen roerben.
<S. 114 ber SBeifpielc mufj iit ber Überfchrift «on 9tro. 118 bie 3at;rjahl 1597 heipen, nicht 1579.